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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-14 18:08:49 -0700 |
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If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this ebook. + +Title: Litauische Geschichten + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at + https://www.pgdp.net + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + + Litauische Geschichten + + + + + Litauische Geschichten + + + Von + Hermann Sudermann + + 2.-25. Auflage + + + Stuttgart und Berlin 1917 + J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger + + + Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten + + Für die Vereinigten Staaten von Amerika: + Für die nachstehenden Erzählungen »Die Reise nach Tilsit« und + »Miks Bumbullis« + Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin + + + Seinem lieben und verehrten Freunde + Ökonomierat Scheu + auf Adl. Heydekrug + zugeeignet + + + + + Inhalt + + + Seite + Die Reise nach Tilsit 9 + Miks Bumbullis 69 + Jons und Erdme 141 + Die Magd 349 + + + + + Die Reise nach Tilsit + + +Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am Haff liegt Wilwischken. Und +wenn man von dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen will, muß +man so nah an den Häusern vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn +aus mit ein paar Zwiebeln -- es können auch Gelbrüben sein -- die +Fenster einzuschmeißen. + +Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich schade. Denn +Wilwischken ist ein sauberes Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner +betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei einträgliche Acker- und +Gartenwirtschaft, und die Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt. + +Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, die an der Mündung der +Parwe gleichsam die scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas +Balczus. + +Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher Fischer, der bei jedem +Raubfang sein Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der am +Montagabend seine Barsche in Heydekrug unterm Preis ausbietet und am +Dienstagnachmittag betrunken heimfährt; der Ansas Balczus ist beinahe +schon ein Herr, der mit den Deutschen deutsch spricht wie ein Deutscher, +der sich sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der sich bei seinen +Prozessen so gut zu verteidigen weiß, daß er die Anwaltskosten sparen +kann. + +Er hat sich auch eine feine Frau genommen, der Ansas Balczus. Sie stammt +aus Minge und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, dem die großen +Haffwiesen gehören. Daß er die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte +keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und sie ging so blaß und +sanft an ihnen vorbei, als ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre. + +Nun _hat_ er sie aber und kann stolz auf sie sein. Sie hat ihm drei +hübsche Kinder geboren, und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie +mit der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. Ihre Butter wird ihr +von den Händlern schon weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt, +ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und breit, und im +Brautwinkel stehen seit vorigen Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man +erzählt sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie sieben Jahre alt +sein wird, ein Klavier kaufen will. + +Und dabei geht sie noch ebenso sanft und blaß ihres Wegs, wie sie es als +Mädchen getan hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn man sie +anspricht. + +So ist die Indre Balczus. Und wenn _ich_ der Ansas wäre, ich würde meine +Hände zum Himmel heben, morgens und abends, daß _sie_ meine Frau ist und +keine andere. + +Und so war es auch früher, aber seit die Busze als Magd ins Haus +gekommen ist, hat es sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die +Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, wenn von dem Hof +des Balczus Schimpfen und Weinen herüberschallt. + +Das Schimpfen kommt von dem Ansas. _Die_ Stimme kennt ein jeder. Aber +weinen tut nicht die Indre -- _wenn_ sie's tut, so nur ganz leis und in +der Nacht --, es sind die drei Kinder, die da weinen über all das Üble, +das ihre Mutter erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein Lachen +darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart wie Glas und schadenfroh wie +Hähergeschrei. + +Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. Wenn sie nicht selbst eine +Besitzerstochter wäre und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes, +hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten können. Warum muß die +überhaupt dienen gehen mit ihren blinkernden Achataugen und dem Fleisch +wie von Apfelblüten? Wer weiß, wie vielen die schon die Köpfe verdreht +hat! Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn sie irgendwo einen +ganz verrückt gemacht hat, dann lacht sie und geht in einen anderen +Dienst. + +Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun als das leibhaftige +Gegenteil der stillen und sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und +rumort vom Morgenstern an bis in die späte Nacht, schafft für dreie und +wird schon aufgebracht, wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen. + +Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer gewesen ist, kennt sie +überhaupt keinen Spaß mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie die +Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und er ist schwach und tut, was +sie will. + +Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, wo die Frau arm eingezogen ist +oder aber kränklichen Leibes und darum die Dinge gehen läßt, wie sie +gehen. Aber der Indre gegenüber, dem reichen Jaksztat seiner schönen +Tochter, die bloß zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so einem +Biest auflegen zu können, da versteht man die Welt nicht mehr. + +Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen ist und sie geschlagen hat, +kommt die Nachbarin, die Ane Doczys, zu ihr und sagt: »Indre, wir können +das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. Wir haben beschlossen, ich +schreib's deinem Vater.« + +Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, und sagt: »Tut's nicht, +sonst nimmt er mich mit, und was wird dann aus den Kindern?« + +»Wir tun's doch,« sagt die Doczene, »denn solch ein Frevel darf nicht +sein auf der Welt.« + +Und die Indre bittet auch noch für ihren Mann und sagt: »Spricht es sich +immer weiter herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. Heiraten darf +er sie nicht wegen des Ehebruchs. Auf den müßt' ich klagen, denn nur so +kann ich die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt betrinkt er sich +immer häufiger. Was dann erst wird, das überlegt sich ein jeder.« + +»Aber soll denn das immer so fortgehen?« fragt die Doczene. + +»Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, wenn sie genug gehabt +hat,« sagt die Indre, »und mit ihm wird sie's nicht anders machen.« + +Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, wie Nachbarinnen sind, denen +es morgen ebenso gehen kann, warnt sie wieder und wieder. + +»Wir haben uns auch erkundigt,« sagt sie, »das sind dann immer +Saufbengels gewesen und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann läßt die +nicht los.« + +Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, was für einen +vortrefflichen Mann sie gehabt hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie +weint und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie wendet nur ein +wenig das eingefallene Gesicht und sagt: »Wie Gott will.« + +Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will. + +Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem Mann, der auf der Ofenbank liegt +und schläft: »Doczys,« sagt sie, »hier sind die Wasserstiefel. Setz die +Segel ins Mittelboot, wir fahren nach Minge.« + +»Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?« fragt er ungehalten; denn wer +schläft, will Ruhe haben. + +Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, daß es ihr morgen ebenso +gehen kann, fackelt nicht viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch +noch die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe Stunde später fahren +die beiden nach Minge. + +Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat in Wilwischken an. Er ist nicht +zu Kahn gekommen, das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, sondern hat +den Umweg über Land nicht gescheut, um seinem Schwiegersohn mit dem +Verdeckwagen und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die Nase zu +reiben, welcherart das Haus ist, aus dem seine Frau herstammt. + +Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch alle. Der o-beinige, kleine +Mann mit dem lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen +war ja bekannt genug. Als er starb, ist er schließlich gar nicht so +reich gewesen. Aber das tut nichts zur Sache. + +Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht als erste das Fuhrwerk +vorfahren und tritt aus dem Hause. + +Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, und funkelt ihn an. + +Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die Peitsche aus der Hand und +reißt ihr eins über. Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm +herunter flammt die Strieme. + +Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, zieht ihn vom Wagen und fängt +ihn mit den Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt vom Bock, der +Ansas Balczus kommt aus dem Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen +gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson zu entreißen. Weiß Gott, +sie hätte ihn sonst vielleicht umgebracht. + +So schlimm dies Vorkommnis an und für sich sein mag, in der nun +folgenden Unterredung gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit vom +Wege abgekommen ist der Ansas Balczus doch noch nicht durch seine +Kebserei, daß er nicht wüßte, welche Schande ein solcher Empfang dem +Hause weit und breit bereiten muß. + +Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem hinter die Ohren +gestrichenen gelben Flachshaar und dem braunen Sommersprossengesicht vor +dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen lassen soll. + +Der schnauft immerzu vor Zorn und weil ihm noch vom Herumrangen die Luft +fehlt. + +»Wo ist deine Frau?« + +Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine Frau ist? Die läuft in ihrer +Ratlosigkeit oft genug aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf und +Schlägen sicher ist. + +»Ich bin der reiche Jaksztat!« schimpft der Alte. »Mir soll so was +passieren!« + +Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, so gut es geht. Aber was +kann er viel sagen? + +»Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort aus dem Hause!« + +»Na, na,« brummt der Ansas. Wäre das nicht eben geschehen, so hätte er +wahrscheinlich die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei _seine_ +Wirtschaft, hier hab' er allein was zu sagen, aber jetzt brummt er bloß: +»Na, na.« + +Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, und nun legt er los. Es +gibt nicht viel Schimpfwörter im Litauischen, die der Ansas für sich und +sein Frauenzimmer _nicht_ zu hören gekriegt hat in dieser Stunde. + +Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt auf der Ofenbank und +weint. + +Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden Ältesten aus der Schule +geholt und geht über den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, schlank +und rank, geradeso wie die katholische heilige Jungfrau. + +Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt sie zusammen, setzt das +Kindchen auf die Erde und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am +raschesten verstecken. + +Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür hinaus -- und sie packen -- und +sie hereinziehen -- hast du nicht gesehen! + +»Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,« fährt er den Schwiegersohn an, +»und küssest den Saum ihres Gewandes!« + +So ohne Willen, wie der auch ist, das will er doch nicht. Aber der Alte +hilft kräftig nach, und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem +Schluchzer: »Ich weiß, ich bin ein Sünder vor dem Herrn.« + +»Steh auf, Ansas,« sagt sie in ihrer milden Weise und legt die Hand auf +seinen Kopf. »Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt du es mir +nachher nicht, und es bleibt alles beim alten.« + +Ach, wie gut hat sie ihn gekannt! + +Aber vorläufig geht er auf alles ein und verspricht dem Alten, daß die +Busze mit seinem Willen den Hof nicht mehr betreten soll und daß sie +jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll. + +Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht zu verlangen. Aber er besteht +darauf. Er hätte es lieber nicht sollen. + +»Die Busze! Wo ist die Busze?« + +Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht mit einem Taschentuch verbunden +wie eine mit Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat sie eine nasse +Schürze gewickelt. Zum Kühlen. + +Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei ganz freundlich an. + +»Na also, was ist?« sagt sie. »Ich hab' zu tun.« + +»Du hast hier nichts mehr zu tun,« sagt der Alte, »und das wird dir dein +Brotherr gleich klarmachen.« + +»Da bin ich doch neugierig,« trumpft sie als eine, die ihrer Sache +sicher ist. + +Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen und wo aufhören. Aber weil sie +mit ihrem verbundenen Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, wird es +ihm leichter. Er stottert was von »Hausfrieden« und »man muß Opfer +bringen« und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus. + +Sie lacht laut auf und lacht und lacht. »Haben sie dich richtig +kleingekriegt, du Dreckfresser?« sagt sie. »Ums übrige wirst du ja bald +wissen, wo du mich finden kannst.« + +Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür hinter sich zu. -- -- -- + +Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. Und anfangs scheint es auch +so. Der Ansas tut freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen auf +den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt er ihr aus dem Hofmannschen +Laden sogar ein Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen Blick, und +wenn er kann, geht er ihr aus dem Wege. + +Die Indre schreibt nach Hause: »Es ist alles wieder gut.« Aber auf das +Papier sind ihre Tränen gefallen. + +Denn die Busze ist immer noch da. Sie hat sich bei den Pilkuhns +eingemietet, die hinten am Abzugsgraben wohnen, und was das für Gesindel +ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. Sie tut so, als arbeitet sie in +den Wiesen, aber man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man sie +irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, den beiden Kindern, wenn sie +aus der Schule kommen, Gerstenzucker zu schenken. + +Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel wird? Kein Mensch weiß. Er geht +an der Parwe entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, daß sich +kein Abendrot zum Wasser hinfindet. Und die Leute, die vor den Türen +sitzen, reden leise hinter ihm drein: »Jetzt trifft er sich mit der +Busze.« + +Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich wirklich mit der Busze. + +Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet, sitzen sie bis in die +Nacht hinein und schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was sie auch +übersinnen, -- die Frau, die Indre, steht immer dazwischen. + +»Laß dich scheiden!« + +Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die Kinder! Der Endrik, der +Älteste, soll einmal das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm selbst +aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst gar Klavier spielen. +Solche Kinder stößt man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar nicht +zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, der reiche Jaksztat, die +zweite Hypothek hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er kündigt? + +Aber die Indre muß fort! Die Indre muß aus dem Wege! Die Indre mit ihrem +Buttergesicht. Die Indre, die ihm nachspioniert. Die Indre, die +allabendlich von Tür zu Tür läuft, um ihn schlecht zu machen vor den +Leuten. Die Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches gibt, was sie +nicht erzählt von ihm. Sogar daß er einen Bruchschaden hat, hat sie +erzählt. Woher sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht ist +sie bei all ihrer Scheinheiligkeit. + +Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene Sache. Es fragt sich bloß, +wie. + +Er natürlich will nichts davon hören, aber es muß ja doch sein. + +Manche Frauen sterben im Kindbett -- man braucht kaum einmal +nachzuhelfen, aber das kann lange dauern und bleibt eine unsichere +Sache. + +Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei mal zwei vier ist. Und wer's +dann getan hat, weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? Aber die +Indre geht nicht aufs Wasser. Das ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal +auf dem Wasser gewesen. + +Sie wird schon gehen -- man muß ihr nur zureden. + +Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig 'reinspringen? Ja, selbst _wenn_ +sie's täte, wer würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, sitzt man +auch schon in Untersuchung. + +Gift oder Ertrinken -- es ist ein und dasselbe. + +Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die Busze weiß Rat. + +Ob er schwimmen kann. + +Er kann schon schwimmen. Aber in den schweren Stiefeln nutzt das nichts. +Da wird man auf den Grund gezogen wie die »Kulschen« -- die kleinen +Steine im Staknetz. + +Dann muß man barfuß 'raus. Jetzt im Sommer fährt jeder barfuß 'raus. + +Er, der Ansas, hat das nie getan, und das wissen die Leute. + +Ob die Indre schwimmen kann. + +Wie die bleiernen Entchen -- so kann die Indre schwimmen. + +»Also, es wird gehen,« meint nachdenklich die Busze. + +»_Was_ wird gehen?« + +Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen Sommer, an der Windenburger +Ecke, wobei die zwei Fischer ums Leben gekommen sind? + +Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der eine der Toten ist ja sein +Vetter gewesen. + +Ob er auch weiß, wie es geschehen ist. + +Genau weiß es niemand, aber man nimmt an, daß sie betrunken gewesen sind +und die gefährliche Stelle verschlafen haben, die Stelle hinter dem +Leuchtturm, wo der Wind plötzlich einsetzt und wo man scharf aufpassen +muß, will man nicht kentern wie ein zu hoch geladener Heukahn. + +Ob man das Kentern nicht auch künstlich machen kann! + +Ja, wenn man durchaus ersaufen will. + +Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten kann! + +Bis an Land schwimmt keiner. + +Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen kann mit Binsen oder +Schweinsblasen, die einen stundenlang über Wasser halten! + +Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich und würde bemerkt werden. + +Dann müßte man sie nach dem Gebrauch aus der Welt schaffen. + +»Ja, aber wie?« + +Die Busze wird nachdenken. + +So reden und beraten sie Stunden und Stunden lang, Nacht für Nacht. Die +Busze fragt, und er antwortet. Und aus dem Fragen und dem Antworten +backen sie bei langsamem Feuer den Kuchen gar, an dem die Indre sich den +Tod essen muß. + +Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie sie am besten zu dem Ausflug +zu bringen ist. Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, ehe der +Schlag geführt werden kann. Wo aber die Gründe hernehmen, um die +häufigen Fahrten zu rechtfertigen? -- Und wie selten auch weht der Süd +oder der Südwest, bei dem allein das Unternehmen gelingen kann, und noch +dazu in der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas Besonderes gefunden +werden, ein Grund wie kein anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig +macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt. + +Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer wieder ans Herz, heißt es +freundlich zu der Indre sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird und +auch die Nachbarn glauben können, es sei nun alles wieder in Ordnung. + +Und er ist freundlich zu der Indre -- so freundlich, wie's einer +versteht, der sich nie im Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz +klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, er bessert den +Stöpsel im Rauchfang, er küßt sie beim »Guten Tag« und »Gute Nacht«, und +er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt sie nicht an. + +Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn er um Mitternacht +heimkommt, um den Dunst der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor an +sich herumträgt. + +Und schließlich -- die Busze hat es so verlangt -- bringt er auch das +schwerste Opfer und geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht. +Von nun an verkehren sie nur durch den Briefträger. Die Aufschriften +sind von einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er weisgemacht hat, +er könne nicht schreiben, auf Vorrat gefertigt, und drinnen stehen +Zeichen, die nur sie beide verstehen. + +So muß auch die Indre glauben, der heimliche Verkehr habe aufgehört. +Aber täuschen läßt sie sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe +sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn er sich vor ihr wunder +wie niedlich macht, denkt sie bei sich: »Wie seh' ich ihn doch durch und +durch!« + +Eines Tages kommt er besonders liebselig auf sie zu und sagt: »Mein +Täubchen, mein Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich möchte dir +gern etwas Gutes bereiten, such es dir aus.« + +Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er Hinterhältiges im Sinne +führt. Und sie sagt: »Ich brauche nichts Gutes. Ich hab' ja die Kinder.« + +»Nein, nein,« sagt er, »es muß sein. Schon wegen der Nachbarn. Auch +deinem Vater will ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. Weißt du +nichts, so denke nach, und auch ich werde mir den Kopf zerbrechen.« + +Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber sie weiß noch immer nichts. + +Da sagt er: »Nun, dann weiß ich es. Du hast noch nie die Eisenbahn +gesehen. Laß uns nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn +siehst.« + +Sie sagt darauf: »Die Leute erzählen sich, daß die Eisenbahn nächstens +bis nach Memel geführt werden soll, und Heydekrug wird dann eine Station +werden. Wenn es so weit ist, kann ich ja einmal zum Wochenmarkt +mitfahren.« + +Aber er gibt sich nicht zufrieden. + +»Tilsit ist eine schöne Stadt,« sagt er, »wenn du nicht hinfahren +willst, so weiß ich, daß du einen bösen Willen hast und an Versöhnung +nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne habe, als dir zu +Gefallen zu leben.« + +Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte mit der Magd wirklich +aufgegeben hat, und sie beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden. + +Und sie sagt: »Ach Ansas, ich weiß ja, daß du es nicht aufrichtig +meinst, aber ich werde dir wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind wir +ja alle in Gottes Hand.« + +Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot werden kann wie irgend ein +junges Ding. Und weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und schämt +sich draußen. Aber ihm ist zumut, als _muß_ er es tun und ein Zurück +gebe es nicht. Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel vorwärts +schuppst, so ist ihm zumut. Und darum fängt er an demselben Tage noch +einmal an. + +»In Tilsit ist ein Kirchturm,« sagt er, »der ruht auf acht Kugeln, und +darum hat ihn der Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen wollen. Er +ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine so merkwürdige Sache muß man doch +sehen.« + +Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber nichts. + +»Außerdem,« fährt er fort, »gibt es ja ein Lied, das geht so: + + Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch! + Ich liebe dich heute wie einst, + Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch, + Wenn du sie nicht manchmal bescheinst. + +Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne Stadt Tilsit ist.« + +Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch einmal an, und er wird +wieder rot und redet rasch von anderen Dingen. + +Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: »Nun, wann werden wir +fahren?« Als ob es längst eine abgemachte Sache wäre. + +Sie denkt: »Will er mich los sein, so kann er es auf tausend Arten. Es +ist das Beste, ich füge mich.« + +Und zu ihm sagt sie: »Wann du wirst wollen.« + +»Nun, dann je eher, je besser,« sagt er. + +Es wird also der nächste Morgen bestimmt. + +Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, läuft er am Nachmittag von +Wirtschaft zu Wirtschaft und sagt: »Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß ich +mich schlecht aufgeführt habe. Aber von nun an soll alles anders werden. +Zum Zeichen dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt nach +Tilsit machen. Damit will ich sozusagen die Versöhnung festlich +begehen.« + +Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch noch. Genau, wie die Busze es +vorhergesagt hat. + +Was aber tut die Indre inzwischen? + +Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, schreibt auf ein Papier, was sie +am Alltag und am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke Leinwand, +die sie selber gewebt hat, künftig einmal zu verschneiden sind. Auch +ihre Kleider verteilt sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, und +die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt sie noch ihr Leichenhemde +bereit und was ihr sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann ist +sie fertig. + +Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. Sie denkt: »Ihr Armen werdet +schlechte Tage haben, wenn die Busze erst da ist.« + +Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz nachdem der Ansas dagewesen +ist, und sagt: »Dem Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, daß +ich von dieser Reise nicht wiederkommen werde.« + +Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: »Warum sollst du nicht +wiederkommen? Nach Tilsit ist bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch +ein Versöhnungsfest sein.« + +Die Indre lächelt bloß und sagt: »Wir werden ja sehn. Darum versprich +mir, daß du auf die Kinder achtgeben wirst und dem Großvater schreibst, +wenn es ihnen nicht gut geht.« + +Die Ane weint und verspricht alles, und die Indre geht heim. Sie bringt +die Kinder zu Bett und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ... + +In der Frühe, lang' vor der Sonne, fahren sie ab. + +Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider an, und auch sie hat sich +geschmückt, denn es soll ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die +rote, grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, in dem sie vor +neun Jahren mit ihm zur Versprechung nach der Kirche gefahren ist, und +ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen. + +Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen und in dem vorderen +Abschlag verstaut. + +Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten Wichsstiefel in der Hand. Im +letzten Augenblick bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand +gepackt, das wirft er neben sich vor das Steuer und sieht sie verstohlen +dabei an, als ob er eine Frage erwartet. + +Aber sie fragt nichts. + +Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß ihm die Hände zittern. Er +will sich nichts merken lassen und sagt: »Es ist ein hübsches kleines +Windchen, wir können zu Mittag in Tilsit sein.« + +Sie sagt: »Mir ist es gleich.« + +Und er meint: »Ob es hin auch noch so rasch geht, zurück muß man +kreuzen.« + +Dann wirft er das Schwert aus und setzt auch den Raginnis, das kleine +Vorsegel. Er sitzt nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so daß sie +ihn kaum sehen kann. + +Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings in dem Wasser glucksen die +Fischchen. + +Über das weite Haff hin ist es nach Westen wie eine blaugraue Decke +gebreitet, nur drüben die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein. + +Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, dort, wo die Landzunge +sich spitz in das Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine +und wirft dann mit raschem Griff das Steuer um, denn von nun an geht es +mit vollem Wind geradeswegs nach Osten. + +So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor dieser Stelle hat sie schon +immer Angst gehabt, denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen ist, +dann war es nur hier. + +Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das liebe Minge, das in der +Ferne ganz deutlich zu sehen ist, und denkt bei sich: »Ach Vater, wenn +du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die Indre fährt.« + +Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche Stelle macht ihr das +Herz eng. + +Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung zu, die mit ihren +Grasbändern rechts und links schon lang' auf sie zu warten scheint. + +Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, breit wie die Memel selber, +von der er ein Arm ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf dem +Wasser ein Reibeisen. + +»Zwei Mundvoll mehr wären gut,« sagt der Ansas halb abgewandt zu ihr +herüber, »denn wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn merkt ihn +doch.« + +Sie denkt bloß: »Ich möchte nach Minge.« Aber Minge liegt längst weit im +Rücken. Denn drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen +Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die Leute sagen, daß, wer +darauf wohnen will, sich Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er +nicht vor und nicht zurück. + +»Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,« denkt sie, »und muß +stillhalten, wie er es bestimmt.« + +Nun macht der Strom den großen Ellbogen nach Süden hin, und die Segel +schlagen zur Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper sehen kann. +Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag vorn an der Spitze, und er +hinten am Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen. + +Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. Er rückt nach +rechts, er rückt nach links, aber es hilft ihm nichts. + +»Du armer Mann,« denkt sie, »ich möchte nicht an deiner Stelle sein.« +Und sie lächelt ihn traurig an, so leid tut er ihr. + +Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der große Herrenort, in dem so viel +getrunken wird wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner Wasserpunsch +fürchten sich ja selbst die Herren von der Regierung. + +Zuerst mit den vielen Flößen davor der Anckersche Holzplatz und eine +Sägemühle und dann noch eine und noch eine. + +Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern stromab aus Rußland kommen, +sitzen in ihren langen, grauen Hemden auf der Floßkante und baden sich +die Füße. Hinter ihnen rauchen die Kessel zum Frühstücksbrot. + +»Er wird mir wohl Gift 'reintun,« denkt sie. Aber noch hat sie das +mitgebrachte Essen in ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu sich +nehmen. + +Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen Sägemühle. Auch hier liegen +Holztriften fest, und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik machen +müssen, fangen schon an, die Kehlen zu stimmen. + +Eins von den Liedern kennt sie: + + _Lytus lynòju, rasà rasòju,_ + _O mùdu abùdu lovò gulèju._ + +Sie denkt: »Wenn alles so wäre wie einst, dann würden wir jetzt +mitsingen.« + +Die Dzimken winken ihnen auch einladend mit den Händen, aber keines von +ihnen beiden grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen während der +Fahrt noch zugewinkt, aber niemals haben sie Antwort gegeben. + +Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine traurige Gegend. Links das +Medszokel-Moor, wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das Bredszuller +Moor, das auch nicht viel wert ist. Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln +und Höhen der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem die wilden Elche +hausen. + +Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, vor sieben Jahren. Sie trug +damals die Elske im sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon wenig +mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu ihr: »Wir wollen nach Ibenhorst +fahren, vielleicht daß wir die Elche sehen.« Aber er nahm nicht wie +heute die Waltelle -- das Mittelboot --, denn damit kommt man in den +kleinen Seitenflüssen nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem +fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch das Gewirr der fließenden +Gräben, durch Rohr und Binsen, stunden- und stundenlang. Und sie hatte +den Kopf auf seinem Schoß liegen und sagte ein Mal über das andere: +»Ach, was brauchen wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz +wunderschön.« Und schließlich sahen sie doch einen. Es war ein mächtiger +Bulle mit einem Geweih rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz nahe +im Röhricht und kaute und sah sie an. Ansas sagte: »Sehr wild scheint +der nicht zu sein, ich fahr' einfach auf ihn los.« Aber die Elske in +ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte einen heftigen Sprung. Und +als sie ihm das sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren sollte. + +An jenen Frühlingstag also muß sie denken, und dabei kommt mitten aus +ihrer Ergebung der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten +Hände vor die Stirn legt und dreimal weinend sagt: »O Gott, o Gott, o +Gott!« + +Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht und über die Großmastbank zu +ihr herübersteigt. + +»Worüber klagst du eigentlich?« hört sie ihn sagen. + +Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: »Ach Ansas, Ansas, weißt du +nicht besser als ich, warum ich klage?« + +Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht stumm zum Hinterende +zurück. + +Auf einer der entgegenfahrenden Triften spielt ein Dzimke die Harmonika. + +Sie denkt: »Nun wird die Elske wohl nie mehr Klavier spielen lernen ... +und der Willus wird auch niemals ein Pfarrer werden.« Denn das hat sie +sich in ihrem Sinne vorgenommen, weil es ein gottgefälliges Werk ist. + +Sie denkt weiter: »Ich werde es mir noch vorher von ihm versprechen +lassen.« Aber wie kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen wird, so +daß sie noch Zeit behält zum Bitten? Jeden Augenblick kann es kommen, +denn oft ist alles menschenleer -- auch an den Ufern weit und breit. + +»Was mag er nur in der Sackleinwand haben?« denkt sie weiter. »Da drin +muß es sein, womit er das Schreckliche ausüben will. Aber was kann es +sein?« Das Paket ist rund und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer +so stark. Als er es vor der Abfahrt auf den Boden warf, ist kein Schall +zu hören gewesen. Es muß also leicht sein von Gewicht. + +»Das Beste ist,« denkt sie, »ich lasse es kommen, wie es kommt, und +nutze die Zeit, um Frieden zu machen mit dem Herrn.« + +Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. Sie weiß kaum einmal, +um was sie beten soll. Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. Da +braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein Floß kommt. Und so betet +sie für die Kinder. Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne. + +Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht sagen. Aber die Sonne +steht schon ganz hoch, da hört sie von drüben seine Stimme: »Bring mir +zu essen, ich hab' Hunger!« + +Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. »Jetzt wird es geschehen,« +denkt sie. Aber wie sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst +hinüberträgt und Brot und Butter dazu, da zittert sie nicht, denn jetzt +denkt sie wieder: »Nein, so kann es _nicht_ geschehen, er wird sich eine +andere Art und Weise suchen.« + +Und dann, wie er fragt: »Ißt du denn nichts?«, kommt ihr plötzlich der +Gedanke: »Es wird _gar_ nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn malt +es mir aus.« + +Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er dasitzt, in sich +zusammengekrochen und die Blicke irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser +gerichtet, bloß nicht auf sie, dann weiß sie: »Es wird _doch_ +geschehen.« + +Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: »Was hast du da in der +Sackleinwand?« + +Er zieht finster den Mund in die Höhe und antwortet: »Meine +Wasserstiefel.« Aber sie weiß, daß das nicht wahr sein kann, denn deren +Absätze sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen geklappert. + +Dann packt sie die Speisen zusammen und geht nach dem Vorderende zurück. + +Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr Kopftuch tief in die Augen +ziehen. + +Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, auch der schwarze Rand +des Ibenhorstes ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt sich die +fruchtbare Niederung, wo der Morgen tausend Mark kostet und die Bauern +Rotwein auf dem Tische haben. + +Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen liegt, der große, reiche +Marktort, in dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus und ein +gehen dürfen. »Wenn der Willus Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus +und ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja nie Pfarrer sein. Wird +etwa die Busze ihn auf die hohe Schule gehen lassen?« + +Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann kommt die Stelle, an der die +Gilge sich abzweigt. Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin im +Grünen verschwinden, fragt aber nichts. + +Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache wieder und sagt: »Du, Indre, +von nun an heißt es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die Memel.« + +Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann wird es wieder still. So +lange still, bis Ansas plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach +vorne zeigt. + +Sie wendet sich um und fragt: »Was ist?« + +»Was wird sein?« sagt er. »Tilsit wird sein.« + +Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß nach ihm. Er lacht übers +ganze Gesicht, weil sie nun bald da sind. + +»Es wird _nicht_ geschehen,« denkt sie. »_Der_ Mensch kann sich nicht +freuen, der so Schreckliches mit sich herumträgt.« + +Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so gar keine Neugier zeigt. + +»Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,« sagt er, »und hinten +steht auch Napoleons Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.« + +Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. Und so kommen sie +immer näher. + +Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, und die Eisengerüste hoch +oben, die in der Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen -- so was +hat sie wirklich noch nie gesehen. + +»Alles war Unsinn,« denkt sie. »Es wird _nicht_ geschehen.« + +Und dann kommen Holzplätze, so groß wie der Anckersche in Ruß, und +Schornstein nach Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit +Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in Memel. Denn Memel kennt sie. +Dorthin ist sie früher manchmal zum Markt mitgefahren und um die See zu +sehen. + +Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer vorgestellt. Die acht +Kugeln sind wirklich da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es gar +nicht anders sein könnte. + +Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem steinernen Ufer zu. Dort, wo er +festmacht, liegen schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren +Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus Tawe und Inse, die ihren +Fang am Morgen verkauft haben. + +»Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,« sagt einer neidisch, +»und verderbt uns die Preise?« + +Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, antwortet ihm gar +nicht. Für solche Gespräche ist er zu stolz. + +Indre breitet das weiße Reisetuch über den vorderen Abschlag und setzt +die Speisen darauf. Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat sie auch +Soleier und selbstgeräucherten Lachs mit eingepackt. Und da sie seit +halb vier in der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie jetzt, daß +ihr schon längst vor Hunger ganz schwach ist. + +Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes einander nahe gegenüber +und essen das Mitgenommene als Mittagbrot. Geld, um in ein vornehmes +Gasthaus zu gehen und sich auftafeln zu lassen vom Besten, hat Ansas +wohl übergenug. Aber das ist nicht Fischergewohnheit. + +Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, aber das Herz liegt +ihr von all dem Fürchten noch wie ein Stein in der Brust. + +Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen kann, denn die Erwartung, +ihr alles zu zeigen, läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: »Nun +kann es losgehen.« Aber vorher kehrt er noch nach hinten zurück, das +Hängeschloß zu holen, damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet. + +Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter den runden Sack, der vor dem +Steuersitz liegt. Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und +sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei erschrickt und zu ihr +herüberglupt, ob sie's auch nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer +Brust wird schwerer. + +Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und er ihr alles erklärt, denkt sie +wieder: »Es kann nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis haben.« + +Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, die breit ist wie ein Strom +und an ihren Rändern lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern kann +man sich kaufen, was man will, und alles ist viel schöner und prächtiger +als in Memel. + +Der Ansas sagt: »Hier aber ist das Schönste,« und weist auf ein Schild, +das die Aufschrift trägt: »Konditorei von Dekomin«. + +Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt macht, so beschließen sie +auch sogleich hineinzugehen und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen. + +Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die Indre da! In einer langen, +schmalen Stube, in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit von +der Wand ein Tisch, der von einem Ende bis zum andern reicht und der +ganz bedeckt ist mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten aller +Art. + +»Da wollen wir nun schwelgen,« sagt der Ansas und reckt sich. + +Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr die Stücke einzeln auf +den Teller legen. Auch einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist süß +wie der Himmel und klebt an den Fingern, so daß man immerzu nachlecken +muß. + +»Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?« fragt sie. + +»Nun, das versteht sich,« sagt er und lacht. + +Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, daß sie die Kinder +vielleicht niemals mehr sehen wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an +-- und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. Der Mund steht +ihm offen, ganz hohl sind die Backen, und die Augen schielen an ihr +vorbei. + +»Es wird _doch_ geschehen,« denkt sie und legt den Teelöffel hin, ißt +auch nicht einen Bissen mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller +verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie mit den Fingerspitzen +auf und denkt dabei -- -- ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch +er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet kein Wort. + +Also wird es _doch_ geschehen! + +Dann, wie er aufsteht, sagt er: »Nun laß dir einpacken.« Aber sie kann +nicht. »Bring _du_ es ihnen,« sagt sie, und er tritt an den Tisch und +sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, denn seine Augen gehen +immer nach ihr zurück, als will er was sagen und traut sich nicht. + +Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, die von der +Nachmittagssonne geheizt ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck +und fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies ist das und jenes ist das. +Aber sie hört kaum mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer Angst. Die +kommt und geht, wie die Haffwellen ans Ufer schlagen. + +Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, in dessen Schaufenster auch +Kindersachen ausliegen. »Wir wollen 'reingehen,« sagt sie. »Du kannst +den Kindern ein Andenken mitbringen.« + +»Andenken? An wen?« fragt er und stottert dabei. + +»An mich,« sagt sie und sieht ihn fest an. + +Da wird er wieder rot, wendet die Augen ab und fragt nichts weiter. + +Es wird also ganz sicher geschehen. + +Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze mit roten Rändern, damit +er sich nicht schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für die Elske +eine blaue Kappe gegen die Sonne und für den kleinen Willus -- was kann +es viel sein? -- ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn zu binden. +»Vielleicht werden doch noch einmal Pfarrerbäffchen daraus,« denkt sie +und verbeißt ihre Tränen. + +Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, sagt zu Ansas gewandt: +»Vielleicht haben Sie auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.« + +Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man die Indre eine »Frau +Gemahlin« nennt, was von einer litauischen Fischersfrau wohl nicht +häufig gesagt wird. + +Und der junge Mann fährt fort: »Vielleicht darf ich auf unsere echten +Schleiertücher aufmerksam machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung +erlauben darf, das, welches die Frau Gemahlin augenblicklich trägt, ist +etwas -- durchgeschwitzt.« + +Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, denn noch hat sie nicht den +Mut gehabt, sich irgendwo zu besehen. Und der junge Mann breitet eilig +seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus Spinnweben gemacht und haben +Muster wie die schönsten Mullgardinen. + +Ansas wählt das teuerste von allen -- er getraut sich gar nicht, ihr zu +sagen, _wie_ teuer es ist --, und der junge Mann führt sie vor eine +Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie sie das Tuch am Halse +geknotet hat, so daß es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, da +weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu lassen. + +»Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!« ruft er ein Mal über das +andere. »Nie hat dieser Spiegel etwas Schöneres gesehen!« + +Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der Ansas sich freut. + +Im Rausgehen wendet er sich noch einmal um und fragt den jungen Mann, ob +er wohl weiß, wie die Züge gehen. + +»Zur Ankunft oder zur Abfahrt?« fragt der junge Mann. + +Und Ansas meint, das wäre ganz gleich. + +Da lächelt der junge Mann und sagt, bald nach viere komme einer an, und +gegen sechse fahre einer ab. Man habe also die Auswahl. + +Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen sind: »Wir wollen lieber +die Abfahrt nehmen, denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.« + +Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann man da machen? + +Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: »Wenn es _doch_ geschehen +soll, warum hat er dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?« + +Und in ihr Herz kommt wieder einmal die Hoffnung zurück. + +Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, auf der ein Zettel klebt: + + _Jakobsruh_ + heute vier Uhr + _Großes Militärkonzert_ + ausgeführt von der Kapelle + des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht. + +Und darunter steht alles gedruckt, was sie spielen werden. + +Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht geworden; kaum zu fühlen +ist er. Aber sie hat Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das +augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, auch Litauer zugegen +sein dürfen -- und dazu noch in ihrer Landestracht. + +Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld bezahlt, ist +eingeladen, gleichgültig ob er »_wokiszkai_« spricht oder +»_lietuwiszkai_«. + +Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, daß es ja ein +_litauisches_ Dragonerregiment ist, welches die Musiker hergibt, macht +ihre Schamhaftigkeit etwas geringer. + +So fahren sie also in einer Droschke nach Jakobsruh, jenem Lustort, der +bekanntlich so schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so hoch und +schattengebend wie diese hat Indre noch nie gesehen, auch nicht in +Heydekrug und nicht in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden gibt und +dünne Erlen, könnte man sich von einer solchen Blätterkirche erst recht +keinen Begriff machen. + +Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden Orte noch bange genug, +denn ringsum sitzen an rotgedeckten Tischen lauter städtische +Herrenleute, und als Ansas vorangeht, einen Platz zu suchen, recken alle +die Hälse und sehen hinter ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken. + +Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. Er findet auch gleich +einen leeren Tisch, wischt mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen +und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm und ihr Kaffee und Kuchen +zu bringen. Genau so, wie es die anderen machen. + +So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man fühlt sich gut geborgen bei ihm, +und alle die Angst war ein Unsinn. + +Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut mit dünnen +Eisenständern und einem runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit +hellblauen Soldaten. O Gott, so vielen und blanken Soldaten! Während es +doch sonst nur drei oder vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik +machen. + +Zuerst kommt ein Stück, das heißt »Der Rosenwalzer«. So steht auf einem +Blatt zu lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. Wie das +gespielt wird, ist es, als flöge man gleich in den Himmel. Dicht vor den +Musikern haben sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib gefaßt und +drehen sich im Tanze. Da möchte man gleich mittanzen. + +Und hat sich doch vor einer Stunde noch in Todesnöten gewunden! + +Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und auch die Indre klatscht. + +Rings wird es still, und die Kaffeetassen klappern. + +Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie ihn etwas fragen will -- so +gut ist sie schon wieder mit ihm --, da macht er ihr ein heimliches +Zeichen nach links hin: sie soll horchen. + +Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame von ihr. + +»Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel hübscher als wir deutschen +Frauen,« sagt die Dame. + +Und der Herr sagt: »In ihrer blassen Lieblichkeit sieht sie aus wie eine +Madonna von -- --« + +Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. Auch was das ist: +»Madonna«, weiß sie nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas +gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich. + +Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit dem er gleichsam zu ihr in +die Höhe schaut, und nun weiß sie, was sie schon im Laden geahnt hat: er +ist stolz auf sie, und sie braucht nie mehr Angst zu haben. + +Dann hört die Pause auf, und es kommt ein neues Stück. Das heißt »Zar +und Zimmermann«. Der Zar ist der russische Kaiser. Daß man von _dem_ +Musik macht, läßt sich begreifen. Warum aber ein Zimmermann zu solchen +Ehren kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen trägt und immerzu +Balken abmißt, bleibt ein Rätsel. + +Dann kommt ein drittes Stück, das wenig hübsch ist und bloß den Kopf +müde macht. Das hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht. + +Aber dann kommt etwas! Daß es so was Schönes auf Erden gibt, hat man +selbst im Traum nicht für möglich gehalten. Es heißt: »Die Post im +Walde«. Ein Trompeter ist vorher weggegangen und spielt die Melodie ganz +leise und sehnsüchtig von weit, weit her, während die andern ihn ebenso +leise begleiten. Man bleibt gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und +weil die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen dürfen, wie sie +sich hat, springt sie rasch auf und eilt durch den Haufen, der die +Kapelle umgibt, und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es einsam ist +und wo hinter den Bäumen versteckt noch leere Bänke stehen. + +Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch aus den Augen, damit +es nicht naß wird, und weint, und weint sich all die -- ach, all die +ausgestandene Angst von der Seele. + +Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt ihre Hand. Sie weiß +natürlich, daß es der Ansas ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie +lehnt den Kopf an seine Schulter und sagt immer schluchzend: »Mein +Ansuttis, mein Ansaschen, bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.« + +Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun wird, aber sie kann nicht +anders -- sie muß immerzu bitten. + +Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand fest und sagt ein Mal über +das andere: »Was redest du da nur? Was redest du da nur?« + +Sie sagt: »Noch ist es nicht gut. Ehe du es nicht gestehst, ist es noch +nicht ganz gut.« + +Er sagt: »Ich habe nichts zu gestehen.« + +Und sie streichelt seinen Arm und sagt: »Du wirst es schon noch +gestehen. Ich weiß, daß du es gestehen wirst.« + +Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu gestehen hat, und sie gibt +sich zufrieden. Nur wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die Busze +sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu kalt über den Rücken. + +Mit ineinandergelegten Händen gehen sie zu ihrem Tische zurück und +kümmern sich nicht mehr um die Leute, die nicht satt werden können, +ihnen nachzusehen. + +Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden sind und statt ihrer +Biergläser stehen, bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen Herrn -- +aber kein Bier bestellt er, sondern eine Flasche süßen Muskatwein, wie +ihn die Litauer lieben. + +Und beide trinken und sehen sich an, bis Indre sich ein Herz faßt und +ihn fragt: »Mein Ansaschen, was heißt das -- eine Madonna?« + +»So nennt man die katholische heilige Jungfrau,« sagt er. + +Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: »Wenn's weiter nichts +ist.« Denn die Neidischen, die sie ärgern wollten, haben sie schon als +Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine fromme Lutheranerin +gewesen. + +Und sie trinken immer noch mehr, und Indre fühlt, daß sie rote Backen +bekommt, und weiß sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen. + +Da plötzlich fällt dem Ansas ein: »O Gott -- die Eisenbahn! Und die Uhr +ist gleich sechse!« + +Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt mit zwei harten Talern. Dann +fragt er noch nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber wie sie nun +eilends dorthin laufen wollen, ergibt es sich, daß sie nicht mehr ganz +gerade stehen können. + +Die Leute lachen hinter ihnen her, und die Dame am Nebentisch sagt +bedauernd: »Daß diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.« + +Hätte sie gewußt, _was_ hier gefeiert wird, so hätte sie's wohl nicht +gesagt. + +Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah an den Schienen entlang. Sie +laufen und lachen und laufen. + +Da mit einmal macht es irgendwo: »Puff, puff, puff.« + +O Gott -- was für ein Ungeheuer kommt dort an! Und geradeswegs auf sie +zu. + +Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen und fragt: »Ist sie das?« + +Ja, das ist sie. + +Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! Der Pukys mit dem +feurigen Schweif und der andere Drache, der Atwars, sind gar nichts +dagegen. Sie schreit und hält sich die Augen zu und weiß nicht, ob sie +weiterlachen oder noch einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie +beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und nimmt die Schürze vom +Gesicht und macht: »Puff, Puff.« Genau so kindisch, wie die Elske machen +würde, wenn sie den Drachen sähe, mit dem die Leute spazieren fahren. + +»Wohin fahren sie?« fragt sie dann, als die letzten Wagen vorbei sind. + +Und Ansas belehrt sie: »Zuerst nach Insterburg und dann nach Königsberg +und dann immer weiter bis nach Berlin.« + +»Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?« bittet sie. + +»Wenn alles geordnet ist,« sagt er, »dann wollen wir nach Berlin fahren +und den Kaiser sehen.« Dabei wird er mit einmal steinernst, als ob er +ein Gelübde tut. + +O Gott, wie ist das Leben schön! + +Und das Leben wird immer noch schöner. + +Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt an dem »Anger« vorbeikommen, +jenem großen, häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- und +Pferdemärkte abgehalten werden, da hören sie aus dem Gebüsch, das den +einrahmenden Spazierweg umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel und +sehen den Glanz von Purpur und von Flittern durch die Zweige schimmern. + +Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, der an einem Karussell +vorbeigeht, ohne begierig stehen zu bleiben. + +Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, und morgen früh will Ansas +beim Kuhfuttern sein, aber was kann der kleine Umweg viel schaden, da +man ja so wie so an vierzehn Stunden kreuzen muß. + +Und wie sie das runde, sammetbehangene Tempelchen vor sich sehen, dessen +Prunksessel und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, da weist +Ansas mit einmal fast erschrocken nach dem Leinwanddache, auf dessen +Spitze ein goldener Wimpel weht. + +Sie weiß nicht, was sie da kucken soll. + +Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen rings auf den Dächern. Es +stimmt! Der Wind ist nach Süden umgeschlagen -- und das Kreuzen unnötig +geworden. In sieben Stunden kann der Kahn zu Hause sein. + +Also 'rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt sich wohl ein bißchen -- eine +Mutter von drei Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt sie +ja keiner. Also, fix, fix 'rauf auf die Pferde, sonst geht's am Ende +noch los ohne sie beide. + +Und sie reiten und fahren und reiten wieder, und dann fahren sie noch +einmal und noch einmal, weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig +sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe geworden, und der +Himmel jagt rückwärts als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie +fahren noch immer und singen dazu: + + »Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch! + Ich liebe dich heute wie einst! + Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch, + Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.« + +Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal Freifahrt gehabt haben, +singen dankbar mit, obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können. + +Aber schließlich wird der Indre übel. Sie _muß_ ein Ende machen, ob sie +will oder nicht. Und nun stehen sie beide lachend und betäubt unter den +johlenden Kindern und streuen in die ausgestreckten Hände die Krümel der +Konditorkuchen, die sie aus Versehen längst plattgesessen haben. + +Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man sich liebt und Karussell dazu +fährt! + +Dann nehmen sie Abschied von den Kindern und den Kindermädchen, von +denen etliche sie noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg zu zeigen, +sagen sie, aber in Wahrheit wollen sie bei Gelegenheit noch ein Stück +Kuchen erraffen. Und sie hätten auch richtig was gekriegt, wenn sie bis +zur Dekominschen Konditorei ausgehalten hätten. Aber die liegt ja, wie +wir wissen, am andern Ende der Stadt. + +Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein schönes Paketchen +zurechtmachen, aber diesmal sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt +derweilen noch zwei Gläschen von dem klebrigen Rosenlikör und nimmt zur +Sicherheit für vorkommende Fälle gleich die ganze Flasche mit. + +Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die Sonne längst untergegangen. +Aber das macht nichts, denn der Südwind hält fest, und der Mond steht +schon bereit, um ihnen zu leuchten. + +Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt ein Kinderspiel. + +Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, damit die Bodenbretter +hübsch trocken sind, wenn die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie +will nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn auf die Paragge, +damit sie dem Ansas zusehen und sich im stillen an ihm freuen kann. + +Und dann geht es los. + +Die Ufer werden dunkler, und eine große Stille breitet sich aus. Sie muß +immerzu daran denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz sie drückte, +als sie vor acht Stunden desselben Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt +Atem holen kann. + +Sie möchte am liebsten ein Dankgebet sprechen, aber sie will es nicht +allein tun, denn er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er es +auch. + +Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und Steuer, denn die +Brückenpfeiler sind da und viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker +liegen. + +Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist alles. + +Alsdann breitet sich der Strom, und der Mond fängt zu scheinen an. Die +Wellchen sind ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und setzen sich +und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen. + +Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber nicht, denn der Mond steht +hinter ihr. Darum sagt er auch plötzlich: »Warum sitzt du so weit von +mir weg?« + +»Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen hab',« sagt sie. + +»Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden wie Tag und Nacht,« sagt er. + +Und sie denkt: »Bloß daß jetzt Tag ist und damals Nacht war.« + +»Darum komm herüber und setz dich neben mich,« sagt er. + +Ach, wie gerne sie das tut! + +Aber als sie ihm näher kommt, da fällt ihr Blick auf die Sackleinwand, +die zwischen seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt hat. + +Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. Sie sinkt auf die +Mittelbank nieder und lehnt ihren Rücken gegen den Mast. + +»Warum kommst du nicht?« fragt er fast unwirsch. + +Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll sie ihn fragen, soll sie's +mit Stillschweigen übergehen? Aber das weiß sie: dorthin, wo prall und +rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er sie belügt, dorthin kann sie +die Füße nicht setzen. Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen zu +treten. + +Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit zu schaffen über das, was gewesen +ist. Jetzt gleich im Augenblick. Denn später kommt sie vielleicht nie. + +Sie faßt sich also ein Herz. + +»Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, was du in der Sackleinwand +hast?« + +Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem Schlangennest in den Fuß +gebissen, aber er schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann sehen, wie +er zittert. + +Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine Schulter, aber sie hütet +sich wohl, der Sackleinwand zu nahe zu kommen. + +»Mein Ansaschen,« sagt sie, »es ist ja jetzt wieder ganz gut zwischen +uns, aber ehe du nicht alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse +nicht weg.« + +Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn schüttelt. + +»Und dann, mein Ansaschen,« sagt sie weiter, »geht es auch wegen des +lieben Gottes nicht anders. Ich hab' vorhin beten wollen, aber die Worte +blieben mir im Halse. Denn du standest mir nicht bei. Darum sag es +schon, und dann beten wir beide zusammen.« + +Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt die Arme um ihre Kniee und +gesteht alles. + +»Mein armes Ansaschen,« sagt sie, als er zu Ende ist, und streichelt +seinen Kopf. »Da müssen wir aber _tüchtig_ beten, damit der liebe Gott +uns verzeiht.« + +Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee nieder, faltet ihre Hände mit +den seinen zusammen, und so beten sie lange. Nur manchmal muß er nach +dem Steuer sehen, und dann wartet sie, bis er fertig ist. + +Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, und dann stehen sie wieder +auf und sind guter Dinge. + +Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen zu sagen. + +Sie zeigt darauf hin und will es wissen. + +Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu sehr. + +Da sagt sie: »Ich werde selber öffnen.« Und er wehrt ihr nicht. + +Und wie sie den Sack aufreißt, was findet sie da? Zwei Bündel grüne +Binsen findet sie, mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter nichts. + +Sie lacht und sagt: »Ist das die ganze Zauberei?« + +Aber er schämt sich noch immer. + +Da errät sie langsam, daß er damit nach dem Umschlagen des Kahnes hat +davonschwimmen wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im tiefen +Wasser paddeln. + +»Solch ein Lunterus bin ich geworden!« sagt er und schlägt sich mit den +Fäusten vor die Brust. + +Aber sie lächelt und sagt: »Pfui doch, Ansaschen, der Mensch soll sich +nicht _zu_ hart schimpfen, sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.« + +Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern richtet auch seine Seele +wieder auf. -- -- -- + +Wie sie sich neben ihn setzt -- denn er will sie nun ganz nahe haben --, +da merkt sie, daß sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert, +darum breitet sie zu seinen Füßen das weiße Reisetuch aus, das sie im +vorderen Abschlag verwahrt hat, und legt sich darauf -- doch so, daß ihr +Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und nun ist es genau so wie damals +in Ibenhorst, als die Elske noch unterwegs war. + +Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück nicht, was sie zueinander +reden sollen. + +Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras -- man kann den Thymian +unterscheiden und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran und das +Timotheegras -- und was sonst noch starken Duft an sich hat ... Der +Stromdamm zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. Nur wo zufällig +der Rasen den Abhang hinuntergeglitten ist, da leuchtet er wie ein +Schneeberg. Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß man immer ein +wenig aufpassen muß. + +Außer den plumpsenden Fischchen, die nach den Mücken jagen, ist nicht +viel zu hören. Nur die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt ein Gehölz +oder ein Garten, dann ist auch die Nachtigall da und singt ihr: »Jurgut +-- jurgut -- jurgut -- wazok, wazok, wazok« ... Und der Wachtelmann +betet sein Liebesgebet: »Garbink Diewa«. Sogar ein Kiebitz läßt sich +noch ab und zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte. + +Und dann kommt mit einemmal Musik. Das sind die Dzimken, die ihre +Triften während der Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber Gott +weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern sie und singen, und bei Nacht +singen sie auch. + +Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie ringsum. Einer spielt die +Harmonika, und sie singen. + +Da hört man auch schon das hübsche Liedchen »Meine Tochter Symonene,« +das jeder kennt, in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, die +Symonene! Die zu einem Knaben kam und wußte nicht wie! Das kann wohl +mancher so gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman geworden, +wenigstens hat die Symonene es so geträumt. + +»Der Willus muß ein Pfarrer werden,« bittet die Indre schmeichelnd zu +Ansas empor. + +»Der Willus wird ein Pfarrer werden,« sagt er ganz feierlich, und die +Indre freut sich. Denn was in solcher Stunde versprochen wird, das +erfüllt sich gleichsam von selber. + +So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald kommt ein nächstes. Darauf +spielt einer gar die Geige. Und die andern singen: + + »Unterm Ahorn rinnt die Quelle, + Wo die Gottessöhne tanzen + Nächtlich in der Mondenhelle + Mit den Gottestöchtern.« + +Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken erkennen die Frauenstimme und +rufen ihnen ein »_Labs wakars!_« zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß will +Ansas ihnen was Freundliches antun und läßt sich die Mühe nicht +verdrießen, das Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen. + +Nun kommen sie alle heran -- es sind ihrer fünfe --, und der Jude, dem +die Trift gehört, kommt auch. + +Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör ein, und sie erklären, so +was Schönes noch nie im Leben getrunken zu haben. + +Und dann singen sie alle zusammen noch einmal das Lied von den +Gottestöchtern, von dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei +Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen. + +Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, und die Indre auch. Und der +Jude wünscht ihnen »noch hundert Johr«! + +Wären's bloß hundert Stunden gewesen, der Ansas hätt' sie brauchen +können. + +Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal hervorgeholt ist, wäre es +unklug gewesen, sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und zu +einen Tropfen und werden immer glücklicher. + +Noch an mancher Trift kommen sie vorbei und singen mit, was sie nur +singen können, aber halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör +ihnen zu schade. + +Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, aber sie wehren sich tapfer. +Denn sonst -- weiß Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben! + +Nur eins darf der Ansas sich gönnen -- nämlich von dem Abschlag +hernieder auf die Bodenbretter zu gleiten. So kann er die Indre in +seinem linken Arm halten und mit dem rechten das Steuer versehen. + +Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner Brust und denkt selig: »Der +Endrik -- und die Elske -- und der Willus -- und nun sind wir alle fünfe +wieder eins.« + +Mit einmal -- sie wissen nicht wie -- ist Ruß da. Sie erkennen es an dem +Brionischker Schornstein, der wie ein warnender Finger zu ihnen sagt: +»Paßt auf!« + +Die Dzimken, die dort mit ihren Triften liegen, sind nun richtig +schlafen gegangen. Auch ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die +tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? Von Ruß gibt es ein +hübsches Liedchen: + + »Zwei Fischer waren, + Zwei schöne Knaben, + Aus Ruß gen Westen + Zum Haff gefahren.« + +Das singen sie aus voller Kehle, und um hernach die Kehle anzufeuchten, +wollen sie noch einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, aber siehe +da, -- die Flasche ist leer. + +Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird immer zärtlicher. + +»Ach, liebes Ansaschen,« bittet die Indre, »gleich kommt der große +Ellbogen, und dann geht es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig +sein.« + +Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist auch schon der blanke +Szieszefluß, da wo die Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine mehr an +und steuert nach links. Es geht zwar schwer, aber es geht doch noch +immer. + +Bis nach Windenburg hin, die anderthalb Meilen, läuft der Strom nun so +schnurgerade, wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man hinter der +Mündung der Mole ein wenig auszuweichen braucht. + +Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche Stelle ist, dort, wo gerade +bei Südwind der Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff seitlich stark +einsetzt, dort muß man die Sinne doppelt beisammen halten -- aber bis +dahin ist noch lange, lange -- -- ach, wie lange Zeit! + +»Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich vergeben hast, dann mußt du's +mir auch beweisen.« + +»Ansaschen, du mußt aufpassen.« + +»Ach was, aufpassen!« Wenn man so lange blind und verhext neben der +Besten, der Schönsten, neben einer Gottestochter dahergegangen ist und +die Augen sind wieder aufgetan, was heißt da aufpassen? + +»_Meine_ Indre!« + +»_Mein_ Ansaschen!« -- -- -- + +Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder nebeneinander, und der +Kahn fährt dahin, als säße die Laime selber am Steuer. + +»Ansaschen -- aber nicht einschlafen!« + +»Ach, wo werd' ich einschlafen.« -- -- + +»Ansaschen -- wer einschläft, den muß der andere wecken.« + +»Jawohl -- den -- muß -- der andere wecken.« -- -- -- + +»Ansaschen, du schläfst!« + +»Wer so was -- sagen kann, -- der schläft -- selber.« + +»Ansaschen, wach auf!« + +»Ich wach'. Wachst du?« + +Und so schlafen sie ein. + + * * * * * + +Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. Sie weckt also ihren Mann +und sagt: »Doczys, steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.« + +»Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?« fragt der Doczys, sich den +Schlaf aus den Augen reibend. »Fischen tu' ich erst morgen.« + +»Die Indre hat solche Reden geführt,« sagt die Doczene, »es ist besser, +wir fahren ihnen entgegen.« + +Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und setzt die Segel. + +Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es schon Tag, und der Frühnebel +liegt so dicht, daß sie keine Handbreit vorauf sehen können. + +»Wohin soll ich fahren?« fragt der Doczys. + +»Nach Windenburg zu,« bestimmt die Doczene. + +Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen entgegen, und sie müssen +kreuzen. + +Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf. + +Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel gedrungen -- eine +Frauenstimme. + +»Gerade drauf zu!« schreit die Doczene. Aber er muß ja kreuzen. + +Und sie kommen schließlich doch näher -- ganz nahe kommen sie. + +Da finden sie die Indre auf dem Wasser liegen, wie die Wellen sie auf +und nieder schaukeln. + +Wie hat es zugehen können, daß sie _nicht_ ertrunken ist? + +Rechts und links von ihrer Brust ragen halb aus dem Wasser zwei Bündel +von grünen Binsen, die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken +zusammengebunden. + +Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit immerzu: »Rettet den Ansas! +Rettet den Ansas!« + +Ja -- wo ist der Ansas? + +Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder hochgekommen ist, da hat +sie seine Hände gefühlt, wie er wassertretend die Binsen an ihr +befestigte. Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm. + +Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie finden ihn nicht. Nur den +umgeschlagenen Kahn finden sie. An dem hätte er sich wohl halten können, +aber er ist ihm sicher davongeschwommen, dieweil er die Binsen an Indres +Leibe befestigte. + +Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre liegt auf den Knieen und +betet um ein Wunder. + +Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei Tage später lag er oberwärts +friedlich am Strande. + + * * * * * + +Neun Monate nach dem Tode des Ansas gebar ihm die Indre einen Sohn. Er +wurde nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, das heißt +»Abschluß« benannt. Doch weil der Name ungebräuchlich ist, hat man ihn +meistens nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein ansehnlicher Mann. + +Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft in gutem Stande, die Elske hat +einen wohlhabenden Besitzer geheiratet, und der Willus ist richtig ein +Pfarrer geworden. Seine Gemeinde sieht in ihm einen Abgesandten des +Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm. + +Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt im Ausgedinge bei dem ältesten +Sohn. Wenn sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie weiß, daß +sie nun bald im Himmel mit Ansas vereint sein wird, denn Gott ist den +Sündern gnädig. + +Und also gnädig sei er auch uns! + + + + + Miks Bumbullis + + + 1 + +Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer gegangen, hatten sich +dann beim Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, wie das junger +Menschenkinder gutes Recht ist, und als sie sich dem Försterhause +näherten, verschämt und verstohlen, da war es fast schon heller Tag. + +Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe im Wohnzimmer des Herrn +noch brannte. Er winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins Haus zu +schleichen, und tat so, als sei er schon bei der Arbeit. Er machte sich +an dem Holzlager zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche +Erlenkloben zwecklos übereinander. + +Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des alten Hegemeisters auf sich zu +lenken und der Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern. + +Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den er erwartet hatte, blieb aus. + +»Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,« dachte er und setzte +erleichtert die Pfeife in Brand. + +Aber da sah er, wie vom Giebelende her die Eve mit heftigen Gebärden +nach ihm zu rufen schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und +erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie beim Nachsehen das +Bettchen der kleinen Anikke leer gefunden habe. + +Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen Neffen, das der Alte +zu sich genommen hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter aus +Gram darüber dem Lungenhusten erlegen war. Als erster Gedanke stieg dem +Grigas auf, daß nur eine der Laumen die Anikke entführt haben könne. +Denn daß diese Feen sich mit dem Wegnehmen und Auswechseln von Kindern +befassen, auch lange nachdem sie getauft sind, das weiß ja selbst der +Dümmste. + +Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung war, wollte ihm nicht Recht +geben. Die brennende Lampe -- und die Stille im Haus -- und dazu kam +noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen bemerkt haben wollte: Das +Fenster war geschlossen gewesen, aber in einer der Rauten hatten die +Scherben gehangen. + +So faßte er sich denn ein Herz und machte sich dicht vor der +erleuchteten Stube zu schaffen. + +Und beim Hineinschielen -- was sah er da? Der alte Wickelbart lag auf +dem Boden in seinem Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme +schlief das Kind. + +Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen wieder lebendig. Sie +wußten auch gleich, wer's getan hatte: »Miks Bumbullis« sagten sie fast +in einem Atemzuge. + +Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei Tagen von dem alten Hegemeister +abgefaßt worden, wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm und dazu +ein »_Tewe musso_« betete. Denn das Vaterunser ist immer gut gegen das +Abgefaßtwerden. Aber diesmal hatte es dem Miks nichts geholfen. Er hatte +sogar noch seine Flinte hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht +gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, weil er genau wußte, +daß sein Gefangener ihn während des Weges trotz seiner Schußwaffe +überwältigen würde. + +Und nun hatte er doch daran glauben müssen. Denn mit dem Miks Bumbullis +war nicht zu spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze ging, wo dem +Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt wurde, wo man dem Juden den Schnaps +auf die Straße goß, -- der Miks war überall dabei. Nun gar das verdammte +Wilddieben! + +Und er hätte es so gut haben können! Die Wirtstöchter weit und breit +waren nach ihm aus. Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für eine! Mit +einem Hof von hundertzwanzig Morgen. -- Die hatte schon zweimal den +Vermittler zu ihm geschickt. + +Aber er? Nun, da sah man's ja. + +Der Grigas und die Eve hoben das Kind aus dem starr gewordenen Arm, und +als sie ihm das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe zogen, da +wachte es nicht einmal auf. + +Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen und lächelte wie so ein +Engelchen. + +Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den Leichnam abzuwaschen und auf +die Totenbahre zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit noch ein, +daß man jeden, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist, liegen +lassen muß, wie er gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht dagewesen +sind. Und so geschah es auch. + + + 2 + +Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er trieb sich in den Krügen umher +und erklärte in seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, er sei +von dem Hegemeister beklappt worden. Darum müsse er jetzt auf ein paar +Jahr in die Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts. + +Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, streckte er die Zunge aus und +bestand darauf, daß der Krüger sich das Geld für die Zeche selber aus +der Hosentasche hole, denn er müsse die kostbaren Armbänder schonen, die +der Staat ihm geschenkt habe. + +Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit einem blonden +Unschuldsgesicht. Trug das Haar noch von der Soldatenzeit her glatt an +der Seite gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten Augen gelassen in +die Runde. + +Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, als der +Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der alte Hegemeister habe es zwar +schon lange auf ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen Mann würde er +auch sicherlich auf ihn abgedrückt haben, das hätte die Ehre von ihm +gefordert; den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer getan. + +Soweit war alles in Ordnung. + +Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten habe? + +Und nun kam die merkwürdige Wendung. + +Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue Flinte zu beschaffen. Wo, +sage er nicht. + +Was er denn mit der Flinte habe anfangen wollen, da er doch sicher +gewesen sei, alsbald verhaftet zu werden? + +Er habe über die Grenze gehen wollen, und da drüben müsse man immer was +in der Hand haben. + +Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, daß, wenn er nicht angeben +wolle, _wo_ er den Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als +abgetan betrachten könne. Aber auch das half nichts. + +Noch an demselben Tage wurde er zwischen zwei Gendarmen auf einen +Bretterwagen gesetzt und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren. +Das Publikum in Heydekrug sammelte sich am Wege und starrte ihn an. Das +schien ihm großen Spaß zu machen. + +Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission mit der dienstfertigen +Würde des guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, als +ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen Heimkunft abgefragt +wurden. + +Der Tatbestand war klar. Der Bruch der Fensterscheibe schien auf einen +Schrotschuß hinzuweisen, obwohl nur _eine_ Wunde -- dicht über dem +Herzen -- sich vorfand. Genaueres festzustellen blieb der Leichenöffnung +vorbehalten. Fußspuren ließen sich nicht entdecken. + +Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt wurde, tasteten ein halbes +Dutzend Augenpaare gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick, +der so manches Geständnis aus der Seele reißt, verging ungenutzt. +Ruhevoll -- ein wenig neugierig fast -- blickte Miks auf den liegenden +Körper nieder und sah sich dann, als suche er irgend etwas, in der Stube +um. + +Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, ein kluger, kleiner Mann, +der in der Seele des fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch +eindrucksvoller übersetzte, verhallten ungehört. + +»Ich weiß von rein gar nuscht,« blieb die einzige Antwort. + +Nur als hierauf die kleine Anikke weinend hereingeführt wurde, flog ein +Schein wie von plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge -- einen +Augenblick nur --, dann war er wieder der alte. + +Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor den fremden Männern nichts +herausbringen. Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im +Zwiegespräch ausgeplaudert hatte. + +Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor Angst nicht einschlafen +können und immerzu geweint. Da sei der Großvater gekommen, habe sie aus +dem Bettchen genommen und zu sich aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es +draußen geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und dann habe er sich +auf die Erde gelegt und sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie +eingeschlafen. + +Der Untersuchungsrichter wandte sich an Miks. + +»Als Sie auf den Hegemeister anlegten und das Kind auf seinem Schoß +sitzen sahen, schlug Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner +das unschuldige Wesen treffen könnten?« + +»Ich weiß von rein gar nuscht,« war wie immer die Antwort. Aber etwas +wie ein Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als das Kind +hinausgeführt wurde, sah er ihm mit einem Blick nach, wie der Hund nach +der Wurst. + +Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem Geständnis, wo er in der +Johannisnacht eingebrochen war. Sonderbarerweise hatte er sich den Hof +jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb Jahren auf ihn Jagd +machte. Er habe gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz einer Flinte +gewesen sei, und die habe er sich holen wollen. Es sei aber nichts zu +finden gewesen. + +Woher er das Haus so genau kenne, daß er den Einbruch mit Aussicht auf +Erfolg habe unternehmen können? + +Darauf blieb er die Antwort schuldig. + + + 3 + +Nun trat -- vorgeladen -- Frau Alute Lampsatis in die Erscheinung. Eine +hübsche Dreißigerin mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig +weggeschnürten Busen. In dem roten, fleischigen Gesicht saß ein Paar +unruhig sinnlicher Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche +glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, obwohl das reiche rotblonde +Haar keines Schmuckes bedurfte. + +In gebrochenem Deutsch, doch mit großem Wortschwall versicherte sie, sie +sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. + +Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte sie der Richter. Sie habe +nur zu bezeugen, ob sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von +einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe. + +Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand +könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. + +Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Dolmetsch +holen ließ, der sie in ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr +die Lust zu Ausflüchten verging. + +Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre Nichte -- die Madlyne --, als +die vom Johannisfeuer gekommen sei, da habe sie einen Mann aus dem +Fenster der Klete steigen sehen, der in der Richtung nach dem Walde +verschwunden sei. + +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich an. Sie glaubten den +Schlüssel zu den Aussagen der ehrbaren Witwe gefunden zu haben. + +Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte gleich mitgebracht hatte. +Sie wurde heraufgeholt und stellte sich als ein achtzehnjähriges +Püppchen dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. Sie war im +Sonntagsstaat, trug eine grünseidene Schürze über der selbstgewebten +Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus dem reichgestickten Mieder +hervorquollen. Ein Bauernmädchen wie aus der Operette. + +Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn sie sprach ein +ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, klare Antworten und konnte auf der +Stelle vereidigt werden. + +Sie war -- gleich Grigas und Eve -- gegen Morgen vom Johannisfeuer +gekommen -- + +»Allein?« + +Sie senkte schämig die langwimprigen Lider. + +»Ganz allein.« + +-- da habe sie schon von weitem den Hund bellen hören und sich darum +hinter dem Zaun versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein Mann aus +dem Fenster der »Kleinen Stube« gestiegen. + +»Ich denke, der Mann kam aus der Klete?« fragte der Richter. + +Die Klete -- der Raum, in dem die haltbaren Vorräte aufbewahrt werden -- +pflegt sich in älteren Wirtschaften unter einem gesonderten Dache zu +befinden. + +»Ak nei, ak nei,« versicherte Madlyne, und vor lauter Bekenntniseifer +schoß ihr das Blut in das Wachspuppengesicht. »Akkrat aus der Stubele is +er gekommen, das kann ich beschwören.« + +»Und wo schläft deine Tante, Madlyne?« + +»Die schläft in der Stuba -- der Großen Stube -- das kann ich +beschwören.« + +Die Große und die Kleine Stube liegen stets auf derselben Seite des +Hausflurs und sind durch eine Tür verbunden. + +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich abermals an. + +Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer Frau Alute wieder +hereingerufen. + +Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch die schwerwiegenden Folgen +eines etwaigen Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den +Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage Madlynens und dem, +was sie von ihr erfahren haben wollte, bestand. + +Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine anständige Besitzerin, und +niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt auch +der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, der ihr sämtliche +Höllenstrafen der Reihe nach vorführte. + +Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall fürchtete, auf eine +Gegenüberstellung der beiden Verwandten verzichten zu sollen, und +beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen Einbruchs der Klärung +näherzubringen. + +Ob sie eine Flinte im Hause habe. + +Sie verneinte heftig. + +Oder gehabt habe. + +Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes sei wohl ein Schießgewehr +dagewesen, womit der Selige die Karekles -- die jungen Krähen -- von den +Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann krank geworden sei, habe +er es eines Tages an den Juden verkauft. + +»An welchen Juden?« + +Das konnte sie natürlich nicht wissen. »Der Jude ist der Jude, und einer +sieht aus wie der andere.« + +Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit sorgsam umgangen +hatte, hielt den Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten +ins Treffen zu führen. + +Ob sie den Miks Bumbullis kenne. + +Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt oder auch nur befangen. + +Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht kennen. Er war ja mit ihrem +seligen Mann immer zusammen über die Grenze gegangen. + +Der Dolmetsch sah den Richter verstehend an. Schmuggeln taten sie in den +Grenzdörfern alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. Der Miks +konnte sich also wohl der Flinte erinnert haben, die sein ehemaliger +Kumpan mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem Verkauf nichts wußte, +durfte er mit etlichem Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt +herumstand. + +Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem Hause gewesen sei. + +Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal den seligen Mann des Abends +abgeholt. + +»Wozu abgeholt?« + +»Nun, über die Grenze zu gehen.« + +Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals die Flinte aufbewahrt habe. + +Sie stutzte und besann sich, als wittere sie den heimlichen Zusammenhang +der scheinbar ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen. + +Und dann fing sie an zu wehklagen und zog sich auf die Plattform der +anständigen Besitzerin zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen +könne. + +Von diesem Augenblick an war nichts mehr aus ihr herauszuholen. Auf ihre +Vereidigung wurde verzichtet. + + + 4 + +Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam heran. Eine große Zeugenschar +war aufgeboten. Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte sich +als das eines rücksichtslos strengen Verfolgers, dem schon viele Rache +geschworen hatten und dem es nie in den Sinn gekommen war, selbst +harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. So war zum Beispiel, wie +sich zufällig herausstellte, auch der selige Mann der Frau Lampsatis +durch ihn ins Gefängnis geraten. Der hatte also, wie es schien, seine +Flinte nicht bloß zum Krähenschießen benutzt. + +Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht übersehen, daß, wenn +Miks ein leidliches Alibi beibringen konnte, statt seiner ein anderer +als Täter in Frage kam. + +Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam und häufig teilnahmlos auf der +Armsünderbank. Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als in den blaß +hinstarrenden Augen malte sich die geistige Übermüdung, die diese des +scharfen Denkens ungewohnten Naturkinder oft überfällt, wenn sie ihr +Schicksal dem Spiel und Widerspiel der Zeugenschaften anheimgegeben +sehen. + +Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute keine Schuhschnalle +hervorschob, war wieder ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende +Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges Schmunzeln selbst bei den +Greisen der Geschworenenbank. + +Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute ließ sich auch heute keine +Einigung erzielen. Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre +Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt hatte, der Mann, den sie +gesehen habe, sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, daß +sie so etwas nie gesagt haben könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit +gewesen. + +Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, den er genommen haben +wollte. Er habe die unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die +Große Stube hineingetastet -- + +In der _Großen_ Stube schlief Frau Alute! Sie hätte bei seinem Kommen +erwachen müssen! + +Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er sich in die Kleine Stube +geschlichen, habe Wände und Winkel abgetastet und sei schließlich, als +das Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster hinausgeklettert. + +Warum er nicht den bequemeren Rückweg durch Große Stube und Hausflur +gewählt habe. + +Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt. + +Das klang einigermaßen glaubhaft und stimmte mit Madlynens Aussage +überein. Aber der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer Tante erzählt +haben sollte und ihrer beschworenen Aussage klaffte noch immer. Und dann +war auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, daß er in Frau +Alutes Auftrag zweimal bei Miks gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten. + +Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte vereidigt werden. Sie wurde +noch einmal ausdrücklich ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger +in die Höhe, da geschah das Unerwartete, daß Miks in die Eidesworte +hineinzusprechen anfing. + +Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach weiter. Schwerfällig, +tropfenweise fielen die litauischen Worte aus seinem Munde. + +Frau Alute horchte hoch auf und -- brach dann weinend zusammen. + +Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht und lautete: »Ich habe dir +zwar bei Gott und bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht nichts +davon zu sagen, aber es ist doch besser, daß du deine Seele nicht mit +einem Meineide beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. Drum sage +doch lieber die Wahrheit.« + +Unter Schreien und Händeringen kam, was geschehen war, nunmehr ans +Tageslicht. + +Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen in ihrem Bette. Da wurde +sie plötzlich durch Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur +näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts helfen würde, denn Madlyne +und die Magd und der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. Da fing +sie zu beten an und erwartete ihr Ende. Aber dann hörte sie plötzlich +ihren Namen nennen und erkannte Miksens Stimme. »Geh weg,« sagte sie, +»wenn ich auch nach dir geschickt habe, ich bin eine anständige +Besitzerin, und niemand soll mir was Schlechtes nachsagen können.« -- +»Ich will gar nicht bei dir schlafen,« antwortete er, »ich will bloß, +daß du mir das Gewehr gibst, das deinem Mann gehört hat, denn der +Hegemeister hat mir meines weggenommen.« -- »Das Gewehr ist nicht mehr +da,« sagte sie, »und wenn es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn +du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.« Das bestritt er, aber +sie glaubte ihm nicht. Und als er sich daraufhin wieder entfernen +wollte, sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und verlegte ihm den +Weg. Da fühlte er, daß sie im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den +Morgen. + +Die große Spannung löste sich. Die Unschuld Miksens schien erwiesen. Und +auch die Frage, warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau da war, +statt einfach durch die Haustür zu gehen, durch das Kleinestubenfenster +geklettert war, wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden +hinreichend aufgeklärt. Man war des Glaubens gewesen, Madlyne sei +inzwischen heimgekommen, und da ihre Kammer auf der anderen Seite des +Hauses lag, hätten die Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen +können. + +»Das hättet ihr gleich sagen können,« meinte der Vorsitzende. Und da auf +weitere Zeugenvernehmungen verzichtet wurde, begann der Staatsanwalt +gleich seine Rede. + +Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle wie von selber dem +Richterspruche zu. Der Losmann Miks Bumbullis wurde von der Anklage des +Mordes freigesprochen und wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis +verurteilt. + +Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch als Frau Alute, die sich +inzwischen von ihren Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf ihn +zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. Sein Blick hing wie +erstarrt an einem Platze der Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, +schmutzig und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen Äpfeln +nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt hatte. Sie war der +Vollständigkeit halber mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie +ausgesagt. + +Als Miks abgeführt werden sollte -- an Haftentlassung war natürlich +nicht zu denken --, wandte er sich noch einmal nach dem Kinde um, als +wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. Aber der Gerichtsdiener +stieß ihn hinaus. + + + 5 + +Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann zu verfallen, denn niemand +war da, der sein Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen Anikke +entspann sich ein Prozeß zwischen dem Forstfiskus und der Gemeinde, der +ihr verschollener Vater angehört hatte. Beide wollten die +Erziehungspflicht einander in die Schuhe schieben. Und da der Fiskus an +allzuviel Gemüt nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft +zwischen dem Toten und dessen verwaistem Pflegling ihm als ausreichender +Grund zustatten kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener Gast +an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits froh war, sie für ein kleines +Entgelt an den Ort abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit über +gehaust hatte. + +So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen öffentlich versteigert und +kam an den Mindestfordernden, den Häusler Kibelka, einen wenig +vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar Groschen brauchte, um +sie in Branntwein anzulegen. + +Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem Gott und Menschheit die +sorgenden Augen abgewandt haben, in seinem stummen Jammer leidet, das +hat noch niemand erkannt und beschrieben, und niemand wird es je +erkennen und beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, was Prügel und +Kälte, was vor allem das Fehlen jedes streichelnden Wortes in der noch +nicht erschlossenen Seele ersticken und zerfressen, bis aus dem in +unbewußter Zuversicht aufjauchzenden jungen Leben ein scheu zitterndes, +in sich verkrochenes, kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein geworden +ist, das verliert sich in Dunkel und Schweigen. Alljährlich wird ein +unermeßlicher Haufe von solchem Menschenkehricht ins Grab geschaufelt, +wo es zu seinem Besten hingehört. Und nur wie durch ein Wunder senkt +sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder und hebt eins oder das +andere der schon fast abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor. + +Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der Hofhund allenfalls! + +Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie er von einem gutgesinnten +Mittagssonnenschein sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das +einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. -- -- -- + +Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, sprang anschlagend auf und +fegte mit schleppender Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches. + +Anikke, die allein zu Hause war, sah einen Menschen durch das Hoftor +kommen, der sich vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte zuschritt, +an der sie sich schutzsuchend festhielt. + +Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er halt und sagte: »Ist der Wirt +zu Hause?« + +Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln gruben, aber um nichts in +der Welt hätte sie antworten können. + +»Wie heißt du?« fragte er weiter. + +In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen vergessen. + +Der Hund belferte dazwischen, und erst, als der fremde Mensch ihm mit +seinem Stock eins überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte zurück. + +Dann kam der Fremde näher an sie heran, immer den Stock vorhaltend, in +den der Hund sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt werden sollte, +und fing furchtbar zu weinen an. + +Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und mit jähem Rucke fortgezogen, +während der Hund, von einem neuen Schlage getroffen, sich um und um +kugelte. + +»Wein nicht, wein nicht, ich tu' dir nichts,« hörte sie seine Stimme. +Denn vor lauter Tränen sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang +irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie hörte zu weinen auf. + +»Bist du die Anikke?« + +»Ja--a.« + +»Willst du ein Lakritzenholz haben?« + +Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen die großen Kinder manchmal, +wenn die Schule aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab. + +Und dann gab der fremde Mensch ihr aus einer Tüte eine schöne gelbe +Stange, in die sie auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum noch +Angst vor ihm. + +Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse sah er nicht aus. Viel guter +als der Wirt. Und er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges Haar +hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. Und sie wußte jetzt auch, wo +sie ihn schon gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen wie in der +Kirche. Aber statt _eines_ Pfarrers im Talar hatte gleich ein ganzer +Tisch voll dagesessen. + +»Wie alt bist du, Anikke?« + +»Ich werd' sieben.« + +»Gehst du schon in die Schule?« + +»Nein.« + +»Warum nicht?« + +»Ich hab' nichts anzuziehen, sagt die Frau.« + +Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete lange das Lumpengezottel, +in das sie notdürftig gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt wohl +finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung des Feldes und geleitete ihn +auch ein Stück, denn sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen. + +Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er ihr die ganze Tüte, die er +solange in der Hand gehalten hatte, und sagte: »Versteck's, daß die +anderen es dir nicht wegessen.« + +Damit schickte er sie zurück und schritt in der Kartoffelfurche weiter, +bis er auf den Wirt stieß, der mit Weib und drei Kindern kniend nach +Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte und stöhnte auf seine +Art. + +Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz von den Hosen abschüttelnd +stand er auf, ihm die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht der Mörder +war, so hätte er doch immer der Mörder sein können. Sich mit ihm gut zu +stellen, war geraten. + +»Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,« sagte er, »denn wen der +Staat ernährt, der ist geborgen.« Dabei lachte er höhnisch und +einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige Maul ging ihm bis an +die Ohren. + +»Ihr habt es hier um so schwerer,« sagte Miks Bumbullis, die Fläche +überblickend, die in ihrem dürren Kraut unausgegraben dalag. + +Auch das Weib war aufgestanden und wischte sich die Hand an dem +sacktuchenen Schurzfell. Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit +scharfen, mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen gafften. + +Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. Der nasse September -- und +schon alles im Faulen -- und fremde Hilfe zu teuer. + +»Wenn Ihr billige Hilfe braucht,« sagte Miks, »ich wüßte wohl eine.« + +»Wer wird so dumm sein!« lachte der Wirt. »Selbst der Henker läßt sich +bezahlen.« + +»Ich hab' mir einiges gespart,« sagte Miks, »und wenn man mir sonst +freie Hand läßt, bring' ich noch ab und zu was in die Wirtschaft.« + +Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie rasch und gierig ein und +fragten nicht weiter. + +So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem Pfleger Anikkes. + +Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu kümmern, und es vergingen +drei Tage, ehe er sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer +sei, das da immer im Hause herumkrieche. + +Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit der Sprache heraus, denn der +Mordverdacht saß ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten +sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen waren und daß sie es eigentlich +bloß um Gottes Barmherzigkeit willen bei sich behielten. + +Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf und sagte nur: »Der Vater +soll in Amerika sein. Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er jeden +belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.« + +Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten Mittag durfte das kleine, +bleiche Lumpenbündelchen, das sonst von dem Ofenwinkel her stumm wartend +herübersah, mit den Kindern zu Tische sitzen. + +Als der Sonnabendabend kam, verschwand Miks Bumbullis und kam am +Sonntagvormittag mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet und in den +Spalten mit Erde verklebt war. + +Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt hatte, und alle standen +ringsum und sahen voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel +die Teile auseinandernahm und jeden einzelnen putzte und ölte, bis die +Waffe blitzblank und schußbereit wiedererstand. + +Und wiederum am Sonntag gab es bei den Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, +was nicht passiert war, solange die Welt stand. Alle schwelgten, und +selbst der Hofhund bekam seinen Knochen. + +Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten Kleidchen da, das der +Miks ihr mitgebracht hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen +Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr geschah. + +»Ich verstehe ja deine Meinung,« sagte der Wirt, »aber wenn der Vater +_nicht_ aus Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.« + +»Dann tu' ich's wie ihr um Gottes Lohn,« erwiderte Miks, »man muß sich +immer ein Beispiel nehmen.« + +Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem Knecht zu, denn die +Schnapsbuddel saß ihm allzeit locker. + +»Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule schicken,« meinte Miks +Bumbullis so nebenbei. + +Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. Der Gendarm sei schon zweimal +dagewesen, und sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man könne +schließlich noch Strafe zahlen. + +Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als Anikke am Montag morgen die +Kinder zur Schule begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar +eine Schiefertafel. + + + 6 + +Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun höchst angesehen im Hause. Er +pflegte das Pferd blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die +Dreschflegel gingen: »Ubags, ubags, ubags«, -- sein Schlag war immer +herauszuhören. + +Lohn forderte er nicht, und er hätte auch keinen bekommen, denn der Wirt +vertrank jeden Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich ab und zu +in der Morgen- oder der Abenddämmerung hinter der Scheune zu schaffen +machte und vorläufig nicht mehr wiederkam. + +Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, so daß sie nun ebenso +fein aussahen wie Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er mit, dem +einer nach dem anderen standhalten mußte. Kibelka meinte zwar, es sei +sündhaft, es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber schließlich +lieh auch er sich den Kamm aus. + +Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. Die warme Schule -- und das +reichliche Essen -- und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam sie hie +und da noch einen Stirnicksel, aber der tat kaum einmal weh, denn sie +fühlte in seliger Geborgenheit, daß einer da war, der sie vor +Schlimmerem beschützte. + +Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, aber ihm ganz nahe zu +kommen wagte sie nicht, denn er ermunterte sie nie. + +Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an seinem Gesicht, und als sie +die Geschichte vom lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß +der ebenso ausgesehen hatte wie er. + +Eines Abends, als der Kienspan brannte, war er besonders vergnügt und +sagte zum Ältesten, dem Jons: »Willst du reiten?« Der wollte natürlich +gern, und er nahm ihn auf sein Knie und sang dazu: »Apappa, upappa.« +Dann kam die Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. Und sie stand im +Winkelchen und dachte, die Tränen verbeißend: »Ich bin ja nur das +Ziehkind, und darum will er mich nicht.« + +Aber da sagte er auch schon: »Die Anikke muß auch.« + +Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie traute sich nicht. Dann, +als er sie hochhob, war es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken. +So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz schwindlig wurde, bis +der Jons, abgünstig geworden, einmal über das andere schrie: »Ich will +auch solange!« + +Diese Augenblicke waren das Schönste, was sie je erlebt hatte, denn daß +schon einmal einer dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten hatte, +das war ihr inzwischen aus dem Sinne verschwunden. Nur eines langen +weißen Bartes erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei der +Weihnachtsmann gewesen, von dem der Lehrer erzählte. + +Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, und wenn man gegen den +Schneesturm laufend bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete das +manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe gekauft und eine +wollengefütterte Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden +sind. Die drei Hauskinder bekamen die gleichen, so daß ein Neid nicht +entstehen konnte. + +Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X für ein U machen und sagte +mit süßsaurem Lächeln: »Meine Kinder haben es ja sehr gut bei dir, aber +der liebe Gott wird schon wissen, was du damit verhehlen willst.« + +Miks sagte darauf: »Wenn einer Kinder liebhat, was braucht er da zu +verhehlen?« und wandte sich ab. + +Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen in der Kleinen Stube, die +gut geheizt wurde, sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, wo es +jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich aus den Zeiten ihrer +Zurücksetzung so erhalten, und sie wünschte es sich gar nicht anders, +denn in der Kammer nebenbei schlief der Miks. + +Aber nun der Winterfrost gekommen war, konnte sie gar nicht recht +einschlafen und lag in ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke +frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen Morgen. + +Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von der Knechtskammer her ein +leises Knirschen und Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare +Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich wenden soll. + +Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten in ihrem Frieren die Decke +vom Leibe, ging in die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch mehr +als vor Kälte: »Miks, tut dir was weh?« + +Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. Und dann griffen +zwei Arme nach ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und wärmte +sich auf und schlief auch bald ein. + +Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und war da wie in Abrahams Schoß. + +Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß niemand etwas davon merken +konnte. Auch beachtete er sie bei Tage nicht häufiger als früher. Aber +nun grämte sie sich nicht mehr darüber, denn sie wußte ja zu allen +Zeiten, wie gut er's mit ihr meinte. + +Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. Manchmal schlief er sogar +noch früher ein als sie selber. + + + 7 + +Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, da wurde Miks Bumbullis auf +einem seiner Wege zum Walde von einer Frauensperson angerufen, die bis +zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande im Schnee saß. + +Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme gleich erkannt. + +»Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,« sagte er. »Ich habe schon +immer einmal zu dir kommen wollen.« + +»Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,« erwiderte sie, »und hätte ich +dir nicht aufgelauert, so wären auch noch drei weitere verstrichen.« + +»Das ist wohl möglich,« meinte er. »Was man nicht gern tut, verschiebt +man immer wieder.« + +»Sagst du mir das ins Gesicht?« knirschte sie, und ihre Augen blitzten +ihn an. + +»Ich sage, was wahr ist,« erwiderte er. + +»Dann will ich dir _auch_ sagen, was wahr ist!« schrie sie. »Daß _du_ +den Hegemeister erschossen hast -- daß deine Flinte da, mit der du's +getan hast, _meine_ Flinte ist -- und daß ich meine Seele dem ewigen +Verderben verkauft habe -- und Madlynens Seele dazu, die meine +Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, was ich wollte. _Das_ +ist die Wahrheit.« + +»Und dann ist die Wahrheit,« fuhr er fort, »daß du mir die Flinte in die +Hand gegeben hast und zu mir gesagt hast: >Mein Seliger hat es schon tun +wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. Nun tu du es, sonst hast du +keine Ehre im Leibe.< _Das_ ist die Wahrheit.« + +»Und ferner ist die Wahrheit,« nahm sie ihm die Rede aus dem Munde, »daß +ich einen Tag und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich dich am +besten vor der Leibesstrafe bewahren konnte, denn wenn ich einfach +ausgesagt hätte: >Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,< dann hätte mir +keiner geglaubt. Darum hab' ich der Madlyne eingegeben, sie habe dich +aus dem Stubenfenster steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum +habe ich dir zehnmal vorgesprochen -- alles -- auch was du zu sagen +hast, wenn ich die Schwurfinger erhebe. Denn du bist ja so dumm wie ein +Deutscher.« + +»Und du bist so klug wie der Teufel,« erwiderte er. + +»Es ist gut,« sagte sie, in die Runde schauend, »daß uns hier niemand +hören kann außer den Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen. +Aber man weiß nie, was noch werden kann, wenn sich einer im Zorn +vergißt. Darum frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: Willst du +dein Versprechen halten?« + +»Ich weiß von keinem Versprechen,« stöhnte er. + +»Natürlich weißt du von keinem Versprechen, aber _ich_ weiß, daß seit +zwei Jahren die Menschen mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein +Freiwerber mehr bei mir sehen läßt -- nicht für mich und auch nicht für +die Madlyne, und seit Michaeli treffe ich keinen, der nicht speilzahnig +fragt: >Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas den Knecht spielt?< +Darum frage ich dich zum überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken, +der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?« + +Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer. + +»Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,« bat er. + +»Jawohl,« höhnte sie, »erst bis nach Fastnacht -- und dann bis zum +Palmsonntag -- und dann immer so weiter. -- Aber es soll gut sein. Bis +nach Fastnacht werd' ich warten. Schickst du dann keinen, dann weiß ich, +woran ich mit dir bin.« + +Und es klang noch fast wie ein Schöndank, was er da stammelte. + +Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal um und sagte: »Die Leute +erzählen sich, daß du das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist, +hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. Deine Seele kaufst du +doch nicht los, und der Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.« + +Damit schritt sie von dannen. + +Miks Bumbullis war von dem allen zumute, als hätte er mit der Axt eins +vor den Kopf bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, dann +taumelte er in den Wald hinein. Aber er schoß nichts, und er sah auch +nichts. Er dachte bloß immer das eine: »Ich bin bis heute sehr glücklich +gewesen und habe es nicht gewußt.« + +Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das Kind in der Nähe zu haben. Er +sicherte die Flinte und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen +konnte. + +Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag und die leisen, kleinen +Schritte nähertappten und das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm +hineinschob, da war er wieder wie im Himmel. Er fing so bitterlich zu +weinen an, wie ein Mann sonst nur in der Kirche tut. + +Da weinte auch das Kind und wußte doch gar nicht, warum. Er tröstete +sie, und sie streichelte ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er es nicht +getan. + + + 8 + +Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu keinem Handeln entschließen. +Den Freiwerber zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, denn +jedermann wußte, wie die Dinge standen. Er mußte also den Gang schon +selber machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er zu sich: »Also nächsten +Sonntag.« Und dabei blieb es. + +Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn dort hätte er ihr ja +begegnen können. + +So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. Er saß am Vormittag +in seiner Kammer und schnitzelte für Anikke an einem Springbock. Da kam +der Älteste, der Jons, eilfertig zu ihm herein und sagte: »Es ist eine +draußen, die will dich sprechen -- eine Feine.« + +Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte die Arbeit hin und ging. + +Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen Kopftuch und einer +seidenen Schürze die Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte sie an, +obgleich es noch ziemlich rauh war, und alles an ihr sah rund aus und +quoll und wippte. + +Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und fragte, ob er wohl einen +kleinen Spaziergang mit ihr machen wolle. + +»Ich will nicht, aber ich muß wohl,« sagte er. + +Und dann gingen sie zusammen zum Walde, dorthin, wo er vor einem +Vierteljahr die Alute getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort. + +»Du wunderst dich wohl, warum ich noch nicht verheiratet bin,« begann +sie endlich. »Ich kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich will +nicht.« + +»Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,« erwiderte er, »und ich +soll daran schuld sein.« + +»Schuld magst du schon sein,« erwiderte sie und lächelte, »aber anders, +als sie denkt. Wenn du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit +durchfüttern müssen.« + +»Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,« sagte er. + +»Nach menschlichem Willen geht es meistens nicht,« erwiderte sie. »Und +wenn du einen guten Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. Meiner +Mutter Schwester macht falsche Redensarten. Es könnte sein, daß es eines +Tages zu spät ist.« + +»Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch sich selber an,« warf er +ein. + +»Und mich genau ebenso,« erwiderte sie, immer in der gleichen lächelnden +Weise. »Aber seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht +allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß des Hegemeisters gesessen +hat, als das Unglück geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße +sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt sie dazu. Und keiner +weiß. Aber ein bedenkliches Gesicht macht ein jeder.« + +Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den dieses rachsüchtige +Geschwätz gehen würde. Und sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst +so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm und sich selber die +Grube. + +»Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,« sagte Madlyne mit ihrem +lieblichen und verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder +Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch Schlimmerem gar. »Denn +ich war ja noch sehr jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber du, +Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin ich der Meinung, du läßt keinen +Tag mehr verstreichen und kommst heute nachmittag zu uns auf den Hof. +Dann wird sie schon Ruhe geben.« + +»Wirt bei euch,« sagte er, »kann ich nur sein unter einer Bedingung: daß +Alute gut zu dem Kinde ist.« + +»Das willst du mitbringen?« fragte sie, und in ihrem Erschrecken +verschwand zum ersten Male das Lächeln von ihrem Angesicht. + +»Das will ich mitbringen,« erwiderte er beinahe feierlich, »sonst komm' +ich nie und nimmermehr.« + +Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und sah stumm in die Höhe. Und +ihre wasserhellen Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. Dann +sagte sie: »Zurzeit ist sie freilich dem Kinde noch bös gesinnt, denn +sie meint, daß du es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den Willen +tust und die Scham von ihr nimmst, wird sie sich wohl mit ihm versöhnen. +Außerdem bin ich ja auch noch da, und ich hab' Kinder sehr lieb.« + +»Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,« entgegnete er finster. + +»Wann hast du schon das Farnkraut blühen gesehen, daß du so allwissend +tust?« fragte sie und sah ihn neckend von unten auf an. + +In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal und das des Kindes +nicht gar so drohend mehr, und er sagte: »Ich werd' also kommen.« + + + 9 + +So geschah's, daß am Himmelfahrtstage Miks Bumbullis und Alute Lampsatis +im Brautwinkel saßen und die Hochzeitsgäste in hellen Haufen um sie her. +Auf dem Tische standen leckere Speisen in Menge, und über ihm hing von +der Decke herab die künstlich geflochtene Krone, in der silberglänzende +Vögel sich wiegten. + +Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und Spruchbändern reichlich +beschenkt worden, und das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe +geworfen wird -- denn niemand soll wissen, wieviel ein jeder gegeben --, +dieser unwillkommene Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die +meisten ihren guten Taler nicht loswerden konnten. + +Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, die, was einst geschehen +war, mit dem Mantel der Nächstenliebe bedeckte. + +Die Kibelkas waren auch geladen, und der Ehemann lag schon längst in +seligem Schlaf hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten sie +nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute so bestimmt. Und sie erwies +sich damit wieder einmal als die klügste von allen. Denn wenn die +ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des Hauses unter den Gästen +herumbewegt hätte, so wären Befremden und Verdacht alsbald am Werke +gewesen, den verständnislosen Klatsch noch mehr ins Böse zu wenden. + +Als nun aber die Brautsuppe kam, deren Branntwein Alute mit Kirschsaft +und Honig üppig gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst unter +den Frauen immer kühner aufflackerten, da wurde auch lächelnd des armen +Kindes gedacht, das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen war. + +»Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was Lebendiges mit in die Ehe,« +sagte eine der Nachbarinnen. »Hier tut es der Bräutigam, obwohl er noch +Junggesell' ist.« + +Und eine andere sagte: »Ihr braucht euch gar nicht erst selbst zu +bemühen. Euch fliegen die Kinder nur so vom Himmel.« + +Und eine dritte: »Kauft's den Kibelkas ab. Für eine Buddel Schnaps gibt +er euch auch die drei eigenen dazu.« + +Alute, die heute das rotblonde Haar würdig unter dem Frauentuch +versteckt hielt und auf deren Wiste eine goldene Brosche strahlte, so +groß wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles mit nachsichtigem +Lächeln an und sagte dann gleichsam überlegend: »Ihr habt eigentlich +Recht. Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, aber ich glaube, +er wird es nicht zugeben, weil es gar zu sonderbar aussieht.« + +Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal ganz harmlos und +aufrichtig war. Was denn dabei sei! Und »wenn er das Kind doch nun +einmal gern hat?« + +Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen zu lassen und die +kleine Anikke sofort aus Wiszellen zum Feste zu holen. + +Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller Freude schweigend dasaß, stieg +das Herz hoch, aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch später +noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu Dank die Stunden des Festes +verkürzen. + +Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen den Gästen herumhuschte +und wegen ihrer niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke von den +Burschen »Melinoji kielele« -- das Bachstelzchen -- gerufen wurde, war, +als sie in dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, lauschend stehen +geblieben und sagte nun mit einem Lachen hinüber: »Wenn ihr es alle +durchaus begehrt, dann bin ich die erste, die sich den Dank der Wirtin +verdienen muß, und das werde ich morgen auch tun.« + +Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem von Dank nicht viel zu lesen +stand, aber sie war schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich gegen +drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich gelassen hatten, um sich mit +ihr ein bißchen herumzureißen. + +Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel genug auf dem Hofe und am +dritten auch. Als aber alles still geworden war und die jungen Eheleute +nicht zum Vorschein kamen, da machte sich Madlyne auf den Weg und kam +zwei Stunden später mit der kleinen Anikke wieder, die ein neues, +grüngesticktes Miederchen anhatte und mit großen, sehnsüchtig +ängstlichen Augen der künftigen Heimat entgegensah. + +Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit einem Bündel, in dem die +Siebensachen des Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor in Sicht +kam, mußte er Schuhchen und Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie +nicht etwa barfuß ankam. + +Es war nun wirklich so, als ob eine kleine Prinzessin ihren Einzug +hielt. + +Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar und aß dicke Milch mit +Zucker, denn es war Vesperzeit. + +Anikke löste sich von Madlynens Hand und wollte auf Miks zueilen, da sah +sie ein Paar Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren machte; +sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts oder zurück. + +Aber da kam auch schon die lustige Madlyne ihr nach und sagte: »Warum +hast du Angst vor deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat +versprochen, sie tut dir nichts.« + +Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie ihn in der Schule gelernt +hatte, und wartete auf ein Willkommen. + +Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute noch darauf warten. + + + 10 + +Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine Anikke es schlecht gehabt +hätte, der würde sehr im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu kluge +Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch ein sichtbares Hervorkehren +ihrer Abneigung dem Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt +teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein verderben mußte. Sie tat +darum so, als ob sie das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, und +ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit durch doppelte Liebesdienste +von ihm bezahlen. + +Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt und ein treuer Verwalter. Er +arbeitete von früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln +gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, und als die Roggenaust begann, +wurde beim Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen war eine große +Veränderung vor sich gegangen. Er trieb sich nicht mehr in den Krügen +herum und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach Hause. Auch das +Wilddieben hatte er aufgegeben, und wenn die Versuchung an ihn +herantrat, nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, seine Frau +wünsche es nicht. + +Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, was der Alute einst an ihm +gefallen hatte, war sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen. +Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten und Forschesten von allen zu +eigen zu haben, und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend ein +Kopfhänger neben ihr herging. + +Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, blieb ihr freilich verborgen, +denn das geschah nur, wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte er +mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als zweie nicht nötig sind, und +ersann sich täglich neue dazu. + +Da war eines, das hieß »die Katzenfalle«. Dabei muß einer durch die +hohlen Arme des anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich für ihre +Kinderärmchen viel zu dick war, so gab das des Lachens kein Ende. Und +ein anderes »die Windmühle«. Wenn man die darstellen will, muß man sich +zwei Hopfenstangen kreuzweis am Leibe festbinden lassen und sich nun +ganz rasch um sich selber drehen. Kann der andere eine der Stangen +ergreifen und so die Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er +gewonnen. + +So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die Dämmerung hinein, aber +beileibe nicht auf dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr Lachen +nirgends zu hören war. Denn sie hatten immer ein Gefühl, als sei dies +nicht wohlgelitten. + +Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, die durfte sogar die dritte +im Bunde sein. Und dann ging es erst recht hoch her. + +Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens wo anders heftig beschäftigt. +Denn hinter dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit und breit, und +immer war ein Gejacher um sie herum und ein Gegluckse, das nahm kein +Ende. + +Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte und der Freiwerber die Stube +betrat, dann konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß er noch den +Kirschschnaps austrank, so sehr lachte Madlyne. Hinterher machte Alute +ihr stets die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht im +mindesten daran. + +»Was willst du von mir?« sagte sie. »Arbeite ich nicht ebenso fleißig +wie eine Magd? Und weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft steckt, +so arbeite ich auch für mich selber.« + +Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war alles die Wahrheit. + +Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in der Klete geschlafen, denn sie +meinte, die jungen Eheleute möchten im Hause am liebsten allein sein. +Aber weil die Burschen ihr dort bis in den Morgen keine Ruhe ließen und +der Hofhund aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte sie wieder +in die Kammer jenseits des Hausflurs über. Und Miks war neidisch auf +sie, denn in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem nahm er an, daß +die Burschen ihr selbst hierhin folgten, und er wollte nicht, daß Anikke +erwachte, wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch hatte er +freilich keinen ertappt, aber wie sollte es anders sein. + +Und so verliebter Natur war Madlyne, daß sie es nicht unterlassen +konnte, selbst ihm von ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu +geben. Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. Wie ihr ganzes +Wesen, so war auch dies von einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so +daß man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man nicht darauf eingehen +wollte. + +Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach eine einzige große +Liebkosung, die um so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie ernst +zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit der sie sich an ihn +heranschmeichelte, machte jeden Gedanken an künftige Buhlschaft +zuschanden. + +Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, hörte er sie eine Daina singen, +die lautete umgedeutscht etwa so: + + Liegt mir ein Lämmlein + Im reißenden Strome, + Frag' ich nicht lange, + Ob ich's errette, + Nein doch, ich springe ihm nach. + + Liegt der Geliebte + Im Arme der Muhme, + Frag' ich mich täglich, + Ob ihn erretten, + Und ich weiß doch nicht wie. + + Gönn' ich den Lieben + Der bösen Muhme, + Die ihm mit Tränkchen, + Aus Giftkraut bereitet, + Zankend den Schlummer verdirbt? + + Oder ich sage: + »Komm, lieber Schwager, + In meiner Kammer + Steht eine Bettstatt + -- Ach, so schmal ist das Bett! -- + + Aber zur Mauer, + Der eiskalten Mauer, + Rück' ich geschwinde, + Daß du es warm hast + Und mich im Arm hast und schläfst.« + + Soll ich's ihm sagen, + Oder verschweig' ich's, + Bis einst der Kummer + Vom Lager der Muhme + Nach dem Strome ihn treibt? + + Und hätt' ich tausend + Der Lämmlein errettet, + Ihn, den ich liebe, + Ließ ich verderben, + Und ich sprang ihm nicht nach. + +Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn er wollte sie nicht wissen +lassen, daß sie von ihm belauscht worden war. Und als er sie wiedersah +und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, konnte er es nicht +fassen, daß sie ein so finsteres und hitziges Lied gesungen hatte. + +Und ein anderes Mal, als sie die kleine Anikke auf dem Schoße hielt, +sang sie folgendes: + + Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir, + Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier, + + Ich schenkte dir Betten von Seide so weich + Und schenkte dir Gott und das Himmelreich. + + Auch einen Liebsten schenkt' ich dir wohl, + Der dich zur Kirche hinführen soll. + + Du aber, Kindchen, was schenktest du mir? + Ich lieg' alleine und bang' mich und frier', + + Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht, + Der siehet mich nicht und höret mich nicht. + + Wenn der mich wollte und ließe von ihr, + Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir. + +Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob er sie nicht einmal in die Arme +nehmen sollte. Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an all die +jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft hatten, erschien es ihm +nicht gut genug, ein »Kuszbendris« -- ein Weibsteilhaber -- zu sein; +auch mochte er um des Kindes willen das Haus nicht mit Verdacht und +Unfrieden erfüllen. + +Aber der Unfriede kam auch ohne dies. + +Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit dem Kinde von der anderen Seite +des Hauses her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren Zwischentür +kein Schloß und keine Klinke hatte und darum immer ein wenig offen +stand. + +Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau zu liegen, und machte +allerlei Ausflüchte, um sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da ihm +nichts Besseres einfiel, fing er das Leben wieder an, das er einst +geführt hatte, als das große Unglück noch nicht geschehen war. Denn nur +so konnte er die Nacht zum Tage machen. + +Er suchte die Krüge auf, von wo aus im Schutze der Dunkelheit der +Schmuggel über die Grenze ging, und da es nicht immer was zu tragen gab, +nahm er auf alle Fälle die Flinte mit, um das Frühmorgenlicht für einen +Rehbock auszunutzen. + +So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder in schlechten Ruf kam, und +Alute, die deswegen gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und ihn +noch kurz vorher einen »Schwanzeinkneifer« genannt hatte, schalt ihn nun +heftig aus, weil ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle +würde. + +Aber er kehrte sich nicht daran. + +Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und sagte: »Es tut nicht gut, +Miks, daß du so oft unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause +halten.« + +»Aus welchem Grunde wünschst du mir das?« fragte er. + +»Sieh dir das Kind an,« erwiderte sie und wandte sich ab. + +Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich genommen, +daß es der kleinen Anikke gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die +Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte seine Frau noch nie etwas +Feindseliges gegen sie unternommen. Höchstens daß sie sie nicht +beachtete. + +Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, fiel ihm auf, daß es +ungerufen nicht mehr an ihn herankam, sondern sich zaghaft in den +Winkeln herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich aus und hatte +doch während des Sommers geblüht wie ein Tausendschönchen. + +Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, aber es wollte nicht mit der +Sprache heraus. Nur weinen tat es bitterlich. + +Da legte er sich eines Abends auf die Lauer und mußte erleben, daß Alute +das Kind mit einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen +Schnallen steckten. + +Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß der Armen Kleider und Hemde +herunter und fand das Körperchen von oben bis unten mit Striemen und +blauen Flecken bedeckt. + +Da hob er den Zaum auf, den das wütende Weib von sich geworfen hatte, +und prügelte es so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. Auch +gegen Madlyne wandte er sich in seinem Zorn, und von nun an saß der +Teufel im Hause. + +Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte er oft, wenn der Kummer ihn +zur Nacht aus dem Hause trieb. + + + 11 + +So geschah es eines Novembermorgens kurz vor dem roten Sonnenaufgang, +als er durchfroren im jungen Schnee saß und gerade auf einen schönen +Bock anlegen wollte, daß er rückschauend eine Flintenmündung auf sich +gerichtet sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den er wohl kannte. + +Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, aber er wußte: es war zu +spät. Darum stand er ganz gemächlich auf und sagte: »Na, wieviel Jahr' +wird es kosten?« + +»Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet hast, Miks,« erwiderte +der stämmige Förster, der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war, +und er fügte hinzu: »Die Flinte laß liegen. Die hol' ich mir später. +Sonst könnte es passieren, daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst +und meine dazu.« + +»Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute es machen,« lachte Miks und +schlug, ohne erst viel zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er ja +doch abgeliefert werden mußte. Der Förster ging zehn Schritt weit +hinterdrein und hielt die Flinte schußbereit. + +»Dreh dich lieber nicht um,« sagte er ganz freundlich, als Miks das +Gespräch fortsetzen wollte, »sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im +Genick.« + +Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über das Geschehene nachzudenken. +Daß er von der Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber dann +plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis in die Kniekehlen hinein. Das +Kind! Was wird nun aus dem Kinde? + +»Ich Dummerjan,« dachte er, »schon wegen des Kindes allein hätt' ich es +nicht dürfen.« + +Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, wie er von der +Untersuchungshaft aus die kleine Anikke in andre Pflegschaft bringen +könnte. Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit der +Behörden auf das Kind zurücklenkte und in den Verhören irgend ein +Widerspruch laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, das Alute +damals aufgebaut hatte, davon zusammenfallen wie eine Haferhocke. + +Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb mitleidig, halb schadenfroh +den Zug begleiteten. Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat sich +der Förster. So gingen sie in halblauten Gesprächen neben dem Miks +daher, und weil sie wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand, +erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch den Mord auf dem Gewissen +habe. + +Miks Bumbullis hörte das alles. Es war ein rechter Leidensweg. + +Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem Schritte, und als er vor dem +Hause des Gendarmen ankam, hatte er ein Gefolge wie ein König. -- -- + +Miks bestritt natürlich alles. Von dem Bock wisse er nichts. Er habe nur +ein paar Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes +Verbrechen sein. + +Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden zu machen, fragte der +Richter. + +O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja bei dem Kinde bleiben. + +In der Hauptverhandlung kam er mit seinem Weibe und Madlyne wieder +zusammen. Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, das Kind möchte +nicht geladen sein, denn es war nun schon groß genug, um zu verstehen, +welche Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich nicht da war, tat ihm +das Herz weh. Er hätte es so gern einmal wiedergesehen. + +Madlyne gab sich lange nicht so adrett und fixniedlich wie dazumal, und +ihre Augen waren klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen auch +diesmal wie aus der Pistole geschossen. + +Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in Gebrauch genommen. Ja +richtig! Einmal habe er eine Eule geschossen. Das war alles. + +Alute schien ihm die schlechte Behandlung längst wieder vergessen zu +haben. Nie sei er zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, nie +habe er die Flinte vom Nagel geholt, nie habe er ein Stück Wild oder das +Geld dafür von seinen Wegen nach Hause gebracht. + +Schade, daß die Frauensleute nicht schwören durften! + +Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von ihrem Eidesrechte Gebrauch zu +machen, aber der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, ebenso wie +bei Madlyne, die ihm als Hehlerin verdächtig schien, und so blieben +beider Aussagen wirkungslos. + +Doch auch die andern, die vereidigt wurden, hielten sich wacker. Selbst +diejenigen, die ihn so und so viele Male wegen seiner Schießereien +geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je davon gehört, geschweige +denn eine Flinte an ihm gesehen zu haben. + +Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung richtete sich drohend +hinter ihm auf, und der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln +über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt mit argwöhnischer Anspielung +darauf Bezug nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse +verborgen lagen, die nur eines rächenden Anlasses bedurften, um gegen +ihn loszubrechen. + +Als der Richterspruch verkündet wurde, der ihm drei Jahre Gefängnis +zuerkannte, erhob sich Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem Auge +zu begegnen, langsam von der Zeugenbank und nickte, den Kopf feierlich +wiegend, eine ganze Weile lang zu ihm herüber. + +Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er dran dachte. + +Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, bevor er in die +Strafanstalt überführt wurde, die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, +daß dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke noch einmal zu +sehen. + +Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn als die Zellentür sich öffnete +und hinter der Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das Kind +an der Hand. + +Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, sonst wäre er vor dem +Kinde niedergekniet und hätte geweint und geweint. + +Nun aber sagte er bloß: »Da seid ihr ja alle,« und begrüßte sie +freundlich der Reihe nach. + +Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz trug und auch sonst sehr +unternehmend aussah, sagte zu ihm: »Ich könnte mich jetzt von dir +scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht +tun.« + +Er antwortete: »Tu, was du für recht hältst. Wenn du nur gut zu dem +Kinde sein willst.« + +»Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,« erwiderte sie, »aber da hast du +alles verdorben.« + +Er demütigte sich vor ihr und sagte: »Ich werde meine Fehler bereuen und +ablegen, wenn du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde sein +willst.« + +Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: »Ich verspreche es.« +Dann reichte sie ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, er möge +sie hinauslassen. + +Der Aufseher tat es und wollte auch die andern auffordern fortzugehen, +da bemerkte er, daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und weinte und +weinte. Und weil er ein guter und aufrichtiger Mann war, so schloß er +die Tür noch einmal und ließ ihn gewähren. + +Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: »Erbarm dich des Kindes!« + +Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: »Ich schwöre dir, daß ich +auf das Kind achtgeben werde.« + +»Und wenn du heiratest und weggehst, -- schwöre mir, daß du das Kind +mitnehmen wirst.« + +Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und sagte: »Ich werde nicht +heiraten.« + +Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das Kind und küßte auch Madlyne. + +Und dann war die Besuchszeit um. + + + 12 + +Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis die Nachricht, daß das Kind +gestorben war. + +Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon einige Male im Traume +erschienen. + +Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück Mitteilung machte, lautete +so: + +»Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die kleine Anikke ein seliges +Hinscheiden erlitten hat. Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es +unsre Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht zu vertreiben, habe +ich Madlyne zu einer weisen Frau geschickt, die sie nach den Regeln +besprochen hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht und ihr den Saft +mit getrockneten Quitschen zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts +versäumt worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet wie meinem +eigenen Kinde. Die Festlichkeiten haben zwei Tage gedauert, und es sind +dabei drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein ausgetrunken worden. +Nicht zu rechnen, was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen Sarg habe +ich ihr machen lassen, in dem sie sich ordentlich ausstrecken kann. Auch +ist sie in ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. Du siehst +also, daß ich mein Versprechen gehalten habe, und wenn du die Madlyne +fragen wirst, so kann sie es nicht anders sagen.« + +Von nun an erschien die kleine Anikke dem Miks Bumbullis in jeder Nacht. +Er brauchte nur die Augen zuzumachen, und sie war da. Und in vielerlei +Gestalt erschien sie ihm -- manchmal im Sarge liegend, manchmal als eine +Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal als ein Engelchen mit +gläsernen Flügeln, manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit einem +Strick um den Hals. Und immer wieder in neuen Gestalten. + +Als ein großes Glück empfand er es, daß Alute nun doch gut zu dem Kinde +gewesen war. Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn wenn sie das +Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, würde sie die Tote so heimlich +wie möglich eingescharrt haben. Aber vor allem war ja Madlyne dagewesen, +auf die er sich ganz verlassen konnte. + +Und doch mußte etwas versäumt worden sein, sonst würde die kleine Anikke +Ruhe im Grabe gehabt haben und ihm nicht immer von neuem erschienen +sein. + +Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages der Anstaltsarzt zu ihm +trat und ihn fragte, was ihm eigentlich fehle. + +»Was soll mir fehlen?« erwiderte Miks. »Ich habe satt zu essen, und +keiner ist schlecht zu mir.« + +Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. Miks tat es, aber der Arzt +fand eine Krankheit nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer +zugestoßen sei, fragte er dann. + +»Ich habe ein Kind verloren,« antwortete Miks. Aber von den +Erscheinungen sagte er nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich +immer in acht nehmen. + +Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, derselbe, der am Sonntag +gewöhnlich predigte. + +Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten an, aber er hatte sich +nicht einmal die Mühe genommen, die Akten durchzusehen, sonst würde er +gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind gar nicht besaß. + +Miks beließ ihn in seinem Irrtum und küßte ihm die Hand, um ihn glauben +zu machen, daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so weit, daß er +sich schon den ganzen Tag über auf die Erscheinung freute. Aber dann +machte er sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, denn wenn es der +Anikke im Grabe an gar nichts fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen +sein. Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man hatte ihr etwas +Erstickendes auf den Mund gelegt. Vielleicht gar auch war die Giltinne +-- die Todesgöttin -- nicht versöhnt worden, wie es nach dem Glauben +Vieler geschehen muß, so daß sie aus Rache die arme Tote allnächtlich +aus ihrem Frieden scheuchte. + +Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber er schämte sich vor den +Deutschen, die den Brief durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn +lachen würden. + +Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor ihn eines Tages +rufen ließ und ihm eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig +erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, brauche er sie auch später +nicht mehr abzusitzen. + +Er dachte: »Da kann ich nun selber nach dem Grabe sehen,« und machte +sich auf den Heimweg. + + + 13 + +Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und alle arbeiteten auf den +Feldern. Kaum einer sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet bis +nach Haus. + +Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, und er streichelte ihn, denn +das Kind hatte ihn lieb gehabt. + +Das Haus war leer und alles offen. Ihn hungerte, aber er wagte nicht, +sich ein Stück Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf seinem +eigenen Besitz. Er sah sich erst in der Kleinen Stube um, wo das +Bettchen zuletzt gestanden hatte. Aber nichts mehr war davon zu +bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der Welt. Aber dann fand er +auf Madlynens Brett ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit +Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie ihr einmal gemacht hatte. + +Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre er auf den Kirchhof +gegangen. Und so setzte er sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, +dort, wo die Sonne schien, und wartete. Dabei schlief er ein und wachte +erst auf, als die Stimmen der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden. + +Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. Sie richtete sich hoch auf +und schritt in ihren Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu, +während sie ihm ganz starr in die Augen sah. Sie freute sich nicht, aber +sie hatte auch keine Furcht. + +»Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,« sagte sie, ihm die Hand +reichend, »der Wirt ist gerade sehr nötig im Hause.« + +»Ich werde schon arbeiten,« entgegnete er. + +Dann ging sie, das Abendbrot machen. + +Madlyne war hinter ihr gekommen. Er bemerkte, daß sie ganz schmal +geworden war und daß um ihren Mund herum allerhand kleine Falten +standen. + +Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann rasch fort. + +Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, mit dem die Alute sicher +nichts vorgehabt hatte -- »drum werd' ich ihn ruhig behalten können,« +dachte er --, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil sie nicht wußte, +was sie aus ihm machen sollte. + +Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen Hahn geschlachtet. »Damit alle +erfahren, daß der Herr wieder da ist,« sagte sie. + +Sie war nun ganz freundlich und sah ihn immer von unten auf an, wie eine +Bittende. + +Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber das Fleisch auf dem Rande +liegen. + +»Warum ißt du nicht?« fragte die Madlyne, der immer die Augen voll +Wasser standen. + +»Ich will's mir bis nachher verwahren,« erwiderte er, »denn ich hab' so +was Gutes lang' nicht gehabt.« + +Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte es aber nicht an. + +Nach dem Essen trug er beides in die Kammer hinüber, wo er sich still +hinsetzte, bis es dunkel wurde. Dann holte er sich einen Topf von der +Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und Trinken hinein und +verbarg es unter seinem Rocke. + +»Ich will nur noch einen kleinen Gang machen,« sagte er, und die beiden +Frauen fragten ihn nicht, wohin. + +Das kleine Grab hatte er bald gefunden. Ein neues Holzkreuz stand zu +Kopfenden mit einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich +Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen an den schrägen Enden. +Die hatte sicherlich die Madlyne angebracht als Spielzeug für die Tote +in der langen Ewigkeit. + +Er wühlte in dem Sande des Grabhügels eine kleine Kaule aus und stellte +Topf und Flasche hinein. Dann glättete er den Sand wieder, so daß nicht +das mindeste zu bemerken war. + +Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung für den Geist der Toten +gut ist, andere aber -- und die sind wohl in der Wahrheit -- meinen, daß +die böse Giltinne damit besänftigt wird, so daß sie der abgeschiedenen +Seele die Ruhe nicht fortnimmt. + +Und dann saß er noch eine Weile und dachte bei sich: »Hier ist gut +sein.« Und ihm war, als sei er erst jetzt in die Heimat gekommen. + +Als er wieder im Hause war und alle sich zum Schlafengehen bereiteten, +sann er darüber nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte genau, +daß, wenn er sich absonderte, der Hader von neuem losgehen würde. Darum +kroch er in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie +weggewesen. + +Nun fing sie auch aus freien Stücken von dem Kinde zu reden an. Gegen +Gottes allmächtigen Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe. + +Und sie weinte. + +Er sagte nur: »Erzähle mir nichts.« Denn er wußte, daß er es nicht +ertragen würde. + +In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes ihm nicht. Er freute sich, +daß er mit der Gabe an die Giltinne das Rechte getroffen hatte. + +Als er am nächsten Morgen den Spaten schulterte, um mit den andern in +die Kartoffeln zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: »Ruh dich erst aus, +du bist noch zu schwach.« + +Und er wunderte sich, daß sie so wenig von seinen Kräften hielt. + +Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, mußte er sich setzen, denn der +Atem fing an, ihm zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die Mutter +ihr krankes Kind. -- -- -- + +Auch die Alute war von nun an immer gut zu ihm. Sie brachte ihm +Paradieskörner in Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte: +»Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt für gute Tage haben!« + +Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, und er begann schon, +der Giltinne mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken. + +Und so vertraut war er inzwischen mit der Alute geworden, daß er sich +eines Abends ein Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen sprach. +Auch von dem Mittel, das sich dagegen bewährt hatte. + +Sie lachte und sagte: »Wenn das so leicht ist, will ich dir Hähne +schlachten, so viel du willst.« + +Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und er fragte sich manches Mal, +warum er sich früher eigentlich vor ihr gefürchtet hatte. + +Auch von der Krankheit des Kindes wollte er jetzt Näheres wissen. Nicht +daß sein Kummer geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, nur hielt +er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie würde die richtige Teilnahme +haben. + +Aber Alute erwiderte: »Du Armer würdest es auch heute noch nicht +ertragen, drum warte noch eine kleine Weile.« Und so sagte sie immer +aufs neue. + +Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne zu fragen. Aber die Madlyne war +jetzt wie umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, wo sie nur konnte, +sprach bei Tisch kein Wort und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz. + +Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte sie: »Die Madlyne muß aus +dem Hause, und schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich ihr +aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack und Kasten vors Hoftor.« + +Er erschrak, daß er an einem so bösen Ende die Schuld tragen sollte, und +beschloß, das Seine zu tun, um alles zum bessern zu wenden. + +Darum ging er der Madlyne eines Morgens zum Melken nach und sagte: »Du +mußt nicht denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des Kindes etwas +nachtrage.« + +Sie stand von der Hocke auf und sagte: »Aber ich trage es mir nach.« + +Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, daß gegen Gottes +allmächtigen Willen Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe. + +Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine Schultern, sah ihn lange +mit den bohrenden Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte dann: +»Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann werd' ich dir etwas erzählen, was +zu wissen dir nottut.« + +Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: »Mir ist nach lockeren +Streichen nicht zumut. Erzähl es mir auch so.« + +»Nein,« sagte sie, »anders tu' ich es nicht.« + +»Ich werd' es mir überlegen,« antwortete er und ging aus dem Stalle. + +In derselben Nacht kam die Erscheinung wieder. Sie war in ihrem +Hemdchen, hatte auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug einen +Stengel in der Hand, aber das war ein Schierlingstengel. + +Er sagte der Alute nichts davon. Und als der Abend kam, sparte er wieder +sein Essen auf, holte sich heimlich einen Topf und trug es darin zum +Kirchhof hinaus. + +Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt geschehen, aber hinter dem +Hofzaun stand Alute und sah ihm nach. + +Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht zufrieden, denn das Kind +erschien ihm auch in der nächsten Nacht. + +»Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,« dachte er, aber ein +unbestimmtes Gefühl hielt ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn +schlachte. + +Die Erscheinung kam immer wieder, und die Unruhe verließ ihn nicht mehr. + +Da faßte er sich ein Herz, und während die Frau noch auf dem Felde war, +ging er der Madlyne nach in die Kammer. Als sie ihn kommen sah, stieß +sie einen Seufzer aus und faltete die Hände wie eine, die sich bereit +macht, selig zu sterben. + +So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an seiner Schulter lag, da +kam es ihm zur Klarheit, daß er immer und immer nur nach ihr verlangt +hatte. + +Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm beide Hände. + +Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr Versprechen erfüllen solle. + +Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: »Verlange es nicht! Verlange +es nicht!« + +Aber er verlangte es immer wieder. + +Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, und erzählte ihm, auf welche +Art Alute das Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und nimmer zu +überführen sein. + +In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens Halse, um sie zu erwürgen, +weil sie die Tat nicht verhindert hatte. + +Sie sagte: »Drück nur zu! Drück nur zu! Oben am Hühnerbalken kannst du +die Schlinge sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und wärst du +nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es auch getan.« + +Da sprang er aus dem Bette und lief nach dem Schleifstein. -- -- -- + +Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah sie einen Menschen auf +sich zustürmen, der halb angezogen war und eine Axt schwang. + +Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte sie sofort, was geschehen war +und daß es ihr nun ans Leben ging. + +Sie rannte schreiend nach der Richtung des Dorfes hin, und er mit der +erhobenen Axt hinter ihr drein. + +Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten Höfe einzubiegen, denn +sie wußte, daß kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern würde, +die Tat zu begehen. + +So lief sie weiter, und der Raum zwischen ihr und ihm verkürzte sich +immer mehr. + +Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen und erkannte gleich, daß +sie sich für heute und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles +gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand nachweisen, und der Meineid +war bald gebüßt. + +Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, da ließ er von ihr ab, +denn des Wachtmeisters Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in seinen +Fußtapfen um, und die Leute, die ihm gefolgt waren, gingen in großem +Bogen um ihn herum. + +Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei seiner Heimkehr gefunden +hatte. Auch nach Madlyne rief er umsonst. + +Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld in die Tasche, holte ein +altes Gewehr hinter den Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit +dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche von Graben zu Graben. + +Als es finster geworden war, floh er über die Grenze. Rußland ist groß. + + + 14 + +Der Gendarm erstattete die Anzeige. + +Die Herren vom Gericht nahmen sich der Sache mit großem Eifer an. Ein +Steckbrief wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen hüben und +drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen angebahnt, damit, wenn +man ihn faßte, kein Aufschub entstand. + +Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch immer frei herumlief, +lachte zu alledem und sagte: »Was gebt ihr euch für Müh'! Das Kind wird +ihn schon holen gehn.« Sie hütete sich wohl, in ihrem Hause zu bleiben, +und selbst für kurze Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn sie +fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde. + +Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen und ein paar Männern, +die dazu aufgeboten waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. Die +Männer wechselten ab, denn keiner konnte für die Dauer die Nachtwachen +vertragen. Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage streifte sie herum +wie ein wildernder Jagdhund. Wo und wann sie schlief, wußte keiner. + +Wenn einer von den fremden Gendarmen, die den hiesigen jede zweite Nacht +ablösen kamen, gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: »Ich denke, +wir stellen die vergebliche Arbeit ein, denn er müßte schön dumm sein, +uns freiwillig in die Arme zu laufen,« dann wehklagte sie und flehte mit +erhobenen Armen: »Erbarmen, Pons Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird +ihn schon holen gehn, -- wird ihn schon holen gehn.« + +Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher Zeit und gar nicht weit +vom Kirchhof Madlyne im Graben lag -- dicht an dem Wege, der von der +Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich heimlich in dem Hause +eines früheren Bewerbers auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn +nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn es dunkel wurde, schlich +sie sich hinaus auf Wache für den Fall, daß er vorbeikommen sollte. + +Manchmal war es noch kalt, und manchmal regnete es, aber sie fror nicht +und ließ sich ruhig durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen fiel +ihr schwer. Darum legte sie sich gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf +den Kopf, die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend nach +vorn überneigte. Und von dem Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach. + +Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises Stimmengeräusch oder ein +Säbelklirren sich hören; ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch +ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie höhnisch und schüttelte +die Fäuste in das Dunkel hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr. + +Aber in einer Nacht -- es mag die vierzehnte oder fünfzehnte ihres +Dienstes gewesen sein --, da muß der Schlaf sie doch überwältigt haben, +oder aber er war nicht auf dem Wege, sondern quer über die Felder +gegangen, denn plötzlich hörte sie auffahrend vom Kirchhof her Knallen +und Männergeschrei. Und die Stimme Alutens mischte sich keifend darein. + +Da wußte sie: sie hatten ihn. + +Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der plötzlich aufgeflammt war. + +Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei Männer brachten ihn geführt, +und Alute tanzte um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte und die +Zunge ausstreckte. + +In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen Flasche, die wohl +beim Kampfe mitten durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für die +Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch einmal die ewige Ruhe hatte +erkaufen wollen. + +Madlyne warf sich ihm in den Weg und küßte die eisernen Ringe, in die +sie seine blutigen Hände gesteckt hatten. + +Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch und schritt weiter -- seinem +Schicksal entgegen. + + + + + Jons und Erdme + + + 1 + +Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben nicht weit vom Matzicker +Walde zwei Liebesleute -- der Jons Baltruschat und die Erdme Maurus. + +Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben will auf Erden! Selbst +die Aller-, Allerärmsten, die kaum das nackte Leben haben, möchten ein +Nest bauen. + +Der Jons ist das, was der Litauer einen »Antrininkas« nennt, der »Knecht +eines Knechtes«. Das sagt wohl genug. + +Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr Glück machen wollen. Vorläufig +dient sie als Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus nicht weit +vom Bahnhof, das die Leute in Heydekrug meistens das »Hotel +Lausequetsch« nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten Zeit hat +es sich sehr gehoben. Sogar die besseren Viehverlader verkehren +bisweilen darin. + +Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat seine blanken Kirchgangsstiefel +an und die schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. Und die Erdme +-- die ist nun gar eine Feine! Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! +Sie hat ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft und eine +halbseidene Bluse an, die hinten zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die +Kellnerin geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen hinderlich war. + +Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber das ist auch alles. Eltern +mit Haus und Hof haben sie nicht. Überhaupt -- wo sie herstammen, davon +reden sie lieber gar nicht. + +Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um acht kommen die +Handwerksburschen, die bringen Feiertagsfladen von der Walze mit und +wollen reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr üppig zu. In der +Küche werden jetzt sogar Ölsardinen gehalten, und das Öl darf man +hinterher austrinken. + +Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. Wie wird eine Frau, die an so +vornehme Lebensart gewöhnt ist, später neben ihm aushalten wollen? + +Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was hat das alles zu sagen gegen +einen eigenen Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das Leben doch +erst eigentlich an. + +Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl -- aber wie? Die Vögel, die +ringsum Halme suchen, die haben's leicht. Denen liegt der Baustoff frei +auf der Straße, und für ihren Nestplatz brauchen sie auch nichts zu +zahlen. + +Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet ihm Mut zu. Und so ganz ohne +Vermögen sind sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch ihre +Beutelchen vor und breiten die Schätze neben sich aus, geben aber +sorgfältig acht, daß beide nicht untereinander geraten. Denn das kann +erst nach der Trauung geschehen, wenn die Gütergemeinschaft erklärt ist. + +Das Häufchen der Erdme ist viel größer als seines, so groß, daß er +beinahe argwöhnisch wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig +Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen. + +Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie kann doch Auskunft geben. +Das goldne Zwanzigmarkstück, das den Hauptstock bildet, hat ihr einmal +ein Betrunkener geschenkt, der hernach verhaftet wurde. Doch das macht +ja nichts, wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und auch das übrige +ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, wie sie Bräutigams nicht +gerne sehen, sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die höchstens +einmal in die Küche kommen, um ein ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es +sich kneifen läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler durchaus +an Kindesstatt annehmen wollen und sich erst nach vielem Zureden damit +begnügt, ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr hat er gerade +nicht bei sich gehabt. + +Das alles ist also in guter Ordnung, aber die lumpigen fünfundzwanzig +Mark, die er sich in zwei Jahren -- und mit was für Opfern! -- von +seinem Lohne erspart hat, können sich daneben nicht sehen lassen. + +»Ach was,« sagt die Erdme, »zusammen sind das einundneunzig. Und für +hundert kann man sich schon ein Haus bauen.« + +»Ja wo?« fragt er. »Etwa im Monde?« + +»Durchaus nicht im Monde, sondern sogar ganz nah' von hier. Auf der +anderen Seite von Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor die +Kolonie Bismarck liegt.« + +»Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe und die Mörder hausen,« meint +er, denn in gutem Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck. + +Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es Diebe und Mörder überall, und +zweitens kommt es zunächst darauf an, daß man ein Haus über dem Kopfe +hat. Dort ist man sozusagen beim preußischen Staat zu Gaste, der Grund +und Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn kann sich keiner +erdenken. + +Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, für hundert Mark ein Haus zu +erbauen, aber sie weiß es genau. + +»Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,« sagt sie und lacht ihm +verstohlen zu. »Nachhelfen tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo +es herkommt.« + +Nun lacht auch er, und der Entschluß wird besiegelt. + +Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft haben, betrachten sie +einander und finden, daß sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann. + +Er -- straff, breit, knorrig, mit wagerechten Trageschultern und zwei +Fäusten, die nicht mehr loslassen, wo sie einmal zugepackt haben. + +Sie -- eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig mit federnden Armen +und Schenkeln von Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, in denen +zwei Augen listig und lustig Nähe und Ferne nach Beute durchmustern. + +Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem Schwersten Stand zu halten und +das Widrigste mit Schlauheit zu umgehen. + + + 2 + +Zuerst der Moorvogt. + +Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher der Kolonie, der +zweitausend Lebensschicksale sorgsam und strenge an obrigkeitlicher +Leine führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; doch wer und +was das eigentlich ist, ahnen nur wenige. + +Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt. + +Mit List und Gewalt haben sie sich beide aus ihren Dienststellungen +freigemacht. Die Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste an +den Kopf werfen lassen und hierauf mit einer Anzeige wegen +Körperverletzung gedroht, so daß sie schließlich mit dem Zeugnis auch +noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, und der Jons, der weniger gerissen +ist, hat seinem Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag in Aussicht +gestellt, falls er ihn nicht auf der Stelle abziehen lasse. Manchmal +hilft das, manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal hat es +geholfen. + +So wandern sie also wohlgemut auf der Rußner Chaussee zur Kolonie +Bismarck hinaus, die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt und sich +so weit ins Moor hinausstreckt, daß man ihr Ende nirgends absehen kann. + +Als sie an der langen Brücke sind, die über die Sumpfniederung führt, +bleibt die Erdme an dem schwarz-weißen Geländer stehen und zeigt auf die +Kuhblumen hinunter, die ihre buttergelben Köpfe aus dem +Überschwemmungswasser stecken, und sie sagt: »Wie die Blumchen da +vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden wir auch vorwärts kommen.« + +Und der Jons meint dasselbe. + +Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause stehen, in dem jetzt der +Moorvogt wohnt, da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe. + +Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen die Vierzig, mit ernsten Augen +und einem Munde, der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart sieht er +nicht aus, aber seine Rede ist scharf und gemessen. Angst muß man schon +darum vor ihm haben, weil er so mächtig ist. + +»Also anbauen wollt ihr euch?« + +»Jawohl.« + +»Seid ihr verheiratet?« + +Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das Aufgebot kann jeden +Augenblick bestellt werden. Jetzt gleich, wenn er will. + +»Sind die Papiere in Ordnung?« + +Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an. + +»Sind die nötigen Mittel da?« + +Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze ziehen sie ihre Beutelchen. Das +Goldstück, das bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen Eindruck +zu machen, denn zum ersten Male geht ein Lächeln über sein Gesicht. + +Und er greift nach Mütze und Hakenstock und sagt: »Kommt mit.« + +Dann geht er ihnen voran auf einer Straße aus Knüppeln und Lehm, die +geradeswegs von der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. Das sieht +nun freilich fürs erste nach allem aus, nur nicht nach einem Moor. +Rechts und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen bis in den +grauen Dunst hinein. _Die_ Häuser haben etwas mehr als hundert Mark +gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und ringsum Ställe und +Schuppen! Und Gärten sogar -- die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! Und +jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, aus Quitschen und Birken -- +weiß wie Schnee und schnurgerade. + +Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber zu reden wagen sie nicht. Sonst +wären sie vielleicht noch umgekehrt. Denn wie kann man je daran denken, +solche Herrlichkeiten sein eigen zu nennen? + +So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. Eine Wirtschaft folgt der +anderen, ein Ackerfeld dem anderen. Nur hie und da auf höherem Boden, +wie aus Versehen stehen geblieben, ein Gebüsch von krüppeligen Fichten, +die kaum einmal die Kraft haben, Nadeln zu tragen. + +Dann allmählich verändert sich das Bild. Die Wohnhäuser werden ärmlicher +-- demütiger, möchte man sagen --, die Wirtschaftsgebäude hören auf, und +statt der beackerten Felder breiten sich kahle Moorheiden aus bis ins +Endlose hin, von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, die vom +Torfstechen übriggeblieben sind. Auf denen sprießt ein junges Sumpfgrün. +Sonst ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist alles. + +Der Moorvogt hat den ganzen Weg über kein Wort zu ihnen gesprochen. +Jetzt wendet er sich um und sagt: »Hier könnt ihr euch nun eine +Baustelle aussuchen.« + +Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den Moorboden hinaus, der unter +ihren Füßen quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt den Stock +einstößt, bleibt ein wasserglänzendes Löchelchen übrig. + +Da endlich macht der Jons seinem bedrückten Herzen Luft und fragt +beinahe schreiend: »Kann man denn hier überhaupt bauen?« + +Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück und in die Runde: »Die haben +alle einmal so gebaut,« sagt er. »Das Trockenmachen ist eure Sache.« + +Jons und Erdme sehen sich an und denken: »Was die anderen gekonnt haben, +müssen wir auch können.« Und so suchen sie sich aufs Geratewohl einen +Platz für Haus und Ackerland und sind dabei immer dem Weinen nahe. + +Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden Schritten die ungefähr in Betracht +kommende Fläche. »Diese Parzelle,« sagt er dann stehen bleibend, »gibt +euch der Staat zur Bewirtschaftung. Sie wird natürlich genau ausgemessen +werden und ist dann einen Hektar groß. Geht es euch gut, so dürft ihr +später noch drei weitere dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei mir an +und gebt eure Unterschrift. Bis dahin überlegt es euch. Braucht ihr +einen Rat, so bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!« + +Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er. + +Nun stehen sie da und sehen sich wieder an. + +Ja oder nein? + +Nein -- dann müssen sie zurück in Dienst -- in einen härteren +vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, obgleich das kaum noch möglich +ist, und die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für Jahre. Wozu sind +sie jung und übervoll von unverbrauchten Kräften, die sich sonst für +Fremde erschöpfen müssen? Also ja -- dreimal und tausendmal ja. + +»Was die anderen gekonnt haben, müssen wir auch können,« wiederholt der +Jons noch einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. Und damit sind +sie fertig. + +Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, sich für die nächsten Monate +ein Obdach zu besorgen. + +Sie gehen also an die ersten zwei Leute heran, die sie auf dem Acker +arbeiten sehen, und sagen: »Wir wollen uns in der Nähe anbauen. Könnt +ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?« + +Der Mann, der sanftblickende Augen hat und dem um das magere, bartlose +Gesicht langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, sieht sie lange +an und fragt dann: »Seid ihr verheiratet?« + +Erdme lügt rasch »ja«, denn sie überlegt sich, daß ihr wahrhafter Stand, +mag er noch so kurze Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten +Hindernisse bereiten würde. + +Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist und die so aussieht, als muß +sie immer Senf aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die sagt: »Wir +sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht nach den Geboten des Herrn lebt, den +nehmen wir nicht auf.« + +Erdme sagt: »Auch wir wollen uns den Erleuchteten zuwenden,« denn sie +weiß sofort, daß sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen erlangen +werden. + +Betten wird sie mitbringen, und so ist für Unterschlupf gesorgt. + +Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an. + +Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, sieht noch einmal ihre Papiere +durch, und dann gibt Jons die Unterschrift. + +Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte und trägt sie als +Brautleute in die Register ein. + +Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme vorhin ausgesprochen hat, und +fragt: »Die Zeit ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon einziehen +dürfen?« + +Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan hat, als er ihr Vermögen +besah, und sagt: »Die Aushängebogen liest keiner.« + +Damit sind sie entlassen. + +Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das wichtigste von allem -- außer +dem Pfarrer natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden muß. Das ist +für Jons, sich eine regelrechte Arbeit zu beschaffen, damit durch den +Tagelohn für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und ab und zu noch ein +paar Groschen in die Baukasse kommen. + +Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik und der Sägemühle, die +beide jetzt zum Frühling Leute brauchen. Jons wählt die Sägemühle, weil +er hoffen kann, dort am ehesten Gelegenheit zu billigem oder -- wenn das +Glück es will -- auch kostenlosem Holzerwerb zu finden. + +Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug zurück, -- und siehe da! +kaum nachgefragt, da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, daß er +am nächsten Morgen antreten kann. + +Zwei Mark pro Tag -- so viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht +verdient. + +Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen sie sich, daß noch nie ein +Tag da war, der sie ein so großes Stück im Leben weiterführte. Aber er +hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und da sie beileibe kein Geld +ausgeben wollen und zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, so +scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen Zuhause ein paar +Saatkartoffeln aus einer Miete, was gewiß eine große Sünde ist, aber der +Besitzer hat noch genug, und so geschieht niemandem ein Schade. + +Die Taschen voll kommen sie heim, und als sie beim Abkochen ein +andächtiges Abendlied singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar noch +ein Stückchen Speck dazu. + + + 3 + +Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne den geht nichts. + +Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn wenn Jons auch um drei aufsteht, +um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, und abends ist sein +Helfen auch nicht viel wert. Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am +Leibe. + +Aber Erdme -- die schafft es. Sie steht bis zu den Knieen im eiskalten +Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht -- quer durch das +widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch keine Menschenkraft +bezwingbar scheint. + +Der fromme Taruttis -- so heißt der Wirt -- sieht von weitem ihr +maßloses Mühen, und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt +er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr über die schwersten +Stellen hinwegzuhelfen. + +Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt, die +kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden. +Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache, aber man muß Zeit +dazu haben. Sonst wird es zur Landplag'. + +Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein +Glücksfall erwiesen. Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man +auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren, in welchem Walde und an +welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt. + +Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit gebundenen Händen irgend +einem Aufseher auszuliefern, dem es beliebt, ihn anzuhalten. + +Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, die als Eckpfeiler eines zu +erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für +blankes Geld von einem Besitzer, der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein +schönes Eckchen seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er einen +regelrechten Kaufschein, den er fortan als Schirm und Schutz in seiner +Tasche mit sich führt. Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht +einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der nicht ganz so rechtsgültig +erworben ist, da kann er sich des guten Gewissens erfreuen, das solch +ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht. + +Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, der natürlich nichts Böses +ahnt, und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein. Ob der +nun hilft oder was Anderes, kurz, auch der dritte Stamm gelangt +unangehalten nach Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, da kommt +als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen. + +Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden +und kostet beim Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für die +fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat. Ein +Glück ist, daß die sich bereit erklären, auch bei der Trauung am +nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, daß sie +hernach drei süße Schnäpse bekommen. + +Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich, er hat nicht +einmal die Lichter angesteckt, so gering achtet er sie. Zum Schlusse +reicht er ihnen die Hand und sagt: »Von nun an könnt ihr in Ehren +beieinander wohnen.« + +Als ob das ohne den Pfarrer so ginge! + +Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, als er am Sonntag das junge +Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint die +Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; aber da sie schon halbwegs +zu den Erleuchteten gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet +bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt es ihnen weiter nicht +nach. + +Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende +Rautenblättchen, die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren +wollen, und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an. + +Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, sie aber schämen sich, auf +einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute +sitzen, und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler. +Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an, sondern bekneifen sie +mit den heißen Fingern. + +Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt kommt erst eine große +Hochzeitsgesellschaft, die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben +Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner laufen umher, und die +Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall. + +Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, und ihre Zeugen riechen +nach Mist. + +Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat, +fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang. + +Der Pfarrer -- ein junger Mann, mit einem Traumdeutergesicht -- blickt +ihnen freundlich entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den +Altar zu treten wagen, öffnet er die rotgepolsterten Schranken und +schreitet auf sie zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen. + +Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im Buche stehen, sondern hält +ihnen eine genau so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt hätten. + +Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung, +die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt +ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn sie fleißig und +beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem -- vor allem, vor +allem! -- den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen. + +Jons und Erdme weinen sehr, und jeder von ihnen schwört sich zu, die +Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen. + +Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu +werden beginnt, da müssen sie doch daran gehen, den vierten der Stämme +aus dem Walde zu holen, denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein. + +Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon gestern in sicherem +Gewahrsam untergestellt haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem +Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, ziehen sie beschämt und +beklommen auf Raub aus. + +»Wenn man so arm ist wie wir, dann kann das unmöglich eine Sünde sein,« +tröstet die Erdme sich und ihn. + +»Eine Sünde ist es schon,« antwortet der Jons, »das hat ja noch heute +der Pfarrer gesagt. Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, dann wollen +wir alles wieder gut machen, worin wir uns jetzt vergehen müssen.« + +Und das geloben sie einander, während sie im Chausseegraben die +Nachtstille abwarten. + +Und noch manches geloben sie. Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen +und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein +gutes Beispiel geben. + +»Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut haben,« meint der Jons. + +Und die Erdme gerät ins Schwärmen: »Wenn ich Töchter kriege, dann sollen +sie in Samt und Seide gehen -- und ihre Hochzeiten sollen acht Tage +dauern -- und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein +Gendarm.« + +Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich, darum spinnen +sie ihn nicht weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker Waldes zu +verschwinden, wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als +frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt. + + + 4 + +Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für den Winter noch nichts zu essen +hat! Die Tage werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat geschafft sein. + +Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten Frühjahr allenfalls in +Arbeit genommen werden kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und +nachdem die Quergräben gezogen sind, die die weitere Trockenlegung +verlangt, kann das Urbarmachen beginnen. + +Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai -- wenn man das Morgen nennen kann, +denn noch stehen die Sterne am Himmel --, da schultern sie Hacke und +Spaten und ziehen hinaus auf das kahle Moor, dorthin, wo die vier +Kiefernstangen lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt auf Vorrat +schlafen. + +Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen die Grenzen des Ackers, +der nun werden soll. + +Den beiden ist bang und feierlich zumut. Gemeinsam zu beten getrauen sie +sich nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum spricht +jeder von ihnen sein Vaterunser ganz im geheimen, als ob er Wunder was +Unrechtes täte. + +Und dann geht es los. + +Die oberste Schicht des Moores, die aus lebendigen Pflanzenstoffen +besteht, muß zerkleinert und heruntergeschält werden -- »abplacken« +nennt man es --, weil der drunter liegende Boden erst dann, wenn sie mit +ihm gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, die eine Aussicht +auf künftige -- wenn auch spärliche -- Ernten eröffnet. + +Die paar Stunden der Frühe vergehen im Fluge. Dann muß er ja weg, um mit +dem Taglohn Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo soll der Stoff zum +Hausbau sonst herkommen? + +Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. Zuerst die Latten oder +Schwarten, mittels deren die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das +Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses bilden soll. Dann die +Sparrbalken -- die Sparren selbst -- die Ziegel für die Feuerstätte und +so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden kann. + +Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will hinter dem andern +zurückstehn. Von einem, dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und um +acht Uhr abends endet, kann niemand auf Erden sagen, er habe es sich zu +knapp bemessen. + +So kommt der Acker rasch voran. + +Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, um sich den rieselnden +Schweiß aus den Augen zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter sich +stehen. + +Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark Pacht, die für das erste Jahr +gezahlt werden sollen -- später werden es dreißig --, sind noch nicht +abgeliefert. + +Er sagt: »Es ist spät im Jahr. Werdet ihr mit der Aussaat +zurechtkommen?« + +Und sie antwortet: »Wie Gott will.« + +»Gott will, wie der Mensch will,« sagt er. »Wenn er erst weiß, daß ihr +tüchtig seid, wird er euch nichts in den Weg legen.« + +Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, schon geschält, wie Silber in +der Sonne funkeln. + +»Schöne Stangen habt ihr da,« sagt er und sieht Erdme dabei mit schiefem +Munde halb von der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen +Gänge verborgen geblieben. + +In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den Sohlen den schwarzen +Schlamm von den Beinen, denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung +fragen werde; aber die Frage bleibt aus. + +Auch ein Haufen Schwarten liegt schon da, die Jons sich für billiges +Geld unter den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen dürfen. + +Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die untauglichen zeichnet er +mit der Spitze seines Hakenstocks. + +»Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben sind,« sagt er und +wendet sich ohne Gruß wieder dem Wege zu. + +»Da geht er hin wie der liebe Gott,« denkt Erdme und ist sehr froh, mit +heiler Haut davongekommen zu sein. Vieles an ihm begreift sie nicht, +aber beim lieben Gott geht es einem ja ebenso. -- + +Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel Saatkartoffeln gekauft, +glasblank und dünnschalig, wie sie für den Moorboden gut sind. Die +werden in Hälften geschnitten und in die flachen Rücke gleichsam obenauf +gelegt, denn nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende +Wasser. + +»Auch die sind redlich erworben,« sagt Erdme mit Stolz. Und darum +brauchen sie sich nicht zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet +zu tun. + +Aber noch muß viel zusammengegrapscht werden! + +Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken zurechthackt, mit blankem +Gelde zu bezahlen, während sie freundlich in den Wäldern herumliegen, +wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber vorsichtig muß man schon sein, darum +wird Jons auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln käuflich +erstehen und ärgert sich bloß, daß er den Schein dafür nicht gleich vor +den Mützenschirm stecken kann. Jetzt und auch bei den nächsten Fahrten +hernach, wenn alles an Ort und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens +der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der fragt ja nicht, wie man +weiß. + +Eine Nacht um die andere ziehen sie los, denn ab und zu schlafen muß +doch der Mensch. + +Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. Ihm hat der Kaufschein die +Augen verblendet. Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht +nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum betet er fleißig für sie, +während sie auf seinem Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und Hopp +nach Hause fahren. + +Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn sie ihn nicht übertrumpfen +kann, steht sogar im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes +bereitzuhalten. + +So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, und die Baukasse wird kaum +einmal magerer. + +Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die Aufrichtung des Hauses +vonstattengehen kann. Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen nun +freilich nicht, und darum entschließt sich Erdme auf des Taruttis Rat, +bei den Nachbarn herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten. + +»Talka« heißt auf deutsch »Arbeitsgesellschaft«, und auf solchen +gemeinsamen Hilfeleistungen beruht vieles, was unter diesen armen +Menschen, die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, an Tüchtigem +zustandekommt. Dafür erweist man sich dann später dankbar, wenn der Ruf +an einen selber ergeht, und alles schließt mit einer fröhlichen +Bewirtung, so viel oder so wenig der Bittende zu geben vermag. + +Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand die Häuser, in denen sie +vorsprechen kann, und die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt +einer, der hilft _nicht_, aber dort wohnt einer, der hilft, weil man ihm +selber geholfen hat. + +Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf der anderen Seite des Weges +sein kleines Anwesen hat, geht Erdme zuerst. + +Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen und ist weit in der Welt +herumgewesen. Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm bekannt sein, +so daß er schon manchem der Langeingesessenen einen guten Ratschlag hat +geben können. + +Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu Mitte der Dreißig, der die +Gewohnheit hat, beim Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und dabei +zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie er die Erdme daherkommen sieht, +die frisch von der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und +aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, macht er große Augen +vor ihrer Glieder Pracht, um dann erst -- gleichsam erschrocken -- den +Blick von ihr wegzuwenden. + +Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes Litauisch, etwa wie die +Pfarrer sprechen, die es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt +aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist gut und höflich zu ihr -- +nur, daß er sie nicht ansehen kann. + +Seine Frau kommt später zum Vorschein. -- Eine Halblitauerin ist auch +sie, klein und kümmerlich -- ach Gott, wie sehr! --, mit grauer +Gesichtsfarbe und abgemüdeten Augen. Sie wirft einen neidischen Blick +auf Erdmes kräftige Gestalt, begrüßt sie dann aber ganz freundlich. + +»Wenn wir nun Nachbarn werden,« sagt sie, »möge Gott geben, daß Frieden +zwischen uns bleibt.« Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern ihren +Mann an, der auch vor ihr den Blick zur Seite wendet. + +»An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,« sagt Erdme und verabschiedet +sich. Sie fühlt sich zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man ja +sehen kann, das Unglück im Hause sitzt. + +Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen ist, hat sein Eigentum +dicht neben dem kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase sitzt und so +niedrig ist, daß man bloß auf eine Fußbank zu steigen braucht, um +darüber hinwegzublicken. Diese Wirtschaft sieht schon etwas +vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an den grünen Simsenbüscheln +rupfen zwei magere Kühe. + +Der Besitzer heißt Smailus und hat vor kurzem schon die zweite Frau +begraben. Er ist ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an die +Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht und langhängendem +Hetmansschnurrbart, aber seine Augen haben einen stumpfen und +schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn nichts anginge. + +Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins Leben, das sich dicht hinter +ihm aus dem Hause drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens +dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, aber unter dem Halse hat +sie eine goldene Brosche sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins +Gespräch und sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem ganz kleinen +Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei sie immerhin, und was sie tun +könne, um Frischzugezogenen das Leben zu erleichtern, das solle gewiß +geschehen. + +Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine Ding, das mit dem Maulwerk +vorneweg ist wie eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht anders +sein kann, und sagt bloß: »Ja, ja, das Bauen und das Begraben muß man +schon immer gemeinsam verrichten.« + +»In dem Begraben hat er wohl Übung,« denkt die Erdme, sich bedankend, +und die Kleine begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich. + +Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt sie, und dann wird sie in die +Stadt gehen und ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein, +wie es in der Kolonie schon viele getan haben. Vorerst aber muß sie dem +Vater noch eine Frau besorgen. So eine schöne und starke wie Erdme wäre +ihr schon recht -- aber Geld muß sie haben --; die zweite, von der sie +die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt -- bloß nicht genug --, und ob +Erdme nicht eine weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann. + +Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der Kleinen schlägt ihr aufs Herz +wie ein starker Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen Lebens +vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch ihr Schicksal liegt nun bereits +so steinern fest, daß keiner auf der Welt mehr daran rühren kann. Wie +eingesunken in diesen Moorschlamm liegt es, der keinen Grund und Boden +hat und nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen Wurzelfäden +umwindet. + +Die Kleine heißt Ulele. »Das ist ein altertümlicher Name,« sagt sie, +»den ich natürlich nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen +sein wird.« + +Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht ihr traurig und bewundernd +nach, wie sie mit ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich +flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und die Lumpen flattern an ihr +wie zwei Fledermausflügel. + +»Für mich ist es nun schon zu spät,« denkt Erdme. »Ich muß warten, bis +ich Töchter kriege.« -- -- -- + +Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn es auch schon älter scheint, +doch noch zur Nachbarschaft gehört. Es macht aus der Ferne gesehen einen +recht kläglichen Eindruck, und gerade darum möchte Erdme es kennen +lernen, denn sie will wissen, wie man sich hier behelfen muß, wenn man +ganz arm bleibt. Gleichsam als abschreckendes Beispiel will sie es +kennen lernen. + +Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei gezeigt, und als sie ihn am +Mittag noch einmal fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit dem +Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier nichts zu mähen gibt. + +So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt er: »Über meine Nächsten rede +ich nichts Böses, und wenn ich Böses reden müßte, so schweige ich +lieber.« + +Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, aber als sie gegen den Abend +desselben Tages wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom Wege aus +angerufen. + +Sie sieht einen kleinen, alten Mann im Graben sitzen, der einen Arm voll +Weidenruten neben sich liegen hat und einer gerade mit dem Taschenmesser +die Haut abzieht. + +»Was willst du von mir?« fragt sie, ohne sich stören zu lassen. + +»Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?« ruft er herüber. + +»Das kann schon sein,« sagt sie. »Arme zum Helfen kann man immer +brauchen.« + +»Zwei Arme hab' ich auch,« sagt er. + +»Gehörst du zur Nachbarschaft?« fragt sie. + +»Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,« sagt er, »daß du heute schon +zweimal an meinem Haus vorbeigegangen bist.« + +Und er weist mit seinem Messer gerade auf das Anwesen hin, von dem der +Taruttis durchaus nicht reden will. + +Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, mit dem sie die Rücke +glättet, und tritt näher auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus +zusammengebettelten Kleidern sich streckend ein zahnloses, plieräugiges +Greisengesicht, dem die Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen +Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem Aussatz klebt. + +Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er aus. + +Sie fragt: »Wer bist du denn?« + +»Ich bin ein verdienter Mann,« sagt er und fährt fort, seine Ruten zu +schälen. »Durch fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat tätig +gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, da er mir keine +Altersversorgung zahlen will. Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß +Ruten flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt werden, die ich +ganz ohne Lohn vollbracht habe ... Übrigens bin ich noch stark bei +Kräften, und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten willst, so +werde ich dir die Balken heben wie ein Spielzeug.« + +Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt sie sich auf die abweisenden +Worte des milden Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, der sie +beim Näherkommen befallen hat, und darum antwortet sie: »Ich danke dir, +Nachbar, für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat schon ihre volle +Zahl.« + +Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt vom Grabenrand auf und speit +ihr seine wilde Bosheit sozusagen ins Gesicht. + +»Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?« schreit er. »Haben +die Ohrenbläser dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner will +mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses von mir nehmen! Aber ich +werd' es euch antun! Wenn das Unglück kommen wird, die große Not, die +Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen werden zu Brei und euer Herd +sinken wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt sitzen werdet im +Schornstein und schreien um Gnade, dann werde ich lachend anspannen +lassen die Arche Noah und vorüberfahren und lachen über das Todesquieken +eurer Schweine und das Todesgebrüll eurer Kuh -- am meisten aber werde +ich lachen über euch selber, wenn der Schornstein zusammenfällt und das +schwimmende Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es sein. Amen.« + +Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten auf, zieht die zerlumpten +Beinlinge über den Hintern und geht seines Weges, aber immer noch kehrt +er sich um und schüttelt die Faust und speilt die roten Gaumen. + +Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen von dem höllischen Feuer auf +sie niedergefallen. Wenn das das Ende sein soll, warum bauen sie dann +erst? Und warum haben die anderen gebaut? Doch deren Häuser stehen ja +noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln in der Abendsonne. Es +ist also wohl der böse Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat +abschnüren wollen. + +Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als Jons von der Arbeit kommt +und ihr mit Stolz zeigt, was er alles mitgebracht hat. + +Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen Drahtnägeln, denn +ohne die geht's nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen Kornschnaps +aus der Schmidtschen Destillation und alle die Zutaten zu einem süßen +Fladen, der heute noch gebacken werden muß. + +Die Taruttene liefert das Mehl und viele erbauliche Sprüche dazu, und +als die Hähne krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste dampfende +Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, wo er die Nacht über Balken behauen +hat wie ein gelernter Zimmermann. + +Aber von dem bösen alten Mann sagt sie ihm nichts. + + + 5 + +Und nun ist es wieder Nacht geworden, und das Haus steht gerichtet. Die +vier Kiefernstämme sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß rund +um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel hochschoß wie ein Quell, und +sind dann durch die aufgenagelten Latten verbunden. Oben darauf haben +sich Sparren und Sparrbalken zum Dachgerüst zusammengefügt, und die +künftige Zimmerdecke ist genagelt. + +Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die viereckigen Stücke der obersten +Moorschicht, die für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger aber, +um später von außen her an die Latten geklatscht zu werden und so eine +mauerähnliche Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und Wärme gibt. + +Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft und ruht sich aus. Der +fromme Taruttis natürlich und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der +halbdeutsche Fremdling, und der lange Smailus mit seiner kleinen Ulele, +die ihm meistens das Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat sie wie +ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, und wo keiner die Schlinge +befestigen konnte zum Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand hat +sie viel klettern gesehen. Fixes Ding! + +Müde sind sie und warten voll Freuden des kleinen Festes, das der +Besitzer ihnen zu bieten hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem +Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal reihum. + +Nur die Frau des Witkuhn fehlt. »Sie ist immer elend,« sagt er, »und muß +mit den Hühnern zu Bette.« + +»Da werd' ich mich dir wohl bald erkenntlich zeigen können, Nachbar,« +meint die Erdme. Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes Gesicht +geht rot eine Flamme wie von verbotener Freude. + +Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja immer, und zum Überfluß steht +der Mond ziemlich hoch. + +Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu singen, damit die bösen +Geister das unfertige Bauwerk nicht umschmeißen können, und das +geschieht denn auch. + +Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, daß auf dem Wege, der wohl +hundert Schritte abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und her +bewegt. + +Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den bösen alten Mann von +gestern. Die Stimme zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den +heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, bis sie zu Ende sind, +dann weist sie mit der Hand auf den Schatten hin, der in dem ungewissen +Mondlicht zu tanzen scheint. + +Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht ein Wort. Es scheint, sie +fürchten sich alle. + +Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, bis er fragt, was da los ist. + +»Scht« macht die Taruttene. + +Der lange Smailus grunzt etwas vom »Kipszas«, dem Satan, und seine +Tochter, die Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: »Es +müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich nicht gebeten hätte, heute +zur Talka zu kommen, denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.« + +Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern mit ihm begegnet ist. + +»So versucht er es immer aufs neue,« sagt Taruttis, »denn der Arme kann +es nicht verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu schaffen macht.« + +Jons fragt: »Warum tut man es nicht?« Und Erdme meint, abscheulich genug +sehe er ja aus, aber das könne unmöglich allein die Schuld daran tragen. + +Und da erfahren sie beide seine furchtbare Geschichte. Sie ist weit +furchtbarer, als Menschen sich ausdenken können. + +Als ein überführter und geständiger Raubmörder hat er fast sein ganzes +Leben im Zuchthaus zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode geschleift, +mit dem er zusammen nächtlicherweile auf einem Wagen gefahren war, und +zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit dem einen Ende um die +Radfelge, mit dem anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, als er +nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen ist, hat er dasselbe +Kunststück noch einmal probiert -- an einem Fuhrmann, den er auf +stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden hatte. Aber diesmal +ist es ihm mißglückt, denn dabei war ihm die eigene Hand ins Rad +hineingeraten. Darum hat er auch den Dusel gehabt, trotz der +Wiederholung solch einer Untat noch einmal herauszukommen. Und nun haust +er wie ein Dachs in seiner Kate, die er sich als junger Mensch gebaut +und in der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen +Vorrichtungen gegen die Überschwemmung versehen hat. Worin sie bestehen, +weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm hinein; von außen aber liegt +an der Wand eine schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis zum +Fenster hinauf alles verbirgt. + +Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und doch läuft es ihr einmal +nach dem anderen kalt über den Leib. Und während der alte Raubmörder in +seiner Sehnsucht nach Menschen dort auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie +so leise wie die anderen, mit was für fürchterlichen Worten er ihr die +künftige Wassersnot ausgemalt hat. + +Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe Frage, die ihr seit gestern +wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht: »Wenn die wirklich einmal kommen +wird, warum bauen wir uns erst hier an?« + +Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit her ist, das Wort und sagt +beinahe feierlich: »Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute sind und +eine Zuflucht nötig haben. Wo anders gibt man uns keine, sondern hetzt +uns herum.« + +Und dann erzählt er, wie schon zweimal das Hochwasser unermeßlichen +Schaden verursacht hat und daß es für die Zukunft immer häufiger zu +befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: durch die Urbarmachung +sterbe das Torfmoos ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr zu +Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber zu einer Gefahr, die mit +Vernichtung bedrohe, was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich +geschaffen hat. »Aber darum arbeiten wir doch ruhig weiter,« sagt er zum +Schluß und zieht den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen +fühlt, »denn wir lieben dieses Stückchen Erde, das für die anderen zu +schlecht ist und wo uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben auch die, +die das gleiche mit uns tun und erdulden.« + +»Und wir lieben auch den lieben Gott,« sagt der fromme Taruttis, »der +Gutes und Böses über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der Mensch +sogar ein Mörder wird.« + +Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, denn er hat lauter gesprochen +als die anderen, aber da ist das graue Gespenst schon fort. + + + 6 + +Wie macht man einen Herd? Wie baut man einen Ofen? Der Boden trägt ja +nichts. Willst du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er nach und +schluckt es langsam unter. + +Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores. +Und er ist immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber nicht etwa von +selber kommt er. Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die +Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. Und ruft man ihn nicht, +so geht er von dannen. + +Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer von den Deutschen benimmt +er sich nicht, die immer eine große Schnauze haben und die Litauer als +Vieh ansehen. Und er verkehrt auch nicht mit ihnen, soviel ihrer auch +auf der Kolonie herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem eine Heimat +fehlt. + +Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. Schleppt sich 'rum und tut +ihre Arbeit mit Wehklag'. Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre das +nötigste oft nicht getan. + +Und nun ist ja auch die Erdme da. Die knapst sich manche Viertelstunde +ab, um für sie Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen auf dem Felde +ist. + +»Wenn mein Kindchen noch lebte,« sagt sie, »dann könnte es mir schon in +manchem behilflich sein.« + +Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter +den Leib zerrissen, so daß er nie mehr ganz heil ward. + +Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine +Wirtin. + +Und dann ist noch das Unglück da, von dem _sie_ nicht spricht und _er_ +nicht spricht und das man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof nur in +die Nähe kommt. + +»Ja also,« sagt der Witkuhn eines Tages, »den Herd baut man so: Man +kauft sich« -- er sagt »kauft«, »holen« sagt er nicht -- »man kauft sich +den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine Kiefer darf es nicht sein, denn +deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, als wäre +er nicht gewesen. Eine Tanne muß es sein -- deren Wurzel hat Querläufer +nach allen Seiten -- die legen sich wie Riegel vor, wenn der Stubben +einsinken will. So trägt er vielleicht den Herd, und ein anderer trägt +auch den Ofen.« + +Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen, wo +Tannen gerodet werden. Solche Stellen sind selten, denn die Tanne ist +ein kostbarer Baum, nicht so gemein wie die Kiefer. + +Er sucht, und er findet. Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen, +und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei Meilen +weit. Der preußische Staat ist reich. Ob der einen Stubben mehr oder +weniger hat, was macht ihm das? Und auch den zweiten kann er noch +leidlich entbehren. + +Aber noch mehrere müssen daran glauben, denn die Schlammschicht ist +tief. Einer muß über den anderen gelegt werden, und dann erst hält der +Grund so fest, daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann. + +Aber die Ziegel kann man leider nicht »holen«, denn der Herr +Ökonomierat, dem der große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter und +hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute. + +Vielleicht versucht man es also mit Betteln. Denn weit und breit weiß +jeder, welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist. + +Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal, der mit +Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen. Man kann sich +nicht vorstellen, daß es so viele Bücher gibt auf der Welt. Aber es ist +kein »Bagoszius« -- kein Geldprotz --, der zu ihnen spricht, sondern er +ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die +Zähne und schmunzelt sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. Die +sehen einen durch und durch. + +»Schenken werd' ich euch die Ziegel nicht,« sagt er, als sie ihre Bitte +vorgebracht haben, »denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher. +Aber verkaufen werd' ich sie euch.« + +Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen +können. + +»Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen.« + +Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: Vielleicht probiert man es +doch mit dem »Holen«. + +Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl er litauisch spricht, +beinahe so gut wie sie selber. Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst +lachen sie hell auf. + +_Ob_ sie singen können! + +»Könnt ihr auch Märchen erzählen?« + +Fünfhundert können sie erzählen. Tag und Nacht und noch einmal Tag und +Nacht lang können sie erzählen. + +»So viel will ich gar nicht wissen,« sagt er. »Singt mir zehn Lieder und +erzählt mir zehn Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter finde. +Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden, soviel ihr braucht.« + +Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, damit sie den nötigen Mut +bekommen, und dann geht's los. + +Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich wieder abbrechen. Aber +das vierte ist ihm neu, das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, +die die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf. + +Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister, und damit +haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige Lehm +muß ja freilich doch noch gemaust werden, aber den liefert zur Nachtzeit +die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, und das Strauchwerk, das +als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß, kann man sich ringsum von +den Weidenbüschen schneiden. + +So steigt die Mauer bald bis zur Decke. + +Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran, auf der anderen +der Ofen. Sehr schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten Kacheln +würde sich sicher weit besser machen, und gerade steht er ja auch nicht, +aber wärmen wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin prasseln. + +Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt man im Rauch. + +Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten. Wenn man nur +weiter wüßte! + +»Bei Schmidt auf dem Hofe,« sagt der Witkuhn, »liegt ein Haufen von +rostigen Kannen. In denen ist früher Petroleum gewesen. Da kostet jede +zehn Pfennig. Davon kauft euch ein Dutzend.« + +Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch. + +Aber nun weiter! + +Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus Latten eine vierseitige Röhre +macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch die +Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben +und so hoch geführt, daß sie die Sparren noch überragt. Dann wird unten +von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, -- und siehe da! der +Schornstein ist fertig. + +Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, wie qualmt das -- und stinken +tut es nicht weniger -- vor allem nach Leim und Petroleum, aber das wird +sich schon legen. + +Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat, findet er schließlich +den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin, wo es +schnurgerade in den Himmel geht. Wenn er es im Winter ebenso macht, ist +die Stubenwärme gesichert. + +Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und Dach das ihrige tun. Die +Hauswand -- das ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der kluge +Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie niemals fertig. + +Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein? Er wartet ja bloß darauf, +daß die Erdme ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch. + +Die viereckigen Moorfladen, die man an die Bretterwand preßt, halten +wohl fest, solange sie feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab, +wie Sandbrocken fallen. + +Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine +zweite Wand -- fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die ist ganz +luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. In dem Raum zwischen den beiden +sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber +beruhen. + +Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen. Nur zur +besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde +geklemmt, denn es werden die Winterstürme kommen, und der Sturzregen +wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen. + +So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß und alles kennt, und sieht an +Erdme vorbei, und das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren. + +Wenn sie mit ihm allein ist -- und das geschieht fast alltäglich --, +dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu dem +noch was Anderes hinzukommt, das ihr das Herz beklemmt. Es ist, als +hätte sie Angst vor _seiner_ Angst, denn Angst hat er immer, das ist +ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. -- + +Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich den guten Nachbar erhalten. + +Nach der Hauswand das Dach! + +»Jons, bring Rohr!« Es können auch Binsen sein -- oder beides zusammen. +-- An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn auch das +Moor selbst sie nicht liebt -- oder sie nicht das Moor, was auf dasselbe +herauskommt. Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, und alle sind sie +mit Röhricht umstanden. + +Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last, wenn er +hochgetürmt vom Rußufer daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel, +denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man es findet, versteht sich von +selber. + +In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, so daß man bald ans +Dachdecken gehen kann. Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen +werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen +und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und +besichelt die Enden. Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr +zu, denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen, es sei denn der +eigene. + +O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun sieht es schon bald aus wie ein +Haus. Aber noch fehlen die Türen, die Fenster -- kein Mensch kann sich +ausdenken, was alles noch fehlt. + +Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, der irrt sich. Eines Tages bringt +er zwei Fenster an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, nur daß +die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind. Vorige Nacht hat es +nämlich in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen +und hat gesagt: »Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps. Dem +Versicherungsinspektor erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden, +und dann kriegst du neues dafür.« + +Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein, er hilft sogar dem Jons in +der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den +Handwagen laden. + +Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst, +und wer ihm begegnet, der lacht ihn an, denn er denkt, er habe es aus +dem Brandschutt gestohlen. + +So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht +kommen. + + + 7 + +Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die +Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt, so fragt er +wohl seinen Begleiter: »Wer hat sich das hübsche kleine Hauschen +gebaut?« + +Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet er: »Das ist der Losmann +Jons Baltruschat, der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist.« + +Und der Fremde sagt wohl: »Das müssen fleißige Leute sein.« + +Aber durch die himmelblaue Tür darf er bei Jesu Leibe nicht eintreten, +denn drin sieht es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar nichts. +Nicht einmal die Ritzen, die zwischen den Schwarten klaffen, und die +Astaugen darin sind richtig verschmiert, und überall hängen die Fasern +der Moorschicht. + +Doch lange darf die Schande nicht dauern. + +Vor allem der Fußboden! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor, und das +soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein. Aber da +kennt ihr die Erdme schlecht! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein +Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht. Dann werden die +Wände verklebt, und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. Überall in +den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, bunte Bilder ausgehängt. Die +preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und +Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen. Und +immer kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf dem Speicher +herumliegen, die bettelt man sich zusammen. Und die jungen Gehilfen +lachen und holen sie gern. Außerdem war doch -- Erdme besinnt sich genau +-- in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter +aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen. Der Niagarafall und +die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so noch +manches andere. + +»_Liebe_ Frau Schlopsnies, _gute_ Frau Schlopsnies, ich hab' mich so +sehr nach Ihnen gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, möcht' ich's +fürs Leben gern nach Ihnen benennen.« + +Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen +eigentlich heißt. Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar die +Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei, die Frau Schlopsnies +sich einst gesammelt hat, als sie noch keine alte Schachtel war und als +Kellnerin hochkommen wollte. + +Die sind noch so gut wie neu. Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter +kriegt, dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen +Damen, die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen. + +Und nun wird die Stube geschmückt! Bild neben Bild geklebt, und die +buntesten kriegen die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer so +viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen muß, und die Spitze des +Monte Rosa schon deshalb, weil es da oben so kalt ist. + +So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends. Der Taruttis hat +ja auch Bilder geklebt, aber die sind bloß griesgrau und stammen aus +Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und bei Witkuhn hängt nur das +Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des Moorvogts. + +Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. Die Tage werden kürzer, und +darum getraut sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber wie die +Zimmerdecke gedichtet werden muß, da braucht sie ihn doch. Denn wenn der +Jons heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel. + +Erst will er gar nicht hereinkommen -- gewiß hat er wieder mal Angst --, +aber als er die Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln -- ein +Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön ist -- über sein stilles +Gesicht. + +Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit. + +»Ohne dich, Nachbar,« sagt sie, »hätten wir's nie so weit gebracht.« Und +sie legt ihm die Hände auf beide Schultern. + +Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser, sinkt auf +den Bock, wo der Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht und +weint. + +»Was ist? Was ist?« fragt sie erschrocken. + +Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich zu ihm nieder und +streichelt ihn. + +Und -- was tut er? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und +küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen. + +»Nicht doch, Nachbar,« sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf, +»so was mußt du nicht tun.« + +Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, sonst muß er ins Torfloch. + +»Schade, Nachbar,« sagt sie und lacht, wie sie immer gelacht hat, wenn +sie einer hat haben wollen, »schade, daß du nicht früher gekommen bist. +Als Mädchen nahm ich's nicht so genau. Da hat mich bald der geliebt und +bald jener. Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der Jons und ich, +da würde ich mich vor ihm schämen, wenn er des Abends nach Haus kommt. +Außerdem, wenn du's wissen willst, in anderen Umständen bin ich wohl +auch.« + +Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, sich festzuhalten, und +geht hinaus wie betrunken. + +Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, denn innerlich hat sie den +Nachbar gern. Und um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr hängt. +Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm gutzumachen, so hält sie es +mit der Frau und hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes Tagwerk +kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, aber über das Schwerste ist sie +ja weg. Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, wenn sie vom +Melken kommt. Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht. + +Und die Frau sieht sie immer mit großen, bittenden Augen an, als will +sie was sagen. Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch nachhilft. + +Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal denkt die Erdme: »Jetzt +weiß ich's.« Aber das geht wider Natur und Religion, und darum wirft sie +es weit von sich weg. + +Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe, und wenn er +vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er lieber noch +einmal um. Sie möchte ihm manchmal entgegengehen, aber das sähe ja aus, +als ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber. + +Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen werden kann, aber alles Geräte +fehlt. Nur die Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen Hause +steht, ist gleich beim Bauen festgemacht worden. + +Und der Jons kommt immer später. Er sagt, er habe Überstunden, aber das +glaubt sie ihm nicht. + +Der Winter steht vor der Tür, und noch ist die Bettstatt nicht da und +auch kein Tisch und kein Kasten. + +Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, aber er schüttelt bloß +immer den Kopf. + +»Mein Gott, mein Gott,« denkt sie, denn sie geht mit der Katrike -- so +wird es heißen, wenn es ein Mädchen ist -- nun schon im vierten Monat. + +Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. Wie andere heimlich +nach einem vergrabenen Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie +wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um, ob niemand am Weg +ist, und dann kniet sie rasch nieder und scharrt an _der_ Stelle und +jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut, -- und +siehe da! überall sagt ihr ein junges Knollchen: »Labsriets« und »da bin +ich«. -- Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen +schon, wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen sie +immer noch weiter. + +Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht das mindeste an. Für nichts hat +er Sinn und Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab. Er +kommt und geht -- das ist alles. + +Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes +angekramt -- und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum +Winter verlassen. + +»Dann steck' ich das Haus in Brand,« denkt sie, »und zieh' hinüber zum +Nachbar.« + +Aber eines Abends so um die Michaeliszeit -- da kommt nach +Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang -- beladen mit allerhand +Zeug -- man weiß nicht recht was. Und neben dem Fuhrmann sitzt einer -- +der hat so breite Schultern wie Jons -- und sieht auch sonst aus wie +Jons -- und schließlich ist es auch Jons. + +Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut, als will er aufs Moor +einbiegen. Aber das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine Schuhe an +und würde versinken bis an den Leibgurt. + +Und wie sie herzuläuft -- um Gotteswillen, was sieht sie da? Hoch auf +dem Wagen steht ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten und gelben +Blumchen, und eine Bettstatt ebenso grün, und ein Tisch mit kreuzweisen +Füßen, und sogar -- man kann es nicht fassen, ob auch das Abendrot draus +in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln -- ein Spiegel ist da! -- +Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel! + +Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, und das wäre auf dem Moor +auch gar nicht so schwierig. + +»Ist das für uns?« schreit sie ihn an. + +Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat, und reicht ihr den +Spiegel herunter. Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar +zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, die Rágana selber. + +Und sie kuckt in den Spiegel -- der spiegelt zwar nicht -- aber es ist +doch ein Spiegel. + +Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, aber die Bettstatt muß +auseinandergenommen werden, denn die Tür ist zu schmal, und der Tisch +geht erst recht nicht hindurch. Aber schließlich steht alles an seinem +Platz, und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk. + +Nur schade! Stockfinster ist es geworden. Selbst die Blumchen der +Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen. + +Da sagt der Jons: »Was du wohl denkst! Das Schönste ist immer noch +draußen.« + +Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im Leben hat sie gedacht, daß man +so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann. + +Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und was bringt er getragen? Eine +Lampe. Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke, wie sie +im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube +der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. Dort hatten sie alle +bloß blecherne Schilder. + +Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht da und läßt sich bewundern. + +Wie hat das zugehen können? + +Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter sind aus der Sägemühle, das +ist klar. Aber weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz +seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn gefragt, wie man wohl am besten zu +einer Einrichtung kommen könne. Da hat der Tischler sich erst umgesehen +und dann gesagt: »Wer mir beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht +etwa zu kurz komme, dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm +zeigen, wie er es macht.« Nun, der Tischler Kuntze ist _nicht_ zu kurz +gekommen. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen +lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. Dann +hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe, und +noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Heim wohnen wie jeder +Besitzer. + +So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es müßte wirklich mit unrechten +Dingen zugehen, wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen. + +Und sie kommen vorwärts. + +Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. Davon kann neben ihnen noch +ein Ferkelchen satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos ist, +erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und +rohrgeflochtenen Wänden. Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl +auch eine Ziege, deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt. Im +Sommer nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter aber muß +vorgesorgt werden. + +Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher Finsternis hinter den +Fudern daherläuft, die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott +sei Dank bloß in kurzem Trab fahren -- sonst würde die Erdme in ihrem +Zustand ihnen nicht folgen können. Das Verstreute sammelt man auf dem +hinterher fahrenden Handwagen, so rasch es nur geht, denn unverschämte +Diebe gibt es genug, die einem das sauer Erworbene vor der Nase +wegschnappen wollen. Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern +bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen prügelt man sich herum, +oder man einigt sich besser in Güte. + +So wird allmählich der Bodenraum voll. Nur für die Heizung muß Platz +bleiben. Um die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das Randstück eines +Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben -- genau +so wie jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht. Warum soll man +ihm also entgegenkommen? + +»Er wird schon mahnen,« lacht die kleine Ulele. »Er hat ein dickes Buch. +Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters. Was +ehrlich erworben ist und was nicht. Es steht alles darin.« + +Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach +hinten zurück. Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. Und so +entschuldigt sie's auch bei der kleinen Ulele. + + + 8 + +Der Winter kommt wie alles Schlimme früher, als man sich's denkt. + +Eines Morgens zu Anfang November ist das Moor gefroren wie ein Brett. +Bis dahin hat man im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr. + +Der Handwagen des frommen Taruttis, der so viel Unfrommes mit angesehen +hat, ist ihm zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, die Jons +vom Markte gebracht hat. + +Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt sich und klingt, wenn man +auf dem Moore daherkommt. Die Torfziegel, die Erdme alle selber +gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. Obwohl sie sie +mit Rohr bedeckt hat gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer +nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, brennen werden sie doch, und der +Qualm geht zum Schornstein hinaus. + +Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach Haus kommt, findet er die Stube +so voller Rauch, daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und auf dem +Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet. + +Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei ist, lacht und sagt: »An +den Rauch gewöhnt man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken wir, +unten versinken wir und sind ganz lustig dabei.« + +Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man kaum mehr, ob es raucht oder +nicht, wenn man's nur warm hat. Und das ist die Hauptsache. + +Denn Tage brechen herein, so naß und so kalt, daß einem das Herz im +Leibe erklammt, wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer ist, +der suppende Nebel oder der rotklare Frost, die fegenden Schneestürme +oder der windstille Rauhreif, -- man weiß es wahrhaftig kaum; nirgends +friert man so wie hier auf dem Moor. Die Kälte auf der Spitze des Monte +Rosa muß dagegen ein Kinderspiel sein. + +Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee kam, der Zufahrtssteg +angelegt und mit kleinen Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde +der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, nicht wissen, wo er +abbiegen muß, so verstiemt ist alles in Weite und Breite. -- Selbst das +Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee und muß am Morgen +ausgeschaufelt werden, damit man weiß, daß es Tag ist. + +Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. Nur das Ferkelchen muß sie +versehen, das prächtig gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, könnte +man pökeln für Jahre. Aber so üppig leben wir nicht. Wir sind froh, wenn +wir ab und zu einen Hering haben. Das Schwein wird, wenn es fett ist, an +den Schlachter verkauft, und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital +für die künftige Kuh. Aber das sind noch Zukunftsträume. Fürs erste +wollen wir mit der Ziege zufrieden sein. + +Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, frißt mit aus dem +Schweinetrog und stößt, wenn man sie melken will. + +Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt ihre Milch so großmütig her, +wie nur eine kann, deren Haltung nichts kostet. -- + +Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist das Gefangensein. Man kuckt +nach rechts -- man kuckt nach links -- alles ist weiß, alles ist weit, +und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem Wege, um zu zeigen, daß es noch +Dinge gibt auf der Welt, die anders aussehen als weiß. Die Häuser der +Nachbarn stehen ja da, aber sie sind fast ganz in Schneefluchten +versunken, und nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt's auf dem Dach +einen graulichen Flecken. + +Man kann sich kaum vorstellen, daß dort überall Menschen wohnen, denn +niemals sieht man einen, und man geht auch nicht gerne hinüber. + +Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber kaum mehr, wie eine +fremde Menschenstimme sich anhört. + +Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie geht auf Freiersfüßen. Wenn +sie zum Frühling eingesegnet wird, muß der Vater schon seine Frau haben. +Denn dann will sie in die große Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, +die hat dreihundert Taler, und eine andere, die hat noch mehr. Aber an +der hängen zwei Kinder, deren Vater sie manchmal besucht. Und die Ulele +meint mit Recht, das werde Streitigkeiten geben, wenn sie selbst als +Vermittlerin nicht mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die erste +wählen, aber der muß noch viel zugeredet werden, denn sie fürchtet, der +Weg der Vorgängerinnen werde alsbald auch der ihrige sein. + +So hat man seine Sorgen, auch wenn man noch Kind ist. + +Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit Monaten nichts mehr gesehen, und +die Hilfeleistung bei seiner Frau muß die kleine Ulele für sie mit +übernehmen. + +Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an den man sich halten kann. An +jedem Sonntagabend gibt's eine Versammlung bei ihm. Zu der kommen die +Gebetsleute weit und breit, und manchmal sind Stube und Vorflur so voll, +daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht der eisige Wind wie mit +Peitschenhieben über die Köpfe. + +Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder werden gesungen, +Sündenbekenntnisse abgegeben, und meistens kriegt der heilige Geist +einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht und mit Zungen +redet, während die anderen horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes +Sonntagsvergnügen. + +Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme noch nicht, denn das Abtun des +Irdischen ist wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden als Gäste +geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung auch ihnen nicht ausbleiben +kann. + +Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen und Weststurm. Dann hat der +Schnee sich gelöst, und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann +riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und doch sind gar wenige +Pferde ringsum. Nur der Wohlhabende kann sich eins halten. + +Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr +Pferdchen nicht fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, aber kommen +wird es gewiß, genau wie das Fettschwein gekommen ist, um das der +Schlachter schon lange herumstreicht. + +Aber vorerst wird was Anderes kommen -- etwas, das einst in Samt und +Seide gehen wird und wofür der Sohn eines Gendarmen schon längst nicht +mehr gut genug ist. Ein großer Besitzer muß es sein, wie die reichen +Herren der Niederung, die hundert Kühe halten und deren Käsereien mit +Dampf betrieben werden. Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst +der Jons mit sich handeln läßt. + +Um Mitte März kann das Kleine schon da sein. Und der März steht vor der +Tür. Die Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, und wenn mittags +die Eiszapfen tropfen, klingt es wie Frühlingsmusik. + +Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. Mühselig schleppt sie sich ins +Haus. Die Erdme ist noch ein Wiesel dagegen. + +»Nachbarin,« sagt sie. »Ich weiß, deine Stunde wird bald kommen. Ich +hab' eine Bitte an dich.« + +»Was für eine Bitte?« fragt die Erdme. + +»Sieh mich an,« sagt sie darauf. »So quiem' ich nun schon an die zehn +Jahr. Und die Wirtschaft kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott ein +Einsehen, so würd' er mich zu sich nehmen, damit der Witkuhn sich nach +etwas Besserem umsehen kann. Aber so werd' ich ihm zur Last liegen, wer +weiß wie lange.« + +Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was man so sagen kann. + +»Darum sollst du mir das Versprechen geben,« fährt sie fort, »daß du es +bei der Hebamme nicht bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor +bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.« + +»Um Gotteswillen!« schreit die Erdme ganz erschrocken. »Das kostet zehn +Mark!« + +»Das haben wir auch schon überlegt,« meint die Nachbarin, »und der +Witkuhn hat gesagt, wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt er +mit Freuden.« + +Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an das, was im Frühherbst +passiert ist. Und sie sagt: »Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel +haben wir selber. Nur sollt' es für die Kuh gespart bleiben.« + +»Die Kuh kann krepieren,« sagt die Witkuhn, »und dann spart man sich +eine neue. Aber wenn man selbst zuschanden ist, dann spart man sich +keine mehr.« + +_Die_ Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und sie gibt das Versprechen. Sie +kann es ruhig tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem Fuhrwerk werden +wird, weiß sie noch nicht. Denn wenn der Doktor sich selbst eins +bestellt, so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat auch dafür +schon Rat geschafft. Er hat mit einem der besseren Besitzer gesprochen, +und der wird sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so weit ist. + +Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und schreit wie ein Tier. Seit +Stunden folgt eine Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm aus +dem Leibe reißen. + +Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, anzusehen wie ein rotbärtiger +Riese -- Perkuhn, der Donnergott, muß so ausgesehen haben --, und blickt +aus großen, rollenden Gottesaugen auf sie herab und sagt mit einer +Stimme, bullrig und gut wie abziehendes Ungewitter: »Na--a? Kommt es +denn immer noch nicht?« + +Nein, es kommt immer noch nicht. Und kommt auch die ganze Nacht hindurch +nicht. Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine Knie zu fassen +und kneift sich darin fest, daß er lachend schreit: »Wirst du wohl +loslassen!« Aber sie kneift nur noch fester. + +Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher gewesen als die Decke +des Zimmers; nur ganz gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und +auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke sitzt, erscheint er noch +immer so groß wie etwa ein Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er +langsam kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird er kleiner. -- + +Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie mit einmal: »Für zehn Mark wird +er das gar nicht machen.« Und sie fängt vor Angst und Ungeduld zu weinen +an, weil es so teuer wird. + +Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen Schmerzen sind, die ihr die +Tränen zum Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die Hand beklopft, +da ist er schon ganz klein. + +Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht und kippt mit seinem +mächtigen Schmerbauch nach hinten zurück, so daß die Beine hoch in der +Luft herumrudern. + +Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht und der Moorboden haben dem +mächtigen Körper nicht standhalten können, und die vier Beine der Hocke +sind unter ihm in die Tiefe gesunken. + +Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht und lacht, und aus dem Lachen +heraus kreischt sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke +geschnitten, und -- wupp! -- ist die Katrike da! + +Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons demütig die Mütze in der Hand +und fragt ihn, was es wohl kostet. + +Da sieht er sich in der Stube um, besieht den grünbunten Schrank und den +goldrahmigen Spiegel und sagt: »Nun, nun, ihr scheint ja ganz +wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also« -- der Erdme steht das Herz +still vor Angst -- »gebt mir also -- drei Mark.« + +Und die Erdme denkt jubelnd: »Wenn das so billig ist, krieg' ich +nächsten Frühling ein zweites.« + + + 9 + +Man müßte lügen, wollte man sagen, daß das nun folgende Jahr für den +Jons und die Erdme kein gesegnetes gewesen sei. + +Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh zieht ein. -- Sie ist die +klügste, die schönstgefärbte, die milchreichste Kuh, die es auf Erden je +gegeben hat. Die Milch muß morgens und abends zur Sammelstelle getragen +werden und bringt manchen nützlichen Groschen. Das Schlimme ist nur, daß +es an Futter fehlt, denn auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst, +wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine Bewohner helfen sich +dadurch, daß sie im Umkreis -- bis über den großen Strom hin -- jedes +Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist. + +So geht auch Jons auf die Suche, findet aber nichts, was nahe genug +gelegen wäre, daß man das Heu auf der Karre heimschaffen könnte. + +In all den Sorgen muß also wohl oder übel der Moorvogt heran, der ja am +besten Bescheid weiß. + +Sie tun also so, als hätten sie _kein_ schlechtes Gewissen, stecken für +alle Fälle die schuldig gebliebene Pacht in die Tasche und gehen zu ihm. + +Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt dann ein großes Buch auf +-- das Buch gewiß, in dem all ihre Sünden stehen -- und sieht sie darauf +wieder an. + +Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, und er denkt: »In Gottes +Namen.« Damit zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt sie auf +den Tisch. »Schad' um das schöne Geld,« denkt die Erdme. Aber wenn man +so angesehen wird, was kann man da machen? + +»Es war Zeit,« sagt der Moorvogt -- weiter nichts -- und schreibt ein +Zeichen in das Buch. + +Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen Bewußtsein seiner +Rechtlichkeit und sagt mit Würde: »Die Pacht fürs zweite Jahr wird auch +bald da sein.« + +»_Das_ wär' nun nicht nötig gewesen,« denkt die Erdme, aber weil es doch +mal heraus ist, will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt hinzu: +»Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen erfüllen wir +pünktlich.« + +Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als will er ein Prusten verstecken, +und der Erdme wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit dem Manne nie, +wie man dran ist. + +Er breitet eine große Plankarte aus und fragt dann: »Wieviel +Kartoffelland nehmt ihr dieses Jahr in Arbeit?« + +»Wenn's Glück gut ist,« sagt die Erdme, »wird die Hälfte von dem +Gepachteten fertig.« + +Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder eine Weile an und sagt dann: +»Für ordentliche Leute hab' ich immer noch ein Stückchen Wiese bereit, +das nicht zu weit liegt.« + +»O Gott, o Gott,« denkt die Erdme. »Wie erträgt der Mensch so viel +Glück? Erst die Wiese und dann auch noch gelobt werden.« + +»Außerdem,« fährt der Moorvogt fort, »ist der Fiskus bereit, Ansiedlern, +die sich bewähren, zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel +unter die Arme zu greifen. Das gibt dann die doppelte Ernte.« + +Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt das Heulen, rennt hinaus und +rennt schnurstracks nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. Dann +wirft sie sich über die Wiege der kleinen Katrike und erzählt ihr die +ganze Geschichte. Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher einmal in +Samt und Seide gehen wird, erzählt sie ihr auch. + +Wie der Jons nachkommt, der inzwischen alles festgemacht hat, fällt ihr +ein, daß der Moorvogt, wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen +Fahrten unmöglich was wissen kann. Die kleine Ulele hat sie gewiß +umsonst in Angst gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine Grenzen. + +Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß angelegt werden, sonst wird's für +den Sommer zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht da, Weidenruten +tun's auch. Wenn die bloß nicht immer von neuem losgrünen wollten. Tag +für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, sogar die Brandmauer +zwischen Kochherd und Ofen schlägt noch einmal aus, weil die Ruten, die +ihr den Halt geben sollen, sich in dem Glauben befinden, sie seien zu +neuem Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt. + +So will alles leben und gedeihen, selbst wenn es längst tot ist. Und der +Jons und die Erdme sollten _nicht_ gedeihen, in denen doch Leben steckt +für zehne? + +Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch und Fenchel werden gesät, vor +allem aber die Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. Denn wenn die +Katrike heiratet, muß sie sich ihren Kranz aus dem eigenen Garten +winden. Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht anders. -- -- + +Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles zum dritten Mal Hochzeit. Die +Kleine hat viel Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die sie der +künftigen Stiefmutter beibrachte, daß sie selbst einmal etwas sehr +Reiches werden wird, hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben. + +Sie ist eine hübsche Person zu Ende der Zwanzig mit einem gutherzigen +und gekränkten Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen deutschen +Kleide und einer Jettbrosche unter dem Halse, sieht sie aus, als ob sie +gekommen wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber die kleine Ulele +weicht ihr nicht von der Seite und erzählt ihr immer aufs neue, wie +herrlich hier alles bestellt ist und was für vornehme Gäste die Stube +erfüllen und daß es für ihre dreihundert Taler eine bessere Verwertung +nicht gebe. + +Der große Smailus dagegen streicht seinen rundbogigen Schnurrbart, sieht +kühn in die Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, dies sei nun +schon seine Dritte. Und hernach, wie er betrunken ist, setzt er hinzu, +wenn daraus eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es ganz recht. Aber +da hat ihn die Ulele bald beiseite geschafft. + +Abends spät, wie viele der Gäste schon weg sind und die verlassene junge +Frau aus dem Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, als möchte sie +rasch wieder anspannen lassen, da nimmt die kleine Ulele die Erdme +beiseite und sagt: »Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach der Stadt, +um das Nähen und die Putzmacherei zu erlernen, denn das muß immer das +erste sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen kann. Aber ich +seh' ein, ich kann die Stiefmutter, bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz +allein lassen. Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. Von dort +wutsch' ich des Abends manchmal herüber und red' ihr gut zu. Dich, +Erdme, aber bitt' ich, daß du oft um sie bist. Der Vater meint es nicht +schlecht, aber sein Wesen könnt' sie verschrecken.« + +Und die Erdme verspricht es und denkt: »Zusammen mit der kranken Witkuhn +sind es schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.« + +Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge Frau und erzählt, wie +verzagt sie einmal gewesen ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen +sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte. + +Und die junge Frau meint traurig: »Aber deiner war jung und war auch +kein Witmann.« + +Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt sie sie bloß und hält ihr die +Hände. Und langsam beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten +Fladen. + +Der Witkuhn ist auch da -- ohne die Frau --, aber er spricht die Erdme +nicht an. Sie muß selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten +erinnern. + +»Es war doch so hübsch, Nachbar,« sagt sie, »darum komm nur immer +herüber. Was nicht sein soll, das hab' ich vergessen.« + +Er sagt: »Du bist gut gegen die kranke Frau und darum auch gut gegen +mich. Ich bete für dich am Morgen und Abend, aber kommen -- das kann ich +nicht.« + +Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen gehen soll, und nimmt +sich vor, ihn nächstens kirre zu kriegen. + +Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie -- sie führt ihn natürlich, +denn hätt' er sich nüchtern gehalten, so wär's eine schlechte Hochzeit +gewesen --, da sieht sie auf dem Weg den grauen Schatten herumlaufen, +der voriges Jahr, als sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich +ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen gefahren war. + +Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis und denkt auch an die +Wassersnot, vor der sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz +ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, wie es geschieht --, sie +hätt' es auch nicht für möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen +hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt hat, und es ihm hinreichen. +Und sagt: »Da nimm, Nachbar, und wenn _du_ Hochzeit machst, gibst du mir +auch was.« + +Er greift zu wie ein Verhungernder und prustet und faucht und läuft +rasch davon, als muß er den Raub in Sicherheit bringen. + +Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. Denn sie denkt, er werde nun +ein Recht an sie haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, wenn er des +Wegs kommt. Und es redet doch sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme +Taruttis tut es nicht. + +Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat er sie anzuhalten versucht, +und manchmal ist er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. -- -- -- + +Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und Kuh verlangen Wartung, eines so +viel wie das andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da. + +Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr schwer, und die junge Frau +Smailus muß eingewöhnt werden, sonst läuft sie womöglich wieder davon. + +Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der kleinen Ulele gehabt hat. +Aber klein ist die schon lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch +kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid und einen Strohhut mit Blumen. +Sie nimmt die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich mit ihr in das +Kieferngestrüpp, das nicht höher ist als der Vater und dessen Nadeln +büschelweis stehen wie Haare auf Warzen. + +»Ach, wie ist es schön, so in einem grünen Walde zu sitzen,« sagt sie +dann, »und die gesegnete Flur zu erblicken!« Und dabei zeigt sie nach +den struppigen Kartoffeln und auf das brandige Moor, auf dem nichts +weiter wächst als Torf in kohlschwarzen Haufen. + +Und alsbald hat sie die junge Frau für acht Tage wieder getröstet. + +Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: »Gott sei Dank, jetzt wird sie's +leichter haben, denn es ist zugesät bei ihr.« + +Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. Oft muß die Erdme heran, +der traurigen Frau den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht +und immer nach Hause will. + +Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. Da heißt es, sich dreifach +zusammennehmen und sich nichts merken lassen, sonst geht die Wirtschaft +den Krebsgang. + +Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt auch für die Wiese zu +sorgen. Die Karre nimmt er des Morgens meist mit und schiebt sie des +Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. Dazu kommt noch die Heuaust, +das Mähen, das Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, wenn +der Regen alles durchweicht hat. + +Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul wird und kaum Antwort gibt, +wenn man ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb's wenig +Unterhaltung im Hause. Aber die lacht schon, macht Brummchen und +zappelt, solange man Zeit hat zum Spielen. + +Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig Scheffel. Davon darf man +sogar verkaufen. Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines kommen dazu. +Man kann fürs nächste Jahr an eine weitere Pachtung denken. + +Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur daß die Erdme ein Spielzeug +hat und daß die Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt. + +Im April kommt die kleine Urte zugereist. Ganz leicht und plötzlich ist +sie gekommen. Der Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen. + +Nun sind es schon zweie, und darum wird Schluß gemacht. Das Nötige hat +die Erdme als Mädchen gelernt. + +Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig gewesen. Noch bleibt Zeit +genug für die Frühjahrsbestellung. Am neunten Tage nach der Geburt hat +die Erdme schon wieder bis an die Knie im eiskalten Schlamm gestanden. +So ein Kerl ist die Erdme. + +Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus gehabt, aber daran ist ihr +Herzweh wohl schuld. Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit einem +Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste getan, hat das Kind gewartet +so gut wie die Mutter und hat dabei noch in den Büchern gelesen. + +Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: »Nun wird es wohl gehen, daß +ich weg kann. Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts auf der +Welt.« + +Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will. + +Und sie sagt: »Zuerst nach Königsberg und dann nach Berlin. Denn diese +kleinen Nester sind nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer +Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des Abends die Schreibmaschine +erlernen sowie die Schnellschrift, die man Stenographie nennt. Dann muß +ich noch einmal aufs Land, das heißt auf ein Rittergut, um die +Wirtschaft zu lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich +verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft und mach' mich dort +unentbehrlich. Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, weil er +einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr los ist. Aber im Grunde glaub' +ich es nicht. Denn die Männer sehen mich nicht an.« + +»Du bist ja noch so jung,« sagt die Erdme. + +»Das ist wahr,« sagt sie, »Busen hab' ich noch gar nicht. Vielleicht +werd' ich auch nie einen kriegen. Ich hab' immer gedacht, ich werd' +durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber das muß ich mir wohl aus +dem Kopf schlagen. Und es wird ja auch so gehen.« + +Und die Erdme lacht und sagt: »Du mit deinen fünfzehn -- was kannst du +da Großes verlangen?« + +»Um mich herum liebt sich schon alles,« gibt sie zur Antwort, »bloß mich +wollen sie nicht.« + +Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, sieht auf die Wiege, in +der Kopf an Kopf die Urte und die Katrike liegen, beide mit +Lutschpfropfen im Munde, und denkt: »Euch wird es nicht so gehen, denn +ihr habt von meinem Blut in den Adern.« + +Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken erriete, denn sie sagt +seufzend: »Ja, wenn man so eine wäre wie du!« + +»Was willst du damit sagen?« fragt die Erdme argwöhnisch. »Weißt du +etwas von mir?« + +»Das gerade nicht,« sagt sie, »aber -- aber --« Und sie druckst und +druckst und kommt nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, dreht +sie sich noch einmal um und sagt: »Eine Bestellung ist es eigentlich +nicht, das würde sie sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß, +daß du es erfährst.« + +»Wer? Was?« fragt die Erdme ganz erstaunt. + +Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen wie zu einer Alten. Das +Elend mit ihrem Manne reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht da +ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid antun. Und ob es keine +Möglichkeit gebe, daß die Erdme sich seiner erbarme. + +Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau sich wirklich so an der Natur +und der Religion versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen. + +»Warum hängt er sich gerade an mich?« fragt sie. »Mädchen, die ihm gern +einen Gefallen täten, laufen genug herum auf dem Moor.« + +Die Ulele macht eine pfiffige Nase. »Das ist es gerade,« sagt sie. +»Ursprünglich wäre ihm wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine ihm +nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als ich noch dümmer war und nicht +wußte, warum, da hab' ich mich ihm manchmal auf den Schoß setzen wollen, +aber da hat er mich von sich gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber +hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich verstehe ja nicht viel +davon, aber ich meine, wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm +wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, ich tät's, aber ich bin +ihm wohl noch zu klein.« + +Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf bis zu Füßen. »Du verstehst +wirklich noch nichts davon,« sagt sie und schiebt die Ulele hinaus und +nimmt auch keinen Abschied von ihr. + +Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt +der Jons ihr gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit ist, +dann sieht sie ihn immerzu an und denkt: »Soll ich -- soll ich nicht?« +Und ihr Entschluß ist dann stets: »Nein, ich soll nicht.« + +Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht fernab auf dem Feld und sich +sein feines, stilles Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen, +dann denkt sie doch wieder: »Ich soll.« + +Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts von ihm träumt und bei Tage +auf dem Grabenrand sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich die +Arbeit. + +Schließlich denkt sie: »Komm's, wie es will, geschehen muß was.« + +Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz und geht zu ihm 'rüber. + +Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke aus der Hand. Er steht da +und sieht sie an wie eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie doch +immer vor Augen. + +»Nachbar,« sagt sie, als hätte sie noch gestern mit ihm gesprochen, +»willst du nicht einmal nach unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.« + +Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße und kommt. Er befühlt der +Kuh den Leib, legt ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die Augenhaut +um. »Die Kuh ist gesund,« sagt er. Weiter nichts. + +Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie zittert. Aber sie weiß, so ein +Augenblick kommt nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch ein wenig +in die Stube zu treten. + +»Was soll ich da drin?« fragt er. + +»Ich hab' schon lange einmal mit dir reden wollen,« sagt sie. + +Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. Die Wiege hat sie vorher +auf den Hof gestellt, damit die Kinder nicht zusehen. + +Und jetzt stehen sie da und zittern beide. + +»Nachbar,« sagt sie, »ich muß immer an die Stunde denken vor zwei +Jahren, und mir ist, als habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es +gutmachen kann, will ich es gerne.« + +»Es ist nichts gutzumachen,« sagt er und bekuckt sich die Bilder. + +»Setz dich auf die Bank, Nachbar,« sagt sie. + +Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr kann sie wahrhaftig +nicht tun. + +»Nachbar,« sagt sie, »du hast ein seltsames Wesen. Nicht bloß gegen +mich. Dir muß irgend was geschehen sein. Das Beste wär' schon, du +sprichst dich aus.« + +»Jawohl,« sagt er, »das will ich.« + +Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie es ihm in der Jugend +ergangen ist. Er ist ein froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, +ansehnlich und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern gewollt zum +Heiraten sowohl wie zu dem anderen. Und eine -- die war wild und +heimlich zugleich. Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war ihr +heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern trafen sie sich unter dem +Kadigbusch auf der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. Da wollte +sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich sind ringsum Lichter aufgetaucht +von Jägern, die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. Da hat sie +zu schreien angefangen, daß er ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer +stak, so hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück gekommen. Das hat +ihn verfolgt von Ort zu Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er ein +Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge vor Gericht hat stehen +müssen. Schließlich hat er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher +bestraft ist und keinem viel Schaden daraus erwächst. Der Moorvogt weiß +es und seine Frau. Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung gesucht, +aber die ist ja schon lang' keine Frau mehr. Und sobald eine andere ihm +zugelächelt hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: »Sie wird +schreien.« Immer hört er das Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht, +wie es ihm damals gezittert hat, als er sich stumm und ohne Verteidigung +hat abführen lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist er noch +heute. + +»Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen können?« fragt sie und +lächelt ihn an. + +»Das weiß ich selber nicht,« sagt er und streicht sich übers Gesicht. + +»Nun, ich hab' doch _nicht_ geschrieen,« sagt sie und lächelt ihn +immerzu auffordernd an. + +»Aber -- abgewiesen hast du mich, und seitdem ist es schlimmer als je!« + +Soll sie nun sagen: »Heute würd' ich dich _nicht_ abweisen?« Das kann +sie nicht. Das bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen Arm +streichelt sie und sagt: »Armer Nachbar.« + +Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber was tut er? Er zittert und +rückt von ihr weg und stöhnt: »Laß man, mir hilft keiner mehr.« + +»Gott wird helfen!« sagt sie, wie man sagt: »Guten Tag« und »Guten Weg«. + +»Auch Gott hilft mir nicht,« schluchzt er und ringt die Hände. »Ich hab' +zu ihm gebetet bei Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung von +mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.« + +»_Ich_ werd' für dich beten,« sagt sie. Sündigen möcht' sie viel lieber, +aber man muß doch so tun. + +Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie der Hungernde den Knochen, +den man zum Fenster hinauswirft. + +»Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn du mir eine große Gnade antun +willst, dann laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott mich dann +hört.« + +Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor und das von Jons, und jeder +schlägt auf, und sie beten und beten. + +Und siehe da! Immer frömmer wird ihr zumute. Sie denkt an die +schlafenden Kinderchen draußen und an den Mann, der sich abschindet von +früh bis spät, und bald begreift sie gar nicht mehr, daß sie eine so +große Sünde hat begehen wollen. + +Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, sagt sie: »Nun, Nachbar, fühlst +du, daß es dir hilft?« + +Er schüttelt bloß den Kopf. + +Sie denkt: »Aber mir hat es geholfen.« Und nun -- ganz aufrichtig +gesonnen -- redet sie ihm gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den +Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die Kinderchen sind noch so +klein, und der Jons hat sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht +recht ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später einmal anders +werden, so daß sie sich dann wegen des Unrechts nicht mehr so zu schämen +braucht. Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken anfängt und sie +schlägt oder so. Dann würd' sie sich kein Gewissen draus machen. + +Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner Mütze und sagt im Gehen: »Ich +werd' also warten.« + +Und sie denkt: »Schade! Aber wer weiß, wozu es gut ist?« + + + 10 + +Wenn _das_ Überschwemmung ist, das läßt sich ertragen! + +Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter Wasser, auch ist der +Knüppelweg zur Chaussee an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich in +der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von neuem kneten lassen. +Aber schließlich -- zu seinem Vergnügen lebt man nicht im Moor, und +alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über Hof und Gräben legt man +Bretter, und der Estrich wird wieder glatt gewalzt. + +So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal gewesen, und die Erdme denkt +nicht mehr mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit denen der alte +Raubmörder einst ihre Hoffnungen vergiftete. + +Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die scheinen ungern davon zu +sprechen, und darum unterläßt sie es. -- -- -- + +Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man stark genug ist, noch +weitere Sprünge zu machen. Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite +Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall gebaut werden. Der Abschlag +am Giebelende reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn die +Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, so daß an manchem Morgen das +ganze Dach der Kuh auf dem Rücken liegt. + +Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, ist zu bezweifeln. Und da +zu gleicher Zeit wegen der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem +Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man vielleicht aus dem +Raiffeisenverein ein Darlehen von ihm erlangen. + +Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April stellen sie die Lampe hoch, +verstecken die Streichhölzer, schließen die Kinder ein, und dann gehen +sie zum Moorvogt. + +Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf sein großes Buch auf. +Ach, dieses fürchterliche Buch! Je länger er darin liest, desto +zittriger werden der Erdme die Beine, denn die Ulele hat ja einmal +gesagt -- -- man wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt hat. + +Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie damals, und endlich macht er +den Mund auf. + +»Also alles in allem geht es euch gut?« fragt er. + +Nun möchte ich den Landmann sehen -- ob litauisch oder deutsch, ob Bauer +oder Graf --, der auf eine solche Frage mit einem schlichten Ja +geantwortet hätte. + +Sie fangen also alle beide fürchterlich zu klagen an. Die Nachtfröste im +vorigen Herbst -- und die verschorften Kartoffeln -- und die +wartungsbedürftigen Kinder -- und die Überschwemmung noch jüngst! + +»Was wißt ihr von Überschwemmung!« sagt er, und ein bitteres, ein fast +verzagtes Lächeln fliegt über sein starkes Gesicht. + +»Jedenfalls geht es euch so gut,« fährt er fort, »daß ihr eine +erhebliche Vergrößerung eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es +kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe euch natürlich im Auge +behalten. Das zweite Hektar ist euch bewilligt, und auch für das +Darlehen werde ich eintreten. Nur -- nur --« er stockt und sieht sie +wieder an, »nur scheint mir, daß ihr noch von der Bauzeit her dies und +jenes in Ordnung zu bringen habt.« + +Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen Blick zu. Was kann er nur +meinen? + +Und er sieht sie immer weiter an mit starren, bohrenden Augen, als ob +sie splinterfasernackig vor ihm stünden. + +»O Gott, o Gott!« denkt die Erdme. Denn _was_ hat die Ulele gesagt? + +Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich am Abend ihrer Trauung +im Matzicker Chausseegraben gegeben haben. Ach, wie bald ist das +vergessen gewesen! + +»Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,« fährt der Moorvogt fort. +»Geht also nach Hause und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß ich +Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht früher.« + +Damit sind sie entlassen. + +In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. Stillschweigend, mit gesenkten +Köpfen gehen sie wieder heim. + +»Allwissend ist Gott allein,« denkt die Erdme. + +»Hier hilft bloß eines,« sagt schließlich der Jons, »daß wir nun doch +noch unter die Gebetsleute gehen.« + +»Warum?« fragt die Erdme. »Wir sind ja fromm genug.« + +»Wenn man unter die Gebetsleute geht,« sagt der Jons, »kann man seine +Sünden bekennen und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein Schade +erwächst.« + +»Gutmachen kann man auch so,« sagt die Erdme. »Wozu noch erst viel +bekennen?« + +»Das ist nicht das Richtige,« sagt der Jons. + +Sie beschließen also, den frommen Taruttis zu besuchen und zu sehen, ob +es lohnt, sich in die Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen. + +Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden. + +»Ich habe schon oft gebetet,« sagt er, »daß ihr den Weg zum Heile finden +möget, und nun ist mein Gebet erhört.« + +So mager und so sanft sieht er aus wie ein Sendbote des Herrn. Und seine +Augen leuchten wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die Taruttene, die +ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. Sie ist nun ganz hutzlig geworden und +will gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon gar nicht mehr aus. +Aber er beruhigt sie. Damit habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit. +Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt werden. Und bei dem +öffentlichen Bekenntnis werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen um +Vergebung anflehen. Das habe noch immer geholfen. + +Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben es zwar oft schon mitgemacht, +aber nun sie selbst daran glauben müssen, wird es ihnen doch +fürchterlich sauer. + +Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier auf den Tisch, macht eine +römische Eins und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt die Erdme das +Wort und sagt: »Damit das Bekenntnis ganz vollständig wird, wollen wir +uns vorerst im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. Sonst könnte es +geschehen, daß etwas fehlt, und das würden wir uns niemals verzeihen.« + +Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer Bestrebungen und ladet sie zu +der nächsten Versammlung. Und dann gehen sie heim. + +»Nein,« sagt die Erdme entschieden, »damit die Leute hernach mit Fingern +auf uns weisen: >Da seht das verstohlene Pack<. Das könnte mir passen.« + +Der Jons meint zwar schüchtern, man könne das Bekenntnis so undeutlich +sprechen -- besonders wenn man zu zweit ist --, daß niemand was Rechtes +versteht. Aber die Erdme bleibt fest. »Unsere Kinder sollen einmal in +Samt und Seide gehen,« sagt sie, »für die muß vorgesorgt werden.« + +Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. Der Mann, dem sie die +Saatkartoffeln ausbuddelten, bekommt die erste Nummer. Und dann folgt +eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. Wem zum +Beispiel sollen sie das Heu für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel +der Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? Oder: Wem hat der Jons +Schaden getan, als er mit dem Abgebrannten wegen der Türen und Fenster +den heimlichen Handel abschloß? Denn was eine Versicherungsgesellschaft +ist, wer kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: die +Veruntreuungen auf dem Holzplatz, auf dem der Jons ja heute noch +arbeitet! Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. Gar manchem, +der eine offene Hand hatte, ist beim Verladen eine oder die andere +Planke mehr auf den Wagen geschmissen worden. Und der Aufseher hat dann +den Rüffel gekriegt. + +Schlimme Sache! Schlimme Sache! + +Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons bringt Postanweisungen und +Linienpapier, und nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, gerade +so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten eintreten wollten ... Und +das tun sie aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse +werden von den Deutschen mit Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht +aufgenommen und niemals weiter verfolgt. Aber in zweifelhaften Fällen +vermeiden sie der Sicherheit halber, ihre Namen anzugeben. + +Einer der Briefe lautet so: + +»Wehrter Herr Hahn! + +Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich eretet hat aus allen meinen +Sünden. Bezeugt mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um mit Gott +und Menschen ins reine zu komen, soll ich mihr reinigen wie auch der +Herr Jesus rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch Ihnen währent +meinem Hausbau beschädigt habe indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich +biete um Vergebung der Schuld, das sie mir nicht vor dem Throne Gottes +verklagen wirde. Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten +Matirials. Der liebe Gott ist selber Richter und weis am bästen den Weg. +Er hat meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete nochmals um +Verzeihung und vergebung der Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und +mein Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr Jesus hat mir schon +vergäben, als er am Kreuze auf Golgatha das Wort ausrief Es ist +volbracht. + + Achtungsvol + J. Baltruschat.« + +Und ein anderer lautete so: + +»Hochgerter Herr! + +Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens mich mit meinem Gott +versähnen wolte, fand ich unter den verbannten Gegenstenden, das ich +mich auch an Ihnen vergangen habe. Zwar glaubte ich früher das wen man +von einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine Sünde ist. Komme +daher ihnen dankbar um Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. Ich +befand mich vor langer Zeit bei meinem bauen in großer Verlegenheit und +da ging ich hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm gleichwie es Gott +gefiel. Daher sände Sie gefälligst 10 Mark. Biete wenn möglich um +Sündenvergebung. + + Hochachtend + ein Nachbar.« + +Diese beiden Briefe, den frömmeren und den weltlicheren, nehmen sie sich +zum Muster und richten danach die übrigen ein. + +So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen genau die Beträge, die +sie den Empfängern schuldig sind. + +Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, um zu erfahren, an wen er sich +wegen des Ersatzes zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen Hause. +Dessen Türen und Fenster sind tausendmal schöner als die, die er damals +beiseite geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, als er aber hört, +daß Jons zu den Gebetsleuten gehen will, sieht er gleich ein, daß es +sein muß, und gibt ihm genaueste Auskunft. + +So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, denn das Ziegenheu kann +auch von selber gefallen sein. Aber das Holzgeschäft! + +»Das deutsche Schwein kann Wind auf dich kriegen und zeigt dich am Ende +noch an,« warnt die Erdme. »Selbst ohne Unterschrift kann es dir +schlecht gehen.« + +Das sieht er auch ein und schreibt darum zur Sicherheit den Namen eines +anderen Arbeiters, der vor kurzem nach Rußland zu den Holzfällern +gegangen ist und der ebenso gemaust hat wie er. So reinigt er zugleich +auch dessen Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen werden muß. + +Als die Briefe und die Postanweisungen weg sind, wird ihnen beiden sehr +wohl zumut. Die Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, aber +statt dessen hilft ja der Moorvogt. + +Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der nächsten Versammlung der +Gebetsleute das Sündenbekenntnis ablegen sollen. + +So kommt der Sonntagnachmittag heran. Sie sitzen vergnügt vor der Tür. +Er raucht seine Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die Kinder +spielen um sie herum. Da hören sie mit einem Male einen feierlichen +Gesang. + +»Es wird ein Begräbnis sein,« meint die Erdme. + +Aber der Gesang kommt immer näher, und was sehen sie? Der fromme +Taruttis und zwei andere fromme Männer gehen zwischen den Kartoffeln +geradeswegs auf sie zu, und jeder hält sein Gesangbuch in der einen Hand +und sein Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze hat keiner auf. + +O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen können sie nicht, und Ausreden +haben sie auch nicht. + +Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie willkommen und fragt, ob er +den werten Gästen vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er doch +wissen muß, daß die Erleuchteten geistige Getränke nicht zu sich nehmen. + +Der fromme Taruttis tut, als hat er die Frage gar nicht gehört, und +sagt: »Teurer Bruder und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens ist +da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! Folget uns nach +Jerusalem, wo ihr alsbald in weißen Kleidern dastehen werdet zur rechten +Seite des Herrn.« + +Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen ist, will richtig schon gehen, +aber die Erdme hält ihn gerad' noch am Ärmel. + +»Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten Gäste,« sagt sie und macht ein +scheinheiliges Gesicht, »seit wir unseren Entschluß kundgetan haben, +prüfen wir uns unaufhörlich, aber es will uns gar keine Sünde einfallen. +Nun müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht vor euch zu +erscheinen, wo doch ein jeder sonst sein Bündelchen auspackt. Darum +lasset uns Zeit, ein Monatchen oder ein Jahrchen -- oder noch mehr, +damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. Vielleicht sündigen +wir inzwischen auch noch was Neues, und das ist dann gleich ein +Abwaschen.« + +So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis auch sein mag, -- daß diese +freche Person sich lustig macht, das sieht er doch ein. + +»Warum seid ihr denn zu mir gekommen?« fragt er sie ganz verdutzt. + +»Ihr seid ja auch zu uns gekommen,« gibt sie zur Antwort. + +Darauf wissen die frommen Männer nichts zu erwidern und heben sich +wieder von hinnen. Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben, +dorthin, wo das Brett 'rüberführt. + +Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die beiden Kleinen im Arm hat +und liebkost. + +Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste hinter den Weggehenden her +und ruft ganz laut: + +»Meinen Töchtern die Heirat verderben, das wär' euer ganzer Segen, ihr +Schufte!« + +Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte er gedacht, daß sein Weib so +böse sein kann. + + + 11 + +Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas wie Frieden gekommen. Er weicht +der Erdme nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie der kranken +Frau beispringt, und kommt herüber, so oft es nottut. Ohne ihn wäre der +Stall gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel prächtiger als das +Wohnhaus und bietet Platz für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar -- +der Himmel bewahr' uns vor Hochmut! -- sogar für ein künftiges Pferd. + +Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es nie so weit bringen wird. Um +so eifriger ist er darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen. + +Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein Werk. Eine Holländerin ist sie, +wollstirnig mit einem schwarzen und einem weißen Auge. Und Milch gibt +sie -- man schämt sich zu sagen, wieviel Milch sie gibt, aber die an der +Ablieferungsstelle, die wissen's. + +Jetzt kommt des Abends schon manchmal Butter auf den Tisch, und die +Kleinen trinken frische Milch, soviel sie nur mögen. + +Im Frühling des fünften Jahres geschieht das Große, daß Jons seine +ständige Arbeitsstelle aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht mehr, +selbst wenn er die Freistunden noch so sehr ausnutzt. + +Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied zehn Mark und eine Kiste +Zigarren wegen der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im Gegensatz +zu anderen, die sich jetzt in Rußland herumtreiben. + +Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff genommen werden, zumal der +am frühesten urbar gemachte Boden für Roggen bald reif ist. + +Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück Wiese dazu und verspricht sogar, +den Jons bei der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab und zu in der +Wirtschaft zu still wird. + +So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt da wie ein blühendes +Kleefeld. + +Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten Beine hebt und senkt, +daß der federnde Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das schwarze +Wurzelwerk unter den Streichen der Hacke zerblättert, als wäre es +Torfgrus, dann ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, um +ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt in lauter Wohlsein die starke +Brust dem Gelingen entgegen. + +Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber ringsum sitzt Kummer genug. Von +der hinfälligen Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. Die wird sich +vielleicht noch Jahre so schleppen, ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben +ihr lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig von Gliedern und schafft +auch, aber in ihrem Innern scheint sie noch kränker als jene. + +Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche Antwort, wenn man sie fragt, +und ihre Brust hat nicht Milch für die Kinder. + +»Was ihr fehlt, weiß ich lange,« sagt der Nachbar Witkuhn. »Die +Moorkrankheit hat sie.« + +Die Erdme fragt, was das ist. + +Und er sagt: »Die Moorkrankheit kommt wie durch ein Gift, das aus dem +Boden aufsteigt. Niemand weiß, wie es aussieht, und kein Doktor hat es +gefunden. Es ist da und ist auch nicht da. Wie man will. Den einen wirft +es nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für den, der daran krankt, +gibt es nur eine Rettung: 'raus aus dem Moor, rasch 'raus, ohne sich +umzusehen. Aber für die meisten ist es zu spät.« + +Was die Erdme einst der Ulele versprochen hat, das hält sie getreulich. +Sie steht der gemütskranken Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht bei +der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des Sonntags oder zum Feierabend +-- denn Feierabend gibt es schon manchmal -- geht sie hinüber zu ihr, +legt den Arm um ihre Schulter und sagt: »Komm, Nachbarin, wir wollen uns +was erzählen.« Und sie führt sie die Sandnase hoch und in das +Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke Frau am liebsten, denn es gemahnt +sie an die verlorene Heide, von der sie herstammt. + +Und dann seufzt sie und weint: »Ach, meine Heide, meine Heide!« + +Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht machen. »Ich bin ja auch +von der Heide zu Hause,« sagt sie, »und weiß: schinden tut man sich dort +nicht weniger als hier. Auf dem Sand gedeiht nicht einmal Roggen, und +der Hafer sieht aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten -- na ja +-- die stehen ja dort höher. Aber Schatten geben sie auch nicht. Und +vorwärts kommt man hier besser als dort.« + +»Aber wenn dort das Heidekraut blüht,« sagt die Frau und starrt +sehnsüchtig ins Weite, »und alles ist rot von lauter Blumchen, und die +Hummeln singen drum 'rum, und die Luft ist warm, und unter dem Kadig +liegt man geborgen so wie im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im +August und ist stets am Versinken. Vier Wochen sind's her, da ist mir +mit einmal der Herd eingesunken -- vor meinen sehenden Augen ist er +gesunken.« + +»Dann ist er eben zu schwer gewesen,« tröstet die Erdme, »man muß ihm +einen besseren Untergrund schaffen.« Und um die Frau aufzuheitern, +erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, rotbärtigen Doktor, der +immer kleiner und kleiner wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem +Leibe versanken. + +Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit anrichtet, sie hätte es +lieber _nicht_ getan. Als sie das nächste Mal mit der Frau +zusammenkommt, da krallt die sich an ihr fest und sagt: »Stell dir vor, +Nachbarin, jetzt kann ich des Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich +muß immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir wegsinken, und das ganze +Bett versinkt, und ich versink' mit.« + +In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel ein, das der Nachbar Witkuhn +die einzige Rettung genannt hat, und sie entschließt sich, die +verängstigte Frau langsam an den Gedanken des Weggehens zu gewöhnen. + +Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist. + +Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie keine, trinken tut er auch +nicht, aber -- und nun legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr -- +»aber er wartet schon«. + +»Worauf wartet er denn?« fragt die Erdme. + +Da macht die Frau die Augen weit auf -- die richtigen Unglücksaugen +macht sie -- und sagt ganz leise ihr großes Geheimnis: »Er wartet schon +auf die Vierte.« + +»Woher weißt du das?« + +Sie weiß es nicht, aber das fühlt man. + +Die Erdme wird dreister. »Da kannst du ihm aber behilflich sein,« sagt +sie. + +»Womit?« + +»Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich 'raustragen. Dann bist du +das Moor los und gehst auf die Heide.« + +»Und die Kinder?« + +Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, was Mutter ist, einen anderen +Gedanken gäbe. + +»Die nimmst du mit.« + +»Und dann?« + +Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie mitgekriegt hat, die stecken +hier in der Wirtschaft. Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie +nun wiederkommt -- ohne einen Groschen und ein Kind an jeder Hand, -- +wer wird sie aufnehmen? Betteln kann sie gehen. + +Die Erdme denkt: »Wenn das Herz ihr nicht längst gebrochen wär', würd' +sie schon durchkommen.« + +Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! Auch die gehört zu den +meisten, für die es zu spät ist. + +Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und denkt: »Dann werd' ich sie +also zu Tode trösten.« + +Und das hat sie auch redlich getan. Ein Lungenhusten ist gekommen, und +die Frau ist schwächer und schwächer geworden. Und erst, als gar +nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken war als der, der auf den +Kirchhof führt, da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne gemacht. Der +Smailus werde verkaufen, ihr zuliebe werd' er verkaufen -- genau so ist +der Smailus! --, dann werden sie auf die Heide ziehen, und sie wird sich +unter den Kadigbusch legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist -- und +dann wird sie schlafen und schlafen -- alle Angst und alle Müdigkeit +wird sie ausschlafen. + +Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber es hat doch noch zwei Jahre +gedauert. -- -- + +In der Nacht nach dem Tode, so gegen Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an +Baltruschats Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus ist da und +weint dicke Tränen. Es ist ihm so graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht +behalten möchten bis gegen den Morgen. + +»Da hast du's, Nachbar,« sagt die Erdme. »Erst konntest du's nicht +erwarten, und jetzt tut es dir weh.« + +»Es ist nicht ums Wehtun,« sagt er, »aber ohne Frau kann man nicht sein. +Wer wird mir jetzt die Schweine futtern und die Kuh?« + +»Ich denk', die hast du schon lange gefuttert,« sagt die Erdme. + +»Das ist richtig,« sagt er, »aber sie war doch da.« + +Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps nach dem anderen. Und +langsam wird er beredt. Was man beim Nachbar Smailus so nennen kann. + +»Ich darf mich ja nicht beklagen,« sagt er, »denn das Sprichwort heißt: +>_Der_ Bauer hat Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen sterben.< +Pferde hab' ich ja keine, aber von Frauen ist mir nun schon die dritte +gestorben. Also hab' ich doch Glück. Aber so was ist leicht gesagt. Denn +wo krieg' ich nun gleich die Vierte her?« + +»Damit hat's ja noch Zeit,« tröstet die Erdme. »Laß sie doch erst unter +der Erde sein.« + +»Nein, damit hat's keine Zeit,« entgegnet er. »Die Trauerfrist werd' ich +schon abwarten. Das versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. Und +so eine, wie meine Dritte war, die findet sich nicht leicht. So sanft +von Gemüt, und dreihundert Taler. Die hat mir auch noch die Ulele +besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?« + +»Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,« sagt die Erdme. »Die hat ja +noch unlängst Wein geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.« + +Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, die Ulele, aber die +Ölsardinen haben der Erdme den stärksten Eindruck gemacht -- in +Erinnerung an den Glanz ihrer Mädchenzeit. + +Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten Tage eine Depesche zu +schicken. Berlin ist ja weit, aber denkbar wär's immerhin, daß sie käme. + +»Wieviel kostet so eine Depesche?« fragt der Smailus. Und ob er +womöglich auch noch die Reise bezahlen muß. + +Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die Depesche werde sie auslegen und +sich später von der Ulele entrichten lassen. Was aber die Reise belangt, +so sei die ohnehin viel, viel zu teuer für ihn. + +Da willigt er ein und gibt auch gleich den Umschlag mit ihrer Adresse. + +Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele. + +Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof zu Heydekrug ankommt, da +steigt sie aus einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt eine +Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht so eine Dame! Ganz in Schwarz mit +langem Schleier und noch einem Schleier und noch einem Schleier. Nie im +Leben hat die Erdme so viele schwarze Schleier gesehen. + +Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich sie den Wagen selber +kutschiert, der die Nachbarstochter heimfahren soll. Die muß erst kommen +und sie in die Arme schließen. Und das tut sie vor allen den Leuten und +schämt sich nicht im geringsten. + +Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt nicht mehr an die tote +Nachbarsfrau, nicht an den Sarg, nicht ans Begräbnis -- wo sie doch +selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist wie ein hilfloses +Kind, -- sie sieht bloß die Ulele. + +Der Inbegriff von allem, was sie hat werden wollen und nicht geworden +ist, das Abbild, das Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der +Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, das Feinste, das Höchste +auf und über der Erde, Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin +des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, keine Kellnerin kann +so schön sein wie die Ulele. + +Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man solch eine Dame Litauisch +sprechen gehört. Es geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch +Litauisch. + +Sie fragt gleich nach allem: »Wo ist der Vater? Wer macht den Sarg? Wer +trägt mir Koffer und Kranz auf den Wagen?« + +Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig Lilien, und es ist doch noch +Winter. + +Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann zu fahren, um den Sarg +zu besehen. Und zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation +wegen des Leichenschmauses. + +Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und alles ist da. + +Das ist die Ulele. + +Aber stolz ist sie eigentlich nicht. + +Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat sie all ihre Schleier abgetan +und sieht nun in dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel anders aus +als eine Deutsche auf dem Szibbener Kirchhof. + +Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das tut, da sagt sie: »Ich bin +ein dummes Kalb gewesen. Ich hab' mich von euch bewundern lassen wollen, +und darum hab' ich mir all das Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm' ich +mich recht vor eurem bißchen Armut.« + +Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die gelben, knöchernen Hände +und sagt: »Die hab' ich allein auf dem Gewissen.« + +»Wieso?« fragt die Erdme. + +»Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und nur auf mein Zureden ist sie +gekommen.« + +Während der Leichenfeier hält sie die Kinder auf dem Schoß und wischt +ihnen die Näschen, aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in seinem +Kummer nicht nach hinten geht und zu viel trinkt. Und jedem der Gäste +schenkt sie ein Stückchen Seife. + +Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch weitere acht Tage, ist +aber selten zu sehen. Und wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich +immer steckt, da gibt sie zur Antwort: »Ich muß doch den Kindern eine +Mutter besorgen.« + +Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und setzt sich mit der Erdme an den +Feuerherd. + +»Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich weiter gehen,« sagt sie. »Sie +ist aus Pagrienen und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas Geld +hat sie, und das übrige leg' ich zu. Aber das darf der Vater nicht +wissen. Damit er sie richtig in Ehren hält.« + +»Du bist wohl sehr reich?« fragt die Erdme bewundernd. + +Sie lächelt und sagt: »Eigentlich bin ich ärmer als ihr, nur bei euch +hat das Geld einen anderen Wert.« + +Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze Geschichte. + +Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es einmal in ihrem Kopf +entstanden war. Hat die Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die +Verwaltung und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren Geschäftsleiterin in +einer Seifenfabrik. Daß es kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen +war, sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied. + +»Und wird Er dich heiraten?« fragt die Erdme begierig, denn sie hat +jedes Wort im Gedächtnis behalten. + +Die Ulele macht den Zeigefinger naß und streicht sich über die +Augenbrauen. Das tut sie oft, wenn sie nachdenkt. + +»Das geht nicht so leicht, wie man sich's vorgestellt hat,« sagt sie und +lächelt. »Denn meistens ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar +noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann begnügt man sich gerne +damit, daß Er manchmal abends zu einem kommt und bis Mitternacht bleibt. +Dann muß man Ihn heimschicken, damit die Frau nicht Verdacht schöpft.« + +»Aber Er gibt dir doch, was du willst?« fragt die Erdme mit blitzenden +Augen. + +»Was ich will, gibt Er mir schon,« sagt die Ulele. »Aber viel darf es +nicht sein, damit die anderen nicht denken, daß man sich 'rumtreibt.« + +Das begreift die Erdme nicht recht. Sie würde gegrapscht haben ohne +Unterlaß, ohne Bedenken. So was versteht sich von selber. + +»Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter da,« fährt die Ulele fort, +»der mich durchaus heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen und +niemand. Darum muß man immer hübsch einfach sein. Nun ist die Frage: +soll ich darauf hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, oder +mach' ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? Das erstere wäre mir +lieber, denn dann bliebe ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an +zwei Männer -- das ist mir zuviel. Und schließlich kommt's einmal 'raus, +und die ganze Blase platzt auseinander. Ich werd's aber trotzdem wohl +tun, denn ich lieb' die Fabrik wie mein Kind.« + +»So hast du also doch durch das Mannsvolk dein Glück gemacht,« sagt die +Erdme mit Stolz. + +Die Ulele schüttelt den Kopf. »Dann sieht die Geschichte ganz anders +aus,« sagt sie. »Stöckrig bin ich geblieben, und Busen hab' ich richtig +auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, reden wir vom Geschäft +viel mehr als von Liebe. Durch Tätigkeit hab ich's gemacht und durch +Nachdenken, -- aber natürlich: das Mannsvolk muß mithelfen, sonst bleibt +man im Mustopf.« + +Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt auch die Kinder. Und jedem +schenkt sie ein Stückchen Seife, die riecht noch schöner als die beim +Begräbnis. + +An demselben Abend, nachdem Erdme die Kinder zur Ruhe gebracht hat, +kniet sie an ihren Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem +Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso fein und ebenso vornehm +werden sollen wie die Ulele, die jetzt Adele heißt. + +Und die sollen _gerade_ durch das Mannsvolk ihr Glück machen. + + + 12 + +Von der Katrike und der Urte hab' ich noch gar nichts erzählt. + +Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, gehen in die Schule und +lernen ein vornehmes Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch +Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite Welt hinaus, dorthin, +wo die Menschen nicht einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist +unerbittlich, wenn sie das »h« nicht aussprechen können, und wie sie's +endlich gelernt haben, da verwechseln sie »Ecke« und »Hecke« und sagen +»der Uhn at Heier gelegt«. Und manchmal weiß die Erdme es selbst nicht. + +Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was Besserem geschaffen sind, +als sich hier von dem Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, denn +das Moor beizt und macht Schrunden und Risse. Darum sollen sie in den +Kartoffeln nur arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. Am +liebsten schickt sie sie in die Wiese. Dort dürfen sie auf den Heuhaufen +liegen und den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. So wie die +Schwalbchen werden sie auch einmal in andere Gegenden ziehen, aber +heimkehren zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür sind sie zu schade. + +Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit nach Kräften. Sie treiben +sich weit und breit im Moore herum und entdecken allsommerlich neue +Gebiete. + +Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, wird nicht leicht glauben, +wieviel es darin zu entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein +Birkengebüsch -- von fern sah es nach gar nichts aus, aber steckt man +die Nase hinein, dann ist es voll von heimlichen Wundern. Rauschbeeren +wachsen darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man sie gern, denn +sie schmecken noch schöner als die Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie +machen die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt und einschläft. Und +der ledrige Porst treibt Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch +besser als in dem kitzelnden Heu. + +Und manchmal findet man Blänken und Teiche -- nicht die viereckigen mit +dem kohlschwarzen Steilrand, die durch Torfstechen künstlich gemacht +sind -- o nein doch -- diese hier stehen seit Erschaffung der Welt und +stechen von weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die einer im +Sonnenlicht hin und her dreht. + +Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel zu Humpel muß man springen, +sonst versinkt man womöglich im Schlamm, und wer einen dann noch +herausholt, wie kann man das wissen? Aber ist man erst da, dann hat man +Freude genug. Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, wie Knäuel von +Schlangen durcheinandergewunden. Darin klettert man 'rum und genießt das +eigene Fürchten. Und noch was weit, weit Schöneres gibt es. Das ist der +Rasen, der in das Wasser hineinwächst und auf dem man sich schaukeln +kann, noch lustiger als zwischen zwei Birken. Aber fix muß man sein und +das Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben auf, und will man +verweilen, dann sinkt er schwer in die Tiefe. Auch sind seine Ränder +sehr böse gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit er hält. Mit einem +Male kann das Wasser an einem hochspritzen, und wie man dann 'rauskommt, +das weiß man noch weniger. + +Aber das macht nichts. Bisher hat man sich immer gerettet. Zwei so'nen +Moorkröten wird das Moor doch nichts tun. Das wär' ja noch besser. + +Im Winter freilich ist's schlimm -- wenn man zur Schule muß und der +Frost durch die Handschuhe durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. Und +in den Schlorren erfrieren die Füße. Da muß die Mutter zur Nacht +Terpentin auflegen. Das brennt wie das höllische Feuer. + +Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn man die Hand vor den Augen +nicht sieht und vom Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und plötzlich +im Schnee steckt bis über die Achseln. + +Dann möchte man wohl gerne zu Hause bleiben wie die anderen, deren +Eltern ein solcher Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig +die Mutter sonst wohl auch ist, hierin kennt sie kein Mitleid. + +»Die Schule _muß_ sein,« sagt sie, »denn wenn sie nicht lernen, können +Besitzerstöchter niemals ihr Glück machen.« + +Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens und abends und bei +jeder Gelegenheit. Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug ihrer +Geburt erinnert werden als sie. Auch daß sie einmal in Samt und Seide +gehen werden, wissen sie längst und putzen zunächst an den Lumpen herum, +die zum Schulgang immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke sind fein +-- bunter Kattun aus dem Hoffmannschen Laden, mit weißen Spitzen besetzt +-- dreißig Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben sie auch und +Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter selber bestickt. + +Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur wenn sie mithelfen sollen und +die Mutter meint, sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich +auf. Und dann muß sie klein beigeben. Wer weiß, ob er ihr sonst nicht +eins überrisse. + +Vom Vater wissen sie wenig. Meistens hockt er des Abends stumm auf der +Ofenbank, oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann nimmt er ein +Blatt Papier vor und rechnet. + +Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun. + +Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und damit der Höchststand +erreicht. Das Pferd ist auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und +bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist eine braune, struppige +Kragge mit Spatbeinen und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin +achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. Darum läuft es trotz +seiner vierzehn Jahre noch immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem +Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen mit einem +Lehnensitz, man könnte sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen. + +Aber solche Sprünge machen wir lange noch nicht. Wir sammeln Pfennig für +Pfennig und tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß das Pracherhaus +heruntergerissen und statt seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es +die Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, mit Kachelofen und Dielen +unter den Füßen. + +Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie es geht, und steckte das +Gekrassel dann an. Aber zwischen Versicherung und Brand müßten +anstandshalber zwei Jahrchen liegen oder auch drei, sonst steigt einem +womöglich der Staatsanwalt auf den Puckel. Versichern kann man ja +immerhin schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, das immer besser +gedeiht und das auf dem Markte Preise kriegt, wie man sie niemals +geträumt hat. + +Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin vorwärts kommt und der liebe +Gott seine Hände sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu hüten! + +Dann ist auch das Frommsein leicht, und die Kirchfahrt wird ein +Vergnügen. Schon weil einen die Leute ansehen und sagen: »Das ist der +Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei Töchtern. Der fing einmal ganz +klein an und hat unlängst eine Belobigung bekommen für Mastvieh.« + +Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht mehr, und keiner geht +jemals zu ihm. + +Bis endlich die Erdme sagt: »Ich muß ihm die Kinder bringen, damit er +sieht, wer wir sind.« + +Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, steckt ihnen Kämme ins Haar +und Schleifen unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber. + +Er ist nun ein Greis, und die Taruttene pappelt wer weiß was. + +»Nachbar,« sagt die Erdme, »du hast uns einmal Obdach gegeben, als wir +jung waren und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum kommen die Mädchen +schön Dank sagen.« + +Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm die Hand, und die Katrike +will nicht, aber sie muß. + +Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz übersinnig geworden. Er muß +erst nachdenken, wer sie wohl sind, dann sagt er: »Ja ja -- ja ja. Der +Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen Trachtens voll. Und keine Reue +hilft und keine Demütigung und kein Gebet. Darum soll er sich züchtigen +mit Geißeln und den Kopf im Staube bergen vor seinem Gott.« + +Die Erdme sagt gekränkt: »Wenn ich gewußt hätte, daß du so nachtragend +bist, Nachbar, dann wär' ich nicht zu dir gekommen.« + +Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von neuem. Dann sagt er: »Es +will mir scheinen, Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, während +ich doch nur mich selber im Sinne habe.« + +»Wieso?« fragt die Erdme verwundert. + +»Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr mich und meine gottgefälligen +Freunde mit Kränkung von dannen gehen heißen. Da habe ich Lieblosigkeit +gegen euch aufgesammelt in meinem Herzen und habe euch Übles antun +wollen. Ich habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt hätte, +hätte ich es auch nicht gekonnt, aber daß ich bösem Willen eine Herberge +geben konnte in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. Die bitte ich +Gott ab, indem ich sie dir abbitte, Nachbarin.« + +Und da geschieht das Wunderbare: der arme alte Mann kniet mühsam vor ihr +nieder und hebt die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, ihn +wieder hochzuziehen. + +Die beiden Marjellen aber lachen sich eins und machen, daß sie +hinauskommen. Und wenn Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack +spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß sie niederkniet und +Abbitte leistet, sonst sei sie kein gottgefälliges Mädchen. + +Und dann vertragen sie sich und lachen immer aufs neue. + +Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht als der Baubau -- »der +Baboszius«, wie die Litauer sagen -- durch ihre ganze Kinderzeit. Vor +dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken. + +Das ist der alte Raubmörder drüben in der baufälligen Kate, der +korbflechtend am Wege sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn sie, +aus der Schule kommend, vorbeimüssen. Dann nehmen sie die Röcke zwischen +die Beine, und heidi! jagen sie quer übers Moor -- über Kartoffeläcker +und Gräben der schützenden Heimat entgegen. + +Und doch hat er ihnen nie was getan. + +Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein gütiger Onkel, bringt +Gerstenzucker und Walnüsse mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. Darin +stehen Geschichten von Königstöchtern und Prinzen und anderen vornehmen +Leuten, zu denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt immer noch +und läßt sich von der Mutter betreuen. Aber ihnen sollte es einfallen, +für fremde Leute Magddienste zu tun! + +Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike ließ' es nicht zu, denn +warum so was Unnützes überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung. + +Die Frau des Smailus -- die vierte -- ist ihnen nicht grün und will kaum +einmal, daß die Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze Person, +die ihren Mann hält, als wär' er ihr Knecht. + +Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der Smailus bisweilen und klagt: +»Was können die Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, und die +gestorbenen Frauen? Denn ich bang' mich so sehr nach der Dritten.« + +Und dann sagt die Mutter bloß: »Siehst du, Nachbar, da hast du's.« -- -- +-- + +Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen Kopf und soll drum in der +Fremde ihr Glück machen. + +Die Katrike wird nächstens zum Unterricht gehn. Sie wächst und wächst +dem lieben Gott ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie »das +Katzchen« genannt. Faul ist sie wie die Pest. Sie muß daher ein +Rittergut haben. Und so ist alles aufs beste bestellt. + + + 13 + +Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! Wassersnot! + +Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser wird man doch noch aushalten +können. Das ist doch fast in jedem Frühling so gewesen. + +Aber man hat erzählt, die Leute, die vom großen Strom herkommen, haben +Vieh angebunden und Betten aufgeladen. In langer Reihe stehen die Wagen +auf dem Rußner Chausseedamm, und vor der langen Brücke sollen sie +aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter können. Der Heydekrüger +Markt sei übervoll, und nirgends mehr geb' es ein Obdach. + +Die Erdme sagt zum Jons: »Sieh doch mal nach, was dran wahr ist.« + +Der zieht die langen Stiefel an und planscht drauf los. + +Der Hof steht unter Wasser. Das will am Ende nicht viel sagen. Der +Knüppelweg steht auch unter Wasser, aber der Boden darunter ist noch +steif gefroren. Man kann vom Fenster aus sehen, daß er fest hält. Wie +der Jons marschiert, macht das Wasser spielende Wellchen über dem +Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde es spritzen. + +Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen Nebel und scheinen so weit +weg, daß man meinen könnte, sie seien aus einer anderen Welt. + +Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, und die Dächer tropfen. + +Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen an. Die Kühe haben heute früh +noch kein Heu gekriegt, und die Schweine quaksen. + +Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: »Wir müssen abfuttern gehen.« +Aber die wollen nicht 'ran, denn das Wasser ist naß. + +So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt die Röcke hoch und geht +auf Klotzkorken nach dem Hof. + +Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, schwimmen schon, und wenn +man von einem zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur so in die +Höhe. + +Aber man kommt doch noch hin. + +Den Schweinen geht das Wasser schon an die Läufe. Sie sind unruhig und +fressen nicht. Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die kommt aus der +Niederung und kennt den Dienst. Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die +will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, obwohl ihm die +nasse Streu kein Vergnügen bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, +aber sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher legen, und dazu gehört +eine Sommerarbeit von vierzehn Tagen. + +Sie will sich von den Tieren nicht trennen, läuft von einem zum anderen +und klopft ihnen beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun. + +Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: »Mamma! Mamma!« + +»Was ist?« + +»Das Wasser ist in der Stube!« + +Also zurück. + +Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr halten. Tritt man darauf, so +gleiten sie seitwärts, und man sieht sich im Wasser bis über die Waden. +Aber man kommt doch noch immer zurück. + +Richtig! Das Wasser steht in der Stube. Gar nicht wie ein Gast, der +nicht hingehört. Hat sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann sich +drin spiegeln. + +Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und sagen: »Wo sollen wir nun +sitzen?« + +»Setzt euch auf den Tisch,« sagt die Erdme. Ihr sind die Beine wie Eis. +Sie sucht einen Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den Kasten. +Da ist das Wasser schon an den Kleidern hochgeklettert und hat alles +verfeuchtet. So setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine an +der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt ist noch worden. Das wärmt sie +wieder ein bißchen. + +Die Marjellen haben sich richtig auf den Tisch gehuckt, wo das Frühstück +noch 'rumsteht. Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie in die +Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie zu träge ... + +Die Erdme will die Füße zur Erde sinken lassen, aber erschrocken zieht +sie sie wieder zurück, denn das Wasser reicht auch hier schon bis über +die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen Kartoffeln geschwommen +und der Schmandtopf zum Buttern. + +Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da nun doch nicht gebuttert +wird, so trinken sie ihn umzech aus, und jede freut sich an dem weißen +Schnurrbart der anderen. + +»Mamma,« sagt die Katrike, »wenn wir hier 'raus müssen, wer wird uns +dann abholen kommen?« + +»Der König wird einen Prinzen schicken,« sagt die Erdme, die sich zu +ärgern anfängt. + +Und sie wollen sich schief lachen. + +Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe in dem Kleiderschrank auf +dem Boden stehen und notwendig naß werden müssen. + +»Ach, Mamma,« sagt die Katrike, »du hast ja schon sowieso kalte Füße. +Sei so gut und hol uns die Schuhe.« + +»Holt sie euch selber,« sagt die Erdme, die immer noch zittert. + +Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da die Katrike am Mittwoch zum +Unterricht muß, so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß einen +Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. Auf dem Sitz kniet sie nieder und +öffnet die Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, und einer ist +umgekippt, so daß beim Hochheben das Wasser im Bogen herausläuft. + +Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt erst ein Unglück geschehen +ist. Wenn _die_ eine Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht! + +Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden. + +»Paßt auf, ob der Vater kommt,« sagt sie zu den Marjellen. + +Die kucken zum Fenster 'raus und sagen nach einer Weile: »Der Nachbar +Witkuhn will das Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.« + +»Ist es schon so weit?« denkt die Erdme, und das Herz steigt ihr hoch. +Doch dann gibt sie sich einen Stoß und springt von der Ofenbank 'runter. +Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, stundenlang -- sie +wird auch das aushalten können. + +»Kommt mit in den Stall,« sagt sie. + +Die beiden glauben nicht recht gehört zu haben. Quer durch die +Überschwemmung -- o pfui doch! + +»Dann ersauft meinetwegen hier,« sagt sie. + +Da leuchtet es ihnen schon eher ein. + +Draußen reicht das Wasser bereits bis an die Knie, und den Marjellen +noch höher. Sie heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie doch. + +Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine drehen sich quiekend im +Kreise, und die Kühe reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. Nur das +Pferdchen steht voll Ergebung und zittert. + +Mein Gott, und der Vater kommt immer noch nicht! + +Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter ihr -- naß bis gegen den +Nabel. + +»Ich hab' mein Vieh dem Smailus mitgegeben,« sagt er. »Die Schweine sind +in den Graben geraten und werden ertrinken. Eure kriegt ihr schon nicht +mehr heraus.« + +»Was wird werden, Nachbar?« Sie ringt die Hände. + +»Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, ihr schafft die Kühe hinauf.« + +Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. Seit wann kann eine Kuh +die Leiter hochklettern? + +»Bringt Säge und Schaufeln,« sagt er. »Auch Mistgabeln bringt, ich +werd's euch zeigen. Dann muß ich 'rüber, meine Frau auf den Boden +tragen. Die liegt im Bett und kann sich nicht rühren.« + +Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei Mistgabeln. + +»Draußen liegen Ziegel vom Bau her,« sagt er weiter, »die klaut aus dem +Wasser und schafft sie herein.« + +Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt er jeder einen Stoß gegen +den Hintern. Das hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die Ziegel, und +die Katrike schimpft, sie wird sich erkälten. + +Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht auf dem Estrich aus, gerade +unter der Luke, und dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, die +ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist zu staken an, der Kuh immer +unter die Hufe, so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht. + +»So macht's weiter,« sagt er und schwingt sich hinauf durch die Luke. +Deren Bretter sägt er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, daß +eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann. + +Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon gegen die Decke, aber unten +weicht das Wasser die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will. + +»Stemmt Bretter gegen!« sagt er. Die Marjellen tun's. Nun sie naß sind +bis gegen den Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das einzige, +was sie vor dem Erstarren bewahrt. + +Die Schweine stehen auf den Hinterläufen und trippeln an der Wand +entlang wie große Ratten im Käfig. + +Wer wird sie heben können? Denn um stille zu halten, sind sie zu dumm. + +»Manneskraft fehlt,« sagt der Nachbar. Dann, sich vor die Stirn fassend, +stöhnt er leise: »Und sie liegt und kann sich nicht rühren.« + +Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber er bleibt. Es ist ja die +Erdme, die ihn braucht. + +Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, da steht der Jons mit einem +Male da -- naß wie eine ertränkte Katze. + +»Ich hatt' einen Kahn beschafft für euch,« sagt er, »da haben die +anderen mich 'rausgeschmissen. Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, und +ein Kind ist ertrunken. Von nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den +Chausseedamm.« + +Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind starr. Nur ein Rucken zeigt, +daß noch Leben in ihnen ist. + +»Nachbar,« sagt der Witkuhn, »die eine Kuh ist oben. Versuch's mit der +anderen. Die Erdme weiß, wie. Das Pferd laß 'raus, das schwimmt zum Damm +von alleine. Aber die Schweine müssen ersaufen.« + +»Vielleicht krieg' ich sie auch noch 'rauf,« sagt der Jons. + +»Unmöglich ist nichts,« sagt der Nachbar und planscht zur Tür. + +»Wo willst du hin?« fragt der Jons. + +»Meine Frau liegt im Bett und kann sich nicht rühren!« + +»Dann bet ein Vaterunser für sie,« sagt der Jons. »Jenseits des Wegs ist +jetzt Strömung. Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen tust du +auch.« + +»Ich muß!« sagt der Nachbar und geht. -- + +Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen Stücke schwimmen nun 'rum. Auch die +Schwarzweiße folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch der Mist will +unter dem Wasser jetzt nicht mehr halten. Der Jons bricht die Raufen +entzwei und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So kommt Festigkeit in +den Bau. + +Die Schweine in ihrer Todesangst klettern jetzt an den Menschen hoch -- +man muß sie mit Mühe abwehren --, und auch das Pferdchen wird unruhig. + +Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem es eine Weile lang in den +Stall zurückgewollt hat, begibt es sich klug auf die Reise. + +Sie schaufeln und staken und staken und schaufeln und nutzen jeden Eimer +und jede Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen. + +Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, da liegt schon das eine der +Schweine regungslos auf dem Wasser. Das andere, das immer noch quiekt, +schieben sie den Mistberg hoch, so daß es halb erwürgt oben ankommt. + +Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen. + +Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu und hat Krämpfe. + +»Ich geh' ins Haus und hole, was nötig ist,« sagt die Erdme. + +Die Marjellen schreien: »Du wirst ertrinken!« Aber sie macht sich nichts +draus. + +Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die Brust. Es steht nicht mehr +still wie zuvor. Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, dicker +als Torfziegel. Die kommen sicher vom Strome. Es muß also ein Dammbruch +geschehen sein. + +Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren zu wollen über Nacht. Aus +der Gegend der Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von Menschen und +Tieren. Ab und zu ein Schrei wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles +still. Wie längst gestorben ist alles. + +Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen die Tischplatte. Die Stühle +schwimmen. Die im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch trocken. +Nur das unterste Stück hängt ins Wasser. + +Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück ist's, daß dem Jons sein +Schafpelz zum Trocknen noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird Wärme +haben. + +Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und her, die Arme hochhaltend, und +immer schwieriger werden die Wirbel. + +Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu die Glieder warm und wühlt +sich nackt in den Haufen. Und während die Marjellen kreischen und Jons +im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein und schläft die ganze Nacht +durch wie ein Sack. -- + + * * * * * + +Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser glänzt eine dünne, blaßblaue +Eisschicht, in die schneegraue Blöcke eingefroren sind. + +Sie denkt an die Prophezeiung des alten Raubmörders. Wer jetzt noch +gegen das Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe Eis mit tausend +Messern das Fleisch zerschneiden. + +Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte ihr einstmals drohte. Nur daß +sie nicht im Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben im Hause +geblieben, weiß Gott, wie es dann aussähe! Das, was dort Dach heißt, +hätte sie niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, das Haus +sieht aus wie eine Roggenhocke kurz vor dem Umfall. -- + +Sie steht auf und zieht sich an. -- Die Röcke von gestern sind noch +patschnaß, aber die mitgebrachten scheinen fast trocken. + +Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem Fieber redet Dummzeug. Die +Kühe haben sich eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück. + +Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch der Stall nicht mehr +festhält. Und der war doch wie für die Ewigkeit gebaut. + +Wie geht's denn mit den Häusern ringsum? Heute ist klare Luft. Man sieht +sie, als wäre man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft das Wasser zur +Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen sein mag? Ob die Frau wohl noch +lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein das Dach durchschlagen, +denn der bestand bis hoch oben aus Ziegeln. + +Und dicht daneben? Was ist das? Da steht ja ein anderes Haus, das +gestern nicht da war! -- Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des +alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden. + +Um Himmelswillen -- das fremde Haus dicht neben dem Hofe des Smailus, +das ist sie ja! + +Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, langsam treibt sie der +Wasserdrang vor sich her. In jedem Augenblick verschiebt sich die +Richtung gegen den Hof hin. + +Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, das sie weiter bewegt? So viel +Kraft kann das kaum haben, denn dann gäb' es ja keine Eisschicht. Und +was bedeutet die Stange, die sich am hinteren Ende hebt und senkt? + +Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein Kahn. -- Ein Kahn, der sich +fortbewegt, ein Kahn, der gelenkt wird. + +Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst von einer Arche Noah +gesprochen? + +Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam kommt sie, aber sie kommt. +Kommt sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie vorbei? + +Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und schreit: »Hierher! Hierher!« + +Die beiden Marjellen fahren hoch: »Mamma, was ist?« + +»Schreit, schreit, schreit!« + +Und alle drei schreien: »Hierher! Hierher! Hierher!« + +Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, dort, wo die Birken bis an +die Kronen im Eise stehen. + +Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit hochstehenden Rändern. Die +hat er all die Jahre mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts +ahnen. + +»Hierher! Hierher!« + +Und jetzt hört man schon das Zerspellen des Eises, das sich am Holze +hochschiebt und klingende Risse voraufwirft. + +Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die Lumpen eines Schafpelzes +hängen an ihm herum. Er schwingt die Stange und lacht -- lacht -- lacht. + +»Nachbar, hierher!« + +»Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar -- hä? -- Der geliebte Nachbar! +Der wertvolle Nachbar -- hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen wollten, +dann wär' ich euch nicht zu schlecht -- hä?« + +»Nachbar -- vergiß und hilf!« + +»Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! Und kein Abseitsrücken! +Jetzt wird spazierengefahren an allen vorbei, die ertrinken, und gelacht +wird wie bei einer Hochzeit.« + +»Nachbar -- erbarm dich!« + +»Hast _du_ dich erbarmt? Ja, du _hast_ dich erbarmt! Du hast mir einmal +ein Stück Hochzeitsfladen hingeworfen. Hast es wohl längst vergessen. +Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, Hochzeit zu feiern bei mir. -- +Du und was mit dir da drin ist.« + +»Jons, steh auf!« + +Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt von Sommerwiesen und Heuaust. Und +die Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen lieber ertrinken +als zu dem Raubmörder ins Haus. + +Aber die Erdme fackelt nicht lang'. Sie kriegt die Urte zu packen und +wirft sie dem Alten aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe +entzweiknallt. Und mit der Katrike macht sie's nicht anders. + +Aber der Jons! Der Jons! »Jons, steh auf, wir müssen in die Wiesen!« + +Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er läßt sich auch den Pelz +anziehen, mit dem er über Nacht bedeckt war. + +Aber nun 'runter. Wie schafft man ihn 'runter? Denn auch ihn aufs Dach +werfen -- das geht nicht. Er würde abrutschen und ins Wasser stürzen. + +»Jons, spring! Nimm Vernunft an und spring!« + +Aber das tut er nicht. Er muß ja in die Wiesen. + +Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch die Luft zu werfen, so daß es +das Rohrdach in Haufen bedeckt. + +»Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring 'rauf, sonst fahren wir ohne +dich nach Haus.« + +Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und -- Gott sei gesegnet! Er springt. +Bleibt in dem Rohrloch stecken, und da ist er geborgen! + +Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt werden. Die Kühe haben Futter, +aber das Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht von dem Miste +ernährt. + +Also los! + +Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm entgegen. + +»Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?« + +»Wer hat mir geholfen -- hä?« + +»Der Taruttis hat für dich gebetet.« + +»Aber gesprochen hat er nicht mit mir -- und der Taruttis ist auch schon +weg.« + +»Aber der Witkuhn ist noch da und seine todkranke Frau.« + +»Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen sie alle.« + +»Der Witkuhn wird _nicht_ ersaufen. Und wenn du mir nicht gehorchst -- +ich bin stärker als du und schmeiß' dich ins Wasser.« + +»Ist das der Dank, du Bestije?« + +»Ob Dank oder nicht -- ich schmeiß' dich ins Wasser.« + +Sie hat Fäuste wie Eisen -- das merkt er sofort und läßt schimpfend die +Stake in ihrer Hand. + +Und sie lenkt hinüber zum Weg -- an den eingefrorenen Birken entlang und +über den Weg hinweg. Langsam geht es -- o Gott, wie langsam! -- Das Eis +knirscht, als fletscht es ihr tausend grimmige Zähne entgegen, und der +Alte tanzt hin und her und droht, er wird die Axt holen und sie +erschlagen; aber sie lacht nur und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft +dicht vor ihr liegt. + +»Nachbar! Nachbar Witkuhn!« + +Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr lebendig. Nur die Katze +sitzt auf dem Dachfirst und knaut. Und das Wasser spült über das +zersplitterte Eis weg rund um den Giebel. + +»Nachbar Witkuhn!« + +Da -- was schiebt sich aus der schwarzen Luke langsam ins Helle? Ein +Bett kommt gekrochen, und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt die +tote Frau, und der Nachbar geht hinterher und schiebt. + +Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar schwimmt hinterher. Und +schließlich kommt auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten +festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen herein. + +»Wie fandst du sie?« + +»Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß ich nicht. Als ich sie auf +den Boden hob, war sie längst tot.« + +Weiterfahren! + +Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar die Hand. Und der nimmt sie +auch und hält sie ganz gierig, als hätte _er_ die Rettung vollbracht. + +Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, an keiner Wirtschaft +vorbeizufahren, aus der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten Geschmack +gefunden, seitdem eine Menschenhand in der seinigen lag. + +Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar Witkuhn, denn er ist naß und darf +nicht erklammen. Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. Die beiden +Marjellen sitzen zusammengekrochen im Winkel, und der Jons stöhnt oben +im Rohrdach. + +Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger als ein +Ziegenverschlag. Der Fußboden besteht aus langen Rudern, den Putschinen, +mit denen die Flößer ihre Holztriften lenken. Die hat er dicht neben +einander gelegt und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und verteert. Ein +Bett und ein eiserner Ofen -- viel mehr steht nicht drin. Und da kein +Herd da ist, der einen Untergrund braucht, so kann das Ganze vom +steigenden Wasser sich hochheben lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm. + +Noch aus drei Häusern holen sie die nassen und steifgefrorenen Bewohner. +Die dürfen ins Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen zum Heizen +sind auch da. + +Der alte Raubmörder geht immer von einem zum andern und kriegt nicht +genug Hände zu schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er. + +So kommen sie näher und näher an den Chausseedamm, an dessen Höhe dem +Wasser kaum noch ein Zoll fehlt. + +Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall und nach Fütterung, und auf +den Wagen weinen die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum mit +Eimern voll dampfendem Kaffee. + +Und überall die Stimme des Moorvogts. Vorne und hinten, in Streit und in +Jammer -- überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft und schiebt +die Achsen und halftert das Vieh und ordnet die allmähliche Abfahrt. + +Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen sieht und den +Bootshaken streckt, an dem man sich festhält. + +»Also das war dein Kunststück,« sagt er zu dem aussteigenden Alten. Und +der nicht faul, verlangt sofort seine Pension. + +»Erst geht in mein Haus und wärmt euch,« sagt der Moorvogt. Da gewahrt +er das Bett mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. Sein +Gesicht, das von dem zweinächtigen Tagewerk wild gedunsen und rot ist, +wird lang und grau. Er schlägt sich mit den Fäusten vor die Stirn, und +wie einer, den beim letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, sagt +er leis' vor sich hin: + +»Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.« + +Aber in demselben Augenblick hat er sich schon einen Ruck gegeben und +ist obenauf. Niemand als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei gehört. + +Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm herangefischt. Und +während es langsam dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die Mützen +vom Kopf. Einer stimmt an, und alle bis weit in die Ferne hinein, auch +jene, die noch nicht wissen können, was los ist, singen das alte +Begräbnislied: + + _Jau su Diewu gywenkite_ + _Jus mylimi, ne werkite,_ + _Kunelí manó dekite_ + _I zemé ir pakaskite._ + +Das heißt auf deutsch: + + »Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben, + Weint nicht, nun ich selig werde, + Und den Leib, der hier geblieben, + Senket in die dunkle Erde.« + +Laut und andächtig singen sie, denn wenn es, Gott sei gedankt, auch nur +wenig Tote gab, jeder hat ja eine Hoffnung begraben. + +Bloß einem geht es so gut wie noch nie. + +Das ist der alte Raubmörder. + +Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts mitten auf dem gestreiften +Sofa, hat die Hände um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift, +speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die ihn voll Achtung +umstehen, wie klug vorausschauend er einst sein Haus umgebaut hat und +wie vielen durch seine Guttat heute das Leben erhalten blieb. Darum und +aus noch vielen anderen Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine +Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage beschließen. + + + 14 + +Wie kann der Frühling so unbarmherzig sein! + +Je wärmer die Tage werden, desto frostigere Nebel haucht das +durchkältete Moor; je heller die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt +sie zutage. + +Der Jons ist von seiner Lungenentzündung aufgestanden und schleicht am +Stock wie ein nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er gelegen, und +Erdme mitsamt den Marjellen ist derweilen bei Fremden in Pflege gewesen. + +Nun sich das Wasser verläuft, können die Moorleute endlich wieder +zurück. + +Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da finden! + +Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor fünfzehn Jahren erbauten, das steht +zwar noch -- aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer stark +schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. Tritt man ein, so stinkt es +nach Moder und Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der Herd +auseinandergespellt, und was von dem Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein +mächtiger Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es mit Lehm und mit +Ziegeln bis in die Tischecke hin. + +Ein Wohnen darin ist unmöglich. + +Darum beschließt die Erdme, mit dem noch krankenden Mann und den +Töchtern zum Stall hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren +geholt worden, die an jenem Tage im Extrazug aus Königsberg kamen. Und +das Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. Die müssen sich +alle mit der linken Seite behelfen, die rechte, wo früher die Schweine +hausten, wird Wohnung. + +Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen wollen nicht 'ran. In +einem Schweinestall zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. Das +sei eine Entwürdigung. Besonders wenn man dicht vor der Fräuleinschaft +steht. + +Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der trostlose Zustand dauert +nicht ewig. Denn dort, wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten, +um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen und vier Dutzend +Schwarten ein Haus zu errichten, rücken eines Tages die Zimmerleute an, +und langgestreckte Gefährte bringen Balken und Bretter. + +Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als damals! -- Der +Raiffeisenverein hilft, und was noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank. + +Der Meister hat einen Grundriß gemacht für eine Große und eine Kleine +Stube, für Kammern und Klete, und statt des lehmbeschmierten +Ziegelgestells wird ein glitzernder Kachelofen herrlich erstehen. + +In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das den Stolz der Familie noch +weiter in die Höhe hebt. + +Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist in der weiten Welt nicht +unbemerkt geblieben. Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange +Schilderungen gebracht, und sowohl die rettende Arche Noah als auch die +Frauenleiche im schwimmenden Bett sind beschrieben und abgebildet +gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die auf Erden so lange und so still +gelitten hat, vom Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu ihrem +Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert. + +In den großen Städten haben die schönen jungen Damen zugunsten der +Überschwemmten getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. Haben +Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, Schaumwein und Küsse verkauft und +sind, wenn das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen. + +Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt und dabei vielerlei +Sachen gefunden, die den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem +Werte sein mußten: Festkleider von vor sechs Jahren, durchgescheuerte +Unterröcke, zerpliesertes Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern, +vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, gespenstische Bademäntel und +zu alledem Hüte für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult, +verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der Inbegriff aller irdischen +Pracht. + +Auch die feinen Herren haben das ihre getan. Die einen haben alte +Hochgebirgskostüme geliefert, weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich +war. Die anderen haben weißen Flanell bevorzugt, weil so ein Moor doch +nahe am Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen Wesen der +Notleidenden entsprechend ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische +gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise ihr altes Ballzeug +loswerden zu können. + +Kisten und Kisten wurden verfrachtet und gingen per Eilzug an den +Heydekrüger Frauenverein. Endlich, endlich werden die armen, nackten +Moorleute was anzuziehen kriegen! + +Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand vor sich liegen sehen, schlagen +sie voll Entsetzen die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, ihn ihren +Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten zu dürfen. Sie kramen alles +heraus, was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen das andere +verstecken. Aber da kennen sie unsere Moorleute schlecht. + +Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten für sie ins Land +geflogen sind, da stürmen sie den Schmidtschen Speicher und suchen mit +List und Gewalt das Feinste des Feinen für sich zu erraffen. Wunder +auch! Wer, der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt den schwarzen +Erdenschlamm knetet, wird es sich nehmen lassen, des Abglanzes fernher +leuchtender Paradiese teilhaftig zu werden? + +Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden flittrigen Fetzen. Wer was +Warmes und Dunkles in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen. +Schandworte fliegen herum, und draußen kommen Tauschgeschäfte zustande, +die wohl zehnmal zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer +Tracht Prügel ein Ende nehmen. + +Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, was das Glück ihnen zuschanzte, +und haben ein Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. Manche +spiegeln sich nach jedem hundertsten Schritte im Wasser der Gräben, und +alle fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, ob ihm in der +Dämmerung nicht was weggegrapscht wird. Den alten Raubmörder will einer +gesehen haben, wie er, gegen einen Chausseebaum gelehnt, barhäuptig +dastand und einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der Brust +plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen ließ. + +Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen reich beladen nach Hause. +Sie haben die lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich mehr an +das Schwere und Feierliche gehalten, denn Erdme war ihres alten Schwures +gedenk, daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide einhergehen sollen. + +Und das können sie fortan wirklich. + +Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem Samt, tiefausgeschnitten +und mit glitzernden Perlen bestickt. + +Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen und damit selbst die +vornehmsten Töchter der Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des +Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar herumstehen. + +Da die frühere Eigentümerin von mächtigem Leibesumfang gewesen sein muß, +so können beim Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen werden, +daß sich auch für die Urte ein Staatskleid ergibt. Und als das fertig +ist, bleiben noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme die eigene +Bluse reichlich damit besetzen kann. + +So fahren sie also am Einsegnungstage alle drei in himmelblauem Samt zur +Kirche. Und die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher. + +Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin. + +Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die lichterziehend und wie ein +Paradiesvogel bunt in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, da +packt sie sie an dem Samtschlafittchen und schiebt sie ins Pfarrhaus. + +»Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, Marjell, dich in solchem +Aufzug vor den Altar Gottes treten zu lassen?« + +Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken. + +Aber wie die Katrike bittet und weint, da fühlt sie ein menschliches +Rühren, holt aus dem Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft es ihr +um die Schultern. + +Und so kann sie denn eingesegnet werden. + +Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen die Baltruschats, von +neidischem Staunen umgeben. Nur des Jons muß man sich etwas schämen, +weil er nicht fein genug ist. + +Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, wie sie den Stolz der +Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit verdammt hinter dem Pfarrer +herkommen sieht, aber sie tröstet sich bald. + +Steckt auch der Glanz noch in schlichtem Futteral, er ist doch schon da. +Und das ganze kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu entfalten. + +Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch blauer sind als der Samt, den sie +anhat, und denkt beim Singen und Beten an die künftigen Bräutigams. + +Und der Jons denkt beim Singen und Beten an das wachsende Haus, dessen +glatt behobelte Wände schon über das Moor hinleuchten. + +Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht zu denken gewagt? + +Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus dem Moorschlamm herausgeholt, +der zäh und unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser lagert, bereit zu +verschlingen, was sich ihm anvertraut. + +Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons seine zerarbeitete Hand und +denkt: Hat es zwischen uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer +hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich überstanden, -- +wo sollte er herkommen, nun es leichter und leichter wird? + +Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag nah ist. + + + 15 + +So! Nun mach' ich einen langen Atemzug -- der dauert volle zehn Jahre +lang --, und dann erzähl' ich, was aus dem Jons und der Erdme und den +zwei hoch hinaus wollenden Töchtern weiter noch wird. + +Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand nicht viel zu +berichten. Als sie mit siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als +Kellnerin einzutreten -- denn das sollte die Schwelle sein zu dem +künftigen Glück --, da war sie ein appetitliches Marjellchen mit +kornblumenblauen Augen und einem süßen Schnauzchen, rund und feucht wie +eine betaute und gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, die sie +inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie schlank und hoch geworden ist +und überhaupt wie eine von den schönen Damen, die in dem früheren Hause +an den Wänden klebten. Sie schreibt bald von der Pariser +Weltausstellung, bald aus dem schönen Italien, sogar von der Spitze des +Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte geschickt, obgleich einem dort von +der großen Kälte die Finger erklammen. + +Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern Ortrud, und auch +Baltruschat heißt sie nicht mehr -- so ein litauischer Name ist viel zu +gemein für sie --, sondern einmal schreibt sie sich Balté, ein andermal +Baldamus und ein drittes Mal sogar wie der katholische heilige +Balthasar. + +Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, wenn man ihrer gedenkt. + +Die Katrike allerdings -- die ist noch etwas im Rückstand. Sie hat keine +Lust gehabt, sich ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch +daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer hat sie immer noch +nicht. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. + +An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang ist sie geraten -- das +wissen wir schon --, und die Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter +ihr her: »Kiek -- die lange Latte!« Dafür ruft man sie zu Hause auch +»Pusze, Pusze«, das heißt »Miesekatzchen«, und dieser liebliche Name +macht viel wieder gut. + +An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie spricht ein sehr feines Deutsch +und spitzt den Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum Beispiel: +»Üch bün eune reuche Besützerstochter.« Und das soll ihr mal einer +nachmachen! + +Viel tun -- tut sie nicht. Hat sie auch nicht nötig. Dafür ist jetzt die +Jette da, die Dienstmagd. Eine niederträchtige Kröt' übrigens. Die +spottet der Katrike doch immer nach. Wenn sie über den Hof geht, faßt +sie den Unterrock mit zwei Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und +dreht den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann ihr nichts nachweisen. + +Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu schade. Eine Stelle als +Stütze oder Gesellschafterin müßte es sein. Aber sie will nicht. Sie +will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen und sich mit der +Brennschere -- die hat ihr einmal die Urte geschickt -- die Haare in +Wickel drehen. Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so graugelb +wie bei einem Mutterschaf auf der Scherbank. + +Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. Sie liebt die Traumbücher +und die Zaubersprüche und liest darin morgens und abends. + +Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und die bespricht sie +fortwährend. An einem Ostermorgen ist sie sogar früh aufgestanden, hat +splitterfasernackt das Haus ausgefegt und das Gemüll ebenso nackt über +die Grenze getragen. Aber geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die +Jette meint, sie solle es machen wie sie und die Flöhe mit einem +Spirituslappen betupfen, so daß sie nicht hoch können. Aber diese +Fangart ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es lieber mit +Zaubern. + +Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike sehr wenig. Aber was soll er +machen? Die Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß gehen +darf sie nicht, und die Hände zerreißen darf sie sich auch nicht, denn +wenn der reiche Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, dann +zieht er sofort wieder ab. + +Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der Allerweltsfreiwerber, +schon zweimal im Hause gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner +Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock die Zunge ausstrecken +lassen und was er sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams, +die er anbot, waren bloß Kroppzeug. Nicht _ein_ richtiger deutscher +Besitzer ist darunter gewesen. Aber die Erdme hat's ihm auch vergolten. +Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, um sich die Nase zu begießen. + +Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons schon an die fünfundzwanzig +Jahr. Sehr schön ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch +nachgelassen. Jetzt würde sich kein Nachbar mehr in sie verlieben. Hart +und knochig ist sie geworden, und einen bösen Blick hat sie gekriegt von +dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen. + +Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele ihnen ihr bißchen Wohlstand +beneiden und ihnen jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen. +Schon manches liebe Mal hat sie einen Zauberbesen in den Quitschen +hängen gefunden, und wie oft der weiße Hexenspeichel an den Zaunlatten +hing, ist gar nicht zu zählen. Einer hat sogar bei dem katholischen +Pfarrer in Szibben für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat ihm +aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer daß er das Reißen bekam. + +Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. Sein Haar ist grau, und +sein Gesicht sieht aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost. + +Was hat der Mann aber nicht alles in seinem Kopfe! Allein das viele Geld +zu verwalten! Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. Und die +Wirtschaft wird staatsmäßiger Jahr für Jahr. + +Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden glänzt in der Sonne wie +Silber, und der massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, was +der Moorgrund schon aushalten kann. Auch drinnen ist alles aufs beste. +Der Herd steht noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in dem er +den Platz hat, ist hoch und weit und voll von bemalten Türen. + +Links geht's in die Große und in die Kleine Stube und rechts in die +Kammern. In keinem litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte ich +erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder in goldenen Rahmen und den +glasierten, doppelten Ofen, -- von der Tapete mit ihren blanken +Sternchen gar nicht zu reden, -- weiß Gott, ich würde kein Ende finden! +Winklig zum Stall ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit +Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des Torfes. Der Garten hat einen +richtigen Staketenzaun, und nicht bloß Raute und Riechblatt wachsen +darin und was man an Buntem wohl liebhat, sondern auch Möhren, Salat und +mannshohe Schoten, wovon man essen kann, soviel man nur will, selbst +wenn man Dienstags Körbe voll auf den Markt bringt. + +So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und keiner der Nachbarn kann +sich mit ihnen vergleichen. + +Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die Taruttene auch. Beide starben +am gleichen Tage, und als man ihnen die Leichenhemden anzog, hat der +Flachs in der Leinwand noch einmal zu blühen begonnen. Überall saßen die +blauen Sternchen. So fromm sind sie beide gewesen. + +Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension gekriegt, und als er zu +Grabe getragen wurde, sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt. +Ob aus Hochachtung oder zur besseren Bewachung, hat niemand zu sagen +gewußt. + +Der lange Smailus ist nun auch schon alt. Seine Vierte, von der niemand +was Gutes weiß, soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, und +wenn das Glück es will, kommt er dazu und nimmt sich noch eine Fünfte. +Die Ulele schreibt ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie schickt, +riecht immer noch schöner. Sie hat längst ihren Oberbuchhalter +geheiratet. Der ist Teilhaber an der Fabrik, und die beiden Besitzer +vertragen sich prächtig. -- Da sieht man, was ein tüchtiges Mädchen +kann! + +Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, wie ist der zusammengefallen! +Eine Dienstmagd besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet von früh +bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen Armen und sucht aus dem +Boden herauszuschlagen, daß er gerade zu leben hat. + +Aber raten und helfen, das tut er noch immer, und sieht an der Erdme +noch immer vorbei, und das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und +gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl so bleiben, bis auch das +andere stille steht. + +Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich über den Weg hin aufpaßt, +und wenn er gleich fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, ob ihn +selber friert oder schläfert. + + + 16 + +Der Jons und die Erdme sitzen im Garten zwischen den eingefaßten Beeten +und haben sich lieb -- denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag. + +Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, aber außer der Katrike +weiß keiner, weshalb. + +Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz aus Silberpapier schenken +wollen, hat auch schon Maß genommen und so, aber dann ist es doch +unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war. + +Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede geben unter den Leuten. + +Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die dünnbehaarten Köpfe. Jons +nimmt die Mütze, die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt sie ihr +auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch einen Scherz hat er in all den +fünfundzwanzig Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht im innersten +Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat. + +Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig und glücklich nebeneinander +hergegangen, und nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken hat +er sich nie -- außer bei Hochzeiten natürlich und ab und zu wohl am +Markttag, aber das gehört ja zum Leben, -- und geschlagen hat er sie +auch nicht. + +Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür dankt sie ihm mit Tränen. Und +auch er weint ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder. + +Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit den Traumdeuteraugen und der +zwei Trauzeugen, die auch am Sonntag nach Mist rochen. Und der +Abendstunde im Matzicker Chausseegraben gedenken sie auch und sehen sich +um, ob niemand sie hört. + +»Denkst du daran,« sagt die Erdme, »was wir uns damals alles gelobt +haben? Leicht war es nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch +getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden gestört.« + +Und er sagt: »Das ist dein Verdienst.« + +Sie sagt: »Deins ist es auch.« + +Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, denen ein guter Streich +geglückt ist wider Erwarten. + +»Gott sei gelobt!« sagt die Erdme; »jetzt sind wir über den Berg, denn +was kann uns nun noch Böses geschehen?« + +Und er sagt: »Ein Dreck kann uns geschehen.« + +Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen im blanken Sonnenschein +und denken: »Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.« + +Aber es kommt doch noch schöner! Viel schöner kommt es. + +Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen wollen wie alle Tage, da +bemerkt die Erdme, daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, ein +Herrschaftswagen, wie er hier selten zu sehen ist. + +Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der »Germania« und denkt +natürlich, es sind Herren von der Regierung, die im Moor nach dem +Rechten sehen wollen. + +Aber wie der Wagen immer noch näher kommt, erkennen sie beide, daß keine +Herren darin sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich sitzt sie +auch nicht, sondern steht und hält einen weißen Sonnenschirm in der Hand +-- mit dem winkt sie und winkt sie und winkt. + +»O Jezau!« sagt die Erdme und fällt wie leblos auf die Bank zurück. + +Da biegt der Wagen auch schon nach dem Zufahrtsweg ein und hält vor dem +Hoftor. + +Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, Brennschere und Seidenpapier +noch in der Hand, und rings um die Stirn sitzen die gewickelten +Knötchen. + +Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud heißt. In einem feinen +graukarierten Wollenkleide springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr her +springt ein Hund, wie ihn noch nie eines Menschen Auge sah. Mit +schneeweißen Locken, größer noch als ein Wolf und magerer als ein +Schmalreh. + +Doch daß die Urte mager ist, kann man nicht sagen. Einen Busen hat sie +-- der ist kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im dritten +Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. Und die blauen +Kornblumenaugen hat sie noch immer, aber goldene Haare hat sie +inzwischen gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft. + +Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da kniet sie vor ihr und befühlt das +Kleid und betastet die Schuhe, und wie sie das Kleid ein wenig hebt, was +kommt da zum Vorschein? Ein Unterrock von lauter -- du wagst es gar +nicht auszusprechen, nicht auszudenken wagst du es! -- ein Unterrock von +lauter Seide, von resedagrüner, ruschelnder, klingender Seide. + +Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, so klingt bei jeder Bewegung +die Seide. + +Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor und Zaun und traut sich an +die hochgeborene Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei der +Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. Und sie küßt auch ihn, aber +man sieht: sehr gerne tut sie es nicht. + +Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, sich die gebrannten +Wickel auszukämmen, und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte an +und möchte auch für sich was Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut +keiner. + +Der weißgelockte Hund, von dem man glauben könnte, man zerbricht ihn, +wenn man ihn anfaßt, steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten +Menschenaugen um sich und streckt den witternden Schlangenkopf bald nach +rechts und bald nach links, als kann er sich nicht erklären, wie er +plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft geraten ist. Den +belfernden Köter, der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude +springt, würdigt er keines Blickes. -- + +Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender Lederkoffer, hoch +wie ein Haus und wohlriechend wie russische Gurten. + +Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen Anmutigkeit und +ihrer rundhüftigen Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer führen kann, +wie man die Lämmer zu Markte führt. + +Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der ist von poliertem Holz und hat +silberne Einlagen. Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll noch +viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht aus wie schwarze, runde +Graupenkörner und schmeckt nach gesalzenen Fischen. + +Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid zum Vorschein mit einem +Spitzeneinsatz und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und auch die Katrike +kriegt ein Kleid, ein hellblaues Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse +und einem hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und federt, wenn man +ihn anrührt. + +Und das Allerschönste hab' ich noch gar nicht genannt: das ist der +Silberkranz. Kein Silberkranz aus Papierblättern, wie ihn die Katrike +beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem schweren, klirrenden +Silber, und ein gleiches Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins +Knopfloch zu stecken. + +Von nun an ist's mit den Heimlichkeiten vorbei. Die Erdme muß das +seidene Kleid anziehen und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, Jons +bekommt das Sträußchen wirklich ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen +sie beide im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein und lassen sich's +gut sein. + +Die Töchter sind um sie herum, und sogar die Jette, die abscheuliche +Kröt', tut sich lieblich, wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne +Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, damit sie des Morgens nicht +klappert. + +Nur einer ist nicht zufrieden -- das ist der große, magere, weißlockige +Hund. Der schnüffelt und schnobert, und wenn man ihn 'reinzieht, läuft +er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte Fressen rührt er nicht an. Die +Urte muß ihm von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, sonst würde er +am Ende verhungern. + +Die Urte erklärt: »Das ist ein sibirischer Windhund, Barsoi genannt, aus +einer ganz alten vornehmen Zucht mit einem Stammbaum, der reicht wohl +hundert Jahre zurück.« + +Sie hat ihn von einem russischen Grafen bekommen, der mit ihrem Freunde +befreundet war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, und alle +lachen sehr, als sie ihn hören, denn Petruschka heißt »Petersilie«. + +Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als die nach Hause gekommene +Tochter ansehen und ansehen. + +Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt -- einen besseren gibt es ja +nicht -- und mit den dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen Haare +geben Feuerstrahlen um sie herum, dann ist der Erdme, als muß sie in +einen finsteren Winkel kriechen und weinen und beten, daß Gott sie nicht +strafen wolle für dieses allzu große Glück. + + + 17 + +Der Urte -- die jetzt Ortrud heißt -- ist in der Kleinen Stube ein Lager +bereitet, und Jons und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich zu rühren +-- aus Angst, sie möchten die Tochter erwecken. + +Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in Frieden bis in den +blanken Vormittag. Eine Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater +zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem erst fertig. + +Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund zu zwei Mark, und läuft zwischen +Herd und Stubentür hin und her, um zu horchen, wann die Zeit zum +Frühstück gekommen ist. Dann trägt sie ihr alles ans Bett und sieht mit +Sorgen, ob die Urte sich's wohl schmecken läßt. + +Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen Spitzenhemd, mit dem +ruscheligen Goldhaar und den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe, +die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote und blaue Sonnen auf +der gewürfelten Decke. + +Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen pflegt. Aber viel ist es +nicht. Und lange Zeiten übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in der +Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme schon aus den Briefen, aber was +sie da überall getan hat, läßt sie im Dunkeln. + +Viele Männer haben sie heiraten wollen, aber es ist nie etwas daraus +geworden. Bei den Reichen und Hochgestellten haben die Eltern es nicht +erlaubt, und den anderen hat sie selber den Laufpaß gegeben. Als sie in +Königsberg Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr hergelaufen. +Viele haben sich duelliert, und einige haben sich totgeschossen. +Schließlich hat sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen +können und ist nach Berlin ausgerückt. Und dort hat das Leben erst recht +begonnen. + +Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft zu machen gedenkt, lächelt +sie mit ihren Blauaugen bloß so verschwommen ins Weite und sagt: »Mach +dir keine Sorgen, Mamusze. Für eine wie mich liegt der Reichtum nur auf +der Straße. Aber erst möcht' ich mich hier noch ein bißchen ausruhen.« + +Und das tut sie auch gründlich. Niemals faßt sie mit an oder kümmert +sich um was. Sie sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen auf der +Gartenbank, blickt nach dem Himmel und lächelt. Nur ihre Kleider hält +sie in Ordnung, steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und bügelt, +und ihre Finger, die rund und lecker aussehen wie marzipanene Würstchen, +führen die Nadel schnell und mit Ruhe. + +Die Erdme ist noch immer wie von einem Zauber befallen. + +Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an das heimgekommene Kind, macht +sich in ihrer Nähe zu schaffen und schleicht um sie 'rum, bloß um sie +still und andächtig zu betrachten. Oft ist ihr bange vor lauter Stolz, +so daß sie sagen möchte: »Sei doch einmal wieder wie früher.« Aber sie +weiß, das kann die Urte nicht mehr, dazu ist sie zu lange weggewesen und +hat zu viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie Schönschreiben kann und +Französisch, das hat die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie +gehabt. Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, aber es muß wohl das +Feinste sein, was auf der Welt gelehrt werden kann. + +Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand und sagt: »Ach, freu dich doch! +Freu dich doch!« + +Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, mit der Tochter +zusammenzusein, und er schämt sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr +reden und wie er den Löffel halten soll, und das Brot schneidet er +heimlich unter dem Tisch. + +Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, hat ihn »lieb Väterchen« +genannt und so. Wie er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch +sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. Es liegt noch nicht +Übles zwischen ihnen, bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder +Tag für Tag. + +Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz will ihr zerbrechen bei seinem +stillschweigenden Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht zwingen, +daß er sie lieb hat. + +Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der Schwester alles nachmachen +und versteht es doch nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen +und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die Nägel werden bloß noch +dreckiger, der Mund sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab +wie vertrocknetes Krummstroh. + +Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne Beschwerde. + +Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und macht sich ihre Gedanken. +Nicht daß sie die Katrike nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist wie +ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt dasitzt und sich in rein +gar nichts mit der Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn sie das +Hellblaue angezogen und den großen Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch +immer wie Tag und Nacht. + +Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist. + +Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. Die Urte unterweist +die Katrike in allem, was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme +und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, so daß der Neid in ihr +nicht hochwachsen kann. + +Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht länger so mit ihr geht. + +»Wenn du die Ulele wärst,« sagt die Mutter, »dann würdest du jetzt einen +Mann für sie suchen.« + +»Ich kann ebensoviel wie die Ulele,« sagt die Urte. + +Und da sie's verlangt, wird eines Tages, als der Jons in die Wiesen +gefahren ist, der kleine Tuleweit bestellt, der schon für hundert +Vermittlungen seine Prozente gekriegt hat. + +Der in seinem langen Pfarrersrock und den knallengen Hosen kommt forsch +herein und denkt, er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel spielen; +wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die ihn in ihrer rosenfarbenen +Fleischlichkeit ankuckt, da wird ihm schon ganz anders. + +»Aus was für 'nem Himmel ist denn _das_ hierher geflogen?« fragt er. + +Und die Urte sagt: »Nehmen Sie Platz, Herr Tuleweit.« Und sie, die +Erdme, bringt von dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer was da +ist. + +Und die Urte sagt weiter: »Sie sehen es mir vielleicht nicht an, Herr +Tuleweit, daß ich aus diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das +macht nichts.« Und dann lobt sie ihn, weil ihr bekannt ist, daß er bei +seinen Vorschlägen immer das Richtige trifft. + +Er bedankt sich und dienert. + +»Nun bin ich aber drauf und dran,« sagt sie weiter, »eine große Partie +zu machen. Eine wirklich große Partie. Und da wär' es mir natürlich +angenehm, wenn ich durch meine Schwester nicht in Verlegenheit käme. Ein +Deutscher müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, so daß man +sagen könnte: >Meine Schwester ist an einen Gutsbesitzer verheiratet.< +Das würde dann schon den richtigen Eindruck machen.« + +Die Erdme denkt: »Sie ist noch klüger als die Ulele.« Und der ganze Herr +Tuleweit schwimmt wie Öl auf Zuckerwasser. + +Was an seinen bescheidenen Kräften liege, das werde sicher geschehen, +aber letzten Endes sei es ja leider Sache der Mitgift. + +»Natürlich, natürlich,« sagt die Urte. Und wäre sie schon verheiratet, +so würde es ihr auch nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich +auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon mit etwas Bescheidenem +vorlieb nehmen. + +»Was heißt bei Ihnen >bescheiden<?« fragt der kleine Herr Tuleweit und +dienert nicht mehr. + +Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird sie sagen? + +Und sie sagt: »Nun, etwa fünftausend Mark.« + +Fünftausend Mark hat der Jons auf der Sparbank. Die hat er mit ihr in +zwanzig Jahren zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht meinen. +Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht sein für das kommende Alter. +Gewiß will sie aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es fehlt +womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit macht eine hängende Nase und +sagt, bei einem so kleinen Anerbieten werde man leicht behandelt wie ein +nichtsnutziger Schwätzer, aber er wolle schon sehen, er wolle schon Rat +schaffen und hoffe auf spätere reiche Belohnung. + +Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, in acht Tagen +wiederzukommen. + +»Willst du die Fünftausend wirklich aus Eigenem geben?« fragt die Erdme +voll Dankbarkeit. + +»Sehr gern wollt' ich sie geben,« sagt die Urte und lächelt; »nur, wenn +ich sie hätte, dann braucht' ich sie selber.« + +»Wo sollen sie denn aber herkommen?« + +»Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,« erwidert die Urte. »Ist es +nicht schon genug, daß ich auf meine Hälfte verzichte?« + +Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr ein Klumpen Heede im +Schlund. + +Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit die Katrike ein Nest kriegt. + +Und die, die solange in der Kammer gelauert hat, kommt begierig +gelaufen. + +»Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen hat er? Wieviel Pferde stehen im +Stalle? Wieviel Rindvieh weidet am Ufer?« + +Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. »Wenn es um _den_ Preis geht, +dann schlag dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein Gespartes gibt der +Vater dir nie.« + +Und die Katrike heult und wälzt sich am Boden. Ihren Besitzer will sie +nicht lassen. Der ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der kommt +ihr zu. Der gehört ihr zu eigen. + +Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. Ihr Kind ist im Recht. Nie ist +von was Anderem die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders +gedacht. + +Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie und verspricht ihr das Blaue +vom Himmel. + +Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die dickgeweinten Gesichter und +wundert sich. Aber fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon +abgewöhnt. + +Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste ist, geht ihm aus dem Wege, +so viel sie nur kann, aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich +versucht sie's mit Vorwürfen. + +»Du hast kein Herz für deine Töchter,« sagt sie, »und du achtest sie wie +einen Strick um den Hals.« + +Er fragt: »Wer hat dir das zu wissen getan?« + +Und sie sagt: »Das ersieht man aus deinem Benehmen. Schon die Katrike +hast du nicht leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, ist es noch +schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis« -- ein gemeiner Mann -- »und +bleibst ein Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.« + +Er sagt: »Ich habe nie erfahren, daß du von besserer Herkunft wärest als +ich. Als wir anfingen, Pracher waren wir da alle beide.« + +»Ich habe doch wenigstens meine Betten gehabt,« entgegnet sie drauf, +»und sechsundsechzig Mark hatt' ich auch, aber du hattest so gut wie gar +nichts.« + +Und er sagt: »Zu meinem bißchen habe ich zwei Jahre Arbeit gebraucht, +aber wo du deine Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts +Rechtes.« + +Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor die Stirn. »Ich habe dir +vorgerechnet auf Heller und Pfennig,« sagt sie, wie mit Blut übergossen, +und wendet sich ab. + +Sie ist nun so wütend auf ihn -- sie könnt' ihn beinahe vergiften. + + + 18 + +Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder da. Er hat einen, der +wäre nicht abgeneigt. Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit dem +Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat eine verschuldete Wirtschaft nicht +weit von Mineiken, und er ist der Dritte von Fünfen, hat eben gedient +und hält bereits Umschau unter den Töchtern der Gegend. Ob man nach +deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf dem Markt oder auf dem +Gericht oder sonst irgendwo, als käm' es durch Zufall. + +Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, aber ihre Tochter, die +Urte, will alles schön in die Hand nehmen. + +Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. Dort wird der junge Herr +Schmidt einen Schimmel seines Vaters am Halfter führen, und die +Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. Und was dann folgt, +wird Herr Tuleweit bestens besorgen. + +Das wird von nun durch und durch geredet, stundenlang, tagelang. Für die +drei Frauensleute gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. Kaum daß +die Hausarbeit notdürftig besorgt wird zwischen all dem Getuschel. + +Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. Wenn er nicht einen neuen +Freund bekommen hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein +gewesen. + +Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer Hund. Du glaubst es nicht, +wie sich das langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem Hof gestanden +und ist still zur Seite gewichen, wenn ihn einer hat anrühren wollen. +Keinen hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer ihn zu +streicheln meinte, der griff in die Luft. Ins Haus hat ihn keiner +'reinholen können, selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie +ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl mit ihr gegangen, aber beim +nächsten Wupp war er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich +ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die Arbeitswagen stehen und +etwas Heu immer verstreut liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein +Fressen gebracht, und da lag er und blickte still um sich. + +Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit Locken und mit Betatschen +zu nahe zu kommen, war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu fein und zu +herrschaftlich. Aber siehe da! Eines Frühmorgens, wie der Jons als +erster aus dem Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, wer ist +da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen und hat sich +zukuckend auf die Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend +geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, bis der Jons zum Mittagessen +nach Hause ging? Und wer ist allmählich näher gekommen und hat sich mit +leisem, langem Bisse das Brot aus den Fingern geholt? Und wer ist +schließlich sogar, wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden +Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat bei ihm Wache gehalten +stundenlang, bis er beladen zurückkehrte? + +Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde sollen ja immer untreu +sein, sagen die Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; nur wenn +sie spazieren geht auf der Chaussee nach Heydekrug oder nach Ruß hin, +dann nimmt sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas zum Staunen +haben. + +Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber das macht nichts. Denn dort +sieht man doch Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt +hinterherraten, weil sie das plötzliche Wunder nicht zu fassen vermögen. +Und Urte fühlt sich als Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst +mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die alle sehnsüchtig hinstarren, +denen im Hinterwalde zu hausen bestimmt ist. + +Bisweilen trifft man auch junge Männer mit Schmissen, die sicherlich in +Königsberg studiert haben und denen man vielleicht einmal auf dem Schoße +gesessen hat. + +Denen wirft man gelegentlich einen lockenden Blick zu und bringt sie zum +Rasen. Denn irgend eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben in der +torfschwarzen Öde. + +Nur an dem Hause des Moorvogts geht man ungern vorbei. Man weiß es +nicht, aber man spürt's in den Gliedern, daß dort hinter den +Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich sie und ihr Leben +durchmustern. -- -- + +So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt heran, auf dem die Besitzer von +weit und breit zu Kauf und Trunk sich treffen. + +Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh hingebracht, die demnächst +stehen soll und die darum eingetauscht werden muß. + +Die Schwestern melden sich erst, als er weg ist, denn mit dem Vater +zusammen einzuziehen, hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr +gefördert. Wenn alles gut geht, gleitet man im Gedränge an ihm vorbei +und braucht ihn nicht einmal anzureden. + +Die Katrike wird heute von der Urte extra zurechtgemacht. Sie darf die +Haare nicht brennen und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen +faucht, die Schwester sei nichts weiter als neidisch. Aber die lächelt +nur und ist nicht einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen +Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen. + +Dann ziehen sie los, und die Erdme weint und betet hinter ihnen her. + +Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen. + +Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er hat einen guten Handel gemacht. Die +neue Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und kaum einmal zuzahlen +hat er dürfen. + +Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. Er schlingt finster sein +Mittagbrot und fragt mit keinem Wort nach den Töchtern. + +Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die heute früh hat angebunden +werden müssen, weil sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein wollte. + +Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf in seine Arme nimmt und +leise zu ihm herniederredet. + +Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht hinter ihm her und sagt: »Mit +dem unvernünftigen Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, gönnst du +kein gutes Wort.« + +Und er sagt: »Ich habe die beiden Marjellen getroffen, ausgeputzt und +mit fremden Männern. Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite +gedreht. Ist das nicht etwa genug?« + +Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. »Wer kann seine Augen überall +haben?« sagt sie. + +Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten sie sich, ob er nicht +endlich schon weg sei. + +»Und _wenn_ auch,« sagt sie. »Was kann _ich_ dafür?« + +Da läuft ihm die Galle über, und alles, was er in sich verborgen hat +seit Jahren, kommt ans Tageslicht. + +»Was du dafür kannst?« schreit er. »Du hast zwei Faulenzerinnen erzogen, +zwei Rumtreibersche hast du erzogen, die kein Verlangen tragen nach +Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen und sich den Rücken wundschlafen +bis Mittag -- die es mit den Deutschen halten und ihren Vater achten, +als wär' er ein Schnodder. Soviel kannst du dafür, wie die Stute kann, +daß ein Fohlen aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!« + +Die Erdme denkt an das, was sie neulich heruntergeschluckt hat. Eine so +zornige Rede darf sie nicht ohne Antwort lassen. + +»Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,« sagt sie, »aber da kommst +du gerad' an die Rechte.« Und dann wirft sie ihm vor, daß sie es war, +die den ganzen Wohlstand geschaffen hat, daß er nichts Anderes gewesen +ist als ihr Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet hat +fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder andere Knecht ersetzen kann, +wenn es ihr paßt, ihn zu mieten. + +Die Augen schwellen ihm zu und glupen nach rechts und glupen nach links, +als sucht er was und kann es nicht finden. + +»Was du sagst, mag wohl so sein,« sagt er, »nur in einem könnt' er mich +nicht ersetzen, nämlich dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu geben.« + +Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den Pfahl aus der Erde, an dem +die Petruschka angebunden ist, und schlägt damit die Erdme über den +Rücken. + +Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt die flachen Hände als +Stütze. Die Jette, die grienend zugehört hat, schreit auch und springt +auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn der Pfahl ist zu dick, als +daß menschliche Glieder unter ihm ganz bleiben könnten. + +Darum wirft er ihn auch weg und holt aus dem Stalle die Peitsche. Die +Petruschka läuft winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend die Hände, +aber er achtet ihrer nicht, schlingt die hanfene Schnur um den Stiel und +läßt ihn im Bogen durch die Luft hinpfeifen. + +So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme noch kniet. + +Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn vor ihm da -- bleich +und zusammengefallen wie immer -- umpusten könnte man ihn --, aber in +seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem er sich sonst die +Spatzen vom Kirschbaume schießt. + +Ihm das Gewehr zu entreißen, wär' leicht, aber was dann? Wie kann man +sein Weib noch bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen? + +Drum bleibt er ruhig und sagt: »Nachbar, hast du mal was von +Hausfriedensbruch gehört und Bedrohung mit tödlichen Waffen?« + +Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und stellt sich so vor die Erdme, +daß er sie mit dem Leibe deckt. + +»Ich fordere dich also auf, meinen Grund und Boden zu verlassen -- zum +ersten, zum zweiten und zum dritten Male.« + +Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein rechter Zeigefinger liegt +dicht vor dem Abzug. + +»Gut,« sagt der Jons, »ich geh' jetzt zum Rechtsanwalt, der wird die +Anzeige erstatten. Aber die Peitsche nehm' ich mit, und treff' ich +unterwegs die beiden Marjellen, dann werden sie die Prügel kriegen, die +ihrer Mutter noch zustehen.« + +Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann völlig zu Boden. Er aber +kehrt sich nicht daran und geht seiner Wege ... + +Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und die beiden Marjellen hat er +auch nicht getroffen. Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen +geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit zu Hause +angelangt ist, da hat er das Nest leer gefunden. -- Keine Frau, keine +Töchter, keine Magd. + +Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man kann ihre Stimmen hören über +den Weg hin. + +Und das Sparkassenbuch ist auch weg. + +Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist bloß der fremde Hund da, der +aus traurigen Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er die Übeltat +gutmachen, die man ihm angetan hat und die im Grunde genommen seine +eigene Übeltat ist. + + + 19 + +Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn auf die Erdme gewartet. + +Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann. + +Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder und wieder an. Sie ist +die Schönste, die Jüngste, die Kräftigste geblieben, aber er ist ein +alter Mann. + +Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und schwatzen, wie sie nur mögen, +und achtet ihrer nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die die +Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach geben muß, weil sie nun einmal +zu ihr gehören. Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner Magd. + +Die Urte und die Katrike haben gestern Großes erlebt, und das erzählen +sie immer von neuem: Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen hat, da +ist er gleich ganz hingenommen gewesen. Zuerst hat er freilich gedacht, +die Urte sei ihm als Zukünftige bestimmt, und da hat er sich +zurückziehen wollen, denn er ist sich nicht gut genug erschienen für +sie; wie er aber gehört hat, daß die Katrike es ist, da hat er um so +freudiger zugegriffen und hat mit ihnen beiden und dem Herrn Tuleweit in +der »Germania« gesessen bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit weiß +auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit Fünftausend Anzahlung wohl +zu haben wäre, nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn sein Vater +gibt ihm rein gar nichts. + +Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht die Erdme hoch auf, denn von +ihrem Eigenen her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die nicht +gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind in der Frühe. + +Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem Eimer hinübergehen. Die +wehrt sich erst, denn sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich +tut sie's doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, der Wirt habe auf +der Häckselbank gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, und die +Petruschka vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr umgesehen. + +Und die Urte erzählt weiter: Um drei nachmittags habe der junge Herr +Schmidt weggemußt, aber am Nebentisch -- da hätten ein paar vornehme +junge Herren gesessen mit Schmissen und goldenen Kneifern, die wären +schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt zu machen, und hätten +ihr zugeprostet und so. Und schließlich wären sie alle zueinander +gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den Abend. Den kleinen +Herrn Tuleweit hätten die fremden Herren erst für den Vater gehalten; +als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler sei, da wäre des +Neckens kein Ende gewesen, so daß er nichts Besseres zu tun gewußt habe, +als bald zu verschwinden. Und von nun an sei es erst recht hoch +hergegangen. + +Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen mit Heimlichtun nicht zu +Ende. + +Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den Haushalt besorgen, aber das Kreuz +ist ihr wie gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum redet die Urte +ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest zu beschaffen wegen der künftigen +Scheidung. + +Um vier Uhr nachmittags wird drüben der gute Wagen angespannt, und Jons +fährt weg, ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen. + +Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was gestern zur Nacht nicht +mitgebracht werden konnte. + +Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme bei sich trägt, hat der Jons +zum Schutze vor Einbruch ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern +kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig zum Lachen. + +Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, und auch sie selber gibt +an, was sie für Sonntags wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug +haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel Gäste versorgen? + +Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! Die Federbetten gehen mit, +und so noch vieles andere, so daß der Handwagen des Nachbars viermal +hochbeladen den Knüppelweg überquert. + +Schwer wird der Abschied von den Kühen, die die Erdme nicht einmal +melken kann, so weh tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und wirft +ihnen Heu hin und denkt: »Wie gut wär's, wenn ich sie drüben hätte!« +Auch die Neue ist ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat sie sie +kaum schon gesehen. + +Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, und dann geht es heim. + + * * * * * + +Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause des Nachbars ein furchtbarer +Lärm. Schwere Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons betrunkene +Stimme schreit: »Ihr Diebe! Ihr Räuber! Kommt 'raus! Ich schlag' euch +tot, ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und dann ihren« -- +»Liebhaber« sagt er nicht, es ist ein viel schlimmeres Wort, das er +sagt. Und ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd und droht, sie +alle zu erschlagen. + +Die Urte und die Katrike knien im Hemd an der Mutter Bett und kreischen +bei jedem Schlage, der das Ladenholz zersplittern will. Und vor der +Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und ruft durchs Schlüsselloch, sie +möchten ganz ruhig sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn der +draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen. + +Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, und auch das Winseln und +Heulen Petruschkas verstummt nach und nach. + +Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch zwischen dem Nachbar +Witkuhn und der Erdme. + +»Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,« sagt der Nachbar, +»aber heute seh' ich ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was du +für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu Diensten sein, was dein +Wunsch ist.« + +»Ich weiß nicht aus, nicht ein,« sagt die Erdme. + +Und der Nachbar sagt: »Ich habe es mein Lebenlang für das größte Glück +auf Erden gehalten, daß du einmal meine Frau würdest. Aber nun mir +plötzlich die Möglichkeit gegeben ist, daß es so werden könnte, da seh' +ich ein, ich bring' es nicht übers Herz. Denn jeder wird sagen, wie Er +es ausschrie heute nacht, daß wir in Buhlschaft gelebt haben alle die +Jahre.« + +»Beinahe wär' es ja so gewesen,« sagt die Erdme. + +»Wenn es so gewesen wäre,« erwidert der Nachbar, »dann hätten wir längst +kein Gewissen mehr und keine Scham und würden lachen, wenn die Leute mit +Fingern auf uns zeigen. Aber nun schreck' ich schon zurück bei dem +Gedanken, Ihm auf dem Weg zu begegnen.« + +»Ich dränge mich niemandem auf,« sagt die Erdme gekränkt. + +»Und ich bin ein alter Mann,« sagt der Nachbar. »Ich möchte nicht, daß +du mir fluchst, wenn du mich auf den Kirchhof trägst.« + +»So bleibt mir als einziges,« sagt die Erdme, »daß ich in Ausgedinge zu +der Katrike zieh', wenn die jetzt heiratet.« + +»Ist es denn schon so weit?« fragt der Nachbar. + +»Wenn ich alles hergebe,« sagt die Erdme und drückt die Hand gegen das +Sparkassenbuch, das sie auf nackigem Leibe trägt, »dann ist es so weit.« + +»Er wird das Geld schon gesperrt haben,« sagt der Nachbar. + +»Vielleicht auch nicht,« sagt die Erdme, und weil sie sowieso nach +Heydekrug muß wegen des Doktorattestes, wird sie auch gleich die +Fünftausend abheben, die ihr nicht weniger gehören als ihm. + +Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn er selber hat immer noch keins, +und wie sie aufsteigen will, muß sie von zweien gehoben werden, so +verschwollen ist alles. + +Als der Doktor sie untersucht hat, macht er ein ernstes Gesicht und +sagt: »Schlimm genug sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich +schreiben muß, aber ich rat' euch trotzdem: Vertragt euch!« + +Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie ein ängstlicher Traum, und +oft hat sie gedacht: »Wenn er jetzt käme und sagte: >Laß gut sein< -- +weiß Gott, ich ginge zurück.« Wie der Doktor aber sagt: »Es sieht +schlimm aus,« da wird ihr Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß +sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den Menschen. + +Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem und zahlt ihr das Geld +ohne Bedenken. »Ja ja,« sagt er, »wenn man Töchter verheiraten will.« + +Und da hat sie's auch schon in den Händen. + +Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie selber kann sich nicht an- +und nicht ausziehen, weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt +sie »Mamusze« und »Mammelyte«, was sonst nur die Urte sagt, und »Mane +Baltgalwele« -- mein Weißköpfchen -- nennt sie sie, wie die alten Mütter +in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar noch fast braun ist. + +Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, jetzt wird sie dem Jons +begegnen, aber sie begegnet ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl +fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite der Chaussee gelegen ist, +sieht sie was Helles. Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn, +denn er ist wohl wieder betrunken. + +Von weitem schon hört man das Brüllen der Kühe. Die müssen verkommen, +wenn man sie da läßt. + +»Hast du Platz im Stalle für sie?« fragt die Erdme. + +»Ich habe Platz für alles, was dein ist,« sagt der Nachbar. + +Darum schickt sie auch gleich die Jette und die Witkuhnsche Magd +hinüber, die Kühe zu holen. + +Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. -- Das Geld und das Vieh +-- alles ist da. Nun kann geheiratet werden. + +Und noch am selben Abend macht sie sich auf, zum kleinen Tuleweit zu +gehen, damit er so rasch wie möglich alles in Ordnung bringt. + +Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher nach Heydekrug zu +machen, wo irgendwo am Spazierweg die jungen Herren von gestern schon +warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka nicht bei ihr ist -- +dann wäre ihr Anblick zehnmal so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie +schließlich zu Hause. + +Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß der Spektakel von voriger +Nacht heut wegen der Kühe noch einmal losgehen wird. + +Aber nichts regt sich fortan. + +Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche lang, und wenn sie sich +aufrichten will, kriegt sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich +hochzieht. + +Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen herüber, was für die +Aussteuer irgend von Wert ist -- den großen Ecktisch und den +buntblumigen Schrank und noch vieles andere. + +Niemand hindert sie dran, denn morgens fährt er weg, und mit der +Dunkelheit kommt er wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was er +macht und wo er sich aufhält, weiß keiner. + +Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit tritt ein junger Mensch in +die Kammer. Der hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche +Augen. Und hinterher schiebt sich mit heißem Gesicht und frisch +gebranntem Strohhaar die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer als er +und sieht aus, als möcht' sie ihn auf den Arm nehmen. + +Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter künftiger Bräutigam. + +Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch an, und sie richtet sich +auf und sagt auf Deutsch: + +»Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir reden das Deutsche genau so wie +Sie. Und im Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen habe. +Gewöhnlich arbeit' ich wie sonst nur die Jüngste.« + +Die Katrike und der junge Mensch sehen sich verstohlen an, woraus sie +schließen muß, daß ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und noch +etwas Anderes will sie daraus schließen, aber das drängt sie sofort von +sich ab. + +Er möchte am liebsten das Geld gleich mit sich nehmen, aber sie weiß, +daß es ihr wohlgeborgen unter dem Leibe liegt, und erst müßte man sie +totschlagen, ehe sie es hergäbe. + +»In dem Kontrakt soll stehen,« sagt sie, »daß ich eine Altsitzerstelle +bekomme mit so und so viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner zu +halten, und noch anderen Rechten, die ich alle bezeichnen werde. Sonst +wird aus dem Kaufe nichts.« + +Die Katrike fängt sofort an zu weinen und klagt sie an, sie steh' ihrem +Glücke entgegen. Der junge Herr Schmidt aber sagt: »Es _wird_ auch alles +in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein ganz anderer Kontrakt als der, +den ich mit dem Besitzer abschließen werde. Denn den geht es nichts an, +was wir miteinander ausmachen wollen.« + +Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche klüger ist als sie selbst, und +schickt sich in das, was verlangt wird. + +Aber erst will sie gesund sein und mit aufs Gericht gehen und alles +bewachen können bis in das kleinste. + +Die Katrike und der junge Herr Schmidt sehen sich schon wieder an. Dann +aber geben sie sich die Hand und knien am Bette nieder und bitten um +ihren Segen. + +Sie weint und küßt und segnet die beiden, aber in ihrem Innern denkt sie +dabei: »Ich will doch erst den Rechtsanwalt fragen.« + + + 20 + +Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, und wenn einer am +Chausseehaus vorübergeht, sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine +Art, über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins klare zu kommen. Aus +ihrem Aussehen, ihrem Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, und +den Lasten, die sie tragen, kann er genau erkennen, wie er mit ihnen +dran ist, ob sie vorwärts kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind. + +Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling mehr, und die dreißig Jahre, die +er dem Moor geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. Aber sein +Auge sieht noch so scharf wie je, und noch immer hält er zweitausend +Schicksale straff an der Leine. + +Eines schönen Sommerabends sieht er den Jons Baltruschat zu Fuß nach +Hause gehen, und doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren. +Der Jons Baltruschat ist ihm schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. +Morgens macht er sich auf nach der Wiese, und abends fährt er betrunken +zurück. Und der fremde weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter gehört, +läuft nebenher. + +Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken tut er. Aber seine Gangart +ist mehr wie die eines Kranken als die eines Betrunkenen. + +Darum macht der Moorvogt das kleine Fensterchen auf, durch das früher +die Stange mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft ihm nach: +»Jons, komm doch mal 'rein!« + +Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts gehört, doch wie der +Moorvogt nicht nachläßt, da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und +tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. Sie läuft sofort zu dem +Moorvogt, steckt die Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt die +nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: »Wenn _du_ nicht hilfst!« + +Der Moorvogt braucht nur _einen_ Blick, um zu sehen: Der Jons ist so gut +wie ein verlorener Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken bloß und +verschüchtern, darum sagt er gleichsam so nebenher: »Mir war doch, als +bist du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du das irgendwo stehen +gelassen?« + +»Ja,« sagt der Jons, »das hab' ich stehen gelassen.« + +»Na, wo denn?« + +»Auf -- der -- Chaussee.« + +»Aber warum denn?« + +»Ja -- na.« Mehr ist nicht aus ihm 'rauszukriegen. + +»Dann wollen wir's doch gleich einmal holen gehen,« sagt der Moorvogt +und greift nach der Mütze. + +Aber der Jons will nicht. »Wenn es 'n Zweck hätt',« sagt er. + +»Warum hat's keinen Zweck?« + +»Weil das Pferd gar nich mehr da is.« + +»Wo ist es denn?« + +»Wer kann wissen?« + +»Ach so,« sagt der Moorvogt. »Du bist betrunken gewesen, hast dich in'n +Chausseegraben gelegt, und unterdessen hat's dir einer ausgespannt.« + +»Wer kann wissen?« sagt der Jons. + +»Und da gehst du hier vorbei und machst keine Anzeige? Möchtest du den +hübschen Braunen gar nicht mehr wiederhaben?« + +»Is ja alles egal,« sagt der Jons. + +»Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.« + +»Da waren auch noch die Kühe da.« + +»Sind die denn _nicht_ mehr da?« + +»Nichts is mehr da. Die Schweine werden sie heute auch wohl geholt +haben.« + +»Wer denn?« + +»Na, die Erdme und die Marjellen.« + +»Und das läßt du dir ruhig gefallen?« + +»Is ja alles egal.« Und dabei bleibt er. + +Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt auf, wie der Mensch zum +rettenden Herrgott. Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell +verfilzt ist und verschorft von Wunden und schwarzgrau. Und er sagt: +»Wie kommt's, daß der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?« + +»Das is so gekommen,« sagt der Jons. + +»Weißt du, was deine Tochter für eine ist?« fragt der Moorvogt. + +»Ich will es auch gar nicht wissen,« sagt der Jons. + +Damit geht er. + +Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher wegen des Braunen und +hat dann eine schlaflose Nacht. + +Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus kommen. Der bibbert am +Krückstock, und seine Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das +kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein Schnurrbart wölbt sich +forsch, als will er den Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen. + +Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür hat seine Vierte reichlich +gesorgt. Wenn es Gott will und sie stirbt, die ist imstande und +verleidet ihm vorher die Fünfte. + +»Was ist also mit den Baltruschats los?« fragt der Moorvogt. Und nun +erfährt er das Nötige. + +»Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen und hast es erzählt?« + +Seine Frau hat es nicht gewollt. + +»_Warum_ hat deine Frau es nicht gewollt?« + +Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, und dafür muß sie sich +rächen. + +»Und was hat sie ihm gepfändet?« + +Der Smailus lacht schadenfroh. »Das ist gar nicht zu zählen,« sagt er. +Überhaupt _das_ Weib! Aber davon will der Moorvogt nichts wissen. + +»Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn mal was vorgehabt hat?« + +Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine eigenen vier Weiber ihm treu +gewesen sind, das weiß er, bei den anderen kann man niemals drauf +schwören. + +»Aber bemerkt hast du nichts?« + +Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum wird er entlassen. -- -- -- + +Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll er die Erdme in dem +Witkuhnschen Hause besuchen oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht +er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, und Kreuz und Kopf trägt +sie bewickelt, aber kriechen kann sie doch schon. + +»Du -- komm mal 'rein!« + +Sie steht da und sieht ihn böse an. + +»Schöne Geschichten hör' ich von dir.« + +Sie schweigt und sieht ihn böse an. + +»Nach fünfundzwanzigjährigem Leben -- schämst du dich nicht?« + +Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er sie geschlagen -- beinahe das +Rückgrat hat er ihr gebrochen -- mit Schmutznamen hat er sie belegt -- +ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt -- die ehr- und tugendsamen +Töchter hat er mißhandeln wollen, und was das Schlimmste ist, das Vieh +hat er verhungern lassen, so daß sie es nur durch Rüberholen mit knapper +Not errettet hat. + +Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt schlimm für den Jons, und +_sie_ ist eine Furie geworden. Mit gut Zureden wird der nicht +beizukommen sein. So versucht er es also mit böse: »Weißt du, was ich +jetzt tun werde? Ich werd' dich durch den Gendarm in die Kaluse bringen +lassen.« + +Aber sie lacht ihn nur aus. »Das können Sie ja. Bloß morgen werd' ich +schon wieder bei Ihnen vorbeigehen.« + +»Wenn du dich nur nicht irrst.« + +»Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen Antrag gestellt. Und er +wird auch gar keinen stellen. Denn hier unter der Wiste hab' ich das +Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie schlimm es gewesen ist und +daß ich nur durch ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die Kalus' +fliegt, dann ist er es. Und ich zieh' jetzt zu meiner älteren Tochter. +Die wird eine reiche Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot +bestellen kommen. Und wenn ich erst hier 'raus bin, dann kann man mir +sonst was.« + +Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. Im Laufe der Jahre +haben nur wenige ihm so entgegenzutreten gewagt. + +»Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, das will ich nicht +verstanden haben. Aber eins prophezei' ich dir: der Tag wird kommen, und +er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich preisen, bei dem Jons +noch einmal unterkriechen zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann +auch aufnimmt.« + +Sie beißt die Zähne zusammen und schwört bei Gott dem Allmächtigen: +»Eher geh' ich und ertränk' mich im Torfloch.« + +Und damit humpelt sie wieder hinaus nach Heydekrug zu, wo der +Rechtsanwalt ihr raten soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und +Schwiegersohn, denen sie alles opfert, sie übervorteilen wollen. + + + 21 + +Das Geld muß hergegeben werden. Da ist nichts zu machen. Denn ohne +Anzahlung kommt das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird aus +Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, damit der junge Herr +Schmidt vor der Hochzeit nicht etwa noch abschnappt. + +Die Kühe und die Schweine und alles, was vom Hausrat herübergetragen +ist, sollen mit in die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht weniger +als alles. + +Der Kontrakt wird unterschrieben, und das Geld ist weg -- so schnell, +wie man eine Fliege in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert +die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der bisherige Besitzer +behauptet, er hätte sein Hab und Gut wegwerfen müssen, und der junge +Herr Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises wäre auch noch +reichlich gewesen. Daß es zum Prügeln nicht kommt, daran ist nur die +Urte schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen macht und dadurch das +Schlimmste verhindert. + +Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach noch ein bißchen spazieren +geht, wobei sie alsbald die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die +ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren Chaussee +freundschaftlich einigen kann. + +Die Katrike will mit dem jungen Herrn Schmidt über Nacht zu den +Schwiegereltern fahren, was ihr nicht zu verdenken ist, und darum geht +die Erdme allein nach Hause. + +Nach Hause? -- Als ob sie ein »Zuhause« hätte -- das soll erst morgen +kommen. Denn für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag +bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste geschrieben, was ihr bis zu +ihrem seligen Tode zukommen wird -- ja sogar für die Zeit _nach_ dem +Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger als zehn Fladen und sechs Achtel +Bier müssen den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das Kreuz auf +ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein. + +So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl ist ihr doch nicht zumut. +Wenn jetzt zum Beispiel der Jons des Weges käme, wie könnte sie ohne ein +Wort an ihm vorübergehen? + +Da ist nun die lange Brücke, die über die Sumpfniederung führt! Und sie +muß des Frühlingstages gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig Jahren +mit Jons zum Moor hinauszog. Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus dem +blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: »Wie die Blumchen da vorwärts +kommen, ohne zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.« + +Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern gewesen. + +»Aber was hilft das Vorwärtskommen,« denkt sie, »wenn einem zuguterletzt +alles wieder zunichte wird.« + +In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie seien längst über den Berg, +und Hader könnt's gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da gewesen +wie der Dieb in der Nacht und hat alles -- aber auch alles -- zunichte +gemacht. + +Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, die ihr das Geld aus den +Händen riß! Kaum einmal warten konnte die Kröt', bis sie die Wiste +aufgehakt hatte! + +»Aber morgen,« denkt sie, »morgen wird alles festgemacht werden.« Aus +dem Hause wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der Rechtsanwalt +schon gesorgt, und das Brautpaar hat wohl oder übel seine Zustimmung +geben müssen. + +Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen um elf werden sie sich wieder in +Heydekrug treffen, und übernächsten Sonntag kann dann die Hochzeit sein. + +Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, als muß sie sich wieder +krank hinlegen, so zerschlagen fühlt sie sich. Aber das kommt nicht vom +Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie alles hergeben muß. + +Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl und redet ihr Trost zu. Aber was +kann er viel sagen? + +Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. Sie hat heiße Backen und sieht +verjucht und verjachert aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, und der +unverschämte Kerl hat sie angehalten und verlangt, sie soll ein +Führungsattest beibringen. Was der sich wohl denkt? + +Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, aber zu der ermatteten +Mutter ist sie voll Zärtlichkeit und besteht darauf, daß der Nachbar +einen Wagen besorgt und sie morgen selber nach Heydekrug fährt. Denn der +weite Gang zwei Tage gleich nach einander könnte zu viel für sie sein. + +Spät abends kniet sie noch vor der Mutter Bett und streichelt und küßt +ihr die Hände und bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat und +weiter noch tun muß. Die Erdme weiß zwar nicht, was sie meint, aber von +solcher Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug ganz naß +weint. + +Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, fängt die Urte von +neuem an, gerade so, als wär' es ein Abschied für immer. + +Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur Augen für drüben. Ob nicht der +Jons sich irgendwo sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und still. +Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. Freilich, blitzen tut die +nicht mehr, denn die ist jetzt dreckig, wer weiß wie. + +Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, +die Brautleute schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch um halb +zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig. + +Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte Termin und sagt im Vorbeigehen, +jetzt müßte sie warten bis zwei, denn früher käm' er nicht wieder. + +Und wie er um zwei wiederkommt, sind die Brautleute noch immer nicht da. + +»Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,« sagt er. »Inzwischen können sie +immer noch kommen.« + +Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut seit langem das Kreuz weh, +und der Nachbar redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. Dort kann +sie sich wenigstens ausstrecken. Aber sie will nicht. Sie könnte das +Brautpaar am Ende verfehlen. + +Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, und dann geht es ja wieder. + +Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher heraus und sagt, für +heute sei es nun leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da und +der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder auch sonst wann zur Beglaubigung +gerne bereit sein. + +So fahren sie wieder zurück. Die Erdme hat das Kopftuch um Mund und +Backen gebunden und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? Man muß +sich ja fürchten zu denken -- um wieviel mehr noch zu reden! + +Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. Und so kommen sie an. + +Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann es euch zehnmal erzählen, ihr +glaubt es mir doch nicht. + +Die Kühe sind weg. Die Schweine sind weg, die Betten sind weg. Auch der +andere Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso weg. Und selbst +die kröt'sche Marjell, die Jette, ist weg. + +Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches Mädchen ist, sieht die +erschreckten Gesichter und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, es +geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte sie den Nachbar Smailus +gerufen oder sonst wen -- und sie schielt hinüber nach Baltruschats +Haus. + +Was bei Jesu Namen _ist_ also geschehen? + +Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. Darauf haben die +Brautleute gesessen und haben erklärt, sie wollten jetzt alles +überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. Und die Mutter wäre +schon dort, um einzurichten, und käme nur später noch einmal, die +eigenen Sachen zu holen. + +Und dann haben sie vorne das Hausgerät aufgeladen und hinten die +Schweine. Und die Kühe haben sie angebunden, und so sind sie +davongefahren. Und die Urte hat ihr noch fünf Mark geschenkt für die +gute Bedienung. + +Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den Tisch gelegt. An wen die sind, +weiß sie nicht, denn Aufschrift hat keiner. + +Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und gefühllos. Der Nachbar und die +Magd müssen sie in die Stube tragen. + +Da liegen die Briefe. + +Die Katrike schreibt so: + +»Mein geliebtes Mütterlein! + +Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich von Dir zu trennen. Mein +Bräutigam, der junge Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber so. +Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht Sitte, daß gleich die Mutter +als Altsitzerin in die Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie +wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit wird in kleinstem Kreise +gefeiert werden, und darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was mir +auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. Das Vieh und die anderen +Sachen habe ich gleich mitgenommen, denn mein Bräutigam, der junge Herr +Schmidt, hat es schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. Ich +bedanke mich auch sehr für alles, womit Du mich beschenkt hast, und +werde Dich lieben in Ewigkeit. + + Deine treue Tochter Katrike.« + +Und die Urte schreibt so: + +»Meine Mamusze! + +Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, aber die Katrike bestand +darauf. Darum habe ich Dich gestern und heute auch immerfort um +Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich nicht, sondern fahre von +Jugnaten aus gleich nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen Kleider +nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, noch weit ärmer, als die Ulele +einst war, dann würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so würden wir +uns beide gegenseitig nur hinderlich sein. Darum rate ich Dir, laß Dich +rasch scheiden und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja immer +geliebt hat. Wenn man daran denkt, scheint es einem wie ein trauriges +Buch, und das muß doch wenigstens einen befriedigenden Schluß haben. Zu +dem bösen Vater kannst Du ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka +mag bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe wohl, meine Mamusze, +und sei mir nicht böse. Ich schicke Dir bald etwas Schönes. + + Deine Urte.« + +So lauten die Abschiedsbriefe der beiden Töchter. + + + 22 + +Die Erdme will sich ins Bett legen, denn die Beine tragen sie nicht. + +Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die Kammer. Er hat seinen Mantel +auf dem Arme und sagt: »Bis heute waren die Töchter da. Ich könnte ja +jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, aber vor Gericht glauben sie ihr +am Ende nicht, weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn ich auch ein +alter Mann bin, da ich nun einmal mit dir im Verdacht stehe, so möchte +ich dir das künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit dir zur Nacht +allein unter einem Dache verweile. Oder doch so gut wie allein. Ich +werde darum den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit bitten und +darin fortfahren, solange dein Ruf es verlangt.« + +Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach mehr über dem Kopfe hat, denn +den Nachbar aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht. + +Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung nicht abzubringen sein +wird, so willigt sie zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung +mit auf den Weg und sagt, sie wird gleich zur Ruhe gehn. + +Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, auf den sie sich stützen +muß, -- und siehe da! jetzt tragen die Beine sie wieder. + +Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, und damit verläßt sie +den Hof. + +Es ist ein lieblicher Abend, nur -- Gott sei's geklagt -- sie weiß +nicht, wohin. + +Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. So ein Schwur ist leicht +gegeben, will man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht schwer. + +Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein müssen, denn was bleibt ihr +sonst übrig? + +Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt noch einmal nach ihrem Eigenen +hinüber. + +»Es ist merkwürdig,« denkt sie, »daß man nie etwas von ihm sieht oder +hört.« Seit sie ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht mehr +wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch nicht vorbei. Selbst die Petruschka +ist wie in die Erde gesunken. + +Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, deren Beeren schon halb +und halb rot sind, und auch den Garten besieht sie von ferne. Viel +erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist schon im Fallen, aber +daß die Sonnenblumen im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen der +Zuckerschoten umgeschmissen hat, das bemerkt man auch von dem Weg her. + +»Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,« denkt sie, »so würd' ich nachher +über den Zaun klettern und sie noch aufrichten.« + +Und dann macht sie sich auf -- nach dem Torfloch. + +Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett übergossen an seinem Rande +stehen, hat sie noch selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie einst +in den Jahren der Jugend. Mit der Magd waren sie drei, so wie es die +Regel verlangt. Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz. + +Der Abendschein liegt feuerrot auf dem Wasser. + +»Wenn ich jetzt hier 'reinspringe,« denkt sie, »dann wird er sein Lebtag +glauben, ich sei mit dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig +gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will der Nachbar ihn anreden, so +schlägt er ihn tot.« + +Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden gar nicht so +schlimm ist. Hier 'reinzuspringen ist schlimmer. + +»Wie wär's,« denkt sie weiter, »wenn ich vorher noch mit ihm spreche und +alles ins klare bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja auch +nicht.« + +Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn das noch ein Segen wär'. Bloß +hier nicht 'reinspringen müssen! + +Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg. + +Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon gar nicht mehr, nur daß das +Vieh weg ist, erfüllt sie mit Kummer. + +»Hätt' ich bloß eine einzige Kuh an die Leine zu nehmen,« denkt sie, +»dann könnte ich mich schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als +Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch recht schwer.« + +Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. -- -- -- + +Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, ist es schon Nacht, aber +richtig Nacht wird es im Juli ja doch nicht. + +»Find' ich ihn nicht zu Hause,« denkt sie, »so setz' ich mich an die +Feuerstelle und warte, bis er zurückkommt.« + +Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg hinauf und bis an das Hoftor. +Der Kettenhund rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, weil +er sich losgemacht und die Petruschka zerbissen hat. So hat es der Magd +die Smailene erzählt. + +Das Tor steht offen. Warum auch nicht? Das Vieh ist längst fort, das hat +sie ja selber gestohlen. + +Ob er wenigstens die Haustür verschlossen hat? + +Aber wie kann er? Sie selber hat ja den Schlüssel. + +So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur. + +Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen und riecht an ihr hoch +und riecht und riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt zu +heulen an, wie ein Mensch heult. + +Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? Wer kann es wissen? + +Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel gewöhnt, und wie der Jons in +seinen Kleidern aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. Sie +sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß verschlafen scheint er zu +sein. + +Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht erst Antwort, sondern +fällt vor der Feuerstelle zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel +nehmen oder die Axt. + +Aber was tut er? + +Er macht die Haustür weit auf, damit er sie besser besehen kann, und +dann stellt er sich neben sie hin und fragt: »Ist es noch immer das +Kreuz, daß du nicht aufkannst?« + +Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die Angst ist es nicht mehr, +jetzt sind es die Tränen, daß sie nicht aufkann. + +Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die Stirn auf die Kante und +weint und weint, weil sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder +die Schaufel. + +Wie wird sie's ihm aber bloß beibringen von dem Sparkassenbuch und dem +Vieh? Und dann auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden hat, +treu nach der Wahrheit? + +Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, liegt sie da und weint. + +Da sagt der Jons: »Die Marjellens sind ja, Gott sei Dank, auch weg.« + +»Das weißt du?« sagt sie und richtet sich auf. + +»Ich hab' ja alles aufladen sehen heute mittag,« sagt er. + +»Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?« + +»Ich hab' schon eine zuschanden geprügelt,« sagt er und setzt sich neben +sie auf den Herd. + +Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm zwischen die Knie, und er legt die +Hand auf ihr Haar, und so sitzen sie lange. + +Aber endlich muß sie es ihm doch sagen -- das mit dem Nachbar zuerst. + +Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht losgehen. »Der Nachbar +--« sagt sie, »der Nachbar --« und dabei bleibt es. + +»Is ja alles egal mit dem Nachbar,« sagt er, »wenn du bloß da bist.« + +Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, wenn es auch noch so +schlimm wäre. Aber sie will es nicht auf sich sitzen lassen -- nicht +eine Stunde mehr. + +Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die Höhe und setzt sich neben +ihn und erzählt ihm von dem Gesangbuch -- wie wundertätig sich das in +der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun aber sind sie längst angejahrt und +drüber hinweg. Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum Nachbar +Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm auch. + +Er sagt: »Wenn du bloß da bist.« Und sonst sagt er nichts. -- -- -- -- +-- + +Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind keine Betten da. + +»Ich lieg' sonst auf dem Stroh,« sagt er, »und bedecken tu' ich mich mit +dem Woilach.« + +Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient weiter. + +»Wie wir anfingen,« sagt sie und schämt sich, »da hatten wir wenigstens +Bettzeug.« + +»Ach Gott,« sagt er, »das Vieh ist ja weg und viel von dem Hausrat und +alles Gesparte« -- wie er sagt »alles Gesparte«, da schluckt er doch, +und ihr zerreißt es das Herz --, »aber die schönen Gebäude sind da, und +die Wiese haben wir auch, und die Kartoffeln gedeihen -- und der +Moorvogt sagt: >Das Pferd wird sich finden,< und fürs übrige leiht er. +Wir fangen eben noch einmal von vorne an, das ist alles.« + +Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich wieder ganz jung vor. + +Und dann kriechen sie still in das kahle Bett und decken sich zu, so +viel die kurze Pferdedecke nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, denn +die Nacht ist ja mild, und sie können sich gegenseitig erwärmen. + +Wie die Erdme da liegt, denkt sie: »O Gott, o Gott, wie liegt es sich +schön hier!« Und ihr Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie +arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird kommen, wie er das +erstemal kam. Nein, er _ist_ schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei +ihr und sagt halb im Schlaf: »Wenn du bloß da bist.« + +Die Petruschka hat den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und träumt von +einer Wanne mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen Schrubber. + +Und wie ich die Erdme kenne, wird der Traum sich morgen erfüllen. -- -- +-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + + + + + Die Magd + + + 1 + +Es war am ersten Juli und schon Feierabend, als die Marinke Tamoszus im +Dorfe einfuhr. Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht. +Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. Sie kam von dem Gute des +Herrn Westphal, wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient und dann zwei +Jahre lang die Meierei verwaltet hatte. + +Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen in die Augen gefallen. Er +hatte beim Milchabliefern die fleißige Wirtin in ihr erkannt und erst +seine Frau und dann auch seinen Sohn, den Jurris, auf sie aufmerksam +gemacht. Hierauf, als beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem +Vater verständigt, und das Ende vom Liede war, daß sie dem Herrn +Westphal kündigte und vom alten Enskys den Mietstaler nahm. + +Aber nein doch, das Ende war es nicht! Es sollte vielmehr ein +glücklicher Anfang sein. + +Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so konnte nach den letzten +Kartoffeln, um Mitte Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden. +Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht worden. Und sie, die +Marinke, hatte sich nicht gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht, +weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und ewig auf dem großen Gute +zu scharwerken, hatte erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich bloß +ins Gerede. + +Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen Zöpfen und +brauner Taftschürze, blond und rund und schüchtern neben dem +dürrgearbeiteten Vater, der auf seine Gäule losprügelte, denn er wollte +forsch vorgefahren kommen. + +Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, sie hingegen war noch niemals +dort gewesen und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs Meer +hinausfährt. + +Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die Runde, und von freudiger +Erwartung stand wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte auch +nicht: »Ist es hier? Ist es dort?« Aber wenn der Wagen an einem neuen +Zugangswege vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil ihr noch eine +Galgenfrist blieb. + +Endlich bog er doch um die Ecke, und im Abendschein lag die künftige +Heimat vor ihr. Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. Daß die +tüchtige Milchgeberinnen waren, das wußte sie schon von der Meierei her. +Der Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. Der Stumpf einer +Dreschmaschine vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen fiel ihr +sonst nicht viel auf. Nur die braunen Netze, die zum Trocknen über den +Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, denn noch nie war +sie in einer Fischergegend gewesen. + +Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem Jurris. Auch ein Knecht war da +und eine Taglöhnerfrau. Um derentwillen durfte der Willkomm nicht allzu +herzlich sein. Aber sie dachten sich doch ihr Teil, denn sie +grieflachten heimlich zusammen. + +Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die Magd kommt zweispännig +angefahren, und der eigene Vater kutschiert! + +Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. Man hätte es nicht von ihm +glauben sollen, denn er war unlängst von den Kürassieren nach Hause +gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm noch auf dem linken Ohr. Aber +als er ihr kaum die Hand gegeben hatte, machte er sich schon eifrig an +dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe des Knechts über die Sprossen +hob. Nur um nicht mit ihr reden zu müssen. + +Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht aus. Nach seiner Gestalt hätte +man ihn eher bei den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von sinkendem +Schulterbau. Die Augen blau und still. Viel von Bart noch nicht auf den +Lippen. + +Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. Denn bis nach Piktaten, wo +seine Wirtschaft lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte nachts +schon zu Hause sein. Aber einen Bissen geräucherten Aal aß er doch und +trank den Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. Er fühlte es mit +Zufriedenheit: die Marinke kam in ein gutes Haus, und die fünfhundert +Taler, die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt sein. + +So fuhr er also von dannen, und die Marinke saß in der Kammer und +weinte. + +Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans Lachen als ans Weinen denkt, +so war sie am nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. Die Kühe +standen über dem Melkeimer so still, als hätte sie sie schon seit Wochen +geliebkost, und der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen gerade unter +die hungernden Rüssel. + +Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und Tritt, aber so, daß sie von +ihr nicht gesehen werden konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte +sie leise zu ihrem Mann: »Wir haben gut gewählt. Sie ist eine +Gesegnete.« + +Der alte Enskys faltete die rissigen Hände und sagte noch zweifelnd: +»Geb' Gott!« + +Und beide dachten daran, wie sie nun im Herbste sich zur Ruhe setzen +könnten, waren dabei aber erst um die Funfzig. + +Die Marinke tat, als merke sie nichts von dem Beobachtetwerden und dem +Getuschel, und machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten liebt und +nicht nach rechts und nach links sieht. + +Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem und gütigen Herzens und nicht +gewillt, sie ihre Herrschaft fühlen zu lassen. + +Aus dem Schwiegervater war vorderhand noch nicht klug zu werden. +Bescheiden im Wesen, als wär' er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks und +im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte sie zwei-, dreimal an etwas, +was sie noch gar nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft +sein. + +Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach sie nicht an. Und so blieb +es Tage und Tage lang, so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren +Verdacht bald wieder fahren ließen. + +Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken weilten ganz, ganz wo +anders als bei dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und wollte +wissen, wie er es anfangen würde. Aber er fing es lieber gar nicht an. +Und mit der Zeit begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt +werden. Und noch etwas Schlimmeres fürchtete sie, doch daran ging das +Denken gerne vorüber. + + + 2 + +Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten die fünf größten Wirte des +Dorfes mit Herrn Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und lieferten +ihm so und so viel Liter täglich für seine Meierei. Im Hinfahren +wechselten sie sich allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke sie +alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen und Kinder, denn die +Besitzer spielten den Kutscher meistens nur dann, wenn sie in +Augustenhof sonst noch zu tun hatten. + +In der Woche nach Marinkes Ankunft war der Jozup an der Reihe. Der Jozup +Wilkat, der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. Ein dunkler junger +Mensch von Dreiviertelgröße mit buschigem Schnurrbart und +zusammengewachsenen Brauen, die ihm ein finsteres und fremdartiges +Aussehen gaben. Den Hof, der übrigens wohlhabend und gutgehalten war, +nannte man in der Gegend die »Wilkija«, das Wolfsnest. Zuerst natürlich +des Namens wegen, denn Wilkat heißt im Deutschen der »Werwolf«. Dann +aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos herangewachsen waren, sich +von früher Jugend an in den Haaren gelegen hatten, bis die Mutter, deren +Liebling der Jozup war, die beiden Älteren herausbiß, so daß sie nun in +Berlin auf Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete nur auf eine +passende Frau, um dann die Wirtschaft zu übernehmen. + +In Augustenhof waren alle Mägde hinter ihm her, aber er kümmerte sich +wenig um sie. Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm angeglupt, +hatte seine Milch aufschreiben lassen -- und weg war er. + +Man sagte von ihm, er sei ein »Bedraugis«, das ist einer, der keinen +Freund hat, und das mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn er +jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte er sich lange im Stall +bei dem Jurris zu schaffen, rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte +womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof sind es im Schritt immerhin +doch anderthalb Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde immer +gewesen. + +Am vierten Abend mochte es sein, da trat er zu der Marinke, die eben die +Milchkannen auflud, und redete sie mit den Worten an: »Gestern hat mich +der Herr Westphal halten lassen und hat gesagt, ich möchte dir sagen, du +möchtest doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof kommen.« + +Die Marinke wurde rot und sagte: »Was soll ich in Augustenhof? Ich bin +nicht mehr in Dienst dort.« + +Und der Jozup entgegnete: »Es ist noch etwas abzurechnen, hat er +gesagt.« + +Die Marinke antwortete: »Ich _habe_ abgerechnet,« und ging ihrer Wege. + +Aber am Sonnabend kam er noch einmal und sagte: »Der Herr Westphal ist +gestern auf der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde aus einem +Posten nicht klug und er müsse durchaus mit dir reden. Morgen am Sonntag +ist mein letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das Vertrauen und +fährst mit mir.« + +Der Marinke gab es einen Stoß gegen das Herz. Sie sah den Jurris an, der +still nebenbei stand, und sagte: »Wenn ich durchaus fahren muß, so fahr' +ich doch lieber, wenn _wir_ an der Reihe sind. Die acht Tage wird der +Herr Westphal sich wohl noch gedulden.« + +Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer zusammen, stieg auf und +fuhr vom Hofe herunter. + +Der Jurris stand da und sah ihm nach, und die Marinke grämte sich, daß +er noch immer nicht zu ihr sprach. Schließlich war sie doch »auf Prob'« +hier. Was sollte werden, wenn es so blieb? + +Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen Sinne ganz zuwider war und +wozu sie bisher den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte sich neben +ihn und sagte: »Vielleicht bist _du_ so gut und nimmst mich dann einmal +mit.« + +Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort gegeben oder ihr sonst +sein Mißfallen gezeigt, dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten bald +würde packen müssen. Aber was tat er? + +Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man konnte sagen, ein glückliches +Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: »Wirst du dann +auch einmal mit mir fischen kommen?« + +Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war und daß sie mit ihrem Kasten +würde hierbleiben können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten wäre sie +gleich davongelaufen und hätte im Winkel geweint, aber sie bezwang sich +und lächelte nur und sagte: »Du _hast_ ja bisher noch gar nicht +gefischt.« + +»Ich habe immer auf dich gewartet,« entgegnete er. + +»Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte sie mich wohl freigelassen,« +sagte sie. + +»Ja, das hätte ich eigentlich tun können,« entgegnete er, »aber ich +dachte immer, du hättest zu viel zu tun.« + +»Zu tun habe ich wohl genug,« war ihre Antwort, »aber wie man fischt, +das sähe ich gar zu gerne.« + +Da führte er sie vor die braunen, nach Teer riechenden Netze, die über +die Stakete gehängt waren, und erklärte ihr alles. + +Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor lauter Glück hörte sie +nichts. Das Schwere, das Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet +war, löste sich auf. + +Nichts war um sie und in ihr als ein milder Sommerabend mit braunen +Netzen und grünen Staketen und vielen Blumen dahinter, und Vögelchen, +die sie ansangen, und einem Hofhund, der sie anwedelte, und einem +lieben, guten Menschen, der fortan der Ihre war. + +Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, und hätte er ihre Hand +gefaßt und wäre mit ihr in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im +geringsten gewundert. + +Daß sie nun auch gemeinsam den Garten besuchten, geschah wie von selbst. +Er zeigte ihr den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie zeigte ihm +den Ehrenpreis und die Studentennelke, und nur an dem Rautenbeet gingen +sie schweigend vorüber. + + + 3 + +Zwei Tage später am frühen Morgen sagte der Jurris zur Marinke: »Die +Mutter hat erlaubt, daß wir zusammen fischen dürfen.« + +Sie fragte: »Wer wird die Kühe melken?« + +Und er erwiderte: »Sie wird es selber tun.« + +Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen lud, schämte sie sich sehr +vor den Blicken, die sie auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch +nichts zu essen mit und sagte zu keinem: »Ich geh' nun.« Wie eine +Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam. + +Er zog den Handwagen, und sie schob nach. Aber zu schieben war +eigentlich nichts, denn die Räder drehten sich wie von selber. + +Bis zum Haff geht man quer durch die Felder mehr als eine halbe Stunde. +Zuerst war nichts davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er morgens +wohl auf den Wiesen liegt, dann aber brach das blaue Wasser durch, hoch +über dem Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser und Himmel +blänkerten in der Ferne die Sandberge der Nehrung, anzusehen wie ein +Gürtelband von weißgelber Seide. + +Marinke dachte: »Wie schön wird meine Heimat sein!« Sie wollte was +sagen, aber sie traute sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte +sich nie nach ihr um. + +Und so kamen sie dem Ufer immer näher. + +Dort standen Schuppen errichtet, um die Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit +der Stürme drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, waren sie nicht +einmal auf den Strand gezogen und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, +zwischen Grasbank und Röhricht. + +Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit haben, war am Ufer zu +sehen. Denn jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf den Feldern +zu tun. + +Und Marinke fühlte in beklommener Seele, daß auch _seine_ Ausfahrt nur +ihr zuliebe geschah. + +Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und sie half ihm dabei, obgleich es +auch hier nichts zu helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, weit +draußen im Blauen, wo nur die Ruder klatschten und die Kielwellen +schälten, da forderte er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu gehen. + +Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, so daß alsbald die +»Pluden« -- das sind die leichten Hölzer, die das Netz obenhalten -- in +schönem Bogen rings um sie herschwammen. + +Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die Sonne fing etwas zu stechen an. + +»Du hast kein Tuch,« sagte er, »du wirst Kopfschmerzen kriegen.« Und er +holte eine Ölkappe hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie wollte +nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr Aussehen lachen müssen. Und +das sagte sie ihm auch. + +Aber da begann er schon im voraus zu lachen und rief: »Hundertmal +reichen nicht, daß ich dich in der Ölkappe sehen werde.« + +Und ohne sich zu besinnen, _was_ sie da sagte, entgegnete sie: »Aber +dann werden wir auch verheiratet sein.« + +Noch wie das Wort kaum heraus war, da schämte sie sich schon so sehr, +daß sie sich am liebsten ins Wasser gestürzt hätte. »O Gott, o Gott,« +dachte sie, »jetzt wird er mich für dreist und für zudringlich halten.« +Und weil sie fühlte, daß sie ganz glutrot geworden war und immer noch +röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und machte sich klein. + +Er -- vom Steuer her -- sagte: »Marinke, dreh dich doch um.« + +Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich stieg der Gedanke in ihr +auf: »Es wird nicht sein -- es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich +-- und ich bin es nicht wert.« + +Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß sie bitterlich zu weinen +begann. + +Der Jurris stand von seinem Platze auf und setzte sich neben sie, so +dicht, daß ihr Rücken an seine Brust stieß. + +Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich nicht wolle, da sonst ja die +Heirat kein Grund zu solchen Tränen sei. + +Aber sie weinte nur um so heftiger. + +Da schlang er von hinten her die Arme um ihren Hals, so daß ihr Kopf auf +seine Schulter zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach ihm um, +damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem hellen Tage preiszugeben +brauchte, und so lag sie an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz +still. + +»Ach wenn er mich doch küssen möchte!« dachte sie. + +Aber er küßte sie nicht. + +Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu sehen. Viel brachte der Fang +nicht. Ein paar Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber sie +kümmerten sich nicht darum, und schließlich lachten sie gar darüber. + +Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob sie nicht mehr wie in der +Frühe, sondern schritt an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es beim +besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen gab, legte er seinen freien +Arm um ihre Hüfte, so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. Und +darum gab es des Lachens kein Ende. + +Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, und als die künftige +Schwiegermutter ihnen das Frühstück auftischte, wollte sie es nicht +dulden und küßte ihr Ärmel und Rocksaum. + +Da sagte die Enskene mit einem freundlichen Lächeln: »Was ihr gefischt +habt, ist ja nicht viel, und doch hat mein Jurris einen guten Fang +gemacht.« + +Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen und ängstlichen Blicken um +beide herum, so daß auch der Marinke wieder ganz angst ward. + +»Ob er was weiß?« dachte sie. + +Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß sie »auf Prob'« ins Haus kam. + +Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre Arbeit. + + + 4 + +In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat eigentlich nichts mehr auf dem +Hofe zu tun, denn das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber trotzdem +sah man ihn morgens und abends. Einmal hatte er sich einen Bohrer +geborgt, den er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm die +Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich kam er ganz ohne Grund, +setzte sich neben den Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal drei +Pfeifen aus. + +Daß man den jemals einen »Bedraugis« genannt hatte, war zum Verwundern. + +Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der neuen Freundschaft gekommen +war, die eigentlich schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen, +aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ er es sich gefallen. Der +Jozup, den alle für störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar +nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und Lieder die Menge, und wenn +man die Auflösungen seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich vor Lachen den +Bauch halten. + +Darum kamen auch die beiden Alten häufig dazu, und nur die Marinke +machte sich ungern in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen +Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn kommen und gehen sah mit +seinen strammen Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel er ihr +immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, die sie schon in Augustenhof +manchmal befallen hatte, wenn er auf dem Milchwagen vorfuhr, verließ sie +auch jetzt nicht. + +Zuweilen dachte sie: »Der wird mir gewiß einmal ein Leid antun.« Aber +ein bißchen Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, seitdem sie +erfahren hatte, wie wenig ein armes Mädchen vor ihrem starken Willen +vermag. + +Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris hinüberzublicken, um zu +wissen, wie gut geborgen sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah +kommen können. + +Eines Spätabends beim Weggehen blieb der Jozup am Gartenzaun stehen und +rief zu ihr herein: »Du, richt dich mal auf!« + +Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade Mohrrüben aus der Erde für +morgen Mittag, aber sie mußte es doch tun. + +»Warum hältst du dich so weit ab von mir?« war seine Frage. »Ich beiß' +dich nicht. Ich beiß' bloß in Rindfleisch.« + +»Ich bin die Magd hier,« gab sie zur Antwort, »und ich habe zu tun.« + +»Wenn du von Magd sprichst,« sagte er, »dann lachen die Hühner. Ich weiß +am besten, wie bald du hier Herrin sein wirst.« + +»Wenn du das weißt,« entgegnete sie, »dann wart hübsch, bis ich das +Recht hab', mit dir zu reden.« + +»Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt ist,« sagte er, »und ich +habe auch eine Bestellung an dich.« + +Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. »Wenn es wieder von Herrn +Westphal ist,« entgegnete sie, »dann sag ihm nur, sobald die Reihe an +uns ist, würde ich kommen -- und früher nicht!« + +Aber diesmal war es was Anderes. + +»Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,« sagte er. »Sie hat +gehört, daß du eine heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr +einmal aufzulegen. Bei _der_ Gelegenheit könntest du dir gleich unsere +Wirtschaft besehn.« + +Ihr wurde ganz heiß von dem allen. + +»Wer das gesagt hat von meiner Hand,« entgegnete sie, »der erfindet sich +Lügen, denn ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer Wirtschaft zu +sehen hätte, das weiß ich noch weniger.« + +Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet hinunter und sah ihn nicht +mehr an. + +Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, als fühle sie seine Blicke +auf ihrer Haut; dann wünschte er »Guten Abend« und ging von hinnen. + +»Mein Gott, mein Gott!« dachte sie. »Trachtet der auch nach mir?« Aber +das konnte nicht sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum Freunde +ausgesucht haben? + +Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte den Mittelsteg herabkommen, +und ihr Herz flog ihm entgegen. Sie dachte: »Wie kann man einen bloß so +rasch liebhaben!« Aber sie blickte nicht auf und beklopfte die Möhren +nur um so fleißiger. + +Er blieb hinter ihr stehen und sagte: »Kannst du dir denn gar nicht +genug tun? Es ist halbdunkel und Schlafenszeit, und du arbeitest noch +immer.« + +Sie stand auf und wischte das Schrapmesser an ihrer Schürze ab. »Du mußt +nicht glauben,« sagte sie, »daß ich mich zeigen will vor dir oder den +Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es vielleicht auch bald _meine_ +Erde ist, auf der ich da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen und +die Arbeit zum Spiel.« + +Er sagte: »Wir haben uns immer noch nicht richtig miteinander +versprochen.« + +»Nein,« sagte sie, »das haben wir noch nicht.« + +Und sie schickte sich an, den Korb mit den Gelbrüben ins Haus zu tragen. + +Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und führte sie den Mittelsteg weiter +zu dem Eschenbaum, unter dem die Bank stand für Mittagsruh' und für +Feierabend. + +Dort unter den hängenden Zweigen war es fast Nacht, und wer einen +auffinden wollte, den sah man schon lang' auf dem helleren Stege +daherkommen. + +Der Jurris stellte den Korb auf die Erde und setzte sich neben sie. Ihre +Hand ließ er nicht los und nahm auch die andere dazu. + +»Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?« begann er das Gespräch. +»Wenn wir Hochzeit machen, möcht' er Brautführer sein.« + +Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie Angst vor dem Jozup hatte, denn +ihr war ja nichts Böses von ihm geschehen, und darum meinte sie nur: »So +weit ist es ja noch nicht.« + +Er antwortete: »Warum nicht? Wenn _du_ mich willst, _ich_ will dich. Ich +hab' dich schon immer gewollt.« + +Und sie erwiderte: »Ich will dich gern.« + +Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie lehnte den Kopf an seine +Schulter, und er lehnte die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: »Warum +küßt er mich immer noch nicht?« + +Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder ihn für linkisch gehalten +hätte, aber sie hatte so große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie auch +den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter nach hinten, so daß erst ihre +Backe auf seiner Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem Munde lag. + +Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein Schaudern und wie ein +Schlag. Und wie eine ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine neue +Angst. + +Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. Sie wußte nicht mehr, wieviel +von ihrer Seele und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte ihm +immer noch mehr von sich schenken und immer noch mehr die Seinige sein. + +Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo rings ein Geräusch, und es +war doch niemand den Steg heruntergekommen. + +Darum sprang sie auf und sagte: »Komm. Es ist nicht mehr sicher hier.« +Und wünschte ihm rasch »Gute Nacht« und lief stracks nach der Klete, wo +ihre Kammer gelegen war. + +Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, es würde nicht lange +mehr dauern, dann würde er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum schnarchte +die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte er es ruhig auf sich nehmen können. + +Sie horchte und horchte nach der Türklinke hin, aber die rührte sich +nicht. Statt dessen war es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise +Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus und Klete unaufhörlich hin +und her liefen. + +»Der Arme!« dachte sie. »Er traut sich nicht. Ich muß es ihm leichter +machen.« + +Und darum stand sie auf und öffnete sacht den oberen Teil der Tür nur +eine Handbreit weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer geriet! +Denn als sie den Kopf für einen Augenblick durchgesteckt hatte, wurde +ihr gleich offenbar, daß der, der da draußen im Sommernachtschein +ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, sondern sein Vater war, der wider +Recht und Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht +zueinanderkam. + + + 5 + +Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. Denn wenn eine Braut, die »auf Prob'« +ist, sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann ziehen sie +womöglich in eine Kammer, und keiner kümmert sich drum. + +Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten Vormittag der Jurris vom +Felde kam, um kaltes Braunbier zum Trinken zu holen -- denn draußen beim +Mähen und Binden starben sie alle vor Durst --, da fand er, als er den +Rückweg antreten wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe gönnte, +wartend im Hausflur stehen. + +»Komm doch mal 'rein,« sagte er. + +Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, und als er in die Stube +trat, was sah er da? + +Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch bedeckt. Darauf standen +zwei brennende Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch. + +Der Alte war barhaupt und hatte die Schlorren nicht an und sah furchtsam +und heimlich aus. + +»Nimm deine Mütze ab,« sagte er. + +Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen war. + +Und der Vater fuhr fort: »Als die Marinke ins Haus kommen sollte, sagte +ich zu dir: kennen lernen müssen sich die Menschen, die beieinander +bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte ich von dir das +Versprechen, daß du ihr nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand +des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. Und das gabst du mir +auch.« + +»Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,« fiel ihm der Jurris ins Wort, +»wenn die Braut einem so dicht nebenbei wohnt.« + +»Und die Herren vom Gericht wissen es noch viel weniger,« gab der Vater +zur Antwort, »denn es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von Gott +eine andere Vernunft bekommen als wir. So hat es sich vor etlicher Zeit +auf dem Tilsiter Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer +Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite vom Pfade der Tugend +gewichen war, ein Jahr Zuchthaus -- nicht Gefängnis, mein Sohn, sondern +Zuchthaus -- gekriegt hat, weil sein Sohn und die Braut, die auch auf +Prob' war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache zusammen geschlafen +haben. Er hat geweint und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen, +denn im Herbst sollt' ja die Hochzeit sein, und zu der Aust könnt' man +zwei fleißige Händ' nicht entbehren; aber unbarmherzig, wie die +Deutschen sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen und haben ihn +eingesperrt zusammen mit Räubern und Mördern.« + +»Das kann nicht sein!« rief der Jurris voll Empörung. »Das wär' ja die +schlimmste Gewalttat!« + +»Die Deutschen nennen's Gerechtigkeit,« sagte der Vater, »und unter +einander strafen sie sich genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten +Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, denn Aufpasser gibt es ja +überall. Und weil ich gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit +euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst und Unglück zu retten: +entweder ich schick' sie solang' zu den Eltern zurück --« + +»Das geht ja nicht, Vater,« rief der Jurris entsetzt, »das würde +aussehen, als wollten wir sie nicht haben.« + +»-- oder du schwörst mir hier auf das heilige Gotteswort, daß du dich +ihrem Leibe fernhalten wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand, +selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.« + +Das kam den Jurris hart an, aber was sollte er machen? Und er schwor +zwischen den Lichtern, die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der Vater +verlangte. Und daß, wenn er den Eid verletze, Gott ihn mit Drangsal und +Tod heimsuchen wolle, das schwor er auch, genau wie der Vater es +vorsprach. + +Und dann brachte er das warm gewordene Braunbier aufs Feld hinaus. + +Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer atmend dastand, griff nach dem +Krug, als ob er ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, als tränke +sie Trübsal daraus. + +Nachher zur Mittagspause, als die Mäher alle im kargen Schatten zweier +Weidenstümpfe lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich erstaunt +nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es der Leute wegen geschehe, und +darum beruhigte sie sich wieder. + +Auch beim Nachhausegang schritt er nicht etwa an ihrer Seite, sondern +machte sich mit den kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren +lagen. + +Und immer und immer wich er ihr aus, so daß sie schließlich ganz krank +war. + +Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. Darum zweifelte sie +auch nicht an seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große Sehnsucht +nach ihm war es, die sie krank machte. + +So kam der Montagabend heran, an dem der Enskyssche Wagen zum ersten +Male wieder die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu bringen hatte. +Seit langem war ausgemacht worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren +solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn nicht länger +entgegenzustehen. + +Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte sie zu ihrer künftigen +Schwiegermutter, denn sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und +nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger war, könne schuld +daran sein, daß etwas nicht stimmte. + +Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer -- wenn auch nicht wegen der +Bücher. + +Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte Bänder durch die Zöpfe und +legte ein seidenes Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt +hatte. Und wenn sie daran dachte, daß sie nun zwei Stunden lang in der +roten Dämmerung mit dem Jurris allein durch die Welt fahren sollte, so +verschwand alles andere, wovor ihr wohl bangte. + +Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns kam, war der Jurris +nirgends zu finden. Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen, +und auch die der anderen Wirte warteten sicher schon lange, aber alles +Rufen nach ihm blieb vergeblich. + +»Dann wirst du wohl allein fahren müssen, mein Täubchen,« sagte die +Schwiegermutter. + +Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und viel mehr Tränen weinte sie, +als die kleine Fahrt wert war. + +Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun einmal war, fing er sogleich +zu quengeln an. »Was machst du für ein Wesen?« sagte er. »Es scheint, +daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden nicht umzugehen verstehst.« + +Das kränkte die Marinke natürlich aufs tiefste, denn den Litauer oder +die Litauerin möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre Gespielen +betrachten. Das Reiten und Fahren können sie alle womöglich noch früher, +als sie das Gehen gelernt haben. + +Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein Wort, sondern biß nur die +Lippen zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter. + +Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr Mann so häßliche Reden geführt +hatte, und deshalb ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es sich +machte, der Marinke was Tröstliches mit auf den Weg zu geben. + +Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur von weitem konnte sie sehen, +daß, als der Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz ihrer +gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse stieg und die Marinke +abbutschte, wer weiß wie sehr. + +Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: »Was hat die alte Wölfin ihr +Maul an der Marinke abzuwischen?« + +Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder zum Vorschein kommen. Er +sei auf dem Haff gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu +seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe machte und weiter in ihn +drang, erwiderte er nur noch: »Frage den Vater.« + +Aber der wußte von gar nichts. Und beide Männer gingen zur Ruhe. + +Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die künftige Tochter wieder zu +Hause war. + +Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte sich unter den Lindenbaum, +ließ auch die Lampe brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen die +Mücken. + +Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte sie gleichwie ihr +Slinka, der alte Kater. Sie wartete und wartete, aber die Marinke kam +nicht. + +Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen Wagen langsam, langsam näher +knarren. Die Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. + +»Sie wird eingeschlafen sein,« dachte sie, »und die Pferde machen es +sich zunutze.« + +Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit großen Augen nach dem Mond +hinstarren, und dann absteigen ohne »Wie geht's?« und »Guten Abend«, da +wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, sondern ihr war etwas geschehen. + +Sie liebkoste sie und sagte: »Du bist müde, mein Tochterchen, darum iß +einen Bissen und lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen statt +deiner.« + +Und die Marinke ließ es auch zu. + +Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde und kaute. Aber es war, als +täte sie's nur, weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das +Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß sie von Gesicht ganz +weiß war, bloß daß unter den Augen zwei Flecken brannten. + +Die Mutter umarmte sie und sagte: »Gestehe, was dir begegnet ist.« + +Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: »Es hat nicht gestimmt.« + +»Um wieviel hat es nicht gestimmt?« fragte die Mutter. + +Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Mehr als funfzig +Mark sind es, die fehlen.« + +Da lachte die Mutter und sagte: »Die schick' ich noch in der Frühe und +lege funfzig als Zinsen dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer +kochen.« + +Und die Marinke entgegnete heftig: »Um das Geld ist es nicht. Das hat er +mir gleich geschenkt. Der Verdacht ist es -- die Schande ist es, daß der +Schweizer nun sagen wird: >Eine lüderliche Kröt' ist vor mir im Amte +gewesen.< Oder er sagt gar noch Schlimmeres.« + +Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen Sorgen abgab, aber +in ihrem Innern freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem Jurris +eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren wollen. + +Und sie sagte: »Morgen fahr' _ich_ mit der Milch, und wenn ich deinen +Herrn Westphal seh', dann sag' ich ihm ordentlich die Meinung, weil er +ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht hat. Ja, das werd' +ich tun und fürcht' mich nicht im geringsten.« + +Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst ein sehr erschrockenes +Gesicht gemacht. Dann aber lächelte sie ein weniges, wie man zu +Kinderworten wohl lächelt. Dem Herrn Westphal trat kein Mann und keine +Frau mit Vorwürfen unter die Augen. Dem nahte man höchstens mit einer +Bitte im Munde. + +Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn weit und breit den »Wieszpatis«. +Das heißt auf deutsch »König und Herrscher«. Und der liebe Herrgott +heißt auch so. + + + 6 + +Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke fast wieder so wie +gewöhnlich. + +Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab dem Jurris die Hand. Aber warum +er sich gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. Sie fragte +überhaupt nichts mehr, sondern ging still an die Arbeit. + +Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken herein, und Erbsen und +Gerste nicht minder. Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. Keine +Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes und nichts Enthülstes. + +»Die Laumen meinen es gut mit uns,« sagte die Mutter, »seit das Kind bei +uns wohnt.« + +Und der Vater sagte: »Wenn nur nicht --« Aber das weitere verschwieg er. + +Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde es nie mehr so, wie es gewesen +war. Sie gingen wohl freundlich nebeneinander her und sprachen auch, was +der Augenblick brachte, aber zusammen allein zu sein, das suchte der +eine nicht und auch nicht der andere. + +Und jeder grämte sich auf seine Art. + +Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, dann hing sie mit fragenden +und ängstlichen Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging um sie +'rum wie ein Dieb und scheute sich, sie zu berühren. + +Auch von der kommenden Hochzeit war nie mehr die Rede. Höchstens daß die +Mutter einmal von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, was das +Elternhaus ihr wohl mitgab. + +Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend nahte, dann war er da. +Und beide Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten oder aßen unreife +Äpfel. + +Einmal, als die Marinke das Rindvieh von der Weide heimtrieb, tauchte +der Jozup neben ihr auf und begann ein Gespräch. + +»Hast du auch schon den Schwiegereltern das Stück Brautleinwand +geschenkt,« sagte er, »und Rautenblüte hineingelegt?« + +»Warum sollt' ich das?« fragte sie. »Ich bin die Magd hier und sonst +nichts.« + +»Das hast du mir schon einmal gesagt,« erwiderte er. »Es ist Zeit, daß +du freundlicher zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir die +Hochzeitsgäste zusammenzubitten.« + +»Ich weiß von keiner Hochzeit,« erwiderte sie. + +Er stieß ein Gelächter aus. »Aber im Leibe sitzt sie uns schon, als +hätten wir Tollwasser gesoffen. Ich lieg' bis zum Morgen und denk' an +die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß der Brautführer sein. +Vom Jurris red' ich nicht, der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran +denkt, die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, mein +Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach aus, als ob dir sehr davor +graute, über ein Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es nicht, der +ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt er sich einen Vertreter.« + +Der Weg war schmal, darum mußte sie das lästerliche Gerede anhören, und +als sie es ihm gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der Gedanke: +»Vielleicht weiß er mehr von mir, als mir gut ist; sonst könnte er gar +nicht so dreist sein.« + +Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß sie nur den Kopf senkte und +ihn reden ließ, was er wollte. + +Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl sie innerlich wünschte, er +möchte ihn mit der Peitsche vom Hof hinunterjagen. + +Und bald darauf kamen Tage voll neuer Herzensangst. Die drückten noch +härter als alles, was vordem gewesen war. + +Sie lief von der Arbeit weg und versteckte sich in der Scheune, um in +den Garben nach Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, ob +nicht irgendwo ein Sadebaum sich über den Zaun hinstreckte, und ihre +Füße waren verbrüht von kochendem Wasser. + +Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber bei Tage machte sie +freundliche Augen. Mit denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter +täuschte sie nicht. + +Die legte eines Tages die Arme um ihren Hals und sagte: »Mein Täubchen, +du bist nun bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe dich wohl +geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem Jurris nichts Besseres wünsche +als dich, so weißt du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten +spielen die Männer oft so schlimme Streiche, daß wir ins Unglück kommen +und wissen nicht wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, nimm +deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt. +Auf etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur muß man den Knaben +liebhaben, wenn man ihn täuscht.« + +Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, vermochte Marinke nicht zu +ergründen, aber gute Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie auf, in +Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann darüber nach, wie sie dem +Jurris wieder nahkommen könne. Leicht war das nicht, denn in den Garten +ging er zum Feierabend nie mehr, und nie mehr wollte er einen Gang mit +ihr machen. + +Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, hörte sie, wie er zum Alten +sagte: »Ich bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, ich muß einmal +nach dem Kahn und dem Schuppen sehn.« + +Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, so hätte er jetzt zu ihr +gesagt: »Komm mit!« und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen. +Aber statt dessen schlich er sich um die Scheune herum und kroch durch +die Zäune und blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand bemerke. + +Da sagte sie sich: »Ich tu's.« Und ging ihm nach. Aber sie ließ eine +weite Entfernung, so daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen +konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen Rückweg genommen. + +Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, setzte sie sich auf den +Grabenrand und wartete. + +Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie sangen die Heimchen. + +Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen Gedanken im Kopfe hinter +ihm herlief. Wäre es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen, +so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, aber nun die Not sie zwang, kam +sie sich als eine Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre Liebe +zu ihm nur noch größer und reiner war. Aber es hätte ihr keiner +geglaubt. Und auch sie selber glaubte es kaum. + +So verging eine geraume Zeit, da hörte sie seine Schritte näherkommen. +Beinahe wäre sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, daß +sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden konnte. + +Er blieb vor ihr stehen und fragte: »Wer ist da?« + +Und sie fragte: »Wie kommst _du_ hierher?« + +Da erkannte er sie und sagte: »Es wird dir zwar keiner was tun, aber +Sitte ist es nicht, daß die Mädchen am Sonntagabend allein in den Wiesen +herumlaufen.« + +Sie erwiderte: »Was soll ich machen? Eine Freundin habe ich nicht, und +der, der sich um mich kümmern sollte, der unterläßt es.« + +Er fragte: »Meinst du mich?« + +Und sie erwiderte: »Nein, ich meine den Jozup.« + +Da setzte er sich neben sie und sagte: »Du hast Recht, Marinke, daß du +mir Vorwürfe machst. Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, aber +was sollte ich tun? Der Vater verlangt es so und hat mir einen schweren +Eid abgenommen.« + +Sie zuckte die Achseln und sagte: »Was ist ein Eid? Für dich schwör' ich +fünftausend, und wenn sie zufällig falsch sind, dann lach' ich.« + +Er antwortete: »Dies war kein gewöhnlicher Eid, wie man ihn etwa vor +Gericht schwört. Der ging um _meinen_ Tod und um _deinen_ Tod, und zwei +Lichter brannten rechts und links vom Gesangbuch.« + +Sie sagte: »Dein Vater könnte auch was Besseres tun, als zwei +Liebesleute zu ängstigen.« Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen +war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof vor ihr versteckt +hatte. + +Er sagte: »Ja«, und sie legte den Kopf auf seine Kniee und schluchzte. +Sie dachte nicht mehr an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen +wollte sie sich. + +Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder in die Höhe zu kriegen, und +dann küßte er ihr die Tränen von den Backen und weinte mit ihr. + +Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: »Ich taug' ja nichts mehr,« aber +sie war so glücklich, wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut dazu nicht +fand. + +Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm um des anderen Hüfte gelegt, und +der Jurris sagte: »Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, denn ich +weiß, es _kann_ nichts Böses geschehen.« + +Das gab ihr einen Stich durch die Brust, denn es _mußte_ ja was Böses +geschehen. Heut' oder nächstens. Und ob es auf Tod oder Leben ging -- +gleichviel. + +Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche zu ziehen. Diesmal aber +tat sie's mit guter Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und wieder und +merkte mit Freuden, daß er schwindlig wurde und wankte. + +Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon dunkel und still. + +Er konnte sich nicht von ihr trennen, und sie dachte bereits, er würde +bitten, ihn mit sich zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da riß +er sich los und floh ins Haus, als säße der Böse ihm auf den Hacken. + +Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie schon manche Nacht gekniet +hatte. Und betete und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die Klinke +sich nicht bewegte. + +Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst wenn die sie hörte, was tat +ihr das noch? + +Und dann stand sie auf. Und da er noch immer nicht kam, trat sie den +schweren Gang an nach seiner Kammer. + + + 7 + +Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf kam der Jurris zu dem Alten in +die Stube und sagte: »Ich möchte dich in Gehorsam bitten, Vater, daß die +Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden kann.« + +Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er las, und sagte: »Du hast +wohl deinen Eid gebrochen?« + +Und der Jurris erwiderte: »Ja, ich habe meinen Eid gebrochen.« + +Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: »Dafür strafe dich Gott!« + +Der Jurris senkte den Kopf und sagte: »Gott wird mir vielleicht +vergeben, denn es war gar zu schwer.« + +Der Alte aber schrie: »Nein, Gott wird dir _nicht_ vergeben. Ebenso +wenig, wie _ich_ dir vergebe, daß du mich in so große Ungelegenheit +gebracht hast.« + +Und er lief auf seinen Schlorren umher wie ein Rasender. + +Nach einer Weile sagte er weiter: »Natürlich muß die Hochzeit früher +stattfinden. So früh als möglich muß sie stattfinden, damit nicht +vielleicht hinterher ein Stein auf mich geworfen wird. Aber das sage ich +dir: Kummer und Drangsal werden mit euch zu Tische sitzen, und der Tod +wird hinter euch stehen, weil du den Willen Gottes so wenig geachtet +hast, und den Willen deines Vaters noch weniger.« + +Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach mit keinem ein Wort, nur +daß er zur Marinke, die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: »Er hat +es erlaubt.« + +Und alsbald erhob sich im Hause ein großes Rumoren, denn die +Vorbereitungen zur Hochzeit sollten sogleich beginnen. + +Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt sowohl wie beim Pfarrer, und +der Jozup erschien am hellen Vormittag auf einem mit Bändern +geschmückten Pferde und selber mit Bändern geschmückt an Achseln und +Hutrand. Dem reichte die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel +von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu laden waren. + +Und die Marinke wurde geschickt, ihm den Festtrunk zu zapfen. + +Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er es so gierig mit seinen +Händen, daß sie die ihren nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest +und sagte: »Wenn ich nun losreite, dann mußt du mit und kommst nicht +mehr frei bis ans Ende der Welt.« + +Und sie sagte erschrocken: »Dann wärst du ein schlechter +Hochzeitsbitter.« + +Er trank und sprengte lachend davon, sie aber fühlte seine Hände brennen +bis gegen Abend. + +Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr und des ersten Pflügens, aber +beides mußte hintangestellt werden, weil es im Hause soviel zu tun gab. + +Und die Leute im Dorf wunderten sich und sagten: »Die Marinke ist doch +erst so kurze Zeit hier; sollten die beiden schon vorher miteinander +gekramt haben?« + +Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen erfuhr, daß er gerade das +Gegenteil davon erreichte, was seine Absicht gewesen war; er hätte sich +sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. Der Jurris aber +erfuhr's. Dem steckte es der Jozup nur allzubald. + +Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, so grämte er sich doch immer +noch mehr und dachte in seinem Herzen: »Sollte so das Unglück bereits +beginnen?« + +Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf immer neue Kohlen ins Feuer. + +Die Marinke hingegen tröstete ihn und sagte: »Wenn zweie sich liebhaben, +für die gibt es kein Unglück und kein Verschulden, denen steht Gott zur +Seite und nimmt den Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.« + +Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn sie ihn heimlich im Arm hielt, +vergaß sie alles, auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt +hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und Töpfe und Eimer und Garben und +was sie zu fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre dankbaren Hände. + +Der Jurris aber hielt's mit dem Müßiggang. Sie mochte ihm noch so viel +zureden, seine Arbeit wurde nur halb getan, und wäre nicht +glücklicherweise ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer weiß, ob der +Hafer nicht ins Faulen gekommen wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf +dem Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der Landwirtschaft hat, +ans Fischen nur denken kann, machte er sich morgens und abends draußen +zu schaffen. + +Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam er naß bis auf die Knochen +vom Ufer nach Hause. Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das +Draußensein kam es ihm an. + +Die Marinke küßte ihm beide Hände und sagte: »Jurris, Jurris, es tut dir +ja keiner was.« Aber auch das half nicht viel. + +Eines Morgens wehte stark der »Aulaukis«, der Südwest, den die Fischer +nicht mögen, besonders wenn Regen als Zugabe kommt. + +Als die Marinke hinaussah, dachte sie: »Nun, heute wird er wohl nicht +gefahren sein,« aber wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder im +Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris. + +Die Vormittagsstunden vergingen, und sie dachte: »Um Gottes willen, wo +bleibt der Jurris?« + +Und als er zum Mittagbrot noch nicht da war und auch die Mutter das +Fürchten bekam, da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von der +Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem Strande zu. + +Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte sie: das war kein +Wind mehr, das war ein Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken. + +Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, und der Handkahn war weg. + +Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, denn die Regenwolken +strichen ganz niedrig darüber hin, aber die Strandwellen gingen so hoch, +als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah kam, und das Rohr +schrie, als hätte es eine Menschenstimme bekommen. + +Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, so weit, daß die Wellen +sie nicht erreichen konnten, und die Marinke dachte bei sich: »Jetzt muß +ich hinausfahren -- muß ihm entgegenfahren.« + +Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser herangebracht hatte, dann +schlugen die Wellen ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben +lag. + +Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft war und daß sie davon nur +den Tod haben würde. + +Und sie warf sich im nassen Sande auf die Kniee, wie sie es jüngst vor +ihrem Bette oft getan hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen. + +Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken gekrochen, und keine +Menschenstimme rief: »Da bin ich.« + +Ja, _eine_ Menschenstimme war da. Ganz plötzlich schallte sie ihr in die +Ohren und sagte: »Was machst du?« + +Und diese Stimme gehörte dem Jozup. + +Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf dem Herzen gehabt hatte, und +hob die gefalteten Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte mit ihr +hinausfahren. Für sie allein sei es zu schwer. Aber zusammen würden sie +ihn schon finden. + +Der Jozup fragte: »Seit wann ist er fort?« + +Und sie erwiderte: »Seit in der Frühe.« + +Da lachte er bloß und sagte: »Dann ist er längst wieder an Land und +sitzt verschlagen wer weiß wo.« + +Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr fort: »Denkst du denn, daß +Menschen sich acht Stunden lang in so 'nem Wetter draußen herumtreiben +können? Oder sich erst den Platz aussuchen zum Landen? Da ist es jedem +egal, wo ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber komm ins Trockene, +denn dir klappern ja alle Glieder.« + +Und er führte sie in den Schuppen und schlug die Tür hinter sich zu, so +daß sie fortan im Halbdunkel waren. + +An den Wänden hingen die Netze, und über das Heu, das im Winkel lag, war +der Mantel des Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters versteckt, +wenn alle ihn suchten. + +Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten Fingern und küßte +den Saum und sagte: »Komm doch wieder! Komm doch wieder!« + +Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie hatte schon all ihre Tränen +verschüttet. + +Der Jozup stand daneben und biß sich die Lippen. Und dann sagte er: +»_Warum_ soll er eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug da, die +bloß auf dich warten.« + +Da drehte sie sich um und spie nach ihm. + +»Warum speist du mich an,« sagte er, »da ich doch einstmals dein Mann +sein werde?« + +Und sie sagte: »Laß mich hinaus. Ich habe schon lange gewußt, was du für +einer bist.« + +Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, und indem er ihre Hände hielt +wie in Klammern geschroben, sagte er folgendes: »Du betest da immerzu, +er möchte doch wiederkommen, aber wenn ich jetzt als sein Freund mein +Gebet mit dem deinen vereinigen wollte, dann würde es lauten: er soll +_nicht_ wiederkommen. Und er _wird_ auch nicht wiederkommen. Wenigstens +als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du schon mir, und das will ich +dir gleich beweisen.« + +Sie rang mit ihm und schrie: »Vergreife dich nicht an mir, denn ich +trage ein Kind von ihm.« + +Aber er lachte sie aus: »Du willst ein Kind von ihm tragen? Hat er mir +doch oft genug von dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen +müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! Ich aber kehr' mich an +nichts und will tausend Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.« + +Und sie rang weiter mit ihm und schrie: »Ich trage ein Kind von ihm!« + +Und er sagte mitten im Ringen: »Wenn es die Wahrheit wäre, daß du ein +Kind trägst, dann ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, von wem +es ist.« + +Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, und sie fiel hintenüber und +wußte von nichts mehr. + +Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür offen, und niemand war da +außer ihr. + +Unter ihr lag noch immer der Mantel des Jurris. Den streichelte sie von +neuem und küßte den Saum, aber sie dachte dabei: »Mir ist ganz recht +geschehen.« + +Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte wiederkommen. Hätte sie +ein Gebet gehabt, so würde es gelautet haben wie das von dem Jozup: »Er +soll _nicht_ wiederkommen.« + +So ohne Mut und so voll Scham war ihre Seele. + + + 8 + +Im nächsten Frühling bekam die Marinke einen Knaben. Der sollte einmal +die Enskyssche Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft +war keiner als Erbe da. + +Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben und durfte um den +Ertrunkenen trauern, als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und +niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn die Hochzeit war ja +bestellt gewesen. -- Bloß daß nun ein Begräbnis daraus wurde. + +Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, ehrte +sie wie ihres Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war immer gut zu +ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes willen, den er von ihr +erwartete. + +Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, denn er fühlte sich durch +den Eid, den er dem Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert auch +über dessen Tod hinaus. + +Der Jozup war während des ganzen Winters nur dann im Hause zu sehen +gewesen, wenn er die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl gehütet, +ihm zu begegnen. + +Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade vom Melken, da stand er +breit in der Stalltür. Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. Um +derentwillen mußte sie tun, als ob nichts vorgefallen war. + +Er bot ihr die Hand und sagte: »Ich halte mich fern von dir, aber wenn +die Zeit gekommen ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.« + +Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, denn daß sie ihm verfallen +war, daran zweifelte sie nicht. + +Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, daß sie die alte +Wilkene, die das Haus bisweilen besuchte, bereits als zukünftige +Schwiegermutter betrachtete. + +Aber freundlich war die durchaus nicht mehr. + +Wenn sie an ihrem klappernden Stock über den Hof gehumpelt kam, gab es +der Marinke stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte in ihrem +Innern: »Bin ich erst in dem Wolfsnest drin, dann werde auch ich das +Hemd auf den Schultern mit meinen Tränen waschen.« Denn so heißt es in +dem alten Liede. + +Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich nach der Entbindung ins +Elternhaus zurückzubegeben; aber wie man sie aufnehmen würde, wenn sie +mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft bat, daran gab's nicht den +mindesten Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens gewesen. Der Jozup +hätte sie auch von dorther geholt. + +So neigte sie sich also in Demut vor dem kommenden Schicksal, und nur +die bösen Augen der Alten machten ihr Angst. + +Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: »Was will die alte Wölfin immer von +dir? Du willst ja nichts von ihr.« + +Aber was der Jozup wollte, davon ahnte sie nichts. + +Und eines späteren Tages -- der kleine Jurris mochte acht Wochen gewesen +sein -- da kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter Stunde und setzte +sich neben die Wiege, die gerade ohne Aufsicht neben der Haustür stand. + +Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, denn beim ersten Blicke hatte +sie den Mann, der sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar nicht +erkannt. + +Er richtete sich auf und sagte: »Der Tote ist mein Freund gewesen, und +ich habe sein Kind bis heute noch nicht gesehen.« + +Und die Mutter sagte: »So sieh es dir ordentlich an.« + +Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte sogleich: »Habt ihr auch +schon daran gedacht, ihm einen Vater zu geben?« + +»Sein Vater liegt im Grabe,« sagte die Enskene, »und einen anderen +braucht es nicht.« + +»Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch ein Wort mitzusprechen haben,« +entgegnete er, »oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als Magd bei +euch behalten könnt?« + +»Das Kind in der Wiege,« sagte sie, »wird künftig einmal Herr auf diesem +Hofe sein, und die du meinst, halt' ich wie meine Tochter. Im übrigen +glaube ich nicht, daß dich dies alles was angeht.« + +»Dies geht mich nur insoweit was an,« erwiderte er, »als die Marinke +demnächst meine Frau werden soll.« + +Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig Macht ihr über die einstige +Braut ihres Sohnes gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, und +darum sagte sie: »Deine Werbung ist mir so willkommen, daß ich Lust +hätte, meinen Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe weist.« + +»Ich _habe_ gar nicht geworben,« entgegnete er, »denn ihr Vater wohnt ja +wo anders.« + +Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber und weinte. + +Und er wartete schweigend, bis die Marinke vom Felde kam. + +Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: »Schick ihn fort, so daß er nie +wiederkommt.« + +Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, wünschte ihm kaum »Guten Tag« +und nahm dann das Kind aus der Wiege, um es zu stillen. + +»Da hast du ja ein schönes Kind,« sagte er, »und ich will hinfort sein +Vater sein.« + +Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: »Kannst du nicht wenigstens +warten, bis die Trauerzeit um ist?« + +Da rang die Mutter die Hände und schrie: »Du ermunterst ihn ja!« + +Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste auf und reichte dem Kinde +die Brust. + +»Pfleg es mir gut,« sagte er mit einem Lachen und schritt nach dem +Hoftor. + +Von nun an gab es trübe Tage im Hause. Die Mutter weinte, der Alte +schalt, und beide verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen. + +»Hier hast du's wie eine Prinzessin, aber dort in dem Wolfsnest werden +die Wölfe dich fressen mit Haut und mit Haar.« + +So ging das Lied immerzu. + +»Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, daß das Kind dem +Jurris sein Kind ist? Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich +anglupt, als schlepptest du ein ganzes Gehetz von Bankerts mit dir +herum.« + +So ging eine andere Weise. + +Die Marinke sagte nur immer: »Habt Geduld, bis die Trauerzeit um ist.« + +Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr zum Rechtsanwalt zweimal in +der Woche, denn er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten. + +Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt hatte und sein Grab von +frischen Blumen noch voll war, erschien der Jozup von neuem auf dem +Hofe. + +Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, daß er die Marinke allein +sprach. + +Sie kam mit einem Wäschekorb von der Bleiche und lief ihm gerade in die +Arme. + +»Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,« sagte er, »und Geduld +bewiesen ein Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum frage ich +dich: Wann wirst du mir das Jawort geben?« + +Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen könne, aber niemand +war weit und breit. + +»Deine Mutter ist mir böse gesinnt,« sagte sie. »Und du wirst zu ihr +stehen gegen mich.« + +»Meine Mutter ist dir böse gesinnt,« entgegnete er, »weil sie sich +ärgert, daß du ein fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß es mein +eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst würde sie's ausschreien bis +hinter Prökuls.« + +»Es _ist_ auch nicht dein eigenes!« rief sie. »Das weißt du, und wenn du +es nicht weißt, dann schwör' ich es dir.« + +Aber er lachte sie aus. »Der gute Jurris ist tot,« sagte er. »Darum will +ich so tun, als hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde zu ihr +stehn gegen dich, dann kennst du mich falsch. Ich bin nach dir +ausgewesen wie ein Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die erste +Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit meiner Mutter die Sache beredet bei +Tag und bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind fixer gewesen als +ich. Ich hab' ihnen den Hof anzünden wollen über dem Kopf, -- ich habe +den Jurris -- na, nun ist egal, was ich wollte mit deinem Jurris. Aber +hast du dir nie gedacht, warum ich da saß Abend für Abend neben ihm auf +der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein Augenschmeißer bin und +weiter sonst nichts? Ich hab' kein Wort von meinem Zustand zu dir +geredet, denn schaliges Bier lieb' ich nicht, und den Bettler beißen die +Hunde. Aber das hättest du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden +kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch nicht den Finger heben +gegen dich. _Ich_ sollte zur Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was +dachtest du von mir?« + +Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, daß sie ihm recht in die +Augen sah. Und es war, als spritze Feuer daraus, und es war, als sei +eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene Wege. + +Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte seinem Willen doch nicht +entweichen. + +»Die Eltern werden es nicht zugeben,« sagte sie, um doch etwas zu sagen. + +»Welche Eltern? Deine oder dem Jurris seine?« + +»Meine sind froh, wenn sie mich los sind,« entgegnete sie, »aber diese +hier lassen mich nicht mehr weg.« + +»Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die Krähe vom Neste, und um zwei +solche Grasmücken sollt' ich mich kümmern?« + +»Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. So ein Glück kommt nicht +wieder.« + +»Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, wenn ich das will.« + +»Hier geht es nicht nach deinem Willen, das weißt du sehr gut. Denn +eigene Kinder kommen zuerst.« + +Der Jozup war rasch von Begriffen. Er sah gleich ein: wenn er nicht +drohte, kam er zu nichts. + +»Na, gut,« sagte er, »dann muß ich doch wohl meiner Mutter erzählen, was +zwischen uns passiert ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein Kahn +koppheister schoß. Was weiter geschieht, dafür wird _sie_ dann schon +sorgen.« + +Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach und Beschmutzung. Und auch +des Jurris' Andenken würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. Darum +wurde sie stark in ihrer Schwäche und sagte: »Ein Eid gilt dir nichts,« +-- daß er auch ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte sie nicht +-- »und so schwör' ich erst gar nicht. Aber was ich jetzt sage, das ist +so wahr, wie daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du mich heiraten +willst, so werd' ich nicht widerstehen und werd' auch das Kind bei mir +behalten, bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es zu denen +zurück, die es beerben wird. Sagst du aber deiner Mutter oder sonst +einem auf der Welt, was du mir angetan hast, dann nehm' ich mir am +selbigen Tage den ersten besten Kahn von denen, die am Ufer stehen, und +fahre hinaus und komme nicht anders wieder, als einstmals der Jurris +kam. Nun weißt du's.« + +Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt an ihm vorüber dem Hofraum +zu. + +Er aber hatte seinen Willen. Und was heute noch daran fehlte, das mußte +die Zukunft ihm bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner Gewalt +war. + +Am nächsten Vormittag kam die Alte auf Freischaft. + +Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, und als sie die Marinke +küßte, war's ihr, als gösse der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus. + +Aber sie widerstand nicht mehr. + +Mochte die gute Mutter ihr auch weinend Rücken und Hände streicheln, +mochte der gnitschige Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen +versprechen, -- sie blieb fest. Und auch was mit dem Kinde werden +sollte, bestimmte sie nach ihrem Willen. + +Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, was nötig war, um den Enkel +an eigener Kindesstatt anzunehmen, aber das durfte nun erst in Kraft +treten, wenn Marinkes Leib von neuem gesegnet war. Bis dahin sollte der +Kleine bei seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die +Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat. + +So wurde es festgemacht, und niemand sagte mehr Nein. + + + 9 + +Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest gefeiert. Die alten +Enskys hatten sie ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke ihres +Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer einen Stein auf ihre Sittsamkeit +hatte werfen wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und nur die alte +Wölfin grollte und kicherte höhnisch in sich hinein. + +Am Morgen des ersten Tages -- lange vor Sonnenaufgang -- war Marinke auf +den Kirchhof gegangen, um von dem Grabe des Jurris Abschied zu nehmen, +denn daß ihre Gänge hierher von nun an nicht gern gesehen sein würden, +das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich für das schwere Leben, +das vor ihr lag. Auch bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie +ihm im geheimen angetan hatte und wodurch er auch schließlich zu Tode +gekommen war. + +Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl nichts wie eine große Buße sein +würde, und die nahm sie auf sich mit Freuden. + +Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern angefahren. Auch die zwei +erwachsenen Brüder fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen. + +Obgleich alle vier sie oftmals herzten und küßten, erschienen sie ihr +nur wie weitläufige Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren kaum +noch gesehen. + +Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst von hinnen getrieben hatte, +schämte sich ein wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause +ausgerichtet worden war, und erzählte jedem, mit dem sie bekannt wurde, +es wäre nur der weiten Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem, +weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams durchaus darauf bestanden +hätten, das Fest an Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder vier +sonstige Gründe führte sie an. + +Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht und trug den Beutel +mit den vielen Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei jeder +Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, und man erkannte wohl, daß er +keinen anderen Willen besaß als den, den sie ihm eingab. + +Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke in diesem Hause wie eine +Tochter geehrt wurde und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals +hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat sie an sie heran, +umarmte sie und sagte, so laut, daß die Enskene es hörte: »Du wirst +hoffentlich dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in deinem +Elternhause eine Zuflucht hast und keine Fremden brauchst, dich zu +beschützen.« + +Und die Enskene erwiderte darauf: »Ebenso wirst du hoffentlich dessen +gedenk sein, meine Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.« + +Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede gedemütigt wurde, schwieg +sie ganz still, denn sie hatte erreicht, was sie wollte. + +Das Kind begehrte keiner von der Familie zu sehen, und es wurde ihnen +auch nicht gezeigt. + +In der Kirche sah die Marinke den Jozup an diesem Tage zum ersten Male, +denn es war damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut und Bräutigam +-- jeder mit seinem Anhang -- gesondert zur Kirche fahren und nicht +früher zueinandertreten, als bis der fromme Gesang zu Ende ist und der +Pfarrer vor dem Altare steht, den Segen über sie zu sprechen. + +Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, und die auf der linken, die +zu dem Bräutigam gehörten, sahen feindlich herüber. + +Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil die Marinke keinen +Rautenkranz trug, sondern bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte, +das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte. + +Und das kam daher, daß sie eine Entweihte war, wie die alte Wölfin jedem +zuraunte, der es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, bis die +Verachtung so in ihm wach wurde. + +Der Jozup sah und hörte nichts von dem allen. Er starrte bloß immer mit +einem wilden und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke herüber, +als wollte er ihr zurufen: »Hab' ich dich endlich?« + +Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als müßte sie ihm erwidern: »Ja, +nun hast du mich ganz.« + +Und als der Pfarrer hernach das Jawort von ihr verlangte, sprach sie es +so hell und deutlich, als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer +Seite gestanden. + +Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch sie gedachte dessen, der in +der Erde lag. + +Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut und Bräutigam vom Kruge aus, +wo die Trauung begossen wird, ein jeder gesondert nach Hause fahren, um +erst am zweiten Tage der Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen; +aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, wie es jetzt immer +üblicher wurde, gemeinsam den Weg zur Brautwohnung ein. + +Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. Er sprach nicht zu ihr und sah +sie nicht an, aber wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine schlug, +zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr angst und bange wurde. Und noch +bänger wurde ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten Wagen die +Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen hatte und deren Blick sie +durch und durch stach. + +»Er wird mich mit seiner Liebe fressen,« dachte sie, »und die Alte mit +ihrem Haß.« + +In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste gerichtet. Die Türrahmen mit +Gewinden umgeben und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die Tische konnten +all die guten Gerichte nicht fassen. Da gab es Rindfleisch mit Reis und +Pflaumen mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und Neunaugen, gewürzt +und gesäuert. Und noch vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar +nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier und Alaus und Kirschen- +und Kornschnaps -- alles sehr reichlich. + +Im Brautwinkel, wo neben dem jungen Paare die vornehmsten Gäste sitzen, +stand sogar in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; der war aus +Memel extra verschrieben. + +Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz wollte eine behagliche oder +gar freudige Stimmung nicht aufkommen. Die Verwandten des Bräutigams +hielten sich abseits von den Verwandten der Braut, giftige Blicke flogen +hin und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt war, der sah mit +Sorge, daß, wenn das Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden +nachfolgen würden. + +Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch immer. Ihr Sohn habe was +Besseres verdient, als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem könne +es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen zu sein, bei der die +Brauteltern, anstatt sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen. + +Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, den drohenden Sturm zu +verscheuchen. Die gute Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre sie +die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch der Alte auch sonst +die Schätze seiner Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit und +verteilte Handschuhe und Handtücher in Menge, selbst seidengewebte +Jostbänder verteilte er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem +Verstecke. + +Aber nichts wollte helfen. Die Magila, die Göttin des Zornes, saß schon +im Rauchfang, und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, dann wehe! + +Die arme Marinke traute sich nicht mehr zu reden, zu lächeln, und der +Jozup saß da mit eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten nach +rechts und nach links, als wolle er bald dem, bald jenem stracks an den +Hals. + +Und immerzu ging das Getuschel der Alten. Wie ein Messerstich hierhin +und dorthin flog schon ab und zu ein häßliches Wort durch die +eintretende Stille. + +Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann hätte sich wohl alles anders +gestaltet. Er war ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich +abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb. + +Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter den Gästen, aber der war +noch sehr jung und besaß nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig +zu machen. + +So konnte das Unheil weiter gedeihen. + +Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher Mann, der harmlos gekommen +war, sich zu vergnügen, hob mit einemmal sein Glas und rief zu dem +Brautvater hinüber: »Du -- prost auf die billige Hochzeit!« + +Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. Der alte Tamoszus +sprang auf und wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf werfen, andere +fielen ihm in den Arm, ein großes Lärmen hub an, -- das Schlimmste +schien nun gekommen. + +Da geschah etwas, was niemand geahnt oder für möglich gehalten hätte. +Wäre der Herrgott vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu stiften, +keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt. + +Und es war ja auch eine Art von Herrgott, ein »Wieszpatis« war es, der +sich selber bemühte. + +Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, die plötzlich herangebraust +kamen? Wer kannte nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze und +der rotsamtnen Troddel? Wer kannte nicht das Lacklederverdeck mit den +silbernen Bügeln? + +Und wer kannte nicht den Mann, der fünf Fuß zehn Zoll hoch mit +blitzendem Auge unter buschigen Brauen und auseinandergestrichenem +dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen Polstern entstieg, um +sich dann umzuwenden und einer Dame im seidenen Schleier und seidenen +Mantel aus dem Innern zu helfen? + +Ja, wenn _der_ zur Hochzeit kam! Der und die Frau, die alle liebten, wie +man einstmals die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß schön +war, sondern in ihrem Gutsein sich auch zu den Demütigen neigte! + +Wenn _das_ geschah, dann gab es nicht Hadern mehr und nicht Hochmut. +Dann gab es keine Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da wo der +Rautenkranz und die silberne Krone hingehört hätten. Dann gab es nur +Frieden und Glück und Geehrtsein. + +Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, erhoben sich stumm von +den Sitzen, und so betraten beide suchend die Stube, in der sein Kopf +die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz hätte aufrichten wollen. +Auf den Brautwinkel gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich die +Hand, die blutübergossen und stumm den Blick auf die Dielen geheftet +hielt. Und auch den Jozup begrüßten sie -- glückwünschend, daß er solch +eine Frau, deren Wert sie ja kannten, sich zu eigen genommen. Und dann +begrüßten sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die Herrin, +wechselte einen ernsten Blick mit der Mutter, den nur sie beide +verstanden, und die Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte. + +Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und immer noch hübsche Frau war, +drängte sich vor, um auch einen Gruß zu bekommen, aber die Herrschaften +achteten ihrer nicht mehr, als ob sie ein Unkraut gewesen wäre. + +Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, oder vielleicht wußten +sie gar nicht, daß eine Bräutigamsmutter noch da war. + +Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar gegenüber, und er, der +Wieszpatis, zog einen Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. Der +war innen mit Seide gefüttert, und auf der hellblauen Seide lagen +silberne Messer und Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler und +mehr. Das war sicher. + +Noch niemals hatte man jemand gekannt, dem zur Hochzeit solch eine Gabe +beschert worden war. + +Und der Herr sagte: »Ihr alle sollt daraus erfahren, wie treu die +Marinke mir einstmals gedient hat und wie hoch meine Frau und ich ihre +Dienste heute noch schätzen.« + +Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn Litauisch konnte sie +nicht: »Es muß ein besonderes Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie +dem Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen dürfen.« + +Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn des Kindes war heute noch +niemals von einem gedacht worden. + +Und die Herrin fragte: »Kann man es sehen, Marinke?« + +Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, wo die Wiege versteckt +war, und brachte es angetragen in seinen rotbunten Kissen. + +Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und schaukelte es und sagte: »Ein +hübsches Jungchen. Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn erinnere. +Findest du nicht auch, John?« + +Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, da gewahrte er, daß die +Augen der Marinke sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller +Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, und darum nickte er nur +bedächtig und nachsinnend vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein +auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, nahmen die Herrschaften +freundlichen Abschied und fuhren von dannen. + +Das Kind und das Silberbesteck aber gingen noch lange Zeit bei den +Gästen von einem Schoß auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt und +bewundert. + +Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und kichernd draußen herumlief, +wollte von beiden nichts wissen. + + + 10 + +Das Gehöft, das die Leute das »Wolfsnest« nannten, lag ein wenig abseits +vom Dorfe und war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den fünfen, +denen man Hochachtung schuldete. Aber man sah nicht viel davon, denn es +war auf drei Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, daß man +höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern sah. + +Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn verborgen. Und nur wer von +der Landseite herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, die als +Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall und Scheune bedeckten. + +Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst recht überrascht durch die +schönen Maschinen, die auf dem Hofe der Reihe nach standen. + +Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem Stolze erfüllen, +die auf Arbeit hielt und auf Ordnung. + +Die Marinke fand sich rasch in das neue Leben, und war sie von +Kindesbeinen an fleißig und tüchtig gewesen, wie hätte sie's hier nicht +sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand? + +Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter an, wenn sie vom +Fenster der Altsitzerstube aus, bereit zu Tadel und Zank, das Wirken der +Hausfrau verfolgte. Und sie hütete sich wohl, sich an ihr zu vergreifen +oder den Sohn gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich auf +günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit erschien und ohne Gruß +aus und ein ging. + +Die Marinke kümmerte sich nicht viel um ihr feindseliges Benehmen, denn +sie hatte ja Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen würde, wenn es +zwischen ihr und der Alten zu offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. +Ob er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der Mutter würde er doch +wohl nicht Unrecht geben, denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil +sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen hatte. Der eine +war Schutzmann in Berlin, und der andere stand kurz vor dem +Versorgungsschein. Schreiben taten sie beide nicht mehr. + +Mit dem Jozup war's eine eigene Sache. Manchmal, wenn er dasaß und sie +ansah halbe Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein Wort zu reden, +und sie gleichsam aufzehrte mit seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann +dachte sie innerlich schaudernd: »Das ist zu viel, das darf nicht sein, +das geht wider Gottes Macht und Willen.« + +Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor allzugroßer Liebe und ihr nicht +nahe zu kommen wagte, dann dachte sie wieder: »Das ist die Strafe, weil +er sich an dem Jurris vergangen hat.« Bis er sich dann auf sie stürzte +wie ein wildes Tier, so daß _sie_ nun zitterte vor seiner allzugroßen +Liebe. Und manchmal dachte sie dabei: »Vielleicht ist er wirklich ein +Werwolf und heißt nicht bloß so.« Aber dann warf sie die Furcht wieder +ab und tröstete sich: »Das kommt bloß daher, daß er zu lange nach mir +begehrt hat und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun kann er's noch +immer nicht fassen.« + +Und dann war es ihr manchmal, als könnte sie ihn mit der Zeit auch +wiederlieben. Aber ihr Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, wo +der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab und zu an das Grab zu +gehen, ihr wäre manches leichter geworden. + +Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine wilde Liebe. Ob es sein +eigenes war oder nicht, darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und +Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen Glauben zu lassen, denn sie +wußte, wenn's anders käme, würd' es ihr schlecht gehn. + +Er nannte den Kleinen auch nicht »Jurris«, wie er getauft war, sondern +»Wilkiutis« oder »Wilkytis«, was gar kein christlicher Vorname ist, +sondern das »Wölfchen« bedeutet. Und er war ganz zornig, wenn die +Dienstboten nicht taten wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen +Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich brachte sie's auch nicht +mehr übers Herz und nannte ihn immer bloß »Kindchen« oder auch +»Liebling«. + +Der Kleine wuchs rasch heran und konnte gehen und sprechen, noch ehe das +erste Ehejahr um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie der Wolf mit +seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. Lag lang auf der Erde und +ließ ihn klettern über sich her und hob ihn hoch in die Luft, und dann +mußte er sehen, wie er von den Handflächen wieder herabkam. + +Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der Dämmerung zwei alte Leute +und kuckten sich die Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und kuckten +nicht minder nach der Marinke, ob ihr Leib noch immer nicht Spuren zeige +von kommendem Segen, damit alsbald der Vertrag in Kraft treten könne, +der ihnen den Enkel zurückgab. + +Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, obwohl der Alte die +Vormundschaft hatte, und ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen. +Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt und sich +streicheln lassen von ihren verständigen Händen, aber um des lieben +Friedens willen entbehrte sie auch das. + +Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde zu haben, hatten die Alten es +auf sich genommen, den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen bei +den Besitzern immer reihum fuhr, selbst zu kutschieren, wenn ihre Woche +gekommen war. Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher an den Rand +des großen Weges bringen, wo sie herrenlos standen, bis der Wagen sie +auflud, und als die Alten sich dumm stellten und unter diesem oder jenem +Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, da machte er kurzen Prozeß und trat aus +der Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, als er selber nicht +gerne mehr nach Augustenhof hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und +vielleicht besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis nannte er nur noch +»den Deutschen«, und das schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf dem +Grunde des Schrankes und zehn Schichten Kleider darübergefliehen. + +Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen tot, und der Tag seines +Sterbens kam heran. + +Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch nicht, kurz, um die Stunde, +in der damals das alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle +aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht Fische zu fangen. Er +tat das sehr selten, denn den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und +wie er die Marinke zum Abschied küßte, da war Triumph in seinem Auge, so +daß sie sich dachte: »Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an +seiner Gewalttat.« + +Und weiter dachte sie: »Soll der arme Jurris nun ganz allein da liegen +und denken, ich hab' ihn vergessen?« + +Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf den Kirchhof, und der +Vorwurf in ihr sprach lauter und lauter. + +Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg bei der Hand, denn es mußte ja +aussehen wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie aber hinter den +Erlen war und die Alte ihr nicht mehr nachblicken konnte, hob sie ihn +auf den Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof zu, der wohl +eine halbe Stunde entfernt lag. + +Das Grab war ziemlich verfallen. Frische Blumen lagen nicht darauf, und +auch sie hatte ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie Blätter +von den Ahornbäumen, und weil sie zufällig ein Knäulchen Zwirn in der +Tasche hatte, machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu winden, die +den Grabhügel der Länge und Breite nach festlich umrahmen sollte. Zeit +hatte sie genug, und der Kleine grub artig im Sande. + +Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, und auch weil ihr hier an +dem Grabe so wohl war. + +Sie sang: + + »Dort unter den Linden + In jenem Grabe, + Da liegt und schlummert + Mein lieber Knabe. + + Auf seinem Denkmal + Stehet zu lesen, + Wie schön und tapfer + Er einst gewesen. + + Mit Blumen schmück' ich's + In jedem Lenze, + Sitz' auf dem Grabe + Und flecht' ihm Kränze. + + Und ranke Grünes + Rings um die Kanten + Und pflanze Goldlack + Und Amaranten. + + Und klag' und weine, + Weil sie den Knaben + Mir aus dem Brautbett + Gerissen haben. + + Doch aus dem Herzen + Stiehlt ihn mir keine, + Und jeden Abend + Komm' ich und weine.« + +»Wenn _ich_ hier mit meinem Kinde an jedem Abend ein Stündchen sitzen +könnte,« dachte sie, »ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern immer +vergnügt sein.« + +Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit freute, da wurden mit +einemmal vom Kirchhoftor Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und +ein Klappern dabei -- das kannte sie wohl. + +Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind auf den Arm und ging der +Schwiegermutter entgegen. + +Die schwang die Krücke und schrie: »So also bist du dem Jozup treu, du +Allerweltsfrauenzimmer, daß du selbst mit den Gräbern buhlen gehst? Ohne +Jungfernschaft bist du ins Haus gekommen, den Muturis« -- das +Frauenkopftuch -- »hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht ich. Aus +der Mistpfütze bist du gekrochen, und nicht eher werde ich ruhen, als +bis ich dich dahin zurückgeprügelt habe.« + +Und sie schlug mit dem Krückstock auf die Marinke los. + +Die dachte nur daran, den kleinen Jurris zu schützen, der bitterlich zu +weinen begann, weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, und ging +davon ohne ein Wort der Erwiderung. + +Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich vor das Hoftor, um dem Jozup +aufzupassen. + +Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe zurückkam, erzählte sie ihm +alles. »So hat sie dich beseift,« sagte sie. »Nun strafe sie, wie sich's +gebührt.« + +Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen und kämpfte lange mit sich. +»Warum soll ich sie strafen?« sagte er dann. »Es ist besser, ihr Zeit zu +lassen, damit das Andenken an jenen aussauern kann aus ihrem Gemüte.« + +»Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?« fragte höhnisch die Alte. + +»Weil ich ein Mann bin,« entgegnete er, »weiß ich, was ich zu tun habe.« + +Aber sie ließ ihm keine Ruhe. »Weiche Äpfel faulen bald,« sagte sie, +»und wer bloß Krumen essen will, bricht sich am ehesten die Zähne +entzwei. Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.« + +Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu schelten. Nur fernhalten +tat er sich von ihr, und auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche +lang. + +Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem Begegnen, denn jetzt hatte sie +einen Grund. + +Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter schon einmal +gehoben hatte, ohne daß ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es +alsbald von neuem und fiel über sie her, allemal, wenn sie ihr nicht +entweichen konnte. + +Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen und war auf nichts weiter +bedacht, als den Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger +angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr setzen. Und eines Tages +-- nicht weit vom Herde -- riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand +und warf sie gegen den hängenden Kessel, so daß ein wenig von dem +kochenden Wasser herausspritzte. + +Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. Die Schwiegertochter habe +sie geschlagen und verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die Blasen +an Hals und an Händen. Und als der Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie +auch ihm und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens nicht +sicher. + +Da geschah es zum ersten Male, daß er sich an seinem Weibe vergriff. Er +schlug sie nicht, wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, sondern +warf sie schweigend über den Tisch und schüttelte und würgte sie, wie +man mit einem bissigen Hunde tut. + +Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den kleinen Jurris auf den Arm +und rannte in ihrer Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja jeder +Verkehr verboten war. + +Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot und rief dann den Alten +herbei. Der tat desgleichen, und als Marinke ihnen alles erzählt hatte, +wollten sie sie sogleich bei sich behalten. + +Aber die Marinke willigte nicht darein. »Von hier holt er mich schon +morgen vormittag,« sagte sie, »und wenn ich mich wehre, schleppt er mich +womöglich an den Haaren zurück. Aber ich weiß jetzt, was ich ihm sagen +werde, wenn ich auch nicht danach tun kann.« + +Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, ihr den Kleinen noch eine +Strecke zu tragen, und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen +Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren Armen Eiapopeia. + +Am nächsten Morgen wollte der Jozup schweigend von dannen gehen, aber +sie hielt ihn zurück und sagte: »Ich habe es satt, mich schlecht +behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der Himmel bisher nicht geschenkt, +es hält uns also auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse +Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd' ich dort nicht, und darum +ist es das Beste, ich gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst du +behalten.« + +Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand und entgegnete drauf: »Das +Einzige ist, ich teile ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen +fließt. Dann wird sie's vielleicht weitererzählen, aber im Hause wird +Ruhe sein.« + +Da sagte die Marinke: »Gestern vor vierzehn Tagen war des Jurris' +Todestag, und heute wird _mein_ Todestag, wenn du das tust, so wahr ich +dein Weib bin.« + +Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache ihr Sinn unveränderlich war und +daß er nie und nimmermehr daran würde rühren dürfen. Darum sagte er: +»Ich werde nachsinnen, ob es ein anderes Mittel gibt.« + +Und die Marinke sagte: »Du kannst nachsinnen, soviel du willst. Ein +anderes Mittel, als daß _sie_ aus dem Hause geht oder ich, wirst du +nicht finden.« + +Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: »Sie hat mich vorgezogen, +seit ich im Kinderkleid war -- sie hat die Brüder hinausgejagt, damit +ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel von mir!« + +Und die Marinke erwiderte: »Ich verlange ja nichts.« + +An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube und blieb dort länger +als eine Stunde. Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte herauskam, +das Gesicht wie behonigt, und zu der Marinke sagte: »Setze meinen Teller +auch auf den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, will ich fortan +mit euch zusammen essen.« + +Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die Alte den Kleinen ihren +»Putytis«, ihr Hähnchen, nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte, +zog sie ihn rasch auf die Seite. + +Von diesem Tage an war die Wilkene wie umgewandelt, und niemand konnte +wissen, wodurch es geschehen war. + +Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend im Erlengebüsch auf +Marinke lauerte -- -- denn so war es jüngst ausgemacht worden --, sagte +zu ihr: »Paß gut auf, daß sie nicht an den Herd kommt. Ich will mich +rösten lassen wie Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das Kind +zu vergiften.« + +Die Alte aber saß allabendlich am Rande des Sumpfteichs hinter dem +Roßgarten, um Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, die +nächstens ausgelegt werden sollten, und in der Dunkelheit kam sie mit +Kräutern beladen nach Hause, die sie niemandem zeigte. + +Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei und dem Kalmus auch +Wasserschierling in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten können, so +viel Schierlingsstauden standen dort mit ihren weißlichen Schirmchen. + +Ja, die Marinke paßte gut auf. + +Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben gegen die Gicht, das hatte +nichts auf sich, aber daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem +Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische aß, das gab schon mehr zu +bedenken. Und stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder zu +wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich war. + +Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit wich die Marinke nicht von +der Stelle. Kaum den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich +wurd' ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn. + +Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit Zucker und Rosinen, da fiel +ihr ein fremder Geruch auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der Jozup +mochte wie viele den Kürbis nicht und kriegte was Anderes, die Alte aber +bekam mit einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich Melissentee +kochen, so daß nur sie selbst und das Kind noch übrigblieben, davon zu +essen, denn den Leuten war schon vorher zugeteilt worden. + +Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab auch dem Kinde nichts, +füllte aber, soviel sie konnte, in eine breithalsige Flasche und lief +heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit sie nun tue, was not war. + +Und als der Freitagabend herankam, da sagte die Mutter: »Ich bin in +Heydekrug gewesen beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht und +gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn man's dem anzeigen wollte, wär' mit +der Hälfte zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.« + +Die Marinke nahm den Zettel und ging zum Jozup. »Deine Mutter ist mir +die rechte,« sagte sie. + +»Wieso?« fragte er und ließ die Halsbinde los, denn er zog sich eben die +Kleider vom Leibe. + +»Weil sie mich hat vergeben wollen -- mich und das Kind.« + +Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten ersticken, und riß sich +das Hemd am Halse entzwei. + +»Ich habe das Versprechen getan, dich niemals zu schlagen,« sagte er, +»aber du machst es einem recht schwer.« + +»Hier ist der Zettel,« sagte sie. + +Er las den Namen des alten Settegast, den jeder ehrte weit und breit, +und so rot, wie er gewesen war, so blaß wurde er nun. Und dann ließ er +sich alles von ihr erzählen. Auch daß die Mutter Enskys die Probe zur +Apotheke getragen hatte, verschwieg sie ihm nicht. »Straf mich, wenn du +willst,« sagte sie, »aber das Kind mußt' ich am Leben erhalten, +gleichviel, wer sein Vater ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich +jetzt gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.« + +»Du und das Kind bleiben hier,« erwiderte er. + +»Gut,« sagte sie, »dann muß deine Mutter fort, oder ich zeige sie an.« + +»Du zeigst sie an?« fragte er, als ob er nicht recht gehört hätte. + +»So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.« + +Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und kam die ganze Nacht nicht +mehr wieder. Auch am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, erst +gegen Mittag trat er mit einemmal aus der Altsitzerstube. Er zitterte am +ganzen Leibe und sagte: »Ich habe mit der Mutter gesprochen. Was sie +jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals prophezeit und habe für +alle Fälle mit den Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die Hälfte +aller Einkünfte bekommen und sie dafür in Pflege nehmen, solange sie +lebt. Siehst du nun wohl, wie lieb du mir bist -- du und das Kind?« + +Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte kaum einen Widerspruch zu +leisten gewagt, denn sie wußte, die Anzeige drohte. + +Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der Jozup sie zur Bahn brachte, +reckte sie noch einmal den Krückstock nach der Marinke und schrie ihr +den schwersten Fluch an den Hals: »Mag der Perkuhns dich treffen nach +Bartholomä!« + +Und da es bis zum nächsten Bartholomä noch lange hin war, verbesserte +sie sich: »Nein, noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich +treffen.« + +Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in die Weite, dorthin, wo kein +Litauergott mehr donnert. + + + 11 + +Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man glückliche nennen. + +In Marinkes Herzen wurde das Bild des Jurris allmählich blasser und +blasser. Da eine Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte sie manches +liebe Mal nach seinem Grabe sehen können, aber es drängte sie nichts +mehr dorthin. + +Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler heran, der sich die Butter +vom Brote nicht nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen bis zum Abend +in die Welt hinauskrähte. + +Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn darin zu bestärken, und wenn der +Junge recht unartig war, sagte der Vater: »So ist's gut, mein +Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.« + +Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe zur Weide führen und setzte +ihn jedem Tier auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit vier Jahren +ritt er bereits auf der bockigen Schimmelstute, und die war auch sonst +nicht die frömmste. + +Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger zwischen den beiden, und als +der fünfte Frühling herankam und die künftige Schulzeit schon drohte, da +nahm der Jozup ihn morgens sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die +Lenkstange der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen Zipfel des +Säelakens zu tragen und meinte: »Das muß das Erste sein, was ein +Wirtssohn erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und Rechnen.« + +Ein Glück war's -- ein unaussprechliches und nie besprochenes --, daß +noch immer kein Zeichen sich meldete, der kleine Jurris werde ein +Brüderchen oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade so, als ob der +Himmel selbst darüber wachte, daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand +und Ruhe allmählich einkehrte. + +Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich zwei alte Leute auf ihren +Knieen und flehten zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam in +die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn und Erben zurückgeben. + +Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. Die Marinke mochte sich +noch so sorgsam verstecken, die Dienstleute trugen es doch hinaus, und +bald wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes war. + +Der Jozup ging umher wie ein Wüterich und erklärte, wer ihm den Knaben +nehmen wolle, den schieße er nieder. + +Aber als die beiden Enskys von seinen Reden hörten, da lachten sie nur, +denn sie hatten es schriftlich. + +Und eines Tages waren sie dreist genug und erschienen beide im Hoftor. + +Die Marinke, die im achten Monat war und nur noch leichte Gartenarbeit +verrichten konnte, saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten +unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die aber hatten sie wohl gesehen +und wollten gerade in den Garten einbiegen, da stießen sie auf den +Jozup, der eben aus dem Hause trat. + +»Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?« sagte er ihnen zum Gruße. + +Die Großelternliebe war stärker in ihnen als jegliche Angst, und obwohl +der Alte sich ein wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit +hatte er doch, um zu sagen: »Ich würde an deiner Stelle versuchen, dich +mit uns zu verständigen, denn vor den Behörden bist du ja machtlos.« + +Da dachte er nicht anders, als sie würden wohl mit sich handeln lassen, +und lud sie ein, in die Stube zu treten. + +Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine bestanden und nur +Gewißheit haben wollten, wann sie das Kind heimholen könnten. + +Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: wie sich den Sohn erhalten, +an dem seine Seele hing. Für einen Augenblick stieg wohl der Wunsch in +ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, das ihn mit dessen Leben verband, +aber er warf ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen wohl +erkannt, daß, wenn die Marinke, mochte sie sonst noch so weich sein, zu +einer Sache entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon abbringen +konnte. + +Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen -- das wollte er doch nicht. + +In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin und her, ob nicht ein +einziger Grund sich finden ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich +für immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein anderer ein als der, mit +dem er sein Weib nun schändete. + +»Jurris habt ihr ihn ja genannt,« sagte er, »aber was wißt ihr, ob er +wirklich dem Jurris sein Kind ist?« + +Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände zu ihm auf, als wollte sie +ihn anflehen, den Schlag _nicht_ zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte. +Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und schrie immerzu: »Wer ist es? +Wer ist es? Wer ist es?« + +Und er -- mehr aufs Geratewohl, als weil er sich eines bestimmten +Verdachtes bewußt war -- entgegnete dieses: »Nun -- es kann ja zum +Beispiel -- der -- Wieszpatis gewesen sein. Nicht umsonst hat er Kinder +sitzen weit und breit -- und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf dem +Hofe gewesen.« + +Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom Blitze getroffen, der Alte aber +rannte spornstreichs hinaus und in den Garten -- dorthin, wo die Marinke +vorhin gearbeitet hatte. + +Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn sie dachte, der Jozup +wolle dem Alten zu Leibe, da schrie er auch schon: »Nun ist es heraus, +du Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. Und das Kind ist von +ihm. Gesteh, daß das Kind von ihm ist!« + +In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht anders, als es sei durch +ein Unglück alles ruchbar geworden, was sie sich selber kaum eingestand, +und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete sie: »Wenn du es +weißt, warum fragst du mich erst?« + +Da rannte er spornstreichs zurück und schrie es durch Garten und Hof: +»Sie hat gestanden, daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es eben +gestanden.« + +Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde so gelb wie die Asche im Eimer. +Er nahm den Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. Dort gab +er ihm noch einen Stoß mit dem Absatz und überließ ihn seinem weinenden +Weibe. Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem Leibe +mühsam aus dem Garten kam. + +Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei er der Henker. Aber da sie +wußte, daß nichts auf der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, so +gab sie sich drein. + +»Geh ins Haus,« sagte er und blieb ihr dicht auf den Hacken. + +Dann peitschte er die Mägde hinaus, die ängstlich um die Feuerstätte +standen, und folgte ihr in die Stube. + +Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach war sie geworden, und seine +Augen stachen nach ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit. + +»Also wie war das mit dem Wieszpatis?« fragte er ganz freundlich. + +»Wie wird's gewesen sein?« sagte sie. »Er war doch der Herr, und ich war +die Magd. Und wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, dann hat er +gesagt, ich gefall' ihm.« + +»Und das ging so die ganzen Jahre lang?« + +»Solang' ich die Meierei unter mir hatte, wird's wohl gegangen sein.« + +»Und als du merktest, daß du ein Kind von ihm trugst, da suchtest du dir +den Jurris als Vater dazu?« fragte er immer noch freundlicher. + +Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das war anders.« Und nun berichtete sie +ihm der Wahrheit nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal nach +Augustenhof hatte hinkommen lassen -- der Jozup selber war ja Vermittler +gewesen -- und wie sie allein hatte fahren müssen, weil der Jurris nicht +war zu finden gewesen. Da hatte der Herr gesagt: »Wir wollen nun +Abschied feiern, Marinke.« Und sie hatte gebeten und gefleht: »Ach +lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.« Aber er war ja der Herr, und sie +hatte ihm schon so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm auch +diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von daher war alles Unglück +gekommen. + +Er sagte: »Ich habe das Gelöbnis getan, dich nicht zu schlagen. Und das +ist dein Glück, sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser Stube +kommen. Auch sollst du mir zuerst einen Sohn zur Welt bringen, denn das +bist du mir jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen werde, das weiß +ich noch nicht. Aber ich rate dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt +hast, den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn ist Hurensohn. Und +kommt er mir in den Weg, so schmeiß' ich nach ihm mit allem, was ich +grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.« + +Die Marinke hob die Arme nach ihrem Manne auf und weinte und bat: »Wo +soll ich hin mit ihm in meinem Zustand?« + +»Das geht bloß dich an,« entgegnete er und schritt aus der Türe. + +Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm drein, um den Kleinen vor +ihm zu sichern, der wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. Und sie +fand ihn auch glücklich und wartete ab, bis der Weg frei war, dann zog +sie ihn rasch in die Klete. + +»Hole mir Betten für mich und das Kind,« sagte sie zu der Hausmagd, +»denn hier werd' ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.« + +Und der Kleine schrie nach dem Vater, er wolle hinaus und mit ihm +spielen, wie er's gewohnt war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus Furcht, +der Jozup möchte eindringen und mit ihm tun, was er gedroht hatte. + +In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen Jurris wohl vierzehn Tage +auf und traute sich nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten gut +für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche Herrin gewesen. + +Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er an der Klete vorbeiging, +schüttelte er die Faust nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus, +wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört. + +Er nannte sein Weib eine »Klorke«. Und »Szunjôda« und »Pajudêle« nannte +er sie. Das sind Namen, die man am besten ins Deutsche nicht überträgt. + +Und drohen tat er ihr auch und immer aufs neue. Sie konnte das Fenster +noch so fest schließen, sie hörte und verstand ihn in allem. »Denke nur +nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein Täubchen, weil ich das +Gelöbnis getan habe, dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand +kommen lassen, der wird das alles statt meiner besorgen. Der wird dir +mit der Bratpfanne den Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten +streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben wirst, heute feiern wir +Ostern.« + +Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und dachte: »Wer mag es nur +sein, den er meint?« Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben +konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden. + +Am allermeisten hatte sie Angst um den Knaben, dem der Jozup Tag für Tag +ans Leben gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit sich verkürzte, +wurde die Unruhe größer in ihr, daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn +aufpassen konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war. + + + 12 + +Eines Nachmittags -- es war zu Ende August, und die Leute arbeiteten +draußen im Grummet --, da sah die Marinke durch das Fenster der Klete, +daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, sich einen Korb mit Essen und +Trinken aufladen ließ und davon fuhr. + +Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen die Sonntagskleider an und +schmückte sich selber, so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte sie +sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war die einzige, die auf dem Hofe +geblieben war. Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben habe, +sondern sagte nur im Vorbeigehn: »Ich will jetzt den Kleinen wegbringen. +Erzähle dem Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht nicht zu Haus +bin.« + +Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch fortgehen wollte, so +wußte sie doch nicht, wohin. Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach. + +Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, wenn Leute ihr +entgegenkamen, denn das Geschehene war ja längst allen bekannt; aber +jeder grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr sprach. + +Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen wollte, in dem sie so +glückliche Tage verlebt hatte, da überfiel sie der Jammer, so daß sie +sich weinend auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme sprach in ihr: +»Kehre an! Vielleicht daß die Mutter dich nicht fortweist und einen Rat +für dich hat!« + +Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß der Alte auch auf dem Felde +war und die gute Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte. + +Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß und sagte: »Da ist er nun, um +den wir Jahre und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, so hübsch +wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch zu uns gehören.« + +Und sie küßte ihn und sagte weiter: »Wenn der Jurris noch lebte, der +würde es nie erfahren haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes. +Weiß Gott, mir wär' es gleich! Ich würd' ihn auch weiter liebhaben, +schon weil er von dem Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will +nicht. Der spuckt aus.« + +Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und bat: »Sag, Mutter, was soll +ich tun?« + +Und die Enskene erwiderte: »Es ist doch ein Vater da. Der muß sich jetzt +kümmern.« + +Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie hatte sie daran gedacht, +daß sie dem Wieszpatis mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe. + +Und die Mutter Enskys fuhr fort: »Wenn er erfährt, daß sein Fleisch und +Blut ganz und gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so wird er es zu +sich nehmen. Denn nicht umsonst sagen alle, daß er ein guter Mann ist +und ein gerechter Mann.« + +Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit kam über sie. Beinahe wäre +sie von der Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die Mutter Enskys +hielt sie fest und sagte: »Daß es dir schwer fällt, kann man sich +denken. Es trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, darum kannst +du gleich mit dem Milchfuhrwerk mitfahren, das der Hütejunge +kutschiert.« + +»Aber bei den andern anhalten, wenn er die Kannen einsammelt, das bring' +ich nicht übers Herz,« sagte die Marinke. + +Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig sein würde, der Junge könne +ja erst die Runde machen und sie dann abholen kommen. + +Und so geschah es. + +Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen auf Augustenhof eintraf. +Der Schweizer in der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie kümmerte +sich nicht um ihn, sondern nahm den kleinen Jurris bei der Hand und +schlug den Weg zum Herrenhause ein. + +Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich in den Garten läuft, schlug +ihr das Herz so sehr, daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen zu +müssen, und als sie gar lachende Stimmen auf der Veranda hörte und +milchfarbene Windlichter sah, da war es vollends mit ihren Kräften zu +Ende. + +»Wer ist da?« hörte sie die Stimme des Herrn. + +Und da sie nicht zu antworten vermochte, sagte er weiter: »Sieh doch +einmal nach, Agnes, wer da ist.« + +Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen herab -- sollte das wirklich +die Agnes sein? -- und fragte: »Was wünschen Sie?« Und da sie noch immer +nicht antwortete, rief das Mädchen hinauf: »Eine Frau ist da mit einem +Kinde, aber sie spricht nichts.« + +Da kam er, der Herr, selber die Treppe herab. Und sie neigte sich vor +ihm und küßte ihm den Ärmel. + +»Ich kann nicht recht sehen,« sagte er. »Bist du etwa die Marinke?« + +Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: »Die bin ich.« + +»Komm herein,« befahl er und schritt ihr und dem Kinde voran die Stufen +empor, an lauter Herrenleuten vorbei -- jungen und alten --, es waren +deren mindestens sechs oder sieben. Sie erkannte die gnädige Frau, der +küßte sie rasch noch die Hand, und dann ging sie durch die Sommerstube +und den Saal und den mittleren Korridor immer hinter ihm her, und der +Kleine war tapfer und quarrte nicht im geringsten. + +Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, das am Giebelende gelegen war +und drei Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und eine zum +Korridor hin, durch die sie nun eintraten. + +Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch nie gesehen hatte, denn +damals war es Petroleum gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an dem +sie Sonnabends immer Rechnung gelegt hatte, und das Ruhebett in der +linken Fensterecke stand auch noch da. Und alles war überhaupt, als sei +sie nie weg gewesen. + +Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt und betrachtete sie lange, +aber von dem Kinde, das sie erwartete, und auch von dem, das sie an der +Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann so: »Es hat mir leid getan, +Marinke, daß dein Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt hat. +So sind wir ganz außer Verkehr gekommen, und ich weiß nichts mehr von +dir. Du hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich gewandt, und +das passiert mir in ähnlichen Fällen eigentlich niemals. Ich will nicht +sagen, daß ich dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich kann, +helf' ich gerne. Aber nun setz dich hin, denn du wirst müde sein, und +sage, was führt dich her?« + +Sie dachte bloß immer: »Und sein Kind sieht er nicht an.« + +Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante des Ruhebetts setzte und +das Kind zwischen die Kniee nahm, da sah er es doch. + +»Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,« sagte er und streckte von +seinem Schreibstuhl her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen +lockt. + +Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich nur um so enger an sie. + +»Wie werd' ich's ihm bloß sagen?« dachte sie. »Das Beste wird sein, ich +geh' wieder weg, wie ich gekommen bin.« + +»Nun also, Marinke, erzähle.« + +»Ich hab' nichts zu erzählen, Ponusze.« + +»Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es schwer fällt, nicht einen so +weiten Weg. Also sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder möcht' er +bauen oder sonst was? Ich geb', was er will, denn ihr seid mir sicher.« + +»Mein Mann braucht keine Hypothek,« sagte sie, »und bauen möcht' er auch +nicht, aber es ist 'rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen ist, +Herrchen, und mir.« + +Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz nach ihr um, so daß es +knarrte, und machte sich ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf +ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel hart auf ihn herab. + +»Er ist ganz grau geworden,« dachte sie. Und nun sah er vollkommen so +aus, als wär' er der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger +Herrgott sah er aus. + +»Nur du und ich haben's gewußt,« herrschte er sie an, »und von mir hat's +keiner erfahren.« + +Sie hätte nun sagen müssen: »Von mir auch nicht,« aber ihre Angst vor +ihm war so groß, daß sie sich keine Antwort getraute. + +»Ich werd' denn man gehen,« sagte sie und versuchte aufzustehen. Aber +sie war so schwach, daß sie wieder zurückfiel. + +Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen war. Die geschliffene +Karaffe stand immer noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr ein +Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, aus dem sie manches liebe +Mal hatte naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der wollte erst +nicht, aber was ihm in die hohlen Händchen geschüttet wurde, das nahm +er. + +»Nun laß uns vernünftig reden,« sagte der Herr, »und erzähl alles.« Aber +sie konnte nicht. Sie saß bloß so da und sah vor sich hin. + +»Marinke,« sagte der Herr, »du bist einmal die Freude meiner Feierabende +gewesen, und ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen großen Stein +bei mir im Brett. Denk daran und faß dir ein Herz.« + +Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: »Das Kind hier ist _Ihr_ +Kind, Ponusze.« + +»Ei der Deiwel,« sagte er und lachte hellauf, »das ist ja ganz was +Neues.« Dann nahm er den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die +Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. »Wie gesagt, stramm ist +er. Wenn er sich auswächst, kann er mir schon ähneln. Denn das weißt du +ja, sie ähneln mir alle.« + +Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten fünf oder sechs auf dem Hof. +Wenn man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie der andere. + +Und er fuhr fort: »An sich wär's also schon möglich. Aber ich denk', es +ist deinem ertrunkenen Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich weiß, hat +er ja auch den Namen.« + +»Das ist richtig,« entgegnete sie, »aber von dem ist er nicht. Und von +meinem jetzigen Mann ist er auch nicht.« + +»War der denn auch dabei?« fragte er, und sie konnte nicht anders als Ja +sagen. + +»Du -- das ist aber ein bißchen reichlich,« rief da der Herr und wußte +vor Lachen sich nicht zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh! + +Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. Aber die Marinke +sah ein, daß sie in der fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde, +wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das mußte sie jetzt tun, denn er +allein konnte sie verstehen, und es drückte ihr längst schon das Herz +ab. + +Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, wie alles gekommen war. Er +hörte ihr aufmerksam zu und wurde ernster und immer noch ernster. + +Mitten darin griff er mit der Hand nach dem Kleinen und hob ihn sich auf +das Knie. Und der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und lutschte +still weiter. + +Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den Wuschelkopf und setzte ihn +sacht auf die Erde. Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er mußte die +Beine freikriegen zum Rumgehen, denn das tat er immer, wenn ihm das Herz +von irgend was voll war. + +Er ging und ging, und dann klingelte er und sagte dem eintretenden +Mädchen: »Man soll nicht auf mich warten -- ich habe zu tun.« Einst war +sie selbst dieses Mädchen gewesen, und oft hatte er dasselbe zu ihr +gesagt. Und dann ging er immer noch länger. + +Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: »Wie wirst du nach Hause +kommen?« + +»Der Enskyssche Milchwagen wartet auf mich,« entgegnete sie. + +Der große Augenblick war nun da. In ihm mußte das Schicksal des Kindes +sich entscheiden. + +»Die Enskene hat gemeint,« stotterte sie, »weil es doch dein Fleisch und +Blut ist, Herrchen, und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest du es +vielleicht in Pflegschaft nehmen und es großziehen lassen auf deinem +Hofe. Von Instleuten wohnen ja bei dir so viele.« + +Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm erbitten wollen, aber +jetzt, da sie das vornehme Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte +sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen war. + +»Du vergißt, Marinke,« sagte er, »daß da draußen die gnädige Frau sitzt, +der ich Rechenschaft schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald auch ihr +zu Ohren kommen, und dann gäbe es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem +Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu kommen, war schon zu viel, +aber ich mochte es ihr nicht abschlagen -- auch um deinetwillen nicht, +Kind, weil du so außer jedem Verdacht bliebst. Kommt's nun aber heraus, +dann ist jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie wieder gutmachen +kann.« + +Die Marinke verstand nicht recht, was er meinte, aber daß ihr Verlangen +eine Vermessenheit war, das wußte sie nun. + +»Ich werd' denn man gehn,« sagte sie zum zweiten Male. Diesmal fiel sie +nicht von selbst zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter gefaßt +und festgehalten, so daß sie das Aufstehen vergaß. + +»In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier bin,« sagte er, »ist kein +Fremder ohne Trost aus dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr +gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht hinausschicken? +Das geht nicht, Marinke, wenn ich dir auch leider was Anderes als Geld +nicht zu bieten hab'.« + +»Ich will kein Geld!« stieß sie hervor. + +»Verachte das Geld nicht,« ermahnte er sie. »Denn es macht die Bösen gut +und die Harten gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von mir hat +oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, tausend Taler mit auf den Weg. +Und noch keine hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine Mitgift +geben, dreimal so groß, so daß er als ein wohlhabender Erbe gelten kann, +und du wirst sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.« + +Damit setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb einen +Schenkungsbrief über zehntausend Mark, und noch vieles andere schrieb er +dazu, wie die Zinsen zu erheben seien und wie das Kapital einst +ausgezahlt werden sollte. Das unterstempelte er mit dem Stempel des +Amtsvorstehers, dessen Dienst er selber versah, und reichte es der +Marinke. + +Die dachte bloß immer das eine: »Aus mir kann nun werden, was will. Das +Kind ist fürs Leben geborgen.« + + + 13 + +Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen auf dem Enskysschen Hofe +einfuhr, saß die Mutter gerade so wartend im Mondschein wie an jenem +Abend vor sechs Jahren, von dem alles Unglück seinen Ursprung hatte. + +»Der Vater ist schon lange zur Ruhe,« sagte sie, »drum komm herein und +stärke dich.« + +Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle genau so wie damals und aß +und wußte nicht, was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter. + +Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen. + +Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche und reichte ihn ihr. + +Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht und ließ sich die Summe +immer wieder von neuem sagen, bevor sie sie glaubte. + +»Aber dann ist ja alles gut,« sagte sie, »und dann will ich erst mal den +Vater wecken.« + +Die Marinke hatte Angst, der Alte würde sie und das Kind sofort zur Tür +hinausweisen, aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und ging damit +nach der Stube. + +Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder da war, und hinter ihr in +Hosen und Hemd, die Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen +-- wie ein Wiesel kam er gesprungen -- und bot der Marinke den Willkomm +und klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte ihn selber ins +Bettchen tragen, denn Kinder müßten mit den Hühnern zur Ruhe. + +Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. »In was für ein Bettchen?« +fragte sie. + +»Nun, das für ihn bereit steht schon seit Jahren.« Und er habe immer +gesagt, das mit dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. Das habe +der Jozup sich ausgedacht, um ihn und die Mutter zu täuschen. Und nun +sei es offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr Westphal so viel +bares Geld nicht aus, sonst wäre er längst schon ein Bettler. + +Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden wollte, stieß die Mutter +sie an und sagte ihr leise: »Laß ihn nur immer. Er redet sich's ein und +wird's auch den andern einreden -- und so ist's am besten.« + +Da gedachte die Marinke der Worte, die der Herr zu ihr gesprochen hatte, +ehe er die Schenkung niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine nun +wirklich die Heimat gefunden hatte noch am heutigen Abend. + +Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, denn sie wußte +wohl, daß es zum letzten Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über +ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen des Kreuzes und ging vor die +Haustür. + +Dort standen die beiden und warteten ihrer. + +»Ach, möchten sie mich doch einladen, bei ihnen zu bleiben!« dachte die +Marinke. Aber sie taten es nicht. Wie konnten sie auch! + +»Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,« sagte der Alte, »denn ich bin +der Vormund.« + +Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke ins Dunkel hinein und +sagte zum Abschied: »Ich bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig +Jahr' hab' ich gewiß noch. Und so lange wird es ihm gut gehn, das weißt +du.« + +Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr mit Tränen. + +»Was wird aber mit dir werden?« fragte die Mutter. + +»Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,« sagte die Marinke und ging +von ihr fort ... + +Der Mond stand hoch -- es war schon ein Herbstmond --, aber die Luft +wehte warm wie im Juni. + +Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, überkam sie ein Schaudern. +Der Hofhund würde bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf würde +der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, hinausrufen: »Wer ist da?« Und +wenn sie dann sagte: »Ich bin es -- ich, die Marinke,« dann würde das +Schimpfen losgehen -- Klorke und Szunjôda und Pajudêle und alles, womit +er sie sonst noch traktierte. + +Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. Niemand paßte ihr auf. Sie +konnte die Nachtstunden nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo sollte sie +sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat hatte sie nicht. Da fiel der +Kirchhof ihr ein, auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. Wie eine +Erleuchtung kam es da über sie. + +Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an den Morgen, das war es, was +ihr jetzt fehlte. Da sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie +keiner anschreien und schimpfen. + +So schlug sie also den Weg zum Kirchhof ein, den sie beinahe vergessen +hatte. + +Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht zu finden, denn ringsherum +hatte manch neuer Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren auch +höher geworden. Aber schließlich unterschied sie es doch und setzte sich +auf den Hügel, dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich +begrünte. + +Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die Eltern errichtet. Der war +inzwischen schon wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der Tafel +schien blaß und von Regen verwaschen, soviel man im Mondschein erkannte. + +»Bald werden sie ihn alle vergessen haben,« dachte sie, und ihr +schien's, als sei sie ihm doppelt und dreifach untreu gewesen. Oft hätte +sie Zeit gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte danach gefragt. +Trotzdem fand sie erst heute den Weg hierher, wie man verlassene Freunde +nicht früher aufsucht, als wenn man nicht aus und nicht ein weiß. + +»Ach wenn ich doch ein bißchen weinen könnte!« dachte sie, aber sie +hatte heute schon zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar nicht so +schmerzhaft zumute. Nur müde war sie. Darum lehnte sie das abgerackerte +Kreuz gegen den Pfosten und dachte: »Hier möcht' ich einschlafen.« + +Und das tat sie auch wirklich. Aber bald weckte der Nachtwind sie +wieder. Sie lag nun mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht mehr +aufstehen. + +Es war eine große Stille ringsum, nur die harten Baumblätter rieben sich +ab und zu aneinander, und in dem Grase raschelte es, wenn irgend ein +Getier sich bewegte. + +Sie dachte an alle die Geister, die auf so einem Kirchhof zur Nachtzeit +ihr Wesen treiben, aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn +unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, und der hätte sie schon +beschützt. + +Über diesem Gedanken schlief sie von neuem ein, und ihr war im Traume +fortwährend, als stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. Aber +wie sie wieder einmal erwachte, merkte sie, daß es nur der Wind gewesen +war, und da tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief. + +»Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,« dachte sie. Da kam das Schaudern +wieder, das sie auf dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt +hatte. + +»Was soll ich eigentlich dort?« dachte sie weiter. »Sobald er mich +sieht, wird er mich quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, ob +ich ihnen noch was zu befehlen hab'. Hier gehör' ich her. Zu meinem +Jurrischen. Hierher auf den Kirchhof.« + +Und sie beugte sich zur Seite und küßte das Grab, aber ihr kam davon nur +Sand zwischen die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender Zeiten. + +»Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,« dachte sie. »Denn ich bin +für ihn gar nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die Gimdywe -- die +Gebärerin -- bin ich ihm noch. Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen +anstatt des anderen, das er verstoßen hat, und dann kann ich abgehen. Er +wird schon dafür sorgen, daß sie mich bald hierher auf den Kirchhof +fahren.« + +Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten gleich hier. + +Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, die er ihr zugefügt +hatte seit jenem Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an alle die, +die er ihr noch zufügen würde -- er und der Helfer, mit dem er drohte. + +Und sie sagte zu sich: »Nun hab' ich ihm umsonst prophezeit, daß ich ins +Haff gehen werde, wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn was er +jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist ebenso schlimm wie das, was +sie damals zu erzählen gehabt hätte.« + +Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig wurde, überfiel sie +plötzlich ein Erschrecken, so furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe +sprang und wie eine Unvernünftige drum herumlief. + +Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich kommen lassen wollte, niemand +sonst als die Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin dann? + +Sie rannte nach rechts und rannte nach links, als wollte sie ihr +entrinnen, und wußte doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es gewiß +zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut mehr. Wenn das noch zu +fürchten gewesen wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt. + +Da war es ihr, als sagte eine Stimme: »Er _hat_ sie ja gar nicht +zurückgeholt.« + +Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. Entweder er schwebte um sie +herum, oder sie hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von seinem +Sarge aus zu ihr redete. + +Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf die Knie, wühlte die Stirn in +den Sand, um ihm näher zu sein, und bat und flehte: »Ach hilf mir doch, +Jurrischen, hilf mir doch!« + +Und die Stimme sprach weiter: »Gewiß hat er dir nur Angst machen wollen, +wie man kleine Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist sonst gar +nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt schon über fünf Jahr, und du +bist so zufrieden mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen hattest. +Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse bin. Nein, ich bin dir nicht im +mindesten böse. Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab' ich hier +stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen kommst, das tut mir weh. Nun aber +gehe getrost wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, die Gott +der Herr dir gesetzt hat. Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen, +und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen lassen. Und wenn er sieht, +wie treu du ihm dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum Guten +wandeln, und alles wird werden, wie es noch jüngstens war.« + +So sprach der Jurris aus seinem Grabe, und sie hörte begierig darauf. + +Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte sich bereit, nach Hause +zu gehen. Diesmal wandelte kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war +wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen zu können. Wenn nur das eine +nicht kam, wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, nicht kam, dann war +alles gut! Von ihm selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie +kränkte. + +Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender Körper zur Seite +gedrückt hatte, zog die Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar +ein Vaterunser. + +Dann machte sie sich auf den Heimweg. + +Über dem schwarzen Forst, der den Osten begrenzte, erhob sich bereits +ein gelblicher Streif. Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen +zwitscherten schon. + +Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. Darum bellte der Hund +auch nicht, der sie von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem +Schweife gegen die Hüttenwand. + +Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen wollte, gewahrte sie, +daß in der Kleinen Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und +drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, wo er mit dem Giebel +zusammenstößt. + +Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, da hörte sie aus dem +Innern zwei Stimmen. + +Die eine gehörte dem Jozup, die andere aber -- vier Jahre hatte sie sie +nicht mehr gehört, und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu +müssen. + +Sie war also _doch_ gekommen, die Wölfin! Für sie hatte er heute den +Spazierwagen angespannt, sie von der Bahn abzuholen, und die Magd hatte +geschwiegen -- aus Mitleid. + +Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie nicht, das Elternhaus wollte sie +nicht, der Wieszpatis wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe +wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit List und mit +Täuschung. + +Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und rannte und rannte -- ohne Sinn +und Verstand -- so rasch ihr Körper es zuließ. + +Bloß weg! -- Weg aus dem Hause! Weg aus dem Leben! Weg -- weg -- weg! + +Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue Wasser und die +schaukelnden Kähne. Und der Schuppen des Jurris war auch da. + +Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs Haff hinaus -- -- -- -- -- -- +-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + + + 14 + +Am Morgen desselben Tages segelte in drei Mittelbooten eine +Trauergesellschaft aus der Richtung von Karkeln her nordwestlich nach +der Nehrung hinüber. + +Es waren Männer und Frauen aus dem Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer +Niddnerin, die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett hatte dran +glauben müssen, das Geleite gegeben. + +Da der junge Witwer, um die Heimgegangene zu ehren, ein großes Begräbnis +ausgerichtet hatte, so war die Nacht hindurch getanzt und getrunken +worden, und alle befanden sich noch in der heitersten Stimmung. + +In dem ersten der Boote saßen die Eltern der Toten. Die freilich +verhielten sich ruhig, aber sie freuten sich doch, daß die anderen so +lustig waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man ihres Kindes +lange und gern gedenken würde. + +Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem länglichen Bündel, das die Alte +vorsichtig in den Armen wog, während ihr Mann achtgab, daß die untere +Kante des schlagenden Segels in guter Entfernung darüber hinstrich. + +In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft ihres Kindes, der +Säugling, den sie mit sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn +aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch nirgends zu finden gewesen, +aber ob sie sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr zu +bezweifeln. + +Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an dem Lutschpfropfen, in dem +gekaute Semmelkrume mit geriebenem Zucker gemischt war, und wenn es zu +schreien begann, bekam es Fenchelwasser zu trinken, wovon man auch nicht +sehr satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht vertrug, so lag die +Gefahr nicht sehr fern, daß es kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen +würde, aus der es eben gekommen war. + +Aber die andern scherten sich wenig um solche Großmuttersorgen. Sie +lachten und sangen, und wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung +die Flasche. + +Da bemerkte einer, daß von Nordosten her mit der Richtung des Windes ein +leerer Kahn auf sie zutrieb. + +Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und darum wollte der Steuerer im +vordersten Boote halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. Aber +die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen ihm zu, er möge das lassen; +der Kahn würde in einer halben Stunde von selber am Ufer der Nehrung +erscheinen und wäre dann leichter zu bergen als jetzt. + +So blieb er also auf seinem Wege, und die anderen folgten ihm nach. + +Da -- als sie gerade die Windlinie durchstrichen, die von dem leeren +Kahn auf sie zulief, vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines +kleinen Kindes klang. + +Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, es käme von dem +Bündelchen her, das die Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten +sofort, daß es damit eine andere Bewandtnis hatte. + +Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten und fuhr in kurzem Bogen +dem leeren Kahne entgegen. + +Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle zu ihrer Verwunderung +erkannten, lag auf dem Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und zu +ihren Füßen ein Neugeborenes. + +Die Weiber drängten die Männer zurück, damit deren Augen die Scham der +Geburt nicht entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen sacht in +den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten Dienste zu leisten. + +Dort aber, wo das Bündelchen unter dem Segelrand lag, sagte der alte +Mann leise zu seiner Frau: »Laß uns dem Herrn ein Dankgebet sprechen, +denn mir scheint, er hat uns vom Himmel Nahrung geschickt für das +Kleine.« + +Und die Großmutter sprach: »Frohlocke nicht zu früh. Das dort ist kein +Jungfernkind. Sie sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und wird uns +bald wieder verlassen.« + +Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde Wöchnerin in Pflege zu +nehmen, und die andern waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten. + +So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren war, sich in den +Wellen die ewige Ruhstatt zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett +wieder erwachte und statt des einen Kindes, dem sie das Leben gegeben +hatte, deren zwei in der Wiege neben sich vorfand. + +Und ob sie auch zum Verwundern und zum Fragen zu schwach war, so nahm +sie sie doch gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung für beide. + +Dann, als man zu wissen begehrte, woher sie sei und wie sie sich nenne, +da weinte sie nur und wollte nicht reden. + +Es mußte aber die Meldung an das Standesamt gehen, und da sie auch am +zweiten und dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, so wußten +die beiden sich kaum einen Rat mehr. + +Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden der Pfarrer Hoffheinz +Seelsorger war, der jüngere Bruder des Superintendenten, den die +Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich diesem ein lebensfroher und +gottgefälliger Mann, der die Litauer liebte, als wäre er einer von +ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, Ratschlag und Zuflucht +bot, soweit sein Arm sich erstreckte. + +Der sagte: »Sie scheint großes Leid erfahren zu haben. Darum laßt sie in +Ruhe bis an den neunten Tag. Die Behörden werd' ich solange auf mich +nehmen. Und ist sie erst wieder bei Kräften, dann will ich sie selber +befragen.« + +Das war das Richtige. Am neunten Tage trat er zu ihr an das Bett, schloß +die Stubentür ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei Stunden. + +Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche Mann die Augen voll +Wasser und sagte: »Hier hat Gott ein Wunder getan.« + +»An uns auch,« sagte die Alte, »denn ohne sie wäre das Kind der Anikke +schon unter der Erde.« + +Von nun an dauerte es keine zweite Nacht mehr, da erfuhr der Jozup +Wilkat, wo sein Weib geblieben war -- und mit ihr das Kind, das sie nach +seinem Glauben ihm schuldete. Und weil er sich schämte, sie in den Tod +getrieben zu haben, war er sehr froh und machte sich auf, sie +heimzuholen -- sie und das Kleine. + +Das aber war es gerade, wovor die Marinke zitterte bei Tag und bei Nacht +und das zu verhüten der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte. + +Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl gegeben, daß, wenn ein Mann +im Dorfe herumfragte, wo die Kiekutis wohnten, bei denen die Fremde sich +aufhielt, kein einziger es wissen dürfe -- nicht einmal der Schulze -- +und daß man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, ins Pfarrhaus weise; +da könne er's wahrscheinlich erfahren. + +So kam es, daß der Jozup, der wütend von einem zum andern lief und +alsbald erkannte, daß man ihn narre, schließlich einem Manne ins +Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht umspringen ließ wie mit +einem schutzlosen Weibe. + +Ja, das Weib -- das sei ihm egal, das könne seinetwegen gehen, +Filzschuhe wichsen, aber das Kind -- das Kind, das müsse er haben, tot +oder lebendig. + +Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein guter Freund vom alten Settegast +-- er hat ja später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet --, +das sagte er dem Jozup so nebenbei. Und daß, wenn auf diese Weise die +Kürbisgeschichte ruchbar würde, von einem Verschulden der Frau nicht +mehr die Rede sein könne, das sagte er auch. + +Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, ließ seine Ansprüche fahren +und setzte für die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld aus, +so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt. + +Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen zu haben, fuhr er zurück übers +Haff -- zurück zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr hat er einen +solchen Angriff gewagt. + +Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die ihr fast so zugetan waren +wie einst die Mutter Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen Kinde +das fremde rosig und blank. + +Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt kam, nach ihm zu +sehen, da fand er es nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte. + +So geschah es fast von selber, daß die beiden sich miteinander +versprachen. + +Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem Jurris, und das gefiel der +Marinke am meisten. + +Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille begangen. Und still und +friedlich leben die beiden noch heute. + + + Druck der + Union Deutsche Verlagsgesellschaft + in Stuttgart + + + Anzeigen des + Cotta'schen Verlages + + + Hermann Sudermann: + + Gebunden + Im Zwielicht + Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage M. 3.50 + Frau Sorge + Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.-- + Geschwister + Zwei Novellen. 35.-37. Auflage » 5.-- + Der Katzensteg + Roman. 106.-115. Auflage » 5.-- + Jolanthes Hochzeit + Erzählung. 31.-33. Auflage » 3.50 + Es war + Roman. 59.-63. Auflage » 6.50 + Das Hohe Lied + Roman. 61.-65. Auflage » 6.50 + Die indische Lilie + Sieben Novellen. 21.-25. Auflage » 4.50 + Litauische Geschichten + Vier Geschichten. 1.-25. Auflage » 5.-- + Die Ehre + Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage » 3.50 + Sodoms Ende + Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage » 3.50 + Heimat + Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage » 4.50 + Die Schmetterlingsschlacht + Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage » 3.50 + Das Glück im Winkel + Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage » 3.50 + Morituri + Drei Einakter: _Teja_. Drama -- _Fritzchen_. Drama -- » 3.50 + _Das Ewig-Männliche_. Spiel. 21. u. 22. Auflage + Johannes + Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage » 4.50 + Die drei Reiherfedern + Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl. » 4.50 + Johannisfeuer + Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage » 3.50 + Es lebe das Leben + Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage » 4.50 + Der Sturmgeselle Sokrates + Komödie in vier Akten. 15. Auflage » 3.50 + Stein unter Steinen + Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage » 3.50 + Das Blumenboot + Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. » 4.50 + Auflage + Rosen + Vier Einakter: _Die Lichtbänder._ Drama -- _Margot._ » 4.50 + Schauspiel -- _Der letzte Besuch._ Schauspiel -- + _Die ferne Prinzessin._ Lustspiel. 2.-10. Auflage + Strandkinder + Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50 + Der Bettler von Syrakus + Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. » 4.50 + Auflage + Der gute Ruf + Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50 + Die Lobgesänge des Claudian + Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage » 4.50 + Die entgötterte Welt + Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: _Die » 5.-- + Freundin._ Schauspiel in vier Akten. -- _Die + gutgeschnittene Ecke._ Tragikomödie in fünf Akten. + -- _Das höhere Leben._ Lustspiel in vier Akten. 7. + Auflage + + + Cotta'sche Gelbe Bibliothek + Romane und Novellen + + Gebunden + _Althof, Paul_ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke M. 4.50 + und andere Geschichten + --»-- Das verlorene Wort. Roman » 4.50 + _Andreas-Salomé, Lou_, Fenitschka -- Eine Ausschweifung. » 4.-- + Zwei Erzählungen + --»-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. » 4.-- + Aufl. + --»-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl. » 5.50 + _Anzengruber, Ludwig_, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Wolken und Sunn'schein. 6. Aufl. » 4.-- + _Arminius, W._, Der Weg zur Erkenntnis. Roman » 4.50 + --»-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl. » 5.50 + _Bertsch, Hugo_, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. » 4.50 + Aufl. + --»-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. » 4.-- + 12. Aufl. + _Birt, Th._, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen » 5.50 + _Böhlau, Helene_, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl. » 4.50 + _Boy-Ed, Ida_, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl. » 5.-- + --»-- Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.50 + --»-- Um Helena. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. » 5.50 + u. 19. Aufl. + --»-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. » 5.-- + Aufl. + --»-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl. » 3.50 + _Bülow, Frieda v._, Kara. Roman » 5.50 + _Burckhard, Max_, Simon Thums. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Dove, A._, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. » 10.-- + Aufl. + _Ebner-Eschenbach, Marie v._, Bozena. Erzählung. 12. Aufl. » 4.50 + --»-- Erzählungen. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Margarete. 8. Aufl. » 3.50 + _Ebner-Eschenbach, Moritz v._, _Hypnosis perennis_ -- Ein » 3.50 + Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten + _Eckstein, Ernst_, Nero. Roman. 9. Aufl. » 6.50 + _El-Correï_. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl. » 5.50 + _Enderling, Paul_, Der Hungerhaufen und andere Novellen » 3.50 + --»-- Zwischen Tat und Traum. Roman » 5.50 + _Engel, Eduard_, Paraskewúla und andere Novellen » 5.-- + _Fontane, Theodor_, Ellernklipp. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Grete Minde. 8. Aufl. » 4.-- + --»-- Quitt. Roman. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl. » 5.50 + --»-- Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl. » 5.-- + _Franzos, K. E._, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. » 3.50 + 2. Aufl. + --»-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl. » 4.50 + --»-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl. » 8.-- + --»-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl. » 4.-- + --»-- Neue Novellen. 2. Aufl. » 3.50 + --»-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. » 6.-- + Aufl. + --»-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl. » 3.50 + --»-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl. » 9.-- + --»-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. » 4.-- + Aufl. + _Frei, Leonore_, Das leuchtende Reich. Roman » 5.50 + _Frey, Adolf_, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer » 6.50 + Schweizerroman. 5. Aufl. + _Fulda, L._, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl. » 3.50 + _Gleichen-Rußwurm, A. v._, Vergeltung. Roman » 5.-- + _Grimm, Herman_, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. » 11.-- + Aufl. + _Harbou, Thea v._, Der unsterbliche Acker. Ein » 4.-- + Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl. + --»-- Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. » 4.-- + 2.-8. Aufl. + _Hartmann, Alfred Georg_, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein » 4.-- + Künstlerroman aus Holland + _Haushofer, Max_, Geschichten zwischen Diesseits und » 5.-- + Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl. + --»-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman » 5.-- + _Heer, J. C._, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. » 3.50 + Aufl. + --»-- Da träumen sie von Lieb' und Glück! Drei Schweizer » 5.-- + Novellen. 28.-30. Aufl. + --»-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl. » 5.-- + --»-- Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl. » 5.-- + --»-- Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.-- + --»-- Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl. » 5.-- + --»-- Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. » 4.-- + 21.-25. Aufl. + --»-- An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.-- + --»-- Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.-- + _Heilborn, Ernst_, Kleefeld. Roman » 3.50 + _Herzog, Rudolf_, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl. » 4.-- + --»-- Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. » 5.50 + Aufl. + --»-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl. » 4.50 + --»-- Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl. » 5.50 + --»-- Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl. » 6.50 + --»-- Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl. » 5.50 + --»-- Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.50 + --»-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. » 4.-- + Aufl. + --»-- Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl. » 5.50 + --»-- Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 4.-- + _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl. » 3.90 + --»-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem » 5.50 + Alltagsleben -- Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl. + --»-- Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen » 5.-- + --»-- Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 » 7.80 + Bände + --»-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl. » 7.80 + --»-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50 + --»-- Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. » 5.-- + 2. Aufl. + --»-- Neue Märchen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Martha's Briefe an Maria. 2. Aufl. » 2.50 + --»-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. » 5.50 + Aufl. + --»-- Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band » 6.30 + --»-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. » 4.-- + 2.-4. Aufl. + --»-- Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl. » 3.90 + --»-- Meraner Novellen. 12. Aufl. » 5.-- + --»-- Neue Novellen. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl. » 7.80 + --»-- Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl. » 5.-- + --»-- Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl. » 3.90 + --»-- Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 3.90 + --»-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. » 3.90 + 7. Aufl. + --»-- Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. » 6.-- + Aufl. + --»-- Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50 + --»-- Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Vroni und andere Novellen » 5.-- + --»-- Xaverl und andere Novellen » 5.-- + _Hillern, W. v._, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- 's Reis am Weg. 3. Aufl. » 3.-- + --»-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. » 6.50 + --»-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + _Hirschfeld, Georg_, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. » 5.50 + u. 5. Aufl. + _Höcker, Paul Oskar_, Väterchen. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Hofe, Ernst von_, Sehnsucht. Roman » 4.50 + _Hofer, Klara_, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich » 6.50 + Hebbels. 3. Aufl. + --»-- Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl. » 3.50 + _Hopfen, Hans_, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. » 4.-- + 6. Aufl. + _Huch, Ricarda_, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem » 5.50 + Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl. + _Junghans, Sophie_, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. » 5.50 + _Kaiser, Isabelle_, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. » 4.-- + _Knudsen, J._, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte » 5.50 + Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl. + _Krauel, Wilhelm_, Von der andern Art. Roman » 4.50 + --»-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht » 5.-- + _Kurz, Hermann_ (Der Schweizer), Sie tanzen » 5.50 + Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl. + _Kurz, Isolde_, Italienische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl. » 5.-- + _Langmann, Philipp_, Leben und Musik. Roman » 5.-- + _Lilienfein, Heinrich_, Von den Frauen und einer Frau. » 3.50 + Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl. + --»-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl. » 5.50 + --»-- Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 6.50 + --»-- Die große Stille. Roman. 4. Aufl. » 6.-- + _Lindau, Paul_, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 » 8.-- + Bände. 7. Aufl. + --»-- Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl. » 5.50 + --»-- Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl. » 5.50 + _Mahn, Paul_, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Mauthner, Fritz_, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. » 4.50 + Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von + »_Lügenohr_« + _Meyer-Förster, Wilh._, Eldena. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Meyerhof-Hildeck, Leonie_, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Töchter der Zeit. Münchner Roman » 4.50 + _Moreck, Curt_, Büßer des Gefühls. Novellen » 5.-- + _Moersberger, Felicitas Rose_, Pastor Verden. Ein » 5.-- + Heideroman. 2.-5. Aufl. + _Muellenbach, E._ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen » 4.50 + --»-- Aphrodite und andere Novellen » 4.50 + --»-- Vom heißen Stein. Roman » 4.50 + _Niessen-Deiters, Leonore_, Leute mit und ohne Frack. » 4.50 + Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von _Hans + Deiters_. 2. Aufl. + --»-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50 + --»-- Mitmenschen. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50 + _Pietsch, Otto_, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. » 6.50 + Aufl. + --»-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl. » 4.-- + _Prel, Karl du_, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl. » 6.50 + _Riehl, W. H._, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl. » 5.50 + --»-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl. » 5.50 + _Rittberg, Gräfin Charlotte_, Der Weg zur Höhe. Roman » 4.50 + _Rommel-Hohrath, Clara_, Im Banne Roms. Roman » 5.50 + _Rosner, Karl_, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus » 6.-- + der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl. + _Seidel, Heinrich_, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. » 5.50 + 14. Aufl. (71.-76. Tsd.) + --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. » 5.50 + Aufl. (4. u. 5. Tsd.) + --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. » 5.50 + Tsd.) + --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. » 5.50 + (3. Tsd.) + --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. » 5.50 + (3. Tsd.) + --»-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. » 5.50 + Gesamt-Ausg. + --»-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe » 5.50 + _Seidel, H. Wolfgang_, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. » 5.50 + Aufl. + _Skowronnek, R._, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl. » 4.50 + _Speidel, Felix_, Hindurch mit Freuden. Novellen » 4.50 + _Stegemann, Hermann_, Der Gebieter. Roman » 4.-- + --»-- Stille Wasser. Roman » 4.50 + _Steinhart, Armin_ (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine » 4.-- + Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl. + _Stratz, Rudolph_, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman » 5.50 + einer Studentin. 18.-20. Aufl. + --»-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl. » 4.-- + --»-- Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl. » 5.-- + --»-- Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.-- + --»-- Du bist die Ruh'. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.-- + --»-- Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl. » 5.-- + --»-- Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl. » 6.-- + --»-- Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl. » 5.50 + --»-- Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl. » 5.50 + --»-- Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl. » 5.50 + --»-- Ich harr' des Glücks. Novellen. 7. Aufl. » 5.-- + --»-- Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl. » 5.50 + --»-- Montblanc. Roman. 10. Aufl. » 4.50 + --»-- Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der » 6.-- + deutschen Armee. 46.-50. Aufl. + --»-- Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl. » 6.50 + --»-- Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd. » 3.50 + --»-- Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl. » 4.50 + --»-- Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.50 + _Sudermann, Hermann_, Es war. Roman. 59.-63. Aufl. » 6.50 + --»-- Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl. » 5.-- + --»-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl. » 3.50 + --»-- Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl. » 6.50 + --»-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl. » 4.50 + --»-- Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl. » 5.-- + --»-- Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.-- + --»-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. » 3.50 + Aufl. + _Telmann, Konrad_, Trinacria. Sizilische Geschichten » 5.50 + _Trojan, Johannes_, Das Wustrower Königsschießen und » 3.50 + andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl. + _Uxkull, Gräfin Lucy_, Rote Nelken. Ein sozialer Roman » 5.50 + _Vockeradt, Emma_, Wanderer im Dunkeln. Roman » 4.50 + _Vogt, Martha_, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen » 4.-- + _Vollert, Konrad_, Sonja. Roman » 6.-- + _Voß, Richard_, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 6.-- + --»-- Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl. » 5.-- + --»-- Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. » 6.-- + 3. Aufl. + --»-- Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.50 + --»-- Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. » 6.50 + Aufl. + _Watzdorf-Bachoff, E. v._, Maria und Yvonne. Geschichte » 5.-- + einer Freundschaft. 2. Aufl. + _Wilbrandt, Adolf_, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. » 6.-- + --»-- Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Fesseln. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Franz. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. » 5.50 + --»-- Irma. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. » 5.-- + --»-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl. » 5.50 + --»-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Villa Maria. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + _Wildenbruch, E. v._, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. » 5.50 + Aufl. + _Wohlbrück, Olga_, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl. » 6.50 + _Worms, C._, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. » 5.50 + --»-- Erdkinder. Roman. 4. Aufl. » 5.-- + --»-- Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. » 4.-- + u. 2. Aufl. + --»-- Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl. » 4.-- + + + Ferner werden empfohlen: + + Gebunden + _Auerbach, Berthold_, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl. M. 2.50 + --»-- Auf der Höhe. Roman. 2 Bände » 4.20 + --»-- Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände » 4.20 + --»-- Spinoza. Ein Denkerleben » 1.70 + --»-- Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte » 2.10 + _Baumbach, Rudolf_, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd. » 3.-- + --»-- Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd. » 3.80 + --»-- Aus der Jugendzeit. 10. Tsd. » 6.20 + --»-- Neue Märchen. 9. Tsd. » 4.-- + --»-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd. » 4.20 + _Boy-Ed, Ida_, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. » 3.-- + Aufl. + _Ebner-Eschenbach, Marie_ v., Die erste Beichte. » 2.-- + Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl. + _Grisebach. Ed._, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches » 4.-- + Novellenbuch + _Harbou, Thea v._, Der Krieg und die Frauen. Novellen. » 1.80 + Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden + In Geschenkband » 3.-- + _Herzog, Rudolf_, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl. » 2.50 + _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl. » 2.40 + --»-- In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. » 4.-- + Aufl. + --»-- Melusine und andere Novellen. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. » 10.-- + Aufl. + --»-- Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. » 6.50 + Aufl. + --»-- Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl. » 5.50 + _Hoffmann, Hans_, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl. » 3.50 + --»-- Ostseemärchen. 3. Aufl. » 4.-- + _Keller, Gottfried_, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. » 13.50 + 86.-90. Aufl. + --»-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl. » 9.-- + --»-- Züricher Novellen. 88.-92. Aufl. » 4.50 + --»-- Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl. » 4.50 + --»-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden. » 4.50 + 71.-75. Aufl. + --»-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. » 3.-- + --»-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. » 3.-- + Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl. + _Kügelgen, Wilhelm_ v., Jugenderinnerungen eines alten » 3.-- + Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl. + _Kurz, Isolde_, Unsere Carlotta. Erzählung » 3.-- + --»-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen » 3.-- + --»-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld. » 5.-- + Erzählungen + --»-- Phantasieen und Märchen » 3.-- + --»-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der » 6.50 + Florentinischen Renaissance. 7. Aufl. + _Müller, Hans_, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, » 6.-- + Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl. + _Olfers, Marie v._, Neue Novellen » 4.50 + --»-- Die Vernunftheirat und andere Novellen » 4.-- + _Riehl, W. H._, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. » 7.-- + _Seidel, Heinrich_, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser » 4.-- + und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je + --»-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je » 4.-- + --»-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse » 4.-- + herausgegeben von _H. W. Seidel_. 2. Tsd. + _Wilbrandt, Adolf_, Novellen » 4.50 + + + Anmerkungen zur Transkription + +Der Zensurstempel »A. g. XIII.« wurde von der Titelseite entfernt. + +Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: +futtern, Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a. + +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere +Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier +aufgeführt (vorher/nachher): + + [S. 157]: + ... sich des guten Gewissens erfreuen, den solch ein ... + ... sich des guten Gewissens erfreuen, das solch ein ... + + [S. 234]: + ... mit einen Male einen feierlichen Gesang. ... + ... mit einem Male einen feierlichen Gesang. ... + + [S. 373]: + ... Das kam dem Jurris hart an, aber was sollte ... + ... Das kam den Jurris hart an, aber was sollte ... + + [S. 376]: + ... Gespielen betrachtet. Das Reiten und Fahren ... + ... Gespielen betrachten. Das Reiten und Fahren ... + + [S. 377]: + ... Räder mahlten, und die Achseln schlackerten. ... + ... Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. ... + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + +***** This file should be named 63946-0.txt or 63946-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/3/9/4/63946/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms +of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this ebook. + +Title: Litauische Geschichten + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at + https://www.pgdp.net + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** +</pre> +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="halftitle"> +Litauische Geschichten +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<h1 class="title"> +Litauische Geschichten +</h1> + +<p class="aut"> +<span class="line1">Von</span><br /> +<span class="line2">Hermann Sudermann</span> +</p> + +<p class="run"> +2.-25. Auflage +</p> + +<div class="centerpic logo"> +<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> + +<p class="pub"> +<span class="line1">Stuttgart und Berlin 1917</span><br /> +<span class="line2">J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger</span> +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="cop"> +Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten +</p> + +<p class="copus"> +Für die Vereinigten Staaten von Amerika:<br /> +Für die nachstehenden Erzählungen „Die Reise nach Tilsit“ und „Miks Bumbullis“<br /> +Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="ded"> +<span class="line1">Seinem lieben und verehrten Freunde</span><br /> +<span class="line2">Ökonomierat Scheu</span><br /> +<span class="line3">auf Adl. Heydekrug</span><br /> +<span class="line4">zugeeignet</span> +</p> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="toc" id="part-1"> +<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> +Inhalt +</h2> + +</div> + +<div class="table"> +<table class="toc" summary="TOC"> +<tbody> + <tr> + <td class="col1"> </td> + <td class="col_page">Seite</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Die Reise nach Tilsit</td> + <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Miks Bumbullis</td> + <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Jons und Erdme</td> + <td class="col_page"><a href="#page-141">141</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Die Magd</td> + <td class="col_page"><a href="#page-349">349</a></td> + </tr> +</tbody> +</table> +</div> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-2"> +<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> +Die Reise nach Tilsit +</h2> + +</div> + +<p class="section1 first"> +<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> +Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am +Haff liegt Wilwischken. Und wenn man von +dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen +will, muß man so nah an den Häusern +vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn +aus mit ein paar Zwiebeln — es können auch +Gelbrüben sein — die Fenster einzuschmeißen. +</p> + +<p> +Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich +schade. Denn Wilwischken ist ein sauberes +Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner +betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei +einträgliche Acker- und Gartenwirtschaft, und die +Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt. +</p> + +<p> +Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, +die an der Mündung der Parwe gleichsam die +scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas +Balczus. +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher +Fischer, der bei jedem Raubfang sein +Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der +am Montagabend seine Barsche in Heydekrug +unterm Preis ausbietet und am Dienstagnachmittag +betrunken heimfährt; der Ansas Balczus +<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> +ist beinahe schon ein Herr, der mit den Deutschen +deutsch spricht wie ein Deutscher, der sich +sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der +sich bei seinen Prozessen so gut zu verteidigen +weiß, daß er die Anwaltskosten sparen kann. +</p> + +<p> +Er hat sich auch eine feine Frau genommen, +der Ansas Balczus. Sie stammt aus Minge +und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, +dem die großen Haffwiesen gehören. Daß er +die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte +keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und +sie ging so blaß und sanft an ihnen vorbei, als +ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre. +</p> + +<p> +Nun <em>hat</em> er sie aber und kann stolz auf sie +sein. Sie hat ihm drei hübsche Kinder geboren, +und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie mit +der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. +Ihre Butter wird ihr von den Händlern schon +weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt, +ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und +breit, und im Brautwinkel stehen seit vorigen +Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man erzählt +sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie +sieben Jahre alt sein wird, ein Klavier kaufen +will. +</p> + +<p> +Und dabei geht sie noch ebenso sanft und +blaß ihres Wegs, wie sie es als Mädchen getan +hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn +man sie anspricht. +</p> + +<p> +<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> +So ist die Indre Balczus. Und wenn <em>ich</em> der +Ansas wäre, ich würde meine Hände zum Himmel +heben, morgens und abends, daß <em>sie</em> meine +Frau ist und keine andere. +</p> + +<p> +Und so war es auch früher, aber seit die +Busze als Magd ins Haus gekommen ist, hat es +sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die +Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, +wenn von dem Hof des Balczus Schimpfen +und Weinen herüberschallt. +</p> + +<p> +Das Schimpfen kommt von dem Ansas. <em>Die</em> +Stimme kennt ein jeder. Aber weinen tut nicht +die Indre — <em>wenn</em> sie’s tut, so nur ganz leis +und in der Nacht —, es sind die drei Kinder, die +da weinen über all das Üble, das ihre Mutter +erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein +Lachen darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart +wie Glas und schadenfroh wie Hähergeschrei. +</p> + +<p> +Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. +Wenn sie nicht selbst eine Besitzerstochter wäre +und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes, +hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten +können. Warum muß die überhaupt dienen +gehen mit ihren blinkernden Achataugen und +dem Fleisch wie von Apfelblüten? Wer weiß, +wie vielen die schon die Köpfe verdreht hat! +Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn +sie irgendwo einen ganz verrückt gemacht hat, +dann lacht sie und geht in einen anderen Dienst. +</p> + +<p> +<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> +Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun +als das leibhaftige Gegenteil der stillen und +sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und +rumort vom Morgenstern an bis in die späte +Nacht, schafft für dreie und wird schon aufgebracht, +wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen. +</p> + +<p> +Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer +gewesen ist, kennt sie überhaupt keinen Spaß +mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie +die Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und +er ist schwach und tut, was sie will. +</p> + +<p> +Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, +wo die Frau arm eingezogen ist oder aber kränklichen +Leibes und darum die Dinge gehen läßt, +wie sie gehen. Aber der Indre gegenüber, dem +reichen Jaksztat seiner schönen Tochter, die bloß +zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so +einem Biest auflegen zu können, da versteht man +die Welt nicht mehr. +</p> + +<p> +Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen +ist und sie geschlagen hat, kommt die Nachbarin, +die Ane Doczys, zu ihr und sagt: „Indre, wir +können das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. +Wir haben beschlossen, ich schreib’s deinem Vater.“ +</p> + +<p> +Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, +und sagt: „Tut’s nicht, sonst nimmt er mich mit, +und was wird dann aus den Kindern?“ +</p> + +<p> +„Wir tun’s doch,“ sagt die Doczene, „denn +solch ein Frevel darf nicht sein auf der Welt.“ +</p> + +<p> +<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> +Und die Indre bittet auch noch für ihren +Mann und sagt: „Spricht es sich immer weiter +herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. +Heiraten darf er sie nicht wegen des Ehebruchs. +Auf den müßt’ ich klagen, denn nur so kann ich +die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt +betrinkt er sich immer häufiger. Was dann erst +wird, das überlegt sich ein jeder.“ +</p> + +<p> +„Aber soll denn das immer so fortgehen?“ +fragt die Doczene. +</p> + +<p> +„Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, +wenn sie genug gehabt hat,“ sagt die +Indre, „und mit ihm wird sie’s nicht anders +machen.“ +</p> + +<p> +Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, +wie Nachbarinnen sind, denen es morgen ebenso +gehen kann, warnt sie wieder und wieder. +</p> + +<p> +„Wir haben uns auch erkundigt,“ sagt sie, +„das sind dann immer Saufbengels gewesen +und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann +läßt die nicht los.“ +</p> + +<p> +Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, +was für einen vortrefflichen Mann sie gehabt +hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie weint +und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie +wendet nur ein wenig das eingefallene Gesicht +und sagt: „Wie Gott will.“ +</p> + +<p> +Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will. +</p> + +<p> +Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem +<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> +Mann, der auf der Ofenbank liegt und schläft: +„Doczys,“ sagt sie, „hier sind die Wasserstiefel. +Setz die Segel ins Mittelboot, wir fahren nach +Minge.“ +</p> + +<p> +„Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?“ +fragt er ungehalten; denn wer schläft, will +Ruhe haben. +</p> + +<p> +Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, +daß es ihr morgen ebenso gehen kann, fackelt nicht +viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch noch +die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe +Stunde später fahren die beiden nach Minge. +</p> + +<p> +Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat +in Wilwischken an. Er ist nicht zu Kahn gekommen, +das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, +sondern hat den Umweg über Land nicht gescheut, +um seinem Schwiegersohn mit dem Verdeckwagen +und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die +Nase zu reiben, welcherart das Haus ist, aus +dem seine Frau herstammt. +</p> + +<p> +Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch +alle. Der o-beinige, kleine Mann mit dem +lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen +war ja bekannt genug. Als er +starb, ist er schließlich gar nicht so reich gewesen. +Aber das tut nichts zur Sache. +</p> + +<p> +Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht +als erste das Fuhrwerk vorfahren und tritt aus +dem Hause. +</p> + +<p> +<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> +Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, +und funkelt ihn an. +</p> + +<p> +Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die +Peitsche aus der Hand und reißt ihr eins über. +Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm +herunter flammt die Strieme. +</p> + +<p> +Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, +zieht ihn vom Wagen und fängt ihn mit den +Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt +vom Bock, der Ansas Balczus kommt aus dem +Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen +gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson +zu entreißen. Weiß Gott, sie hätte ihn sonst +vielleicht umgebracht. +</p> + +<p> +So schlimm dies Vorkommnis an und für +sich sein mag, in der nun folgenden Unterredung +gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit +vom Wege abgekommen ist der Ansas Balczus +doch noch nicht durch seine Kebserei, daß er nicht +wüßte, welche Schande ein solcher Empfang +dem Hause weit und breit bereiten muß. +</p> + +<p> +Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem +hinter die Ohren gestrichenen gelben Flachshaar +und dem braunen Sommersprossengesicht vor +dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen +lassen soll. +</p> + +<p> +Der schnauft immerzu vor Zorn und weil +ihm noch vom Herumrangen die Luft fehlt. +</p> + +<p> +„Wo ist deine Frau?“ +</p> + +<p> +<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> +Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine +Frau ist? Die läuft in ihrer Ratlosigkeit oft genug +aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf +und Schlägen sicher ist. +</p> + +<p> +„Ich bin der reiche Jaksztat!“ schimpft der +Alte. „Mir soll so was passieren!“ +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, +so gut es geht. Aber was kann er viel sagen? +</p> + +<p> +„Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort +aus dem Hause!“ +</p> + +<p> +„Na, na,“ brummt der Ansas. Wäre das +nicht eben geschehen, so hätte er wahrscheinlich +die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei +<em>seine</em> Wirtschaft, hier hab’ er allein was zu +sagen, aber jetzt brummt er bloß: „Na, na.“ +</p> + +<p> +Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, +und nun legt er los. Es gibt nicht viel Schimpfwörter +im Litauischen, die der Ansas für sich und +sein Frauenzimmer <em>nicht</em> zu hören gekriegt +hat in dieser Stunde. +</p> + +<p> +Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt +auf der Ofenbank und weint. +</p> + +<p> +Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden +Ältesten aus der Schule geholt und geht über +den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, +schlank und rank, geradeso wie die katholische +heilige Jungfrau. +</p> + +<p> +Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt +sie zusammen, setzt das Kindchen auf die Erde +<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> +und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am +raschesten verstecken. +</p> + +<p> +Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür +hinaus — und sie packen — und sie hereinziehen +— hast du nicht gesehen! +</p> + +<p> +„Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,“ fährt +er den Schwiegersohn an, „und küssest den Saum +ihres Gewandes!“ +</p> + +<p> +So ohne Willen, wie der auch ist, das will +er doch nicht. Aber der Alte hilft kräftig nach, +und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem +Schluchzer: „Ich weiß, ich bin ein Sünder vor +dem Herrn.“ +</p> + +<p> +„Steh auf, Ansas,“ sagt sie in ihrer milden +Weise und legt die Hand auf seinen Kopf. +„Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt +du es mir nachher nicht, und es bleibt alles beim +alten.“ +</p> + +<p> +Ach, wie gut hat sie ihn gekannt! +</p> + +<p> +Aber vorläufig geht er auf alles ein und +verspricht dem Alten, daß die Busze mit seinem +Willen den Hof nicht mehr betreten soll und +daß sie jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll. +</p> + +<p> +Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht +zu verlangen. Aber er besteht darauf. Er hätte +es lieber nicht sollen. +</p> + +<p> +„Die Busze! Wo ist die Busze?“ +</p> + +<p> +Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht +mit einem Taschentuch verbunden wie eine mit +<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> +Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat +sie eine nasse Schürze gewickelt. Zum Kühlen. +</p> + +<p> +Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei +ganz freundlich an. +</p> + +<p> +„Na also, was ist?“ sagt sie. „Ich hab’ zu +tun.“ +</p> + +<p> +„Du hast hier nichts mehr zu tun,“ sagt der +Alte, „und das wird dir dein Brotherr gleich +klarmachen.“ +</p> + +<p> +„Da bin ich doch neugierig,“ trumpft sie als +eine, die ihrer Sache sicher ist. +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen +und wo aufhören. Aber weil sie mit ihrem verbundenen +Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, +wird es ihm leichter. Er stottert was von +„Hausfrieden“ und „man muß Opfer bringen“ +und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus. +</p> + +<p> +Sie lacht laut auf und lacht und lacht. „Haben +sie dich richtig kleingekriegt, du Dreckfresser?“ +sagt sie. „Ums übrige wirst du ja bald wissen, +wo du mich finden kannst.“ +</p> + +<p> +Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür +hinter sich zu. — — — +</p> + +<p> +Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. +Und anfangs scheint es auch so. Der Ansas tut +freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen +auf den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt +er ihr aus dem Hofmannschen Laden sogar ein +Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen +<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> +Blick, und wenn er kann, geht er ihr aus dem +Wege. +</p> + +<p> +Die Indre schreibt nach Hause: „Es ist alles +wieder gut.“ Aber auf das Papier sind ihre +Tränen gefallen. +</p> + +<p> +Denn die Busze ist immer noch da. Sie +hat sich bei den Pilkuhns eingemietet, die hinten +am Abzugsgraben wohnen, und was das für +Gesindel ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. +Sie tut so, als arbeitet sie in den Wiesen, aber +man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man +sie irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, +den beiden Kindern, wenn sie aus der Schule +kommen, Gerstenzucker zu schenken. +</p> + +<p> +Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel +wird? Kein Mensch weiß. Er geht an der Parwe +entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, +daß sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet. +Und die Leute, die vor den Türen sitzen, reden +leise hinter ihm drein: „Jetzt trifft er sich mit +der Busze.“ +</p> + +<p> +Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich +wirklich mit der Busze. +</p> + +<p> +Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser +hinfindet, sitzen sie bis in die Nacht hinein und +schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was +sie auch übersinnen, — die Frau, die Indre, +steht immer dazwischen. +</p> + +<p> +„Laß dich scheiden!“ +</p> + +<p> +<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> +Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die +Kinder! Der Endrik, der Älteste, soll einmal +das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm +selbst aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst +gar Klavier spielen. Solche Kinder stößt +man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar +nicht zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, +der reiche Jaksztat, die zweite Hypothek +hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er +kündigt? +</p> + +<p> +Aber die Indre muß fort! Die Indre muß +aus dem Wege! Die Indre mit ihrem Buttergesicht. +Die Indre, die ihm nachspioniert. Die +Indre, die allabendlich von Tür zu Tür läuft, +um ihn schlecht zu machen vor den Leuten. Die +Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches +gibt, was sie nicht erzählt von ihm. Sogar daß er +einen Bruchschaden hat, hat sie erzählt. Woher +sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht +ist sie bei all ihrer Scheinheiligkeit. +</p> + +<p> +Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene +Sache. Es fragt sich bloß, wie. +</p> + +<p> +Er natürlich will nichts davon hören, aber +es muß ja doch sein. +</p> + +<p> +Manche Frauen sterben im Kindbett — man +braucht kaum einmal nachzuhelfen, aber das kann +lange dauern und bleibt eine unsichere Sache. +</p> + +<p> +Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei +mal zwei vier ist. Und wer’s dann getan hat, +<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> +weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? +Aber die Indre geht nicht aufs Wasser. Das +ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal auf dem +Wasser gewesen. +</p> + +<p> +Sie wird schon gehen — man muß ihr nur +zureden. +</p> + +<p> +Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig ’reinspringen? +Ja, selbst <em>wenn</em> sie’s täte, wer +würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, +sitzt man auch schon in Untersuchung. +</p> + +<p> +Gift oder Ertrinken — es ist ein und dasselbe. +</p> + +<p> +Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die +Busze weiß Rat. +</p> + +<p> +Ob er schwimmen kann. +</p> + +<p> +Er kann schon schwimmen. Aber in den +schweren Stiefeln nutzt das nichts. Da wird +man auf den Grund gezogen wie die „Kulschen“ +— die kleinen Steine im Staknetz. +</p> + +<p> +Dann muß man barfuß ’raus. Jetzt im +Sommer fährt jeder barfuß ’raus. +</p> + +<p> +Er, der Ansas, hat das nie getan, und das +wissen die Leute. +</p> + +<p> +Ob die Indre schwimmen kann. +</p> + +<p> +Wie die bleiernen Entchen — so kann die +Indre schwimmen. +</p> + +<p> +„Also, es wird gehen,“ meint nachdenklich die +Busze. +</p> + +<p> +„<em>Was</em> wird gehen?“ +</p> + +<p> +Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen +<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> +Sommer, an der Windenburger Ecke, wobei die +zwei Fischer ums Leben gekommen sind? +</p> + +<p> +Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der +eine der Toten ist ja sein Vetter gewesen. +</p> + +<p> +Ob er auch weiß, wie es geschehen ist. +</p> + +<p> +Genau weiß es niemand, aber man nimmt +an, daß sie betrunken gewesen sind und die gefährliche +Stelle verschlafen haben, die Stelle +hinter dem Leuchtturm, wo der Wind plötzlich +einsetzt und wo man scharf aufpassen muß, will +man nicht kentern wie ein zu hoch geladener +Heukahn. +</p> + +<p> +Ob man das Kentern nicht auch künstlich +machen kann! +</p> + +<p> +Ja, wenn man durchaus ersaufen will. +</p> + +<p> +Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten +kann! +</p> + +<p> +Bis an Land schwimmt keiner. +</p> + +<p> +Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen +kann mit Binsen oder Schweinsblasen, +die einen stundenlang über Wasser halten! +</p> + +<p> +Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich +und würde bemerkt werden. +</p> + +<p> +Dann müßte man sie nach dem Gebrauch +aus der Welt schaffen. +</p> + +<p> +„Ja, aber wie?“ +</p> + +<p> +Die Busze wird nachdenken. +</p> + +<p> +So reden und beraten sie Stunden und Stunden +lang, Nacht für Nacht. Die Busze fragt, +<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> +und er antwortet. Und aus dem Fragen und +dem Antworten backen sie bei langsamem Feuer +den Kuchen gar, an dem die Indre sich den Tod +essen muß. +</p> + +<p> +Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie +sie am besten zu dem Ausflug zu bringen ist. +Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, +ehe der Schlag geführt werden kann. Wo aber +die Gründe hernehmen, um die häufigen Fahrten +zu rechtfertigen? — Und wie selten auch weht +der Süd oder der Südwest, bei dem allein das +Unternehmen gelingen kann, und noch dazu in +der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas +Besonderes gefunden werden, ein Grund wie kein +anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig +macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt. +</p> + +<p> +Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer +wieder ans Herz, heißt es freundlich zu der Indre +sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird +und auch die Nachbarn glauben können, es sei +nun alles wieder in Ordnung. +</p> + +<p> +Und er ist freundlich zu der Indre — so +freundlich, wie’s einer versteht, der sich nie im +Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz +klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, +er bessert den Stöpsel im Rauchfang, er +küßt sie beim „Guten Tag“ und „Gute Nacht“, +und er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt +sie nicht an. +</p> + +<p> +<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> +Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn +er um Mitternacht heimkommt, um den Dunst +der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor +an sich herumträgt. +</p> + +<p> +Und schließlich — die Busze hat es so verlangt +— bringt er auch das schwerste Opfer und +geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht. +Von nun an verkehren sie nur durch +den Briefträger. Die Aufschriften sind von +einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er +weisgemacht hat, er könne nicht schreiben, auf +Vorrat gefertigt, und drinnen stehen Zeichen, +die nur sie beide verstehen. +</p> + +<p> +So muß auch die Indre glauben, der heimliche +Verkehr habe aufgehört. Aber täuschen läßt sie +sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe +sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn +er sich vor ihr wunder wie niedlich macht, denkt +sie bei sich: „Wie seh’ ich ihn doch durch und +durch!“ +</p> + +<p> +Eines Tages kommt er besonders liebselig +auf sie zu und sagt: „Mein Täubchen, mein +Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich +möchte dir gern etwas Gutes bereiten, such es +dir aus.“ +</p> + +<p> +Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er +Hinterhältiges im Sinne führt. Und sie sagt: +„Ich brauche nichts Gutes. Ich hab’ ja die +Kinder.“ +</p> + +<p> +<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> +„Nein, nein,“ sagt er, „es muß sein. Schon +wegen der Nachbarn. Auch deinem Vater will +ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. +Weißt du nichts, so denke nach, und auch ich werde +mir den Kopf zerbrechen.“ +</p> + +<p> +Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber +sie weiß noch immer nichts. +</p> + +<p> +Da sagt er: „Nun, dann weiß ich es. Du +hast noch nie die Eisenbahn gesehen. Laß uns +nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn +siehst.“ +</p> + +<p> +Sie sagt darauf: „Die Leute erzählen sich, +daß die Eisenbahn nächstens bis nach Memel geführt +werden soll, und Heydekrug wird dann +eine Station werden. Wenn es so weit ist, kann +ich ja einmal zum Wochenmarkt mitfahren.“ +</p> + +<p> +Aber er gibt sich nicht zufrieden. +</p> + +<p> +„Tilsit ist eine schöne Stadt,“ sagt er, „wenn +du nicht hinfahren willst, so weiß ich, daß du +einen bösen Willen hast und an Versöhnung +nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne +habe, als dir zu Gefallen zu leben.“ +</p> + +<p> +Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte +mit der Magd wirklich aufgegeben hat, und sie +beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden. +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Ach Ansas, ich weiß ja, daß du +es nicht aufrichtig meinst, aber ich werde dir +wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind +wir ja alle in Gottes Hand.“ +</p> + +<p> +<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> +Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot +werden kann wie irgend ein junges Ding. Und +weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und +schämt sich draußen. Aber ihm ist zumut, als +<em>muß</em> er es tun und ein Zurück gebe es nicht. +Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel +vorwärts schuppst, so ist ihm zumut. Und darum +fängt er an demselben Tage noch einmal an. +</p> + +<p> +„In Tilsit ist ein Kirchturm,“ sagt er, „der +ruht auf acht Kugeln, und darum hat ihn der +Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen +wollen. Er ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine +so merkwürdige Sache muß man doch sehen.“ +</p> + +<p> +Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber +nichts. +</p> + +<p> +„Außerdem,“ fährt er fort, „gibt es ja ein +Lied, das geht so: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p> + <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst,</p> + <p class="verse">Die Sonne wär’ nichts wie ein finsteres Loch,</p> + <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne +Stadt Tilsit ist.“ +</p> + +<p> +Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch +einmal an, und er wird wieder rot und redet +rasch von anderen Dingen. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: +„Nun, wann werden wir fahren?“ Als ob +es längst eine abgemachte Sache wäre. +</p> + +<p> +<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> +Sie denkt: „Will er mich los sein, so kann +er es auf tausend Arten. Es ist das Beste, ich +füge mich.“ +</p> + +<p> +Und zu ihm sagt sie: „Wann du wirst wollen.“ +</p> + +<p> +„Nun, dann je eher, je besser,“ sagt er. +</p> + +<p> +Es wird also der nächste Morgen bestimmt. +</p> + +<p> +Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, +läuft er am Nachmittag von Wirtschaft zu Wirtschaft +und sagt: „Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß +ich mich schlecht aufgeführt habe. Aber von +nun an soll alles anders werden. Zum Zeichen +dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt +nach Tilsit machen. Damit will ich sozusagen +die Versöhnung festlich begehen.“ +</p> + +<p> +Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch +noch. Genau, wie die Busze es vorhergesagt +hat. +</p> + +<p> +Was aber tut die Indre inzwischen? +</p> + +<p> +Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, +schreibt auf ein Papier, was sie am Alltag und +am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke +Leinwand, die sie selber gewebt hat, künftig einmal +zu verschneiden sind. Auch ihre Kleider verteilt +sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, +und die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt +sie noch ihr Leichenhemde bereit und was ihr +sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann +ist sie fertig. +</p> + +<p> +Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. +<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> +Sie denkt: „Ihr Armen werdet schlechte Tage +haben, wenn die Busze erst da ist.“ +</p> + +<p> +Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz +nachdem der Ansas dagewesen ist, und sagt: „Dem +Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, +daß ich von dieser Reise nicht wiederkommen +werde.“ +</p> + +<p> +Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: „Warum +sollst du nicht wiederkommen? Nach Tilsit ist +bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch ein +Versöhnungsfest sein.“ +</p> + +<p> +Die Indre lächelt bloß und sagt: „Wir werden +ja sehn. Darum versprich mir, daß du auf die +Kinder achtgeben wirst und dem Großvater +schreibst, wenn es ihnen nicht gut geht.“ +</p> + +<p> +Die Ane weint und verspricht alles, und die +Indre geht heim. Sie bringt die Kinder zu Bett +und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ... +</p> + +<p> +In der Frühe, lang’ vor der Sonne, fahren +sie ab. +</p> + +<p> +Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider +an, und auch sie hat sich geschmückt, denn es soll +ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die rote, +grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, +in dem sie vor neun Jahren mit ihm zur Versprechung +nach der Kirche gefahren ist, und +ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen. +</p> + +<p> +Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen +<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> +und in dem vorderen Abschlag verstaut. +</p> + +<p> +Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten +Wichsstiefel in der Hand. Im letzten Augenblick +bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand +gepackt, das wirft er neben sich vor das +Steuer und sieht sie verstohlen dabei an, als ob +er eine Frage erwartet. +</p> + +<p> +Aber sie fragt nichts. +</p> + +<p> +Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß +ihm die Hände zittern. Er will sich nichts merken +lassen und sagt: „Es ist ein hübsches kleines Windchen, +wir können zu Mittag in Tilsit sein.“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Mir ist es gleich.“ +</p> + +<p> +Und er meint: „Ob es hin auch noch so rasch +geht, zurück muß man kreuzen.“ +</p> + +<p> +Dann wirft er das Schwert aus und setzt +auch den Raginnis, das kleine Vorsegel. Er sitzt +nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so +daß sie ihn kaum sehen kann. +</p> + +<p> +Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings +in dem Wasser glucksen die Fischchen. +</p> + +<p> +Über das weite Haff hin ist es nach Westen +wie eine blaugraue Decke gebreitet, nur drüben +die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein. +</p> + +<p> +Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, +dort, wo die Landzunge sich spitz in das +Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine +und wirft dann mit raschem Griff das +<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> +Steuer um, denn von nun an geht es mit vollem +Wind geradeswegs nach Osten. +</p> + +<p> +So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor +dieser Stelle hat sie schon immer Angst gehabt, +denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen +ist, dann war es nur hier. +</p> + +<p> +Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das +liebe Minge, das in der Ferne ganz deutlich zu +sehen ist, und denkt bei sich: „Ach Vater, wenn +du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die +Indre fährt.“ +</p> + +<p> +Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche +Stelle macht ihr das Herz eng. +</p> + +<p> +Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung +zu, die mit ihren Grasbändern rechts und +links schon lang’ auf sie zu warten scheint. +</p> + +<p> +Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, +breit wie die Memel selber, von der er ein Arm +ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf +dem Wasser ein Reibeisen. +</p> + +<p> +„Zwei Mundvoll mehr wären gut,“ sagt der +Ansas halb abgewandt zu ihr herüber, „denn +wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn +merkt ihn doch.“ +</p> + +<p> +Sie denkt bloß: „Ich möchte nach Minge.“ +Aber Minge liegt längst weit im Rücken. Denn +drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen +Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die +Leute sagen, daß, wer darauf wohnen will, sich +<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> +Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er +nicht vor und nicht zurück. +</p> + +<p> +„Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,“ denkt +sie, „und muß stillhalten, wie er es bestimmt.“ +</p> + +<p> +Nun macht der Strom den großen Ellbogen +nach Süden hin, und die Segel schlagen zur +Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper +sehen kann. Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag +vorn an der Spitze, und er hinten am +Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen. +</p> + +<p> +Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. +Er rückt nach rechts, er rückt nach links, +aber es hilft ihm nichts. +</p> + +<p> +„Du armer Mann,“ denkt sie, „ich möchte +nicht an deiner Stelle sein.“ Und sie lächelt ihn +traurig an, so leid tut er ihr. +</p> + +<p> +Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der +große Herrenort, in dem so viel getrunken wird +wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner +Wasserpunsch fürchten sich ja selbst die Herren +von der Regierung. +</p> + +<p> +Zuerst mit den vielen Flößen davor der +Anckersche Holzplatz und eine Sägemühle und +dann noch eine und noch eine. +</p> + +<p> +Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern +stromab aus Rußland kommen, sitzen in ihren +langen, grauen Hemden auf der Floßkante und +baden sich die Füße. Hinter ihnen rauchen die +Kessel zum Frühstücksbrot. +</p> + +<p> +<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> +„Er wird mir wohl Gift ’reintun,“ denkt sie. +Aber noch hat sie das mitgebrachte Essen in +ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu +sich nehmen. +</p> + +<p> +Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen +Sägemühle. Auch hier liegen Holztriften fest, +und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik +machen müssen, fangen schon an, die Kehlen zu +stimmen. +</p> + +<p> +Eins von den Liedern kennt sie: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse"><span class="antiqua">Lytus lynòju, rasà rasòju,</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">O mùdu abùdu lovò gulèju.</span></p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Sie denkt: „Wenn alles so wäre wie einst, +dann würden wir jetzt mitsingen.“ +</p> + +<p> +Die Dzimken winken ihnen auch einladend +mit den Händen, aber keines von ihnen beiden +grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen +während der Fahrt noch zugewinkt, aber niemals +haben sie Antwort gegeben. +</p> + +<p> +Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine +traurige Gegend. Links das Medszokel-Moor, +wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das +Bredszuller Moor, das auch nicht viel wert ist. +Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln und Höhen +der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem +die wilden Elche hausen. +</p> + +<p> +Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, +vor sieben Jahren. Sie trug damals die Elske im +sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon +<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> +wenig mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu +ihr: „Wir wollen nach Ibenhorst fahren, vielleicht +daß wir die Elche sehen.“ Aber er nahm nicht +wie heute die Waltelle — das Mittelboot —, denn +damit kommt man in den kleinen Seitenflüssen +nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem +fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch +das Gewirr der fließenden Gräben, durch Rohr +und Binsen, stunden- und stundenlang. Und +sie hatte den Kopf auf seinem Schoß liegen und +sagte ein Mal über das andere: „Ach, was brauchen +wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz wunderschön.“ +Und schließlich sahen sie doch einen. +Es war ein mächtiger Bulle mit einem Geweih +rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz +nahe im Röhricht und kaute und sah sie an. +Ansas sagte: „Sehr wild scheint der nicht zu sein, +ich fahr’ einfach auf ihn los.“ Aber die Elske +in ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte +einen heftigen Sprung. Und als sie ihm das +sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren +sollte. +</p> + +<p> +An jenen Frühlingstag also muß sie denken, +und dabei kommt mitten aus ihrer Ergebung +der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten +Hände vor die Stirn legt und dreimal +weinend sagt: „O Gott, o Gott, o Gott!“ +</p> + +<p> +Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht +und über die Großmastbank zu ihr herübersteigt. +</p> + +<p> +<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> +„Worüber klagst du eigentlich?“ hört sie ihn +sagen. +</p> + +<p> +Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: +„Ach Ansas, Ansas, weißt du nicht besser als ich, +warum ich klage?“ +</p> + +<p> +Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht +stumm zum Hinterende zurück. +</p> + +<p> +Auf einer der entgegenfahrenden Triften +spielt ein Dzimke die Harmonika. +</p> + +<p> +Sie denkt: „Nun wird die Elske wohl nie +mehr Klavier spielen lernen ... und der Willus +wird auch niemals ein Pfarrer werden.“ Denn +das hat sie sich in ihrem Sinne vorgenommen, +weil es ein gottgefälliges Werk ist. +</p> + +<p> +Sie denkt weiter: „Ich werde es mir noch +vorher von ihm versprechen lassen.“ Aber wie +kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen +wird, so daß sie noch Zeit behält zum Bitten? +Jeden Augenblick kann es kommen, denn oft +ist alles menschenleer — auch an den Ufern weit +und breit. +</p> + +<p> +„Was mag er nur in der Sackleinwand +haben?“ denkt sie weiter. „Da drin muß es +sein, womit er das Schreckliche ausüben will. +Aber was kann es sein?“ Das Paket ist rund +und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer +so stark. Als er es vor der Abfahrt auf +den Boden warf, ist kein Schall zu hören gewesen. +Es muß also leicht sein von Gewicht. +</p> + +<p> +<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> +„Das Beste ist,“ denkt sie, „ich lasse es kommen, +wie es kommt, und nutze die Zeit, um Frieden +zu machen mit dem Herrn.“ +</p> + +<p> +Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. +Sie weiß kaum einmal, um was sie beten soll. +Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. +Da braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein +Floß kommt. Und so betet sie für die Kinder. +Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne. +</p> + +<p> +Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht +sagen. Aber die Sonne steht schon ganz hoch, +da hört sie von drüben seine Stimme: „Bring +mir zu essen, ich hab’ Hunger!“ +</p> + +<p> +Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. +„Jetzt wird es geschehen,“ denkt sie. Aber wie +sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst hinüberträgt +und Brot und Butter dazu, da zittert +sie nicht, denn jetzt denkt sie wieder: „Nein, so +kann es <em>nicht</em> geschehen, er wird sich eine andere +Art und Weise suchen.“ +</p> + +<p> +Und dann, wie er fragt: „Ißt du denn nichts?“, +kommt ihr plötzlich der Gedanke: „Es wird <em>gar</em> +nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn +malt es mir aus.“ +</p> + +<p> +Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er +dasitzt, in sich zusammengekrochen und die Blicke +irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser gerichtet, +bloß nicht auf sie, dann weiß sie: „Es wird +<em>doch</em> geschehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> +Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: +„Was hast du da in der Sackleinwand?“ +</p> + +<p> +Er zieht finster den Mund in die Höhe und +antwortet: „Meine Wasserstiefel.“ Aber sie weiß, +daß das nicht wahr sein kann, denn deren Absätze +sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen +geklappert. +</p> + +<p> +Dann packt sie die Speisen zusammen und +geht nach dem Vorderende zurück. +</p> + +<p> +Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr +Kopftuch tief in die Augen ziehen. +</p> + +<p> +Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, +auch der schwarze Rand des Ibenhorstes +ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt +sich die fruchtbare Niederung, wo der Morgen +tausend Mark kostet und die Bauern Rotwein +auf dem Tische haben. +</p> + +<p> +Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen +liegt, der große, reiche Marktort, in +dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus +und ein gehen dürfen. „Wenn der Willus +Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus und +ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja +nie Pfarrer sein. Wird etwa die Busze ihn auf +die hohe Schule gehen lassen?“ +</p> + +<p> +Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann +kommt die Stelle, an der die Gilge sich abzweigt. +Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin +im Grünen verschwinden, fragt aber nichts. +</p> + +<p> +<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> +Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache +wieder und sagt: „Du, Indre, von nun an heißt +es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die +Memel.“ +</p> + +<p> +Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann +wird es wieder still. So lange still, bis Ansas +plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach +vorne zeigt. +</p> + +<p> +Sie wendet sich um und fragt: „Was ist?“ +</p> + +<p> +„Was wird sein?“ sagt er. „Tilsit wird sein.“ +</p> + +<p> +Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß +nach ihm. Er lacht übers ganze Gesicht, weil sie +nun bald da sind. +</p> + +<p> +„Es wird <em>nicht</em> geschehen,“ denkt sie. „<em>Der</em> +Mensch kann sich nicht freuen, der so Schreckliches +mit sich herumträgt.“ +</p> + +<p> +Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so +gar keine Neugier zeigt. +</p> + +<p> +„Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,“ +sagt er, „und hinten steht auch Napoleons +Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.“ +</p> + +<p> +Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. +Und so kommen sie immer näher. +</p> + +<p> +Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, +und die Eisengerüste hoch oben, die in der +Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen — +so was hat sie wirklich noch nie gesehen. +</p> + +<p> +„Alles war Unsinn,“ denkt sie. „Es wird +<em>nicht</em> geschehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> +Und dann kommen Holzplätze, so groß wie +der Anckersche in Ruß, und Schornstein nach +Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit +Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in +Memel. Denn Memel kennt sie. Dorthin ist +sie früher manchmal zum Markt mitgefahren +und um die See zu sehen. +</p> + +<p> +Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer +vorgestellt. Die acht Kugeln sind wirklich +da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es +gar nicht anders sein könnte. +</p> + +<p> +Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem +steinernen Ufer zu. Dort, wo er festmacht, liegen +schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren +Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus +Tawe und Inse, die ihren Fang am Morgen verkauft +haben. +</p> + +<p> +„Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,“ +sagt einer neidisch, „und verderbt uns die +Preise?“ +</p> + +<p> +Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, +antwortet ihm gar nicht. Für solche Gespräche +ist er zu stolz. +</p> + +<p> +Indre breitet das weiße Reisetuch über den +vorderen Abschlag und setzt die Speisen darauf. +Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat +sie auch Soleier und selbstgeräucherten Lachs +mit eingepackt. Und da sie seit halb vier in +der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie +<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> +jetzt, daß ihr schon längst vor Hunger ganz +schwach ist. +</p> + +<p> +Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes +einander nahe gegenüber und essen das Mitgenommene +als Mittagbrot. Geld, um in ein +vornehmes Gasthaus zu gehen und sich auftafeln +zu lassen vom Besten, hat Ansas wohl übergenug. +Aber das ist nicht Fischergewohnheit. +</p> + +<p> +Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, +aber das Herz liegt ihr von all dem Fürchten +noch wie ein Stein in der Brust. +</p> + +<p> +Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen +kann, denn die Erwartung, ihr alles zu zeigen, +läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: +„Nun kann es losgehen.“ Aber vorher kehrt er +noch nach hinten zurück, das Hängeschloß zu holen, +damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet. +</p> + +<p> +Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter +den runden Sack, der vor dem Steuersitz liegt. +Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und +sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei +erschrickt und zu ihr herüberglupt, ob sie’s auch +nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer Brust +wird schwerer. +</p> + +<p> +Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und +er ihr alles erklärt, denkt sie wieder: „Es kann +nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis +haben.“ +</p> + +<p> +<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> +Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, +die breit ist wie ein Strom und an ihren Rändern +lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern +kann man sich kaufen, was man will, und alles +ist viel schöner und prächtiger als in Memel. +</p> + +<p> +Der Ansas sagt: „Hier aber ist das Schönste,“ +und weist auf ein Schild, das die Aufschrift trägt: +„Konditorei von Dekomin“. +</p> + +<p> +Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt +macht, so beschließen sie auch sogleich hineinzugehen +und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen. +</p> + +<p> +Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die +Indre da! In einer langen, schmalen Stube, +in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit +von der Wand ein Tisch, der von einem Ende +bis zum andern reicht und der ganz bedeckt ist +mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten +aller Art. +</p> + +<p> +„Da wollen wir nun schwelgen,“ sagt der +Ansas und reckt sich. +</p> + +<p> +Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr +die Stücke einzeln auf den Teller legen. Auch +einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist +süß wie der Himmel und klebt an den Fingern, +so daß man immerzu nachlecken muß. +</p> + +<p> +„Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?“ +fragt sie. +</p> + +<p> +„Nun, das versteht sich,“ sagt er und lacht. +</p> + +<p> +<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> +Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, +daß sie die Kinder vielleicht niemals mehr sehen +wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an — +und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. +Der Mund steht ihm offen, ganz hohl sind die +Backen, und die Augen schielen an ihr vorbei. +</p> + +<p> +„Es wird <em>doch</em> geschehen,“ denkt sie und +legt den Teelöffel hin, ißt auch nicht einen Bissen +mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller +verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie +mit den Fingerspitzen auf und denkt dabei — — +ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch +er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet +kein Wort. +</p> + +<p> +Also wird es <em>doch</em> geschehen! +</p> + +<p> +Dann, wie er aufsteht, sagt er: „Nun laß dir +einpacken.“ Aber sie kann nicht. „Bring <em>du</em> es +ihnen,“ sagt sie, und er tritt an den Tisch und +sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, +denn seine Augen gehen immer nach ihr zurück, +als will er was sagen und traut sich nicht. +</p> + +<p> +Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, +die von der Nachmittagssonne geheizt +ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck und +fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies +ist das und jenes ist das. Aber sie hört kaum +mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer +Angst. Die kommt und geht, wie die Haffwellen +ans Ufer schlagen. +</p> + +<p> +<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> +Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, +in dessen Schaufenster auch Kindersachen ausliegen. +„Wir wollen ’reingehen,“ sagt sie. „Du +kannst den Kindern ein Andenken mitbringen.“ +</p> + +<p> +„Andenken? An wen?“ fragt er und stottert +dabei. +</p> + +<p> +„An mich,“ sagt sie und sieht ihn fest an. +</p> + +<p> +Da wird er wieder rot, wendet die Augen +ab und fragt nichts weiter. +</p> + +<p> +Es wird also ganz sicher geschehen. +</p> + +<p> +Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze +mit roten Rändern, damit er sich nicht +schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für +die Elske eine blaue Kappe gegen die Sonne +und für den kleinen Willus — was kann es viel +sein? — ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn +zu binden. „Vielleicht werden doch noch einmal +Pfarrerbäffchen daraus,“ denkt sie und verbeißt +ihre Tränen. +</p> + +<p> +Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, +sagt zu Ansas gewandt: „Vielleicht haben Sie +auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.“ +</p> + +<p> +Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man +die Indre eine „Frau Gemahlin“ nennt, was von +einer litauischen Fischersfrau wohl nicht häufig +gesagt wird. +</p> + +<p> +Und der junge Mann fährt fort: „Vielleicht +darf ich auf unsere echten Schleiertücher aufmerksam +machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung +<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> +erlauben darf, das, welches die Frau +Gemahlin augenblicklich trägt, ist etwas — durchgeschwitzt.“ +</p> + +<p> +Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, +denn noch hat sie nicht den Mut gehabt, sich irgendwo +zu besehen. Und der junge Mann breitet +eilig seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus +Spinnweben gemacht und haben Muster wie +die schönsten Mullgardinen. +</p> + +<p> +Ansas wählt das teuerste von allen — er getraut +sich gar nicht, ihr zu sagen, <em>wie</em> teuer es +ist —, und der junge Mann führt sie vor eine +Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie +sie das Tuch am Halse geknotet hat, so daß +es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, +da weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu +lassen. +</p> + +<p> +„Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!“ ruft +er ein Mal über das andere. „Nie hat dieser +Spiegel etwas Schöneres gesehen!“ +</p> + +<p> +Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der +Ansas sich freut. +</p> + +<p> +Im Rausgehen wendet er sich noch einmal +um und fragt den jungen Mann, ob er wohl +weiß, wie die Züge gehen. +</p> + +<p> +„Zur Ankunft oder zur Abfahrt?“ fragt der +junge Mann. +</p> + +<p> +Und Ansas meint, das wäre ganz gleich. +</p> + +<p> +Da lächelt der junge Mann und sagt, bald +<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> +nach viere komme einer an, und gegen sechse +fahre einer ab. Man habe also die Auswahl. +</p> + +<p> +Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen +sind: „Wir wollen lieber die Abfahrt nehmen, +denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.“ +</p> + +<p> +Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann +man da machen? +</p> + +<p> +Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: +„Wenn es <em>doch</em> geschehen soll, warum hat er +dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?“ +</p> + +<p> +Und in ihr Herz kommt wieder einmal die +Hoffnung zurück. +</p> + +<p> +Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, +auf der ein Zettel klebt: +</p> + +<p class="center"> +<em>Jakobsruh</em><br /> +heute vier Uhr<br /> +<em>Großes Militärkonzert</em><br /> +ausgeführt von der Kapelle<br /> +des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht. +</p> + +<p class="noindent"> +Und darunter steht alles gedruckt, was sie +spielen werden. +</p> + +<p> +Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht +geworden; kaum zu fühlen ist er. Aber sie hat +Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das +augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, +auch Litauer zugegen sein dürfen — und dazu +noch in ihrer Landestracht. +</p> + +<p> +<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> +Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld +bezahlt, ist eingeladen, gleichgültig ob er +„<span class="antiqua">wokiszkai</span>“ spricht oder „<span class="antiqua">lietuwiszkai</span>“. +</p> + +<p> +Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, +daß es ja ein <em>litauisches</em> Dragonerregiment +ist, welches die Musiker hergibt, macht +ihre Schamhaftigkeit etwas geringer. +</p> + +<p> +So fahren sie also in einer Droschke nach +Jakobsruh, jenem Lustort, der bekanntlich so +schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so +hoch und schattengebend wie diese hat Indre noch +nie gesehen, auch nicht in Heydekrug und nicht +in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden +gibt und dünne Erlen, könnte man sich von einer +solchen Blätterkirche erst recht keinen Begriff +machen. +</p> + +<p> +Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden +Orte noch bange genug, denn ringsum sitzen an +rotgedeckten Tischen lauter städtische Herrenleute, +und als Ansas vorangeht, einen Platz zu +suchen, recken alle die Hälse und sehen hinter +ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken. +</p> + +<p> +Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. +Er findet auch gleich einen leeren Tisch, wischt +mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen +und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm +und ihr Kaffee und Kuchen zu bringen. Genau +so, wie es die anderen machen. +</p> + +<p> +So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man +<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> +fühlt sich gut geborgen bei ihm, und alle die Angst +war ein Unsinn. +</p> + +<p> +Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut +mit dünnen Eisenständern und einem +runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit hellblauen +Soldaten. O Gott, so vielen und blanken +Soldaten! Während es doch sonst nur drei oder +vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik +machen. +</p> + +<p> +Zuerst kommt ein Stück, das heißt „Der +Rosenwalzer“. So steht auf einem Blatt zu +lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. +Wie das gespielt wird, ist es, als flöge man gleich +in den Himmel. Dicht vor den Musikern haben +sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib +gefaßt und drehen sich im Tanze. Da möchte +man gleich mittanzen. +</p> + +<p> +Und hat sich doch vor einer Stunde noch in +Todesnöten gewunden! +</p> + +<p> +Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und +auch die Indre klatscht. +</p> + +<p> +Rings wird es still, und die Kaffeetassen +klappern. +</p> + +<p> +Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie +ihn etwas fragen will — so gut ist sie schon wieder +mit ihm —, da macht er ihr ein heimliches +Zeichen nach links hin: sie soll horchen. +</p> + +<p> +Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame +von ihr. +</p> + +<p> +<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> +„Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel +hübscher als wir deutschen Frauen,“ sagt die +Dame. +</p> + +<p> +Und der Herr sagt: „In ihrer blassen Lieblichkeit +sieht sie aus wie eine Madonna von — —“ +</p> + +<p> +Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. +Auch was das ist: „Madonna“, weiß sie +nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas +gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich. +</p> + +<p> +Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit +dem er gleichsam zu ihr in die Höhe schaut, +und nun weiß sie, was sie schon im Laden +geahnt hat: er ist stolz auf sie, und sie braucht +nie mehr Angst zu haben. +</p> + +<p> +Dann hört die Pause auf, und es kommt ein +neues Stück. Das heißt „Zar und Zimmermann“. +Der Zar ist der russische Kaiser. Daß +man von <em>dem</em> Musik macht, läßt sich begreifen. +Warum aber ein Zimmermann zu solchen Ehren +kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen +trägt und immerzu Balken abmißt, bleibt ein +Rätsel. +</p> + +<p> +Dann kommt ein drittes Stück, das wenig +hübsch ist und bloß den Kopf müde macht. Das +hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht. +</p> + +<p> +Aber dann kommt etwas! Daß es so was +Schönes auf Erden gibt, hat man selbst im Traum +nicht für möglich gehalten. Es heißt: „Die Post +im Walde“. Ein Trompeter ist vorher weggegangen +<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> +und spielt die Melodie ganz leise und +sehnsüchtig von weit, weit her, während die +andern ihn ebenso leise begleiten. Man bleibt +gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und weil +die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen +dürfen, wie sie sich hat, springt sie rasch auf und +eilt durch den Haufen, der die Kapelle umgibt, +und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es +einsam ist und wo hinter den Bäumen versteckt +noch leere Bänke stehen. +</p> + +<p> +Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch +aus den Augen, damit es nicht naß wird, +und weint, und weint sich all die — ach, all die +ausgestandene Angst von der Seele. +</p> + +<p> +Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt +ihre Hand. Sie weiß natürlich, daß es der Ansas +ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie lehnt +den Kopf an seine Schulter und sagt immer +schluchzend: „Mein Ansuttis, mein Ansaschen, +bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.“ +</p> + +<p> +Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun +wird, aber sie kann nicht anders — sie muß immerzu +bitten. +</p> + +<p> +Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand +fest und sagt ein Mal über das andere: „Was +redest du da nur? Was redest du da nur?“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Noch ist es nicht gut. Ehe du es +nicht gestehst, ist es noch nicht ganz gut.“ +</p> + +<p> +Er sagt: „Ich habe nichts zu gestehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> +Und sie streichelt seinen Arm und sagt: „Du +wirst es schon noch gestehen. Ich weiß, daß du +es gestehen wirst.“ +</p> + +<p> +Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu +gestehen hat, und sie gibt sich zufrieden. Nur +wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die +Busze sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu +kalt über den Rücken. +</p> + +<p> +Mit ineinandergelegten Händen gehen sie +zu ihrem Tische zurück und kümmern sich nicht +mehr um die Leute, die nicht satt werden können, +ihnen nachzusehen. +</p> + +<p> +Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden +sind und statt ihrer Biergläser stehen, +bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen +Herrn — aber kein Bier bestellt er, sondern +eine Flasche süßen Muskatwein, wie ihn die +Litauer lieben. +</p> + +<p> +Und beide trinken und sehen sich an, bis +Indre sich ein Herz faßt und ihn fragt: „Mein +Ansaschen, was heißt das — eine Madonna?“ +</p> + +<p> +„So nennt man die katholische heilige Jungfrau,“ +sagt er. +</p> + +<p> +Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: +„Wenn’s weiter nichts ist.“ Denn die Neidischen, +die sie ärgern wollten, haben sie schon als +Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine +fromme Lutheranerin gewesen. +</p> + +<p> +Und sie trinken immer noch mehr, und Indre +<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> +fühlt, daß sie rote Backen bekommt, und weiß +sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen. +</p> + +<p> +Da plötzlich fällt dem Ansas ein: „O Gott — +die Eisenbahn! Und die Uhr ist gleich sechse!“ +</p> + +<p> +Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt +mit zwei harten Talern. Dann fragt er noch +nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber +wie sie nun eilends dorthin laufen wollen, ergibt +es sich, daß sie nicht mehr ganz gerade stehen +können. +</p> + +<p> +Die Leute lachen hinter ihnen her, und die +Dame am Nebentisch sagt bedauernd: „Daß +diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.“ +</p> + +<p> +Hätte sie gewußt, <em>was</em> hier gefeiert wird, +so hätte sie’s wohl nicht gesagt. +</p> + +<p> +Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah +an den Schienen entlang. Sie laufen und lachen +und laufen. +</p> + +<p> +Da mit einmal macht es irgendwo: „Puff, +puff, puff.“ +</p> + +<p> +O Gott — was für ein Ungeheuer kommt +dort an! Und geradeswegs auf sie zu. +</p> + +<p> +Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen +und fragt: „Ist sie das?“ +</p> + +<p> +Ja, das ist sie. +</p> + +<p> +Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! +Der Pukys mit dem feurigen Schweif und der +andere Drache, der Atwars, sind gar nichts dagegen. +Sie schreit und hält sich die Augen zu +<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> +und weiß nicht, ob sie weiterlachen oder noch +einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie +beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und +nimmt die Schürze vom Gesicht und macht: +„Puff, Puff.“ Genau so kindisch, wie die Elske +machen würde, wenn sie den Drachen sähe, mit +dem die Leute spazieren fahren. +</p> + +<p> +„Wohin fahren sie?“ fragt sie dann, als die +letzten Wagen vorbei sind. +</p> + +<p> +Und Ansas belehrt sie: „Zuerst nach Insterburg +und dann nach Königsberg und dann immer +weiter bis nach Berlin.“ +</p> + +<p> +„Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?“ +bittet sie. +</p> + +<p> +„Wenn alles geordnet ist,“ sagt er, „dann +wollen wir nach Berlin fahren und den Kaiser +sehen.“ Dabei wird er mit einmal steinernst, als +ob er ein Gelübde tut. +</p> + +<p> +O Gott, wie ist das Leben schön! +</p> + +<p> +Und das Leben wird immer noch schöner. +</p> + +<p> +Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt +an dem „Anger“ vorbeikommen, jenem großen, +häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- +und Pferdemärkte abgehalten werden, da hören +sie aus dem Gebüsch, das den einrahmenden Spazierweg +umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel +und sehen den Glanz von Purpur und von Flittern +durch die Zweige schimmern. +</p> + +<p> +Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, +<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> +der an einem Karussell vorbeigeht, ohne begierig +stehen zu bleiben. +</p> + +<p> +Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, +und morgen früh will Ansas beim Kuhfuttern +sein, aber was kann der kleine Umweg viel +schaden, da man ja so wie so an vierzehn Stunden +kreuzen muß. +</p> + +<p> +Und wie sie das runde, sammetbehangene +Tempelchen vor sich sehen, dessen Prunksessel +und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, +da weist Ansas mit einmal fast erschrocken nach +dem Leinwanddache, auf dessen Spitze ein goldener +Wimpel weht. +</p> + +<p> +Sie weiß nicht, was sie da kucken soll. +</p> + +<p> +Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen +rings auf den Dächern. Es stimmt! Der +Wind ist nach Süden umgeschlagen — und das +Kreuzen unnötig geworden. In sieben Stunden +kann der Kahn zu Hause sein. +</p> + +<p> +Also ’rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt +sich wohl ein bißchen — eine Mutter von drei +Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt +sie ja keiner. Also, fix, fix ’rauf auf die Pferde, +sonst geht’s am Ende noch los ohne sie beide. +</p> + +<p> +Und sie reiten und fahren und reiten wieder, +und dann fahren sie noch einmal und noch einmal, +weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig +sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe +geworden, und der Himmel jagt rückwärts +<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> +als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie +fahren noch immer und singen dazu: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p> + <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst!</p> + <p class="verse">Die Sonne wär’ nichts wie ein finsteres Loch,</p> + <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal +Freifahrt gehabt haben, singen dankbar mit, +obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können. +</p> + +<p> +Aber schließlich wird der Indre übel. Sie +<em>muß</em> ein Ende machen, ob sie will oder nicht. +Und nun stehen sie beide lachend und betäubt +unter den johlenden Kindern und streuen in die +ausgestreckten Hände die Krümel der Konditorkuchen, +die sie aus Versehen längst plattgesessen +haben. +</p> + +<p> +Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man +sich liebt und Karussell dazu fährt! +</p> + +<p> +Dann nehmen sie Abschied von den Kindern +und den Kindermädchen, von denen etliche sie +noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg +zu zeigen, sagen sie, aber in Wahrheit wollen +sie bei Gelegenheit noch ein Stück Kuchen erraffen. +Und sie hätten auch richtig was gekriegt, +wenn sie bis zur Dekominschen Konditorei ausgehalten +hätten. Aber die liegt ja, wie wir wissen, +am andern Ende der Stadt. +</p> + +<p> +Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein +schönes Paketchen zurechtmachen, aber diesmal +<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> +sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt derweilen +noch zwei Gläschen von dem klebrigen +Rosenlikör und nimmt zur Sicherheit für vorkommende +Fälle gleich die ganze Flasche mit. +</p> + +<p> +Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die +Sonne längst untergegangen. Aber das macht +nichts, denn der Südwind hält fest, und der +Mond steht schon bereit, um ihnen zu leuchten. +</p> + +<p> +Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt +ein Kinderspiel. +</p> + +<p> +Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, +damit die Bodenbretter hübsch trocken sind, wenn +die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie will +nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn +auf die Paragge, damit sie dem Ansas zusehen +und sich im stillen an ihm freuen kann. +</p> + +<p> +Und dann geht es los. +</p> + +<p> +Die Ufer werden dunkler, und eine große +Stille breitet sich aus. Sie muß immerzu daran +denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz +sie drückte, als sie vor acht Stunden desselben +Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt Atem holen +kann. +</p> + +<p> +Sie möchte am liebsten ein Dankgebet +sprechen, aber sie will es nicht allein tun, denn +er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er +es auch. +</p> + +<p> +Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und +Steuer, denn die Brückenpfeiler sind da und +<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> +viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker +liegen. +</p> + +<p> +Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist +alles. +</p> + +<p> +Alsdann breitet sich der Strom, und der +Mond fängt zu scheinen an. Die Wellchen sind +ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und +setzen sich und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen. +</p> + +<p> +Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber +nicht, denn der Mond steht hinter ihr. Darum +sagt er auch plötzlich: „Warum sitzt du so weit +von mir weg?“ +</p> + +<p> +„Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen +hab’,“ sagt sie. +</p> + +<p> +„Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden +wie Tag und Nacht,“ sagt er. +</p> + +<p> +Und sie denkt: „Bloß daß jetzt Tag ist und +damals Nacht war.“ +</p> + +<p> +„Darum komm herüber und setz dich neben +mich,“ sagt er. +</p> + +<p> +Ach, wie gerne sie das tut! +</p> + +<p> +Aber als sie ihm näher kommt, da fällt +ihr Blick auf die Sackleinwand, die zwischen +seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt +hat. +</p> + +<p> +Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. +Sie sinkt auf die Mittelbank nieder und lehnt +ihren Rücken gegen den Mast. +</p> + +<p> +<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> +„Warum kommst du nicht?“ fragt er fast +unwirsch. +</p> + +<p> +Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll +sie ihn fragen, soll sie’s mit Stillschweigen übergehen? +Aber das weiß sie: dorthin, wo prall +und rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er +sie belügt, dorthin kann sie die Füße nicht setzen. +Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen +zu treten. +</p> + +<p> +Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit +zu schaffen über das, was gewesen ist. Jetzt +gleich im Augenblick. Denn später kommt sie +vielleicht nie. +</p> + +<p> +Sie faßt sich also ein Herz. +</p> + +<p> +„Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, +was du in der Sackleinwand hast?“ +</p> + +<p> +Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem +Schlangennest in den Fuß gebissen, aber er +schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann +sehen, wie er zittert. +</p> + +<p> +Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine +Schulter, aber sie hütet sich wohl, der Sackleinwand +zu nahe zu kommen. +</p> + +<p> +„Mein Ansaschen,“ sagt sie, „es ist ja jetzt +wieder ganz gut zwischen uns, aber ehe du nicht +alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse +nicht weg.“ +</p> + +<p> +Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn +schüttelt. +</p> + +<p> +<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> +„Und dann, mein Ansaschen,“ sagt sie weiter, +„geht es auch wegen des lieben Gottes nicht +anders. Ich hab’ vorhin beten wollen, aber die +Worte blieben mir im Halse. Denn du standest +mir nicht bei. Darum sag es schon, und dann +beten wir beide zusammen.“ +</p> + +<p> +Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt +die Arme um ihre Kniee und gesteht alles. +</p> + +<p> +„Mein armes Ansaschen,“ sagt sie, als er zu +Ende ist, und streichelt seinen Kopf. „Da müssen +wir aber <em>tüchtig</em> beten, damit der liebe Gott +uns verzeiht.“ +</p> + +<p> +Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee +nieder, faltet ihre Hände mit den seinen zusammen, +und so beten sie lange. Nur manchmal +muß er nach dem Steuer sehen, und dann wartet +sie, bis er fertig ist. +</p> + +<p> +Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, +und dann stehen sie wieder auf und sind guter +Dinge. +</p> + +<p> +Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen +zu sagen. +</p> + +<p> +Sie zeigt darauf hin und will es wissen. +</p> + +<p> +Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu +sehr. +</p> + +<p> +Da sagt sie: „Ich werde selber öffnen.“ +Und er wehrt ihr nicht. +</p> + +<p> +Und wie sie den Sack aufreißt, was findet +sie da? Zwei Bündel grüne Binsen findet sie, +<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> +mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter +nichts. +</p> + +<p> +Sie lacht und sagt: „Ist das die ganze Zauberei?“ +</p> + +<p> +Aber er schämt sich noch immer. +</p> + +<p> +Da errät sie langsam, daß er damit nach dem +Umschlagen des Kahnes hat davonschwimmen +wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im +tiefen Wasser paddeln. +</p> + +<p> +„Solch ein Lunterus bin ich geworden!“ sagt +er und schlägt sich mit den Fäusten vor die Brust. +</p> + +<p> +Aber sie lächelt und sagt: „Pfui doch, Ansaschen, +der Mensch soll sich nicht <em>zu</em> hart schimpfen, +sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.“ +</p> + +<p> +Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern +richtet auch seine Seele wieder auf. — — — +</p> + +<p> +Wie sie sich neben ihn setzt — denn er will +sie nun ganz nahe haben —, da merkt sie, daß +sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert, +darum breitet sie zu seinen Füßen das +weiße Reisetuch aus, das sie im vorderen Abschlag +verwahrt hat, und legt sich darauf — doch so, daß +ihr Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und +nun ist es genau so wie damals in Ibenhorst, +als die Elske noch unterwegs war. +</p> + +<p> +Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück +nicht, was sie zueinander reden sollen. +</p> + +<p> +Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras +— man kann den Thymian unterscheiden +<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> +und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran +und das Timotheegras — und was sonst noch +starken Duft an sich hat ... Der Stromdamm +zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. +Nur wo zufällig der Rasen den Abhang hinuntergeglitten +ist, da leuchtet er wie ein Schneeberg. +Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß +man immer ein wenig aufpassen muß. +</p> + +<p> +Außer den plumpsenden Fischchen, die nach +den Mücken jagen, ist nicht viel zu hören. Nur +die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt +ein Gehölz oder ein Garten, dann ist auch die +Nachtigall da und singt ihr: „Jurgut — jurgut — +jurgut — wažok, wažok, wažok“ ... Und der +Wachtelmann betet sein Liebesgebet: „Garbink +Diewa“. Sogar ein Kiebitz läßt sich noch ab und +zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte. +</p> + +<p> +Und dann kommt mit einemmal Musik. Das +sind die Dzimken, die ihre Triften während der +Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber +Gott weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern +sie und singen, und bei Nacht singen sie auch. +</p> + +<p> +Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie +ringsum. Einer spielt die Harmonika, und sie +singen. +</p> + +<p> +Da hört man auch schon das hübsche Liedchen +„Meine Tochter Symonene,“ das jeder kennt, +in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, +die Symonene! Die zu einem Knaben kam und +<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> +wußte nicht wie! Das kann wohl mancher so +gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman +geworden, wenigstens hat die Symonene +es so geträumt. +</p> + +<p> +„Der Willus muß ein Pfarrer werden,“ +bittet die Indre schmeichelnd zu Ansas empor. +</p> + +<p> +„Der Willus wird ein Pfarrer werden,“ sagt +er ganz feierlich, und die Indre freut sich. Denn +was in solcher Stunde versprochen wird, das erfüllt +sich gleichsam von selber. +</p> + +<p> +So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald +kommt ein nächstes. Darauf spielt einer gar die +Geige. Und die andern singen: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Unterm Ahorn rinnt die Quelle,</p> + <p class="verse">Wo die Gottessöhne tanzen</p> + <p class="verse">Nächtlich in der Mondenhelle</p> + <p class="verse">Mit den Gottestöchtern.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken +erkennen die Frauenstimme und rufen ihnen +ein „<span class="antiqua">Labs wakars!</span>“ zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß +will Ansas ihnen was Freundliches +antun und läßt sich die Mühe nicht verdrießen, das +Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen. +</p> + +<p> +Nun kommen sie alle heran — es sind ihrer +fünfe —, und der Jude, dem die Trift gehört, +kommt auch. +</p> + +<p> +Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör +ein, und sie erklären, so was Schönes noch +nie im Leben getrunken zu haben. +</p> + +<p> +<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> +Und dann singen sie alle zusammen noch +einmal das Lied von den Gottestöchtern, von +dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei +Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen. +</p> + +<p> +Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, +und die Indre auch. Und der Jude wünscht +ihnen „noch hundert Johr“! +</p> + +<p> +Wären’s bloß hundert Stunden gewesen, +der Ansas hätt’ sie brauchen können. +</p> + +<p> +Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal +hervorgeholt ist, wäre es unklug gewesen, +sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und +zu einen Tropfen und werden immer glücklicher. +</p> + +<p> +Noch an mancher Trift kommen sie vorbei +und singen mit, was sie nur singen können, aber +halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör +ihnen zu schade. +</p> + +<p> +Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, +aber sie wehren sich tapfer. Denn sonst — weiß +Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben! +</p> + +<p> +Nur eins darf der Ansas sich gönnen — nämlich +von dem Abschlag hernieder auf die Bodenbretter +zu gleiten. So kann er die Indre in +seinem linken Arm halten und mit dem rechten +das Steuer versehen. +</p> + +<p> +Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner +Brust und denkt selig: „Der Endrik — und die +Elske — und der Willus — und nun sind wir +alle fünfe wieder eins.“ +</p> + +<p> +<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> +Mit einmal — sie wissen nicht wie — ist Ruß +da. Sie erkennen es an dem Brionischker Schornstein, +der wie ein warnender Finger zu ihnen +sagt: „Paßt auf!“ +</p> + +<p> +Die Dzimken, die dort mit ihren Triften +liegen, sind nun richtig schlafen gegangen. Auch +ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die +tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? +Von Ruß gibt es ein hübsches Liedchen: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Zwei Fischer waren,</p> + <p class="verse">Zwei schöne Knaben,</p> + <p class="verse">Aus Ruß gen Westen</p> + <p class="verse">Zum Haff gefahren.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Das singen sie aus voller Kehle, und um +hernach die Kehle anzufeuchten, wollen sie noch +einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, +aber siehe da, — die Flasche ist leer. +</p> + +<p> +Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird +immer zärtlicher. +</p> + +<p> +„Ach, liebes Ansaschen,“ bittet die Indre, +„gleich kommt der große Ellbogen, und dann geht +es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig sein.“ +</p> + +<p> +Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist +auch schon der blanke Szieszefluß, da wo die +Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine +mehr an und steuert nach links. Es geht zwar +schwer, aber es geht doch noch immer. +</p> + +<p> +Bis nach Windenburg hin, die anderthalb +Meilen, läuft der Strom nun so schnurgerade, +<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> +wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man +hinter der Mündung der Mole ein wenig auszuweichen +braucht. +</p> + +<p> +Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche +Stelle ist, dort, wo gerade bei Südwind der +Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff +seitlich stark einsetzt, dort muß man die Sinne +doppelt beisammen halten — aber bis dahin +ist noch lange, lange — — ach, wie lange Zeit! +</p> + +<p> +„Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich +vergeben hast, dann mußt du’s mir auch +beweisen.“ +</p> + +<p> +„Ansaschen, du mußt aufpassen.“ +</p> + +<p> +„Ach was, aufpassen!“ Wenn man so lange +blind und verhext neben der Besten, der Schönsten, +neben einer Gottestochter dahergegangen ist +und die Augen sind wieder aufgetan, was heißt +da aufpassen? +</p> + +<p> +„<em>Meine</em> Indre!“ +</p> + +<p> +„<em>Mein</em> Ansaschen!“ — — — +</p> + +<p> +Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder +nebeneinander, und der Kahn fährt dahin, als +säße die Laime selber am Steuer. +</p> + +<p> +„Ansaschen — aber nicht einschlafen!“ +</p> + +<p> +„Ach, wo werd’ ich einschlafen.“ — — +</p> + +<p> +„Ansaschen — wer einschläft, den muß der +andere wecken.“ +</p> + +<p> +„Jawohl — den — muß — der andere +wecken.“ — — — +</p> + +<p> +<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> +„Ansaschen, du schläfst!“ +</p> + +<p> +„Wer so was — sagen kann, — der schläft — +selber.“ +</p> + +<p> +„Ansaschen, wach auf!“ +</p> + +<p> +„Ich wach’. Wachst du?“ +</p> + +<p> +Und so schlafen sie ein. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. +Sie weckt also ihren Mann und sagt: „Doczys, +steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.“ +</p> + +<p> +„Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?“ +fragt der Doczys, sich den Schlaf aus den Augen +reibend. „Fischen tu’ ich erst morgen.“ +</p> + +<p> +„Die Indre hat solche Reden geführt,“ sagt +die Doczene, „es ist besser, wir fahren ihnen +entgegen.“ +</p> + +<p> +Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und +setzt die Segel. +</p> + +<p> +Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es +schon Tag, und der Frühnebel liegt so dicht, +daß sie keine Handbreit vorauf sehen können. +</p> + +<p> +„Wohin soll ich fahren?“ fragt der Doczys. +</p> + +<p> +„Nach Windenburg zu,“ bestimmt die Doczene. +</p> + +<p> +Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen +entgegen, und sie müssen kreuzen. +</p> + +<p> +Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf. +</p> + +<p> +Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel +gedrungen — eine Frauenstimme. +</p> + +<p> +<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> +„Gerade drauf zu!“ schreit die Doczene. +Aber er muß ja kreuzen. +</p> + +<p> +Und sie kommen schließlich doch näher — ganz +nahe kommen sie. +</p> + +<p> +Da finden sie die Indre auf dem Wasser +liegen, wie die Wellen sie auf und nieder schaukeln. +</p> + +<p> +Wie hat es zugehen können, daß sie <em>nicht</em> +ertrunken ist? +</p> + +<p> +Rechts und links von ihrer Brust ragen halb +aus dem Wasser zwei Bündel von grünen Binsen, +die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken +zusammengebunden. +</p> + +<p> +Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit +immerzu: „Rettet den Ansas! Rettet den +Ansas!“ +</p> + +<p> +Ja — wo ist der Ansas? +</p> + +<p> +Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder +hochgekommen ist, da hat sie seine Hände gefühlt, +wie er wassertretend die Binsen an ihr befestigte. +Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm. +</p> + +<p> +Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie +finden ihn nicht. Nur den umgeschlagenen Kahn +finden sie. An dem hätte er sich wohl halten +können, aber er ist ihm sicher davongeschwommen, +dieweil er die Binsen an Indres Leibe +befestigte. +</p> + +<p> +Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre +liegt auf den Knieen und betet um ein Wunder. +</p> + +<p> +<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> +Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei +Tage später lag er oberwärts friedlich am +Strande. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Neun Monate nach dem Tode des Ansas +gebar ihm die Indre einen Sohn. Er wurde +nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, +das heißt „Abschluß“ benannt. Doch weil der +Name ungebräuchlich ist, hat man ihn meistens +nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein +ansehnlicher Mann. +</p> + +<p> +Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft +in gutem Stande, die Elske hat einen wohlhabenden +Besitzer geheiratet, und der Willus +ist richtig ein Pfarrer geworden. Seine Gemeinde +sieht in ihm einen Abgesandten des +Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm. +</p> + +<p> +Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt +im Ausgedinge bei dem ältesten Sohn. Wenn +sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie +weiß, daß sie nun bald im Himmel mit Ansas +vereint sein wird, denn Gott ist den Sündern +gnädig. +</p> + +<p> +Und also gnädig sei er auch uns! +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-3"> +<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> +Miks Bumbullis +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-3-1"> +<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer +gegangen, hatten sich dann beim +Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, +wie das junger Menschenkinder gutes Recht ist, +und als sie sich dem Försterhause näherten, verschämt +und verstohlen, da war es fast schon heller +Tag. +</p> + +<p> +Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe +im Wohnzimmer des Herrn noch brannte. Er +winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins +Haus zu schleichen, und tat so, als sei er schon +bei der Arbeit. Er machte sich an dem Holzlager +zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche +Erlenkloben zwecklos übereinander. +</p> + +<p> +Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des +alten Hegemeisters auf sich zu lenken und der +Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern. +</p> + +<p> +Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den +er erwartet hatte, blieb aus. +</p> + +<p> +„Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,“ +dachte er und setzte erleichtert die Pfeife in +Brand. +</p> + +<p> +<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> +Aber da sah er, wie vom Giebelende her die +Eve mit heftigen Gebärden nach ihm zu rufen +schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und +erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie +beim Nachsehen das Bettchen der kleinen Anikke +leer gefunden habe. +</p> + +<p> +Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen +Neffen, das der Alte zu sich genommen +hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter +aus Gram darüber dem Lungenhusten erlegen +war. Als erster Gedanke stieg dem Grigas auf, +daß nur eine der Laumen die Anikke entführt +haben könne. Denn daß diese Feen sich mit dem +Wegnehmen und Auswechseln von Kindern befassen, +auch lange nachdem sie getauft sind, das +weiß ja selbst der Dümmste. +</p> + +<p> +Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung +war, wollte ihm nicht Recht geben. Die brennende +Lampe — und die Stille im Haus — und dazu +kam noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen +bemerkt haben wollte: Das Fenster war geschlossen +gewesen, aber in einer der Rauten hatten +die Scherben gehangen. +</p> + +<p> +So faßte er sich denn ein Herz und machte +sich dicht vor der erleuchteten Stube zu schaffen. +</p> + +<p> +Und beim Hineinschielen — was sah er da? +Der alte Wickelbart lag auf dem Boden in seinem +Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme +schlief das Kind. +</p> + +<p> +<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> +Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen +wieder lebendig. Sie wußten auch +gleich, wer’s getan hatte: „Miks Bumbullis“ +sagten sie fast in einem Atemzuge. +</p> + +<p> +Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei +Tagen von dem alten Hegemeister abgefaßt worden, +wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm +und dazu ein „<span class="antiqua">Tewe musso</span>“ betete. Denn +das Vaterunser ist immer gut gegen das Abgefaßtwerden. +Aber diesmal hatte es dem Miks +nichts geholfen. Er hatte sogar noch seine Flinte +hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht +gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, +weil er genau wußte, daß sein Gefangener ihn +während des Weges trotz seiner Schußwaffe überwältigen +würde. +</p> + +<p> +Und nun hatte er doch daran glauben müssen. +Denn mit dem Miks Bumbullis war nicht zu +spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze +ging, wo dem Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt +wurde, wo man dem Juden den Schnaps +auf die Straße goß, — der Miks war überall +dabei. Nun gar das verdammte Wilddieben! +</p> + +<p> +Und er hätte es so gut haben können! Die +Wirtstöchter weit und breit waren nach ihm aus. +Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für +eine! Mit einem Hof von hundertzwanzig Morgen. +— Die hatte schon zweimal den Vermittler +zu ihm geschickt. +</p> + +<p> +<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> +Aber er? Nun, da sah man’s ja. +</p> + +<p> +Der Grigas und die Eve hoben das Kind +aus dem starr gewordenen Arm, und als sie ihm +das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe +zogen, da wachte es nicht einmal auf. +</p> + +<p> +Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen +und lächelte wie so ein Engelchen. +</p> + +<p> +Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den +Leichnam abzuwaschen und auf die Totenbahre +zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit +noch ein, daß man jeden, der eines unnatürlichen +Todes gestorben ist, liegen lassen muß, wie er +gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht +dagewesen sind. Und so geschah es auch. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-2"> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er +trieb sich in den Krügen umher und erklärte in +seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, +er sei von dem Hegemeister beklappt worden. +Darum müsse er jetzt auf ein paar Jahr in die +Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts. +</p> + +<p> +Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, +streckte er die Zunge aus und bestand darauf, +daß der Krüger sich das Geld für die Zeche +selber aus der Hosentasche hole, denn er müsse +die kostbaren Armbänder schonen, die der Staat +ihm geschenkt habe. +</p> + +<p> +<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> +Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit +einem blonden Unschuldsgesicht. Trug das Haar +noch von der Soldatenzeit her glatt an der Seite +gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten +Augen gelassen in die Runde. +</p> + +<p> +Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, +als der Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der +alte Hegemeister habe es zwar schon lange auf +ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen +Mann würde er auch sicherlich auf ihn abgedrückt +haben, das hätte die Ehre von ihm gefordert; +den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer +getan. +</p> + +<p> +Soweit war alles in Ordnung. +</p> + +<p> +Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten +habe? +</p> + +<p> +Und nun kam die merkwürdige Wendung. +</p> + +<p> +Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue +Flinte zu beschaffen. Wo, sage er nicht. +</p> + +<p> +Was er denn mit der Flinte habe anfangen +wollen, da er doch sicher gewesen sei, alsbald +verhaftet zu werden? +</p> + +<p> +Er habe über die Grenze gehen wollen, und +da drüben müsse man immer was in der Hand +haben. +</p> + +<p> +Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, +daß, wenn er nicht angeben wolle, <em>wo</em> er den +Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als abgetan +betrachten könne. Aber auch das half nichts. +</p> + +<p> +<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> +Noch an demselben Tage wurde er zwischen +zwei Gendarmen auf einen Bretterwagen gesetzt +und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren. +Das Publikum in Heydekrug sammelte +sich am Wege und starrte ihn an. Das schien +ihm großen Spaß zu machen. +</p> + +<p> +Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission +mit der dienstfertigen Würde des +guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, +als ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen +Heimkunft abgefragt wurden. +</p> + +<p> +Der Tatbestand war klar. Der Bruch der +Fensterscheibe schien auf einen Schrotschuß hinzuweisen, +obwohl nur <em>eine</em> Wunde — dicht +über dem Herzen — sich vorfand. Genaueres +festzustellen blieb der Leichenöffnung vorbehalten. +Fußspuren ließen sich nicht entdecken. +</p> + +<p> +Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt +wurde, tasteten ein halbes Dutzend Augenpaare +gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick, +der so manches Geständnis aus der Seele +reißt, verging ungenutzt. Ruhevoll — ein wenig +neugierig fast — blickte Miks auf den liegenden +Körper nieder und sah sich dann, als suche er +irgend etwas, in der Stube um. +</p> + +<p> +Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, +ein kluger, kleiner Mann, der in der Seele des +fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch eindrucksvoller +übersetzte, verhallten ungehört. +</p> + +<p> +<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> +„Ich weiß von rein gar nuscht,“ blieb die +einzige Antwort. +</p> + +<p> +Nur als hierauf die kleine Anikke weinend +hereingeführt wurde, flog ein Schein wie von +plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge +— einen Augenblick nur —, dann war er wieder +der alte. +</p> + +<p> +Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor +den fremden Männern nichts herausbringen. +Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im +Zwiegespräch ausgeplaudert hatte. +</p> + +<p> +Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor +Angst nicht einschlafen können und immerzu geweint. +Da sei der Großvater gekommen, habe +sie aus dem Bettchen genommen und zu sich +aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es draußen +geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und +dann habe er sich auf die Erde gelegt und +sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie eingeschlafen. +</p> + +<p> +Der Untersuchungsrichter wandte sich an +Miks. +</p> + +<p> +„Als Sie auf den Hegemeister anlegten und +das Kind auf seinem Schoß sitzen sahen, schlug +Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner +das unschuldige Wesen treffen könnten?“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von rein gar nuscht,“ war wie +immer die Antwort. Aber etwas wie ein +Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als +<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> +das Kind hinausgeführt wurde, sah er ihm mit +einem Blick nach, wie der Hund nach der Wurst. +</p> + +<p> +Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem +Geständnis, wo er in der Johannisnacht eingebrochen +war. Sonderbarerweise hatte er sich +den Hof jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb +Jahren auf ihn Jagd machte. Er habe +gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz +einer Flinte gewesen sei, und die habe er sich +holen wollen. Es sei aber nichts zu finden gewesen. +</p> + +<p> +Woher er das Haus so genau kenne, daß er +den Einbruch mit Aussicht auf Erfolg habe unternehmen +können? +</p> + +<p> +Darauf blieb er die Antwort schuldig. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Nun trat — vorgeladen — Frau Alute Lampsatis +in die Erscheinung. Eine hübsche Dreißigerin +mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig +weggeschnürten Busen. In dem roten, +fleischigen Gesicht saß ein Paar unruhig sinnlicher +Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche +glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, +obwohl das reiche rotblonde Haar keines +Schmuckes bedurfte. +</p> + +<p> +In gebrochenem Deutsch, doch mit großem +Wortschwall versicherte sie, sie sei eine anständige +<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> +Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. +</p> + +<p> +Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte +sie der Richter. Sie habe nur zu bezeugen, ob +sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von +einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe. +</p> + +<p> +Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige +Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. +</p> + +<p> +Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, +als daß er den Dolmetsch holen ließ, der sie in +ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr +die Lust zu Ausflüchten verging. +</p> + +<p> +Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre +Nichte — die Madlyne —, als die vom Johannisfeuer +gekommen sei, da habe sie einen Mann +aus dem Fenster der Klete steigen sehen, der +in der Richtung nach dem Walde verschwunden +sei. +</p> + +<p> +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich +an. Sie glaubten den Schlüssel zu den Aussagen +der ehrbaren Witwe gefunden zu haben. +</p> + +<p> +Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte +gleich mitgebracht hatte. Sie wurde heraufgeholt +und stellte sich als ein achtzehnjähriges Püppchen +dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. +Sie war im Sonntagsstaat, trug eine +grünseidene Schürze über der selbstgewebten +Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus +<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> +dem reichgestickten Mieder hervorquollen. Ein +Bauernmädchen wie aus der Operette. +</p> + +<p> +Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn +sie sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, +klare Antworten und konnte auf der Stelle vereidigt +werden. +</p> + +<p> +Sie war — gleich Grigas und Eve — gegen +Morgen vom Johannisfeuer gekommen — +</p> + +<p> +„Allein?“ +</p> + +<p> +Sie senkte schämig die langwimprigen Lider. +</p> + +<p> +„Ganz allein.“ +</p> + +<p> +— da habe sie schon von weitem den Hund +bellen hören und sich darum hinter dem Zaun +versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein +Mann aus dem Fenster der „Kleinen Stube“ +gestiegen. +</p> + +<p> +„Ich denke, der Mann kam aus der Klete?“ +fragte der Richter. +</p> + +<p> +Die Klete — der Raum, in dem die haltbaren +Vorräte aufbewahrt werden — pflegt sich in +älteren Wirtschaften unter einem gesonderten +Dache zu befinden. +</p> + +<p> +„Ak nei, ak nei,“ versicherte Madlyne, und +vor lauter Bekenntniseifer schoß ihr das Blut in +das Wachspuppengesicht. „Akkrat aus der Stubele +is er gekommen, das kann ich beschwören.“ +</p> + +<p> +„Und wo schläft deine Tante, Madlyne?“ +</p> + +<p> +„Die schläft in der Stuba — der Großen +Stube — das kann ich beschwören.“ +</p> + +<p> +<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> +Die Große und die Kleine Stube liegen stets +auf derselben Seite des Hausflurs und sind durch +eine Tür verbunden. +</p> + +<p> +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich +abermals an. +</p> + +<p> +Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer +Frau Alute wieder hereingerufen. +</p> + +<p> +Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch +die schwerwiegenden Folgen eines etwaigen +Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den +Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage +Madlynens und dem, was sie von ihr erfahren +haben wollte, bestand. +</p> + +<p> +Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine +anständige Besitzerin, und niemand könne ihr +etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt +auch der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, +der ihr sämtliche Höllenstrafen der Reihe nach +vorführte. +</p> + +<p> +Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall +fürchtete, auf eine Gegenüberstellung der +beiden Verwandten verzichten zu sollen, und +beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen +Einbruchs der Klärung näherzubringen. +</p> + +<p> +Ob sie eine Flinte im Hause habe. +</p> + +<p> +Sie verneinte heftig. +</p> + +<p> +Oder gehabt habe. +</p> + +<p> +Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes +sei wohl ein Schießgewehr dagewesen, womit der +<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> +Selige die Karekles — die jungen Krähen — von +den Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann +krank geworden sei, habe er es eines Tages an +den Juden verkauft. +</p> + +<p> +„An welchen Juden?“ +</p> + +<p> +Das konnte sie natürlich nicht wissen. „Der +Jude ist der Jude, und einer sieht aus wie der +andere.“ +</p> + +<p> +Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit +sorgsam umgangen hatte, hielt den +Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten +ins Treffen zu führen. +</p> + +<p> +Ob sie den Miks Bumbullis kenne. +</p> + +<p> +Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt +oder auch nur befangen. +</p> + +<p> +Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht +kennen. Er war ja mit ihrem seligen Mann immer +zusammen über die Grenze gegangen. +</p> + +<p> +Der Dolmetsch sah den Richter verstehend +an. Schmuggeln taten sie in den Grenzdörfern +alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. +Der Miks konnte sich also wohl der Flinte +erinnert haben, die sein ehemaliger Kumpan +mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem +Verkauf nichts wußte, durfte er mit etlichem +Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt herumstand. +</p> + +<p> +Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem +Hause gewesen sei. +</p> + +<p> +<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> +Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal +den seligen Mann des Abends abgeholt. +</p> + +<p> +„Wozu abgeholt?“ +</p> + +<p> +„Nun, über die Grenze zu gehen.“ +</p> + +<p> +Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals +die Flinte aufbewahrt habe. +</p> + +<p> +Sie stutzte und besann sich, als wittere sie +den heimlichen Zusammenhang der scheinbar +ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen. +</p> + +<p> +Und dann fing sie an zu wehklagen und zog +sich auf die Plattform der anständigen Besitzerin +zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen +könne. +</p> + +<p> +Von diesem Augenblick an war nichts mehr +aus ihr herauszuholen. Auf ihre Vereidigung +wurde verzichtet. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-4"> +4 +</h3> + +<p class="first"> +Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam +heran. Eine große Zeugenschar war aufgeboten. +Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte +sich als das eines rücksichtslos strengen +Verfolgers, dem schon viele Rache geschworen +hatten und dem es nie in den Sinn gekommen +war, selbst harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. +So war zum Beispiel, wie sich zufällig +herausstellte, auch der selige Mann der Frau +Lampsatis durch ihn ins Gefängnis geraten. Der +<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> +hatte also, wie es schien, seine Flinte nicht bloß +zum Krähenschießen benutzt. +</p> + +<p> +Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht +übersehen, daß, wenn Miks ein leidliches Alibi +beibringen konnte, statt seiner ein anderer als +Täter in Frage kam. +</p> + +<p> +Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam +und häufig teilnahmlos auf der Armsünderbank. +Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als +in den blaß hinstarrenden Augen malte sich die +geistige Übermüdung, die diese des scharfen Denkens +ungewohnten Naturkinder oft überfällt, +wenn sie ihr Schicksal dem Spiel und Widerspiel +der Zeugenschaften anheimgegeben sehen. +</p> + +<p> +Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute +keine Schuhschnalle hervorschob, war wieder +ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende +Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges +Schmunzeln selbst bei den Greisen der Geschworenenbank. +</p> + +<p> +Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute +ließ sich auch heute keine Einigung erzielen. +Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre +Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt +hatte, der Mann, den sie gesehen habe, +sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, +daß sie so etwas nie gesagt haben +könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit +gewesen. +</p> + +<p> +<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> +Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, +den er genommen haben wollte. Er habe die +unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die +Große Stube hineingetastet — +</p> + +<p> +In der <em>Großen</em> Stube schlief Frau Alute! +Sie hätte bei seinem Kommen erwachen müssen! +</p> + +<p> +Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er +sich in die Kleine Stube geschlichen, habe Wände +und Winkel abgetastet und sei schließlich, als das +Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster +hinausgeklettert. +</p> + +<p> +Warum er nicht den bequemeren Rückweg +durch Große Stube und Hausflur gewählt habe. +</p> + +<p> +Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt. +</p> + +<p> +Das klang einigermaßen glaubhaft und +stimmte mit Madlynens Aussage überein. Aber +der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer +Tante erzählt haben sollte und ihrer beschworenen +Aussage klaffte noch immer. Und dann war +auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, +daß er in Frau Alutes Auftrag zweimal bei Miks +gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten. +</p> + +<p> +Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte +vereidigt werden. Sie wurde noch einmal ausdrücklich +ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger +in die Höhe, da geschah das Unerwartete, +daß Miks in die Eidesworte hineinzusprechen +anfing. +</p> + +<p> +Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach +<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> +weiter. Schwerfällig, tropfenweise fielen die +litauischen Worte aus seinem Munde. +</p> + +<p> +Frau Alute horchte hoch auf und — brach +dann weinend zusammen. +</p> + +<p> +Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht +und lautete: „Ich habe dir zwar bei Gott und +bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht +nichts davon zu sagen, aber es ist doch besser, +daß du deine Seele nicht mit einem Meineide +beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. +Drum sage doch lieber die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +Unter Schreien und Händeringen kam, was +geschehen war, nunmehr ans Tageslicht. +</p> + +<p> +Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen +in ihrem Bette. Da wurde sie plötzlich durch +Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur +näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts +helfen würde, denn Madlyne und die Magd und +der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. +Da fing sie zu beten an und erwartete ihr Ende. +Aber dann hörte sie plötzlich ihren Namen nennen +und erkannte Miksens Stimme. „Geh weg,“ +sagte sie, „wenn ich auch nach dir geschickt habe, +ich bin eine anständige Besitzerin, und niemand +soll mir was Schlechtes nachsagen können.“ — „Ich +will gar nicht bei dir schlafen,“ antwortete er, +„ich will bloß, daß du mir das Gewehr gibst, +das deinem Mann gehört hat, denn der Hegemeister +hat mir meines weggenommen.“ — „Das +<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> +Gewehr ist nicht mehr da,“ sagte sie, „und wenn +es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn +du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.“ +Das bestritt er, aber sie glaubte ihm nicht. Und +als er sich daraufhin wieder entfernen wollte, +sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und +verlegte ihm den Weg. Da fühlte er, daß sie +im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den +Morgen. +</p> + +<p> +Die große Spannung löste sich. Die Unschuld +Miksens schien erwiesen. Und auch die Frage, +warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau +da war, statt einfach durch die Haustür zu gehen, +durch das Kleinestubenfenster geklettert war, +wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden +hinreichend aufgeklärt. Man war des +Glaubens gewesen, Madlyne sei inzwischen +heimgekommen, und da ihre Kammer auf +der anderen Seite des Hauses lag, hätten die +Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen +können. +</p> + +<p> +„Das hättet ihr gleich sagen können,“ meinte +der Vorsitzende. Und da auf weitere Zeugenvernehmungen +verzichtet wurde, begann der +Staatsanwalt gleich seine Rede. +</p> + +<p> +Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle +wie von selber dem Richterspruche zu. +Der Losmann Miks Bumbullis wurde von +der Anklage des Mordes freigesprochen und +<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> +wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis +verurteilt. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch +als Frau Alute, die sich inzwischen von ihren +Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf +ihn zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. +Sein Blick hing wie erstarrt an einem Platze der +Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, schmutzig +und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen +Äpfeln nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt +hatte. Sie war der Vollständigkeit halber +mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie +ausgesagt. +</p> + +<p> +Als Miks abgeführt werden sollte — an Haftentlassung +war natürlich nicht zu denken —, +wandte er sich noch einmal nach dem Kinde +um, als wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. +Aber der Gerichtsdiener stieß ihn hinaus. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann +zu verfallen, denn niemand war da, der sein +Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen +Anikke entspann sich ein Prozeß zwischen dem +Forstfiskus und der Gemeinde, der ihr verschollener +Vater angehört hatte. Beide wollten +die Erziehungspflicht einander in die Schuhe +schieben. Und da der Fiskus an allzuviel Gemüt +<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> +nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft +zwischen dem Toten und dessen verwaistem +Pflegling ihm als ausreichender Grund zustatten +kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener +Gast an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits +froh war, sie für ein kleines Entgelt an den Ort +abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit +über gehaust hatte. +</p> + +<p> +So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen +öffentlich versteigert und kam an den Mindestfordernden, +den Häusler Kibelka, einen wenig +vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar +Groschen brauchte, um sie in Branntwein anzulegen. +</p> + +<p> +Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem +Gott und Menschheit die sorgenden Augen abgewandt +haben, in seinem stummen Jammer +leidet, das hat noch niemand erkannt und beschrieben, +und niemand wird es je erkennen und +beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, +was Prügel und Kälte, was vor allem das Fehlen +jedes streichelnden Wortes in der noch nicht erschlossenen +Seele ersticken und zerfressen, bis aus +dem in unbewußter Zuversicht aufjauchzenden +jungen Leben ein scheu zitterndes, in sich verkrochenes, +kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein +geworden ist, das verliert sich in Dunkel +und Schweigen. Alljährlich wird ein unermeßlicher +Haufe von solchem Menschenkehricht ins +<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> +Grab geschaufelt, wo es zu seinem Besten hingehört. +Und nur wie durch ein Wunder senkt +sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder +und hebt eins oder das andere der schon fast +abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor. +</p> + +<p> +Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der +Hofhund allenfalls! +</p> + +<p> +Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie +er von einem gutgesinnten Mittagssonnenschein +sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das +einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. +— — — +</p> + +<p> +Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, +sprang anschlagend auf und fegte mit schleppender +Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches. +</p> + +<p> +Anikke, die allein zu Hause war, sah einen +Menschen durch das Hoftor kommen, der sich +vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte +zuschritt, an der sie sich schutzsuchend festhielt. +</p> + +<p> +Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er +halt und sagte: „Ist der Wirt zu Hause?“ +</p> + +<p> +Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln +gruben, aber um nichts in der Welt hätte +sie antworten können. +</p> + +<p> +„Wie heißt du?“ fragte er weiter. +</p> + +<p> +In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen +vergessen. +</p> + +<p> +Der Hund belferte dazwischen, und erst, als +der fremde Mensch ihm mit seinem Stock eins +<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> +überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte +zurück. +</p> + +<p> +Dann kam der Fremde näher an sie heran, +immer den Stock vorhaltend, in den der Hund +sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt +werden sollte, und fing furchtbar zu weinen an. +</p> + +<p> +Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und +mit jähem Rucke fortgezogen, während der Hund, +von einem neuen Schlage getroffen, sich um +und um kugelte. +</p> + +<p> +„Wein nicht, wein nicht, ich tu’ dir nichts,“ +hörte sie seine Stimme. Denn vor lauter Tränen +sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang +irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie +hörte zu weinen auf. +</p> + +<p> +„Bist du die Anikke?“ +</p> + +<p> +„Ja—a.“ +</p> + +<p> +„Willst du ein Lakritzenholz haben?“ +</p> + +<p> +Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen +die großen Kinder manchmal, wenn die Schule +aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab. +</p> + +<p> +Und dann gab der fremde Mensch ihr aus +einer Tüte eine schöne gelbe Stange, in die sie +auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum +noch Angst vor ihm. +</p> + +<p> +Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse +sah er nicht aus. Viel guter als der Wirt. Und +er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges +Haar hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. +<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> +Und sie wußte jetzt auch, wo sie ihn schon +gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen +wie in der Kirche. Aber statt <em>eines</em> Pfarrers +im Talar hatte gleich ein ganzer Tisch voll dagesessen. +</p> + +<p> +„Wie alt bist du, Anikke?“ +</p> + +<p> +„Ich werd’ sieben.“ +</p> + +<p> +„Gehst du schon in die Schule?“ +</p> + +<p> +„Nein.“ +</p> + +<p> +„Warum nicht?“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ nichts anzuziehen, sagt die Frau.“ +</p> + +<p> +Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete +lange das Lumpengezottel, in das sie notdürftig +gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt +wohl finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung +des Feldes und geleitete ihn auch ein Stück, denn +sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen. +</p> + +<p> +Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er +ihr die ganze Tüte, die er solange in der Hand +gehalten hatte, und sagte: „Versteck’s, daß die +anderen es dir nicht wegessen.“ +</p> + +<p> +Damit schickte er sie zurück und schritt in der +Kartoffelfurche weiter, bis er auf den Wirt stieß, +der mit Weib und drei Kindern kniend nach +Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte +und stöhnte auf seine Art. +</p> + +<p> +Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz +von den Hosen abschüttelnd stand er auf, ihm +die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht +<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> +der Mörder war, so hätte er doch immer der Mörder +sein können. Sich mit ihm gut zu stellen, +war geraten. +</p> + +<p> +„Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,“ +sagte er, „denn wen der Staat ernährt, +der ist geborgen.“ Dabei lachte er höhnisch und +einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige +Maul ging ihm bis an die Ohren. +</p> + +<p> +„Ihr habt es hier um so schwerer,“ sagte Miks +Bumbullis, die Fläche überblickend, die in ihrem +dürren Kraut unausgegraben dalag. +</p> + +<p> +Auch das Weib war aufgestanden und wischte +sich die Hand an dem sacktuchenen Schurzfell. +Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit scharfen, +mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen +gafften. +</p> + +<p> +Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. +Der nasse September — und schon alles im +Faulen — und fremde Hilfe zu teuer. +</p> + +<p> +„Wenn Ihr billige Hilfe braucht,“ sagte Miks, +„ich wüßte wohl eine.“ +</p> + +<p> +„Wer wird so dumm sein!“ lachte der Wirt. +„Selbst der Henker läßt sich bezahlen.“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ mir einiges gespart,“ sagte +Miks, „und wenn man mir sonst freie Hand +läßt, bring’ ich noch ab und zu was in die +Wirtschaft.“ +</p> + +<p> +Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie +rasch und gierig ein und fragten nicht weiter. +</p> + +<p> +<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> +So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem +Pfleger Anikkes. +</p> + +<p> +Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu +kümmern, und es vergingen drei Tage, ehe er +sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer +sei, das da immer im Hause herumkrieche. +</p> + +<p> +Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit +der Sprache heraus, denn der Mordverdacht saß +ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten +sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen +waren und daß sie es eigentlich bloß um Gottes +Barmherzigkeit willen bei sich behielten. +</p> + +<p> +Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf +und sagte nur: „Der Vater soll in Amerika sein. +Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er +jeden belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.“ +</p> + +<p> +Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten +Mittag durfte das kleine, bleiche Lumpenbündelchen, +das sonst von dem Ofenwinkel her +stumm wartend herübersah, mit den Kindern zu +Tische sitzen. +</p> + +<p> +Als der Sonnabendabend kam, verschwand +Miks Bumbullis und kam am Sonntagvormittag +mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet +und in den Spalten mit Erde verklebt war. +</p> + +<p> +Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt +hatte, und alle standen ringsum und sahen +voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel +die Teile auseinandernahm und jeden +<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> +einzelnen putzte und ölte, bis die Waffe blitzblank +und schußbereit wiedererstand. +</p> + +<p> +Und wiederum am Sonntag gab es bei den +Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, was nicht +passiert war, solange die Welt stand. Alle +schwelgten, und selbst der Hofhund bekam seinen +Knochen. +</p> + +<p> +Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten +Kleidchen da, das der Miks ihr mitgebracht +hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen +Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr +geschah. +</p> + +<p> +„Ich verstehe ja deine Meinung,“ sagte +der Wirt, „aber wenn der Vater <em>nicht</em> aus +Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.“ +</p> + +<p> +„Dann tu’ ich’s wie ihr um Gottes Lohn,“ +erwiderte Miks, „man muß sich immer ein Beispiel +nehmen.“ +</p> + +<p> +Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem +Knecht zu, denn die Schnapsbuddel saß ihm +allzeit locker. +</p> + +<p> +„Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule +schicken,“ meinte Miks Bumbullis so nebenbei. +</p> + +<p> +Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. +Der Gendarm sei schon zweimal dagewesen, und +sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man +könne schließlich noch Strafe zahlen. +</p> + +<p> +Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als +<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> +Anikke am Montag morgen die Kinder zur Schule +begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar +eine Schiefertafel. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun +höchst angesehen im Hause. Er pflegte das Pferd +blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die +Dreschflegel gingen: „Ubags, ubags, ubags“, — +sein Schlag war immer herauszuhören. +</p> + +<p> +Lohn forderte er nicht, und er hätte auch +keinen bekommen, denn der Wirt vertrank jeden +Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich +ab und zu in der Morgen- oder der Abenddämmerung +hinter der Scheune zu schaffen machte und +vorläufig nicht mehr wiederkam. +</p> + +<p> +Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, +so daß sie nun ebenso fein aussahen wie +Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er +mit, dem einer nach dem anderen standhalten +mußte. Kibelka meinte zwar, es sei sündhaft, +es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber +schließlich lieh auch er sich den Kamm aus. +</p> + +<p> +Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. +Die warme Schule — und das reichliche Essen — +und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam +sie hie und da noch einen Stirnicksel, aber der tat +kaum einmal weh, denn sie fühlte in seliger Geborgenheit, +<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> +daß einer da war, der sie vor Schlimmerem +beschützte. +</p> + +<p> +Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, +aber ihm ganz nahe zu kommen wagte sie nicht, +denn er ermunterte sie nie. +</p> + +<p> +Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an +seinem Gesicht, und als sie die Geschichte vom +lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß +der ebenso ausgesehen hatte wie er. +</p> + +<p> +Eines Abends, als der Kienspan brannte, war +er besonders vergnügt und sagte zum Ältesten, +dem Jons: „Willst du reiten?“ Der wollte natürlich +gern, und er nahm ihn auf sein Knie und +sang dazu: „Apappa, upappa.“ Dann kam die +Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. +Und sie stand im Winkelchen und dachte, die +Tränen verbeißend: „Ich bin ja nur das Ziehkind, +und darum will er mich nicht.“ +</p> + +<p> +Aber da sagte er auch schon: „Die Anikke +muß auch.“ +</p> + +<p> +Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie +traute sich nicht. Dann, als er sie hochhob, war +es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken. +So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz +schwindlig wurde, bis der Jons, abgünstig geworden, +einmal über das andere schrie: „Ich will +auch solange!“ +</p> + +<p> +Diese Augenblicke waren das Schönste, was +sie je erlebt hatte, denn daß schon einmal einer +<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> +dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten +hatte, das war ihr inzwischen aus dem Sinne +verschwunden. Nur eines langen weißen Bartes +erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei +der Weihnachtsmann gewesen, von dem der +Lehrer erzählte. +</p> + +<p> +Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, +und wenn man gegen den Schneesturm laufend +bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete +das manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe +gekauft und eine wollengefütterte +Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden +sind. Die drei Hauskinder bekamen die +gleichen, so daß ein Neid nicht entstehen konnte. +</p> + +<p> +Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X +für ein U machen und sagte mit süßsaurem +Lächeln: „Meine Kinder haben es ja sehr gut +bei dir, aber der liebe Gott wird schon wissen, +was du damit verhehlen willst.“ +</p> + +<p> +Miks sagte darauf: „Wenn einer Kinder liebhat, +was braucht er da zu verhehlen?“ und +wandte sich ab. +</p> + +<p> +Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen +in der Kleinen Stube, die gut geheizt wurde, +sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, +wo es jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich +aus den Zeiten ihrer Zurücksetzung so erhalten, +und sie wünschte es sich gar nicht anders, denn +in der Kammer nebenbei schlief der Miks. +</p> + +<p> +<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> +Aber nun der Winterfrost gekommen war, +konnte sie gar nicht recht einschlafen und lag in +ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke +frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen +Morgen. +</p> + +<p> +Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von +der Knechtskammer her ein leises Knirschen und +Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare +Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich +wenden soll. +</p> + +<p> +Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten +in ihrem Frieren die Decke vom Leibe, ging in +die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch +mehr als vor Kälte: „Miks, tut dir was weh?“ +</p> + +<p> +Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. +Und dann griffen zwei Arme nach +ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und +wärmte sich auf und schlief auch bald ein. +</p> + +<p> +Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und +war da wie in Abrahams Schoß. +</p> + +<p> +Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß +niemand etwas davon merken konnte. Auch beachtete +er sie bei Tage nicht häufiger als früher. +Aber nun grämte sie sich nicht mehr darüber, +denn sie wußte ja zu allen Zeiten, wie gut er’s +mit ihr meinte. +</p> + +<p> +Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. +Manchmal schlief er sogar noch früher ein als +sie selber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-7"> +<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, +da wurde Miks Bumbullis auf einem seiner Wege +zum Walde von einer Frauensperson angerufen, +die bis zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande +im Schnee saß. +</p> + +<p> +Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme +gleich erkannt. +</p> + +<p> +„Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,“ +sagte er. „Ich habe schon immer einmal zu dir +kommen wollen.“ +</p> + +<p> +„Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,“ erwiderte +sie, „und hätte ich dir nicht aufgelauert, +so wären auch noch drei weitere verstrichen.“ +</p> + +<p> +„Das ist wohl möglich,“ meinte er. „Was +man nicht gern tut, verschiebt man immer wieder.“ +</p> + +<p> +„Sagst du mir das ins Gesicht?“ knirschte sie, +und ihre Augen blitzten ihn an. +</p> + +<p> +„Ich sage, was wahr ist,“ erwiderte er. +</p> + +<p> +„Dann will ich dir <em>auch</em> sagen, was wahr +ist!“ schrie sie. „Daß <em>du</em> den Hegemeister erschossen +hast — daß deine Flinte da, mit der du’s +getan hast, <em>meine</em> Flinte ist — und daß ich +meine Seele dem ewigen Verderben verkauft +habe — und Madlynens Seele dazu, die meine +Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, +was ich wollte. <em>Das</em> ist die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> +„Und dann ist die Wahrheit,“ fuhr er fort, +„daß du mir die Flinte in die Hand gegeben hast +und zu mir gesagt hast: ‚Mein Seliger hat es +schon tun wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. +Nun tu du es, sonst hast du keine Ehre +im Leibe.‘ <em>Das</em> ist die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +„Und ferner ist die Wahrheit,“ nahm sie ihm +die Rede aus dem Munde, „daß ich einen Tag +und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich +dich am besten vor der Leibesstrafe bewahren +konnte, denn wenn ich einfach ausgesagt hätte: +‚Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,‘ dann hätte +mir keiner geglaubt. Darum hab’ ich der Madlyne +eingegeben, sie habe dich aus dem Stubenfenster +steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum +habe ich dir zehnmal vorgesprochen — alles — +auch was du zu sagen hast, wenn ich die Schwurfinger +erhebe. Denn du bist ja so dumm wie +ein Deutscher.“ +</p> + +<p> +„Und du bist so klug wie der Teufel,“ erwiderte +er. +</p> + +<p> +„Es ist gut,“ sagte sie, in die Runde schauend, +„daß uns hier niemand hören kann außer den +Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen. +Aber man weiß nie, was noch werden +kann, wenn sich einer im Zorn vergißt. Darum +frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: +Willst du dein Versprechen halten?“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von keinem Versprechen,“ stöhnte er. +</p> + +<p> +<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a> +„Natürlich weißt du von keinem Versprechen, +aber <em>ich</em> weiß, daß seit zwei Jahren die Menschen +mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein Freiwerber +mehr bei mir sehen läßt — nicht für mich +und auch nicht für die Madlyne, und seit Michaeli +treffe ich keinen, der nicht speilzahnig fragt: +‚Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas +den Knecht spielt?‘ Darum frage ich dich zum +überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken, +der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?“ +</p> + +<p> +Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer. +</p> + +<p> +„Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,“ bat er. +</p> + +<p> +„Jawohl,“ höhnte sie, „erst bis nach Fastnacht +— und dann bis zum Palmsonntag — +und dann immer so weiter. — Aber es soll gut +sein. Bis nach Fastnacht werd’ ich warten. +Schickst du dann keinen, dann weiß ich, woran +ich mit dir bin.“ +</p> + +<p> +Und es klang noch fast wie ein Schöndank, +was er da stammelte. +</p> + +<p> +Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal +um und sagte: „Die Leute erzählen sich, daß du +das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist, +hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. +Deine Seele kaufst du doch nicht los, und der +Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.“ +</p> + +<p> +Damit schritt sie von dannen. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis war von dem allen zumute, +als hätte er mit der Axt eins vor den Kopf +<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> +bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, +dann taumelte er in den Wald hinein. Aber er +schoß nichts, und er sah auch nichts. Er dachte +bloß immer das eine: „Ich bin bis heute sehr +glücklich gewesen und habe es nicht gewußt.“ +</p> + +<p> +Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das +Kind in der Nähe zu haben. Er sicherte die Flinte +und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen +konnte. +</p> + +<p> +Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag +und die leisen, kleinen Schritte nähertappten und +das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm hineinschob, +da war er wieder wie im Himmel. Er +fing so bitterlich zu weinen an, wie ein Mann +sonst nur in der Kirche tut. +</p> + +<p> +Da weinte auch das Kind und wußte doch +gar nicht, warum. Er tröstete sie, und sie streichelte +ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er +es nicht getan. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-8"> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu +keinem Handeln entschließen. Den Freiwerber +zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, +denn jedermann wußte, wie die Dinge standen. +Er mußte also den Gang schon selber +machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er +zu sich: „Also nächsten Sonntag.“ Und dabei +blieb es. +</p> + +<p> +<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> +Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn +dort hätte er ihr ja begegnen können. +</p> + +<p> +So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. +Er saß am Vormittag in seiner +Kammer und schnitzelte für Anikke an einem +Springbock. Da kam der Älteste, der Jons, eilfertig +zu ihm herein und sagte: „Es ist eine +draußen, die will dich sprechen — eine Feine.“ +</p> + +<p> +Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte +die Arbeit hin und ging. +</p> + +<p> +Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen +Kopftuch und einer seidenen Schürze die +Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte +sie an, obgleich es noch ziemlich rauh war, und +alles an ihr sah rund aus und quoll und wippte. +</p> + +<p> +Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und +fragte, ob er wohl einen kleinen Spaziergang +mit ihr machen wolle. +</p> + +<p> +„Ich will nicht, aber ich muß wohl,“ sagte er. +</p> + +<p> +Und dann gingen sie zusammen zum Walde, +dorthin, wo er vor einem Vierteljahr die Alute +getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort. +</p> + +<p> +„Du wunderst dich wohl, warum ich noch +nicht verheiratet bin,“ begann sie endlich. „Ich +kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich +will nicht.“ +</p> + +<p> +„Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,“ +erwiderte er, „und ich soll daran schuld +sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> +„Schuld magst du schon sein,“ erwiderte sie +und lächelte, „aber anders, als sie denkt. Wenn +du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit +durchfüttern müssen.“ +</p> + +<p> +„Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,“ +sagte er. +</p> + +<p> +„Nach menschlichem Willen geht es meistens +nicht,“ erwiderte sie. „Und wenn du einen guten +Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. +Meiner Mutter Schwester macht falsche Redensarten. +Es könnte sein, daß es eines Tages zu +spät ist.“ +</p> + +<p> +„Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch +sich selber an,“ warf er ein. +</p> + +<p> +„Und mich genau ebenso,“ erwiderte sie, +immer in der gleichen lächelnden Weise. „Aber +seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht +allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß +des Hegemeisters gesessen hat, als das Unglück +geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße +sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt +sie dazu. Und keiner weiß. Aber ein bedenkliches +Gesicht macht ein jeder.“ +</p> + +<p> +Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den +dieses rachsüchtige Geschwätz gehen würde. Und +sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst +so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm +und sich selber die Grube. +</p> + +<p> +„Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,“ +<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> +sagte Madlyne mit ihrem lieblichen und +verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder +Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch +Schlimmerem gar. „Denn ich war ja noch sehr +jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber +du, Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin +ich der Meinung, du läßt keinen Tag mehr verstreichen +und kommst heute nachmittag zu uns +auf den Hof. Dann wird sie schon Ruhe geben.“ +</p> + +<p> +„Wirt bei euch,“ sagte er, „kann ich nur sein +unter einer Bedingung: daß Alute gut zu dem +Kinde ist.“ +</p> + +<p> +„Das willst du mitbringen?“ fragte sie, und +in ihrem Erschrecken verschwand zum ersten Male +das Lächeln von ihrem Angesicht. +</p> + +<p> +„Das will ich mitbringen,“ erwiderte er beinahe +feierlich, „sonst komm’ ich nie und nimmermehr.“ +</p> + +<p> +Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und +sah stumm in die Höhe. Und ihre wasserhellen +Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. +Dann sagte sie: „Zurzeit ist sie freilich dem +Kinde noch bös gesinnt, denn sie meint, daß du +es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den +Willen tust und die Scham von ihr nimmst, wird +sie sich wohl mit ihm versöhnen. Außerdem bin +ich ja auch noch da, und ich hab’ Kinder sehr lieb.“ +</p> + +<p> +„Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,“ +entgegnete er finster. +</p> + +<p> +<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> +„Wann hast du schon das Farnkraut blühen +gesehen, daß du so allwissend tust?“ fragte sie +und sah ihn neckend von unten auf an. +</p> + +<p> +In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal +und das des Kindes nicht gar so drohend +mehr, und er sagte: „Ich werd’ also kommen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +So geschah’s, daß am Himmelfahrtstage +Miks Bumbullis und Alute Lampsatis im Brautwinkel +saßen und die Hochzeitsgäste in hellen +Haufen um sie her. Auf dem Tische standen +leckere Speisen in Menge, und über ihm hing +von der Decke herab die künstlich geflochtene +Krone, in der silberglänzende Vögel sich wiegten. +</p> + +<p> +Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und +Spruchbändern reichlich beschenkt worden, und +das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe geworfen +wird — denn niemand soll wissen, wieviel +ein jeder gegeben —, dieser unwillkommene +Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die +meisten ihren guten Taler nicht loswerden +konnten. +</p> + +<p> +Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, +die, was einst geschehen war, mit dem +Mantel der Nächstenliebe bedeckte. +</p> + +<p> +Die Kibelkas waren auch geladen, und +der Ehemann lag schon längst in seligem Schlaf +<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> +hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten +sie nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute +so bestimmt. Und sie erwies sich damit wieder +einmal als die klügste von allen. Denn wenn +die ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des +Hauses unter den Gästen herumbewegt hätte, +so wären Befremden und Verdacht alsbald am +Werke gewesen, den verständnislosen Klatsch noch +mehr ins Böse zu wenden. +</p> + +<p> +Als nun aber die Brautsuppe kam, deren +Branntwein Alute mit Kirschsaft und Honig üppig +gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst +unter den Frauen immer kühner aufflackerten, +da wurde auch lächelnd des armen Kindes gedacht, +das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen +war. +</p> + +<p> +„Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was +Lebendiges mit in die Ehe,“ sagte eine der Nachbarinnen. +„Hier tut es der Bräutigam, obwohl +er noch Junggesell’ ist.“ +</p> + +<p> +Und eine andere sagte: „Ihr braucht euch gar +nicht erst selbst zu bemühen. Euch fliegen die +Kinder nur so vom Himmel.“ +</p> + +<p> +Und eine dritte: „Kauft’s den Kibelkas ab. +Für eine Buddel Schnaps gibt er euch auch die +drei eigenen dazu.“ +</p> + +<p> +Alute, die heute das rotblonde Haar würdig +unter dem Frauentuch versteckt hielt und auf deren +Wiste eine goldene Brosche strahlte, so groß +<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> +wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles +mit nachsichtigem Lächeln an und sagte dann +gleichsam überlegend: „Ihr habt eigentlich Recht. +Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, +aber ich glaube, er wird es nicht zugeben, +weil es gar zu sonderbar aussieht.“ +</p> + +<p> +Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal +ganz harmlos und aufrichtig war. Was denn +dabei sei! Und „wenn er das Kind doch nun einmal +gern hat?“ +</p> + +<p> +Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen +zu lassen und die kleine Anikke sofort +aus Wiszellen zum Feste zu holen. +</p> + +<p> +Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller +Freude schweigend dasaß, stieg das Herz hoch, +aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch +später noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu +Dank die Stunden des Festes verkürzen. +</p> + +<p> +Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen +den Gästen herumhuschte und wegen ihrer +niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke +von den Burschen „Melinoji kielele“ — das +Bachstelzchen — gerufen wurde, war, als sie in +dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, +lauschend stehen geblieben und sagte nun mit +einem Lachen hinüber: „Wenn ihr es alle durchaus +begehrt, dann bin ich die erste, die sich den +Dank der Wirtin verdienen muß, und das werde +ich morgen auch tun.“ +</p> + +<p> +<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> +Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem +von Dank nicht viel zu lesen stand, aber sie war +schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich +gegen drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich +gelassen hatten, um sich mit ihr ein bißchen +herumzureißen. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel +genug auf dem Hofe und am dritten auch. +Als aber alles still geworden war und die jungen +Eheleute nicht zum Vorschein kamen, da machte +sich Madlyne auf den Weg und kam zwei Stunden +später mit der kleinen Anikke wieder, die ein +neues, grüngesticktes Miederchen anhatte und +mit großen, sehnsüchtig ängstlichen Augen der +künftigen Heimat entgegensah. +</p> + +<p> +Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit +einem Bündel, in dem die Siebensachen des +Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor +in Sicht kam, mußte er Schuhchen und +Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie nicht +etwa barfuß ankam. +</p> + +<p> +Es war nun wirklich so, als ob eine kleine +Prinzessin ihren Einzug hielt. +</p> + +<p> +Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar +und aß dicke Milch mit Zucker, denn es war +Vesperzeit. +</p> + +<p> +Anikke löste sich von Madlynens Hand und +wollte auf Miks zueilen, da sah sie ein Paar +Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren +<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> +machte; sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts +oder zurück. +</p> + +<p> +Aber da kam auch schon die lustige Madlyne +ihr nach und sagte: „Warum hast du Angst vor +deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat +versprochen, sie tut dir nichts.“ +</p> + +<p> +Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie +ihn in der Schule gelernt hatte, und wartete auf +ein Willkommen. +</p> + +<p> +Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute +noch darauf warten. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine +Anikke es schlecht gehabt hätte, der würde sehr +im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu +kluge Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch +ein sichtbares Hervorkehren ihrer Abneigung dem +Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt +teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein +verderben mußte. Sie tat darum so, als ob sie +das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, +und ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit +durch doppelte Liebesdienste von ihm bezahlen. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt +und ein treuer Verwalter. Er arbeitete von +früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln +gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, +<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> +und als die Roggenaust begann, wurde beim +Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen +war eine große Veränderung vor sich gegangen. +Er trieb sich nicht mehr in den Krügen herum +und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach +Hause. Auch das Wilddieben hatte er aufgegeben, +und wenn die Versuchung an ihn herantrat, +nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, +seine Frau wünsche es nicht. +</p> + +<p> +Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, +was der Alute einst an ihm gefallen hatte, war +sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen. +Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten +und Forschesten von allen zu eigen zu haben, +und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend +ein Kopfhänger neben ihr herging. +</p> + +<p> +Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, +blieb ihr freilich verborgen, denn das geschah nur, +wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte +er mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als +zweie nicht nötig sind, und ersann sich täglich +neue dazu. +</p> + +<p> +Da war eines, das hieß „die Katzenfalle“. +Dabei muß einer durch die hohlen Arme des +anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich +für ihre Kinderärmchen viel zu dick war, so gab +das des Lachens kein Ende. Und ein anderes +„die Windmühle“. Wenn man die darstellen +will, muß man sich zwei Hopfenstangen kreuzweis +<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> +am Leibe festbinden lassen und sich nun +ganz rasch um sich selber drehen. Kann der +andere eine der Stangen ergreifen und so die +Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er gewonnen. +</p> + +<p> +So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die +Dämmerung hinein, aber beileibe nicht auf +dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr +Lachen nirgends zu hören war. Denn sie hatten +immer ein Gefühl, als sei dies nicht wohlgelitten. +</p> + +<p> +Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, +die durfte sogar die dritte im Bunde sein. Und +dann ging es erst recht hoch her. +</p> + +<p> +Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens +wo anders heftig beschäftigt. Denn hinter +dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit +und breit, und immer war ein Gejacher um sie +herum und ein Gegluckse, das nahm kein Ende. +</p> + +<p> +Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte +und der Freiwerber die Stube betrat, dann +konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß +er noch den Kirschschnaps austrank, so sehr +lachte Madlyne. Hinterher machte Alute ihr stets +die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht +im mindesten daran. +</p> + +<p> +„Was willst du von mir?“ sagte sie. „Arbeite +ich nicht ebenso fleißig wie eine Magd? Und +weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft +steckt, so arbeite ich auch für mich selber.“ +</p> + +<p> +<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> +Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war +alles die Wahrheit. +</p> + +<p> +Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in +der Klete geschlafen, denn sie meinte, die jungen +Eheleute möchten im Hause am liebsten allein +sein. Aber weil die Burschen ihr dort bis in den +Morgen keine Ruhe ließen und der Hofhund +aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte +sie wieder in die Kammer jenseits des Hausflurs +über. Und Miks war neidisch auf sie, denn +in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem +nahm er an, daß die Burschen ihr selbst hierhin +folgten, und er wollte nicht, daß Anikke erwachte, +wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch +hatte er freilich keinen ertappt, aber wie sollte +es anders sein. +</p> + +<p> +Und so verliebter Natur war Madlyne, daß +sie es nicht unterlassen konnte, selbst ihm von +ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu geben. +Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. +Wie ihr ganzes Wesen, so war auch dies von +einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so daß +man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man +nicht darauf eingehen wollte. +</p> + +<p> +Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach +eine einzige große Liebkosung, die um +so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie +ernst zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit +der sie sich an ihn heranschmeichelte, machte +<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> +jeden Gedanken an künftige Buhlschaft zuschanden. +</p> + +<p> +Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, +hörte er sie eine Daina singen, die lautete umgedeutscht +etwa so: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Liegt mir ein Lämmlein</p> + <p class="verse">Im reißenden Strome,</p> + <p class="verse">Frag’ ich nicht lange,</p> + <p class="verse">Ob ich’s errette,</p> + <p class="verse">Nein doch, ich springe ihm nach.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Liegt der Geliebte</p> + <p class="verse">Im Arme der Muhme,</p> + <p class="verse">Frag’ ich mich täglich,</p> + <p class="verse">Ob ihn erretten,</p> + <p class="verse">Und ich weiß doch nicht wie.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Gönn’ ich den Lieben</p> + <p class="verse">Der bösen Muhme,</p> + <p class="verse">Die ihm mit Tränkchen,</p> + <p class="verse">Aus Giftkraut bereitet,</p> + <p class="verse">Zankend den Schlummer verdirbt?</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Oder ich sage:</p> + <p class="verse">„Komm, lieber Schwager,</p> + <p class="verse">In meiner Kammer</p> + <p class="verse">Steht eine Bettstatt</p> + <p class="verse">— Ach, so schmal ist das Bett! —</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Aber zur Mauer,</p> + <p class="verse">Der eiskalten Mauer,</p> + <p class="verse">Rück’ ich geschwinde,</p> + <p class="verse">Daß du es warm hast</p> + <p class="verse">Und mich im Arm hast und schläfst.“</p> + </div> + <div class="stanza"> +<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> + <p class="verse">Soll ich’s ihm sagen,</p> + <p class="verse">Oder verschweig’ ich’s,</p> + <p class="verse">Bis einst der Kummer</p> + <p class="verse">Vom Lager der Muhme</p> + <p class="verse">Nach dem Strome ihn treibt?</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und hätt’ ich tausend</p> + <p class="verse">Der Lämmlein errettet,</p> + <p class="verse">Ihn, den ich liebe,</p> + <p class="verse">Ließ ich verderben,</p> + <p class="verse">Und ich sprang ihm nicht nach.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn +er wollte sie nicht wissen lassen, daß sie von ihm +belauscht worden war. Und als er sie wiedersah +und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, +konnte er es nicht fassen, daß sie ein so finsteres +und hitziges Lied gesungen hatte. +</p> + +<p> +Und ein anderes Mal, als sie die kleine +Anikke auf dem Schoße hielt, sang sie folgendes: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,</p> + <p class="verse">Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Ich schenkte dir Betten von Seide so weich</p> + <p class="verse">Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Auch einen Liebsten schenkt’ ich dir wohl,</p> + <p class="verse">Der dich zur Kirche hinführen soll.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?</p> + <p class="verse">Ich lieg’ alleine und bang’ mich und frier’,</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,</p> + <p class="verse">Der siehet mich nicht und höret mich nicht.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Wenn der mich wollte und ließe von ihr,</p> + <p class="verse">Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> +Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob +er sie nicht einmal in die Arme nehmen sollte. +Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an +all die jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft +hatten, erschien es ihm nicht gut genug, ein +„Kuszbendris“ — ein Weibsteilhaber — zu sein; +auch mochte er um des Kindes willen das Haus +nicht mit Verdacht und Unfrieden erfüllen. +</p> + +<p> +Aber der Unfriede kam auch ohne dies. +</p> + +<p> +Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit +dem Kinde von der anderen Seite des Hauses +her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren +Zwischentür kein Schloß und keine Klinke hatte +und darum immer ein wenig offen stand. +</p> + +<p> +Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau +zu liegen, und machte allerlei Ausflüchte, um +sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da +ihm nichts Besseres einfiel, fing er das Leben +wieder an, das er einst geführt hatte, als +das große Unglück noch nicht geschehen war. +Denn nur so konnte er die Nacht zum Tage +machen. +</p> + +<p> +Er suchte die Krüge auf, von wo aus im +Schutze der Dunkelheit der Schmuggel über die +Grenze ging, und da es nicht immer was zu +tragen gab, nahm er auf alle Fälle die Flinte +mit, um das Frühmorgenlicht für einen Rehbock +auszunutzen. +</p> + +<p> +So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder +<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> +in schlechten Ruf kam, und Alute, die deswegen +gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und +ihn noch kurz vorher einen „Schwanzeinkneifer“ +genannt hatte, schalt ihn nun heftig aus, weil +ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle +würde. +</p> + +<p> +Aber er kehrte sich nicht daran. +</p> + +<p> +Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und +sagte: „Es tut nicht gut, Miks, daß du so oft +unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause +halten.“ +</p> + +<p> +„Aus welchem Grunde wünschst du mir das?“ +fragte er. +</p> + +<p> +„Sieh dir das Kind an,“ erwiderte sie und +wandte sich ab. +</p> + +<p> +Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich +genommen, daß es der kleinen Anikke +gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die +Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte +seine Frau noch nie etwas Feindseliges gegen sie +unternommen. Höchstens daß sie sie nicht beachtete. +</p> + +<p> +Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, +fiel ihm auf, daß es ungerufen nicht mehr an +ihn herankam, sondern sich zaghaft in den Winkeln +herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich +aus und hatte doch während des Sommers geblüht +wie ein Tausendschönchen. +</p> + +<p> +Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, +<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> +aber es wollte nicht mit der Sprache heraus. +Nur weinen tat es bitterlich. +</p> + +<p> +Da legte er sich eines Abends auf die Lauer +und mußte erleben, daß Alute das Kind mit +einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen +Schnallen steckten. +</p> + +<p> +Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß +der Armen Kleider und Hemde herunter und +fand das Körperchen von oben bis unten mit +Striemen und blauen Flecken bedeckt. +</p> + +<p> +Da hob er den Zaum auf, den das wütende +Weib von sich geworfen hatte, und prügelte es +so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. +Auch gegen Madlyne wandte er sich in seinem +Zorn, und von nun an saß der Teufel im Hause. +</p> + +<p> +Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte +er oft, wenn der Kummer ihn zur Nacht aus +dem Hause trieb. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +So geschah es eines Novembermorgens kurz +vor dem roten Sonnenaufgang, als er durchfroren +im jungen Schnee saß und gerade auf +einen schönen Bock anlegen wollte, daß er rückschauend +eine Flintenmündung auf sich gerichtet +sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den +er wohl kannte. +</p> + +<p> +Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, +aber er wußte: es war zu spät. Darum stand +<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> +er ganz gemächlich auf und sagte: „Na, wieviel +Jahr’ wird es kosten?“ +</p> + +<p> +„Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet +hast, Miks,“ erwiderte der stämmige Förster, +der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war, +und er fügte hinzu: „Die Flinte laß liegen. +Die hol’ ich mir später. Sonst könnte es passieren, +daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst +und meine dazu.“ +</p> + +<p> +„Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute +es machen,“ lachte Miks und schlug, ohne erst viel +zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er +ja doch abgeliefert werden mußte. Der Förster +ging zehn Schritt weit hinterdrein und hielt die +Flinte schußbereit. +</p> + +<p> +„Dreh dich lieber nicht um,“ sagte er ganz +freundlich, als Miks das Gespräch fortsetzen +wollte, „sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im +Genick.“ +</p> + +<p> +Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über +das Geschehene nachzudenken. Daß er von der +Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber +dann plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis +in die Kniekehlen hinein. Das Kind! Was wird +nun aus dem Kinde? +</p> + +<p> +„Ich Dummerjan,“ dachte er, „schon wegen +des Kindes allein hätt’ ich es nicht dürfen.“ +</p> + +<p> +Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, +wie er von der Untersuchungshaft aus die kleine +<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> +Anikke in andre Pflegschaft bringen könnte. +Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit +der Behörden auf das Kind zurücklenkte +und in den Verhören irgend ein Widerspruch +laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, +das Alute damals aufgebaut hatte, davon +zusammenfallen wie eine Haferhocke. +</p> + +<p> +Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb +mitleidig, halb schadenfroh den Zug begleiteten. +Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat +sich der Förster. So gingen sie in halblauten +Gesprächen neben dem Miks daher, und weil sie +wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand, +erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch +den Mord auf dem Gewissen habe. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis hörte das alles. Es war +ein rechter Leidensweg. +</p> + +<p> +Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem +Schritte, und als er vor dem Hause des Gendarmen +ankam, hatte er ein Gefolge wie ein +König. — — +</p> + +<p> +Miks bestritt natürlich alles. Von dem +Bock wisse er nichts. Er habe nur ein paar +Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich +ein großes Verbrechen sein. +</p> + +<p> +Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden +zu machen, fragte der Richter. +</p> + +<p> +O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja +bei dem Kinde bleiben. +</p> + +<p> +<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> +In der Hauptverhandlung kam er mit seinem +Weibe und Madlyne wieder zusammen. +Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, +das Kind möchte nicht geladen sein, denn es war +nun schon groß genug, um zu verstehen, welche +Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich +nicht da war, tat ihm das Herz weh. Er hätte +es so gern einmal wiedergesehen. +</p> + +<p> +Madlyne gab sich lange nicht so adrett und +fixniedlich wie dazumal, und ihre Augen waren +klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen +auch diesmal wie aus der Pistole geschossen. +</p> + +<p> +Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in +Gebrauch genommen. Ja richtig! Einmal habe +er eine Eule geschossen. Das war alles. +</p> + +<p> +Alute schien ihm die schlechte Behandlung +längst wieder vergessen zu haben. Nie sei er +zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, +nie habe er die Flinte vom Nagel geholt, +nie habe er ein Stück Wild oder das Geld dafür +von seinen Wegen nach Hause gebracht. +</p> + +<p> +Schade, daß die Frauensleute nicht schwören +durften! +</p> + +<p> +Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von +ihrem Eidesrechte Gebrauch zu machen, aber +der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, +ebenso wie bei Madlyne, die ihm als Hehlerin +verdächtig schien, und so blieben beider Aussagen +wirkungslos. +</p> + +<p> +<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> +Doch auch die andern, die vereidigt wurden, +hielten sich wacker. Selbst diejenigen, die ihn +so und so viele Male wegen seiner Schießereien +geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je +davon gehört, geschweige denn eine Flinte an +ihm gesehen zu haben. +</p> + +<p> +Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung +richtete sich drohend hinter ihm auf, und +der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln +über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt +mit argwöhnischer Anspielung darauf Bezug +nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse +verborgen lagen, die nur eines rächenden +Anlasses bedurften, um gegen ihn loszubrechen. +</p> + +<p> +Als der Richterspruch verkündet wurde, der +ihm drei Jahre Gefängnis zuerkannte, erhob sich +Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem +Auge zu begegnen, langsam von der Zeugenbank +und nickte, den Kopf feierlich wiegend, eine +ganze Weile lang zu ihm herüber. +</p> + +<p> +Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er +dran dachte. +</p> + +<p> +Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, +bevor er in die Strafanstalt überführt wurde, +die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, daß +dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke +noch einmal zu sehen. +</p> + +<p> +Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn +als die Zellentür sich öffnete und hinter der +<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> +Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das +Kind an der Hand. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, +sonst wäre er vor dem Kinde niedergekniet +und hätte geweint und geweint. +</p> + +<p> +Nun aber sagte er bloß: „Da seid ihr ja +alle,“ und begrüßte sie freundlich der Reihe +nach. +</p> + +<p> +Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz +trug und auch sonst sehr unternehmend aussah, +sagte zu ihm: „Ich könnte mich jetzt von dir +scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. +Nein, das werde ich nicht tun.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Tu, was du für recht hältst. +Wenn du nur gut zu dem Kinde sein willst.“ +</p> + +<p> +„Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,“ erwiderte +sie, „aber da hast du alles verdorben.“ +</p> + +<p> +Er demütigte sich vor ihr und sagte: „Ich +werde meine Fehler bereuen und ablegen, wenn +du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde +sein willst.“ +</p> + +<p> +Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: +„Ich verspreche es.“ Dann reichte sie +ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, +er möge sie hinauslassen. +</p> + +<p> +Der Aufseher tat es und wollte auch die +andern auffordern fortzugehen, da bemerkte er, +daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und +weinte und weinte. Und weil er ein guter und +<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> +aufrichtiger Mann war, so schloß er die Tür noch +einmal und ließ ihn gewähren. +</p> + +<p> +Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: +„Erbarm dich des Kindes!“ +</p> + +<p> +Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: +„Ich schwöre dir, daß ich auf das Kind achtgeben +werde.“ +</p> + +<p> +„Und wenn du heiratest und weggehst, — +schwöre mir, daß du das Kind mitnehmen wirst.“ +</p> + +<p> +Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und +sagte: „Ich werde nicht heiraten.“ +</p> + +<p> +Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das +Kind und küßte auch Madlyne. +</p> + +<p> +Und dann war die Besuchszeit um. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis +die Nachricht, daß das Kind gestorben war. +</p> + +<p> +Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon +einige Male im Traume erschienen. +</p> + +<p> +Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück +Mitteilung machte, lautete so: +</p> + +<p> +„Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die +kleine Anikke ein seliges Hinscheiden erlitten hat. +Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es unsre +Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht +zu vertreiben, habe ich Madlyne zu einer weisen +Frau geschickt, die sie nach den Regeln besprochen +<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> +hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht +und ihr den Saft mit getrockneten Quitschen +zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts versäumt +worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet +wie meinem eigenen Kinde. Die Festlichkeiten +haben zwei Tage gedauert, und es sind dabei +drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein +ausgetrunken worden. Nicht zu rechnen, +was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen +Sarg habe ich ihr machen lassen, in dem sie +sich ordentlich ausstrecken kann. Auch ist sie in +ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. +Du siehst also, daß ich mein Versprechen gehalten +habe, und wenn du die Madlyne fragen +wirst, so kann sie es nicht anders sagen.“ +</p> + +<p> +Von nun an erschien die kleine Anikke dem +Miks Bumbullis in jeder Nacht. Er brauchte +nur die Augen zuzumachen, und sie war da. +Und in vielerlei Gestalt erschien sie ihm — manchmal +im Sarge liegend, manchmal als eine +Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal +als ein Engelchen mit gläsernen Flügeln, +manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit +einem Strick um den Hals. Und immer wieder +in neuen Gestalten. +</p> + +<p> +Als ein großes Glück empfand er es, daß +Alute nun doch gut zu dem Kinde gewesen war. +Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn +wenn sie das Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, +<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> +würde sie die Tote so heimlich wie möglich eingescharrt +haben. Aber vor allem war ja Madlyne +dagewesen, auf die er sich ganz verlassen konnte. +</p> + +<p> +Und doch mußte etwas versäumt worden +sein, sonst würde die kleine Anikke Ruhe im Grabe +gehabt haben und ihm nicht immer von neuem +erschienen sein. +</p> + +<p> +Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages +der Anstaltsarzt zu ihm trat und ihn fragte, +was ihm eigentlich fehle. +</p> + +<p> +„Was soll mir fehlen?“ erwiderte Miks. „Ich +habe satt zu essen, und keiner ist schlecht zu mir.“ +</p> + +<p> +Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. +Miks tat es, aber der Arzt fand eine Krankheit +nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer +zugestoßen sei, fragte er dann. +</p> + +<p> +„Ich habe ein Kind verloren,“ antwortete +Miks. Aber von den Erscheinungen sagte er +nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich +immer in acht nehmen. +</p> + +<p> +Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, +derselbe, der am Sonntag gewöhnlich predigte. +</p> + +<p> +Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten +an, aber er hatte sich nicht einmal die Mühe genommen, +die Akten durchzusehen, sonst würde +er gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind +gar nicht besaß. +</p> + +<p> +Miks beließ ihn in seinem Irrtum und +küßte ihm die Hand, um ihn glauben zu machen, +<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> +daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so +weit, daß er sich schon den ganzen Tag über auf +die Erscheinung freute. Aber dann machte er +sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, +denn wenn es der Anikke im Grabe an gar nichts +fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen sein. +Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man +hatte ihr etwas Erstickendes auf den Mund gelegt. +Vielleicht gar auch war die Giltinne — die Todesgöttin +— nicht versöhnt worden, wie es nach +dem Glauben Vieler geschehen muß, so daß sie +aus Rache die arme Tote allnächtlich aus ihrem +Frieden scheuchte. +</p> + +<p> +Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber +er schämte sich vor den Deutschen, die den Brief +durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn +lachen würden. +</p> + +<p> +Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor +ihn eines Tages rufen ließ und ihm +eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig +erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, +brauche er sie auch später nicht mehr abzusitzen. +</p> + +<p> +Er dachte: „Da kann ich nun selber nach dem +Grabe sehen,“ und machte sich auf den Heimweg. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und +alle arbeiteten auf den Feldern. Kaum einer +<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> +sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet +bis nach Haus. +</p> + +<p> +Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, +und er streichelte ihn, denn das Kind hatte ihn +lieb gehabt. +</p> + +<p> +Das Haus war leer und alles offen. Ihn +hungerte, aber er wagte nicht, sich ein Stück +Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf +seinem eigenen Besitz. Er sah sich erst in der +Kleinen Stube um, wo das Bettchen zuletzt gestanden +hatte. Aber nichts mehr war davon +zu bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der +Welt. Aber dann fand er auf Madlynens Brett +ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit +Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie +ihr einmal gemacht hatte. +</p> + +<p> +Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre +er auf den Kirchhof gegangen. Und so setzte er +sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, dort, +wo die Sonne schien, und wartete. Dabei +schlief er ein und wachte erst auf, als die Stimmen +der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden. +</p> + +<p> +Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. +Sie richtete sich hoch auf und schritt in ihren +Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu, +während sie ihm ganz starr in die Augen sah. +Sie freute sich nicht, aber sie hatte auch keine +Furcht. +</p> + +<p> +„Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,“ +<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> +sagte sie, ihm die Hand reichend, „der Wirt ist +gerade sehr nötig im Hause.“ +</p> + +<p> +„Ich werde schon arbeiten,“ entgegnete er. +</p> + +<p> +Dann ging sie, das Abendbrot machen. +</p> + +<p> +Madlyne war hinter ihr gekommen. Er +bemerkte, daß sie ganz schmal geworden war +und daß um ihren Mund herum allerhand kleine +Falten standen. +</p> + +<p> +Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann +rasch fort. +</p> + +<p> +Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, +mit dem die Alute sicher nichts vorgehabt hatte — +„drum werd’ ich ihn ruhig behalten können,“ dachte +er —, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil +sie nicht wußte, was sie aus ihm machen sollte. +</p> + +<p> +Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen +Hahn geschlachtet. „Damit alle erfahren, daß +der Herr wieder da ist,“ sagte sie. +</p> + +<p> +Sie war nun ganz freundlich und sah ihn +immer von unten auf an, wie eine Bittende. +</p> + +<p> +Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber +das Fleisch auf dem Rande liegen. +</p> + +<p> +„Warum ißt du nicht?“ fragte die Madlyne, +der immer die Augen voll Wasser standen. +</p> + +<p> +„Ich will’s mir bis nachher verwahren,“ erwiderte +er, „denn ich hab’ so was Gutes lang’ +nicht gehabt.“ +</p> + +<p> +Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte +es aber nicht an. +</p> + +<p> +<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> +Nach dem Essen trug er beides in die Kammer +hinüber, wo er sich still hinsetzte, bis es dunkel +wurde. Dann holte er sich einen Topf von der +Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und +Trinken hinein und verbarg es unter seinem Rocke. +</p> + +<p> +„Ich will nur noch einen kleinen Gang +machen,“ sagte er, und die beiden Frauen fragten +ihn nicht, wohin. +</p> + +<p> +Das kleine Grab hatte er bald gefunden. +Ein neues Holzkreuz stand zu Kopfenden mit +einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich +Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen +an den schrägen Enden. Die hatte sicherlich +die Madlyne angebracht als Spielzeug für die +Tote in der langen Ewigkeit. +</p> + +<p> +Er wühlte in dem Sande des Grabhügels +eine kleine Kaule aus und stellte Topf und +Flasche hinein. Dann glättete er den Sand +wieder, so daß nicht das mindeste zu bemerken +war. +</p> + +<p> +Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung +für den Geist der Toten gut ist, andere +aber — und die sind wohl in der Wahrheit — +meinen, daß die böse Giltinne damit besänftigt +wird, so daß sie der abgeschiedenen Seele +die Ruhe nicht fortnimmt. +</p> + +<p> +Und dann saß er noch eine Weile und dachte +bei sich: „Hier ist gut sein.“ Und ihm war, als +sei er erst jetzt in die Heimat gekommen. +</p> + +<p> +<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> +Als er wieder im Hause war und alle sich +zum Schlafengehen bereiteten, sann er darüber +nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte +genau, daß, wenn er sich absonderte, der Hader +von neuem losgehen würde. Darum kroch er +in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie +weggewesen. +</p> + +<p> +Nun fing sie auch aus freien Stücken von +dem Kinde zu reden an. Gegen Gottes allmächtigen +Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; +man müsse zufrieden sein, wenn man sich nichts +vorzuwerfen habe. +</p> + +<p> +Und sie weinte. +</p> + +<p> +Er sagte nur: „Erzähle mir nichts.“ Denn +er wußte, daß er es nicht ertragen würde. +</p> + +<p> +In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes +ihm nicht. Er freute sich, daß er mit der Gabe +an die Giltinne das Rechte getroffen hatte. +</p> + +<p> +Als er am nächsten Morgen den Spaten +schulterte, um mit den andern in die Kartoffeln +zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: „Ruh dich +erst aus, du bist noch zu schwach.“ +</p> + +<p> +Und er wunderte sich, daß sie so wenig von +seinen Kräften hielt. +</p> + +<p> +Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, +mußte er sich setzen, denn der Atem fing an, ihm +zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die +Mutter ihr krankes Kind. — — — +</p> + +<p> +Auch die Alute war von nun an immer gut +<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> +zu ihm. Sie brachte ihm Paradieskörner in +Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte: +„Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt +für gute Tage haben!“ +</p> + +<p> +Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, +und er begann schon, der Giltinne +mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken. +</p> + +<p> +Und so vertraut war er inzwischen mit der +Alute geworden, daß er sich eines Abends ein +Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen +sprach. Auch von dem Mittel, das sich dagegen +bewährt hatte. +</p> + +<p> +Sie lachte und sagte: „Wenn das so leicht ist, +will ich dir Hähne schlachten, so viel du willst.“ +</p> + +<p> +Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und +er fragte sich manches Mal, warum er sich früher +eigentlich vor ihr gefürchtet hatte. +</p> + +<p> +Auch von der Krankheit des Kindes wollte +er jetzt Näheres wissen. Nicht daß sein Kummer +geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, +nur hielt er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie +würde die richtige Teilnahme haben. +</p> + +<p> +Aber Alute erwiderte: „Du Armer würdest +es auch heute noch nicht ertragen, drum warte +noch eine kleine Weile.“ Und so sagte sie immer +aufs neue. +</p> + +<p> +Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne +zu fragen. Aber die Madlyne war jetzt wie +umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, +<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> +wo sie nur konnte, sprach bei Tisch kein Wort +und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz. +</p> + +<p> +Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte +sie: „Die Madlyne muß aus dem Hause, und +schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich +ihr aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack +und Kasten vors Hoftor.“ +</p> + +<p> +Er erschrak, daß er an einem so bösen +Ende die Schuld tragen sollte, und beschloß, +das Seine zu tun, um alles zum bessern zu +wenden. +</p> + +<p> +Darum ging er der Madlyne eines Morgens +zum Melken nach und sagte: „Du mußt nicht +denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des +Kindes etwas nachtrage.“ +</p> + +<p> +Sie stand von der Hocke auf und sagte: +„Aber ich trage es mir nach.“ +</p> + +<p> +Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, +daß gegen Gottes allmächtigen Willen +Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen +habe. +</p> + +<p> +Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine +Schultern, sah ihn lange mit den bohrenden +Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte +dann: „Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann +werd’ ich dir etwas erzählen, was zu wissen dir +nottut.“ +</p> + +<p> +Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: +<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> +„Mir ist nach lockeren Streichen nicht zumut. +Erzähl es mir auch so.“ +</p> + +<p> +„Nein,“ sagte sie, „anders tu’ ich es nicht.“ +</p> + +<p> +„Ich werd’ es mir überlegen,“ antwortete +er und ging aus dem Stalle. +</p> + +<p> +In derselben Nacht kam die Erscheinung +wieder. Sie war in ihrem Hemdchen, hatte +auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug +einen Stengel in der Hand, aber das war ein +Schierlingstengel. +</p> + +<p> +Er sagte der Alute nichts davon. Und als +der Abend kam, sparte er wieder sein Essen auf, +holte sich heimlich einen Topf und trug es darin +zum Kirchhof hinaus. +</p> + +<p> +Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt +geschehen, aber hinter dem Hofzaun stand Alute +und sah ihm nach. +</p> + +<p> +Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht +zufrieden, denn das Kind erschien ihm auch in +der nächsten Nacht. +</p> + +<p> +„Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,“ +dachte er, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt +ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn schlachte. +</p> + +<p> +Die Erscheinung kam immer wieder, und die +Unruhe verließ ihn nicht mehr. +</p> + +<p> +Da faßte er sich ein Herz, und während die +Frau noch auf dem Felde war, ging er der Madlyne +nach in die Kammer. Als sie ihn kommen +sah, stieß sie einen Seufzer aus und faltete die +<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> +Hände wie eine, die sich bereit macht, selig zu +sterben. +</p> + +<p> +So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an +seiner Schulter lag, da kam es ihm zur Klarheit, daß +er immer und immer nur nach ihr verlangt hatte. +</p> + +<p> +Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm +beide Hände. +</p> + +<p> +Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr +Versprechen erfüllen solle. +</p> + +<p> +Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: +„Verlange es nicht! Verlange es nicht!“ +</p> + +<p> +Aber er verlangte es immer wieder. +</p> + +<p> +Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, +und erzählte ihm, auf welche Art Alute das +Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und +nimmer zu überführen sein. +</p> + +<p> +In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens +Halse, um sie zu erwürgen, weil sie die +Tat nicht verhindert hatte. +</p> + +<p> +Sie sagte: „Drück nur zu! Drück nur zu! +Oben am Hühnerbalken kannst du die Schlinge +sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und +wärst du nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es +auch getan.“ +</p> + +<p> +Da sprang er aus dem Bette und lief nach +dem Schleifstein. — — — +</p> + +<p> +Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah +sie einen Menschen auf sich zustürmen, der halb +angezogen war und eine Axt schwang. +</p> + +<p> +<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> +Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte +sie sofort, was geschehen war und daß es ihr +nun ans Leben ging. +</p> + +<p> +Sie rannte schreiend nach der Richtung des +Dorfes hin, und er mit der erhobenen Axt hinter +ihr drein. +</p> + +<p> +Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten +Höfe einzubiegen, denn sie wußte, daß +kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern +würde, die Tat zu begehen. +</p> + +<p> +So lief sie weiter, und der Raum zwischen +ihr und ihm verkürzte sich immer mehr. +</p> + +<p> +Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen +und erkannte gleich, daß sie sich für heute +und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles +gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand +nachweisen, und der Meineid war bald gebüßt. +</p> + +<p> +Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, +da ließ er von ihr ab, denn des Wachtmeisters +Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in +seinen Fußtapfen um, und die Leute, die ihm +gefolgt waren, gingen in großem Bogen um +ihn herum. +</p> + +<p> +Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei +seiner Heimkehr gefunden hatte. Auch nach +Madlyne rief er umsonst. +</p> + +<p> +Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld +in die Tasche, holte ein altes Gewehr hinter den +Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit +<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> +dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche +von Graben zu Graben. +</p> + +<p> +Als es finster geworden war, floh er über +die Grenze. Rußland ist groß. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Der Gendarm erstattete die Anzeige. +</p> + +<p> +Die Herren vom Gericht nahmen sich der +Sache mit großem Eifer an. Ein Steckbrief +wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen +hüben und drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen +angebahnt, damit, wenn +man ihn faßte, kein Aufschub entstand. +</p> + +<p> +Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch +immer frei herumlief, lachte zu alledem und sagte: +„Was gebt ihr euch für Müh’! Das Kind wird +ihn schon holen gehn.“ Sie hütete sich wohl, in +ihrem Hause zu bleiben, und selbst für kurze +Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn +sie fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde. +</p> + +<p> +Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen +und ein paar Männern, die dazu aufgeboten +waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. +Die Männer wechselten ab, denn keiner +konnte für die Dauer die Nachtwachen vertragen. +Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage +streifte sie herum wie ein wildernder Jagdhund. +Wo und wann sie schlief, wußte keiner. +</p> + +<p> +<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> +Wenn einer von den fremden Gendarmen, +die den hiesigen jede zweite Nacht ablösen kamen, +gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: +„Ich denke, wir stellen die vergebliche Arbeit ein, +denn er müßte schön dumm sein, uns freiwillig +in die Arme zu laufen,“ dann wehklagte sie und +flehte mit erhobenen Armen: „Erbarmen, Pons +Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird ihn +schon holen gehn, — wird ihn schon holen gehn.“ +</p> + +<p> +Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher +Zeit und gar nicht weit vom Kirchhof Madlyne +im Graben lag — dicht an dem Wege, der von der +Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich +heimlich in dem Hause eines früheren Bewerbers +auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn +nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn +es dunkel wurde, schlich sie sich hinaus auf Wache +für den Fall, daß er vorbeikommen sollte. +</p> + +<p> +Manchmal war es noch kalt, und manchmal +regnete es, aber sie fror nicht und ließ sich ruhig +durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen +fiel ihr schwer. Darum legte sie sich +gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf den Kopf, +die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend +nach vorn überneigte. Und von dem +Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach. +</p> + +<p> +Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises +Stimmengeräusch oder ein Säbelklirren sich hören; +ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch +<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> +ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie +höhnisch und schüttelte die Fäuste in das Dunkel +hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr. +</p> + +<p> +Aber in einer Nacht — es mag die vierzehnte +oder fünfzehnte ihres Dienstes gewesen +sein —, da muß der Schlaf sie doch überwältigt +haben, oder aber er war nicht auf +dem Wege, sondern quer über die Felder gegangen, +denn plötzlich hörte sie auffahrend vom +Kirchhof her Knallen und Männergeschrei. Und +die Stimme Alutens mischte sich keifend darein. +</p> + +<p> +Da wußte sie: sie hatten ihn. +</p> + +<p> +Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der +plötzlich aufgeflammt war. +</p> + +<p> +Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei +Männer brachten ihn geführt, und Alute tanzte +um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte +und die Zunge ausstreckte. +</p> + +<p> +In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen +Flasche, die wohl beim Kampfe mitten +durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für +die Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch +einmal die ewige Ruhe hatte erkaufen wollen. +</p> + +<p> +Madlyne warf sich ihm in den Weg und +küßte die eisernen Ringe, in die sie seine blutigen +Hände gesteckt hatten. +</p> + +<p> +Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch +und schritt weiter — seinem Schicksal entgegen. +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-4"> +<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> +Jons und Erdme +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-4-1"> +<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben +nicht weit vom Matzicker Walde zwei +Liebesleute — der Jons Baltruschat und die +Erdme Maurus. +</p> + +<p> +Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben +will auf Erden! Selbst die Aller-, Allerärmsten, +die kaum das nackte Leben haben, möchten ein +Nest bauen. +</p> + +<p> +Der Jons ist das, was der Litauer einen +„Antrininkas“ nennt, der „Knecht eines Knechtes“. +Das sagt wohl genug. +</p> + +<p> +Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr +Glück machen wollen. Vorläufig dient sie als +Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus +nicht weit vom Bahnhof, das die Leute +in Heydekrug meistens das „Hotel Lausequetsch“ +nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten +Zeit hat es sich sehr gehoben. Sogar die +besseren Viehverlader verkehren bisweilen darin. +</p> + +<p> +Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat +seine blanken Kirchgangsstiefel an und die +schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. +<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> +Und die Erdme — die ist nun gar eine Feine! +Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! Sie hat +ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft +und eine halbseidene Bluse an, die hinten +zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die Kellnerin +geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen +hinderlich war. +</p> + +<p> +Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber +das ist auch alles. Eltern mit Haus und Hof +haben sie nicht. Überhaupt — wo sie herstammen, +davon reden sie lieber gar nicht. +</p> + +<p> +Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um +acht kommen die Handwerksburschen, die bringen +Feiertagsfladen von der Walze mit und wollen +reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr +üppig zu. In der Küche werden jetzt sogar Ölsardinen +gehalten, und das Öl darf man hinterher +austrinken. +</p> + +<p> +Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. +Wie wird eine Frau, die an so vornehme Lebensart +gewöhnt ist, später neben ihm aushalten +wollen? +</p> + +<p> +Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was +hat das alles zu sagen gegen einen eigenen +Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das +Leben doch erst eigentlich an. +</p> + +<p> +Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl — +aber wie? Die Vögel, die ringsum Halme suchen, +die haben’s leicht. Denen liegt der Baustoff +<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> +frei auf der Straße, und für ihren Nestplatz +brauchen sie auch nichts zu zahlen. +</p> + +<p> +Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet +ihm Mut zu. Und so ganz ohne Vermögen sind +sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch +ihre Beutelchen vor und breiten die Schätze +neben sich aus, geben aber sorgfältig acht, daß +beide nicht untereinander geraten. Denn das +kann erst nach der Trauung geschehen, wenn die +Gütergemeinschaft erklärt ist. +</p> + +<p> +Das Häufchen der Erdme ist viel größer +als seines, so groß, daß er beinahe argwöhnisch +wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig +Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen. +</p> + +<p> +Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie +kann doch Auskunft geben. Das goldne Zwanzigmarkstück, +das den Hauptstock bildet, hat ihr +einmal ein Betrunkener geschenkt, der hernach +verhaftet wurde. Doch das macht ja nichts, +wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und +auch das übrige ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, +wie sie Bräutigams nicht gerne sehen, +sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die +höchstens einmal in die Küche kommen, um ein +ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es sich kneifen +läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler +durchaus an Kindesstatt annehmen wollen und +sich erst nach vielem Zureden damit begnügt, +<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> +ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr +hat er gerade nicht bei sich gehabt. +</p> + +<p> +Das alles ist also in guter Ordnung, aber +die lumpigen fünfundzwanzig Mark, die er sich +in zwei Jahren — und mit was für Opfern! — +von seinem Lohne erspart hat, können sich daneben +nicht sehen lassen. +</p> + +<p> +„Ach was,“ sagt die Erdme, „zusammen sind +das einundneunzig. Und für hundert kann man +sich schon ein Haus bauen.“ +</p> + +<p> +„Ja wo?“ fragt er. „Etwa im Monde?“ +</p> + +<p> +„Durchaus nicht im Monde, sondern sogar +ganz nah’ von hier. Auf der anderen Seite von +Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor +die Kolonie Bismarck liegt.“ +</p> + +<p> +„Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe +und die Mörder hausen,“ meint er, denn in gutem +Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck. +</p> + +<p> +Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es +Diebe und Mörder überall, und zweitens kommt +es zunächst darauf an, daß man ein Haus über +dem Kopfe hat. Dort ist man sozusagen beim +preußischen Staat zu Gaste, der Grund und +Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn +kann sich keiner erdenken. +</p> + +<p> +Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, +für hundert Mark ein Haus zu erbauen, aber sie +weiß es genau. +</p> + +<p> +„Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,“ +<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> +sagt sie und lacht ihm verstohlen zu. „Nachhelfen +tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo +es herkommt.“ +</p> + +<p> +Nun lacht auch er, und der Entschluß wird +besiegelt. +</p> + +<p> +Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft +haben, betrachten sie einander und finden, daß +sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann. +</p> + +<p> +Er — straff, breit, knorrig, mit wagerechten +Trageschultern und zwei Fäusten, die nicht mehr +loslassen, wo sie einmal zugepackt haben. +</p> + +<p> +Sie — eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig +mit federnden Armen und Schenkeln von +Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, +in denen zwei Augen listig und lustig Nähe und +Ferne nach Beute durchmustern. +</p> + +<p> +Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem +Schwersten Stand zu halten und das Widrigste +mit Schlauheit zu umgehen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-2"> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Zuerst der Moorvogt. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher +der Kolonie, der zweitausend Lebensschicksale +sorgsam und strenge an obrigkeitlicher Leine +führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; +doch wer und was das eigentlich ist, +ahnen nur wenige. +</p> + +<p> +<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> +Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt. +</p> + +<p> +Mit List und Gewalt haben sie sich beide +aus ihren Dienststellungen freigemacht. Die +Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste +an den Kopf werfen lassen und hierauf +mit einer Anzeige wegen Körperverletzung gedroht, +so daß sie schließlich mit dem Zeugnis +auch noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, +und der Jons, der weniger gerissen ist, hat seinem +Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag +in Aussicht gestellt, falls er ihn nicht auf der +Stelle abziehen lasse. Manchmal hilft das, +manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal +hat es geholfen. +</p> + +<p> +So wandern sie also wohlgemut auf der +Rußner Chaussee zur Kolonie Bismarck hinaus, +die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt +und sich so weit ins Moor hinausstreckt, daß man +ihr Ende nirgends absehen kann. +</p> + +<p> +Als sie an der langen Brücke sind, die über +die Sumpfniederung führt, bleibt die Erdme +an dem schwarz-weißen Geländer stehen und +zeigt auf die Kuhblumen hinunter, die ihre +buttergelben Köpfe aus dem Überschwemmungswasser +stecken, und sie sagt: „Wie die Blumchen +da vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden +wir auch vorwärts kommen.“ +</p> + +<p> +Und der Jons meint dasselbe. +</p> + +<p> +<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> +Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause +stehen, in dem jetzt der Moorvogt wohnt, +da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen +die Vierzig, mit ernsten Augen und einem Munde, +der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart +sieht er nicht aus, aber seine Rede ist scharf und +gemessen. Angst muß man schon darum vor +ihm haben, weil er so mächtig ist. +</p> + +<p> +„Also anbauen wollt ihr euch?“ +</p> + +<p> +„Jawohl.“ +</p> + +<p> +„Seid ihr verheiratet?“ +</p> + +<p> +Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das +Aufgebot kann jeden Augenblick bestellt werden. +Jetzt gleich, wenn er will. +</p> + +<p> +„Sind die Papiere in Ordnung?“ +</p> + +<p> +Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an. +</p> + +<p> +„Sind die nötigen Mittel da?“ +</p> + +<p> +Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze +ziehen sie ihre Beutelchen. Das Goldstück, das +bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen +Eindruck zu machen, denn zum ersten Male geht +ein Lächeln über sein Gesicht. +</p> + +<p> +Und er greift nach Mütze und Hakenstock +und sagt: „Kommt mit.“ +</p> + +<p> +Dann geht er ihnen voran auf einer Straße +aus Knüppeln und Lehm, die geradeswegs von +der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. +Das sieht nun freilich fürs erste nach +<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> +allem aus, nur nicht nach einem Moor. Rechts +und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen +bis in den grauen Dunst hinein. <em>Die</em> +Häuser haben etwas mehr als hundert Mark +gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und +ringsum Ställe und Schuppen! Und Gärten +sogar — die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! +Und jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, +aus Quitschen und Birken — weiß wie Schnee +und schnurgerade. +</p> + +<p> +Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber +zu reden wagen sie nicht. Sonst wären sie vielleicht +noch umgekehrt. Denn wie kann man je +daran denken, solche Herrlichkeiten sein eigen +zu nennen? +</p> + +<p> +So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. +Eine Wirtschaft folgt der anderen, ein Ackerfeld +dem anderen. Nur hie und da auf höherem +Boden, wie aus Versehen stehen geblieben, ein +Gebüsch von krüppeligen Fichten, die kaum einmal +die Kraft haben, Nadeln zu tragen. +</p> + +<p> +Dann allmählich verändert sich das Bild. +Die Wohnhäuser werden ärmlicher — demütiger, +möchte man sagen —, die Wirtschaftsgebäude +hören auf, und statt der beackerten Felder breiten +sich kahle Moorheiden aus bis ins Endlose hin, +von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, +die vom Torfstechen übriggeblieben sind. Auf +denen sprießt ein junges Sumpfgrün. Sonst +<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> +ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist +alles. +</p> + +<p> +Der Moorvogt hat den ganzen Weg über +kein Wort zu ihnen gesprochen. Jetzt wendet +er sich um und sagt: „Hier könnt ihr euch nun +eine Baustelle aussuchen.“ +</p> + +<p> +Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den +Moorboden hinaus, der unter ihren Füßen +quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt +den Stock einstößt, bleibt ein wasserglänzendes +Löchelchen übrig. +</p> + +<p> +Da endlich macht der Jons seinem bedrückten +Herzen Luft und fragt beinahe schreiend: +„Kann man denn hier überhaupt bauen?“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück +und in die Runde: „Die haben alle einmal +so gebaut,“ sagt er. „Das Trockenmachen ist +eure Sache.“ +</p> + +<p> +Jons und Erdme sehen sich an und denken: +„Was die anderen gekonnt haben, müssen wir +auch können.“ Und so suchen sie sich aufs Geratewohl +einen Platz für Haus und Ackerland und +sind dabei immer dem Weinen nahe. +</p> + +<p> +Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden +Schritten die ungefähr in Betracht kommende +Fläche. „Diese Parzelle,“ sagt er dann stehen +bleibend, „gibt euch der Staat zur Bewirtschaftung. +Sie wird natürlich genau ausgemessen +werden und ist dann einen Hektar groß. Geht +<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> +es euch gut, so dürft ihr später noch drei weitere +dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei +mir an und gebt eure Unterschrift. Bis dahin +überlegt es euch. Braucht ihr einen Rat, so +bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!“ +</p> + +<p> +Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er. +</p> + +<p> +Nun stehen sie da und sehen sich wieder an. +</p> + +<p> +Ja oder nein? +</p> + +<p> +Nein — dann müssen sie zurück in Dienst — +in einen härteren vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, +obgleich das kaum noch möglich ist, und +die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für +Jahre. Wozu sind sie jung und übervoll von +unverbrauchten Kräften, die sich sonst für Fremde +erschöpfen müssen? Also ja — dreimal und +tausendmal ja. +</p> + +<p> +„Was die anderen gekonnt haben, müssen +wir auch können,“ wiederholt der Jons noch +einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. +Und damit sind sie fertig. +</p> + +<p> +Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, +sich für die nächsten Monate ein Obdach zu +besorgen. +</p> + +<p> +Sie gehen also an die ersten zwei Leute +heran, die sie auf dem Acker arbeiten sehen, und +sagen: „Wir wollen uns in der Nähe anbauen. +Könnt ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?“ +</p> + +<p> +Der Mann, der sanftblickende Augen hat +<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> +und dem um das magere, bartlose Gesicht +langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, +sieht sie lange an und fragt dann: „Seid ihr +verheiratet?“ +</p> + +<p> +Erdme lügt rasch „ja“, denn sie überlegt sich, +daß ihr wahrhafter Stand, mag er noch so kurze +Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten +Hindernisse bereiten würde. +</p> + +<p> +Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist +und die so aussieht, als muß sie immer Senf +aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die +sagt: „Wir sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht +nach den Geboten des Herrn lebt, den nehmen +wir nicht auf.“ +</p> + +<p> +Erdme sagt: „Auch wir wollen uns den Erleuchteten +zuwenden,“ denn sie weiß sofort, daß +sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen +erlangen werden. +</p> + +<p> +Betten wird sie mitbringen, und so ist für +Unterschlupf gesorgt. +</p> + +<p> +Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an. +</p> + +<p> +Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, +sieht noch einmal ihre Papiere durch, und dann +gibt Jons die Unterschrift. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte +und trägt sie als Brautleute in die Register +ein. +</p> + +<p> +Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme +vorhin ausgesprochen hat, und fragt: „Die Zeit +<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> +ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon +einziehen dürfen?“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan +hat, als er ihr Vermögen besah, und sagt: „Die +Aushängebogen liest keiner.“ +</p> + +<p> +Damit sind sie entlassen. +</p> + +<p> +Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das +wichtigste von allem — außer dem Pfarrer +natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden +muß. Das ist für Jons, sich eine regelrechte +Arbeit zu beschaffen, damit durch den Tagelohn +für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und +ab und zu noch ein paar Groschen in die Baukasse +kommen. +</p> + +<p> +Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik +und der Sägemühle, die beide jetzt zum +Frühling Leute brauchen. Jons wählt die +Sägemühle, weil er hoffen kann, dort am ehesten +Gelegenheit zu billigem oder — wenn das +Glück es will — auch kostenlosem Holzerwerb zu +finden. +</p> + +<p> +Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug +zurück, — und siehe da! kaum nachgefragt, +da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, +daß er am nächsten Morgen antreten kann. +</p> + +<p> +Zwei Mark pro Tag — so viel hat er in +seinem ganzen Leben noch nicht verdient. +</p> + +<p> +Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen +sie sich, daß noch nie ein Tag da war, der sie +<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> +ein so großes Stück im Leben weiterführte. +Aber er hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und +da sie beileibe kein Geld ausgeben wollen und +zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, +so scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen +Zuhause ein paar Saatkartoffeln aus einer Miete, +was gewiß eine große Sünde ist, aber der Besitzer +hat noch genug, und so geschieht niemandem +ein Schade. +</p> + +<p> +Die Taschen voll kommen sie heim, und als +sie beim Abkochen ein andächtiges Abendlied +singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar +noch ein Stückchen Speck dazu. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne +den geht nichts. +</p> + +<p> +Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn +wenn Jons auch um drei aufsteht, um fünf +muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, +und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert. +Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke +am Leibe. +</p> + +<p> +Aber Erdme — die schafft es. Sie steht bis +zu den Knieen im eiskalten Wasser und sticht +und gräbt und gräbt und sticht — quer durch das +widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch +keine Menschenkraft bezwingbar scheint. +</p> + +<p> +<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> +Der fromme Taruttis — so heißt der Wirt — +sieht von weitem ihr maßloses Mühen, und da +sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt +er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr +über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen. +</p> + +<p> +Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren +Ärger genötigt, die kostbaren Freistunden des +Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden. +Frommsein ist gewiß eine schöne und +notwendige Sache, aber man muß Zeit dazu +haben. Sonst wird es zur Landplag’. +</p> + +<p> +Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle +hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen. +Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten +kann man auf unauffällige Weise tagtäglich +erfahren, in welchem Walde und an welcher +Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung +bereit liegt. +</p> + +<p> +Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit +gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern, +dem es beliebt, ihn anzuhalten. +</p> + +<p> +Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, +die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses +nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für +blankes Geld von einem Besitzer, der wegen +leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen +seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er +einen regelrechten Kaufschein, den er fortan als +Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt. +<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> +Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht +einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der +nicht ganz so rechtsgültig erworben ist, da kann er +sich des guten Gewissens erfreuen, <a id="corr-2"></a>das solch ein +Stückchen Papier seinem Träger verleiht. +</p> + +<p> +Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, +der natürlich nichts Böses ahnt, und legt sogar +noch einen goldumränderten Spruch hinein. +Ob der nun hilft oder was Anderes, kurz, auch +der dritte Stamm gelangt unangehalten nach +Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, +da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis +die Hochzeit dazwischen. +</p> + +<p> +Die muß wegen der Wirtsleute in strengster +Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim +Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für +die fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße +mitgebracht hat. Ein Glück ist, daß die sich +bereit erklären, auch bei der Trauung am nächsten +Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, +daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen. +</p> + +<p> +Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten +feierlich, er hat nicht einmal die Lichter angesteckt, +so gering achtet er sie. Zum Schlusse reicht er +ihnen die Hand und sagt: „Von nun an könnt +ihr in Ehren beieinander wohnen.“ +</p> + +<p> +Als ob das ohne den Pfarrer so ginge! +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, +<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> +als er am Sonntag das junge Paar im besten +Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint +die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; +aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten +gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet +bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt +es ihnen weiter nicht nach. +</p> + +<p> +Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar +jungsprossende Rautenblättchen, die sie als Merkmal +ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen, +und treten dann den langen Weg zum Gotteshause +an. +</p> + +<p> +Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, +sie aber schämen sich, auf einer der vordersten +Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute +sitzen, und verkriechen sich hinter +einem der rückwärtigen Pfeiler. Nicht einmal +die Rautensträußchen legen sie an, sondern +bekneifen sie mit den heißen Fingern. +</p> + +<p> +Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt +kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft, die +mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben +Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner +laufen umher, und die Brautführer umgeben +wie eine Königsgarde den Marschall. +</p> + +<p> +Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, +und ihre Zeugen riechen nach Mist. +</p> + +<p> +Als der letzte von der großen Hochzeit den +Kirchenraum verlassen hat, fassen sie sich ein +<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> +Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang. +</p> + +<p> +Der Pfarrer — ein junger Mann, mit einem +Traumdeutergesicht — blickt ihnen freundlich +entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht +vor den Altar zu treten wagen, öffnet er die +rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie +zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin +zu führen. +</p> + +<p> +Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im +Buche stehen, sondern hält ihnen eine genau +so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt +hätten. +</p> + +<p> +Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft +und Hoffnung, die gemeinsame Reise +durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt +ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn +sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten +und vor allem — vor allem, vor allem! — +den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen +wollen. +</p> + +<p> +Jons und Erdme weinen sehr, und jeder +von ihnen schwört sich zu, die Ermahnungen des +Pfarrers nicht zu vergessen. +</p> + +<p> +Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten +haben und es dunkel zu werden beginnt, +da müssen sie doch daran gehen, den vierten der +Stämme aus dem Walde zu holen, denn jeder +Tag Aufschub kann von Nachteil sein. +</p> + +<p> +<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> +Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon +gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt +haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem +Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, +ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus. +</p> + +<p> +„Wenn man so arm ist wie wir, dann kann +das unmöglich eine Sünde sein,“ tröstet die +Erdme sich und ihn. +</p> + +<p> +„Eine Sünde ist es schon,“ antwortet der +Jons, „das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt. +Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, +dann wollen wir alles wieder gut machen, worin +wir uns jetzt vergehen müssen.“ +</p> + +<p> +Und das geloben sie einander, während +sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten. +</p> + +<p> +Und noch manches geloben sie. Keinen Hader +wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen +Worte in den Mund nehmen und in allem +den Kindern ein gutes Beispiel geben. +</p> + +<p> +„Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut +haben,“ meint der Jons. +</p> + +<p> +Und die Erdme gerät ins Schwärmen: +„Wenn ich Töchter kriege, dann sollen sie in +Samt und Seide gehen — und ihre Hochzeiten +sollen acht Tage dauern — und der Bräutigamsvater +soll nichts Geringeres sein als ein +Gendarm.“ +</p> + +<p> +Doch der Gedanke an den Gendarmen ist +ihnen unbehaglich, darum spinnen sie ihn nicht +<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> +weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker +Waldes zu verschwinden, wo der vierte Pfosten +ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer +mattschimmernd am Boden liegt. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-4"> +4 +</h3> + +<p class="first"> +Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für +den Winter noch nichts zu essen hat! Die Tage +werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat +geschafft sein. +</p> + +<p> +Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten +Frühjahr allenfalls in Arbeit genommen werden +kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und +nachdem die Quergräben gezogen sind, die die +weitere Trockenlegung verlangt, kann das Urbarmachen +beginnen. +</p> + +<p> +Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai — +wenn man das Morgen nennen kann, denn noch +stehen die Sterne am Himmel —, da schultern +sie Hacke und Spaten und ziehen hinaus auf +das kahle Moor, dorthin, wo die vier Kiefernstangen +lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt +auf Vorrat schlafen. +</p> + +<p> +Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen +die Grenzen des Ackers, der nun werden +soll. +</p> + +<p> +Den beiden ist bang und feierlich zumut. +Gemeinsam zu beten getrauen sie sich nicht, weil +<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> +sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum +spricht jeder von ihnen sein Vaterunser ganz +im geheimen, als ob er Wunder was Unrechtes +täte. +</p> + +<p> +Und dann geht es los. +</p> + +<p> +Die oberste Schicht des Moores, die aus +lebendigen Pflanzenstoffen besteht, muß zerkleinert +und heruntergeschält werden — „abplacken“ +nennt man es —, weil der drunter +liegende Boden erst dann, wenn sie mit ihm +gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, +die eine Aussicht auf künftige — wenn auch +spärliche — Ernten eröffnet. +</p> + +<p> +Die paar Stunden der Frühe vergehen im +Fluge. Dann muß er ja weg, um mit dem Taglohn +Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo +soll der Stoff zum Hausbau sonst herkommen? +</p> + +<p> +Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. +Zuerst die Latten oder Schwarten, mittels deren +die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das +Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses +bilden soll. Dann die Sparrbalken — die Sparren +selbst — die Ziegel für die Feuerstätte und +so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden +kann. +</p> + +<p> +Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will +hinter dem andern zurückstehn. Von einem, +dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und +um acht Uhr abends endet, kann niemand +<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> +auf Erden sagen, er habe es sich zu knapp bemessen. +</p> + +<p> +So kommt der Acker rasch voran. +</p> + +<p> +Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, +um sich den rieselnden Schweiß aus den Augen +zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter +sich stehen. +</p> + +<p> +Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark +Pacht, die für das erste Jahr gezahlt werden +sollen — später werden es dreißig —, sind noch +nicht abgeliefert. +</p> + +<p> +Er sagt: „Es ist spät im Jahr. Werdet ihr +mit der Aussaat zurechtkommen?“ +</p> + +<p> +Und sie antwortet: „Wie Gott will.“ +</p> + +<p> +„Gott will, wie der Mensch will,“ sagt er. +„Wenn er erst weiß, daß ihr tüchtig seid, wird +er euch nichts in den Weg legen.“ +</p> + +<p> +Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, +schon geschält, wie Silber in der Sonne funkeln. +</p> + +<p> +„Schöne Stangen habt ihr da,“ sagt er und +sieht Erdme dabei mit schiefem Munde halb von +der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen +Gänge verborgen geblieben. +</p> + +<p> +In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den +Sohlen den schwarzen Schlamm von den Beinen, +denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung +fragen werde; aber die Frage bleibt aus. +</p> + +<p> +Auch ein Haufen Schwarten liegt schon +da, die Jons sich für billiges Geld unter +<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> +den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen +dürfen. +</p> + +<p> +Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die +untauglichen zeichnet er mit der Spitze seines +Hakenstocks. +</p> + +<p> +„Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben +sind,“ sagt er und wendet sich ohne +Gruß wieder dem Wege zu. +</p> + +<p> +„Da geht er hin wie der liebe Gott,“ denkt +Erdme und ist sehr froh, mit heiler Haut davongekommen +zu sein. Vieles an ihm begreift sie +nicht, aber beim lieben Gott geht es einem ja +ebenso. — +</p> + +<p> +Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel +Saatkartoffeln gekauft, glasblank und dünnschalig, +wie sie für den Moorboden gut sind. +Die werden in Hälften geschnitten und in die +flachen Rücke gleichsam obenauf gelegt, denn +nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende +Wasser. +</p> + +<p> +„Auch die sind redlich erworben,“ sagt Erdme +mit Stolz. Und darum brauchen sie sich nicht +zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet +zu tun. +</p> + +<p> +Aber noch muß viel zusammengegrapscht +werden! +</p> + +<p> +Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken +zurechthackt, mit blankem Gelde zu bezahlen, +während sie freundlich in den Wäldern +<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> +herumliegen, wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber +vorsichtig muß man schon sein, darum wird Jons +auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln +käuflich erstehen und ärgert sich bloß, daß er +den Schein dafür nicht gleich vor den Mützenschirm +stecken kann. Jetzt und auch bei den +nächsten Fahrten hernach, wenn alles an Ort +und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens +der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der +fragt ja nicht, wie man weiß. +</p> + +<p> +Eine Nacht um die andere ziehen sie los, +denn ab und zu schlafen muß doch der Mensch. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. +Ihm hat der Kaufschein die Augen verblendet. +Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht +nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum +betet er fleißig für sie, während sie auf seinem +Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und +Hopp nach Hause fahren. +</p> + +<p> +Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn +sie ihn nicht übertrumpfen kann, steht sogar +im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes +bereitzuhalten. +</p> + +<p> +So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, +und die Baukasse wird kaum einmal magerer. +</p> + +<p> +Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die +Aufrichtung des Hauses vonstattengehen kann. +Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen +nun freilich nicht, und darum entschließt sich +<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> +Erdme auf des Taruttis Rat, bei den Nachbarn +herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten. +</p> + +<p> +„Talka“ heißt auf deutsch „Arbeitsgesellschaft“, +und auf solchen gemeinsamen Hilfeleistungen +beruht vieles, was unter diesen armen Menschen, +die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, +an Tüchtigem zustandekommt. Dafür erweist +man sich dann später dankbar, wenn der Ruf an +einen selber ergeht, und alles schließt mit einer +fröhlichen Bewirtung, so viel oder so wenig der +Bittende zu geben vermag. +</p> + +<p> +Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand +die Häuser, in denen sie vorsprechen kann, und +die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt +einer, der hilft <em>nicht</em>, aber dort wohnt einer, +der hilft, weil man ihm selber geholfen hat. +</p> + +<p> +Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf +der anderen Seite des Weges sein kleines Anwesen +hat, geht Erdme zuerst. +</p> + +<p> +Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen +und ist weit in der Welt herumgewesen. +Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm +bekannt sein, so daß er schon manchem der Langeingesessenen +einen guten Ratschlag hat geben +können. +</p> + +<p> +Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu +Mitte der Dreißig, der die Gewohnheit hat, beim +Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und +<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> +dabei zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie +er die Erdme daherkommen sieht, die frisch von +der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und +aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, +macht er große Augen vor ihrer Glieder Pracht, +um dann erst — gleichsam erschrocken — den Blick +von ihr wegzuwenden. +</p> + +<p> +Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes +Litauisch, etwa wie die Pfarrer sprechen, die +es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt +aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist +gut und höflich zu ihr — nur, daß er sie nicht +ansehen kann. +</p> + +<p> +Seine Frau kommt später zum Vorschein. — +Eine Halblitauerin ist auch sie, klein und kümmerlich +— ach Gott, wie sehr! —, mit grauer Gesichtsfarbe +und abgemüdeten Augen. Sie wirft +einen neidischen Blick auf Erdmes kräftige Gestalt, +begrüßt sie dann aber ganz freundlich. +</p> + +<p> +„Wenn wir nun Nachbarn werden,“ sagt sie, +„möge Gott geben, daß Frieden zwischen uns +bleibt.“ Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern +ihren Mann an, der auch vor ihr den Blick zur +Seite wendet. +</p> + +<p> +„An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,“ +sagt Erdme und verabschiedet sich. Sie fühlt sich +zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man +ja sehen kann, das Unglück im Hause sitzt. +</p> + +<p> +Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen +<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> +ist, hat sein Eigentum dicht neben dem +kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase +sitzt und so niedrig ist, daß man bloß auf eine +Fußbank zu steigen braucht, um darüber hinwegzublicken. +Diese Wirtschaft sieht schon etwas +vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an +den grünen Simsenbüscheln rupfen zwei magere +Kühe. +</p> + +<p> +Der Besitzer heißt Smailus und hat vor +kurzem schon die zweite Frau begraben. Er ist +ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an +die Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht +und langhängendem Hetmansschnurrbart, +aber seine Augen haben einen stumpfen +und schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn +nichts anginge. +</p> + +<p> +Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins +Leben, das sich dicht hinter ihm aus dem Hause +drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens +dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, +aber unter dem Halse hat sie eine goldene Brosche +sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins Gespräch und +sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem +ganz kleinen Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei +sie immerhin, und was sie tun könne, um Frischzugezogenen +das Leben zu erleichtern, das solle +gewiß geschehen. +</p> + +<p> +Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine +Ding, das mit dem Maulwerk vorneweg ist wie +<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> +eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht +anders sein kann, und sagt bloß: „Ja, ja, das +Bauen und das Begraben muß man schon immer +gemeinsam verrichten.“ +</p> + +<p> +„In dem Begraben hat er wohl Übung,“ +denkt die Erdme, sich bedankend, und die Kleine +begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich. +</p> + +<p> +Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt +sie, und dann wird sie in die Stadt gehen und +ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein, +wie es in der Kolonie schon viele +getan haben. Vorerst aber muß sie dem Vater +noch eine Frau besorgen. So eine schöne und +starke wie Erdme wäre ihr schon recht — aber +Geld muß sie haben —; die zweite, von der sie +die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt — +bloß nicht genug —, und ob Erdme nicht eine +weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann. +</p> + +<p> +Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der +Kleinen schlägt ihr aufs Herz wie ein starker +Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen +Lebens vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch +ihr Schicksal liegt nun bereits so steinern fest, +daß keiner auf der Welt mehr daran rühren +kann. Wie eingesunken in diesen Moorschlamm +liegt es, der keinen Grund und Boden hat und +nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen +Wurzelfäden umwindet. +</p> + +<p> +<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> +Die Kleine heißt Ulele. „Das ist ein altertümlicher +Name,“ sagt sie, „den ich natürlich +nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen +sein wird.“ +</p> + +<p> +Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht +ihr traurig und bewundernd nach, wie sie mit +ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich +flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und +die Lumpen flattern an ihr wie zwei Fledermausflügel. +</p> + +<p> +„Für mich ist es nun schon zu spät,“ denkt +Erdme. „Ich muß warten, bis ich Töchter +kriege.“ — — — +</p> + +<p> +Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn +es auch schon älter scheint, doch noch zur Nachbarschaft +gehört. Es macht aus der Ferne gesehen +einen recht kläglichen Eindruck, und gerade +darum möchte Erdme es kennen lernen, denn +sie will wissen, wie man sich hier behelfen +muß, wenn man ganz arm bleibt. Gleichsam +als abschreckendes Beispiel will sie es kennen +lernen. +</p> + +<p> +Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei +gezeigt, und als sie ihn am Mittag noch einmal +fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit +dem Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier +nichts zu mähen gibt. +</p> + +<p> +So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt +er: „Über meine Nächsten rede ich nichts Böses, +<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> +und wenn ich Böses reden müßte, so schweige +ich lieber.“ +</p> + +<p> +Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, +aber als sie gegen den Abend desselben Tages +wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom +Wege aus angerufen. +</p> + +<p> +Sie sieht einen kleinen, alten Mann im +Graben sitzen, der einen Arm voll Weidenruten +neben sich liegen hat und einer gerade mit dem +Taschenmesser die Haut abzieht. +</p> + +<p> +„Was willst du von mir?“ fragt sie, ohne +sich stören zu lassen. +</p> + +<p> +„Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?“ +ruft er herüber. +</p> + +<p> +„Das kann schon sein,“ sagt sie. „Arme zum +Helfen kann man immer brauchen.“ +</p> + +<p> +„Zwei Arme hab’ ich auch,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Gehörst du zur Nachbarschaft?“ fragt sie. +</p> + +<p> +„Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,“ sagt +er, „daß du heute schon zweimal an meinem +Haus vorbeigegangen bist.“ +</p> + +<p> +Und er weist mit seinem Messer gerade auf +das Anwesen hin, von dem der Taruttis durchaus +nicht reden will. +</p> + +<p> +Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, +mit dem sie die Rücke glättet, und tritt näher +auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus zusammengebettelten +Kleidern sich streckend ein +zahnloses, plieräugiges Greisengesicht, dem die +<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> +Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen +Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem +Aussatz klebt. +</p> + +<p> +Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er +aus. +</p> + +<p> +Sie fragt: „Wer bist du denn?“ +</p> + +<p> +„Ich bin ein verdienter Mann,“ sagt er und +fährt fort, seine Ruten zu schälen. „Durch +fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat +tätig gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, +da er mir keine Altersversorgung zahlen will. +Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß Ruten +flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt +werden, die ich ganz ohne Lohn vollbracht +habe ... Übrigens bin ich noch stark bei Kräften, +und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten +willst, so werde ich dir die Balken heben wie +ein Spielzeug.“ +</p> + +<p> +Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt +sie sich auf die abweisenden Worte des milden +Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, +der sie beim Näherkommen befallen hat, und +darum antwortet sie: „Ich danke dir, Nachbar, +für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat +schon ihre volle Zahl.“ +</p> + +<p> +Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt +vom Grabenrand auf und speit ihr seine wilde +Bosheit sozusagen ins Gesicht. +</p> + +<p> +„Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?“ +<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> +schreit er. „Haben die Ohrenbläser +dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner +will mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses +von mir nehmen! Aber ich werd’ es euch +antun! Wenn das Unglück kommen wird, die +große Not, die Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen +werden zu Brei und euer Herd sinken +wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt +sitzen werdet im Schornstein und schreien um +Gnade, dann werde ich lachend anspannen lassen +die Arche Noah und vorüberfahren und lachen +über das Todesquieken eurer Schweine und das +Todesgebrüll eurer Kuh — am meisten aber +werde ich lachen über euch selber, wenn der +Schornstein zusammenfällt und das schwimmende +Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es +sein. Amen.“ +</p> + +<p> +Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten +auf, zieht die zerlumpten Beinlinge über den +Hintern und geht seines Weges, aber immer +noch kehrt er sich um und schüttelt die Faust und +speilt die roten Gaumen. +</p> + +<p> +Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen +von dem höllischen Feuer auf sie niedergefallen. +Wenn das das Ende sein soll, warum bauen +sie dann erst? Und warum haben die anderen +gebaut? Doch deren Häuser stehen ja +noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln +in der Abendsonne. Es ist also wohl der böse +<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> +Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat abschnüren +wollen. +</p> + +<p> +Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als +Jons von der Arbeit kommt und ihr mit Stolz +zeigt, was er alles mitgebracht hat. +</p> + +<p> +Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen +Drahtnägeln, denn ohne die geht’s +nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen +Kornschnaps aus der Schmidtschen Destillation +und alle die Zutaten zu einem +süßen Fladen, der heute noch gebacken werden +muß. +</p> + +<p> +Die Taruttene liefert das Mehl und viele +erbauliche Sprüche dazu, und als die Hähne +krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste +dampfende Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, +wo er die Nacht über Balken behauen hat wie +ein gelernter Zimmermann. +</p> + +<p> +Aber von dem bösen alten Mann sagt sie +ihm nichts. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Und nun ist es wieder Nacht geworden, und +das Haus steht gerichtet. Die vier Kiefernstämme +sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß +rund um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel +hochschoß wie ein Quell, und sind dann durch +die aufgenagelten Latten verbunden. Oben +darauf haben sich Sparren und Sparrbalken zum +<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> +Dachgerüst zusammengefügt, und die künftige +Zimmerdecke ist genagelt. +</p> + +<p> +Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die +viereckigen Stücke der obersten Moorschicht, die +für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger +aber, um später von außen her an die Latten +geklatscht zu werden und so eine mauerähnliche +Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und +Wärme gibt. +</p> + +<p> +Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft +und ruht sich aus. Der fromme Taruttis natürlich +und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der halbdeutsche +Fremdling, und der lange Smailus +mit seiner kleinen Ulele, die ihm meistens das +Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat +sie wie ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, +und wo keiner die Schlinge befestigen konnte zum +Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand +hat sie viel klettern gesehen. Fixes Ding! +</p> + +<p> +Müde sind sie und warten voll Freuden des +kleinen Festes, das der Besitzer ihnen zu bieten +hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem +Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal +reihum. +</p> + +<p> +Nur die Frau des Witkuhn fehlt. „Sie ist +immer elend,“ sagt er, „und muß mit den Hühnern +zu Bette.“ +</p> + +<p> +„Da werd’ ich mich dir wohl bald erkenntlich +zeigen können, Nachbar,“ meint die Erdme. +<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a> +Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes +Gesicht geht rot eine Flamme wie von verbotener +Freude. +</p> + +<p> +Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja +immer, und zum Überfluß steht der Mond ziemlich +hoch. +</p> + +<p> +Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu +singen, damit die bösen Geister das unfertige +Bauwerk nicht umschmeißen können, und das +geschieht denn auch. +</p> + +<p> +Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, +daß auf dem Wege, der wohl hundert Schritte +abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und +her bewegt. +</p> + +<p> +Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den +bösen alten Mann von gestern. Die Stimme +zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den +heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, +bis sie zu Ende sind, dann weist sie mit der Hand +auf den Schatten hin, der in dem ungewissen +Mondlicht zu tanzen scheint. +</p> + +<p> +Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht +ein Wort. Es scheint, sie fürchten sich alle. +</p> + +<p> +Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, +bis er fragt, was da los ist. +</p> + +<p> +„Scht“ macht die Taruttene. +</p> + +<p> +Der lange Smailus grunzt etwas vom +„Kipszas“, dem Satan, und seine Tochter, die +Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: +<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> +„Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich +nicht gebeten hätte, heute zur Talka zu kommen, +denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.“ +</p> + +<p> +Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern +mit ihm begegnet ist. +</p> + +<p> +„So versucht er es immer aufs neue,“ +sagt Taruttis, „denn der Arme kann es nicht +verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu +schaffen macht.“ +</p> + +<p> +Jons fragt: „Warum tut man es nicht?“ +Und Erdme meint, abscheulich genug sehe er +ja aus, aber das könne unmöglich allein die +Schuld daran tragen. +</p> + +<p> +Und da erfahren sie beide seine furchtbare +Geschichte. Sie ist weit furchtbarer, als Menschen +sich ausdenken können. +</p> + +<p> +Als ein überführter und geständiger Raubmörder +hat er fast sein ganzes Leben im Zuchthaus +zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode +geschleift, mit dem er zusammen nächtlicherweile +auf einem Wagen gefahren war, und +zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit +dem einen Ende um die Radfelge, mit dem +anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, +als er nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen +ist, hat er dasselbe Kunststück noch einmal +probiert — an einem Fuhrmann, den er auf +stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden +hatte. Aber diesmal ist es ihm mißglückt, +<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> +denn dabei war ihm die eigene Hand +ins Rad hineingeraten. Darum hat er auch +den Dusel gehabt, trotz der Wiederholung solch +einer Untat noch einmal herauszukommen. +Und nun haust er wie ein Dachs in seiner Kate, +die er sich als junger Mensch gebaut und in +der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen +Vorrichtungen gegen die Überschwemmung +versehen hat. Worin sie bestehen, +weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm +hinein; von außen aber liegt an der Wand eine +schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis +zum Fenster hinauf alles verbirgt. +</p> + +<p> +Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und +doch läuft es ihr einmal nach dem anderen kalt +über den Leib. Und während der alte Raubmörder +in seiner Sehnsucht nach Menschen dort +auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie so leise wie +die anderen, mit was für fürchterlichen Worten +er ihr die künftige Wassersnot ausgemalt hat. +</p> + +<p> +Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe +Frage, die ihr seit gestern wie ein Mühlrad im +Kopfe herumgeht: „Wenn die wirklich einmal +kommen wird, warum bauen wir uns erst hier an?“ +</p> + +<p> +Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit +her ist, das Wort und sagt beinahe feierlich: +„Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute +sind und eine Zuflucht nötig haben. Wo anders +gibt man uns keine, sondern hetzt uns herum.“ +</p> + +<p> +<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> +Und dann erzählt er, wie schon zweimal das +Hochwasser unermeßlichen Schaden verursacht +hat und daß es für die Zukunft immer häufiger +zu befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: +durch die Urbarmachung sterbe das Torfmoos +ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr +zu Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber +zu einer Gefahr, die mit Vernichtung bedrohe, +was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich +geschaffen hat. „Aber darum arbeiten wir doch +ruhig weiter,“ sagt er zum Schluß und zieht +den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen +fühlt, „denn wir lieben dieses Stückchen +Erde, das für die anderen zu schlecht ist und wo +uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben +auch die, die das gleiche mit uns tun und erdulden.“ +</p> + +<p> +„Und wir lieben auch den lieben Gott,“ sagt +der fromme Taruttis, „der Gutes und Böses +über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der +Mensch sogar ein Mörder wird.“ +</p> + +<p> +Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, +denn er hat lauter gesprochen als die anderen, +aber da ist das graue Gespenst schon fort. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Wie macht man einen Herd? Wie baut man +einen Ofen? Der Boden trägt ja nichts. Willst +<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> +du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er +nach und schluckt es langsam unter. +</p> + +<p> +Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle +Nücken und Tücken des Moores. Und er ist +immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber +nicht etwa von selber kommt er. Wie ein +furchtsamer Hund schleicht er sich um die +Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. +Und ruft man ihn nicht, so geht er von +dannen. +</p> + +<p> +Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer +von den Deutschen benimmt er sich nicht, die +immer eine große Schnauze haben und die Litauer +als Vieh ansehen. Und er verkehrt auch +nicht mit ihnen, soviel ihrer auch auf der Kolonie +herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem +eine Heimat fehlt. +</p> + +<p> +Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. +Schleppt sich ’rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag’. +Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre +das nötigste oft nicht getan. +</p> + +<p> +Und nun ist ja auch die Erdme da. Die +knapst sich manche Viertelstunde ab, um für sie +Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen +auf dem Felde ist. +</p> + +<p> +„Wenn mein Kindchen noch lebte,“ sagt sie, +„dann könnte es mir schon in manchem behilflich +sein.“ +</p> + +<p> +Aber das war ja schon in der Geburt gestorben +<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> +und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen, +so daß er nie mehr ganz heil ward. +</p> + +<p> +Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau +mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin. +</p> + +<p> +Und dann ist noch das Unglück da, von dem +<em>sie</em> nicht spricht und <em>er</em> nicht spricht und das +man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof +nur in die Nähe kommt. +</p> + +<p> +„Ja also,“ sagt der Witkuhn eines Tages, „den +Herd baut man so: Man kauft sich“ — er sagt +„kauft“, „holen“ sagt er nicht — „man kauft sich +den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine +Kiefer darf es nicht sein, denn deren Wurzel +ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, +als wäre er nicht gewesen. Eine Tanne muß es +sein — deren Wurzel hat Querläufer nach allen +Seiten — die legen sich wie Riegel vor, wenn +der Stubben einsinken will. So trägt er vielleicht +den Herd, und ein anderer trägt auch den Ofen.“ +</p> + +<p> +Der Jons streift also nachts durch die Wälder +und sucht die Stellen, wo Tannen gerodet +werden. Solche Stellen sind selten, denn die +Tanne ist ein kostbarer Baum, nicht so gemein +wie die Kiefer. +</p> + +<p> +Er sucht, und er findet. Und wieder leiht +der Taruttis den Handwagen, und beide ziehen +aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei +Meilen weit. Der preußische Staat ist reich. +Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat, +<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a> +was macht ihm das? Und auch den zweiten +kann er noch leidlich entbehren. +</p> + +<p> +Aber noch mehrere müssen daran glauben, +denn die Schlammschicht ist tief. Einer muß +über den anderen gelegt werden, und dann erst +hält der Grund so fest, daß man mit Ziegeln und +Lehm darauf arbeiten kann. +</p> + +<p> +Aber die Ziegel kann man leider nicht +„holen“, denn der Herr Ökonomierat, dem der +große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter +und hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute. +</p> + +<p> +Vielleicht versucht man es also mit Betteln. +Denn weit und breit weiß jeder, welch ein guter +und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat +ist. +</p> + +<p> +Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in +dem großen Saal, der mit Bücherregalen gefüllt +ist von einem Ende bis zum anderen. Man +kann sich nicht vorstellen, daß es so viele Bücher +gibt auf der Welt. Aber es ist kein „Bagoszius“ +— kein Geldprotz —, der zu ihnen spricht, +sondern er ist freundlich und leutselig und wischt +sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt +sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. +Die sehen einen durch und durch. +</p> + +<p> +„Schenken werd’ ich euch die Ziegel nicht,“ +sagt er, als sie ihre Bitte vorgebracht haben, +„denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher. +Aber verkaufen werd’ ich sie euch.“ +</p> + +<p> +<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> +Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten +sie ja einfach aufs Kontor gehen können. +</p> + +<p> +„Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis +sagen.“ +</p> + +<p> +Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: +Vielleicht probiert man es doch mit dem „Holen“. +</p> + +<p> +Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl +er litauisch spricht, beinahe so gut wie sie selber. +Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst lachen +sie hell auf. +</p> + +<p> +<em>Ob</em> sie singen können! +</p> + +<p> +„Könnt ihr auch Märchen erzählen?“ +</p> + +<p> +Fünfhundert können sie erzählen. Tag und +Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang +können sie erzählen. +</p> + +<p> +„So viel will ich gar nicht wissen,“ sagt er. +„Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn +Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter +finde. Und dann könnt ihr euch Ziegel +auf die Karre laden, soviel ihr braucht.“ +</p> + +<p> +Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, +damit sie den nötigen Mut bekommen, und dann +geht’s los. +</p> + +<p> +Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich +wieder abbrechen. Aber das vierte ist ihm neu, +das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, die +die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf. +</p> + +<p> +Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen +Ziegelmeister, und damit haben sie sich Feuerstatt +<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> +und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige +Lehm muß ja freilich doch noch gemaust +werden, aber den liefert zur Nachtzeit +die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, +und das Strauchwerk, das als Halt in die Brandmauer +gepackt werden muß, kann man sich ringsum +von den Weidenbüschen schneiden. +</p> + +<p> +So steigt die Mauer bald bis zur Decke. +</p> + +<p> +Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle +daran, auf der anderen der Ofen. Sehr +schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten +Kacheln würde sich sicher weit besser machen, +und gerade steht er ja auch nicht, aber wärmen +wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin +prasseln. +</p> + +<p> +Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt +man im Rauch. +</p> + +<p> +Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon +geschnitten. Wenn man nur weiter wüßte! +</p> + +<p> +„Bei Schmidt auf dem Hofe,“ sagt der Witkuhn, +„liegt ein Haufen von rostigen Kannen. +In denen ist früher Petroleum gewesen. Da +kostet jede zehn Pfennig. Davon kauft euch ein +Dutzend.“ +</p> + +<p> +Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei +noch mit durch. +</p> + +<p> +Aber nun weiter! +</p> + +<p> +Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus +Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit +<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> +dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch +die Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird +durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt, +daß sie die Sparren noch überragt. Dann +wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, +— und siehe da! der Schornstein ist +fertig. +</p> + +<p> +Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, +wie qualmt das — und stinken tut es nicht weniger +— vor allem nach Leim und Petroleum, +aber das wird sich schon legen. +</p> + +<p> +Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen +hat, findet er schließlich den richtigen Weg und +entfernt sich gefälligst dorthin, wo es schnurgerade +in den Himmel geht. Wenn er es im +Winter ebenso macht, ist die Stubenwärme gesichert. +</p> + +<p> +Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und +Dach das ihrige tun. Die Hauswand — das +ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der +kluge Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie +niemals fertig. +</p> + +<p> +Aber wie können kluge Leute so ängstlich +sein? Er wartet ja bloß darauf, daß die Erdme +ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch. +</p> + +<p> +Die viereckigen Moorfladen, die man an die +Bretterwand preßt, halten wohl fest, solange sie +feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab, +wie Sandbrocken fallen. +</p> + +<p> +<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a> +Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der +schlechtesten Latten noch eine zweite Wand — +fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die +ist ganz luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. +In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die +Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich +selber beruhen. +</p> + +<p> +Nach ein paar Wochen kann man die Latten +wieder entfernen. Nur zur besseren Sicherung +läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde +geklemmt, denn es werden die Winterstürme +kommen, und der Sturzregen wird wühlen +und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen. +</p> + +<p> +So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß +und alles kennt, und sieht an Erdme vorbei, und +das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren. +</p> + +<p> +Wenn sie mit ihm allein ist — und das geschieht +fast alltäglich —, dann hat sie stets ein +Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu +dem noch was Anderes hinzukommt, das ihr das +Herz beklemmt. Es ist, als hätte sie Angst vor +<em>seiner</em> Angst, denn Angst hat er immer, das +ist ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. — +</p> + +<p> +Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich +den guten Nachbar erhalten. +</p> + +<p> +Nach der Hauswand das Dach! +</p> + +<p> +„Jons, bring Rohr!“ Es können auch Binsen +sein — oder beides zusammen. — An Rohr und +<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> +Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn +auch das Moor selbst sie nicht liebt — oder sie +nicht das Moor, was auf dasselbe herauskommt. +Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, +und alle sind sie mit Röhricht umstanden. +</p> + +<p> +Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat +leichte Last, wenn er hochgetürmt vom Rußufer +daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel, +denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man +es findet, versteht sich von selber. +</p> + +<p> +In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, +so daß man bald ans Dachdecken gehen kann. +Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen +werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für +Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel +dicht neben das andere und preßt es zusammen +und besichelt die Enden. Und unten lauert die +kleine Ulele und reicht ihr zu, denn eine Mannsperson +kann man dazu nicht brauchen, es sei +denn der eigene. +</p> + +<p> +O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun +sieht es schon bald aus wie ein Haus. Aber +noch fehlen die Türen, die Fenster — kein Mensch +kann sich ausdenken, was alles noch fehlt. +</p> + +<p> +Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, +der irrt sich. Eines Tages bringt er zwei Fenster +an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, +nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen +angekohlt sind. Vorige Nacht hat es nämlich +<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a> +in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer +gegangen und hat gesagt: „Verkauf mir den +Kram für zwei Stof Schnaps. Dem Versicherungsinspektor +erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden, +und dann kriegst du neues dafür.“ +</p> + +<p> +Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag +ein, er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf +die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und +auf den Handwagen laden. +</p> + +<p> +Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig +Schritt nach Feuersbrunst, und wer ihm begegnet, +der lacht ihn an, denn er denkt, er habe +es aus dem Brandschutt gestohlen. +</p> + +<p> +So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel +in schweren Verdacht kommen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-7"> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer +durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht +und dann links um die Ecke biegt, so fragt er wohl +seinen Begleiter: „Wer hat sich das hübsche +kleine Hauschen gebaut?“ +</p> + +<p> +Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet +er: „Das ist der Losmann Jons Baltruschat, +der mit seiner jungen Frau im Frühling +zugezogen ist.“ +</p> + +<p> +Und der Fremde sagt wohl: „Das müssen +fleißige Leute sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a> +Aber durch die himmelblaue Tür darf er +bei Jesu Leibe nicht eintreten, denn drin sieht +es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar +nichts. Nicht einmal die Ritzen, die zwischen +den Schwarten klaffen, und die Astaugen darin +sind richtig verschmiert, und überall hängen die +Fasern der Moorschicht. +</p> + +<p> +Doch lange darf die Schande nicht dauern. +</p> + +<p> +Vor allem der Fußboden! Viele wohnen +ja auf dem nackten Moor, und das soll sogar +trocken halten und im Winter gar nicht so kalt +sein. Aber da kennt ihr die Erdme schlecht! +Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein +Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte +zu Fastnacht. Dann werden die Wände verklebt, +und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. +Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, +bunte Bilder ausgehängt. Die preisen +Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt +und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend +andere nützliche Sachen. Und immer +kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf +dem Speicher herumliegen, die bettelt man sich +zusammen. Und die jungen Gehilfen lachen +und holen sie gern. Außerdem war doch — +Erdme besinnt sich genau — in der Rumpelkammer +der Frau Schlopsnies ein Haufen alter +Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen +fünf Erdteilen. Der Niagarafall und die Pariser +<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a> +Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa +und so noch manches andere. +</p> + +<p> +„<em>Liebe</em> Frau Schlopsnies, <em>gute</em> Frau +Schlopsnies, ich hab’ mich so sehr nach Ihnen +gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, +möcht’ ich’s fürs Leben gern nach Ihnen benennen.“ +</p> + +<p> +Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau +Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt. +Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar +die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind +dabei, die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt +hat, als sie noch keine alte Schachtel war und +als Kellnerin hochkommen wollte. +</p> + +<p> +Die sind noch so gut wie neu. Und wenn +die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt, dann +müssen sie genau so angezogen gehen wie alle +diese schönen Damen, die einem das Herz vor +Neid im Leibe umdrehen. +</p> + +<p> +Und nun wird die Stube geschmückt! Bild +neben Bild geklebt, und die buntesten kriegen +die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer +so viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen +muß, und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb, +weil es da oben so kalt ist. +</p> + +<p> +So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl +nirgends. Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt, +aber die sind bloß griesgrau und stammen +aus Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und +<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a> +bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem +Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des +Moorvogts. +</p> + +<p> +Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. +Die Tage werden kürzer, und darum getraut +sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber +wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß, da +braucht sie ihn doch. Denn wenn der Jons +heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel. +</p> + +<p> +Erst will er gar nicht hereinkommen — gewiß +hat er wieder mal Angst —, aber als er die +Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln — +ein Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön +ist — über sein stilles Gesicht. +</p> + +<p> +Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit. +</p> + +<p> +„Ohne dich, Nachbar,“ sagt sie, „hätten wir’s +nie so weit gebracht.“ Und sie legt ihm die +Hände auf beide Schultern. +</p> + +<p> +Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie +ein Taschenmesser, sinkt auf den Bock, wo der +Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht +und weint. +</p> + +<p> +„Was ist? Was ist?“ fragt sie erschrocken. +</p> + +<p> +Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich +zu ihm nieder und streichelt ihn. +</p> + +<p> +Und — was tut er? Er umschlingt ihre Hüften +und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden +Hände und will sie gar zu sich niederziehen. +</p> + +<p> +<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a> +„Nicht doch, Nachbar,“ sagt sie mit einem Blick +auf den Kleistertopf, „so was mußt du nicht tun.“ +</p> + +<p> +Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, +sonst muß er ins Torfloch. +</p> + +<p> +„Schade, Nachbar,“ sagt sie und lacht, wie +sie immer gelacht hat, wenn sie einer hat haben +wollen, „schade, daß du nicht früher gekommen +bist. Als Mädchen nahm ich’s nicht so genau. +Da hat mich bald der geliebt und bald jener. +Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der +Jons und ich, da würde ich mich vor ihm schämen, +wenn er des Abends nach Haus kommt. Außerdem, +wenn du’s wissen willst, in anderen Umständen +bin ich wohl auch.“ +</p> + +<p> +Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, +sich festzuhalten, und geht hinaus wie betrunken. +</p> + +<p> +Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, +denn innerlich hat sie den Nachbar gern. Und +um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr +hängt. Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm +gutzumachen, so hält sie es mit der Frau und +hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes +Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, +aber über das Schwerste ist sie ja weg. +Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, +wenn sie vom Melken kommt. Zur Dienstmagd +aber reicht es auch dort nicht. +</p> + +<p> +Und die Frau sieht sie immer mit großen, +bittenden Augen an, als will sie was sagen. +<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a> +Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch +nachhilft. +</p> + +<p> +Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal +denkt die Erdme: „Jetzt weiß ich’s.“ Aber +das geht wider Natur und Religion, und darum +wirft sie es weit von sich weg. +</p> + +<p> +Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht +mehr in die Nähe, und wenn er vom Felde kommt +und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er +lieber noch einmal um. Sie möchte ihm manchmal +entgegengehen, aber das sähe ja aus, als +ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber. +</p> + +<p> +Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen +werden kann, aber alles Geräte fehlt. Nur die +Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen +Hause steht, ist gleich beim Bauen festgemacht +worden. +</p> + +<p> +Und der Jons kommt immer später. Er +sagt, er habe Überstunden, aber das glaubt sie +ihm nicht. +</p> + +<p> +Der Winter steht vor der Tür, und noch ist +die Bettstatt nicht da und auch kein Tisch und +kein Kasten. +</p> + +<p> +Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, +aber er schüttelt bloß immer den Kopf. +</p> + +<p> +„Mein Gott, mein Gott,“ denkt sie, denn +sie geht mit der Katrike — so wird es heißen, +wenn es ein Mädchen ist — nun schon im vierten +Monat. +</p> + +<p> +<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a> +Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. +Wie andere heimlich nach einem vergrabenen +Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie wohl +dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst +um, ob niemand am Weg ist, und dann kniet +sie rasch nieder und scharrt an <em>der</em> Stelle und +jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem +Vorderfuß klaut, — und siehe da! überall sagt +ihr ein junges Knollchen: „Labsriets“ und „da +bin ich“. — Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß +und nach vierzehn Tagen schon, wie Katrikes +künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen +sie immer noch weiter. +</p> + +<p> +Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht +das mindeste an. Für nichts hat er Sinn und +Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn +liefert er ab. Er kommt und geht — das ist alles. +</p> + +<p> +Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht +weit vom Wege was Liebes angekramt — und +da sitzt er nun wohl die Abende über und wird +sie zum Winter verlassen. +</p> + +<p> +„Dann steck’ ich das Haus in Brand,“ denkt +sie, „und zieh’ hinüber zum Nachbar.“ +</p> + +<p> +Aber eines Abends so um die Michaeliszeit +— da kommt nach Sonnenuntergang ein +Einspänner den Weg entlang — beladen mit +allerhand Zeug — man weiß nicht recht was. +Und neben dem Fuhrmann sitzt einer — der +hat so breite Schultern wie Jons — und sieht +<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a> +auch sonst aus wie Jons — und schließlich ist es +auch Jons. +</p> + +<p> +Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg +und tut, als will er aufs Moor einbiegen. Aber +das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine +Schuhe an und würde versinken bis an den +Leibgurt. +</p> + +<p> +Und wie sie herzuläuft — um Gotteswillen, +was sieht sie da? Hoch auf dem Wagen steht +ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten +und gelben Blumchen, und eine Bettstatt ebenso +grün, und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen, +und sogar — man kann es nicht fassen, ob auch +das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit +feurigen Nadeln — ein Spiegel ist da! — +Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel! +</p> + +<p> +Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, +und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so +schwierig. +</p> + +<p> +„Ist das für uns?“ schreit sie ihn an. +</p> + +<p> +Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht +hat, und reicht ihr den Spiegel herunter. +Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar +zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, +die Rágana selber. +</p> + +<p> +Und sie kuckt in den Spiegel — der spiegelt +zwar nicht — aber es ist doch ein Spiegel. +</p> + +<p> +Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, +aber die Bettstatt muß auseinandergenommen +<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a> +werden, denn die Tür ist zu schmal, +und der Tisch geht erst recht nicht hindurch. Aber +schließlich steht alles an seinem Platz, und der +Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk. +</p> + +<p> +Nur schade! Stockfinster ist es geworden. +Selbst die Blumchen der Schranktür sind nirgends +mehr zu erkennen. +</p> + +<p> +Da sagt der Jons: „Was du wohl denkst! +Das Schönste ist immer noch draußen.“ +</p> + +<p> +Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im +Leben hat sie gedacht, daß man so klein dastehen +könne neben dem eigenen Mann. +</p> + +<p> +Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und +was bringt er getragen? Eine Lampe. Eine +richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und +Glocke, wie sie im Hoffmannschen Laden im +Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube +der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. +Dort hatten sie alle bloß blecherne +Schilder. +</p> + +<p> +Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht +da und läßt sich bewundern. +</p> + +<p> +Wie hat das zugehen können? +</p> + +<p> +Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter +sind aus der Sägemühle, das ist klar. Aber +weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem +Holzplatz seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn +gefragt, wie man wohl am besten zu einer Einrichtung +kommen könne. Da hat der Tischler +<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a> +sich erst umgesehen und dann gesagt: „Wer mir +beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht etwa +zu kurz komme, dem werd’ ich nach Feierabend +zur Hand gehen und ihm zeigen, wie er es macht.“ +Nun, der Tischler Kuntze ist <em>nicht</em> zu kurz gekommen. +Im Gegenteil. Und zum Dank dafür +hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt +arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. +Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen +für Licht und für Ölfarbe, und noch heute können +sie ’rüberziehen und im eigenen Heim wohnen +wie jeder Besitzer. +</p> + +<p> +So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es +müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen, +wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen. +</p> + +<p> +Und sie kommen vorwärts. +</p> + +<p> +Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. +Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen +satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos +ist, erhebt sich alsbald ein Abschlag mit +Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden. +Darin hat das Schweinchen Platz und +später wohl auch eine Ziege, deren Milch man +als Wöchnerin ungern entbehrt. Im Sommer +nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter +aber muß vorgesorgt werden. +</p> + +<p> +Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher +Finsternis hinter den Fudern daherläuft, +die auf der Chaussee von den Wiesen kommen +<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a> +und Gott sei Dank bloß in kurzem Trab fahren — +sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen +nicht folgen können. Das Verstreute sammelt +man auf dem hinterher fahrenden Handwagen, +so rasch es nur geht, denn unverschämte Diebe +gibt es genug, die einem das sauer Erworbene +vor der Nase wegschnappen wollen. Manchmal +findet man die Plätze hinter den Fudern +bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen +prügelt man sich herum, oder man einigt sich +besser in Güte. +</p> + +<p> +So wird allmählich der Bodenraum voll. +Nur für die Heizung muß Platz bleiben. Um +die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das +Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch +diese Pacht schuldig geblieben — genau so wie +jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt +ja nicht. Warum soll man ihm also entgegenkommen? +</p> + +<p> +„Er wird schon mahnen,“ lacht die kleine +Ulele. „Er hat ein dickes Buch. Darin steht +alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen +Richters. Was ehrlich erworben ist und was +nicht. Es steht alles darin.“ +</p> + +<p> +Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie +eine Maus und sinkt nach hinten zurück. Aber +das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. +Und so entschuldigt sie’s auch bei der kleinen +Ulele. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-8"> +<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Der Winter kommt wie alles Schlimme +früher, als man sich’s denkt. +</p> + +<p> +Eines Morgens zu Anfang November ist das +Moor gefroren wie ein Brett. Bis dahin hat man +im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr. +</p> + +<p> +Der Handwagen des frommen Taruttis, der +so viel Unfrommes mit angesehen hat, ist ihm +zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, +die Jons vom Markte gebracht hat. +</p> + +<p> +Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt +sich und klingt, wenn man auf dem Moore daherkommt. +Die Torfziegel, die Erdme alle selber +gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. +Obwohl sie sie mit Rohr bedeckt hat +gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer +nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, +brennen werden sie doch, und der Qualm geht +zum Schornstein hinaus. +</p> + +<p> +Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach +Haus kommt, findet er die Stube so voller Rauch, +daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und +auf dem Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet. +</p> + +<p> +Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei +ist, lacht und sagt: „An den Rauch gewöhnt +man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken +wir, unten versinken wir und sind ganz lustig +dabei.“ +</p> + +<p> +<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a> +Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man +kaum mehr, ob es raucht oder nicht, wenn man’s +nur warm hat. Und das ist die Hauptsache. +</p> + +<p> +Denn Tage brechen herein, so naß und so +kalt, daß einem das Herz im Leibe erklammt, +wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer +ist, der suppende Nebel oder der rotklare +Frost, die fegenden Schneestürme oder der windstille +Rauhreif, — man weiß es wahrhaftig kaum; +nirgends friert man so wie hier auf dem Moor. +Die Kälte auf der Spitze des Monte Rosa muß +dagegen ein Kinderspiel sein. +</p> + +<p> +Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee +kam, der Zufahrtssteg angelegt und mit kleinen +Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde +der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, +nicht wissen, wo er abbiegen muß, so verstiemt +ist alles in Weite und Breite. — Selbst das +Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee +und muß am Morgen ausgeschaufelt werden, +damit man weiß, daß es Tag ist. +</p> + +<p> +Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. +Nur das Ferkelchen muß sie versehen, das prächtig +gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, +könnte man pökeln für Jahre. Aber so üppig +leben wir nicht. Wir sind froh, wenn wir ab und +zu einen Hering haben. Das Schwein wird, +wenn es fett ist, an den Schlachter verkauft, +und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital +<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a> +für die künftige Kuh. Aber das sind +noch Zukunftsträume. Fürs erste wollen wir +mit der Ziege zufrieden sein. +</p> + +<p> +Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, +frißt mit aus dem Schweinetrog und stößt, wenn +man sie melken will. +</p> + +<p> +Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt +ihre Milch so großmütig her, wie nur eine kann, +deren Haltung nichts kostet. — +</p> + +<p> +Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist +das Gefangensein. Man kuckt nach rechts — +man kuckt nach links — alles ist weiß, alles ist +weit, und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem +Wege, um zu zeigen, daß es noch Dinge gibt +auf der Welt, die anders aussehen als weiß. +Die Häuser der Nachbarn stehen ja da, aber sie +sind fast ganz in Schneefluchten versunken, und +nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt’s auf +dem Dach einen graulichen Flecken. +</p> + +<p> +Man kann sich kaum vorstellen, daß dort +überall Menschen wohnen, denn niemals sieht +man einen, und man geht auch nicht gerne +hinüber. +</p> + +<p> +Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber +kaum mehr, wie eine fremde Menschenstimme +sich anhört. +</p> + +<p> +Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie +geht auf Freiersfüßen. Wenn sie zum Frühling +eingesegnet wird, muß der Vater schon seine +<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a> +Frau haben. Denn dann will sie in die große +Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, die +hat dreihundert Taler, und eine andere, die +hat noch mehr. Aber an der hängen zwei Kinder, +deren Vater sie manchmal besucht. Und die +Ulele meint mit Recht, das werde Streitigkeiten +geben, wenn sie selbst als Vermittlerin nicht +mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die +erste wählen, aber der muß noch viel zugeredet +werden, denn sie fürchtet, der Weg der Vorgängerinnen +werde alsbald auch der ihrige sein. +</p> + +<p> +So hat man seine Sorgen, auch wenn man +noch Kind ist. +</p> + +<p> +Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit +Monaten nichts mehr gesehen, und die Hilfeleistung +bei seiner Frau muß die kleine Ulele für +sie mit übernehmen. +</p> + +<p> +Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an +den man sich halten kann. An jedem Sonntagabend +gibt’s eine Versammlung bei ihm. Zu +der kommen die Gebetsleute weit und breit, +und manchmal sind Stube und Vorflur so voll, +daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht +der eisige Wind wie mit Peitschenhieben über +die Köpfe. +</p> + +<p> +Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder +werden gesungen, Sündenbekenntnisse abgegeben, +und meistens kriegt der heilige Geist +einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht +<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a> +und mit Zungen redet, während die anderen +horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes +Sonntagsvergnügen. +</p> + +<p> +Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme +noch nicht, denn das Abtun des Irdischen ist +wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden +als Gäste geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung +auch ihnen nicht ausbleiben kann. +</p> + +<p> +Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen +und Weststurm. Dann hat der Schnee sich gelöst, +und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann +riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und +doch sind gar wenige Pferde ringsum. Nur der +Wohlhabende kann sich eins halten. +</p> + +<p> +Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn +die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr Pferdchen nicht +fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, +aber kommen wird es gewiß, genau wie das +Fettschwein gekommen ist, um das der Schlachter +schon lange herumstreicht. +</p> + +<p> +Aber vorerst wird was Anderes kommen — +etwas, das einst in Samt und Seide gehen +wird und wofür der Sohn eines Gendarmen +schon längst nicht mehr gut genug ist. Ein großer +Besitzer muß es sein, wie die reichen Herren +der Niederung, die hundert Kühe halten und +deren Käsereien mit Dampf betrieben werden. +Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst +der Jons mit sich handeln läßt. +</p> + +<p> +<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a> +Um Mitte März kann das Kleine schon da +sein. Und der März steht vor der Tür. Die +Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, +und wenn mittags die Eiszapfen tropfen, klingt +es wie Frühlingsmusik. +</p> + +<p> +Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. +Mühselig schleppt sie sich ins Haus. Die Erdme +ist noch ein Wiesel dagegen. +</p> + +<p> +„Nachbarin,“ sagt sie. „Ich weiß, deine +Stunde wird bald kommen. Ich hab’ eine Bitte +an dich.“ +</p> + +<p> +„Was für eine Bitte?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +„Sieh mich an,“ sagt sie darauf. „So quiem’ +ich nun schon an die zehn Jahr. Und die Wirtschaft +kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott +ein Einsehen, so würd’ er mich zu sich nehmen, +damit der Witkuhn sich nach etwas Besserem +umsehen kann. Aber so werd’ ich ihm zur Last +liegen, wer weiß wie lange.“ +</p> + +<p> +Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was +man so sagen kann. +</p> + +<p> +„Darum sollst du mir das Versprechen geben,“ +fährt sie fort, „daß du es bei der Hebamme nicht +bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor +bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.“ +</p> + +<p> +„Um Gotteswillen!“ schreit die Erdme ganz +erschrocken. „Das kostet zehn Mark!“ +</p> + +<p> +„Das haben wir auch schon überlegt,“ meint +die Nachbarin, „und der Witkuhn hat gesagt, +<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a> +wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt +er mit Freuden.“ +</p> + +<p> +Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an +das, was im Frühherbst passiert ist. Und sie +sagt: „Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel +haben wir selber. Nur sollt’ es für die Kuh +gespart bleiben.“ +</p> + +<p> +„Die Kuh kann krepieren,“ sagt die Witkuhn, +„und dann spart man sich eine neue. Aber wenn +man selbst zuschanden ist, dann spart man sich +keine mehr.“ +</p> + +<p> +<em>Die</em> Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und +sie gibt das Versprechen. Sie kann es ruhig +tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem +Fuhrwerk werden wird, weiß sie noch nicht. +Denn wenn der Doktor sich selbst eins bestellt, +so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat +auch dafür schon Rat geschafft. Er hat mit einem +der besseren Besitzer gesprochen, und der wird +sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so +weit ist. +</p> + +<p> +Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und +schreit wie ein Tier. Seit Stunden folgt eine +Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm +aus dem Leibe reißen. +</p> + +<p> +Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, +anzusehen wie ein rotbärtiger Riese — Perkuhn, +der Donnergott, muß so ausgesehen haben —, +und blickt aus großen, rollenden Gottesaugen +<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a> +auf sie herab und sagt mit einer Stimme, bullrig +und gut wie abziehendes Ungewitter: „Na—a? +Kommt es denn immer noch nicht?“ +</p> + +<p> +Nein, es kommt immer noch nicht. Und +kommt auch die ganze Nacht hindurch nicht. +Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine +Knie zu fassen und kneift sich darin fest, daß er +lachend schreit: „Wirst du wohl loslassen!“ +Aber sie kneift nur noch fester. +</p> + +<p> +Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher +gewesen als die Decke des Zimmers; nur ganz +gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und +auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke +sitzt, erscheint er noch immer so groß wie etwa ein +Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er langsam +kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird +er kleiner. — +</p> + +<p> +Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie +mit einmal: „Für zehn Mark wird er das gar +nicht machen.“ Und sie fängt vor Angst und Ungeduld +zu weinen an, weil es so teuer wird. +</p> + +<p> +Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen +Schmerzen sind, die ihr die Tränen zum +Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die +Hand beklopft, da ist er schon ganz klein. +</p> + +<p> +Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht +und kippt mit seinem mächtigen Schmerbauch +nach hinten zurück, so daß die Beine hoch +in der Luft herumrudern. +</p> + +<p> +<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a> +Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht +und der Moorboden haben dem mächtigen Körper +nicht standhalten können, und die vier +Beine der Hocke sind unter ihm in die Tiefe +gesunken. +</p> + +<p> +Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht +und lacht, und aus dem Lachen heraus kreischt +sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke +geschnitten, und — wupp! — ist die Katrike da! +</p> + +<p> +Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons +demütig die Mütze in der Hand und fragt ihn, +was es wohl kostet. +</p> + +<p> +Da sieht er sich in der Stube um, besieht den +grünbunten Schrank und den goldrahmigen +Spiegel und sagt: „Nun, nun, ihr scheint ja ganz +wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also“ +— der Erdme steht das Herz still vor Angst — +„gebt mir also — drei Mark.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme denkt jubelnd: „Wenn das +so billig ist, krieg’ ich nächsten Frühling ein +zweites.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +Man müßte lügen, wollte man sagen, daß +das nun folgende Jahr für den Jons und die +Erdme kein gesegnetes gewesen sei. +</p> + +<p> +Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh +zieht ein. — Sie ist die klügste, die schönstgefärbte, +die milchreichste Kuh, die es auf Erden +<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a> +je gegeben hat. Die Milch muß morgens und +abends zur Sammelstelle getragen werden und +bringt manchen nützlichen Groschen. Das +Schlimme ist nur, daß es an Futter fehlt, denn +auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst, +wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine +Bewohner helfen sich dadurch, daß sie im Umkreis +— bis über den großen Strom hin — jedes +Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist. +</p> + +<p> +So geht auch Jons auf die Suche, findet +aber nichts, was nahe genug gelegen wäre, +daß man das Heu auf der Karre heimschaffen +könnte. +</p> + +<p> +In all den Sorgen muß also wohl oder übel +der Moorvogt heran, der ja am besten Bescheid +weiß. +</p> + +<p> +Sie tun also so, als hätten sie <em>kein</em> schlechtes +Gewissen, stecken für alle Fälle die schuldig gebliebene +Pacht in die Tasche und gehen zu ihm. +</p> + +<p> +Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt +dann ein großes Buch auf — das Buch gewiß, +in dem all ihre Sünden stehen — und sieht +sie darauf wieder an. +</p> + +<p> +Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, +und er denkt: „In Gottes Namen.“ Damit +zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt +sie auf den Tisch. „Schad’ um das schöne Geld,“ +denkt die Erdme. Aber wenn man so angesehen +wird, was kann man da machen? +</p> + +<p> +<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a> +„Es war Zeit,“ sagt der Moorvogt — weiter +nichts — und schreibt ein Zeichen in das Buch. +</p> + +<p> +Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen +Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und sagt +mit Würde: „Die Pacht fürs zweite Jahr wird +auch bald da sein.“ +</p> + +<p> +„<em>Das</em> wär’ nun nicht nötig gewesen,“ denkt +die Erdme, aber weil es doch mal heraus ist, +will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt +hinzu: „Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen +erfüllen wir pünktlich.“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als +will er ein Prusten verstecken, und der Erdme +wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit +dem Manne nie, wie man dran ist. +</p> + +<p> +Er breitet eine große Plankarte aus und fragt +dann: „Wieviel Kartoffelland nehmt ihr dieses +Jahr in Arbeit?“ +</p> + +<p> +„Wenn’s Glück gut ist,“ sagt die Erdme, +„wird die Hälfte von dem Gepachteten fertig.“ +</p> + +<p> +Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder +eine Weile an und sagt dann: „Für ordentliche +Leute hab’ ich immer noch ein Stückchen Wiese +bereit, das nicht zu weit liegt.“ +</p> + +<p> +„O Gott, o Gott,“ denkt die Erdme. „Wie +erträgt der Mensch so viel Glück? Erst die +Wiese und dann auch noch gelobt werden.“ +</p> + +<p> +„Außerdem,“ fährt der Moorvogt fort, „ist +der Fiskus bereit, Ansiedlern, die sich bewähren, +<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a> +zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel +unter die Arme zu greifen. Das gibt +dann die doppelte Ernte.“ +</p> + +<p> +Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt +das Heulen, rennt hinaus und rennt schnurstracks +nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. +Dann wirft sie sich über die Wiege der kleinen +Katrike und erzählt ihr die ganze Geschichte. +Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher +einmal in Samt und Seide gehen wird, erzählt +sie ihr auch. +</p> + +<p> +Wie der Jons nachkommt, der inzwischen +alles festgemacht hat, fällt ihr ein, daß der Moorvogt, +wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen +Fahrten unmöglich was wissen kann. +Die kleine Ulele hat sie gewiß umsonst in Angst +gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine +Grenzen. +</p> + +<p> +Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß +angelegt werden, sonst wird’s für den Sommer +zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht +da, Weidenruten tun’s auch. Wenn die bloß +nicht immer von neuem losgrünen wollten. +Tag für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, +sogar die Brandmauer zwischen Kochherd +und Ofen schlägt noch einmal aus, weil +die Ruten, die ihr den Halt geben sollen, sich in +dem Glauben befinden, sie seien zu neuem +Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt. +</p> + +<p> +<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a> +So will alles leben und gedeihen, selbst +wenn es längst tot ist. Und der Jons und die +Erdme sollten <em>nicht</em> gedeihen, in denen doch +Leben steckt für zehne? +</p> + +<p> +Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch +und Fenchel werden gesät, vor allem aber die +Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. +Denn wenn die Katrike heiratet, muß sie sich +ihren Kranz aus dem eigenen Garten winden. +Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht +anders. — — +</p> + +<p> +Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles +zum dritten Mal Hochzeit. Die Kleine hat viel +Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die +sie der künftigen Stiefmutter beibrachte, daß +sie selbst einmal etwas sehr Reiches werden wird, +hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben. +</p> + +<p> +Sie ist eine hübsche Person zu Ende der +Zwanzig mit einem gutherzigen und gekränkten +Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen +deutschen Kleide und einer Jettbrosche unter +dem Halse, sieht sie aus, als ob sie gekommen +wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber +die kleine Ulele weicht ihr nicht von der Seite +und erzählt ihr immer aufs neue, wie herrlich +hier alles bestellt ist und was für vornehme +Gäste die Stube erfüllen und daß es für ihre +dreihundert Taler eine bessere Verwertung nicht +gebe. +</p> + +<p> +<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a> +Der große Smailus dagegen streicht seinen +rundbogigen Schnurrbart, sieht kühn in die +Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, +dies sei nun schon seine Dritte. Und hernach, +wie er betrunken ist, setzt er hinzu, wenn daraus +eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es +ganz recht. Aber da hat ihn die Ulele bald +beiseite geschafft. +</p> + +<p> +Abends spät, wie viele der Gäste schon weg +sind und die verlassene junge Frau aus dem +Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, +als möchte sie rasch wieder anspannen lassen, +da nimmt die kleine Ulele die Erdme beiseite +und sagt: „Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach +der Stadt, um das Nähen und die Putzmacherei +zu erlernen, denn das muß immer das erste +sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen +kann. Aber ich seh’ ein, ich kann die Stiefmutter, +bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz allein lassen. +Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. +Von dort wutsch’ ich des Abends manchmal herüber +und red’ ihr gut zu. Dich, Erdme, aber +bitt’ ich, daß du oft um sie bist. Der Vater +meint es nicht schlecht, aber sein Wesen könnt’ +sie verschrecken.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme verspricht es und denkt: +„Zusammen mit der kranken Witkuhn sind es +schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.“ +</p> + +<p> +<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a> +Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge +Frau und erzählt, wie verzagt sie einmal gewesen +ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen +sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte. +</p> + +<p> +Und die junge Frau meint traurig: „Aber +deiner war jung und war auch kein Witmann.“ +</p> + +<p> +Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt +sie sie bloß und hält ihr die Hände. Und langsam +beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten +Fladen. +</p> + +<p> +Der Witkuhn ist auch da — ohne die Frau —, +aber er spricht die Erdme nicht an. Sie muß +selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten +erinnern. +</p> + +<p> +„Es war doch so hübsch, Nachbar,“ sagt sie, +„darum komm nur immer herüber. Was nicht +sein soll, das hab’ ich vergessen.“ +</p> + +<p> +Er sagt: „Du bist gut gegen die kranke Frau +und darum auch gut gegen mich. Ich bete für +dich am Morgen und Abend, aber kommen — +das kann ich nicht.“ +</p> + +<p> +Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen +gehen soll, und nimmt sich vor, ihn nächstens +kirre zu kriegen. +</p> + +<p> +Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie +— sie führt ihn natürlich, denn hätt’ er sich nüchtern +gehalten, so wär’s eine schlechte Hochzeit +gewesen —, da sieht sie auf dem Weg den grauen +Schatten herumlaufen, der voriges Jahr, als +<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a> +sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich +ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen +gefahren war. +</p> + +<p> +Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis +und denkt auch an die Wassersnot, vor der +sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz +ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, +wie es geschieht —, sie hätt’ es auch nicht für +möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen +hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt +hat, und es ihm hinreichen. Und sagt: „Da +nimm, Nachbar, und wenn <em>du</em> Hochzeit machst, +gibst du mir auch was.“ +</p> + +<p> +Er greift zu wie ein Verhungernder und +prustet und faucht und läuft rasch davon, als +muß er den Raub in Sicherheit bringen. +</p> + +<p> +Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. +Denn sie denkt, er werde nun ein Recht an sie +haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, +wenn er des Wegs kommt. Und es redet doch +sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme +Taruttis tut es nicht. +</p> + +<p> +Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat +er sie anzuhalten versucht, und manchmal ist +er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. — — — +</p> + +<p> +Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und +Kuh verlangen Wartung, eines so viel wie das +andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da. +</p> + +<p> +Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr +<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a> +schwer, und die junge Frau Smailus muß eingewöhnt +werden, sonst läuft sie womöglich wieder +davon. +</p> + +<p> +Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der +kleinen Ulele gehabt hat. Aber klein ist die schon +lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch +kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid +und einen Strohhut mit Blumen. Sie nimmt +die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich +mit ihr in das Kieferngestrüpp, das nicht höher +ist als der Vater und dessen Nadeln büschelweis +stehen wie Haare auf Warzen. +</p> + +<p> +„Ach, wie ist es schön, so in einem grünen +Walde zu sitzen,“ sagt sie dann, „und die gesegnete +Flur zu erblicken!“ Und dabei zeigt sie nach den +struppigen Kartoffeln und auf das brandige +Moor, auf dem nichts weiter wächst als Torf in +kohlschwarzen Haufen. +</p> + +<p> +Und alsbald hat sie die junge Frau für acht +Tage wieder getröstet. +</p> + +<p> +Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: „Gott +sei Dank, jetzt wird sie’s leichter haben, denn es +ist zugesät bei ihr.“ +</p> + +<p> +Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. +Oft muß die Erdme heran, der traurigen Frau +den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht +und immer nach Hause will. +</p> + +<p> +Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. +Da heißt es, sich dreifach zusammennehmen +<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a> +und sich nichts merken lassen, sonst geht die +Wirtschaft den Krebsgang. +</p> + +<p> +Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt +auch für die Wiese zu sorgen. Die Karre nimmt +er des Morgens meist mit und schiebt sie des +Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. +Dazu kommt noch die Heuaust, das Mähen, das +Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, +wenn der Regen alles durchweicht hat. +</p> + +<p> +Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul +wird und kaum Antwort gibt, wenn man +ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb’s +wenig Unterhaltung im Hause. Aber die lacht +schon, macht Brummchen und zappelt, solange +man Zeit hat zum Spielen. +</p> + +<p> +Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig +Scheffel. Davon darf man sogar verkaufen. +Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines +kommen dazu. Man kann fürs nächste Jahr +an eine weitere Pachtung denken. +</p> + +<p> +Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur +daß die Erdme ein Spielzeug hat und daß die +Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt. +</p> + +<p> +Im April kommt die kleine Urte zugereist. +Ganz leicht und plötzlich ist sie gekommen. Der +Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen. +</p> + +<p> +Nun sind es schon zweie, und darum wird +Schluß gemacht. Das Nötige hat die Erdme als +Mädchen gelernt. +</p> + +<p> +<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a> +Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig +gewesen. Noch bleibt Zeit genug für die Frühjahrsbestellung. +Am neunten Tage nach der +Geburt hat die Erdme schon wieder bis an die +Knie im eiskalten Schlamm gestanden. So ein +Kerl ist die Erdme. +</p> + +<p> +Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus +gehabt, aber daran ist ihr Herzweh wohl schuld. +Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit +einem Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste +getan, hat das Kind gewartet so gut wie +die Mutter und hat dabei noch in den Büchern +gelesen. +</p> + +<p> +Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: +„Nun wird es wohl gehen, daß ich weg kann. +Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts +auf der Welt.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will. +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Zuerst nach Königsberg und +dann nach Berlin. Denn diese kleinen Nester sind +nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer +Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des +Abends die Schreibmaschine erlernen sowie die +Schnellschrift, die man Stenographie nennt. +Dann muß ich noch einmal aufs Land, das +heißt auf ein Rittergut, um die Wirtschaft zu +lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich +verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft +und mach’ mich dort unentbehrlich. +<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a> +Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, +weil er einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr +los ist. Aber im Grunde glaub’ ich es nicht. +Denn die Männer sehen mich nicht an.“ +</p> + +<p> +„Du bist ja noch so jung,“ sagt die Erdme. +</p> + +<p> +„Das ist wahr,“ sagt sie, „Busen hab’ ich +noch gar nicht. Vielleicht werd’ ich auch nie +einen kriegen. Ich hab’ immer gedacht, ich werd’ +durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber +das muß ich mir wohl aus dem Kopf schlagen. +Und es wird ja auch so gehen.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme lacht und sagt: „Du mit +deinen fünfzehn — was kannst du da Großes +verlangen?“ +</p> + +<p> +„Um mich herum liebt sich schon alles,“ gibt +sie zur Antwort, „bloß mich wollen sie nicht.“ +</p> + +<p> +Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, +sieht auf die Wiege, in der Kopf an Kopf die +Urte und die Katrike liegen, beide mit Lutschpfropfen +im Munde, und denkt: „Euch wird es +nicht so gehen, denn ihr habt von meinem Blut +in den Adern.“ +</p> + +<p> +Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken +erriete, denn sie sagt seufzend: „Ja, wenn man +so eine wäre wie du!“ +</p> + +<p> +„Was willst du damit sagen?“ fragt die Erdme +argwöhnisch. „Weißt du etwas von mir?“ +</p> + +<p> +„Das gerade nicht,“ sagt sie, „aber — +aber —“ Und sie druckst und druckst und kommt +<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a> +nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, +dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Eine +Bestellung ist es eigentlich nicht, das würde sie +sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß, +daß du es erfährst.“ +</p> + +<p> +„Wer? Was?“ fragt die Erdme ganz erstaunt. +</p> + +<p> +Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen +wie zu einer Alten. Das Elend mit ihrem Manne +reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht +da ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid +antun. Und ob es keine Möglichkeit gebe, daß +die Erdme sich seiner erbarme. +</p> + +<p> +Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau +sich wirklich so an der Natur und der Religion +versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen. +</p> + +<p> +„Warum hängt er sich gerade an mich?“ +fragt sie. „Mädchen, die ihm gern einen Gefallen +täten, laufen genug herum auf dem Moor.“ +</p> + +<p> +Die Ulele macht eine pfiffige Nase. „Das +ist es gerade,“ sagt sie. „Ursprünglich wäre ihm +wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine +ihm nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als +ich noch dümmer war und nicht wußte, warum, +da hab’ ich mich ihm manchmal auf den Schoß +setzen wollen, aber da hat er mich von sich +gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber +hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich +verstehe ja nicht viel davon, aber ich meine, +wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm +<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a> +wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, +ich tät’s, aber ich bin ihm wohl noch zu klein.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf +bis zu Füßen. „Du verstehst wirklich noch nichts +davon,“ sagt sie und schiebt die Ulele hinaus +und nimmt auch keinen Abschied von ihr. +</p> + +<p> +Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr +nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt der Jons ihr +gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit +ist, dann sieht sie ihn immerzu an +und denkt: „Soll ich — soll ich nicht?“ Und ihr +Entschluß ist dann stets: „Nein, ich soll nicht.“ +</p> + +<p> +Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht +fernab auf dem Feld und sich sein feines, stilles +Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen, +dann denkt sie doch wieder: „Ich soll.“ +</p> + +<p> +Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts +von ihm träumt und bei Tage auf dem Grabenrand +sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich +die Arbeit. +</p> + +<p> +Schließlich denkt sie: „Komm’s, wie es will, +geschehen muß was.“ +</p> + +<p> +Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz +und geht zu ihm ’rüber. +</p> + +<p> +Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke +aus der Hand. Er steht da und sieht sie an wie +eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie +doch immer vor Augen. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, als hätte sie noch gestern +<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a> +mit ihm gesprochen, „willst du nicht einmal nach +unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.“ +</p> + +<p> +Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße +und kommt. Er befühlt der Kuh den Leib, legt +ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die +Augenhaut um. „Die Kuh ist gesund,“ sagt er. +Weiter nichts. +</p> + +<p> +Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie +zittert. Aber sie weiß, so ein Augenblick kommt +nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch +ein wenig in die Stube zu treten. +</p> + +<p> +„Was soll ich da drin?“ fragt er. +</p> + +<p> +„Ich hab’ schon lange einmal mit dir reden +wollen,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. +Die Wiege hat sie vorher auf den Hof gestellt, +damit die Kinder nicht zusehen. +</p> + +<p> +Und jetzt stehen sie da und zittern beide. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, „ich muß immer an die +Stunde denken vor zwei Jahren, und mir ist, als +habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es +gutmachen kann, will ich es gerne.“ +</p> + +<p> +„Es ist nichts gutzumachen,“ sagt er und bekuckt +sich die Bilder. +</p> + +<p> +„Setz dich auf die Bank, Nachbar,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr +kann sie wahrhaftig nicht tun. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, „du hast ein seltsames +Wesen. Nicht bloß gegen mich. Dir muß irgend +<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a> +was geschehen sein. Das Beste wär’ schon, du +sprichst dich aus.“ +</p> + +<p> +„Jawohl,“ sagt er, „das will ich.“ +</p> + +<p> +Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie +es ihm in der Jugend ergangen ist. Er ist ein +froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, ansehnlich +und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern +gewollt zum Heiraten sowohl wie zu dem anderen. +Und eine — die war wild und heimlich zugleich. +Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war +ihr heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern +trafen sie sich unter dem Kadigbusch auf +der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. +Da wollte sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich +sind ringsum Lichter aufgetaucht von Jägern, +die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. +Da hat sie zu schreien angefangen, daß er +ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer stak, so +hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück +gekommen. Das hat ihn verfolgt von Ort zu +Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er +ein Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge +vor Gericht hat stehen müssen. Schließlich hat +er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher +bestraft ist und keinem viel Schaden daraus +erwächst. Der Moorvogt weiß es und seine Frau. +Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung +gesucht, aber die ist ja schon lang’ keine Frau +mehr. Und sobald eine andere ihm zugelächelt +<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a> +hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: +„Sie wird schreien.“ Immer hört er das +Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht, +wie es ihm damals gezittert hat, als er sich +stumm und ohne Verteidigung hat abführen +lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist +er noch heute. +</p> + +<p> +„Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen +können?“ fragt sie und lächelt ihn an. +</p> + +<p> +„Das weiß ich selber nicht,“ sagt er und streicht +sich übers Gesicht. +</p> + +<p> +„Nun, ich hab’ doch <em>nicht</em> geschrieen,“ sagt +sie und lächelt ihn immerzu auffordernd an. +</p> + +<p> +„Aber — abgewiesen hast du mich, und seitdem +ist es schlimmer als je!“ +</p> + +<p> +Soll sie nun sagen: „Heute würd’ ich dich +<em>nicht</em> abweisen?“ Das kann sie nicht. Das +bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen +Arm streichelt sie und sagt: „Armer Nachbar.“ +</p> + +<p> +Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber +was tut er? Er zittert und rückt von ihr +weg und stöhnt: „Laß man, mir hilft keiner +mehr.“ +</p> + +<p> +„Gott wird helfen!“ sagt sie, wie man sagt: +„Guten Tag“ und „Guten Weg“. +</p> + +<p> +„Auch Gott hilft mir nicht,“ schluchzt er und +ringt die Hände. „Ich hab’ zu ihm gebetet bei +Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung +von mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.“ +</p> + +<p> +<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a> +„<em>Ich</em> werd’ für dich beten,“ sagt sie. Sündigen +möcht’ sie viel lieber, aber man muß doch +so tun. +</p> + +<p> +Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie +der Hungernde den Knochen, den man zum Fenster +hinauswirft. +</p> + +<p> +„Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn +du mir eine große Gnade antun willst, dann +laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott +mich dann hört.“ +</p> + +<p> +Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor +und das von Jons, und jeder schlägt auf, +und sie beten und beten. +</p> + +<p> +Und siehe da! Immer frömmer wird ihr +zumute. Sie denkt an die schlafenden Kinderchen +draußen und an den Mann, der sich abschindet +von früh bis spät, und bald begreift sie +gar nicht mehr, daß sie eine so große Sünde hat +begehen wollen. +</p> + +<p> +Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, +sagt sie: „Nun, Nachbar, fühlst du, daß es dir +hilft?“ +</p> + +<p> +Er schüttelt bloß den Kopf. +</p> + +<p> +Sie denkt: „Aber mir hat es geholfen.“ Und +nun — ganz aufrichtig gesonnen — redet sie ihm +gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den +Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die +Kinderchen sind noch so klein, und der Jons hat +sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht recht +<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a> +ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später +einmal anders werden, so daß sie sich dann wegen +des Unrechts nicht mehr so zu schämen braucht. +Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken +anfängt und sie schlägt oder so. Dann würd’ +sie sich kein Gewissen draus machen. +</p> + +<p> +Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner +Mütze und sagt im Gehen: „Ich werd’ also +warten.“ +</p> + +<p> +Und sie denkt: „Schade! Aber wer weiß, +wozu es gut ist?“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Wenn <em>das</em> Überschwemmung ist, das läßt +sich ertragen! +</p> + +<p> +Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter +Wasser, auch ist der Knüppelweg zur Chaussee +an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich +in der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von +neuem kneten lassen. Aber schließlich — zu seinem +Vergnügen lebt man nicht im Moor, und +alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über +Hof und Gräben legt man Bretter, und der Estrich +wird wieder glatt gewalzt. +</p> + +<p> +So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal +gewesen, und die Erdme denkt nicht mehr +mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit +denen der alte Raubmörder einst ihre Hoffnungen +vergiftete. +</p> + +<p> +<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a> +Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die +scheinen ungern davon zu sprechen, und darum +unterläßt sie es. — — — +</p> + +<p> +Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man +stark genug ist, noch weitere Sprünge zu machen. +Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite +Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall +gebaut werden. Der Abschlag am Giebelende +reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn +die Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, +so daß an manchem Morgen das ganze Dach der +Kuh auf dem Rücken liegt. +</p> + +<p> +Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, +ist zu bezweifeln. Und da zu gleicher Zeit wegen +der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem +Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man +vielleicht aus dem Raiffeisenverein ein Darlehen +von ihm erlangen. +</p> + +<p> +Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April +stellen sie die Lampe hoch, verstecken die Streichhölzer, +schließen die Kinder ein, und dann gehen +sie zum Moorvogt. +</p> + +<p> +Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf +sein großes Buch auf. Ach, dieses fürchterliche +Buch! Je länger er darin liest, desto +zittriger werden der Erdme die Beine, denn +die Ulele hat ja einmal gesagt — — man +wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt +hat. +</p> + +<p> +<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a> +Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie +damals, und endlich macht er den Mund auf. +</p> + +<p> +„Also alles in allem geht es euch gut?“ +fragt er. +</p> + +<p> +Nun möchte ich den Landmann sehen — ob +litauisch oder deutsch, ob Bauer oder Graf —, +der auf eine solche Frage mit einem schlichten +Ja geantwortet hätte. +</p> + +<p> +Sie fangen also alle beide fürchterlich zu +klagen an. Die Nachtfröste im vorigen Herbst — +und die verschorften Kartoffeln — und die wartungsbedürftigen +Kinder — und die Überschwemmung +noch jüngst! +</p> + +<p> +„Was wißt ihr von Überschwemmung!“ sagt +er, und ein bitteres, ein fast verzagtes Lächeln +fliegt über sein starkes Gesicht. +</p> + +<p> +„Jedenfalls geht es euch so gut,“ fährt er +fort, „daß ihr eine erhebliche Vergrößerung +eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es +kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe +euch natürlich im Auge behalten. Das zweite +Hektar ist euch bewilligt, und auch für das Darlehen +werde ich eintreten. Nur — nur —“ +er stockt und sieht sie wieder an, „nur scheint mir, +daß ihr noch von der Bauzeit her dies und jenes +in Ordnung zu bringen habt.“ +</p> + +<p> +Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen +Blick zu. Was kann er nur meinen? +</p> + +<p> +Und er sieht sie immer weiter an mit starren, +<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a> +bohrenden Augen, als ob sie splinterfasernackig +vor ihm stünden. +</p> + +<p> +„O Gott, o Gott!“ denkt die Erdme. Denn +<em>was</em> hat die Ulele gesagt? +</p> + +<p> +Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich +am Abend ihrer Trauung im Matzicker Chausseegraben +gegeben haben. Ach, wie bald ist das +vergessen gewesen! +</p> + +<p> +„Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,“ +fährt der Moorvogt fort. „Geht also nach Hause +und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß +ich Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht +früher.“ +</p> + +<p> +Damit sind sie entlassen. +</p> + +<p> +In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. +Stillschweigend, mit gesenkten Köpfen gehen sie +wieder heim. +</p> + +<p> +„Allwissend ist Gott allein,“ denkt die Erdme. +</p> + +<p> +„Hier hilft bloß eines,“ sagt schließlich der +Jons, „daß wir nun doch noch unter die Gebetsleute +gehen.“ +</p> + +<p> +„Warum?“ fragt die Erdme. „Wir sind ja +fromm genug.“ +</p> + +<p> +„Wenn man unter die Gebetsleute geht,“ +sagt der Jons, „kann man seine Sünden bekennen +und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein +Schade erwächst.“ +</p> + +<p> +„Gutmachen kann man auch so,“ sagt die +Erdme. „Wozu noch erst viel bekennen?“ +</p> + +<p> +<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a> +„Das ist nicht das Richtige,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +Sie beschließen also, den frommen Taruttis +zu besuchen und zu sehen, ob es lohnt, sich in die +Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden. +</p> + +<p> +„Ich habe schon oft gebetet,“ sagt er, „daß ihr +den Weg zum Heile finden möget, und nun ist +mein Gebet erhört.“ +</p> + +<p> +So mager und so sanft sieht er aus wie ein +Sendbote des Herrn. Und seine Augen leuchten +wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die +Taruttene, die ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. +Sie ist nun ganz hutzlig geworden und will +gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon +gar nicht mehr aus. Aber er beruhigt sie. Damit +habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit. +Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt +werden. Und bei dem öffentlichen Bekenntnis +werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen +um Vergebung anflehen. Das habe noch immer +geholfen. +</p> + +<p> +Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben +es zwar oft schon mitgemacht, aber nun sie selbst +daran glauben müssen, wird es ihnen doch fürchterlich +sauer. +</p> + +<p> +Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier +auf den Tisch, macht eine römische Eins +und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt +<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a> +die Erdme das Wort und sagt: „Damit das Bekenntnis +ganz vollständig wird, wollen wir uns vorerst +im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. +Sonst könnte es geschehen, daß etwas fehlt, und +das würden wir uns niemals verzeihen.“ +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer +Bestrebungen und ladet sie zu der nächsten Versammlung. +Und dann gehen sie heim. +</p> + +<p> +„Nein,“ sagt die Erdme entschieden, „damit +die Leute hernach mit Fingern auf uns weisen: +‚Da seht das verstohlene Pack‘. Das könnte mir +passen.“ +</p> + +<p> +Der Jons meint zwar schüchtern, man könne +das Bekenntnis so undeutlich sprechen — besonders +wenn man zu zweit ist —, daß niemand +was Rechtes versteht. Aber die Erdme bleibt +fest. „Unsere Kinder sollen einmal in Samt +und Seide gehen,“ sagt sie, „für die muß vorgesorgt +werden.“ +</p> + +<p> +Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. +Der Mann, dem sie die Saatkartoffeln ausbuddelten, +bekommt die erste Nummer. Und dann folgt +eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. +Wem zum Beispiel sollen sie das Heu +für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel der +Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? +Oder: Wem hat der Jons Schaden getan, als +er mit dem Abgebrannten wegen der Türen +und Fenster den heimlichen Handel abschloß? +<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a> +Denn was eine Versicherungsgesellschaft ist, wer +kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: +die Veruntreuungen auf dem Holzplatz, +auf dem der Jons ja heute noch arbeitet! +Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. +Gar manchem, der eine offene Hand hatte, ist +beim Verladen eine oder die andere Planke mehr +auf den Wagen geschmissen worden. Und der +Aufseher hat dann den Rüffel gekriegt. +</p> + +<p> +Schlimme Sache! Schlimme Sache! +</p> + +<p> +Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons +bringt Postanweisungen und Linienpapier, und +nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, +gerade so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten +eintreten wollten ... Und das tun sie +aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse +werden von den Deutschen mit +Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht aufgenommen +und niemals weiter verfolgt. Aber +in zweifelhaften Fällen vermeiden sie der Sicherheit +halber, ihre Namen anzugeben. +</p> + +<p> +Einer der Briefe lautet so: +</p> + +<p class="addr"> +„Wehrter Herr Hahn! +</p> + +<p class="noindent"> +Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich +eretet hat aus allen meinen Sünden. Bezeugt +mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um +mit Gott und Menschen ins reine zu komen, +soll ich mihr reinigen wie auch der Herr Jesus +rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch +<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a> +Ihnen währent meinem Hausbau beschädigt habe +indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich +biete um Vergebung der Schuld, das sie mir +nicht vor dem Throne Gottes verklagen wirde. +Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten +Matirials. Der liebe Gott ist selber +Richter und weis am bästen den Weg. Er hat +meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete +nochmals um Verzeihung und vergebung der +Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und mein +Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr +Jesus hat mir schon vergäben, als er am Kreuze +auf Golgatha das Wort ausrief Es ist volbracht. +</p> + +<p class="sign"> +Achtungsvol<br /> +J. Baltruschat.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Und ein anderer lautete so: +</p> + +<p class="addr"> +„Hochgerter Herr! +</p> + +<p class="noindent"> +Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens +mich mit meinem Gott versähnen wolte, +fand ich unter den verbannten Gegenstenden, +das ich mich auch an Ihnen vergangen habe. +Zwar glaubte ich früher das wen man von +einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine +Sünde ist. Komme daher ihnen dankbar um +Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. +Ich befand mich vor langer Zeit bei meinem +bauen in großer Verlegenheit und da ging ich +hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm +gleichwie es Gott gefiel. Daher sände Sie gefälligst +<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a> +10 Mark. Biete wenn möglich um +Sündenvergebung. +</p> + +<p class="sign"> +Hochachtend<br /> +ein Nachbar.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Diese beiden Briefe, den frömmeren und +den weltlicheren, nehmen sie sich zum Muster +und richten danach die übrigen ein. +</p> + +<p> +So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen +genau die Beträge, die sie den Empfängern +schuldig sind. +</p> + +<p> +Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, +um zu erfahren, an wen er sich wegen des Ersatzes +zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen +Hause. Dessen Türen und Fenster sind +tausendmal schöner als die, die er damals beiseite +geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, +als er aber hört, daß Jons zu den Gebetsleuten +gehen will, sieht er gleich ein, daß es sein muß, +und gibt ihm genaueste Auskunft. +</p> + +<p> +So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, +denn das Ziegenheu kann auch von selber gefallen +sein. Aber das Holzgeschäft! +</p> + +<p> +„Das deutsche Schwein kann Wind auf dich +kriegen und zeigt dich am Ende noch an,“ warnt +die Erdme. „Selbst ohne Unterschrift kann es +dir schlecht gehen.“ +</p> + +<p> +Das sieht er auch ein und schreibt darum +zur Sicherheit den Namen eines anderen Arbeiters, +der vor kurzem nach Rußland zu den +<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a> +Holzfällern gegangen ist und der ebenso gemaust +hat wie er. So reinigt er zugleich auch dessen +Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen +werden muß. +</p> + +<p> +Als die Briefe und die Postanweisungen weg +sind, wird ihnen beiden sehr wohl zumut. Die +Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, +aber statt dessen hilft ja der Moorvogt. +</p> + +<p> +Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der +nächsten Versammlung der Gebetsleute das Sündenbekenntnis +ablegen sollen. +</p> + +<p> +So kommt der Sonntagnachmittag heran. +Sie sitzen vergnügt vor der Tür. Er raucht seine +Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die +Kinder spielen um sie herum. Da hören sie +mit <a id="corr-5"></a>einem Male einen feierlichen Gesang. +</p> + +<p> +„Es wird ein Begräbnis sein,“ meint die Erdme. +</p> + +<p> +Aber der Gesang kommt immer näher, und +was sehen sie? Der fromme Taruttis und zwei +andere fromme Männer gehen zwischen den +Kartoffeln geradeswegs auf sie zu, und jeder hält +sein Gesangbuch in der einen Hand und sein +Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze +hat keiner auf. +</p> + +<p> +O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen +können sie nicht, und Ausreden haben sie auch +nicht. +</p> + +<p> +Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie +willkommen und fragt, ob er den werten Gästen +<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a> +vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er +doch wissen muß, daß die Erleuchteten geistige +Getränke nicht zu sich nehmen. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis tut, als hat er die +Frage gar nicht gehört, und sagt: „Teurer Bruder +und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens +ist da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! +Folget uns nach Jerusalem, wo ihr alsbald +in weißen Kleidern dastehen werdet zur +rechten Seite des Herrn.“ +</p> + +<p> +Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen +ist, will richtig schon gehen, aber die Erdme hält +ihn gerad’ noch am Ärmel. +</p> + +<p> +„Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten +Gäste,“ sagt sie und macht ein scheinheiliges Gesicht, +„seit wir unseren Entschluß kundgetan +haben, prüfen wir uns unaufhörlich, aber es +will uns gar keine Sünde einfallen. Nun +müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht +vor euch zu erscheinen, wo doch ein jeder sonst +sein Bündelchen auspackt. Darum lasset uns Zeit, +ein Monatchen oder ein Jahrchen — oder noch +mehr, damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. +Vielleicht sündigen wir inzwischen +auch noch was Neues, und das ist dann gleich +ein Abwaschen.“ +</p> + +<p> +So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis +auch sein mag, — daß diese freche Person +sich lustig macht, das sieht er doch ein. +</p> + +<p> +<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a> +„Warum seid ihr denn zu mir gekommen?“ +fragt er sie ganz verdutzt. +</p> + +<p> +„Ihr seid ja auch zu uns gekommen,“ gibt +sie zur Antwort. +</p> + +<p> +Darauf wissen die frommen Männer nichts +zu erwidern und heben sich wieder von hinnen. +Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben, +dorthin, wo das Brett ’rüberführt. +</p> + +<p> +Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die +beiden Kleinen im Arm hat und liebkost. +</p> + +<p> +Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste +hinter den Weggehenden her und ruft ganz laut: +</p> + +<p> +„Meinen Töchtern die Heirat verderben, das +wär’ euer ganzer Segen, ihr Schufte!“ +</p> + +<p> +Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte +er gedacht, daß sein Weib so böse sein kann. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas +wie Frieden gekommen. Er weicht der Erdme +nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie +der kranken Frau beispringt, und kommt herüber, +so oft es nottut. Ohne ihn wäre der Stall +gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel +prächtiger als das Wohnhaus und bietet Platz +für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar — +der Himmel bewahr’ uns vor Hochmut! — sogar +für ein künftiges Pferd. +</p> + +<p> +<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a> +Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es +nie so weit bringen wird. Um so eifriger ist er +darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen. +</p> + +<p> +Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein +Werk. Eine Holländerin ist sie, wollstirnig mit +einem schwarzen und einem weißen Auge. Und +Milch gibt sie — man schämt sich zu sagen, wieviel +Milch sie gibt, aber die an der Ablieferungsstelle, +die wissen’s. +</p> + +<p> +Jetzt kommt des Abends schon manchmal +Butter auf den Tisch, und die Kleinen trinken +frische Milch, soviel sie nur mögen. +</p> + +<p> +Im Frühling des fünften Jahres geschieht +das Große, daß Jons seine ständige Arbeitsstelle +aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht +mehr, selbst wenn er die Freistunden noch so sehr +ausnutzt. +</p> + +<p> +Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied +zehn Mark und eine Kiste Zigarren wegen +der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im +Gegensatz zu anderen, die sich jetzt in Rußland +herumtreiben. +</p> + +<p> +Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff +genommen werden, zumal der am frühesten +urbar gemachte Boden für Roggen bald +reif ist. +</p> + +<p> +Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück +Wiese dazu und verspricht sogar, den Jons bei +<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a> +der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab +und zu in der Wirtschaft zu still wird. +</p> + +<p> +So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt +da wie ein blühendes Kleefeld. +</p> + +<p> +Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten +Beine hebt und senkt, daß der federnde +Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das +schwarze Wurzelwerk unter den Streichen der +Hacke zerblättert, als wäre es Torfgrus, dann +ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, +um ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt +in lauter Wohlsein die starke Brust dem Gelingen +entgegen. +</p> + +<p> +Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber +ringsum sitzt Kummer genug. Von der hinfälligen +Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. +Die wird sich vielleicht noch Jahre so schleppen, +ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben ihr +lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig +von Gliedern und schafft auch, aber in ihrem +Innern scheint sie noch kränker als jene. +</p> + +<p> +Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche +Antwort, wenn man sie fragt, und ihre Brust +hat nicht Milch für die Kinder. +</p> + +<p> +„Was ihr fehlt, weiß ich lange,“ sagt der Nachbar +Witkuhn. „Die Moorkrankheit hat sie.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fragt, was das ist. +</p> + +<p> +Und er sagt: „Die Moorkrankheit kommt wie +durch ein Gift, das aus dem Boden aufsteigt. +<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a> +Niemand weiß, wie es aussieht, und kein +Doktor hat es gefunden. Es ist da und ist auch +nicht da. Wie man will. Den einen wirft es +nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für +den, der daran krankt, gibt es nur eine Rettung: +’raus aus dem Moor, rasch ’raus, ohne +sich umzusehen. Aber für die meisten ist es zu +spät.“ +</p> + +<p> +Was die Erdme einst der Ulele versprochen +hat, das hält sie getreulich. Sie steht der gemütskranken +Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht +bei der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des +Sonntags oder zum Feierabend — denn Feierabend +gibt es schon manchmal — geht sie hinüber +zu ihr, legt den Arm um ihre Schulter und sagt: +„Komm, Nachbarin, wir wollen uns was erzählen.“ +Und sie führt sie die Sandnase hoch +und in das Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke +Frau am liebsten, denn es gemahnt sie an die +verlorene Heide, von der sie herstammt. +</p> + +<p> +Und dann seufzt sie und weint: „Ach, meine +Heide, meine Heide!“ +</p> + +<p> +Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht +machen. „Ich bin ja auch von der Heide zu +Hause,“ sagt sie, „und weiß: schinden tut man +sich dort nicht weniger als hier. Auf dem Sand +gedeiht nicht einmal Roggen, und der Hafer sieht +aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten +— na ja — die stehen ja dort höher. Aber Schatten +<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a> +geben sie auch nicht. Und vorwärts kommt +man hier besser als dort.“ +</p> + +<p> +„Aber wenn dort das Heidekraut blüht,“ sagt +die Frau und starrt sehnsüchtig ins Weite, „und +alles ist rot von lauter Blumchen, und die Hummeln +singen drum ’rum, und die Luft ist warm, +und unter dem Kadig liegt man geborgen so wie +im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im +August und ist stets am Versinken. Vier Wochen +sind’s her, da ist mir mit einmal der Herd eingesunken +— vor meinen sehenden Augen ist er +gesunken.“ +</p> + +<p> +„Dann ist er eben zu schwer gewesen,“ tröstet +die Erdme, „man muß ihm einen besseren Untergrund +schaffen.“ Und um die Frau aufzuheitern, +erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, +rotbärtigen Doktor, der immer kleiner und kleiner +wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem +Leibe versanken. +</p> + +<p> +Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit +anrichtet, sie hätte es lieber <em>nicht</em> getan. +Als sie das nächste Mal mit der Frau zusammenkommt, +da krallt die sich an ihr fest und sagt: +„Stell dir vor, Nachbarin, jetzt kann ich des +Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich muß +immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir +wegsinken, und das ganze Bett versinkt, und ich +versink’ mit.“ +</p> + +<p> +In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel +<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a> +ein, das der Nachbar Witkuhn die einzige Rettung +genannt hat, und sie entschließt sich, die verängstigte +Frau langsam an den Gedanken des +Weggehens zu gewöhnen. +</p> + +<p> +Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist. +</p> + +<p> +Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie +keine, trinken tut er auch nicht, aber — und nun +legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr — +„aber er wartet schon“. +</p> + +<p> +„Worauf wartet er denn?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +Da macht die Frau die Augen weit auf — +die richtigen Unglücksaugen macht sie — und sagt +ganz leise ihr großes Geheimnis: „Er wartet +schon auf die Vierte.“ +</p> + +<p> +„Woher weißt du das?“ +</p> + +<p> +Sie weiß es nicht, aber das fühlt man. +</p> + +<p> +Die Erdme wird dreister. „Da kannst du ihm +aber behilflich sein,“ sagt sie. +</p> + +<p> +„Womit?“ +</p> + +<p> +„Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich +’raustragen. Dann bist du das Moor los und +gehst auf die Heide.“ +</p> + +<p> +„Und die Kinder?“ +</p> + +<p> +Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, +was Mutter ist, einen anderen Gedanken gäbe. +</p> + +<p> +„Die nimmst du mit.“ +</p> + +<p> +„Und dann?“ +</p> + +<p> +Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie +mitgekriegt hat, die stecken hier in der Wirtschaft. +<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a> +Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie +nun wiederkommt — ohne einen Groschen und +ein Kind an jeder Hand, — wer wird sie aufnehmen? +Betteln kann sie gehen. +</p> + +<p> +Die Erdme denkt: „Wenn das Herz ihr nicht +längst gebrochen wär’, würd’ sie schon durchkommen.“ +</p> + +<p> +Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! +Auch die gehört zu den meisten, für die es zu +spät ist. +</p> + +<p> +Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und +denkt: „Dann werd’ ich sie also zu Tode trösten.“ +</p> + +<p> +Und das hat sie auch redlich getan. Ein +Lungenhusten ist gekommen, und die Frau ist +schwächer und schwächer geworden. Und erst, +als gar nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken +war als der, der auf den Kirchhof führt, +da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne +gemacht. Der Smailus werde verkaufen, ihr +zuliebe werd’ er verkaufen — genau so ist der +Smailus! —, dann werden sie auf die Heide +ziehen, und sie wird sich unter den Kadigbusch +legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist +— und dann wird sie schlafen und schlafen — +alle Angst und alle Müdigkeit wird sie ausschlafen. +</p> + +<p> +Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber +es hat doch noch zwei Jahre gedauert. — — +</p> + +<p> +In der Nacht nach dem Tode, so gegen +<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a> +Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an Baltruschats +Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus +ist da und weint dicke Tränen. Es ist ihm so +graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht behalten +möchten bis gegen den Morgen. +</p> + +<p> +„Da hast du’s, Nachbar,“ sagt die Erdme. +„Erst konntest du’s nicht erwarten, und jetzt tut +es dir weh.“ +</p> + +<p> +„Es ist nicht ums Wehtun,“ sagt er, „aber +ohne Frau kann man nicht sein. Wer wird mir +jetzt die Schweine futtern und die Kuh?“ +</p> + +<p> +„Ich denk’, die hast du schon lange gefuttert,“ +sagt die Erdme. +</p> + +<p> +„Das ist richtig,“ sagt er, „aber sie war doch +da.“ +</p> + +<p> +Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps +nach dem anderen. Und langsam wird er beredt. +Was man beim Nachbar Smailus so nennen +kann. +</p> + +<p> +„Ich darf mich ja nicht beklagen,“ sagt er, +„denn das Sprichwort heißt: ‚<em>Der</em> Bauer hat +Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen +sterben.‘ Pferde hab’ ich ja keine, aber von +Frauen ist mir nun schon die dritte gestorben. +Also hab’ ich doch Glück. Aber so was ist leicht +gesagt. Denn wo krieg’ ich nun gleich die Vierte +her?“ +</p> + +<p> +„Damit hat’s ja noch Zeit,“ tröstet die Erdme. +„Laß sie doch erst unter der Erde sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a> +„Nein, damit hat’s keine Zeit,“ entgegnet er. +„Die Trauerfrist werd’ ich schon abwarten. Das +versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. +Und so eine, wie meine Dritte war, die findet +sich nicht leicht. So sanft von Gemüt, und dreihundert +Taler. Die hat mir auch noch die Ulele +besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?“ +</p> + +<p> +„Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,“ sagt +die Erdme. „Die hat ja noch unlängst Wein +geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.“ +</p> + +<p> +Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, +die Ulele, aber die Ölsardinen haben der +Erdme den stärksten Eindruck gemacht — in Erinnerung +an den Glanz ihrer Mädchenzeit. +</p> + +<p> +Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten +Tage eine Depesche zu schicken. Berlin ist ja +weit, aber denkbar wär’s immerhin, daß sie käme. +</p> + +<p> +„Wieviel kostet so eine Depesche?“ fragt der +Smailus. Und ob er womöglich auch noch die +Reise bezahlen muß. +</p> + +<p> +Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die +Depesche werde sie auslegen und sich später +von der Ulele entrichten lassen. Was aber die +Reise belangt, so sei die ohnehin viel, viel zu +teuer für ihn. +</p> + +<p> +Da willigt er ein und gibt auch gleich den +Umschlag mit ihrer Adresse. +</p> + +<p> +Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele. +</p> + +<p> +Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof +<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a> +zu Heydekrug ankommt, da steigt sie aus +einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt +eine Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht +so eine Dame! Ganz in Schwarz mit langem +Schleier und noch einem Schleier und noch +einem Schleier. Nie im Leben hat die Erdme +so viele schwarze Schleier gesehen. +</p> + +<p> +Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich +sie den Wagen selber kutschiert, der die Nachbarstochter +heimfahren soll. Die muß erst kommen +und sie in die Arme schließen. Und das tut sie +vor allen den Leuten und schämt sich nicht im +geringsten. +</p> + +<p> +Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt +nicht mehr an die tote Nachbarsfrau, nicht an +den Sarg, nicht ans Begräbnis — wo sie doch +selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist +wie ein hilfloses Kind, — sie sieht bloß die Ulele. +</p> + +<p> +Der Inbegriff von allem, was sie hat werden +wollen und nicht geworden ist, das Abbild, das +Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der +Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, +das Feinste, das Höchste auf und über der Erde, +Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin +des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, +keine Kellnerin kann so schön sein wie +die Ulele. +</p> + +<p> +Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man +solch eine Dame Litauisch sprechen gehört. Es +<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a> +geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch +Litauisch. +</p> + +<p> +Sie fragt gleich nach allem: „Wo ist der +Vater? Wer macht den Sarg? Wer trägt mir +Koffer und Kranz auf den Wagen?“ +</p> + +<p> +Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig +Lilien, und es ist doch noch Winter. +</p> + +<p> +Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann +zu fahren, um den Sarg zu besehen. Und +zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation +wegen des Leichenschmauses. +</p> + +<p> +Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und +alles ist da. +</p> + +<p> +Das ist die Ulele. +</p> + +<p> +Aber stolz ist sie eigentlich nicht. +</p> + +<p> +Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat +sie all ihre Schleier abgetan und sieht nun in +dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel +anders aus als eine Deutsche auf dem Szibbener +Kirchhof. +</p> + +<p> +Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das +tut, da sagt sie: „Ich bin ein dummes Kalb gewesen. +Ich hab’ mich von euch bewundern +lassen wollen, und darum hab’ ich mir all das +Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm’ ich mich +recht vor eurem bißchen Armut.“ +</p> + +<p> +Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die +gelben, knöchernen Hände und sagt: „Die hab’ +ich allein auf dem Gewissen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a> +„Wieso?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +„Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und +nur auf mein Zureden ist sie gekommen.“ +</p> + +<p> +Während der Leichenfeier hält sie die Kinder +auf dem Schoß und wischt ihnen die Näschen, +aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in +seinem Kummer nicht nach hinten geht und zu +viel trinkt. Und jedem der Gäste schenkt sie ein +Stückchen Seife. +</p> + +<p> +Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch +weitere acht Tage, ist aber selten zu sehen. Und +wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich immer +steckt, da gibt sie zur Antwort: „Ich muß doch +den Kindern eine Mutter besorgen.“ +</p> + +<p> +Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und +setzt sich mit der Erdme an den Feuerherd. +</p> + +<p> +„Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich +weiter gehen,“ sagt sie. „Sie ist aus Pagrienen +und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas +Geld hat sie, und das übrige leg’ ich zu. Aber +das darf der Vater nicht wissen. Damit er sie +richtig in Ehren hält.“ +</p> + +<p> +„Du bist wohl sehr reich?“ fragt die Erdme +bewundernd. +</p> + +<p> +Sie lächelt und sagt: „Eigentlich bin ich ärmer +als ihr, nur bei euch hat das Geld einen anderen +Wert.“ +</p> + +<p> +Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze +Geschichte. +</p> + +<p> +<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a> +Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es +einmal in ihrem Kopf entstanden war. Hat die +Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die Verwaltung +und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren +Geschäftsleiterin in einer Seifenfabrik. Daß es +kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen war, +sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied. +</p> + +<p> +„Und wird Er dich heiraten?“ fragt die Erdme +begierig, denn sie hat jedes Wort im Gedächtnis +behalten. +</p> + +<p> +Die Ulele macht den Zeigefinger naß und +streicht sich über die Augenbrauen. Das tut sie +oft, wenn sie nachdenkt. +</p> + +<p> +„Das geht nicht so leicht, wie man sich’s vorgestellt +hat,“ sagt sie und lächelt. „Denn meistens +ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar +noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann +begnügt man sich gerne damit, daß Er manchmal +abends zu einem kommt und bis Mitternacht +bleibt. Dann muß man Ihn heimschicken, damit +die Frau nicht Verdacht schöpft.“ +</p> + +<p> +„Aber Er gibt dir doch, was du willst?“ fragt +die Erdme mit blitzenden Augen. +</p> + +<p> +„Was ich will, gibt Er mir schon,“ sagt die +Ulele. „Aber viel darf es nicht sein, damit die +anderen nicht denken, daß man sich ’rumtreibt.“ +</p> + +<p> +Das begreift die Erdme nicht recht. Sie +würde gegrapscht haben ohne Unterlaß, ohne Bedenken. +So was versteht sich von selber. +</p> + +<p> +<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a> +„Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter +da,“ fährt die Ulele fort, „der mich durchaus +heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen +und niemand. Darum muß man immer hübsch +einfach sein. Nun ist die Frage: soll ich darauf +hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, +oder mach’ ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? +Das erstere wäre mir lieber, denn dann bliebe +ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an +zwei Männer — das ist mir zuviel. Und schließlich +kommt’s einmal ’raus, und die ganze Blase +platzt auseinander. Ich werd’s aber trotzdem +wohl tun, denn ich lieb’ die Fabrik wie mein +Kind.“ +</p> + +<p> +„So hast du also doch durch das Mannsvolk +dein Glück gemacht,“ sagt die Erdme mit Stolz. +</p> + +<p> +Die Ulele schüttelt den Kopf. „Dann sieht die +Geschichte ganz anders aus,“ sagt sie. „Stöckrig +bin ich geblieben, und Busen hab’ ich richtig +auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, +reden wir vom Geschäft viel mehr als von Liebe. +Durch Tätigkeit hab ich’s gemacht und durch +Nachdenken, — aber natürlich: das Mannsvolk +muß mithelfen, sonst bleibt man im Mustopf.“ +</p> + +<p> +Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt +auch die Kinder. Und jedem schenkt sie ein Stückchen +Seife, die riecht noch schöner als die beim +Begräbnis. +</p> + +<p> +An demselben Abend, nachdem Erdme die +<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a> +Kinder zur Ruhe gebracht hat, kniet sie an ihren +Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem +Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso +fein und ebenso vornehm werden sollen wie die +Ulele, die jetzt Adele heißt. +</p> + +<p> +Und die sollen <em>gerade</em> durch das Mannsvolk +ihr Glück machen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Von der Katrike und der Urte hab’ ich noch +gar nichts erzählt. +</p> + +<p> +Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, +gehen in die Schule und lernen ein vornehmes +Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch +Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite +Welt hinaus, dorthin, wo die Menschen nicht +einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist +unerbittlich, wenn sie das „h“ nicht aussprechen +können, und wie sie’s endlich gelernt haben, +da verwechseln sie „Ecke“ und „Hecke“ und sagen +„der Uhn at Heier gelegt“. Und manchmal +weiß die Erdme es selbst nicht. +</p> + +<p> +Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was +Besserem geschaffen sind, als sich hier von dem +Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, +denn das Moor beizt und macht Schrunden und +Risse. Darum sollen sie in den Kartoffeln nur +arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. +<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a> +Am liebsten schickt sie sie in die Wiese. +Dort dürfen sie auf den Heuhaufen liegen und +den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. +So wie die Schwalbchen werden sie auch +einmal in andere Gegenden ziehen, aber heimkehren +zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür +sind sie zu schade. +</p> + +<p> +Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit +nach Kräften. Sie treiben sich weit und breit +im Moore herum und entdecken allsommerlich +neue Gebiete. +</p> + +<p> +Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, +wird nicht leicht glauben, wieviel es darin zu +entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein Birkengebüsch +— von fern sah es nach gar nichts aus, +aber steckt man die Nase hinein, dann ist es voll +von heimlichen Wundern. Rauschbeeren wachsen +darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man +sie gern, denn sie schmecken noch schöner als die +Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie machen +die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt +und einschläft. Und der ledrige Porst treibt +Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch +besser als in dem kitzelnden Heu. +</p> + +<p> +Und manchmal findet man Blänken und +Teiche — nicht die viereckigen mit dem kohlschwarzen +Steilrand, die durch Torfstechen künstlich +gemacht sind — o nein doch — diese hier +stehen seit Erschaffung der Welt und stechen von +<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a> +weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die +einer im Sonnenlicht hin und her dreht. +</p> + +<p> +Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel +zu Humpel muß man springen, sonst versinkt +man womöglich im Schlamm, und wer einen +dann noch herausholt, wie kann man das wissen? +Aber ist man erst da, dann hat man Freude genug. +Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, +wie Knäuel von Schlangen durcheinandergewunden. +Darin klettert man ’rum und genießt +das eigene Fürchten. Und noch was weit, +weit Schöneres gibt es. Das ist der Rasen, +der in das Wasser hineinwächst und auf dem +man sich schaukeln kann, noch lustiger als zwischen +zwei Birken. Aber fix muß man sein und das +Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben +auf, und will man verweilen, dann sinkt er schwer +in die Tiefe. Auch sind seine Ränder sehr böse +gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit +er hält. Mit einem Male kann das Wasser an +einem hochspritzen, und wie man dann ’rauskommt, +das weiß man noch weniger. +</p> + +<p> +Aber das macht nichts. Bisher hat man sich +immer gerettet. Zwei so’nen Moorkröten wird +das Moor doch nichts tun. Das wär’ ja noch +besser. +</p> + +<p> +Im Winter freilich ist’s schlimm — wenn man +zur Schule muß und der Frost durch die Handschuhe +durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. +<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a> +Und in den Schlorren erfrieren die Füße. Da +muß die Mutter zur Nacht Terpentin auflegen. +Das brennt wie das höllische Feuer. +</p> + +<p> +Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn +man die Hand vor den Augen nicht sieht und vom +Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und +plötzlich im Schnee steckt bis über die Achseln. +</p> + +<p> +Dann möchte man wohl gerne zu Hause +bleiben wie die anderen, deren Eltern ein solcher +Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig +die Mutter sonst wohl auch ist, hierin +kennt sie kein Mitleid. +</p> + +<p> +„Die Schule <em>muß</em> sein,“ sagt sie, „denn +wenn sie nicht lernen, können Besitzerstöchter +niemals ihr Glück machen.“ +</p> + +<p> +Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens +und abends und bei jeder Gelegenheit. +Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug +ihrer Geburt erinnert werden als sie. Auch +daß sie einmal in Samt und Seide gehen +werden, wissen sie längst und putzen zunächst +an den Lumpen herum, die zum Schulgang +immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke +sind fein — bunter Kattun aus dem Hoffmannschen +Laden, mit weißen Spitzen besetzt — dreißig +Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben +sie auch und Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter +selber bestickt. +</p> + +<p> +Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur +<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a> +wenn sie mithelfen sollen und die Mutter meint, +sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich +auf. Und dann muß sie klein beigeben. +Wer weiß, ob er ihr sonst nicht eins überrisse. +</p> + +<p> +Vom Vater wissen sie wenig. Meistens +hockt er des Abends stumm auf der Ofenbank, +oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann +nimmt er ein Blatt Papier vor und rechnet. +</p> + +<p> +Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun. +</p> + +<p> +Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und +damit der Höchststand erreicht. Das Pferd ist +auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und +bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist +eine braune, struppige Kragge mit Spatbeinen +und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin +achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. +Darum läuft es trotz seiner vierzehn Jahre noch +immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem +Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen +mit einem Lehnensitz, man könnte +sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen. +</p> + +<p> +Aber solche Sprünge machen wir lange noch +nicht. Wir sammeln Pfennig für Pfennig und +tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß +das Pracherhaus heruntergerissen und statt +seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es die +Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, +mit Kachelofen und Dielen unter den Füßen. +</p> + +<p> +Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie +<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a> +es geht, und steckte das Gekrassel dann an. Aber +zwischen Versicherung und Brand müßten anstandshalber +zwei Jahrchen liegen oder auch drei, +sonst steigt einem womöglich der Staatsanwalt +auf den Puckel. Versichern kann man ja immerhin +schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, +das immer besser gedeiht und das auf dem +Markte Preise kriegt, wie man sie niemals geträumt +hat. +</p> + +<p> +Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin +vorwärts kommt und der liebe Gott seine Hände +sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu +hüten! +</p> + +<p> +Dann ist auch das Frommsein leicht, und die +Kirchfahrt wird ein Vergnügen. Schon weil +einen die Leute ansehen und sagen: „Das ist +der Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei +Töchtern. Der fing einmal ganz klein an und +hat unlängst eine Belobigung bekommen für +Mastvieh.“ +</p> + +<p> +Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht +mehr, und keiner geht jemals zu ihm. +</p> + +<p> +Bis endlich die Erdme sagt: „Ich muß ihm +die Kinder bringen, damit er sieht, wer wir sind.“ +</p> + +<p> +Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, +steckt ihnen Kämme ins Haar und Schleifen +unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber. +</p> + +<p> +Er ist nun ein Greis, und die Taruttene +pappelt wer weiß was. +</p> + +<p> +<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a> +„Nachbar,“ sagt die Erdme, „du hast uns +einmal Obdach gegeben, als wir jung waren +und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum +kommen die Mädchen schön Dank sagen.“ +</p> + +<p> +Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm +die Hand, und die Katrike will nicht, aber sie +muß. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz +übersinnig geworden. Er muß erst nachdenken, +wer sie wohl sind, dann sagt er: „Ja ja — ja ja. +Der Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen +Trachtens voll. Und keine Reue hilft und keine +Demütigung und kein Gebet. Darum soll er +sich züchtigen mit Geißeln und den Kopf im +Staube bergen vor seinem Gott.“ +</p> + +<p> +Die Erdme sagt gekränkt: „Wenn ich gewußt +hätte, daß du so nachtragend bist, Nachbar, dann +wär’ ich nicht zu dir gekommen.“ +</p> + +<p> +Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von +neuem. Dann sagt er: „Es will mir scheinen, +Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, +während ich doch nur mich selber im Sinne habe.“ +</p> + +<p> +„Wieso?“ fragt die Erdme verwundert. +</p> + +<p> +„Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr +mich und meine gottgefälligen Freunde mit Kränkung +von dannen gehen heißen. Da habe ich +Lieblosigkeit gegen euch aufgesammelt in meinem +Herzen und habe euch Übles antun wollen. Ich +habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt +<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a> +hätte, hätte ich es auch nicht gekonnt, aber +daß ich bösem Willen eine Herberge geben konnte +in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. +Die bitte ich Gott ab, indem ich sie dir abbitte, +Nachbarin.“ +</p> + +<p> +Und da geschieht das Wunderbare: der arme +alte Mann kniet mühsam vor ihr nieder und hebt +die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, +ihn wieder hochzuziehen. +</p> + +<p> +Die beiden Marjellen aber lachen sich eins +und machen, daß sie hinauskommen. Und wenn +Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack +spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß +sie niederkniet und Abbitte leistet, sonst sei sie +kein gottgefälliges Mädchen. +</p> + +<p> +Und dann vertragen sie sich und lachen immer +aufs neue. +</p> + +<p> +Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht +als der Baubau — „der Baboszius“, wie die Litauer +sagen — durch ihre ganze Kinderzeit. Vor +dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken. +</p> + +<p> +Das ist der alte Raubmörder drüben in der +baufälligen Kate, der korbflechtend am Wege +sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn +sie, aus der Schule kommend, vorbeimüssen. +Dann nehmen sie die Röcke zwischen die Beine, +und heidi! jagen sie quer übers Moor — über +Kartoffeläcker und Gräben der schützenden Heimat +entgegen. +</p> + +<p> +<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a> +Und doch hat er ihnen nie was getan. +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein +gütiger Onkel, bringt Gerstenzucker und Walnüsse +mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. +Darin stehen Geschichten von Königstöchtern und +Prinzen und anderen vornehmen Leuten, zu +denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt +immer noch und läßt sich von der Mutter betreuen. +Aber ihnen sollte es einfallen, für fremde +Leute Magddienste zu tun! +</p> + +<p> +Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike +ließ’ es nicht zu, denn warum so was Unnützes +überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung. +</p> + +<p> +Die Frau des Smailus — die vierte — ist +ihnen nicht grün und will kaum einmal, daß die +Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze +Person, die ihren Mann hält, als wär’ er ihr +Knecht. +</p> + +<p> +Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der +Smailus bisweilen und klagt: „Was können die +Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, +und die gestorbenen Frauen? Denn ich bang’ +mich so sehr nach der Dritten.“ +</p> + +<p> +Und dann sagt die Mutter bloß: „Siehst du, +Nachbar, da hast du’s.“ — — — +</p> + +<p> +Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen +Kopf und soll drum in der Fremde +ihr Glück machen. +</p> + +<p> +<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a> +Die Katrike wird nächstens zum Unterricht +gehn. Sie wächst und wächst dem lieben Gott +ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie +„das Katzchen“ genannt. Faul ist sie wie die +Pest. Sie muß daher ein Rittergut haben. Und +so ist alles aufs beste bestellt. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! +Wassersnot! +</p> + +<p> +Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser +wird man doch noch aushalten können. Das +ist doch fast in jedem Frühling so gewesen. +</p> + +<p> +Aber man hat erzählt, die Leute, die vom +großen Strom herkommen, haben Vieh angebunden +und Betten aufgeladen. In langer +Reihe stehen die Wagen auf dem Rußner Chausseedamm, +und vor der langen Brücke sollen sie +aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter +können. Der Heydekrüger Markt sei übervoll, +und nirgends mehr geb’ es ein Obdach. +</p> + +<p> +Die Erdme sagt zum Jons: „Sieh doch mal +nach, was dran wahr ist.“ +</p> + +<p> +Der zieht die langen Stiefel an und planscht +drauf los. +</p> + +<p> +Der Hof steht unter Wasser. Das will am +Ende nicht viel sagen. Der Knüppelweg steht +auch unter Wasser, aber der Boden darunter +<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a> +ist noch steif gefroren. Man kann vom Fenster +aus sehen, daß er fest hält. Wie der Jons marschiert, +macht das Wasser spielende Wellchen +über dem Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde +es spritzen. +</p> + +<p> +Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen +Nebel und scheinen so weit weg, daß man meinen +könnte, sie seien aus einer anderen Welt. +</p> + +<p> +Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, +und die Dächer tropfen. +</p> + +<p> +Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen +an. Die Kühe haben heute früh noch kein Heu +gekriegt, und die Schweine quaksen. +</p> + +<p> +Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: +„Wir müssen abfuttern gehen.“ Aber die wollen +nicht ’ran, denn das Wasser ist naß. +</p> + +<p> +So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt +die Röcke hoch und geht auf Klotzkorken nach +dem Hof. +</p> + +<p> +Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, +schwimmen schon, und wenn man von einem +zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur +so in die Höhe. +</p> + +<p> +Aber man kommt doch noch hin. +</p> + +<p> +Den Schweinen geht das Wasser schon an +die Läufe. Sie sind unruhig und fressen nicht. +Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die +kommt aus der Niederung und kennt den Dienst. +Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die +<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a> +will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, +obwohl ihm die nasse Streu kein Vergnügen +bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, aber +sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher +legen, und dazu gehört eine Sommerarbeit von +vierzehn Tagen. +</p> + +<p> +Sie will sich von den Tieren nicht trennen, +läuft von einem zum anderen und klopft ihnen +beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun. +</p> + +<p> +Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: +„Mamma! Mamma!“ +</p> + +<p> +„Was ist?“ +</p> + +<p> +„Das Wasser ist in der Stube!“ +</p> + +<p> +Also zurück. +</p> + +<p> +Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr +halten. Tritt man darauf, so gleiten sie seitwärts, +und man sieht sich im Wasser bis über die +Waden. Aber man kommt doch noch immer +zurück. +</p> + +<p> +Richtig! Das Wasser steht in der Stube. +Gar nicht wie ein Gast, der nicht hingehört. Hat +sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann +sich drin spiegeln. +</p> + +<p> +Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und +sagen: „Wo sollen wir nun sitzen?“ +</p> + +<p> +„Setzt euch auf den Tisch,“ sagt die Erdme. +Ihr sind die Beine wie Eis. Sie sucht einen +Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den +Kasten. Da ist das Wasser schon an den Kleidern +<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a> +hochgeklettert und hat alles verfeuchtet. So +setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine +an der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt +ist noch worden. Das wärmt sie wieder ein +bißchen. +</p> + +<p> +Die Marjellen haben sich richtig auf den +Tisch gehuckt, wo das Frühstück noch ’rumsteht. +Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie +in die Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie +zu träge ... +</p> + +<p> +Die Erdme will die Füße zur Erde sinken +lassen, aber erschrocken zieht sie sie wieder zurück, +denn das Wasser reicht auch hier schon bis über +die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen +Kartoffeln geschwommen und der Schmandtopf +zum Buttern. +</p> + +<p> +Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da +nun doch nicht gebuttert wird, so trinken sie ihn +umzech aus, und jede freut sich an dem weißen +Schnurrbart der anderen. +</p> + +<p> +„Mamma,“ sagt die Katrike, „wenn wir hier +’raus müssen, wer wird uns dann abholen kommen?“ +</p> + +<p> +„Der König wird einen Prinzen schicken,“ +sagt die Erdme, die sich zu ärgern anfängt. +</p> + +<p> +Und sie wollen sich schief lachen. +</p> + +<p> +Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe +in dem Kleiderschrank auf dem Boden stehen +und notwendig naß werden müssen. +</p> + +<p> +<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a> +„Ach, Mamma,“ sagt die Katrike, „du hast ja +schon sowieso kalte Füße. Sei so gut und hol +uns die Schuhe.“ +</p> + +<p> +„Holt sie euch selber,“ sagt die Erdme, die +immer noch zittert. +</p> + +<p> +Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da +die Katrike am Mittwoch zum Unterricht muß, +so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß +einen Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. +Auf dem Sitz kniet sie nieder und öffnet die +Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, +und einer ist umgekippt, so daß beim Hochheben +das Wasser im Bogen herausläuft. +</p> + +<p> +Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt +erst ein Unglück geschehen ist. Wenn <em>die</em> eine +Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht! +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden. +</p> + +<p> +„Paßt auf, ob der Vater kommt,“ sagt sie +zu den Marjellen. +</p> + +<p> +Die kucken zum Fenster ’raus und sagen nach +einer Weile: „Der Nachbar Witkuhn will das +Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.“ +</p> + +<p> +„Ist es schon so weit?“ denkt die Erdme, und +das Herz steigt ihr hoch. Doch dann gibt sie sich +einen Stoß und springt von der Ofenbank ’runter. +Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, +stundenlang — sie wird auch das aushalten +können. +</p> + +<p> +„Kommt mit in den Stall,“ sagt sie. +</p> + +<p> +<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a> +Die beiden glauben nicht recht gehört zu +haben. Quer durch die Überschwemmung — +o pfui doch! +</p> + +<p> +„Dann ersauft meinetwegen hier,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Da leuchtet es ihnen schon eher ein. +</p> + +<p> +Draußen reicht das Wasser bereits bis an +die Knie, und den Marjellen noch höher. Sie +heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie +doch. +</p> + +<p> +Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine +drehen sich quiekend im Kreise, und die Kühe +reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. +Nur das Pferdchen steht voll Ergebung und +zittert. +</p> + +<p> +Mein Gott, und der Vater kommt immer noch +nicht! +</p> + +<p> +Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter +ihr — naß bis gegen den Nabel. +</p> + +<p> +„Ich hab’ mein Vieh dem Smailus mitgegeben,“ +sagt er. „Die Schweine sind in den +Graben geraten und werden ertrinken. Eure +kriegt ihr schon nicht mehr heraus.“ +</p> + +<p> +„Was wird werden, Nachbar?“ Sie ringt +die Hände. +</p> + +<p> +„Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, +ihr schafft die Kühe hinauf.“ +</p> + +<p> +Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. +Seit wann kann eine Kuh die Leiter hochklettern? +</p> + +<p> +„Bringt Säge und Schaufeln,“ sagt er. +<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a> +„Auch Mistgabeln bringt, ich werd’s euch zeigen. +Dann muß ich ’rüber, meine Frau auf den +Boden tragen. Die liegt im Bett und kann sich +nicht rühren.“ +</p> + +<p> +Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei +Mistgabeln. +</p> + +<p> +„Draußen liegen Ziegel vom Bau her,“ sagt +er weiter, „die klaut aus dem Wasser und schafft +sie herein.“ +</p> + +<p> +Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt +er jeder einen Stoß gegen den Hintern. Das +hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die +Ziegel, und die Katrike schimpft, sie wird sich +erkälten. +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht +auf dem Estrich aus, gerade unter der Luke, und +dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, +die ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist +zu staken an, der Kuh immer unter die Hufe, +so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht. +</p> + +<p> +„So macht’s weiter,“ sagt er und schwingt +sich hinauf durch die Luke. Deren Bretter sägt +er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, +daß eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann. +</p> + +<p> +Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon +gegen die Decke, aber unten weicht das Wasser +die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will. +</p> + +<p> +„Stemmt Bretter gegen!“ sagt er. Die Marjellen +tun’s. Nun sie naß sind bis gegen den +<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a> +Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das +einzige, was sie vor dem Erstarren bewahrt. +</p> + +<p> +Die Schweine stehen auf den Hinterläufen +und trippeln an der Wand entlang wie große +Ratten im Käfig. +</p> + +<p> +Wer wird sie heben können? Denn um stille +zu halten, sind sie zu dumm. +</p> + +<p> +„Manneskraft fehlt,“ sagt der Nachbar. Dann, +sich vor die Stirn fassend, stöhnt er leise: „Und +sie liegt und kann sich nicht rühren.“ +</p> + +<p> +Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber +er bleibt. Es ist ja die Erdme, die ihn braucht. +</p> + +<p> +Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, +da steht der Jons mit einem Male da — naß wie +eine ertränkte Katze. +</p> + +<p> +„Ich hatt’ einen Kahn beschafft für euch,“ +sagt er, „da haben die anderen mich ’rausgeschmissen. +Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, +und ein Kind ist ertrunken. Von +nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den +Chausseedamm.“ +</p> + +<p> +Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind +starr. Nur ein Rucken zeigt, daß noch Leben +in ihnen ist. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt der Witkuhn, „die eine Kuh +ist oben. Versuch’s mit der anderen. Die Erdme +weiß, wie. Das Pferd laß ’raus, das schwimmt +zum Damm von alleine. Aber die Schweine +müssen ersaufen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a> +„Vielleicht krieg’ ich sie auch noch ’rauf,“ sagt +der Jons. +</p> + +<p> +„Unmöglich ist nichts,“ sagt der Nachbar und +planscht zur Tür. +</p> + +<p> +„Wo willst du hin?“ fragt der Jons. +</p> + +<p> +„Meine Frau liegt im Bett und kann sich +nicht rühren!“ +</p> + +<p> +„Dann bet ein Vaterunser für sie,“ sagt der +Jons. „Jenseits des Wegs ist jetzt Strömung. +Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen +tust du auch.“ +</p> + +<p> +„Ich muß!“ sagt der Nachbar und geht. — +</p> + +<p> +Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen +Stücke schwimmen nun ’rum. Auch die Schwarzweiße +folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch +der Mist will unter dem Wasser jetzt nicht mehr +halten. Der Jons bricht die Raufen entzwei +und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So +kommt Festigkeit in den Bau. +</p> + +<p> +Die Schweine in ihrer Todesangst klettern +jetzt an den Menschen hoch — man muß sie mit +Mühe abwehren —, und auch das Pferdchen +wird unruhig. +</p> + +<p> +Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem +es eine Weile lang in den Stall zurückgewollt +hat, begibt es sich klug auf die Reise. +</p> + +<p> +Sie schaufeln und staken und staken und +schaufeln und nutzen jeden Eimer und jede +Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen. +</p> + +<p> +<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a> +Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, +da liegt schon das eine der Schweine regungslos +auf dem Wasser. Das andere, das immer noch +quiekt, schieben sie den Mistberg hoch, so daß es +halb erwürgt oben ankommt. +</p> + +<p> +Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen. +</p> + +<p> +Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu +und hat Krämpfe. +</p> + +<p> +„Ich geh’ ins Haus und hole, was nötig ist,“ +sagt die Erdme. +</p> + +<p> +Die Marjellen schreien: „Du wirst ertrinken!“ +Aber sie macht sich nichts draus. +</p> + +<p> +Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die +Brust. Es steht nicht mehr still wie zuvor. +Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, +dicker als Torfziegel. Die kommen sicher vom +Strome. Es muß also ein Dammbruch geschehen +sein. +</p> + +<p> +Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren +zu wollen über Nacht. Aus der Gegend der +Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von +Menschen und Tieren. Ab und zu ein Schrei +wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles still. +Wie längst gestorben ist alles. +</p> + +<p> +Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen +die Tischplatte. Die Stühle schwimmen. Die +im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch +trocken. Nur das unterste Stück hängt ins +Wasser. +</p> + +<p> +<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a> +Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück +ist’s, daß dem Jons sein Schafpelz zum Trocknen +noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird +Wärme haben. +</p> + +<p> +Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und +her, die Arme hochhaltend, und immer schwieriger +werden die Wirbel. +</p> + +<p> +Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu +die Glieder warm und wühlt sich nackt in den +Haufen. Und während die Marjellen kreischen +und Jons im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein +und schläft die ganze Nacht durch wie ein Sack. — +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser +glänzt eine dünne, blaßblaue Eisschicht, in die +schneegraue Blöcke eingefroren sind. +</p> + +<p> +Sie denkt an die Prophezeiung des alten +Raubmörders. Wer jetzt noch gegen das +Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe +Eis mit tausend Messern das Fleisch zerschneiden. +</p> + +<p> +Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte +ihr einstmals drohte. Nur daß sie nicht im +Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben +im Hause geblieben, weiß Gott, wie es dann +aussähe! Das, was dort Dach heißt, hätte sie +niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, +das Haus sieht aus wie eine Roggenhocke +kurz vor dem Umfall. — +</p> + +<p> +<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a> +Sie steht auf und zieht sich an. — Die Röcke +von gestern sind noch patschnaß, aber die mitgebrachten +scheinen fast trocken. +</p> + +<p> +Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem +Fieber redet Dummzeug. Die Kühe haben sich +eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück. +</p> + +<p> +Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch +der Stall nicht mehr festhält. Und der war doch +wie für die Ewigkeit gebaut. +</p> + +<p> +Wie geht’s denn mit den Häusern ringsum? +Heute ist klare Luft. Man sieht sie, als wäre +man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft +das Wasser zur Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen +sein mag? Ob die Frau wohl noch +lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein +das Dach durchschlagen, denn der bestand +bis hoch oben aus Ziegeln. +</p> + +<p> +Und dicht daneben? Was ist das? Da steht +ja ein anderes Haus, das gestern nicht da war! — +Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des +alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden. +</p> + +<p> +Um Himmelswillen — das fremde Haus +dicht neben dem Hofe des Smailus, das ist sie ja! +</p> + +<p> +Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, +langsam treibt sie der Wasserdrang vor sich +her. In jedem Augenblick verschiebt sich die +Richtung gegen den Hof hin. +</p> + +<p> +<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a> +Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, +das sie weiter bewegt? So viel Kraft kann das +kaum haben, denn dann gäb’ es ja keine Eisschicht. +Und was bedeutet die Stange, die sich am hinteren +Ende hebt und senkt? +</p> + +<p> +Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein +Kahn. — Ein Kahn, der sich fortbewegt, ein +Kahn, der gelenkt wird. +</p> + +<p> +Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst +von einer Arche Noah gesprochen? +</p> + +<p> +Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam +kommt sie, aber sie kommt. Kommt +sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie +vorbei? +</p> + +<p> +Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und +schreit: „Hierher! Hierher!“ +</p> + +<p> +Die beiden Marjellen fahren hoch: „Mamma, +was ist?“ +</p> + +<p> +„Schreit, schreit, schreit!“ +</p> + +<p> +Und alle drei schreien: „Hierher! Hierher! +Hierher!“ +</p> + +<p> +Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, +dort, wo die Birken bis an die Kronen im +Eise stehen. +</p> + +<p> +Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit +hochstehenden Rändern. Die hat er all die Jahre +mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts +ahnen. +</p> + +<p> +„Hierher! Hierher!“ +</p> + +<p> +<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a> +Und jetzt hört man schon das Zerspellen des +Eises, das sich am Holze hochschiebt und klingende +Risse voraufwirft. +</p> + +<p> +Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die +Lumpen eines Schafpelzes hängen an ihm herum. +Er schwingt die Stange und lacht — lacht — +lacht. +</p> + +<p> +„Nachbar, hierher!“ +</p> + +<p> +„Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar — hä? +— Der geliebte Nachbar! Der wertvolle Nachbar +— hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen +wollten, dann wär’ ich euch nicht zu schlecht — +hä?“ +</p> + +<p> +„Nachbar — vergiß und hilf!“ +</p> + +<p> +„Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! +Und kein Abseitsrücken! Jetzt wird spazierengefahren +an allen vorbei, die ertrinken, +und gelacht wird wie bei einer Hochzeit.“ +</p> + +<p> +„Nachbar — erbarm dich!“ +</p> + +<p> +„Hast <em>du</em> dich erbarmt? Ja, du <em>hast</em> dich +erbarmt! Du hast mir einmal ein Stück Hochzeitsfladen +hingeworfen. Hast es wohl längst +vergessen. Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, +Hochzeit zu feiern bei mir. — Du und +was mit dir da drin ist.“ +</p> + +<p> +„Jons, steh auf!“ +</p> + +<p> +Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt +von Sommerwiesen und Heuaust. Und die +Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen +<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a> +lieber ertrinken als zu dem Raubmörder ins +Haus. +</p> + +<p> +Aber die Erdme fackelt nicht lang’. Sie +kriegt die Urte zu packen und wirft sie dem Alten +aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe entzweiknallt. +Und mit der Katrike macht sie’s +nicht anders. +</p> + +<p> +Aber der Jons! Der Jons! „Jons, steh auf, +wir müssen in die Wiesen!“ +</p> + +<p> +Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er +läßt sich auch den Pelz anziehen, mit dem er +über Nacht bedeckt war. +</p> + +<p> +Aber nun ’runter. Wie schafft man ihn +’runter? Denn auch ihn aufs Dach werfen — +das geht nicht. Er würde abrutschen und ins +Wasser stürzen. +</p> + +<p> +„Jons, spring! Nimm Vernunft an und +spring!“ +</p> + +<p> +Aber das tut er nicht. Er muß ja in die +Wiesen. +</p> + +<p> +Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch +die Luft zu werfen, so daß es das Rohrdach in +Haufen bedeckt. +</p> + +<p> +„Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring +’rauf, sonst fahren wir ohne dich nach Haus.“ +</p> + +<p> +Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und — +Gott sei gesegnet! Er springt. Bleibt in dem +Rohrloch stecken, und da ist er geborgen! +</p> + +<p> +Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt +<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a> +werden. Die Kühe haben Futter, aber das +Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht +von dem Miste ernährt. +</p> + +<p> +Also los! +</p> + +<p> +Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm +entgegen. +</p> + +<p> +„Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?“ +</p> + +<p> +„Wer hat mir geholfen — hä?“ +</p> + +<p> +„Der Taruttis hat für dich gebetet.“ +</p> + +<p> +„Aber gesprochen hat er nicht mit mir — und +der Taruttis ist auch schon weg.“ +</p> + +<p> +„Aber der Witkuhn ist noch da und seine +todkranke Frau.“ +</p> + +<p> +„Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen +sie alle.“ +</p> + +<p> +„Der Witkuhn wird <em>nicht</em> ersaufen. Und +wenn du mir nicht gehorchst — ich bin stärker als +du und schmeiß’ dich ins Wasser.“ +</p> + +<p> +„Ist das der Dank, du Bestije?“ +</p> + +<p> +„Ob Dank oder nicht — ich schmeiß’ dich ins +Wasser.“ +</p> + +<p> +Sie hat Fäuste wie Eisen — das merkt er +sofort und läßt schimpfend die Stake in ihrer +Hand. +</p> + +<p> +Und sie lenkt hinüber zum Weg — an den +eingefrorenen Birken entlang und über den +Weg hinweg. Langsam geht es — o Gott, wie +langsam! — Das Eis knirscht, als fletscht es ihr +tausend grimmige Zähne entgegen, und der +<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a> +Alte tanzt hin und her und droht, er wird die +Axt holen und sie erschlagen; aber sie lacht nur +und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft dicht +vor ihr liegt. +</p> + +<p> +„Nachbar! Nachbar Witkuhn!“ +</p> + +<p> +Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr +lebendig. Nur die Katze sitzt auf dem Dachfirst +und knaut. Und das Wasser spült über das zersplitterte +Eis weg rund um den Giebel. +</p> + +<p> +„Nachbar Witkuhn!“ +</p> + +<p> +Da — was schiebt sich aus der schwarzen +Luke langsam ins Helle? Ein Bett kommt gekrochen, +und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt +die tote Frau, und der Nachbar geht +hinterher und schiebt. +</p> + +<p> +Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar +schwimmt hinterher. Und schließlich kommt +auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten +festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen +herein. +</p> + +<p> +„Wie fandst du sie?“ +</p> + +<p> +„Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß +ich nicht. Als ich sie auf den Boden hob, war sie +längst tot.“ +</p> + +<p> +Weiterfahren! +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar +die Hand. Und der nimmt sie auch und hält +sie ganz gierig, als hätte <em>er</em> die Rettung vollbracht. +</p> + +<p> +<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a> +Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, +an keiner Wirtschaft vorbeizufahren, aus +der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten +Geschmack gefunden, seitdem eine Menschenhand +in der seinigen lag. +</p> + +<p> +Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar +Witkuhn, denn er ist naß und darf nicht erklammen. +Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. +Die beiden Marjellen sitzen zusammengekrochen +im Winkel, und der Jons stöhnt oben im Rohrdach. +</p> + +<p> +Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger +als ein Ziegenverschlag. Der Fußboden +besteht aus langen Rudern, den Putschinen, +mit denen die Flößer ihre Holztriften +lenken. Die hat er dicht neben einander gelegt +und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und +verteert. Ein Bett und ein eiserner Ofen — +viel mehr steht nicht drin. Und da kein Herd +da ist, der einen Untergrund braucht, so kann +das Ganze vom steigenden Wasser sich hochheben +lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm. +</p> + +<p> +Noch aus drei Häusern holen sie die nassen +und steifgefrorenen Bewohner. Die dürfen ins +Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen +zum Heizen sind auch da. +</p> + +<p> +Der alte Raubmörder geht immer von einem +zum andern und kriegt nicht genug Hände zu +schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er. +</p> + +<p> +<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a> +So kommen sie näher und näher an den +Chausseedamm, an dessen Höhe dem Wasser kaum +noch ein Zoll fehlt. +</p> + +<p> +Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall +und nach Fütterung, und auf den Wagen weinen +die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum +mit Eimern voll dampfendem Kaffee. +</p> + +<p> +Und überall die Stimme des Moorvogts. +Vorne und hinten, in Streit und in Jammer — +überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft +und schiebt die Achsen und halftert das Vieh +und ordnet die allmähliche Abfahrt. +</p> + +<p> +Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen +sieht und den Bootshaken streckt, +an dem man sich festhält. +</p> + +<p> +„Also das war dein Kunststück,“ sagt er zu dem +aussteigenden Alten. Und der nicht faul, verlangt +sofort seine Pension. +</p> + +<p> +„Erst geht in mein Haus und wärmt euch,“ +sagt der Moorvogt. Da gewahrt er das Bett +mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. +Sein Gesicht, das von dem zweinächtigen +Tagewerk wild gedunsen und rot ist, +wird lang und grau. Er schlägt sich mit den +Fäusten vor die Stirn, und wie einer, den beim +letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, +sagt er leis’ vor sich hin: +</p> + +<p> +„Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.“ +</p> + +<p> +<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a> +Aber in demselben Augenblick hat er sich schon +einen Ruck gegeben und ist obenauf. Niemand +als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei +gehört. +</p> + +<p> +Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm +herangefischt. Und während es langsam +dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die +Mützen vom Kopf. Einer stimmt an, und alle +bis weit in die Ferne hinein, auch jene, die +noch nicht wissen können, was los ist, singen das +alte Begräbnislied: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse"><span class="antiqua">Jau su Diewu gywenkite</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">Jus mylimi, ne werkite,</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">Kunelí manó dekite</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">I zemé ir pakaskite.</span></p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Das heißt auf deutsch: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,</p> + <p class="verse">Weint nicht, nun ich selig werde,</p> + <p class="verse">Und den Leib, der hier geblieben,</p> + <p class="verse">Senket in die dunkle Erde.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Laut und andächtig singen sie, denn wenn +es, Gott sei gedankt, auch nur wenig Tote gab, +jeder hat ja eine Hoffnung begraben. +</p> + +<p> +Bloß einem geht es so gut wie noch nie. +</p> + +<p> +Das ist der alte Raubmörder. +</p> + +<p> +Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts +mitten auf dem gestreiften Sofa, hat die Hände +um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift, +speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die +<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a> +ihn voll Achtung umstehen, wie klug vorausschauend +er einst sein Haus umgebaut hat und +wie vielen durch seine Guttat heute das Leben +erhalten blieb. Darum und aus noch vielen anderen +Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine +Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage +beschließen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Wie kann der Frühling so unbarmherzig +sein! +</p> + +<p> +Je wärmer die Tage werden, desto frostigere +Nebel haucht das durchkältete Moor; je heller +die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt sie +zutage. +</p> + +<p> +Der Jons ist von seiner Lungenentzündung +aufgestanden und schleicht am Stock wie ein +nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er +gelegen, und Erdme mitsamt den Marjellen ist +derweilen bei Fremden in Pflege gewesen. +</p> + +<p> +Nun sich das Wasser verläuft, können die +Moorleute endlich wieder zurück. +</p> + +<p> +Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da +finden! +</p> + +<p> +Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor +fünfzehn Jahren erbauten, das steht zwar noch — +aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer +stark schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. +Tritt man ein, so stinkt es nach Moder und +<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a> +Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der +Herd auseinandergespellt, und was von dem +Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein mächtiger +Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es +mit Lehm und mit Ziegeln bis in die Tischecke +hin. +</p> + +<p> +Ein Wohnen darin ist unmöglich. +</p> + +<p> +Darum beschließt die Erdme, mit dem noch +krankenden Mann und den Töchtern zum Stall +hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren +geholt worden, die an jenem Tage +im Extrazug aus Königsberg kamen. Und das +Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. +Die müssen sich alle mit der linken +Seite behelfen, die rechte, wo früher die +Schweine hausten, wird Wohnung. +</p> + +<p> +Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen +wollen nicht ’ran. In einem Schweinestall +zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. +Das sei eine Entwürdigung. Besonders wenn +man dicht vor der Fräuleinschaft steht. +</p> + +<p> +Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der +trostlose Zustand dauert nicht ewig. Denn dort, +wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten, +um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen +und vier Dutzend Schwarten ein Haus zu errichten, +rücken eines Tages die Zimmerleute an, +und langgestreckte Gefährte bringen Balken und +Bretter. +</p> + +<p> +<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a> +Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als +damals! — Der Raiffeisenverein hilft, und was +noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank. +</p> + +<p> +Der Meister hat einen Grundriß gemacht für +eine Große und eine Kleine Stube, für Kammern +und Klete, und statt des lehmbeschmierten Ziegelgestells +wird ein glitzernder Kachelofen herrlich +erstehen. +</p> + +<p> +In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das +den Stolz der Familie noch weiter in die Höhe +hebt. +</p> + +<p> +Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist +in der weiten Welt nicht unbemerkt geblieben. +Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange Schilderungen +gebracht, und sowohl die rettende Arche +Noah als auch die Frauenleiche im schwimmenden +Bett sind beschrieben und abgebildet +gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die +auf Erden so lange und so still gelitten hat, vom +Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu +ihrem Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert. +</p> + +<p> +In den großen Städten haben die schönen +jungen Damen zugunsten der Überschwemmten +getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. +Haben Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, +Schaumwein und Küsse verkauft und sind, wenn +das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen. +</p> + +<p> +Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt +<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a> +und dabei vielerlei Sachen gefunden, die +den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem +Werte sein mußten: Festkleider von vor +sechs Jahren, durchgescheuerte Unterröcke, zerpliesertes +Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern, +vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, +gespenstische Bademäntel und zu alledem Hüte +für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult, +verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der +Inbegriff aller irdischen Pracht. +</p> + +<p> +Auch die feinen Herren haben das ihre getan. +Die einen haben alte Hochgebirgskostüme geliefert, +weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich +war. Die anderen haben weißen Flanell +bevorzugt, weil so ein Moor doch nahe am +Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen +Wesen der Notleidenden entsprechend +ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische +gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise +ihr altes Ballzeug loswerden zu können. +</p> + +<p> +Kisten und Kisten wurden verfrachtet und +gingen per Eilzug an den Heydekrüger Frauenverein. +Endlich, endlich werden die armen, nackten +Moorleute was anzuziehen kriegen! +</p> + +<p> +Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand +vor sich liegen sehen, schlagen sie voll Entsetzen +die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, +ihn ihren Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten +zu dürfen. Sie kramen alles heraus, +<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a> +was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen +das andere verstecken. Aber da kennen sie +unsere Moorleute schlecht. +</p> + +<p> +Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten +für sie ins Land geflogen sind, da +stürmen sie den Schmidtschen Speicher und +suchen mit List und Gewalt das Feinste des +Feinen für sich zu erraffen. Wunder auch! Wer, +der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt +den schwarzen Erdenschlamm knetet, wird es sich +nehmen lassen, des Abglanzes fernher leuchtender +Paradiese teilhaftig zu werden? +</p> + +<p> +Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden +flittrigen Fetzen. Wer was Warmes und Dunkles +in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen. +Schandworte fliegen herum, und draußen kommen +Tauschgeschäfte zustande, die wohl zehnmal +zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer +Tracht Prügel ein Ende nehmen. +</p> + +<p> +Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, +was das Glück ihnen zuschanzte, und haben ein +Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. +Manche spiegeln sich nach jedem hundertsten +Schritte im Wasser der Gräben, und alle +fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, +ob ihm in der Dämmerung nicht was weggegrapscht +wird. Den alten Raubmörder will +einer gesehen haben, wie er, gegen einen +Chausseebaum gelehnt, barhäuptig dastand und +<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a> +einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der +Brust plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen +ließ. +</p> + +<p> +Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen +reich beladen nach Hause. Sie haben die +lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich +mehr an das Schwere und Feierliche gehalten, +denn Erdme war ihres alten Schwures gedenk, +daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide +einhergehen sollen. +</p> + +<p> +Und das können sie fortan wirklich. +</p> + +<p> +Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem +Samt, tiefausgeschnitten und mit glitzernden +Perlen bestickt. +</p> + +<p> +Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen +und damit selbst die vornehmsten Töchter der +Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des +Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar +herumstehen. +</p> + +<p> +Da die frühere Eigentümerin von mächtigem +Leibesumfang gewesen sein muß, so können beim +Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen +werden, daß sich auch für die Urte ein +Staatskleid ergibt. Und als das fertig ist, bleiben +noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme +die eigene Bluse reichlich damit besetzen kann. +</p> + +<p> +So fahren sie also am Einsegnungstage alle +drei in himmelblauem Samt zur Kirche. Und +die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher. +</p> + +<p> +<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a> +Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin. +</p> + +<p> +Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die +lichterziehend und wie ein Paradiesvogel bunt +in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, +da packt sie sie an dem Samtschlafittchen und +schiebt sie ins Pfarrhaus. +</p> + +<p> +„Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, +Marjell, dich in solchem Aufzug vor den Altar +Gottes treten zu lassen?“ +</p> + +<p> +Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken. +</p> + +<p> +Aber wie die Katrike bittet und weint, da +fühlt sie ein menschliches Rühren, holt aus dem +Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft +es ihr um die Schultern. +</p> + +<p> +Und so kann sie denn eingesegnet werden. +</p> + +<p> +Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen +die Baltruschats, von neidischem Staunen umgeben. +Nur des Jons muß man sich etwas schämen, +weil er nicht fein genug ist. +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, +wie sie den Stolz der Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit +verdammt hinter dem Pfarrer herkommen +sieht, aber sie tröstet sich bald. +</p> + +<p> +Steckt auch der Glanz noch in schlichtem +Futteral, er ist doch schon da. Und das ganze +kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu +entfalten. +</p> + +<p> +Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch +<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a> +blauer sind als der Samt, den sie anhat, und +denkt beim Singen und Beten an die künftigen +Bräutigams. +</p> + +<p> +Und der Jons denkt beim Singen und Beten +an das wachsende Haus, dessen glatt behobelte +Wände schon über das Moor hinleuchten. +</p> + +<p> +Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht +zu denken gewagt? +</p> + +<p> +Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus +dem Moorschlamm herausgeholt, der zäh und +unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser +lagert, bereit zu verschlingen, was sich ihm anvertraut. +</p> + +<p> +Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons +seine zerarbeitete Hand und denkt: Hat es zwischen +uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer +hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich +überstanden, — wo sollte er herkommen, +nun es leichter und leichter wird? +</p> + +<p> +Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag +nah ist. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-15"> +15 +</h3> + +<p class="first"> +So! Nun mach’ ich einen langen Atemzug — +der dauert volle zehn Jahre lang —, und dann +erzähl’ ich, was aus dem Jons und der Erdme +und den zwei hoch hinaus wollenden Töchtern +weiter noch wird. +</p> + +<p> +Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand +<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a> +nicht viel zu berichten. Als sie mit +siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als +Kellnerin einzutreten — denn das sollte die +Schwelle sein zu dem künftigen Glück —, da +war sie ein appetitliches Marjellchen mit kornblumenblauen +Augen und einem süßen Schnauzchen, +rund und feucht wie eine betaute und +gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, +die sie inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie +schlank und hoch geworden ist und überhaupt +wie eine von den schönen Damen, die in dem +früheren Hause an den Wänden klebten. Sie +schreibt bald von der Pariser Weltausstellung, +bald aus dem schönen Italien, sogar von der +Spitze des Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte +geschickt, obgleich einem dort von der großen +Kälte die Finger erklammen. +</p> + +<p> +Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern +Ortrud, und auch Baltruschat heißt sie nicht +mehr — so ein litauischer Name ist viel zu gemein +für sie —, sondern einmal schreibt sie sich +Balté, ein andermal Baldamus und ein drittes +Mal sogar wie der katholische heilige Balthasar. +</p> + +<p> +Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, +wenn man ihrer gedenkt. +</p> + +<p> +Die Katrike allerdings — die ist noch etwas +im Rückstand. Sie hat keine Lust gehabt, sich +ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch +daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer +<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a> +hat sie immer noch nicht. Woran das +liegt, ist schwer zu sagen. +</p> + +<p> +An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang +ist sie geraten — das wissen wir schon —, und die +Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter ihr +her: „Kiek — die lange Latte!“ Dafür ruft man +sie zu Hause auch „Pusze, Pusze“, das heißt +„Miesekatzchen“, und dieser liebliche Name macht +viel wieder gut. +</p> + +<p> +An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie +spricht ein sehr feines Deutsch und spitzt den +Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum +Beispiel: „Üch bün eune reuche Besützerstochter.“ +Und das soll ihr mal einer nachmachen! +</p> + +<p> +Viel tun — tut sie nicht. Hat sie auch nicht +nötig. Dafür ist jetzt die Jette da, die Dienstmagd. +Eine niederträchtige Kröt’ übrigens. Die spottet +der Katrike doch immer nach. Wenn sie über +den Hof geht, faßt sie den Unterrock mit zwei +Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und dreht +den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann +ihr nichts nachweisen. +</p> + +<p> +Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu +schade. Eine Stelle als Stütze oder Gesellschafterin +müßte es sein. Aber sie will nicht. +Sie will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen +und sich mit der Brennschere — die hat ihr einmal +die Urte geschickt — die Haare in Wickel drehen. +Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so +<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a> +graugelb wie bei einem Mutterschaf auf der +Scherbank. +</p> + +<p> +Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. +Sie liebt die Traumbücher und die Zaubersprüche +und liest darin morgens und abends. +</p> + +<p> +Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und +die bespricht sie fortwährend. An einem Ostermorgen +ist sie sogar früh aufgestanden, hat splitterfasernackt +das Haus ausgefegt und das Gemüll +ebenso nackt über die Grenze getragen. Aber +geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die +Jette meint, sie solle es machen wie sie und die +Flöhe mit einem Spirituslappen betupfen, so +daß sie nicht hoch können. Aber diese Fangart +ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es +lieber mit Zaubern. +</p> + +<p> +Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike +sehr wenig. Aber was soll er machen? Die +Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß +gehen darf sie nicht, und die Hände zerreißen +darf sie sich auch nicht, denn wenn der reiche +Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, +dann zieht er sofort wieder ab. +</p> + +<p> +Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der +Allerweltsfreiwerber, schon zweimal im Hause +gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner +Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock +die Zunge ausstrecken lassen und was er +sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams, +<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a> +die er anbot, waren bloß Kroppzeug. +Nicht <em>ein</em> richtiger deutscher Besitzer ist darunter +gewesen. Aber die Erdme hat’s ihm auch vergolten. +Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, +um sich die Nase zu begießen. +</p> + +<p> +Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons +schon an die fünfundzwanzig Jahr. Sehr schön +ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch nachgelassen. +Jetzt würde sich kein Nachbar mehr +in sie verlieben. Hart und knochig ist sie geworden, +und einen bösen Blick hat sie gekriegt +von dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen. +</p> + +<p> +Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele +ihnen ihr bißchen Wohlstand beneiden und ihnen +jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen. +Schon manches liebe Mal hat sie einen +Zauberbesen in den Quitschen hängen gefunden, +und wie oft der weiße Hexenspeichel an den +Zaunlatten hing, ist gar nicht zu zählen. Einer +hat sogar bei dem katholischen Pfarrer in Szibben +für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat +ihm aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer +daß er das Reißen bekam. +</p> + +<p> +Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. +Sein Haar ist grau, und sein Gesicht sieht +aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost. +</p> + +<p> +Was hat der Mann aber nicht alles in seinem +Kopfe! Allein das viele Geld zu verwalten! +Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. +<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a> +Und die Wirtschaft wird staatsmäßiger +Jahr für Jahr. +</p> + +<p> +Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden +glänzt in der Sonne wie Silber, und der +massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, +was der Moorgrund schon aushalten kann. Auch +drinnen ist alles aufs beste. Der Herd steht +noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in +dem er den Platz hat, ist hoch und weit und voll +von bemalten Türen. +</p> + +<p> +Links geht’s in die Große und in die Kleine +Stube und rechts in die Kammern. In keinem +litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte +ich erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder +in goldenen Rahmen und den glasierten, doppelten +Ofen, — von der Tapete mit ihren blanken +Sternchen gar nicht zu reden, — weiß Gott, ich +würde kein Ende finden! Winklig zum Stall +ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit +Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des +Torfes. Der Garten hat einen richtigen Staketenzaun, +und nicht bloß Raute und Riechblatt +wachsen darin und was man an Buntem wohl +liebhat, sondern auch Möhren, Salat und mannshohe +Schoten, wovon man essen kann, soviel +man nur will, selbst wenn man Dienstags Körbe +voll auf den Markt bringt. +</p> + +<p> +So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und +keiner der Nachbarn kann sich mit ihnen vergleichen. +</p> + +<p> +<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a> +Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die +Taruttene auch. Beide starben am gleichen +Tage, und als man ihnen die Leichenhemden +anzog, hat der Flachs in der Leinwand noch einmal +zu blühen begonnen. Überall saßen die +blauen Sternchen. So fromm sind sie beide +gewesen. +</p> + +<p> +Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension +gekriegt, und als er zu Grabe getragen wurde, +sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt. +Ob aus Hochachtung oder zur besseren +Bewachung, hat niemand zu sagen gewußt. +</p> + +<p> +Der lange Smailus ist nun auch schon alt. +Seine Vierte, von der niemand was Gutes weiß, +soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, +und wenn das Glück es will, kommt er dazu und +nimmt sich noch eine Fünfte. Die Ulele schreibt +ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie +schickt, riecht immer noch schöner. Sie hat längst +ihren Oberbuchhalter geheiratet. Der ist Teilhaber +an der Fabrik, und die beiden Besitzer +vertragen sich prächtig. — Da sieht man, was +ein tüchtiges Mädchen kann! +</p> + +<p> +Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, +wie ist der zusammengefallen! Eine Dienstmagd +besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet +von früh bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen +Armen und sucht aus dem Boden herauszuschlagen, +daß er gerade zu leben hat. +</p> + +<p> +<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a> +Aber raten und helfen, das tut er noch immer, +und sieht an der Erdme noch immer vorbei, und +das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und +gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl +so bleiben, bis auch das andere stille steht. +</p> + +<p> +Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich +über den Weg hin aufpaßt, und wenn er gleich +fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, +ob ihn selber friert oder schläfert. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-16"> +16 +</h3> + +<p class="first"> +Der Jons und die Erdme sitzen im Garten +zwischen den eingefaßten Beeten und haben sich +lieb — denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag. +</p> + +<p> +Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, +aber außer der Katrike weiß keiner, weshalb. +</p> + +<p> +Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz +aus Silberpapier schenken wollen, hat auch schon +Maß genommen und so, aber dann ist es doch +unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war. +</p> + +<p> +Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede +geben unter den Leuten. +</p> + +<p> +Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die +dünnbehaarten Köpfe. Jons nimmt die Mütze, +die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt +sie ihr auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch +einen Scherz hat er in all den fünfundzwanzig +<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a> +Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht +im innersten Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat. +</p> + +<p> +Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig +und glücklich nebeneinander hergegangen, und +nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken +hat er sich nie — außer bei Hochzeiten +natürlich und ab und zu wohl am Markttag, +aber das gehört ja zum Leben, — und geschlagen +hat er sie auch nicht. +</p> + +<p> +Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür +dankt sie ihm mit Tränen. Und auch er weint +ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder. +</p> + +<p> +Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit +den Traumdeuteraugen und der zwei Trauzeugen, +die auch am Sonntag nach Mist rochen. +Und der Abendstunde im Matzicker Chausseegraben +gedenken sie auch und sehen sich um, ob +niemand sie hört. +</p> + +<p> +„Denkst du daran,“ sagt die Erdme, „was wir +uns damals alles gelobt haben? Leicht war es +nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch +getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden +gestört.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Das ist dein Verdienst.“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Deins ist es auch.“ +</p> + +<p> +Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, +denen ein guter Streich geglückt ist wider Erwarten. +</p> + +<p> +„Gott sei gelobt!“ sagt die Erdme; „jetzt sind +<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a> +wir über den Berg, denn was kann uns nun noch +Böses geschehen?“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Ein Dreck kann uns geschehen.“ +</p> + +<p> +Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen +im blanken Sonnenschein und denken: +„Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr +kommen.“ +</p> + +<p> +Aber es kommt doch noch schöner! Viel +schöner kommt es. +</p> + +<p> +Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen +wollen wie alle Tage, da bemerkt die Erdme, +daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, +ein Herrschaftswagen, wie er hier selten +zu sehen ist. +</p> + +<p> +Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der +„Germania“ und denkt natürlich, es sind Herren +von der Regierung, die im Moor nach dem +Rechten sehen wollen. +</p> + +<p> +Aber wie der Wagen immer noch näher +kommt, erkennen sie beide, daß keine Herren darin +sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich +sitzt sie auch nicht, sondern steht und hält +einen weißen Sonnenschirm in der Hand — mit +dem winkt sie und winkt sie und winkt. +</p> + +<p> +„O Jezau!“ sagt die Erdme und fällt wie +leblos auf die Bank zurück. +</p> + +<p> +Da biegt der Wagen auch schon nach dem +Zufahrtsweg ein und hält vor dem Hoftor. +</p> + +<p> +Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, +<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a> +Brennschere und Seidenpapier noch in der Hand, +und rings um die Stirn sitzen die gewickelten +Knötchen. +</p> + +<p> +Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud +heißt. In einem feinen graukarierten Wollenkleide +springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr +her springt ein Hund, wie ihn noch nie eines +Menschen Auge sah. Mit schneeweißen Locken, +größer noch als ein Wolf und magerer als ein +Schmalreh. +</p> + +<p> +Doch daß die Urte mager ist, kann man +nicht sagen. Einen Busen hat sie — der ist +kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im +dritten Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. +Und die blauen Kornblumenaugen hat sie noch +immer, aber goldene Haare hat sie inzwischen +gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft. +</p> + +<p> +Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da +kniet sie vor ihr und befühlt das Kleid und betastet +die Schuhe, und wie sie das Kleid ein +wenig hebt, was kommt da zum Vorschein? Ein +Unterrock von lauter — du wagst es gar nicht auszusprechen, +nicht auszudenken wagst du es! — +ein Unterrock von lauter Seide, von resedagrüner, +ruschelnder, klingender Seide. +</p> + +<p> +Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, +so klingt bei jeder Bewegung die Seide. +</p> + +<p> +Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor +und Zaun und traut sich an die hochgeborene +<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a> +Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei +der Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. +Und sie küßt auch ihn, aber man sieht: +sehr gerne tut sie es nicht. +</p> + +<p> +Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, +sich die gebrannten Wickel auszukämmen, +und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte +an und möchte auch für sich was +Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut +keiner. +</p> + +<p> +Der weißgelockte Hund, von dem man glauben +könnte, man zerbricht ihn, wenn man ihn anfaßt, +steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten +Menschenaugen um sich und streckt den +witternden Schlangenkopf bald nach rechts und +bald nach links, als kann er sich nicht erklären, +wie er plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft +geraten ist. Den belfernden Köter, +der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude +springt, würdigt er keines Blickes. — +</p> + +<p> +Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender +Lederkoffer, hoch wie ein Haus und +wohlriechend wie russische Gurten. +</p> + +<p> +Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen +Anmutigkeit und ihrer rundhüftigen +Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer +führen kann, wie man die Lämmer zu Markte +führt. +</p> + +<p> +Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der +<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a> +ist von poliertem Holz und hat silberne Einlagen. +Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll +noch viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht +aus wie schwarze, runde Graupenkörner und +schmeckt nach gesalzenen Fischen. +</p> + +<p> +Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid +zum Vorschein mit einem Spitzeneinsatz +und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und +auch die Katrike kriegt ein Kleid, ein hellblaues +Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse und einem +hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und +federt, wenn man ihn anrührt. +</p> + +<p> +Und das Allerschönste hab’ ich noch gar nicht +genannt: das ist der Silberkranz. Kein Silberkranz +aus Papierblättern, wie ihn die Katrike +beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem +schweren, klirrenden Silber, und ein gleiches +Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins +Knopfloch zu stecken. +</p> + +<p> +Von nun an ist’s mit den Heimlichkeiten +vorbei. Die Erdme muß das seidene Kleid anziehen +und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, +Jons bekommt das Sträußchen wirklich +ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen sie beide +im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein +und lassen sich’s gut sein. +</p> + +<p> +Die Töchter sind um sie herum, und sogar +die Jette, die abscheuliche Kröt’, tut sich lieblich, +wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne +<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a> +Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, +damit sie des Morgens nicht klappert. +</p> + +<p> +Nur einer ist nicht zufrieden — das ist der +große, magere, weißlockige Hund. Der schnüffelt +und schnobert, und wenn man ihn ’reinzieht, +läuft er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte +Fressen rührt er nicht an. Die Urte muß ihm +von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, +sonst würde er am Ende verhungern. +</p> + +<p> +Die Urte erklärt: „Das ist ein sibirischer Windhund, +Barsoi genannt, aus einer ganz alten vornehmen +Zucht mit einem Stammbaum, der reicht +wohl hundert Jahre zurück.“ +</p> + +<p> +Sie hat ihn von einem russischen Grafen +bekommen, der mit ihrem Freunde befreundet +war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, +und alle lachen sehr, als sie ihn hören, +denn Petruschka heißt „Petersilie“. +</p> + +<p> +Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als +die nach Hause gekommene Tochter ansehen und +ansehen. +</p> + +<p> +Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt — +einen besseren gibt es ja nicht — und mit den +dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen +Haare geben Feuerstrahlen um sie herum, dann +ist der Erdme, als muß sie in einen finsteren +Winkel kriechen und weinen und beten, daß +Gott sie nicht strafen wolle für dieses allzu +große Glück. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-17"> +<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a> +17 +</h3> + +<p class="first"> +Der Urte — die jetzt Ortrud heißt — ist in +der Kleinen Stube ein Lager bereitet, und Jons +und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich +zu rühren — aus Angst, sie möchten die Tochter +erwecken. +</p> + +<p> +Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in +Frieden bis in den blanken Vormittag. Eine +Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater +zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem +erst fertig. +</p> + +<p> +Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund +zu zwei Mark, und läuft zwischen Herd und Stubentür +hin und her, um zu horchen, wann die +Zeit zum Frühstück gekommen ist. Dann trägt +sie ihr alles ans Bett und sieht mit Sorgen, +ob die Urte sich’s wohl schmecken läßt. +</p> + +<p> +Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen +Spitzenhemd, mit dem ruscheligen Goldhaar und +den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe, +die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote +und blaue Sonnen auf der gewürfelten Decke. +</p> + +<p> +Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen +pflegt. Aber viel ist es nicht. Und lange Zeiten +übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in +der Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme +schon aus den Briefen, aber was sie da überall +getan hat, läßt sie im Dunkeln. +</p> + +<p> +<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a> +Viele Männer haben sie heiraten wollen, +aber es ist nie etwas daraus geworden. Bei den +Reichen und Hochgestellten haben die Eltern +es nicht erlaubt, und den anderen hat sie selber +den Laufpaß gegeben. Als sie in Königsberg +Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr +hergelaufen. Viele haben sich duelliert, und +einige haben sich totgeschossen. Schließlich hat +sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen +können und ist nach Berlin ausgerückt. +Und dort hat das Leben erst recht begonnen. +</p> + +<p> +Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft +zu machen gedenkt, lächelt sie mit ihren Blauaugen +bloß so verschwommen ins Weite und +sagt: „Mach dir keine Sorgen, Mamusze. Für +eine wie mich liegt der Reichtum nur auf der +Straße. Aber erst möcht’ ich mich hier noch ein +bißchen ausruhen.“ +</p> + +<p> +Und das tut sie auch gründlich. Niemals +faßt sie mit an oder kümmert sich um was. Sie +sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen +auf der Gartenbank, blickt nach dem Himmel und +lächelt. Nur ihre Kleider hält sie in Ordnung, +steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und +bügelt, und ihre Finger, die rund und lecker aussehen +wie marzipanene Würstchen, führen die +Nadel schnell und mit Ruhe. +</p> + +<p> +Die Erdme ist noch immer wie von einem +Zauber befallen. +</p> + +<p> +<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a> +Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an +das heimgekommene Kind, macht sich in ihrer +Nähe zu schaffen und schleicht um sie ’rum, bloß +um sie still und andächtig zu betrachten. Oft +ist ihr bange vor lauter Stolz, so daß sie sagen +möchte: „Sei doch einmal wieder wie früher.“ +Aber sie weiß, das kann die Urte nicht mehr, +dazu ist sie zu lange weggewesen und hat zu +viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie +Schönschreiben kann und Französisch, das hat +die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie gehabt. +Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, +aber es muß wohl das Feinste sein, was auf der +Welt gelehrt werden kann. +</p> + +<p> +Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand +und sagt: „Ach, freu dich doch! Freu dich doch!“ +</p> + +<p> +Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, +mit der Tochter zusammenzusein, und er schämt +sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr reden +und wie er den Löffel halten soll, und das Brot +schneidet er heimlich unter dem Tisch. +</p> + +<p> +Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, +hat ihn „lieb Väterchen“ genannt und so. Wie +er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch +sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. +Es liegt noch nicht Übles zwischen ihnen, +bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder +Tag für Tag. +</p> + +<p> +Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz +<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a> +will ihr zerbrechen bei seinem stillschweigenden +Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht +zwingen, daß er sie lieb hat. +</p> + +<p> +Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der +Schwester alles nachmachen und versteht es doch +nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen +und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die +Nägel werden bloß noch dreckiger, der Mund +sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab +wie vertrocknetes Krummstroh. +</p> + +<p> +Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne +Beschwerde. +</p> + +<p> +Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und +macht sich ihre Gedanken. Nicht daß sie die Katrike +nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist +wie ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt +dasitzt und sich in rein gar nichts mit der +Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn +sie das Hellblaue angezogen und den großen +Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch immer wie +Tag und Nacht. +</p> + +<p> +Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist. +</p> + +<p> +Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. +Die Urte unterweist die Katrike in allem, +was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme +und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, +so daß der Neid in ihr nicht hochwachsen kann. +</p> + +<p> +Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht +länger so mit ihr geht. +</p> + +<p> +<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a> +„Wenn du die Ulele wärst,“ sagt die Mutter, +„dann würdest du jetzt einen Mann für sie suchen.“ +</p> + +<p> +„Ich kann ebensoviel wie die Ulele,“ sagt +die Urte. +</p> + +<p> +Und da sie’s verlangt, wird eines Tages, +als der Jons in die Wiesen gefahren ist, der kleine +Tuleweit bestellt, der schon für hundert Vermittlungen +seine Prozente gekriegt hat. +</p> + +<p> +Der in seinem langen Pfarrersrock und den +knallengen Hosen kommt forsch herein und denkt, +er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel +spielen; wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die +ihn in ihrer rosenfarbenen Fleischlichkeit ankuckt, +da wird ihm schon ganz anders. +</p> + +<p> +„Aus was für ’nem Himmel ist denn <em>das</em> +hierher geflogen?“ fragt er. +</p> + +<p> +Und die Urte sagt: „Nehmen Sie Platz, Herr +Tuleweit.“ Und sie, die Erdme, bringt von +dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer +was da ist. +</p> + +<p> +Und die Urte sagt weiter: „Sie sehen es mir +vielleicht nicht an, Herr Tuleweit, daß ich aus +diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das +macht nichts.“ Und dann lobt sie ihn, weil ihr +bekannt ist, daß er bei seinen Vorschlägen immer +das Richtige trifft. +</p> + +<p> +Er bedankt sich und dienert. +</p> + +<p> +„Nun bin ich aber drauf und dran,“ sagt sie +weiter, „eine große Partie zu machen. Eine +<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a> +wirklich große Partie. Und da wär’ es mir natürlich +angenehm, wenn ich durch meine Schwester +nicht in Verlegenheit käme. Ein Deutscher +müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, +so daß man sagen könnte: ‚Meine Schwester ist +an einen Gutsbesitzer verheiratet.‘ Das würde +dann schon den richtigen Eindruck machen.“ +</p> + +<p> +Die Erdme denkt: „Sie ist noch klüger als die +Ulele.“ Und der ganze Herr Tuleweit schwimmt +wie Öl auf Zuckerwasser. +</p> + +<p> +Was an seinen bescheidenen Kräften liege, +das werde sicher geschehen, aber letzten Endes +sei es ja leider Sache der Mitgift. +</p> + +<p> +„Natürlich, natürlich,“ sagt die Urte. Und +wäre sie schon verheiratet, so würde es ihr auch +nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich +auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon +mit etwas Bescheidenem vorlieb nehmen. +</p> + +<p> +„Was heißt bei Ihnen ‚bescheiden‘?“ fragt der +kleine Herr Tuleweit und dienert nicht mehr. +</p> + +<p> +Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird +sie sagen? +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Nun, etwa fünftausend Mark.“ +</p> + +<p> +Fünftausend Mark hat der Jons auf der +Sparbank. Die hat er mit ihr in zwanzig Jahren +zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht +meinen. Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht +sein für das kommende Alter. Gewiß will sie +aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es +<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a> +fehlt womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit +macht eine hängende Nase und sagt, bei +einem so kleinen Anerbieten werde man leicht +behandelt wie ein nichtsnutziger Schwätzer, aber +er wolle schon sehen, er wolle schon Rat schaffen +und hoffe auf spätere reiche Belohnung. +</p> + +<p> +Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, +in acht Tagen wiederzukommen. +</p> + +<p> +„Willst du die Fünftausend wirklich aus +Eigenem geben?“ fragt die Erdme voll Dankbarkeit. +</p> + +<p> +„Sehr gern wollt’ ich sie geben,“ sagt die +Urte und lächelt; „nur, wenn ich sie hätte, dann +braucht’ ich sie selber.“ +</p> + +<p> +„Wo sollen sie denn aber herkommen?“ +</p> + +<p> +„Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,“ +erwidert die Urte. „Ist es nicht schon genug, +daß ich auf meine Hälfte verzichte?“ +</p> + +<p> +Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr +ein Klumpen Heede im Schlund. +</p> + +<p> +Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit +die Katrike ein Nest kriegt. +</p> + +<p> +Und die, die solange in der Kammer gelauert +hat, kommt begierig gelaufen. +</p> + +<p> +„Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen +hat er? Wieviel Pferde stehen im Stalle? Wieviel +Rindvieh weidet am Ufer?“ +</p> + +<p> +Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. +„Wenn es um <em>den</em> Preis geht, dann schlag +<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a> +dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein +Gespartes gibt der Vater dir nie.“ +</p> + +<p> +Und die Katrike heult und wälzt sich am +Boden. Ihren Besitzer will sie nicht lassen. Der +ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der +kommt ihr zu. Der gehört ihr zu eigen. +</p> + +<p> +Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. +Ihr Kind ist im Recht. Nie ist von was Anderem +die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders +gedacht. +</p> + +<p> +Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie +und verspricht ihr das Blaue vom Himmel. +</p> + +<p> +Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die +dickgeweinten Gesichter und wundert sich. Aber +fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon +abgewöhnt. +</p> + +<p> +Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste +ist, geht ihm aus dem Wege, so viel sie nur kann, +aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich +versucht sie’s mit Vorwürfen. +</p> + +<p> +„Du hast kein Herz für deine Töchter,“ sagt sie, +„und du achtest sie wie einen Strick um den Hals.“ +</p> + +<p> +Er fragt: „Wer hat dir das zu wissen getan?“ +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Das ersieht man aus deinem +Benehmen. Schon die Katrike hast du nicht +leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, +ist es noch schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis“ +— ein gemeiner Mann — „und bleibst ein +Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.“ +</p> + +<p> +<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a> +Er sagt: „Ich habe nie erfahren, daß du von +besserer Herkunft wärest als ich. Als wir anfingen, +Pracher waren wir da alle beide.“ +</p> + +<p> +„Ich habe doch wenigstens meine Betten +gehabt,“ entgegnet sie drauf, „und sechsundsechzig +Mark hatt’ ich auch, aber du hattest so +gut wie gar nichts.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Zu meinem bißchen habe ich +zwei Jahre Arbeit gebraucht, aber wo du deine +Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts +Rechtes.“ +</p> + +<p> +Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor +die Stirn. „Ich habe dir vorgerechnet auf Heller +und Pfennig,“ sagt sie, wie mit Blut übergossen, +und wendet sich ab. +</p> + +<p> +Sie ist nun so wütend auf ihn — sie könnt’ ihn +beinahe vergiften. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-18"> +18 +</h3> + +<p class="first"> +Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder +da. Er hat einen, der wäre nicht abgeneigt. +Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit +dem Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat +eine verschuldete Wirtschaft nicht weit von Mineiken, +und er ist der Dritte von Fünfen, hat +eben gedient und hält bereits Umschau unter +den Töchtern der Gegend. Ob man nach +deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf +<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a> +dem Markt oder auf dem Gericht oder sonst +irgendwo, als käm’ es durch Zufall. +</p> + +<p> +Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, +aber ihre Tochter, die Urte, will alles schön in +die Hand nehmen. +</p> + +<p> +Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. +Dort wird der junge Herr Schmidt einen Schimmel +seines Vaters am Halfter führen, und die +Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. +Und was dann folgt, wird Herr Tuleweit +bestens besorgen. +</p> + +<p> +Das wird von nun durch und durch geredet, +stundenlang, tagelang. Für die drei Frauensleute +gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. +Kaum daß die Hausarbeit notdürftig besorgt +wird zwischen all dem Getuschel. +</p> + +<p> +Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. +Wenn er nicht einen neuen Freund bekommen +hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein +gewesen. +</p> + +<p> +Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer +Hund. Du glaubst es nicht, wie sich das +langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem +Hof gestanden und ist still zur Seite gewichen, +wenn ihn einer hat anrühren wollen. Keinen +hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer +ihn zu streicheln meinte, der griff in die Luft. +Ins Haus hat ihn keiner ’reinholen können, +selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie +<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a> +ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl +mit ihr gegangen, aber beim nächsten Wupp war +er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich +ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die +Arbeitswagen stehen und etwas Heu immer verstreut +liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein +Fressen gebracht, und da lag er und blickte still +um sich. +</p> + +<p> +Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit +Locken und mit Betatschen zu nahe zu kommen, +war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu +fein und zu herrschaftlich. Aber siehe da! Eines +Frühmorgens, wie der Jons als erster aus dem +Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, +wer ist da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen +und hat sich zukuckend auf die +Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend +geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, +bis der Jons zum Mittagessen nach Hause ging? +Und wer ist allmählich näher gekommen und hat +sich mit leisem, langem Bisse das Brot aus den +Fingern geholt? Und wer ist schließlich sogar, +wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden +Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat +bei ihm Wache gehalten stundenlang, bis er beladen +zurückkehrte? +</p> + +<p> +Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde +sollen ja immer untreu sein, sagen die +Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; +<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a> +nur wenn sie spazieren geht auf der Chaussee +nach Heydekrug oder nach Ruß hin, dann nimmt +sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas +zum Staunen haben. +</p> + +<p> +Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber +das macht nichts. Denn dort sieht man doch +Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt hinterherraten, +weil sie das plötzliche Wunder nicht +zu fassen vermögen. Und Urte fühlt sich als +Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst +mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die +alle sehnsüchtig hinstarren, denen im Hinterwalde +zu hausen bestimmt ist. +</p> + +<p> +Bisweilen trifft man auch junge Männer mit +Schmissen, die sicherlich in Königsberg studiert +haben und denen man vielleicht einmal auf +dem Schoße gesessen hat. +</p> + +<p> +Denen wirft man gelegentlich einen lockenden +Blick zu und bringt sie zum Rasen. Denn irgend +eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben +in der torfschwarzen Öde. +</p> + +<p> +Nur an dem Hause des Moorvogts geht man +ungern vorbei. Man weiß es nicht, aber man +spürt’s in den Gliedern, daß dort hinter den +Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich +sie und ihr Leben durchmustern. — — +</p> + +<p> +So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt +heran, auf dem die Besitzer von weit und breit zu +Kauf und Trunk sich treffen. +</p> + +<p> +<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a> +Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh +hingebracht, die demnächst stehen soll und die +darum eingetauscht werden muß. +</p> + +<p> +Die Schwestern melden sich erst, als er weg +ist, denn mit dem Vater zusammen einzuziehen, +hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr gefördert. +Wenn alles gut geht, gleitet man im +Gedränge an ihm vorbei und braucht ihn nicht +einmal anzureden. +</p> + +<p> +Die Katrike wird heute von der Urte extra +zurechtgemacht. Sie darf die Haare nicht brennen +und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen +faucht, die Schwester sei nichts weiter +als neidisch. Aber die lächelt nur und ist nicht +einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen +Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen. +</p> + +<p> +Dann ziehen sie los, und die Erdme weint +und betet hinter ihnen her. +</p> + +<p> +Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen. +</p> + +<p> +Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er +hat einen guten Handel gemacht. Die neue +Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und +kaum einmal zuzahlen hat er dürfen. +</p> + +<p> +Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. +Er schlingt finster sein Mittagbrot und fragt mit +keinem Wort nach den Töchtern. +</p> + +<p> +Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die +heute früh hat angebunden werden müssen, weil +<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a> +sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein +wollte. +</p> + +<p> +Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf +in seine Arme nimmt und leise zu ihm herniederredet. +</p> + +<p> +Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht +hinter ihm her und sagt: „Mit dem unvernünftigen +Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, +gönnst du kein gutes Wort.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Ich habe die beiden Marjellen +getroffen, ausgeputzt und mit fremden Männern. +Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite +gedreht. Ist das nicht etwa genug?“ +</p> + +<p> +Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. +„Wer kann seine Augen überall haben?“ sagt sie. +</p> + +<p> +Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten +sie sich, ob er nicht endlich schon weg sei. +</p> + +<p> +„Und <em>wenn</em> auch,“ sagt sie. „Was kann +<em>ich</em> dafür?“ +</p> + +<p> +Da läuft ihm die Galle über, und alles, was +er in sich verborgen hat seit Jahren, kommt ans +Tageslicht. +</p> + +<p> +„Was du dafür kannst?“ schreit er. „Du hast +zwei Faulenzerinnen erzogen, zwei Rumtreibersche +hast du erzogen, die kein Verlangen tragen +nach Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen +und sich den Rücken wundschlafen bis Mittag — +die es mit den Deutschen halten und ihren Vater +achten, als wär’ er ein Schnodder. Soviel kannst +<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a> +du dafür, wie die Stute kann, daß ein Fohlen +aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!“ +</p> + +<p> +Die Erdme denkt an das, was sie neulich +heruntergeschluckt hat. Eine so zornige Rede +darf sie nicht ohne Antwort lassen. +</p> + +<p> +„Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,“ +sagt sie, „aber da kommst du gerad’ an +die Rechte.“ Und dann wirft sie ihm vor, daß +sie es war, die den ganzen Wohlstand geschaffen +hat, daß er nichts Anderes gewesen ist als ihr +Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet +hat fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder +andere Knecht ersetzen kann, wenn es ihr paßt, +ihn zu mieten. +</p> + +<p> +Die Augen schwellen ihm zu und glupen +nach rechts und glupen nach links, als sucht er +was und kann es nicht finden. +</p> + +<p> +„Was du sagst, mag wohl so sein,“ sagt er, +„nur in einem könnt’ er mich nicht ersetzen, nämlich +dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu +geben.“ +</p> + +<p> +Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den +Pfahl aus der Erde, an dem die Petruschka angebunden +ist, und schlägt damit die Erdme über +den Rücken. +</p> + +<p> +Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt +die flachen Hände als Stütze. Die Jette, die +grienend zugehört hat, schreit auch und springt +auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn +<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a> +der Pfahl ist zu dick, als daß menschliche Glieder +unter ihm ganz bleiben könnten. +</p> + +<p> +Darum wirft er ihn auch weg und holt aus +dem Stalle die Peitsche. Die Petruschka läuft +winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend +die Hände, aber er achtet ihrer nicht, schlingt die +hanfene Schnur um den Stiel und läßt ihn im +Bogen durch die Luft hinpfeifen. +</p> + +<p> +So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme +noch kniet. +</p> + +<p> +Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn +vor ihm da — bleich und zusammengefallen +wie immer — umpusten könnte man ihn —, aber in +seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem +er sich sonst die Spatzen vom Kirschbaume schießt. +</p> + +<p> +Ihm das Gewehr zu entreißen, wär’ leicht, +aber was dann? Wie kann man sein Weib noch +bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen? +</p> + +<p> +Drum bleibt er ruhig und sagt: „Nachbar, +hast du mal was von Hausfriedensbruch gehört +und Bedrohung mit tödlichen Waffen?“ +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und +stellt sich so vor die Erdme, daß er sie mit dem +Leibe deckt. +</p> + +<p> +„Ich fordere dich also auf, meinen Grund +und Boden zu verlassen — zum ersten, zum +zweiten und zum dritten Male.“ +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein +rechter Zeigefinger liegt dicht vor dem Abzug. +</p> + +<p> +<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a> +„Gut,“ sagt der Jons, „ich geh’ jetzt zum +Rechtsanwalt, der wird die Anzeige erstatten. +Aber die Peitsche nehm’ ich mit, und treff’ ich +unterwegs die beiden Marjellen, dann werden +sie die Prügel kriegen, die ihrer Mutter noch zustehen.“ +</p> + +<p> +Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann +völlig zu Boden. Er aber kehrt sich nicht daran +und geht seiner Wege ... +</p> + +<p> +Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und +die beiden Marjellen hat er auch nicht getroffen. +Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen +geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit +zu Hause angelangt ist, da hat er +das Nest leer gefunden. — Keine Frau, keine +Töchter, keine Magd. +</p> + +<p> +Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man +kann ihre Stimmen hören über den Weg hin. +</p> + +<p> +Und das Sparkassenbuch ist auch weg. +</p> + +<p> +Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist +bloß der fremde Hund da, der aus traurigen +Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er +die Übeltat gutmachen, die man ihm angetan +hat und die im Grunde genommen seine eigene +Übeltat ist. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-19"> +19 +</h3> + +<p class="first"> +Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn +auf die Erdme gewartet. +</p> + +<p> +<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a> +Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann. +</p> + +<p> +Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder +und wieder an. Sie ist die Schönste, die Jüngste, +die Kräftigste geblieben, aber er ist ein alter Mann. +</p> + +<p> +Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und +schwatzen, wie sie nur mögen, und achtet ihrer +nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die +die Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach +geben muß, weil sie nun einmal zu ihr gehören. +Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner +Magd. +</p> + +<p> +Die Urte und die Katrike haben gestern Großes +erlebt, und das erzählen sie immer von neuem: +Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen +hat, da ist er gleich ganz hingenommen gewesen. +Zuerst hat er freilich gedacht, die Urte sei ihm als +Zukünftige bestimmt, und da hat er sich zurückziehen +wollen, denn er ist sich nicht gut genug +erschienen für sie; wie er aber gehört hat, daß +die Katrike es ist, da hat er um so freudiger zugegriffen +und hat mit ihnen beiden und dem +Herrn Tuleweit in der „Germania“ gesessen +bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit +weiß auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit +Fünftausend Anzahlung wohl zu haben wäre, +nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn +sein Vater gibt ihm rein gar nichts. +</p> + +<p> +Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht +die Erdme hoch auf, denn von ihrem Eigenen +<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a> +her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die +nicht gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind +in der Frühe. +</p> + +<p> +Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem +Eimer hinübergehen. Die wehrt sich erst, denn +sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich tut +sie’s doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, +der Wirt habe auf der Häckselbank gesessen, den +Kopf in die Hände gestützt, und die Petruschka +vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr +umgesehen. +</p> + +<p> +Und die Urte erzählt weiter: Um drei +nachmittags habe der junge Herr Schmidt +weggemußt, aber am Nebentisch — da hätten +ein paar vornehme junge Herren gesessen mit +Schmissen und goldenen Kneifern, die wären +schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt +zu machen, und hätten ihr zugeprostet +und so. Und schließlich wären sie alle zueinander +gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den +Abend. Den kleinen Herrn Tuleweit hätten die +fremden Herren erst für den Vater gehalten; +als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler +sei, da wäre des Neckens kein Ende gewesen, +so daß er nichts Besseres zu tun gewußt +habe, als bald zu verschwinden. Und von nun +an sei es erst recht hoch hergegangen. +</p> + +<p> +Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen +mit Heimlichtun nicht zu Ende. +</p> + +<p> +<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a> +Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den +Haushalt besorgen, aber das Kreuz ist ihr wie +gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum +redet die Urte ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest +zu beschaffen wegen der künftigen Scheidung. +</p> + +<p> +Um vier Uhr nachmittags wird drüben der +gute Wagen angespannt, und Jons fährt weg, +ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen. +</p> + +<p> +Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was +gestern zur Nacht nicht mitgebracht werden konnte. +</p> + +<p> +Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme +bei sich trägt, hat der Jons zum Schutze vor Einbruch +ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern +kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig +zum Lachen. +</p> + +<p> +Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, +und auch sie selber gibt an, was sie für Sonntags +wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug +haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel +Gäste versorgen? +</p> + +<p> +Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! +Die Federbetten gehen mit, und so noch vieles +andere, so daß der Handwagen des Nachbars +viermal hochbeladen den Knüppelweg überquert. +</p> + +<p> +Schwer wird der Abschied von den Kühen, +die die Erdme nicht einmal melken kann, so weh +tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und +wirft ihnen Heu hin und denkt: „Wie gut wär’s, +wenn ich sie drüben hätte!“ Auch die Neue ist +<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a> +ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat +sie sie kaum schon gesehen. +</p> + +<p> +Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, +und dann geht es heim. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause +des Nachbars ein furchtbarer Lärm. Schwere +Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons +betrunkene Stimme schreit: „Ihr Diebe! Ihr +Räuber! Kommt ’raus! Ich schlag’ euch tot, +ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und +dann ihren“ — „Liebhaber“ sagt er nicht, es +ist ein viel schlimmeres Wort, das er sagt. Und +ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd +und droht, sie alle zu erschlagen. +</p> + +<p> +Die Urte und die Katrike knien im Hemd an +der Mutter Bett und kreischen bei jedem Schlage, +der das Ladenholz zersplittern will. Und vor +der Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und +ruft durchs Schlüsselloch, sie möchten ganz ruhig +sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn +der draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen. +</p> + +<p> +Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, +und auch das Winseln und Heulen Petruschkas +verstummt nach und nach. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch +zwischen dem Nachbar Witkuhn und der +Erdme. +</p> + +<p> +„Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,“ +<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a> +sagt der Nachbar, „aber heute seh’ ich +ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was +du für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu +Diensten sein, was dein Wunsch ist.“ +</p> + +<p> +„Ich weiß nicht aus, nicht ein,“ sagt die Erdme. +</p> + +<p> +Und der Nachbar sagt: „Ich habe es mein +Lebenlang für das größte Glück auf Erden gehalten, +daß du einmal meine Frau würdest. +Aber nun mir plötzlich die Möglichkeit gegeben +ist, daß es so werden könnte, da seh’ ich ein, +ich bring’ es nicht übers Herz. Denn jeder wird +sagen, wie Er es ausschrie heute nacht, daß wir +in Buhlschaft gelebt haben alle die Jahre.“ +</p> + +<p> +„Beinahe wär’ es ja so gewesen,“ sagt die +Erdme. +</p> + +<p> +„Wenn es so gewesen wäre,“ erwidert der +Nachbar, „dann hätten wir längst kein Gewissen +mehr und keine Scham und würden lachen, wenn +die Leute mit Fingern auf uns zeigen. Aber +nun schreck’ ich schon zurück bei dem Gedanken, +Ihm auf dem Weg zu begegnen.“ +</p> + +<p> +„Ich dränge mich niemandem auf,“ sagt die +Erdme gekränkt. +</p> + +<p> +„Und ich bin ein alter Mann,“ sagt der Nachbar. +„Ich möchte nicht, daß du mir fluchst, +wenn du mich auf den Kirchhof trägst.“ +</p> + +<p> +„So bleibt mir als einziges,“ sagt die Erdme, +„daß ich in Ausgedinge zu der Katrike zieh’, wenn +die jetzt heiratet.“ +</p> + +<p> +<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a> +„Ist es denn schon so weit?“ fragt der Nachbar. +</p> + +<p> +„Wenn ich alles hergebe,“ sagt die Erdme +und drückt die Hand gegen das Sparkassenbuch, +das sie auf nackigem Leibe trägt, „dann ist es +so weit.“ +</p> + +<p> +„Er wird das Geld schon gesperrt haben,“ +sagt der Nachbar. +</p> + +<p> +„Vielleicht auch nicht,“ sagt die Erdme, und +weil sie sowieso nach Heydekrug muß wegen +des Doktorattestes, wird sie auch gleich die Fünftausend +abheben, die ihr nicht weniger gehören +als ihm. +</p> + +<p> +Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn +er selber hat immer noch keins, und wie sie aufsteigen +will, muß sie von zweien gehoben werden, +so verschwollen ist alles. +</p> + +<p> +Als der Doktor sie untersucht hat, macht er +ein ernstes Gesicht und sagt: „Schlimm genug +sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich +schreiben muß, aber ich rat’ euch trotzdem: Vertragt +euch!“ +</p> + +<p> +Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie +ein ängstlicher Traum, und oft hat sie gedacht: +„Wenn er jetzt käme und sagte: ‚Laß gut sein‘ — +weiß Gott, ich ginge zurück.“ Wie der Doktor +aber sagt: „Es sieht schlimm aus,“ da wird ihr +Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß +sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den +Menschen. +</p> + +<p> +<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a> +Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem +und zahlt ihr das Geld ohne Bedenken. +„Ja ja,“ sagt er, „wenn man Töchter verheiraten +will.“ +</p> + +<p> +Und da hat sie’s auch schon in den Händen. +</p> + +<p> +Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie +selber kann sich nicht an- und nicht ausziehen, +weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt +sie „Mamusze“ und „Mammelyte“, was sonst +nur die Urte sagt, und „Mane Baltgalwele“ — +mein Weißköpfchen — nennt sie sie, wie die alten +Mütter in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar +noch fast braun ist. +</p> + +<p> +Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, +jetzt wird sie dem Jons begegnen, aber sie begegnet +ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl +fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite +der Chaussee gelegen ist, sieht sie was Helles. +Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn, +denn er ist wohl wieder betrunken. +</p> + +<p> +Von weitem schon hört man das Brüllen +der Kühe. Die müssen verkommen, wenn man +sie da läßt. +</p> + +<p> +„Hast du Platz im Stalle für sie?“ fragt die +Erdme. +</p> + +<p> +„Ich habe Platz für alles, was dein ist,“ sagt +der Nachbar. +</p> + +<p> +Darum schickt sie auch gleich die Jette und die +Witkuhnsche Magd hinüber, die Kühe zu holen. +</p> + +<p> +<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a> +Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. +— Das Geld und das Vieh — alles ist +da. Nun kann geheiratet werden. +</p> + +<p> +Und noch am selben Abend macht sie sich auf, +zum kleinen Tuleweit zu gehen, damit er so rasch +wie möglich alles in Ordnung bringt. +</p> + +<p> +Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher +nach Heydekrug zu machen, wo irgendwo am +Spazierweg die jungen Herren von gestern schon +warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka +nicht bei ihr ist — dann wäre ihr Anblick zehnmal +so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie +schließlich zu Hause. +</p> + +<p> +Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß +der Spektakel von voriger Nacht heut wegen der +Kühe noch einmal losgehen wird. +</p> + +<p> +Aber nichts regt sich fortan. +</p> + +<p> +Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche +lang, und wenn sie sich aufrichten will, kriegt +sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich hochzieht. +</p> + +<p> +Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen +herüber, was für die Aussteuer irgend von Wert +ist — den großen Ecktisch und den buntblumigen +Schrank und noch vieles andere. +</p> + +<p> +Niemand hindert sie dran, denn morgens +fährt er weg, und mit der Dunkelheit kommt er +wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was +er macht und wo er sich aufhält, weiß keiner. +</p> + +<p> +<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a> +Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit +tritt ein junger Mensch in die Kammer. Der +hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche +Augen. Und hinterher schiebt sich mit +heißem Gesicht und frisch gebranntem Strohhaar +die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer +als er und sieht aus, als möcht’ sie ihn auf den +Arm nehmen. +</p> + +<p> +Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter +künftiger Bräutigam. +</p> + +<p> +Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch +an, und sie richtet sich auf und sagt auf Deutsch: +</p> + +<p> +„Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir +reden das Deutsche genau so wie Sie. Und im +Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen +habe. Gewöhnlich arbeit’ ich wie sonst nur die +Jüngste.“ +</p> + +<p> +Die Katrike und der junge Mensch sehen sich +verstohlen an, woraus sie schließen muß, daß +ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und +noch etwas Anderes will sie daraus schließen, +aber das drängt sie sofort von sich ab. +</p> + +<p> +Er möchte am liebsten das Geld gleich mit +sich nehmen, aber sie weiß, daß es ihr wohlgeborgen +unter dem Leibe liegt, und erst müßte +man sie totschlagen, ehe sie es hergäbe. +</p> + +<p> +„In dem Kontrakt soll stehen,“ sagt sie, „daß +ich eine Altsitzerstelle bekomme mit so und so +viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner +<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a> +zu halten, und noch anderen Rechten, die ich +alle bezeichnen werde. Sonst wird aus dem +Kaufe nichts.“ +</p> + +<p> +Die Katrike fängt sofort an zu weinen und +klagt sie an, sie steh’ ihrem Glücke entgegen. Der +junge Herr Schmidt aber sagt: „Es <em>wird</em> auch +alles in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein +ganz anderer Kontrakt als der, den ich mit dem +Besitzer abschließen werde. Denn den geht es +nichts an, was wir miteinander ausmachen +wollen.“ +</p> + +<p> +Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche +klüger ist als sie selbst, und schickt sich in das, +was verlangt wird. +</p> + +<p> +Aber erst will sie gesund sein und mit aufs +Gericht gehen und alles bewachen können bis +in das kleinste. +</p> + +<p> +Die Katrike und der junge Herr Schmidt +sehen sich schon wieder an. Dann aber geben +sie sich die Hand und knien am Bette nieder und +bitten um ihren Segen. +</p> + +<p> +Sie weint und küßt und segnet die beiden, +aber in ihrem Innern denkt sie dabei: „Ich will +doch erst den Rechtsanwalt fragen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-20"> +20 +</h3> + +<p class="first"> +Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, +und wenn einer am Chausseehaus vorübergeht, +<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a> +sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine Art, +über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins +klare zu kommen. Aus ihrem Aussehen, ihrem +Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, +und den Lasten, die sie tragen, kann er genau +erkennen, wie er mit ihnen dran ist, ob sie vorwärts +kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling +mehr, und die dreißig Jahre, die er dem Moor +geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. +Aber sein Auge sieht noch so scharf wie je, und +noch immer hält er zweitausend Schicksale straff +an der Leine. +</p> + +<p> +Eines schönen Sommerabends sieht er den +Jons Baltruschat zu Fuß nach Hause gehen, und +doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren. +Der Jons Baltruschat ist ihm +schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. Morgens +macht er sich auf nach der Wiese, und abends +fährt er betrunken zurück. Und der fremde +weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter +gehört, läuft nebenher. +</p> + +<p> +Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken +tut er. Aber seine Gangart ist mehr wie +die eines Kranken als die eines Betrunkenen. +</p> + +<p> +Darum macht der Moorvogt das kleine +Fensterchen auf, durch das früher die Stange +mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft +ihm nach: „Jons, komm doch mal ’rein!“ +</p> + +<p> +<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a> +Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts +gehört, doch wie der Moorvogt nicht nachläßt, +da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und +tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. +Sie läuft sofort zu dem Moorvogt, steckt die +Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt +die nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: +„Wenn <em>du</em> nicht hilfst!“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt braucht nur <em>einen</em> Blick, +um zu sehen: Der Jons ist so gut wie ein verlorener +Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken +bloß und verschüchtern, darum sagt er +gleichsam so nebenher: „Mir war doch, als bist +du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du +das irgendwo stehen gelassen?“ +</p> + +<p> +„Ja,“ sagt der Jons, „das hab’ ich stehen +gelassen.“ +</p> + +<p> +„Na, wo denn?“ +</p> + +<p> +„Auf — der — Chaussee.“ +</p> + +<p> +„Aber warum denn?“ +</p> + +<p> +„Ja — na.“ Mehr ist nicht aus ihm ’rauszukriegen. +</p> + +<p> +„Dann wollen wir’s doch gleich einmal holen +gehen,“ sagt der Moorvogt und greift nach der +Mütze. +</p> + +<p> +Aber der Jons will nicht. „Wenn es ’n +Zweck hätt’,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Warum hat’s keinen Zweck?“ +</p> + +<p> +„Weil das Pferd gar nich mehr da is.“ +</p> + +<p> +<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a> +„Wo ist es denn?“ +</p> + +<p> +„Wer kann wissen?“ +</p> + +<p> +„Ach so,“ sagt der Moorvogt. „Du bist betrunken +gewesen, hast dich in’n Chausseegraben +gelegt, und unterdessen hat’s dir einer ausgespannt.“ +</p> + +<p> +„Wer kann wissen?“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Und da gehst du hier vorbei und machst +keine Anzeige? Möchtest du den hübschen Braunen +gar nicht mehr wiederhaben?“ +</p> + +<p> +„Is ja alles egal,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.“ +</p> + +<p> +„Da waren auch noch die Kühe da.“ +</p> + +<p> +„Sind die denn <em>nicht</em> mehr da?“ +</p> + +<p> +„Nichts is mehr da. Die Schweine werden +sie heute auch wohl geholt haben.“ +</p> + +<p> +„Wer denn?“ +</p> + +<p> +„Na, die Erdme und die Marjellen.“ +</p> + +<p> +„Und das läßt du dir ruhig gefallen?“ +</p> + +<p> +„Is ja alles egal.“ Und dabei bleibt er. +</p> + +<p> +Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt +auf, wie der Mensch zum rettenden Herrgott. +Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell +verfilzt ist und verschorft von Wunden und +schwarzgrau. Und er sagt: „Wie kommt’s, daß +der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?“ +</p> + +<p> +„Das is so gekommen,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Weißt du, was deine Tochter für eine ist?“ +fragt der Moorvogt. +</p> + +<p> +<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a> +„Ich will es auch gar nicht wissen,“ sagt der +Jons. +</p> + +<p> +Damit geht er. +</p> + +<p> +Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher +wegen des Braunen und hat dann eine +schlaflose Nacht. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus +kommen. Der bibbert am Krückstock, und seine +Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das +kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein +Schnurrbart wölbt sich forsch, als will er den +Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen. +</p> + +<p> +Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür +hat seine Vierte reichlich gesorgt. Wenn es +Gott will und sie stirbt, die ist imstande und +verleidet ihm vorher die Fünfte. +</p> + +<p> +„Was ist also mit den Baltruschats los?“ +fragt der Moorvogt. Und nun erfährt er das +Nötige. +</p> + +<p> +„Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen +und hast es erzählt?“ +</p> + +<p> +Seine Frau hat es nicht gewollt. +</p> + +<p> +„<em>Warum</em> hat deine Frau es nicht gewollt?“ +</p> + +<p> +Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, +und dafür muß sie sich rächen. +</p> + +<p> +„Und was hat sie ihm gepfändet?“ +</p> + +<p> +Der Smailus lacht schadenfroh. „Das ist gar +nicht zu zählen,“ sagt er. Überhaupt <em>das</em> Weib! +Aber davon will der Moorvogt nichts wissen. +</p> + +<p> +<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a> +„Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn +mal was vorgehabt hat?“ +</p> + +<p> +Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine +eigenen vier Weiber ihm treu gewesen sind, das +weiß er, bei den anderen kann man niemals +drauf schwören. +</p> + +<p> +„Aber bemerkt hast du nichts?“ +</p> + +<p> +Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum +wird er entlassen. — — — +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll +er die Erdme in dem Witkuhnschen Hause besuchen +oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht +er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, +und Kreuz und Kopf trägt sie bewickelt, aber +kriechen kann sie doch schon. +</p> + +<p> +„Du — komm mal ’rein!“ +</p> + +<p> +Sie steht da und sieht ihn böse an. +</p> + +<p> +„Schöne Geschichten hör’ ich von dir.“ +</p> + +<p> +Sie schweigt und sieht ihn böse an. +</p> + +<p> +„Nach fünfundzwanzigjährigem Leben — +schämst du dich nicht?“ +</p> + +<p> +Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er +sie geschlagen — beinahe das Rückgrat hat er +ihr gebrochen — mit Schmutznamen hat er sie +belegt — ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt — +die ehr- und tugendsamen Töchter hat er mißhandeln +wollen, und was das Schlimmste ist, das +Vieh hat er verhungern lassen, so daß sie es nur +durch Rüberholen mit knapper Not errettet hat. +</p> + +<p> +<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a> +Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt +schlimm für den Jons, und <em>sie</em> ist eine Furie +geworden. Mit gut Zureden wird der nicht +beizukommen sein. So versucht er es also mit +böse: „Weißt du, was ich jetzt tun werde? Ich +werd’ dich durch den Gendarm in die Kaluse +bringen lassen.“ +</p> + +<p> +Aber sie lacht ihn nur aus. „Das können +Sie ja. Bloß morgen werd’ ich schon wieder bei +Ihnen vorbeigehen.“ +</p> + +<p> +„Wenn du dich nur nicht irrst.“ +</p> + +<p> +„Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen +Antrag gestellt. Und er wird auch gar keinen +stellen. Denn hier unter der Wiste hab’ ich das +Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie +schlimm es gewesen ist und daß ich nur durch +ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die +Kalus’ fliegt, dann ist er es. Und ich zieh’ jetzt +zu meiner älteren Tochter. Die wird eine reiche +Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot +bestellen kommen. Und wenn ich erst +hier ’raus bin, dann kann man mir sonst was.“ +</p> + +<p> +Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. +Im Laufe der Jahre haben nur +wenige ihm so entgegenzutreten gewagt. +</p> + +<p> +„Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, +das will ich nicht verstanden haben. Aber eins +prophezei’ ich dir: der Tag wird kommen, und +er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich +<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a> +preisen, bei dem Jons noch einmal unterkriechen +zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann +auch aufnimmt.“ +</p> + +<p> +Sie beißt die Zähne zusammen und schwört +bei Gott dem Allmächtigen: „Eher geh’ ich und +ertränk’ mich im Torfloch.“ +</p> + +<p> +Und damit humpelt sie wieder hinaus nach +Heydekrug zu, wo der Rechtsanwalt ihr raten +soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und Schwiegersohn, +denen sie alles opfert, sie übervorteilen +wollen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-21"> +21 +</h3> + +<p class="first"> +Das Geld muß hergegeben werden. Da ist +nichts zu machen. Denn ohne Anzahlung kommt +das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird +aus Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, +damit der junge Herr Schmidt vor der Hochzeit +nicht etwa noch abschnappt. +</p> + +<p> +Die Kühe und die Schweine und alles, was +vom Hausrat herübergetragen ist, sollen mit in +die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht +weniger als alles. +</p> + +<p> +Der Kontrakt wird unterschrieben, und das +Geld ist weg — so schnell, wie man eine Fliege +in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert +die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der +bisherige Besitzer behauptet, er hätte sein Hab +und Gut wegwerfen müssen, und der junge Herr +<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a> +Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises +wäre auch noch reichlich gewesen. Daß es zum +Prügeln nicht kommt, daran ist nur die Urte +schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen +macht und dadurch das Schlimmste verhindert. +</p> + +<p> +Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach +noch ein bißchen spazieren geht, wobei sie alsbald +die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die +ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren +Chaussee freundschaftlich einigen kann. +</p> + +<p> +Die Katrike will mit dem jungen Herrn +Schmidt über Nacht zu den Schwiegereltern fahren, +was ihr nicht zu verdenken ist, und darum +geht die Erdme allein nach Hause. +</p> + +<p> +Nach Hause? — Als ob sie ein „Zuhause“ +hätte — das soll erst morgen kommen. Denn +für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag +bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste +geschrieben, was ihr bis zu ihrem seligen +Tode zukommen wird — ja sogar für die Zeit +<em>nach</em> dem Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger +als zehn Fladen und sechs Achtel Bier müssen +den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das +Kreuz auf ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein. +</p> + +<p> +So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl +ist ihr doch nicht zumut. Wenn jetzt zum Beispiel +der Jons des Weges käme, wie könnte sie +ohne ein Wort an ihm vorübergehen? +</p> + +<p> +Da ist nun die lange Brücke, die über die +<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a> +Sumpfniederung führt! Und sie muß des Frühlingstages +gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig +Jahren mit Jons zum Moor hinauszog. +Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus +dem blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: +„Wie die Blumchen da vorwärts kommen, ohne +zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.“ +</p> + +<p> +Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern +gewesen. +</p> + +<p> +„Aber was hilft das Vorwärtskommen,“ +denkt sie, „wenn einem zuguterletzt alles wieder +zunichte wird.“ +</p> + +<p> +In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie +seien längst über den Berg, und Hader könnt’s +gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da +gewesen wie der Dieb in der Nacht und hat +alles — aber auch alles — zunichte gemacht. +</p> + +<p> +Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, +die ihr das Geld aus den Händen riß! Kaum +einmal warten konnte die Kröt’, bis sie die +Wiste aufgehakt hatte! +</p> + +<p> +„Aber morgen,“ denkt sie, „morgen wird +alles festgemacht werden.“ Aus dem Hause +wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der +Rechtsanwalt schon gesorgt, und das Brautpaar +hat wohl oder übel seine Zustimmung geben +müssen. +</p> + +<p> +Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen +<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a> +um elf werden sie sich wieder in Heydekrug +treffen, und übernächsten Sonntag kann dann +die Hochzeit sein. +</p> + +<p> +Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, +als muß sie sich wieder krank hinlegen, so zerschlagen +fühlt sie sich. Aber das kommt nicht +vom Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie +alles hergeben muß. +</p> + +<p> +Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl +und redet ihr Trost zu. Aber was kann er viel +sagen? +</p> + +<p> +Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. +Sie hat heiße Backen und sieht verjucht und verjachert +aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, +und der unverschämte Kerl hat sie angehalten +und verlangt, sie soll ein Führungsattest beibringen. +Was der sich wohl denkt? +</p> + +<p> +Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, +aber zu der ermatteten Mutter ist sie voll Zärtlichkeit +und besteht darauf, daß der Nachbar einen +Wagen besorgt und sie morgen selber nach +Heydekrug fährt. Denn der weite Gang zwei +Tage gleich nach einander könnte zu viel für +sie sein. +</p> + +<p> +Spät abends kniet sie noch vor der Mutter +Bett und streichelt und küßt ihr die Hände und +bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat +und weiter noch tun muß. Die Erdme weiß +zwar nicht, was sie meint, aber von solcher +<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a> +Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug +ganz naß weint. +</p> + +<p> +Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, +fängt die Urte von neuem an, gerade +so, als wär’ es ein Abschied für immer. +</p> + +<p> +Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur +Augen für drüben. Ob nicht der Jons sich irgendwo +sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und +still. Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. +Freilich, blitzen tut die nicht mehr, denn die ist +jetzt dreckig, wer weiß wie. +</p> + +<p> +Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem +Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, die Brautleute +schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch +um halb zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig. +</p> + +<p> +Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte +Termin und sagt im Vorbeigehen, jetzt müßte sie +warten bis zwei, denn früher käm’ er nicht wieder. +</p> + +<p> +Und wie er um zwei wiederkommt, sind +die Brautleute noch immer nicht da. +</p> + +<p> +„Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,“ sagt +er. „Inzwischen können sie immer noch kommen.“ +</p> + +<p> +Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut +seit langem das Kreuz weh, und der Nachbar +redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. +Dort kann sie sich wenigstens ausstrecken. Aber +sie will nicht. Sie könnte das Brautpaar am +Ende verfehlen. +</p> + +<p> +<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a> +Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, +und dann geht es ja wieder. +</p> + +<p> +Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher +heraus und sagt, für heute sei es nun +leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da +und der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder +auch sonst wann zur Beglaubigung gerne bereit +sein. +</p> + +<p> +So fahren sie wieder zurück. Die Erdme +hat das Kopftuch um Mund und Backen gebunden +und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? +Man muß sich ja fürchten zu denken — um wieviel +mehr noch zu reden! +</p> + +<p> +Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. +Und so kommen sie an. +</p> + +<p> +Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann +es euch zehnmal erzählen, ihr glaubt es mir doch +nicht. +</p> + +<p> +Die Kühe sind weg. Die Schweine sind +weg, die Betten sind weg. Auch der andere +Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso +weg. Und selbst die kröt’sche Marjell, die Jette, +ist weg. +</p> + +<p> +Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches +Mädchen ist, sieht die erschreckten Gesichter +und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, +es geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte +sie den Nachbar Smailus gerufen oder sonst wen +— und sie schielt hinüber nach Baltruschats Haus. +</p> + +<p> +<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a> +Was bei Jesu Namen <em>ist</em> also geschehen? +</p> + +<p> +Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. +Darauf haben die Brautleute gesessen +und haben erklärt, sie wollten jetzt alles +überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. +Und die Mutter wäre schon dort, um einzurichten, +und käme nur später noch einmal, die +eigenen Sachen zu holen. +</p> + +<p> +Und dann haben sie vorne das Hausgerät +aufgeladen und hinten die Schweine. Und die +Kühe haben sie angebunden, und so sind sie davongefahren. +Und die Urte hat ihr noch fünf Mark +geschenkt für die gute Bedienung. +</p> + +<p> +Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den +Tisch gelegt. An wen die sind, weiß sie nicht, +denn Aufschrift hat keiner. +</p> + +<p> +Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und +gefühllos. Der Nachbar und die Magd müssen +sie in die Stube tragen. +</p> + +<p> +Da liegen die Briefe. +</p> + +<p> +Die Katrike schreibt so: +</p> + +<p class="addr"> +„Mein geliebtes Mütterlein! +</p> + +<p class="noindent"> +Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich +von Dir zu trennen. Mein Bräutigam, der junge +Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber +so. Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht +Sitte, daß gleich die Mutter als Altsitzerin in die +Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie +wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit +<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a> +wird in kleinstem Kreise gefeiert werden, und +darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was +mir auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. +Das Vieh und die anderen Sachen +habe ich gleich mitgenommen, denn mein +Bräutigam, der junge Herr Schmidt, hat es +schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. +Ich bedanke mich auch sehr für alles, womit +Du mich beschenkt hast, und werde Dich lieben +in Ewigkeit. +</p> + +<p class="sign"> +Deine treue Tochter Katrike.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Und die Urte schreibt so: +</p> + +<p class="addr"> +„Meine Mamusze! +</p> + +<p class="noindent"> +Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, +aber die Katrike bestand darauf. Darum habe +ich Dich gestern und heute auch immerfort um +Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich +nicht, sondern fahre von Jugnaten aus gleich +nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen +Kleider nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, +noch weit ärmer, als die Ulele einst war, dann +würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so +würden wir uns beide gegenseitig nur hinderlich +sein. Darum rate ich Dir, laß Dich rasch scheiden +und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja +immer geliebt hat. Wenn man daran denkt, +scheint es einem wie ein trauriges Buch, und +das muß doch wenigstens einen befriedigenden +Schluß haben. Zu dem bösen Vater kannst Du +<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a> +ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka mag +bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe +wohl, meine Mamusze, und sei mir nicht böse. +Ich schicke Dir bald etwas Schönes. +</p> + +<p class="sign"> +Deine Urte.“ +</p> + +<p class="noindent"> +So lauten die Abschiedsbriefe der beiden +Töchter. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-22"> +22 +</h3> + +<p class="first"> +Die Erdme will sich ins Bett legen, denn +die Beine tragen sie nicht. +</p> + +<p> +Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die +Kammer. Er hat seinen Mantel auf dem Arme +und sagt: „Bis heute waren die Töchter da. Ich +könnte ja jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, +aber vor Gericht glauben sie ihr am Ende nicht, +weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn +ich auch ein alter Mann bin, da ich nun einmal +mit dir im Verdacht stehe, so möchte ich dir das +künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit +dir zur Nacht allein unter einem Dache verweile. +Oder doch so gut wie allein. Ich werde darum +den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit +bitten und darin fortfahren, solange dein +Ruf es verlangt.“ +</p> + +<p> +Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach +mehr über dem Kopfe hat, denn den Nachbar +aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht. +</p> + +<p> +Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung +<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a> +nicht abzubringen sein wird, so willigt sie +zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung +mit auf den Weg und sagt, sie wird +gleich zur Ruhe gehn. +</p> + +<p> +Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, +auf den sie sich stützen muß, — und siehe da! +jetzt tragen die Beine sie wieder. +</p> + +<p> +Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, +und damit verläßt sie den Hof. +</p> + +<p> +Es ist ein lieblicher Abend, nur — Gott sei’s +geklagt — sie weiß nicht, wohin. +</p> + +<p> +Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. +So ein Schwur ist leicht gegeben, will +man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht +schwer. +</p> + +<p> +Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein +müssen, denn was bleibt ihr sonst übrig? +</p> + +<p> +Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt +noch einmal nach ihrem Eigenen hinüber. +</p> + +<p> +„Es ist merkwürdig,“ denkt sie, „daß man +nie etwas von ihm sieht oder hört.“ Seit sie +ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht +mehr wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch +nicht vorbei. Selbst die Petruschka ist wie in +die Erde gesunken. +</p> + +<p> +Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, +deren Beeren schon halb und halb rot sind, und +auch den Garten besieht sie von ferne. Viel +erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist +<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a> +schon im Fallen, aber daß die Sonnenblumen +im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen +der Zuckerschoten umgeschmissen hat, das +bemerkt man auch von dem Weg her. +</p> + +<p> +„Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,“ denkt +sie, „so würd’ ich nachher über den Zaun klettern +und sie noch aufrichten.“ +</p> + +<p> +Und dann macht sie sich auf — nach dem +Torfloch. +</p> + +<p> +Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett +übergossen an seinem Rande stehen, hat sie noch +selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie +einst in den Jahren der Jugend. Mit der Magd +waren sie drei, so wie es die Regel verlangt. +Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz. +</p> + +<p> +Der Abendschein liegt feuerrot auf dem +Wasser. +</p> + +<p> +„Wenn ich jetzt hier ’reinspringe,“ denkt sie, +„dann wird er sein Lebtag glauben, ich sei mit +dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig +gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will +der Nachbar ihn anreden, so schlägt er ihn tot.“ +</p> + +<p> +Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden +gar nicht so schlimm ist. Hier ’reinzuspringen +ist schlimmer. +</p> + +<p> +„Wie wär’s,“ denkt sie weiter, „wenn ich vorher +noch mit ihm spreche und alles ins klare +bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja +auch nicht.“ +</p> + +<p> +<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a> +Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn +das noch ein Segen wär’. Bloß hier nicht ’reinspringen +müssen! +</p> + +<p> +Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg. +</p> + +<p> +Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon +gar nicht mehr, nur daß das Vieh weg ist, erfüllt +sie mit Kummer. +</p> + +<p> +„Hätt’ ich bloß eine einzige Kuh an die Leine +zu nehmen,“ denkt sie, „dann könnte ich mich +schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als +Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch +recht schwer.“ +</p> + +<p> +Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. +— — — +</p> + +<p> +Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, +ist es schon Nacht, aber richtig Nacht wird es im +Juli ja doch nicht. +</p> + +<p> +„Find’ ich ihn nicht zu Hause,“ denkt sie, „so +setz’ ich mich an die Feuerstelle und warte, bis +er zurückkommt.“ +</p> + +<p> +Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg +hinauf und bis an das Hoftor. Der Kettenhund +rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, +weil er sich losgemacht und die Petruschka +zerbissen hat. So hat es der Magd die Smailene +erzählt. +</p> + +<p> +Das Tor steht offen. Warum auch nicht? +Das Vieh ist längst fort, das hat sie ja selber gestohlen. +</p> + +<p> +<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a> +Ob er wenigstens die Haustür verschlossen +hat? +</p> + +<p> +Aber wie kann er? Sie selber hat ja den +Schlüssel. +</p> + +<p> +So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur. +</p> + +<p> +Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen +und riecht an ihr hoch und riecht und +riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt +zu heulen an, wie ein Mensch heult. +</p> + +<p> +Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? +Wer kann es wissen? +</p> + +<p> +Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel +gewöhnt, und wie der Jons in seinen Kleidern +aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. +Sie sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß +verschlafen scheint er zu sein. +</p> + +<p> +Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht +erst Antwort, sondern fällt vor der Feuerstelle +zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel +nehmen oder die Axt. +</p> + +<p> +Aber was tut er? +</p> + +<p> +Er macht die Haustür weit auf, damit er sie +besser besehen kann, und dann stellt er sich neben +sie hin und fragt: „Ist es noch immer das Kreuz, +daß du nicht aufkannst?“ +</p> + +<p> +Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die +Angst ist es nicht mehr, jetzt sind es die Tränen, +daß sie nicht aufkann. +</p> + +<p> +Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die +<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a> +Stirn auf die Kante und weint und weint, weil +sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder +die Schaufel. +</p> + +<p> +Wie wird sie’s ihm aber bloß beibringen von +dem Sparkassenbuch und dem Vieh? Und dann +auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden +hat, treu nach der Wahrheit? +</p> + +<p> +Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, +liegt sie da und weint. +</p> + +<p> +Da sagt der Jons: „Die Marjellens sind ja, +Gott sei Dank, auch weg.“ +</p> + +<p> +„Das weißt du?“ sagt sie und richtet sich auf. +</p> + +<p> +„Ich hab’ ja alles aufladen sehen heute +mittag,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ schon eine zuschanden geprügelt,“ +sagt er und setzt sich neben sie auf den Herd. +</p> + +<p> +Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm +zwischen die Knie, und er legt die Hand auf ihr +Haar, und so sitzen sie lange. +</p> + +<p> +Aber endlich muß sie es ihm doch sagen — +das mit dem Nachbar zuerst. +</p> + +<p> +Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht +losgehen. „Der Nachbar —“ sagt sie, „der Nachbar +—“ und dabei bleibt es. +</p> + +<p> +„Is ja alles egal mit dem Nachbar,“ sagt er, +„wenn du bloß da bist.“ +</p> + +<p> +Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, +wenn es auch noch so schlimm wäre. Aber sie +<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a> +will es nicht auf sich sitzen lassen — nicht eine +Stunde mehr. +</p> + +<p> +Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die +Höhe und setzt sich neben ihn und erzählt ihm +von dem Gesangbuch — wie wundertätig sich +das in der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun +aber sind sie längst angejahrt und drüber hinweg. +Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum +Nachbar Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm +auch. +</p> + +<p> +Er sagt: „Wenn du bloß da bist.“ Und sonst +sagt er nichts. — — — — — +</p> + +<p> +Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind +keine Betten da. +</p> + +<p> +„Ich lieg’ sonst auf dem Stroh,“ sagt er, +„und bedecken tu’ ich mich mit dem Woilach.“ +</p> + +<p> +Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient +weiter. +</p> + +<p> +„Wie wir anfingen,“ sagt sie und schämt sich, +„da hatten wir wenigstens Bettzeug.“ +</p> + +<p> +„Ach Gott,“ sagt er, „das Vieh ist ja weg und +viel von dem Hausrat und alles Gesparte“ — +wie er sagt „alles Gesparte“, da schluckt er doch, +und ihr zerreißt es das Herz —, „aber die schönen +Gebäude sind da, und die Wiese haben wir auch, +und die Kartoffeln gedeihen — und der Moorvogt +sagt: ‚Das Pferd wird sich finden,‘ und fürs +übrige leiht er. Wir fangen eben noch einmal +von vorne an, das ist alles.“ +</p> + +<p> +<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a> +Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich +wieder ganz jung vor. +</p> + +<p> +Und dann kriechen sie still in das kahle +Bett und decken sich zu, so viel die kurze Pferdedecke +nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, +denn die Nacht ist ja mild, und sie können sich +gegenseitig erwärmen. +</p> + +<p> +Wie die Erdme da liegt, denkt sie: „O Gott, +o Gott, wie liegt es sich schön hier!“ Und ihr +Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie +arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird +kommen, wie er das erstemal kam. Nein, er <em>ist</em> +schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei +ihr und sagt halb im Schlaf: „Wenn du bloß +da bist.“ +</p> + +<p> +Die Petruschka hat den Kopf zwischen die +Pfoten gesteckt und träumt von einer Wanne +mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen +Schrubber. +</p> + +<p> +Und wie ich die Erdme kenne, wird der +Traum sich morgen erfüllen. — — — — — +— — — — — — — — — — — — — — +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-5"> +<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a> +Die Magd +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-5-1"> +<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Es war am ersten Juli und schon Feierabend, +als die Marinke Tamoszus im Dorfe einfuhr. +Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht. +Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. +Sie kam von dem Gute des Herrn Westphal, +wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient +und dann zwei Jahre lang die Meierei verwaltet +hatte. +</p> + +<p> +Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen +in die Augen gefallen. Er hatte beim Milchabliefern +die fleißige Wirtin in ihr erkannt und +erst seine Frau und dann auch seinen Sohn, den +Jurris, auf sie aufmerksam gemacht. Hierauf, als +beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem +Vater verständigt, und das Ende vom Liede +war, daß sie dem Herrn Westphal kündigte und +vom alten Enskys den Mietstaler nahm. +</p> + +<p> +Aber nein doch, das Ende war es nicht! +Es sollte vielmehr ein glücklicher Anfang sein. +</p> + +<p> +Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so +konnte nach den letzten Kartoffeln, um Mitte +Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden. +<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a> +Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht +worden. Und sie, die Marinke, hatte sich nicht +gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht, +weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und +ewig auf dem großen Gute zu scharwerken, hatte +erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich +bloß ins Gerede. +</p> + +<p> +Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen +Zöpfen und brauner Taftschürze, +blond und rund und schüchtern neben dem dürrgearbeiteten +Vater, der auf seine Gäule losprügelte, +denn er wollte forsch vorgefahren +kommen. +</p> + +<p> +Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, +sie hingegen war noch niemals dort gewesen +und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs +Meer hinausfährt. +</p> + +<p> +Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die +Runde, und von freudiger Erwartung stand +wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte +auch nicht: „Ist es hier? Ist es dort?“ Aber +wenn der Wagen an einem neuen Zugangswege +vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil +ihr noch eine Galgenfrist blieb. +</p> + +<p> +Endlich bog er doch um die Ecke, und im +Abendschein lag die künftige Heimat vor ihr. +Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. +Daß die tüchtige Milchgeberinnen waren, das +wußte sie schon von der Meierei her. Der +<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a> +Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. +Der Stumpf einer Dreschmaschine +vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen +fiel ihr sonst nicht viel auf. Nur die +braunen Netze, die zum Trocknen über den +Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, +denn noch nie war sie in einer Fischergegend +gewesen. +</p> + +<p> +Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem +Jurris. Auch ein Knecht war da und eine Taglöhnerfrau. +Um derentwillen durfte der Willkomm +nicht allzu herzlich sein. Aber sie dachten +sich doch ihr Teil, denn sie grieflachten heimlich +zusammen. +</p> + +<p> +Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die +Magd kommt zweispännig angefahren, und der +eigene Vater kutschiert! +</p> + +<p> +Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. +Man hätte es nicht von ihm glauben sollen, denn +er war unlängst von den Kürassieren nach Hause +gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm +noch auf dem linken Ohr. Aber als er ihr kaum +die Hand gegeben hatte, machte er sich schon +eifrig an dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe +des Knechts über die Sprossen hob. Nur um +nicht mit ihr reden zu müssen. +</p> + +<p> +Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht +aus. Nach seiner Gestalt hätte man ihn eher bei +den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von +<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a> +sinkendem Schulterbau. Die Augen blau und +still. Viel von Bart noch nicht auf den Lippen. +</p> + +<p> +Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. +Denn bis nach Piktaten, wo seine Wirtschaft +lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte +nachts schon zu Hause sein. Aber einen Bissen +geräucherten Aal aß er doch und trank den +Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. +Er fühlte es mit Zufriedenheit: die Marinke kam +in ein gutes Haus, und die fünfhundert Taler, +die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt +sein. +</p> + +<p> +So fuhr er also von dannen, und die Marinke +saß in der Kammer und weinte. +</p> + +<p> +Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans +Lachen als ans Weinen denkt, so war sie am +nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. +Die Kühe standen über dem Melkeimer so still, +als hätte sie sie schon seit Wochen geliebkost, und +der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen +gerade unter die hungernden Rüssel. +</p> + +<p> +Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und +Tritt, aber so, daß sie von ihr nicht gesehen werden +konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte +sie leise zu ihrem Mann: „Wir haben gut gewählt. +Sie ist eine Gesegnete.“ +</p> + +<p> +Der alte Enskys faltete die rissigen Hände +und sagte noch zweifelnd: „Geb’ Gott!“ +</p> + +<p> +Und beide dachten daran, wie sie nun im +<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a> +Herbste sich zur Ruhe setzen könnten, waren dabei +aber erst um die Funfzig. +</p> + +<p> +Die Marinke tat, als merke sie nichts von +dem Beobachtetwerden und dem Getuschel, und +machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten +liebt und nicht nach rechts und nach links sieht. +</p> + +<p> +Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem +und gütigen Herzens und nicht gewillt, sie ihre +Herrschaft fühlen zu lassen. +</p> + +<p> +Aus dem Schwiegervater war vorderhand +noch nicht klug zu werden. Bescheiden im Wesen, +als wär’ er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks +und im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte +sie zwei-, dreimal an etwas, was sie noch gar +nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft +sein. +</p> + +<p> +Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach +sie nicht an. Und so blieb es Tage und Tage lang, +so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren +Verdacht bald wieder fahren ließen. +</p> + +<p> +Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken +weilten ganz, ganz wo anders als bei +dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und +wollte wissen, wie er es anfangen würde. Aber +er fing es lieber gar nicht an. Und mit der Zeit +begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt +werden. Und noch etwas Schlimmeres +fürchtete sie, doch daran ging das Denken gerne +vorüber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-2"> +<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten +die fünf größten Wirte des Dorfes mit Herrn +Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und +lieferten ihm so und so viel Liter täglich für +seine Meierei. Im Hinfahren wechselten sie sich +allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke +sie alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen +und Kinder, denn die Besitzer spielten den Kutscher +meistens nur dann, wenn sie in Augustenhof sonst +noch zu tun hatten. +</p> + +<p> +In der Woche nach Marinkes Ankunft war +der Jozup an der Reihe. Der Jozup Wilkat, +der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. +Ein dunkler junger Mensch von Dreiviertelgröße +mit buschigem Schnurrbart und zusammengewachsenen +Brauen, die ihm ein finsteres und +fremdartiges Aussehen gaben. Den Hof, der +übrigens wohlhabend und gutgehalten war, +nannte man in der Gegend die „Wilkija“, das +Wolfsnest. Zuerst natürlich des Namens wegen, +denn Wilkat heißt im Deutschen der „Werwolf“. +Dann aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos +herangewachsen waren, sich von früher Jugend +an in den Haaren gelegen hatten, bis die +Mutter, deren Liebling der Jozup war, die beiden +Älteren herausbiß, so daß sie nun in Berlin auf +Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete +<a id="page-357" class="pagenum" title="357"></a> +nur auf eine passende Frau, um dann die Wirtschaft +zu übernehmen. +</p> + +<p> +In Augustenhof waren alle Mägde hinter +ihm her, aber er kümmerte sich wenig um sie. +Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm +angeglupt, hatte seine Milch aufschreiben lassen — +und weg war er. +</p> + +<p> +Man sagte von ihm, er sei ein „Bedraugis“, +das ist einer, der keinen Freund hat, und das +mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn +er jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte +er sich lange im Stall bei dem Jurris zu schaffen, +rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte +womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof +sind es im Schritt immerhin doch anderthalb +Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde +immer gewesen. +</p> + +<p> +Am vierten Abend mochte es sein, da trat er +zu der Marinke, die eben die Milchkannen auflud, +und redete sie mit den Worten an: „Gestern +hat mich der Herr Westphal halten lassen und +hat gesagt, ich möchte dir sagen, du möchtest +doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof +kommen.“ +</p> + +<p> +Die Marinke wurde rot und sagte: „Was +soll ich in Augustenhof? Ich bin nicht mehr in +Dienst dort.“ +</p> + +<p> +Und der Jozup entgegnete: „Es ist noch etwas +abzurechnen, hat er gesagt.“ +</p> + +<p> +<a id="page-358" class="pagenum" title="358"></a> +Die Marinke antwortete: „Ich <em>habe</em> abgerechnet,“ +und ging ihrer Wege. +</p> + +<p> +Aber am Sonnabend kam er noch einmal +und sagte: „Der Herr Westphal ist gestern auf +der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde +aus einem Posten nicht klug und er müsse durchaus +mit dir reden. Morgen am Sonntag ist mein +letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das +Vertrauen und fährst mit mir.“ +</p> + +<p> +Der Marinke gab es einen Stoß gegen das +Herz. Sie sah den Jurris an, der still nebenbei +stand, und sagte: „Wenn ich durchaus fahren +muß, so fahr’ ich doch lieber, wenn <em>wir</em> an der +Reihe sind. Die acht Tage wird der Herr Westphal +sich wohl noch gedulden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer +zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofe herunter. +</p> + +<p> +Der Jurris stand da und sah ihm nach, und +die Marinke grämte sich, daß er noch immer nicht +zu ihr sprach. Schließlich war sie doch „auf +Prob’“ hier. Was sollte werden, wenn es so +blieb? +</p> + +<p> +Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen +Sinne ganz zuwider war und wozu sie bisher +den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte +sich neben ihn und sagte: „Vielleicht bist <em>du</em> +so gut und nimmst mich dann einmal mit.“ +</p> + +<p> +Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort +gegeben oder ihr sonst sein Mißfallen gezeigt, +<a id="page-359" class="pagenum" title="359"></a> +dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten +bald würde packen müssen. Aber was tat er? +</p> + +<p> +Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man +konnte sagen, ein glückliches Lächeln ging +über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: +„Wirst du dann auch einmal mit mir fischen +kommen?“ +</p> + +<p> +Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war +und daß sie mit ihrem Kasten würde hierbleiben +können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten +wäre sie gleich davongelaufen und hätte +im Winkel geweint, aber sie bezwang sich und +lächelte nur und sagte: „Du <em>hast</em> ja bisher noch +gar nicht gefischt.“ +</p> + +<p> +„Ich habe immer auf dich gewartet,“ entgegnete +er. +</p> + +<p> +„Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte +sie mich wohl freigelassen,“ sagte sie. +</p> + +<p> +„Ja, das hätte ich eigentlich tun können,“ +entgegnete er, „aber ich dachte immer, du hättest +zu viel zu tun.“ +</p> + +<p> +„Zu tun habe ich wohl genug,“ war ihre Antwort, +„aber wie man fischt, das sähe ich gar zu +gerne.“ +</p> + +<p> +Da führte er sie vor die braunen, nach Teer +riechenden Netze, die über die Stakete gehängt +waren, und erklärte ihr alles. +</p> + +<p> +Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor +lauter Glück hörte sie nichts. Das Schwere, das +<a id="page-360" class="pagenum" title="360"></a> +Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet war, +löste sich auf. +</p> + +<p> +Nichts war um sie und in ihr als ein milder +Sommerabend mit braunen Netzen und grünen +Staketen und vielen Blumen dahinter, und +Vögelchen, die sie ansangen, und einem Hofhund, +der sie anwedelte, und einem lieben, guten +Menschen, der fortan der Ihre war. +</p> + +<p> +Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, +und hätte er ihre Hand gefaßt und wäre mit ihr +in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im +geringsten gewundert. +</p> + +<p> +Daß sie nun auch gemeinsam den Garten +besuchten, geschah wie von selbst. Er zeigte ihr +den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie +zeigte ihm den Ehrenpreis und die Studentennelke, +und nur an dem Rautenbeet gingen sie +schweigend vorüber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Zwei Tage später am frühen Morgen sagte +der Jurris zur Marinke: „Die Mutter hat erlaubt, +daß wir zusammen fischen dürfen.“ +</p> + +<p> +Sie fragte: „Wer wird die Kühe melken?“ +</p> + +<p> +Und er erwiderte: „Sie wird es selber tun.“ +</p> + +<p> +Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen +lud, schämte sie sich sehr vor den Blicken, die sie +auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch nichts +<a id="page-361" class="pagenum" title="361"></a> +zu essen mit und sagte zu keinem: „Ich geh’ nun.“ +Wie eine Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam. +</p> + +<p> +Er zog den Handwagen, und sie schob nach. +Aber zu schieben war eigentlich nichts, denn die +Räder drehten sich wie von selber. +</p> + +<p> +Bis zum Haff geht man quer durch die Felder +mehr als eine halbe Stunde. Zuerst war nichts +davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er +morgens wohl auf den Wiesen liegt, dann aber +brach das blaue Wasser durch, hoch über dem +Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser +und Himmel blänkerten in der Ferne die Sandberge +der Nehrung, anzusehen wie ein Gürtelband +von weißgelber Seide. +</p> + +<p> +Marinke dachte: „Wie schön wird meine Heimat +sein!“ Sie wollte was sagen, aber sie traute +sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte sich +nie nach ihr um. +</p> + +<p> +Und so kamen sie dem Ufer immer näher. +</p> + +<p> +Dort standen Schuppen errichtet, um die +Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit der Stürme +drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, +waren sie nicht einmal auf den Strand gezogen +und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, zwischen +Grasbank und Röhricht. +</p> + +<p> +Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit +haben, war am Ufer zu sehen. Denn +jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf +den Feldern zu tun. +</p> + +<p> +<a id="page-362" class="pagenum" title="362"></a> +Und Marinke fühlte in beklommener Seele, +daß auch <em>seine</em> Ausfahrt nur ihr zuliebe geschah. +</p> + +<p> +Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und +sie half ihm dabei, obgleich es auch hier nichts zu +helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, +weit draußen im Blauen, wo nur die Ruder +klatschten und die Kielwellen schälten, da forderte +er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu +gehen. +</p> + +<p> +Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, +so daß alsbald die „Pluden“ — das sind die leichten +Hölzer, die das Netz obenhalten — in schönem +Bogen rings um sie herschwammen. +</p> + +<p> +Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die +Sonne fing etwas zu stechen an. +</p> + +<p> +„Du hast kein Tuch,“ sagte er, „du wirst +Kopfschmerzen kriegen.“ Und er holte eine Ölkappe +hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie +wollte nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr +Aussehen lachen müssen. Und das sagte sie ihm +auch. +</p> + +<p> +Aber da begann er schon im voraus zu lachen +und rief: „Hundertmal reichen nicht, daß ich dich +in der Ölkappe sehen werde.“ +</p> + +<p> +Und ohne sich zu besinnen, <em>was</em> sie da sagte, +entgegnete sie: „Aber dann werden wir auch +verheiratet sein.“ +</p> + +<p> +Noch wie das Wort kaum heraus war, da +schämte sie sich schon so sehr, daß sie sich am liebsten +<a id="page-363" class="pagenum" title="363"></a> +ins Wasser gestürzt hätte. „O Gott, o Gott,“ +dachte sie, „jetzt wird er mich für dreist und für +zudringlich halten.“ Und weil sie fühlte, daß +sie ganz glutrot geworden war und immer noch +röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und +machte sich klein. +</p> + +<p> +Er — vom Steuer her — sagte: „Marinke, +dreh dich doch um.“ +</p> + +<p> +Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich +stieg der Gedanke in ihr auf: „Es wird nicht sein +— es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich — +und ich bin es nicht wert.“ +</p> + +<p> +Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß +sie bitterlich zu weinen begann. +</p> + +<p> +Der Jurris stand von seinem Platze auf und +setzte sich neben sie, so dicht, daß ihr Rücken an +seine Brust stieß. +</p> + +<p> +Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich +nicht wolle, da sonst ja die Heirat kein Grund +zu solchen Tränen sei. +</p> + +<p> +Aber sie weinte nur um so heftiger. +</p> + +<p> +Da schlang er von hinten her die Arme um +ihren Hals, so daß ihr Kopf auf seine Schulter +zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach +ihm um, damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem +hellen Tage preiszugeben brauchte, und so lag sie +an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz still. +</p> + +<p> +„Ach wenn er mich doch küssen möchte!“ +dachte sie. +</p> + +<p> +<a id="page-364" class="pagenum" title="364"></a> +Aber er küßte sie nicht. +</p> + +<p> +Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu +sehen. Viel brachte der Fang nicht. Ein paar +Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber +sie kümmerten sich nicht darum, und schließlich +lachten sie gar darüber. +</p> + +<p> +Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob +sie nicht mehr wie in der Frühe, sondern schritt +an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es +beim besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen +gab, legte er seinen freien Arm um ihre Hüfte, +so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. +Und darum gab es des Lachens kein Ende. +</p> + +<p> +Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, +und als die künftige Schwiegermutter ihnen das +Frühstück auftischte, wollte sie es nicht dulden +und küßte ihr Ärmel und Rocksaum. +</p> + +<p> +Da sagte die Enskene mit einem freundlichen +Lächeln: „Was ihr gefischt habt, ist ja nicht viel, +und doch hat mein Jurris einen guten Fang +gemacht.“ +</p> + +<p> +Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen +und ängstlichen Blicken um beide herum, so daß +auch der Marinke wieder ganz angst ward. +</p> + +<p> +„Ob er was weiß?“ dachte sie. +</p> + +<p> +Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß +sie „auf Prob’“ ins Haus kam. +</p> + +<p> +Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre +Arbeit. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-4"> +<a id="page-365" class="pagenum" title="365"></a> +4 +</h3> + +<p class="first"> +In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat +eigentlich nichts mehr auf dem Hofe zu tun, denn +das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber +trotzdem sah man ihn morgens und abends. +Einmal hatte er sich einen Bohrer geborgt, den +er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm +die Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich +kam er ganz ohne Grund, setzte sich neben den +Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal +drei Pfeifen aus. +</p> + +<p> +Daß man den jemals einen „Bedraugis“ +genannt hatte, war zum Verwundern. +</p> + +<p> +Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der +neuen Freundschaft gekommen war, die eigentlich +schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen, +aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ +er es sich gefallen. Der Jozup, den alle für +störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar +nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und +Lieder die Menge, und wenn man die Auflösungen +seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich +vor Lachen den Bauch halten. +</p> + +<p> +Darum kamen auch die beiden Alten häufig +dazu, und nur die Marinke machte sich ungern +in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen +Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn +kommen und gehen sah mit seinen strammen +<a id="page-366" class="pagenum" title="366"></a> +Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel +er ihr immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, +die sie schon in Augustenhof manchmal befallen +hatte, wenn er auf dem Milchwagen +vorfuhr, verließ sie auch jetzt nicht. +</p> + +<p> +Zuweilen dachte sie: „Der wird mir gewiß +einmal ein Leid antun.“ Aber ein bißchen +Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, +seitdem sie erfahren hatte, wie wenig ein armes +Mädchen vor ihrem starken Willen vermag. +</p> + +<p> +Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris +hinüberzublicken, um zu wissen, wie gut geborgen +sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah +kommen können. +</p> + +<p> +Eines Spätabends beim Weggehen blieb +der Jozup am Gartenzaun stehen und rief zu +ihr herein: „Du, richt dich mal auf!“ +</p> + +<p> +Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade +Mohrrüben aus der Erde für morgen Mittag, +aber sie mußte es doch tun. +</p> + +<p> +„Warum hältst du dich so weit ab von mir?“ +war seine Frage. „Ich beiß’ dich nicht. Ich beiß’ +bloß in Rindfleisch.“ +</p> + +<p> +„Ich bin die Magd hier,“ gab sie zur Antwort, +„und ich habe zu tun.“ +</p> + +<p> +„Wenn du von Magd sprichst,“ sagte er, +„dann lachen die Hühner. Ich weiß am besten, +wie bald du hier Herrin sein wirst.“ +</p> + +<p> +„Wenn du das weißt,“ entgegnete sie, „dann +<a id="page-367" class="pagenum" title="367"></a> +wart hübsch, bis ich das Recht hab’, mit dir zu +reden.“ +</p> + +<p> +„Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt +ist,“ sagte er, „und ich habe auch eine Bestellung +an dich.“ +</p> + +<p> +Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. +„Wenn es wieder von Herrn Westphal ist,“ entgegnete +sie, „dann sag ihm nur, sobald die Reihe +an uns ist, würde ich kommen — und früher +nicht!“ +</p> + +<p> +Aber diesmal war es was Anderes. +</p> + +<p> +„Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,“ +sagte er. „Sie hat gehört, daß du eine +heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr +einmal aufzulegen. Bei <em>der</em> Gelegenheit könntest +du dir gleich unsere Wirtschaft besehn.“ +</p> + +<p> +Ihr wurde ganz heiß von dem allen. +</p> + +<p> +„Wer das gesagt hat von meiner Hand,“ +entgegnete sie, „der erfindet sich Lügen, denn +ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer +Wirtschaft zu sehen hätte, das weiß ich noch weniger.“ +</p> + +<p> +Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet +hinunter und sah ihn nicht mehr an. +</p> + +<p> +Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, +als fühle sie seine Blicke auf ihrer Haut; dann +wünschte er „Guten Abend“ und ging von +hinnen. +</p> + +<p> +„Mein Gott, mein Gott!“ dachte sie. „Trachtet +<a id="page-368" class="pagenum" title="368"></a> +der auch nach mir?“ Aber das konnte nicht +sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum +Freunde ausgesucht haben? +</p> + +<p> +Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte +den Mittelsteg herabkommen, und ihr Herz flog +ihm entgegen. Sie dachte: „Wie kann man +einen bloß so rasch liebhaben!“ Aber sie blickte +nicht auf und beklopfte die Möhren nur um so +fleißiger. +</p> + +<p> +Er blieb hinter ihr stehen und sagte: „Kannst +du dir denn gar nicht genug tun? Es ist halbdunkel +und Schlafenszeit, und du arbeitest noch +immer.“ +</p> + +<p> +Sie stand auf und wischte das Schrapmesser +an ihrer Schürze ab. „Du mußt nicht glauben,“ +sagte sie, „daß ich mich zeigen will vor dir oder +den Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es +vielleicht auch bald <em>meine</em> Erde ist, auf der ich +da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen +und die Arbeit zum Spiel.“ +</p> + +<p> +Er sagte: „Wir haben uns immer noch nicht +richtig miteinander versprochen.“ +</p> + +<p> +„Nein,“ sagte sie, „das haben wir noch nicht.“ +</p> + +<p> +Und sie schickte sich an, den Korb mit den +Gelbrüben ins Haus zu tragen. +</p> + +<p> +Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und +führte sie den Mittelsteg weiter zu dem Eschenbaum, +unter dem die Bank stand für Mittagsruh’ +und für Feierabend. +</p> + +<p> +<a id="page-369" class="pagenum" title="369"></a> +Dort unter den hängenden Zweigen war es +fast Nacht, und wer einen auffinden wollte, den +sah man schon lang’ auf dem helleren Stege +daherkommen. +</p> + +<p> +Der Jurris stellte den Korb auf die Erde +und setzte sich neben sie. Ihre Hand ließ er nicht +los und nahm auch die andere dazu. +</p> + +<p> +„Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?“ +begann er das Gespräch. „Wenn wir Hochzeit +machen, möcht’ er Brautführer sein.“ +</p> + +<p> +Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie +Angst vor dem Jozup hatte, denn ihr war ja +nichts Böses von ihm geschehen, und darum +meinte sie nur: „So weit ist es ja noch nicht.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Warum nicht? Wenn <em>du</em> +mich willst, <em>ich</em> will dich. Ich hab’ dich schon +immer gewollt.“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Ich will dich gern.“ +</p> + +<p> +Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie +lehnte den Kopf an seine Schulter, und er lehnte +die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: +„Warum küßt er mich immer noch nicht?“ +</p> + +<p> +Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder +ihn für linkisch gehalten hätte, aber sie hatte so +große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie +auch den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter +nach hinten, so daß erst ihre Backe auf seiner +Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem +Munde lag. +</p> + +<p> +<a id="page-370" class="pagenum" title="370"></a> +Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein +Schaudern und wie ein Schlag. Und wie eine +ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine +neue Angst. +</p> + +<p> +Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. +Sie wußte nicht mehr, wieviel von ihrer Seele +und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte +ihm immer noch mehr von sich schenken und +immer noch mehr die Seinige sein. +</p> + +<p> +Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo +rings ein Geräusch, und es war doch niemand +den Steg heruntergekommen. +</p> + +<p> +Darum sprang sie auf und sagte: „Komm. +Es ist nicht mehr sicher hier.“ Und wünschte ihm +rasch „Gute Nacht“ und lief stracks nach der Klete, +wo ihre Kammer gelegen war. +</p> + +<p> +Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, +es würde nicht lange mehr dauern, dann würde +er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum +schnarchte die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte +er es ruhig auf sich nehmen können. +</p> + +<p> +Sie horchte und horchte nach der Türklinke +hin, aber die rührte sich nicht. Statt dessen war +es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise +Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus +und Klete unaufhörlich hin und her liefen. +</p> + +<p> +„Der Arme!“ dachte sie. „Er traut sich nicht. +Ich muß es ihm leichter machen.“ +</p> + +<p> +Und darum stand sie auf und öffnete sacht +<a id="page-371" class="pagenum" title="371"></a> +den oberen Teil der Tür nur eine Handbreit +weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer +geriet! Denn als sie den Kopf für einen Augenblick +durchgesteckt hatte, wurde ihr gleich offenbar, +daß der, der da draußen im Sommernachtschein +ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, +sondern sein Vater war, der wider Recht und +Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht +zueinanderkam. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. +Denn wenn eine Braut, die „auf Prob’“ ist, +sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann +ziehen sie womöglich in eine Kammer, und +keiner kümmert sich drum. +</p> + +<p> +Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten +Vormittag der Jurris vom Felde kam, um kaltes +Braunbier zum Trinken zu holen — denn draußen +beim Mähen und Binden starben sie alle vor +Durst —, da fand er, als er den Rückweg antreten +wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe +gönnte, wartend im Hausflur stehen. +</p> + +<p> +„Komm doch mal ’rein,“ sagte er. +</p> + +<p> +Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, +und als er in die Stube trat, was sah er da? +</p> + +<p> +Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch +bedeckt. Darauf standen zwei brennende +Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch. +</p> + +<p> +<a id="page-372" class="pagenum" title="372"></a> +Der Alte war barhaupt und hatte die +Schlorren nicht an und sah furchtsam und +heimlich aus. +</p> + +<p> +„Nimm deine Mütze ab,“ sagte er. +</p> + +<p> +Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen +war. +</p> + +<p> +Und der Vater fuhr fort: „Als die Marinke +ins Haus kommen sollte, sagte ich zu dir: kennen +lernen müssen sich die Menschen, die beieinander +bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte +ich von dir das Versprechen, daß du ihr +nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand +des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. +Und das gabst du mir auch.“ +</p> + +<p> +„Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,“ fiel +ihm der Jurris ins Wort, „wenn die Braut +einem so dicht nebenbei wohnt.“ +</p> + +<p> +„Und die Herren vom Gericht wissen es noch +viel weniger,“ gab der Vater zur Antwort, „denn +es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von +Gott eine andere Vernunft bekommen als wir. +So hat es sich vor etlicher Zeit auf dem Tilsiter +Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer +Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite +vom Pfade der Tugend gewichen war, +ein Jahr Zuchthaus — nicht Gefängnis, mein +Sohn, sondern Zuchthaus — gekriegt hat, weil +sein Sohn und die Braut, die auch auf Prob’ +war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache +<a id="page-373" class="pagenum" title="373"></a> +zusammen geschlafen haben. Er hat geweint +und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen, +denn im Herbst sollt’ ja die Hochzeit sein, und zu +der Aust könnt’ man zwei fleißige Händ’ nicht +entbehren; aber unbarmherzig, wie die Deutschen +sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen +und haben ihn eingesperrt zusammen +mit Räubern und Mördern.“ +</p> + +<p> +„Das kann nicht sein!“ rief der Jurris voll +Empörung. „Das wär’ ja die schlimmste Gewalttat!“ +</p> + +<p> +„Die Deutschen nennen’s Gerechtigkeit,“ sagte +der Vater, „und unter einander strafen sie sich +genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten +Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, +denn Aufpasser gibt es ja überall. Und weil ich +gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit +euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst +und Unglück zu retten: entweder ich schick’ sie +solang’ zu den Eltern zurück —“ +</p> + +<p> +„Das geht ja nicht, Vater,“ rief der Jurris +entsetzt, „das würde aussehen, als wollten wir +sie nicht haben.“ +</p> + +<p> +„— oder du schwörst mir hier auf das heilige +Gotteswort, daß du dich ihrem Leibe fernhalten +wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand, +selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.“ +</p> + +<p> +Das kam <a id="corr-8"></a>den Jurris hart an, aber was sollte +er machen? Und er schwor zwischen den Lichtern, +<a id="page-374" class="pagenum" title="374"></a> +die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der +Vater verlangte. Und daß, wenn er den Eid +verletze, Gott ihn mit Drangsal und Tod heimsuchen +wolle, das schwor er auch, genau wie der +Vater es vorsprach. +</p> + +<p> +Und dann brachte er das warm gewordene +Braunbier aufs Feld hinaus. +</p> + +<p> +Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer +atmend dastand, griff nach dem Krug, als ob er +ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, +als tränke sie Trübsal daraus. +</p> + +<p> +Nachher zur Mittagspause, als die Mäher +alle im kargen Schatten zweier Weidenstümpfe +lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich +erstaunt nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es +der Leute wegen geschehe, und darum beruhigte +sie sich wieder. +</p> + +<p> +Auch beim Nachhausegang schritt er nicht +etwa an ihrer Seite, sondern machte sich mit den +kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren +lagen. +</p> + +<p> +Und immer und immer wich er ihr aus, so +daß sie schließlich ganz krank war. +</p> + +<p> +Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. +Darum zweifelte sie auch nicht an +seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große +Sehnsucht nach ihm war es, die sie krank machte. +</p> + +<p> +So kam der Montagabend heran, an dem +der Enskyssche Wagen zum ersten Male wieder +<a id="page-375" class="pagenum" title="375"></a> +die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu +bringen hatte. Seit langem war ausgemacht +worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren +solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn +nicht länger entgegenzustehen. +</p> + +<p> +Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte +sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter, denn +sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und +nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger +war, könne schuld daran sein, daß etwas +nicht stimmte. +</p> + +<p> +Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer — +wenn auch nicht wegen der Bücher. +</p> + +<p> +Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte +Bänder durch die Zöpfe und legte ein seidenes +Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt +hatte. Und wenn sie daran dachte, daß +sie nun zwei Stunden lang in der roten Dämmerung +mit dem Jurris allein durch die Welt fahren +sollte, so verschwand alles andere, wovor ihr +wohl bangte. +</p> + +<p> +Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns +kam, war der Jurris nirgends zu finden. +Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen, +und auch die der anderen Wirte warteten +sicher schon lange, aber alles Rufen nach ihm +blieb vergeblich. +</p> + +<p> +„Dann wirst du wohl allein fahren müssen, +mein Täubchen,“ sagte die Schwiegermutter. +</p> + +<p> +<a id="page-376" class="pagenum" title="376"></a> +Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und +viel mehr Tränen weinte sie, als die kleine Fahrt +wert war. +</p> + +<p> +Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun +einmal war, fing er sogleich zu quengeln an. +„Was machst du für ein Wesen?“ sagte er. „Es +scheint, daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden +nicht umzugehen verstehst.“ +</p> + +<p> +Das kränkte die Marinke natürlich aufs +tiefste, denn den Litauer oder die Litauerin +möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre +Gespielen <a id="corr-9"></a>betrachten. Das Reiten und Fahren +können sie alle womöglich noch früher, als sie +das Gehen gelernt haben. +</p> + +<p> +Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein +Wort, sondern biß nur die Lippen zusammen, +stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter. +</p> + +<p> +Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr +Mann so häßliche Reden geführt hatte, und deshalb +ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es +sich machte, der Marinke was Tröstliches mit auf +den Weg zu geben. +</p> + +<p> +Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur +von weitem konnte sie sehen, daß, als der +Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz +ihrer gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse +stieg und die Marinke abbutschte, wer weiß +wie sehr. +</p> + +<p> +Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: +<a id="page-377" class="pagenum" title="377"></a> +„Was hat die alte Wölfin ihr Maul an der +Marinke abzuwischen?“ +</p> + +<p> +Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder +zum Vorschein kommen. Er sei auf dem Haff +gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu +seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe +machte und weiter in ihn drang, erwiderte +er nur noch: „Frage den Vater.“ +</p> + +<p> +Aber der wußte von gar nichts. Und beide +Männer gingen zur Ruhe. +</p> + +<p> +Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die +künftige Tochter wieder zu Hause war. +</p> + +<p> +Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte +sich unter den Lindenbaum, ließ auch die Lampe +brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen +die Mücken. +</p> + +<p> +Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte +sie gleichwie ihr Slinka, der alte Kater. Sie +wartete und wartete, aber die Marinke kam nicht. +</p> + +<p> +Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen +Wagen langsam, langsam näher knarren. Die +Räder mahlten, und die <a id="corr-10"></a>Achsen schlackerten. +</p> + +<p> +„Sie wird eingeschlafen sein,“ dachte sie, +„und die Pferde machen es sich zunutze.“ +</p> + +<p> +Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit +großen Augen nach dem Mond hinstarren, und +dann absteigen ohne „Wie geht’s?“ und „Guten +Abend“, da wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, +sondern ihr war etwas geschehen. +</p> + +<p> +<a id="page-378" class="pagenum" title="378"></a> +Sie liebkoste sie und sagte: „Du bist müde, +mein Tochterchen, darum iß einen Bissen und +lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen +statt deiner.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke ließ es auch zu. +</p> + +<p> +Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde +und kaute. Aber es war, als täte sie’s nur, +weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das +Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß +sie von Gesicht ganz weiß war, bloß daß unter +den Augen zwei Flecken brannten. +</p> + +<p> +Die Mutter umarmte sie und sagte: „Gestehe, +was dir begegnet ist.“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: +„Es hat nicht gestimmt.“ +</p> + +<p> +„Um wieviel hat es nicht gestimmt?“ fragte +die Mutter. +</p> + +<p> +Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte +dann: „Mehr als funfzig Mark sind es, +die fehlen.“ +</p> + +<p> +Da lachte die Mutter und sagte: „Die schick’ +ich noch in der Frühe und lege funfzig als Zinsen +dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer kochen.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke entgegnete heftig: „Um +das Geld ist es nicht. Das hat er mir gleich +geschenkt. Der Verdacht ist es — die Schande +ist es, daß der Schweizer nun sagen wird: ‚Eine +lüderliche Kröt’ ist vor mir im Amte gewesen.‘ +Oder er sagt gar noch Schlimmeres.“ +</p> + +<p> +<a id="page-379" class="pagenum" title="379"></a> +Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen +Sorgen abgab, aber in ihrem Innern +freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem +Jurris eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren +wollen. +</p> + +<p> +Und sie sagte: „Morgen fahr’ <em>ich</em> mit der +Milch, und wenn ich deinen Herrn Westphal seh’, +dann sag’ ich ihm ordentlich die Meinung, weil +er ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht +hat. Ja, das werd’ ich tun und fürcht’ +mich nicht im geringsten.“ +</p> + +<p> +Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst +ein sehr erschrockenes Gesicht gemacht. Dann +aber lächelte sie ein weniges, wie man zu Kinderworten +wohl lächelt. Dem Herrn Westphal +trat kein Mann und keine Frau mit Vorwürfen +unter die Augen. Dem nahte man höchstens +mit einer Bitte im Munde. +</p> + +<p> +Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn +weit und breit den „Wieszpatis“. Das heißt +auf deutsch „König und Herrscher“. Und der +liebe Herrgott heißt auch so. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke +fast wieder so wie gewöhnlich. +</p> + +<p> +Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab +dem Jurris die Hand. Aber warum er sich +<a id="page-380" class="pagenum" title="380"></a> +gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. +Sie fragte überhaupt nichts mehr, sondern ging +still an die Arbeit. +</p> + +<p> +Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken +herein, und Erbsen und Gerste nicht minder. +Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. +Keine Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes +und nichts Enthülstes. +</p> + +<p> +„Die Laumen meinen es gut mit uns,“ +sagte die Mutter, „seit das Kind bei uns +wohnt.“ +</p> + +<p> +Und der Vater sagte: „Wenn nur nicht —“ +Aber das weitere verschwieg er. +</p> + +<p> +Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde +es nie mehr so, wie es gewesen war. Sie gingen +wohl freundlich nebeneinander her und sprachen +auch, was der Augenblick brachte, aber zusammen +allein zu sein, das suchte der eine nicht und auch +nicht der andere. +</p> + +<p> +Und jeder grämte sich auf seine Art. +</p> + +<p> +Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, +dann hing sie mit fragenden und ängstlichen +Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging +um sie ’rum wie ein Dieb und scheute sich, sie +zu berühren. +</p> + +<p> +Auch von der kommenden Hochzeit war nie +mehr die Rede. Höchstens daß die Mutter einmal +von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, +was das Elternhaus ihr wohl mitgab. +</p> + +<p> +<a id="page-381" class="pagenum" title="381"></a> +Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend +nahte, dann war er da. Und beide +Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten +oder aßen unreife Äpfel. +</p> + +<p> +Einmal, als die Marinke das Rindvieh von +der Weide heimtrieb, tauchte der Jozup neben +ihr auf und begann ein Gespräch. +</p> + +<p> +„Hast du auch schon den Schwiegereltern +das Stück Brautleinwand geschenkt,“ sagte er, +„und Rautenblüte hineingelegt?“ +</p> + +<p> +„Warum sollt’ ich das?“ fragte sie. „Ich +bin die Magd hier und sonst nichts.“ +</p> + +<p> +„Das hast du mir schon einmal gesagt,“ erwiderte +er. „Es ist Zeit, daß du freundlicher +zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir +die Hochzeitsgäste zusammenzubitten.“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von keiner Hochzeit,“ erwiderte sie. +</p> + +<p> +Er stieß ein Gelächter aus. „Aber im Leibe +sitzt sie uns schon, als hätten wir Tollwasser gesoffen. +Ich lieg’ bis zum Morgen und denk’ an +die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß +der Brautführer sein. Vom Jurris red’ ich nicht, +der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran denkt, +die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, +mein Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach +aus, als ob dir sehr davor graute, über ein +Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es +nicht, der ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt +er sich einen Vertreter.“ +</p> + +<p> +<a id="page-382" class="pagenum" title="382"></a> +Der Weg war schmal, darum mußte sie das +lästerliche Gerede anhören, und als sie es ihm +gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der +Gedanke: „Vielleicht weiß er mehr von mir, +als mir gut ist; sonst könnte er gar nicht so dreist +sein.“ +</p> + +<p> +Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß +sie nur den Kopf senkte und ihn reden ließ, was +er wollte. +</p> + +<p> +Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl +sie innerlich wünschte, er möchte ihn mit der +Peitsche vom Hof hinunterjagen. +</p> + +<p> +Und bald darauf kamen Tage voll neuer +Herzensangst. Die drückten noch härter als alles, +was vordem gewesen war. +</p> + +<p> +Sie lief von der Arbeit weg und versteckte +sich in der Scheune, um in den Garben nach +Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, +ob nicht irgendwo ein Sadebaum sich über +den Zaun hinstreckte, und ihre Füße waren verbrüht +von kochendem Wasser. +</p> + +<p> +Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber +bei Tage machte sie freundliche Augen. Mit +denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter +täuschte sie nicht. +</p> + +<p> +Die legte eines Tages die Arme um ihren +Hals und sagte: „Mein Täubchen, du bist nun +bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe +dich wohl geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem +<a id="page-383" class="pagenum" title="383"></a> +Jurris nichts Besseres wünsche als dich, so weißt +du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten +spielen die Männer oft so schlimme Streiche, +daß wir ins Unglück kommen und wissen nicht +wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, +nimm deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, +was sich noch gutmachen läßt. Auf +etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur +muß man den Knaben liebhaben, wenn man +ihn täuscht.“ +</p> + +<p> +Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, +vermochte Marinke nicht zu ergründen, aber gute +Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie +auf, in Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann +darüber nach, wie sie dem Jurris wieder nahkommen +könne. Leicht war das nicht, denn in +den Garten ging er zum Feierabend nie mehr, +und nie mehr wollte er einen Gang mit ihr +machen. +</p> + +<p> +Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, +hörte sie, wie er zum Alten sagte: „Ich +bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, +ich muß einmal nach dem Kahn und dem Schuppen +sehn.“ +</p> + +<p> +Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, +so hätte er jetzt zu ihr gesagt: „Komm mit!“ +und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen. +Aber statt dessen schlich er sich um die +Scheune herum und kroch durch die Zäune und +<a id="page-384" class="pagenum" title="384"></a> +blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand +bemerke. +</p> + +<p> +Da sagte sie sich: „Ich tu’s.“ Und ging ihm +nach. Aber sie ließ eine weite Entfernung, so +daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen +konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen +Rückweg genommen. +</p> + +<p> +Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, +setzte sie sich auf den Grabenrand und wartete. +</p> + +<p> +Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie +sangen die Heimchen. +</p> + +<p> +Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen +Gedanken im Kopfe hinter ihm herlief. Wäre +es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen, +so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, +aber nun die Not sie zwang, kam sie sich als eine +Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre +Liebe zu ihm nur noch größer und reiner war. +Aber es hätte ihr keiner geglaubt. Und auch sie +selber glaubte es kaum. +</p> + +<p> +So verging eine geraume Zeit, da hörte sie +seine Schritte näherkommen. Beinahe wäre +sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, +daß sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden +konnte. +</p> + +<p> +Er blieb vor ihr stehen und fragte: „Wer ist +da?“ +</p> + +<p> +Und sie fragte: „Wie kommst <em>du</em> hierher?“ +</p> + +<p> +Da erkannte er sie und sagte: „Es wird dir +<a id="page-385" class="pagenum" title="385"></a> +zwar keiner was tun, aber Sitte ist es nicht, daß +die Mädchen am Sonntagabend allein in den +Wiesen herumlaufen.“ +</p> + +<p> +Sie erwiderte: „Was soll ich machen? Eine +Freundin habe ich nicht, und der, der sich um +mich kümmern sollte, der unterläßt es.“ +</p> + +<p> +Er fragte: „Meinst du mich?“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Nein, ich meine den +Jozup.“ +</p> + +<p> +Da setzte er sich neben sie und sagte: „Du hast +Recht, Marinke, daß du mir Vorwürfe machst. +Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, +aber was sollte ich tun? Der Vater verlangt es +so und hat mir einen schweren Eid abgenommen.“ +</p> + +<p> +Sie zuckte die Achseln und sagte: „Was ist +ein Eid? Für dich schwör’ ich fünftausend, und +wenn sie zufällig falsch sind, dann lach’ ich.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Dies war kein gewöhnlicher +Eid, wie man ihn etwa vor Gericht schwört. +Der ging um <em>meinen</em> Tod und um <em>deinen</em> +Tod, und zwei Lichter brannten rechts und links +vom Gesangbuch.“ +</p> + +<p> +Sie sagte: „Dein Vater könnte auch was +Besseres tun, als zwei Liebesleute zu ängstigen.“ +Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen +war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof +vor ihr versteckt hatte. +</p> + +<p> +Er sagte: „Ja“, und sie legte den Kopf auf +seine Kniee und schluchzte. Sie dachte nicht mehr +<a id="page-386" class="pagenum" title="386"></a> +an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen +wollte sie sich. +</p> + +<p> +Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder +in die Höhe zu kriegen, und dann küßte er ihr +die Tränen von den Backen und weinte mit ihr. +</p> + +<p> +Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: +„Ich taug’ ja nichts mehr,“ aber sie war so glücklich, +wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut +dazu nicht fand. +</p> + +<p> +Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm +um des anderen Hüfte gelegt, und der Jurris +sagte: „Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, +denn ich weiß, es <em>kann</em> nichts Böses geschehen.“ +</p> + +<p> +Das gab ihr einen Stich durch die Brust, +denn es <em>mußte</em> ja was Böses geschehen. +Heut’ oder nächstens. Und ob es auf Tod oder +Leben ging — gleichviel. +</p> + +<p> +Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche +zu ziehen. Diesmal aber tat sie’s mit guter +Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und +wieder und merkte mit Freuden, daß er schwindlig +wurde und wankte. +</p> + +<p> +Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon +dunkel und still. +</p> + +<p> +Er konnte sich nicht von ihr trennen, und +sie dachte bereits, er würde bitten, ihn mit sich +zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da +riß er sich los und floh ins Haus, als säße der +Böse ihm auf den Hacken. +</p> + +<p> +<a id="page-387" class="pagenum" title="387"></a> +Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie +schon manche Nacht gekniet hatte. Und betete +und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die +Klinke sich nicht bewegte. +</p> + +<p> +Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst +wenn die sie hörte, was tat ihr das noch? +</p> + +<p> +Und dann stand sie auf. Und da er noch +immer nicht kam, trat sie den schweren Gang +an nach seiner Kammer. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-7"> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf +kam der Jurris zu dem Alten in die Stube +und sagte: „Ich möchte dich in Gehorsam bitten, +Vater, daß die Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden +kann.“ +</p> + +<p> +Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er +las, und sagte: „Du hast wohl deinen Eid gebrochen?“ +</p> + +<p> +Und der Jurris erwiderte: „Ja, ich habe +meinen Eid gebrochen.“ +</p> + +<p> +Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: +„Dafür strafe dich Gott!“ +</p> + +<p> +Der Jurris senkte den Kopf und sagte: „Gott +wird mir vielleicht vergeben, denn es war gar +zu schwer.“ +</p> + +<p> +Der Alte aber schrie: „Nein, Gott wird dir +<em>nicht</em> vergeben. Ebenso wenig, wie <em>ich</em> dir vergebe, +<a id="page-388" class="pagenum" title="388"></a> +daß du mich in so große Ungelegenheit gebracht +hast.“ +</p> + +<p> +Und er lief auf seinen Schlorren umher wie +ein Rasender. +</p> + +<p> +Nach einer Weile sagte er weiter: „Natürlich +muß die Hochzeit früher stattfinden. So +früh als möglich muß sie stattfinden, damit +nicht vielleicht hinterher ein Stein auf mich +geworfen wird. Aber das sage ich dir: +Kummer und Drangsal werden mit euch zu +Tische sitzen, und der Tod wird hinter euch +stehen, weil du den Willen Gottes so wenig +geachtet hast, und den Willen deines Vaters +noch weniger.“ +</p> + +<p> +Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach +mit keinem ein Wort, nur daß er zur Marinke, +die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: +„Er hat es erlaubt.“ +</p> + +<p> +Und alsbald erhob sich im Hause ein großes +Rumoren, denn die Vorbereitungen zur Hochzeit +sollten sogleich beginnen. +</p> + +<p> +Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt +sowohl wie beim Pfarrer, und der Jozup erschien +am hellen Vormittag auf einem mit Bändern +geschmückten Pferde und selber mit Bändern +geschmückt an Achseln und Hutrand. Dem reichte +die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel +von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu +laden waren. +</p> + +<p> +<a id="page-389" class="pagenum" title="389"></a> +Und die Marinke wurde geschickt, ihm den +Festtrunk zu zapfen. +</p> + +<p> +Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er +es so gierig mit seinen Händen, daß sie die ihren +nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest und +sagte: „Wenn ich nun losreite, dann mußt du +mit und kommst nicht mehr frei bis ans Ende +der Welt.“ +</p> + +<p> +Und sie sagte erschrocken: „Dann wärst du +ein schlechter Hochzeitsbitter.“ +</p> + +<p> +Er trank und sprengte lachend davon, sie +aber fühlte seine Hände brennen bis gegen +Abend. +</p> + +<p> +Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr +und des ersten Pflügens, aber beides mußte +hintangestellt werden, weil es im Hause soviel +zu tun gab. +</p> + +<p> +Und die Leute im Dorf wunderten sich und +sagten: „Die Marinke ist doch erst so kurze Zeit +hier; sollten die beiden schon vorher miteinander +gekramt haben?“ +</p> + +<p> +Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen +erfuhr, daß er gerade das Gegenteil davon erreichte, +was seine Absicht gewesen war; er hätte +sich sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. +Der Jurris aber erfuhr’s. Dem steckte +es der Jozup nur allzubald. +</p> + +<p> +Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, +so grämte er sich doch immer noch mehr und +<a id="page-390" class="pagenum" title="390"></a> +dachte in seinem Herzen: „Sollte so das Unglück +bereits beginnen?“ +</p> + +<p> +Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf +immer neue Kohlen ins Feuer. +</p> + +<p> +Die Marinke hingegen tröstete ihn und +sagte: „Wenn zweie sich liebhaben, für die +gibt es kein Unglück und kein Verschulden, +denen steht Gott zur Seite und nimmt den +Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.“ +</p> + +<p> +Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn +sie ihn heimlich im Arm hielt, vergaß sie alles, +auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt +hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und +Töpfe und Eimer und Garben und was sie zu +fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre +dankbaren Hände. +</p> + +<p> +Der Jurris aber hielt’s mit dem Müßiggang. +Sie mochte ihm noch so viel zureden, seine Arbeit +wurde nur halb getan, und wäre nicht glücklicherweise +ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer +weiß, ob der Hafer nicht ins Faulen gekommen +wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf dem +Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der +Landwirtschaft hat, ans Fischen nur denken +kann, machte er sich morgens und abends draußen +zu schaffen. +</p> + +<p> +Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam +er naß bis auf die Knochen vom Ufer nach Hause. +<a id="page-391" class="pagenum" title="391"></a> +Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das +Draußensein kam es ihm an. +</p> + +<p> +Die Marinke küßte ihm beide Hände und +sagte: „Jurris, Jurris, es tut dir ja keiner was.“ +Aber auch das half nicht viel. +</p> + +<p> +Eines Morgens wehte stark der „Aulaukis“, +der Südwest, den die Fischer nicht mögen, besonders +wenn Regen als Zugabe kommt. +</p> + +<p> +Als die Marinke hinaussah, dachte sie: „Nun, +heute wird er wohl nicht gefahren sein,“ aber +wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder +im Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris. +</p> + +<p> +Die Vormittagsstunden vergingen, und sie +dachte: „Um Gottes willen, wo bleibt der +Jurris?“ +</p> + +<p> +Und als er zum Mittagbrot noch nicht da +war und auch die Mutter das Fürchten bekam, +da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von +der Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem +Strande zu. +</p> + +<p> +Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte +sie: das war kein Wind mehr, das war ein +Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken. +</p> + +<p> +Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, +und der Handkahn war weg. +</p> + +<p> +Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, +denn die Regenwolken strichen ganz niedrig darüber +hin, aber die Strandwellen gingen so hoch, +als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah +<a id="page-392" class="pagenum" title="392"></a> +kam, und das Rohr schrie, als hätte es eine Menschenstimme +bekommen. +</p> + +<p> +Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, +so weit, daß die Wellen sie nicht erreichen +konnten, und die Marinke dachte bei sich: +„Jetzt muß ich hinausfahren — muß ihm entgegenfahren.“ +</p> + +<p> +Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser +herangebracht hatte, dann schlugen die Wellen +ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben +lag. +</p> + +<p> +Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft +war und daß sie davon nur den Tod haben würde. +</p> + +<p> +Und sie warf sich im nassen Sande auf die +Kniee, wie sie es jüngst vor ihrem Bette oft getan +hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen. +</p> + +<p> +Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken +gekrochen, und keine Menschenstimme rief: „Da +bin ich.“ +</p> + +<p> +Ja, <em>eine</em> Menschenstimme war da. Ganz +plötzlich schallte sie ihr in die Ohren und sagte: +„Was machst du?“ +</p> + +<p> +Und diese Stimme gehörte dem Jozup. +</p> + +<p> +Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf +dem Herzen gehabt hatte, und hob die gefalteten +Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte +mit ihr hinausfahren. Für sie allein sei es zu +schwer. Aber zusammen würden sie ihn schon +finden. +</p> + +<p> +<a id="page-393" class="pagenum" title="393"></a> +Der Jozup fragte: „Seit wann ist er fort?“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Seit in der Frühe.“ +</p> + +<p> +Da lachte er bloß und sagte: „Dann ist er +längst wieder an Land und sitzt verschlagen wer +weiß wo.“ +</p> + +<p> +Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr +fort: „Denkst du denn, daß Menschen sich acht +Stunden lang in so ’nem Wetter draußen herumtreiben +können? Oder sich erst den Platz aussuchen +zum Landen? Da ist es jedem egal, wo +ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber +komm ins Trockene, denn dir klappern ja alle +Glieder.“ +</p> + +<p> +Und er führte sie in den Schuppen und schlug +die Tür hinter sich zu, so daß sie fortan im Halbdunkel +waren. +</p> + +<p> +An den Wänden hingen die Netze, und über +das Heu, das im Winkel lag, war der Mantel des +Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters +versteckt, wenn alle ihn suchten. +</p> + +<p> +Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten +Fingern und küßte den Saum und +sagte: „Komm doch wieder! Komm doch wieder!“ +</p> + +<p> +Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie +hatte schon all ihre Tränen verschüttet. +</p> + +<p> +Der Jozup stand daneben und biß sich die +Lippen. Und dann sagte er: „<em>Warum</em> soll er +eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug +da, die bloß auf dich warten.“ +</p> + +<p> +<a id="page-394" class="pagenum" title="394"></a> +Da drehte sie sich um und spie nach ihm. +</p> + +<p> +„Warum speist du mich an,“ sagte er, „da ich +doch einstmals dein Mann sein werde?“ +</p> + +<p> +Und sie sagte: „Laß mich hinaus. Ich habe +schon lange gewußt, was du für einer bist.“ +</p> + +<p> +Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, +und indem er ihre Hände hielt wie in Klammern +geschroben, sagte er folgendes: „Du betest da +immerzu, er möchte doch wiederkommen, aber +wenn ich jetzt als sein Freund mein Gebet mit +dem deinen vereinigen wollte, dann würde es +lauten: er soll <em>nicht</em> wiederkommen. Und er +<em>wird</em> auch nicht wiederkommen. Wenigstens +als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du +schon mir, und das will ich dir gleich beweisen.“ +</p> + +<p> +Sie rang mit ihm und schrie: „Vergreife dich +nicht an mir, denn ich trage ein Kind von ihm.“ +</p> + +<p> +Aber er lachte sie aus: „Du willst ein Kind +von ihm tragen? Hat er mir doch oft genug von +dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen +müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! +Ich aber kehr’ mich an nichts und will tausend +Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.“ +</p> + +<p> +Und sie rang weiter mit ihm und schrie: „Ich +trage ein Kind von ihm!“ +</p> + +<p> +Und er sagte mitten im Ringen: „Wenn es +die Wahrheit wäre, daß du ein Kind trägst, dann +ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, +von wem es ist.“ +</p> + +<p> +<a id="page-395" class="pagenum" title="395"></a> +Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, +und sie fiel hintenüber und wußte von nichts +mehr. +</p> + +<p> +Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür +offen, und niemand war da außer ihr. +</p> + +<p> +Unter ihr lag noch immer der Mantel des +Jurris. Den streichelte sie von neuem und küßte +den Saum, aber sie dachte dabei: „Mir ist +ganz recht geschehen.“ +</p> + +<p> +Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte +wiederkommen. Hätte sie ein Gebet gehabt, +so würde es gelautet haben wie das von dem +Jozup: „Er soll <em>nicht</em> wiederkommen.“ +</p> + +<p> +So ohne Mut und so voll Scham war ihre +Seele. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-8"> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Im nächsten Frühling bekam die Marinke +einen Knaben. Der sollte einmal die Enskyssche +Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft +war keiner als Erbe da. +</p> + +<p> +Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben +und durfte um den Ertrunkenen trauern, +als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und +niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn +die Hochzeit war ja bestellt gewesen. — Bloß +daß nun ein Begräbnis daraus wurde. +</p> + +<p> +Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter +geworden wäre, ehrte sie wie ihres +<a id="page-396" class="pagenum" title="396"></a> +Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war +immer gut zu ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes +willen, den er von ihr erwartete. +</p> + +<p> +Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, +denn er fühlte sich durch den Eid, den er dem +Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert +auch über dessen Tod hinaus. +</p> + +<p> +Der Jozup war während des ganzen Winters +nur dann im Hause zu sehen gewesen, wenn er +die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl +gehütet, ihm zu begegnen. +</p> + +<p> +Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade +vom Melken, da stand er breit in der Stalltür. +Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. +Um derentwillen mußte sie tun, als ob nichts +vorgefallen war. +</p> + +<p> +Er bot ihr die Hand und sagte: „Ich halte +mich fern von dir, aber wenn die Zeit gekommen +ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.“ +</p> + +<p> +Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, +denn daß sie ihm verfallen war, daran +zweifelte sie nicht. +</p> + +<p> +Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken +gewöhnt, daß sie die alte Wilkene, die das Haus +bisweilen besuchte, bereits als zukünftige Schwiegermutter +betrachtete. +</p> + +<p> +Aber freundlich war die durchaus nicht mehr. +</p> + +<p> +Wenn sie an ihrem klappernden Stock über +den Hof gehumpelt kam, gab es der Marinke +<a id="page-397" class="pagenum" title="397"></a> +stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte +in ihrem Innern: „Bin ich erst in dem Wolfsnest +drin, dann werde auch ich das Hemd auf den +Schultern mit meinen Tränen waschen.“ Denn +so heißt es in dem alten Liede. +</p> + +<p> +Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich +nach der Entbindung ins Elternhaus zurückzubegeben; +aber wie man sie aufnehmen würde, +wenn sie mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft +bat, daran gab’s nicht den mindesten +Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens +gewesen. Der Jozup hätte sie auch von dorther +geholt. +</p> + +<p> +So neigte sie sich also in Demut vor dem +kommenden Schicksal, und nur die bösen Augen +der Alten machten ihr Angst. +</p> + +<p> +Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: „Was +will die alte Wölfin immer von dir? Du willst +ja nichts von ihr.“ +</p> + +<p> +Aber was der Jozup wollte, davon ahnte +sie nichts. +</p> + +<p> +Und eines späteren Tages — der kleine +Jurris mochte acht Wochen gewesen sein — da +kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter +Stunde und setzte sich neben die Wiege, die +gerade ohne Aufsicht neben der Haustür +stand. +</p> + +<p> +Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, +denn beim ersten Blicke hatte sie den Mann, der +<a id="page-398" class="pagenum" title="398"></a> +sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar +nicht erkannt. +</p> + +<p> +Er richtete sich auf und sagte: „Der Tote +ist mein Freund gewesen, und ich habe sein Kind +bis heute noch nicht gesehen.“ +</p> + +<p> +Und die Mutter sagte: „So sieh es dir +ordentlich an.“ +</p> + +<p> +Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte +sogleich: „Habt ihr auch schon daran gedacht, +ihm einen Vater zu geben?“ +</p> + +<p> +„Sein Vater liegt im Grabe,“ sagte die Enskene, +„und einen anderen braucht es nicht.“ +</p> + +<p> +„Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch +ein Wort mitzusprechen haben,“ entgegnete er, +„oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als +Magd bei euch behalten könnt?“ +</p> + +<p> +„Das Kind in der Wiege,“ sagte sie, „wird +künftig einmal Herr auf diesem Hofe sein, und +die du meinst, halt’ ich wie meine Tochter. Im +übrigen glaube ich nicht, daß dich dies alles was +angeht.“ +</p> + +<p> +„Dies geht mich nur insoweit was an,“ erwiderte +er, „als die Marinke demnächst meine +Frau werden soll.“ +</p> + +<p> +Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig +Macht ihr über die einstige Braut ihres Sohnes +gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, +und darum sagte sie: „Deine Werbung ist mir +so willkommen, daß ich Lust hätte, meinen +<a id="page-399" class="pagenum" title="399"></a> +Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe +weist.“ +</p> + +<p> +„Ich <em>habe</em> gar nicht geworben,“ entgegnete +er, „denn ihr Vater wohnt ja wo anders.“ +</p> + +<p> +Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber +und weinte. +</p> + +<p> +Und er wartete schweigend, bis die Marinke +vom Felde kam. +</p> + +<p> +Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: +„Schick ihn fort, so daß er nie wiederkommt.“ +</p> + +<p> +Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, +wünschte ihm kaum „Guten Tag“ und nahm +dann das Kind aus der Wiege, um es zu +stillen. +</p> + +<p> +„Da hast du ja ein schönes Kind,“ sagte er, +„und ich will hinfort sein Vater sein.“ +</p> + +<p> +Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: +„Kannst du nicht wenigstens warten, bis die +Trauerzeit um ist?“ +</p> + +<p> +Da rang die Mutter die Hände und schrie: +„Du ermunterst ihn ja!“ +</p> + +<p> +Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste +auf und reichte dem Kinde die Brust. +</p> + +<p> +„Pfleg es mir gut,“ sagte er mit einem Lachen +und schritt nach dem Hoftor. +</p> + +<p> +Von nun an gab es trübe Tage im Hause. +Die Mutter weinte, der Alte schalt, und beide +verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen. +</p> + +<p> +„Hier hast du’s wie eine Prinzessin, aber +<a id="page-400" class="pagenum" title="400"></a> +dort in dem Wolfsnest werden die Wölfe dich +fressen mit Haut und mit Haar.“ +</p> + +<p> +So ging das Lied immerzu. +</p> + +<p> +„Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, +daß das Kind dem Jurris sein Kind ist? +Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich anglupt, +als schlepptest du ein ganzes Gehetz von +Bankerts mit dir herum.“ +</p> + +<p> +So ging eine andere Weise. +</p> + +<p> +Die Marinke sagte nur immer: „Habt Geduld, +bis die Trauerzeit um ist.“ +</p> + +<p> +Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr +zum Rechtsanwalt zweimal in der Woche, denn +er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten. +</p> + +<p> +Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt +hatte und sein Grab von frischen Blumen +noch voll war, erschien der Jozup von neuem +auf dem Hofe. +</p> + +<p> +Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, +daß er die Marinke allein sprach. +</p> + +<p> +Sie kam mit einem Wäschekorb von der +Bleiche und lief ihm gerade in die Arme. +</p> + +<p> +„Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,“ +sagte er, „und Geduld bewiesen ein +Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum +frage ich dich: Wann wirst du mir das Jawort +geben?“ +</p> + +<p> +Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen +könne, aber niemand war weit und breit. +</p> + +<p> +<a id="page-401" class="pagenum" title="401"></a> +„Deine Mutter ist mir böse gesinnt,“ sagte sie. +„Und du wirst zu ihr stehen gegen mich.“ +</p> + +<p> +„Meine Mutter ist dir böse gesinnt,“ entgegnete +er, „weil sie sich ärgert, daß du ein +fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß +es mein eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst +würde sie’s ausschreien bis hinter Prökuls.“ +</p> + +<p> +„Es <em>ist</em> auch nicht dein eigenes!“ rief sie. +„Das weißt du, und wenn du es nicht weißt, +dann schwör’ ich es dir.“ +</p> + +<p> +Aber er lachte sie aus. „Der gute Jurris +ist tot,“ sagte er. „Darum will ich so tun, als +hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde +zu ihr stehn gegen dich, dann kennst du mich +falsch. Ich bin nach dir ausgewesen wie ein +Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die +erste Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit +meiner Mutter die Sache beredet bei Tag und +bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind +fixer gewesen als ich. Ich hab’ ihnen den Hof +anzünden wollen über dem Kopf, — ich habe +den Jurris — na, nun ist egal, was ich wollte +mit deinem Jurris. Aber hast du dir nie gedacht, +warum ich da saß Abend für Abend neben ihm +auf der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein +Augenschmeißer bin und weiter sonst nichts? +Ich hab’ kein Wort von meinem Zustand zu dir +geredet, denn schaliges Bier lieb’ ich nicht, und +den Bettler beißen die Hunde. Aber das hättest +<a id="page-402" class="pagenum" title="402"></a> +du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden +kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch +nicht den Finger heben gegen dich. <em>Ich</em> sollte zur +Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was +dachtest du von mir?“ +</p> + +<p> +Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, +daß sie ihm recht in die Augen sah. Und es war, +als spritze Feuer daraus, und es war, als sei +eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene +Wege. +</p> + +<p> +Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte +seinem Willen doch nicht entweichen. +</p> + +<p> +„Die Eltern werden es nicht zugeben,“ sagte +sie, um doch etwas zu sagen. +</p> + +<p> +„Welche Eltern? Deine oder dem Jurris +seine?“ +</p> + +<p> +„Meine sind froh, wenn sie mich los sind,“ +entgegnete sie, „aber diese hier lassen mich nicht +mehr weg.“ +</p> + +<p> +„Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die +Krähe vom Neste, und um zwei solche Grasmücken +sollt’ ich mich kümmern?“ +</p> + +<p> +„Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. +So ein Glück kommt nicht wieder.“ +</p> + +<p> +„Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, +wenn ich das will.“ +</p> + +<p> +„Hier geht es nicht nach deinem Willen, das +weißt du sehr gut. Denn eigene Kinder kommen +zuerst.“ +</p> + +<p> +<a id="page-403" class="pagenum" title="403"></a> +Der Jozup war rasch von Begriffen. Er +sah gleich ein: wenn er nicht drohte, kam er zu +nichts. +</p> + +<p> +„Na, gut,“ sagte er, „dann muß ich doch wohl +meiner Mutter erzählen, was zwischen uns passiert +ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein +Kahn koppheister schoß. Was weiter geschieht, +dafür wird <em>sie</em> dann schon sorgen.“ +</p> + +<p> +Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach +und Beschmutzung. Und auch des Jurris’ Andenken +würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. +Darum wurde sie stark in ihrer Schwäche und +sagte: „Ein Eid gilt dir nichts,“ — daß er auch +ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte +sie nicht — „und so schwör’ ich erst gar nicht. +Aber was ich jetzt sage, das ist so wahr, wie +daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du +mich heiraten willst, so werd’ ich nicht widerstehen +und werd’ auch das Kind bei mir behalten, +bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es +zu denen zurück, die es beerben wird. Sagst +du aber deiner Mutter oder sonst einem auf der +Welt, was du mir angetan hast, dann nehm’ ich +mir am selbigen Tage den ersten besten Kahn +von denen, die am Ufer stehen, und fahre hinaus +und komme nicht anders wieder, als einstmals +der Jurris kam. Nun weißt du’s.“ +</p> + +<p> +Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt +an ihm vorüber dem Hofraum zu. +</p> + +<p> +<a id="page-404" class="pagenum" title="404"></a> +Er aber hatte seinen Willen. Und was heute +noch daran fehlte, das mußte die Zukunft ihm +bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner +Gewalt war. +</p> + +<p> +Am nächsten Vormittag kam die Alte auf +Freischaft. +</p> + +<p> +Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, +und als sie die Marinke küßte, war’s ihr, als gösse +der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus. +</p> + +<p> +Aber sie widerstand nicht mehr. +</p> + +<p> +Mochte die gute Mutter ihr auch weinend +Rücken und Hände streicheln, mochte der gnitschige +Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen +versprechen, — sie blieb fest. Und auch was mit +dem Kinde werden sollte, bestimmte sie nach +ihrem Willen. +</p> + +<p> +Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, +was nötig war, um den Enkel an eigener Kindesstatt +anzunehmen, aber das durfte nun erst in +Kraft treten, wenn Marinkes Leib von neuem +gesegnet war. Bis dahin sollte der Kleine bei +seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die +Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat. +</p> + +<p> +So wurde es festgemacht, und niemand sagte +mehr Nein. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest +gefeiert. Die alten Enskys hatten sie +<a id="page-405" class="pagenum" title="405"></a> +ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke +ihres Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer +einen Stein auf ihre Sittsamkeit hatte werfen +wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und +nur die alte Wölfin grollte und kicherte höhnisch +in sich hinein. +</p> + +<p> +Am Morgen des ersten Tages — lange vor +Sonnenaufgang — war Marinke auf den Kirchhof +gegangen, um von dem Grabe des Jurris +Abschied zu nehmen, denn daß ihre Gänge hierher +von nun an nicht gern gesehen sein würden, +das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich +für das schwere Leben, das vor ihr lag. Auch +bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie +ihm im geheimen angetan hatte und wodurch +er auch schließlich zu Tode gekommen war. +</p> + +<p> +Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl +nichts wie eine große Buße sein würde, und +die nahm sie auf sich mit Freuden. +</p> + +<p> +Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern +angefahren. Auch die zwei erwachsenen Brüder +fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen. +</p> + +<p> +Obgleich alle vier sie oftmals herzten und +küßten, erschienen sie ihr nur wie weitläufige +Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren +kaum noch gesehen. +</p> + +<p> +Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst +von hinnen getrieben hatte, schämte sich ein +<a id="page-406" class="pagenum" title="406"></a> +wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause ausgerichtet +worden war, und erzählte jedem, mit +dem sie bekannt wurde, es wäre nur der weiten +Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem, +weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams +durchaus darauf bestanden hätten, das Fest an +Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder +vier sonstige Gründe führte sie an. +</p> + +<p> +Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht +und trug den Beutel mit den vielen +Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei +jeder Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, +und man erkannte wohl, daß er keinen anderen +Willen besaß als den, den sie ihm eingab. +</p> + +<p> +Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke +in diesem Hause wie eine Tochter geehrt wurde +und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals +hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat +sie an sie heran, umarmte sie und sagte, so laut, +daß die Enskene es hörte: „Du wirst hoffentlich +dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in +deinem Elternhause eine Zuflucht hast und keine +Fremden brauchst, dich zu beschützen.“ +</p> + +<p> +Und die Enskene erwiderte darauf: „Ebenso +wirst du hoffentlich dessen gedenk sein, meine +Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.“ +</p> + +<p> +Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede +gedemütigt wurde, schwieg sie ganz still, +denn sie hatte erreicht, was sie wollte. +</p> + +<p> +<a id="page-407" class="pagenum" title="407"></a> +Das Kind begehrte keiner von der Familie +zu sehen, und es wurde ihnen auch nicht gezeigt. +</p> + +<p> +In der Kirche sah die Marinke den Jozup +an diesem Tage zum ersten Male, denn es war +damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut +und Bräutigam — jeder mit seinem Anhang — +gesondert zur Kirche fahren und nicht früher +zueinandertreten, als bis der fromme Gesang +zu Ende ist und der Pfarrer vor dem Altare steht, +den Segen über sie zu sprechen. +</p> + +<p> +Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, +und die auf der linken, die zu dem Bräutigam +gehörten, sahen feindlich herüber. +</p> + +<p> +Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil +die Marinke keinen Rautenkranz trug, sondern +bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte, +das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte. +</p> + +<p> +Und das kam daher, daß sie eine Entweihte +war, wie die alte Wölfin jedem zuraunte, der +es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, +bis die Verachtung so in ihm wach wurde. +</p> + +<p> +Der Jozup sah und hörte nichts von dem +allen. Er starrte bloß immer mit einem wilden +und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke +herüber, als wollte er ihr zurufen: „Hab’ +ich dich endlich?“ +</p> + +<p> +Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als +müßte sie ihm erwidern: „Ja, nun hast du mich +ganz.“ +</p> + +<p> +<a id="page-408" class="pagenum" title="408"></a> +Und als der Pfarrer hernach das Jawort +von ihr verlangte, sprach sie es so hell und deutlich, +als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer +Seite gestanden. +</p> + +<p> +Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch +sie gedachte dessen, der in der Erde lag. +</p> + +<p> +Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut +und Bräutigam vom Kruge aus, wo die Trauung +begossen wird, ein jeder gesondert nach +Hause fahren, um erst am zweiten Tage der +Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen; +aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, +wie es jetzt immer üblicher wurde, gemeinsam +den Weg zur Brautwohnung ein. +</p> + +<p> +Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. +Er sprach nicht zu ihr und sah sie nicht an, aber +wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine +schlug, zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr +angst und bange wurde. Und noch bänger wurde +ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten +Wagen die Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen +hatte und deren Blick sie durch und durch +stach. +</p> + +<p> +„Er wird mich mit seiner Liebe fressen,“ +dachte sie, „und die Alte mit ihrem Haß.“ +</p> + +<p> +In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste +gerichtet. Die Türrahmen mit Gewinden umgeben +und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die +Tische konnten all die guten Gerichte nicht fassen. +<a id="page-409" class="pagenum" title="409"></a> +Da gab es Rindfleisch mit Reis und Pflaumen +mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und +Neunaugen, gewürzt und gesäuert. Und noch +vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar +nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier +und Alaus und Kirschen- und Kornschnaps — +alles sehr reichlich. +</p> + +<p> +Im Brautwinkel, wo neben dem jungen +Paare die vornehmsten Gäste sitzen, stand sogar +in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; +der war aus Memel extra verschrieben. +</p> + +<p> +Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz +wollte eine behagliche oder gar freudige Stimmung +nicht aufkommen. Die Verwandten des +Bräutigams hielten sich abseits von den Verwandten +der Braut, giftige Blicke flogen hin +und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt +war, der sah mit Sorge, daß, wenn das +Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden +nachfolgen würden. +</p> + +<p> +Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch +immer. Ihr Sohn habe was Besseres verdient, +als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem +könne es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen +zu sein, bei der die Brauteltern, anstatt +sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen. +</p> + +<p> +Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, +den drohenden Sturm zu verscheuchen. Die gute +Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre +<a id="page-410" class="pagenum" title="410"></a> +sie die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch +der Alte auch sonst die Schätze seiner +Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit +und verteilte Handschuhe und Handtücher in +Menge, selbst seidengewebte Jostbänder verteilte +er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem +Verstecke. +</p> + +<p> +Aber nichts wollte helfen. Die Magila, +die Göttin des Zornes, saß schon im Rauchfang, +und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, +dann wehe! +</p> + +<p> +Die arme Marinke traute sich nicht mehr +zu reden, zu lächeln, und der Jozup saß da mit +eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten +nach rechts und nach links, als wolle er bald +dem, bald jenem stracks an den Hals. +</p> + +<p> +Und immerzu ging das Getuschel der Alten. +Wie ein Messerstich hierhin und dorthin flog schon +ab und zu ein häßliches Wort durch die eintretende +Stille. +</p> + +<p> +Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann +hätte sich wohl alles anders gestaltet. Er war +ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich +abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb. +</p> + +<p> +Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter +den Gästen, aber der war noch sehr jung und besaß +nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig +zu machen. +</p> + +<p> +So konnte das Unheil weiter gedeihen. +</p> + +<p> +<a id="page-411" class="pagenum" title="411"></a> +Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher +Mann, der harmlos gekommen war, sich zu vergnügen, +hob mit einemmal sein Glas und rief +zu dem Brautvater hinüber: „Du — prost auf +die billige Hochzeit!“ +</p> + +<p> +Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. +Der alte Tamoszus sprang auf und +wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf +werfen, andere fielen ihm in den Arm, ein +großes Lärmen hub an, — das Schlimmste +schien nun gekommen. +</p> + +<p> +Da geschah etwas, was niemand geahnt oder +für möglich gehalten hätte. Wäre der Herrgott +vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu +stiften, keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt. +</p> + +<p> +Und es war ja auch eine Art von Herrgott, +ein „Wieszpatis“ war es, der sich selber bemühte. +</p> + +<p> +Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, +die plötzlich herangebraust kamen? Wer kannte +nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze +und der rotsamtnen Troddel? Wer kannte +nicht das Lacklederverdeck mit den silbernen +Bügeln? +</p> + +<p> +Und wer kannte nicht den Mann, der fünf +Fuß zehn Zoll hoch mit blitzendem Auge unter +buschigen Brauen und auseinandergestrichenem +dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen +Polstern entstieg, um sich dann umzuwenden +<a id="page-412" class="pagenum" title="412"></a> +und einer Dame im seidenen Schleier +und seidenen Mantel aus dem Innern zu helfen? +</p> + +<p> +Ja, wenn <em>der</em> zur Hochzeit kam! Der und +die Frau, die alle liebten, wie man einstmals +die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß +schön war, sondern in ihrem Gutsein sich auch +zu den Demütigen neigte! +</p> + +<p> +Wenn <em>das</em> geschah, dann gab es nicht Hadern +mehr und nicht Hochmut. Dann gab es keine +Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da +wo der Rautenkranz und die silberne Krone hingehört +hätten. Dann gab es nur Frieden und +Glück und Geehrtsein. +</p> + +<p> +Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, +erhoben sich stumm von den Sitzen, und +so betraten beide suchend die Stube, in der sein +Kopf die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz +hätte aufrichten wollen. Auf den Brautwinkel +gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich +die Hand, die blutübergossen und stumm den +Blick auf die Dielen geheftet hielt. Und auch +den Jozup begrüßten sie — glückwünschend, daß +er solch eine Frau, deren Wert sie ja kannten, +sich zu eigen genommen. Und dann begrüßten +sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die +Herrin, wechselte einen ernsten Blick mit der +Mutter, den nur sie beide verstanden, und die +Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte. +</p> + +<p> +Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und +<a id="page-413" class="pagenum" title="413"></a> +immer noch hübsche Frau war, drängte sich vor, +um auch einen Gruß zu bekommen, aber die +Herrschaften achteten ihrer nicht mehr, als ob sie +ein Unkraut gewesen wäre. +</p> + +<p> +Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, +oder vielleicht wußten sie gar nicht, daß eine +Bräutigamsmutter noch da war. +</p> + +<p> +Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar +gegenüber, und er, der Wieszpatis, zog einen +Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. +Der war innen mit Seide gefüttert, und auf +der hellblauen Seide lagen silberne Messer und +Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler +und mehr. Das war sicher. +</p> + +<p> +Noch niemals hatte man jemand gekannt, +dem zur Hochzeit solch eine Gabe beschert worden +war. +</p> + +<p> +Und der Herr sagte: „Ihr alle sollt daraus +erfahren, wie treu die Marinke mir einstmals +gedient hat und wie hoch meine Frau und ich +ihre Dienste heute noch schätzen.“ +</p> + +<p> +Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn +Litauisch konnte sie nicht: „Es muß ein besonderes +Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie dem +Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen +dürfen.“ +</p> + +<p> +Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn +des Kindes war heute noch niemals von einem +gedacht worden. +</p> + +<p> +<a id="page-414" class="pagenum" title="414"></a> +Und die Herrin fragte: „Kann man es sehen, +Marinke?“ +</p> + +<p> +Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, +wo die Wiege versteckt war, und brachte +es angetragen in seinen rotbunten Kissen. +</p> + +<p> +Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und +schaukelte es und sagte: „Ein hübsches Jungchen. +Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn +erinnere. Findest du nicht auch, John?“ +</p> + +<p> +Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, +da gewahrte er, daß die Augen der Marinke +sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller +Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, +und darum nickte er nur bedächtig und nachsinnend +vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein +auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, +nahmen die Herrschaften freundlichen Abschied +und fuhren von dannen. +</p> + +<p> +Das Kind und das Silberbesteck aber gingen +noch lange Zeit bei den Gästen von einem Schoß +auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt +und bewundert. +</p> + +<p> +Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und +kichernd draußen herumlief, wollte von beiden +nichts wissen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Das Gehöft, das die Leute das „Wolfsnest“ +nannten, lag ein wenig abseits vom Dorfe und +<a id="page-415" class="pagenum" title="415"></a> +war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den +fünfen, denen man Hochachtung schuldete. Aber +man sah nicht viel davon, denn es war auf drei +Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, +daß man höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern +sah. +</p> + +<p> +Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn +verborgen. Und nur wer von der Landseite +herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, +die als Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall +und Scheune bedeckten. +</p> + +<p> +Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst +recht überrascht durch die schönen Maschinen, +die auf dem Hofe der Reihe nach standen. +</p> + +<p> +Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem +Stolze erfüllen, die auf Arbeit hielt +und auf Ordnung. +</p> + +<p> +Die Marinke fand sich rasch in das neue +Leben, und war sie von Kindesbeinen an fleißig +und tüchtig gewesen, wie hätte sie’s hier nicht +sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand? +</p> + +<p> +Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter +an, wenn sie vom Fenster der Altsitzerstube +aus, bereit zu Tadel und Zank, das +Wirken der Hausfrau verfolgte. Und sie hütete +sich wohl, sich an ihr zu vergreifen oder den Sohn +gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich +auf günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit +erschien und ohne Gruß aus und ein ging. +</p> + +<p> +<a id="page-416" class="pagenum" title="416"></a> +Die Marinke kümmerte sich nicht viel um +ihr feindseliges Benehmen, denn sie hatte ja +Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen +würde, wenn es zwischen ihr und der Alten zu +offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. Ob +er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der +Mutter würde er doch wohl nicht Unrecht geben, +denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil +sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen +hatte. Der eine war Schutzmann in +Berlin, und der andere stand kurz vor dem Versorgungsschein. +Schreiben taten sie beide nicht +mehr. +</p> + +<p> +Mit dem Jozup war’s eine eigene Sache. +Manchmal, wenn er dasaß und sie ansah halbe +Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein +Wort zu reden, und sie gleichsam aufzehrte mit +seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann dachte +sie innerlich schaudernd: „Das ist zu viel, das +darf nicht sein, das geht wider Gottes Macht +und Willen.“ +</p> + +<p> +Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor +allzugroßer Liebe und ihr nicht nahe zu kommen +wagte, dann dachte sie wieder: „Das ist die +Strafe, weil er sich an dem Jurris vergangen +hat.“ Bis er sich dann auf sie stürzte wie ein +wildes Tier, so daß <em>sie</em> nun zitterte vor seiner +allzugroßen Liebe. Und manchmal dachte sie +dabei: „Vielleicht ist er wirklich ein Werwolf und +<a id="page-417" class="pagenum" title="417"></a> +heißt nicht bloß so.“ Aber dann warf sie die +Furcht wieder ab und tröstete sich: „Das kommt +bloß daher, daß er zu lange nach mir begehrt hat +und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun +kann er’s noch immer nicht fassen.“ +</p> + +<p> +Und dann war es ihr manchmal, als könnte +sie ihn mit der Zeit auch wiederlieben. Aber ihr +Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, +wo der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab +und zu an das Grab zu gehen, ihr wäre manches +leichter geworden. +</p> + +<p> +Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine +wilde Liebe. Ob es sein eigenes war oder nicht, +darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und +Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen +Glauben zu lassen, denn sie wußte, wenn’s anders +käme, würd’ es ihr schlecht gehn. +</p> + +<p> +Er nannte den Kleinen auch nicht „Jurris“, +wie er getauft war, sondern „Wilkiutis“ oder +„Wilkytis“, was gar kein christlicher Vorname ist, +sondern das „Wölfchen“ bedeutet. Und er war +ganz zornig, wenn die Dienstboten nicht taten +wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen +Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich +brachte sie’s auch nicht mehr übers Herz und +nannte ihn immer bloß „Kindchen“ oder auch +„Liebling“. +</p> + +<p> +Der Kleine wuchs rasch heran und konnte +gehen und sprechen, noch ehe das erste Ehejahr +<a id="page-418" class="pagenum" title="418"></a> +um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie +der Wolf mit seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. +Lag lang auf der Erde und ließ ihn +klettern über sich her und hob ihn hoch in die +Luft, und dann mußte er sehen, wie er von den +Handflächen wieder herabkam. +</p> + +<p> +Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der +Dämmerung zwei alte Leute und kuckten sich die +Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und +kuckten nicht minder nach der Marinke, ob ihr +Leib noch immer nicht Spuren zeige von kommendem +Segen, damit alsbald der Vertrag in +Kraft treten könne, der ihnen den Enkel zurückgab. +</p> + +<p> +Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, +obwohl der Alte die Vormundschaft hatte, und +ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen. +Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der +Mutter gelegt und sich streicheln lassen von +ihren verständigen Händen, aber um des lieben +Friedens willen entbehrte sie auch das. +</p> + +<p> +Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde +zu haben, hatten die Alten es auf sich genommen, +den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen +bei den Besitzern immer reihum fuhr, selbst +zu kutschieren, wenn ihre Woche gekommen war. +Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher +an den Rand des großen Weges bringen, wo sie +herrenlos standen, bis der Wagen sie auflud, und +<a id="page-419" class="pagenum" title="419"></a> +als die Alten sich dumm stellten und unter diesem +oder jenem Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, +da machte er kurzen Prozeß und trat aus der +Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, +als er selber nicht gerne mehr nach Augustenhof +hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und vielleicht +besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis +nannte er nur noch „den Deutschen“, und das +schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf +dem Grunde des Schrankes und zehn Schichten +Kleider darübergefliehen. +</p> + +<p> +Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen +tot, und der Tag seines Sterbens kam heran. +</p> + +<p> +Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch +nicht, kurz, um die Stunde, in der damals das +alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle +aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht +Fische zu fangen. Er tat das sehr selten, denn +den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und wie +er die Marinke zum Abschied küßte, da war +Triumph in seinem Auge, so daß sie sich dachte: +„Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an +seiner Gewalttat.“ +</p> + +<p> +Und weiter dachte sie: „Soll der arme Jurris +nun ganz allein da liegen und denken, ich hab’ +ihn vergessen?“ +</p> + +<p> +Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf +den Kirchhof, und der Vorwurf in ihr sprach +lauter und lauter. +</p> + +<p> +<a id="page-420" class="pagenum" title="420"></a> +Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg +bei der Hand, denn es mußte ja aussehen +wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie +aber hinter den Erlen war und die Alte ihr nicht +mehr nachblicken konnte, hob sie ihn auf den +Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof +zu, der wohl eine halbe Stunde entfernt lag. +</p> + +<p> +Das Grab war ziemlich verfallen. Frische +Blumen lagen nicht darauf, und auch sie hatte +ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie +Blätter von den Ahornbäumen, und weil sie +zufällig ein Knäulchen Zwirn in der Tasche hatte, +machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu +winden, die den Grabhügel der Länge und Breite +nach festlich umrahmen sollte. Zeit hatte sie +genug, und der Kleine grub artig im Sande. +</p> + +<p> +Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, +und auch weil ihr hier an dem Grabe so wohl war. +</p> + +<p> +Sie sang: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Dort unter den Linden</p> + <p class="verse">In jenem Grabe,</p> + <p class="verse">Da liegt und schlummert</p> + <p class="verse">Mein lieber Knabe.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Auf seinem Denkmal</p> + <p class="verse">Stehet zu lesen,</p> + <p class="verse">Wie schön und tapfer</p> + <p class="verse">Er einst gewesen.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Mit Blumen schmück’ ich’s</p> + <p class="verse">In jedem Lenze,</p> +<a id="page-421" class="pagenum" title="421"></a> + <p class="verse">Sitz’ auf dem Grabe</p> + <p class="verse">Und flecht’ ihm Kränze.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und ranke Grünes</p> + <p class="verse">Rings um die Kanten</p> + <p class="verse">Und pflanze Goldlack</p> + <p class="verse">Und Amaranten.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und klag’ und weine,</p> + <p class="verse">Weil sie den Knaben</p> + <p class="verse">Mir aus dem Brautbett</p> + <p class="verse">Gerissen haben.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Doch aus dem Herzen</p> + <p class="verse">Stiehlt ihn mir keine,</p> + <p class="verse">Und jeden Abend</p> + <p class="verse">Komm’ ich und weine.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +„Wenn <em>ich</em> hier mit meinem Kinde an jedem +Abend ein Stündchen sitzen könnte,“ dachte sie, +„ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern +immer vergnügt sein.“ +</p> + +<p> +Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit +freute, da wurden mit einemmal vom Kirchhoftor +Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und +ein Klappern dabei — das kannte sie wohl. +</p> + +<p> +Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind +auf den Arm und ging der Schwiegermutter +entgegen. +</p> + +<p> +Die schwang die Krücke und schrie: „So also +bist du dem Jozup treu, du Allerweltsfrauenzimmer, +daß du selbst mit den Gräbern buhlen +gehst? Ohne Jungfernschaft bist du ins Haus +gekommen, den Muturis“ — das Frauenkopftuch +<a id="page-422" class="pagenum" title="422"></a> +— „hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht +ich. Aus der Mistpfütze bist du gekrochen, und +nicht eher werde ich ruhen, als bis ich dich dahin +zurückgeprügelt habe.“ +</p> + +<p> +Und sie schlug mit dem Krückstock auf die +Marinke los. +</p> + +<p> +Die dachte nur daran, den kleinen Jurris +zu schützen, der bitterlich zu weinen begann, +weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, +und ging davon ohne ein Wort der Erwiderung. +</p> + +<p> +Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich +vor das Hoftor, um dem Jozup aufzupassen. +</p> + +<p> +Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe +zurückkam, erzählte sie ihm alles. „So hat sie +dich beseift,“ sagte sie. „Nun strafe sie, wie sich’s +gebührt.“ +</p> + +<p> +Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen +und kämpfte lange mit sich. „Warum soll +ich sie strafen?“ sagte er dann. „Es ist besser, ihr +Zeit zu lassen, damit das Andenken an jenen +aussauern kann aus ihrem Gemüte.“ +</p> + +<p> +„Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?“ fragte +höhnisch die Alte. +</p> + +<p> +„Weil ich ein Mann bin,“ entgegnete er, +„weiß ich, was ich zu tun habe.“ +</p> + +<p> +Aber sie ließ ihm keine Ruhe. „Weiche Äpfel +faulen bald,“ sagte sie, „und wer bloß Krumen +essen will, bricht sich am ehesten die Zähne entzwei. +Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.“ +</p> + +<p> +<a id="page-423" class="pagenum" title="423"></a> +Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu +schelten. Nur fernhalten tat er sich von ihr, und +auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche +lang. +</p> + +<p> +Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem +Begegnen, denn jetzt hatte sie einen Grund. +</p> + +<p> +Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter +schon einmal gehoben hatte, ohne daß +ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es alsbald +von neuem und fiel über sie her, allemal, +wenn sie ihr nicht entweichen konnte. +</p> + +<p> +Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen +und war auf nichts weiter bedacht, als den +Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger +angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr +setzen. Und eines Tages — nicht weit vom Herde +— riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand +und warf sie gegen den hängenden Kessel, so +daß ein wenig von dem kochenden Wasser herausspritzte. +</p> + +<p> +Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. +Die Schwiegertochter habe sie geschlagen und +verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die +Blasen an Hals und an Händen. Und als der +Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie auch ihm +und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens +nicht sicher. +</p> + +<p> +Da geschah es zum ersten Male, daß er sich +an seinem Weibe vergriff. Er schlug sie nicht, +<a id="page-424" class="pagenum" title="424"></a> +wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, +sondern warf sie schweigend über den Tisch und +schüttelte und würgte sie, wie man mit einem +bissigen Hunde tut. +</p> + +<p> +Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den +kleinen Jurris auf den Arm und rannte in ihrer +Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja +jeder Verkehr verboten war. +</p> + +<p> +Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot +und rief dann den Alten herbei. Der tat desgleichen, +und als Marinke ihnen alles erzählt +hatte, wollten sie sie sogleich bei sich behalten. +</p> + +<p> +Aber die Marinke willigte nicht darein. „Von +hier holt er mich schon morgen vormittag,“ +sagte sie, „und wenn ich mich wehre, schleppt er +mich womöglich an den Haaren zurück. Aber +ich weiß jetzt, was ich ihm sagen werde, wenn +ich auch nicht danach tun kann.“ +</p> + +<p> +Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, +ihr den Kleinen noch eine Strecke zu tragen, +und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen +Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren +Armen Eiapopeia. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen wollte der Jozup +schweigend von dannen gehen, aber sie hielt ihn +zurück und sagte: „Ich habe es satt, mich schlecht +behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der +Himmel bisher nicht geschenkt, es hält uns also +auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse +<a id="page-425" class="pagenum" title="425"></a> +Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd’ +ich dort nicht, und darum ist es das Beste, ich +gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst +du behalten.“ +</p> + +<p> +Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand +und entgegnete drauf: „Das Einzige ist, ich teile +ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen +fließt. Dann wird sie’s vielleicht weitererzählen, +aber im Hause wird Ruhe sein.“ +</p> + +<p> +Da sagte die Marinke: „Gestern vor vierzehn +Tagen war des Jurris’ Todestag, und heute wird +<em>mein</em> Todestag, wenn du das tust, so wahr ich +dein Weib bin.“ +</p> + +<p> +Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache +ihr Sinn unveränderlich war und daß er nie +und nimmermehr daran würde rühren dürfen. +Darum sagte er: „Ich werde nachsinnen, ob es +ein anderes Mittel gibt.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke sagte: „Du kannst nachsinnen, +soviel du willst. Ein anderes Mittel, als +daß <em>sie</em> aus dem Hause geht oder ich, wirst du +nicht finden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: +„Sie hat mich vorgezogen, seit ich im Kinderkleid +war — sie hat die Brüder hinausgejagt, damit +ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel +von mir!“ +</p> + +<p> +Und die Marinke erwiderte: „Ich verlange +ja nichts.“ +</p> + +<p> +<a id="page-426" class="pagenum" title="426"></a> +An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube +und blieb dort länger als eine Stunde. +Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte +herauskam, das Gesicht wie behonigt, und zu der +Marinke sagte: „Setze meinen Teller auch auf +den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, +will ich fortan mit euch zusammen essen.“ +</p> + +<p> +Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die +Alte den Kleinen ihren „Putytis“, ihr Hähnchen, +nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte, +zog sie ihn rasch auf die Seite. +</p> + +<p> +Von diesem Tage an war die Wilkene wie +umgewandelt, und niemand konnte wissen, wodurch +es geschehen war. +</p> + +<p> +Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend +im Erlengebüsch auf Marinke lauerte — +— denn so war es jüngst ausgemacht worden —, +sagte zu ihr: „Paß gut auf, daß sie nicht an den +Herd kommt. Ich will mich rösten lassen wie +Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das +Kind zu vergiften.“ +</p> + +<p> +Die Alte aber saß allabendlich am Rande +des Sumpfteichs hinter dem Roßgarten, um +Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, +die nächstens ausgelegt werden sollten, und in der +Dunkelheit kam sie mit Kräutern beladen nach +Hause, die sie niemandem zeigte. +</p> + +<p> +Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei +und dem Kalmus auch Wasserschierling +<a id="page-427" class="pagenum" title="427"></a> +in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten +können, so viel Schierlingsstauden standen dort +mit ihren weißlichen Schirmchen. +</p> + +<p> +Ja, die Marinke paßte gut auf. +</p> + +<p> +Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben +gegen die Gicht, das hatte nichts auf sich, aber +daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem +Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische +aß, das gab schon mehr zu bedenken. Und +stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder +zu wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich +war. +</p> + +<p> +Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit +wich die Marinke nicht von der Stelle. Kaum +den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich +wurd’ ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn. +</p> + +<p> +Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit +Zucker und Rosinen, da fiel ihr ein fremder Geruch +auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der +Jozup mochte wie viele den Kürbis nicht und +kriegte was Anderes, die Alte aber bekam mit +einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich +Melissentee kochen, so daß nur sie selbst und das +Kind noch übrigblieben, davon zu essen, denn +den Leuten war schon vorher zugeteilt worden. +</p> + +<p> +Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab +auch dem Kinde nichts, füllte aber, soviel sie +konnte, in eine breithalsige Flasche und lief +<a id="page-428" class="pagenum" title="428"></a> +heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit +sie nun tue, was not war. +</p> + +<p> +Und als der Freitagabend herankam, da +sagte die Mutter: „Ich bin in Heydekrug gewesen +beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht +und gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn +man’s dem anzeigen wollte, wär’ mit der Hälfte +zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.“ +</p> + +<p> +Die Marinke nahm den Zettel und ging zum +Jozup. „Deine Mutter ist mir die rechte,“ +sagte sie. +</p> + +<p> +„Wieso?“ fragte er und ließ die Halsbinde +los, denn er zog sich eben die Kleider vom Leibe. +</p> + +<p> +„Weil sie mich hat vergeben wollen — mich +und das Kind.“ +</p> + +<p> +Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten +ersticken, und riß sich das Hemd am Halse entzwei. +</p> + +<p> +„Ich habe das Versprechen getan, dich niemals +zu schlagen,“ sagte er, „aber du machst es +einem recht schwer.“ +</p> + +<p> +„Hier ist der Zettel,“ sagte sie. +</p> + +<p> +Er las den Namen des alten Settegast, den +jeder ehrte weit und breit, und so rot, wie er gewesen +war, so blaß wurde er nun. Und dann +ließ er sich alles von ihr erzählen. Auch daß die +Mutter Enskys die Probe zur Apotheke getragen +hatte, verschwieg sie ihm nicht. „Straf mich, +wenn du willst,“ sagte sie, „aber das Kind mußt’ +ich am Leben erhalten, gleichviel, wer sein Vater +<a id="page-429" class="pagenum" title="429"></a> +ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich jetzt +gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.“ +</p> + +<p> +„Du und das Kind bleiben hier,“ erwiderte er. +</p> + +<p> +„Gut,“ sagte sie, „dann muß deine Mutter +fort, oder ich zeige sie an.“ +</p> + +<p> +„Du zeigst sie an?“ fragte er, als ob er nicht +recht gehört hätte. +</p> + +<p> +„So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.“ +</p> + +<p> +Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und +kam die ganze Nacht nicht mehr wieder. Auch +am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, +erst gegen Mittag trat er mit einemmal aus der +Altsitzerstube. Er zitterte am ganzen Leibe und +sagte: „Ich habe mit der Mutter gesprochen. +Was sie jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals +prophezeit und habe für alle Fälle mit den +Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die +Hälfte aller Einkünfte bekommen und sie dafür +in Pflege nehmen, solange sie lebt. Siehst du +nun wohl, wie lieb du mir bist — du und das +Kind?“ +</p> + +<p> +Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte +kaum einen Widerspruch zu leisten gewagt, denn +sie wußte, die Anzeige drohte. +</p> + +<p> +Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der +Jozup sie zur Bahn brachte, reckte sie noch einmal +den Krückstock nach der Marinke und schrie +ihr den schwersten Fluch an den Hals: „Mag der +Perkuhns dich treffen nach Bartholomä!“ +</p> + +<p> +<a id="page-430" class="pagenum" title="430"></a> +Und da es bis zum nächsten Bartholomä +noch lange hin war, verbesserte sie sich: „Nein, +noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich +treffen.“ +</p> + +<p> +Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in +die Weite, dorthin, wo kein Litauergott mehr +donnert. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man +glückliche nennen. +</p> + +<p> +In Marinkes Herzen wurde das Bild des +Jurris allmählich blasser und blasser. Da eine +Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte +sie manches liebe Mal nach seinem Grabe sehen +können, aber es drängte sie nichts mehr dorthin. +</p> + +<p> +Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler +heran, der sich die Butter vom Brote nicht +nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen +bis zum Abend in die Welt hinauskrähte. +</p> + +<p> +Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn +darin zu bestärken, und wenn der Junge recht +unartig war, sagte der Vater: „So ist’s gut, +mein Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.“ +</p> + +<p> +Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe +zur Weide führen und setzte ihn jedem Tier +auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit +vier Jahren ritt er bereits auf der bockigen +<a id="page-431" class="pagenum" title="431"></a> +Schimmelstute, und die war auch sonst nicht die +frömmste. +</p> + +<p> +Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger +zwischen den beiden, und als der fünfte +Frühling herankam und die künftige Schulzeit +schon drohte, da nahm der Jozup ihn morgens +sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die Lenkstange +der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen +Zipfel des Säelakens zu tragen und meinte: +„Das muß das Erste sein, was ein Wirtssohn +erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und +Rechnen.“ +</p> + +<p> +Ein Glück war’s — ein unaussprechliches und +nie besprochenes —, daß noch immer kein Zeichen +sich meldete, der kleine Jurris werde ein Brüderchen +oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade +so, als ob der Himmel selbst darüber wachte, +daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand und +Ruhe allmählich einkehrte. +</p> + +<p> +Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich +zwei alte Leute auf ihren Knieen und flehten +zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam +in die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn +und Erben zurückgeben. +</p> + +<p> +Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. +Die Marinke mochte sich noch so sorgsam verstecken, +die Dienstleute trugen es doch hinaus, und bald +wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes +war. +</p> + +<p> +<a id="page-432" class="pagenum" title="432"></a> +Der Jozup ging umher wie ein Wüterich +und erklärte, wer ihm den Knaben nehmen wolle, +den schieße er nieder. +</p> + +<p> +Aber als die beiden Enskys von seinen +Reden hörten, da lachten sie nur, denn sie +hatten es schriftlich. +</p> + +<p> +Und eines Tages waren sie dreist genug und +erschienen beide im Hoftor. +</p> + +<p> +Die Marinke, die im achten Monat war und +nur noch leichte Gartenarbeit verrichten konnte, +saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten +unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die +aber hatten sie wohl gesehen und wollten gerade +in den Garten einbiegen, da stießen sie auf +den Jozup, der eben aus dem Hause trat. +</p> + +<p> +„Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?“ +sagte er ihnen zum Gruße. +</p> + +<p> +Die Großelternliebe war stärker in ihnen +als jegliche Angst, und obwohl der Alte sich ein +wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit +hatte er doch, um zu sagen: „Ich würde an deiner +Stelle versuchen, dich mit uns zu verständigen, +denn vor den Behörden bist du ja machtlos.“ +</p> + +<p> +Da dachte er nicht anders, als sie würden +wohl mit sich handeln lassen, und lud sie ein, in +die Stube zu treten. +</p> + +<p> +Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine +bestanden und nur Gewißheit haben wollten, +wann sie das Kind heimholen könnten. +</p> + +<p> +<a id="page-433" class="pagenum" title="433"></a> +Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: +wie sich den Sohn erhalten, an dem seine Seele +hing. Für einen Augenblick stieg wohl der +Wunsch in ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, +das ihn mit dessen Leben verband, aber er warf +ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen +wohl erkannt, daß, wenn die Marinke, +mochte sie sonst noch so weich sein, zu einer Sache +entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon +abbringen konnte. +</p> + +<p> +Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen — +das wollte er doch nicht. +</p> + +<p> +In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin +und her, ob nicht ein einziger Grund sich finden +ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich für +immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein +anderer ein als der, mit dem er sein Weib +nun schändete. +</p> + +<p> +„Jurris habt ihr ihn ja genannt,“ sagte er, +„aber was wißt ihr, ob er wirklich dem Jurris +sein Kind ist?“ +</p> + +<p> +Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände +zu ihm auf, als wollte sie ihn anflehen, den Schlag +<em>nicht</em> zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte. +Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und +schrie immerzu: „Wer ist es? Wer ist es? Wer +ist es?“ +</p> + +<p> +Und er — mehr aufs Geratewohl, als weil +er sich eines bestimmten Verdachtes bewußt war +<a id="page-434" class="pagenum" title="434"></a> +— entgegnete dieses: „Nun — es kann ja zum +Beispiel — der — Wieszpatis gewesen sein. +Nicht umsonst hat er Kinder sitzen weit und +breit — und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf +dem Hofe gewesen.“ +</p> + +<p> +Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom +Blitze getroffen, der Alte aber rannte spornstreichs +hinaus und in den Garten — dorthin, +wo die Marinke vorhin gearbeitet hatte. +</p> + +<p> +Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn +sie dachte, der Jozup wolle dem Alten zu Leibe, +da schrie er auch schon: „Nun ist es heraus, du +Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. +Und das Kind ist von ihm. Gesteh, +daß das Kind von ihm ist!“ +</p> + +<p> +In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht +anders, als es sei durch ein Unglück alles ruchbar +geworden, was sie sich selber kaum eingestand, +und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete +sie: „Wenn du es weißt, warum fragst +du mich erst?“ +</p> + +<p> +Da rannte er spornstreichs zurück und schrie +es durch Garten und Hof: „Sie hat gestanden, +daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es +eben gestanden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde +so gelb wie die Asche im Eimer. Er nahm den +Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. +Dort gab er ihm noch einen Stoß mit dem +<a id="page-435" class="pagenum" title="435"></a> +Absatz und überließ ihn seinem weinenden Weibe. +Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem +Leibe mühsam aus dem Garten kam. +</p> + +<p> +Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei +er der Henker. Aber da sie wußte, daß nichts auf +der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, +so gab sie sich drein. +</p> + +<p> +„Geh ins Haus,“ sagte er und blieb ihr dicht +auf den Hacken. +</p> + +<p> +Dann peitschte er die Mägde hinaus, die +ängstlich um die Feuerstätte standen, und folgte +ihr in die Stube. +</p> + +<p> +Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach +war sie geworden, und seine Augen stachen nach +ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit. +</p> + +<p> +„Also wie war das mit dem Wieszpatis?“ +fragte er ganz freundlich. +</p> + +<p> +„Wie wird’s gewesen sein?“ sagte sie. „Er +war doch der Herr, und ich war die Magd. Und +wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, +dann hat er gesagt, ich gefall’ ihm.“ +</p> + +<p> +„Und das ging so die ganzen Jahre lang?“ +</p> + +<p> +„Solang’ ich die Meierei unter mir hatte, +wird’s wohl gegangen sein.“ +</p> + +<p> +„Und als du merktest, daß du ein Kind von +ihm trugst, da suchtest du dir den Jurris als Vater +dazu?“ fragte er immer noch freundlicher. +</p> + +<p> +Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das war +anders.“ Und nun berichtete sie ihm der Wahrheit +<a id="page-436" class="pagenum" title="436"></a> +nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal +nach Augustenhof hatte hinkommen lassen — +der Jozup selber war ja Vermittler gewesen — +und wie sie allein hatte fahren müssen, weil +der Jurris nicht war zu finden gewesen. Da +hatte der Herr gesagt: „Wir wollen nun Abschied +feiern, Marinke.“ Und sie hatte gebeten und gefleht: +„Ach lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.“ +Aber er war ja der Herr, und sie hatte ihm schon +so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm +auch diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von +daher war alles Unglück gekommen. +</p> + +<p> +Er sagte: „Ich habe das Gelöbnis getan, +dich nicht zu schlagen. Und das ist dein Glück, +sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser +Stube kommen. Auch sollst du mir zuerst einen +Sohn zur Welt bringen, denn das bist du mir +jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen +werde, das weiß ich noch nicht. Aber ich rate +dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt hast, +den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn +ist Hurensohn. Und kommt er mir in den +Weg, so schmeiß’ ich nach ihm mit allem, was ich +grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.“ +</p> + +<p> +Die Marinke hob die Arme nach ihrem +Manne auf und weinte und bat: „Wo soll ich hin +mit ihm in meinem Zustand?“ +</p> + +<p> +„Das geht bloß dich an,“ entgegnete er und +schritt aus der Türe. +</p> + +<p> +<a id="page-437" class="pagenum" title="437"></a> +Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm +drein, um den Kleinen vor ihm zu sichern, der +wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. +Und sie fand ihn auch glücklich und wartete ab, +bis der Weg frei war, dann zog sie ihn rasch +in die Klete. +</p> + +<p> +„Hole mir Betten für mich und das Kind,“ +sagte sie zu der Hausmagd, „denn hier werd’ +ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.“ +</p> + +<p> +Und der Kleine schrie nach dem Vater, er +wolle hinaus und mit ihm spielen, wie er’s gewohnt +war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus +Furcht, der Jozup möchte eindringen und mit +ihm tun, was er gedroht hatte. +</p> + +<p> +In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen +Jurris wohl vierzehn Tage auf und traute sich +nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten +gut für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche +Herrin gewesen. +</p> + +<p> +Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er +an der Klete vorbeiging, schüttelte er die Faust +nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus, +wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört. +</p> + +<p> +Er nannte sein Weib eine „Klorke“. Und +„Szunjôda“ und „Pajudêle“ nannte er sie. Das +sind Namen, die man am besten ins Deutsche +nicht überträgt. +</p> + +<p> +Und drohen tat er ihr auch und immer aufs +neue. Sie konnte das Fenster noch so fest schließen, +<a id="page-438" class="pagenum" title="438"></a> +sie hörte und verstand ihn in allem. „Denke +nur nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein +Täubchen, weil ich das Gelöbnis getan habe, +dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand +kommen lassen, der wird das alles statt meiner +besorgen. Der wird dir mit der Bratpfanne den +Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten +streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben +wirst, heute feiern wir Ostern.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und +dachte: „Wer mag es nur sein, den er meint?“ +Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben +konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden. +</p> + +<p> +Am allermeisten hatte sie Angst um den +Knaben, dem der Jozup Tag für Tag ans Leben +gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit +sich verkürzte, wurde die Unruhe größer in ihr, +daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn aufpassen +konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Eines Nachmittags — es war zu Ende August, +und die Leute arbeiteten draußen im Grummet —, +da sah die Marinke durch das Fenster der Klete, +daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, +sich einen Korb mit Essen und Trinken aufladen +ließ und davon fuhr. +</p> + +<p> +Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen +<a id="page-439" class="pagenum" title="439"></a> +die Sonntagskleider an und schmückte sich selber, +so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte +sie sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war +die einzige, die auf dem Hofe geblieben war. +Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben +habe, sondern sagte nur im Vorbeigehn: „Ich +will jetzt den Kleinen wegbringen. Erzähle dem +Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht +nicht zu Haus bin.“ +</p> + +<p> +Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch +fortgehen wollte, so wußte sie doch nicht, wohin. +Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach. +</p> + +<p> +Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, +wenn Leute ihr entgegenkamen, denn das Geschehene +war ja längst allen bekannt; aber jeder +grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr +sprach. +</p> + +<p> +Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen +wollte, in dem sie so glückliche Tage verlebt hatte, +da überfiel sie der Jammer, so daß sie sich weinend +auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme +sprach in ihr: „Kehre an! Vielleicht daß die +Mutter dich nicht fortweist und einen Rat für +dich hat!“ +</p> + +<p> +Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß +der Alte auch auf dem Felde war und die gute +Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte. +</p> + +<p> +Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß +und sagte: „Da ist er nun, um den wir Jahre +<a id="page-440" class="pagenum" title="440"></a> +und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, +so hübsch wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch +zu uns gehören.“ +</p> + +<p> +Und sie küßte ihn und sagte weiter: „Wenn +der Jurris noch lebte, der würde es nie erfahren +haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes. +Weiß Gott, mir wär’ es gleich! Ich würd’ ihn +auch weiter liebhaben, schon weil er von dem +Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will +nicht. Der spuckt aus.“ +</p> + +<p> +Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und +bat: „Sag, Mutter, was soll ich tun?“ +</p> + +<p> +Und die Enskene erwiderte: „Es ist doch ein +Vater da. Der muß sich jetzt kümmern.“ +</p> + +<p> +Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie +hatte sie daran gedacht, daß sie dem Wieszpatis +mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe. +</p> + +<p> +Und die Mutter Enskys fuhr fort: „Wenn +er erfährt, daß sein Fleisch und Blut ganz und +gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so +wird er es zu sich nehmen. Denn nicht umsonst +sagen alle, daß er ein guter Mann ist und ein +gerechter Mann.“ +</p> + +<p> +Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit +kam über sie. Beinahe wäre sie von der +Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die +Mutter Enskys hielt sie fest und sagte: „Daß +es dir schwer fällt, kann man sich denken. Es +trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, +<a id="page-441" class="pagenum" title="441"></a> +darum kannst du gleich mit dem Milchfuhrwerk +mitfahren, das der Hütejunge kutschiert.“ +</p> + +<p> +„Aber bei den andern anhalten, wenn er die +Kannen einsammelt, das bring’ ich nicht übers +Herz,“ sagte die Marinke. +</p> + +<p> +Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig +sein würde, der Junge könne ja erst die Runde +machen und sie dann abholen kommen. +</p> + +<p> +Und so geschah es. +</p> + +<p> +Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen +auf Augustenhof eintraf. Der Schweizer in +der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie +kümmerte sich nicht um ihn, sondern nahm den +kleinen Jurris bei der Hand und schlug den Weg +zum Herrenhause ein. +</p> + +<p> +Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich +in den Garten läuft, schlug ihr das Herz so sehr, +daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen +zu müssen, und als sie gar lachende Stimmen +auf der Veranda hörte und milchfarbene Windlichter +sah, da war es vollends mit ihren Kräften +zu Ende. +</p> + +<p> +„Wer ist da?“ hörte sie die Stimme des Herrn. +</p> + +<p> +Und da sie nicht zu antworten vermochte, +sagte er weiter: „Sieh doch einmal nach, Agnes, +wer da ist.“ +</p> + +<p> +Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen +herab — sollte das wirklich die Agnes sein? — +und fragte: „Was wünschen Sie?“ Und da sie +<a id="page-442" class="pagenum" title="442"></a> +noch immer nicht antwortete, rief das Mädchen +hinauf: „Eine Frau ist da mit einem Kinde, +aber sie spricht nichts.“ +</p> + +<p> +Da kam er, der Herr, selber die Treppe +herab. Und sie neigte sich vor ihm und küßte +ihm den Ärmel. +</p> + +<p> +„Ich kann nicht recht sehen,“ sagte er. „Bist +du etwa die Marinke?“ +</p> + +<p> +Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: +„Die bin ich.“ +</p> + +<p> +„Komm herein,“ befahl er und schritt ihr und +dem Kinde voran die Stufen empor, an lauter +Herrenleuten vorbei — jungen und alten —, es +waren deren mindestens sechs oder sieben. Sie +erkannte die gnädige Frau, der küßte sie rasch +noch die Hand, und dann ging sie durch die +Sommerstube und den Saal und den mittleren +Korridor immer hinter ihm her, und der Kleine +war tapfer und quarrte nicht im geringsten. +</p> + +<p> +Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, +das am Giebelende gelegen war und drei +Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und +eine zum Korridor hin, durch die sie nun eintraten. +</p> + +<p> +Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch +nie gesehen hatte, denn damals war es Petroleum +gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an +dem sie Sonnabends immer Rechnung gelegt +hatte, und das Ruhebett in der linken Fensterecke +<a id="page-443" class="pagenum" title="443"></a> +stand auch noch da. Und alles war überhaupt, +als sei sie nie weg gewesen. +</p> + +<p> +Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt +und betrachtete sie lange, aber von dem Kinde, +das sie erwartete, und auch von dem, das sie an +der Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann +so: „Es hat mir leid getan, Marinke, daß dein +Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt +hat. So sind wir ganz außer Verkehr +gekommen, und ich weiß nichts mehr von dir. Du +hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich +gewandt, und das passiert mir in ähnlichen Fällen +eigentlich niemals. Ich will nicht sagen, daß ich +dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich +kann, helf’ ich gerne. Aber nun setz dich hin, +denn du wirst müde sein, und sage, was führt dich +her?“ +</p> + +<p> +Sie dachte bloß immer: „Und sein Kind +sieht er nicht an.“ +</p> + +<p> +Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante +des Ruhebetts setzte und das Kind zwischen die +Kniee nahm, da sah er es doch. +</p> + +<p> +„Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,“ +sagte er und streckte von seinem Schreibstuhl +her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen +lockt. +</p> + +<p> +Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich +nur um so enger an sie. +</p> + +<p> +„Wie werd’ ich’s ihm bloß sagen?“ dachte +<a id="page-444" class="pagenum" title="444"></a> +sie. „Das Beste wird sein, ich geh’ wieder weg, +wie ich gekommen bin.“ +</p> + +<p> +„Nun also, Marinke, erzähle.“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ nichts zu erzählen, Ponusze.“ +</p> + +<p> +„Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es +schwer fällt, nicht einen so weiten Weg. Also +sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder +möcht’ er bauen oder sonst was? Ich geb’, was +er will, denn ihr seid mir sicher.“ +</p> + +<p> +„Mein Mann braucht keine Hypothek,“ sagte +sie, „und bauen möcht’ er auch nicht, aber es ist +’rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen +ist, Herrchen, und mir.“ +</p> + +<p> +Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz +nach ihr um, so daß es knarrte, und machte sich +ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf +ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel +hart auf ihn herab. +</p> + +<p> +„Er ist ganz grau geworden,“ dachte sie. +Und nun sah er vollkommen so aus, als wär’ er +der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger +Herrgott sah er aus. +</p> + +<p> +„Nur du und ich haben’s gewußt,“ herrschte +er sie an, „und von mir hat’s keiner erfahren.“ +</p> + +<p> +Sie hätte nun sagen müssen: „Von mir auch +nicht,“ aber ihre Angst vor ihm war so groß, daß +sie sich keine Antwort getraute. +</p> + +<p> +„Ich werd’ denn man gehen,“ sagte sie und +<a id="page-445" class="pagenum" title="445"></a> +versuchte aufzustehen. Aber sie war so schwach, +daß sie wieder zurückfiel. +</p> + +<p> +Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen +war. Die geschliffene Karaffe stand immer +noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr +ein Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, +aus dem sie manches liebe Mal hatte +naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der +wollte erst nicht, aber was ihm in die hohlen +Händchen geschüttet wurde, das nahm er. +</p> + +<p> +„Nun laß uns vernünftig reden,“ sagte der +Herr, „und erzähl alles.“ Aber sie konnte nicht. +Sie saß bloß so da und sah vor sich hin. +</p> + +<p> +„Marinke,“ sagte der Herr, „du bist einmal +die Freude meiner Feierabende gewesen, und +ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen +großen Stein bei mir im Brett. Denk daran +und faß dir ein Herz.“ +</p> + +<p> +Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: +„Das Kind hier ist <em>Ihr</em> Kind, Ponusze.“ +</p> + +<p> +„Ei der Deiwel,“ sagte er und lachte hellauf, +„das ist ja ganz was Neues.“ Dann nahm er +den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die +Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. +„Wie gesagt, stramm ist er. Wenn er sich auswächst, +kann er mir schon ähneln. Denn das +weißt du ja, sie ähneln mir alle.“ +</p> + +<p> +Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten +fünf oder sechs auf dem Hof. Wenn +<a id="page-446" class="pagenum" title="446"></a> +man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie +der andere. +</p> + +<p> +Und er fuhr fort: „An sich wär’s also schon +möglich. Aber ich denk’, es ist deinem ertrunkenen +Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich +weiß, hat er ja auch den Namen.“ +</p> + +<p> +„Das ist richtig,“ entgegnete sie, „aber von +dem ist er nicht. Und von meinem jetzigen Mann +ist er auch nicht.“ +</p> + +<p> +„War der denn auch dabei?“ fragte er, und +sie konnte nicht anders als Ja sagen. +</p> + +<p> +„Du — das ist aber ein bißchen reichlich,“ +rief da der Herr und wußte vor Lachen sich nicht +zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh! +</p> + +<p> +Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. +Aber die Marinke sah ein, daß sie in der +fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde, +wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das +mußte sie jetzt tun, denn er allein konnte sie +verstehen, und es drückte ihr längst schon das +Herz ab. +</p> + +<p> +Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, +wie alles gekommen war. Er hörte ihr aufmerksam +zu und wurde ernster und immer noch +ernster. +</p> + +<p> +Mitten darin griff er mit der Hand nach dem +Kleinen und hob ihn sich auf das Knie. Und +der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und +lutschte still weiter. +</p> + +<p> +<a id="page-447" class="pagenum" title="447"></a> +Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den +Wuschelkopf und setzte ihn sacht auf die Erde. +Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er +mußte die Beine freikriegen zum Rumgehen, +denn das tat er immer, wenn ihm das Herz von +irgend was voll war. +</p> + +<p> +Er ging und ging, und dann klingelte er +und sagte dem eintretenden Mädchen: „Man +soll nicht auf mich warten — ich habe zu tun.“ +Einst war sie selbst dieses Mädchen gewesen, +und oft hatte er dasselbe zu ihr gesagt. Und +dann ging er immer noch länger. +</p> + +<p> +Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: +„Wie wirst du nach Hause kommen?“ +</p> + +<p> +„Der Enskyssche Milchwagen wartet auf +mich,“ entgegnete sie. +</p> + +<p> +Der große Augenblick war nun da. In ihm +mußte das Schicksal des Kindes sich entscheiden. +</p> + +<p> +„Die Enskene hat gemeint,“ stotterte sie, +„weil es doch dein Fleisch und Blut ist, Herrchen, +und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest +du es vielleicht in Pflegschaft nehmen und es +großziehen lassen auf deinem Hofe. Von Instleuten +wohnen ja bei dir so viele.“ +</p> + +<p> +Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm +erbitten wollen, aber jetzt, da sie das vornehme +Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte +sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen +war. +</p> + +<p> +<a id="page-448" class="pagenum" title="448"></a> +„Du vergißt, Marinke,“ sagte er, „daß da +draußen die gnädige Frau sitzt, der ich Rechenschaft +schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald +auch ihr zu Ohren kommen, und dann gäbe +es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem +Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu +kommen, war schon zu viel, aber ich mochte es +ihr nicht abschlagen — auch um deinetwillen +nicht, Kind, weil du so außer jedem Verdacht +bliebst. Kommt’s nun aber heraus, dann ist +jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie +wieder gutmachen kann.“ +</p> + +<p> +Die Marinke verstand nicht recht, was er +meinte, aber daß ihr Verlangen eine Vermessenheit +war, das wußte sie nun. +</p> + +<p> +„Ich werd’ denn man gehn,“ sagte sie zum +zweiten Male. Diesmal fiel sie nicht von selbst +zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter +gefaßt und festgehalten, so daß sie das Aufstehen +vergaß. +</p> + +<p> +„In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier +bin,“ sagte er, „ist kein Fremder ohne Trost aus +dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr +gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht +hinausschicken? Das geht nicht, Marinke, wenn +ich dir auch leider was Anderes als Geld nicht +zu bieten hab’.“ +</p> + +<p> +„Ich will kein Geld!“ stieß sie hervor. +</p> + +<p> +„Verachte das Geld nicht,“ ermahnte er sie. +<a id="page-449" class="pagenum" title="449"></a> +„Denn es macht die Bösen gut und die Harten +gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von +mir hat oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, +tausend Taler mit auf den Weg. Und noch keine +hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine +Mitgift geben, dreimal so groß, so daß er als ein +wohlhabender Erbe gelten kann, und du wirst +sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.“ +</p> + +<p> +Damit setzte er sich an den Schreibtisch und +schrieb einen Schenkungsbrief über zehntausend +Mark, und noch vieles andere schrieb er dazu, +wie die Zinsen zu erheben seien und wie das +Kapital einst ausgezahlt werden sollte. Das +unterstempelte er mit dem Stempel des Amtsvorstehers, +dessen Dienst er selber versah, und +reichte es der Marinke. +</p> + +<p> +Die dachte bloß immer das eine: „Aus mir +kann nun werden, was will. Das Kind ist fürs +Leben geborgen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen +auf dem Enskysschen Hofe einfuhr, saß die +Mutter gerade so wartend im Mondschein wie +an jenem Abend vor sechs Jahren, von dem alles +Unglück seinen Ursprung hatte. +</p> + +<p> +„Der Vater ist schon lange zur Ruhe,“ sagte +sie, „drum komm herein und stärke dich.“ +</p> + +<p> +Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle +<a id="page-450" class="pagenum" title="450"></a> +genau so wie damals und aß und wußte nicht, +was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter. +</p> + +<p> +Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen. +</p> + +<p> +Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche +und reichte ihn ihr. +</p> + +<p> +Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht +und ließ sich die Summe immer wieder von +neuem sagen, bevor sie sie glaubte. +</p> + +<p> +„Aber dann ist ja alles gut,“ sagte sie, „und +dann will ich erst mal den Vater wecken.“ +</p> + +<p> +Die Marinke hatte Angst, der Alte würde +sie und das Kind sofort zur Tür hinausweisen, +aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und +ging damit nach der Stube. +</p> + +<p> +Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder +da war, und hinter ihr in Hosen und Hemd, die +Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen +— wie ein Wiesel kam er gesprungen +— und bot der Marinke den Willkomm und +klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte +ihn selber ins Bettchen tragen, denn Kinder +müßten mit den Hühnern zur Ruhe. +</p> + +<p> +Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. +„In was für ein Bettchen?“ fragte sie. +</p> + +<p> +„Nun, das für ihn bereit steht schon seit +Jahren.“ Und er habe immer gesagt, das mit +dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. +Das habe der Jozup sich ausgedacht, um ihn +und die Mutter zu täuschen. Und nun sei es +<a id="page-451" class="pagenum" title="451"></a> +offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr +Westphal so viel bares Geld nicht aus, sonst +wäre er längst schon ein Bettler. +</p> + +<p> +Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden +wollte, stieß die Mutter sie an und sagte ihr +leise: „Laß ihn nur immer. Er redet sich’s ein +und wird’s auch den andern einreden — und so +ist’s am besten.“ +</p> + +<p> +Da gedachte die Marinke der Worte, die der +Herr zu ihr gesprochen hatte, ehe er die Schenkung +niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine +nun wirklich die Heimat gefunden hatte noch am +heutigen Abend. +</p> + +<p> +Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, +denn sie wußte wohl, daß es zum letzten +Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über +ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen +des Kreuzes und ging vor die Haustür. +</p> + +<p> +Dort standen die beiden und warteten ihrer. +</p> + +<p> +„Ach, möchten sie mich doch einladen, bei +ihnen zu bleiben!“ dachte die Marinke. Aber +sie taten es nicht. Wie konnten sie auch! +</p> + +<p> +„Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,“ +sagte der Alte, „denn ich bin der Vormund.“ +</p> + +<p> +Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke +ins Dunkel hinein und sagte zum Abschied: „Ich +bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig +Jahr’ hab’ ich gewiß noch. Und so lange wird +es ihm gut gehn, das weißt du.“ +</p> + +<p> +<a id="page-452" class="pagenum" title="452"></a> +Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr +mit Tränen. +</p> + +<p> +„Was wird aber mit dir werden?“ fragte die +Mutter. +</p> + +<p> +„Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,“ +sagte die Marinke und ging von ihr fort ... +</p> + +<p> +Der Mond stand hoch — es war schon ein +Herbstmond —, aber die Luft wehte warm wie +im Juni. +</p> + +<p> +Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, +überkam sie ein Schaudern. Der Hofhund würde +bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf +würde der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, +hinausrufen: „Wer ist da?“ Und wenn sie dann +sagte: „Ich bin es — ich, die Marinke,“ dann +würde das Schimpfen losgehen — Klorke und +Szunjôda und Pajudêle und alles, womit er +sie sonst noch traktierte. +</p> + +<p> +Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. +Niemand paßte ihr auf. Sie konnte die Nachtstunden +nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo +sollte sie sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat +hatte sie nicht. Da fiel der Kirchhof ihr ein, +auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. +Wie eine Erleuchtung kam es da über sie. +</p> + +<p> +Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an +den Morgen, das war es, was ihr jetzt fehlte. Da +sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie +keiner anschreien und schimpfen. +</p> + +<p> +<a id="page-453" class="pagenum" title="453"></a> +So schlug sie also den Weg zum Kirchhof +ein, den sie beinahe vergessen hatte. +</p> + +<p> +Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht +zu finden, denn ringsherum hatte manch neuer +Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren +auch höher geworden. Aber schließlich unterschied +sie es doch und setzte sich auf den Hügel, +dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich +begrünte. +</p> + +<p> +Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die +Eltern errichtet. Der war inzwischen schon +wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der +Tafel schien blaß und von Regen verwaschen, +soviel man im Mondschein erkannte. +</p> + +<p> +„Bald werden sie ihn alle vergessen haben,“ +dachte sie, und ihr schien’s, als sei sie ihm doppelt +und dreifach untreu gewesen. Oft hätte sie Zeit +gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte +danach gefragt. Trotzdem fand sie erst heute den +Weg hierher, wie man verlassene Freunde nicht +früher aufsucht, als wenn man nicht aus und +nicht ein weiß. +</p> + +<p> +„Ach wenn ich doch ein bißchen weinen +könnte!“ dachte sie, aber sie hatte heute schon +zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar +nicht so schmerzhaft zumute. Nur müde war +sie. Darum lehnte sie das abgerackerte Kreuz +gegen den Pfosten und dachte: „Hier möcht’ +ich einschlafen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-454" class="pagenum" title="454"></a> +Und das tat sie auch wirklich. Aber bald +weckte der Nachtwind sie wieder. Sie lag nun +mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht +mehr aufstehen. +</p> + +<p> +Es war eine große Stille ringsum, nur die +harten Baumblätter rieben sich ab und zu aneinander, +und in dem Grase raschelte es, wenn +irgend ein Getier sich bewegte. +</p> + +<p> +Sie dachte an alle die Geister, die auf so +einem Kirchhof zur Nachtzeit ihr Wesen treiben, +aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn +unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, +und der hätte sie schon beschützt. +</p> + +<p> +Über diesem Gedanken schlief sie von neuem +ein, und ihr war im Traume fortwährend, als +stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. +Aber wie sie wieder einmal erwachte, merkte +sie, daß es nur der Wind gewesen war, und da +tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief. +</p> + +<p> +„Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,“ dachte +sie. Da kam das Schaudern wieder, das sie auf +dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt +hatte. +</p> + +<p> +„Was soll ich eigentlich dort?“ dachte sie +weiter. „Sobald er mich sieht, wird er mich +quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, +ob ich ihnen noch was zu befehlen hab’. Hier +gehör’ ich her. Zu meinem Jurrischen. Hierher +auf den Kirchhof.“ +</p> + +<p> +<a id="page-455" class="pagenum" title="455"></a> +Und sie beugte sich zur Seite und küßte das +Grab, aber ihr kam davon nur Sand zwischen +die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender +Zeiten. +</p> + +<p> +„Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,“ +dachte sie. „Denn ich bin für ihn gar +nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die +Gimdywe — die Gebärerin — bin ich ihm noch. +Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen anstatt des +anderen, das er verstoßen hat, und dann kann +ich abgehen. Er wird schon dafür sorgen, daß sie +mich bald hierher auf den Kirchhof fahren.“ +</p> + +<p> +Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten +gleich hier. +</p> + +<p> +Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, +die er ihr zugefügt hatte seit jenem +Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an +alle die, die er ihr noch zufügen würde — er und +der Helfer, mit dem er drohte. +</p> + +<p> +Und sie sagte zu sich: „Nun hab’ ich ihm umsonst +prophezeit, daß ich ins Haff gehen werde, +wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn +was er jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist +ebenso schlimm wie das, was sie damals zu erzählen +gehabt hätte.“ +</p> + +<p> +Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig +wurde, überfiel sie plötzlich ein Erschrecken, so +furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe sprang +und wie eine Unvernünftige drum herumlief. +</p> + +<p> +<a id="page-456" class="pagenum" title="456"></a> +Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich +kommen lassen wollte, niemand sonst als die +Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin +dann? +</p> + +<p> +Sie rannte nach rechts und rannte nach +links, als wollte sie ihr entrinnen, und wußte +doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es +gewiß zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut +mehr. Wenn das noch zu fürchten gewesen +wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt. +</p> + +<p> +Da war es ihr, als sagte eine Stimme: „Er +<em>hat</em> sie ja gar nicht zurückgeholt.“ +</p> + +<p> +Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. +Entweder er schwebte um sie herum, oder sie +hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von +seinem Sarge aus zu ihr redete. +</p> + +<p> +Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf +die Knie, wühlte die Stirn in den Sand, um ihm +näher zu sein, und bat und flehte: „Ach hilf mir +doch, Jurrischen, hilf mir doch!“ +</p> + +<p> +Und die Stimme sprach weiter: „Gewiß hat +er dir nur Angst machen wollen, wie man kleine +Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist +sonst gar nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt +schon über fünf Jahr, und du bist so zufrieden +mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen +hattest. Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse +bin. Nein, ich bin dir nicht im mindesten böse. +<a id="page-457" class="pagenum" title="457"></a> +Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab’ +ich hier stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen +kommst, das tut mir weh. Nun aber gehe getrost +wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, +die Gott der Herr dir gesetzt hat. +Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen, +und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen +lassen. Und wenn er sieht, wie treu du ihm +dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum +Guten wandeln, und alles wird werden, wie es +noch jüngstens war.“ +</p> + +<p> +So sprach der Jurris aus seinem Grabe, +und sie hörte begierig darauf. +</p> + +<p> +Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte +sich bereit, nach Hause zu gehen. Diesmal wandelte +kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war +wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen +zu können. Wenn nur das eine nicht kam, +wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, +nicht kam, dann war alles gut! Von ihm +selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie +kränkte. +</p> + +<p> +Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender +Körper zur Seite gedrückt hatte, zog die +Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar +ein Vaterunser. +</p> + +<p> +Dann machte sie sich auf den Heimweg. +</p> + +<p> +Über dem schwarzen Forst, der den Osten +begrenzte, erhob sich bereits ein gelblicher Streif. +<a id="page-458" class="pagenum" title="458"></a> +Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen +zwitscherten schon. +</p> + +<p> +Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. +Darum bellte der Hund auch nicht, der sie +von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem +Schweife gegen die Hüttenwand. +</p> + +<p> +Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen +wollte, gewahrte sie, daß in der Kleinen +Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und +drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, +wo er mit dem Giebel zusammenstößt. +</p> + +<p> +Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, +da hörte sie aus dem Innern zwei Stimmen. +</p> + +<p> +Die eine gehörte dem Jozup, die andere +aber — vier Jahre hatte sie sie nicht mehr gehört, +und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu +müssen. +</p> + +<p> +Sie war also <em>doch</em> gekommen, die Wölfin! +Für sie hatte er heute den Spazierwagen angespannt, +sie von der Bahn abzuholen, und die +Magd hatte geschwiegen — aus Mitleid. +</p> + +<p> +Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie +nicht, das Elternhaus wollte sie nicht, der Wieszpatis +wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe +wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit +List und mit Täuschung. +</p> + +<p> +Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und +rannte und rannte — ohne Sinn und Verstand +— so rasch ihr Körper es zuließ. +</p> + +<p> +<a id="page-459" class="pagenum" title="459"></a> +Bloß weg! — Weg aus dem Hause! Weg +aus dem Leben! Weg — weg — weg! +</p> + +<p> +Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue +Wasser und die schaukelnden Kähne. Und +der Schuppen des Jurris war auch da. +</p> + +<p> +Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs +Haff hinaus — — — — — — — — — — +— — — — — — — — — — — — — — +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Am Morgen desselben Tages segelte in drei +Mittelbooten eine Trauergesellschaft aus der Richtung +von Karkeln her nordwestlich nach der Nehrung +hinüber. +</p> + +<p> +Es waren Männer und Frauen aus dem +Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer Niddnerin, +die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett +hatte dran glauben müssen, das Geleite gegeben. +</p> + +<p> +Da der junge Witwer, um die Heimgegangene +zu ehren, ein großes Begräbnis ausgerichtet +hatte, so war die Nacht hindurch getanzt +und getrunken worden, und alle befanden +sich noch in der heitersten Stimmung. +</p> + +<p> +In dem ersten der Boote saßen die Eltern der +Toten. Die freilich verhielten sich ruhig, aber +sie freuten sich doch, daß die anderen so lustig +waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man +ihres Kindes lange und gern gedenken würde. +</p> + +<p> +Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem +<a id="page-460" class="pagenum" title="460"></a> +länglichen Bündel, das die Alte vorsichtig in +den Armen wog, während ihr Mann achtgab, +daß die untere Kante des schlagenden Segels +in guter Entfernung darüber hinstrich. +</p> + +<p> +In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft +ihres Kindes, der Säugling, den sie mit +sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn +aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch +nirgends zu finden gewesen, aber ob sie +sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr +zu bezweifeln. +</p> + +<p> +Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an +dem Lutschpfropfen, in dem gekaute Semmelkrume +mit geriebenem Zucker gemischt war, und +wenn es zu schreien begann, bekam es Fenchelwasser +zu trinken, wovon man auch nicht sehr +satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht +vertrug, so lag die Gefahr nicht sehr fern, daß es +kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen würde, +aus der es eben gekommen war. +</p> + +<p> +Aber die andern scherten sich wenig um solche +Großmuttersorgen. Sie lachten und sangen, und +wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung +die Flasche. +</p> + +<p> +Da bemerkte einer, daß von Nordosten her +mit der Richtung des Windes ein leerer Kahn +auf sie zutrieb. +</p> + +<p> +Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und +darum wollte der Steuerer im vordersten Boote +<a id="page-461" class="pagenum" title="461"></a> +halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. +Aber die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen +ihm zu, er möge das lassen; der Kahn würde in +einer halben Stunde von selber am Ufer der +Nehrung erscheinen und wäre dann leichter zu +bergen als jetzt. +</p> + +<p> +So blieb er also auf seinem Wege, und die +anderen folgten ihm nach. +</p> + +<p> +Da — als sie gerade die Windlinie durchstrichen, +die von dem leeren Kahn auf sie zulief, +vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines +kleinen Kindes klang. +</p> + +<p> +Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, +es käme von dem Bündelchen her, das die +Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten sofort, +daß es damit eine andere Bewandtnis +hatte. +</p> + +<p> +Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten +und fuhr in kurzem Bogen dem leeren Kahne +entgegen. +</p> + +<p> +Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle +zu ihrer Verwunderung erkannten, lag auf dem +Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und +zu ihren Füßen ein Neugeborenes. +</p> + +<p> +Die Weiber drängten die Männer zurück, +damit deren Augen die Scham der Geburt nicht +entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen +sacht in den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten +Dienste zu leisten. +</p> + +<p> +<a id="page-462" class="pagenum" title="462"></a> +Dort aber, wo das Bündelchen unter dem +Segelrand lag, sagte der alte Mann leise zu +seiner Frau: „Laß uns dem Herrn ein Dankgebet +sprechen, denn mir scheint, er hat uns vom +Himmel Nahrung geschickt für das Kleine.“ +</p> + +<p> +Und die Großmutter sprach: „Frohlocke nicht +zu früh. Das dort ist kein Jungfernkind. Sie +sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und +wird uns bald wieder verlassen.“ +</p> + +<p> +Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde +Wöchnerin in Pflege zu nehmen, und die andern +waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten. +</p> + +<p> +So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren +war, sich in den Wellen die ewige Ruhstatt +zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett +wieder erwachte und statt des einen Kindes, +dem sie das Leben gegeben hatte, deren zwei +in der Wiege neben sich vorfand. +</p> + +<p> +Und ob sie auch zum Verwundern und zum +Fragen zu schwach war, so nahm sie sie doch +gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung +für beide. +</p> + +<p> +Dann, als man zu wissen begehrte, woher +sie sei und wie sie sich nenne, da weinte sie nur +und wollte nicht reden. +</p> + +<p> +Es mußte aber die Meldung an das Standesamt +gehen, und da sie auch am zweiten und +dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, +so wußten die beiden sich kaum einen Rat mehr. +</p> + +<p> +<a id="page-463" class="pagenum" title="463"></a> +Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden +der Pfarrer Hoffheinz Seelsorger war, der +jüngere Bruder des Superintendenten, den die +Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich +diesem ein lebensfroher und gottgefälliger Mann, +der die Litauer liebte, als wäre er einer von +ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, +Ratschlag und Zuflucht bot, soweit sein Arm sich +erstreckte. +</p> + +<p> +Der sagte: „Sie scheint großes Leid erfahren +zu haben. Darum laßt sie in Ruhe bis an den +neunten Tag. Die Behörden werd’ ich solange +auf mich nehmen. Und ist sie erst wieder bei +Kräften, dann will ich sie selber befragen.“ +</p> + +<p> +Das war das Richtige. Am neunten Tage +trat er zu ihr an das Bett, schloß die Stubentür +ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei +Stunden. +</p> + +<p> +Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche +Mann die Augen voll Wasser und sagte: +„Hier hat Gott ein Wunder getan.“ +</p> + +<p> +„An uns auch,“ sagte die Alte, „denn ohne +sie wäre das Kind der Anikke schon unter der +Erde.“ +</p> + +<p> +Von nun an dauerte es keine zweite Nacht +mehr, da erfuhr der Jozup Wilkat, wo sein Weib +geblieben war — und mit ihr das Kind, das sie +nach seinem Glauben ihm schuldete. Und weil +er sich schämte, sie in den Tod getrieben zu haben, +<a id="page-464" class="pagenum" title="464"></a> +war er sehr froh und machte sich auf, sie heimzuholen +— sie und das Kleine. +</p> + +<p> +Das aber war es gerade, wovor die Marinke +zitterte bei Tag und bei Nacht und das zu verhüten +der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte. +</p> + +<p> +Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl +gegeben, daß, wenn ein Mann im Dorfe herumfragte, +wo die Kiekutis wohnten, bei denen die +Fremde sich aufhielt, kein einziger es wissen +dürfe — nicht einmal der Schulze — und daß +man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, +ins Pfarrhaus weise; da könne er’s wahrscheinlich +erfahren. +</p> + +<p> +So kam es, daß der Jozup, der wütend von +einem zum andern lief und alsbald erkannte, +daß man ihn narre, schließlich einem Manne +ins Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht +umspringen ließ wie mit einem schutzlosen +Weibe. +</p> + +<p> +Ja, das Weib — das sei ihm egal, das könne +seinetwegen gehen, Filzschuhe wichsen, aber das +Kind — das Kind, das müsse er haben, tot oder +lebendig. +</p> + +<p> +Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein +guter Freund vom alten Settegast — er hat ja +später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet +—, das sagte er dem Jozup so nebenbei. +Und daß, wenn auf diese Weise die Kürbisgeschichte +ruchbar würde, von einem Verschulden +<a id="page-465" class="pagenum" title="465"></a> +der Frau nicht mehr die Rede sein könne, das +sagte er auch. +</p> + +<p> +Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, +ließ seine Ansprüche fahren und setzte für +die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld +aus, so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt. +</p> + +<p> +Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen +zu haben, fuhr er zurück übers Haff — zurück +zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr +hat er einen solchen Angriff gewagt. +</p> + +<p> +Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die +ihr fast so zugetan waren wie einst die Mutter +Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen +Kinde das fremde rosig und blank. +</p> + +<p> +Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt +kam, nach ihm zu sehen, da fand er es +nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte. +</p> + +<p> +So geschah es fast von selber, daß die beiden +sich miteinander versprachen. +</p> + +<p> +Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem +Jurris, und das gefiel der Marinke am meisten. +</p> + +<p> +Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille +begangen. Und still und friedlich leben die beiden +noch heute. +</p> + +<p class="printer"> +<a id="page-466" class="pagenum" title="466"></a> +Druck der<br /> +Union Deutsche Verlagsgesellschaft<br /> +in Stuttgart +</p> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h1 adh"> +<a id="page-467" class="pagenum" title="467"></a> +Anzeigen des<br /> +Cotta’schen Verlages +</p> + +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-468" class="pagenum" title="468"></a> +<span class="line1">Hermann Sudermann:</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads468" summary="Table-1"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Im Zwielicht</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Frau Sorge</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Geschwister</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Zwei Novellen. 35.-37. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Katzensteg</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 106.-115. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Jolanthes Hochzeit</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Erzählung. 31.-33. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Es war</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 59.-63. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Hohe Lied</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 61.-65. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die indische Lilie</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Sieben Novellen. 21.-25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Litauische Geschichten</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Vier Geschichten. 1.-25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Ehre</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Sodoms Ende</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Heimat</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Schmetterlingsschlacht</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Glück im Winkel</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Morituri</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drei Einakter: <em>Teja</em>. Drama — <em>Fritzchen</em>. Drama — <em>Das Ewig-Männliche</em>. Spiel. 21. u. 22. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1"><a id="page-469" class="pagenum" title="469"></a>Johannes</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die drei Reiherfedern</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Johannisfeuer</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Es lebe das Leben</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Sturmgeselle Sokrates</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Komödie in vier Akten. 15. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Stein unter Steinen</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Blumenboot</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Rosen</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Vier Einakter: <em>Die Lichtbänder.</em> Drama — <em>Margot.</em> Schauspiel — <em>Der letzte Besuch.</em> Schauspiel — <em>Die ferne Prinzessin.</em> Lustspiel. 2.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Strandkinder</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Bettler von Syrakus</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der gute Ruf</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Lobgesänge des Claudian</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die entgötterte Welt</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: <em>Die Freundin.</em> Schauspiel in vier Akten. — <em>Die gutgeschnittene Ecke.</em> Tragikomödie in fünf Akten. — <em>Das höhere Leben.</em> Lustspiel in vier Akten. 7. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-470" class="pagenum" title="470"></a> +<span class="cottasche"><img src="images/cottasche.jpg" alt="" /></span> +<span class="line1">Cotta’sche Gelbe Bibliothek</span><br /> +<span class="line2">Romane und Novellen</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads470" summary="Table-2"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Althof, Paul</em> (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das verlorene Wort. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Andreas-Salomé, Lou</em>, Fenitschka — Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ruth. Erzählung. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Anzengruber, Ludwig</em>, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wolken und Sunn’schein. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Arminius, W.</em>, Der Weg zur Erkenntnis. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Bertsch, Hugo</em>, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Birt, Th.</em>, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Böhlau, Helene</em>, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Um Helena. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. u. 19. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Bülow, Frieda v.</em>, Kara. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Burckhard, Max</em>, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Dove, A.</em>, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">10.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie v.</em>, Božena. Erzählung. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erzählungen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Margarete. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Moritz v.</em>, <span class="antiqua">Hypnosis perennis</span> — Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Eckstein, Ernst</em>, Nero. Roman. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>El-Correï</em>. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Enderling, Paul</em>, Der Hungerhaufen und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Zwischen Tat und Traum. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Engel, Eduard</em>, Paraskewúla und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Fontane, Theodor</em>, Ellernklipp. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Grete Minde. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Quitt. Roman. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Franzos, K. E.</em>, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">8.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-471" class="pagenum" title="471"></a>—„— Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">9.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Frei, Leonore</em>, Das leuchtende Reich. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Frey, Adolf</em>, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Fulda, L.</em>, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Gleichen-Rußwurm, A. v.</em>, Vergeltung. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Grimm, Herman</em>, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">11.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. 2.-8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hartmann, Alfred Georg</em>, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein Künstlerroman aus Holland</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Haushofer, Max</em>, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heer, J. C.</em>, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Da träumen sie von Lieb’ und Glück! Drei Schweizer Novellen. 28.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. 21.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heilborn, Ernst</em>, Kleefeld. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L’Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben — Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-472" class="pagenum" title="472"></a>—„— Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Märchen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Martha’s Briefe an Maria. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.30</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Meraner Novellen. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Novellen. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vroni und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Xaverl und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hillern, W. v.</em>, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— ’s Reis am Weg. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hirschfeld, Georg</em>, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Höcker, Paul Oskar</em>, Väterchen. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hofe, Ernst von</em>, Sehnsucht. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hofer, Klara</em>, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich Hebbels. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hopfen, Hans</em>, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Huch, Ricarda</em>, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Junghans, Sophie</em>, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kaiser, Isabelle</em>, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Knudsen, J.</em>, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Krauel, Wilhelm</em>, Von der andern Art. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Hermann</em> (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Italienische Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Langmann, Philipp</em>, Leben und Musik. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-473" class="pagenum" title="473"></a><em>Lilienfein, Heinrich</em>, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die große Stille. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Lindau, Paul</em>, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">8.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Mahn, Paul</em>, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Mauthner, Fritz</em>, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von „<em>Lügenohr</em>“</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Meyer-Förster, Wilh.</em>, Eldena. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Meyerhof-Hildeck, Leonie</em>, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Töchter der Zeit. Münchner Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Moreck, Curt</em>, Büßer des Gefühls. Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Moersberger, Felicitas Rose</em>, Pastor Verden. Ein Heideroman. 2.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Muellenbach, E.</em> (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aphrodite und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vom heißen Stein. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Niessen-Deiters, Leonore</em>, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em>. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Liebesfalle. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Mitmenschen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Pietsch, Otto</em>, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Prel, Karl du</em>, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neues Novellenbuch. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rittberg, Gräfin Charlotte</em>, Der Weg zur Höhe. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rommel-Hohrath, Clara</em>, Im Banne Roms. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rosner, Karl</em>, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausg.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, H. Wolfgang</em>, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-474" class="pagenum" title="474"></a><em>Skowronnek, R.</em>, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Speidel, Felix</em>, Hindurch mit Freuden. Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Stegemann, Hermann</em>, Der Gebieter. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stille Wasser. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Steinhart, Armin</em> (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Stratz, Rudolph</em>, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman einer Studentin. 18.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du bist die Ruh’. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ich harr’ des Glücks. Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Montblanc. Roman. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der deutschen Armee. 46.-50. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Sudermann, Hermann</em>, Es war. Roman. 59.-63. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Telmann, Konrad</em>, Trinacria. Sizilische Geschichten</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Trojan, Johannes</em>, Das Wustrower Königsschießen und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Uxkull, Gräfin Lucy</em>, Rote Nelken. Ein sozialer Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vockeradt, Emma</em>, Wanderer im Dunkeln. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vogt, Martha</em>, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vollert, Konrad</em>, Sonja. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Voß, Richard</em>, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Watzdorf-Bachoff, E. v.</em>, Maria und Yvonne. Geschichte einer Freundschaft. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-475" class="pagenum" title="475"></a>—„— Meister Amor. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erika — Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Fesseln. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Franz. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Irma. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Familie Roland. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Sänger. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Villa Maria. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wildenbruch, E. v.</em>, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wohlbrück, Olga</em>, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Worms, C.</em>, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erdkinder. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. u. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-476" class="pagenum" title="476"></a> +<span class="line1">Ferner werden empfohlen:</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads476" summary="Table-3"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Auerbach, Berthold</em>, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl.</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Auf der Höhe. Roman. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Spinoza. Ein Denkerleben</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">1.70</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.10</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Baumbach, Rudolf</em>, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aus der Jugendzeit. 10. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Märchen. 9. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie</em> v., Die erste Beichte. Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Grisebach. Ed.</em>, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der Krieg und die Frauen. Novellen. Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">1.80</td> + </tr> + <tr class="r"> + <td class="col1" colspan="1">In Geschenkband</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L’Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.40</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">10.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hoffmann, Hans</em>, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ostseemärchen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Keller, Gottfried</em>, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. 86.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">13.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">9.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Züricher Novellen. 88.-92. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Sinngedicht. Novellen — Sieben Legenden. 71.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kügelgen, Wilhelm</em> v., Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Unsere Carlotta. Erzählung</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Frutti di Mare. Zwei Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Genesung — Sein Todfeind — Gedankenschuld. Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Phantasieen und Märchen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Müller, Hans</em>, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Olfers, Marie v.</em>, Neue Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Vernunftheirat und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausgegeben von <em>H. W. Seidel</em>. 2. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="trnote chapter"> +<p class="transnote"> +Anmerkungen zur Transkription +</p> + +<p> +Der Zensurstempel „A. g. XIII.“ wurde von der Titelseite entfernt. +</p> + +<p> +Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: futtern, +Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a. +</p> + +<p> +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. +Weitere Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, +sind hier aufgeführt (vorher/nachher): +</p> + + + +<ul> + +<li> +... sich des guten Gewissens erfreuen, <span class="underline">den</span> solch ein ...<br /> +... sich des guten Gewissens erfreuen, <a href="#corr-2"><span class="underline">das</span></a> solch ein ...<br /> +</li> + +<li> +... mit <span class="underline">einen</span> Male einen feierlichen Gesang. ...<br /> +... mit <a href="#corr-5"><span class="underline">einem</span></a> Male einen feierlichen Gesang. ...<br /> +</li> + +<li> +... Das kam <span class="underline">dem</span> Jurris hart an, aber was sollte ...<br /> +... Das kam <a href="#corr-8"><span class="underline">den</span></a> Jurris hart an, aber was sollte ...<br /> +</li> + +<li> +... Gespielen <span class="underline">betrachtet</span>. Das Reiten und Fahren ...<br /> +... Gespielen <a href="#corr-9"><span class="underline">betrachten</span></a>. Das Reiten und Fahren ...<br /> +</li> + +<li> +... Räder mahlten, und die <span class="underline">Achseln</span> schlackerten. ...<br /> +... Räder mahlten, und die <a href="#corr-10"><span class="underline">Achsen</span></a> schlackerten. ...<br /> +</li> +</ul> +</div> + + +<pre style='margin-top:6em'> +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + +This file should be named 63946-h.htm or 63946-h.zip + +This and all associated files of various formats will be found in: +http://www.gutenberg.org/6/3/9/4/63946/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this ebook. + +Title: Litauische Geschichten + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at + https://www.pgdp.net + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + + Litauische Geschichten + + + + + Litauische Geschichten + + + Von + Hermann Sudermann + + 2.-25. Auflage + + + Stuttgart und Berlin 1917 + J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger + + + Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten + + Für die Vereinigten Staaten von Amerika: + Für die nachstehenden Erzählungen »Die Reise nach Tilsit« und + »Miks Bumbullis« + Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin + + + Seinem lieben und verehrten Freunde + Ökonomierat Scheu + auf Adl. Heydekrug + zugeeignet + + + + + Inhalt + + + Seite + Die Reise nach Tilsit 9 + Miks Bumbullis 69 + Jons und Erdme 141 + Die Magd 349 + + + + + Die Reise nach Tilsit + + +Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am Haff liegt Wilwischken. Und +wenn man von dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen will, muß +man so nah an den Häusern vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn +aus mit ein paar Zwiebeln -- es können auch Gelbrüben sein -- die +Fenster einzuschmeißen. + +Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich schade. Denn +Wilwischken ist ein sauberes Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner +betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei einträgliche Acker- und +Gartenwirtschaft, und die Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt. + +Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, die an der Mündung der +Parwe gleichsam die scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas +Balczus. + +Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher Fischer, der bei jedem +Raubfang sein Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der am +Montagabend seine Barsche in Heydekrug unterm Preis ausbietet und am +Dienstagnachmittag betrunken heimfährt; der Ansas Balczus ist beinahe +schon ein Herr, der mit den Deutschen deutsch spricht wie ein Deutscher, +der sich sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der sich bei seinen +Prozessen so gut zu verteidigen weiß, daß er die Anwaltskosten sparen +kann. + +Er hat sich auch eine feine Frau genommen, der Ansas Balczus. Sie stammt +aus Minge und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, dem die großen +Haffwiesen gehören. Daß er die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte +keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und sie ging so blaß und +sanft an ihnen vorbei, als ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre. + +Nun _hat_ er sie aber und kann stolz auf sie sein. Sie hat ihm drei +hübsche Kinder geboren, und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie +mit der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. Ihre Butter wird ihr +von den Händlern schon weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt, +ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und breit, und im +Brautwinkel stehen seit vorigen Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man +erzählt sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie sieben Jahre alt +sein wird, ein Klavier kaufen will. + +Und dabei geht sie noch ebenso sanft und blaß ihres Wegs, wie sie es als +Mädchen getan hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn man sie +anspricht. + +So ist die Indre Balczus. Und wenn _ich_ der Ansas wäre, ich würde meine +Hände zum Himmel heben, morgens und abends, daß _sie_ meine Frau ist und +keine andere. + +Und so war es auch früher, aber seit die Busze als Magd ins Haus +gekommen ist, hat es sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die +Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, wenn von dem Hof +des Balczus Schimpfen und Weinen herüberschallt. + +Das Schimpfen kommt von dem Ansas. _Die_ Stimme kennt ein jeder. Aber +weinen tut nicht die Indre -- _wenn_ sie's tut, so nur ganz leis und in +der Nacht --, es sind die drei Kinder, die da weinen über all das Üble, +das ihre Mutter erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein Lachen +darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart wie Glas und schadenfroh wie +Hähergeschrei. + +Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. Wenn sie nicht selbst eine +Besitzerstochter wäre und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes, +hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten können. Warum muß die +überhaupt dienen gehen mit ihren blinkernden Achataugen und dem Fleisch +wie von Apfelblüten? Wer weiß, wie vielen die schon die Köpfe verdreht +hat! Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn sie irgendwo einen +ganz verrückt gemacht hat, dann lacht sie und geht in einen anderen +Dienst. + +Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun als das leibhaftige +Gegenteil der stillen und sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und +rumort vom Morgenstern an bis in die späte Nacht, schafft für dreie und +wird schon aufgebracht, wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen. + +Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer gewesen ist, kennt sie +überhaupt keinen Spaß mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie die +Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und er ist schwach und tut, was +sie will. + +Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, wo die Frau arm eingezogen ist +oder aber kränklichen Leibes und darum die Dinge gehen läßt, wie sie +gehen. Aber der Indre gegenüber, dem reichen Jaksztat seiner schönen +Tochter, die bloß zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so einem +Biest auflegen zu können, da versteht man die Welt nicht mehr. + +Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen ist und sie geschlagen hat, +kommt die Nachbarin, die Ane Doczys, zu ihr und sagt: »Indre, wir können +das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. Wir haben beschlossen, ich +schreib's deinem Vater.« + +Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, und sagt: »Tut's nicht, +sonst nimmt er mich mit, und was wird dann aus den Kindern?« + +»Wir tun's doch,« sagt die Doczene, »denn solch ein Frevel darf nicht +sein auf der Welt.« + +Und die Indre bittet auch noch für ihren Mann und sagt: »Spricht es sich +immer weiter herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. Heiraten darf +er sie nicht wegen des Ehebruchs. Auf den müßt' ich klagen, denn nur so +kann ich die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt betrinkt er sich +immer häufiger. Was dann erst wird, das überlegt sich ein jeder.« + +»Aber soll denn das immer so fortgehen?« fragt die Doczene. + +»Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, wenn sie genug gehabt +hat,« sagt die Indre, »und mit ihm wird sie's nicht anders machen.« + +Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, wie Nachbarinnen sind, denen +es morgen ebenso gehen kann, warnt sie wieder und wieder. + +»Wir haben uns auch erkundigt,« sagt sie, »das sind dann immer +Saufbengels gewesen und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann läßt die +nicht los.« + +Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, was für einen +vortrefflichen Mann sie gehabt hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie +weint und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie wendet nur ein +wenig das eingefallene Gesicht und sagt: »Wie Gott will.« + +Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will. + +Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem Mann, der auf der Ofenbank liegt +und schläft: »Doczys,« sagt sie, »hier sind die Wasserstiefel. Setz die +Segel ins Mittelboot, wir fahren nach Minge.« + +»Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?« fragt er ungehalten; denn wer +schläft, will Ruhe haben. + +Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, daß es ihr morgen ebenso +gehen kann, fackelt nicht viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch +noch die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe Stunde später fahren +die beiden nach Minge. + +Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat in Wilwischken an. Er ist nicht +zu Kahn gekommen, das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, sondern hat +den Umweg über Land nicht gescheut, um seinem Schwiegersohn mit dem +Verdeckwagen und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die Nase zu +reiben, welcherart das Haus ist, aus dem seine Frau herstammt. + +Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch alle. Der o-beinige, kleine +Mann mit dem lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen +war ja bekannt genug. Als er starb, ist er schließlich gar nicht so +reich gewesen. Aber das tut nichts zur Sache. + +Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht als erste das Fuhrwerk +vorfahren und tritt aus dem Hause. + +Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, und funkelt ihn an. + +Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die Peitsche aus der Hand und +reißt ihr eins über. Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm +herunter flammt die Strieme. + +Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, zieht ihn vom Wagen und fängt +ihn mit den Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt vom Bock, der +Ansas Balczus kommt aus dem Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen +gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson zu entreißen. Weiß Gott, +sie hätte ihn sonst vielleicht umgebracht. + +So schlimm dies Vorkommnis an und für sich sein mag, in der nun +folgenden Unterredung gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit vom +Wege abgekommen ist der Ansas Balczus doch noch nicht durch seine +Kebserei, daß er nicht wüßte, welche Schande ein solcher Empfang dem +Hause weit und breit bereiten muß. + +Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem hinter die Ohren +gestrichenen gelben Flachshaar und dem braunen Sommersprossengesicht vor +dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen lassen soll. + +Der schnauft immerzu vor Zorn und weil ihm noch vom Herumrangen die Luft +fehlt. + +»Wo ist deine Frau?« + +Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine Frau ist? Die läuft in ihrer +Ratlosigkeit oft genug aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf und +Schlägen sicher ist. + +»Ich bin der reiche Jaksztat!« schimpft der Alte. »Mir soll so was +passieren!« + +Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, so gut es geht. Aber was +kann er viel sagen? + +»Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort aus dem Hause!« + +»Na, na,« brummt der Ansas. Wäre das nicht eben geschehen, so hätte er +wahrscheinlich die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei _seine_ +Wirtschaft, hier hab' er allein was zu sagen, aber jetzt brummt er bloß: +»Na, na.« + +Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, und nun legt er los. Es +gibt nicht viel Schimpfwörter im Litauischen, die der Ansas für sich und +sein Frauenzimmer _nicht_ zu hören gekriegt hat in dieser Stunde. + +Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt auf der Ofenbank und +weint. + +Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden Ältesten aus der Schule +geholt und geht über den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, schlank +und rank, geradeso wie die katholische heilige Jungfrau. + +Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt sie zusammen, setzt das +Kindchen auf die Erde und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am +raschesten verstecken. + +Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür hinaus -- und sie packen -- und +sie hereinziehen -- hast du nicht gesehen! + +»Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,« fährt er den Schwiegersohn an, +»und küssest den Saum ihres Gewandes!« + +So ohne Willen, wie der auch ist, das will er doch nicht. Aber der Alte +hilft kräftig nach, und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem +Schluchzer: »Ich weiß, ich bin ein Sünder vor dem Herrn.« + +»Steh auf, Ansas,« sagt sie in ihrer milden Weise und legt die Hand auf +seinen Kopf. »Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt du es mir +nachher nicht, und es bleibt alles beim alten.« + +Ach, wie gut hat sie ihn gekannt! + +Aber vorläufig geht er auf alles ein und verspricht dem Alten, daß die +Busze mit seinem Willen den Hof nicht mehr betreten soll und daß sie +jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll. + +Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht zu verlangen. Aber er besteht +darauf. Er hätte es lieber nicht sollen. + +»Die Busze! Wo ist die Busze?« + +Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht mit einem Taschentuch verbunden +wie eine mit Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat sie eine nasse +Schürze gewickelt. Zum Kühlen. + +Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei ganz freundlich an. + +»Na also, was ist?« sagt sie. »Ich hab' zu tun.« + +»Du hast hier nichts mehr zu tun,« sagt der Alte, »und das wird dir dein +Brotherr gleich klarmachen.« + +»Da bin ich doch neugierig,« trumpft sie als eine, die ihrer Sache +sicher ist. + +Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen und wo aufhören. Aber weil sie +mit ihrem verbundenen Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, wird es +ihm leichter. Er stottert was von »Hausfrieden« und »man muß Opfer +bringen« und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus. + +Sie lacht laut auf und lacht und lacht. »Haben sie dich richtig +kleingekriegt, du Dreckfresser?« sagt sie. »Ums übrige wirst du ja bald +wissen, wo du mich finden kannst.« + +Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür hinter sich zu. -- -- -- + +Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. Und anfangs scheint es auch +so. Der Ansas tut freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen auf +den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt er ihr aus dem Hofmannschen +Laden sogar ein Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen Blick, und +wenn er kann, geht er ihr aus dem Wege. + +Die Indre schreibt nach Hause: »Es ist alles wieder gut.« Aber auf das +Papier sind ihre Tränen gefallen. + +Denn die Busze ist immer noch da. Sie hat sich bei den Pilkuhns +eingemietet, die hinten am Abzugsgraben wohnen, und was das für Gesindel +ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. Sie tut so, als arbeitet sie in +den Wiesen, aber man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man sie +irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, den beiden Kindern, wenn sie +aus der Schule kommen, Gerstenzucker zu schenken. + +Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel wird? Kein Mensch weiß. Er geht +an der Parwe entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, daß sich +kein Abendrot zum Wasser hinfindet. Und die Leute, die vor den Türen +sitzen, reden leise hinter ihm drein: »Jetzt trifft er sich mit der +Busze.« + +Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich wirklich mit der Busze. + +Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet, sitzen sie bis in die +Nacht hinein und schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was sie auch +übersinnen, -- die Frau, die Indre, steht immer dazwischen. + +»Laß dich scheiden!« + +Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die Kinder! Der Endrik, der +Älteste, soll einmal das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm selbst +aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst gar Klavier spielen. +Solche Kinder stößt man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar nicht +zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, der reiche Jaksztat, die +zweite Hypothek hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er kündigt? + +Aber die Indre muß fort! Die Indre muß aus dem Wege! Die Indre mit ihrem +Buttergesicht. Die Indre, die ihm nachspioniert. Die Indre, die +allabendlich von Tür zu Tür läuft, um ihn schlecht zu machen vor den +Leuten. Die Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches gibt, was sie +nicht erzählt von ihm. Sogar daß er einen Bruchschaden hat, hat sie +erzählt. Woher sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht ist +sie bei all ihrer Scheinheiligkeit. + +Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene Sache. Es fragt sich bloß, +wie. + +Er natürlich will nichts davon hören, aber es muß ja doch sein. + +Manche Frauen sterben im Kindbett -- man braucht kaum einmal +nachzuhelfen, aber das kann lange dauern und bleibt eine unsichere +Sache. + +Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei mal zwei vier ist. Und wer's +dann getan hat, weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? Aber die +Indre geht nicht aufs Wasser. Das ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal +auf dem Wasser gewesen. + +Sie wird schon gehen -- man muß ihr nur zureden. + +Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig 'reinspringen? Ja, selbst _wenn_ +sie's täte, wer würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, sitzt man +auch schon in Untersuchung. + +Gift oder Ertrinken -- es ist ein und dasselbe. + +Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die Busze weiß Rat. + +Ob er schwimmen kann. + +Er kann schon schwimmen. Aber in den schweren Stiefeln nutzt das nichts. +Da wird man auf den Grund gezogen wie die »Kulschen« -- die kleinen +Steine im Staknetz. + +Dann muß man barfuß 'raus. Jetzt im Sommer fährt jeder barfuß 'raus. + +Er, der Ansas, hat das nie getan, und das wissen die Leute. + +Ob die Indre schwimmen kann. + +Wie die bleiernen Entchen -- so kann die Indre schwimmen. + +»Also, es wird gehen,« meint nachdenklich die Busze. + +»_Was_ wird gehen?« + +Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen Sommer, an der Windenburger +Ecke, wobei die zwei Fischer ums Leben gekommen sind? + +Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der eine der Toten ist ja sein +Vetter gewesen. + +Ob er auch weiß, wie es geschehen ist. + +Genau weiß es niemand, aber man nimmt an, daß sie betrunken gewesen sind +und die gefährliche Stelle verschlafen haben, die Stelle hinter dem +Leuchtturm, wo der Wind plötzlich einsetzt und wo man scharf aufpassen +muß, will man nicht kentern wie ein zu hoch geladener Heukahn. + +Ob man das Kentern nicht auch künstlich machen kann! + +Ja, wenn man durchaus ersaufen will. + +Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten kann! + +Bis an Land schwimmt keiner. + +Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen kann mit Binsen oder +Schweinsblasen, die einen stundenlang über Wasser halten! + +Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich und würde bemerkt werden. + +Dann müßte man sie nach dem Gebrauch aus der Welt schaffen. + +»Ja, aber wie?« + +Die Busze wird nachdenken. + +So reden und beraten sie Stunden und Stunden lang, Nacht für Nacht. Die +Busze fragt, und er antwortet. Und aus dem Fragen und dem Antworten +backen sie bei langsamem Feuer den Kuchen gar, an dem die Indre sich den +Tod essen muß. + +Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie sie am besten zu dem Ausflug +zu bringen ist. Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, ehe der +Schlag geführt werden kann. Wo aber die Gründe hernehmen, um die +häufigen Fahrten zu rechtfertigen? -- Und wie selten auch weht der Süd +oder der Südwest, bei dem allein das Unternehmen gelingen kann, und noch +dazu in der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas Besonderes gefunden +werden, ein Grund wie kein anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig +macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt. + +Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer wieder ans Herz, heißt es +freundlich zu der Indre sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird und +auch die Nachbarn glauben können, es sei nun alles wieder in Ordnung. + +Und er ist freundlich zu der Indre -- so freundlich, wie's einer +versteht, der sich nie im Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz +klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, er bessert den +Stöpsel im Rauchfang, er küßt sie beim »Guten Tag« und »Gute Nacht«, und +er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt sie nicht an. + +Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn er um Mitternacht +heimkommt, um den Dunst der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor an +sich herumträgt. + +Und schließlich -- die Busze hat es so verlangt -- bringt er auch das +schwerste Opfer und geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht. +Von nun an verkehren sie nur durch den Briefträger. Die Aufschriften +sind von einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er weisgemacht hat, +er könne nicht schreiben, auf Vorrat gefertigt, und drinnen stehen +Zeichen, die nur sie beide verstehen. + +So muß auch die Indre glauben, der heimliche Verkehr habe aufgehört. +Aber täuschen läßt sie sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe +sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn er sich vor ihr wunder +wie niedlich macht, denkt sie bei sich: »Wie seh' ich ihn doch durch und +durch!« + +Eines Tages kommt er besonders liebselig auf sie zu und sagt: »Mein +Täubchen, mein Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich möchte dir +gern etwas Gutes bereiten, such es dir aus.« + +Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er Hinterhältiges im Sinne +führt. Und sie sagt: »Ich brauche nichts Gutes. Ich hab' ja die Kinder.« + +»Nein, nein,« sagt er, »es muß sein. Schon wegen der Nachbarn. Auch +deinem Vater will ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. Weißt du +nichts, so denke nach, und auch ich werde mir den Kopf zerbrechen.« + +Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber sie weiß noch immer nichts. + +Da sagt er: »Nun, dann weiß ich es. Du hast noch nie die Eisenbahn +gesehen. Laß uns nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn +siehst.« + +Sie sagt darauf: »Die Leute erzählen sich, daß die Eisenbahn nächstens +bis nach Memel geführt werden soll, und Heydekrug wird dann eine Station +werden. Wenn es so weit ist, kann ich ja einmal zum Wochenmarkt +mitfahren.« + +Aber er gibt sich nicht zufrieden. + +»Tilsit ist eine schöne Stadt,« sagt er, »wenn du nicht hinfahren +willst, so weiß ich, daß du einen bösen Willen hast und an Versöhnung +nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne habe, als dir zu +Gefallen zu leben.« + +Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte mit der Magd wirklich +aufgegeben hat, und sie beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden. + +Und sie sagt: »Ach Ansas, ich weiß ja, daß du es nicht aufrichtig +meinst, aber ich werde dir wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind wir +ja alle in Gottes Hand.« + +Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot werden kann wie irgend ein +junges Ding. Und weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und schämt +sich draußen. Aber ihm ist zumut, als _muß_ er es tun und ein Zurück +gebe es nicht. Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel vorwärts +schuppst, so ist ihm zumut. Und darum fängt er an demselben Tage noch +einmal an. + +»In Tilsit ist ein Kirchturm,« sagt er, »der ruht auf acht Kugeln, und +darum hat ihn der Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen wollen. Er +ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine so merkwürdige Sache muß man doch +sehen.« + +Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber nichts. + +»Außerdem,« fährt er fort, »gibt es ja ein Lied, das geht so: + + Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch! + Ich liebe dich heute wie einst, + Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch, + Wenn du sie nicht manchmal bescheinst. + +Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne Stadt Tilsit ist.« + +Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch einmal an, und er wird +wieder rot und redet rasch von anderen Dingen. + +Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: »Nun, wann werden wir +fahren?« Als ob es längst eine abgemachte Sache wäre. + +Sie denkt: »Will er mich los sein, so kann er es auf tausend Arten. Es +ist das Beste, ich füge mich.« + +Und zu ihm sagt sie: »Wann du wirst wollen.« + +»Nun, dann je eher, je besser,« sagt er. + +Es wird also der nächste Morgen bestimmt. + +Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, läuft er am Nachmittag von +Wirtschaft zu Wirtschaft und sagt: »Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß ich +mich schlecht aufgeführt habe. Aber von nun an soll alles anders werden. +Zum Zeichen dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt nach +Tilsit machen. Damit will ich sozusagen die Versöhnung festlich +begehen.« + +Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch noch. Genau, wie die Busze es +vorhergesagt hat. + +Was aber tut die Indre inzwischen? + +Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, schreibt auf ein Papier, was sie +am Alltag und am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke Leinwand, +die sie selber gewebt hat, künftig einmal zu verschneiden sind. Auch +ihre Kleider verteilt sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, und +die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt sie noch ihr Leichenhemde +bereit und was ihr sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann ist +sie fertig. + +Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. Sie denkt: »Ihr Armen werdet +schlechte Tage haben, wenn die Busze erst da ist.« + +Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz nachdem der Ansas dagewesen +ist, und sagt: »Dem Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, daß +ich von dieser Reise nicht wiederkommen werde.« + +Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: »Warum sollst du nicht +wiederkommen? Nach Tilsit ist bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch +ein Versöhnungsfest sein.« + +Die Indre lächelt bloß und sagt: »Wir werden ja sehn. Darum versprich +mir, daß du auf die Kinder achtgeben wirst und dem Großvater schreibst, +wenn es ihnen nicht gut geht.« + +Die Ane weint und verspricht alles, und die Indre geht heim. Sie bringt +die Kinder zu Bett und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ... + +In der Frühe, lang' vor der Sonne, fahren sie ab. + +Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider an, und auch sie hat sich +geschmückt, denn es soll ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die +rote, grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, in dem sie vor +neun Jahren mit ihm zur Versprechung nach der Kirche gefahren ist, und +ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen. + +Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen und in dem vorderen +Abschlag verstaut. + +Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten Wichsstiefel in der Hand. Im +letzten Augenblick bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand +gepackt, das wirft er neben sich vor das Steuer und sieht sie verstohlen +dabei an, als ob er eine Frage erwartet. + +Aber sie fragt nichts. + +Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß ihm die Hände zittern. Er +will sich nichts merken lassen und sagt: »Es ist ein hübsches kleines +Windchen, wir können zu Mittag in Tilsit sein.« + +Sie sagt: »Mir ist es gleich.« + +Und er meint: »Ob es hin auch noch so rasch geht, zurück muß man +kreuzen.« + +Dann wirft er das Schwert aus und setzt auch den Raginnis, das kleine +Vorsegel. Er sitzt nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so daß sie +ihn kaum sehen kann. + +Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings in dem Wasser glucksen die +Fischchen. + +Über das weite Haff hin ist es nach Westen wie eine blaugraue Decke +gebreitet, nur drüben die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein. + +Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, dort, wo die Landzunge +sich spitz in das Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine +und wirft dann mit raschem Griff das Steuer um, denn von nun an geht es +mit vollem Wind geradeswegs nach Osten. + +So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor dieser Stelle hat sie schon +immer Angst gehabt, denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen ist, +dann war es nur hier. + +Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das liebe Minge, das in der +Ferne ganz deutlich zu sehen ist, und denkt bei sich: »Ach Vater, wenn +du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die Indre fährt.« + +Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche Stelle macht ihr das +Herz eng. + +Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung zu, die mit ihren +Grasbändern rechts und links schon lang' auf sie zu warten scheint. + +Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, breit wie die Memel selber, +von der er ein Arm ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf dem +Wasser ein Reibeisen. + +»Zwei Mundvoll mehr wären gut,« sagt der Ansas halb abgewandt zu ihr +herüber, »denn wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn merkt ihn +doch.« + +Sie denkt bloß: »Ich möchte nach Minge.« Aber Minge liegt längst weit im +Rücken. Denn drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen +Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die Leute sagen, daß, wer +darauf wohnen will, sich Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er +nicht vor und nicht zurück. + +»Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,« denkt sie, »und muß +stillhalten, wie er es bestimmt.« + +Nun macht der Strom den großen Ellbogen nach Süden hin, und die Segel +schlagen zur Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper sehen kann. +Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag vorn an der Spitze, und er +hinten am Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen. + +Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. Er rückt nach +rechts, er rückt nach links, aber es hilft ihm nichts. + +»Du armer Mann,« denkt sie, »ich möchte nicht an deiner Stelle sein.« +Und sie lächelt ihn traurig an, so leid tut er ihr. + +Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der große Herrenort, in dem so viel +getrunken wird wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner Wasserpunsch +fürchten sich ja selbst die Herren von der Regierung. + +Zuerst mit den vielen Flößen davor der Anckersche Holzplatz und eine +Sägemühle und dann noch eine und noch eine. + +Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern stromab aus Rußland kommen, +sitzen in ihren langen, grauen Hemden auf der Floßkante und baden sich +die Füße. Hinter ihnen rauchen die Kessel zum Frühstücksbrot. + +»Er wird mir wohl Gift 'reintun,« denkt sie. Aber noch hat sie das +mitgebrachte Essen in ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu sich +nehmen. + +Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen Sägemühle. Auch hier liegen +Holztriften fest, und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik machen +müssen, fangen schon an, die Kehlen zu stimmen. + +Eins von den Liedern kennt sie: + + _Lytus lynòju, rasà rasòju,_ + _O mùdu abùdu lovò gulèju._ + +Sie denkt: »Wenn alles so wäre wie einst, dann würden wir jetzt +mitsingen.« + +Die Dzimken winken ihnen auch einladend mit den Händen, aber keines von +ihnen beiden grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen während der +Fahrt noch zugewinkt, aber niemals haben sie Antwort gegeben. + +Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine traurige Gegend. Links das +Medszokel-Moor, wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das Bredszuller +Moor, das auch nicht viel wert ist. Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln +und Höhen der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem die wilden Elche +hausen. + +Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, vor sieben Jahren. Sie trug +damals die Elske im sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon wenig +mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu ihr: »Wir wollen nach Ibenhorst +fahren, vielleicht daß wir die Elche sehen.« Aber er nahm nicht wie +heute die Waltelle -- das Mittelboot --, denn damit kommt man in den +kleinen Seitenflüssen nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem +fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch das Gewirr der fließenden +Gräben, durch Rohr und Binsen, stunden- und stundenlang. Und sie hatte +den Kopf auf seinem Schoß liegen und sagte ein Mal über das andere: +»Ach, was brauchen wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz +wunderschön.« Und schließlich sahen sie doch einen. Es war ein mächtiger +Bulle mit einem Geweih rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz nahe +im Röhricht und kaute und sah sie an. Ansas sagte: »Sehr wild scheint +der nicht zu sein, ich fahr' einfach auf ihn los.« Aber die Elske in +ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte einen heftigen Sprung. Und +als sie ihm das sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren sollte. + +An jenen Frühlingstag also muß sie denken, und dabei kommt mitten aus +ihrer Ergebung der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten +Hände vor die Stirn legt und dreimal weinend sagt: »O Gott, o Gott, o +Gott!« + +Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht und über die Großmastbank zu +ihr herübersteigt. + +»Worüber klagst du eigentlich?« hört sie ihn sagen. + +Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: »Ach Ansas, Ansas, weißt du +nicht besser als ich, warum ich klage?« + +Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht stumm zum Hinterende +zurück. + +Auf einer der entgegenfahrenden Triften spielt ein Dzimke die Harmonika. + +Sie denkt: »Nun wird die Elske wohl nie mehr Klavier spielen lernen ... +und der Willus wird auch niemals ein Pfarrer werden.« Denn das hat sie +sich in ihrem Sinne vorgenommen, weil es ein gottgefälliges Werk ist. + +Sie denkt weiter: »Ich werde es mir noch vorher von ihm versprechen +lassen.« Aber wie kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen wird, so +daß sie noch Zeit behält zum Bitten? Jeden Augenblick kann es kommen, +denn oft ist alles menschenleer -- auch an den Ufern weit und breit. + +»Was mag er nur in der Sackleinwand haben?« denkt sie weiter. »Da drin +muß es sein, womit er das Schreckliche ausüben will. Aber was kann es +sein?« Das Paket ist rund und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer +so stark. Als er es vor der Abfahrt auf den Boden warf, ist kein Schall +zu hören gewesen. Es muß also leicht sein von Gewicht. + +»Das Beste ist,« denkt sie, »ich lasse es kommen, wie es kommt, und +nutze die Zeit, um Frieden zu machen mit dem Herrn.« + +Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. Sie weiß kaum einmal, +um was sie beten soll. Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. Da +braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein Floß kommt. Und so betet +sie für die Kinder. Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne. + +Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht sagen. Aber die Sonne +steht schon ganz hoch, da hört sie von drüben seine Stimme: »Bring mir +zu essen, ich hab' Hunger!« + +Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. »Jetzt wird es geschehen,« +denkt sie. Aber wie sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst +hinüberträgt und Brot und Butter dazu, da zittert sie nicht, denn jetzt +denkt sie wieder: »Nein, so kann es _nicht_ geschehen, er wird sich eine +andere Art und Weise suchen.« + +Und dann, wie er fragt: »Ißt du denn nichts?«, kommt ihr plötzlich der +Gedanke: »Es wird _gar_ nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn malt +es mir aus.« + +Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er dasitzt, in sich +zusammengekrochen und die Blicke irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser +gerichtet, bloß nicht auf sie, dann weiß sie: »Es wird _doch_ +geschehen.« + +Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: »Was hast du da in der +Sackleinwand?« + +Er zieht finster den Mund in die Höhe und antwortet: »Meine +Wasserstiefel.« Aber sie weiß, daß das nicht wahr sein kann, denn deren +Absätze sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen geklappert. + +Dann packt sie die Speisen zusammen und geht nach dem Vorderende zurück. + +Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr Kopftuch tief in die Augen +ziehen. + +Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, auch der schwarze Rand +des Ibenhorstes ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt sich die +fruchtbare Niederung, wo der Morgen tausend Mark kostet und die Bauern +Rotwein auf dem Tische haben. + +Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen liegt, der große, reiche +Marktort, in dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus und ein +gehen dürfen. »Wenn der Willus Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus +und ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja nie Pfarrer sein. Wird +etwa die Busze ihn auf die hohe Schule gehen lassen?« + +Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann kommt die Stelle, an der die +Gilge sich abzweigt. Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin im +Grünen verschwinden, fragt aber nichts. + +Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache wieder und sagt: »Du, Indre, +von nun an heißt es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die Memel.« + +Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann wird es wieder still. So +lange still, bis Ansas plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach +vorne zeigt. + +Sie wendet sich um und fragt: »Was ist?« + +»Was wird sein?« sagt er. »Tilsit wird sein.« + +Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß nach ihm. Er lacht übers +ganze Gesicht, weil sie nun bald da sind. + +»Es wird _nicht_ geschehen,« denkt sie. »_Der_ Mensch kann sich nicht +freuen, der so Schreckliches mit sich herumträgt.« + +Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so gar keine Neugier zeigt. + +»Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,« sagt er, »und hinten +steht auch Napoleons Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.« + +Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. Und so kommen sie +immer näher. + +Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, und die Eisengerüste hoch +oben, die in der Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen -- so was +hat sie wirklich noch nie gesehen. + +»Alles war Unsinn,« denkt sie. »Es wird _nicht_ geschehen.« + +Und dann kommen Holzplätze, so groß wie der Anckersche in Ruß, und +Schornstein nach Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit +Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in Memel. Denn Memel kennt sie. +Dorthin ist sie früher manchmal zum Markt mitgefahren und um die See zu +sehen. + +Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer vorgestellt. Die acht +Kugeln sind wirklich da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es gar +nicht anders sein könnte. + +Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem steinernen Ufer zu. Dort, wo er +festmacht, liegen schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren +Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus Tawe und Inse, die ihren +Fang am Morgen verkauft haben. + +»Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,« sagt einer neidisch, +»und verderbt uns die Preise?« + +Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, antwortet ihm gar +nicht. Für solche Gespräche ist er zu stolz. + +Indre breitet das weiße Reisetuch über den vorderen Abschlag und setzt +die Speisen darauf. Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat sie auch +Soleier und selbstgeräucherten Lachs mit eingepackt. Und da sie seit +halb vier in der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie jetzt, daß +ihr schon längst vor Hunger ganz schwach ist. + +Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes einander nahe gegenüber +und essen das Mitgenommene als Mittagbrot. Geld, um in ein vornehmes +Gasthaus zu gehen und sich auftafeln zu lassen vom Besten, hat Ansas +wohl übergenug. Aber das ist nicht Fischergewohnheit. + +Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, aber das Herz liegt +ihr von all dem Fürchten noch wie ein Stein in der Brust. + +Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen kann, denn die Erwartung, +ihr alles zu zeigen, läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: »Nun +kann es losgehen.« Aber vorher kehrt er noch nach hinten zurück, das +Hängeschloß zu holen, damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet. + +Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter den runden Sack, der vor dem +Steuersitz liegt. Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und +sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei erschrickt und zu ihr +herüberglupt, ob sie's auch nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer +Brust wird schwerer. + +Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und er ihr alles erklärt, denkt sie +wieder: »Es kann nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis haben.« + +Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, die breit ist wie ein Strom +und an ihren Rändern lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern kann +man sich kaufen, was man will, und alles ist viel schöner und prächtiger +als in Memel. + +Der Ansas sagt: »Hier aber ist das Schönste,« und weist auf ein Schild, +das die Aufschrift trägt: »Konditorei von Dekomin«. + +Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt macht, so beschließen sie +auch sogleich hineinzugehen und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen. + +Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die Indre da! In einer langen, +schmalen Stube, in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit von +der Wand ein Tisch, der von einem Ende bis zum andern reicht und der +ganz bedeckt ist mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten aller +Art. + +»Da wollen wir nun schwelgen,« sagt der Ansas und reckt sich. + +Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr die Stücke einzeln auf +den Teller legen. Auch einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist süß +wie der Himmel und klebt an den Fingern, so daß man immerzu nachlecken +muß. + +»Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?« fragt sie. + +»Nun, das versteht sich,« sagt er und lacht. + +Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, daß sie die Kinder +vielleicht niemals mehr sehen wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an +-- und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. Der Mund steht +ihm offen, ganz hohl sind die Backen, und die Augen schielen an ihr +vorbei. + +»Es wird _doch_ geschehen,« denkt sie und legt den Teelöffel hin, ißt +auch nicht einen Bissen mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller +verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie mit den Fingerspitzen +auf und denkt dabei -- -- ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch +er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet kein Wort. + +Also wird es _doch_ geschehen! + +Dann, wie er aufsteht, sagt er: »Nun laß dir einpacken.« Aber sie kann +nicht. »Bring _du_ es ihnen,« sagt sie, und er tritt an den Tisch und +sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, denn seine Augen gehen +immer nach ihr zurück, als will er was sagen und traut sich nicht. + +Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, die von der +Nachmittagssonne geheizt ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck +und fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies ist das und jenes ist das. +Aber sie hört kaum mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer Angst. Die +kommt und geht, wie die Haffwellen ans Ufer schlagen. + +Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, in dessen Schaufenster auch +Kindersachen ausliegen. »Wir wollen 'reingehen,« sagt sie. »Du kannst +den Kindern ein Andenken mitbringen.« + +»Andenken? An wen?« fragt er und stottert dabei. + +»An mich,« sagt sie und sieht ihn fest an. + +Da wird er wieder rot, wendet die Augen ab und fragt nichts weiter. + +Es wird also ganz sicher geschehen. + +Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze mit roten Rändern, damit +er sich nicht schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für die Elske +eine blaue Kappe gegen die Sonne und für den kleinen Willus -- was kann +es viel sein? -- ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn zu binden. +»Vielleicht werden doch noch einmal Pfarrerbäffchen daraus,« denkt sie +und verbeißt ihre Tränen. + +Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, sagt zu Ansas gewandt: +»Vielleicht haben Sie auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.« + +Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man die Indre eine »Frau +Gemahlin« nennt, was von einer litauischen Fischersfrau wohl nicht +häufig gesagt wird. + +Und der junge Mann fährt fort: »Vielleicht darf ich auf unsere echten +Schleiertücher aufmerksam machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung +erlauben darf, das, welches die Frau Gemahlin augenblicklich trägt, ist +etwas -- durchgeschwitzt.« + +Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, denn noch hat sie nicht den +Mut gehabt, sich irgendwo zu besehen. Und der junge Mann breitet eilig +seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus Spinnweben gemacht und haben +Muster wie die schönsten Mullgardinen. + +Ansas wählt das teuerste von allen -- er getraut sich gar nicht, ihr zu +sagen, _wie_ teuer es ist --, und der junge Mann führt sie vor eine +Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie sie das Tuch am Halse +geknotet hat, so daß es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, da +weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu lassen. + +»Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!« ruft er ein Mal über das +andere. »Nie hat dieser Spiegel etwas Schöneres gesehen!« + +Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der Ansas sich freut. + +Im Rausgehen wendet er sich noch einmal um und fragt den jungen Mann, ob +er wohl weiß, wie die Züge gehen. + +»Zur Ankunft oder zur Abfahrt?« fragt der junge Mann. + +Und Ansas meint, das wäre ganz gleich. + +Da lächelt der junge Mann und sagt, bald nach viere komme einer an, und +gegen sechse fahre einer ab. Man habe also die Auswahl. + +Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen sind: »Wir wollen lieber +die Abfahrt nehmen, denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.« + +Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann man da machen? + +Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: »Wenn es _doch_ geschehen +soll, warum hat er dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?« + +Und in ihr Herz kommt wieder einmal die Hoffnung zurück. + +Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, auf der ein Zettel klebt: + + _Jakobsruh_ + heute vier Uhr + _Großes Militärkonzert_ + ausgeführt von der Kapelle + des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht. + +Und darunter steht alles gedruckt, was sie spielen werden. + +Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht geworden; kaum zu fühlen +ist er. Aber sie hat Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das +augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, auch Litauer zugegen +sein dürfen -- und dazu noch in ihrer Landestracht. + +Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld bezahlt, ist +eingeladen, gleichgültig ob er »_wokiszkai_« spricht oder +»_lietuwiszkai_«. + +Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, daß es ja ein +_litauisches_ Dragonerregiment ist, welches die Musiker hergibt, macht +ihre Schamhaftigkeit etwas geringer. + +So fahren sie also in einer Droschke nach Jakobsruh, jenem Lustort, der +bekanntlich so schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so hoch und +schattengebend wie diese hat Indre noch nie gesehen, auch nicht in +Heydekrug und nicht in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden gibt und +dünne Erlen, könnte man sich von einer solchen Blätterkirche erst recht +keinen Begriff machen. + +Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden Orte noch bange genug, +denn ringsum sitzen an rotgedeckten Tischen lauter städtische +Herrenleute, und als Ansas vorangeht, einen Platz zu suchen, recken alle +die Hälse und sehen hinter ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken. + +Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. Er findet auch gleich +einen leeren Tisch, wischt mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen +und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm und ihr Kaffee und Kuchen +zu bringen. Genau so, wie es die anderen machen. + +So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man fühlt sich gut geborgen bei ihm, +und alle die Angst war ein Unsinn. + +Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut mit dünnen +Eisenständern und einem runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit +hellblauen Soldaten. O Gott, so vielen und blanken Soldaten! Während es +doch sonst nur drei oder vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik +machen. + +Zuerst kommt ein Stück, das heißt »Der Rosenwalzer«. So steht auf einem +Blatt zu lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. Wie das +gespielt wird, ist es, als flöge man gleich in den Himmel. Dicht vor den +Musikern haben sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib gefaßt und +drehen sich im Tanze. Da möchte man gleich mittanzen. + +Und hat sich doch vor einer Stunde noch in Todesnöten gewunden! + +Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und auch die Indre klatscht. + +Rings wird es still, und die Kaffeetassen klappern. + +Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie ihn etwas fragen will -- so +gut ist sie schon wieder mit ihm --, da macht er ihr ein heimliches +Zeichen nach links hin: sie soll horchen. + +Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame von ihr. + +»Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel hübscher als wir deutschen +Frauen,« sagt die Dame. + +Und der Herr sagt: »In ihrer blassen Lieblichkeit sieht sie aus wie eine +Madonna von -- --« + +Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. Auch was das ist: +»Madonna«, weiß sie nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas +gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich. + +Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit dem er gleichsam zu ihr in +die Höhe schaut, und nun weiß sie, was sie schon im Laden geahnt hat: er +ist stolz auf sie, und sie braucht nie mehr Angst zu haben. + +Dann hört die Pause auf, und es kommt ein neues Stück. Das heißt »Zar +und Zimmermann«. Der Zar ist der russische Kaiser. Daß man von _dem_ +Musik macht, läßt sich begreifen. Warum aber ein Zimmermann zu solchen +Ehren kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen trägt und immerzu +Balken abmißt, bleibt ein Rätsel. + +Dann kommt ein drittes Stück, das wenig hübsch ist und bloß den Kopf +müde macht. Das hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht. + +Aber dann kommt etwas! Daß es so was Schönes auf Erden gibt, hat man +selbst im Traum nicht für möglich gehalten. Es heißt: »Die Post im +Walde«. Ein Trompeter ist vorher weggegangen und spielt die Melodie ganz +leise und sehnsüchtig von weit, weit her, während die andern ihn ebenso +leise begleiten. Man bleibt gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und +weil die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen dürfen, wie sie +sich hat, springt sie rasch auf und eilt durch den Haufen, der die +Kapelle umgibt, und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es einsam ist +und wo hinter den Bäumen versteckt noch leere Bänke stehen. + +Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch aus den Augen, damit +es nicht naß wird, und weint, und weint sich all die -- ach, all die +ausgestandene Angst von der Seele. + +Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt ihre Hand. Sie weiß +natürlich, daß es der Ansas ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie +lehnt den Kopf an seine Schulter und sagt immer schluchzend: »Mein +Ansuttis, mein Ansaschen, bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.« + +Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun wird, aber sie kann nicht +anders -- sie muß immerzu bitten. + +Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand fest und sagt ein Mal über +das andere: »Was redest du da nur? Was redest du da nur?« + +Sie sagt: »Noch ist es nicht gut. Ehe du es nicht gestehst, ist es noch +nicht ganz gut.« + +Er sagt: »Ich habe nichts zu gestehen.« + +Und sie streichelt seinen Arm und sagt: »Du wirst es schon noch +gestehen. Ich weiß, daß du es gestehen wirst.« + +Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu gestehen hat, und sie gibt +sich zufrieden. Nur wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die Busze +sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu kalt über den Rücken. + +Mit ineinandergelegten Händen gehen sie zu ihrem Tische zurück und +kümmern sich nicht mehr um die Leute, die nicht satt werden können, +ihnen nachzusehen. + +Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden sind und statt ihrer +Biergläser stehen, bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen Herrn -- +aber kein Bier bestellt er, sondern eine Flasche süßen Muskatwein, wie +ihn die Litauer lieben. + +Und beide trinken und sehen sich an, bis Indre sich ein Herz faßt und +ihn fragt: »Mein Ansaschen, was heißt das -- eine Madonna?« + +»So nennt man die katholische heilige Jungfrau,« sagt er. + +Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: »Wenn's weiter nichts +ist.« Denn die Neidischen, die sie ärgern wollten, haben sie schon als +Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine fromme Lutheranerin +gewesen. + +Und sie trinken immer noch mehr, und Indre fühlt, daß sie rote Backen +bekommt, und weiß sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen. + +Da plötzlich fällt dem Ansas ein: »O Gott -- die Eisenbahn! Und die Uhr +ist gleich sechse!« + +Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt mit zwei harten Talern. Dann +fragt er noch nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber wie sie nun +eilends dorthin laufen wollen, ergibt es sich, daß sie nicht mehr ganz +gerade stehen können. + +Die Leute lachen hinter ihnen her, und die Dame am Nebentisch sagt +bedauernd: »Daß diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.« + +Hätte sie gewußt, _was_ hier gefeiert wird, so hätte sie's wohl nicht +gesagt. + +Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah an den Schienen entlang. Sie +laufen und lachen und laufen. + +Da mit einmal macht es irgendwo: »Puff, puff, puff.« + +O Gott -- was für ein Ungeheuer kommt dort an! Und geradeswegs auf sie +zu. + +Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen und fragt: »Ist sie das?« + +Ja, das ist sie. + +Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! Der Pukys mit dem +feurigen Schweif und der andere Drache, der Atwars, sind gar nichts +dagegen. Sie schreit und hält sich die Augen zu und weiß nicht, ob sie +weiterlachen oder noch einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie +beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und nimmt die Schürze vom +Gesicht und macht: »Puff, Puff.« Genau so kindisch, wie die Elske machen +würde, wenn sie den Drachen sähe, mit dem die Leute spazieren fahren. + +»Wohin fahren sie?« fragt sie dann, als die letzten Wagen vorbei sind. + +Und Ansas belehrt sie: »Zuerst nach Insterburg und dann nach Königsberg +und dann immer weiter bis nach Berlin.« + +»Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?« bittet sie. + +»Wenn alles geordnet ist,« sagt er, »dann wollen wir nach Berlin fahren +und den Kaiser sehen.« Dabei wird er mit einmal steinernst, als ob er +ein Gelübde tut. + +O Gott, wie ist das Leben schön! + +Und das Leben wird immer noch schöner. + +Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt an dem »Anger« vorbeikommen, +jenem großen, häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- und +Pferdemärkte abgehalten werden, da hören sie aus dem Gebüsch, das den +einrahmenden Spazierweg umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel und +sehen den Glanz von Purpur und von Flittern durch die Zweige schimmern. + +Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, der an einem Karussell +vorbeigeht, ohne begierig stehen zu bleiben. + +Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, und morgen früh will Ansas +beim Kuhfuttern sein, aber was kann der kleine Umweg viel schaden, da +man ja so wie so an vierzehn Stunden kreuzen muß. + +Und wie sie das runde, sammetbehangene Tempelchen vor sich sehen, dessen +Prunksessel und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, da weist +Ansas mit einmal fast erschrocken nach dem Leinwanddache, auf dessen +Spitze ein goldener Wimpel weht. + +Sie weiß nicht, was sie da kucken soll. + +Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen rings auf den Dächern. Es +stimmt! Der Wind ist nach Süden umgeschlagen -- und das Kreuzen unnötig +geworden. In sieben Stunden kann der Kahn zu Hause sein. + +Also 'rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt sich wohl ein bißchen -- eine +Mutter von drei Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt sie +ja keiner. Also, fix, fix 'rauf auf die Pferde, sonst geht's am Ende +noch los ohne sie beide. + +Und sie reiten und fahren und reiten wieder, und dann fahren sie noch +einmal und noch einmal, weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig +sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe geworden, und der +Himmel jagt rückwärts als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie +fahren noch immer und singen dazu: + + »Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch! + Ich liebe dich heute wie einst! + Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch, + Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.« + +Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal Freifahrt gehabt haben, +singen dankbar mit, obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können. + +Aber schließlich wird der Indre übel. Sie _muß_ ein Ende machen, ob sie +will oder nicht. Und nun stehen sie beide lachend und betäubt unter den +johlenden Kindern und streuen in die ausgestreckten Hände die Krümel der +Konditorkuchen, die sie aus Versehen längst plattgesessen haben. + +Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man sich liebt und Karussell dazu +fährt! + +Dann nehmen sie Abschied von den Kindern und den Kindermädchen, von +denen etliche sie noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg zu zeigen, +sagen sie, aber in Wahrheit wollen sie bei Gelegenheit noch ein Stück +Kuchen erraffen. Und sie hätten auch richtig was gekriegt, wenn sie bis +zur Dekominschen Konditorei ausgehalten hätten. Aber die liegt ja, wie +wir wissen, am andern Ende der Stadt. + +Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein schönes Paketchen +zurechtmachen, aber diesmal sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt +derweilen noch zwei Gläschen von dem klebrigen Rosenlikör und nimmt zur +Sicherheit für vorkommende Fälle gleich die ganze Flasche mit. + +Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die Sonne längst untergegangen. +Aber das macht nichts, denn der Südwind hält fest, und der Mond steht +schon bereit, um ihnen zu leuchten. + +Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt ein Kinderspiel. + +Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, damit die Bodenbretter +hübsch trocken sind, wenn die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie +will nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn auf die Paragge, +damit sie dem Ansas zusehen und sich im stillen an ihm freuen kann. + +Und dann geht es los. + +Die Ufer werden dunkler, und eine große Stille breitet sich aus. Sie muß +immerzu daran denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz sie drückte, +als sie vor acht Stunden desselben Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt +Atem holen kann. + +Sie möchte am liebsten ein Dankgebet sprechen, aber sie will es nicht +allein tun, denn er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er es +auch. + +Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und Steuer, denn die +Brückenpfeiler sind da und viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker +liegen. + +Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist alles. + +Alsdann breitet sich der Strom, und der Mond fängt zu scheinen an. Die +Wellchen sind ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und setzen sich +und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen. + +Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber nicht, denn der Mond steht +hinter ihr. Darum sagt er auch plötzlich: »Warum sitzt du so weit von +mir weg?« + +»Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen hab',« sagt sie. + +»Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden wie Tag und Nacht,« sagt er. + +Und sie denkt: »Bloß daß jetzt Tag ist und damals Nacht war.« + +»Darum komm herüber und setz dich neben mich,« sagt er. + +Ach, wie gerne sie das tut! + +Aber als sie ihm näher kommt, da fällt ihr Blick auf die Sackleinwand, +die zwischen seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt hat. + +Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. Sie sinkt auf die +Mittelbank nieder und lehnt ihren Rücken gegen den Mast. + +»Warum kommst du nicht?« fragt er fast unwirsch. + +Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll sie ihn fragen, soll sie's +mit Stillschweigen übergehen? Aber das weiß sie: dorthin, wo prall und +rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er sie belügt, dorthin kann sie +die Füße nicht setzen. Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen zu +treten. + +Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit zu schaffen über das, was gewesen +ist. Jetzt gleich im Augenblick. Denn später kommt sie vielleicht nie. + +Sie faßt sich also ein Herz. + +»Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, was du in der Sackleinwand +hast?« + +Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem Schlangennest in den Fuß +gebissen, aber er schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann sehen, wie +er zittert. + +Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine Schulter, aber sie hütet +sich wohl, der Sackleinwand zu nahe zu kommen. + +»Mein Ansaschen,« sagt sie, »es ist ja jetzt wieder ganz gut zwischen +uns, aber ehe du nicht alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse +nicht weg.« + +Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn schüttelt. + +»Und dann, mein Ansaschen,« sagt sie weiter, »geht es auch wegen des +lieben Gottes nicht anders. Ich hab' vorhin beten wollen, aber die Worte +blieben mir im Halse. Denn du standest mir nicht bei. Darum sag es +schon, und dann beten wir beide zusammen.« + +Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt die Arme um ihre Kniee und +gesteht alles. + +»Mein armes Ansaschen,« sagt sie, als er zu Ende ist, und streichelt +seinen Kopf. »Da müssen wir aber _tüchtig_ beten, damit der liebe Gott +uns verzeiht.« + +Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee nieder, faltet ihre Hände mit +den seinen zusammen, und so beten sie lange. Nur manchmal muß er nach +dem Steuer sehen, und dann wartet sie, bis er fertig ist. + +Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, und dann stehen sie wieder +auf und sind guter Dinge. + +Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen zu sagen. + +Sie zeigt darauf hin und will es wissen. + +Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu sehr. + +Da sagt sie: »Ich werde selber öffnen.« Und er wehrt ihr nicht. + +Und wie sie den Sack aufreißt, was findet sie da? Zwei Bündel grüne +Binsen findet sie, mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter nichts. + +Sie lacht und sagt: »Ist das die ganze Zauberei?« + +Aber er schämt sich noch immer. + +Da errät sie langsam, daß er damit nach dem Umschlagen des Kahnes hat +davonschwimmen wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im tiefen +Wasser paddeln. + +»Solch ein Lunterus bin ich geworden!« sagt er und schlägt sich mit den +Fäusten vor die Brust. + +Aber sie lächelt und sagt: »Pfui doch, Ansaschen, der Mensch soll sich +nicht _zu_ hart schimpfen, sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.« + +Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern richtet auch seine Seele +wieder auf. -- -- -- + +Wie sie sich neben ihn setzt -- denn er will sie nun ganz nahe haben --, +da merkt sie, daß sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert, +darum breitet sie zu seinen Füßen das weiße Reisetuch aus, das sie im +vorderen Abschlag verwahrt hat, und legt sich darauf -- doch so, daß ihr +Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und nun ist es genau so wie damals +in Ibenhorst, als die Elske noch unterwegs war. + +Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück nicht, was sie zueinander +reden sollen. + +Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras -- man kann den Thymian +unterscheiden und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran und das +Timotheegras -- und was sonst noch starken Duft an sich hat ... Der +Stromdamm zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. Nur wo zufällig +der Rasen den Abhang hinuntergeglitten ist, da leuchtet er wie ein +Schneeberg. Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß man immer ein +wenig aufpassen muß. + +Außer den plumpsenden Fischchen, die nach den Mücken jagen, ist nicht +viel zu hören. Nur die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt ein Gehölz +oder ein Garten, dann ist auch die Nachtigall da und singt ihr: »Jurgut +-- jurgut -- jurgut -- wazok, wazok, wazok« ... Und der Wachtelmann +betet sein Liebesgebet: »Garbink Diewa«. Sogar ein Kiebitz läßt sich +noch ab und zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte. + +Und dann kommt mit einemmal Musik. Das sind die Dzimken, die ihre +Triften während der Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber Gott +weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern sie und singen, und bei Nacht +singen sie auch. + +Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie ringsum. Einer spielt die +Harmonika, und sie singen. + +Da hört man auch schon das hübsche Liedchen »Meine Tochter Symonene,« +das jeder kennt, in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, die +Symonene! Die zu einem Knaben kam und wußte nicht wie! Das kann wohl +mancher so gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman geworden, +wenigstens hat die Symonene es so geträumt. + +»Der Willus muß ein Pfarrer werden,« bittet die Indre schmeichelnd zu +Ansas empor. + +»Der Willus wird ein Pfarrer werden,« sagt er ganz feierlich, und die +Indre freut sich. Denn was in solcher Stunde versprochen wird, das +erfüllt sich gleichsam von selber. + +So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald kommt ein nächstes. Darauf +spielt einer gar die Geige. Und die andern singen: + + »Unterm Ahorn rinnt die Quelle, + Wo die Gottessöhne tanzen + Nächtlich in der Mondenhelle + Mit den Gottestöchtern.« + +Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken erkennen die Frauenstimme und +rufen ihnen ein »_Labs wakars!_« zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß will +Ansas ihnen was Freundliches antun und läßt sich die Mühe nicht +verdrießen, das Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen. + +Nun kommen sie alle heran -- es sind ihrer fünfe --, und der Jude, dem +die Trift gehört, kommt auch. + +Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör ein, und sie erklären, so +was Schönes noch nie im Leben getrunken zu haben. + +Und dann singen sie alle zusammen noch einmal das Lied von den +Gottestöchtern, von dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei +Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen. + +Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, und die Indre auch. Und der +Jude wünscht ihnen »noch hundert Johr«! + +Wären's bloß hundert Stunden gewesen, der Ansas hätt' sie brauchen +können. + +Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal hervorgeholt ist, wäre es +unklug gewesen, sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und zu +einen Tropfen und werden immer glücklicher. + +Noch an mancher Trift kommen sie vorbei und singen mit, was sie nur +singen können, aber halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör +ihnen zu schade. + +Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, aber sie wehren sich tapfer. +Denn sonst -- weiß Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben! + +Nur eins darf der Ansas sich gönnen -- nämlich von dem Abschlag +hernieder auf die Bodenbretter zu gleiten. So kann er die Indre in +seinem linken Arm halten und mit dem rechten das Steuer versehen. + +Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner Brust und denkt selig: »Der +Endrik -- und die Elske -- und der Willus -- und nun sind wir alle fünfe +wieder eins.« + +Mit einmal -- sie wissen nicht wie -- ist Ruß da. Sie erkennen es an dem +Brionischker Schornstein, der wie ein warnender Finger zu ihnen sagt: +»Paßt auf!« + +Die Dzimken, die dort mit ihren Triften liegen, sind nun richtig +schlafen gegangen. Auch ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die +tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? Von Ruß gibt es ein +hübsches Liedchen: + + »Zwei Fischer waren, + Zwei schöne Knaben, + Aus Ruß gen Westen + Zum Haff gefahren.« + +Das singen sie aus voller Kehle, und um hernach die Kehle anzufeuchten, +wollen sie noch einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, aber siehe +da, -- die Flasche ist leer. + +Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird immer zärtlicher. + +»Ach, liebes Ansaschen,« bittet die Indre, »gleich kommt der große +Ellbogen, und dann geht es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig +sein.« + +Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist auch schon der blanke +Szieszefluß, da wo die Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine mehr an +und steuert nach links. Es geht zwar schwer, aber es geht doch noch +immer. + +Bis nach Windenburg hin, die anderthalb Meilen, läuft der Strom nun so +schnurgerade, wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man hinter der +Mündung der Mole ein wenig auszuweichen braucht. + +Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche Stelle ist, dort, wo gerade +bei Südwind der Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff seitlich stark +einsetzt, dort muß man die Sinne doppelt beisammen halten -- aber bis +dahin ist noch lange, lange -- -- ach, wie lange Zeit! + +»Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich vergeben hast, dann mußt du's +mir auch beweisen.« + +»Ansaschen, du mußt aufpassen.« + +»Ach was, aufpassen!« Wenn man so lange blind und verhext neben der +Besten, der Schönsten, neben einer Gottestochter dahergegangen ist und +die Augen sind wieder aufgetan, was heißt da aufpassen? + +»_Meine_ Indre!« + +»_Mein_ Ansaschen!« -- -- -- + +Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder nebeneinander, und der +Kahn fährt dahin, als säße die Laime selber am Steuer. + +»Ansaschen -- aber nicht einschlafen!« + +»Ach, wo werd' ich einschlafen.« -- -- + +»Ansaschen -- wer einschläft, den muß der andere wecken.« + +»Jawohl -- den -- muß -- der andere wecken.« -- -- -- + +»Ansaschen, du schläfst!« + +»Wer so was -- sagen kann, -- der schläft -- selber.« + +»Ansaschen, wach auf!« + +»Ich wach'. Wachst du?« + +Und so schlafen sie ein. + + * * * * * + +Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. Sie weckt also ihren Mann +und sagt: »Doczys, steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.« + +»Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?« fragt der Doczys, sich den +Schlaf aus den Augen reibend. »Fischen tu' ich erst morgen.« + +»Die Indre hat solche Reden geführt,« sagt die Doczene, »es ist besser, +wir fahren ihnen entgegen.« + +Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und setzt die Segel. + +Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es schon Tag, und der Frühnebel +liegt so dicht, daß sie keine Handbreit vorauf sehen können. + +»Wohin soll ich fahren?« fragt der Doczys. + +»Nach Windenburg zu,« bestimmt die Doczene. + +Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen entgegen, und sie müssen +kreuzen. + +Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf. + +Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel gedrungen -- eine +Frauenstimme. + +»Gerade drauf zu!« schreit die Doczene. Aber er muß ja kreuzen. + +Und sie kommen schließlich doch näher -- ganz nahe kommen sie. + +Da finden sie die Indre auf dem Wasser liegen, wie die Wellen sie auf +und nieder schaukeln. + +Wie hat es zugehen können, daß sie _nicht_ ertrunken ist? + +Rechts und links von ihrer Brust ragen halb aus dem Wasser zwei Bündel +von grünen Binsen, die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken +zusammengebunden. + +Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit immerzu: »Rettet den Ansas! +Rettet den Ansas!« + +Ja -- wo ist der Ansas? + +Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder hochgekommen ist, da hat +sie seine Hände gefühlt, wie er wassertretend die Binsen an ihr +befestigte. Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm. + +Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie finden ihn nicht. Nur den +umgeschlagenen Kahn finden sie. An dem hätte er sich wohl halten können, +aber er ist ihm sicher davongeschwommen, dieweil er die Binsen an Indres +Leibe befestigte. + +Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre liegt auf den Knieen und +betet um ein Wunder. + +Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei Tage später lag er oberwärts +friedlich am Strande. + + * * * * * + +Neun Monate nach dem Tode des Ansas gebar ihm die Indre einen Sohn. Er +wurde nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, das heißt +»Abschluß« benannt. Doch weil der Name ungebräuchlich ist, hat man ihn +meistens nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein ansehnlicher Mann. + +Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft in gutem Stande, die Elske hat +einen wohlhabenden Besitzer geheiratet, und der Willus ist richtig ein +Pfarrer geworden. Seine Gemeinde sieht in ihm einen Abgesandten des +Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm. + +Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt im Ausgedinge bei dem ältesten +Sohn. Wenn sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie weiß, daß +sie nun bald im Himmel mit Ansas vereint sein wird, denn Gott ist den +Sündern gnädig. + +Und also gnädig sei er auch uns! + + + + + Miks Bumbullis + + + 1 + +Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer gegangen, hatten sich +dann beim Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, wie das junger +Menschenkinder gutes Recht ist, und als sie sich dem Försterhause +näherten, verschämt und verstohlen, da war es fast schon heller Tag. + +Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe im Wohnzimmer des Herrn +noch brannte. Er winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins Haus zu +schleichen, und tat so, als sei er schon bei der Arbeit. Er machte sich +an dem Holzlager zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche +Erlenkloben zwecklos übereinander. + +Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des alten Hegemeisters auf sich zu +lenken und der Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern. + +Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den er erwartet hatte, blieb aus. + +»Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,« dachte er und setzte +erleichtert die Pfeife in Brand. + +Aber da sah er, wie vom Giebelende her die Eve mit heftigen Gebärden +nach ihm zu rufen schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und +erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie beim Nachsehen das +Bettchen der kleinen Anikke leer gefunden habe. + +Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen Neffen, das der Alte +zu sich genommen hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter aus +Gram darüber dem Lungenhusten erlegen war. Als erster Gedanke stieg dem +Grigas auf, daß nur eine der Laumen die Anikke entführt haben könne. +Denn daß diese Feen sich mit dem Wegnehmen und Auswechseln von Kindern +befassen, auch lange nachdem sie getauft sind, das weiß ja selbst der +Dümmste. + +Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung war, wollte ihm nicht Recht +geben. Die brennende Lampe -- und die Stille im Haus -- und dazu kam +noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen bemerkt haben wollte: Das +Fenster war geschlossen gewesen, aber in einer der Rauten hatten die +Scherben gehangen. + +So faßte er sich denn ein Herz und machte sich dicht vor der +erleuchteten Stube zu schaffen. + +Und beim Hineinschielen -- was sah er da? Der alte Wickelbart lag auf +dem Boden in seinem Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme +schlief das Kind. + +Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen wieder lebendig. Sie +wußten auch gleich, wer's getan hatte: »Miks Bumbullis« sagten sie fast +in einem Atemzuge. + +Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei Tagen von dem alten Hegemeister +abgefaßt worden, wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm und dazu +ein »_Tewe musso_« betete. Denn das Vaterunser ist immer gut gegen das +Abgefaßtwerden. Aber diesmal hatte es dem Miks nichts geholfen. Er hatte +sogar noch seine Flinte hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht +gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, weil er genau wußte, +daß sein Gefangener ihn während des Weges trotz seiner Schußwaffe +überwältigen würde. + +Und nun hatte er doch daran glauben müssen. Denn mit dem Miks Bumbullis +war nicht zu spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze ging, wo dem +Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt wurde, wo man dem Juden den Schnaps +auf die Straße goß, -- der Miks war überall dabei. Nun gar das verdammte +Wilddieben! + +Und er hätte es so gut haben können! Die Wirtstöchter weit und breit +waren nach ihm aus. Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für eine! Mit +einem Hof von hundertzwanzig Morgen. -- Die hatte schon zweimal den +Vermittler zu ihm geschickt. + +Aber er? Nun, da sah man's ja. + +Der Grigas und die Eve hoben das Kind aus dem starr gewordenen Arm, und +als sie ihm das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe zogen, da +wachte es nicht einmal auf. + +Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen und lächelte wie so ein +Engelchen. + +Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den Leichnam abzuwaschen und auf +die Totenbahre zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit noch ein, +daß man jeden, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist, liegen +lassen muß, wie er gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht dagewesen +sind. Und so geschah es auch. + + + 2 + +Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er trieb sich in den Krügen umher +und erklärte in seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, er sei +von dem Hegemeister beklappt worden. Darum müsse er jetzt auf ein paar +Jahr in die Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts. + +Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, streckte er die Zunge aus und +bestand darauf, daß der Krüger sich das Geld für die Zeche selber aus +der Hosentasche hole, denn er müsse die kostbaren Armbänder schonen, die +der Staat ihm geschenkt habe. + +Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit einem blonden +Unschuldsgesicht. Trug das Haar noch von der Soldatenzeit her glatt an +der Seite gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten Augen gelassen in +die Runde. + +Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, als der +Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der alte Hegemeister habe es zwar +schon lange auf ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen Mann würde er +auch sicherlich auf ihn abgedrückt haben, das hätte die Ehre von ihm +gefordert; den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer getan. + +Soweit war alles in Ordnung. + +Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten habe? + +Und nun kam die merkwürdige Wendung. + +Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue Flinte zu beschaffen. Wo, +sage er nicht. + +Was er denn mit der Flinte habe anfangen wollen, da er doch sicher +gewesen sei, alsbald verhaftet zu werden? + +Er habe über die Grenze gehen wollen, und da drüben müsse man immer was +in der Hand haben. + +Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, daß, wenn er nicht angeben +wolle, _wo_ er den Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als +abgetan betrachten könne. Aber auch das half nichts. + +Noch an demselben Tage wurde er zwischen zwei Gendarmen auf einen +Bretterwagen gesetzt und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren. +Das Publikum in Heydekrug sammelte sich am Wege und starrte ihn an. Das +schien ihm großen Spaß zu machen. + +Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission mit der dienstfertigen +Würde des guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, als +ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen Heimkunft abgefragt +wurden. + +Der Tatbestand war klar. Der Bruch der Fensterscheibe schien auf einen +Schrotschuß hinzuweisen, obwohl nur _eine_ Wunde -- dicht über dem +Herzen -- sich vorfand. Genaueres festzustellen blieb der Leichenöffnung +vorbehalten. Fußspuren ließen sich nicht entdecken. + +Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt wurde, tasteten ein halbes +Dutzend Augenpaare gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick, +der so manches Geständnis aus der Seele reißt, verging ungenutzt. +Ruhevoll -- ein wenig neugierig fast -- blickte Miks auf den liegenden +Körper nieder und sah sich dann, als suche er irgend etwas, in der Stube +um. + +Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, ein kluger, kleiner Mann, +der in der Seele des fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch +eindrucksvoller übersetzte, verhallten ungehört. + +»Ich weiß von rein gar nuscht,« blieb die einzige Antwort. + +Nur als hierauf die kleine Anikke weinend hereingeführt wurde, flog ein +Schein wie von plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge -- einen +Augenblick nur --, dann war er wieder der alte. + +Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor den fremden Männern nichts +herausbringen. Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im +Zwiegespräch ausgeplaudert hatte. + +Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor Angst nicht einschlafen +können und immerzu geweint. Da sei der Großvater gekommen, habe sie aus +dem Bettchen genommen und zu sich aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es +draußen geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und dann habe er sich +auf die Erde gelegt und sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie +eingeschlafen. + +Der Untersuchungsrichter wandte sich an Miks. + +»Als Sie auf den Hegemeister anlegten und das Kind auf seinem Schoß +sitzen sahen, schlug Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner +das unschuldige Wesen treffen könnten?« + +»Ich weiß von rein gar nuscht,« war wie immer die Antwort. Aber etwas +wie ein Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als das Kind +hinausgeführt wurde, sah er ihm mit einem Blick nach, wie der Hund nach +der Wurst. + +Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem Geständnis, wo er in der +Johannisnacht eingebrochen war. Sonderbarerweise hatte er sich den Hof +jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb Jahren auf ihn Jagd +machte. Er habe gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz einer Flinte +gewesen sei, und die habe er sich holen wollen. Es sei aber nichts zu +finden gewesen. + +Woher er das Haus so genau kenne, daß er den Einbruch mit Aussicht auf +Erfolg habe unternehmen können? + +Darauf blieb er die Antwort schuldig. + + + 3 + +Nun trat -- vorgeladen -- Frau Alute Lampsatis in die Erscheinung. Eine +hübsche Dreißigerin mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig +weggeschnürten Busen. In dem roten, fleischigen Gesicht saß ein Paar +unruhig sinnlicher Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche +glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, obwohl das reiche rotblonde +Haar keines Schmuckes bedurfte. + +In gebrochenem Deutsch, doch mit großem Wortschwall versicherte sie, sie +sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. + +Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte sie der Richter. Sie habe +nur zu bezeugen, ob sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von +einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe. + +Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand +könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. + +Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Dolmetsch +holen ließ, der sie in ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr +die Lust zu Ausflüchten verging. + +Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre Nichte -- die Madlyne --, als +die vom Johannisfeuer gekommen sei, da habe sie einen Mann aus dem +Fenster der Klete steigen sehen, der in der Richtung nach dem Walde +verschwunden sei. + +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich an. Sie glaubten den +Schlüssel zu den Aussagen der ehrbaren Witwe gefunden zu haben. + +Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte gleich mitgebracht hatte. +Sie wurde heraufgeholt und stellte sich als ein achtzehnjähriges +Püppchen dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. Sie war im +Sonntagsstaat, trug eine grünseidene Schürze über der selbstgewebten +Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus dem reichgestickten Mieder +hervorquollen. Ein Bauernmädchen wie aus der Operette. + +Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn sie sprach ein +ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, klare Antworten und konnte auf der +Stelle vereidigt werden. + +Sie war -- gleich Grigas und Eve -- gegen Morgen vom Johannisfeuer +gekommen -- + +»Allein?« + +Sie senkte schämig die langwimprigen Lider. + +»Ganz allein.« + +-- da habe sie schon von weitem den Hund bellen hören und sich darum +hinter dem Zaun versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein Mann aus +dem Fenster der »Kleinen Stube« gestiegen. + +»Ich denke, der Mann kam aus der Klete?« fragte der Richter. + +Die Klete -- der Raum, in dem die haltbaren Vorräte aufbewahrt werden -- +pflegt sich in älteren Wirtschaften unter einem gesonderten Dache zu +befinden. + +»Ak nei, ak nei,« versicherte Madlyne, und vor lauter Bekenntniseifer +schoß ihr das Blut in das Wachspuppengesicht. »Akkrat aus der Stubele is +er gekommen, das kann ich beschwören.« + +»Und wo schläft deine Tante, Madlyne?« + +»Die schläft in der Stuba -- der Großen Stube -- das kann ich +beschwören.« + +Die Große und die Kleine Stube liegen stets auf derselben Seite des +Hausflurs und sind durch eine Tür verbunden. + +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich abermals an. + +Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer Frau Alute wieder +hereingerufen. + +Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch die schwerwiegenden Folgen +eines etwaigen Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den +Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage Madlynens und dem, +was sie von ihr erfahren haben wollte, bestand. + +Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine anständige Besitzerin, und +niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt auch +der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, der ihr sämtliche +Höllenstrafen der Reihe nach vorführte. + +Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall fürchtete, auf eine +Gegenüberstellung der beiden Verwandten verzichten zu sollen, und +beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen Einbruchs der Klärung +näherzubringen. + +Ob sie eine Flinte im Hause habe. + +Sie verneinte heftig. + +Oder gehabt habe. + +Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes sei wohl ein Schießgewehr +dagewesen, womit der Selige die Karekles -- die jungen Krähen -- von den +Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann krank geworden sei, habe +er es eines Tages an den Juden verkauft. + +»An welchen Juden?« + +Das konnte sie natürlich nicht wissen. »Der Jude ist der Jude, und einer +sieht aus wie der andere.« + +Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit sorgsam umgangen +hatte, hielt den Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten +ins Treffen zu führen. + +Ob sie den Miks Bumbullis kenne. + +Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt oder auch nur befangen. + +Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht kennen. Er war ja mit ihrem +seligen Mann immer zusammen über die Grenze gegangen. + +Der Dolmetsch sah den Richter verstehend an. Schmuggeln taten sie in den +Grenzdörfern alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. Der Miks +konnte sich also wohl der Flinte erinnert haben, die sein ehemaliger +Kumpan mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem Verkauf nichts wußte, +durfte er mit etlichem Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt +herumstand. + +Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem Hause gewesen sei. + +Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal den seligen Mann des Abends +abgeholt. + +»Wozu abgeholt?« + +»Nun, über die Grenze zu gehen.« + +Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals die Flinte aufbewahrt habe. + +Sie stutzte und besann sich, als wittere sie den heimlichen Zusammenhang +der scheinbar ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen. + +Und dann fing sie an zu wehklagen und zog sich auf die Plattform der +anständigen Besitzerin zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen +könne. + +Von diesem Augenblick an war nichts mehr aus ihr herauszuholen. Auf ihre +Vereidigung wurde verzichtet. + + + 4 + +Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam heran. Eine große Zeugenschar +war aufgeboten. Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte sich +als das eines rücksichtslos strengen Verfolgers, dem schon viele Rache +geschworen hatten und dem es nie in den Sinn gekommen war, selbst +harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. So war zum Beispiel, wie +sich zufällig herausstellte, auch der selige Mann der Frau Lampsatis +durch ihn ins Gefängnis geraten. Der hatte also, wie es schien, seine +Flinte nicht bloß zum Krähenschießen benutzt. + +Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht übersehen, daß, wenn +Miks ein leidliches Alibi beibringen konnte, statt seiner ein anderer +als Täter in Frage kam. + +Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam und häufig teilnahmlos auf der +Armsünderbank. Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als in den blaß +hinstarrenden Augen malte sich die geistige Übermüdung, die diese des +scharfen Denkens ungewohnten Naturkinder oft überfällt, wenn sie ihr +Schicksal dem Spiel und Widerspiel der Zeugenschaften anheimgegeben +sehen. + +Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute keine Schuhschnalle +hervorschob, war wieder ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende +Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges Schmunzeln selbst bei den +Greisen der Geschworenenbank. + +Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute ließ sich auch heute keine +Einigung erzielen. Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre +Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt hatte, der Mann, den sie +gesehen habe, sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, daß +sie so etwas nie gesagt haben könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit +gewesen. + +Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, den er genommen haben +wollte. Er habe die unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die +Große Stube hineingetastet -- + +In der _Großen_ Stube schlief Frau Alute! Sie hätte bei seinem Kommen +erwachen müssen! + +Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er sich in die Kleine Stube +geschlichen, habe Wände und Winkel abgetastet und sei schließlich, als +das Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster hinausgeklettert. + +Warum er nicht den bequemeren Rückweg durch Große Stube und Hausflur +gewählt habe. + +Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt. + +Das klang einigermaßen glaubhaft und stimmte mit Madlynens Aussage +überein. Aber der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer Tante erzählt +haben sollte und ihrer beschworenen Aussage klaffte noch immer. Und dann +war auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, daß er in Frau +Alutes Auftrag zweimal bei Miks gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten. + +Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte vereidigt werden. Sie wurde +noch einmal ausdrücklich ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger +in die Höhe, da geschah das Unerwartete, daß Miks in die Eidesworte +hineinzusprechen anfing. + +Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach weiter. Schwerfällig, +tropfenweise fielen die litauischen Worte aus seinem Munde. + +Frau Alute horchte hoch auf und -- brach dann weinend zusammen. + +Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht und lautete: »Ich habe dir +zwar bei Gott und bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht nichts +davon zu sagen, aber es ist doch besser, daß du deine Seele nicht mit +einem Meineide beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. Drum sage +doch lieber die Wahrheit.« + +Unter Schreien und Händeringen kam, was geschehen war, nunmehr ans +Tageslicht. + +Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen in ihrem Bette. Da wurde +sie plötzlich durch Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur +näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts helfen würde, denn Madlyne +und die Magd und der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. Da fing +sie zu beten an und erwartete ihr Ende. Aber dann hörte sie plötzlich +ihren Namen nennen und erkannte Miksens Stimme. »Geh weg,« sagte sie, +»wenn ich auch nach dir geschickt habe, ich bin eine anständige +Besitzerin, und niemand soll mir was Schlechtes nachsagen können.« -- +»Ich will gar nicht bei dir schlafen,« antwortete er, »ich will bloß, +daß du mir das Gewehr gibst, das deinem Mann gehört hat, denn der +Hegemeister hat mir meines weggenommen.« -- »Das Gewehr ist nicht mehr +da,« sagte sie, »und wenn es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn +du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.« Das bestritt er, aber +sie glaubte ihm nicht. Und als er sich daraufhin wieder entfernen +wollte, sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und verlegte ihm den +Weg. Da fühlte er, daß sie im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den +Morgen. + +Die große Spannung löste sich. Die Unschuld Miksens schien erwiesen. Und +auch die Frage, warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau da war, +statt einfach durch die Haustür zu gehen, durch das Kleinestubenfenster +geklettert war, wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden +hinreichend aufgeklärt. Man war des Glaubens gewesen, Madlyne sei +inzwischen heimgekommen, und da ihre Kammer auf der anderen Seite des +Hauses lag, hätten die Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen +können. + +»Das hättet ihr gleich sagen können,« meinte der Vorsitzende. Und da auf +weitere Zeugenvernehmungen verzichtet wurde, begann der Staatsanwalt +gleich seine Rede. + +Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle wie von selber dem +Richterspruche zu. Der Losmann Miks Bumbullis wurde von der Anklage des +Mordes freigesprochen und wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis +verurteilt. + +Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch als Frau Alute, die sich +inzwischen von ihren Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf ihn +zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. Sein Blick hing wie +erstarrt an einem Platze der Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, +schmutzig und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen Äpfeln +nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt hatte. Sie war der +Vollständigkeit halber mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie +ausgesagt. + +Als Miks abgeführt werden sollte -- an Haftentlassung war natürlich +nicht zu denken --, wandte er sich noch einmal nach dem Kinde um, als +wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. Aber der Gerichtsdiener +stieß ihn hinaus. + + + 5 + +Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann zu verfallen, denn niemand +war da, der sein Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen Anikke +entspann sich ein Prozeß zwischen dem Forstfiskus und der Gemeinde, der +ihr verschollener Vater angehört hatte. Beide wollten die +Erziehungspflicht einander in die Schuhe schieben. Und da der Fiskus an +allzuviel Gemüt nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft +zwischen dem Toten und dessen verwaistem Pflegling ihm als ausreichender +Grund zustatten kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener Gast +an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits froh war, sie für ein kleines +Entgelt an den Ort abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit über +gehaust hatte. + +So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen öffentlich versteigert und +kam an den Mindestfordernden, den Häusler Kibelka, einen wenig +vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar Groschen brauchte, um +sie in Branntwein anzulegen. + +Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem Gott und Menschheit die +sorgenden Augen abgewandt haben, in seinem stummen Jammer leidet, das +hat noch niemand erkannt und beschrieben, und niemand wird es je +erkennen und beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, was Prügel und +Kälte, was vor allem das Fehlen jedes streichelnden Wortes in der noch +nicht erschlossenen Seele ersticken und zerfressen, bis aus dem in +unbewußter Zuversicht aufjauchzenden jungen Leben ein scheu zitterndes, +in sich verkrochenes, kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein geworden +ist, das verliert sich in Dunkel und Schweigen. Alljährlich wird ein +unermeßlicher Haufe von solchem Menschenkehricht ins Grab geschaufelt, +wo es zu seinem Besten hingehört. Und nur wie durch ein Wunder senkt +sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder und hebt eins oder das +andere der schon fast abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor. + +Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der Hofhund allenfalls! + +Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie er von einem gutgesinnten +Mittagssonnenschein sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das +einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. -- -- -- + +Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, sprang anschlagend auf und +fegte mit schleppender Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches. + +Anikke, die allein zu Hause war, sah einen Menschen durch das Hoftor +kommen, der sich vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte zuschritt, +an der sie sich schutzsuchend festhielt. + +Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er halt und sagte: »Ist der Wirt +zu Hause?« + +Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln gruben, aber um nichts in +der Welt hätte sie antworten können. + +»Wie heißt du?« fragte er weiter. + +In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen vergessen. + +Der Hund belferte dazwischen, und erst, als der fremde Mensch ihm mit +seinem Stock eins überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte zurück. + +Dann kam der Fremde näher an sie heran, immer den Stock vorhaltend, in +den der Hund sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt werden sollte, +und fing furchtbar zu weinen an. + +Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und mit jähem Rucke fortgezogen, +während der Hund, von einem neuen Schlage getroffen, sich um und um +kugelte. + +»Wein nicht, wein nicht, ich tu' dir nichts,« hörte sie seine Stimme. +Denn vor lauter Tränen sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang +irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie hörte zu weinen auf. + +»Bist du die Anikke?« + +»Ja--a.« + +»Willst du ein Lakritzenholz haben?« + +Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen die großen Kinder manchmal, +wenn die Schule aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab. + +Und dann gab der fremde Mensch ihr aus einer Tüte eine schöne gelbe +Stange, in die sie auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum noch +Angst vor ihm. + +Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse sah er nicht aus. Viel guter +als der Wirt. Und er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges Haar +hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. Und sie wußte jetzt auch, wo +sie ihn schon gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen wie in der +Kirche. Aber statt _eines_ Pfarrers im Talar hatte gleich ein ganzer +Tisch voll dagesessen. + +»Wie alt bist du, Anikke?« + +»Ich werd' sieben.« + +»Gehst du schon in die Schule?« + +»Nein.« + +»Warum nicht?« + +»Ich hab' nichts anzuziehen, sagt die Frau.« + +Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete lange das Lumpengezottel, +in das sie notdürftig gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt wohl +finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung des Feldes und geleitete ihn +auch ein Stück, denn sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen. + +Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er ihr die ganze Tüte, die er +solange in der Hand gehalten hatte, und sagte: »Versteck's, daß die +anderen es dir nicht wegessen.« + +Damit schickte er sie zurück und schritt in der Kartoffelfurche weiter, +bis er auf den Wirt stieß, der mit Weib und drei Kindern kniend nach +Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte und stöhnte auf seine +Art. + +Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz von den Hosen abschüttelnd +stand er auf, ihm die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht der Mörder +war, so hätte er doch immer der Mörder sein können. Sich mit ihm gut zu +stellen, war geraten. + +»Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,« sagte er, »denn wen der +Staat ernährt, der ist geborgen.« Dabei lachte er höhnisch und +einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige Maul ging ihm bis an +die Ohren. + +»Ihr habt es hier um so schwerer,« sagte Miks Bumbullis, die Fläche +überblickend, die in ihrem dürren Kraut unausgegraben dalag. + +Auch das Weib war aufgestanden und wischte sich die Hand an dem +sacktuchenen Schurzfell. Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit +scharfen, mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen gafften. + +Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. Der nasse September -- und +schon alles im Faulen -- und fremde Hilfe zu teuer. + +»Wenn Ihr billige Hilfe braucht,« sagte Miks, »ich wüßte wohl eine.« + +»Wer wird so dumm sein!« lachte der Wirt. »Selbst der Henker läßt sich +bezahlen.« + +»Ich hab' mir einiges gespart,« sagte Miks, »und wenn man mir sonst +freie Hand läßt, bring' ich noch ab und zu was in die Wirtschaft.« + +Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie rasch und gierig ein und +fragten nicht weiter. + +So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem Pfleger Anikkes. + +Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu kümmern, und es vergingen +drei Tage, ehe er sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer +sei, das da immer im Hause herumkrieche. + +Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit der Sprache heraus, denn der +Mordverdacht saß ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten +sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen waren und daß sie es eigentlich +bloß um Gottes Barmherzigkeit willen bei sich behielten. + +Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf und sagte nur: »Der Vater +soll in Amerika sein. Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er jeden +belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.« + +Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten Mittag durfte das kleine, +bleiche Lumpenbündelchen, das sonst von dem Ofenwinkel her stumm wartend +herübersah, mit den Kindern zu Tische sitzen. + +Als der Sonnabendabend kam, verschwand Miks Bumbullis und kam am +Sonntagvormittag mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet und in den +Spalten mit Erde verklebt war. + +Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt hatte, und alle standen +ringsum und sahen voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel +die Teile auseinandernahm und jeden einzelnen putzte und ölte, bis die +Waffe blitzblank und schußbereit wiedererstand. + +Und wiederum am Sonntag gab es bei den Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, +was nicht passiert war, solange die Welt stand. Alle schwelgten, und +selbst der Hofhund bekam seinen Knochen. + +Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten Kleidchen da, das der +Miks ihr mitgebracht hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen +Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr geschah. + +»Ich verstehe ja deine Meinung,« sagte der Wirt, »aber wenn der Vater +_nicht_ aus Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.« + +»Dann tu' ich's wie ihr um Gottes Lohn,« erwiderte Miks, »man muß sich +immer ein Beispiel nehmen.« + +Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem Knecht zu, denn die +Schnapsbuddel saß ihm allzeit locker. + +»Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule schicken,« meinte Miks +Bumbullis so nebenbei. + +Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. Der Gendarm sei schon zweimal +dagewesen, und sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man könne +schließlich noch Strafe zahlen. + +Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als Anikke am Montag morgen die +Kinder zur Schule begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar +eine Schiefertafel. + + + 6 + +Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun höchst angesehen im Hause. Er +pflegte das Pferd blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die +Dreschflegel gingen: »Ubags, ubags, ubags«, -- sein Schlag war immer +herauszuhören. + +Lohn forderte er nicht, und er hätte auch keinen bekommen, denn der Wirt +vertrank jeden Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich ab und zu +in der Morgen- oder der Abenddämmerung hinter der Scheune zu schaffen +machte und vorläufig nicht mehr wiederkam. + +Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, so daß sie nun ebenso +fein aussahen wie Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er mit, dem +einer nach dem anderen standhalten mußte. Kibelka meinte zwar, es sei +sündhaft, es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber schließlich +lieh auch er sich den Kamm aus. + +Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. Die warme Schule -- und das +reichliche Essen -- und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam sie hie +und da noch einen Stirnicksel, aber der tat kaum einmal weh, denn sie +fühlte in seliger Geborgenheit, daß einer da war, der sie vor +Schlimmerem beschützte. + +Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, aber ihm ganz nahe zu +kommen wagte sie nicht, denn er ermunterte sie nie. + +Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an seinem Gesicht, und als sie +die Geschichte vom lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß +der ebenso ausgesehen hatte wie er. + +Eines Abends, als der Kienspan brannte, war er besonders vergnügt und +sagte zum Ältesten, dem Jons: »Willst du reiten?« Der wollte natürlich +gern, und er nahm ihn auf sein Knie und sang dazu: »Apappa, upappa.« +Dann kam die Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. Und sie stand im +Winkelchen und dachte, die Tränen verbeißend: »Ich bin ja nur das +Ziehkind, und darum will er mich nicht.« + +Aber da sagte er auch schon: »Die Anikke muß auch.« + +Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie traute sich nicht. Dann, +als er sie hochhob, war es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken. +So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz schwindlig wurde, bis +der Jons, abgünstig geworden, einmal über das andere schrie: »Ich will +auch solange!« + +Diese Augenblicke waren das Schönste, was sie je erlebt hatte, denn daß +schon einmal einer dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten hatte, +das war ihr inzwischen aus dem Sinne verschwunden. Nur eines langen +weißen Bartes erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei der +Weihnachtsmann gewesen, von dem der Lehrer erzählte. + +Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, und wenn man gegen den +Schneesturm laufend bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete das +manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe gekauft und eine +wollengefütterte Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden +sind. Die drei Hauskinder bekamen die gleichen, so daß ein Neid nicht +entstehen konnte. + +Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X für ein U machen und sagte +mit süßsaurem Lächeln: »Meine Kinder haben es ja sehr gut bei dir, aber +der liebe Gott wird schon wissen, was du damit verhehlen willst.« + +Miks sagte darauf: »Wenn einer Kinder liebhat, was braucht er da zu +verhehlen?« und wandte sich ab. + +Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen in der Kleinen Stube, die +gut geheizt wurde, sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, wo es +jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich aus den Zeiten ihrer +Zurücksetzung so erhalten, und sie wünschte es sich gar nicht anders, +denn in der Kammer nebenbei schlief der Miks. + +Aber nun der Winterfrost gekommen war, konnte sie gar nicht recht +einschlafen und lag in ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke +frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen Morgen. + +Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von der Knechtskammer her ein +leises Knirschen und Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare +Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich wenden soll. + +Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten in ihrem Frieren die Decke +vom Leibe, ging in die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch mehr +als vor Kälte: »Miks, tut dir was weh?« + +Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. Und dann griffen +zwei Arme nach ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und wärmte +sich auf und schlief auch bald ein. + +Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und war da wie in Abrahams Schoß. + +Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß niemand etwas davon merken +konnte. Auch beachtete er sie bei Tage nicht häufiger als früher. Aber +nun grämte sie sich nicht mehr darüber, denn sie wußte ja zu allen +Zeiten, wie gut er's mit ihr meinte. + +Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. Manchmal schlief er sogar +noch früher ein als sie selber. + + + 7 + +Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, da wurde Miks Bumbullis auf +einem seiner Wege zum Walde von einer Frauensperson angerufen, die bis +zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande im Schnee saß. + +Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme gleich erkannt. + +»Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,« sagte er. »Ich habe schon +immer einmal zu dir kommen wollen.« + +»Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,« erwiderte sie, »und hätte ich +dir nicht aufgelauert, so wären auch noch drei weitere verstrichen.« + +»Das ist wohl möglich,« meinte er. »Was man nicht gern tut, verschiebt +man immer wieder.« + +»Sagst du mir das ins Gesicht?« knirschte sie, und ihre Augen blitzten +ihn an. + +»Ich sage, was wahr ist,« erwiderte er. + +»Dann will ich dir _auch_ sagen, was wahr ist!« schrie sie. »Daß _du_ +den Hegemeister erschossen hast -- daß deine Flinte da, mit der du's +getan hast, _meine_ Flinte ist -- und daß ich meine Seele dem ewigen +Verderben verkauft habe -- und Madlynens Seele dazu, die meine +Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, was ich wollte. _Das_ +ist die Wahrheit.« + +»Und dann ist die Wahrheit,« fuhr er fort, »daß du mir die Flinte in die +Hand gegeben hast und zu mir gesagt hast: >Mein Seliger hat es schon tun +wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. Nun tu du es, sonst hast du +keine Ehre im Leibe.< _Das_ ist die Wahrheit.« + +»Und ferner ist die Wahrheit,« nahm sie ihm die Rede aus dem Munde, »daß +ich einen Tag und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich dich am +besten vor der Leibesstrafe bewahren konnte, denn wenn ich einfach +ausgesagt hätte: >Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,< dann hätte mir +keiner geglaubt. Darum hab' ich der Madlyne eingegeben, sie habe dich +aus dem Stubenfenster steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum +habe ich dir zehnmal vorgesprochen -- alles -- auch was du zu sagen +hast, wenn ich die Schwurfinger erhebe. Denn du bist ja so dumm wie ein +Deutscher.« + +»Und du bist so klug wie der Teufel,« erwiderte er. + +»Es ist gut,« sagte sie, in die Runde schauend, »daß uns hier niemand +hören kann außer den Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen. +Aber man weiß nie, was noch werden kann, wenn sich einer im Zorn +vergißt. Darum frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: Willst du +dein Versprechen halten?« + +»Ich weiß von keinem Versprechen,« stöhnte er. + +»Natürlich weißt du von keinem Versprechen, aber _ich_ weiß, daß seit +zwei Jahren die Menschen mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein +Freiwerber mehr bei mir sehen läßt -- nicht für mich und auch nicht für +die Madlyne, und seit Michaeli treffe ich keinen, der nicht speilzahnig +fragt: >Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas den Knecht spielt?< +Darum frage ich dich zum überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken, +der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?« + +Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer. + +»Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,« bat er. + +»Jawohl,« höhnte sie, »erst bis nach Fastnacht -- und dann bis zum +Palmsonntag -- und dann immer so weiter. -- Aber es soll gut sein. Bis +nach Fastnacht werd' ich warten. Schickst du dann keinen, dann weiß ich, +woran ich mit dir bin.« + +Und es klang noch fast wie ein Schöndank, was er da stammelte. + +Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal um und sagte: »Die Leute +erzählen sich, daß du das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist, +hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. Deine Seele kaufst du +doch nicht los, und der Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.« + +Damit schritt sie von dannen. + +Miks Bumbullis war von dem allen zumute, als hätte er mit der Axt eins +vor den Kopf bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, dann +taumelte er in den Wald hinein. Aber er schoß nichts, und er sah auch +nichts. Er dachte bloß immer das eine: »Ich bin bis heute sehr glücklich +gewesen und habe es nicht gewußt.« + +Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das Kind in der Nähe zu haben. Er +sicherte die Flinte und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen +konnte. + +Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag und die leisen, kleinen +Schritte nähertappten und das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm +hineinschob, da war er wieder wie im Himmel. Er fing so bitterlich zu +weinen an, wie ein Mann sonst nur in der Kirche tut. + +Da weinte auch das Kind und wußte doch gar nicht, warum. Er tröstete +sie, und sie streichelte ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er es nicht +getan. + + + 8 + +Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu keinem Handeln entschließen. +Den Freiwerber zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, denn +jedermann wußte, wie die Dinge standen. Er mußte also den Gang schon +selber machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er zu sich: »Also nächsten +Sonntag.« Und dabei blieb es. + +Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn dort hätte er ihr ja +begegnen können. + +So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. Er saß am Vormittag +in seiner Kammer und schnitzelte für Anikke an einem Springbock. Da kam +der Älteste, der Jons, eilfertig zu ihm herein und sagte: »Es ist eine +draußen, die will dich sprechen -- eine Feine.« + +Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte die Arbeit hin und ging. + +Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen Kopftuch und einer +seidenen Schürze die Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte sie an, +obgleich es noch ziemlich rauh war, und alles an ihr sah rund aus und +quoll und wippte. + +Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und fragte, ob er wohl einen +kleinen Spaziergang mit ihr machen wolle. + +»Ich will nicht, aber ich muß wohl,« sagte er. + +Und dann gingen sie zusammen zum Walde, dorthin, wo er vor einem +Vierteljahr die Alute getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort. + +»Du wunderst dich wohl, warum ich noch nicht verheiratet bin,« begann +sie endlich. »Ich kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich will +nicht.« + +»Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,« erwiderte er, »und ich +soll daran schuld sein.« + +»Schuld magst du schon sein,« erwiderte sie und lächelte, »aber anders, +als sie denkt. Wenn du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit +durchfüttern müssen.« + +»Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,« sagte er. + +»Nach menschlichem Willen geht es meistens nicht,« erwiderte sie. »Und +wenn du einen guten Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. Meiner +Mutter Schwester macht falsche Redensarten. Es könnte sein, daß es eines +Tages zu spät ist.« + +»Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch sich selber an,« warf er +ein. + +»Und mich genau ebenso,« erwiderte sie, immer in der gleichen lächelnden +Weise. »Aber seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht +allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß des Hegemeisters gesessen +hat, als das Unglück geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße +sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt sie dazu. Und keiner +weiß. Aber ein bedenkliches Gesicht macht ein jeder.« + +Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den dieses rachsüchtige +Geschwätz gehen würde. Und sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst +so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm und sich selber die +Grube. + +»Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,« sagte Madlyne mit ihrem +lieblichen und verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder +Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch Schlimmerem gar. »Denn +ich war ja noch sehr jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber du, +Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin ich der Meinung, du läßt keinen +Tag mehr verstreichen und kommst heute nachmittag zu uns auf den Hof. +Dann wird sie schon Ruhe geben.« + +»Wirt bei euch,« sagte er, »kann ich nur sein unter einer Bedingung: daß +Alute gut zu dem Kinde ist.« + +»Das willst du mitbringen?« fragte sie, und in ihrem Erschrecken +verschwand zum ersten Male das Lächeln von ihrem Angesicht. + +»Das will ich mitbringen,« erwiderte er beinahe feierlich, »sonst komm' +ich nie und nimmermehr.« + +Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und sah stumm in die Höhe. Und +ihre wasserhellen Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. Dann +sagte sie: »Zurzeit ist sie freilich dem Kinde noch bös gesinnt, denn +sie meint, daß du es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den Willen +tust und die Scham von ihr nimmst, wird sie sich wohl mit ihm versöhnen. +Außerdem bin ich ja auch noch da, und ich hab' Kinder sehr lieb.« + +»Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,« entgegnete er finster. + +»Wann hast du schon das Farnkraut blühen gesehen, daß du so allwissend +tust?« fragte sie und sah ihn neckend von unten auf an. + +In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal und das des Kindes +nicht gar so drohend mehr, und er sagte: »Ich werd' also kommen.« + + + 9 + +So geschah's, daß am Himmelfahrtstage Miks Bumbullis und Alute Lampsatis +im Brautwinkel saßen und die Hochzeitsgäste in hellen Haufen um sie her. +Auf dem Tische standen leckere Speisen in Menge, und über ihm hing von +der Decke herab die künstlich geflochtene Krone, in der silberglänzende +Vögel sich wiegten. + +Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und Spruchbändern reichlich +beschenkt worden, und das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe +geworfen wird -- denn niemand soll wissen, wieviel ein jeder gegeben --, +dieser unwillkommene Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die +meisten ihren guten Taler nicht loswerden konnten. + +Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, die, was einst geschehen +war, mit dem Mantel der Nächstenliebe bedeckte. + +Die Kibelkas waren auch geladen, und der Ehemann lag schon längst in +seligem Schlaf hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten sie +nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute so bestimmt. Und sie erwies +sich damit wieder einmal als die klügste von allen. Denn wenn die +ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des Hauses unter den Gästen +herumbewegt hätte, so wären Befremden und Verdacht alsbald am Werke +gewesen, den verständnislosen Klatsch noch mehr ins Böse zu wenden. + +Als nun aber die Brautsuppe kam, deren Branntwein Alute mit Kirschsaft +und Honig üppig gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst unter +den Frauen immer kühner aufflackerten, da wurde auch lächelnd des armen +Kindes gedacht, das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen war. + +»Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was Lebendiges mit in die Ehe,« +sagte eine der Nachbarinnen. »Hier tut es der Bräutigam, obwohl er noch +Junggesell' ist.« + +Und eine andere sagte: »Ihr braucht euch gar nicht erst selbst zu +bemühen. Euch fliegen die Kinder nur so vom Himmel.« + +Und eine dritte: »Kauft's den Kibelkas ab. Für eine Buddel Schnaps gibt +er euch auch die drei eigenen dazu.« + +Alute, die heute das rotblonde Haar würdig unter dem Frauentuch +versteckt hielt und auf deren Wiste eine goldene Brosche strahlte, so +groß wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles mit nachsichtigem +Lächeln an und sagte dann gleichsam überlegend: »Ihr habt eigentlich +Recht. Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, aber ich glaube, +er wird es nicht zugeben, weil es gar zu sonderbar aussieht.« + +Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal ganz harmlos und +aufrichtig war. Was denn dabei sei! Und »wenn er das Kind doch nun +einmal gern hat?« + +Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen zu lassen und die +kleine Anikke sofort aus Wiszellen zum Feste zu holen. + +Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller Freude schweigend dasaß, stieg +das Herz hoch, aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch später +noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu Dank die Stunden des Festes +verkürzen. + +Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen den Gästen herumhuschte +und wegen ihrer niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke von den +Burschen »Melinoji kielele« -- das Bachstelzchen -- gerufen wurde, war, +als sie in dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, lauschend stehen +geblieben und sagte nun mit einem Lachen hinüber: »Wenn ihr es alle +durchaus begehrt, dann bin ich die erste, die sich den Dank der Wirtin +verdienen muß, und das werde ich morgen auch tun.« + +Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem von Dank nicht viel zu lesen +stand, aber sie war schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich gegen +drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich gelassen hatten, um sich mit +ihr ein bißchen herumzureißen. + +Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel genug auf dem Hofe und am +dritten auch. Als aber alles still geworden war und die jungen Eheleute +nicht zum Vorschein kamen, da machte sich Madlyne auf den Weg und kam +zwei Stunden später mit der kleinen Anikke wieder, die ein neues, +grüngesticktes Miederchen anhatte und mit großen, sehnsüchtig +ängstlichen Augen der künftigen Heimat entgegensah. + +Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit einem Bündel, in dem die +Siebensachen des Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor in Sicht +kam, mußte er Schuhchen und Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie +nicht etwa barfuß ankam. + +Es war nun wirklich so, als ob eine kleine Prinzessin ihren Einzug +hielt. + +Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar und aß dicke Milch mit +Zucker, denn es war Vesperzeit. + +Anikke löste sich von Madlynens Hand und wollte auf Miks zueilen, da sah +sie ein Paar Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren machte; +sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts oder zurück. + +Aber da kam auch schon die lustige Madlyne ihr nach und sagte: »Warum +hast du Angst vor deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat +versprochen, sie tut dir nichts.« + +Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie ihn in der Schule gelernt +hatte, und wartete auf ein Willkommen. + +Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute noch darauf warten. + + + 10 + +Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine Anikke es schlecht gehabt +hätte, der würde sehr im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu kluge +Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch ein sichtbares Hervorkehren +ihrer Abneigung dem Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt +teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein verderben mußte. Sie tat +darum so, als ob sie das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, und +ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit durch doppelte Liebesdienste +von ihm bezahlen. + +Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt und ein treuer Verwalter. Er +arbeitete von früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln +gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, und als die Roggenaust begann, +wurde beim Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen war eine große +Veränderung vor sich gegangen. Er trieb sich nicht mehr in den Krügen +herum und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach Hause. Auch das +Wilddieben hatte er aufgegeben, und wenn die Versuchung an ihn +herantrat, nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, seine Frau +wünsche es nicht. + +Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, was der Alute einst an ihm +gefallen hatte, war sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen. +Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten und Forschesten von allen zu +eigen zu haben, und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend ein +Kopfhänger neben ihr herging. + +Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, blieb ihr freilich verborgen, +denn das geschah nur, wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte er +mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als zweie nicht nötig sind, und +ersann sich täglich neue dazu. + +Da war eines, das hieß »die Katzenfalle«. Dabei muß einer durch die +hohlen Arme des anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich für ihre +Kinderärmchen viel zu dick war, so gab das des Lachens kein Ende. Und +ein anderes »die Windmühle«. Wenn man die darstellen will, muß man sich +zwei Hopfenstangen kreuzweis am Leibe festbinden lassen und sich nun +ganz rasch um sich selber drehen. Kann der andere eine der Stangen +ergreifen und so die Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er +gewonnen. + +So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die Dämmerung hinein, aber +beileibe nicht auf dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr Lachen +nirgends zu hören war. Denn sie hatten immer ein Gefühl, als sei dies +nicht wohlgelitten. + +Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, die durfte sogar die dritte +im Bunde sein. Und dann ging es erst recht hoch her. + +Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens wo anders heftig beschäftigt. +Denn hinter dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit und breit, und +immer war ein Gejacher um sie herum und ein Gegluckse, das nahm kein +Ende. + +Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte und der Freiwerber die Stube +betrat, dann konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß er noch den +Kirschschnaps austrank, so sehr lachte Madlyne. Hinterher machte Alute +ihr stets die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht im +mindesten daran. + +»Was willst du von mir?« sagte sie. »Arbeite ich nicht ebenso fleißig +wie eine Magd? Und weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft steckt, +so arbeite ich auch für mich selber.« + +Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war alles die Wahrheit. + +Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in der Klete geschlafen, denn sie +meinte, die jungen Eheleute möchten im Hause am liebsten allein sein. +Aber weil die Burschen ihr dort bis in den Morgen keine Ruhe ließen und +der Hofhund aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte sie wieder +in die Kammer jenseits des Hausflurs über. Und Miks war neidisch auf +sie, denn in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem nahm er an, daß +die Burschen ihr selbst hierhin folgten, und er wollte nicht, daß Anikke +erwachte, wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch hatte er +freilich keinen ertappt, aber wie sollte es anders sein. + +Und so verliebter Natur war Madlyne, daß sie es nicht unterlassen +konnte, selbst ihm von ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu +geben. Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. Wie ihr ganzes +Wesen, so war auch dies von einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so +daß man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man nicht darauf eingehen +wollte. + +Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach eine einzige große +Liebkosung, die um so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie ernst +zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit der sie sich an ihn +heranschmeichelte, machte jeden Gedanken an künftige Buhlschaft +zuschanden. + +Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, hörte er sie eine Daina singen, +die lautete umgedeutscht etwa so: + + Liegt mir ein Lämmlein + Im reißenden Strome, + Frag' ich nicht lange, + Ob ich's errette, + Nein doch, ich springe ihm nach. + + Liegt der Geliebte + Im Arme der Muhme, + Frag' ich mich täglich, + Ob ihn erretten, + Und ich weiß doch nicht wie. + + Gönn' ich den Lieben + Der bösen Muhme, + Die ihm mit Tränkchen, + Aus Giftkraut bereitet, + Zankend den Schlummer verdirbt? + + Oder ich sage: + »Komm, lieber Schwager, + In meiner Kammer + Steht eine Bettstatt + -- Ach, so schmal ist das Bett! -- + + Aber zur Mauer, + Der eiskalten Mauer, + Rück' ich geschwinde, + Daß du es warm hast + Und mich im Arm hast und schläfst.« + + Soll ich's ihm sagen, + Oder verschweig' ich's, + Bis einst der Kummer + Vom Lager der Muhme + Nach dem Strome ihn treibt? + + Und hätt' ich tausend + Der Lämmlein errettet, + Ihn, den ich liebe, + Ließ ich verderben, + Und ich sprang ihm nicht nach. + +Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn er wollte sie nicht wissen +lassen, daß sie von ihm belauscht worden war. Und als er sie wiedersah +und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, konnte er es nicht +fassen, daß sie ein so finsteres und hitziges Lied gesungen hatte. + +Und ein anderes Mal, als sie die kleine Anikke auf dem Schoße hielt, +sang sie folgendes: + + Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir, + Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier, + + Ich schenkte dir Betten von Seide so weich + Und schenkte dir Gott und das Himmelreich. + + Auch einen Liebsten schenkt' ich dir wohl, + Der dich zur Kirche hinführen soll. + + Du aber, Kindchen, was schenktest du mir? + Ich lieg' alleine und bang' mich und frier', + + Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht, + Der siehet mich nicht und höret mich nicht. + + Wenn der mich wollte und ließe von ihr, + Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir. + +Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob er sie nicht einmal in die Arme +nehmen sollte. Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an all die +jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft hatten, erschien es ihm +nicht gut genug, ein »Kuszbendris« -- ein Weibsteilhaber -- zu sein; +auch mochte er um des Kindes willen das Haus nicht mit Verdacht und +Unfrieden erfüllen. + +Aber der Unfriede kam auch ohne dies. + +Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit dem Kinde von der anderen Seite +des Hauses her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren Zwischentür +kein Schloß und keine Klinke hatte und darum immer ein wenig offen +stand. + +Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau zu liegen, und machte +allerlei Ausflüchte, um sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da ihm +nichts Besseres einfiel, fing er das Leben wieder an, das er einst +geführt hatte, als das große Unglück noch nicht geschehen war. Denn nur +so konnte er die Nacht zum Tage machen. + +Er suchte die Krüge auf, von wo aus im Schutze der Dunkelheit der +Schmuggel über die Grenze ging, und da es nicht immer was zu tragen gab, +nahm er auf alle Fälle die Flinte mit, um das Frühmorgenlicht für einen +Rehbock auszunutzen. + +So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder in schlechten Ruf kam, und +Alute, die deswegen gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und ihn +noch kurz vorher einen »Schwanzeinkneifer« genannt hatte, schalt ihn nun +heftig aus, weil ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle +würde. + +Aber er kehrte sich nicht daran. + +Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und sagte: »Es tut nicht gut, +Miks, daß du so oft unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause +halten.« + +»Aus welchem Grunde wünschst du mir das?« fragte er. + +»Sieh dir das Kind an,« erwiderte sie und wandte sich ab. + +Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich genommen, +daß es der kleinen Anikke gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die +Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte seine Frau noch nie etwas +Feindseliges gegen sie unternommen. Höchstens daß sie sie nicht +beachtete. + +Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, fiel ihm auf, daß es +ungerufen nicht mehr an ihn herankam, sondern sich zaghaft in den +Winkeln herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich aus und hatte +doch während des Sommers geblüht wie ein Tausendschönchen. + +Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, aber es wollte nicht mit der +Sprache heraus. Nur weinen tat es bitterlich. + +Da legte er sich eines Abends auf die Lauer und mußte erleben, daß Alute +das Kind mit einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen +Schnallen steckten. + +Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß der Armen Kleider und Hemde +herunter und fand das Körperchen von oben bis unten mit Striemen und +blauen Flecken bedeckt. + +Da hob er den Zaum auf, den das wütende Weib von sich geworfen hatte, +und prügelte es so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. Auch +gegen Madlyne wandte er sich in seinem Zorn, und von nun an saß der +Teufel im Hause. + +Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte er oft, wenn der Kummer ihn +zur Nacht aus dem Hause trieb. + + + 11 + +So geschah es eines Novembermorgens kurz vor dem roten Sonnenaufgang, +als er durchfroren im jungen Schnee saß und gerade auf einen schönen +Bock anlegen wollte, daß er rückschauend eine Flintenmündung auf sich +gerichtet sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den er wohl kannte. + +Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, aber er wußte: es war zu +spät. Darum stand er ganz gemächlich auf und sagte: »Na, wieviel Jahr' +wird es kosten?« + +»Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet hast, Miks,« erwiderte +der stämmige Förster, der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war, +und er fügte hinzu: »Die Flinte laß liegen. Die hol' ich mir später. +Sonst könnte es passieren, daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst +und meine dazu.« + +»Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute es machen,« lachte Miks und +schlug, ohne erst viel zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er ja +doch abgeliefert werden mußte. Der Förster ging zehn Schritt weit +hinterdrein und hielt die Flinte schußbereit. + +»Dreh dich lieber nicht um,« sagte er ganz freundlich, als Miks das +Gespräch fortsetzen wollte, »sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im +Genick.« + +Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über das Geschehene nachzudenken. +Daß er von der Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber dann +plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis in die Kniekehlen hinein. Das +Kind! Was wird nun aus dem Kinde? + +»Ich Dummerjan,« dachte er, »schon wegen des Kindes allein hätt' ich es +nicht dürfen.« + +Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, wie er von der +Untersuchungshaft aus die kleine Anikke in andre Pflegschaft bringen +könnte. Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit der +Behörden auf das Kind zurücklenkte und in den Verhören irgend ein +Widerspruch laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, das Alute +damals aufgebaut hatte, davon zusammenfallen wie eine Haferhocke. + +Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb mitleidig, halb schadenfroh +den Zug begleiteten. Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat sich +der Förster. So gingen sie in halblauten Gesprächen neben dem Miks +daher, und weil sie wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand, +erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch den Mord auf dem Gewissen +habe. + +Miks Bumbullis hörte das alles. Es war ein rechter Leidensweg. + +Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem Schritte, und als er vor dem +Hause des Gendarmen ankam, hatte er ein Gefolge wie ein König. -- -- + +Miks bestritt natürlich alles. Von dem Bock wisse er nichts. Er habe nur +ein paar Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes +Verbrechen sein. + +Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden zu machen, fragte der +Richter. + +O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja bei dem Kinde bleiben. + +In der Hauptverhandlung kam er mit seinem Weibe und Madlyne wieder +zusammen. Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, das Kind möchte +nicht geladen sein, denn es war nun schon groß genug, um zu verstehen, +welche Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich nicht da war, tat ihm +das Herz weh. Er hätte es so gern einmal wiedergesehen. + +Madlyne gab sich lange nicht so adrett und fixniedlich wie dazumal, und +ihre Augen waren klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen auch +diesmal wie aus der Pistole geschossen. + +Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in Gebrauch genommen. Ja +richtig! Einmal habe er eine Eule geschossen. Das war alles. + +Alute schien ihm die schlechte Behandlung längst wieder vergessen zu +haben. Nie sei er zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, nie +habe er die Flinte vom Nagel geholt, nie habe er ein Stück Wild oder das +Geld dafür von seinen Wegen nach Hause gebracht. + +Schade, daß die Frauensleute nicht schwören durften! + +Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von ihrem Eidesrechte Gebrauch zu +machen, aber der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, ebenso wie +bei Madlyne, die ihm als Hehlerin verdächtig schien, und so blieben +beider Aussagen wirkungslos. + +Doch auch die andern, die vereidigt wurden, hielten sich wacker. Selbst +diejenigen, die ihn so und so viele Male wegen seiner Schießereien +geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je davon gehört, geschweige +denn eine Flinte an ihm gesehen zu haben. + +Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung richtete sich drohend +hinter ihm auf, und der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln +über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt mit argwöhnischer Anspielung +darauf Bezug nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse +verborgen lagen, die nur eines rächenden Anlasses bedurften, um gegen +ihn loszubrechen. + +Als der Richterspruch verkündet wurde, der ihm drei Jahre Gefängnis +zuerkannte, erhob sich Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem Auge +zu begegnen, langsam von der Zeugenbank und nickte, den Kopf feierlich +wiegend, eine ganze Weile lang zu ihm herüber. + +Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er dran dachte. + +Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, bevor er in die +Strafanstalt überführt wurde, die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, +daß dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke noch einmal zu +sehen. + +Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn als die Zellentür sich öffnete +und hinter der Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das Kind +an der Hand. + +Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, sonst wäre er vor dem +Kinde niedergekniet und hätte geweint und geweint. + +Nun aber sagte er bloß: »Da seid ihr ja alle,« und begrüßte sie +freundlich der Reihe nach. + +Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz trug und auch sonst sehr +unternehmend aussah, sagte zu ihm: »Ich könnte mich jetzt von dir +scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht +tun.« + +Er antwortete: »Tu, was du für recht hältst. Wenn du nur gut zu dem +Kinde sein willst.« + +»Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,« erwiderte sie, »aber da hast du +alles verdorben.« + +Er demütigte sich vor ihr und sagte: »Ich werde meine Fehler bereuen und +ablegen, wenn du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde sein +willst.« + +Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: »Ich verspreche es.« +Dann reichte sie ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, er möge +sie hinauslassen. + +Der Aufseher tat es und wollte auch die andern auffordern fortzugehen, +da bemerkte er, daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und weinte und +weinte. Und weil er ein guter und aufrichtiger Mann war, so schloß er +die Tür noch einmal und ließ ihn gewähren. + +Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: »Erbarm dich des Kindes!« + +Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: »Ich schwöre dir, daß ich +auf das Kind achtgeben werde.« + +»Und wenn du heiratest und weggehst, -- schwöre mir, daß du das Kind +mitnehmen wirst.« + +Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und sagte: »Ich werde nicht +heiraten.« + +Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das Kind und küßte auch Madlyne. + +Und dann war die Besuchszeit um. + + + 12 + +Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis die Nachricht, daß das Kind +gestorben war. + +Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon einige Male im Traume +erschienen. + +Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück Mitteilung machte, lautete +so: + +»Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die kleine Anikke ein seliges +Hinscheiden erlitten hat. Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es +unsre Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht zu vertreiben, habe +ich Madlyne zu einer weisen Frau geschickt, die sie nach den Regeln +besprochen hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht und ihr den Saft +mit getrockneten Quitschen zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts +versäumt worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet wie meinem +eigenen Kinde. Die Festlichkeiten haben zwei Tage gedauert, und es sind +dabei drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein ausgetrunken worden. +Nicht zu rechnen, was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen Sarg habe +ich ihr machen lassen, in dem sie sich ordentlich ausstrecken kann. Auch +ist sie in ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. Du siehst +also, daß ich mein Versprechen gehalten habe, und wenn du die Madlyne +fragen wirst, so kann sie es nicht anders sagen.« + +Von nun an erschien die kleine Anikke dem Miks Bumbullis in jeder Nacht. +Er brauchte nur die Augen zuzumachen, und sie war da. Und in vielerlei +Gestalt erschien sie ihm -- manchmal im Sarge liegend, manchmal als eine +Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal als ein Engelchen mit +gläsernen Flügeln, manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit einem +Strick um den Hals. Und immer wieder in neuen Gestalten. + +Als ein großes Glück empfand er es, daß Alute nun doch gut zu dem Kinde +gewesen war. Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn wenn sie das +Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, würde sie die Tote so heimlich +wie möglich eingescharrt haben. Aber vor allem war ja Madlyne dagewesen, +auf die er sich ganz verlassen konnte. + +Und doch mußte etwas versäumt worden sein, sonst würde die kleine Anikke +Ruhe im Grabe gehabt haben und ihm nicht immer von neuem erschienen +sein. + +Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages der Anstaltsarzt zu ihm +trat und ihn fragte, was ihm eigentlich fehle. + +»Was soll mir fehlen?« erwiderte Miks. »Ich habe satt zu essen, und +keiner ist schlecht zu mir.« + +Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. Miks tat es, aber der Arzt +fand eine Krankheit nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer +zugestoßen sei, fragte er dann. + +»Ich habe ein Kind verloren,« antwortete Miks. Aber von den +Erscheinungen sagte er nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich +immer in acht nehmen. + +Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, derselbe, der am Sonntag +gewöhnlich predigte. + +Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten an, aber er hatte sich +nicht einmal die Mühe genommen, die Akten durchzusehen, sonst würde er +gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind gar nicht besaß. + +Miks beließ ihn in seinem Irrtum und küßte ihm die Hand, um ihn glauben +zu machen, daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so weit, daß er +sich schon den ganzen Tag über auf die Erscheinung freute. Aber dann +machte er sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, denn wenn es der +Anikke im Grabe an gar nichts fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen +sein. Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man hatte ihr etwas +Erstickendes auf den Mund gelegt. Vielleicht gar auch war die Giltinne +-- die Todesgöttin -- nicht versöhnt worden, wie es nach dem Glauben +Vieler geschehen muß, so daß sie aus Rache die arme Tote allnächtlich +aus ihrem Frieden scheuchte. + +Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber er schämte sich vor den +Deutschen, die den Brief durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn +lachen würden. + +Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor ihn eines Tages +rufen ließ und ihm eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig +erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, brauche er sie auch später +nicht mehr abzusitzen. + +Er dachte: »Da kann ich nun selber nach dem Grabe sehen,« und machte +sich auf den Heimweg. + + + 13 + +Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und alle arbeiteten auf den +Feldern. Kaum einer sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet bis +nach Haus. + +Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, und er streichelte ihn, denn +das Kind hatte ihn lieb gehabt. + +Das Haus war leer und alles offen. Ihn hungerte, aber er wagte nicht, +sich ein Stück Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf seinem +eigenen Besitz. Er sah sich erst in der Kleinen Stube um, wo das +Bettchen zuletzt gestanden hatte. Aber nichts mehr war davon zu +bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der Welt. Aber dann fand er +auf Madlynens Brett ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit +Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie ihr einmal gemacht hatte. + +Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre er auf den Kirchhof +gegangen. Und so setzte er sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, +dort, wo die Sonne schien, und wartete. Dabei schlief er ein und wachte +erst auf, als die Stimmen der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden. + +Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. Sie richtete sich hoch auf +und schritt in ihren Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu, +während sie ihm ganz starr in die Augen sah. Sie freute sich nicht, aber +sie hatte auch keine Furcht. + +»Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,« sagte sie, ihm die Hand +reichend, »der Wirt ist gerade sehr nötig im Hause.« + +»Ich werde schon arbeiten,« entgegnete er. + +Dann ging sie, das Abendbrot machen. + +Madlyne war hinter ihr gekommen. Er bemerkte, daß sie ganz schmal +geworden war und daß um ihren Mund herum allerhand kleine Falten +standen. + +Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann rasch fort. + +Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, mit dem die Alute sicher +nichts vorgehabt hatte -- »drum werd' ich ihn ruhig behalten können,« +dachte er --, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil sie nicht wußte, +was sie aus ihm machen sollte. + +Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen Hahn geschlachtet. »Damit alle +erfahren, daß der Herr wieder da ist,« sagte sie. + +Sie war nun ganz freundlich und sah ihn immer von unten auf an, wie eine +Bittende. + +Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber das Fleisch auf dem Rande +liegen. + +»Warum ißt du nicht?« fragte die Madlyne, der immer die Augen voll +Wasser standen. + +»Ich will's mir bis nachher verwahren,« erwiderte er, »denn ich hab' so +was Gutes lang' nicht gehabt.« + +Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte es aber nicht an. + +Nach dem Essen trug er beides in die Kammer hinüber, wo er sich still +hinsetzte, bis es dunkel wurde. Dann holte er sich einen Topf von der +Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und Trinken hinein und +verbarg es unter seinem Rocke. + +»Ich will nur noch einen kleinen Gang machen,« sagte er, und die beiden +Frauen fragten ihn nicht, wohin. + +Das kleine Grab hatte er bald gefunden. Ein neues Holzkreuz stand zu +Kopfenden mit einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich +Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen an den schrägen Enden. +Die hatte sicherlich die Madlyne angebracht als Spielzeug für die Tote +in der langen Ewigkeit. + +Er wühlte in dem Sande des Grabhügels eine kleine Kaule aus und stellte +Topf und Flasche hinein. Dann glättete er den Sand wieder, so daß nicht +das mindeste zu bemerken war. + +Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung für den Geist der Toten +gut ist, andere aber -- und die sind wohl in der Wahrheit -- meinen, daß +die böse Giltinne damit besänftigt wird, so daß sie der abgeschiedenen +Seele die Ruhe nicht fortnimmt. + +Und dann saß er noch eine Weile und dachte bei sich: »Hier ist gut +sein.« Und ihm war, als sei er erst jetzt in die Heimat gekommen. + +Als er wieder im Hause war und alle sich zum Schlafengehen bereiteten, +sann er darüber nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte genau, +daß, wenn er sich absonderte, der Hader von neuem losgehen würde. Darum +kroch er in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie +weggewesen. + +Nun fing sie auch aus freien Stücken von dem Kinde zu reden an. Gegen +Gottes allmächtigen Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe. + +Und sie weinte. + +Er sagte nur: »Erzähle mir nichts.« Denn er wußte, daß er es nicht +ertragen würde. + +In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes ihm nicht. Er freute sich, +daß er mit der Gabe an die Giltinne das Rechte getroffen hatte. + +Als er am nächsten Morgen den Spaten schulterte, um mit den andern in +die Kartoffeln zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: »Ruh dich erst aus, +du bist noch zu schwach.« + +Und er wunderte sich, daß sie so wenig von seinen Kräften hielt. + +Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, mußte er sich setzen, denn der +Atem fing an, ihm zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die Mutter +ihr krankes Kind. -- -- -- + +Auch die Alute war von nun an immer gut zu ihm. Sie brachte ihm +Paradieskörner in Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte: +»Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt für gute Tage haben!« + +Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, und er begann schon, +der Giltinne mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken. + +Und so vertraut war er inzwischen mit der Alute geworden, daß er sich +eines Abends ein Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen sprach. +Auch von dem Mittel, das sich dagegen bewährt hatte. + +Sie lachte und sagte: »Wenn das so leicht ist, will ich dir Hähne +schlachten, so viel du willst.« + +Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und er fragte sich manches Mal, +warum er sich früher eigentlich vor ihr gefürchtet hatte. + +Auch von der Krankheit des Kindes wollte er jetzt Näheres wissen. Nicht +daß sein Kummer geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, nur hielt +er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie würde die richtige Teilnahme +haben. + +Aber Alute erwiderte: »Du Armer würdest es auch heute noch nicht +ertragen, drum warte noch eine kleine Weile.« Und so sagte sie immer +aufs neue. + +Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne zu fragen. Aber die Madlyne war +jetzt wie umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, wo sie nur konnte, +sprach bei Tisch kein Wort und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz. + +Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte sie: »Die Madlyne muß aus +dem Hause, und schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich ihr +aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack und Kasten vors Hoftor.« + +Er erschrak, daß er an einem so bösen Ende die Schuld tragen sollte, und +beschloß, das Seine zu tun, um alles zum bessern zu wenden. + +Darum ging er der Madlyne eines Morgens zum Melken nach und sagte: »Du +mußt nicht denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des Kindes etwas +nachtrage.« + +Sie stand von der Hocke auf und sagte: »Aber ich trage es mir nach.« + +Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, daß gegen Gottes +allmächtigen Willen Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe. + +Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine Schultern, sah ihn lange +mit den bohrenden Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte dann: +»Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann werd' ich dir etwas erzählen, was +zu wissen dir nottut.« + +Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: »Mir ist nach lockeren +Streichen nicht zumut. Erzähl es mir auch so.« + +»Nein,« sagte sie, »anders tu' ich es nicht.« + +»Ich werd' es mir überlegen,« antwortete er und ging aus dem Stalle. + +In derselben Nacht kam die Erscheinung wieder. Sie war in ihrem +Hemdchen, hatte auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug einen +Stengel in der Hand, aber das war ein Schierlingstengel. + +Er sagte der Alute nichts davon. Und als der Abend kam, sparte er wieder +sein Essen auf, holte sich heimlich einen Topf und trug es darin zum +Kirchhof hinaus. + +Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt geschehen, aber hinter dem +Hofzaun stand Alute und sah ihm nach. + +Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht zufrieden, denn das Kind +erschien ihm auch in der nächsten Nacht. + +»Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,« dachte er, aber ein +unbestimmtes Gefühl hielt ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn +schlachte. + +Die Erscheinung kam immer wieder, und die Unruhe verließ ihn nicht mehr. + +Da faßte er sich ein Herz, und während die Frau noch auf dem Felde war, +ging er der Madlyne nach in die Kammer. Als sie ihn kommen sah, stieß +sie einen Seufzer aus und faltete die Hände wie eine, die sich bereit +macht, selig zu sterben. + +So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an seiner Schulter lag, da +kam es ihm zur Klarheit, daß er immer und immer nur nach ihr verlangt +hatte. + +Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm beide Hände. + +Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr Versprechen erfüllen solle. + +Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: »Verlange es nicht! Verlange +es nicht!« + +Aber er verlangte es immer wieder. + +Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, und erzählte ihm, auf welche +Art Alute das Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und nimmer zu +überführen sein. + +In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens Halse, um sie zu erwürgen, +weil sie die Tat nicht verhindert hatte. + +Sie sagte: »Drück nur zu! Drück nur zu! Oben am Hühnerbalken kannst du +die Schlinge sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und wärst du +nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es auch getan.« + +Da sprang er aus dem Bette und lief nach dem Schleifstein. -- -- -- + +Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah sie einen Menschen auf +sich zustürmen, der halb angezogen war und eine Axt schwang. + +Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte sie sofort, was geschehen war +und daß es ihr nun ans Leben ging. + +Sie rannte schreiend nach der Richtung des Dorfes hin, und er mit der +erhobenen Axt hinter ihr drein. + +Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten Höfe einzubiegen, denn +sie wußte, daß kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern würde, +die Tat zu begehen. + +So lief sie weiter, und der Raum zwischen ihr und ihm verkürzte sich +immer mehr. + +Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen und erkannte gleich, daß +sie sich für heute und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles +gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand nachweisen, und der Meineid +war bald gebüßt. + +Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, da ließ er von ihr ab, +denn des Wachtmeisters Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in seinen +Fußtapfen um, und die Leute, die ihm gefolgt waren, gingen in großem +Bogen um ihn herum. + +Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei seiner Heimkehr gefunden +hatte. Auch nach Madlyne rief er umsonst. + +Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld in die Tasche, holte ein +altes Gewehr hinter den Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit +dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche von Graben zu Graben. + +Als es finster geworden war, floh er über die Grenze. Rußland ist groß. + + + 14 + +Der Gendarm erstattete die Anzeige. + +Die Herren vom Gericht nahmen sich der Sache mit großem Eifer an. Ein +Steckbrief wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen hüben und +drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen angebahnt, damit, wenn +man ihn faßte, kein Aufschub entstand. + +Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch immer frei herumlief, +lachte zu alledem und sagte: »Was gebt ihr euch für Müh'! Das Kind wird +ihn schon holen gehn.« Sie hütete sich wohl, in ihrem Hause zu bleiben, +und selbst für kurze Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn sie +fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde. + +Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen und ein paar Männern, +die dazu aufgeboten waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. Die +Männer wechselten ab, denn keiner konnte für die Dauer die Nachtwachen +vertragen. Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage streifte sie herum +wie ein wildernder Jagdhund. Wo und wann sie schlief, wußte keiner. + +Wenn einer von den fremden Gendarmen, die den hiesigen jede zweite Nacht +ablösen kamen, gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: »Ich denke, +wir stellen die vergebliche Arbeit ein, denn er müßte schön dumm sein, +uns freiwillig in die Arme zu laufen,« dann wehklagte sie und flehte mit +erhobenen Armen: »Erbarmen, Pons Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird +ihn schon holen gehn, -- wird ihn schon holen gehn.« + +Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher Zeit und gar nicht weit +vom Kirchhof Madlyne im Graben lag -- dicht an dem Wege, der von der +Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich heimlich in dem Hause +eines früheren Bewerbers auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn +nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn es dunkel wurde, schlich +sie sich hinaus auf Wache für den Fall, daß er vorbeikommen sollte. + +Manchmal war es noch kalt, und manchmal regnete es, aber sie fror nicht +und ließ sich ruhig durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen fiel +ihr schwer. Darum legte sie sich gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf +den Kopf, die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend nach +vorn überneigte. Und von dem Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach. + +Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises Stimmengeräusch oder ein +Säbelklirren sich hören; ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch +ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie höhnisch und schüttelte +die Fäuste in das Dunkel hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr. + +Aber in einer Nacht -- es mag die vierzehnte oder fünfzehnte ihres +Dienstes gewesen sein --, da muß der Schlaf sie doch überwältigt haben, +oder aber er war nicht auf dem Wege, sondern quer über die Felder +gegangen, denn plötzlich hörte sie auffahrend vom Kirchhof her Knallen +und Männergeschrei. Und die Stimme Alutens mischte sich keifend darein. + +Da wußte sie: sie hatten ihn. + +Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der plötzlich aufgeflammt war. + +Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei Männer brachten ihn geführt, +und Alute tanzte um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte und die +Zunge ausstreckte. + +In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen Flasche, die wohl +beim Kampfe mitten durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für die +Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch einmal die ewige Ruhe hatte +erkaufen wollen. + +Madlyne warf sich ihm in den Weg und küßte die eisernen Ringe, in die +sie seine blutigen Hände gesteckt hatten. + +Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch und schritt weiter -- seinem +Schicksal entgegen. + + + + + Jons und Erdme + + + 1 + +Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben nicht weit vom Matzicker +Walde zwei Liebesleute -- der Jons Baltruschat und die Erdme Maurus. + +Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben will auf Erden! Selbst +die Aller-, Allerärmsten, die kaum das nackte Leben haben, möchten ein +Nest bauen. + +Der Jons ist das, was der Litauer einen »Antrininkas« nennt, der »Knecht +eines Knechtes«. Das sagt wohl genug. + +Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr Glück machen wollen. Vorläufig +dient sie als Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus nicht weit +vom Bahnhof, das die Leute in Heydekrug meistens das »Hotel +Lausequetsch« nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten Zeit hat +es sich sehr gehoben. Sogar die besseren Viehverlader verkehren +bisweilen darin. + +Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat seine blanken Kirchgangsstiefel +an und die schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. Und die Erdme +-- die ist nun gar eine Feine! Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! +Sie hat ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft und eine +halbseidene Bluse an, die hinten zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die +Kellnerin geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen hinderlich war. + +Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber das ist auch alles. Eltern +mit Haus und Hof haben sie nicht. Überhaupt -- wo sie herstammen, davon +reden sie lieber gar nicht. + +Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um acht kommen die +Handwerksburschen, die bringen Feiertagsfladen von der Walze mit und +wollen reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr üppig zu. In der +Küche werden jetzt sogar Ölsardinen gehalten, und das Öl darf man +hinterher austrinken. + +Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. Wie wird eine Frau, die an so +vornehme Lebensart gewöhnt ist, später neben ihm aushalten wollen? + +Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was hat das alles zu sagen gegen +einen eigenen Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das Leben doch +erst eigentlich an. + +Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl -- aber wie? Die Vögel, die +ringsum Halme suchen, die haben's leicht. Denen liegt der Baustoff frei +auf der Straße, und für ihren Nestplatz brauchen sie auch nichts zu +zahlen. + +Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet ihm Mut zu. Und so ganz ohne +Vermögen sind sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch ihre +Beutelchen vor und breiten die Schätze neben sich aus, geben aber +sorgfältig acht, daß beide nicht untereinander geraten. Denn das kann +erst nach der Trauung geschehen, wenn die Gütergemeinschaft erklärt ist. + +Das Häufchen der Erdme ist viel größer als seines, so groß, daß er +beinahe argwöhnisch wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig +Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen. + +Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie kann doch Auskunft geben. +Das goldne Zwanzigmarkstück, das den Hauptstock bildet, hat ihr einmal +ein Betrunkener geschenkt, der hernach verhaftet wurde. Doch das macht +ja nichts, wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und auch das übrige +ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, wie sie Bräutigams nicht +gerne sehen, sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die höchstens +einmal in die Küche kommen, um ein ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es +sich kneifen läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler durchaus +an Kindesstatt annehmen wollen und sich erst nach vielem Zureden damit +begnügt, ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr hat er gerade +nicht bei sich gehabt. + +Das alles ist also in guter Ordnung, aber die lumpigen fünfundzwanzig +Mark, die er sich in zwei Jahren -- und mit was für Opfern! -- von +seinem Lohne erspart hat, können sich daneben nicht sehen lassen. + +»Ach was,« sagt die Erdme, »zusammen sind das einundneunzig. Und für +hundert kann man sich schon ein Haus bauen.« + +»Ja wo?« fragt er. »Etwa im Monde?« + +»Durchaus nicht im Monde, sondern sogar ganz nah' von hier. Auf der +anderen Seite von Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor die +Kolonie Bismarck liegt.« + +»Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe und die Mörder hausen,« meint +er, denn in gutem Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck. + +Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es Diebe und Mörder überall, und +zweitens kommt es zunächst darauf an, daß man ein Haus über dem Kopfe +hat. Dort ist man sozusagen beim preußischen Staat zu Gaste, der Grund +und Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn kann sich keiner +erdenken. + +Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, für hundert Mark ein Haus zu +erbauen, aber sie weiß es genau. + +»Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,« sagt sie und lacht ihm +verstohlen zu. »Nachhelfen tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo +es herkommt.« + +Nun lacht auch er, und der Entschluß wird besiegelt. + +Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft haben, betrachten sie +einander und finden, daß sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann. + +Er -- straff, breit, knorrig, mit wagerechten Trageschultern und zwei +Fäusten, die nicht mehr loslassen, wo sie einmal zugepackt haben. + +Sie -- eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig mit federnden Armen +und Schenkeln von Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, in denen +zwei Augen listig und lustig Nähe und Ferne nach Beute durchmustern. + +Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem Schwersten Stand zu halten und +das Widrigste mit Schlauheit zu umgehen. + + + 2 + +Zuerst der Moorvogt. + +Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher der Kolonie, der +zweitausend Lebensschicksale sorgsam und strenge an obrigkeitlicher +Leine führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; doch wer und +was das eigentlich ist, ahnen nur wenige. + +Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt. + +Mit List und Gewalt haben sie sich beide aus ihren Dienststellungen +freigemacht. Die Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste an +den Kopf werfen lassen und hierauf mit einer Anzeige wegen +Körperverletzung gedroht, so daß sie schließlich mit dem Zeugnis auch +noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, und der Jons, der weniger gerissen +ist, hat seinem Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag in Aussicht +gestellt, falls er ihn nicht auf der Stelle abziehen lasse. Manchmal +hilft das, manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal hat es +geholfen. + +So wandern sie also wohlgemut auf der Rußner Chaussee zur Kolonie +Bismarck hinaus, die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt und sich +so weit ins Moor hinausstreckt, daß man ihr Ende nirgends absehen kann. + +Als sie an der langen Brücke sind, die über die Sumpfniederung führt, +bleibt die Erdme an dem schwarz-weißen Geländer stehen und zeigt auf die +Kuhblumen hinunter, die ihre buttergelben Köpfe aus dem +Überschwemmungswasser stecken, und sie sagt: »Wie die Blumchen da +vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden wir auch vorwärts kommen.« + +Und der Jons meint dasselbe. + +Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause stehen, in dem jetzt der +Moorvogt wohnt, da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe. + +Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen die Vierzig, mit ernsten Augen +und einem Munde, der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart sieht er +nicht aus, aber seine Rede ist scharf und gemessen. Angst muß man schon +darum vor ihm haben, weil er so mächtig ist. + +»Also anbauen wollt ihr euch?« + +»Jawohl.« + +»Seid ihr verheiratet?« + +Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das Aufgebot kann jeden +Augenblick bestellt werden. Jetzt gleich, wenn er will. + +»Sind die Papiere in Ordnung?« + +Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an. + +»Sind die nötigen Mittel da?« + +Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze ziehen sie ihre Beutelchen. Das +Goldstück, das bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen Eindruck +zu machen, denn zum ersten Male geht ein Lächeln über sein Gesicht. + +Und er greift nach Mütze und Hakenstock und sagt: »Kommt mit.« + +Dann geht er ihnen voran auf einer Straße aus Knüppeln und Lehm, die +geradeswegs von der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. Das sieht +nun freilich fürs erste nach allem aus, nur nicht nach einem Moor. +Rechts und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen bis in den +grauen Dunst hinein. _Die_ Häuser haben etwas mehr als hundert Mark +gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und ringsum Ställe und +Schuppen! Und Gärten sogar -- die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! Und +jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, aus Quitschen und Birken -- +weiß wie Schnee und schnurgerade. + +Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber zu reden wagen sie nicht. Sonst +wären sie vielleicht noch umgekehrt. Denn wie kann man je daran denken, +solche Herrlichkeiten sein eigen zu nennen? + +So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. Eine Wirtschaft folgt der +anderen, ein Ackerfeld dem anderen. Nur hie und da auf höherem Boden, +wie aus Versehen stehen geblieben, ein Gebüsch von krüppeligen Fichten, +die kaum einmal die Kraft haben, Nadeln zu tragen. + +Dann allmählich verändert sich das Bild. Die Wohnhäuser werden ärmlicher +-- demütiger, möchte man sagen --, die Wirtschaftsgebäude hören auf, und +statt der beackerten Felder breiten sich kahle Moorheiden aus bis ins +Endlose hin, von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, die vom +Torfstechen übriggeblieben sind. Auf denen sprießt ein junges Sumpfgrün. +Sonst ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist alles. + +Der Moorvogt hat den ganzen Weg über kein Wort zu ihnen gesprochen. +Jetzt wendet er sich um und sagt: »Hier könnt ihr euch nun eine +Baustelle aussuchen.« + +Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den Moorboden hinaus, der unter +ihren Füßen quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt den Stock +einstößt, bleibt ein wasserglänzendes Löchelchen übrig. + +Da endlich macht der Jons seinem bedrückten Herzen Luft und fragt +beinahe schreiend: »Kann man denn hier überhaupt bauen?« + +Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück und in die Runde: »Die haben +alle einmal so gebaut,« sagt er. »Das Trockenmachen ist eure Sache.« + +Jons und Erdme sehen sich an und denken: »Was die anderen gekonnt haben, +müssen wir auch können.« Und so suchen sie sich aufs Geratewohl einen +Platz für Haus und Ackerland und sind dabei immer dem Weinen nahe. + +Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden Schritten die ungefähr in Betracht +kommende Fläche. »Diese Parzelle,« sagt er dann stehen bleibend, »gibt +euch der Staat zur Bewirtschaftung. Sie wird natürlich genau ausgemessen +werden und ist dann einen Hektar groß. Geht es euch gut, so dürft ihr +später noch drei weitere dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei mir an +und gebt eure Unterschrift. Bis dahin überlegt es euch. Braucht ihr +einen Rat, so bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!« + +Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er. + +Nun stehen sie da und sehen sich wieder an. + +Ja oder nein? + +Nein -- dann müssen sie zurück in Dienst -- in einen härteren +vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, obgleich das kaum noch möglich +ist, und die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für Jahre. Wozu sind +sie jung und übervoll von unverbrauchten Kräften, die sich sonst für +Fremde erschöpfen müssen? Also ja -- dreimal und tausendmal ja. + +»Was die anderen gekonnt haben, müssen wir auch können,« wiederholt der +Jons noch einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. Und damit sind +sie fertig. + +Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, sich für die nächsten Monate +ein Obdach zu besorgen. + +Sie gehen also an die ersten zwei Leute heran, die sie auf dem Acker +arbeiten sehen, und sagen: »Wir wollen uns in der Nähe anbauen. Könnt +ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?« + +Der Mann, der sanftblickende Augen hat und dem um das magere, bartlose +Gesicht langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, sieht sie lange +an und fragt dann: »Seid ihr verheiratet?« + +Erdme lügt rasch »ja«, denn sie überlegt sich, daß ihr wahrhafter Stand, +mag er noch so kurze Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten +Hindernisse bereiten würde. + +Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist und die so aussieht, als muß +sie immer Senf aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die sagt: »Wir +sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht nach den Geboten des Herrn lebt, den +nehmen wir nicht auf.« + +Erdme sagt: »Auch wir wollen uns den Erleuchteten zuwenden,« denn sie +weiß sofort, daß sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen erlangen +werden. + +Betten wird sie mitbringen, und so ist für Unterschlupf gesorgt. + +Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an. + +Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, sieht noch einmal ihre Papiere +durch, und dann gibt Jons die Unterschrift. + +Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte und trägt sie als +Brautleute in die Register ein. + +Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme vorhin ausgesprochen hat, und +fragt: »Die Zeit ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon einziehen +dürfen?« + +Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan hat, als er ihr Vermögen +besah, und sagt: »Die Aushängebogen liest keiner.« + +Damit sind sie entlassen. + +Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das wichtigste von allem -- außer +dem Pfarrer natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden muß. Das ist +für Jons, sich eine regelrechte Arbeit zu beschaffen, damit durch den +Tagelohn für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und ab und zu noch ein +paar Groschen in die Baukasse kommen. + +Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik und der Sägemühle, die +beide jetzt zum Frühling Leute brauchen. Jons wählt die Sägemühle, weil +er hoffen kann, dort am ehesten Gelegenheit zu billigem oder -- wenn das +Glück es will -- auch kostenlosem Holzerwerb zu finden. + +Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug zurück, -- und siehe da! +kaum nachgefragt, da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, daß er +am nächsten Morgen antreten kann. + +Zwei Mark pro Tag -- so viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht +verdient. + +Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen sie sich, daß noch nie ein +Tag da war, der sie ein so großes Stück im Leben weiterführte. Aber er +hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und da sie beileibe kein Geld +ausgeben wollen und zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, so +scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen Zuhause ein paar +Saatkartoffeln aus einer Miete, was gewiß eine große Sünde ist, aber der +Besitzer hat noch genug, und so geschieht niemandem ein Schade. + +Die Taschen voll kommen sie heim, und als sie beim Abkochen ein +andächtiges Abendlied singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar noch +ein Stückchen Speck dazu. + + + 3 + +Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne den geht nichts. + +Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn wenn Jons auch um drei aufsteht, +um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, und abends ist sein +Helfen auch nicht viel wert. Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am +Leibe. + +Aber Erdme -- die schafft es. Sie steht bis zu den Knieen im eiskalten +Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht -- quer durch das +widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch keine Menschenkraft +bezwingbar scheint. + +Der fromme Taruttis -- so heißt der Wirt -- sieht von weitem ihr +maßloses Mühen, und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt +er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr über die schwersten +Stellen hinwegzuhelfen. + +Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt, die +kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden. +Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache, aber man muß Zeit +dazu haben. Sonst wird es zur Landplag'. + +Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein +Glücksfall erwiesen. Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man +auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren, in welchem Walde und an +welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt. + +Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit gebundenen Händen irgend +einem Aufseher auszuliefern, dem es beliebt, ihn anzuhalten. + +Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, die als Eckpfeiler eines zu +erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für +blankes Geld von einem Besitzer, der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein +schönes Eckchen seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er einen +regelrechten Kaufschein, den er fortan als Schirm und Schutz in seiner +Tasche mit sich führt. Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht +einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der nicht ganz so rechtsgültig +erworben ist, da kann er sich des guten Gewissens erfreuen, das solch +ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht. + +Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, der natürlich nichts Böses +ahnt, und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein. Ob der +nun hilft oder was Anderes, kurz, auch der dritte Stamm gelangt +unangehalten nach Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, da kommt +als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen. + +Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden +und kostet beim Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für die +fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat. Ein +Glück ist, daß die sich bereit erklären, auch bei der Trauung am +nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, daß sie +hernach drei süße Schnäpse bekommen. + +Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich, er hat nicht +einmal die Lichter angesteckt, so gering achtet er sie. Zum Schlusse +reicht er ihnen die Hand und sagt: »Von nun an könnt ihr in Ehren +beieinander wohnen.« + +Als ob das ohne den Pfarrer so ginge! + +Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, als er am Sonntag das junge +Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint die +Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; aber da sie schon halbwegs +zu den Erleuchteten gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet +bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt es ihnen weiter nicht +nach. + +Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende +Rautenblättchen, die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren +wollen, und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an. + +Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, sie aber schämen sich, auf +einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute +sitzen, und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler. +Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an, sondern bekneifen sie +mit den heißen Fingern. + +Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt kommt erst eine große +Hochzeitsgesellschaft, die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben +Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner laufen umher, und die +Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall. + +Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, und ihre Zeugen riechen +nach Mist. + +Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat, +fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang. + +Der Pfarrer -- ein junger Mann, mit einem Traumdeutergesicht -- blickt +ihnen freundlich entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den +Altar zu treten wagen, öffnet er die rotgepolsterten Schranken und +schreitet auf sie zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen. + +Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im Buche stehen, sondern hält +ihnen eine genau so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt hätten. + +Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung, +die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt +ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn sie fleißig und +beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem -- vor allem, vor +allem! -- den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen. + +Jons und Erdme weinen sehr, und jeder von ihnen schwört sich zu, die +Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen. + +Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu +werden beginnt, da müssen sie doch daran gehen, den vierten der Stämme +aus dem Walde zu holen, denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein. + +Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon gestern in sicherem +Gewahrsam untergestellt haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem +Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, ziehen sie beschämt und +beklommen auf Raub aus. + +»Wenn man so arm ist wie wir, dann kann das unmöglich eine Sünde sein,« +tröstet die Erdme sich und ihn. + +»Eine Sünde ist es schon,« antwortet der Jons, »das hat ja noch heute +der Pfarrer gesagt. Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, dann wollen +wir alles wieder gut machen, worin wir uns jetzt vergehen müssen.« + +Und das geloben sie einander, während sie im Chausseegraben die +Nachtstille abwarten. + +Und noch manches geloben sie. Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen +und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein +gutes Beispiel geben. + +»Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut haben,« meint der Jons. + +Und die Erdme gerät ins Schwärmen: »Wenn ich Töchter kriege, dann sollen +sie in Samt und Seide gehen -- und ihre Hochzeiten sollen acht Tage +dauern -- und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein +Gendarm.« + +Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich, darum spinnen +sie ihn nicht weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker Waldes zu +verschwinden, wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als +frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt. + + + 4 + +Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für den Winter noch nichts zu essen +hat! Die Tage werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat geschafft sein. + +Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten Frühjahr allenfalls in +Arbeit genommen werden kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und +nachdem die Quergräben gezogen sind, die die weitere Trockenlegung +verlangt, kann das Urbarmachen beginnen. + +Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai -- wenn man das Morgen nennen kann, +denn noch stehen die Sterne am Himmel --, da schultern sie Hacke und +Spaten und ziehen hinaus auf das kahle Moor, dorthin, wo die vier +Kiefernstangen lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt auf Vorrat +schlafen. + +Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen die Grenzen des Ackers, +der nun werden soll. + +Den beiden ist bang und feierlich zumut. Gemeinsam zu beten getrauen sie +sich nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum spricht +jeder von ihnen sein Vaterunser ganz im geheimen, als ob er Wunder was +Unrechtes täte. + +Und dann geht es los. + +Die oberste Schicht des Moores, die aus lebendigen Pflanzenstoffen +besteht, muß zerkleinert und heruntergeschält werden -- »abplacken« +nennt man es --, weil der drunter liegende Boden erst dann, wenn sie mit +ihm gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, die eine Aussicht +auf künftige -- wenn auch spärliche -- Ernten eröffnet. + +Die paar Stunden der Frühe vergehen im Fluge. Dann muß er ja weg, um mit +dem Taglohn Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo soll der Stoff zum +Hausbau sonst herkommen? + +Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. Zuerst die Latten oder +Schwarten, mittels deren die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das +Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses bilden soll. Dann die +Sparrbalken -- die Sparren selbst -- die Ziegel für die Feuerstätte und +so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden kann. + +Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will hinter dem andern +zurückstehn. Von einem, dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und um +acht Uhr abends endet, kann niemand auf Erden sagen, er habe es sich zu +knapp bemessen. + +So kommt der Acker rasch voran. + +Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, um sich den rieselnden +Schweiß aus den Augen zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter sich +stehen. + +Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark Pacht, die für das erste Jahr +gezahlt werden sollen -- später werden es dreißig --, sind noch nicht +abgeliefert. + +Er sagt: »Es ist spät im Jahr. Werdet ihr mit der Aussaat +zurechtkommen?« + +Und sie antwortet: »Wie Gott will.« + +»Gott will, wie der Mensch will,« sagt er. »Wenn er erst weiß, daß ihr +tüchtig seid, wird er euch nichts in den Weg legen.« + +Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, schon geschält, wie Silber in +der Sonne funkeln. + +»Schöne Stangen habt ihr da,« sagt er und sieht Erdme dabei mit schiefem +Munde halb von der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen +Gänge verborgen geblieben. + +In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den Sohlen den schwarzen +Schlamm von den Beinen, denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung +fragen werde; aber die Frage bleibt aus. + +Auch ein Haufen Schwarten liegt schon da, die Jons sich für billiges +Geld unter den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen dürfen. + +Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die untauglichen zeichnet er +mit der Spitze seines Hakenstocks. + +»Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben sind,« sagt er und +wendet sich ohne Gruß wieder dem Wege zu. + +»Da geht er hin wie der liebe Gott,« denkt Erdme und ist sehr froh, mit +heiler Haut davongekommen zu sein. Vieles an ihm begreift sie nicht, +aber beim lieben Gott geht es einem ja ebenso. -- + +Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel Saatkartoffeln gekauft, +glasblank und dünnschalig, wie sie für den Moorboden gut sind. Die +werden in Hälften geschnitten und in die flachen Rücke gleichsam obenauf +gelegt, denn nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende +Wasser. + +»Auch die sind redlich erworben,« sagt Erdme mit Stolz. Und darum +brauchen sie sich nicht zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet +zu tun. + +Aber noch muß viel zusammengegrapscht werden! + +Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken zurechthackt, mit blankem +Gelde zu bezahlen, während sie freundlich in den Wäldern herumliegen, +wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber vorsichtig muß man schon sein, darum +wird Jons auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln käuflich +erstehen und ärgert sich bloß, daß er den Schein dafür nicht gleich vor +den Mützenschirm stecken kann. Jetzt und auch bei den nächsten Fahrten +hernach, wenn alles an Ort und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens +der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der fragt ja nicht, wie man +weiß. + +Eine Nacht um die andere ziehen sie los, denn ab und zu schlafen muß +doch der Mensch. + +Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. Ihm hat der Kaufschein die +Augen verblendet. Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht +nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum betet er fleißig für sie, +während sie auf seinem Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und Hopp +nach Hause fahren. + +Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn sie ihn nicht übertrumpfen +kann, steht sogar im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes +bereitzuhalten. + +So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, und die Baukasse wird kaum +einmal magerer. + +Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die Aufrichtung des Hauses +vonstattengehen kann. Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen nun +freilich nicht, und darum entschließt sich Erdme auf des Taruttis Rat, +bei den Nachbarn herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten. + +»Talka« heißt auf deutsch »Arbeitsgesellschaft«, und auf solchen +gemeinsamen Hilfeleistungen beruht vieles, was unter diesen armen +Menschen, die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, an Tüchtigem +zustandekommt. Dafür erweist man sich dann später dankbar, wenn der Ruf +an einen selber ergeht, und alles schließt mit einer fröhlichen +Bewirtung, so viel oder so wenig der Bittende zu geben vermag. + +Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand die Häuser, in denen sie +vorsprechen kann, und die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt +einer, der hilft _nicht_, aber dort wohnt einer, der hilft, weil man ihm +selber geholfen hat. + +Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf der anderen Seite des Weges +sein kleines Anwesen hat, geht Erdme zuerst. + +Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen und ist weit in der Welt +herumgewesen. Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm bekannt sein, +so daß er schon manchem der Langeingesessenen einen guten Ratschlag hat +geben können. + +Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu Mitte der Dreißig, der die +Gewohnheit hat, beim Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und dabei +zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie er die Erdme daherkommen sieht, +die frisch von der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und +aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, macht er große Augen +vor ihrer Glieder Pracht, um dann erst -- gleichsam erschrocken -- den +Blick von ihr wegzuwenden. + +Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes Litauisch, etwa wie die +Pfarrer sprechen, die es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt +aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist gut und höflich zu ihr -- +nur, daß er sie nicht ansehen kann. + +Seine Frau kommt später zum Vorschein. -- Eine Halblitauerin ist auch +sie, klein und kümmerlich -- ach Gott, wie sehr! --, mit grauer +Gesichtsfarbe und abgemüdeten Augen. Sie wirft einen neidischen Blick +auf Erdmes kräftige Gestalt, begrüßt sie dann aber ganz freundlich. + +»Wenn wir nun Nachbarn werden,« sagt sie, »möge Gott geben, daß Frieden +zwischen uns bleibt.« Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern ihren +Mann an, der auch vor ihr den Blick zur Seite wendet. + +»An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,« sagt Erdme und verabschiedet +sich. Sie fühlt sich zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man ja +sehen kann, das Unglück im Hause sitzt. + +Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen ist, hat sein Eigentum +dicht neben dem kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase sitzt und so +niedrig ist, daß man bloß auf eine Fußbank zu steigen braucht, um +darüber hinwegzublicken. Diese Wirtschaft sieht schon etwas +vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an den grünen Simsenbüscheln +rupfen zwei magere Kühe. + +Der Besitzer heißt Smailus und hat vor kurzem schon die zweite Frau +begraben. Er ist ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an die +Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht und langhängendem +Hetmansschnurrbart, aber seine Augen haben einen stumpfen und +schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn nichts anginge. + +Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins Leben, das sich dicht hinter +ihm aus dem Hause drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens +dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, aber unter dem Halse hat +sie eine goldene Brosche sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins +Gespräch und sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem ganz kleinen +Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei sie immerhin, und was sie tun +könne, um Frischzugezogenen das Leben zu erleichtern, das solle gewiß +geschehen. + +Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine Ding, das mit dem Maulwerk +vorneweg ist wie eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht anders +sein kann, und sagt bloß: »Ja, ja, das Bauen und das Begraben muß man +schon immer gemeinsam verrichten.« + +»In dem Begraben hat er wohl Übung,« denkt die Erdme, sich bedankend, +und die Kleine begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich. + +Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt sie, und dann wird sie in die +Stadt gehen und ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein, +wie es in der Kolonie schon viele getan haben. Vorerst aber muß sie dem +Vater noch eine Frau besorgen. So eine schöne und starke wie Erdme wäre +ihr schon recht -- aber Geld muß sie haben --; die zweite, von der sie +die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt -- bloß nicht genug --, und ob +Erdme nicht eine weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann. + +Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der Kleinen schlägt ihr aufs Herz +wie ein starker Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen Lebens +vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch ihr Schicksal liegt nun bereits +so steinern fest, daß keiner auf der Welt mehr daran rühren kann. Wie +eingesunken in diesen Moorschlamm liegt es, der keinen Grund und Boden +hat und nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen Wurzelfäden +umwindet. + +Die Kleine heißt Ulele. »Das ist ein altertümlicher Name,« sagt sie, +»den ich natürlich nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen +sein wird.« + +Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht ihr traurig und bewundernd +nach, wie sie mit ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich +flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und die Lumpen flattern an ihr +wie zwei Fledermausflügel. + +»Für mich ist es nun schon zu spät,« denkt Erdme. »Ich muß warten, bis +ich Töchter kriege.« -- -- -- + +Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn es auch schon älter scheint, +doch noch zur Nachbarschaft gehört. Es macht aus der Ferne gesehen einen +recht kläglichen Eindruck, und gerade darum möchte Erdme es kennen +lernen, denn sie will wissen, wie man sich hier behelfen muß, wenn man +ganz arm bleibt. Gleichsam als abschreckendes Beispiel will sie es +kennen lernen. + +Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei gezeigt, und als sie ihn am +Mittag noch einmal fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit dem +Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier nichts zu mähen gibt. + +So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt er: »Über meine Nächsten rede +ich nichts Böses, und wenn ich Böses reden müßte, so schweige ich +lieber.« + +Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, aber als sie gegen den Abend +desselben Tages wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom Wege aus +angerufen. + +Sie sieht einen kleinen, alten Mann im Graben sitzen, der einen Arm voll +Weidenruten neben sich liegen hat und einer gerade mit dem Taschenmesser +die Haut abzieht. + +»Was willst du von mir?« fragt sie, ohne sich stören zu lassen. + +»Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?« ruft er herüber. + +»Das kann schon sein,« sagt sie. »Arme zum Helfen kann man immer +brauchen.« + +»Zwei Arme hab' ich auch,« sagt er. + +»Gehörst du zur Nachbarschaft?« fragt sie. + +»Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,« sagt er, »daß du heute schon +zweimal an meinem Haus vorbeigegangen bist.« + +Und er weist mit seinem Messer gerade auf das Anwesen hin, von dem der +Taruttis durchaus nicht reden will. + +Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, mit dem sie die Rücke +glättet, und tritt näher auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus +zusammengebettelten Kleidern sich streckend ein zahnloses, plieräugiges +Greisengesicht, dem die Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen +Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem Aussatz klebt. + +Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er aus. + +Sie fragt: »Wer bist du denn?« + +»Ich bin ein verdienter Mann,« sagt er und fährt fort, seine Ruten zu +schälen. »Durch fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat tätig +gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, da er mir keine +Altersversorgung zahlen will. Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß +Ruten flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt werden, die ich +ganz ohne Lohn vollbracht habe ... Übrigens bin ich noch stark bei +Kräften, und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten willst, so +werde ich dir die Balken heben wie ein Spielzeug.« + +Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt sie sich auf die abweisenden +Worte des milden Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, der sie +beim Näherkommen befallen hat, und darum antwortet sie: »Ich danke dir, +Nachbar, für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat schon ihre volle +Zahl.« + +Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt vom Grabenrand auf und speit +ihr seine wilde Bosheit sozusagen ins Gesicht. + +»Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?« schreit er. »Haben +die Ohrenbläser dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner will +mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses von mir nehmen! Aber ich +werd' es euch antun! Wenn das Unglück kommen wird, die große Not, die +Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen werden zu Brei und euer Herd +sinken wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt sitzen werdet im +Schornstein und schreien um Gnade, dann werde ich lachend anspannen +lassen die Arche Noah und vorüberfahren und lachen über das Todesquieken +eurer Schweine und das Todesgebrüll eurer Kuh -- am meisten aber werde +ich lachen über euch selber, wenn der Schornstein zusammenfällt und das +schwimmende Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es sein. Amen.« + +Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten auf, zieht die zerlumpten +Beinlinge über den Hintern und geht seines Weges, aber immer noch kehrt +er sich um und schüttelt die Faust und speilt die roten Gaumen. + +Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen von dem höllischen Feuer auf +sie niedergefallen. Wenn das das Ende sein soll, warum bauen sie dann +erst? Und warum haben die anderen gebaut? Doch deren Häuser stehen ja +noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln in der Abendsonne. Es +ist also wohl der böse Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat +abschnüren wollen. + +Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als Jons von der Arbeit kommt +und ihr mit Stolz zeigt, was er alles mitgebracht hat. + +Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen Drahtnägeln, denn +ohne die geht's nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen Kornschnaps +aus der Schmidtschen Destillation und alle die Zutaten zu einem süßen +Fladen, der heute noch gebacken werden muß. + +Die Taruttene liefert das Mehl und viele erbauliche Sprüche dazu, und +als die Hähne krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste dampfende +Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, wo er die Nacht über Balken behauen +hat wie ein gelernter Zimmermann. + +Aber von dem bösen alten Mann sagt sie ihm nichts. + + + 5 + +Und nun ist es wieder Nacht geworden, und das Haus steht gerichtet. Die +vier Kiefernstämme sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß rund +um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel hochschoß wie ein Quell, und +sind dann durch die aufgenagelten Latten verbunden. Oben darauf haben +sich Sparren und Sparrbalken zum Dachgerüst zusammengefügt, und die +künftige Zimmerdecke ist genagelt. + +Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die viereckigen Stücke der obersten +Moorschicht, die für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger aber, +um später von außen her an die Latten geklatscht zu werden und so eine +mauerähnliche Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und Wärme gibt. + +Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft und ruht sich aus. Der +fromme Taruttis natürlich und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der +halbdeutsche Fremdling, und der lange Smailus mit seiner kleinen Ulele, +die ihm meistens das Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat sie wie +ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, und wo keiner die Schlinge +befestigen konnte zum Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand hat +sie viel klettern gesehen. Fixes Ding! + +Müde sind sie und warten voll Freuden des kleinen Festes, das der +Besitzer ihnen zu bieten hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem +Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal reihum. + +Nur die Frau des Witkuhn fehlt. »Sie ist immer elend,« sagt er, »und muß +mit den Hühnern zu Bette.« + +»Da werd' ich mich dir wohl bald erkenntlich zeigen können, Nachbar,« +meint die Erdme. Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes Gesicht +geht rot eine Flamme wie von verbotener Freude. + +Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja immer, und zum Überfluß steht +der Mond ziemlich hoch. + +Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu singen, damit die bösen +Geister das unfertige Bauwerk nicht umschmeißen können, und das +geschieht denn auch. + +Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, daß auf dem Wege, der wohl +hundert Schritte abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und her +bewegt. + +Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den bösen alten Mann von +gestern. Die Stimme zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den +heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, bis sie zu Ende sind, +dann weist sie mit der Hand auf den Schatten hin, der in dem ungewissen +Mondlicht zu tanzen scheint. + +Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht ein Wort. Es scheint, sie +fürchten sich alle. + +Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, bis er fragt, was da los ist. + +»Scht« macht die Taruttene. + +Der lange Smailus grunzt etwas vom »Kipszas«, dem Satan, und seine +Tochter, die Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: »Es +müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich nicht gebeten hätte, heute +zur Talka zu kommen, denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.« + +Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern mit ihm begegnet ist. + +»So versucht er es immer aufs neue,« sagt Taruttis, »denn der Arme kann +es nicht verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu schaffen macht.« + +Jons fragt: »Warum tut man es nicht?« Und Erdme meint, abscheulich genug +sehe er ja aus, aber das könne unmöglich allein die Schuld daran tragen. + +Und da erfahren sie beide seine furchtbare Geschichte. Sie ist weit +furchtbarer, als Menschen sich ausdenken können. + +Als ein überführter und geständiger Raubmörder hat er fast sein ganzes +Leben im Zuchthaus zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode geschleift, +mit dem er zusammen nächtlicherweile auf einem Wagen gefahren war, und +zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit dem einen Ende um die +Radfelge, mit dem anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, als er +nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen ist, hat er dasselbe +Kunststück noch einmal probiert -- an einem Fuhrmann, den er auf +stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden hatte. Aber diesmal +ist es ihm mißglückt, denn dabei war ihm die eigene Hand ins Rad +hineingeraten. Darum hat er auch den Dusel gehabt, trotz der +Wiederholung solch einer Untat noch einmal herauszukommen. Und nun haust +er wie ein Dachs in seiner Kate, die er sich als junger Mensch gebaut +und in der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen +Vorrichtungen gegen die Überschwemmung versehen hat. Worin sie bestehen, +weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm hinein; von außen aber liegt +an der Wand eine schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis zum +Fenster hinauf alles verbirgt. + +Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und doch läuft es ihr einmal +nach dem anderen kalt über den Leib. Und während der alte Raubmörder in +seiner Sehnsucht nach Menschen dort auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie +so leise wie die anderen, mit was für fürchterlichen Worten er ihr die +künftige Wassersnot ausgemalt hat. + +Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe Frage, die ihr seit gestern +wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht: »Wenn die wirklich einmal kommen +wird, warum bauen wir uns erst hier an?« + +Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit her ist, das Wort und sagt +beinahe feierlich: »Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute sind und +eine Zuflucht nötig haben. Wo anders gibt man uns keine, sondern hetzt +uns herum.« + +Und dann erzählt er, wie schon zweimal das Hochwasser unermeßlichen +Schaden verursacht hat und daß es für die Zukunft immer häufiger zu +befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: durch die Urbarmachung +sterbe das Torfmoos ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr zu +Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber zu einer Gefahr, die mit +Vernichtung bedrohe, was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich +geschaffen hat. »Aber darum arbeiten wir doch ruhig weiter,« sagt er zum +Schluß und zieht den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen +fühlt, »denn wir lieben dieses Stückchen Erde, das für die anderen zu +schlecht ist und wo uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben auch die, +die das gleiche mit uns tun und erdulden.« + +»Und wir lieben auch den lieben Gott,« sagt der fromme Taruttis, »der +Gutes und Böses über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der Mensch +sogar ein Mörder wird.« + +Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, denn er hat lauter gesprochen +als die anderen, aber da ist das graue Gespenst schon fort. + + + 6 + +Wie macht man einen Herd? Wie baut man einen Ofen? Der Boden trägt ja +nichts. Willst du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er nach und +schluckt es langsam unter. + +Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores. +Und er ist immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber nicht etwa von +selber kommt er. Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die +Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. Und ruft man ihn nicht, +so geht er von dannen. + +Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer von den Deutschen benimmt +er sich nicht, die immer eine große Schnauze haben und die Litauer als +Vieh ansehen. Und er verkehrt auch nicht mit ihnen, soviel ihrer auch +auf der Kolonie herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem eine Heimat +fehlt. + +Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. Schleppt sich 'rum und tut +ihre Arbeit mit Wehklag'. Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre das +nötigste oft nicht getan. + +Und nun ist ja auch die Erdme da. Die knapst sich manche Viertelstunde +ab, um für sie Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen auf dem Felde +ist. + +»Wenn mein Kindchen noch lebte,« sagt sie, »dann könnte es mir schon in +manchem behilflich sein.« + +Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter +den Leib zerrissen, so daß er nie mehr ganz heil ward. + +Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine +Wirtin. + +Und dann ist noch das Unglück da, von dem _sie_ nicht spricht und _er_ +nicht spricht und das man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof nur in +die Nähe kommt. + +»Ja also,« sagt der Witkuhn eines Tages, »den Herd baut man so: Man +kauft sich« -- er sagt »kauft«, »holen« sagt er nicht -- »man kauft sich +den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine Kiefer darf es nicht sein, denn +deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, als wäre +er nicht gewesen. Eine Tanne muß es sein -- deren Wurzel hat Querläufer +nach allen Seiten -- die legen sich wie Riegel vor, wenn der Stubben +einsinken will. So trägt er vielleicht den Herd, und ein anderer trägt +auch den Ofen.« + +Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen, wo +Tannen gerodet werden. Solche Stellen sind selten, denn die Tanne ist +ein kostbarer Baum, nicht so gemein wie die Kiefer. + +Er sucht, und er findet. Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen, +und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei Meilen +weit. Der preußische Staat ist reich. Ob der einen Stubben mehr oder +weniger hat, was macht ihm das? Und auch den zweiten kann er noch +leidlich entbehren. + +Aber noch mehrere müssen daran glauben, denn die Schlammschicht ist +tief. Einer muß über den anderen gelegt werden, und dann erst hält der +Grund so fest, daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann. + +Aber die Ziegel kann man leider nicht »holen«, denn der Herr +Ökonomierat, dem der große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter und +hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute. + +Vielleicht versucht man es also mit Betteln. Denn weit und breit weiß +jeder, welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist. + +Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal, der mit +Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen. Man kann sich +nicht vorstellen, daß es so viele Bücher gibt auf der Welt. Aber es ist +kein »Bagoszius« -- kein Geldprotz --, der zu ihnen spricht, sondern er +ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die +Zähne und schmunzelt sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. Die +sehen einen durch und durch. + +»Schenken werd' ich euch die Ziegel nicht,« sagt er, als sie ihre Bitte +vorgebracht haben, »denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher. +Aber verkaufen werd' ich sie euch.« + +Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen +können. + +»Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen.« + +Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: Vielleicht probiert man es +doch mit dem »Holen«. + +Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl er litauisch spricht, +beinahe so gut wie sie selber. Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst +lachen sie hell auf. + +_Ob_ sie singen können! + +»Könnt ihr auch Märchen erzählen?« + +Fünfhundert können sie erzählen. Tag und Nacht und noch einmal Tag und +Nacht lang können sie erzählen. + +»So viel will ich gar nicht wissen,« sagt er. »Singt mir zehn Lieder und +erzählt mir zehn Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter finde. +Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden, soviel ihr braucht.« + +Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, damit sie den nötigen Mut +bekommen, und dann geht's los. + +Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich wieder abbrechen. Aber +das vierte ist ihm neu, das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, +die die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf. + +Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister, und damit +haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige Lehm +muß ja freilich doch noch gemaust werden, aber den liefert zur Nachtzeit +die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, und das Strauchwerk, das +als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß, kann man sich ringsum von +den Weidenbüschen schneiden. + +So steigt die Mauer bald bis zur Decke. + +Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran, auf der anderen +der Ofen. Sehr schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten Kacheln +würde sich sicher weit besser machen, und gerade steht er ja auch nicht, +aber wärmen wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin prasseln. + +Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt man im Rauch. + +Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten. Wenn man nur +weiter wüßte! + +»Bei Schmidt auf dem Hofe,« sagt der Witkuhn, »liegt ein Haufen von +rostigen Kannen. In denen ist früher Petroleum gewesen. Da kostet jede +zehn Pfennig. Davon kauft euch ein Dutzend.« + +Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch. + +Aber nun weiter! + +Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus Latten eine vierseitige Röhre +macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch die +Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben +und so hoch geführt, daß sie die Sparren noch überragt. Dann wird unten +von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, -- und siehe da! der +Schornstein ist fertig. + +Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, wie qualmt das -- und stinken +tut es nicht weniger -- vor allem nach Leim und Petroleum, aber das wird +sich schon legen. + +Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat, findet er schließlich +den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin, wo es +schnurgerade in den Himmel geht. Wenn er es im Winter ebenso macht, ist +die Stubenwärme gesichert. + +Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und Dach das ihrige tun. Die +Hauswand -- das ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der kluge +Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie niemals fertig. + +Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein? Er wartet ja bloß darauf, +daß die Erdme ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch. + +Die viereckigen Moorfladen, die man an die Bretterwand preßt, halten +wohl fest, solange sie feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab, +wie Sandbrocken fallen. + +Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine +zweite Wand -- fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die ist ganz +luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. In dem Raum zwischen den beiden +sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber +beruhen. + +Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen. Nur zur +besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde +geklemmt, denn es werden die Winterstürme kommen, und der Sturzregen +wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen. + +So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß und alles kennt, und sieht an +Erdme vorbei, und das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren. + +Wenn sie mit ihm allein ist -- und das geschieht fast alltäglich --, +dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu dem +noch was Anderes hinzukommt, das ihr das Herz beklemmt. Es ist, als +hätte sie Angst vor _seiner_ Angst, denn Angst hat er immer, das ist +ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. -- + +Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich den guten Nachbar erhalten. + +Nach der Hauswand das Dach! + +»Jons, bring Rohr!« Es können auch Binsen sein -- oder beides zusammen. +-- An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn auch das +Moor selbst sie nicht liebt -- oder sie nicht das Moor, was auf dasselbe +herauskommt. Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, und alle sind sie +mit Röhricht umstanden. + +Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last, wenn er +hochgetürmt vom Rußufer daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel, +denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man es findet, versteht sich von +selber. + +In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, so daß man bald ans +Dachdecken gehen kann. Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen +werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen +und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und +besichelt die Enden. Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr +zu, denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen, es sei denn der +eigene. + +O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun sieht es schon bald aus wie ein +Haus. Aber noch fehlen die Türen, die Fenster -- kein Mensch kann sich +ausdenken, was alles noch fehlt. + +Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, der irrt sich. Eines Tages bringt +er zwei Fenster an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, nur daß +die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind. Vorige Nacht hat es +nämlich in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen +und hat gesagt: »Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps. Dem +Versicherungsinspektor erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden, +und dann kriegst du neues dafür.« + +Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein, er hilft sogar dem Jons in +der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den +Handwagen laden. + +Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst, +und wer ihm begegnet, der lacht ihn an, denn er denkt, er habe es aus +dem Brandschutt gestohlen. + +So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht +kommen. + + + 7 + +Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die +Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt, so fragt er +wohl seinen Begleiter: »Wer hat sich das hübsche kleine Hauschen +gebaut?« + +Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet er: »Das ist der Losmann +Jons Baltruschat, der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist.« + +Und der Fremde sagt wohl: »Das müssen fleißige Leute sein.« + +Aber durch die himmelblaue Tür darf er bei Jesu Leibe nicht eintreten, +denn drin sieht es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar nichts. +Nicht einmal die Ritzen, die zwischen den Schwarten klaffen, und die +Astaugen darin sind richtig verschmiert, und überall hängen die Fasern +der Moorschicht. + +Doch lange darf die Schande nicht dauern. + +Vor allem der Fußboden! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor, und das +soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein. Aber da +kennt ihr die Erdme schlecht! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein +Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht. Dann werden die +Wände verklebt, und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. Überall in +den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, bunte Bilder ausgehängt. Die +preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und +Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen. Und +immer kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf dem Speicher +herumliegen, die bettelt man sich zusammen. Und die jungen Gehilfen +lachen und holen sie gern. Außerdem war doch -- Erdme besinnt sich genau +-- in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter +aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen. Der Niagarafall und +die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so noch +manches andere. + +»_Liebe_ Frau Schlopsnies, _gute_ Frau Schlopsnies, ich hab' mich so +sehr nach Ihnen gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, möcht' ich's +fürs Leben gern nach Ihnen benennen.« + +Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen +eigentlich heißt. Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar die +Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei, die Frau Schlopsnies +sich einst gesammelt hat, als sie noch keine alte Schachtel war und als +Kellnerin hochkommen wollte. + +Die sind noch so gut wie neu. Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter +kriegt, dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen +Damen, die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen. + +Und nun wird die Stube geschmückt! Bild neben Bild geklebt, und die +buntesten kriegen die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer so +viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen muß, und die Spitze des +Monte Rosa schon deshalb, weil es da oben so kalt ist. + +So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends. Der Taruttis hat +ja auch Bilder geklebt, aber die sind bloß griesgrau und stammen aus +Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und bei Witkuhn hängt nur das +Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des Moorvogts. + +Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. Die Tage werden kürzer, und +darum getraut sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber wie die +Zimmerdecke gedichtet werden muß, da braucht sie ihn doch. Denn wenn der +Jons heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel. + +Erst will er gar nicht hereinkommen -- gewiß hat er wieder mal Angst --, +aber als er die Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln -- ein +Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön ist -- über sein stilles +Gesicht. + +Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit. + +»Ohne dich, Nachbar,« sagt sie, »hätten wir's nie so weit gebracht.« Und +sie legt ihm die Hände auf beide Schultern. + +Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser, sinkt auf +den Bock, wo der Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht und +weint. + +»Was ist? Was ist?« fragt sie erschrocken. + +Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich zu ihm nieder und +streichelt ihn. + +Und -- was tut er? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und +küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen. + +»Nicht doch, Nachbar,« sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf, +»so was mußt du nicht tun.« + +Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, sonst muß er ins Torfloch. + +»Schade, Nachbar,« sagt sie und lacht, wie sie immer gelacht hat, wenn +sie einer hat haben wollen, »schade, daß du nicht früher gekommen bist. +Als Mädchen nahm ich's nicht so genau. Da hat mich bald der geliebt und +bald jener. Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der Jons und ich, +da würde ich mich vor ihm schämen, wenn er des Abends nach Haus kommt. +Außerdem, wenn du's wissen willst, in anderen Umständen bin ich wohl +auch.« + +Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, sich festzuhalten, und +geht hinaus wie betrunken. + +Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, denn innerlich hat sie den +Nachbar gern. Und um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr hängt. +Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm gutzumachen, so hält sie es +mit der Frau und hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes Tagwerk +kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, aber über das Schwerste ist sie +ja weg. Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, wenn sie vom +Melken kommt. Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht. + +Und die Frau sieht sie immer mit großen, bittenden Augen an, als will +sie was sagen. Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch nachhilft. + +Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal denkt die Erdme: »Jetzt +weiß ich's.« Aber das geht wider Natur und Religion, und darum wirft sie +es weit von sich weg. + +Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe, und wenn er +vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er lieber noch +einmal um. Sie möchte ihm manchmal entgegengehen, aber das sähe ja aus, +als ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber. + +Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen werden kann, aber alles Geräte +fehlt. Nur die Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen Hause +steht, ist gleich beim Bauen festgemacht worden. + +Und der Jons kommt immer später. Er sagt, er habe Überstunden, aber das +glaubt sie ihm nicht. + +Der Winter steht vor der Tür, und noch ist die Bettstatt nicht da und +auch kein Tisch und kein Kasten. + +Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, aber er schüttelt bloß +immer den Kopf. + +»Mein Gott, mein Gott,« denkt sie, denn sie geht mit der Katrike -- so +wird es heißen, wenn es ein Mädchen ist -- nun schon im vierten Monat. + +Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. Wie andere heimlich +nach einem vergrabenen Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie +wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um, ob niemand am Weg +ist, und dann kniet sie rasch nieder und scharrt an _der_ Stelle und +jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut, -- und +siehe da! überall sagt ihr ein junges Knollchen: »Labsriets« und »da bin +ich«. -- Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen +schon, wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen sie +immer noch weiter. + +Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht das mindeste an. Für nichts hat +er Sinn und Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab. Er +kommt und geht -- das ist alles. + +Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes +angekramt -- und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum +Winter verlassen. + +»Dann steck' ich das Haus in Brand,« denkt sie, »und zieh' hinüber zum +Nachbar.« + +Aber eines Abends so um die Michaeliszeit -- da kommt nach +Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang -- beladen mit allerhand +Zeug -- man weiß nicht recht was. Und neben dem Fuhrmann sitzt einer -- +der hat so breite Schultern wie Jons -- und sieht auch sonst aus wie +Jons -- und schließlich ist es auch Jons. + +Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut, als will er aufs Moor +einbiegen. Aber das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine Schuhe an +und würde versinken bis an den Leibgurt. + +Und wie sie herzuläuft -- um Gotteswillen, was sieht sie da? Hoch auf +dem Wagen steht ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten und gelben +Blumchen, und eine Bettstatt ebenso grün, und ein Tisch mit kreuzweisen +Füßen, und sogar -- man kann es nicht fassen, ob auch das Abendrot draus +in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln -- ein Spiegel ist da! -- +Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel! + +Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, und das wäre auf dem Moor +auch gar nicht so schwierig. + +»Ist das für uns?« schreit sie ihn an. + +Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat, und reicht ihr den +Spiegel herunter. Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar +zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, die Rágana selber. + +Und sie kuckt in den Spiegel -- der spiegelt zwar nicht -- aber es ist +doch ein Spiegel. + +Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, aber die Bettstatt muß +auseinandergenommen werden, denn die Tür ist zu schmal, und der Tisch +geht erst recht nicht hindurch. Aber schließlich steht alles an seinem +Platz, und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk. + +Nur schade! Stockfinster ist es geworden. Selbst die Blumchen der +Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen. + +Da sagt der Jons: »Was du wohl denkst! Das Schönste ist immer noch +draußen.« + +Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im Leben hat sie gedacht, daß man +so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann. + +Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und was bringt er getragen? Eine +Lampe. Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke, wie sie +im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube +der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. Dort hatten sie alle +bloß blecherne Schilder. + +Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht da und läßt sich bewundern. + +Wie hat das zugehen können? + +Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter sind aus der Sägemühle, das +ist klar. Aber weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz +seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn gefragt, wie man wohl am besten zu +einer Einrichtung kommen könne. Da hat der Tischler sich erst umgesehen +und dann gesagt: »Wer mir beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht +etwa zu kurz komme, dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm +zeigen, wie er es macht.« Nun, der Tischler Kuntze ist _nicht_ zu kurz +gekommen. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen +lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. Dann +hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe, und +noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Heim wohnen wie jeder +Besitzer. + +So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es müßte wirklich mit unrechten +Dingen zugehen, wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen. + +Und sie kommen vorwärts. + +Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. Davon kann neben ihnen noch +ein Ferkelchen satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos ist, +erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und +rohrgeflochtenen Wänden. Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl +auch eine Ziege, deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt. Im +Sommer nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter aber muß +vorgesorgt werden. + +Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher Finsternis hinter den +Fudern daherläuft, die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott +sei Dank bloß in kurzem Trab fahren -- sonst würde die Erdme in ihrem +Zustand ihnen nicht folgen können. Das Verstreute sammelt man auf dem +hinterher fahrenden Handwagen, so rasch es nur geht, denn unverschämte +Diebe gibt es genug, die einem das sauer Erworbene vor der Nase +wegschnappen wollen. Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern +bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen prügelt man sich herum, +oder man einigt sich besser in Güte. + +So wird allmählich der Bodenraum voll. Nur für die Heizung muß Platz +bleiben. Um die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das Randstück eines +Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben -- genau +so wie jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht. Warum soll man +ihm also entgegenkommen? + +»Er wird schon mahnen,« lacht die kleine Ulele. »Er hat ein dickes Buch. +Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters. Was +ehrlich erworben ist und was nicht. Es steht alles darin.« + +Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach +hinten zurück. Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. Und so +entschuldigt sie's auch bei der kleinen Ulele. + + + 8 + +Der Winter kommt wie alles Schlimme früher, als man sich's denkt. + +Eines Morgens zu Anfang November ist das Moor gefroren wie ein Brett. +Bis dahin hat man im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr. + +Der Handwagen des frommen Taruttis, der so viel Unfrommes mit angesehen +hat, ist ihm zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, die Jons +vom Markte gebracht hat. + +Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt sich und klingt, wenn man +auf dem Moore daherkommt. Die Torfziegel, die Erdme alle selber +gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. Obwohl sie sie +mit Rohr bedeckt hat gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer +nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, brennen werden sie doch, und der +Qualm geht zum Schornstein hinaus. + +Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach Haus kommt, findet er die Stube +so voller Rauch, daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und auf dem +Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet. + +Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei ist, lacht und sagt: »An +den Rauch gewöhnt man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken wir, +unten versinken wir und sind ganz lustig dabei.« + +Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man kaum mehr, ob es raucht oder +nicht, wenn man's nur warm hat. Und das ist die Hauptsache. + +Denn Tage brechen herein, so naß und so kalt, daß einem das Herz im +Leibe erklammt, wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer ist, +der suppende Nebel oder der rotklare Frost, die fegenden Schneestürme +oder der windstille Rauhreif, -- man weiß es wahrhaftig kaum; nirgends +friert man so wie hier auf dem Moor. Die Kälte auf der Spitze des Monte +Rosa muß dagegen ein Kinderspiel sein. + +Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee kam, der Zufahrtssteg +angelegt und mit kleinen Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde +der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, nicht wissen, wo er +abbiegen muß, so verstiemt ist alles in Weite und Breite. -- Selbst das +Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee und muß am Morgen +ausgeschaufelt werden, damit man weiß, daß es Tag ist. + +Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. Nur das Ferkelchen muß sie +versehen, das prächtig gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, könnte +man pökeln für Jahre. Aber so üppig leben wir nicht. Wir sind froh, wenn +wir ab und zu einen Hering haben. Das Schwein wird, wenn es fett ist, an +den Schlachter verkauft, und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital +für die künftige Kuh. Aber das sind noch Zukunftsträume. Fürs erste +wollen wir mit der Ziege zufrieden sein. + +Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, frißt mit aus dem +Schweinetrog und stößt, wenn man sie melken will. + +Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt ihre Milch so großmütig her, +wie nur eine kann, deren Haltung nichts kostet. -- + +Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist das Gefangensein. Man kuckt +nach rechts -- man kuckt nach links -- alles ist weiß, alles ist weit, +und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem Wege, um zu zeigen, daß es noch +Dinge gibt auf der Welt, die anders aussehen als weiß. Die Häuser der +Nachbarn stehen ja da, aber sie sind fast ganz in Schneefluchten +versunken, und nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt's auf dem Dach +einen graulichen Flecken. + +Man kann sich kaum vorstellen, daß dort überall Menschen wohnen, denn +niemals sieht man einen, und man geht auch nicht gerne hinüber. + +Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber kaum mehr, wie eine +fremde Menschenstimme sich anhört. + +Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie geht auf Freiersfüßen. Wenn +sie zum Frühling eingesegnet wird, muß der Vater schon seine Frau haben. +Denn dann will sie in die große Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, +die hat dreihundert Taler, und eine andere, die hat noch mehr. Aber an +der hängen zwei Kinder, deren Vater sie manchmal besucht. Und die Ulele +meint mit Recht, das werde Streitigkeiten geben, wenn sie selbst als +Vermittlerin nicht mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die erste +wählen, aber der muß noch viel zugeredet werden, denn sie fürchtet, der +Weg der Vorgängerinnen werde alsbald auch der ihrige sein. + +So hat man seine Sorgen, auch wenn man noch Kind ist. + +Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit Monaten nichts mehr gesehen, und +die Hilfeleistung bei seiner Frau muß die kleine Ulele für sie mit +übernehmen. + +Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an den man sich halten kann. An +jedem Sonntagabend gibt's eine Versammlung bei ihm. Zu der kommen die +Gebetsleute weit und breit, und manchmal sind Stube und Vorflur so voll, +daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht der eisige Wind wie mit +Peitschenhieben über die Köpfe. + +Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder werden gesungen, +Sündenbekenntnisse abgegeben, und meistens kriegt der heilige Geist +einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht und mit Zungen +redet, während die anderen horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes +Sonntagsvergnügen. + +Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme noch nicht, denn das Abtun des +Irdischen ist wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden als Gäste +geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung auch ihnen nicht ausbleiben +kann. + +Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen und Weststurm. Dann hat der +Schnee sich gelöst, und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann +riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und doch sind gar wenige +Pferde ringsum. Nur der Wohlhabende kann sich eins halten. + +Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr +Pferdchen nicht fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, aber kommen +wird es gewiß, genau wie das Fettschwein gekommen ist, um das der +Schlachter schon lange herumstreicht. + +Aber vorerst wird was Anderes kommen -- etwas, das einst in Samt und +Seide gehen wird und wofür der Sohn eines Gendarmen schon längst nicht +mehr gut genug ist. Ein großer Besitzer muß es sein, wie die reichen +Herren der Niederung, die hundert Kühe halten und deren Käsereien mit +Dampf betrieben werden. Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst +der Jons mit sich handeln läßt. + +Um Mitte März kann das Kleine schon da sein. Und der März steht vor der +Tür. Die Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, und wenn mittags +die Eiszapfen tropfen, klingt es wie Frühlingsmusik. + +Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. Mühselig schleppt sie sich ins +Haus. Die Erdme ist noch ein Wiesel dagegen. + +»Nachbarin,« sagt sie. »Ich weiß, deine Stunde wird bald kommen. Ich +hab' eine Bitte an dich.« + +»Was für eine Bitte?« fragt die Erdme. + +»Sieh mich an,« sagt sie darauf. »So quiem' ich nun schon an die zehn +Jahr. Und die Wirtschaft kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott ein +Einsehen, so würd' er mich zu sich nehmen, damit der Witkuhn sich nach +etwas Besserem umsehen kann. Aber so werd' ich ihm zur Last liegen, wer +weiß wie lange.« + +Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was man so sagen kann. + +»Darum sollst du mir das Versprechen geben,« fährt sie fort, »daß du es +bei der Hebamme nicht bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor +bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.« + +»Um Gotteswillen!« schreit die Erdme ganz erschrocken. »Das kostet zehn +Mark!« + +»Das haben wir auch schon überlegt,« meint die Nachbarin, »und der +Witkuhn hat gesagt, wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt er +mit Freuden.« + +Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an das, was im Frühherbst +passiert ist. Und sie sagt: »Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel +haben wir selber. Nur sollt' es für die Kuh gespart bleiben.« + +»Die Kuh kann krepieren,« sagt die Witkuhn, »und dann spart man sich +eine neue. Aber wenn man selbst zuschanden ist, dann spart man sich +keine mehr.« + +_Die_ Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und sie gibt das Versprechen. Sie +kann es ruhig tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem Fuhrwerk werden +wird, weiß sie noch nicht. Denn wenn der Doktor sich selbst eins +bestellt, so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat auch dafür +schon Rat geschafft. Er hat mit einem der besseren Besitzer gesprochen, +und der wird sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so weit ist. + +Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und schreit wie ein Tier. Seit +Stunden folgt eine Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm aus +dem Leibe reißen. + +Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, anzusehen wie ein rotbärtiger +Riese -- Perkuhn, der Donnergott, muß so ausgesehen haben --, und blickt +aus großen, rollenden Gottesaugen auf sie herab und sagt mit einer +Stimme, bullrig und gut wie abziehendes Ungewitter: »Na--a? Kommt es +denn immer noch nicht?« + +Nein, es kommt immer noch nicht. Und kommt auch die ganze Nacht hindurch +nicht. Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine Knie zu fassen +und kneift sich darin fest, daß er lachend schreit: »Wirst du wohl +loslassen!« Aber sie kneift nur noch fester. + +Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher gewesen als die Decke +des Zimmers; nur ganz gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und +auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke sitzt, erscheint er noch +immer so groß wie etwa ein Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er +langsam kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird er kleiner. -- + +Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie mit einmal: »Für zehn Mark wird +er das gar nicht machen.« Und sie fängt vor Angst und Ungeduld zu weinen +an, weil es so teuer wird. + +Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen Schmerzen sind, die ihr die +Tränen zum Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die Hand beklopft, +da ist er schon ganz klein. + +Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht und kippt mit seinem +mächtigen Schmerbauch nach hinten zurück, so daß die Beine hoch in der +Luft herumrudern. + +Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht und der Moorboden haben dem +mächtigen Körper nicht standhalten können, und die vier Beine der Hocke +sind unter ihm in die Tiefe gesunken. + +Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht und lacht, und aus dem Lachen +heraus kreischt sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke +geschnitten, und -- wupp! -- ist die Katrike da! + +Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons demütig die Mütze in der Hand +und fragt ihn, was es wohl kostet. + +Da sieht er sich in der Stube um, besieht den grünbunten Schrank und den +goldrahmigen Spiegel und sagt: »Nun, nun, ihr scheint ja ganz +wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also« -- der Erdme steht das Herz +still vor Angst -- »gebt mir also -- drei Mark.« + +Und die Erdme denkt jubelnd: »Wenn das so billig ist, krieg' ich +nächsten Frühling ein zweites.« + + + 9 + +Man müßte lügen, wollte man sagen, daß das nun folgende Jahr für den +Jons und die Erdme kein gesegnetes gewesen sei. + +Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh zieht ein. -- Sie ist die +klügste, die schönstgefärbte, die milchreichste Kuh, die es auf Erden je +gegeben hat. Die Milch muß morgens und abends zur Sammelstelle getragen +werden und bringt manchen nützlichen Groschen. Das Schlimme ist nur, daß +es an Futter fehlt, denn auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst, +wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine Bewohner helfen sich +dadurch, daß sie im Umkreis -- bis über den großen Strom hin -- jedes +Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist. + +So geht auch Jons auf die Suche, findet aber nichts, was nahe genug +gelegen wäre, daß man das Heu auf der Karre heimschaffen könnte. + +In all den Sorgen muß also wohl oder übel der Moorvogt heran, der ja am +besten Bescheid weiß. + +Sie tun also so, als hätten sie _kein_ schlechtes Gewissen, stecken für +alle Fälle die schuldig gebliebene Pacht in die Tasche und gehen zu ihm. + +Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt dann ein großes Buch auf +-- das Buch gewiß, in dem all ihre Sünden stehen -- und sieht sie darauf +wieder an. + +Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, und er denkt: »In Gottes +Namen.« Damit zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt sie auf +den Tisch. »Schad' um das schöne Geld,« denkt die Erdme. Aber wenn man +so angesehen wird, was kann man da machen? + +»Es war Zeit,« sagt der Moorvogt -- weiter nichts -- und schreibt ein +Zeichen in das Buch. + +Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen Bewußtsein seiner +Rechtlichkeit und sagt mit Würde: »Die Pacht fürs zweite Jahr wird auch +bald da sein.« + +»_Das_ wär' nun nicht nötig gewesen,« denkt die Erdme, aber weil es doch +mal heraus ist, will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt hinzu: +»Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen erfüllen wir +pünktlich.« + +Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als will er ein Prusten verstecken, +und der Erdme wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit dem Manne nie, +wie man dran ist. + +Er breitet eine große Plankarte aus und fragt dann: »Wieviel +Kartoffelland nehmt ihr dieses Jahr in Arbeit?« + +»Wenn's Glück gut ist,« sagt die Erdme, »wird die Hälfte von dem +Gepachteten fertig.« + +Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder eine Weile an und sagt dann: +»Für ordentliche Leute hab' ich immer noch ein Stückchen Wiese bereit, +das nicht zu weit liegt.« + +»O Gott, o Gott,« denkt die Erdme. »Wie erträgt der Mensch so viel +Glück? Erst die Wiese und dann auch noch gelobt werden.« + +»Außerdem,« fährt der Moorvogt fort, »ist der Fiskus bereit, Ansiedlern, +die sich bewähren, zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel +unter die Arme zu greifen. Das gibt dann die doppelte Ernte.« + +Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt das Heulen, rennt hinaus und +rennt schnurstracks nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. Dann +wirft sie sich über die Wiege der kleinen Katrike und erzählt ihr die +ganze Geschichte. Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher einmal in +Samt und Seide gehen wird, erzählt sie ihr auch. + +Wie der Jons nachkommt, der inzwischen alles festgemacht hat, fällt ihr +ein, daß der Moorvogt, wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen +Fahrten unmöglich was wissen kann. Die kleine Ulele hat sie gewiß +umsonst in Angst gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine Grenzen. + +Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß angelegt werden, sonst wird's für +den Sommer zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht da, Weidenruten +tun's auch. Wenn die bloß nicht immer von neuem losgrünen wollten. Tag +für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, sogar die Brandmauer +zwischen Kochherd und Ofen schlägt noch einmal aus, weil die Ruten, die +ihr den Halt geben sollen, sich in dem Glauben befinden, sie seien zu +neuem Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt. + +So will alles leben und gedeihen, selbst wenn es längst tot ist. Und der +Jons und die Erdme sollten _nicht_ gedeihen, in denen doch Leben steckt +für zehne? + +Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch und Fenchel werden gesät, vor +allem aber die Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. Denn wenn die +Katrike heiratet, muß sie sich ihren Kranz aus dem eigenen Garten +winden. Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht anders. -- -- + +Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles zum dritten Mal Hochzeit. Die +Kleine hat viel Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die sie der +künftigen Stiefmutter beibrachte, daß sie selbst einmal etwas sehr +Reiches werden wird, hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben. + +Sie ist eine hübsche Person zu Ende der Zwanzig mit einem gutherzigen +und gekränkten Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen deutschen +Kleide und einer Jettbrosche unter dem Halse, sieht sie aus, als ob sie +gekommen wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber die kleine Ulele +weicht ihr nicht von der Seite und erzählt ihr immer aufs neue, wie +herrlich hier alles bestellt ist und was für vornehme Gäste die Stube +erfüllen und daß es für ihre dreihundert Taler eine bessere Verwertung +nicht gebe. + +Der große Smailus dagegen streicht seinen rundbogigen Schnurrbart, sieht +kühn in die Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, dies sei nun +schon seine Dritte. Und hernach, wie er betrunken ist, setzt er hinzu, +wenn daraus eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es ganz recht. Aber +da hat ihn die Ulele bald beiseite geschafft. + +Abends spät, wie viele der Gäste schon weg sind und die verlassene junge +Frau aus dem Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, als möchte sie +rasch wieder anspannen lassen, da nimmt die kleine Ulele die Erdme +beiseite und sagt: »Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach der Stadt, +um das Nähen und die Putzmacherei zu erlernen, denn das muß immer das +erste sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen kann. Aber ich +seh' ein, ich kann die Stiefmutter, bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz +allein lassen. Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. Von dort +wutsch' ich des Abends manchmal herüber und red' ihr gut zu. Dich, +Erdme, aber bitt' ich, daß du oft um sie bist. Der Vater meint es nicht +schlecht, aber sein Wesen könnt' sie verschrecken.« + +Und die Erdme verspricht es und denkt: »Zusammen mit der kranken Witkuhn +sind es schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.« + +Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge Frau und erzählt, wie +verzagt sie einmal gewesen ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen +sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte. + +Und die junge Frau meint traurig: »Aber deiner war jung und war auch +kein Witmann.« + +Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt sie sie bloß und hält ihr die +Hände. Und langsam beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten +Fladen. + +Der Witkuhn ist auch da -- ohne die Frau --, aber er spricht die Erdme +nicht an. Sie muß selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten +erinnern. + +»Es war doch so hübsch, Nachbar,« sagt sie, »darum komm nur immer +herüber. Was nicht sein soll, das hab' ich vergessen.« + +Er sagt: »Du bist gut gegen die kranke Frau und darum auch gut gegen +mich. Ich bete für dich am Morgen und Abend, aber kommen -- das kann ich +nicht.« + +Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen gehen soll, und nimmt +sich vor, ihn nächstens kirre zu kriegen. + +Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie -- sie führt ihn natürlich, +denn hätt' er sich nüchtern gehalten, so wär's eine schlechte Hochzeit +gewesen --, da sieht sie auf dem Weg den grauen Schatten herumlaufen, +der voriges Jahr, als sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich +ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen gefahren war. + +Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis und denkt auch an die +Wassersnot, vor der sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz +ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, wie es geschieht --, sie +hätt' es auch nicht für möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen +hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt hat, und es ihm hinreichen. +Und sagt: »Da nimm, Nachbar, und wenn _du_ Hochzeit machst, gibst du mir +auch was.« + +Er greift zu wie ein Verhungernder und prustet und faucht und läuft +rasch davon, als muß er den Raub in Sicherheit bringen. + +Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. Denn sie denkt, er werde nun +ein Recht an sie haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, wenn er des +Wegs kommt. Und es redet doch sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme +Taruttis tut es nicht. + +Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat er sie anzuhalten versucht, +und manchmal ist er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. -- -- -- + +Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und Kuh verlangen Wartung, eines so +viel wie das andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da. + +Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr schwer, und die junge Frau +Smailus muß eingewöhnt werden, sonst läuft sie womöglich wieder davon. + +Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der kleinen Ulele gehabt hat. +Aber klein ist die schon lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch +kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid und einen Strohhut mit Blumen. +Sie nimmt die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich mit ihr in das +Kieferngestrüpp, das nicht höher ist als der Vater und dessen Nadeln +büschelweis stehen wie Haare auf Warzen. + +»Ach, wie ist es schön, so in einem grünen Walde zu sitzen,« sagt sie +dann, »und die gesegnete Flur zu erblicken!« Und dabei zeigt sie nach +den struppigen Kartoffeln und auf das brandige Moor, auf dem nichts +weiter wächst als Torf in kohlschwarzen Haufen. + +Und alsbald hat sie die junge Frau für acht Tage wieder getröstet. + +Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: »Gott sei Dank, jetzt wird sie's +leichter haben, denn es ist zugesät bei ihr.« + +Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. Oft muß die Erdme heran, +der traurigen Frau den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht +und immer nach Hause will. + +Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. Da heißt es, sich dreifach +zusammennehmen und sich nichts merken lassen, sonst geht die Wirtschaft +den Krebsgang. + +Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt auch für die Wiese zu +sorgen. Die Karre nimmt er des Morgens meist mit und schiebt sie des +Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. Dazu kommt noch die Heuaust, +das Mähen, das Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, wenn +der Regen alles durchweicht hat. + +Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul wird und kaum Antwort gibt, +wenn man ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb's wenig +Unterhaltung im Hause. Aber die lacht schon, macht Brummchen und +zappelt, solange man Zeit hat zum Spielen. + +Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig Scheffel. Davon darf man +sogar verkaufen. Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines kommen dazu. +Man kann fürs nächste Jahr an eine weitere Pachtung denken. + +Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur daß die Erdme ein Spielzeug +hat und daß die Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt. + +Im April kommt die kleine Urte zugereist. Ganz leicht und plötzlich ist +sie gekommen. Der Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen. + +Nun sind es schon zweie, und darum wird Schluß gemacht. Das Nötige hat +die Erdme als Mädchen gelernt. + +Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig gewesen. Noch bleibt Zeit +genug für die Frühjahrsbestellung. Am neunten Tage nach der Geburt hat +die Erdme schon wieder bis an die Knie im eiskalten Schlamm gestanden. +So ein Kerl ist die Erdme. + +Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus gehabt, aber daran ist ihr +Herzweh wohl schuld. Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit einem +Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste getan, hat das Kind gewartet +so gut wie die Mutter und hat dabei noch in den Büchern gelesen. + +Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: »Nun wird es wohl gehen, daß +ich weg kann. Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts auf der +Welt.« + +Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will. + +Und sie sagt: »Zuerst nach Königsberg und dann nach Berlin. Denn diese +kleinen Nester sind nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer +Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des Abends die Schreibmaschine +erlernen sowie die Schnellschrift, die man Stenographie nennt. Dann muß +ich noch einmal aufs Land, das heißt auf ein Rittergut, um die +Wirtschaft zu lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich +verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft und mach' mich dort +unentbehrlich. Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, weil er +einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr los ist. Aber im Grunde glaub' +ich es nicht. Denn die Männer sehen mich nicht an.« + +»Du bist ja noch so jung,« sagt die Erdme. + +»Das ist wahr,« sagt sie, »Busen hab' ich noch gar nicht. Vielleicht +werd' ich auch nie einen kriegen. Ich hab' immer gedacht, ich werd' +durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber das muß ich mir wohl aus +dem Kopf schlagen. Und es wird ja auch so gehen.« + +Und die Erdme lacht und sagt: »Du mit deinen fünfzehn -- was kannst du +da Großes verlangen?« + +»Um mich herum liebt sich schon alles,« gibt sie zur Antwort, »bloß mich +wollen sie nicht.« + +Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, sieht auf die Wiege, in +der Kopf an Kopf die Urte und die Katrike liegen, beide mit +Lutschpfropfen im Munde, und denkt: »Euch wird es nicht so gehen, denn +ihr habt von meinem Blut in den Adern.« + +Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken erriete, denn sie sagt +seufzend: »Ja, wenn man so eine wäre wie du!« + +»Was willst du damit sagen?« fragt die Erdme argwöhnisch. »Weißt du +etwas von mir?« + +»Das gerade nicht,« sagt sie, »aber -- aber --« Und sie druckst und +druckst und kommt nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, dreht +sie sich noch einmal um und sagt: »Eine Bestellung ist es eigentlich +nicht, das würde sie sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß, +daß du es erfährst.« + +»Wer? Was?« fragt die Erdme ganz erstaunt. + +Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen wie zu einer Alten. Das +Elend mit ihrem Manne reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht da +ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid antun. Und ob es keine +Möglichkeit gebe, daß die Erdme sich seiner erbarme. + +Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau sich wirklich so an der Natur +und der Religion versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen. + +»Warum hängt er sich gerade an mich?« fragt sie. »Mädchen, die ihm gern +einen Gefallen täten, laufen genug herum auf dem Moor.« + +Die Ulele macht eine pfiffige Nase. »Das ist es gerade,« sagt sie. +»Ursprünglich wäre ihm wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine ihm +nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als ich noch dümmer war und nicht +wußte, warum, da hab' ich mich ihm manchmal auf den Schoß setzen wollen, +aber da hat er mich von sich gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber +hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich verstehe ja nicht viel +davon, aber ich meine, wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm +wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, ich tät's, aber ich bin +ihm wohl noch zu klein.« + +Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf bis zu Füßen. »Du verstehst +wirklich noch nichts davon,« sagt sie und schiebt die Ulele hinaus und +nimmt auch keinen Abschied von ihr. + +Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt +der Jons ihr gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit ist, +dann sieht sie ihn immerzu an und denkt: »Soll ich -- soll ich nicht?« +Und ihr Entschluß ist dann stets: »Nein, ich soll nicht.« + +Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht fernab auf dem Feld und sich +sein feines, stilles Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen, +dann denkt sie doch wieder: »Ich soll.« + +Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts von ihm träumt und bei Tage +auf dem Grabenrand sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich die +Arbeit. + +Schließlich denkt sie: »Komm's, wie es will, geschehen muß was.« + +Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz und geht zu ihm 'rüber. + +Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke aus der Hand. Er steht da +und sieht sie an wie eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie doch +immer vor Augen. + +»Nachbar,« sagt sie, als hätte sie noch gestern mit ihm gesprochen, +»willst du nicht einmal nach unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.« + +Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße und kommt. Er befühlt der +Kuh den Leib, legt ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die Augenhaut +um. »Die Kuh ist gesund,« sagt er. Weiter nichts. + +Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie zittert. Aber sie weiß, so ein +Augenblick kommt nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch ein wenig +in die Stube zu treten. + +»Was soll ich da drin?« fragt er. + +»Ich hab' schon lange einmal mit dir reden wollen,« sagt sie. + +Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. Die Wiege hat sie vorher +auf den Hof gestellt, damit die Kinder nicht zusehen. + +Und jetzt stehen sie da und zittern beide. + +»Nachbar,« sagt sie, »ich muß immer an die Stunde denken vor zwei +Jahren, und mir ist, als habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es +gutmachen kann, will ich es gerne.« + +»Es ist nichts gutzumachen,« sagt er und bekuckt sich die Bilder. + +»Setz dich auf die Bank, Nachbar,« sagt sie. + +Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr kann sie wahrhaftig +nicht tun. + +»Nachbar,« sagt sie, »du hast ein seltsames Wesen. Nicht bloß gegen +mich. Dir muß irgend was geschehen sein. Das Beste wär' schon, du +sprichst dich aus.« + +»Jawohl,« sagt er, »das will ich.« + +Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie es ihm in der Jugend +ergangen ist. Er ist ein froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, +ansehnlich und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern gewollt zum +Heiraten sowohl wie zu dem anderen. Und eine -- die war wild und +heimlich zugleich. Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war ihr +heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern trafen sie sich unter dem +Kadigbusch auf der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. Da wollte +sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich sind ringsum Lichter aufgetaucht +von Jägern, die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. Da hat sie +zu schreien angefangen, daß er ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer +stak, so hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück gekommen. Das hat +ihn verfolgt von Ort zu Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er ein +Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge vor Gericht hat stehen +müssen. Schließlich hat er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher +bestraft ist und keinem viel Schaden daraus erwächst. Der Moorvogt weiß +es und seine Frau. Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung gesucht, +aber die ist ja schon lang' keine Frau mehr. Und sobald eine andere ihm +zugelächelt hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: »Sie wird +schreien.« Immer hört er das Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht, +wie es ihm damals gezittert hat, als er sich stumm und ohne Verteidigung +hat abführen lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist er noch +heute. + +»Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen können?« fragt sie und +lächelt ihn an. + +»Das weiß ich selber nicht,« sagt er und streicht sich übers Gesicht. + +»Nun, ich hab' doch _nicht_ geschrieen,« sagt sie und lächelt ihn +immerzu auffordernd an. + +»Aber -- abgewiesen hast du mich, und seitdem ist es schlimmer als je!« + +Soll sie nun sagen: »Heute würd' ich dich _nicht_ abweisen?« Das kann +sie nicht. Das bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen Arm +streichelt sie und sagt: »Armer Nachbar.« + +Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber was tut er? Er zittert und +rückt von ihr weg und stöhnt: »Laß man, mir hilft keiner mehr.« + +»Gott wird helfen!« sagt sie, wie man sagt: »Guten Tag« und »Guten Weg«. + +»Auch Gott hilft mir nicht,« schluchzt er und ringt die Hände. »Ich hab' +zu ihm gebetet bei Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung von +mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.« + +»_Ich_ werd' für dich beten,« sagt sie. Sündigen möcht' sie viel lieber, +aber man muß doch so tun. + +Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie der Hungernde den Knochen, +den man zum Fenster hinauswirft. + +»Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn du mir eine große Gnade antun +willst, dann laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott mich dann +hört.« + +Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor und das von Jons, und jeder +schlägt auf, und sie beten und beten. + +Und siehe da! Immer frömmer wird ihr zumute. Sie denkt an die +schlafenden Kinderchen draußen und an den Mann, der sich abschindet von +früh bis spät, und bald begreift sie gar nicht mehr, daß sie eine so +große Sünde hat begehen wollen. + +Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, sagt sie: »Nun, Nachbar, fühlst +du, daß es dir hilft?« + +Er schüttelt bloß den Kopf. + +Sie denkt: »Aber mir hat es geholfen.« Und nun -- ganz aufrichtig +gesonnen -- redet sie ihm gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den +Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die Kinderchen sind noch so +klein, und der Jons hat sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht +recht ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später einmal anders +werden, so daß sie sich dann wegen des Unrechts nicht mehr so zu schämen +braucht. Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken anfängt und sie +schlägt oder so. Dann würd' sie sich kein Gewissen draus machen. + +Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner Mütze und sagt im Gehen: »Ich +werd' also warten.« + +Und sie denkt: »Schade! Aber wer weiß, wozu es gut ist?« + + + 10 + +Wenn _das_ Überschwemmung ist, das läßt sich ertragen! + +Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter Wasser, auch ist der +Knüppelweg zur Chaussee an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich in +der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von neuem kneten lassen. +Aber schließlich -- zu seinem Vergnügen lebt man nicht im Moor, und +alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über Hof und Gräben legt man +Bretter, und der Estrich wird wieder glatt gewalzt. + +So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal gewesen, und die Erdme denkt +nicht mehr mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit denen der alte +Raubmörder einst ihre Hoffnungen vergiftete. + +Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die scheinen ungern davon zu +sprechen, und darum unterläßt sie es. -- -- -- + +Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man stark genug ist, noch +weitere Sprünge zu machen. Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite +Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall gebaut werden. Der Abschlag +am Giebelende reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn die +Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, so daß an manchem Morgen das +ganze Dach der Kuh auf dem Rücken liegt. + +Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, ist zu bezweifeln. Und da +zu gleicher Zeit wegen der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem +Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man vielleicht aus dem +Raiffeisenverein ein Darlehen von ihm erlangen. + +Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April stellen sie die Lampe hoch, +verstecken die Streichhölzer, schließen die Kinder ein, und dann gehen +sie zum Moorvogt. + +Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf sein großes Buch auf. +Ach, dieses fürchterliche Buch! Je länger er darin liest, desto +zittriger werden der Erdme die Beine, denn die Ulele hat ja einmal +gesagt -- -- man wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt hat. + +Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie damals, und endlich macht er +den Mund auf. + +»Also alles in allem geht es euch gut?« fragt er. + +Nun möchte ich den Landmann sehen -- ob litauisch oder deutsch, ob Bauer +oder Graf --, der auf eine solche Frage mit einem schlichten Ja +geantwortet hätte. + +Sie fangen also alle beide fürchterlich zu klagen an. Die Nachtfröste im +vorigen Herbst -- und die verschorften Kartoffeln -- und die +wartungsbedürftigen Kinder -- und die Überschwemmung noch jüngst! + +»Was wißt ihr von Überschwemmung!« sagt er, und ein bitteres, ein fast +verzagtes Lächeln fliegt über sein starkes Gesicht. + +»Jedenfalls geht es euch so gut,« fährt er fort, »daß ihr eine +erhebliche Vergrößerung eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es +kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe euch natürlich im Auge +behalten. Das zweite Hektar ist euch bewilligt, und auch für das +Darlehen werde ich eintreten. Nur -- nur --« er stockt und sieht sie +wieder an, »nur scheint mir, daß ihr noch von der Bauzeit her dies und +jenes in Ordnung zu bringen habt.« + +Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen Blick zu. Was kann er nur +meinen? + +Und er sieht sie immer weiter an mit starren, bohrenden Augen, als ob +sie splinterfasernackig vor ihm stünden. + +»O Gott, o Gott!« denkt die Erdme. Denn _was_ hat die Ulele gesagt? + +Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich am Abend ihrer Trauung +im Matzicker Chausseegraben gegeben haben. Ach, wie bald ist das +vergessen gewesen! + +»Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,« fährt der Moorvogt fort. +»Geht also nach Hause und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß ich +Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht früher.« + +Damit sind sie entlassen. + +In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. Stillschweigend, mit gesenkten +Köpfen gehen sie wieder heim. + +»Allwissend ist Gott allein,« denkt die Erdme. + +»Hier hilft bloß eines,« sagt schließlich der Jons, »daß wir nun doch +noch unter die Gebetsleute gehen.« + +»Warum?« fragt die Erdme. »Wir sind ja fromm genug.« + +»Wenn man unter die Gebetsleute geht,« sagt der Jons, »kann man seine +Sünden bekennen und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein Schade +erwächst.« + +»Gutmachen kann man auch so,« sagt die Erdme. »Wozu noch erst viel +bekennen?« + +»Das ist nicht das Richtige,« sagt der Jons. + +Sie beschließen also, den frommen Taruttis zu besuchen und zu sehen, ob +es lohnt, sich in die Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen. + +Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden. + +»Ich habe schon oft gebetet,« sagt er, »daß ihr den Weg zum Heile finden +möget, und nun ist mein Gebet erhört.« + +So mager und so sanft sieht er aus wie ein Sendbote des Herrn. Und seine +Augen leuchten wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die Taruttene, die +ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. Sie ist nun ganz hutzlig geworden und +will gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon gar nicht mehr aus. +Aber er beruhigt sie. Damit habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit. +Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt werden. Und bei dem +öffentlichen Bekenntnis werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen um +Vergebung anflehen. Das habe noch immer geholfen. + +Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben es zwar oft schon mitgemacht, +aber nun sie selbst daran glauben müssen, wird es ihnen doch +fürchterlich sauer. + +Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier auf den Tisch, macht eine +römische Eins und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt die Erdme das +Wort und sagt: »Damit das Bekenntnis ganz vollständig wird, wollen wir +uns vorerst im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. Sonst könnte es +geschehen, daß etwas fehlt, und das würden wir uns niemals verzeihen.« + +Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer Bestrebungen und ladet sie zu +der nächsten Versammlung. Und dann gehen sie heim. + +»Nein,« sagt die Erdme entschieden, »damit die Leute hernach mit Fingern +auf uns weisen: >Da seht das verstohlene Pack<. Das könnte mir passen.« + +Der Jons meint zwar schüchtern, man könne das Bekenntnis so undeutlich +sprechen -- besonders wenn man zu zweit ist --, daß niemand was Rechtes +versteht. Aber die Erdme bleibt fest. »Unsere Kinder sollen einmal in +Samt und Seide gehen,« sagt sie, »für die muß vorgesorgt werden.« + +Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. Der Mann, dem sie die +Saatkartoffeln ausbuddelten, bekommt die erste Nummer. Und dann folgt +eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. Wem zum +Beispiel sollen sie das Heu für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel +der Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? Oder: Wem hat der Jons +Schaden getan, als er mit dem Abgebrannten wegen der Türen und Fenster +den heimlichen Handel abschloß? Denn was eine Versicherungsgesellschaft +ist, wer kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: die +Veruntreuungen auf dem Holzplatz, auf dem der Jons ja heute noch +arbeitet! Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. Gar manchem, +der eine offene Hand hatte, ist beim Verladen eine oder die andere +Planke mehr auf den Wagen geschmissen worden. Und der Aufseher hat dann +den Rüffel gekriegt. + +Schlimme Sache! Schlimme Sache! + +Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons bringt Postanweisungen und +Linienpapier, und nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, gerade +so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten eintreten wollten ... Und +das tun sie aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse +werden von den Deutschen mit Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht +aufgenommen und niemals weiter verfolgt. Aber in zweifelhaften Fällen +vermeiden sie der Sicherheit halber, ihre Namen anzugeben. + +Einer der Briefe lautet so: + +»Wehrter Herr Hahn! + +Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich eretet hat aus allen meinen +Sünden. Bezeugt mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um mit Gott +und Menschen ins reine zu komen, soll ich mihr reinigen wie auch der +Herr Jesus rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch Ihnen währent +meinem Hausbau beschädigt habe indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich +biete um Vergebung der Schuld, das sie mir nicht vor dem Throne Gottes +verklagen wirde. Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten +Matirials. Der liebe Gott ist selber Richter und weis am bästen den Weg. +Er hat meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete nochmals um +Verzeihung und vergebung der Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und +mein Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr Jesus hat mir schon +vergäben, als er am Kreuze auf Golgatha das Wort ausrief Es ist +volbracht. + + Achtungsvol + J. Baltruschat.« + +Und ein anderer lautete so: + +»Hochgerter Herr! + +Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens mich mit meinem Gott +versähnen wolte, fand ich unter den verbannten Gegenstenden, das ich +mich auch an Ihnen vergangen habe. Zwar glaubte ich früher das wen man +von einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine Sünde ist. Komme +daher ihnen dankbar um Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. Ich +befand mich vor langer Zeit bei meinem bauen in großer Verlegenheit und +da ging ich hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm gleichwie es Gott +gefiel. Daher sände Sie gefälligst 10 Mark. Biete wenn möglich um +Sündenvergebung. + + Hochachtend + ein Nachbar.« + +Diese beiden Briefe, den frömmeren und den weltlicheren, nehmen sie sich +zum Muster und richten danach die übrigen ein. + +So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen genau die Beträge, die +sie den Empfängern schuldig sind. + +Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, um zu erfahren, an wen er sich +wegen des Ersatzes zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen Hause. +Dessen Türen und Fenster sind tausendmal schöner als die, die er damals +beiseite geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, als er aber hört, +daß Jons zu den Gebetsleuten gehen will, sieht er gleich ein, daß es +sein muß, und gibt ihm genaueste Auskunft. + +So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, denn das Ziegenheu kann +auch von selber gefallen sein. Aber das Holzgeschäft! + +»Das deutsche Schwein kann Wind auf dich kriegen und zeigt dich am Ende +noch an,« warnt die Erdme. »Selbst ohne Unterschrift kann es dir +schlecht gehen.« + +Das sieht er auch ein und schreibt darum zur Sicherheit den Namen eines +anderen Arbeiters, der vor kurzem nach Rußland zu den Holzfällern +gegangen ist und der ebenso gemaust hat wie er. So reinigt er zugleich +auch dessen Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen werden muß. + +Als die Briefe und die Postanweisungen weg sind, wird ihnen beiden sehr +wohl zumut. Die Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, aber +statt dessen hilft ja der Moorvogt. + +Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der nächsten Versammlung der +Gebetsleute das Sündenbekenntnis ablegen sollen. + +So kommt der Sonntagnachmittag heran. Sie sitzen vergnügt vor der Tür. +Er raucht seine Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die Kinder +spielen um sie herum. Da hören sie mit einem Male einen feierlichen +Gesang. + +»Es wird ein Begräbnis sein,« meint die Erdme. + +Aber der Gesang kommt immer näher, und was sehen sie? Der fromme +Taruttis und zwei andere fromme Männer gehen zwischen den Kartoffeln +geradeswegs auf sie zu, und jeder hält sein Gesangbuch in der einen Hand +und sein Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze hat keiner auf. + +O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen können sie nicht, und Ausreden +haben sie auch nicht. + +Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie willkommen und fragt, ob er +den werten Gästen vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er doch +wissen muß, daß die Erleuchteten geistige Getränke nicht zu sich nehmen. + +Der fromme Taruttis tut, als hat er die Frage gar nicht gehört, und +sagt: »Teurer Bruder und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens ist +da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! Folget uns nach +Jerusalem, wo ihr alsbald in weißen Kleidern dastehen werdet zur rechten +Seite des Herrn.« + +Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen ist, will richtig schon gehen, +aber die Erdme hält ihn gerad' noch am Ärmel. + +»Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten Gäste,« sagt sie und macht ein +scheinheiliges Gesicht, »seit wir unseren Entschluß kundgetan haben, +prüfen wir uns unaufhörlich, aber es will uns gar keine Sünde einfallen. +Nun müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht vor euch zu +erscheinen, wo doch ein jeder sonst sein Bündelchen auspackt. Darum +lasset uns Zeit, ein Monatchen oder ein Jahrchen -- oder noch mehr, +damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. Vielleicht sündigen +wir inzwischen auch noch was Neues, und das ist dann gleich ein +Abwaschen.« + +So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis auch sein mag, -- daß diese +freche Person sich lustig macht, das sieht er doch ein. + +»Warum seid ihr denn zu mir gekommen?« fragt er sie ganz verdutzt. + +»Ihr seid ja auch zu uns gekommen,« gibt sie zur Antwort. + +Darauf wissen die frommen Männer nichts zu erwidern und heben sich +wieder von hinnen. Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben, +dorthin, wo das Brett 'rüberführt. + +Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die beiden Kleinen im Arm hat +und liebkost. + +Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste hinter den Weggehenden her +und ruft ganz laut: + +»Meinen Töchtern die Heirat verderben, das wär' euer ganzer Segen, ihr +Schufte!« + +Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte er gedacht, daß sein Weib so +böse sein kann. + + + 11 + +Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas wie Frieden gekommen. Er weicht +der Erdme nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie der kranken +Frau beispringt, und kommt herüber, so oft es nottut. Ohne ihn wäre der +Stall gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel prächtiger als das +Wohnhaus und bietet Platz für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar -- +der Himmel bewahr' uns vor Hochmut! -- sogar für ein künftiges Pferd. + +Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es nie so weit bringen wird. Um +so eifriger ist er darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen. + +Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein Werk. Eine Holländerin ist sie, +wollstirnig mit einem schwarzen und einem weißen Auge. Und Milch gibt +sie -- man schämt sich zu sagen, wieviel Milch sie gibt, aber die an der +Ablieferungsstelle, die wissen's. + +Jetzt kommt des Abends schon manchmal Butter auf den Tisch, und die +Kleinen trinken frische Milch, soviel sie nur mögen. + +Im Frühling des fünften Jahres geschieht das Große, daß Jons seine +ständige Arbeitsstelle aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht mehr, +selbst wenn er die Freistunden noch so sehr ausnutzt. + +Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied zehn Mark und eine Kiste +Zigarren wegen der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im Gegensatz +zu anderen, die sich jetzt in Rußland herumtreiben. + +Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff genommen werden, zumal der +am frühesten urbar gemachte Boden für Roggen bald reif ist. + +Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück Wiese dazu und verspricht sogar, +den Jons bei der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab und zu in der +Wirtschaft zu still wird. + +So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt da wie ein blühendes +Kleefeld. + +Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten Beine hebt und senkt, +daß der federnde Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das schwarze +Wurzelwerk unter den Streichen der Hacke zerblättert, als wäre es +Torfgrus, dann ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, um +ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt in lauter Wohlsein die starke +Brust dem Gelingen entgegen. + +Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber ringsum sitzt Kummer genug. Von +der hinfälligen Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. Die wird sich +vielleicht noch Jahre so schleppen, ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben +ihr lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig von Gliedern und schafft +auch, aber in ihrem Innern scheint sie noch kränker als jene. + +Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche Antwort, wenn man sie fragt, +und ihre Brust hat nicht Milch für die Kinder. + +»Was ihr fehlt, weiß ich lange,« sagt der Nachbar Witkuhn. »Die +Moorkrankheit hat sie.« + +Die Erdme fragt, was das ist. + +Und er sagt: »Die Moorkrankheit kommt wie durch ein Gift, das aus dem +Boden aufsteigt. Niemand weiß, wie es aussieht, und kein Doktor hat es +gefunden. Es ist da und ist auch nicht da. Wie man will. Den einen wirft +es nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für den, der daran krankt, +gibt es nur eine Rettung: 'raus aus dem Moor, rasch 'raus, ohne sich +umzusehen. Aber für die meisten ist es zu spät.« + +Was die Erdme einst der Ulele versprochen hat, das hält sie getreulich. +Sie steht der gemütskranken Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht bei +der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des Sonntags oder zum Feierabend +-- denn Feierabend gibt es schon manchmal -- geht sie hinüber zu ihr, +legt den Arm um ihre Schulter und sagt: »Komm, Nachbarin, wir wollen uns +was erzählen.« Und sie führt sie die Sandnase hoch und in das +Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke Frau am liebsten, denn es gemahnt +sie an die verlorene Heide, von der sie herstammt. + +Und dann seufzt sie und weint: »Ach, meine Heide, meine Heide!« + +Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht machen. »Ich bin ja auch +von der Heide zu Hause,« sagt sie, »und weiß: schinden tut man sich dort +nicht weniger als hier. Auf dem Sand gedeiht nicht einmal Roggen, und +der Hafer sieht aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten -- na ja +-- die stehen ja dort höher. Aber Schatten geben sie auch nicht. Und +vorwärts kommt man hier besser als dort.« + +»Aber wenn dort das Heidekraut blüht,« sagt die Frau und starrt +sehnsüchtig ins Weite, »und alles ist rot von lauter Blumchen, und die +Hummeln singen drum 'rum, und die Luft ist warm, und unter dem Kadig +liegt man geborgen so wie im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im +August und ist stets am Versinken. Vier Wochen sind's her, da ist mir +mit einmal der Herd eingesunken -- vor meinen sehenden Augen ist er +gesunken.« + +»Dann ist er eben zu schwer gewesen,« tröstet die Erdme, »man muß ihm +einen besseren Untergrund schaffen.« Und um die Frau aufzuheitern, +erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, rotbärtigen Doktor, der +immer kleiner und kleiner wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem +Leibe versanken. + +Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit anrichtet, sie hätte es +lieber _nicht_ getan. Als sie das nächste Mal mit der Frau +zusammenkommt, da krallt die sich an ihr fest und sagt: »Stell dir vor, +Nachbarin, jetzt kann ich des Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich +muß immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir wegsinken, und das ganze +Bett versinkt, und ich versink' mit.« + +In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel ein, das der Nachbar Witkuhn +die einzige Rettung genannt hat, und sie entschließt sich, die +verängstigte Frau langsam an den Gedanken des Weggehens zu gewöhnen. + +Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist. + +Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie keine, trinken tut er auch +nicht, aber -- und nun legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr -- +»aber er wartet schon«. + +»Worauf wartet er denn?« fragt die Erdme. + +Da macht die Frau die Augen weit auf -- die richtigen Unglücksaugen +macht sie -- und sagt ganz leise ihr großes Geheimnis: »Er wartet schon +auf die Vierte.« + +»Woher weißt du das?« + +Sie weiß es nicht, aber das fühlt man. + +Die Erdme wird dreister. »Da kannst du ihm aber behilflich sein,« sagt +sie. + +»Womit?« + +»Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich 'raustragen. Dann bist du +das Moor los und gehst auf die Heide.« + +»Und die Kinder?« + +Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, was Mutter ist, einen anderen +Gedanken gäbe. + +»Die nimmst du mit.« + +»Und dann?« + +Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie mitgekriegt hat, die stecken +hier in der Wirtschaft. Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie +nun wiederkommt -- ohne einen Groschen und ein Kind an jeder Hand, -- +wer wird sie aufnehmen? Betteln kann sie gehen. + +Die Erdme denkt: »Wenn das Herz ihr nicht längst gebrochen wär', würd' +sie schon durchkommen.« + +Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! Auch die gehört zu den +meisten, für die es zu spät ist. + +Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und denkt: »Dann werd' ich sie +also zu Tode trösten.« + +Und das hat sie auch redlich getan. Ein Lungenhusten ist gekommen, und +die Frau ist schwächer und schwächer geworden. Und erst, als gar +nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken war als der, der auf den +Kirchhof führt, da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne gemacht. Der +Smailus werde verkaufen, ihr zuliebe werd' er verkaufen -- genau so ist +der Smailus! --, dann werden sie auf die Heide ziehen, und sie wird sich +unter den Kadigbusch legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist -- und +dann wird sie schlafen und schlafen -- alle Angst und alle Müdigkeit +wird sie ausschlafen. + +Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber es hat doch noch zwei Jahre +gedauert. -- -- + +In der Nacht nach dem Tode, so gegen Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an +Baltruschats Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus ist da und +weint dicke Tränen. Es ist ihm so graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht +behalten möchten bis gegen den Morgen. + +»Da hast du's, Nachbar,« sagt die Erdme. »Erst konntest du's nicht +erwarten, und jetzt tut es dir weh.« + +»Es ist nicht ums Wehtun,« sagt er, »aber ohne Frau kann man nicht sein. +Wer wird mir jetzt die Schweine futtern und die Kuh?« + +»Ich denk', die hast du schon lange gefuttert,« sagt die Erdme. + +»Das ist richtig,« sagt er, »aber sie war doch da.« + +Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps nach dem anderen. Und +langsam wird er beredt. Was man beim Nachbar Smailus so nennen kann. + +»Ich darf mich ja nicht beklagen,« sagt er, »denn das Sprichwort heißt: +>_Der_ Bauer hat Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen sterben.< +Pferde hab' ich ja keine, aber von Frauen ist mir nun schon die dritte +gestorben. Also hab' ich doch Glück. Aber so was ist leicht gesagt. Denn +wo krieg' ich nun gleich die Vierte her?« + +»Damit hat's ja noch Zeit,« tröstet die Erdme. »Laß sie doch erst unter +der Erde sein.« + +»Nein, damit hat's keine Zeit,« entgegnet er. »Die Trauerfrist werd' ich +schon abwarten. Das versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. Und +so eine, wie meine Dritte war, die findet sich nicht leicht. So sanft +von Gemüt, und dreihundert Taler. Die hat mir auch noch die Ulele +besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?« + +»Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,« sagt die Erdme. »Die hat ja +noch unlängst Wein geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.« + +Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, die Ulele, aber die +Ölsardinen haben der Erdme den stärksten Eindruck gemacht -- in +Erinnerung an den Glanz ihrer Mädchenzeit. + +Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten Tage eine Depesche zu +schicken. Berlin ist ja weit, aber denkbar wär's immerhin, daß sie käme. + +»Wieviel kostet so eine Depesche?« fragt der Smailus. Und ob er +womöglich auch noch die Reise bezahlen muß. + +Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die Depesche werde sie auslegen und +sich später von der Ulele entrichten lassen. Was aber die Reise belangt, +so sei die ohnehin viel, viel zu teuer für ihn. + +Da willigt er ein und gibt auch gleich den Umschlag mit ihrer Adresse. + +Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele. + +Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof zu Heydekrug ankommt, da +steigt sie aus einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt eine +Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht so eine Dame! Ganz in Schwarz mit +langem Schleier und noch einem Schleier und noch einem Schleier. Nie im +Leben hat die Erdme so viele schwarze Schleier gesehen. + +Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich sie den Wagen selber +kutschiert, der die Nachbarstochter heimfahren soll. Die muß erst kommen +und sie in die Arme schließen. Und das tut sie vor allen den Leuten und +schämt sich nicht im geringsten. + +Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt nicht mehr an die tote +Nachbarsfrau, nicht an den Sarg, nicht ans Begräbnis -- wo sie doch +selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist wie ein hilfloses +Kind, -- sie sieht bloß die Ulele. + +Der Inbegriff von allem, was sie hat werden wollen und nicht geworden +ist, das Abbild, das Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der +Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, das Feinste, das Höchste +auf und über der Erde, Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin +des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, keine Kellnerin kann +so schön sein wie die Ulele. + +Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man solch eine Dame Litauisch +sprechen gehört. Es geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch +Litauisch. + +Sie fragt gleich nach allem: »Wo ist der Vater? Wer macht den Sarg? Wer +trägt mir Koffer und Kranz auf den Wagen?« + +Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig Lilien, und es ist doch noch +Winter. + +Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann zu fahren, um den Sarg +zu besehen. Und zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation +wegen des Leichenschmauses. + +Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und alles ist da. + +Das ist die Ulele. + +Aber stolz ist sie eigentlich nicht. + +Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat sie all ihre Schleier abgetan +und sieht nun in dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel anders aus +als eine Deutsche auf dem Szibbener Kirchhof. + +Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das tut, da sagt sie: »Ich bin +ein dummes Kalb gewesen. Ich hab' mich von euch bewundern lassen wollen, +und darum hab' ich mir all das Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm' ich +mich recht vor eurem bißchen Armut.« + +Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die gelben, knöchernen Hände +und sagt: »Die hab' ich allein auf dem Gewissen.« + +»Wieso?« fragt die Erdme. + +»Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und nur auf mein Zureden ist sie +gekommen.« + +Während der Leichenfeier hält sie die Kinder auf dem Schoß und wischt +ihnen die Näschen, aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in seinem +Kummer nicht nach hinten geht und zu viel trinkt. Und jedem der Gäste +schenkt sie ein Stückchen Seife. + +Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch weitere acht Tage, ist +aber selten zu sehen. Und wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich +immer steckt, da gibt sie zur Antwort: »Ich muß doch den Kindern eine +Mutter besorgen.« + +Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und setzt sich mit der Erdme an den +Feuerherd. + +»Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich weiter gehen,« sagt sie. »Sie +ist aus Pagrienen und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas Geld +hat sie, und das übrige leg' ich zu. Aber das darf der Vater nicht +wissen. Damit er sie richtig in Ehren hält.« + +»Du bist wohl sehr reich?« fragt die Erdme bewundernd. + +Sie lächelt und sagt: »Eigentlich bin ich ärmer als ihr, nur bei euch +hat das Geld einen anderen Wert.« + +Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze Geschichte. + +Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es einmal in ihrem Kopf +entstanden war. Hat die Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die +Verwaltung und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren Geschäftsleiterin in +einer Seifenfabrik. Daß es kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen +war, sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied. + +»Und wird Er dich heiraten?« fragt die Erdme begierig, denn sie hat +jedes Wort im Gedächtnis behalten. + +Die Ulele macht den Zeigefinger naß und streicht sich über die +Augenbrauen. Das tut sie oft, wenn sie nachdenkt. + +»Das geht nicht so leicht, wie man sich's vorgestellt hat,« sagt sie und +lächelt. »Denn meistens ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar +noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann begnügt man sich gerne +damit, daß Er manchmal abends zu einem kommt und bis Mitternacht bleibt. +Dann muß man Ihn heimschicken, damit die Frau nicht Verdacht schöpft.« + +»Aber Er gibt dir doch, was du willst?« fragt die Erdme mit blitzenden +Augen. + +»Was ich will, gibt Er mir schon,« sagt die Ulele. »Aber viel darf es +nicht sein, damit die anderen nicht denken, daß man sich 'rumtreibt.« + +Das begreift die Erdme nicht recht. Sie würde gegrapscht haben ohne +Unterlaß, ohne Bedenken. So was versteht sich von selber. + +»Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter da,« fährt die Ulele fort, +»der mich durchaus heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen und +niemand. Darum muß man immer hübsch einfach sein. Nun ist die Frage: +soll ich darauf hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, oder +mach' ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? Das erstere wäre mir +lieber, denn dann bliebe ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an +zwei Männer -- das ist mir zuviel. Und schließlich kommt's einmal 'raus, +und die ganze Blase platzt auseinander. Ich werd's aber trotzdem wohl +tun, denn ich lieb' die Fabrik wie mein Kind.« + +»So hast du also doch durch das Mannsvolk dein Glück gemacht,« sagt die +Erdme mit Stolz. + +Die Ulele schüttelt den Kopf. »Dann sieht die Geschichte ganz anders +aus,« sagt sie. »Stöckrig bin ich geblieben, und Busen hab' ich richtig +auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, reden wir vom Geschäft +viel mehr als von Liebe. Durch Tätigkeit hab ich's gemacht und durch +Nachdenken, -- aber natürlich: das Mannsvolk muß mithelfen, sonst bleibt +man im Mustopf.« + +Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt auch die Kinder. Und jedem +schenkt sie ein Stückchen Seife, die riecht noch schöner als die beim +Begräbnis. + +An demselben Abend, nachdem Erdme die Kinder zur Ruhe gebracht hat, +kniet sie an ihren Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem +Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso fein und ebenso vornehm +werden sollen wie die Ulele, die jetzt Adele heißt. + +Und die sollen _gerade_ durch das Mannsvolk ihr Glück machen. + + + 12 + +Von der Katrike und der Urte hab' ich noch gar nichts erzählt. + +Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, gehen in die Schule und +lernen ein vornehmes Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch +Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite Welt hinaus, dorthin, +wo die Menschen nicht einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist +unerbittlich, wenn sie das »h« nicht aussprechen können, und wie sie's +endlich gelernt haben, da verwechseln sie »Ecke« und »Hecke« und sagen +»der Uhn at Heier gelegt«. Und manchmal weiß die Erdme es selbst nicht. + +Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was Besserem geschaffen sind, +als sich hier von dem Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, denn +das Moor beizt und macht Schrunden und Risse. Darum sollen sie in den +Kartoffeln nur arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. Am +liebsten schickt sie sie in die Wiese. Dort dürfen sie auf den Heuhaufen +liegen und den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. So wie die +Schwalbchen werden sie auch einmal in andere Gegenden ziehen, aber +heimkehren zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür sind sie zu schade. + +Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit nach Kräften. Sie treiben +sich weit und breit im Moore herum und entdecken allsommerlich neue +Gebiete. + +Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, wird nicht leicht glauben, +wieviel es darin zu entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein +Birkengebüsch -- von fern sah es nach gar nichts aus, aber steckt man +die Nase hinein, dann ist es voll von heimlichen Wundern. Rauschbeeren +wachsen darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man sie gern, denn +sie schmecken noch schöner als die Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie +machen die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt und einschläft. Und +der ledrige Porst treibt Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch +besser als in dem kitzelnden Heu. + +Und manchmal findet man Blänken und Teiche -- nicht die viereckigen mit +dem kohlschwarzen Steilrand, die durch Torfstechen künstlich gemacht +sind -- o nein doch -- diese hier stehen seit Erschaffung der Welt und +stechen von weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die einer im +Sonnenlicht hin und her dreht. + +Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel zu Humpel muß man springen, +sonst versinkt man womöglich im Schlamm, und wer einen dann noch +herausholt, wie kann man das wissen? Aber ist man erst da, dann hat man +Freude genug. Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, wie Knäuel von +Schlangen durcheinandergewunden. Darin klettert man 'rum und genießt das +eigene Fürchten. Und noch was weit, weit Schöneres gibt es. Das ist der +Rasen, der in das Wasser hineinwächst und auf dem man sich schaukeln +kann, noch lustiger als zwischen zwei Birken. Aber fix muß man sein und +das Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben auf, und will man +verweilen, dann sinkt er schwer in die Tiefe. Auch sind seine Ränder +sehr böse gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit er hält. Mit einem +Male kann das Wasser an einem hochspritzen, und wie man dann 'rauskommt, +das weiß man noch weniger. + +Aber das macht nichts. Bisher hat man sich immer gerettet. Zwei so'nen +Moorkröten wird das Moor doch nichts tun. Das wär' ja noch besser. + +Im Winter freilich ist's schlimm -- wenn man zur Schule muß und der +Frost durch die Handschuhe durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. Und +in den Schlorren erfrieren die Füße. Da muß die Mutter zur Nacht +Terpentin auflegen. Das brennt wie das höllische Feuer. + +Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn man die Hand vor den Augen +nicht sieht und vom Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und plötzlich +im Schnee steckt bis über die Achseln. + +Dann möchte man wohl gerne zu Hause bleiben wie die anderen, deren +Eltern ein solcher Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig +die Mutter sonst wohl auch ist, hierin kennt sie kein Mitleid. + +»Die Schule _muß_ sein,« sagt sie, »denn wenn sie nicht lernen, können +Besitzerstöchter niemals ihr Glück machen.« + +Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens und abends und bei +jeder Gelegenheit. Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug ihrer +Geburt erinnert werden als sie. Auch daß sie einmal in Samt und Seide +gehen werden, wissen sie längst und putzen zunächst an den Lumpen herum, +die zum Schulgang immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke sind fein +-- bunter Kattun aus dem Hoffmannschen Laden, mit weißen Spitzen besetzt +-- dreißig Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben sie auch und +Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter selber bestickt. + +Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur wenn sie mithelfen sollen und +die Mutter meint, sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich +auf. Und dann muß sie klein beigeben. Wer weiß, ob er ihr sonst nicht +eins überrisse. + +Vom Vater wissen sie wenig. Meistens hockt er des Abends stumm auf der +Ofenbank, oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann nimmt er ein +Blatt Papier vor und rechnet. + +Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun. + +Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und damit der Höchststand +erreicht. Das Pferd ist auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und +bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist eine braune, struppige +Kragge mit Spatbeinen und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin +achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. Darum läuft es trotz +seiner vierzehn Jahre noch immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem +Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen mit einem +Lehnensitz, man könnte sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen. + +Aber solche Sprünge machen wir lange noch nicht. Wir sammeln Pfennig für +Pfennig und tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß das Pracherhaus +heruntergerissen und statt seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es +die Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, mit Kachelofen und Dielen +unter den Füßen. + +Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie es geht, und steckte das +Gekrassel dann an. Aber zwischen Versicherung und Brand müßten +anstandshalber zwei Jahrchen liegen oder auch drei, sonst steigt einem +womöglich der Staatsanwalt auf den Puckel. Versichern kann man ja +immerhin schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, das immer besser +gedeiht und das auf dem Markte Preise kriegt, wie man sie niemals +geträumt hat. + +Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin vorwärts kommt und der liebe +Gott seine Hände sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu hüten! + +Dann ist auch das Frommsein leicht, und die Kirchfahrt wird ein +Vergnügen. Schon weil einen die Leute ansehen und sagen: »Das ist der +Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei Töchtern. Der fing einmal ganz +klein an und hat unlängst eine Belobigung bekommen für Mastvieh.« + +Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht mehr, und keiner geht +jemals zu ihm. + +Bis endlich die Erdme sagt: »Ich muß ihm die Kinder bringen, damit er +sieht, wer wir sind.« + +Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, steckt ihnen Kämme ins Haar +und Schleifen unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber. + +Er ist nun ein Greis, und die Taruttene pappelt wer weiß was. + +»Nachbar,« sagt die Erdme, »du hast uns einmal Obdach gegeben, als wir +jung waren und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum kommen die Mädchen +schön Dank sagen.« + +Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm die Hand, und die Katrike +will nicht, aber sie muß. + +Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz übersinnig geworden. Er muß +erst nachdenken, wer sie wohl sind, dann sagt er: »Ja ja -- ja ja. Der +Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen Trachtens voll. Und keine Reue +hilft und keine Demütigung und kein Gebet. Darum soll er sich züchtigen +mit Geißeln und den Kopf im Staube bergen vor seinem Gott.« + +Die Erdme sagt gekränkt: »Wenn ich gewußt hätte, daß du so nachtragend +bist, Nachbar, dann wär' ich nicht zu dir gekommen.« + +Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von neuem. Dann sagt er: »Es +will mir scheinen, Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, während +ich doch nur mich selber im Sinne habe.« + +»Wieso?« fragt die Erdme verwundert. + +»Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr mich und meine gottgefälligen +Freunde mit Kränkung von dannen gehen heißen. Da habe ich Lieblosigkeit +gegen euch aufgesammelt in meinem Herzen und habe euch Übles antun +wollen. Ich habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt hätte, +hätte ich es auch nicht gekonnt, aber daß ich bösem Willen eine Herberge +geben konnte in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. Die bitte ich +Gott ab, indem ich sie dir abbitte, Nachbarin.« + +Und da geschieht das Wunderbare: der arme alte Mann kniet mühsam vor ihr +nieder und hebt die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, ihn +wieder hochzuziehen. + +Die beiden Marjellen aber lachen sich eins und machen, daß sie +hinauskommen. Und wenn Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack +spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß sie niederkniet und +Abbitte leistet, sonst sei sie kein gottgefälliges Mädchen. + +Und dann vertragen sie sich und lachen immer aufs neue. + +Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht als der Baubau -- »der +Baboszius«, wie die Litauer sagen -- durch ihre ganze Kinderzeit. Vor +dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken. + +Das ist der alte Raubmörder drüben in der baufälligen Kate, der +korbflechtend am Wege sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn sie, +aus der Schule kommend, vorbeimüssen. Dann nehmen sie die Röcke zwischen +die Beine, und heidi! jagen sie quer übers Moor -- über Kartoffeläcker +und Gräben der schützenden Heimat entgegen. + +Und doch hat er ihnen nie was getan. + +Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein gütiger Onkel, bringt +Gerstenzucker und Walnüsse mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. Darin +stehen Geschichten von Königstöchtern und Prinzen und anderen vornehmen +Leuten, zu denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt immer noch +und läßt sich von der Mutter betreuen. Aber ihnen sollte es einfallen, +für fremde Leute Magddienste zu tun! + +Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike ließ' es nicht zu, denn +warum so was Unnützes überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung. + +Die Frau des Smailus -- die vierte -- ist ihnen nicht grün und will kaum +einmal, daß die Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze Person, +die ihren Mann hält, als wär' er ihr Knecht. + +Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der Smailus bisweilen und klagt: +»Was können die Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, und die +gestorbenen Frauen? Denn ich bang' mich so sehr nach der Dritten.« + +Und dann sagt die Mutter bloß: »Siehst du, Nachbar, da hast du's.« -- -- +-- + +Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen Kopf und soll drum in der +Fremde ihr Glück machen. + +Die Katrike wird nächstens zum Unterricht gehn. Sie wächst und wächst +dem lieben Gott ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie »das +Katzchen« genannt. Faul ist sie wie die Pest. Sie muß daher ein +Rittergut haben. Und so ist alles aufs beste bestellt. + + + 13 + +Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! Wassersnot! + +Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser wird man doch noch aushalten +können. Das ist doch fast in jedem Frühling so gewesen. + +Aber man hat erzählt, die Leute, die vom großen Strom herkommen, haben +Vieh angebunden und Betten aufgeladen. In langer Reihe stehen die Wagen +auf dem Rußner Chausseedamm, und vor der langen Brücke sollen sie +aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter können. Der Heydekrüger +Markt sei übervoll, und nirgends mehr geb' es ein Obdach. + +Die Erdme sagt zum Jons: »Sieh doch mal nach, was dran wahr ist.« + +Der zieht die langen Stiefel an und planscht drauf los. + +Der Hof steht unter Wasser. Das will am Ende nicht viel sagen. Der +Knüppelweg steht auch unter Wasser, aber der Boden darunter ist noch +steif gefroren. Man kann vom Fenster aus sehen, daß er fest hält. Wie +der Jons marschiert, macht das Wasser spielende Wellchen über dem +Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde es spritzen. + +Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen Nebel und scheinen so weit +weg, daß man meinen könnte, sie seien aus einer anderen Welt. + +Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, und die Dächer tropfen. + +Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen an. Die Kühe haben heute früh +noch kein Heu gekriegt, und die Schweine quaksen. + +Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: »Wir müssen abfuttern gehen.« +Aber die wollen nicht 'ran, denn das Wasser ist naß. + +So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt die Röcke hoch und geht +auf Klotzkorken nach dem Hof. + +Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, schwimmen schon, und wenn +man von einem zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur so in die +Höhe. + +Aber man kommt doch noch hin. + +Den Schweinen geht das Wasser schon an die Läufe. Sie sind unruhig und +fressen nicht. Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die kommt aus der +Niederung und kennt den Dienst. Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die +will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, obwohl ihm die +nasse Streu kein Vergnügen bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, +aber sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher legen, und dazu gehört +eine Sommerarbeit von vierzehn Tagen. + +Sie will sich von den Tieren nicht trennen, läuft von einem zum anderen +und klopft ihnen beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun. + +Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: »Mamma! Mamma!« + +»Was ist?« + +»Das Wasser ist in der Stube!« + +Also zurück. + +Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr halten. Tritt man darauf, so +gleiten sie seitwärts, und man sieht sich im Wasser bis über die Waden. +Aber man kommt doch noch immer zurück. + +Richtig! Das Wasser steht in der Stube. Gar nicht wie ein Gast, der +nicht hingehört. Hat sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann sich +drin spiegeln. + +Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und sagen: »Wo sollen wir nun +sitzen?« + +»Setzt euch auf den Tisch,« sagt die Erdme. Ihr sind die Beine wie Eis. +Sie sucht einen Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den Kasten. +Da ist das Wasser schon an den Kleidern hochgeklettert und hat alles +verfeuchtet. So setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine an +der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt ist noch worden. Das wärmt sie +wieder ein bißchen. + +Die Marjellen haben sich richtig auf den Tisch gehuckt, wo das Frühstück +noch 'rumsteht. Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie in die +Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie zu träge ... + +Die Erdme will die Füße zur Erde sinken lassen, aber erschrocken zieht +sie sie wieder zurück, denn das Wasser reicht auch hier schon bis über +die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen Kartoffeln geschwommen +und der Schmandtopf zum Buttern. + +Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da nun doch nicht gebuttert +wird, so trinken sie ihn umzech aus, und jede freut sich an dem weißen +Schnurrbart der anderen. + +»Mamma,« sagt die Katrike, »wenn wir hier 'raus müssen, wer wird uns +dann abholen kommen?« + +»Der König wird einen Prinzen schicken,« sagt die Erdme, die sich zu +ärgern anfängt. + +Und sie wollen sich schief lachen. + +Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe in dem Kleiderschrank auf +dem Boden stehen und notwendig naß werden müssen. + +»Ach, Mamma,« sagt die Katrike, »du hast ja schon sowieso kalte Füße. +Sei so gut und hol uns die Schuhe.« + +»Holt sie euch selber,« sagt die Erdme, die immer noch zittert. + +Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da die Katrike am Mittwoch zum +Unterricht muß, so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß einen +Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. Auf dem Sitz kniet sie nieder und +öffnet die Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, und einer ist +umgekippt, so daß beim Hochheben das Wasser im Bogen herausläuft. + +Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt erst ein Unglück geschehen +ist. Wenn _die_ eine Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht! + +Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden. + +»Paßt auf, ob der Vater kommt,« sagt sie zu den Marjellen. + +Die kucken zum Fenster 'raus und sagen nach einer Weile: »Der Nachbar +Witkuhn will das Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.« + +»Ist es schon so weit?« denkt die Erdme, und das Herz steigt ihr hoch. +Doch dann gibt sie sich einen Stoß und springt von der Ofenbank 'runter. +Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, stundenlang -- sie +wird auch das aushalten können. + +»Kommt mit in den Stall,« sagt sie. + +Die beiden glauben nicht recht gehört zu haben. Quer durch die +Überschwemmung -- o pfui doch! + +»Dann ersauft meinetwegen hier,« sagt sie. + +Da leuchtet es ihnen schon eher ein. + +Draußen reicht das Wasser bereits bis an die Knie, und den Marjellen +noch höher. Sie heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie doch. + +Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine drehen sich quiekend im +Kreise, und die Kühe reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. Nur das +Pferdchen steht voll Ergebung und zittert. + +Mein Gott, und der Vater kommt immer noch nicht! + +Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter ihr -- naß bis gegen den +Nabel. + +»Ich hab' mein Vieh dem Smailus mitgegeben,« sagt er. »Die Schweine sind +in den Graben geraten und werden ertrinken. Eure kriegt ihr schon nicht +mehr heraus.« + +»Was wird werden, Nachbar?« Sie ringt die Hände. + +»Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, ihr schafft die Kühe hinauf.« + +Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. Seit wann kann eine Kuh +die Leiter hochklettern? + +»Bringt Säge und Schaufeln,« sagt er. »Auch Mistgabeln bringt, ich +werd's euch zeigen. Dann muß ich 'rüber, meine Frau auf den Boden +tragen. Die liegt im Bett und kann sich nicht rühren.« + +Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei Mistgabeln. + +»Draußen liegen Ziegel vom Bau her,« sagt er weiter, »die klaut aus dem +Wasser und schafft sie herein.« + +Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt er jeder einen Stoß gegen +den Hintern. Das hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die Ziegel, und +die Katrike schimpft, sie wird sich erkälten. + +Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht auf dem Estrich aus, gerade +unter der Luke, und dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, die +ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist zu staken an, der Kuh immer +unter die Hufe, so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht. + +»So macht's weiter,« sagt er und schwingt sich hinauf durch die Luke. +Deren Bretter sägt er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, daß +eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann. + +Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon gegen die Decke, aber unten +weicht das Wasser die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will. + +»Stemmt Bretter gegen!« sagt er. Die Marjellen tun's. Nun sie naß sind +bis gegen den Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das einzige, +was sie vor dem Erstarren bewahrt. + +Die Schweine stehen auf den Hinterläufen und trippeln an der Wand +entlang wie große Ratten im Käfig. + +Wer wird sie heben können? Denn um stille zu halten, sind sie zu dumm. + +»Manneskraft fehlt,« sagt der Nachbar. Dann, sich vor die Stirn fassend, +stöhnt er leise: »Und sie liegt und kann sich nicht rühren.« + +Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber er bleibt. Es ist ja die +Erdme, die ihn braucht. + +Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, da steht der Jons mit einem +Male da -- naß wie eine ertränkte Katze. + +»Ich hatt' einen Kahn beschafft für euch,« sagt er, »da haben die +anderen mich 'rausgeschmissen. Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, und +ein Kind ist ertrunken. Von nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den +Chausseedamm.« + +Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind starr. Nur ein Rucken zeigt, +daß noch Leben in ihnen ist. + +»Nachbar,« sagt der Witkuhn, »die eine Kuh ist oben. Versuch's mit der +anderen. Die Erdme weiß, wie. Das Pferd laß 'raus, das schwimmt zum Damm +von alleine. Aber die Schweine müssen ersaufen.« + +»Vielleicht krieg' ich sie auch noch 'rauf,« sagt der Jons. + +»Unmöglich ist nichts,« sagt der Nachbar und planscht zur Tür. + +»Wo willst du hin?« fragt der Jons. + +»Meine Frau liegt im Bett und kann sich nicht rühren!« + +»Dann bet ein Vaterunser für sie,« sagt der Jons. »Jenseits des Wegs ist +jetzt Strömung. Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen tust du +auch.« + +»Ich muß!« sagt der Nachbar und geht. -- + +Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen Stücke schwimmen nun 'rum. Auch die +Schwarzweiße folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch der Mist will +unter dem Wasser jetzt nicht mehr halten. Der Jons bricht die Raufen +entzwei und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So kommt Festigkeit in +den Bau. + +Die Schweine in ihrer Todesangst klettern jetzt an den Menschen hoch -- +man muß sie mit Mühe abwehren --, und auch das Pferdchen wird unruhig. + +Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem es eine Weile lang in den +Stall zurückgewollt hat, begibt es sich klug auf die Reise. + +Sie schaufeln und staken und staken und schaufeln und nutzen jeden Eimer +und jede Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen. + +Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, da liegt schon das eine der +Schweine regungslos auf dem Wasser. Das andere, das immer noch quiekt, +schieben sie den Mistberg hoch, so daß es halb erwürgt oben ankommt. + +Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen. + +Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu und hat Krämpfe. + +»Ich geh' ins Haus und hole, was nötig ist,« sagt die Erdme. + +Die Marjellen schreien: »Du wirst ertrinken!« Aber sie macht sich nichts +draus. + +Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die Brust. Es steht nicht mehr +still wie zuvor. Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, dicker +als Torfziegel. Die kommen sicher vom Strome. Es muß also ein Dammbruch +geschehen sein. + +Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren zu wollen über Nacht. Aus +der Gegend der Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von Menschen und +Tieren. Ab und zu ein Schrei wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles +still. Wie längst gestorben ist alles. + +Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen die Tischplatte. Die Stühle +schwimmen. Die im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch trocken. +Nur das unterste Stück hängt ins Wasser. + +Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück ist's, daß dem Jons sein +Schafpelz zum Trocknen noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird Wärme +haben. + +Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und her, die Arme hochhaltend, und +immer schwieriger werden die Wirbel. + +Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu die Glieder warm und wühlt +sich nackt in den Haufen. Und während die Marjellen kreischen und Jons +im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein und schläft die ganze Nacht +durch wie ein Sack. -- + + * * * * * + +Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser glänzt eine dünne, blaßblaue +Eisschicht, in die schneegraue Blöcke eingefroren sind. + +Sie denkt an die Prophezeiung des alten Raubmörders. Wer jetzt noch +gegen das Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe Eis mit tausend +Messern das Fleisch zerschneiden. + +Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte ihr einstmals drohte. Nur daß +sie nicht im Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben im Hause +geblieben, weiß Gott, wie es dann aussähe! Das, was dort Dach heißt, +hätte sie niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, das Haus +sieht aus wie eine Roggenhocke kurz vor dem Umfall. -- + +Sie steht auf und zieht sich an. -- Die Röcke von gestern sind noch +patschnaß, aber die mitgebrachten scheinen fast trocken. + +Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem Fieber redet Dummzeug. Die +Kühe haben sich eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück. + +Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch der Stall nicht mehr +festhält. Und der war doch wie für die Ewigkeit gebaut. + +Wie geht's denn mit den Häusern ringsum? Heute ist klare Luft. Man sieht +sie, als wäre man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft das Wasser zur +Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen sein mag? Ob die Frau wohl noch +lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein das Dach durchschlagen, +denn der bestand bis hoch oben aus Ziegeln. + +Und dicht daneben? Was ist das? Da steht ja ein anderes Haus, das +gestern nicht da war! -- Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des +alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden. + +Um Himmelswillen -- das fremde Haus dicht neben dem Hofe des Smailus, +das ist sie ja! + +Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, langsam treibt sie der +Wasserdrang vor sich her. In jedem Augenblick verschiebt sich die +Richtung gegen den Hof hin. + +Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, das sie weiter bewegt? So viel +Kraft kann das kaum haben, denn dann gäb' es ja keine Eisschicht. Und +was bedeutet die Stange, die sich am hinteren Ende hebt und senkt? + +Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein Kahn. -- Ein Kahn, der sich +fortbewegt, ein Kahn, der gelenkt wird. + +Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst von einer Arche Noah +gesprochen? + +Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam kommt sie, aber sie kommt. +Kommt sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie vorbei? + +Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und schreit: »Hierher! Hierher!« + +Die beiden Marjellen fahren hoch: »Mamma, was ist?« + +»Schreit, schreit, schreit!« + +Und alle drei schreien: »Hierher! Hierher! Hierher!« + +Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, dort, wo die Birken bis an +die Kronen im Eise stehen. + +Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit hochstehenden Rändern. Die +hat er all die Jahre mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts +ahnen. + +»Hierher! Hierher!« + +Und jetzt hört man schon das Zerspellen des Eises, das sich am Holze +hochschiebt und klingende Risse voraufwirft. + +Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die Lumpen eines Schafpelzes +hängen an ihm herum. Er schwingt die Stange und lacht -- lacht -- lacht. + +»Nachbar, hierher!« + +»Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar -- hä? -- Der geliebte Nachbar! +Der wertvolle Nachbar -- hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen wollten, +dann wär' ich euch nicht zu schlecht -- hä?« + +»Nachbar -- vergiß und hilf!« + +»Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! Und kein Abseitsrücken! +Jetzt wird spazierengefahren an allen vorbei, die ertrinken, und gelacht +wird wie bei einer Hochzeit.« + +»Nachbar -- erbarm dich!« + +»Hast _du_ dich erbarmt? Ja, du _hast_ dich erbarmt! Du hast mir einmal +ein Stück Hochzeitsfladen hingeworfen. Hast es wohl längst vergessen. +Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, Hochzeit zu feiern bei mir. -- +Du und was mit dir da drin ist.« + +»Jons, steh auf!« + +Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt von Sommerwiesen und Heuaust. Und +die Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen lieber ertrinken +als zu dem Raubmörder ins Haus. + +Aber die Erdme fackelt nicht lang'. Sie kriegt die Urte zu packen und +wirft sie dem Alten aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe +entzweiknallt. Und mit der Katrike macht sie's nicht anders. + +Aber der Jons! Der Jons! »Jons, steh auf, wir müssen in die Wiesen!« + +Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er läßt sich auch den Pelz +anziehen, mit dem er über Nacht bedeckt war. + +Aber nun 'runter. Wie schafft man ihn 'runter? Denn auch ihn aufs Dach +werfen -- das geht nicht. Er würde abrutschen und ins Wasser stürzen. + +»Jons, spring! Nimm Vernunft an und spring!« + +Aber das tut er nicht. Er muß ja in die Wiesen. + +Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch die Luft zu werfen, so daß es +das Rohrdach in Haufen bedeckt. + +»Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring 'rauf, sonst fahren wir ohne +dich nach Haus.« + +Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und -- Gott sei gesegnet! Er springt. +Bleibt in dem Rohrloch stecken, und da ist er geborgen! + +Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt werden. Die Kühe haben Futter, +aber das Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht von dem Miste +ernährt. + +Also los! + +Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm entgegen. + +»Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?« + +»Wer hat mir geholfen -- hä?« + +»Der Taruttis hat für dich gebetet.« + +»Aber gesprochen hat er nicht mit mir -- und der Taruttis ist auch schon +weg.« + +»Aber der Witkuhn ist noch da und seine todkranke Frau.« + +»Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen sie alle.« + +»Der Witkuhn wird _nicht_ ersaufen. Und wenn du mir nicht gehorchst -- +ich bin stärker als du und schmeiß' dich ins Wasser.« + +»Ist das der Dank, du Bestije?« + +»Ob Dank oder nicht -- ich schmeiß' dich ins Wasser.« + +Sie hat Fäuste wie Eisen -- das merkt er sofort und läßt schimpfend die +Stake in ihrer Hand. + +Und sie lenkt hinüber zum Weg -- an den eingefrorenen Birken entlang und +über den Weg hinweg. Langsam geht es -- o Gott, wie langsam! -- Das Eis +knirscht, als fletscht es ihr tausend grimmige Zähne entgegen, und der +Alte tanzt hin und her und droht, er wird die Axt holen und sie +erschlagen; aber sie lacht nur und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft +dicht vor ihr liegt. + +»Nachbar! Nachbar Witkuhn!« + +Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr lebendig. Nur die Katze +sitzt auf dem Dachfirst und knaut. Und das Wasser spült über das +zersplitterte Eis weg rund um den Giebel. + +»Nachbar Witkuhn!« + +Da -- was schiebt sich aus der schwarzen Luke langsam ins Helle? Ein +Bett kommt gekrochen, und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt die +tote Frau, und der Nachbar geht hinterher und schiebt. + +Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar schwimmt hinterher. Und +schließlich kommt auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten +festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen herein. + +»Wie fandst du sie?« + +»Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß ich nicht. Als ich sie auf +den Boden hob, war sie längst tot.« + +Weiterfahren! + +Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar die Hand. Und der nimmt sie +auch und hält sie ganz gierig, als hätte _er_ die Rettung vollbracht. + +Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, an keiner Wirtschaft +vorbeizufahren, aus der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten Geschmack +gefunden, seitdem eine Menschenhand in der seinigen lag. + +Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar Witkuhn, denn er ist naß und darf +nicht erklammen. Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. Die beiden +Marjellen sitzen zusammengekrochen im Winkel, und der Jons stöhnt oben +im Rohrdach. + +Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger als ein +Ziegenverschlag. Der Fußboden besteht aus langen Rudern, den Putschinen, +mit denen die Flößer ihre Holztriften lenken. Die hat er dicht neben +einander gelegt und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und verteert. Ein +Bett und ein eiserner Ofen -- viel mehr steht nicht drin. Und da kein +Herd da ist, der einen Untergrund braucht, so kann das Ganze vom +steigenden Wasser sich hochheben lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm. + +Noch aus drei Häusern holen sie die nassen und steifgefrorenen Bewohner. +Die dürfen ins Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen zum Heizen +sind auch da. + +Der alte Raubmörder geht immer von einem zum andern und kriegt nicht +genug Hände zu schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er. + +So kommen sie näher und näher an den Chausseedamm, an dessen Höhe dem +Wasser kaum noch ein Zoll fehlt. + +Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall und nach Fütterung, und auf +den Wagen weinen die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum mit +Eimern voll dampfendem Kaffee. + +Und überall die Stimme des Moorvogts. Vorne und hinten, in Streit und in +Jammer -- überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft und schiebt +die Achsen und halftert das Vieh und ordnet die allmähliche Abfahrt. + +Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen sieht und den +Bootshaken streckt, an dem man sich festhält. + +»Also das war dein Kunststück,« sagt er zu dem aussteigenden Alten. Und +der nicht faul, verlangt sofort seine Pension. + +»Erst geht in mein Haus und wärmt euch,« sagt der Moorvogt. Da gewahrt +er das Bett mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. Sein +Gesicht, das von dem zweinächtigen Tagewerk wild gedunsen und rot ist, +wird lang und grau. Er schlägt sich mit den Fäusten vor die Stirn, und +wie einer, den beim letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, sagt +er leis' vor sich hin: + +»Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.« + +Aber in demselben Augenblick hat er sich schon einen Ruck gegeben und +ist obenauf. Niemand als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei gehört. + +Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm herangefischt. Und +während es langsam dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die Mützen +vom Kopf. Einer stimmt an, und alle bis weit in die Ferne hinein, auch +jene, die noch nicht wissen können, was los ist, singen das alte +Begräbnislied: + + _Jau su Diewu gywenkite_ + _Jus mylimi, ne werkite,_ + _Kunelí manó dekite_ + _I zemé ir pakaskite._ + +Das heißt auf deutsch: + + »Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben, + Weint nicht, nun ich selig werde, + Und den Leib, der hier geblieben, + Senket in die dunkle Erde.« + +Laut und andächtig singen sie, denn wenn es, Gott sei gedankt, auch nur +wenig Tote gab, jeder hat ja eine Hoffnung begraben. + +Bloß einem geht es so gut wie noch nie. + +Das ist der alte Raubmörder. + +Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts mitten auf dem gestreiften +Sofa, hat die Hände um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift, +speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die ihn voll Achtung +umstehen, wie klug vorausschauend er einst sein Haus umgebaut hat und +wie vielen durch seine Guttat heute das Leben erhalten blieb. Darum und +aus noch vielen anderen Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine +Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage beschließen. + + + 14 + +Wie kann der Frühling so unbarmherzig sein! + +Je wärmer die Tage werden, desto frostigere Nebel haucht das +durchkältete Moor; je heller die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt +sie zutage. + +Der Jons ist von seiner Lungenentzündung aufgestanden und schleicht am +Stock wie ein nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er gelegen, und +Erdme mitsamt den Marjellen ist derweilen bei Fremden in Pflege gewesen. + +Nun sich das Wasser verläuft, können die Moorleute endlich wieder +zurück. + +Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da finden! + +Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor fünfzehn Jahren erbauten, das steht +zwar noch -- aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer stark +schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. Tritt man ein, so stinkt es +nach Moder und Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der Herd +auseinandergespellt, und was von dem Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein +mächtiger Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es mit Lehm und mit +Ziegeln bis in die Tischecke hin. + +Ein Wohnen darin ist unmöglich. + +Darum beschließt die Erdme, mit dem noch krankenden Mann und den +Töchtern zum Stall hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren +geholt worden, die an jenem Tage im Extrazug aus Königsberg kamen. Und +das Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. Die müssen sich +alle mit der linken Seite behelfen, die rechte, wo früher die Schweine +hausten, wird Wohnung. + +Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen wollen nicht 'ran. In +einem Schweinestall zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. Das +sei eine Entwürdigung. Besonders wenn man dicht vor der Fräuleinschaft +steht. + +Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der trostlose Zustand dauert +nicht ewig. Denn dort, wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten, +um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen und vier Dutzend +Schwarten ein Haus zu errichten, rücken eines Tages die Zimmerleute an, +und langgestreckte Gefährte bringen Balken und Bretter. + +Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als damals! -- Der +Raiffeisenverein hilft, und was noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank. + +Der Meister hat einen Grundriß gemacht für eine Große und eine Kleine +Stube, für Kammern und Klete, und statt des lehmbeschmierten +Ziegelgestells wird ein glitzernder Kachelofen herrlich erstehen. + +In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das den Stolz der Familie noch +weiter in die Höhe hebt. + +Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist in der weiten Welt nicht +unbemerkt geblieben. Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange +Schilderungen gebracht, und sowohl die rettende Arche Noah als auch die +Frauenleiche im schwimmenden Bett sind beschrieben und abgebildet +gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die auf Erden so lange und so still +gelitten hat, vom Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu ihrem +Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert. + +In den großen Städten haben die schönen jungen Damen zugunsten der +Überschwemmten getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. Haben +Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, Schaumwein und Küsse verkauft und +sind, wenn das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen. + +Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt und dabei vielerlei +Sachen gefunden, die den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem +Werte sein mußten: Festkleider von vor sechs Jahren, durchgescheuerte +Unterröcke, zerpliesertes Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern, +vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, gespenstische Bademäntel und +zu alledem Hüte für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult, +verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der Inbegriff aller irdischen +Pracht. + +Auch die feinen Herren haben das ihre getan. Die einen haben alte +Hochgebirgskostüme geliefert, weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich +war. Die anderen haben weißen Flanell bevorzugt, weil so ein Moor doch +nahe am Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen Wesen der +Notleidenden entsprechend ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische +gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise ihr altes Ballzeug +loswerden zu können. + +Kisten und Kisten wurden verfrachtet und gingen per Eilzug an den +Heydekrüger Frauenverein. Endlich, endlich werden die armen, nackten +Moorleute was anzuziehen kriegen! + +Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand vor sich liegen sehen, schlagen +sie voll Entsetzen die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, ihn ihren +Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten zu dürfen. Sie kramen alles +heraus, was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen das andere +verstecken. Aber da kennen sie unsere Moorleute schlecht. + +Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten für sie ins Land +geflogen sind, da stürmen sie den Schmidtschen Speicher und suchen mit +List und Gewalt das Feinste des Feinen für sich zu erraffen. Wunder +auch! Wer, der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt den schwarzen +Erdenschlamm knetet, wird es sich nehmen lassen, des Abglanzes fernher +leuchtender Paradiese teilhaftig zu werden? + +Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden flittrigen Fetzen. Wer was +Warmes und Dunkles in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen. +Schandworte fliegen herum, und draußen kommen Tauschgeschäfte zustande, +die wohl zehnmal zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer +Tracht Prügel ein Ende nehmen. + +Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, was das Glück ihnen zuschanzte, +und haben ein Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. Manche +spiegeln sich nach jedem hundertsten Schritte im Wasser der Gräben, und +alle fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, ob ihm in der +Dämmerung nicht was weggegrapscht wird. Den alten Raubmörder will einer +gesehen haben, wie er, gegen einen Chausseebaum gelehnt, barhäuptig +dastand und einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der Brust +plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen ließ. + +Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen reich beladen nach Hause. +Sie haben die lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich mehr an +das Schwere und Feierliche gehalten, denn Erdme war ihres alten Schwures +gedenk, daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide einhergehen sollen. + +Und das können sie fortan wirklich. + +Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem Samt, tiefausgeschnitten +und mit glitzernden Perlen bestickt. + +Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen und damit selbst die +vornehmsten Töchter der Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des +Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar herumstehen. + +Da die frühere Eigentümerin von mächtigem Leibesumfang gewesen sein muß, +so können beim Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen werden, +daß sich auch für die Urte ein Staatskleid ergibt. Und als das fertig +ist, bleiben noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme die eigene +Bluse reichlich damit besetzen kann. + +So fahren sie also am Einsegnungstage alle drei in himmelblauem Samt zur +Kirche. Und die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher. + +Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin. + +Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die lichterziehend und wie ein +Paradiesvogel bunt in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, da +packt sie sie an dem Samtschlafittchen und schiebt sie ins Pfarrhaus. + +»Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, Marjell, dich in solchem +Aufzug vor den Altar Gottes treten zu lassen?« + +Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken. + +Aber wie die Katrike bittet und weint, da fühlt sie ein menschliches +Rühren, holt aus dem Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft es ihr +um die Schultern. + +Und so kann sie denn eingesegnet werden. + +Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen die Baltruschats, von +neidischem Staunen umgeben. Nur des Jons muß man sich etwas schämen, +weil er nicht fein genug ist. + +Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, wie sie den Stolz der +Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit verdammt hinter dem Pfarrer +herkommen sieht, aber sie tröstet sich bald. + +Steckt auch der Glanz noch in schlichtem Futteral, er ist doch schon da. +Und das ganze kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu entfalten. + +Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch blauer sind als der Samt, den sie +anhat, und denkt beim Singen und Beten an die künftigen Bräutigams. + +Und der Jons denkt beim Singen und Beten an das wachsende Haus, dessen +glatt behobelte Wände schon über das Moor hinleuchten. + +Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht zu denken gewagt? + +Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus dem Moorschlamm herausgeholt, +der zäh und unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser lagert, bereit zu +verschlingen, was sich ihm anvertraut. + +Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons seine zerarbeitete Hand und +denkt: Hat es zwischen uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer +hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich überstanden, -- +wo sollte er herkommen, nun es leichter und leichter wird? + +Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag nah ist. + + + 15 + +So! Nun mach' ich einen langen Atemzug -- der dauert volle zehn Jahre +lang --, und dann erzähl' ich, was aus dem Jons und der Erdme und den +zwei hoch hinaus wollenden Töchtern weiter noch wird. + +Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand nicht viel zu +berichten. Als sie mit siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als +Kellnerin einzutreten -- denn das sollte die Schwelle sein zu dem +künftigen Glück --, da war sie ein appetitliches Marjellchen mit +kornblumenblauen Augen und einem süßen Schnauzchen, rund und feucht wie +eine betaute und gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, die sie +inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie schlank und hoch geworden ist +und überhaupt wie eine von den schönen Damen, die in dem früheren Hause +an den Wänden klebten. Sie schreibt bald von der Pariser +Weltausstellung, bald aus dem schönen Italien, sogar von der Spitze des +Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte geschickt, obgleich einem dort von +der großen Kälte die Finger erklammen. + +Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern Ortrud, und auch +Baltruschat heißt sie nicht mehr -- so ein litauischer Name ist viel zu +gemein für sie --, sondern einmal schreibt sie sich Balté, ein andermal +Baldamus und ein drittes Mal sogar wie der katholische heilige +Balthasar. + +Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, wenn man ihrer gedenkt. + +Die Katrike allerdings -- die ist noch etwas im Rückstand. Sie hat keine +Lust gehabt, sich ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch +daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer hat sie immer noch +nicht. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. + +An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang ist sie geraten -- das +wissen wir schon --, und die Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter +ihr her: »Kiek -- die lange Latte!« Dafür ruft man sie zu Hause auch +»Pusze, Pusze«, das heißt »Miesekatzchen«, und dieser liebliche Name +macht viel wieder gut. + +An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie spricht ein sehr feines Deutsch +und spitzt den Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum Beispiel: +»Üch bün eune reuche Besützerstochter.« Und das soll ihr mal einer +nachmachen! + +Viel tun -- tut sie nicht. Hat sie auch nicht nötig. Dafür ist jetzt die +Jette da, die Dienstmagd. Eine niederträchtige Kröt' übrigens. Die +spottet der Katrike doch immer nach. Wenn sie über den Hof geht, faßt +sie den Unterrock mit zwei Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und +dreht den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann ihr nichts nachweisen. + +Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu schade. Eine Stelle als +Stütze oder Gesellschafterin müßte es sein. Aber sie will nicht. Sie +will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen und sich mit der +Brennschere -- die hat ihr einmal die Urte geschickt -- die Haare in +Wickel drehen. Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so graugelb +wie bei einem Mutterschaf auf der Scherbank. + +Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. Sie liebt die Traumbücher +und die Zaubersprüche und liest darin morgens und abends. + +Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und die bespricht sie +fortwährend. An einem Ostermorgen ist sie sogar früh aufgestanden, hat +splitterfasernackt das Haus ausgefegt und das Gemüll ebenso nackt über +die Grenze getragen. Aber geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die +Jette meint, sie solle es machen wie sie und die Flöhe mit einem +Spirituslappen betupfen, so daß sie nicht hoch können. Aber diese +Fangart ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es lieber mit +Zaubern. + +Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike sehr wenig. Aber was soll er +machen? Die Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß gehen +darf sie nicht, und die Hände zerreißen darf sie sich auch nicht, denn +wenn der reiche Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, dann +zieht er sofort wieder ab. + +Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der Allerweltsfreiwerber, +schon zweimal im Hause gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner +Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock die Zunge ausstrecken +lassen und was er sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams, +die er anbot, waren bloß Kroppzeug. Nicht _ein_ richtiger deutscher +Besitzer ist darunter gewesen. Aber die Erdme hat's ihm auch vergolten. +Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, um sich die Nase zu begießen. + +Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons schon an die fünfundzwanzig +Jahr. Sehr schön ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch +nachgelassen. Jetzt würde sich kein Nachbar mehr in sie verlieben. Hart +und knochig ist sie geworden, und einen bösen Blick hat sie gekriegt von +dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen. + +Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele ihnen ihr bißchen Wohlstand +beneiden und ihnen jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen. +Schon manches liebe Mal hat sie einen Zauberbesen in den Quitschen +hängen gefunden, und wie oft der weiße Hexenspeichel an den Zaunlatten +hing, ist gar nicht zu zählen. Einer hat sogar bei dem katholischen +Pfarrer in Szibben für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat ihm +aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer daß er das Reißen bekam. + +Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. Sein Haar ist grau, und +sein Gesicht sieht aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost. + +Was hat der Mann aber nicht alles in seinem Kopfe! Allein das viele Geld +zu verwalten! Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. Und die +Wirtschaft wird staatsmäßiger Jahr für Jahr. + +Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden glänzt in der Sonne wie +Silber, und der massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, was +der Moorgrund schon aushalten kann. Auch drinnen ist alles aufs beste. +Der Herd steht noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in dem er +den Platz hat, ist hoch und weit und voll von bemalten Türen. + +Links geht's in die Große und in die Kleine Stube und rechts in die +Kammern. In keinem litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte ich +erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder in goldenen Rahmen und den +glasierten, doppelten Ofen, -- von der Tapete mit ihren blanken +Sternchen gar nicht zu reden, -- weiß Gott, ich würde kein Ende finden! +Winklig zum Stall ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit +Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des Torfes. Der Garten hat einen +richtigen Staketenzaun, und nicht bloß Raute und Riechblatt wachsen +darin und was man an Buntem wohl liebhat, sondern auch Möhren, Salat und +mannshohe Schoten, wovon man essen kann, soviel man nur will, selbst +wenn man Dienstags Körbe voll auf den Markt bringt. + +So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und keiner der Nachbarn kann +sich mit ihnen vergleichen. + +Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die Taruttene auch. Beide starben +am gleichen Tage, und als man ihnen die Leichenhemden anzog, hat der +Flachs in der Leinwand noch einmal zu blühen begonnen. Überall saßen die +blauen Sternchen. So fromm sind sie beide gewesen. + +Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension gekriegt, und als er zu +Grabe getragen wurde, sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt. +Ob aus Hochachtung oder zur besseren Bewachung, hat niemand zu sagen +gewußt. + +Der lange Smailus ist nun auch schon alt. Seine Vierte, von der niemand +was Gutes weiß, soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, und +wenn das Glück es will, kommt er dazu und nimmt sich noch eine Fünfte. +Die Ulele schreibt ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie schickt, +riecht immer noch schöner. Sie hat längst ihren Oberbuchhalter +geheiratet. Der ist Teilhaber an der Fabrik, und die beiden Besitzer +vertragen sich prächtig. -- Da sieht man, was ein tüchtiges Mädchen +kann! + +Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, wie ist der zusammengefallen! +Eine Dienstmagd besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet von früh +bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen Armen und sucht aus dem +Boden herauszuschlagen, daß er gerade zu leben hat. + +Aber raten und helfen, das tut er noch immer, und sieht an der Erdme +noch immer vorbei, und das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und +gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl so bleiben, bis auch das +andere stille steht. + +Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich über den Weg hin aufpaßt, +und wenn er gleich fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, ob ihn +selber friert oder schläfert. + + + 16 + +Der Jons und die Erdme sitzen im Garten zwischen den eingefaßten Beeten +und haben sich lieb -- denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag. + +Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, aber außer der Katrike +weiß keiner, weshalb. + +Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz aus Silberpapier schenken +wollen, hat auch schon Maß genommen und so, aber dann ist es doch +unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war. + +Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede geben unter den Leuten. + +Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die dünnbehaarten Köpfe. Jons +nimmt die Mütze, die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt sie ihr +auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch einen Scherz hat er in all den +fünfundzwanzig Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht im innersten +Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat. + +Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig und glücklich nebeneinander +hergegangen, und nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken hat +er sich nie -- außer bei Hochzeiten natürlich und ab und zu wohl am +Markttag, aber das gehört ja zum Leben, -- und geschlagen hat er sie +auch nicht. + +Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür dankt sie ihm mit Tränen. Und +auch er weint ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder. + +Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit den Traumdeuteraugen und der +zwei Trauzeugen, die auch am Sonntag nach Mist rochen. Und der +Abendstunde im Matzicker Chausseegraben gedenken sie auch und sehen sich +um, ob niemand sie hört. + +»Denkst du daran,« sagt die Erdme, »was wir uns damals alles gelobt +haben? Leicht war es nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch +getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden gestört.« + +Und er sagt: »Das ist dein Verdienst.« + +Sie sagt: »Deins ist es auch.« + +Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, denen ein guter Streich +geglückt ist wider Erwarten. + +»Gott sei gelobt!« sagt die Erdme; »jetzt sind wir über den Berg, denn +was kann uns nun noch Böses geschehen?« + +Und er sagt: »Ein Dreck kann uns geschehen.« + +Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen im blanken Sonnenschein +und denken: »Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.« + +Aber es kommt doch noch schöner! Viel schöner kommt es. + +Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen wollen wie alle Tage, da +bemerkt die Erdme, daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, ein +Herrschaftswagen, wie er hier selten zu sehen ist. + +Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der »Germania« und denkt +natürlich, es sind Herren von der Regierung, die im Moor nach dem +Rechten sehen wollen. + +Aber wie der Wagen immer noch näher kommt, erkennen sie beide, daß keine +Herren darin sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich sitzt sie +auch nicht, sondern steht und hält einen weißen Sonnenschirm in der Hand +-- mit dem winkt sie und winkt sie und winkt. + +»O Jezau!« sagt die Erdme und fällt wie leblos auf die Bank zurück. + +Da biegt der Wagen auch schon nach dem Zufahrtsweg ein und hält vor dem +Hoftor. + +Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, Brennschere und Seidenpapier +noch in der Hand, und rings um die Stirn sitzen die gewickelten +Knötchen. + +Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud heißt. In einem feinen +graukarierten Wollenkleide springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr her +springt ein Hund, wie ihn noch nie eines Menschen Auge sah. Mit +schneeweißen Locken, größer noch als ein Wolf und magerer als ein +Schmalreh. + +Doch daß die Urte mager ist, kann man nicht sagen. Einen Busen hat sie +-- der ist kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im dritten +Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. Und die blauen +Kornblumenaugen hat sie noch immer, aber goldene Haare hat sie +inzwischen gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft. + +Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da kniet sie vor ihr und befühlt das +Kleid und betastet die Schuhe, und wie sie das Kleid ein wenig hebt, was +kommt da zum Vorschein? Ein Unterrock von lauter -- du wagst es gar +nicht auszusprechen, nicht auszudenken wagst du es! -- ein Unterrock von +lauter Seide, von resedagrüner, ruschelnder, klingender Seide. + +Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, so klingt bei jeder Bewegung +die Seide. + +Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor und Zaun und traut sich an +die hochgeborene Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei der +Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. Und sie küßt auch ihn, aber +man sieht: sehr gerne tut sie es nicht. + +Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, sich die gebrannten +Wickel auszukämmen, und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte an +und möchte auch für sich was Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut +keiner. + +Der weißgelockte Hund, von dem man glauben könnte, man zerbricht ihn, +wenn man ihn anfaßt, steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten +Menschenaugen um sich und streckt den witternden Schlangenkopf bald nach +rechts und bald nach links, als kann er sich nicht erklären, wie er +plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft geraten ist. Den +belfernden Köter, der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude +springt, würdigt er keines Blickes. -- + +Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender Lederkoffer, hoch +wie ein Haus und wohlriechend wie russische Gurten. + +Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen Anmutigkeit und +ihrer rundhüftigen Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer führen kann, +wie man die Lämmer zu Markte führt. + +Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der ist von poliertem Holz und hat +silberne Einlagen. Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll noch +viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht aus wie schwarze, runde +Graupenkörner und schmeckt nach gesalzenen Fischen. + +Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid zum Vorschein mit einem +Spitzeneinsatz und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und auch die Katrike +kriegt ein Kleid, ein hellblaues Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse +und einem hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und federt, wenn man +ihn anrührt. + +Und das Allerschönste hab' ich noch gar nicht genannt: das ist der +Silberkranz. Kein Silberkranz aus Papierblättern, wie ihn die Katrike +beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem schweren, klirrenden +Silber, und ein gleiches Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins +Knopfloch zu stecken. + +Von nun an ist's mit den Heimlichkeiten vorbei. Die Erdme muß das +seidene Kleid anziehen und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, Jons +bekommt das Sträußchen wirklich ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen +sie beide im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein und lassen sich's +gut sein. + +Die Töchter sind um sie herum, und sogar die Jette, die abscheuliche +Kröt', tut sich lieblich, wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne +Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, damit sie des Morgens nicht +klappert. + +Nur einer ist nicht zufrieden -- das ist der große, magere, weißlockige +Hund. Der schnüffelt und schnobert, und wenn man ihn 'reinzieht, läuft +er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte Fressen rührt er nicht an. Die +Urte muß ihm von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, sonst würde er +am Ende verhungern. + +Die Urte erklärt: »Das ist ein sibirischer Windhund, Barsoi genannt, aus +einer ganz alten vornehmen Zucht mit einem Stammbaum, der reicht wohl +hundert Jahre zurück.« + +Sie hat ihn von einem russischen Grafen bekommen, der mit ihrem Freunde +befreundet war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, und alle +lachen sehr, als sie ihn hören, denn Petruschka heißt »Petersilie«. + +Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als die nach Hause gekommene +Tochter ansehen und ansehen. + +Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt -- einen besseren gibt es ja +nicht -- und mit den dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen Haare +geben Feuerstrahlen um sie herum, dann ist der Erdme, als muß sie in +einen finsteren Winkel kriechen und weinen und beten, daß Gott sie nicht +strafen wolle für dieses allzu große Glück. + + + 17 + +Der Urte -- die jetzt Ortrud heißt -- ist in der Kleinen Stube ein Lager +bereitet, und Jons und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich zu rühren +-- aus Angst, sie möchten die Tochter erwecken. + +Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in Frieden bis in den +blanken Vormittag. Eine Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater +zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem erst fertig. + +Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund zu zwei Mark, und läuft zwischen +Herd und Stubentür hin und her, um zu horchen, wann die Zeit zum +Frühstück gekommen ist. Dann trägt sie ihr alles ans Bett und sieht mit +Sorgen, ob die Urte sich's wohl schmecken läßt. + +Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen Spitzenhemd, mit dem +ruscheligen Goldhaar und den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe, +die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote und blaue Sonnen auf +der gewürfelten Decke. + +Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen pflegt. Aber viel ist es +nicht. Und lange Zeiten übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in der +Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme schon aus den Briefen, aber was +sie da überall getan hat, läßt sie im Dunkeln. + +Viele Männer haben sie heiraten wollen, aber es ist nie etwas daraus +geworden. Bei den Reichen und Hochgestellten haben die Eltern es nicht +erlaubt, und den anderen hat sie selber den Laufpaß gegeben. Als sie in +Königsberg Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr hergelaufen. +Viele haben sich duelliert, und einige haben sich totgeschossen. +Schließlich hat sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen +können und ist nach Berlin ausgerückt. Und dort hat das Leben erst recht +begonnen. + +Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft zu machen gedenkt, lächelt +sie mit ihren Blauaugen bloß so verschwommen ins Weite und sagt: »Mach +dir keine Sorgen, Mamusze. Für eine wie mich liegt der Reichtum nur auf +der Straße. Aber erst möcht' ich mich hier noch ein bißchen ausruhen.« + +Und das tut sie auch gründlich. Niemals faßt sie mit an oder kümmert +sich um was. Sie sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen auf der +Gartenbank, blickt nach dem Himmel und lächelt. Nur ihre Kleider hält +sie in Ordnung, steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und bügelt, +und ihre Finger, die rund und lecker aussehen wie marzipanene Würstchen, +führen die Nadel schnell und mit Ruhe. + +Die Erdme ist noch immer wie von einem Zauber befallen. + +Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an das heimgekommene Kind, macht +sich in ihrer Nähe zu schaffen und schleicht um sie 'rum, bloß um sie +still und andächtig zu betrachten. Oft ist ihr bange vor lauter Stolz, +so daß sie sagen möchte: »Sei doch einmal wieder wie früher.« Aber sie +weiß, das kann die Urte nicht mehr, dazu ist sie zu lange weggewesen und +hat zu viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie Schönschreiben kann und +Französisch, das hat die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie +gehabt. Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, aber es muß wohl das +Feinste sein, was auf der Welt gelehrt werden kann. + +Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand und sagt: »Ach, freu dich doch! +Freu dich doch!« + +Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, mit der Tochter +zusammenzusein, und er schämt sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr +reden und wie er den Löffel halten soll, und das Brot schneidet er +heimlich unter dem Tisch. + +Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, hat ihn »lieb Väterchen« +genannt und so. Wie er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch +sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. Es liegt noch nicht +Übles zwischen ihnen, bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder +Tag für Tag. + +Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz will ihr zerbrechen bei seinem +stillschweigenden Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht zwingen, +daß er sie lieb hat. + +Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der Schwester alles nachmachen +und versteht es doch nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen +und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die Nägel werden bloß noch +dreckiger, der Mund sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab +wie vertrocknetes Krummstroh. + +Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne Beschwerde. + +Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und macht sich ihre Gedanken. +Nicht daß sie die Katrike nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist wie +ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt dasitzt und sich in rein +gar nichts mit der Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn sie das +Hellblaue angezogen und den großen Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch +immer wie Tag und Nacht. + +Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist. + +Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. Die Urte unterweist +die Katrike in allem, was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme +und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, so daß der Neid in ihr +nicht hochwachsen kann. + +Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht länger so mit ihr geht. + +»Wenn du die Ulele wärst,« sagt die Mutter, »dann würdest du jetzt einen +Mann für sie suchen.« + +»Ich kann ebensoviel wie die Ulele,« sagt die Urte. + +Und da sie's verlangt, wird eines Tages, als der Jons in die Wiesen +gefahren ist, der kleine Tuleweit bestellt, der schon für hundert +Vermittlungen seine Prozente gekriegt hat. + +Der in seinem langen Pfarrersrock und den knallengen Hosen kommt forsch +herein und denkt, er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel spielen; +wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die ihn in ihrer rosenfarbenen +Fleischlichkeit ankuckt, da wird ihm schon ganz anders. + +»Aus was für 'nem Himmel ist denn _das_ hierher geflogen?« fragt er. + +Und die Urte sagt: »Nehmen Sie Platz, Herr Tuleweit.« Und sie, die +Erdme, bringt von dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer was da +ist. + +Und die Urte sagt weiter: »Sie sehen es mir vielleicht nicht an, Herr +Tuleweit, daß ich aus diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das +macht nichts.« Und dann lobt sie ihn, weil ihr bekannt ist, daß er bei +seinen Vorschlägen immer das Richtige trifft. + +Er bedankt sich und dienert. + +»Nun bin ich aber drauf und dran,« sagt sie weiter, »eine große Partie +zu machen. Eine wirklich große Partie. Und da wär' es mir natürlich +angenehm, wenn ich durch meine Schwester nicht in Verlegenheit käme. Ein +Deutscher müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, so daß man +sagen könnte: >Meine Schwester ist an einen Gutsbesitzer verheiratet.< +Das würde dann schon den richtigen Eindruck machen.« + +Die Erdme denkt: »Sie ist noch klüger als die Ulele.« Und der ganze Herr +Tuleweit schwimmt wie Öl auf Zuckerwasser. + +Was an seinen bescheidenen Kräften liege, das werde sicher geschehen, +aber letzten Endes sei es ja leider Sache der Mitgift. + +»Natürlich, natürlich,« sagt die Urte. Und wäre sie schon verheiratet, +so würde es ihr auch nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich +auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon mit etwas Bescheidenem +vorlieb nehmen. + +»Was heißt bei Ihnen >bescheiden<?« fragt der kleine Herr Tuleweit und +dienert nicht mehr. + +Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird sie sagen? + +Und sie sagt: »Nun, etwa fünftausend Mark.« + +Fünftausend Mark hat der Jons auf der Sparbank. Die hat er mit ihr in +zwanzig Jahren zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht meinen. +Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht sein für das kommende Alter. +Gewiß will sie aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es fehlt +womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit macht eine hängende Nase und +sagt, bei einem so kleinen Anerbieten werde man leicht behandelt wie ein +nichtsnutziger Schwätzer, aber er wolle schon sehen, er wolle schon Rat +schaffen und hoffe auf spätere reiche Belohnung. + +Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, in acht Tagen +wiederzukommen. + +»Willst du die Fünftausend wirklich aus Eigenem geben?« fragt die Erdme +voll Dankbarkeit. + +»Sehr gern wollt' ich sie geben,« sagt die Urte und lächelt; »nur, wenn +ich sie hätte, dann braucht' ich sie selber.« + +»Wo sollen sie denn aber herkommen?« + +»Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,« erwidert die Urte. »Ist es +nicht schon genug, daß ich auf meine Hälfte verzichte?« + +Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr ein Klumpen Heede im +Schlund. + +Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit die Katrike ein Nest kriegt. + +Und die, die solange in der Kammer gelauert hat, kommt begierig +gelaufen. + +»Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen hat er? Wieviel Pferde stehen im +Stalle? Wieviel Rindvieh weidet am Ufer?« + +Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. »Wenn es um _den_ Preis geht, +dann schlag dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein Gespartes gibt der +Vater dir nie.« + +Und die Katrike heult und wälzt sich am Boden. Ihren Besitzer will sie +nicht lassen. Der ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der kommt +ihr zu. Der gehört ihr zu eigen. + +Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. Ihr Kind ist im Recht. Nie ist +von was Anderem die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders +gedacht. + +Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie und verspricht ihr das Blaue +vom Himmel. + +Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die dickgeweinten Gesichter und +wundert sich. Aber fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon +abgewöhnt. + +Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste ist, geht ihm aus dem Wege, +so viel sie nur kann, aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich +versucht sie's mit Vorwürfen. + +»Du hast kein Herz für deine Töchter,« sagt sie, »und du achtest sie wie +einen Strick um den Hals.« + +Er fragt: »Wer hat dir das zu wissen getan?« + +Und sie sagt: »Das ersieht man aus deinem Benehmen. Schon die Katrike +hast du nicht leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, ist es noch +schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis« -- ein gemeiner Mann -- »und +bleibst ein Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.« + +Er sagt: »Ich habe nie erfahren, daß du von besserer Herkunft wärest als +ich. Als wir anfingen, Pracher waren wir da alle beide.« + +»Ich habe doch wenigstens meine Betten gehabt,« entgegnet sie drauf, +»und sechsundsechzig Mark hatt' ich auch, aber du hattest so gut wie gar +nichts.« + +Und er sagt: »Zu meinem bißchen habe ich zwei Jahre Arbeit gebraucht, +aber wo du deine Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts +Rechtes.« + +Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor die Stirn. »Ich habe dir +vorgerechnet auf Heller und Pfennig,« sagt sie, wie mit Blut übergossen, +und wendet sich ab. + +Sie ist nun so wütend auf ihn -- sie könnt' ihn beinahe vergiften. + + + 18 + +Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder da. Er hat einen, der +wäre nicht abgeneigt. Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit dem +Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat eine verschuldete Wirtschaft nicht +weit von Mineiken, und er ist der Dritte von Fünfen, hat eben gedient +und hält bereits Umschau unter den Töchtern der Gegend. Ob man nach +deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf dem Markt oder auf dem +Gericht oder sonst irgendwo, als käm' es durch Zufall. + +Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, aber ihre Tochter, die +Urte, will alles schön in die Hand nehmen. + +Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. Dort wird der junge Herr +Schmidt einen Schimmel seines Vaters am Halfter führen, und die +Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. Und was dann folgt, +wird Herr Tuleweit bestens besorgen. + +Das wird von nun durch und durch geredet, stundenlang, tagelang. Für die +drei Frauensleute gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. Kaum daß +die Hausarbeit notdürftig besorgt wird zwischen all dem Getuschel. + +Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. Wenn er nicht einen neuen +Freund bekommen hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein +gewesen. + +Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer Hund. Du glaubst es nicht, +wie sich das langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem Hof gestanden +und ist still zur Seite gewichen, wenn ihn einer hat anrühren wollen. +Keinen hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer ihn zu +streicheln meinte, der griff in die Luft. Ins Haus hat ihn keiner +'reinholen können, selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie +ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl mit ihr gegangen, aber beim +nächsten Wupp war er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich +ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die Arbeitswagen stehen und +etwas Heu immer verstreut liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein +Fressen gebracht, und da lag er und blickte still um sich. + +Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit Locken und mit Betatschen +zu nahe zu kommen, war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu fein und zu +herrschaftlich. Aber siehe da! Eines Frühmorgens, wie der Jons als +erster aus dem Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, wer ist +da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen und hat sich +zukuckend auf die Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend +geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, bis der Jons zum Mittagessen +nach Hause ging? Und wer ist allmählich näher gekommen und hat sich mit +leisem, langem Bisse das Brot aus den Fingern geholt? Und wer ist +schließlich sogar, wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden +Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat bei ihm Wache gehalten +stundenlang, bis er beladen zurückkehrte? + +Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde sollen ja immer untreu +sein, sagen die Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; nur wenn +sie spazieren geht auf der Chaussee nach Heydekrug oder nach Ruß hin, +dann nimmt sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas zum Staunen +haben. + +Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber das macht nichts. Denn dort +sieht man doch Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt +hinterherraten, weil sie das plötzliche Wunder nicht zu fassen vermögen. +Und Urte fühlt sich als Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst +mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die alle sehnsüchtig hinstarren, +denen im Hinterwalde zu hausen bestimmt ist. + +Bisweilen trifft man auch junge Männer mit Schmissen, die sicherlich in +Königsberg studiert haben und denen man vielleicht einmal auf dem Schoße +gesessen hat. + +Denen wirft man gelegentlich einen lockenden Blick zu und bringt sie zum +Rasen. Denn irgend eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben in der +torfschwarzen Öde. + +Nur an dem Hause des Moorvogts geht man ungern vorbei. Man weiß es +nicht, aber man spürt's in den Gliedern, daß dort hinter den +Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich sie und ihr Leben +durchmustern. -- -- + +So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt heran, auf dem die Besitzer von +weit und breit zu Kauf und Trunk sich treffen. + +Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh hingebracht, die demnächst +stehen soll und die darum eingetauscht werden muß. + +Die Schwestern melden sich erst, als er weg ist, denn mit dem Vater +zusammen einzuziehen, hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr +gefördert. Wenn alles gut geht, gleitet man im Gedränge an ihm vorbei +und braucht ihn nicht einmal anzureden. + +Die Katrike wird heute von der Urte extra zurechtgemacht. Sie darf die +Haare nicht brennen und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen +faucht, die Schwester sei nichts weiter als neidisch. Aber die lächelt +nur und ist nicht einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen +Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen. + +Dann ziehen sie los, und die Erdme weint und betet hinter ihnen her. + +Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen. + +Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er hat einen guten Handel gemacht. Die +neue Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und kaum einmal zuzahlen +hat er dürfen. + +Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. Er schlingt finster sein +Mittagbrot und fragt mit keinem Wort nach den Töchtern. + +Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die heute früh hat angebunden +werden müssen, weil sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein wollte. + +Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf in seine Arme nimmt und +leise zu ihm herniederredet. + +Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht hinter ihm her und sagt: »Mit +dem unvernünftigen Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, gönnst du +kein gutes Wort.« + +Und er sagt: »Ich habe die beiden Marjellen getroffen, ausgeputzt und +mit fremden Männern. Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite +gedreht. Ist das nicht etwa genug?« + +Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. »Wer kann seine Augen überall +haben?« sagt sie. + +Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten sie sich, ob er nicht +endlich schon weg sei. + +»Und _wenn_ auch,« sagt sie. »Was kann _ich_ dafür?« + +Da läuft ihm die Galle über, und alles, was er in sich verborgen hat +seit Jahren, kommt ans Tageslicht. + +»Was du dafür kannst?« schreit er. »Du hast zwei Faulenzerinnen erzogen, +zwei Rumtreibersche hast du erzogen, die kein Verlangen tragen nach +Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen und sich den Rücken wundschlafen +bis Mittag -- die es mit den Deutschen halten und ihren Vater achten, +als wär' er ein Schnodder. Soviel kannst du dafür, wie die Stute kann, +daß ein Fohlen aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!« + +Die Erdme denkt an das, was sie neulich heruntergeschluckt hat. Eine so +zornige Rede darf sie nicht ohne Antwort lassen. + +»Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,« sagt sie, »aber da kommst +du gerad' an die Rechte.« Und dann wirft sie ihm vor, daß sie es war, +die den ganzen Wohlstand geschaffen hat, daß er nichts Anderes gewesen +ist als ihr Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet hat +fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder andere Knecht ersetzen kann, +wenn es ihr paßt, ihn zu mieten. + +Die Augen schwellen ihm zu und glupen nach rechts und glupen nach links, +als sucht er was und kann es nicht finden. + +»Was du sagst, mag wohl so sein,« sagt er, »nur in einem könnt' er mich +nicht ersetzen, nämlich dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu geben.« + +Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den Pfahl aus der Erde, an dem +die Petruschka angebunden ist, und schlägt damit die Erdme über den +Rücken. + +Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt die flachen Hände als +Stütze. Die Jette, die grienend zugehört hat, schreit auch und springt +auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn der Pfahl ist zu dick, als +daß menschliche Glieder unter ihm ganz bleiben könnten. + +Darum wirft er ihn auch weg und holt aus dem Stalle die Peitsche. Die +Petruschka läuft winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend die Hände, +aber er achtet ihrer nicht, schlingt die hanfene Schnur um den Stiel und +läßt ihn im Bogen durch die Luft hinpfeifen. + +So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme noch kniet. + +Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn vor ihm da -- bleich +und zusammengefallen wie immer -- umpusten könnte man ihn --, aber in +seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem er sich sonst die +Spatzen vom Kirschbaume schießt. + +Ihm das Gewehr zu entreißen, wär' leicht, aber was dann? Wie kann man +sein Weib noch bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen? + +Drum bleibt er ruhig und sagt: »Nachbar, hast du mal was von +Hausfriedensbruch gehört und Bedrohung mit tödlichen Waffen?« + +Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und stellt sich so vor die Erdme, +daß er sie mit dem Leibe deckt. + +»Ich fordere dich also auf, meinen Grund und Boden zu verlassen -- zum +ersten, zum zweiten und zum dritten Male.« + +Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein rechter Zeigefinger liegt +dicht vor dem Abzug. + +»Gut,« sagt der Jons, »ich geh' jetzt zum Rechtsanwalt, der wird die +Anzeige erstatten. Aber die Peitsche nehm' ich mit, und treff' ich +unterwegs die beiden Marjellen, dann werden sie die Prügel kriegen, die +ihrer Mutter noch zustehen.« + +Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann völlig zu Boden. Er aber +kehrt sich nicht daran und geht seiner Wege ... + +Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und die beiden Marjellen hat er +auch nicht getroffen. Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen +geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit zu Hause +angelangt ist, da hat er das Nest leer gefunden. -- Keine Frau, keine +Töchter, keine Magd. + +Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man kann ihre Stimmen hören über +den Weg hin. + +Und das Sparkassenbuch ist auch weg. + +Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist bloß der fremde Hund da, der +aus traurigen Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er die Übeltat +gutmachen, die man ihm angetan hat und die im Grunde genommen seine +eigene Übeltat ist. + + + 19 + +Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn auf die Erdme gewartet. + +Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann. + +Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder und wieder an. Sie ist +die Schönste, die Jüngste, die Kräftigste geblieben, aber er ist ein +alter Mann. + +Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und schwatzen, wie sie nur mögen, +und achtet ihrer nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die die +Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach geben muß, weil sie nun einmal +zu ihr gehören. Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner Magd. + +Die Urte und die Katrike haben gestern Großes erlebt, und das erzählen +sie immer von neuem: Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen hat, da +ist er gleich ganz hingenommen gewesen. Zuerst hat er freilich gedacht, +die Urte sei ihm als Zukünftige bestimmt, und da hat er sich +zurückziehen wollen, denn er ist sich nicht gut genug erschienen für +sie; wie er aber gehört hat, daß die Katrike es ist, da hat er um so +freudiger zugegriffen und hat mit ihnen beiden und dem Herrn Tuleweit in +der »Germania« gesessen bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit weiß +auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit Fünftausend Anzahlung wohl +zu haben wäre, nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn sein Vater +gibt ihm rein gar nichts. + +Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht die Erdme hoch auf, denn von +ihrem Eigenen her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die nicht +gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind in der Frühe. + +Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem Eimer hinübergehen. Die +wehrt sich erst, denn sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich +tut sie's doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, der Wirt habe auf +der Häckselbank gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, und die +Petruschka vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr umgesehen. + +Und die Urte erzählt weiter: Um drei nachmittags habe der junge Herr +Schmidt weggemußt, aber am Nebentisch -- da hätten ein paar vornehme +junge Herren gesessen mit Schmissen und goldenen Kneifern, die wären +schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt zu machen, und hätten +ihr zugeprostet und so. Und schließlich wären sie alle zueinander +gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den Abend. Den kleinen +Herrn Tuleweit hätten die fremden Herren erst für den Vater gehalten; +als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler sei, da wäre des +Neckens kein Ende gewesen, so daß er nichts Besseres zu tun gewußt habe, +als bald zu verschwinden. Und von nun an sei es erst recht hoch +hergegangen. + +Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen mit Heimlichtun nicht zu +Ende. + +Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den Haushalt besorgen, aber das Kreuz +ist ihr wie gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum redet die Urte +ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest zu beschaffen wegen der künftigen +Scheidung. + +Um vier Uhr nachmittags wird drüben der gute Wagen angespannt, und Jons +fährt weg, ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen. + +Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was gestern zur Nacht nicht +mitgebracht werden konnte. + +Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme bei sich trägt, hat der Jons +zum Schutze vor Einbruch ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern +kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig zum Lachen. + +Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, und auch sie selber gibt +an, was sie für Sonntags wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug +haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel Gäste versorgen? + +Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! Die Federbetten gehen mit, +und so noch vieles andere, so daß der Handwagen des Nachbars viermal +hochbeladen den Knüppelweg überquert. + +Schwer wird der Abschied von den Kühen, die die Erdme nicht einmal +melken kann, so weh tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und wirft +ihnen Heu hin und denkt: »Wie gut wär's, wenn ich sie drüben hätte!« +Auch die Neue ist ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat sie sie +kaum schon gesehen. + +Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, und dann geht es heim. + + * * * * * + +Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause des Nachbars ein furchtbarer +Lärm. Schwere Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons betrunkene +Stimme schreit: »Ihr Diebe! Ihr Räuber! Kommt 'raus! Ich schlag' euch +tot, ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und dann ihren« -- +»Liebhaber« sagt er nicht, es ist ein viel schlimmeres Wort, das er +sagt. Und ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd und droht, sie +alle zu erschlagen. + +Die Urte und die Katrike knien im Hemd an der Mutter Bett und kreischen +bei jedem Schlage, der das Ladenholz zersplittern will. Und vor der +Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und ruft durchs Schlüsselloch, sie +möchten ganz ruhig sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn der +draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen. + +Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, und auch das Winseln und +Heulen Petruschkas verstummt nach und nach. + +Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch zwischen dem Nachbar +Witkuhn und der Erdme. + +»Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,« sagt der Nachbar, +»aber heute seh' ich ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was du +für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu Diensten sein, was dein +Wunsch ist.« + +»Ich weiß nicht aus, nicht ein,« sagt die Erdme. + +Und der Nachbar sagt: »Ich habe es mein Lebenlang für das größte Glück +auf Erden gehalten, daß du einmal meine Frau würdest. Aber nun mir +plötzlich die Möglichkeit gegeben ist, daß es so werden könnte, da seh' +ich ein, ich bring' es nicht übers Herz. Denn jeder wird sagen, wie Er +es ausschrie heute nacht, daß wir in Buhlschaft gelebt haben alle die +Jahre.« + +»Beinahe wär' es ja so gewesen,« sagt die Erdme. + +»Wenn es so gewesen wäre,« erwidert der Nachbar, »dann hätten wir längst +kein Gewissen mehr und keine Scham und würden lachen, wenn die Leute mit +Fingern auf uns zeigen. Aber nun schreck' ich schon zurück bei dem +Gedanken, Ihm auf dem Weg zu begegnen.« + +»Ich dränge mich niemandem auf,« sagt die Erdme gekränkt. + +»Und ich bin ein alter Mann,« sagt der Nachbar. »Ich möchte nicht, daß +du mir fluchst, wenn du mich auf den Kirchhof trägst.« + +»So bleibt mir als einziges,« sagt die Erdme, »daß ich in Ausgedinge zu +der Katrike zieh', wenn die jetzt heiratet.« + +»Ist es denn schon so weit?« fragt der Nachbar. + +»Wenn ich alles hergebe,« sagt die Erdme und drückt die Hand gegen das +Sparkassenbuch, das sie auf nackigem Leibe trägt, »dann ist es so weit.« + +»Er wird das Geld schon gesperrt haben,« sagt der Nachbar. + +»Vielleicht auch nicht,« sagt die Erdme, und weil sie sowieso nach +Heydekrug muß wegen des Doktorattestes, wird sie auch gleich die +Fünftausend abheben, die ihr nicht weniger gehören als ihm. + +Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn er selber hat immer noch keins, +und wie sie aufsteigen will, muß sie von zweien gehoben werden, so +verschwollen ist alles. + +Als der Doktor sie untersucht hat, macht er ein ernstes Gesicht und +sagt: »Schlimm genug sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich +schreiben muß, aber ich rat' euch trotzdem: Vertragt euch!« + +Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie ein ängstlicher Traum, und +oft hat sie gedacht: »Wenn er jetzt käme und sagte: >Laß gut sein< -- +weiß Gott, ich ginge zurück.« Wie der Doktor aber sagt: »Es sieht +schlimm aus,« da wird ihr Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß +sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den Menschen. + +Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem und zahlt ihr das Geld +ohne Bedenken. »Ja ja,« sagt er, »wenn man Töchter verheiraten will.« + +Und da hat sie's auch schon in den Händen. + +Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie selber kann sich nicht an- +und nicht ausziehen, weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt +sie »Mamusze« und »Mammelyte«, was sonst nur die Urte sagt, und »Mane +Baltgalwele« -- mein Weißköpfchen -- nennt sie sie, wie die alten Mütter +in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar noch fast braun ist. + +Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, jetzt wird sie dem Jons +begegnen, aber sie begegnet ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl +fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite der Chaussee gelegen ist, +sieht sie was Helles. Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn, +denn er ist wohl wieder betrunken. + +Von weitem schon hört man das Brüllen der Kühe. Die müssen verkommen, +wenn man sie da läßt. + +»Hast du Platz im Stalle für sie?« fragt die Erdme. + +»Ich habe Platz für alles, was dein ist,« sagt der Nachbar. + +Darum schickt sie auch gleich die Jette und die Witkuhnsche Magd +hinüber, die Kühe zu holen. + +Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. -- Das Geld und das Vieh +-- alles ist da. Nun kann geheiratet werden. + +Und noch am selben Abend macht sie sich auf, zum kleinen Tuleweit zu +gehen, damit er so rasch wie möglich alles in Ordnung bringt. + +Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher nach Heydekrug zu +machen, wo irgendwo am Spazierweg die jungen Herren von gestern schon +warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka nicht bei ihr ist -- +dann wäre ihr Anblick zehnmal so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie +schließlich zu Hause. + +Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß der Spektakel von voriger +Nacht heut wegen der Kühe noch einmal losgehen wird. + +Aber nichts regt sich fortan. + +Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche lang, und wenn sie sich +aufrichten will, kriegt sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich +hochzieht. + +Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen herüber, was für die +Aussteuer irgend von Wert ist -- den großen Ecktisch und den +buntblumigen Schrank und noch vieles andere. + +Niemand hindert sie dran, denn morgens fährt er weg, und mit der +Dunkelheit kommt er wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was er +macht und wo er sich aufhält, weiß keiner. + +Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit tritt ein junger Mensch in +die Kammer. Der hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche +Augen. Und hinterher schiebt sich mit heißem Gesicht und frisch +gebranntem Strohhaar die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer als er +und sieht aus, als möcht' sie ihn auf den Arm nehmen. + +Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter künftiger Bräutigam. + +Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch an, und sie richtet sich +auf und sagt auf Deutsch: + +»Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir reden das Deutsche genau so wie +Sie. Und im Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen habe. +Gewöhnlich arbeit' ich wie sonst nur die Jüngste.« + +Die Katrike und der junge Mensch sehen sich verstohlen an, woraus sie +schließen muß, daß ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und noch +etwas Anderes will sie daraus schließen, aber das drängt sie sofort von +sich ab. + +Er möchte am liebsten das Geld gleich mit sich nehmen, aber sie weiß, +daß es ihr wohlgeborgen unter dem Leibe liegt, und erst müßte man sie +totschlagen, ehe sie es hergäbe. + +»In dem Kontrakt soll stehen,« sagt sie, »daß ich eine Altsitzerstelle +bekomme mit so und so viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner zu +halten, und noch anderen Rechten, die ich alle bezeichnen werde. Sonst +wird aus dem Kaufe nichts.« + +Die Katrike fängt sofort an zu weinen und klagt sie an, sie steh' ihrem +Glücke entgegen. Der junge Herr Schmidt aber sagt: »Es _wird_ auch alles +in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein ganz anderer Kontrakt als der, +den ich mit dem Besitzer abschließen werde. Denn den geht es nichts an, +was wir miteinander ausmachen wollen.« + +Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche klüger ist als sie selbst, und +schickt sich in das, was verlangt wird. + +Aber erst will sie gesund sein und mit aufs Gericht gehen und alles +bewachen können bis in das kleinste. + +Die Katrike und der junge Herr Schmidt sehen sich schon wieder an. Dann +aber geben sie sich die Hand und knien am Bette nieder und bitten um +ihren Segen. + +Sie weint und küßt und segnet die beiden, aber in ihrem Innern denkt sie +dabei: »Ich will doch erst den Rechtsanwalt fragen.« + + + 20 + +Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, und wenn einer am +Chausseehaus vorübergeht, sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine +Art, über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins klare zu kommen. Aus +ihrem Aussehen, ihrem Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, und +den Lasten, die sie tragen, kann er genau erkennen, wie er mit ihnen +dran ist, ob sie vorwärts kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind. + +Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling mehr, und die dreißig Jahre, die +er dem Moor geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. Aber sein +Auge sieht noch so scharf wie je, und noch immer hält er zweitausend +Schicksale straff an der Leine. + +Eines schönen Sommerabends sieht er den Jons Baltruschat zu Fuß nach +Hause gehen, und doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren. +Der Jons Baltruschat ist ihm schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. +Morgens macht er sich auf nach der Wiese, und abends fährt er betrunken +zurück. Und der fremde weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter gehört, +läuft nebenher. + +Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken tut er. Aber seine Gangart +ist mehr wie die eines Kranken als die eines Betrunkenen. + +Darum macht der Moorvogt das kleine Fensterchen auf, durch das früher +die Stange mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft ihm nach: +»Jons, komm doch mal 'rein!« + +Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts gehört, doch wie der +Moorvogt nicht nachläßt, da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und +tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. Sie läuft sofort zu dem +Moorvogt, steckt die Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt die +nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: »Wenn _du_ nicht hilfst!« + +Der Moorvogt braucht nur _einen_ Blick, um zu sehen: Der Jons ist so gut +wie ein verlorener Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken bloß und +verschüchtern, darum sagt er gleichsam so nebenher: »Mir war doch, als +bist du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du das irgendwo stehen +gelassen?« + +»Ja,« sagt der Jons, »das hab' ich stehen gelassen.« + +»Na, wo denn?« + +»Auf -- der -- Chaussee.« + +»Aber warum denn?« + +»Ja -- na.« Mehr ist nicht aus ihm 'rauszukriegen. + +»Dann wollen wir's doch gleich einmal holen gehen,« sagt der Moorvogt +und greift nach der Mütze. + +Aber der Jons will nicht. »Wenn es 'n Zweck hätt',« sagt er. + +»Warum hat's keinen Zweck?« + +»Weil das Pferd gar nich mehr da is.« + +»Wo ist es denn?« + +»Wer kann wissen?« + +»Ach so,« sagt der Moorvogt. »Du bist betrunken gewesen, hast dich in'n +Chausseegraben gelegt, und unterdessen hat's dir einer ausgespannt.« + +»Wer kann wissen?« sagt der Jons. + +»Und da gehst du hier vorbei und machst keine Anzeige? Möchtest du den +hübschen Braunen gar nicht mehr wiederhaben?« + +»Is ja alles egal,« sagt der Jons. + +»Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.« + +»Da waren auch noch die Kühe da.« + +»Sind die denn _nicht_ mehr da?« + +»Nichts is mehr da. Die Schweine werden sie heute auch wohl geholt +haben.« + +»Wer denn?« + +»Na, die Erdme und die Marjellen.« + +»Und das läßt du dir ruhig gefallen?« + +»Is ja alles egal.« Und dabei bleibt er. + +Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt auf, wie der Mensch zum +rettenden Herrgott. Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell +verfilzt ist und verschorft von Wunden und schwarzgrau. Und er sagt: +»Wie kommt's, daß der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?« + +»Das is so gekommen,« sagt der Jons. + +»Weißt du, was deine Tochter für eine ist?« fragt der Moorvogt. + +»Ich will es auch gar nicht wissen,« sagt der Jons. + +Damit geht er. + +Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher wegen des Braunen und +hat dann eine schlaflose Nacht. + +Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus kommen. Der bibbert am +Krückstock, und seine Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das +kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein Schnurrbart wölbt sich +forsch, als will er den Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen. + +Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür hat seine Vierte reichlich +gesorgt. Wenn es Gott will und sie stirbt, die ist imstande und +verleidet ihm vorher die Fünfte. + +»Was ist also mit den Baltruschats los?« fragt der Moorvogt. Und nun +erfährt er das Nötige. + +»Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen und hast es erzählt?« + +Seine Frau hat es nicht gewollt. + +»_Warum_ hat deine Frau es nicht gewollt?« + +Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, und dafür muß sie sich +rächen. + +»Und was hat sie ihm gepfändet?« + +Der Smailus lacht schadenfroh. »Das ist gar nicht zu zählen,« sagt er. +Überhaupt _das_ Weib! Aber davon will der Moorvogt nichts wissen. + +»Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn mal was vorgehabt hat?« + +Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine eigenen vier Weiber ihm treu +gewesen sind, das weiß er, bei den anderen kann man niemals drauf +schwören. + +»Aber bemerkt hast du nichts?« + +Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum wird er entlassen. -- -- -- + +Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll er die Erdme in dem +Witkuhnschen Hause besuchen oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht +er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, und Kreuz und Kopf trägt +sie bewickelt, aber kriechen kann sie doch schon. + +»Du -- komm mal 'rein!« + +Sie steht da und sieht ihn böse an. + +»Schöne Geschichten hör' ich von dir.« + +Sie schweigt und sieht ihn böse an. + +»Nach fünfundzwanzigjährigem Leben -- schämst du dich nicht?« + +Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er sie geschlagen -- beinahe das +Rückgrat hat er ihr gebrochen -- mit Schmutznamen hat er sie belegt -- +ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt -- die ehr- und tugendsamen +Töchter hat er mißhandeln wollen, und was das Schlimmste ist, das Vieh +hat er verhungern lassen, so daß sie es nur durch Rüberholen mit knapper +Not errettet hat. + +Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt schlimm für den Jons, und +_sie_ ist eine Furie geworden. Mit gut Zureden wird der nicht +beizukommen sein. So versucht er es also mit böse: »Weißt du, was ich +jetzt tun werde? Ich werd' dich durch den Gendarm in die Kaluse bringen +lassen.« + +Aber sie lacht ihn nur aus. »Das können Sie ja. Bloß morgen werd' ich +schon wieder bei Ihnen vorbeigehen.« + +»Wenn du dich nur nicht irrst.« + +»Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen Antrag gestellt. Und er +wird auch gar keinen stellen. Denn hier unter der Wiste hab' ich das +Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie schlimm es gewesen ist und +daß ich nur durch ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die Kalus' +fliegt, dann ist er es. Und ich zieh' jetzt zu meiner älteren Tochter. +Die wird eine reiche Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot +bestellen kommen. Und wenn ich erst hier 'raus bin, dann kann man mir +sonst was.« + +Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. Im Laufe der Jahre +haben nur wenige ihm so entgegenzutreten gewagt. + +»Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, das will ich nicht +verstanden haben. Aber eins prophezei' ich dir: der Tag wird kommen, und +er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich preisen, bei dem Jons +noch einmal unterkriechen zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann +auch aufnimmt.« + +Sie beißt die Zähne zusammen und schwört bei Gott dem Allmächtigen: +»Eher geh' ich und ertränk' mich im Torfloch.« + +Und damit humpelt sie wieder hinaus nach Heydekrug zu, wo der +Rechtsanwalt ihr raten soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und +Schwiegersohn, denen sie alles opfert, sie übervorteilen wollen. + + + 21 + +Das Geld muß hergegeben werden. Da ist nichts zu machen. Denn ohne +Anzahlung kommt das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird aus +Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, damit der junge Herr +Schmidt vor der Hochzeit nicht etwa noch abschnappt. + +Die Kühe und die Schweine und alles, was vom Hausrat herübergetragen +ist, sollen mit in die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht weniger +als alles. + +Der Kontrakt wird unterschrieben, und das Geld ist weg -- so schnell, +wie man eine Fliege in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert +die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der bisherige Besitzer +behauptet, er hätte sein Hab und Gut wegwerfen müssen, und der junge +Herr Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises wäre auch noch +reichlich gewesen. Daß es zum Prügeln nicht kommt, daran ist nur die +Urte schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen macht und dadurch das +Schlimmste verhindert. + +Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach noch ein bißchen spazieren +geht, wobei sie alsbald die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die +ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren Chaussee +freundschaftlich einigen kann. + +Die Katrike will mit dem jungen Herrn Schmidt über Nacht zu den +Schwiegereltern fahren, was ihr nicht zu verdenken ist, und darum geht +die Erdme allein nach Hause. + +Nach Hause? -- Als ob sie ein »Zuhause« hätte -- das soll erst morgen +kommen. Denn für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag +bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste geschrieben, was ihr bis zu +ihrem seligen Tode zukommen wird -- ja sogar für die Zeit _nach_ dem +Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger als zehn Fladen und sechs Achtel +Bier müssen den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das Kreuz auf +ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein. + +So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl ist ihr doch nicht zumut. +Wenn jetzt zum Beispiel der Jons des Weges käme, wie könnte sie ohne ein +Wort an ihm vorübergehen? + +Da ist nun die lange Brücke, die über die Sumpfniederung führt! Und sie +muß des Frühlingstages gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig Jahren +mit Jons zum Moor hinauszog. Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus dem +blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: »Wie die Blumchen da vorwärts +kommen, ohne zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.« + +Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern gewesen. + +»Aber was hilft das Vorwärtskommen,« denkt sie, »wenn einem zuguterletzt +alles wieder zunichte wird.« + +In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie seien längst über den Berg, +und Hader könnt's gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da gewesen +wie der Dieb in der Nacht und hat alles -- aber auch alles -- zunichte +gemacht. + +Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, die ihr das Geld aus den +Händen riß! Kaum einmal warten konnte die Kröt', bis sie die Wiste +aufgehakt hatte! + +»Aber morgen,« denkt sie, »morgen wird alles festgemacht werden.« Aus +dem Hause wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der Rechtsanwalt +schon gesorgt, und das Brautpaar hat wohl oder übel seine Zustimmung +geben müssen. + +Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen um elf werden sie sich wieder in +Heydekrug treffen, und übernächsten Sonntag kann dann die Hochzeit sein. + +Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, als muß sie sich wieder +krank hinlegen, so zerschlagen fühlt sie sich. Aber das kommt nicht vom +Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie alles hergeben muß. + +Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl und redet ihr Trost zu. Aber was +kann er viel sagen? + +Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. Sie hat heiße Backen und sieht +verjucht und verjachert aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, und der +unverschämte Kerl hat sie angehalten und verlangt, sie soll ein +Führungsattest beibringen. Was der sich wohl denkt? + +Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, aber zu der ermatteten +Mutter ist sie voll Zärtlichkeit und besteht darauf, daß der Nachbar +einen Wagen besorgt und sie morgen selber nach Heydekrug fährt. Denn der +weite Gang zwei Tage gleich nach einander könnte zu viel für sie sein. + +Spät abends kniet sie noch vor der Mutter Bett und streichelt und küßt +ihr die Hände und bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat und +weiter noch tun muß. Die Erdme weiß zwar nicht, was sie meint, aber von +solcher Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug ganz naß +weint. + +Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, fängt die Urte von +neuem an, gerade so, als wär' es ein Abschied für immer. + +Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur Augen für drüben. Ob nicht der +Jons sich irgendwo sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und still. +Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. Freilich, blitzen tut die +nicht mehr, denn die ist jetzt dreckig, wer weiß wie. + +Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, +die Brautleute schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch um halb +zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig. + +Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte Termin und sagt im Vorbeigehen, +jetzt müßte sie warten bis zwei, denn früher käm' er nicht wieder. + +Und wie er um zwei wiederkommt, sind die Brautleute noch immer nicht da. + +»Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,« sagt er. »Inzwischen können sie +immer noch kommen.« + +Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut seit langem das Kreuz weh, +und der Nachbar redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. Dort kann +sie sich wenigstens ausstrecken. Aber sie will nicht. Sie könnte das +Brautpaar am Ende verfehlen. + +Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, und dann geht es ja wieder. + +Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher heraus und sagt, für +heute sei es nun leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da und +der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder auch sonst wann zur Beglaubigung +gerne bereit sein. + +So fahren sie wieder zurück. Die Erdme hat das Kopftuch um Mund und +Backen gebunden und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? Man muß +sich ja fürchten zu denken -- um wieviel mehr noch zu reden! + +Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. Und so kommen sie an. + +Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann es euch zehnmal erzählen, ihr +glaubt es mir doch nicht. + +Die Kühe sind weg. Die Schweine sind weg, die Betten sind weg. Auch der +andere Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso weg. Und selbst +die kröt'sche Marjell, die Jette, ist weg. + +Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches Mädchen ist, sieht die +erschreckten Gesichter und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, es +geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte sie den Nachbar Smailus +gerufen oder sonst wen -- und sie schielt hinüber nach Baltruschats +Haus. + +Was bei Jesu Namen _ist_ also geschehen? + +Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. Darauf haben die +Brautleute gesessen und haben erklärt, sie wollten jetzt alles +überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. Und die Mutter wäre +schon dort, um einzurichten, und käme nur später noch einmal, die +eigenen Sachen zu holen. + +Und dann haben sie vorne das Hausgerät aufgeladen und hinten die +Schweine. Und die Kühe haben sie angebunden, und so sind sie +davongefahren. Und die Urte hat ihr noch fünf Mark geschenkt für die +gute Bedienung. + +Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den Tisch gelegt. An wen die sind, +weiß sie nicht, denn Aufschrift hat keiner. + +Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und gefühllos. Der Nachbar und die +Magd müssen sie in die Stube tragen. + +Da liegen die Briefe. + +Die Katrike schreibt so: + +»Mein geliebtes Mütterlein! + +Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich von Dir zu trennen. Mein +Bräutigam, der junge Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber so. +Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht Sitte, daß gleich die Mutter +als Altsitzerin in die Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie +wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit wird in kleinstem Kreise +gefeiert werden, und darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was mir +auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. Das Vieh und die anderen +Sachen habe ich gleich mitgenommen, denn mein Bräutigam, der junge Herr +Schmidt, hat es schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. Ich +bedanke mich auch sehr für alles, womit Du mich beschenkt hast, und +werde Dich lieben in Ewigkeit. + + Deine treue Tochter Katrike.« + +Und die Urte schreibt so: + +»Meine Mamusze! + +Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, aber die Katrike bestand +darauf. Darum habe ich Dich gestern und heute auch immerfort um +Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich nicht, sondern fahre von +Jugnaten aus gleich nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen Kleider +nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, noch weit ärmer, als die Ulele +einst war, dann würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so würden wir +uns beide gegenseitig nur hinderlich sein. Darum rate ich Dir, laß Dich +rasch scheiden und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja immer +geliebt hat. Wenn man daran denkt, scheint es einem wie ein trauriges +Buch, und das muß doch wenigstens einen befriedigenden Schluß haben. Zu +dem bösen Vater kannst Du ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka +mag bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe wohl, meine Mamusze, +und sei mir nicht böse. Ich schicke Dir bald etwas Schönes. + + Deine Urte.« + +So lauten die Abschiedsbriefe der beiden Töchter. + + + 22 + +Die Erdme will sich ins Bett legen, denn die Beine tragen sie nicht. + +Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die Kammer. Er hat seinen Mantel +auf dem Arme und sagt: »Bis heute waren die Töchter da. Ich könnte ja +jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, aber vor Gericht glauben sie ihr +am Ende nicht, weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn ich auch ein +alter Mann bin, da ich nun einmal mit dir im Verdacht stehe, so möchte +ich dir das künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit dir zur Nacht +allein unter einem Dache verweile. Oder doch so gut wie allein. Ich +werde darum den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit bitten und +darin fortfahren, solange dein Ruf es verlangt.« + +Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach mehr über dem Kopfe hat, denn +den Nachbar aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht. + +Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung nicht abzubringen sein +wird, so willigt sie zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung +mit auf den Weg und sagt, sie wird gleich zur Ruhe gehn. + +Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, auf den sie sich stützen +muß, -- und siehe da! jetzt tragen die Beine sie wieder. + +Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, und damit verläßt sie +den Hof. + +Es ist ein lieblicher Abend, nur -- Gott sei's geklagt -- sie weiß +nicht, wohin. + +Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. So ein Schwur ist leicht +gegeben, will man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht schwer. + +Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein müssen, denn was bleibt ihr +sonst übrig? + +Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt noch einmal nach ihrem Eigenen +hinüber. + +»Es ist merkwürdig,« denkt sie, »daß man nie etwas von ihm sieht oder +hört.« Seit sie ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht mehr +wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch nicht vorbei. Selbst die Petruschka +ist wie in die Erde gesunken. + +Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, deren Beeren schon halb +und halb rot sind, und auch den Garten besieht sie von ferne. Viel +erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist schon im Fallen, aber +daß die Sonnenblumen im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen der +Zuckerschoten umgeschmissen hat, das bemerkt man auch von dem Weg her. + +»Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,« denkt sie, »so würd' ich nachher +über den Zaun klettern und sie noch aufrichten.« + +Und dann macht sie sich auf -- nach dem Torfloch. + +Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett übergossen an seinem Rande +stehen, hat sie noch selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie einst +in den Jahren der Jugend. Mit der Magd waren sie drei, so wie es die +Regel verlangt. Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz. + +Der Abendschein liegt feuerrot auf dem Wasser. + +»Wenn ich jetzt hier 'reinspringe,« denkt sie, »dann wird er sein Lebtag +glauben, ich sei mit dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig +gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will der Nachbar ihn anreden, so +schlägt er ihn tot.« + +Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden gar nicht so +schlimm ist. Hier 'reinzuspringen ist schlimmer. + +»Wie wär's,« denkt sie weiter, »wenn ich vorher noch mit ihm spreche und +alles ins klare bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja auch +nicht.« + +Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn das noch ein Segen wär'. Bloß +hier nicht 'reinspringen müssen! + +Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg. + +Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon gar nicht mehr, nur daß das +Vieh weg ist, erfüllt sie mit Kummer. + +»Hätt' ich bloß eine einzige Kuh an die Leine zu nehmen,« denkt sie, +»dann könnte ich mich schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als +Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch recht schwer.« + +Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. -- -- -- + +Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, ist es schon Nacht, aber +richtig Nacht wird es im Juli ja doch nicht. + +»Find' ich ihn nicht zu Hause,« denkt sie, »so setz' ich mich an die +Feuerstelle und warte, bis er zurückkommt.« + +Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg hinauf und bis an das Hoftor. +Der Kettenhund rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, weil +er sich losgemacht und die Petruschka zerbissen hat. So hat es der Magd +die Smailene erzählt. + +Das Tor steht offen. Warum auch nicht? Das Vieh ist längst fort, das hat +sie ja selber gestohlen. + +Ob er wenigstens die Haustür verschlossen hat? + +Aber wie kann er? Sie selber hat ja den Schlüssel. + +So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur. + +Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen und riecht an ihr hoch +und riecht und riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt zu +heulen an, wie ein Mensch heult. + +Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? Wer kann es wissen? + +Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel gewöhnt, und wie der Jons in +seinen Kleidern aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. Sie +sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß verschlafen scheint er zu +sein. + +Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht erst Antwort, sondern +fällt vor der Feuerstelle zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel +nehmen oder die Axt. + +Aber was tut er? + +Er macht die Haustür weit auf, damit er sie besser besehen kann, und +dann stellt er sich neben sie hin und fragt: »Ist es noch immer das +Kreuz, daß du nicht aufkannst?« + +Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die Angst ist es nicht mehr, +jetzt sind es die Tränen, daß sie nicht aufkann. + +Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die Stirn auf die Kante und +weint und weint, weil sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder +die Schaufel. + +Wie wird sie's ihm aber bloß beibringen von dem Sparkassenbuch und dem +Vieh? Und dann auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden hat, +treu nach der Wahrheit? + +Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, liegt sie da und weint. + +Da sagt der Jons: »Die Marjellens sind ja, Gott sei Dank, auch weg.« + +»Das weißt du?« sagt sie und richtet sich auf. + +»Ich hab' ja alles aufladen sehen heute mittag,« sagt er. + +»Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?« + +»Ich hab' schon eine zuschanden geprügelt,« sagt er und setzt sich neben +sie auf den Herd. + +Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm zwischen die Knie, und er legt die +Hand auf ihr Haar, und so sitzen sie lange. + +Aber endlich muß sie es ihm doch sagen -- das mit dem Nachbar zuerst. + +Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht losgehen. »Der Nachbar +--« sagt sie, »der Nachbar --« und dabei bleibt es. + +»Is ja alles egal mit dem Nachbar,« sagt er, »wenn du bloß da bist.« + +Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, wenn es auch noch so +schlimm wäre. Aber sie will es nicht auf sich sitzen lassen -- nicht +eine Stunde mehr. + +Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die Höhe und setzt sich neben +ihn und erzählt ihm von dem Gesangbuch -- wie wundertätig sich das in +der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun aber sind sie längst angejahrt und +drüber hinweg. Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum Nachbar +Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm auch. + +Er sagt: »Wenn du bloß da bist.« Und sonst sagt er nichts. -- -- -- -- +-- + +Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind keine Betten da. + +»Ich lieg' sonst auf dem Stroh,« sagt er, »und bedecken tu' ich mich mit +dem Woilach.« + +Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient weiter. + +»Wie wir anfingen,« sagt sie und schämt sich, »da hatten wir wenigstens +Bettzeug.« + +»Ach Gott,« sagt er, »das Vieh ist ja weg und viel von dem Hausrat und +alles Gesparte« -- wie er sagt »alles Gesparte«, da schluckt er doch, +und ihr zerreißt es das Herz --, »aber die schönen Gebäude sind da, und +die Wiese haben wir auch, und die Kartoffeln gedeihen -- und der +Moorvogt sagt: >Das Pferd wird sich finden,< und fürs übrige leiht er. +Wir fangen eben noch einmal von vorne an, das ist alles.« + +Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich wieder ganz jung vor. + +Und dann kriechen sie still in das kahle Bett und decken sich zu, so +viel die kurze Pferdedecke nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, denn +die Nacht ist ja mild, und sie können sich gegenseitig erwärmen. + +Wie die Erdme da liegt, denkt sie: »O Gott, o Gott, wie liegt es sich +schön hier!« Und ihr Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie +arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird kommen, wie er das +erstemal kam. Nein, er _ist_ schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei +ihr und sagt halb im Schlaf: »Wenn du bloß da bist.« + +Die Petruschka hat den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und träumt von +einer Wanne mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen Schrubber. + +Und wie ich die Erdme kenne, wird der Traum sich morgen erfüllen. -- -- +-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + + + + + Die Magd + + + 1 + +Es war am ersten Juli und schon Feierabend, als die Marinke Tamoszus im +Dorfe einfuhr. Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht. +Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. Sie kam von dem Gute des +Herrn Westphal, wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient und dann zwei +Jahre lang die Meierei verwaltet hatte. + +Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen in die Augen gefallen. Er +hatte beim Milchabliefern die fleißige Wirtin in ihr erkannt und erst +seine Frau und dann auch seinen Sohn, den Jurris, auf sie aufmerksam +gemacht. Hierauf, als beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem +Vater verständigt, und das Ende vom Liede war, daß sie dem Herrn +Westphal kündigte und vom alten Enskys den Mietstaler nahm. + +Aber nein doch, das Ende war es nicht! Es sollte vielmehr ein +glücklicher Anfang sein. + +Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so konnte nach den letzten +Kartoffeln, um Mitte Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden. +Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht worden. Und sie, die +Marinke, hatte sich nicht gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht, +weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und ewig auf dem großen Gute +zu scharwerken, hatte erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich bloß +ins Gerede. + +Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen Zöpfen und +brauner Taftschürze, blond und rund und schüchtern neben dem +dürrgearbeiteten Vater, der auf seine Gäule losprügelte, denn er wollte +forsch vorgefahren kommen. + +Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, sie hingegen war noch niemals +dort gewesen und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs Meer +hinausfährt. + +Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die Runde, und von freudiger +Erwartung stand wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte auch +nicht: »Ist es hier? Ist es dort?« Aber wenn der Wagen an einem neuen +Zugangswege vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil ihr noch eine +Galgenfrist blieb. + +Endlich bog er doch um die Ecke, und im Abendschein lag die künftige +Heimat vor ihr. Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. Daß die +tüchtige Milchgeberinnen waren, das wußte sie schon von der Meierei her. +Der Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. Der Stumpf einer +Dreschmaschine vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen fiel ihr +sonst nicht viel auf. Nur die braunen Netze, die zum Trocknen über den +Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, denn noch nie war +sie in einer Fischergegend gewesen. + +Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem Jurris. Auch ein Knecht war da +und eine Taglöhnerfrau. Um derentwillen durfte der Willkomm nicht allzu +herzlich sein. Aber sie dachten sich doch ihr Teil, denn sie +grieflachten heimlich zusammen. + +Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die Magd kommt zweispännig +angefahren, und der eigene Vater kutschiert! + +Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. Man hätte es nicht von ihm +glauben sollen, denn er war unlängst von den Kürassieren nach Hause +gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm noch auf dem linken Ohr. Aber +als er ihr kaum die Hand gegeben hatte, machte er sich schon eifrig an +dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe des Knechts über die Sprossen +hob. Nur um nicht mit ihr reden zu müssen. + +Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht aus. Nach seiner Gestalt hätte +man ihn eher bei den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von sinkendem +Schulterbau. Die Augen blau und still. Viel von Bart noch nicht auf den +Lippen. + +Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. Denn bis nach Piktaten, wo +seine Wirtschaft lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte nachts +schon zu Hause sein. Aber einen Bissen geräucherten Aal aß er doch und +trank den Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. Er fühlte es mit +Zufriedenheit: die Marinke kam in ein gutes Haus, und die fünfhundert +Taler, die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt sein. + +So fuhr er also von dannen, und die Marinke saß in der Kammer und +weinte. + +Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans Lachen als ans Weinen denkt, +so war sie am nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. Die Kühe +standen über dem Melkeimer so still, als hätte sie sie schon seit Wochen +geliebkost, und der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen gerade unter +die hungernden Rüssel. + +Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und Tritt, aber so, daß sie von +ihr nicht gesehen werden konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte +sie leise zu ihrem Mann: »Wir haben gut gewählt. Sie ist eine +Gesegnete.« + +Der alte Enskys faltete die rissigen Hände und sagte noch zweifelnd: +»Geb' Gott!« + +Und beide dachten daran, wie sie nun im Herbste sich zur Ruhe setzen +könnten, waren dabei aber erst um die Funfzig. + +Die Marinke tat, als merke sie nichts von dem Beobachtetwerden und dem +Getuschel, und machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten liebt und +nicht nach rechts und nach links sieht. + +Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem und gütigen Herzens und nicht +gewillt, sie ihre Herrschaft fühlen zu lassen. + +Aus dem Schwiegervater war vorderhand noch nicht klug zu werden. +Bescheiden im Wesen, als wär' er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks und +im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte sie zwei-, dreimal an etwas, +was sie noch gar nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft +sein. + +Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach sie nicht an. Und so blieb +es Tage und Tage lang, so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren +Verdacht bald wieder fahren ließen. + +Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken weilten ganz, ganz wo +anders als bei dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und wollte +wissen, wie er es anfangen würde. Aber er fing es lieber gar nicht an. +Und mit der Zeit begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt +werden. Und noch etwas Schlimmeres fürchtete sie, doch daran ging das +Denken gerne vorüber. + + + 2 + +Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten die fünf größten Wirte des +Dorfes mit Herrn Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und lieferten +ihm so und so viel Liter täglich für seine Meierei. Im Hinfahren +wechselten sie sich allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke sie +alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen und Kinder, denn die +Besitzer spielten den Kutscher meistens nur dann, wenn sie in +Augustenhof sonst noch zu tun hatten. + +In der Woche nach Marinkes Ankunft war der Jozup an der Reihe. Der Jozup +Wilkat, der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. Ein dunkler junger +Mensch von Dreiviertelgröße mit buschigem Schnurrbart und +zusammengewachsenen Brauen, die ihm ein finsteres und fremdartiges +Aussehen gaben. Den Hof, der übrigens wohlhabend und gutgehalten war, +nannte man in der Gegend die »Wilkija«, das Wolfsnest. Zuerst natürlich +des Namens wegen, denn Wilkat heißt im Deutschen der »Werwolf«. Dann +aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos herangewachsen waren, sich +von früher Jugend an in den Haaren gelegen hatten, bis die Mutter, deren +Liebling der Jozup war, die beiden Älteren herausbiß, so daß sie nun in +Berlin auf Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete nur auf eine +passende Frau, um dann die Wirtschaft zu übernehmen. + +In Augustenhof waren alle Mägde hinter ihm her, aber er kümmerte sich +wenig um sie. Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm angeglupt, +hatte seine Milch aufschreiben lassen -- und weg war er. + +Man sagte von ihm, er sei ein »Bedraugis«, das ist einer, der keinen +Freund hat, und das mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn er +jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte er sich lange im Stall +bei dem Jurris zu schaffen, rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte +womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof sind es im Schritt immerhin +doch anderthalb Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde immer +gewesen. + +Am vierten Abend mochte es sein, da trat er zu der Marinke, die eben die +Milchkannen auflud, und redete sie mit den Worten an: »Gestern hat mich +der Herr Westphal halten lassen und hat gesagt, ich möchte dir sagen, du +möchtest doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof kommen.« + +Die Marinke wurde rot und sagte: »Was soll ich in Augustenhof? Ich bin +nicht mehr in Dienst dort.« + +Und der Jozup entgegnete: »Es ist noch etwas abzurechnen, hat er +gesagt.« + +Die Marinke antwortete: »Ich _habe_ abgerechnet,« und ging ihrer Wege. + +Aber am Sonnabend kam er noch einmal und sagte: »Der Herr Westphal ist +gestern auf der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde aus einem +Posten nicht klug und er müsse durchaus mit dir reden. Morgen am Sonntag +ist mein letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das Vertrauen und +fährst mit mir.« + +Der Marinke gab es einen Stoß gegen das Herz. Sie sah den Jurris an, der +still nebenbei stand, und sagte: »Wenn ich durchaus fahren muß, so fahr' +ich doch lieber, wenn _wir_ an der Reihe sind. Die acht Tage wird der +Herr Westphal sich wohl noch gedulden.« + +Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer zusammen, stieg auf und +fuhr vom Hofe herunter. + +Der Jurris stand da und sah ihm nach, und die Marinke grämte sich, daß +er noch immer nicht zu ihr sprach. Schließlich war sie doch »auf Prob'« +hier. Was sollte werden, wenn es so blieb? + +Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen Sinne ganz zuwider war und +wozu sie bisher den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte sich neben +ihn und sagte: »Vielleicht bist _du_ so gut und nimmst mich dann einmal +mit.« + +Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort gegeben oder ihr sonst +sein Mißfallen gezeigt, dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten bald +würde packen müssen. Aber was tat er? + +Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man konnte sagen, ein glückliches +Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: »Wirst du dann +auch einmal mit mir fischen kommen?« + +Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war und daß sie mit ihrem Kasten +würde hierbleiben können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten wäre sie +gleich davongelaufen und hätte im Winkel geweint, aber sie bezwang sich +und lächelte nur und sagte: »Du _hast_ ja bisher noch gar nicht +gefischt.« + +»Ich habe immer auf dich gewartet,« entgegnete er. + +»Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte sie mich wohl freigelassen,« +sagte sie. + +»Ja, das hätte ich eigentlich tun können,« entgegnete er, »aber ich +dachte immer, du hättest zu viel zu tun.« + +»Zu tun habe ich wohl genug,« war ihre Antwort, »aber wie man fischt, +das sähe ich gar zu gerne.« + +Da führte er sie vor die braunen, nach Teer riechenden Netze, die über +die Stakete gehängt waren, und erklärte ihr alles. + +Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor lauter Glück hörte sie +nichts. Das Schwere, das Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet +war, löste sich auf. + +Nichts war um sie und in ihr als ein milder Sommerabend mit braunen +Netzen und grünen Staketen und vielen Blumen dahinter, und Vögelchen, +die sie ansangen, und einem Hofhund, der sie anwedelte, und einem +lieben, guten Menschen, der fortan der Ihre war. + +Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, und hätte er ihre Hand +gefaßt und wäre mit ihr in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im +geringsten gewundert. + +Daß sie nun auch gemeinsam den Garten besuchten, geschah wie von selbst. +Er zeigte ihr den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie zeigte ihm +den Ehrenpreis und die Studentennelke, und nur an dem Rautenbeet gingen +sie schweigend vorüber. + + + 3 + +Zwei Tage später am frühen Morgen sagte der Jurris zur Marinke: »Die +Mutter hat erlaubt, daß wir zusammen fischen dürfen.« + +Sie fragte: »Wer wird die Kühe melken?« + +Und er erwiderte: »Sie wird es selber tun.« + +Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen lud, schämte sie sich sehr +vor den Blicken, die sie auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch +nichts zu essen mit und sagte zu keinem: »Ich geh' nun.« Wie eine +Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam. + +Er zog den Handwagen, und sie schob nach. Aber zu schieben war +eigentlich nichts, denn die Räder drehten sich wie von selber. + +Bis zum Haff geht man quer durch die Felder mehr als eine halbe Stunde. +Zuerst war nichts davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er morgens +wohl auf den Wiesen liegt, dann aber brach das blaue Wasser durch, hoch +über dem Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser und Himmel +blänkerten in der Ferne die Sandberge der Nehrung, anzusehen wie ein +Gürtelband von weißgelber Seide. + +Marinke dachte: »Wie schön wird meine Heimat sein!« Sie wollte was +sagen, aber sie traute sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte +sich nie nach ihr um. + +Und so kamen sie dem Ufer immer näher. + +Dort standen Schuppen errichtet, um die Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit +der Stürme drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, waren sie nicht +einmal auf den Strand gezogen und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, +zwischen Grasbank und Röhricht. + +Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit haben, war am Ufer zu +sehen. Denn jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf den Feldern +zu tun. + +Und Marinke fühlte in beklommener Seele, daß auch _seine_ Ausfahrt nur +ihr zuliebe geschah. + +Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und sie half ihm dabei, obgleich es +auch hier nichts zu helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, weit +draußen im Blauen, wo nur die Ruder klatschten und die Kielwellen +schälten, da forderte er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu gehen. + +Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, so daß alsbald die +»Pluden« -- das sind die leichten Hölzer, die das Netz obenhalten -- in +schönem Bogen rings um sie herschwammen. + +Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die Sonne fing etwas zu stechen an. + +»Du hast kein Tuch,« sagte er, »du wirst Kopfschmerzen kriegen.« Und er +holte eine Ölkappe hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie wollte +nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr Aussehen lachen müssen. Und +das sagte sie ihm auch. + +Aber da begann er schon im voraus zu lachen und rief: »Hundertmal +reichen nicht, daß ich dich in der Ölkappe sehen werde.« + +Und ohne sich zu besinnen, _was_ sie da sagte, entgegnete sie: »Aber +dann werden wir auch verheiratet sein.« + +Noch wie das Wort kaum heraus war, da schämte sie sich schon so sehr, +daß sie sich am liebsten ins Wasser gestürzt hätte. »O Gott, o Gott,« +dachte sie, »jetzt wird er mich für dreist und für zudringlich halten.« +Und weil sie fühlte, daß sie ganz glutrot geworden war und immer noch +röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und machte sich klein. + +Er -- vom Steuer her -- sagte: »Marinke, dreh dich doch um.« + +Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich stieg der Gedanke in ihr +auf: »Es wird nicht sein -- es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich +-- und ich bin es nicht wert.« + +Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß sie bitterlich zu weinen +begann. + +Der Jurris stand von seinem Platze auf und setzte sich neben sie, so +dicht, daß ihr Rücken an seine Brust stieß. + +Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich nicht wolle, da sonst ja die +Heirat kein Grund zu solchen Tränen sei. + +Aber sie weinte nur um so heftiger. + +Da schlang er von hinten her die Arme um ihren Hals, so daß ihr Kopf auf +seine Schulter zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach ihm um, +damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem hellen Tage preiszugeben +brauchte, und so lag sie an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz +still. + +»Ach wenn er mich doch küssen möchte!« dachte sie. + +Aber er küßte sie nicht. + +Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu sehen. Viel brachte der Fang +nicht. Ein paar Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber sie +kümmerten sich nicht darum, und schließlich lachten sie gar darüber. + +Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob sie nicht mehr wie in der +Frühe, sondern schritt an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es beim +besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen gab, legte er seinen freien +Arm um ihre Hüfte, so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. Und +darum gab es des Lachens kein Ende. + +Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, und als die künftige +Schwiegermutter ihnen das Frühstück auftischte, wollte sie es nicht +dulden und küßte ihr Ärmel und Rocksaum. + +Da sagte die Enskene mit einem freundlichen Lächeln: »Was ihr gefischt +habt, ist ja nicht viel, und doch hat mein Jurris einen guten Fang +gemacht.« + +Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen und ängstlichen Blicken um +beide herum, so daß auch der Marinke wieder ganz angst ward. + +»Ob er was weiß?« dachte sie. + +Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß sie »auf Prob'« ins Haus kam. + +Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre Arbeit. + + + 4 + +In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat eigentlich nichts mehr auf dem +Hofe zu tun, denn das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber trotzdem +sah man ihn morgens und abends. Einmal hatte er sich einen Bohrer +geborgt, den er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm die +Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich kam er ganz ohne Grund, +setzte sich neben den Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal drei +Pfeifen aus. + +Daß man den jemals einen »Bedraugis« genannt hatte, war zum Verwundern. + +Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der neuen Freundschaft gekommen +war, die eigentlich schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen, +aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ er es sich gefallen. Der +Jozup, den alle für störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar +nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und Lieder die Menge, und wenn +man die Auflösungen seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich vor Lachen den +Bauch halten. + +Darum kamen auch die beiden Alten häufig dazu, und nur die Marinke +machte sich ungern in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen +Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn kommen und gehen sah mit +seinen strammen Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel er ihr +immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, die sie schon in Augustenhof +manchmal befallen hatte, wenn er auf dem Milchwagen vorfuhr, verließ sie +auch jetzt nicht. + +Zuweilen dachte sie: »Der wird mir gewiß einmal ein Leid antun.« Aber +ein bißchen Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, seitdem sie +erfahren hatte, wie wenig ein armes Mädchen vor ihrem starken Willen +vermag. + +Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris hinüberzublicken, um zu +wissen, wie gut geborgen sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah +kommen können. + +Eines Spätabends beim Weggehen blieb der Jozup am Gartenzaun stehen und +rief zu ihr herein: »Du, richt dich mal auf!« + +Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade Mohrrüben aus der Erde für +morgen Mittag, aber sie mußte es doch tun. + +»Warum hältst du dich so weit ab von mir?« war seine Frage. »Ich beiß' +dich nicht. Ich beiß' bloß in Rindfleisch.« + +»Ich bin die Magd hier,« gab sie zur Antwort, »und ich habe zu tun.« + +»Wenn du von Magd sprichst,« sagte er, »dann lachen die Hühner. Ich weiß +am besten, wie bald du hier Herrin sein wirst.« + +»Wenn du das weißt,« entgegnete sie, »dann wart hübsch, bis ich das +Recht hab', mit dir zu reden.« + +»Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt ist,« sagte er, »und ich +habe auch eine Bestellung an dich.« + +Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. »Wenn es wieder von Herrn +Westphal ist,« entgegnete sie, »dann sag ihm nur, sobald die Reihe an +uns ist, würde ich kommen -- und früher nicht!« + +Aber diesmal war es was Anderes. + +»Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,« sagte er. »Sie hat +gehört, daß du eine heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr +einmal aufzulegen. Bei _der_ Gelegenheit könntest du dir gleich unsere +Wirtschaft besehn.« + +Ihr wurde ganz heiß von dem allen. + +»Wer das gesagt hat von meiner Hand,« entgegnete sie, »der erfindet sich +Lügen, denn ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer Wirtschaft zu +sehen hätte, das weiß ich noch weniger.« + +Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet hinunter und sah ihn nicht +mehr an. + +Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, als fühle sie seine Blicke +auf ihrer Haut; dann wünschte er »Guten Abend« und ging von hinnen. + +»Mein Gott, mein Gott!« dachte sie. »Trachtet der auch nach mir?« Aber +das konnte nicht sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum Freunde +ausgesucht haben? + +Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte den Mittelsteg herabkommen, +und ihr Herz flog ihm entgegen. Sie dachte: »Wie kann man einen bloß so +rasch liebhaben!« Aber sie blickte nicht auf und beklopfte die Möhren +nur um so fleißiger. + +Er blieb hinter ihr stehen und sagte: »Kannst du dir denn gar nicht +genug tun? Es ist halbdunkel und Schlafenszeit, und du arbeitest noch +immer.« + +Sie stand auf und wischte das Schrapmesser an ihrer Schürze ab. »Du mußt +nicht glauben,« sagte sie, »daß ich mich zeigen will vor dir oder den +Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es vielleicht auch bald _meine_ +Erde ist, auf der ich da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen und +die Arbeit zum Spiel.« + +Er sagte: »Wir haben uns immer noch nicht richtig miteinander +versprochen.« + +»Nein,« sagte sie, »das haben wir noch nicht.« + +Und sie schickte sich an, den Korb mit den Gelbrüben ins Haus zu tragen. + +Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und führte sie den Mittelsteg weiter +zu dem Eschenbaum, unter dem die Bank stand für Mittagsruh' und für +Feierabend. + +Dort unter den hängenden Zweigen war es fast Nacht, und wer einen +auffinden wollte, den sah man schon lang' auf dem helleren Stege +daherkommen. + +Der Jurris stellte den Korb auf die Erde und setzte sich neben sie. Ihre +Hand ließ er nicht los und nahm auch die andere dazu. + +»Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?« begann er das Gespräch. +»Wenn wir Hochzeit machen, möcht' er Brautführer sein.« + +Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie Angst vor dem Jozup hatte, denn +ihr war ja nichts Böses von ihm geschehen, und darum meinte sie nur: »So +weit ist es ja noch nicht.« + +Er antwortete: »Warum nicht? Wenn _du_ mich willst, _ich_ will dich. Ich +hab' dich schon immer gewollt.« + +Und sie erwiderte: »Ich will dich gern.« + +Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie lehnte den Kopf an seine +Schulter, und er lehnte die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: »Warum +küßt er mich immer noch nicht?« + +Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder ihn für linkisch gehalten +hätte, aber sie hatte so große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie auch +den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter nach hinten, so daß erst ihre +Backe auf seiner Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem Munde lag. + +Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein Schaudern und wie ein +Schlag. Und wie eine ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine neue +Angst. + +Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. Sie wußte nicht mehr, wieviel +von ihrer Seele und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte ihm +immer noch mehr von sich schenken und immer noch mehr die Seinige sein. + +Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo rings ein Geräusch, und es +war doch niemand den Steg heruntergekommen. + +Darum sprang sie auf und sagte: »Komm. Es ist nicht mehr sicher hier.« +Und wünschte ihm rasch »Gute Nacht« und lief stracks nach der Klete, wo +ihre Kammer gelegen war. + +Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, es würde nicht lange +mehr dauern, dann würde er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum schnarchte +die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte er es ruhig auf sich nehmen können. + +Sie horchte und horchte nach der Türklinke hin, aber die rührte sich +nicht. Statt dessen war es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise +Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus und Klete unaufhörlich hin +und her liefen. + +»Der Arme!« dachte sie. »Er traut sich nicht. Ich muß es ihm leichter +machen.« + +Und darum stand sie auf und öffnete sacht den oberen Teil der Tür nur +eine Handbreit weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer geriet! +Denn als sie den Kopf für einen Augenblick durchgesteckt hatte, wurde +ihr gleich offenbar, daß der, der da draußen im Sommernachtschein +ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, sondern sein Vater war, der wider +Recht und Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht +zueinanderkam. + + + 5 + +Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. Denn wenn eine Braut, die »auf Prob'« +ist, sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann ziehen sie +womöglich in eine Kammer, und keiner kümmert sich drum. + +Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten Vormittag der Jurris vom +Felde kam, um kaltes Braunbier zum Trinken zu holen -- denn draußen beim +Mähen und Binden starben sie alle vor Durst --, da fand er, als er den +Rückweg antreten wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe gönnte, +wartend im Hausflur stehen. + +»Komm doch mal 'rein,« sagte er. + +Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, und als er in die Stube +trat, was sah er da? + +Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch bedeckt. Darauf standen +zwei brennende Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch. + +Der Alte war barhaupt und hatte die Schlorren nicht an und sah furchtsam +und heimlich aus. + +»Nimm deine Mütze ab,« sagte er. + +Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen war. + +Und der Vater fuhr fort: »Als die Marinke ins Haus kommen sollte, sagte +ich zu dir: kennen lernen müssen sich die Menschen, die beieinander +bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte ich von dir das +Versprechen, daß du ihr nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand +des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. Und das gabst du mir +auch.« + +»Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,« fiel ihm der Jurris ins Wort, +»wenn die Braut einem so dicht nebenbei wohnt.« + +»Und die Herren vom Gericht wissen es noch viel weniger,« gab der Vater +zur Antwort, »denn es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von Gott +eine andere Vernunft bekommen als wir. So hat es sich vor etlicher Zeit +auf dem Tilsiter Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer +Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite vom Pfade der Tugend +gewichen war, ein Jahr Zuchthaus -- nicht Gefängnis, mein Sohn, sondern +Zuchthaus -- gekriegt hat, weil sein Sohn und die Braut, die auch auf +Prob' war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache zusammen geschlafen +haben. Er hat geweint und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen, +denn im Herbst sollt' ja die Hochzeit sein, und zu der Aust könnt' man +zwei fleißige Händ' nicht entbehren; aber unbarmherzig, wie die +Deutschen sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen und haben ihn +eingesperrt zusammen mit Räubern und Mördern.« + +»Das kann nicht sein!« rief der Jurris voll Empörung. »Das wär' ja die +schlimmste Gewalttat!« + +»Die Deutschen nennen's Gerechtigkeit,« sagte der Vater, »und unter +einander strafen sie sich genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten +Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, denn Aufpasser gibt es ja +überall. Und weil ich gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit +euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst und Unglück zu retten: +entweder ich schick' sie solang' zu den Eltern zurück --« + +»Das geht ja nicht, Vater,« rief der Jurris entsetzt, »das würde +aussehen, als wollten wir sie nicht haben.« + +»-- oder du schwörst mir hier auf das heilige Gotteswort, daß du dich +ihrem Leibe fernhalten wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand, +selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.« + +Das kam den Jurris hart an, aber was sollte er machen? Und er schwor +zwischen den Lichtern, die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der Vater +verlangte. Und daß, wenn er den Eid verletze, Gott ihn mit Drangsal und +Tod heimsuchen wolle, das schwor er auch, genau wie der Vater es +vorsprach. + +Und dann brachte er das warm gewordene Braunbier aufs Feld hinaus. + +Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer atmend dastand, griff nach dem +Krug, als ob er ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, als tränke +sie Trübsal daraus. + +Nachher zur Mittagspause, als die Mäher alle im kargen Schatten zweier +Weidenstümpfe lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich erstaunt +nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es der Leute wegen geschehe, und +darum beruhigte sie sich wieder. + +Auch beim Nachhausegang schritt er nicht etwa an ihrer Seite, sondern +machte sich mit den kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren +lagen. + +Und immer und immer wich er ihr aus, so daß sie schließlich ganz krank +war. + +Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. Darum zweifelte sie +auch nicht an seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große Sehnsucht +nach ihm war es, die sie krank machte. + +So kam der Montagabend heran, an dem der Enskyssche Wagen zum ersten +Male wieder die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu bringen hatte. +Seit langem war ausgemacht worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren +solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn nicht länger +entgegenzustehen. + +Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte sie zu ihrer künftigen +Schwiegermutter, denn sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und +nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger war, könne schuld +daran sein, daß etwas nicht stimmte. + +Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer -- wenn auch nicht wegen der +Bücher. + +Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte Bänder durch die Zöpfe und +legte ein seidenes Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt +hatte. Und wenn sie daran dachte, daß sie nun zwei Stunden lang in der +roten Dämmerung mit dem Jurris allein durch die Welt fahren sollte, so +verschwand alles andere, wovor ihr wohl bangte. + +Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns kam, war der Jurris +nirgends zu finden. Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen, +und auch die der anderen Wirte warteten sicher schon lange, aber alles +Rufen nach ihm blieb vergeblich. + +»Dann wirst du wohl allein fahren müssen, mein Täubchen,« sagte die +Schwiegermutter. + +Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und viel mehr Tränen weinte sie, +als die kleine Fahrt wert war. + +Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun einmal war, fing er sogleich +zu quengeln an. »Was machst du für ein Wesen?« sagte er. »Es scheint, +daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden nicht umzugehen verstehst.« + +Das kränkte die Marinke natürlich aufs tiefste, denn den Litauer oder +die Litauerin möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre Gespielen +betrachten. Das Reiten und Fahren können sie alle womöglich noch früher, +als sie das Gehen gelernt haben. + +Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein Wort, sondern biß nur die +Lippen zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter. + +Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr Mann so häßliche Reden geführt +hatte, und deshalb ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es sich +machte, der Marinke was Tröstliches mit auf den Weg zu geben. + +Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur von weitem konnte sie sehen, +daß, als der Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz ihrer +gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse stieg und die Marinke +abbutschte, wer weiß wie sehr. + +Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: »Was hat die alte Wölfin ihr +Maul an der Marinke abzuwischen?« + +Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder zum Vorschein kommen. Er +sei auf dem Haff gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu +seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe machte und weiter in ihn +drang, erwiderte er nur noch: »Frage den Vater.« + +Aber der wußte von gar nichts. Und beide Männer gingen zur Ruhe. + +Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die künftige Tochter wieder zu +Hause war. + +Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte sich unter den Lindenbaum, +ließ auch die Lampe brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen die +Mücken. + +Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte sie gleichwie ihr +Slinka, der alte Kater. Sie wartete und wartete, aber die Marinke kam +nicht. + +Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen Wagen langsam, langsam näher +knarren. Die Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. + +»Sie wird eingeschlafen sein,« dachte sie, »und die Pferde machen es +sich zunutze.« + +Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit großen Augen nach dem Mond +hinstarren, und dann absteigen ohne »Wie geht's?« und »Guten Abend«, da +wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, sondern ihr war etwas geschehen. + +Sie liebkoste sie und sagte: »Du bist müde, mein Tochterchen, darum iß +einen Bissen und lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen statt +deiner.« + +Und die Marinke ließ es auch zu. + +Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde und kaute. Aber es war, als +täte sie's nur, weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das +Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß sie von Gesicht ganz +weiß war, bloß daß unter den Augen zwei Flecken brannten. + +Die Mutter umarmte sie und sagte: »Gestehe, was dir begegnet ist.« + +Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: »Es hat nicht gestimmt.« + +»Um wieviel hat es nicht gestimmt?« fragte die Mutter. + +Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Mehr als funfzig +Mark sind es, die fehlen.« + +Da lachte die Mutter und sagte: »Die schick' ich noch in der Frühe und +lege funfzig als Zinsen dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer +kochen.« + +Und die Marinke entgegnete heftig: »Um das Geld ist es nicht. Das hat er +mir gleich geschenkt. Der Verdacht ist es -- die Schande ist es, daß der +Schweizer nun sagen wird: >Eine lüderliche Kröt' ist vor mir im Amte +gewesen.< Oder er sagt gar noch Schlimmeres.« + +Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen Sorgen abgab, aber +in ihrem Innern freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem Jurris +eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren wollen. + +Und sie sagte: »Morgen fahr' _ich_ mit der Milch, und wenn ich deinen +Herrn Westphal seh', dann sag' ich ihm ordentlich die Meinung, weil er +ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht hat. Ja, das werd' +ich tun und fürcht' mich nicht im geringsten.« + +Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst ein sehr erschrockenes +Gesicht gemacht. Dann aber lächelte sie ein weniges, wie man zu +Kinderworten wohl lächelt. Dem Herrn Westphal trat kein Mann und keine +Frau mit Vorwürfen unter die Augen. Dem nahte man höchstens mit einer +Bitte im Munde. + +Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn weit und breit den »Wieszpatis«. +Das heißt auf deutsch »König und Herrscher«. Und der liebe Herrgott +heißt auch so. + + + 6 + +Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke fast wieder so wie +gewöhnlich. + +Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab dem Jurris die Hand. Aber warum +er sich gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. Sie fragte +überhaupt nichts mehr, sondern ging still an die Arbeit. + +Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken herein, und Erbsen und +Gerste nicht minder. Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. Keine +Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes und nichts Enthülstes. + +»Die Laumen meinen es gut mit uns,« sagte die Mutter, »seit das Kind bei +uns wohnt.« + +Und der Vater sagte: »Wenn nur nicht --« Aber das weitere verschwieg er. + +Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde es nie mehr so, wie es gewesen +war. Sie gingen wohl freundlich nebeneinander her und sprachen auch, was +der Augenblick brachte, aber zusammen allein zu sein, das suchte der +eine nicht und auch nicht der andere. + +Und jeder grämte sich auf seine Art. + +Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, dann hing sie mit fragenden +und ängstlichen Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging um sie +'rum wie ein Dieb und scheute sich, sie zu berühren. + +Auch von der kommenden Hochzeit war nie mehr die Rede. Höchstens daß die +Mutter einmal von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, was das +Elternhaus ihr wohl mitgab. + +Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend nahte, dann war er da. +Und beide Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten oder aßen unreife +Äpfel. + +Einmal, als die Marinke das Rindvieh von der Weide heimtrieb, tauchte +der Jozup neben ihr auf und begann ein Gespräch. + +»Hast du auch schon den Schwiegereltern das Stück Brautleinwand +geschenkt,« sagte er, »und Rautenblüte hineingelegt?« + +»Warum sollt' ich das?« fragte sie. »Ich bin die Magd hier und sonst +nichts.« + +»Das hast du mir schon einmal gesagt,« erwiderte er. »Es ist Zeit, daß +du freundlicher zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir die +Hochzeitsgäste zusammenzubitten.« + +»Ich weiß von keiner Hochzeit,« erwiderte sie. + +Er stieß ein Gelächter aus. »Aber im Leibe sitzt sie uns schon, als +hätten wir Tollwasser gesoffen. Ich lieg' bis zum Morgen und denk' an +die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß der Brautführer sein. +Vom Jurris red' ich nicht, der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran +denkt, die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, mein +Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach aus, als ob dir sehr davor +graute, über ein Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es nicht, der +ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt er sich einen Vertreter.« + +Der Weg war schmal, darum mußte sie das lästerliche Gerede anhören, und +als sie es ihm gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der Gedanke: +»Vielleicht weiß er mehr von mir, als mir gut ist; sonst könnte er gar +nicht so dreist sein.« + +Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß sie nur den Kopf senkte und +ihn reden ließ, was er wollte. + +Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl sie innerlich wünschte, er +möchte ihn mit der Peitsche vom Hof hinunterjagen. + +Und bald darauf kamen Tage voll neuer Herzensangst. Die drückten noch +härter als alles, was vordem gewesen war. + +Sie lief von der Arbeit weg und versteckte sich in der Scheune, um in +den Garben nach Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, ob +nicht irgendwo ein Sadebaum sich über den Zaun hinstreckte, und ihre +Füße waren verbrüht von kochendem Wasser. + +Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber bei Tage machte sie +freundliche Augen. Mit denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter +täuschte sie nicht. + +Die legte eines Tages die Arme um ihren Hals und sagte: »Mein Täubchen, +du bist nun bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe dich wohl +geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem Jurris nichts Besseres wünsche +als dich, so weißt du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten +spielen die Männer oft so schlimme Streiche, daß wir ins Unglück kommen +und wissen nicht wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, nimm +deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt. +Auf etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur muß man den Knaben +liebhaben, wenn man ihn täuscht.« + +Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, vermochte Marinke nicht zu +ergründen, aber gute Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie auf, in +Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann darüber nach, wie sie dem +Jurris wieder nahkommen könne. Leicht war das nicht, denn in den Garten +ging er zum Feierabend nie mehr, und nie mehr wollte er einen Gang mit +ihr machen. + +Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, hörte sie, wie er zum Alten +sagte: »Ich bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, ich muß einmal +nach dem Kahn und dem Schuppen sehn.« + +Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, so hätte er jetzt zu ihr +gesagt: »Komm mit!« und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen. +Aber statt dessen schlich er sich um die Scheune herum und kroch durch +die Zäune und blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand bemerke. + +Da sagte sie sich: »Ich tu's.« Und ging ihm nach. Aber sie ließ eine +weite Entfernung, so daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen +konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen Rückweg genommen. + +Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, setzte sie sich auf den +Grabenrand und wartete. + +Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie sangen die Heimchen. + +Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen Gedanken im Kopfe hinter +ihm herlief. Wäre es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen, +so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, aber nun die Not sie zwang, kam +sie sich als eine Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre Liebe +zu ihm nur noch größer und reiner war. Aber es hätte ihr keiner +geglaubt. Und auch sie selber glaubte es kaum. + +So verging eine geraume Zeit, da hörte sie seine Schritte näherkommen. +Beinahe wäre sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, daß +sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden konnte. + +Er blieb vor ihr stehen und fragte: »Wer ist da?« + +Und sie fragte: »Wie kommst _du_ hierher?« + +Da erkannte er sie und sagte: »Es wird dir zwar keiner was tun, aber +Sitte ist es nicht, daß die Mädchen am Sonntagabend allein in den Wiesen +herumlaufen.« + +Sie erwiderte: »Was soll ich machen? Eine Freundin habe ich nicht, und +der, der sich um mich kümmern sollte, der unterläßt es.« + +Er fragte: »Meinst du mich?« + +Und sie erwiderte: »Nein, ich meine den Jozup.« + +Da setzte er sich neben sie und sagte: »Du hast Recht, Marinke, daß du +mir Vorwürfe machst. Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, aber +was sollte ich tun? Der Vater verlangt es so und hat mir einen schweren +Eid abgenommen.« + +Sie zuckte die Achseln und sagte: »Was ist ein Eid? Für dich schwör' ich +fünftausend, und wenn sie zufällig falsch sind, dann lach' ich.« + +Er antwortete: »Dies war kein gewöhnlicher Eid, wie man ihn etwa vor +Gericht schwört. Der ging um _meinen_ Tod und um _deinen_ Tod, und zwei +Lichter brannten rechts und links vom Gesangbuch.« + +Sie sagte: »Dein Vater könnte auch was Besseres tun, als zwei +Liebesleute zu ängstigen.« Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen +war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof vor ihr versteckt +hatte. + +Er sagte: »Ja«, und sie legte den Kopf auf seine Kniee und schluchzte. +Sie dachte nicht mehr an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen +wollte sie sich. + +Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder in die Höhe zu kriegen, und +dann küßte er ihr die Tränen von den Backen und weinte mit ihr. + +Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: »Ich taug' ja nichts mehr,« aber +sie war so glücklich, wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut dazu nicht +fand. + +Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm um des anderen Hüfte gelegt, und +der Jurris sagte: »Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, denn ich +weiß, es _kann_ nichts Böses geschehen.« + +Das gab ihr einen Stich durch die Brust, denn es _mußte_ ja was Böses +geschehen. Heut' oder nächstens. Und ob es auf Tod oder Leben ging -- +gleichviel. + +Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche zu ziehen. Diesmal aber +tat sie's mit guter Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und wieder und +merkte mit Freuden, daß er schwindlig wurde und wankte. + +Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon dunkel und still. + +Er konnte sich nicht von ihr trennen, und sie dachte bereits, er würde +bitten, ihn mit sich zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da riß +er sich los und floh ins Haus, als säße der Böse ihm auf den Hacken. + +Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie schon manche Nacht gekniet +hatte. Und betete und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die Klinke +sich nicht bewegte. + +Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst wenn die sie hörte, was tat +ihr das noch? + +Und dann stand sie auf. Und da er noch immer nicht kam, trat sie den +schweren Gang an nach seiner Kammer. + + + 7 + +Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf kam der Jurris zu dem Alten in +die Stube und sagte: »Ich möchte dich in Gehorsam bitten, Vater, daß die +Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden kann.« + +Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er las, und sagte: »Du hast +wohl deinen Eid gebrochen?« + +Und der Jurris erwiderte: »Ja, ich habe meinen Eid gebrochen.« + +Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: »Dafür strafe dich Gott!« + +Der Jurris senkte den Kopf und sagte: »Gott wird mir vielleicht +vergeben, denn es war gar zu schwer.« + +Der Alte aber schrie: »Nein, Gott wird dir _nicht_ vergeben. Ebenso +wenig, wie _ich_ dir vergebe, daß du mich in so große Ungelegenheit +gebracht hast.« + +Und er lief auf seinen Schlorren umher wie ein Rasender. + +Nach einer Weile sagte er weiter: »Natürlich muß die Hochzeit früher +stattfinden. So früh als möglich muß sie stattfinden, damit nicht +vielleicht hinterher ein Stein auf mich geworfen wird. Aber das sage ich +dir: Kummer und Drangsal werden mit euch zu Tische sitzen, und der Tod +wird hinter euch stehen, weil du den Willen Gottes so wenig geachtet +hast, und den Willen deines Vaters noch weniger.« + +Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach mit keinem ein Wort, nur +daß er zur Marinke, die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: »Er hat +es erlaubt.« + +Und alsbald erhob sich im Hause ein großes Rumoren, denn die +Vorbereitungen zur Hochzeit sollten sogleich beginnen. + +Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt sowohl wie beim Pfarrer, und +der Jozup erschien am hellen Vormittag auf einem mit Bändern +geschmückten Pferde und selber mit Bändern geschmückt an Achseln und +Hutrand. Dem reichte die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel +von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu laden waren. + +Und die Marinke wurde geschickt, ihm den Festtrunk zu zapfen. + +Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er es so gierig mit seinen +Händen, daß sie die ihren nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest +und sagte: »Wenn ich nun losreite, dann mußt du mit und kommst nicht +mehr frei bis ans Ende der Welt.« + +Und sie sagte erschrocken: »Dann wärst du ein schlechter +Hochzeitsbitter.« + +Er trank und sprengte lachend davon, sie aber fühlte seine Hände brennen +bis gegen Abend. + +Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr und des ersten Pflügens, aber +beides mußte hintangestellt werden, weil es im Hause soviel zu tun gab. + +Und die Leute im Dorf wunderten sich und sagten: »Die Marinke ist doch +erst so kurze Zeit hier; sollten die beiden schon vorher miteinander +gekramt haben?« + +Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen erfuhr, daß er gerade das +Gegenteil davon erreichte, was seine Absicht gewesen war; er hätte sich +sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. Der Jurris aber +erfuhr's. Dem steckte es der Jozup nur allzubald. + +Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, so grämte er sich doch immer +noch mehr und dachte in seinem Herzen: »Sollte so das Unglück bereits +beginnen?« + +Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf immer neue Kohlen ins Feuer. + +Die Marinke hingegen tröstete ihn und sagte: »Wenn zweie sich liebhaben, +für die gibt es kein Unglück und kein Verschulden, denen steht Gott zur +Seite und nimmt den Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.« + +Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn sie ihn heimlich im Arm hielt, +vergaß sie alles, auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt +hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und Töpfe und Eimer und Garben und +was sie zu fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre dankbaren Hände. + +Der Jurris aber hielt's mit dem Müßiggang. Sie mochte ihm noch so viel +zureden, seine Arbeit wurde nur halb getan, und wäre nicht +glücklicherweise ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer weiß, ob der +Hafer nicht ins Faulen gekommen wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf +dem Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der Landwirtschaft hat, +ans Fischen nur denken kann, machte er sich morgens und abends draußen +zu schaffen. + +Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam er naß bis auf die Knochen +vom Ufer nach Hause. Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das +Draußensein kam es ihm an. + +Die Marinke küßte ihm beide Hände und sagte: »Jurris, Jurris, es tut dir +ja keiner was.« Aber auch das half nicht viel. + +Eines Morgens wehte stark der »Aulaukis«, der Südwest, den die Fischer +nicht mögen, besonders wenn Regen als Zugabe kommt. + +Als die Marinke hinaussah, dachte sie: »Nun, heute wird er wohl nicht +gefahren sein,« aber wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder im +Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris. + +Die Vormittagsstunden vergingen, und sie dachte: »Um Gottes willen, wo +bleibt der Jurris?« + +Und als er zum Mittagbrot noch nicht da war und auch die Mutter das +Fürchten bekam, da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von der +Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem Strande zu. + +Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte sie: das war kein +Wind mehr, das war ein Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken. + +Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, und der Handkahn war weg. + +Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, denn die Regenwolken +strichen ganz niedrig darüber hin, aber die Strandwellen gingen so hoch, +als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah kam, und das Rohr +schrie, als hätte es eine Menschenstimme bekommen. + +Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, so weit, daß die Wellen +sie nicht erreichen konnten, und die Marinke dachte bei sich: »Jetzt muß +ich hinausfahren -- muß ihm entgegenfahren.« + +Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser herangebracht hatte, dann +schlugen die Wellen ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben +lag. + +Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft war und daß sie davon nur +den Tod haben würde. + +Und sie warf sich im nassen Sande auf die Kniee, wie sie es jüngst vor +ihrem Bette oft getan hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen. + +Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken gekrochen, und keine +Menschenstimme rief: »Da bin ich.« + +Ja, _eine_ Menschenstimme war da. Ganz plötzlich schallte sie ihr in die +Ohren und sagte: »Was machst du?« + +Und diese Stimme gehörte dem Jozup. + +Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf dem Herzen gehabt hatte, und +hob die gefalteten Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte mit ihr +hinausfahren. Für sie allein sei es zu schwer. Aber zusammen würden sie +ihn schon finden. + +Der Jozup fragte: »Seit wann ist er fort?« + +Und sie erwiderte: »Seit in der Frühe.« + +Da lachte er bloß und sagte: »Dann ist er längst wieder an Land und +sitzt verschlagen wer weiß wo.« + +Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr fort: »Denkst du denn, daß +Menschen sich acht Stunden lang in so 'nem Wetter draußen herumtreiben +können? Oder sich erst den Platz aussuchen zum Landen? Da ist es jedem +egal, wo ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber komm ins Trockene, +denn dir klappern ja alle Glieder.« + +Und er führte sie in den Schuppen und schlug die Tür hinter sich zu, so +daß sie fortan im Halbdunkel waren. + +An den Wänden hingen die Netze, und über das Heu, das im Winkel lag, war +der Mantel des Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters versteckt, +wenn alle ihn suchten. + +Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten Fingern und küßte +den Saum und sagte: »Komm doch wieder! Komm doch wieder!« + +Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie hatte schon all ihre Tränen +verschüttet. + +Der Jozup stand daneben und biß sich die Lippen. Und dann sagte er: +»_Warum_ soll er eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug da, die +bloß auf dich warten.« + +Da drehte sie sich um und spie nach ihm. + +»Warum speist du mich an,« sagte er, »da ich doch einstmals dein Mann +sein werde?« + +Und sie sagte: »Laß mich hinaus. Ich habe schon lange gewußt, was du für +einer bist.« + +Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, und indem er ihre Hände hielt +wie in Klammern geschroben, sagte er folgendes: »Du betest da immerzu, +er möchte doch wiederkommen, aber wenn ich jetzt als sein Freund mein +Gebet mit dem deinen vereinigen wollte, dann würde es lauten: er soll +_nicht_ wiederkommen. Und er _wird_ auch nicht wiederkommen. Wenigstens +als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du schon mir, und das will ich +dir gleich beweisen.« + +Sie rang mit ihm und schrie: »Vergreife dich nicht an mir, denn ich +trage ein Kind von ihm.« + +Aber er lachte sie aus: »Du willst ein Kind von ihm tragen? Hat er mir +doch oft genug von dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen +müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! Ich aber kehr' mich an +nichts und will tausend Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.« + +Und sie rang weiter mit ihm und schrie: »Ich trage ein Kind von ihm!« + +Und er sagte mitten im Ringen: »Wenn es die Wahrheit wäre, daß du ein +Kind trägst, dann ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, von wem +es ist.« + +Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, und sie fiel hintenüber und +wußte von nichts mehr. + +Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür offen, und niemand war da +außer ihr. + +Unter ihr lag noch immer der Mantel des Jurris. Den streichelte sie von +neuem und küßte den Saum, aber sie dachte dabei: »Mir ist ganz recht +geschehen.« + +Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte wiederkommen. Hätte sie +ein Gebet gehabt, so würde es gelautet haben wie das von dem Jozup: »Er +soll _nicht_ wiederkommen.« + +So ohne Mut und so voll Scham war ihre Seele. + + + 8 + +Im nächsten Frühling bekam die Marinke einen Knaben. Der sollte einmal +die Enskyssche Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft +war keiner als Erbe da. + +Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben und durfte um den +Ertrunkenen trauern, als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und +niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn die Hochzeit war ja +bestellt gewesen. -- Bloß daß nun ein Begräbnis daraus wurde. + +Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, ehrte +sie wie ihres Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war immer gut zu +ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes willen, den er von ihr +erwartete. + +Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, denn er fühlte sich durch +den Eid, den er dem Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert auch +über dessen Tod hinaus. + +Der Jozup war während des ganzen Winters nur dann im Hause zu sehen +gewesen, wenn er die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl gehütet, +ihm zu begegnen. + +Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade vom Melken, da stand er +breit in der Stalltür. Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. Um +derentwillen mußte sie tun, als ob nichts vorgefallen war. + +Er bot ihr die Hand und sagte: »Ich halte mich fern von dir, aber wenn +die Zeit gekommen ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.« + +Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, denn daß sie ihm verfallen +war, daran zweifelte sie nicht. + +Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, daß sie die alte +Wilkene, die das Haus bisweilen besuchte, bereits als zukünftige +Schwiegermutter betrachtete. + +Aber freundlich war die durchaus nicht mehr. + +Wenn sie an ihrem klappernden Stock über den Hof gehumpelt kam, gab es +der Marinke stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte in ihrem +Innern: »Bin ich erst in dem Wolfsnest drin, dann werde auch ich das +Hemd auf den Schultern mit meinen Tränen waschen.« Denn so heißt es in +dem alten Liede. + +Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich nach der Entbindung ins +Elternhaus zurückzubegeben; aber wie man sie aufnehmen würde, wenn sie +mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft bat, daran gab's nicht den +mindesten Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens gewesen. Der Jozup +hätte sie auch von dorther geholt. + +So neigte sie sich also in Demut vor dem kommenden Schicksal, und nur +die bösen Augen der Alten machten ihr Angst. + +Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: »Was will die alte Wölfin immer von +dir? Du willst ja nichts von ihr.« + +Aber was der Jozup wollte, davon ahnte sie nichts. + +Und eines späteren Tages -- der kleine Jurris mochte acht Wochen gewesen +sein -- da kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter Stunde und setzte +sich neben die Wiege, die gerade ohne Aufsicht neben der Haustür stand. + +Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, denn beim ersten Blicke hatte +sie den Mann, der sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar nicht +erkannt. + +Er richtete sich auf und sagte: »Der Tote ist mein Freund gewesen, und +ich habe sein Kind bis heute noch nicht gesehen.« + +Und die Mutter sagte: »So sieh es dir ordentlich an.« + +Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte sogleich: »Habt ihr auch +schon daran gedacht, ihm einen Vater zu geben?« + +»Sein Vater liegt im Grabe,« sagte die Enskene, »und einen anderen +braucht es nicht.« + +»Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch ein Wort mitzusprechen haben,« +entgegnete er, »oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als Magd bei +euch behalten könnt?« + +»Das Kind in der Wiege,« sagte sie, »wird künftig einmal Herr auf diesem +Hofe sein, und die du meinst, halt' ich wie meine Tochter. Im übrigen +glaube ich nicht, daß dich dies alles was angeht.« + +»Dies geht mich nur insoweit was an,« erwiderte er, »als die Marinke +demnächst meine Frau werden soll.« + +Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig Macht ihr über die einstige +Braut ihres Sohnes gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, und +darum sagte sie: »Deine Werbung ist mir so willkommen, daß ich Lust +hätte, meinen Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe weist.« + +»Ich _habe_ gar nicht geworben,« entgegnete er, »denn ihr Vater wohnt ja +wo anders.« + +Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber und weinte. + +Und er wartete schweigend, bis die Marinke vom Felde kam. + +Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: »Schick ihn fort, so daß er nie +wiederkommt.« + +Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, wünschte ihm kaum »Guten Tag« +und nahm dann das Kind aus der Wiege, um es zu stillen. + +»Da hast du ja ein schönes Kind,« sagte er, »und ich will hinfort sein +Vater sein.« + +Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: »Kannst du nicht wenigstens +warten, bis die Trauerzeit um ist?« + +Da rang die Mutter die Hände und schrie: »Du ermunterst ihn ja!« + +Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste auf und reichte dem Kinde +die Brust. + +»Pfleg es mir gut,« sagte er mit einem Lachen und schritt nach dem +Hoftor. + +Von nun an gab es trübe Tage im Hause. Die Mutter weinte, der Alte +schalt, und beide verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen. + +»Hier hast du's wie eine Prinzessin, aber dort in dem Wolfsnest werden +die Wölfe dich fressen mit Haut und mit Haar.« + +So ging das Lied immerzu. + +»Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, daß das Kind dem +Jurris sein Kind ist? Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich +anglupt, als schlepptest du ein ganzes Gehetz von Bankerts mit dir +herum.« + +So ging eine andere Weise. + +Die Marinke sagte nur immer: »Habt Geduld, bis die Trauerzeit um ist.« + +Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr zum Rechtsanwalt zweimal in +der Woche, denn er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten. + +Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt hatte und sein Grab von +frischen Blumen noch voll war, erschien der Jozup von neuem auf dem +Hofe. + +Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, daß er die Marinke allein +sprach. + +Sie kam mit einem Wäschekorb von der Bleiche und lief ihm gerade in die +Arme. + +»Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,« sagte er, »und Geduld +bewiesen ein Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum frage ich +dich: Wann wirst du mir das Jawort geben?« + +Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen könne, aber niemand +war weit und breit. + +»Deine Mutter ist mir böse gesinnt,« sagte sie. »Und du wirst zu ihr +stehen gegen mich.« + +»Meine Mutter ist dir böse gesinnt,« entgegnete er, »weil sie sich +ärgert, daß du ein fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß es mein +eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst würde sie's ausschreien bis +hinter Prökuls.« + +»Es _ist_ auch nicht dein eigenes!« rief sie. »Das weißt du, und wenn du +es nicht weißt, dann schwör' ich es dir.« + +Aber er lachte sie aus. »Der gute Jurris ist tot,« sagte er. »Darum will +ich so tun, als hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde zu ihr +stehn gegen dich, dann kennst du mich falsch. Ich bin nach dir +ausgewesen wie ein Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die erste +Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit meiner Mutter die Sache beredet bei +Tag und bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind fixer gewesen als +ich. Ich hab' ihnen den Hof anzünden wollen über dem Kopf, -- ich habe +den Jurris -- na, nun ist egal, was ich wollte mit deinem Jurris. Aber +hast du dir nie gedacht, warum ich da saß Abend für Abend neben ihm auf +der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein Augenschmeißer bin und +weiter sonst nichts? Ich hab' kein Wort von meinem Zustand zu dir +geredet, denn schaliges Bier lieb' ich nicht, und den Bettler beißen die +Hunde. Aber das hättest du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden +kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch nicht den Finger heben +gegen dich. _Ich_ sollte zur Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was +dachtest du von mir?« + +Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, daß sie ihm recht in die +Augen sah. Und es war, als spritze Feuer daraus, und es war, als sei +eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene Wege. + +Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte seinem Willen doch nicht +entweichen. + +»Die Eltern werden es nicht zugeben,« sagte sie, um doch etwas zu sagen. + +»Welche Eltern? Deine oder dem Jurris seine?« + +»Meine sind froh, wenn sie mich los sind,« entgegnete sie, »aber diese +hier lassen mich nicht mehr weg.« + +»Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die Krähe vom Neste, und um zwei +solche Grasmücken sollt' ich mich kümmern?« + +»Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. So ein Glück kommt nicht +wieder.« + +»Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, wenn ich das will.« + +»Hier geht es nicht nach deinem Willen, das weißt du sehr gut. Denn +eigene Kinder kommen zuerst.« + +Der Jozup war rasch von Begriffen. Er sah gleich ein: wenn er nicht +drohte, kam er zu nichts. + +»Na, gut,« sagte er, »dann muß ich doch wohl meiner Mutter erzählen, was +zwischen uns passiert ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein Kahn +koppheister schoß. Was weiter geschieht, dafür wird _sie_ dann schon +sorgen.« + +Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach und Beschmutzung. Und auch +des Jurris' Andenken würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. Darum +wurde sie stark in ihrer Schwäche und sagte: »Ein Eid gilt dir nichts,« +-- daß er auch ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte sie nicht +-- »und so schwör' ich erst gar nicht. Aber was ich jetzt sage, das ist +so wahr, wie daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du mich heiraten +willst, so werd' ich nicht widerstehen und werd' auch das Kind bei mir +behalten, bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es zu denen +zurück, die es beerben wird. Sagst du aber deiner Mutter oder sonst +einem auf der Welt, was du mir angetan hast, dann nehm' ich mir am +selbigen Tage den ersten besten Kahn von denen, die am Ufer stehen, und +fahre hinaus und komme nicht anders wieder, als einstmals der Jurris +kam. Nun weißt du's.« + +Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt an ihm vorüber dem Hofraum +zu. + +Er aber hatte seinen Willen. Und was heute noch daran fehlte, das mußte +die Zukunft ihm bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner Gewalt +war. + +Am nächsten Vormittag kam die Alte auf Freischaft. + +Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, und als sie die Marinke +küßte, war's ihr, als gösse der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus. + +Aber sie widerstand nicht mehr. + +Mochte die gute Mutter ihr auch weinend Rücken und Hände streicheln, +mochte der gnitschige Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen +versprechen, -- sie blieb fest. Und auch was mit dem Kinde werden +sollte, bestimmte sie nach ihrem Willen. + +Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, was nötig war, um den Enkel +an eigener Kindesstatt anzunehmen, aber das durfte nun erst in Kraft +treten, wenn Marinkes Leib von neuem gesegnet war. Bis dahin sollte der +Kleine bei seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die +Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat. + +So wurde es festgemacht, und niemand sagte mehr Nein. + + + 9 + +Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest gefeiert. Die alten +Enskys hatten sie ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke ihres +Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer einen Stein auf ihre Sittsamkeit +hatte werfen wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und nur die alte +Wölfin grollte und kicherte höhnisch in sich hinein. + +Am Morgen des ersten Tages -- lange vor Sonnenaufgang -- war Marinke auf +den Kirchhof gegangen, um von dem Grabe des Jurris Abschied zu nehmen, +denn daß ihre Gänge hierher von nun an nicht gern gesehen sein würden, +das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich für das schwere Leben, +das vor ihr lag. Auch bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie +ihm im geheimen angetan hatte und wodurch er auch schließlich zu Tode +gekommen war. + +Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl nichts wie eine große Buße sein +würde, und die nahm sie auf sich mit Freuden. + +Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern angefahren. Auch die zwei +erwachsenen Brüder fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen. + +Obgleich alle vier sie oftmals herzten und küßten, erschienen sie ihr +nur wie weitläufige Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren kaum +noch gesehen. + +Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst von hinnen getrieben hatte, +schämte sich ein wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause +ausgerichtet worden war, und erzählte jedem, mit dem sie bekannt wurde, +es wäre nur der weiten Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem, +weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams durchaus darauf bestanden +hätten, das Fest an Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder vier +sonstige Gründe führte sie an. + +Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht und trug den Beutel +mit den vielen Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei jeder +Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, und man erkannte wohl, daß er +keinen anderen Willen besaß als den, den sie ihm eingab. + +Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke in diesem Hause wie eine +Tochter geehrt wurde und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals +hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat sie an sie heran, +umarmte sie und sagte, so laut, daß die Enskene es hörte: »Du wirst +hoffentlich dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in deinem +Elternhause eine Zuflucht hast und keine Fremden brauchst, dich zu +beschützen.« + +Und die Enskene erwiderte darauf: »Ebenso wirst du hoffentlich dessen +gedenk sein, meine Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.« + +Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede gedemütigt wurde, schwieg +sie ganz still, denn sie hatte erreicht, was sie wollte. + +Das Kind begehrte keiner von der Familie zu sehen, und es wurde ihnen +auch nicht gezeigt. + +In der Kirche sah die Marinke den Jozup an diesem Tage zum ersten Male, +denn es war damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut und Bräutigam +-- jeder mit seinem Anhang -- gesondert zur Kirche fahren und nicht +früher zueinandertreten, als bis der fromme Gesang zu Ende ist und der +Pfarrer vor dem Altare steht, den Segen über sie zu sprechen. + +Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, und die auf der linken, die +zu dem Bräutigam gehörten, sahen feindlich herüber. + +Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil die Marinke keinen +Rautenkranz trug, sondern bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte, +das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte. + +Und das kam daher, daß sie eine Entweihte war, wie die alte Wölfin jedem +zuraunte, der es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, bis die +Verachtung so in ihm wach wurde. + +Der Jozup sah und hörte nichts von dem allen. Er starrte bloß immer mit +einem wilden und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke herüber, +als wollte er ihr zurufen: »Hab' ich dich endlich?« + +Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als müßte sie ihm erwidern: »Ja, +nun hast du mich ganz.« + +Und als der Pfarrer hernach das Jawort von ihr verlangte, sprach sie es +so hell und deutlich, als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer +Seite gestanden. + +Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch sie gedachte dessen, der in +der Erde lag. + +Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut und Bräutigam vom Kruge aus, +wo die Trauung begossen wird, ein jeder gesondert nach Hause fahren, um +erst am zweiten Tage der Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen; +aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, wie es jetzt immer +üblicher wurde, gemeinsam den Weg zur Brautwohnung ein. + +Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. Er sprach nicht zu ihr und sah +sie nicht an, aber wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine schlug, +zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr angst und bange wurde. Und noch +bänger wurde ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten Wagen die +Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen hatte und deren Blick sie +durch und durch stach. + +»Er wird mich mit seiner Liebe fressen,« dachte sie, »und die Alte mit +ihrem Haß.« + +In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste gerichtet. Die Türrahmen mit +Gewinden umgeben und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die Tische konnten +all die guten Gerichte nicht fassen. Da gab es Rindfleisch mit Reis und +Pflaumen mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und Neunaugen, gewürzt +und gesäuert. Und noch vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar +nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier und Alaus und Kirschen- +und Kornschnaps -- alles sehr reichlich. + +Im Brautwinkel, wo neben dem jungen Paare die vornehmsten Gäste sitzen, +stand sogar in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; der war aus +Memel extra verschrieben. + +Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz wollte eine behagliche oder +gar freudige Stimmung nicht aufkommen. Die Verwandten des Bräutigams +hielten sich abseits von den Verwandten der Braut, giftige Blicke flogen +hin und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt war, der sah mit +Sorge, daß, wenn das Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden +nachfolgen würden. + +Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch immer. Ihr Sohn habe was +Besseres verdient, als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem könne +es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen zu sein, bei der die +Brauteltern, anstatt sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen. + +Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, den drohenden Sturm zu +verscheuchen. Die gute Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre sie +die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch der Alte auch sonst +die Schätze seiner Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit und +verteilte Handschuhe und Handtücher in Menge, selbst seidengewebte +Jostbänder verteilte er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem +Verstecke. + +Aber nichts wollte helfen. Die Magila, die Göttin des Zornes, saß schon +im Rauchfang, und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, dann wehe! + +Die arme Marinke traute sich nicht mehr zu reden, zu lächeln, und der +Jozup saß da mit eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten nach +rechts und nach links, als wolle er bald dem, bald jenem stracks an den +Hals. + +Und immerzu ging das Getuschel der Alten. Wie ein Messerstich hierhin +und dorthin flog schon ab und zu ein häßliches Wort durch die +eintretende Stille. + +Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann hätte sich wohl alles anders +gestaltet. Er war ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich +abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb. + +Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter den Gästen, aber der war +noch sehr jung und besaß nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig +zu machen. + +So konnte das Unheil weiter gedeihen. + +Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher Mann, der harmlos gekommen +war, sich zu vergnügen, hob mit einemmal sein Glas und rief zu dem +Brautvater hinüber: »Du -- prost auf die billige Hochzeit!« + +Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. Der alte Tamoszus +sprang auf und wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf werfen, andere +fielen ihm in den Arm, ein großes Lärmen hub an, -- das Schlimmste +schien nun gekommen. + +Da geschah etwas, was niemand geahnt oder für möglich gehalten hätte. +Wäre der Herrgott vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu stiften, +keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt. + +Und es war ja auch eine Art von Herrgott, ein »Wieszpatis« war es, der +sich selber bemühte. + +Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, die plötzlich herangebraust +kamen? Wer kannte nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze und +der rotsamtnen Troddel? Wer kannte nicht das Lacklederverdeck mit den +silbernen Bügeln? + +Und wer kannte nicht den Mann, der fünf Fuß zehn Zoll hoch mit +blitzendem Auge unter buschigen Brauen und auseinandergestrichenem +dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen Polstern entstieg, um +sich dann umzuwenden und einer Dame im seidenen Schleier und seidenen +Mantel aus dem Innern zu helfen? + +Ja, wenn _der_ zur Hochzeit kam! Der und die Frau, die alle liebten, wie +man einstmals die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß schön +war, sondern in ihrem Gutsein sich auch zu den Demütigen neigte! + +Wenn _das_ geschah, dann gab es nicht Hadern mehr und nicht Hochmut. +Dann gab es keine Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da wo der +Rautenkranz und die silberne Krone hingehört hätten. Dann gab es nur +Frieden und Glück und Geehrtsein. + +Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, erhoben sich stumm von +den Sitzen, und so betraten beide suchend die Stube, in der sein Kopf +die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz hätte aufrichten wollen. +Auf den Brautwinkel gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich die +Hand, die blutübergossen und stumm den Blick auf die Dielen geheftet +hielt. Und auch den Jozup begrüßten sie -- glückwünschend, daß er solch +eine Frau, deren Wert sie ja kannten, sich zu eigen genommen. Und dann +begrüßten sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die Herrin, +wechselte einen ernsten Blick mit der Mutter, den nur sie beide +verstanden, und die Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte. + +Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und immer noch hübsche Frau war, +drängte sich vor, um auch einen Gruß zu bekommen, aber die Herrschaften +achteten ihrer nicht mehr, als ob sie ein Unkraut gewesen wäre. + +Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, oder vielleicht wußten +sie gar nicht, daß eine Bräutigamsmutter noch da war. + +Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar gegenüber, und er, der +Wieszpatis, zog einen Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. Der +war innen mit Seide gefüttert, und auf der hellblauen Seide lagen +silberne Messer und Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler und +mehr. Das war sicher. + +Noch niemals hatte man jemand gekannt, dem zur Hochzeit solch eine Gabe +beschert worden war. + +Und der Herr sagte: »Ihr alle sollt daraus erfahren, wie treu die +Marinke mir einstmals gedient hat und wie hoch meine Frau und ich ihre +Dienste heute noch schätzen.« + +Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn Litauisch konnte sie +nicht: »Es muß ein besonderes Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie +dem Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen dürfen.« + +Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn des Kindes war heute noch +niemals von einem gedacht worden. + +Und die Herrin fragte: »Kann man es sehen, Marinke?« + +Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, wo die Wiege versteckt +war, und brachte es angetragen in seinen rotbunten Kissen. + +Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und schaukelte es und sagte: »Ein +hübsches Jungchen. Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn erinnere. +Findest du nicht auch, John?« + +Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, da gewahrte er, daß die +Augen der Marinke sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller +Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, und darum nickte er nur +bedächtig und nachsinnend vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein +auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, nahmen die Herrschaften +freundlichen Abschied und fuhren von dannen. + +Das Kind und das Silberbesteck aber gingen noch lange Zeit bei den +Gästen von einem Schoß auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt und +bewundert. + +Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und kichernd draußen herumlief, +wollte von beiden nichts wissen. + + + 10 + +Das Gehöft, das die Leute das »Wolfsnest« nannten, lag ein wenig abseits +vom Dorfe und war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den fünfen, +denen man Hochachtung schuldete. Aber man sah nicht viel davon, denn es +war auf drei Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, daß man +höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern sah. + +Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn verborgen. Und nur wer von +der Landseite herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, die als +Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall und Scheune bedeckten. + +Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst recht überrascht durch die +schönen Maschinen, die auf dem Hofe der Reihe nach standen. + +Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem Stolze erfüllen, +die auf Arbeit hielt und auf Ordnung. + +Die Marinke fand sich rasch in das neue Leben, und war sie von +Kindesbeinen an fleißig und tüchtig gewesen, wie hätte sie's hier nicht +sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand? + +Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter an, wenn sie vom +Fenster der Altsitzerstube aus, bereit zu Tadel und Zank, das Wirken der +Hausfrau verfolgte. Und sie hütete sich wohl, sich an ihr zu vergreifen +oder den Sohn gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich auf +günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit erschien und ohne Gruß +aus und ein ging. + +Die Marinke kümmerte sich nicht viel um ihr feindseliges Benehmen, denn +sie hatte ja Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen würde, wenn es +zwischen ihr und der Alten zu offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. +Ob er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der Mutter würde er doch +wohl nicht Unrecht geben, denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil +sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen hatte. Der eine +war Schutzmann in Berlin, und der andere stand kurz vor dem +Versorgungsschein. Schreiben taten sie beide nicht mehr. + +Mit dem Jozup war's eine eigene Sache. Manchmal, wenn er dasaß und sie +ansah halbe Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein Wort zu reden, +und sie gleichsam aufzehrte mit seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann +dachte sie innerlich schaudernd: »Das ist zu viel, das darf nicht sein, +das geht wider Gottes Macht und Willen.« + +Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor allzugroßer Liebe und ihr nicht +nahe zu kommen wagte, dann dachte sie wieder: »Das ist die Strafe, weil +er sich an dem Jurris vergangen hat.« Bis er sich dann auf sie stürzte +wie ein wildes Tier, so daß _sie_ nun zitterte vor seiner allzugroßen +Liebe. Und manchmal dachte sie dabei: »Vielleicht ist er wirklich ein +Werwolf und heißt nicht bloß so.« Aber dann warf sie die Furcht wieder +ab und tröstete sich: »Das kommt bloß daher, daß er zu lange nach mir +begehrt hat und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun kann er's noch +immer nicht fassen.« + +Und dann war es ihr manchmal, als könnte sie ihn mit der Zeit auch +wiederlieben. Aber ihr Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, wo +der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab und zu an das Grab zu +gehen, ihr wäre manches leichter geworden. + +Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine wilde Liebe. Ob es sein +eigenes war oder nicht, darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und +Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen Glauben zu lassen, denn sie +wußte, wenn's anders käme, würd' es ihr schlecht gehn. + +Er nannte den Kleinen auch nicht »Jurris«, wie er getauft war, sondern +»Wilkiutis« oder »Wilkytis«, was gar kein christlicher Vorname ist, +sondern das »Wölfchen« bedeutet. Und er war ganz zornig, wenn die +Dienstboten nicht taten wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen +Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich brachte sie's auch nicht +mehr übers Herz und nannte ihn immer bloß »Kindchen« oder auch +»Liebling«. + +Der Kleine wuchs rasch heran und konnte gehen und sprechen, noch ehe das +erste Ehejahr um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie der Wolf mit +seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. Lag lang auf der Erde und +ließ ihn klettern über sich her und hob ihn hoch in die Luft, und dann +mußte er sehen, wie er von den Handflächen wieder herabkam. + +Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der Dämmerung zwei alte Leute +und kuckten sich die Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und kuckten +nicht minder nach der Marinke, ob ihr Leib noch immer nicht Spuren zeige +von kommendem Segen, damit alsbald der Vertrag in Kraft treten könne, +der ihnen den Enkel zurückgab. + +Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, obwohl der Alte die +Vormundschaft hatte, und ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen. +Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt und sich +streicheln lassen von ihren verständigen Händen, aber um des lieben +Friedens willen entbehrte sie auch das. + +Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde zu haben, hatten die Alten es +auf sich genommen, den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen bei +den Besitzern immer reihum fuhr, selbst zu kutschieren, wenn ihre Woche +gekommen war. Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher an den Rand +des großen Weges bringen, wo sie herrenlos standen, bis der Wagen sie +auflud, und als die Alten sich dumm stellten und unter diesem oder jenem +Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, da machte er kurzen Prozeß und trat aus +der Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, als er selber nicht +gerne mehr nach Augustenhof hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und +vielleicht besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis nannte er nur noch +»den Deutschen«, und das schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf dem +Grunde des Schrankes und zehn Schichten Kleider darübergefliehen. + +Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen tot, und der Tag seines +Sterbens kam heran. + +Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch nicht, kurz, um die Stunde, +in der damals das alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle +aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht Fische zu fangen. Er +tat das sehr selten, denn den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und +wie er die Marinke zum Abschied küßte, da war Triumph in seinem Auge, so +daß sie sich dachte: »Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an +seiner Gewalttat.« + +Und weiter dachte sie: »Soll der arme Jurris nun ganz allein da liegen +und denken, ich hab' ihn vergessen?« + +Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf den Kirchhof, und der +Vorwurf in ihr sprach lauter und lauter. + +Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg bei der Hand, denn es mußte ja +aussehen wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie aber hinter den +Erlen war und die Alte ihr nicht mehr nachblicken konnte, hob sie ihn +auf den Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof zu, der wohl +eine halbe Stunde entfernt lag. + +Das Grab war ziemlich verfallen. Frische Blumen lagen nicht darauf, und +auch sie hatte ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie Blätter +von den Ahornbäumen, und weil sie zufällig ein Knäulchen Zwirn in der +Tasche hatte, machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu winden, die +den Grabhügel der Länge und Breite nach festlich umrahmen sollte. Zeit +hatte sie genug, und der Kleine grub artig im Sande. + +Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, und auch weil ihr hier an +dem Grabe so wohl war. + +Sie sang: + + »Dort unter den Linden + In jenem Grabe, + Da liegt und schlummert + Mein lieber Knabe. + + Auf seinem Denkmal + Stehet zu lesen, + Wie schön und tapfer + Er einst gewesen. + + Mit Blumen schmück' ich's + In jedem Lenze, + Sitz' auf dem Grabe + Und flecht' ihm Kränze. + + Und ranke Grünes + Rings um die Kanten + Und pflanze Goldlack + Und Amaranten. + + Und klag' und weine, + Weil sie den Knaben + Mir aus dem Brautbett + Gerissen haben. + + Doch aus dem Herzen + Stiehlt ihn mir keine, + Und jeden Abend + Komm' ich und weine.« + +»Wenn _ich_ hier mit meinem Kinde an jedem Abend ein Stündchen sitzen +könnte,« dachte sie, »ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern immer +vergnügt sein.« + +Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit freute, da wurden mit +einemmal vom Kirchhoftor Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und +ein Klappern dabei -- das kannte sie wohl. + +Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind auf den Arm und ging der +Schwiegermutter entgegen. + +Die schwang die Krücke und schrie: »So also bist du dem Jozup treu, du +Allerweltsfrauenzimmer, daß du selbst mit den Gräbern buhlen gehst? Ohne +Jungfernschaft bist du ins Haus gekommen, den Muturis« -- das +Frauenkopftuch -- »hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht ich. Aus +der Mistpfütze bist du gekrochen, und nicht eher werde ich ruhen, als +bis ich dich dahin zurückgeprügelt habe.« + +Und sie schlug mit dem Krückstock auf die Marinke los. + +Die dachte nur daran, den kleinen Jurris zu schützen, der bitterlich zu +weinen begann, weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, und ging +davon ohne ein Wort der Erwiderung. + +Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich vor das Hoftor, um dem Jozup +aufzupassen. + +Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe zurückkam, erzählte sie ihm +alles. »So hat sie dich beseift,« sagte sie. »Nun strafe sie, wie sich's +gebührt.« + +Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen und kämpfte lange mit sich. +»Warum soll ich sie strafen?« sagte er dann. »Es ist besser, ihr Zeit zu +lassen, damit das Andenken an jenen aussauern kann aus ihrem Gemüte.« + +»Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?« fragte höhnisch die Alte. + +»Weil ich ein Mann bin,« entgegnete er, »weiß ich, was ich zu tun habe.« + +Aber sie ließ ihm keine Ruhe. »Weiche Äpfel faulen bald,« sagte sie, +»und wer bloß Krumen essen will, bricht sich am ehesten die Zähne +entzwei. Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.« + +Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu schelten. Nur fernhalten +tat er sich von ihr, und auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche +lang. + +Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem Begegnen, denn jetzt hatte sie +einen Grund. + +Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter schon einmal +gehoben hatte, ohne daß ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es +alsbald von neuem und fiel über sie her, allemal, wenn sie ihr nicht +entweichen konnte. + +Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen und war auf nichts weiter +bedacht, als den Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger +angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr setzen. Und eines Tages +-- nicht weit vom Herde -- riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand +und warf sie gegen den hängenden Kessel, so daß ein wenig von dem +kochenden Wasser herausspritzte. + +Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. Die Schwiegertochter habe +sie geschlagen und verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die Blasen +an Hals und an Händen. Und als der Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie +auch ihm und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens nicht +sicher. + +Da geschah es zum ersten Male, daß er sich an seinem Weibe vergriff. Er +schlug sie nicht, wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, sondern +warf sie schweigend über den Tisch und schüttelte und würgte sie, wie +man mit einem bissigen Hunde tut. + +Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den kleinen Jurris auf den Arm +und rannte in ihrer Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja jeder +Verkehr verboten war. + +Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot und rief dann den Alten +herbei. Der tat desgleichen, und als Marinke ihnen alles erzählt hatte, +wollten sie sie sogleich bei sich behalten. + +Aber die Marinke willigte nicht darein. »Von hier holt er mich schon +morgen vormittag,« sagte sie, »und wenn ich mich wehre, schleppt er mich +womöglich an den Haaren zurück. Aber ich weiß jetzt, was ich ihm sagen +werde, wenn ich auch nicht danach tun kann.« + +Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, ihr den Kleinen noch eine +Strecke zu tragen, und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen +Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren Armen Eiapopeia. + +Am nächsten Morgen wollte der Jozup schweigend von dannen gehen, aber +sie hielt ihn zurück und sagte: »Ich habe es satt, mich schlecht +behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der Himmel bisher nicht geschenkt, +es hält uns also auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse +Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd' ich dort nicht, und darum +ist es das Beste, ich gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst du +behalten.« + +Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand und entgegnete drauf: »Das +Einzige ist, ich teile ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen +fließt. Dann wird sie's vielleicht weitererzählen, aber im Hause wird +Ruhe sein.« + +Da sagte die Marinke: »Gestern vor vierzehn Tagen war des Jurris' +Todestag, und heute wird _mein_ Todestag, wenn du das tust, so wahr ich +dein Weib bin.« + +Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache ihr Sinn unveränderlich war und +daß er nie und nimmermehr daran würde rühren dürfen. Darum sagte er: +»Ich werde nachsinnen, ob es ein anderes Mittel gibt.« + +Und die Marinke sagte: »Du kannst nachsinnen, soviel du willst. Ein +anderes Mittel, als daß _sie_ aus dem Hause geht oder ich, wirst du +nicht finden.« + +Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: »Sie hat mich vorgezogen, +seit ich im Kinderkleid war -- sie hat die Brüder hinausgejagt, damit +ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel von mir!« + +Und die Marinke erwiderte: »Ich verlange ja nichts.« + +An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube und blieb dort länger +als eine Stunde. Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte herauskam, +das Gesicht wie behonigt, und zu der Marinke sagte: »Setze meinen Teller +auch auf den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, will ich fortan +mit euch zusammen essen.« + +Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die Alte den Kleinen ihren +»Putytis«, ihr Hähnchen, nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte, +zog sie ihn rasch auf die Seite. + +Von diesem Tage an war die Wilkene wie umgewandelt, und niemand konnte +wissen, wodurch es geschehen war. + +Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend im Erlengebüsch auf +Marinke lauerte -- -- denn so war es jüngst ausgemacht worden --, sagte +zu ihr: »Paß gut auf, daß sie nicht an den Herd kommt. Ich will mich +rösten lassen wie Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das Kind +zu vergiften.« + +Die Alte aber saß allabendlich am Rande des Sumpfteichs hinter dem +Roßgarten, um Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, die +nächstens ausgelegt werden sollten, und in der Dunkelheit kam sie mit +Kräutern beladen nach Hause, die sie niemandem zeigte. + +Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei und dem Kalmus auch +Wasserschierling in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten können, so +viel Schierlingsstauden standen dort mit ihren weißlichen Schirmchen. + +Ja, die Marinke paßte gut auf. + +Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben gegen die Gicht, das hatte +nichts auf sich, aber daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem +Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische aß, das gab schon mehr zu +bedenken. Und stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder zu +wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich war. + +Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit wich die Marinke nicht von +der Stelle. Kaum den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich +wurd' ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn. + +Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit Zucker und Rosinen, da fiel +ihr ein fremder Geruch auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der Jozup +mochte wie viele den Kürbis nicht und kriegte was Anderes, die Alte aber +bekam mit einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich Melissentee +kochen, so daß nur sie selbst und das Kind noch übrigblieben, davon zu +essen, denn den Leuten war schon vorher zugeteilt worden. + +Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab auch dem Kinde nichts, +füllte aber, soviel sie konnte, in eine breithalsige Flasche und lief +heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit sie nun tue, was not war. + +Und als der Freitagabend herankam, da sagte die Mutter: »Ich bin in +Heydekrug gewesen beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht und +gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn man's dem anzeigen wollte, wär' mit +der Hälfte zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.« + +Die Marinke nahm den Zettel und ging zum Jozup. »Deine Mutter ist mir +die rechte,« sagte sie. + +»Wieso?« fragte er und ließ die Halsbinde los, denn er zog sich eben die +Kleider vom Leibe. + +»Weil sie mich hat vergeben wollen -- mich und das Kind.« + +Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten ersticken, und riß sich +das Hemd am Halse entzwei. + +»Ich habe das Versprechen getan, dich niemals zu schlagen,« sagte er, +»aber du machst es einem recht schwer.« + +»Hier ist der Zettel,« sagte sie. + +Er las den Namen des alten Settegast, den jeder ehrte weit und breit, +und so rot, wie er gewesen war, so blaß wurde er nun. Und dann ließ er +sich alles von ihr erzählen. Auch daß die Mutter Enskys die Probe zur +Apotheke getragen hatte, verschwieg sie ihm nicht. »Straf mich, wenn du +willst,« sagte sie, »aber das Kind mußt' ich am Leben erhalten, +gleichviel, wer sein Vater ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich +jetzt gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.« + +»Du und das Kind bleiben hier,« erwiderte er. + +»Gut,« sagte sie, »dann muß deine Mutter fort, oder ich zeige sie an.« + +»Du zeigst sie an?« fragte er, als ob er nicht recht gehört hätte. + +»So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.« + +Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und kam die ganze Nacht nicht +mehr wieder. Auch am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, erst +gegen Mittag trat er mit einemmal aus der Altsitzerstube. Er zitterte am +ganzen Leibe und sagte: »Ich habe mit der Mutter gesprochen. Was sie +jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals prophezeit und habe für +alle Fälle mit den Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die Hälfte +aller Einkünfte bekommen und sie dafür in Pflege nehmen, solange sie +lebt. Siehst du nun wohl, wie lieb du mir bist -- du und das Kind?« + +Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte kaum einen Widerspruch zu +leisten gewagt, denn sie wußte, die Anzeige drohte. + +Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der Jozup sie zur Bahn brachte, +reckte sie noch einmal den Krückstock nach der Marinke und schrie ihr +den schwersten Fluch an den Hals: »Mag der Perkuhns dich treffen nach +Bartholomä!« + +Und da es bis zum nächsten Bartholomä noch lange hin war, verbesserte +sie sich: »Nein, noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich +treffen.« + +Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in die Weite, dorthin, wo kein +Litauergott mehr donnert. + + + 11 + +Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man glückliche nennen. + +In Marinkes Herzen wurde das Bild des Jurris allmählich blasser und +blasser. Da eine Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte sie manches +liebe Mal nach seinem Grabe sehen können, aber es drängte sie nichts +mehr dorthin. + +Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler heran, der sich die Butter +vom Brote nicht nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen bis zum Abend +in die Welt hinauskrähte. + +Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn darin zu bestärken, und wenn der +Junge recht unartig war, sagte der Vater: »So ist's gut, mein +Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.« + +Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe zur Weide führen und setzte +ihn jedem Tier auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit vier Jahren +ritt er bereits auf der bockigen Schimmelstute, und die war auch sonst +nicht die frömmste. + +Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger zwischen den beiden, und als +der fünfte Frühling herankam und die künftige Schulzeit schon drohte, da +nahm der Jozup ihn morgens sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die +Lenkstange der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen Zipfel des +Säelakens zu tragen und meinte: »Das muß das Erste sein, was ein +Wirtssohn erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und Rechnen.« + +Ein Glück war's -- ein unaussprechliches und nie besprochenes --, daß +noch immer kein Zeichen sich meldete, der kleine Jurris werde ein +Brüderchen oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade so, als ob der +Himmel selbst darüber wachte, daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand +und Ruhe allmählich einkehrte. + +Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich zwei alte Leute auf ihren +Knieen und flehten zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam in +die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn und Erben zurückgeben. + +Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. Die Marinke mochte sich +noch so sorgsam verstecken, die Dienstleute trugen es doch hinaus, und +bald wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes war. + +Der Jozup ging umher wie ein Wüterich und erklärte, wer ihm den Knaben +nehmen wolle, den schieße er nieder. + +Aber als die beiden Enskys von seinen Reden hörten, da lachten sie nur, +denn sie hatten es schriftlich. + +Und eines Tages waren sie dreist genug und erschienen beide im Hoftor. + +Die Marinke, die im achten Monat war und nur noch leichte Gartenarbeit +verrichten konnte, saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten +unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die aber hatten sie wohl gesehen +und wollten gerade in den Garten einbiegen, da stießen sie auf den +Jozup, der eben aus dem Hause trat. + +»Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?« sagte er ihnen zum Gruße. + +Die Großelternliebe war stärker in ihnen als jegliche Angst, und obwohl +der Alte sich ein wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit +hatte er doch, um zu sagen: »Ich würde an deiner Stelle versuchen, dich +mit uns zu verständigen, denn vor den Behörden bist du ja machtlos.« + +Da dachte er nicht anders, als sie würden wohl mit sich handeln lassen, +und lud sie ein, in die Stube zu treten. + +Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine bestanden und nur +Gewißheit haben wollten, wann sie das Kind heimholen könnten. + +Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: wie sich den Sohn erhalten, +an dem seine Seele hing. Für einen Augenblick stieg wohl der Wunsch in +ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, das ihn mit dessen Leben verband, +aber er warf ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen wohl +erkannt, daß, wenn die Marinke, mochte sie sonst noch so weich sein, zu +einer Sache entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon abbringen +konnte. + +Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen -- das wollte er doch nicht. + +In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin und her, ob nicht ein +einziger Grund sich finden ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich +für immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein anderer ein als der, mit +dem er sein Weib nun schändete. + +»Jurris habt ihr ihn ja genannt,« sagte er, »aber was wißt ihr, ob er +wirklich dem Jurris sein Kind ist?« + +Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände zu ihm auf, als wollte sie +ihn anflehen, den Schlag _nicht_ zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte. +Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und schrie immerzu: »Wer ist es? +Wer ist es? Wer ist es?« + +Und er -- mehr aufs Geratewohl, als weil er sich eines bestimmten +Verdachtes bewußt war -- entgegnete dieses: »Nun -- es kann ja zum +Beispiel -- der -- Wieszpatis gewesen sein. Nicht umsonst hat er Kinder +sitzen weit und breit -- und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf dem +Hofe gewesen.« + +Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom Blitze getroffen, der Alte aber +rannte spornstreichs hinaus und in den Garten -- dorthin, wo die Marinke +vorhin gearbeitet hatte. + +Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn sie dachte, der Jozup +wolle dem Alten zu Leibe, da schrie er auch schon: »Nun ist es heraus, +du Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. Und das Kind ist von +ihm. Gesteh, daß das Kind von ihm ist!« + +In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht anders, als es sei durch +ein Unglück alles ruchbar geworden, was sie sich selber kaum eingestand, +und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete sie: »Wenn du es +weißt, warum fragst du mich erst?« + +Da rannte er spornstreichs zurück und schrie es durch Garten und Hof: +»Sie hat gestanden, daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es eben +gestanden.« + +Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde so gelb wie die Asche im Eimer. +Er nahm den Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. Dort gab +er ihm noch einen Stoß mit dem Absatz und überließ ihn seinem weinenden +Weibe. Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem Leibe +mühsam aus dem Garten kam. + +Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei er der Henker. Aber da sie +wußte, daß nichts auf der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, so +gab sie sich drein. + +»Geh ins Haus,« sagte er und blieb ihr dicht auf den Hacken. + +Dann peitschte er die Mägde hinaus, die ängstlich um die Feuerstätte +standen, und folgte ihr in die Stube. + +Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach war sie geworden, und seine +Augen stachen nach ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit. + +»Also wie war das mit dem Wieszpatis?« fragte er ganz freundlich. + +»Wie wird's gewesen sein?« sagte sie. »Er war doch der Herr, und ich war +die Magd. Und wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, dann hat er +gesagt, ich gefall' ihm.« + +»Und das ging so die ganzen Jahre lang?« + +»Solang' ich die Meierei unter mir hatte, wird's wohl gegangen sein.« + +»Und als du merktest, daß du ein Kind von ihm trugst, da suchtest du dir +den Jurris als Vater dazu?« fragte er immer noch freundlicher. + +Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das war anders.« Und nun berichtete sie +ihm der Wahrheit nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal nach +Augustenhof hatte hinkommen lassen -- der Jozup selber war ja Vermittler +gewesen -- und wie sie allein hatte fahren müssen, weil der Jurris nicht +war zu finden gewesen. Da hatte der Herr gesagt: »Wir wollen nun +Abschied feiern, Marinke.« Und sie hatte gebeten und gefleht: »Ach +lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.« Aber er war ja der Herr, und sie +hatte ihm schon so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm auch +diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von daher war alles Unglück +gekommen. + +Er sagte: »Ich habe das Gelöbnis getan, dich nicht zu schlagen. Und das +ist dein Glück, sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser Stube +kommen. Auch sollst du mir zuerst einen Sohn zur Welt bringen, denn das +bist du mir jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen werde, das weiß +ich noch nicht. Aber ich rate dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt +hast, den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn ist Hurensohn. Und +kommt er mir in den Weg, so schmeiß' ich nach ihm mit allem, was ich +grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.« + +Die Marinke hob die Arme nach ihrem Manne auf und weinte und bat: »Wo +soll ich hin mit ihm in meinem Zustand?« + +»Das geht bloß dich an,« entgegnete er und schritt aus der Türe. + +Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm drein, um den Kleinen vor +ihm zu sichern, der wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. Und sie +fand ihn auch glücklich und wartete ab, bis der Weg frei war, dann zog +sie ihn rasch in die Klete. + +»Hole mir Betten für mich und das Kind,« sagte sie zu der Hausmagd, +»denn hier werd' ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.« + +Und der Kleine schrie nach dem Vater, er wolle hinaus und mit ihm +spielen, wie er's gewohnt war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus Furcht, +der Jozup möchte eindringen und mit ihm tun, was er gedroht hatte. + +In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen Jurris wohl vierzehn Tage +auf und traute sich nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten gut +für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche Herrin gewesen. + +Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er an der Klete vorbeiging, +schüttelte er die Faust nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus, +wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört. + +Er nannte sein Weib eine »Klorke«. Und »Szunjôda« und »Pajudêle« nannte +er sie. Das sind Namen, die man am besten ins Deutsche nicht überträgt. + +Und drohen tat er ihr auch und immer aufs neue. Sie konnte das Fenster +noch so fest schließen, sie hörte und verstand ihn in allem. »Denke nur +nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein Täubchen, weil ich das +Gelöbnis getan habe, dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand +kommen lassen, der wird das alles statt meiner besorgen. Der wird dir +mit der Bratpfanne den Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten +streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben wirst, heute feiern wir +Ostern.« + +Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und dachte: »Wer mag es nur +sein, den er meint?« Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben +konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden. + +Am allermeisten hatte sie Angst um den Knaben, dem der Jozup Tag für Tag +ans Leben gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit sich verkürzte, +wurde die Unruhe größer in ihr, daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn +aufpassen konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war. + + + 12 + +Eines Nachmittags -- es war zu Ende August, und die Leute arbeiteten +draußen im Grummet --, da sah die Marinke durch das Fenster der Klete, +daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, sich einen Korb mit Essen und +Trinken aufladen ließ und davon fuhr. + +Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen die Sonntagskleider an und +schmückte sich selber, so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte sie +sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war die einzige, die auf dem Hofe +geblieben war. Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben habe, +sondern sagte nur im Vorbeigehn: »Ich will jetzt den Kleinen wegbringen. +Erzähle dem Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht nicht zu Haus +bin.« + +Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch fortgehen wollte, so +wußte sie doch nicht, wohin. Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach. + +Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, wenn Leute ihr +entgegenkamen, denn das Geschehene war ja längst allen bekannt; aber +jeder grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr sprach. + +Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen wollte, in dem sie so +glückliche Tage verlebt hatte, da überfiel sie der Jammer, so daß sie +sich weinend auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme sprach in ihr: +»Kehre an! Vielleicht daß die Mutter dich nicht fortweist und einen Rat +für dich hat!« + +Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß der Alte auch auf dem Felde +war und die gute Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte. + +Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß und sagte: »Da ist er nun, um +den wir Jahre und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, so hübsch +wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch zu uns gehören.« + +Und sie küßte ihn und sagte weiter: »Wenn der Jurris noch lebte, der +würde es nie erfahren haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes. +Weiß Gott, mir wär' es gleich! Ich würd' ihn auch weiter liebhaben, +schon weil er von dem Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will +nicht. Der spuckt aus.« + +Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und bat: »Sag, Mutter, was soll +ich tun?« + +Und die Enskene erwiderte: »Es ist doch ein Vater da. Der muß sich jetzt +kümmern.« + +Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie hatte sie daran gedacht, +daß sie dem Wieszpatis mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe. + +Und die Mutter Enskys fuhr fort: »Wenn er erfährt, daß sein Fleisch und +Blut ganz und gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so wird er es zu +sich nehmen. Denn nicht umsonst sagen alle, daß er ein guter Mann ist +und ein gerechter Mann.« + +Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit kam über sie. Beinahe wäre +sie von der Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die Mutter Enskys +hielt sie fest und sagte: »Daß es dir schwer fällt, kann man sich +denken. Es trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, darum kannst +du gleich mit dem Milchfuhrwerk mitfahren, das der Hütejunge +kutschiert.« + +»Aber bei den andern anhalten, wenn er die Kannen einsammelt, das bring' +ich nicht übers Herz,« sagte die Marinke. + +Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig sein würde, der Junge könne +ja erst die Runde machen und sie dann abholen kommen. + +Und so geschah es. + +Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen auf Augustenhof eintraf. +Der Schweizer in der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie kümmerte +sich nicht um ihn, sondern nahm den kleinen Jurris bei der Hand und +schlug den Weg zum Herrenhause ein. + +Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich in den Garten läuft, schlug +ihr das Herz so sehr, daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen zu +müssen, und als sie gar lachende Stimmen auf der Veranda hörte und +milchfarbene Windlichter sah, da war es vollends mit ihren Kräften zu +Ende. + +»Wer ist da?« hörte sie die Stimme des Herrn. + +Und da sie nicht zu antworten vermochte, sagte er weiter: »Sieh doch +einmal nach, Agnes, wer da ist.« + +Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen herab -- sollte das wirklich +die Agnes sein? -- und fragte: »Was wünschen Sie?« Und da sie noch immer +nicht antwortete, rief das Mädchen hinauf: »Eine Frau ist da mit einem +Kinde, aber sie spricht nichts.« + +Da kam er, der Herr, selber die Treppe herab. Und sie neigte sich vor +ihm und küßte ihm den Ärmel. + +»Ich kann nicht recht sehen,« sagte er. »Bist du etwa die Marinke?« + +Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: »Die bin ich.« + +»Komm herein,« befahl er und schritt ihr und dem Kinde voran die Stufen +empor, an lauter Herrenleuten vorbei -- jungen und alten --, es waren +deren mindestens sechs oder sieben. Sie erkannte die gnädige Frau, der +küßte sie rasch noch die Hand, und dann ging sie durch die Sommerstube +und den Saal und den mittleren Korridor immer hinter ihm her, und der +Kleine war tapfer und quarrte nicht im geringsten. + +Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, das am Giebelende gelegen war +und drei Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und eine zum +Korridor hin, durch die sie nun eintraten. + +Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch nie gesehen hatte, denn +damals war es Petroleum gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an dem +sie Sonnabends immer Rechnung gelegt hatte, und das Ruhebett in der +linken Fensterecke stand auch noch da. Und alles war überhaupt, als sei +sie nie weg gewesen. + +Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt und betrachtete sie lange, +aber von dem Kinde, das sie erwartete, und auch von dem, das sie an der +Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann so: »Es hat mir leid getan, +Marinke, daß dein Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt hat. +So sind wir ganz außer Verkehr gekommen, und ich weiß nichts mehr von +dir. Du hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich gewandt, und +das passiert mir in ähnlichen Fällen eigentlich niemals. Ich will nicht +sagen, daß ich dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich kann, +helf' ich gerne. Aber nun setz dich hin, denn du wirst müde sein, und +sage, was führt dich her?« + +Sie dachte bloß immer: »Und sein Kind sieht er nicht an.« + +Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante des Ruhebetts setzte und +das Kind zwischen die Kniee nahm, da sah er es doch. + +»Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,« sagte er und streckte von +seinem Schreibstuhl her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen +lockt. + +Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich nur um so enger an sie. + +»Wie werd' ich's ihm bloß sagen?« dachte sie. »Das Beste wird sein, ich +geh' wieder weg, wie ich gekommen bin.« + +»Nun also, Marinke, erzähle.« + +»Ich hab' nichts zu erzählen, Ponusze.« + +»Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es schwer fällt, nicht einen so +weiten Weg. Also sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder möcht' er +bauen oder sonst was? Ich geb', was er will, denn ihr seid mir sicher.« + +»Mein Mann braucht keine Hypothek,« sagte sie, »und bauen möcht' er auch +nicht, aber es ist 'rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen ist, +Herrchen, und mir.« + +Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz nach ihr um, so daß es +knarrte, und machte sich ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf +ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel hart auf ihn herab. + +»Er ist ganz grau geworden,« dachte sie. Und nun sah er vollkommen so +aus, als wär' er der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger +Herrgott sah er aus. + +»Nur du und ich haben's gewußt,« herrschte er sie an, »und von mir hat's +keiner erfahren.« + +Sie hätte nun sagen müssen: »Von mir auch nicht,« aber ihre Angst vor +ihm war so groß, daß sie sich keine Antwort getraute. + +»Ich werd' denn man gehen,« sagte sie und versuchte aufzustehen. Aber +sie war so schwach, daß sie wieder zurückfiel. + +Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen war. Die geschliffene +Karaffe stand immer noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr ein +Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, aus dem sie manches liebe +Mal hatte naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der wollte erst +nicht, aber was ihm in die hohlen Händchen geschüttet wurde, das nahm +er. + +»Nun laß uns vernünftig reden,« sagte der Herr, »und erzähl alles.« Aber +sie konnte nicht. Sie saß bloß so da und sah vor sich hin. + +»Marinke,« sagte der Herr, »du bist einmal die Freude meiner Feierabende +gewesen, und ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen großen Stein +bei mir im Brett. Denk daran und faß dir ein Herz.« + +Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: »Das Kind hier ist _Ihr_ +Kind, Ponusze.« + +»Ei der Deiwel,« sagte er und lachte hellauf, »das ist ja ganz was +Neues.« Dann nahm er den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die +Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. »Wie gesagt, stramm ist +er. Wenn er sich auswächst, kann er mir schon ähneln. Denn das weißt du +ja, sie ähneln mir alle.« + +Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten fünf oder sechs auf dem Hof. +Wenn man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie der andere. + +Und er fuhr fort: »An sich wär's also schon möglich. Aber ich denk', es +ist deinem ertrunkenen Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich weiß, hat +er ja auch den Namen.« + +»Das ist richtig,« entgegnete sie, »aber von dem ist er nicht. Und von +meinem jetzigen Mann ist er auch nicht.« + +»War der denn auch dabei?« fragte er, und sie konnte nicht anders als Ja +sagen. + +»Du -- das ist aber ein bißchen reichlich,« rief da der Herr und wußte +vor Lachen sich nicht zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh! + +Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. Aber die Marinke +sah ein, daß sie in der fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde, +wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das mußte sie jetzt tun, denn er +allein konnte sie verstehen, und es drückte ihr längst schon das Herz +ab. + +Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, wie alles gekommen war. Er +hörte ihr aufmerksam zu und wurde ernster und immer noch ernster. + +Mitten darin griff er mit der Hand nach dem Kleinen und hob ihn sich auf +das Knie. Und der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und lutschte +still weiter. + +Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den Wuschelkopf und setzte ihn +sacht auf die Erde. Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er mußte die +Beine freikriegen zum Rumgehen, denn das tat er immer, wenn ihm das Herz +von irgend was voll war. + +Er ging und ging, und dann klingelte er und sagte dem eintretenden +Mädchen: »Man soll nicht auf mich warten -- ich habe zu tun.« Einst war +sie selbst dieses Mädchen gewesen, und oft hatte er dasselbe zu ihr +gesagt. Und dann ging er immer noch länger. + +Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: »Wie wirst du nach Hause +kommen?« + +»Der Enskyssche Milchwagen wartet auf mich,« entgegnete sie. + +Der große Augenblick war nun da. In ihm mußte das Schicksal des Kindes +sich entscheiden. + +»Die Enskene hat gemeint,« stotterte sie, »weil es doch dein Fleisch und +Blut ist, Herrchen, und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest du es +vielleicht in Pflegschaft nehmen und es großziehen lassen auf deinem +Hofe. Von Instleuten wohnen ja bei dir so viele.« + +Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm erbitten wollen, aber +jetzt, da sie das vornehme Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte +sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen war. + +»Du vergißt, Marinke,« sagte er, »daß da draußen die gnädige Frau sitzt, +der ich Rechenschaft schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald auch ihr +zu Ohren kommen, und dann gäbe es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem +Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu kommen, war schon zu viel, +aber ich mochte es ihr nicht abschlagen -- auch um deinetwillen nicht, +Kind, weil du so außer jedem Verdacht bliebst. Kommt's nun aber heraus, +dann ist jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie wieder gutmachen +kann.« + +Die Marinke verstand nicht recht, was er meinte, aber daß ihr Verlangen +eine Vermessenheit war, das wußte sie nun. + +»Ich werd' denn man gehn,« sagte sie zum zweiten Male. Diesmal fiel sie +nicht von selbst zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter gefaßt +und festgehalten, so daß sie das Aufstehen vergaß. + +»In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier bin,« sagte er, »ist kein +Fremder ohne Trost aus dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr +gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht hinausschicken? +Das geht nicht, Marinke, wenn ich dir auch leider was Anderes als Geld +nicht zu bieten hab'.« + +»Ich will kein Geld!« stieß sie hervor. + +»Verachte das Geld nicht,« ermahnte er sie. »Denn es macht die Bösen gut +und die Harten gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von mir hat +oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, tausend Taler mit auf den Weg. +Und noch keine hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine Mitgift +geben, dreimal so groß, so daß er als ein wohlhabender Erbe gelten kann, +und du wirst sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.« + +Damit setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb einen +Schenkungsbrief über zehntausend Mark, und noch vieles andere schrieb er +dazu, wie die Zinsen zu erheben seien und wie das Kapital einst +ausgezahlt werden sollte. Das unterstempelte er mit dem Stempel des +Amtsvorstehers, dessen Dienst er selber versah, und reichte es der +Marinke. + +Die dachte bloß immer das eine: »Aus mir kann nun werden, was will. Das +Kind ist fürs Leben geborgen.« + + + 13 + +Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen auf dem Enskysschen Hofe +einfuhr, saß die Mutter gerade so wartend im Mondschein wie an jenem +Abend vor sechs Jahren, von dem alles Unglück seinen Ursprung hatte. + +»Der Vater ist schon lange zur Ruhe,« sagte sie, »drum komm herein und +stärke dich.« + +Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle genau so wie damals und aß +und wußte nicht, was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter. + +Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen. + +Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche und reichte ihn ihr. + +Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht und ließ sich die Summe +immer wieder von neuem sagen, bevor sie sie glaubte. + +»Aber dann ist ja alles gut,« sagte sie, »und dann will ich erst mal den +Vater wecken.« + +Die Marinke hatte Angst, der Alte würde sie und das Kind sofort zur Tür +hinausweisen, aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und ging damit +nach der Stube. + +Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder da war, und hinter ihr in +Hosen und Hemd, die Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen +-- wie ein Wiesel kam er gesprungen -- und bot der Marinke den Willkomm +und klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte ihn selber ins +Bettchen tragen, denn Kinder müßten mit den Hühnern zur Ruhe. + +Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. »In was für ein Bettchen?« +fragte sie. + +»Nun, das für ihn bereit steht schon seit Jahren.« Und er habe immer +gesagt, das mit dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. Das habe +der Jozup sich ausgedacht, um ihn und die Mutter zu täuschen. Und nun +sei es offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr Westphal so viel +bares Geld nicht aus, sonst wäre er längst schon ein Bettler. + +Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden wollte, stieß die Mutter +sie an und sagte ihr leise: »Laß ihn nur immer. Er redet sich's ein und +wird's auch den andern einreden -- und so ist's am besten.« + +Da gedachte die Marinke der Worte, die der Herr zu ihr gesprochen hatte, +ehe er die Schenkung niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine nun +wirklich die Heimat gefunden hatte noch am heutigen Abend. + +Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, denn sie wußte +wohl, daß es zum letzten Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über +ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen des Kreuzes und ging vor die +Haustür. + +Dort standen die beiden und warteten ihrer. + +»Ach, möchten sie mich doch einladen, bei ihnen zu bleiben!« dachte die +Marinke. Aber sie taten es nicht. Wie konnten sie auch! + +»Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,« sagte der Alte, »denn ich bin +der Vormund.« + +Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke ins Dunkel hinein und +sagte zum Abschied: »Ich bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig +Jahr' hab' ich gewiß noch. Und so lange wird es ihm gut gehn, das weißt +du.« + +Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr mit Tränen. + +»Was wird aber mit dir werden?« fragte die Mutter. + +»Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,« sagte die Marinke und ging +von ihr fort ... + +Der Mond stand hoch -- es war schon ein Herbstmond --, aber die Luft +wehte warm wie im Juni. + +Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, überkam sie ein Schaudern. +Der Hofhund würde bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf würde +der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, hinausrufen: »Wer ist da?« Und +wenn sie dann sagte: »Ich bin es -- ich, die Marinke,« dann würde das +Schimpfen losgehen -- Klorke und Szunjôda und Pajudêle und alles, womit +er sie sonst noch traktierte. + +Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. Niemand paßte ihr auf. Sie +konnte die Nachtstunden nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo sollte sie +sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat hatte sie nicht. Da fiel der +Kirchhof ihr ein, auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. Wie eine +Erleuchtung kam es da über sie. + +Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an den Morgen, das war es, was +ihr jetzt fehlte. Da sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie +keiner anschreien und schimpfen. + +So schlug sie also den Weg zum Kirchhof ein, den sie beinahe vergessen +hatte. + +Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht zu finden, denn ringsherum +hatte manch neuer Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren auch +höher geworden. Aber schließlich unterschied sie es doch und setzte sich +auf den Hügel, dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich +begrünte. + +Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die Eltern errichtet. Der war +inzwischen schon wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der Tafel +schien blaß und von Regen verwaschen, soviel man im Mondschein erkannte. + +»Bald werden sie ihn alle vergessen haben,« dachte sie, und ihr +schien's, als sei sie ihm doppelt und dreifach untreu gewesen. Oft hätte +sie Zeit gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte danach gefragt. +Trotzdem fand sie erst heute den Weg hierher, wie man verlassene Freunde +nicht früher aufsucht, als wenn man nicht aus und nicht ein weiß. + +»Ach wenn ich doch ein bißchen weinen könnte!« dachte sie, aber sie +hatte heute schon zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar nicht so +schmerzhaft zumute. Nur müde war sie. Darum lehnte sie das abgerackerte +Kreuz gegen den Pfosten und dachte: »Hier möcht' ich einschlafen.« + +Und das tat sie auch wirklich. Aber bald weckte der Nachtwind sie +wieder. Sie lag nun mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht mehr +aufstehen. + +Es war eine große Stille ringsum, nur die harten Baumblätter rieben sich +ab und zu aneinander, und in dem Grase raschelte es, wenn irgend ein +Getier sich bewegte. + +Sie dachte an alle die Geister, die auf so einem Kirchhof zur Nachtzeit +ihr Wesen treiben, aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn +unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, und der hätte sie schon +beschützt. + +Über diesem Gedanken schlief sie von neuem ein, und ihr war im Traume +fortwährend, als stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. Aber +wie sie wieder einmal erwachte, merkte sie, daß es nur der Wind gewesen +war, und da tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief. + +»Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,« dachte sie. Da kam das Schaudern +wieder, das sie auf dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt +hatte. + +»Was soll ich eigentlich dort?« dachte sie weiter. »Sobald er mich +sieht, wird er mich quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, ob +ich ihnen noch was zu befehlen hab'. Hier gehör' ich her. Zu meinem +Jurrischen. Hierher auf den Kirchhof.« + +Und sie beugte sich zur Seite und küßte das Grab, aber ihr kam davon nur +Sand zwischen die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender Zeiten. + +»Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,« dachte sie. »Denn ich bin +für ihn gar nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die Gimdywe -- die +Gebärerin -- bin ich ihm noch. Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen +anstatt des anderen, das er verstoßen hat, und dann kann ich abgehen. Er +wird schon dafür sorgen, daß sie mich bald hierher auf den Kirchhof +fahren.« + +Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten gleich hier. + +Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, die er ihr zugefügt +hatte seit jenem Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an alle die, +die er ihr noch zufügen würde -- er und der Helfer, mit dem er drohte. + +Und sie sagte zu sich: »Nun hab' ich ihm umsonst prophezeit, daß ich ins +Haff gehen werde, wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn was er +jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist ebenso schlimm wie das, was +sie damals zu erzählen gehabt hätte.« + +Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig wurde, überfiel sie +plötzlich ein Erschrecken, so furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe +sprang und wie eine Unvernünftige drum herumlief. + +Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich kommen lassen wollte, niemand +sonst als die Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin dann? + +Sie rannte nach rechts und rannte nach links, als wollte sie ihr +entrinnen, und wußte doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es gewiß +zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut mehr. Wenn das noch zu +fürchten gewesen wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt. + +Da war es ihr, als sagte eine Stimme: »Er _hat_ sie ja gar nicht +zurückgeholt.« + +Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. Entweder er schwebte um sie +herum, oder sie hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von seinem +Sarge aus zu ihr redete. + +Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf die Knie, wühlte die Stirn in +den Sand, um ihm näher zu sein, und bat und flehte: »Ach hilf mir doch, +Jurrischen, hilf mir doch!« + +Und die Stimme sprach weiter: »Gewiß hat er dir nur Angst machen wollen, +wie man kleine Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist sonst gar +nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt schon über fünf Jahr, und du +bist so zufrieden mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen hattest. +Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse bin. Nein, ich bin dir nicht im +mindesten böse. Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab' ich hier +stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen kommst, das tut mir weh. Nun aber +gehe getrost wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, die Gott +der Herr dir gesetzt hat. Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen, +und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen lassen. Und wenn er sieht, +wie treu du ihm dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum Guten +wandeln, und alles wird werden, wie es noch jüngstens war.« + +So sprach der Jurris aus seinem Grabe, und sie hörte begierig darauf. + +Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte sich bereit, nach Hause +zu gehen. Diesmal wandelte kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war +wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen zu können. Wenn nur das eine +nicht kam, wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, nicht kam, dann war +alles gut! Von ihm selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie +kränkte. + +Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender Körper zur Seite +gedrückt hatte, zog die Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar +ein Vaterunser. + +Dann machte sie sich auf den Heimweg. + +Über dem schwarzen Forst, der den Osten begrenzte, erhob sich bereits +ein gelblicher Streif. Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen +zwitscherten schon. + +Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. Darum bellte der Hund +auch nicht, der sie von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem +Schweife gegen die Hüttenwand. + +Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen wollte, gewahrte sie, +daß in der Kleinen Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und +drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, wo er mit dem Giebel +zusammenstößt. + +Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, da hörte sie aus dem +Innern zwei Stimmen. + +Die eine gehörte dem Jozup, die andere aber -- vier Jahre hatte sie sie +nicht mehr gehört, und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu +müssen. + +Sie war also _doch_ gekommen, die Wölfin! Für sie hatte er heute den +Spazierwagen angespannt, sie von der Bahn abzuholen, und die Magd hatte +geschwiegen -- aus Mitleid. + +Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie nicht, das Elternhaus wollte sie +nicht, der Wieszpatis wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe +wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit List und mit +Täuschung. + +Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und rannte und rannte -- ohne Sinn +und Verstand -- so rasch ihr Körper es zuließ. + +Bloß weg! -- Weg aus dem Hause! Weg aus dem Leben! Weg -- weg -- weg! + +Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue Wasser und die +schaukelnden Kähne. Und der Schuppen des Jurris war auch da. + +Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs Haff hinaus -- -- -- -- -- -- +-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + + + 14 + +Am Morgen desselben Tages segelte in drei Mittelbooten eine +Trauergesellschaft aus der Richtung von Karkeln her nordwestlich nach +der Nehrung hinüber. + +Es waren Männer und Frauen aus dem Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer +Niddnerin, die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett hatte dran +glauben müssen, das Geleite gegeben. + +Da der junge Witwer, um die Heimgegangene zu ehren, ein großes Begräbnis +ausgerichtet hatte, so war die Nacht hindurch getanzt und getrunken +worden, und alle befanden sich noch in der heitersten Stimmung. + +In dem ersten der Boote saßen die Eltern der Toten. Die freilich +verhielten sich ruhig, aber sie freuten sich doch, daß die anderen so +lustig waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man ihres Kindes +lange und gern gedenken würde. + +Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem länglichen Bündel, das die Alte +vorsichtig in den Armen wog, während ihr Mann achtgab, daß die untere +Kante des schlagenden Segels in guter Entfernung darüber hinstrich. + +In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft ihres Kindes, der +Säugling, den sie mit sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn +aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch nirgends zu finden gewesen, +aber ob sie sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr zu +bezweifeln. + +Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an dem Lutschpfropfen, in dem +gekaute Semmelkrume mit geriebenem Zucker gemischt war, und wenn es zu +schreien begann, bekam es Fenchelwasser zu trinken, wovon man auch nicht +sehr satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht vertrug, so lag die +Gefahr nicht sehr fern, daß es kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen +würde, aus der es eben gekommen war. + +Aber die andern scherten sich wenig um solche Großmuttersorgen. Sie +lachten und sangen, und wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung +die Flasche. + +Da bemerkte einer, daß von Nordosten her mit der Richtung des Windes ein +leerer Kahn auf sie zutrieb. + +Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und darum wollte der Steuerer im +vordersten Boote halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. Aber +die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen ihm zu, er möge das lassen; +der Kahn würde in einer halben Stunde von selber am Ufer der Nehrung +erscheinen und wäre dann leichter zu bergen als jetzt. + +So blieb er also auf seinem Wege, und die anderen folgten ihm nach. + +Da -- als sie gerade die Windlinie durchstrichen, die von dem leeren +Kahn auf sie zulief, vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines +kleinen Kindes klang. + +Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, es käme von dem +Bündelchen her, das die Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten +sofort, daß es damit eine andere Bewandtnis hatte. + +Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten und fuhr in kurzem Bogen +dem leeren Kahne entgegen. + +Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle zu ihrer Verwunderung +erkannten, lag auf dem Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und zu +ihren Füßen ein Neugeborenes. + +Die Weiber drängten die Männer zurück, damit deren Augen die Scham der +Geburt nicht entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen sacht in +den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten Dienste zu leisten. + +Dort aber, wo das Bündelchen unter dem Segelrand lag, sagte der alte +Mann leise zu seiner Frau: »Laß uns dem Herrn ein Dankgebet sprechen, +denn mir scheint, er hat uns vom Himmel Nahrung geschickt für das +Kleine.« + +Und die Großmutter sprach: »Frohlocke nicht zu früh. Das dort ist kein +Jungfernkind. Sie sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und wird uns +bald wieder verlassen.« + +Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde Wöchnerin in Pflege zu +nehmen, und die andern waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten. + +So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren war, sich in den +Wellen die ewige Ruhstatt zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett +wieder erwachte und statt des einen Kindes, dem sie das Leben gegeben +hatte, deren zwei in der Wiege neben sich vorfand. + +Und ob sie auch zum Verwundern und zum Fragen zu schwach war, so nahm +sie sie doch gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung für beide. + +Dann, als man zu wissen begehrte, woher sie sei und wie sie sich nenne, +da weinte sie nur und wollte nicht reden. + +Es mußte aber die Meldung an das Standesamt gehen, und da sie auch am +zweiten und dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, so wußten +die beiden sich kaum einen Rat mehr. + +Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden der Pfarrer Hoffheinz +Seelsorger war, der jüngere Bruder des Superintendenten, den die +Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich diesem ein lebensfroher und +gottgefälliger Mann, der die Litauer liebte, als wäre er einer von +ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, Ratschlag und Zuflucht +bot, soweit sein Arm sich erstreckte. + +Der sagte: »Sie scheint großes Leid erfahren zu haben. Darum laßt sie in +Ruhe bis an den neunten Tag. Die Behörden werd' ich solange auf mich +nehmen. Und ist sie erst wieder bei Kräften, dann will ich sie selber +befragen.« + +Das war das Richtige. Am neunten Tage trat er zu ihr an das Bett, schloß +die Stubentür ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei Stunden. + +Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche Mann die Augen voll +Wasser und sagte: »Hier hat Gott ein Wunder getan.« + +»An uns auch,« sagte die Alte, »denn ohne sie wäre das Kind der Anikke +schon unter der Erde.« + +Von nun an dauerte es keine zweite Nacht mehr, da erfuhr der Jozup +Wilkat, wo sein Weib geblieben war -- und mit ihr das Kind, das sie nach +seinem Glauben ihm schuldete. Und weil er sich schämte, sie in den Tod +getrieben zu haben, war er sehr froh und machte sich auf, sie +heimzuholen -- sie und das Kleine. + +Das aber war es gerade, wovor die Marinke zitterte bei Tag und bei Nacht +und das zu verhüten der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte. + +Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl gegeben, daß, wenn ein Mann +im Dorfe herumfragte, wo die Kiekutis wohnten, bei denen die Fremde sich +aufhielt, kein einziger es wissen dürfe -- nicht einmal der Schulze -- +und daß man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, ins Pfarrhaus weise; +da könne er's wahrscheinlich erfahren. + +So kam es, daß der Jozup, der wütend von einem zum andern lief und +alsbald erkannte, daß man ihn narre, schließlich einem Manne ins +Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht umspringen ließ wie mit +einem schutzlosen Weibe. + +Ja, das Weib -- das sei ihm egal, das könne seinetwegen gehen, +Filzschuhe wichsen, aber das Kind -- das Kind, das müsse er haben, tot +oder lebendig. + +Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein guter Freund vom alten Settegast +-- er hat ja später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet --, +das sagte er dem Jozup so nebenbei. Und daß, wenn auf diese Weise die +Kürbisgeschichte ruchbar würde, von einem Verschulden der Frau nicht +mehr die Rede sein könne, das sagte er auch. + +Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, ließ seine Ansprüche fahren +und setzte für die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld aus, +so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt. + +Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen zu haben, fuhr er zurück übers +Haff -- zurück zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr hat er einen +solchen Angriff gewagt. + +Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die ihr fast so zugetan waren +wie einst die Mutter Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen Kinde +das fremde rosig und blank. + +Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt kam, nach ihm zu +sehen, da fand er es nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte. + +So geschah es fast von selber, daß die beiden sich miteinander +versprachen. + +Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem Jurris, und das gefiel der +Marinke am meisten. + +Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille begangen. Und still und +friedlich leben die beiden noch heute. + + + Druck der + Union Deutsche Verlagsgesellschaft + in Stuttgart + + + Anzeigen des + Cotta'schen Verlages + + + Hermann Sudermann: + + Gebunden + Im Zwielicht + Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage M. 3.50 + Frau Sorge + Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.-- + Geschwister + Zwei Novellen. 35.-37. Auflage » 5.-- + Der Katzensteg + Roman. 106.-115. Auflage » 5.-- + Jolanthes Hochzeit + Erzählung. 31.-33. Auflage » 3.50 + Es war + Roman. 59.-63. Auflage » 6.50 + Das Hohe Lied + Roman. 61.-65. Auflage » 6.50 + Die indische Lilie + Sieben Novellen. 21.-25. Auflage » 4.50 + Litauische Geschichten + Vier Geschichten. 1.-25. Auflage » 5.-- + Die Ehre + Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage » 3.50 + Sodoms Ende + Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage » 3.50 + Heimat + Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage » 4.50 + Die Schmetterlingsschlacht + Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage » 3.50 + Das Glück im Winkel + Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage » 3.50 + Morituri + Drei Einakter: _Teja_. Drama -- _Fritzchen_. Drama -- » 3.50 + _Das Ewig-Männliche_. Spiel. 21. u. 22. Auflage + Johannes + Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage » 4.50 + Die drei Reiherfedern + Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl. » 4.50 + Johannisfeuer + Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage » 3.50 + Es lebe das Leben + Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage » 4.50 + Der Sturmgeselle Sokrates + Komödie in vier Akten. 15. Auflage » 3.50 + Stein unter Steinen + Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage » 3.50 + Das Blumenboot + Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. » 4.50 + Auflage + Rosen + Vier Einakter: _Die Lichtbänder._ Drama -- _Margot._ » 4.50 + Schauspiel -- _Der letzte Besuch._ Schauspiel -- + _Die ferne Prinzessin._ Lustspiel. 2.-10. Auflage + Strandkinder + Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50 + Der Bettler von Syrakus + Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. » 4.50 + Auflage + Der gute Ruf + Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50 + Die Lobgesänge des Claudian + Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage » 4.50 + Die entgötterte Welt + Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: _Die » 5.-- + Freundin._ Schauspiel in vier Akten. -- _Die + gutgeschnittene Ecke._ Tragikomödie in fünf Akten. + -- _Das höhere Leben._ Lustspiel in vier Akten. 7. + Auflage + + + Cotta'sche Gelbe Bibliothek + Romane und Novellen + + Gebunden + _Althof, Paul_ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke M. 4.50 + und andere Geschichten + --»-- Das verlorene Wort. Roman » 4.50 + _Andreas-Salomé, Lou_, Fenitschka -- Eine Ausschweifung. » 4.-- + Zwei Erzählungen + --»-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. » 4.-- + Aufl. + --»-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl. » 5.50 + _Anzengruber, Ludwig_, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Wolken und Sunn'schein. 6. Aufl. » 4.-- + _Arminius, W._, Der Weg zur Erkenntnis. Roman » 4.50 + --»-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl. » 5.50 + _Bertsch, Hugo_, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. » 4.50 + Aufl. + --»-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. » 4.-- + 12. Aufl. + _Birt, Th._, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen » 5.50 + _Böhlau, Helene_, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl. » 4.50 + _Boy-Ed, Ida_, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl. » 5.-- + --»-- Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.50 + --»-- Um Helena. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. » 5.50 + u. 19. Aufl. + --»-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. » 5.-- + Aufl. + --»-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl. » 3.50 + _Bülow, Frieda v._, Kara. Roman » 5.50 + _Burckhard, Max_, Simon Thums. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Dove, A._, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. » 10.-- + Aufl. + _Ebner-Eschenbach, Marie v._, Bozena. Erzählung. 12. Aufl. » 4.50 + --»-- Erzählungen. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Margarete. 8. Aufl. » 3.50 + _Ebner-Eschenbach, Moritz v._, _Hypnosis perennis_ -- Ein » 3.50 + Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten + _Eckstein, Ernst_, Nero. Roman. 9. Aufl. » 6.50 + _El-Correï_. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl. » 5.50 + _Enderling, Paul_, Der Hungerhaufen und andere Novellen » 3.50 + --»-- Zwischen Tat und Traum. Roman » 5.50 + _Engel, Eduard_, Paraskewúla und andere Novellen » 5.-- + _Fontane, Theodor_, Ellernklipp. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Grete Minde. 8. Aufl. » 4.-- + --»-- Quitt. Roman. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl. » 5.50 + --»-- Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl. » 5.-- + _Franzos, K. E._, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. » 3.50 + 2. Aufl. + --»-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl. » 4.50 + --»-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl. » 8.-- + --»-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl. » 4.-- + --»-- Neue Novellen. 2. Aufl. » 3.50 + --»-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. » 6.-- + Aufl. + --»-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl. » 3.50 + --»-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl. » 9.-- + --»-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. » 4.-- + Aufl. + _Frei, Leonore_, Das leuchtende Reich. Roman » 5.50 + _Frey, Adolf_, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer » 6.50 + Schweizerroman. 5. Aufl. + _Fulda, L._, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl. » 3.50 + _Gleichen-Rußwurm, A. v._, Vergeltung. Roman » 5.-- + _Grimm, Herman_, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. » 11.-- + Aufl. + _Harbou, Thea v._, Der unsterbliche Acker. Ein » 4.-- + Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl. + --»-- Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. » 4.-- + 2.-8. Aufl. + _Hartmann, Alfred Georg_, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein » 4.-- + Künstlerroman aus Holland + _Haushofer, Max_, Geschichten zwischen Diesseits und » 5.-- + Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl. + --»-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman » 5.-- + _Heer, J. C._, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. » 3.50 + Aufl. + --»-- Da träumen sie von Lieb' und Glück! Drei Schweizer » 5.-- + Novellen. 28.-30. Aufl. + --»-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl. » 5.-- + --»-- Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl. » 5.-- + --»-- Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.-- + --»-- Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl. » 5.-- + --»-- Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. » 4.-- + 21.-25. Aufl. + --»-- An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.-- + --»-- Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.-- + _Heilborn, Ernst_, Kleefeld. Roman » 3.50 + _Herzog, Rudolf_, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl. » 4.-- + --»-- Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. » 5.50 + Aufl. + --»-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl. » 4.50 + --»-- Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl. » 5.50 + --»-- Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl. » 6.50 + --»-- Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl. » 5.50 + --»-- Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.50 + --»-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. » 4.-- + Aufl. + --»-- Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl. » 5.50 + --»-- Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 4.-- + _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl. » 3.90 + --»-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem » 5.50 + Alltagsleben -- Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl. + --»-- Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen » 5.-- + --»-- Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 » 7.80 + Bände + --»-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl. » 7.80 + --»-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50 + --»-- Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. » 5.-- + 2. Aufl. + --»-- Neue Märchen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Martha's Briefe an Maria. 2. Aufl. » 2.50 + --»-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. » 5.50 + Aufl. + --»-- Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band » 6.30 + --»-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. » 4.-- + 2.-4. Aufl. + --»-- Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl. » 3.90 + --»-- Meraner Novellen. 12. Aufl. » 5.-- + --»-- Neue Novellen. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl. » 7.80 + --»-- Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl. » 5.-- + --»-- Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl. » 3.90 + --»-- Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 3.90 + --»-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. » 3.90 + 7. Aufl. + --»-- Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. » 6.-- + Aufl. + --»-- Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50 + --»-- Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Vroni und andere Novellen » 5.-- + --»-- Xaverl und andere Novellen » 5.-- + _Hillern, W. v._, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- 's Reis am Weg. 3. Aufl. » 3.-- + --»-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. » 6.50 + --»-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + _Hirschfeld, Georg_, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. » 5.50 + u. 5. Aufl. + _Höcker, Paul Oskar_, Väterchen. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Hofe, Ernst von_, Sehnsucht. Roman » 4.50 + _Hofer, Klara_, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich » 6.50 + Hebbels. 3. Aufl. + --»-- Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl. » 3.50 + _Hopfen, Hans_, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. » 4.-- + 6. Aufl. + _Huch, Ricarda_, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem » 5.50 + Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl. + _Junghans, Sophie_, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. » 5.50 + _Kaiser, Isabelle_, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. » 4.-- + _Knudsen, J._, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte » 5.50 + Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl. + _Krauel, Wilhelm_, Von der andern Art. Roman » 4.50 + --»-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht » 5.-- + _Kurz, Hermann_ (Der Schweizer), Sie tanzen » 5.50 + Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl. + _Kurz, Isolde_, Italienische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.-- + --»-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl. » 5.-- + _Langmann, Philipp_, Leben und Musik. Roman » 5.-- + _Lilienfein, Heinrich_, Von den Frauen und einer Frau. » 3.50 + Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl. + --»-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl. » 5.50 + --»-- Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 6.50 + --»-- Die große Stille. Roman. 4. Aufl. » 6.-- + _Lindau, Paul_, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 » 8.-- + Bände. 7. Aufl. + --»-- Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl. » 5.50 + --»-- Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.50 + --»-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl. » 5.50 + _Mahn, Paul_, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Mauthner, Fritz_, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. » 4.50 + Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von + »_Lügenohr_« + _Meyer-Förster, Wilh._, Eldena. Roman. 2. Aufl. » 4.50 + _Meyerhof-Hildeck, Leonie_, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Töchter der Zeit. Münchner Roman » 4.50 + _Moreck, Curt_, Büßer des Gefühls. Novellen » 5.-- + _Moersberger, Felicitas Rose_, Pastor Verden. Ein » 5.-- + Heideroman. 2.-5. Aufl. + _Muellenbach, E._ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen » 4.50 + --»-- Aphrodite und andere Novellen » 4.50 + --»-- Vom heißen Stein. Roman » 4.50 + _Niessen-Deiters, Leonore_, Leute mit und ohne Frack. » 4.50 + Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von _Hans + Deiters_. 2. Aufl. + --»-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50 + --»-- Mitmenschen. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50 + _Pietsch, Otto_, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. » 6.50 + Aufl. + --»-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl. » 4.-- + _Prel, Karl du_, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl. » 6.50 + _Riehl, W. H._, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl. » 5.50 + --»-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl. » 5.50 + _Rittberg, Gräfin Charlotte_, Der Weg zur Höhe. Roman » 4.50 + _Rommel-Hohrath, Clara_, Im Banne Roms. Roman » 5.50 + _Rosner, Karl_, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus » 6.-- + der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl. + _Seidel, Heinrich_, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. » 5.50 + 14. Aufl. (71.-76. Tsd.) + --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. » 5.50 + Aufl. (4. u. 5. Tsd.) + --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. » 5.50 + Tsd.) + --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. » 5.50 + (3. Tsd.) + --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. » 5.50 + (3. Tsd.) + --»-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. » 5.50 + Gesamt-Ausg. + --»-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe » 5.50 + _Seidel, H. Wolfgang_, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. » 5.50 + Aufl. + _Skowronnek, R._, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl. » 4.50 + _Speidel, Felix_, Hindurch mit Freuden. Novellen » 4.50 + _Stegemann, Hermann_, Der Gebieter. Roman » 4.-- + --»-- Stille Wasser. Roman » 4.50 + _Steinhart, Armin_ (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine » 4.-- + Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl. + _Stratz, Rudolph_, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman » 5.50 + einer Studentin. 18.-20. Aufl. + --»-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl. » 4.-- + --»-- Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl. » 5.-- + --»-- Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.-- + --»-- Du bist die Ruh'. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.-- + --»-- Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl. » 5.-- + --»-- Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl. » 6.-- + --»-- Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl. » 5.50 + --»-- Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl. » 5.50 + --»-- Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl. » 5.50 + --»-- Ich harr' des Glücks. Novellen. 7. Aufl. » 5.-- + --»-- Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.-- + --»-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl. » 5.50 + --»-- Montblanc. Roman. 10. Aufl. » 4.50 + --»-- Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der » 6.-- + deutschen Armee. 46.-50. Aufl. + --»-- Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl. » 6.50 + --»-- Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd. » 3.50 + --»-- Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl. » 4.50 + --»-- Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.50 + _Sudermann, Hermann_, Es war. Roman. 59.-63. Aufl. » 6.50 + --»-- Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl. » 5.-- + --»-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl. » 3.50 + --»-- Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl. » 5.-- + --»-- Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl. » 6.50 + --»-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl. » 4.50 + --»-- Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl. » 5.-- + --»-- Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.-- + --»-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. » 3.50 + Aufl. + _Telmann, Konrad_, Trinacria. Sizilische Geschichten » 5.50 + _Trojan, Johannes_, Das Wustrower Königsschießen und » 3.50 + andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl. + _Uxkull, Gräfin Lucy_, Rote Nelken. Ein sozialer Roman » 5.50 + _Vockeradt, Emma_, Wanderer im Dunkeln. Roman » 4.50 + _Vogt, Martha_, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen » 4.-- + _Vollert, Konrad_, Sonja. Roman » 6.-- + _Voß, Richard_, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 6.-- + --»-- Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl. » 5.-- + --»-- Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl. » 4.-- + --»-- Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. » 6.-- + 3. Aufl. + --»-- Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.50 + --»-- Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. » 6.50 + Aufl. + _Watzdorf-Bachoff, E. v._, Maria und Yvonne. Geschichte » 5.-- + einer Freundschaft. 2. Aufl. + _Wilbrandt, Adolf_, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. » 6.-- + --»-- Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Fesseln. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Franz. Roman. 3. Aufl. » 5.-- + --»-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. » 4.50 + --»-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. » 4.-- + --»-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. » 5.50 + --»-- Irma. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. » 5.-- + --»-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl. » 5.50 + --»-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl. » 4.50 + --»-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Villa Maria. Roman. 3. Aufl. » 4.50 + --»-- Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50 + _Wildenbruch, E. v._, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. » 5.50 + Aufl. + _Wohlbrück, Olga_, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl. » 6.50 + _Worms, C._, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. » 4.-- + Aufl. + --»-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. » 5.50 + --»-- Erdkinder. Roman. 4. Aufl. » 5.-- + --»-- Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. » 4.-- + u. 2. Aufl. + --»-- Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl. » 4.50 + --»-- Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl. » 5.50 + --»-- Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl. » 4.-- + + + Ferner werden empfohlen: + + Gebunden + _Auerbach, Berthold_, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl. M. 2.50 + --»-- Auf der Höhe. Roman. 2 Bände » 4.20 + --»-- Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände » 4.20 + --»-- Spinoza. Ein Denkerleben » 1.70 + --»-- Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte » 2.10 + _Baumbach, Rudolf_, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd. » 3.-- + --»-- Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd. » 3.80 + --»-- Aus der Jugendzeit. 10. Tsd. » 6.20 + --»-- Neue Märchen. 9. Tsd. » 4.-- + --»-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd. » 4.20 + _Boy-Ed, Ida_, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. » 3.-- + Aufl. + _Ebner-Eschenbach, Marie_ v., Die erste Beichte. » 2.-- + Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl. + _Grisebach. Ed._, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches » 4.-- + Novellenbuch + _Harbou, Thea v._, Der Krieg und die Frauen. Novellen. » 1.80 + Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden + In Geschenkband » 3.-- + _Herzog, Rudolf_, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl. » 2.50 + _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl. » 2.40 + --»-- In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. » 4.-- + Aufl. + --»-- Melusine und andere Novellen. 5. Aufl. » 5.50 + --»-- Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. » 10.-- + Aufl. + --»-- Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. » 6.50 + Aufl. + --»-- Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl. » 5.50 + _Hoffmann, Hans_, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl. » 3.50 + --»-- Ostseemärchen. 3. Aufl. » 4.-- + _Keller, Gottfried_, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. » 13.50 + 86.-90. Aufl. + --»-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl. » 9.-- + --»-- Züricher Novellen. 88.-92. Aufl. » 4.50 + --»-- Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl. » 4.50 + --»-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden. » 4.50 + 71.-75. Aufl. + --»-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. » 3.-- + --»-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. » 3.-- + Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl. + _Kügelgen, Wilhelm_ v., Jugenderinnerungen eines alten » 3.-- + Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl. + _Kurz, Isolde_, Unsere Carlotta. Erzählung » 3.-- + --»-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen » 3.-- + --»-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld. » 5.-- + Erzählungen + --»-- Phantasieen und Märchen » 3.-- + --»-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der » 6.50 + Florentinischen Renaissance. 7. Aufl. + _Müller, Hans_, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, » 6.-- + Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl. + _Olfers, Marie v._, Neue Novellen » 4.50 + --»-- Die Vernunftheirat und andere Novellen » 4.-- + _Riehl, W. H._, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. » 7.-- + _Seidel, Heinrich_, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser » 4.-- + und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je + --»-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je » 4.-- + --»-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse » 4.-- + herausgegeben von _H. W. Seidel_. 2. Tsd. + _Wilbrandt, Adolf_, Novellen » 4.50 + + + Anmerkungen zur Transkription + +Der Zensurstempel »A. g. XIII.« wurde von der Titelseite entfernt. + +Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: +futtern, Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a. + +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere +Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier +aufgeführt (vorher/nachher): + + [S. 157]: + ... sich des guten Gewissens erfreuen, den solch ein ... + ... sich des guten Gewissens erfreuen, das solch ein ... + + [S. 234]: + ... mit einen Male einen feierlichen Gesang. ... + ... mit einem Male einen feierlichen Gesang. ... + + [S. 373]: + ... Das kam dem Jurris hart an, aber was sollte ... + ... Das kam den Jurris hart an, aber was sollte ... + + [S. 376]: + ... Gespielen betrachtet. Das Reiten und Fahren ... + ... Gespielen betrachten. Das Reiten und Fahren ... + + [S. 377]: + ... Räder mahlten, und die Achseln schlackerten. ... + ... Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. ... + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + +***** This file should be named 63946-0.txt or 63946-0.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/3/9/4/63946/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms +of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this ebook. + +Title: Litauische Geschichten + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at + https://www.pgdp.net + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** +</pre> +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="halftitle"> +Litauische Geschichten +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<h1 class="title"> +Litauische Geschichten +</h1> + +<p class="aut"> +<span class="line1">Von</span><br /> +<span class="line2">Hermann Sudermann</span> +</p> + +<p class="run"> +2.-25. Auflage +</p> + +<div class="centerpic logo"> +<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> + +<p class="pub"> +<span class="line1">Stuttgart und Berlin 1917</span><br /> +<span class="line2">J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger</span> +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="cop"> +Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten +</p> + +<p class="copus"> +Für die Vereinigten Staaten von Amerika:<br /> +Für die nachstehenden Erzählungen „Die Reise nach Tilsit“ und „Miks Bumbullis“<br /> +Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin +</p> + +</div> + +<div class="frontmatter chapter"> +<p class="ded"> +<span class="line1">Seinem lieben und verehrten Freunde</span><br /> +<span class="line2">Ökonomierat Scheu</span><br /> +<span class="line3">auf Adl. Heydekrug</span><br /> +<span class="line4">zugeeignet</span> +</p> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="toc" id="part-1"> +<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> +Inhalt +</h2> + +</div> + +<div class="table"> +<table class="toc" summary="TOC"> +<tbody> + <tr> + <td class="col1"> </td> + <td class="col_page">Seite</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Die Reise nach Tilsit</td> + <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Miks Bumbullis</td> + <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Jons und Erdme</td> + <td class="col_page"><a href="#page-141">141</a></td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">Die Magd</td> + <td class="col_page"><a href="#page-349">349</a></td> + </tr> +</tbody> +</table> +</div> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-2"> +<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> +Die Reise nach Tilsit +</h2> + +</div> + +<p class="section1 first"> +<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> +Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am +Haff liegt Wilwischken. Und wenn man von +dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen +will, muß man so nah an den Häusern +vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn +aus mit ein paar Zwiebeln — es können auch +Gelbrüben sein — die Fenster einzuschmeißen. +</p> + +<p> +Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich +schade. Denn Wilwischken ist ein sauberes +Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner +betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei +einträgliche Acker- und Gartenwirtschaft, und die +Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt. +</p> + +<p> +Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, +die an der Mündung der Parwe gleichsam die +scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas +Balczus. +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher +Fischer, der bei jedem Raubfang sein +Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der +am Montagabend seine Barsche in Heydekrug +unterm Preis ausbietet und am Dienstagnachmittag +betrunken heimfährt; der Ansas Balczus +<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> +ist beinahe schon ein Herr, der mit den Deutschen +deutsch spricht wie ein Deutscher, der sich +sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der +sich bei seinen Prozessen so gut zu verteidigen +weiß, daß er die Anwaltskosten sparen kann. +</p> + +<p> +Er hat sich auch eine feine Frau genommen, +der Ansas Balczus. Sie stammt aus Minge +und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, +dem die großen Haffwiesen gehören. Daß er +die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte +keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und +sie ging so blaß und sanft an ihnen vorbei, als +ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre. +</p> + +<p> +Nun <em>hat</em> er sie aber und kann stolz auf sie +sein. Sie hat ihm drei hübsche Kinder geboren, +und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie mit +der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. +Ihre Butter wird ihr von den Händlern schon +weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt, +ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und +breit, und im Brautwinkel stehen seit vorigen +Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man erzählt +sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie +sieben Jahre alt sein wird, ein Klavier kaufen +will. +</p> + +<p> +Und dabei geht sie noch ebenso sanft und +blaß ihres Wegs, wie sie es als Mädchen getan +hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn +man sie anspricht. +</p> + +<p> +<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> +So ist die Indre Balczus. Und wenn <em>ich</em> der +Ansas wäre, ich würde meine Hände zum Himmel +heben, morgens und abends, daß <em>sie</em> meine +Frau ist und keine andere. +</p> + +<p> +Und so war es auch früher, aber seit die +Busze als Magd ins Haus gekommen ist, hat es +sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die +Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, +wenn von dem Hof des Balczus Schimpfen +und Weinen herüberschallt. +</p> + +<p> +Das Schimpfen kommt von dem Ansas. <em>Die</em> +Stimme kennt ein jeder. Aber weinen tut nicht +die Indre — <em>wenn</em> sie’s tut, so nur ganz leis +und in der Nacht —, es sind die drei Kinder, die +da weinen über all das Üble, das ihre Mutter +erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein +Lachen darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart +wie Glas und schadenfroh wie Hähergeschrei. +</p> + +<p> +Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. +Wenn sie nicht selbst eine Besitzerstochter wäre +und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes, +hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten +können. Warum muß die überhaupt dienen +gehen mit ihren blinkernden Achataugen und +dem Fleisch wie von Apfelblüten? Wer weiß, +wie vielen die schon die Köpfe verdreht hat! +Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn +sie irgendwo einen ganz verrückt gemacht hat, +dann lacht sie und geht in einen anderen Dienst. +</p> + +<p> +<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> +Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun +als das leibhaftige Gegenteil der stillen und +sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und +rumort vom Morgenstern an bis in die späte +Nacht, schafft für dreie und wird schon aufgebracht, +wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen. +</p> + +<p> +Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer +gewesen ist, kennt sie überhaupt keinen Spaß +mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie +die Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und +er ist schwach und tut, was sie will. +</p> + +<p> +Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, +wo die Frau arm eingezogen ist oder aber kränklichen +Leibes und darum die Dinge gehen läßt, +wie sie gehen. Aber der Indre gegenüber, dem +reichen Jaksztat seiner schönen Tochter, die bloß +zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so +einem Biest auflegen zu können, da versteht man +die Welt nicht mehr. +</p> + +<p> +Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen +ist und sie geschlagen hat, kommt die Nachbarin, +die Ane Doczys, zu ihr und sagt: „Indre, wir +können das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. +Wir haben beschlossen, ich schreib’s deinem Vater.“ +</p> + +<p> +Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, +und sagt: „Tut’s nicht, sonst nimmt er mich mit, +und was wird dann aus den Kindern?“ +</p> + +<p> +„Wir tun’s doch,“ sagt die Doczene, „denn +solch ein Frevel darf nicht sein auf der Welt.“ +</p> + +<p> +<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> +Und die Indre bittet auch noch für ihren +Mann und sagt: „Spricht es sich immer weiter +herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. +Heiraten darf er sie nicht wegen des Ehebruchs. +Auf den müßt’ ich klagen, denn nur so kann ich +die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt +betrinkt er sich immer häufiger. Was dann erst +wird, das überlegt sich ein jeder.“ +</p> + +<p> +„Aber soll denn das immer so fortgehen?“ +fragt die Doczene. +</p> + +<p> +„Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, +wenn sie genug gehabt hat,“ sagt die +Indre, „und mit ihm wird sie’s nicht anders +machen.“ +</p> + +<p> +Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, +wie Nachbarinnen sind, denen es morgen ebenso +gehen kann, warnt sie wieder und wieder. +</p> + +<p> +„Wir haben uns auch erkundigt,“ sagt sie, +„das sind dann immer Saufbengels gewesen +und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann +läßt die nicht los.“ +</p> + +<p> +Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, +was für einen vortrefflichen Mann sie gehabt +hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie weint +und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie +wendet nur ein wenig das eingefallene Gesicht +und sagt: „Wie Gott will.“ +</p> + +<p> +Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will. +</p> + +<p> +Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem +<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> +Mann, der auf der Ofenbank liegt und schläft: +„Doczys,“ sagt sie, „hier sind die Wasserstiefel. +Setz die Segel ins Mittelboot, wir fahren nach +Minge.“ +</p> + +<p> +„Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?“ +fragt er ungehalten; denn wer schläft, will +Ruhe haben. +</p> + +<p> +Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, +daß es ihr morgen ebenso gehen kann, fackelt nicht +viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch noch +die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe +Stunde später fahren die beiden nach Minge. +</p> + +<p> +Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat +in Wilwischken an. Er ist nicht zu Kahn gekommen, +das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, +sondern hat den Umweg über Land nicht gescheut, +um seinem Schwiegersohn mit dem Verdeckwagen +und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die +Nase zu reiben, welcherart das Haus ist, aus +dem seine Frau herstammt. +</p> + +<p> +Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch +alle. Der o-beinige, kleine Mann mit dem +lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen +war ja bekannt genug. Als er +starb, ist er schließlich gar nicht so reich gewesen. +Aber das tut nichts zur Sache. +</p> + +<p> +Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht +als erste das Fuhrwerk vorfahren und tritt aus +dem Hause. +</p> + +<p> +<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> +Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, +und funkelt ihn an. +</p> + +<p> +Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die +Peitsche aus der Hand und reißt ihr eins über. +Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm +herunter flammt die Strieme. +</p> + +<p> +Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, +zieht ihn vom Wagen und fängt ihn mit den +Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt +vom Bock, der Ansas Balczus kommt aus dem +Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen +gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson +zu entreißen. Weiß Gott, sie hätte ihn sonst +vielleicht umgebracht. +</p> + +<p> +So schlimm dies Vorkommnis an und für +sich sein mag, in der nun folgenden Unterredung +gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit +vom Wege abgekommen ist der Ansas Balczus +doch noch nicht durch seine Kebserei, daß er nicht +wüßte, welche Schande ein solcher Empfang +dem Hause weit und breit bereiten muß. +</p> + +<p> +Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem +hinter die Ohren gestrichenen gelben Flachshaar +und dem braunen Sommersprossengesicht vor +dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen +lassen soll. +</p> + +<p> +Der schnauft immerzu vor Zorn und weil +ihm noch vom Herumrangen die Luft fehlt. +</p> + +<p> +„Wo ist deine Frau?“ +</p> + +<p> +<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> +Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine +Frau ist? Die läuft in ihrer Ratlosigkeit oft genug +aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf +und Schlägen sicher ist. +</p> + +<p> +„Ich bin der reiche Jaksztat!“ schimpft der +Alte. „Mir soll so was passieren!“ +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, +so gut es geht. Aber was kann er viel sagen? +</p> + +<p> +„Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort +aus dem Hause!“ +</p> + +<p> +„Na, na,“ brummt der Ansas. Wäre das +nicht eben geschehen, so hätte er wahrscheinlich +die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei +<em>seine</em> Wirtschaft, hier hab’ er allein was zu +sagen, aber jetzt brummt er bloß: „Na, na.“ +</p> + +<p> +Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, +und nun legt er los. Es gibt nicht viel Schimpfwörter +im Litauischen, die der Ansas für sich und +sein Frauenzimmer <em>nicht</em> zu hören gekriegt +hat in dieser Stunde. +</p> + +<p> +Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt +auf der Ofenbank und weint. +</p> + +<p> +Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden +Ältesten aus der Schule geholt und geht über +den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, +schlank und rank, geradeso wie die katholische +heilige Jungfrau. +</p> + +<p> +Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt +sie zusammen, setzt das Kindchen auf die Erde +<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> +und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am +raschesten verstecken. +</p> + +<p> +Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür +hinaus — und sie packen — und sie hereinziehen +— hast du nicht gesehen! +</p> + +<p> +„Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,“ fährt +er den Schwiegersohn an, „und küssest den Saum +ihres Gewandes!“ +</p> + +<p> +So ohne Willen, wie der auch ist, das will +er doch nicht. Aber der Alte hilft kräftig nach, +und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem +Schluchzer: „Ich weiß, ich bin ein Sünder vor +dem Herrn.“ +</p> + +<p> +„Steh auf, Ansas,“ sagt sie in ihrer milden +Weise und legt die Hand auf seinen Kopf. +„Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt +du es mir nachher nicht, und es bleibt alles beim +alten.“ +</p> + +<p> +Ach, wie gut hat sie ihn gekannt! +</p> + +<p> +Aber vorläufig geht er auf alles ein und +verspricht dem Alten, daß die Busze mit seinem +Willen den Hof nicht mehr betreten soll und +daß sie jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll. +</p> + +<p> +Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht +zu verlangen. Aber er besteht darauf. Er hätte +es lieber nicht sollen. +</p> + +<p> +„Die Busze! Wo ist die Busze?“ +</p> + +<p> +Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht +mit einem Taschentuch verbunden wie eine mit +<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> +Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat +sie eine nasse Schürze gewickelt. Zum Kühlen. +</p> + +<p> +Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei +ganz freundlich an. +</p> + +<p> +„Na also, was ist?“ sagt sie. „Ich hab’ zu +tun.“ +</p> + +<p> +„Du hast hier nichts mehr zu tun,“ sagt der +Alte, „und das wird dir dein Brotherr gleich +klarmachen.“ +</p> + +<p> +„Da bin ich doch neugierig,“ trumpft sie als +eine, die ihrer Sache sicher ist. +</p> + +<p> +Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen +und wo aufhören. Aber weil sie mit ihrem verbundenen +Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, +wird es ihm leichter. Er stottert was von +„Hausfrieden“ und „man muß Opfer bringen“ +und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus. +</p> + +<p> +Sie lacht laut auf und lacht und lacht. „Haben +sie dich richtig kleingekriegt, du Dreckfresser?“ +sagt sie. „Ums übrige wirst du ja bald wissen, +wo du mich finden kannst.“ +</p> + +<p> +Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür +hinter sich zu. — — — +</p> + +<p> +Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. +Und anfangs scheint es auch so. Der Ansas tut +freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen +auf den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt +er ihr aus dem Hofmannschen Laden sogar ein +Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen +<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> +Blick, und wenn er kann, geht er ihr aus dem +Wege. +</p> + +<p> +Die Indre schreibt nach Hause: „Es ist alles +wieder gut.“ Aber auf das Papier sind ihre +Tränen gefallen. +</p> + +<p> +Denn die Busze ist immer noch da. Sie +hat sich bei den Pilkuhns eingemietet, die hinten +am Abzugsgraben wohnen, und was das für +Gesindel ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. +Sie tut so, als arbeitet sie in den Wiesen, aber +man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man +sie irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, +den beiden Kindern, wenn sie aus der Schule +kommen, Gerstenzucker zu schenken. +</p> + +<p> +Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel +wird? Kein Mensch weiß. Er geht an der Parwe +entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, +daß sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet. +Und die Leute, die vor den Türen sitzen, reden +leise hinter ihm drein: „Jetzt trifft er sich mit +der Busze.“ +</p> + +<p> +Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich +wirklich mit der Busze. +</p> + +<p> +Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser +hinfindet, sitzen sie bis in die Nacht hinein und +schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was +sie auch übersinnen, — die Frau, die Indre, +steht immer dazwischen. +</p> + +<p> +„Laß dich scheiden!“ +</p> + +<p> +<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> +Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die +Kinder! Der Endrik, der Älteste, soll einmal +das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm +selbst aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst +gar Klavier spielen. Solche Kinder stößt +man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar +nicht zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, +der reiche Jaksztat, die zweite Hypothek +hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er +kündigt? +</p> + +<p> +Aber die Indre muß fort! Die Indre muß +aus dem Wege! Die Indre mit ihrem Buttergesicht. +Die Indre, die ihm nachspioniert. Die +Indre, die allabendlich von Tür zu Tür läuft, +um ihn schlecht zu machen vor den Leuten. Die +Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches +gibt, was sie nicht erzählt von ihm. Sogar daß er +einen Bruchschaden hat, hat sie erzählt. Woher +sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht +ist sie bei all ihrer Scheinheiligkeit. +</p> + +<p> +Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene +Sache. Es fragt sich bloß, wie. +</p> + +<p> +Er natürlich will nichts davon hören, aber +es muß ja doch sein. +</p> + +<p> +Manche Frauen sterben im Kindbett — man +braucht kaum einmal nachzuhelfen, aber das kann +lange dauern und bleibt eine unsichere Sache. +</p> + +<p> +Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei +mal zwei vier ist. Und wer’s dann getan hat, +<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> +weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? +Aber die Indre geht nicht aufs Wasser. Das +ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal auf dem +Wasser gewesen. +</p> + +<p> +Sie wird schon gehen — man muß ihr nur +zureden. +</p> + +<p> +Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig ’reinspringen? +Ja, selbst <em>wenn</em> sie’s täte, wer +würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, +sitzt man auch schon in Untersuchung. +</p> + +<p> +Gift oder Ertrinken — es ist ein und dasselbe. +</p> + +<p> +Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die +Busze weiß Rat. +</p> + +<p> +Ob er schwimmen kann. +</p> + +<p> +Er kann schon schwimmen. Aber in den +schweren Stiefeln nutzt das nichts. Da wird +man auf den Grund gezogen wie die „Kulschen“ +— die kleinen Steine im Staknetz. +</p> + +<p> +Dann muß man barfuß ’raus. Jetzt im +Sommer fährt jeder barfuß ’raus. +</p> + +<p> +Er, der Ansas, hat das nie getan, und das +wissen die Leute. +</p> + +<p> +Ob die Indre schwimmen kann. +</p> + +<p> +Wie die bleiernen Entchen — so kann die +Indre schwimmen. +</p> + +<p> +„Also, es wird gehen,“ meint nachdenklich die +Busze. +</p> + +<p> +„<em>Was</em> wird gehen?“ +</p> + +<p> +Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen +<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> +Sommer, an der Windenburger Ecke, wobei die +zwei Fischer ums Leben gekommen sind? +</p> + +<p> +Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der +eine der Toten ist ja sein Vetter gewesen. +</p> + +<p> +Ob er auch weiß, wie es geschehen ist. +</p> + +<p> +Genau weiß es niemand, aber man nimmt +an, daß sie betrunken gewesen sind und die gefährliche +Stelle verschlafen haben, die Stelle +hinter dem Leuchtturm, wo der Wind plötzlich +einsetzt und wo man scharf aufpassen muß, will +man nicht kentern wie ein zu hoch geladener +Heukahn. +</p> + +<p> +Ob man das Kentern nicht auch künstlich +machen kann! +</p> + +<p> +Ja, wenn man durchaus ersaufen will. +</p> + +<p> +Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten +kann! +</p> + +<p> +Bis an Land schwimmt keiner. +</p> + +<p> +Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen +kann mit Binsen oder Schweinsblasen, +die einen stundenlang über Wasser halten! +</p> + +<p> +Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich +und würde bemerkt werden. +</p> + +<p> +Dann müßte man sie nach dem Gebrauch +aus der Welt schaffen. +</p> + +<p> +„Ja, aber wie?“ +</p> + +<p> +Die Busze wird nachdenken. +</p> + +<p> +So reden und beraten sie Stunden und Stunden +lang, Nacht für Nacht. Die Busze fragt, +<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> +und er antwortet. Und aus dem Fragen und +dem Antworten backen sie bei langsamem Feuer +den Kuchen gar, an dem die Indre sich den Tod +essen muß. +</p> + +<p> +Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie +sie am besten zu dem Ausflug zu bringen ist. +Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, +ehe der Schlag geführt werden kann. Wo aber +die Gründe hernehmen, um die häufigen Fahrten +zu rechtfertigen? — Und wie selten auch weht +der Süd oder der Südwest, bei dem allein das +Unternehmen gelingen kann, und noch dazu in +der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas +Besonderes gefunden werden, ein Grund wie kein +anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig +macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt. +</p> + +<p> +Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer +wieder ans Herz, heißt es freundlich zu der Indre +sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird +und auch die Nachbarn glauben können, es sei +nun alles wieder in Ordnung. +</p> + +<p> +Und er ist freundlich zu der Indre — so +freundlich, wie’s einer versteht, der sich nie im +Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz +klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, +er bessert den Stöpsel im Rauchfang, er +küßt sie beim „Guten Tag“ und „Gute Nacht“, +und er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt +sie nicht an. +</p> + +<p> +<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> +Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn +er um Mitternacht heimkommt, um den Dunst +der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor +an sich herumträgt. +</p> + +<p> +Und schließlich — die Busze hat es so verlangt +— bringt er auch das schwerste Opfer und +geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht. +Von nun an verkehren sie nur durch +den Briefträger. Die Aufschriften sind von +einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er +weisgemacht hat, er könne nicht schreiben, auf +Vorrat gefertigt, und drinnen stehen Zeichen, +die nur sie beide verstehen. +</p> + +<p> +So muß auch die Indre glauben, der heimliche +Verkehr habe aufgehört. Aber täuschen läßt sie +sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe +sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn +er sich vor ihr wunder wie niedlich macht, denkt +sie bei sich: „Wie seh’ ich ihn doch durch und +durch!“ +</p> + +<p> +Eines Tages kommt er besonders liebselig +auf sie zu und sagt: „Mein Täubchen, mein +Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich +möchte dir gern etwas Gutes bereiten, such es +dir aus.“ +</p> + +<p> +Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er +Hinterhältiges im Sinne führt. Und sie sagt: +„Ich brauche nichts Gutes. Ich hab’ ja die +Kinder.“ +</p> + +<p> +<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> +„Nein, nein,“ sagt er, „es muß sein. Schon +wegen der Nachbarn. Auch deinem Vater will +ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. +Weißt du nichts, so denke nach, und auch ich werde +mir den Kopf zerbrechen.“ +</p> + +<p> +Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber +sie weiß noch immer nichts. +</p> + +<p> +Da sagt er: „Nun, dann weiß ich es. Du +hast noch nie die Eisenbahn gesehen. Laß uns +nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn +siehst.“ +</p> + +<p> +Sie sagt darauf: „Die Leute erzählen sich, +daß die Eisenbahn nächstens bis nach Memel geführt +werden soll, und Heydekrug wird dann +eine Station werden. Wenn es so weit ist, kann +ich ja einmal zum Wochenmarkt mitfahren.“ +</p> + +<p> +Aber er gibt sich nicht zufrieden. +</p> + +<p> +„Tilsit ist eine schöne Stadt,“ sagt er, „wenn +du nicht hinfahren willst, so weiß ich, daß du +einen bösen Willen hast und an Versöhnung +nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne +habe, als dir zu Gefallen zu leben.“ +</p> + +<p> +Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte +mit der Magd wirklich aufgegeben hat, und sie +beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden. +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Ach Ansas, ich weiß ja, daß du +es nicht aufrichtig meinst, aber ich werde dir +wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind +wir ja alle in Gottes Hand.“ +</p> + +<p> +<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> +Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot +werden kann wie irgend ein junges Ding. Und +weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und +schämt sich draußen. Aber ihm ist zumut, als +<em>muß</em> er es tun und ein Zurück gebe es nicht. +Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel +vorwärts schuppst, so ist ihm zumut. Und darum +fängt er an demselben Tage noch einmal an. +</p> + +<p> +„In Tilsit ist ein Kirchturm,“ sagt er, „der +ruht auf acht Kugeln, und darum hat ihn der +Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen +wollen. Er ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine +so merkwürdige Sache muß man doch sehen.“ +</p> + +<p> +Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber +nichts. +</p> + +<p> +„Außerdem,“ fährt er fort, „gibt es ja ein +Lied, das geht so: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p> + <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst,</p> + <p class="verse">Die Sonne wär’ nichts wie ein finsteres Loch,</p> + <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne +Stadt Tilsit ist.“ +</p> + +<p> +Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch +einmal an, und er wird wieder rot und redet +rasch von anderen Dingen. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: +„Nun, wann werden wir fahren?“ Als ob +es längst eine abgemachte Sache wäre. +</p> + +<p> +<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> +Sie denkt: „Will er mich los sein, so kann +er es auf tausend Arten. Es ist das Beste, ich +füge mich.“ +</p> + +<p> +Und zu ihm sagt sie: „Wann du wirst wollen.“ +</p> + +<p> +„Nun, dann je eher, je besser,“ sagt er. +</p> + +<p> +Es wird also der nächste Morgen bestimmt. +</p> + +<p> +Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, +läuft er am Nachmittag von Wirtschaft zu Wirtschaft +und sagt: „Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß +ich mich schlecht aufgeführt habe. Aber von +nun an soll alles anders werden. Zum Zeichen +dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt +nach Tilsit machen. Damit will ich sozusagen +die Versöhnung festlich begehen.“ +</p> + +<p> +Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch +noch. Genau, wie die Busze es vorhergesagt +hat. +</p> + +<p> +Was aber tut die Indre inzwischen? +</p> + +<p> +Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, +schreibt auf ein Papier, was sie am Alltag und +am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke +Leinwand, die sie selber gewebt hat, künftig einmal +zu verschneiden sind. Auch ihre Kleider verteilt +sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, +und die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt +sie noch ihr Leichenhemde bereit und was ihr +sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann +ist sie fertig. +</p> + +<p> +Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. +<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> +Sie denkt: „Ihr Armen werdet schlechte Tage +haben, wenn die Busze erst da ist.“ +</p> + +<p> +Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz +nachdem der Ansas dagewesen ist, und sagt: „Dem +Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, +daß ich von dieser Reise nicht wiederkommen +werde.“ +</p> + +<p> +Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: „Warum +sollst du nicht wiederkommen? Nach Tilsit ist +bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch ein +Versöhnungsfest sein.“ +</p> + +<p> +Die Indre lächelt bloß und sagt: „Wir werden +ja sehn. Darum versprich mir, daß du auf die +Kinder achtgeben wirst und dem Großvater +schreibst, wenn es ihnen nicht gut geht.“ +</p> + +<p> +Die Ane weint und verspricht alles, und die +Indre geht heim. Sie bringt die Kinder zu Bett +und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ... +</p> + +<p> +In der Frühe, lang’ vor der Sonne, fahren +sie ab. +</p> + +<p> +Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider +an, und auch sie hat sich geschmückt, denn es soll +ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die rote, +grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, +in dem sie vor neun Jahren mit ihm zur Versprechung +nach der Kirche gefahren ist, und +ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen. +</p> + +<p> +Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen +<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> +und in dem vorderen Abschlag verstaut. +</p> + +<p> +Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten +Wichsstiefel in der Hand. Im letzten Augenblick +bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand +gepackt, das wirft er neben sich vor das +Steuer und sieht sie verstohlen dabei an, als ob +er eine Frage erwartet. +</p> + +<p> +Aber sie fragt nichts. +</p> + +<p> +Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß +ihm die Hände zittern. Er will sich nichts merken +lassen und sagt: „Es ist ein hübsches kleines Windchen, +wir können zu Mittag in Tilsit sein.“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Mir ist es gleich.“ +</p> + +<p> +Und er meint: „Ob es hin auch noch so rasch +geht, zurück muß man kreuzen.“ +</p> + +<p> +Dann wirft er das Schwert aus und setzt +auch den Raginnis, das kleine Vorsegel. Er sitzt +nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so +daß sie ihn kaum sehen kann. +</p> + +<p> +Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings +in dem Wasser glucksen die Fischchen. +</p> + +<p> +Über das weite Haff hin ist es nach Westen +wie eine blaugraue Decke gebreitet, nur drüben +die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein. +</p> + +<p> +Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, +dort, wo die Landzunge sich spitz in das +Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine +und wirft dann mit raschem Griff das +<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> +Steuer um, denn von nun an geht es mit vollem +Wind geradeswegs nach Osten. +</p> + +<p> +So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor +dieser Stelle hat sie schon immer Angst gehabt, +denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen +ist, dann war es nur hier. +</p> + +<p> +Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das +liebe Minge, das in der Ferne ganz deutlich zu +sehen ist, und denkt bei sich: „Ach Vater, wenn +du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die +Indre fährt.“ +</p> + +<p> +Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche +Stelle macht ihr das Herz eng. +</p> + +<p> +Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung +zu, die mit ihren Grasbändern rechts und +links schon lang’ auf sie zu warten scheint. +</p> + +<p> +Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, +breit wie die Memel selber, von der er ein Arm +ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf +dem Wasser ein Reibeisen. +</p> + +<p> +„Zwei Mundvoll mehr wären gut,“ sagt der +Ansas halb abgewandt zu ihr herüber, „denn +wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn +merkt ihn doch.“ +</p> + +<p> +Sie denkt bloß: „Ich möchte nach Minge.“ +Aber Minge liegt längst weit im Rücken. Denn +drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen +Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die +Leute sagen, daß, wer darauf wohnen will, sich +<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> +Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er +nicht vor und nicht zurück. +</p> + +<p> +„Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,“ denkt +sie, „und muß stillhalten, wie er es bestimmt.“ +</p> + +<p> +Nun macht der Strom den großen Ellbogen +nach Süden hin, und die Segel schlagen zur +Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper +sehen kann. Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag +vorn an der Spitze, und er hinten am +Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen. +</p> + +<p> +Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. +Er rückt nach rechts, er rückt nach links, +aber es hilft ihm nichts. +</p> + +<p> +„Du armer Mann,“ denkt sie, „ich möchte +nicht an deiner Stelle sein.“ Und sie lächelt ihn +traurig an, so leid tut er ihr. +</p> + +<p> +Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der +große Herrenort, in dem so viel getrunken wird +wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner +Wasserpunsch fürchten sich ja selbst die Herren +von der Regierung. +</p> + +<p> +Zuerst mit den vielen Flößen davor der +Anckersche Holzplatz und eine Sägemühle und +dann noch eine und noch eine. +</p> + +<p> +Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern +stromab aus Rußland kommen, sitzen in ihren +langen, grauen Hemden auf der Floßkante und +baden sich die Füße. Hinter ihnen rauchen die +Kessel zum Frühstücksbrot. +</p> + +<p> +<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> +„Er wird mir wohl Gift ’reintun,“ denkt sie. +Aber noch hat sie das mitgebrachte Essen in +ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu +sich nehmen. +</p> + +<p> +Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen +Sägemühle. Auch hier liegen Holztriften fest, +und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik +machen müssen, fangen schon an, die Kehlen zu +stimmen. +</p> + +<p> +Eins von den Liedern kennt sie: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse"><span class="antiqua">Lytus lynòju, rasà rasòju,</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">O mùdu abùdu lovò gulèju.</span></p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Sie denkt: „Wenn alles so wäre wie einst, +dann würden wir jetzt mitsingen.“ +</p> + +<p> +Die Dzimken winken ihnen auch einladend +mit den Händen, aber keines von ihnen beiden +grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen +während der Fahrt noch zugewinkt, aber niemals +haben sie Antwort gegeben. +</p> + +<p> +Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine +traurige Gegend. Links das Medszokel-Moor, +wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das +Bredszuller Moor, das auch nicht viel wert ist. +Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln und Höhen +der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem +die wilden Elche hausen. +</p> + +<p> +Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, +vor sieben Jahren. Sie trug damals die Elske im +sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon +<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> +wenig mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu +ihr: „Wir wollen nach Ibenhorst fahren, vielleicht +daß wir die Elche sehen.“ Aber er nahm nicht +wie heute die Waltelle — das Mittelboot —, denn +damit kommt man in den kleinen Seitenflüssen +nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem +fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch +das Gewirr der fließenden Gräben, durch Rohr +und Binsen, stunden- und stundenlang. Und +sie hatte den Kopf auf seinem Schoß liegen und +sagte ein Mal über das andere: „Ach, was brauchen +wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz wunderschön.“ +Und schließlich sahen sie doch einen. +Es war ein mächtiger Bulle mit einem Geweih +rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz +nahe im Röhricht und kaute und sah sie an. +Ansas sagte: „Sehr wild scheint der nicht zu sein, +ich fahr’ einfach auf ihn los.“ Aber die Elske +in ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte +einen heftigen Sprung. Und als sie ihm das +sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren +sollte. +</p> + +<p> +An jenen Frühlingstag also muß sie denken, +und dabei kommt mitten aus ihrer Ergebung +der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten +Hände vor die Stirn legt und dreimal +weinend sagt: „O Gott, o Gott, o Gott!“ +</p> + +<p> +Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht +und über die Großmastbank zu ihr herübersteigt. +</p> + +<p> +<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> +„Worüber klagst du eigentlich?“ hört sie ihn +sagen. +</p> + +<p> +Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: +„Ach Ansas, Ansas, weißt du nicht besser als ich, +warum ich klage?“ +</p> + +<p> +Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht +stumm zum Hinterende zurück. +</p> + +<p> +Auf einer der entgegenfahrenden Triften +spielt ein Dzimke die Harmonika. +</p> + +<p> +Sie denkt: „Nun wird die Elske wohl nie +mehr Klavier spielen lernen ... und der Willus +wird auch niemals ein Pfarrer werden.“ Denn +das hat sie sich in ihrem Sinne vorgenommen, +weil es ein gottgefälliges Werk ist. +</p> + +<p> +Sie denkt weiter: „Ich werde es mir noch +vorher von ihm versprechen lassen.“ Aber wie +kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen +wird, so daß sie noch Zeit behält zum Bitten? +Jeden Augenblick kann es kommen, denn oft +ist alles menschenleer — auch an den Ufern weit +und breit. +</p> + +<p> +„Was mag er nur in der Sackleinwand +haben?“ denkt sie weiter. „Da drin muß es +sein, womit er das Schreckliche ausüben will. +Aber was kann es sein?“ Das Paket ist rund +und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer +so stark. Als er es vor der Abfahrt auf +den Boden warf, ist kein Schall zu hören gewesen. +Es muß also leicht sein von Gewicht. +</p> + +<p> +<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> +„Das Beste ist,“ denkt sie, „ich lasse es kommen, +wie es kommt, und nutze die Zeit, um Frieden +zu machen mit dem Herrn.“ +</p> + +<p> +Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. +Sie weiß kaum einmal, um was sie beten soll. +Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. +Da braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein +Floß kommt. Und so betet sie für die Kinder. +Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne. +</p> + +<p> +Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht +sagen. Aber die Sonne steht schon ganz hoch, +da hört sie von drüben seine Stimme: „Bring +mir zu essen, ich hab’ Hunger!“ +</p> + +<p> +Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. +„Jetzt wird es geschehen,“ denkt sie. Aber wie +sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst hinüberträgt +und Brot und Butter dazu, da zittert +sie nicht, denn jetzt denkt sie wieder: „Nein, so +kann es <em>nicht</em> geschehen, er wird sich eine andere +Art und Weise suchen.“ +</p> + +<p> +Und dann, wie er fragt: „Ißt du denn nichts?“, +kommt ihr plötzlich der Gedanke: „Es wird <em>gar</em> +nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn +malt es mir aus.“ +</p> + +<p> +Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er +dasitzt, in sich zusammengekrochen und die Blicke +irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser gerichtet, +bloß nicht auf sie, dann weiß sie: „Es wird +<em>doch</em> geschehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a> +Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: +„Was hast du da in der Sackleinwand?“ +</p> + +<p> +Er zieht finster den Mund in die Höhe und +antwortet: „Meine Wasserstiefel.“ Aber sie weiß, +daß das nicht wahr sein kann, denn deren Absätze +sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen +geklappert. +</p> + +<p> +Dann packt sie die Speisen zusammen und +geht nach dem Vorderende zurück. +</p> + +<p> +Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr +Kopftuch tief in die Augen ziehen. +</p> + +<p> +Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, +auch der schwarze Rand des Ibenhorstes +ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt +sich die fruchtbare Niederung, wo der Morgen +tausend Mark kostet und die Bauern Rotwein +auf dem Tische haben. +</p> + +<p> +Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen +liegt, der große, reiche Marktort, in +dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus +und ein gehen dürfen. „Wenn der Willus +Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus und +ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja +nie Pfarrer sein. Wird etwa die Busze ihn auf +die hohe Schule gehen lassen?“ +</p> + +<p> +Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann +kommt die Stelle, an der die Gilge sich abzweigt. +Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin +im Grünen verschwinden, fragt aber nichts. +</p> + +<p> +<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> +Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache +wieder und sagt: „Du, Indre, von nun an heißt +es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die +Memel.“ +</p> + +<p> +Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann +wird es wieder still. So lange still, bis Ansas +plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach +vorne zeigt. +</p> + +<p> +Sie wendet sich um und fragt: „Was ist?“ +</p> + +<p> +„Was wird sein?“ sagt er. „Tilsit wird sein.“ +</p> + +<p> +Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß +nach ihm. Er lacht übers ganze Gesicht, weil sie +nun bald da sind. +</p> + +<p> +„Es wird <em>nicht</em> geschehen,“ denkt sie. „<em>Der</em> +Mensch kann sich nicht freuen, der so Schreckliches +mit sich herumträgt.“ +</p> + +<p> +Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so +gar keine Neugier zeigt. +</p> + +<p> +„Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,“ +sagt er, „und hinten steht auch Napoleons +Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.“ +</p> + +<p> +Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. +Und so kommen sie immer näher. +</p> + +<p> +Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, +und die Eisengerüste hoch oben, die in der +Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen — +so was hat sie wirklich noch nie gesehen. +</p> + +<p> +„Alles war Unsinn,“ denkt sie. „Es wird +<em>nicht</em> geschehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a> +Und dann kommen Holzplätze, so groß wie +der Anckersche in Ruß, und Schornstein nach +Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit +Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in +Memel. Denn Memel kennt sie. Dorthin ist +sie früher manchmal zum Markt mitgefahren +und um die See zu sehen. +</p> + +<p> +Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer +vorgestellt. Die acht Kugeln sind wirklich +da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es +gar nicht anders sein könnte. +</p> + +<p> +Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem +steinernen Ufer zu. Dort, wo er festmacht, liegen +schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren +Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus +Tawe und Inse, die ihren Fang am Morgen verkauft +haben. +</p> + +<p> +„Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,“ +sagt einer neidisch, „und verderbt uns die +Preise?“ +</p> + +<p> +Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, +antwortet ihm gar nicht. Für solche Gespräche +ist er zu stolz. +</p> + +<p> +Indre breitet das weiße Reisetuch über den +vorderen Abschlag und setzt die Speisen darauf. +Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat +sie auch Soleier und selbstgeräucherten Lachs +mit eingepackt. Und da sie seit halb vier in +der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie +<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> +jetzt, daß ihr schon längst vor Hunger ganz +schwach ist. +</p> + +<p> +Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes +einander nahe gegenüber und essen das Mitgenommene +als Mittagbrot. Geld, um in ein +vornehmes Gasthaus zu gehen und sich auftafeln +zu lassen vom Besten, hat Ansas wohl übergenug. +Aber das ist nicht Fischergewohnheit. +</p> + +<p> +Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, +aber das Herz liegt ihr von all dem Fürchten +noch wie ein Stein in der Brust. +</p> + +<p> +Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen +kann, denn die Erwartung, ihr alles zu zeigen, +läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: +„Nun kann es losgehen.“ Aber vorher kehrt er +noch nach hinten zurück, das Hängeschloß zu holen, +damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet. +</p> + +<p> +Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter +den runden Sack, der vor dem Steuersitz liegt. +Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und +sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei +erschrickt und zu ihr herüberglupt, ob sie’s auch +nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer Brust +wird schwerer. +</p> + +<p> +Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und +er ihr alles erklärt, denkt sie wieder: „Es kann +nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis +haben.“ +</p> + +<p> +<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> +Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, +die breit ist wie ein Strom und an ihren Rändern +lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern +kann man sich kaufen, was man will, und alles +ist viel schöner und prächtiger als in Memel. +</p> + +<p> +Der Ansas sagt: „Hier aber ist das Schönste,“ +und weist auf ein Schild, das die Aufschrift trägt: +„Konditorei von Dekomin“. +</p> + +<p> +Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt +macht, so beschließen sie auch sogleich hineinzugehen +und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen. +</p> + +<p> +Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die +Indre da! In einer langen, schmalen Stube, +in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit +von der Wand ein Tisch, der von einem Ende +bis zum andern reicht und der ganz bedeckt ist +mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten +aller Art. +</p> + +<p> +„Da wollen wir nun schwelgen,“ sagt der +Ansas und reckt sich. +</p> + +<p> +Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr +die Stücke einzeln auf den Teller legen. Auch +einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist +süß wie der Himmel und klebt an den Fingern, +so daß man immerzu nachlecken muß. +</p> + +<p> +„Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?“ +fragt sie. +</p> + +<p> +„Nun, das versteht sich,“ sagt er und lacht. +</p> + +<p> +<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> +Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, +daß sie die Kinder vielleicht niemals mehr sehen +wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an — +und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. +Der Mund steht ihm offen, ganz hohl sind die +Backen, und die Augen schielen an ihr vorbei. +</p> + +<p> +„Es wird <em>doch</em> geschehen,“ denkt sie und +legt den Teelöffel hin, ißt auch nicht einen Bissen +mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller +verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie +mit den Fingerspitzen auf und denkt dabei — — +ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch +er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet +kein Wort. +</p> + +<p> +Also wird es <em>doch</em> geschehen! +</p> + +<p> +Dann, wie er aufsteht, sagt er: „Nun laß dir +einpacken.“ Aber sie kann nicht. „Bring <em>du</em> es +ihnen,“ sagt sie, und er tritt an den Tisch und +sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, +denn seine Augen gehen immer nach ihr zurück, +als will er was sagen und traut sich nicht. +</p> + +<p> +Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, +die von der Nachmittagssonne geheizt +ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck und +fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies +ist das und jenes ist das. Aber sie hört kaum +mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer +Angst. Die kommt und geht, wie die Haffwellen +ans Ufer schlagen. +</p> + +<p> +<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> +Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, +in dessen Schaufenster auch Kindersachen ausliegen. +„Wir wollen ’reingehen,“ sagt sie. „Du +kannst den Kindern ein Andenken mitbringen.“ +</p> + +<p> +„Andenken? An wen?“ fragt er und stottert +dabei. +</p> + +<p> +„An mich,“ sagt sie und sieht ihn fest an. +</p> + +<p> +Da wird er wieder rot, wendet die Augen +ab und fragt nichts weiter. +</p> + +<p> +Es wird also ganz sicher geschehen. +</p> + +<p> +Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze +mit roten Rändern, damit er sich nicht +schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für +die Elske eine blaue Kappe gegen die Sonne +und für den kleinen Willus — was kann es viel +sein? — ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn +zu binden. „Vielleicht werden doch noch einmal +Pfarrerbäffchen daraus,“ denkt sie und verbeißt +ihre Tränen. +</p> + +<p> +Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, +sagt zu Ansas gewandt: „Vielleicht haben Sie +auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.“ +</p> + +<p> +Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man +die Indre eine „Frau Gemahlin“ nennt, was von +einer litauischen Fischersfrau wohl nicht häufig +gesagt wird. +</p> + +<p> +Und der junge Mann fährt fort: „Vielleicht +darf ich auf unsere echten Schleiertücher aufmerksam +machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung +<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> +erlauben darf, das, welches die Frau +Gemahlin augenblicklich trägt, ist etwas — durchgeschwitzt.“ +</p> + +<p> +Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, +denn noch hat sie nicht den Mut gehabt, sich irgendwo +zu besehen. Und der junge Mann breitet +eilig seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus +Spinnweben gemacht und haben Muster wie +die schönsten Mullgardinen. +</p> + +<p> +Ansas wählt das teuerste von allen — er getraut +sich gar nicht, ihr zu sagen, <em>wie</em> teuer es +ist —, und der junge Mann führt sie vor eine +Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie +sie das Tuch am Halse geknotet hat, so daß +es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, +da weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu +lassen. +</p> + +<p> +„Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!“ ruft +er ein Mal über das andere. „Nie hat dieser +Spiegel etwas Schöneres gesehen!“ +</p> + +<p> +Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der +Ansas sich freut. +</p> + +<p> +Im Rausgehen wendet er sich noch einmal +um und fragt den jungen Mann, ob er wohl +weiß, wie die Züge gehen. +</p> + +<p> +„Zur Ankunft oder zur Abfahrt?“ fragt der +junge Mann. +</p> + +<p> +Und Ansas meint, das wäre ganz gleich. +</p> + +<p> +Da lächelt der junge Mann und sagt, bald +<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> +nach viere komme einer an, und gegen sechse +fahre einer ab. Man habe also die Auswahl. +</p> + +<p> +Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen +sind: „Wir wollen lieber die Abfahrt nehmen, +denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.“ +</p> + +<p> +Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann +man da machen? +</p> + +<p> +Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: +„Wenn es <em>doch</em> geschehen soll, warum hat er +dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?“ +</p> + +<p> +Und in ihr Herz kommt wieder einmal die +Hoffnung zurück. +</p> + +<p> +Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, +auf der ein Zettel klebt: +</p> + +<p class="center"> +<em>Jakobsruh</em><br /> +heute vier Uhr<br /> +<em>Großes Militärkonzert</em><br /> +ausgeführt von der Kapelle<br /> +des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht. +</p> + +<p class="noindent"> +Und darunter steht alles gedruckt, was sie +spielen werden. +</p> + +<p> +Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht +geworden; kaum zu fühlen ist er. Aber sie hat +Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das +augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, +auch Litauer zugegen sein dürfen — und dazu +noch in ihrer Landestracht. +</p> + +<p> +<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> +Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld +bezahlt, ist eingeladen, gleichgültig ob er +„<span class="antiqua">wokiszkai</span>“ spricht oder „<span class="antiqua">lietuwiszkai</span>“. +</p> + +<p> +Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, +daß es ja ein <em>litauisches</em> Dragonerregiment +ist, welches die Musiker hergibt, macht +ihre Schamhaftigkeit etwas geringer. +</p> + +<p> +So fahren sie also in einer Droschke nach +Jakobsruh, jenem Lustort, der bekanntlich so +schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so +hoch und schattengebend wie diese hat Indre noch +nie gesehen, auch nicht in Heydekrug und nicht +in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden +gibt und dünne Erlen, könnte man sich von einer +solchen Blätterkirche erst recht keinen Begriff +machen. +</p> + +<p> +Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden +Orte noch bange genug, denn ringsum sitzen an +rotgedeckten Tischen lauter städtische Herrenleute, +und als Ansas vorangeht, einen Platz zu +suchen, recken alle die Hälse und sehen hinter +ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken. +</p> + +<p> +Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. +Er findet auch gleich einen leeren Tisch, wischt +mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen +und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm +und ihr Kaffee und Kuchen zu bringen. Genau +so, wie es die anderen machen. +</p> + +<p> +So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man +<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> +fühlt sich gut geborgen bei ihm, und alle die Angst +war ein Unsinn. +</p> + +<p> +Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut +mit dünnen Eisenständern und einem +runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit hellblauen +Soldaten. O Gott, so vielen und blanken +Soldaten! Während es doch sonst nur drei oder +vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik +machen. +</p> + +<p> +Zuerst kommt ein Stück, das heißt „Der +Rosenwalzer“. So steht auf einem Blatt zu +lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. +Wie das gespielt wird, ist es, als flöge man gleich +in den Himmel. Dicht vor den Musikern haben +sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib +gefaßt und drehen sich im Tanze. Da möchte +man gleich mittanzen. +</p> + +<p> +Und hat sich doch vor einer Stunde noch in +Todesnöten gewunden! +</p> + +<p> +Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und +auch die Indre klatscht. +</p> + +<p> +Rings wird es still, und die Kaffeetassen +klappern. +</p> + +<p> +Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie +ihn etwas fragen will — so gut ist sie schon wieder +mit ihm —, da macht er ihr ein heimliches +Zeichen nach links hin: sie soll horchen. +</p> + +<p> +Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame +von ihr. +</p> + +<p> +<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> +„Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel +hübscher als wir deutschen Frauen,“ sagt die +Dame. +</p> + +<p> +Und der Herr sagt: „In ihrer blassen Lieblichkeit +sieht sie aus wie eine Madonna von — —“ +</p> + +<p> +Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. +Auch was das ist: „Madonna“, weiß sie +nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas +gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich. +</p> + +<p> +Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit +dem er gleichsam zu ihr in die Höhe schaut, +und nun weiß sie, was sie schon im Laden +geahnt hat: er ist stolz auf sie, und sie braucht +nie mehr Angst zu haben. +</p> + +<p> +Dann hört die Pause auf, und es kommt ein +neues Stück. Das heißt „Zar und Zimmermann“. +Der Zar ist der russische Kaiser. Daß +man von <em>dem</em> Musik macht, läßt sich begreifen. +Warum aber ein Zimmermann zu solchen Ehren +kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen +trägt und immerzu Balken abmißt, bleibt ein +Rätsel. +</p> + +<p> +Dann kommt ein drittes Stück, das wenig +hübsch ist und bloß den Kopf müde macht. Das +hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht. +</p> + +<p> +Aber dann kommt etwas! Daß es so was +Schönes auf Erden gibt, hat man selbst im Traum +nicht für möglich gehalten. Es heißt: „Die Post +im Walde“. Ein Trompeter ist vorher weggegangen +<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> +und spielt die Melodie ganz leise und +sehnsüchtig von weit, weit her, während die +andern ihn ebenso leise begleiten. Man bleibt +gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und weil +die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen +dürfen, wie sie sich hat, springt sie rasch auf und +eilt durch den Haufen, der die Kapelle umgibt, +und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es +einsam ist und wo hinter den Bäumen versteckt +noch leere Bänke stehen. +</p> + +<p> +Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch +aus den Augen, damit es nicht naß wird, +und weint, und weint sich all die — ach, all die +ausgestandene Angst von der Seele. +</p> + +<p> +Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt +ihre Hand. Sie weiß natürlich, daß es der Ansas +ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie lehnt +den Kopf an seine Schulter und sagt immer +schluchzend: „Mein Ansuttis, mein Ansaschen, +bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.“ +</p> + +<p> +Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun +wird, aber sie kann nicht anders — sie muß immerzu +bitten. +</p> + +<p> +Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand +fest und sagt ein Mal über das andere: „Was +redest du da nur? Was redest du da nur?“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Noch ist es nicht gut. Ehe du es +nicht gestehst, ist es noch nicht ganz gut.“ +</p> + +<p> +Er sagt: „Ich habe nichts zu gestehen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> +Und sie streichelt seinen Arm und sagt: „Du +wirst es schon noch gestehen. Ich weiß, daß du +es gestehen wirst.“ +</p> + +<p> +Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu +gestehen hat, und sie gibt sich zufrieden. Nur +wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die +Busze sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu +kalt über den Rücken. +</p> + +<p> +Mit ineinandergelegten Händen gehen sie +zu ihrem Tische zurück und kümmern sich nicht +mehr um die Leute, die nicht satt werden können, +ihnen nachzusehen. +</p> + +<p> +Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden +sind und statt ihrer Biergläser stehen, +bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen +Herrn — aber kein Bier bestellt er, sondern +eine Flasche süßen Muskatwein, wie ihn die +Litauer lieben. +</p> + +<p> +Und beide trinken und sehen sich an, bis +Indre sich ein Herz faßt und ihn fragt: „Mein +Ansaschen, was heißt das — eine Madonna?“ +</p> + +<p> +„So nennt man die katholische heilige Jungfrau,“ +sagt er. +</p> + +<p> +Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: +„Wenn’s weiter nichts ist.“ Denn die Neidischen, +die sie ärgern wollten, haben sie schon als +Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine +fromme Lutheranerin gewesen. +</p> + +<p> +Und sie trinken immer noch mehr, und Indre +<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> +fühlt, daß sie rote Backen bekommt, und weiß +sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen. +</p> + +<p> +Da plötzlich fällt dem Ansas ein: „O Gott — +die Eisenbahn! Und die Uhr ist gleich sechse!“ +</p> + +<p> +Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt +mit zwei harten Talern. Dann fragt er noch +nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber +wie sie nun eilends dorthin laufen wollen, ergibt +es sich, daß sie nicht mehr ganz gerade stehen +können. +</p> + +<p> +Die Leute lachen hinter ihnen her, und die +Dame am Nebentisch sagt bedauernd: „Daß +diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.“ +</p> + +<p> +Hätte sie gewußt, <em>was</em> hier gefeiert wird, +so hätte sie’s wohl nicht gesagt. +</p> + +<p> +Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah +an den Schienen entlang. Sie laufen und lachen +und laufen. +</p> + +<p> +Da mit einmal macht es irgendwo: „Puff, +puff, puff.“ +</p> + +<p> +O Gott — was für ein Ungeheuer kommt +dort an! Und geradeswegs auf sie zu. +</p> + +<p> +Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen +und fragt: „Ist sie das?“ +</p> + +<p> +Ja, das ist sie. +</p> + +<p> +Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! +Der Pukys mit dem feurigen Schweif und der +andere Drache, der Atwars, sind gar nichts dagegen. +Sie schreit und hält sich die Augen zu +<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> +und weiß nicht, ob sie weiterlachen oder noch +einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie +beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und +nimmt die Schürze vom Gesicht und macht: +„Puff, Puff.“ Genau so kindisch, wie die Elske +machen würde, wenn sie den Drachen sähe, mit +dem die Leute spazieren fahren. +</p> + +<p> +„Wohin fahren sie?“ fragt sie dann, als die +letzten Wagen vorbei sind. +</p> + +<p> +Und Ansas belehrt sie: „Zuerst nach Insterburg +und dann nach Königsberg und dann immer +weiter bis nach Berlin.“ +</p> + +<p> +„Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?“ +bittet sie. +</p> + +<p> +„Wenn alles geordnet ist,“ sagt er, „dann +wollen wir nach Berlin fahren und den Kaiser +sehen.“ Dabei wird er mit einmal steinernst, als +ob er ein Gelübde tut. +</p> + +<p> +O Gott, wie ist das Leben schön! +</p> + +<p> +Und das Leben wird immer noch schöner. +</p> + +<p> +Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt +an dem „Anger“ vorbeikommen, jenem großen, +häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- +und Pferdemärkte abgehalten werden, da hören +sie aus dem Gebüsch, das den einrahmenden Spazierweg +umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel +und sehen den Glanz von Purpur und von Flittern +durch die Zweige schimmern. +</p> + +<p> +Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, +<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> +der an einem Karussell vorbeigeht, ohne begierig +stehen zu bleiben. +</p> + +<p> +Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, +und morgen früh will Ansas beim Kuhfuttern +sein, aber was kann der kleine Umweg viel +schaden, da man ja so wie so an vierzehn Stunden +kreuzen muß. +</p> + +<p> +Und wie sie das runde, sammetbehangene +Tempelchen vor sich sehen, dessen Prunksessel +und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, +da weist Ansas mit einmal fast erschrocken nach +dem Leinwanddache, auf dessen Spitze ein goldener +Wimpel weht. +</p> + +<p> +Sie weiß nicht, was sie da kucken soll. +</p> + +<p> +Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen +rings auf den Dächern. Es stimmt! Der +Wind ist nach Süden umgeschlagen — und das +Kreuzen unnötig geworden. In sieben Stunden +kann der Kahn zu Hause sein. +</p> + +<p> +Also ’rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt +sich wohl ein bißchen — eine Mutter von drei +Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt +sie ja keiner. Also, fix, fix ’rauf auf die Pferde, +sonst geht’s am Ende noch los ohne sie beide. +</p> + +<p> +Und sie reiten und fahren und reiten wieder, +und dann fahren sie noch einmal und noch einmal, +weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig +sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe +geworden, und der Himmel jagt rückwärts +<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> +als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie +fahren noch immer und singen dazu: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p> + <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst!</p> + <p class="verse">Die Sonne wär’ nichts wie ein finsteres Loch,</p> + <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal +Freifahrt gehabt haben, singen dankbar mit, +obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können. +</p> + +<p> +Aber schließlich wird der Indre übel. Sie +<em>muß</em> ein Ende machen, ob sie will oder nicht. +Und nun stehen sie beide lachend und betäubt +unter den johlenden Kindern und streuen in die +ausgestreckten Hände die Krümel der Konditorkuchen, +die sie aus Versehen längst plattgesessen +haben. +</p> + +<p> +Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man +sich liebt und Karussell dazu fährt! +</p> + +<p> +Dann nehmen sie Abschied von den Kindern +und den Kindermädchen, von denen etliche sie +noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg +zu zeigen, sagen sie, aber in Wahrheit wollen +sie bei Gelegenheit noch ein Stück Kuchen erraffen. +Und sie hätten auch richtig was gekriegt, +wenn sie bis zur Dekominschen Konditorei ausgehalten +hätten. Aber die liegt ja, wie wir wissen, +am andern Ende der Stadt. +</p> + +<p> +Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein +schönes Paketchen zurechtmachen, aber diesmal +<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> +sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt derweilen +noch zwei Gläschen von dem klebrigen +Rosenlikör und nimmt zur Sicherheit für vorkommende +Fälle gleich die ganze Flasche mit. +</p> + +<p> +Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die +Sonne längst untergegangen. Aber das macht +nichts, denn der Südwind hält fest, und der +Mond steht schon bereit, um ihnen zu leuchten. +</p> + +<p> +Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt +ein Kinderspiel. +</p> + +<p> +Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, +damit die Bodenbretter hübsch trocken sind, wenn +die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie will +nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn +auf die Paragge, damit sie dem Ansas zusehen +und sich im stillen an ihm freuen kann. +</p> + +<p> +Und dann geht es los. +</p> + +<p> +Die Ufer werden dunkler, und eine große +Stille breitet sich aus. Sie muß immerzu daran +denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz +sie drückte, als sie vor acht Stunden desselben +Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt Atem holen +kann. +</p> + +<p> +Sie möchte am liebsten ein Dankgebet +sprechen, aber sie will es nicht allein tun, denn +er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er +es auch. +</p> + +<p> +Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und +Steuer, denn die Brückenpfeiler sind da und +<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> +viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker +liegen. +</p> + +<p> +Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist +alles. +</p> + +<p> +Alsdann breitet sich der Strom, und der +Mond fängt zu scheinen an. Die Wellchen sind +ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und +setzen sich und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen. +</p> + +<p> +Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber +nicht, denn der Mond steht hinter ihr. Darum +sagt er auch plötzlich: „Warum sitzt du so weit +von mir weg?“ +</p> + +<p> +„Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen +hab’,“ sagt sie. +</p> + +<p> +„Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden +wie Tag und Nacht,“ sagt er. +</p> + +<p> +Und sie denkt: „Bloß daß jetzt Tag ist und +damals Nacht war.“ +</p> + +<p> +„Darum komm herüber und setz dich neben +mich,“ sagt er. +</p> + +<p> +Ach, wie gerne sie das tut! +</p> + +<p> +Aber als sie ihm näher kommt, da fällt +ihr Blick auf die Sackleinwand, die zwischen +seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt +hat. +</p> + +<p> +Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. +Sie sinkt auf die Mittelbank nieder und lehnt +ihren Rücken gegen den Mast. +</p> + +<p> +<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> +„Warum kommst du nicht?“ fragt er fast +unwirsch. +</p> + +<p> +Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll +sie ihn fragen, soll sie’s mit Stillschweigen übergehen? +Aber das weiß sie: dorthin, wo prall +und rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er +sie belügt, dorthin kann sie die Füße nicht setzen. +Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen +zu treten. +</p> + +<p> +Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit +zu schaffen über das, was gewesen ist. Jetzt +gleich im Augenblick. Denn später kommt sie +vielleicht nie. +</p> + +<p> +Sie faßt sich also ein Herz. +</p> + +<p> +„Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, +was du in der Sackleinwand hast?“ +</p> + +<p> +Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem +Schlangennest in den Fuß gebissen, aber er +schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann +sehen, wie er zittert. +</p> + +<p> +Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine +Schulter, aber sie hütet sich wohl, der Sackleinwand +zu nahe zu kommen. +</p> + +<p> +„Mein Ansaschen,“ sagt sie, „es ist ja jetzt +wieder ganz gut zwischen uns, aber ehe du nicht +alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse +nicht weg.“ +</p> + +<p> +Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn +schüttelt. +</p> + +<p> +<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> +„Und dann, mein Ansaschen,“ sagt sie weiter, +„geht es auch wegen des lieben Gottes nicht +anders. Ich hab’ vorhin beten wollen, aber die +Worte blieben mir im Halse. Denn du standest +mir nicht bei. Darum sag es schon, und dann +beten wir beide zusammen.“ +</p> + +<p> +Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt +die Arme um ihre Kniee und gesteht alles. +</p> + +<p> +„Mein armes Ansaschen,“ sagt sie, als er zu +Ende ist, und streichelt seinen Kopf. „Da müssen +wir aber <em>tüchtig</em> beten, damit der liebe Gott +uns verzeiht.“ +</p> + +<p> +Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee +nieder, faltet ihre Hände mit den seinen zusammen, +und so beten sie lange. Nur manchmal +muß er nach dem Steuer sehen, und dann wartet +sie, bis er fertig ist. +</p> + +<p> +Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, +und dann stehen sie wieder auf und sind guter +Dinge. +</p> + +<p> +Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen +zu sagen. +</p> + +<p> +Sie zeigt darauf hin und will es wissen. +</p> + +<p> +Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu +sehr. +</p> + +<p> +Da sagt sie: „Ich werde selber öffnen.“ +Und er wehrt ihr nicht. +</p> + +<p> +Und wie sie den Sack aufreißt, was findet +sie da? Zwei Bündel grüne Binsen findet sie, +<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> +mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter +nichts. +</p> + +<p> +Sie lacht und sagt: „Ist das die ganze Zauberei?“ +</p> + +<p> +Aber er schämt sich noch immer. +</p> + +<p> +Da errät sie langsam, daß er damit nach dem +Umschlagen des Kahnes hat davonschwimmen +wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im +tiefen Wasser paddeln. +</p> + +<p> +„Solch ein Lunterus bin ich geworden!“ sagt +er und schlägt sich mit den Fäusten vor die Brust. +</p> + +<p> +Aber sie lächelt und sagt: „Pfui doch, Ansaschen, +der Mensch soll sich nicht <em>zu</em> hart schimpfen, +sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.“ +</p> + +<p> +Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern +richtet auch seine Seele wieder auf. — — — +</p> + +<p> +Wie sie sich neben ihn setzt — denn er will +sie nun ganz nahe haben —, da merkt sie, daß +sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert, +darum breitet sie zu seinen Füßen das +weiße Reisetuch aus, das sie im vorderen Abschlag +verwahrt hat, und legt sich darauf — doch so, daß +ihr Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und +nun ist es genau so wie damals in Ibenhorst, +als die Elske noch unterwegs war. +</p> + +<p> +Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück +nicht, was sie zueinander reden sollen. +</p> + +<p> +Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras +— man kann den Thymian unterscheiden +<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> +und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran +und das Timotheegras — und was sonst noch +starken Duft an sich hat ... Der Stromdamm +zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. +Nur wo zufällig der Rasen den Abhang hinuntergeglitten +ist, da leuchtet er wie ein Schneeberg. +Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß +man immer ein wenig aufpassen muß. +</p> + +<p> +Außer den plumpsenden Fischchen, die nach +den Mücken jagen, ist nicht viel zu hören. Nur +die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt +ein Gehölz oder ein Garten, dann ist auch die +Nachtigall da und singt ihr: „Jurgut — jurgut — +jurgut — wažok, wažok, wažok“ ... Und der +Wachtelmann betet sein Liebesgebet: „Garbink +Diewa“. Sogar ein Kiebitz läßt sich noch ab und +zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte. +</p> + +<p> +Und dann kommt mit einemmal Musik. Das +sind die Dzimken, die ihre Triften während der +Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber +Gott weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern +sie und singen, und bei Nacht singen sie auch. +</p> + +<p> +Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie +ringsum. Einer spielt die Harmonika, und sie +singen. +</p> + +<p> +Da hört man auch schon das hübsche Liedchen +„Meine Tochter Symonene,“ das jeder kennt, +in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, +die Symonene! Die zu einem Knaben kam und +<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> +wußte nicht wie! Das kann wohl mancher so +gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman +geworden, wenigstens hat die Symonene +es so geträumt. +</p> + +<p> +„Der Willus muß ein Pfarrer werden,“ +bittet die Indre schmeichelnd zu Ansas empor. +</p> + +<p> +„Der Willus wird ein Pfarrer werden,“ sagt +er ganz feierlich, und die Indre freut sich. Denn +was in solcher Stunde versprochen wird, das erfüllt +sich gleichsam von selber. +</p> + +<p> +So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald +kommt ein nächstes. Darauf spielt einer gar die +Geige. Und die andern singen: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Unterm Ahorn rinnt die Quelle,</p> + <p class="verse">Wo die Gottessöhne tanzen</p> + <p class="verse">Nächtlich in der Mondenhelle</p> + <p class="verse">Mit den Gottestöchtern.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken +erkennen die Frauenstimme und rufen ihnen +ein „<span class="antiqua">Labs wakars!</span>“ zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß +will Ansas ihnen was Freundliches +antun und läßt sich die Mühe nicht verdrießen, das +Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen. +</p> + +<p> +Nun kommen sie alle heran — es sind ihrer +fünfe —, und der Jude, dem die Trift gehört, +kommt auch. +</p> + +<p> +Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör +ein, und sie erklären, so was Schönes noch +nie im Leben getrunken zu haben. +</p> + +<p> +<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> +Und dann singen sie alle zusammen noch +einmal das Lied von den Gottestöchtern, von +dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei +Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen. +</p> + +<p> +Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, +und die Indre auch. Und der Jude wünscht +ihnen „noch hundert Johr“! +</p> + +<p> +Wären’s bloß hundert Stunden gewesen, +der Ansas hätt’ sie brauchen können. +</p> + +<p> +Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal +hervorgeholt ist, wäre es unklug gewesen, +sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und +zu einen Tropfen und werden immer glücklicher. +</p> + +<p> +Noch an mancher Trift kommen sie vorbei +und singen mit, was sie nur singen können, aber +halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör +ihnen zu schade. +</p> + +<p> +Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, +aber sie wehren sich tapfer. Denn sonst — weiß +Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben! +</p> + +<p> +Nur eins darf der Ansas sich gönnen — nämlich +von dem Abschlag hernieder auf die Bodenbretter +zu gleiten. So kann er die Indre in +seinem linken Arm halten und mit dem rechten +das Steuer versehen. +</p> + +<p> +Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner +Brust und denkt selig: „Der Endrik — und die +Elske — und der Willus — und nun sind wir +alle fünfe wieder eins.“ +</p> + +<p> +<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> +Mit einmal — sie wissen nicht wie — ist Ruß +da. Sie erkennen es an dem Brionischker Schornstein, +der wie ein warnender Finger zu ihnen +sagt: „Paßt auf!“ +</p> + +<p> +Die Dzimken, die dort mit ihren Triften +liegen, sind nun richtig schlafen gegangen. Auch +ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die +tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? +Von Ruß gibt es ein hübsches Liedchen: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Zwei Fischer waren,</p> + <p class="verse">Zwei schöne Knaben,</p> + <p class="verse">Aus Ruß gen Westen</p> + <p class="verse">Zum Haff gefahren.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Das singen sie aus voller Kehle, und um +hernach die Kehle anzufeuchten, wollen sie noch +einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, +aber siehe da, — die Flasche ist leer. +</p> + +<p> +Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird +immer zärtlicher. +</p> + +<p> +„Ach, liebes Ansaschen,“ bittet die Indre, +„gleich kommt der große Ellbogen, und dann geht +es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig sein.“ +</p> + +<p> +Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist +auch schon der blanke Szieszefluß, da wo die +Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine +mehr an und steuert nach links. Es geht zwar +schwer, aber es geht doch noch immer. +</p> + +<p> +Bis nach Windenburg hin, die anderthalb +Meilen, läuft der Strom nun so schnurgerade, +<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> +wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man +hinter der Mündung der Mole ein wenig auszuweichen +braucht. +</p> + +<p> +Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche +Stelle ist, dort, wo gerade bei Südwind der +Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff +seitlich stark einsetzt, dort muß man die Sinne +doppelt beisammen halten — aber bis dahin +ist noch lange, lange — — ach, wie lange Zeit! +</p> + +<p> +„Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich +vergeben hast, dann mußt du’s mir auch +beweisen.“ +</p> + +<p> +„Ansaschen, du mußt aufpassen.“ +</p> + +<p> +„Ach was, aufpassen!“ Wenn man so lange +blind und verhext neben der Besten, der Schönsten, +neben einer Gottestochter dahergegangen ist +und die Augen sind wieder aufgetan, was heißt +da aufpassen? +</p> + +<p> +„<em>Meine</em> Indre!“ +</p> + +<p> +„<em>Mein</em> Ansaschen!“ — — — +</p> + +<p> +Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder +nebeneinander, und der Kahn fährt dahin, als +säße die Laime selber am Steuer. +</p> + +<p> +„Ansaschen — aber nicht einschlafen!“ +</p> + +<p> +„Ach, wo werd’ ich einschlafen.“ — — +</p> + +<p> +„Ansaschen — wer einschläft, den muß der +andere wecken.“ +</p> + +<p> +„Jawohl — den — muß — der andere +wecken.“ — — — +</p> + +<p> +<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> +„Ansaschen, du schläfst!“ +</p> + +<p> +„Wer so was — sagen kann, — der schläft — +selber.“ +</p> + +<p> +„Ansaschen, wach auf!“ +</p> + +<p> +„Ich wach’. Wachst du?“ +</p> + +<p> +Und so schlafen sie ein. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. +Sie weckt also ihren Mann und sagt: „Doczys, +steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.“ +</p> + +<p> +„Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?“ +fragt der Doczys, sich den Schlaf aus den Augen +reibend. „Fischen tu’ ich erst morgen.“ +</p> + +<p> +„Die Indre hat solche Reden geführt,“ sagt +die Doczene, „es ist besser, wir fahren ihnen +entgegen.“ +</p> + +<p> +Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und +setzt die Segel. +</p> + +<p> +Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es +schon Tag, und der Frühnebel liegt so dicht, +daß sie keine Handbreit vorauf sehen können. +</p> + +<p> +„Wohin soll ich fahren?“ fragt der Doczys. +</p> + +<p> +„Nach Windenburg zu,“ bestimmt die Doczene. +</p> + +<p> +Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen +entgegen, und sie müssen kreuzen. +</p> + +<p> +Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf. +</p> + +<p> +Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel +gedrungen — eine Frauenstimme. +</p> + +<p> +<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> +„Gerade drauf zu!“ schreit die Doczene. +Aber er muß ja kreuzen. +</p> + +<p> +Und sie kommen schließlich doch näher — ganz +nahe kommen sie. +</p> + +<p> +Da finden sie die Indre auf dem Wasser +liegen, wie die Wellen sie auf und nieder schaukeln. +</p> + +<p> +Wie hat es zugehen können, daß sie <em>nicht</em> +ertrunken ist? +</p> + +<p> +Rechts und links von ihrer Brust ragen halb +aus dem Wasser zwei Bündel von grünen Binsen, +die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken +zusammengebunden. +</p> + +<p> +Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit +immerzu: „Rettet den Ansas! Rettet den +Ansas!“ +</p> + +<p> +Ja — wo ist der Ansas? +</p> + +<p> +Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder +hochgekommen ist, da hat sie seine Hände gefühlt, +wie er wassertretend die Binsen an ihr befestigte. +Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm. +</p> + +<p> +Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie +finden ihn nicht. Nur den umgeschlagenen Kahn +finden sie. An dem hätte er sich wohl halten +können, aber er ist ihm sicher davongeschwommen, +dieweil er die Binsen an Indres Leibe +befestigte. +</p> + +<p> +Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre +liegt auf den Knieen und betet um ein Wunder. +</p> + +<p> +<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> +Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei +Tage später lag er oberwärts friedlich am +Strande. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Neun Monate nach dem Tode des Ansas +gebar ihm die Indre einen Sohn. Er wurde +nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, +das heißt „Abschluß“ benannt. Doch weil der +Name ungebräuchlich ist, hat man ihn meistens +nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein +ansehnlicher Mann. +</p> + +<p> +Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft +in gutem Stande, die Elske hat einen wohlhabenden +Besitzer geheiratet, und der Willus +ist richtig ein Pfarrer geworden. Seine Gemeinde +sieht in ihm einen Abgesandten des +Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm. +</p> + +<p> +Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt +im Ausgedinge bei dem ältesten Sohn. Wenn +sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie +weiß, daß sie nun bald im Himmel mit Ansas +vereint sein wird, denn Gott ist den Sündern +gnädig. +</p> + +<p> +Und also gnädig sei er auch uns! +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-3"> +<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> +Miks Bumbullis +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-3-1"> +<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer +gegangen, hatten sich dann beim +Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, +wie das junger Menschenkinder gutes Recht ist, +und als sie sich dem Försterhause näherten, verschämt +und verstohlen, da war es fast schon heller +Tag. +</p> + +<p> +Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe +im Wohnzimmer des Herrn noch brannte. Er +winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins +Haus zu schleichen, und tat so, als sei er schon +bei der Arbeit. Er machte sich an dem Holzlager +zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche +Erlenkloben zwecklos übereinander. +</p> + +<p> +Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des +alten Hegemeisters auf sich zu lenken und der +Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern. +</p> + +<p> +Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den +er erwartet hatte, blieb aus. +</p> + +<p> +„Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,“ +dachte er und setzte erleichtert die Pfeife in +Brand. +</p> + +<p> +<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> +Aber da sah er, wie vom Giebelende her die +Eve mit heftigen Gebärden nach ihm zu rufen +schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und +erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie +beim Nachsehen das Bettchen der kleinen Anikke +leer gefunden habe. +</p> + +<p> +Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen +Neffen, das der Alte zu sich genommen +hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter +aus Gram darüber dem Lungenhusten erlegen +war. Als erster Gedanke stieg dem Grigas auf, +daß nur eine der Laumen die Anikke entführt +haben könne. Denn daß diese Feen sich mit dem +Wegnehmen und Auswechseln von Kindern befassen, +auch lange nachdem sie getauft sind, das +weiß ja selbst der Dümmste. +</p> + +<p> +Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung +war, wollte ihm nicht Recht geben. Die brennende +Lampe — und die Stille im Haus — und dazu +kam noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen +bemerkt haben wollte: Das Fenster war geschlossen +gewesen, aber in einer der Rauten hatten +die Scherben gehangen. +</p> + +<p> +So faßte er sich denn ein Herz und machte +sich dicht vor der erleuchteten Stube zu schaffen. +</p> + +<p> +Und beim Hineinschielen — was sah er da? +Der alte Wickelbart lag auf dem Boden in seinem +Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme +schlief das Kind. +</p> + +<p> +<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> +Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen +wieder lebendig. Sie wußten auch +gleich, wer’s getan hatte: „Miks Bumbullis“ +sagten sie fast in einem Atemzuge. +</p> + +<p> +Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei +Tagen von dem alten Hegemeister abgefaßt worden, +wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm +und dazu ein „<span class="antiqua">Tewe musso</span>“ betete. Denn +das Vaterunser ist immer gut gegen das Abgefaßtwerden. +Aber diesmal hatte es dem Miks +nichts geholfen. Er hatte sogar noch seine Flinte +hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht +gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, +weil er genau wußte, daß sein Gefangener ihn +während des Weges trotz seiner Schußwaffe überwältigen +würde. +</p> + +<p> +Und nun hatte er doch daran glauben müssen. +Denn mit dem Miks Bumbullis war nicht zu +spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze +ging, wo dem Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt +wurde, wo man dem Juden den Schnaps +auf die Straße goß, — der Miks war überall +dabei. Nun gar das verdammte Wilddieben! +</p> + +<p> +Und er hätte es so gut haben können! Die +Wirtstöchter weit und breit waren nach ihm aus. +Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für +eine! Mit einem Hof von hundertzwanzig Morgen. +— Die hatte schon zweimal den Vermittler +zu ihm geschickt. +</p> + +<p> +<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> +Aber er? Nun, da sah man’s ja. +</p> + +<p> +Der Grigas und die Eve hoben das Kind +aus dem starr gewordenen Arm, und als sie ihm +das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe +zogen, da wachte es nicht einmal auf. +</p> + +<p> +Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen +und lächelte wie so ein Engelchen. +</p> + +<p> +Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den +Leichnam abzuwaschen und auf die Totenbahre +zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit +noch ein, daß man jeden, der eines unnatürlichen +Todes gestorben ist, liegen lassen muß, wie er +gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht +dagewesen sind. Und so geschah es auch. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-2"> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er +trieb sich in den Krügen umher und erklärte in +seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, +er sei von dem Hegemeister beklappt worden. +Darum müsse er jetzt auf ein paar Jahr in die +Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts. +</p> + +<p> +Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, +streckte er die Zunge aus und bestand darauf, +daß der Krüger sich das Geld für die Zeche +selber aus der Hosentasche hole, denn er müsse +die kostbaren Armbänder schonen, die der Staat +ihm geschenkt habe. +</p> + +<p> +<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> +Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit +einem blonden Unschuldsgesicht. Trug das Haar +noch von der Soldatenzeit her glatt an der Seite +gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten +Augen gelassen in die Runde. +</p> + +<p> +Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, +als der Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der +alte Hegemeister habe es zwar schon lange auf +ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen +Mann würde er auch sicherlich auf ihn abgedrückt +haben, das hätte die Ehre von ihm gefordert; +den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer +getan. +</p> + +<p> +Soweit war alles in Ordnung. +</p> + +<p> +Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten +habe? +</p> + +<p> +Und nun kam die merkwürdige Wendung. +</p> + +<p> +Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue +Flinte zu beschaffen. Wo, sage er nicht. +</p> + +<p> +Was er denn mit der Flinte habe anfangen +wollen, da er doch sicher gewesen sei, alsbald +verhaftet zu werden? +</p> + +<p> +Er habe über die Grenze gehen wollen, und +da drüben müsse man immer was in der Hand +haben. +</p> + +<p> +Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, +daß, wenn er nicht angeben wolle, <em>wo</em> er den +Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als abgetan +betrachten könne. Aber auch das half nichts. +</p> + +<p> +<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> +Noch an demselben Tage wurde er zwischen +zwei Gendarmen auf einen Bretterwagen gesetzt +und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren. +Das Publikum in Heydekrug sammelte +sich am Wege und starrte ihn an. Das schien +ihm großen Spaß zu machen. +</p> + +<p> +Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission +mit der dienstfertigen Würde des +guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, +als ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen +Heimkunft abgefragt wurden. +</p> + +<p> +Der Tatbestand war klar. Der Bruch der +Fensterscheibe schien auf einen Schrotschuß hinzuweisen, +obwohl nur <em>eine</em> Wunde — dicht +über dem Herzen — sich vorfand. Genaueres +festzustellen blieb der Leichenöffnung vorbehalten. +Fußspuren ließen sich nicht entdecken. +</p> + +<p> +Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt +wurde, tasteten ein halbes Dutzend Augenpaare +gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick, +der so manches Geständnis aus der Seele +reißt, verging ungenutzt. Ruhevoll — ein wenig +neugierig fast — blickte Miks auf den liegenden +Körper nieder und sah sich dann, als suche er +irgend etwas, in der Stube um. +</p> + +<p> +Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, +ein kluger, kleiner Mann, der in der Seele des +fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch eindrucksvoller +übersetzte, verhallten ungehört. +</p> + +<p> +<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> +„Ich weiß von rein gar nuscht,“ blieb die +einzige Antwort. +</p> + +<p> +Nur als hierauf die kleine Anikke weinend +hereingeführt wurde, flog ein Schein wie von +plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge +— einen Augenblick nur —, dann war er wieder +der alte. +</p> + +<p> +Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor +den fremden Männern nichts herausbringen. +Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im +Zwiegespräch ausgeplaudert hatte. +</p> + +<p> +Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor +Angst nicht einschlafen können und immerzu geweint. +Da sei der Großvater gekommen, habe +sie aus dem Bettchen genommen und zu sich +aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es draußen +geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und +dann habe er sich auf die Erde gelegt und +sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie eingeschlafen. +</p> + +<p> +Der Untersuchungsrichter wandte sich an +Miks. +</p> + +<p> +„Als Sie auf den Hegemeister anlegten und +das Kind auf seinem Schoß sitzen sahen, schlug +Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner +das unschuldige Wesen treffen könnten?“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von rein gar nuscht,“ war wie +immer die Antwort. Aber etwas wie ein +Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als +<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> +das Kind hinausgeführt wurde, sah er ihm mit +einem Blick nach, wie der Hund nach der Wurst. +</p> + +<p> +Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem +Geständnis, wo er in der Johannisnacht eingebrochen +war. Sonderbarerweise hatte er sich +den Hof jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb +Jahren auf ihn Jagd machte. Er habe +gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz +einer Flinte gewesen sei, und die habe er sich +holen wollen. Es sei aber nichts zu finden gewesen. +</p> + +<p> +Woher er das Haus so genau kenne, daß er +den Einbruch mit Aussicht auf Erfolg habe unternehmen +können? +</p> + +<p> +Darauf blieb er die Antwort schuldig. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Nun trat — vorgeladen — Frau Alute Lampsatis +in die Erscheinung. Eine hübsche Dreißigerin +mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig +weggeschnürten Busen. In dem roten, +fleischigen Gesicht saß ein Paar unruhig sinnlicher +Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche +glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, +obwohl das reiche rotblonde Haar keines +Schmuckes bedurfte. +</p> + +<p> +In gebrochenem Deutsch, doch mit großem +Wortschwall versicherte sie, sie sei eine anständige +<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> +Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. +</p> + +<p> +Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte +sie der Richter. Sie habe nur zu bezeugen, ob +sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von +einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe. +</p> + +<p> +Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige +Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes +nachsagen. +</p> + +<p> +Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, +als daß er den Dolmetsch holen ließ, der sie in +ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr +die Lust zu Ausflüchten verging. +</p> + +<p> +Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre +Nichte — die Madlyne —, als die vom Johannisfeuer +gekommen sei, da habe sie einen Mann +aus dem Fenster der Klete steigen sehen, der +in der Richtung nach dem Walde verschwunden +sei. +</p> + +<p> +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich +an. Sie glaubten den Schlüssel zu den Aussagen +der ehrbaren Witwe gefunden zu haben. +</p> + +<p> +Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte +gleich mitgebracht hatte. Sie wurde heraufgeholt +und stellte sich als ein achtzehnjähriges Püppchen +dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. +Sie war im Sonntagsstaat, trug eine +grünseidene Schürze über der selbstgewebten +Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus +<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> +dem reichgestickten Mieder hervorquollen. Ein +Bauernmädchen wie aus der Operette. +</p> + +<p> +Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn +sie sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, +klare Antworten und konnte auf der Stelle vereidigt +werden. +</p> + +<p> +Sie war — gleich Grigas und Eve — gegen +Morgen vom Johannisfeuer gekommen — +</p> + +<p> +„Allein?“ +</p> + +<p> +Sie senkte schämig die langwimprigen Lider. +</p> + +<p> +„Ganz allein.“ +</p> + +<p> +— da habe sie schon von weitem den Hund +bellen hören und sich darum hinter dem Zaun +versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein +Mann aus dem Fenster der „Kleinen Stube“ +gestiegen. +</p> + +<p> +„Ich denke, der Mann kam aus der Klete?“ +fragte der Richter. +</p> + +<p> +Die Klete — der Raum, in dem die haltbaren +Vorräte aufbewahrt werden — pflegt sich in +älteren Wirtschaften unter einem gesonderten +Dache zu befinden. +</p> + +<p> +„Ak nei, ak nei,“ versicherte Madlyne, und +vor lauter Bekenntniseifer schoß ihr das Blut in +das Wachspuppengesicht. „Akkrat aus der Stubele +is er gekommen, das kann ich beschwören.“ +</p> + +<p> +„Und wo schläft deine Tante, Madlyne?“ +</p> + +<p> +„Die schläft in der Stuba — der Großen +Stube — das kann ich beschwören.“ +</p> + +<p> +<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> +Die Große und die Kleine Stube liegen stets +auf derselben Seite des Hausflurs und sind durch +eine Tür verbunden. +</p> + +<p> +Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich +abermals an. +</p> + +<p> +Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer +Frau Alute wieder hereingerufen. +</p> + +<p> +Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch +die schwerwiegenden Folgen eines etwaigen +Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den +Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage +Madlynens und dem, was sie von ihr erfahren +haben wollte, bestand. +</p> + +<p> +Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine +anständige Besitzerin, und niemand könne ihr +etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt +auch der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, +der ihr sämtliche Höllenstrafen der Reihe nach +vorführte. +</p> + +<p> +Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall +fürchtete, auf eine Gegenüberstellung der +beiden Verwandten verzichten zu sollen, und +beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen +Einbruchs der Klärung näherzubringen. +</p> + +<p> +Ob sie eine Flinte im Hause habe. +</p> + +<p> +Sie verneinte heftig. +</p> + +<p> +Oder gehabt habe. +</p> + +<p> +Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes +sei wohl ein Schießgewehr dagewesen, womit der +<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> +Selige die Karekles — die jungen Krähen — von +den Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann +krank geworden sei, habe er es eines Tages an +den Juden verkauft. +</p> + +<p> +„An welchen Juden?“ +</p> + +<p> +Das konnte sie natürlich nicht wissen. „Der +Jude ist der Jude, und einer sieht aus wie der +andere.“ +</p> + +<p> +Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit +sorgsam umgangen hatte, hielt den +Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten +ins Treffen zu führen. +</p> + +<p> +Ob sie den Miks Bumbullis kenne. +</p> + +<p> +Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt +oder auch nur befangen. +</p> + +<p> +Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht +kennen. Er war ja mit ihrem seligen Mann immer +zusammen über die Grenze gegangen. +</p> + +<p> +Der Dolmetsch sah den Richter verstehend +an. Schmuggeln taten sie in den Grenzdörfern +alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. +Der Miks konnte sich also wohl der Flinte +erinnert haben, die sein ehemaliger Kumpan +mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem +Verkauf nichts wußte, durfte er mit etlichem +Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt herumstand. +</p> + +<p> +Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem +Hause gewesen sei. +</p> + +<p> +<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> +Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal +den seligen Mann des Abends abgeholt. +</p> + +<p> +„Wozu abgeholt?“ +</p> + +<p> +„Nun, über die Grenze zu gehen.“ +</p> + +<p> +Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals +die Flinte aufbewahrt habe. +</p> + +<p> +Sie stutzte und besann sich, als wittere sie +den heimlichen Zusammenhang der scheinbar +ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen. +</p> + +<p> +Und dann fing sie an zu wehklagen und zog +sich auf die Plattform der anständigen Besitzerin +zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen +könne. +</p> + +<p> +Von diesem Augenblick an war nichts mehr +aus ihr herauszuholen. Auf ihre Vereidigung +wurde verzichtet. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-4"> +4 +</h3> + +<p class="first"> +Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam +heran. Eine große Zeugenschar war aufgeboten. +Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte +sich als das eines rücksichtslos strengen +Verfolgers, dem schon viele Rache geschworen +hatten und dem es nie in den Sinn gekommen +war, selbst harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. +So war zum Beispiel, wie sich zufällig +herausstellte, auch der selige Mann der Frau +Lampsatis durch ihn ins Gefängnis geraten. Der +<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> +hatte also, wie es schien, seine Flinte nicht bloß +zum Krähenschießen benutzt. +</p> + +<p> +Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht +übersehen, daß, wenn Miks ein leidliches Alibi +beibringen konnte, statt seiner ein anderer als +Täter in Frage kam. +</p> + +<p> +Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam +und häufig teilnahmlos auf der Armsünderbank. +Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als +in den blaß hinstarrenden Augen malte sich die +geistige Übermüdung, die diese des scharfen Denkens +ungewohnten Naturkinder oft überfällt, +wenn sie ihr Schicksal dem Spiel und Widerspiel +der Zeugenschaften anheimgegeben sehen. +</p> + +<p> +Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute +keine Schuhschnalle hervorschob, war wieder +ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende +Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges +Schmunzeln selbst bei den Greisen der Geschworenenbank. +</p> + +<p> +Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute +ließ sich auch heute keine Einigung erzielen. +Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre +Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt +hatte, der Mann, den sie gesehen habe, +sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, +daß sie so etwas nie gesagt haben +könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit +gewesen. +</p> + +<p> +<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> +Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, +den er genommen haben wollte. Er habe die +unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die +Große Stube hineingetastet — +</p> + +<p> +In der <em>Großen</em> Stube schlief Frau Alute! +Sie hätte bei seinem Kommen erwachen müssen! +</p> + +<p> +Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er +sich in die Kleine Stube geschlichen, habe Wände +und Winkel abgetastet und sei schließlich, als das +Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster +hinausgeklettert. +</p> + +<p> +Warum er nicht den bequemeren Rückweg +durch Große Stube und Hausflur gewählt habe. +</p> + +<p> +Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt. +</p> + +<p> +Das klang einigermaßen glaubhaft und +stimmte mit Madlynens Aussage überein. Aber +der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer +Tante erzählt haben sollte und ihrer beschworenen +Aussage klaffte noch immer. Und dann war +auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, +daß er in Frau Alutes Auftrag zweimal bei Miks +gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten. +</p> + +<p> +Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte +vereidigt werden. Sie wurde noch einmal ausdrücklich +ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger +in die Höhe, da geschah das Unerwartete, +daß Miks in die Eidesworte hineinzusprechen +anfing. +</p> + +<p> +Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach +<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> +weiter. Schwerfällig, tropfenweise fielen die +litauischen Worte aus seinem Munde. +</p> + +<p> +Frau Alute horchte hoch auf und — brach +dann weinend zusammen. +</p> + +<p> +Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht +und lautete: „Ich habe dir zwar bei Gott und +bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht +nichts davon zu sagen, aber es ist doch besser, +daß du deine Seele nicht mit einem Meineide +beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. +Drum sage doch lieber die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +Unter Schreien und Händeringen kam, was +geschehen war, nunmehr ans Tageslicht. +</p> + +<p> +Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen +in ihrem Bette. Da wurde sie plötzlich durch +Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur +näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts +helfen würde, denn Madlyne und die Magd und +der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. +Da fing sie zu beten an und erwartete ihr Ende. +Aber dann hörte sie plötzlich ihren Namen nennen +und erkannte Miksens Stimme. „Geh weg,“ +sagte sie, „wenn ich auch nach dir geschickt habe, +ich bin eine anständige Besitzerin, und niemand +soll mir was Schlechtes nachsagen können.“ — „Ich +will gar nicht bei dir schlafen,“ antwortete er, +„ich will bloß, daß du mir das Gewehr gibst, +das deinem Mann gehört hat, denn der Hegemeister +hat mir meines weggenommen.“ — „Das +<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> +Gewehr ist nicht mehr da,“ sagte sie, „und wenn +es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn +du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.“ +Das bestritt er, aber sie glaubte ihm nicht. Und +als er sich daraufhin wieder entfernen wollte, +sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und +verlegte ihm den Weg. Da fühlte er, daß sie +im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den +Morgen. +</p> + +<p> +Die große Spannung löste sich. Die Unschuld +Miksens schien erwiesen. Und auch die Frage, +warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau +da war, statt einfach durch die Haustür zu gehen, +durch das Kleinestubenfenster geklettert war, +wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden +hinreichend aufgeklärt. Man war des +Glaubens gewesen, Madlyne sei inzwischen +heimgekommen, und da ihre Kammer auf +der anderen Seite des Hauses lag, hätten die +Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen +können. +</p> + +<p> +„Das hättet ihr gleich sagen können,“ meinte +der Vorsitzende. Und da auf weitere Zeugenvernehmungen +verzichtet wurde, begann der +Staatsanwalt gleich seine Rede. +</p> + +<p> +Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle +wie von selber dem Richterspruche zu. +Der Losmann Miks Bumbullis wurde von +der Anklage des Mordes freigesprochen und +<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> +wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis +verurteilt. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch +als Frau Alute, die sich inzwischen von ihren +Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf +ihn zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. +Sein Blick hing wie erstarrt an einem Platze der +Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, schmutzig +und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen +Äpfeln nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt +hatte. Sie war der Vollständigkeit halber +mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie +ausgesagt. +</p> + +<p> +Als Miks abgeführt werden sollte — an Haftentlassung +war natürlich nicht zu denken —, +wandte er sich noch einmal nach dem Kinde +um, als wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. +Aber der Gerichtsdiener stieß ihn hinaus. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann +zu verfallen, denn niemand war da, der sein +Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen +Anikke entspann sich ein Prozeß zwischen dem +Forstfiskus und der Gemeinde, der ihr verschollener +Vater angehört hatte. Beide wollten +die Erziehungspflicht einander in die Schuhe +schieben. Und da der Fiskus an allzuviel Gemüt +<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> +nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft +zwischen dem Toten und dessen verwaistem +Pflegling ihm als ausreichender Grund zustatten +kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener +Gast an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits +froh war, sie für ein kleines Entgelt an den Ort +abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit +über gehaust hatte. +</p> + +<p> +So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen +öffentlich versteigert und kam an den Mindestfordernden, +den Häusler Kibelka, einen wenig +vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar +Groschen brauchte, um sie in Branntwein anzulegen. +</p> + +<p> +Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem +Gott und Menschheit die sorgenden Augen abgewandt +haben, in seinem stummen Jammer +leidet, das hat noch niemand erkannt und beschrieben, +und niemand wird es je erkennen und +beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, +was Prügel und Kälte, was vor allem das Fehlen +jedes streichelnden Wortes in der noch nicht erschlossenen +Seele ersticken und zerfressen, bis aus +dem in unbewußter Zuversicht aufjauchzenden +jungen Leben ein scheu zitterndes, in sich verkrochenes, +kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein +geworden ist, das verliert sich in Dunkel +und Schweigen. Alljährlich wird ein unermeßlicher +Haufe von solchem Menschenkehricht ins +<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> +Grab geschaufelt, wo es zu seinem Besten hingehört. +Und nur wie durch ein Wunder senkt +sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder +und hebt eins oder das andere der schon fast +abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor. +</p> + +<p> +Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der +Hofhund allenfalls! +</p> + +<p> +Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie +er von einem gutgesinnten Mittagssonnenschein +sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das +einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. +— — — +</p> + +<p> +Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, +sprang anschlagend auf und fegte mit schleppender +Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches. +</p> + +<p> +Anikke, die allein zu Hause war, sah einen +Menschen durch das Hoftor kommen, der sich +vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte +zuschritt, an der sie sich schutzsuchend festhielt. +</p> + +<p> +Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er +halt und sagte: „Ist der Wirt zu Hause?“ +</p> + +<p> +Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln +gruben, aber um nichts in der Welt hätte +sie antworten können. +</p> + +<p> +„Wie heißt du?“ fragte er weiter. +</p> + +<p> +In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen +vergessen. +</p> + +<p> +Der Hund belferte dazwischen, und erst, als +der fremde Mensch ihm mit seinem Stock eins +<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> +überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte +zurück. +</p> + +<p> +Dann kam der Fremde näher an sie heran, +immer den Stock vorhaltend, in den der Hund +sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt +werden sollte, und fing furchtbar zu weinen an. +</p> + +<p> +Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und +mit jähem Rucke fortgezogen, während der Hund, +von einem neuen Schlage getroffen, sich um +und um kugelte. +</p> + +<p> +„Wein nicht, wein nicht, ich tu’ dir nichts,“ +hörte sie seine Stimme. Denn vor lauter Tränen +sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang +irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie +hörte zu weinen auf. +</p> + +<p> +„Bist du die Anikke?“ +</p> + +<p> +„Ja—a.“ +</p> + +<p> +„Willst du ein Lakritzenholz haben?“ +</p> + +<p> +Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen +die großen Kinder manchmal, wenn die Schule +aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab. +</p> + +<p> +Und dann gab der fremde Mensch ihr aus +einer Tüte eine schöne gelbe Stange, in die sie +auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum +noch Angst vor ihm. +</p> + +<p> +Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse +sah er nicht aus. Viel guter als der Wirt. Und +er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges +Haar hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. +<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a> +Und sie wußte jetzt auch, wo sie ihn schon +gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen +wie in der Kirche. Aber statt <em>eines</em> Pfarrers +im Talar hatte gleich ein ganzer Tisch voll dagesessen. +</p> + +<p> +„Wie alt bist du, Anikke?“ +</p> + +<p> +„Ich werd’ sieben.“ +</p> + +<p> +„Gehst du schon in die Schule?“ +</p> + +<p> +„Nein.“ +</p> + +<p> +„Warum nicht?“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ nichts anzuziehen, sagt die Frau.“ +</p> + +<p> +Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete +lange das Lumpengezottel, in das sie notdürftig +gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt +wohl finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung +des Feldes und geleitete ihn auch ein Stück, denn +sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen. +</p> + +<p> +Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er +ihr die ganze Tüte, die er solange in der Hand +gehalten hatte, und sagte: „Versteck’s, daß die +anderen es dir nicht wegessen.“ +</p> + +<p> +Damit schickte er sie zurück und schritt in der +Kartoffelfurche weiter, bis er auf den Wirt stieß, +der mit Weib und drei Kindern kniend nach +Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte +und stöhnte auf seine Art. +</p> + +<p> +Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz +von den Hosen abschüttelnd stand er auf, ihm +die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht +<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> +der Mörder war, so hätte er doch immer der Mörder +sein können. Sich mit ihm gut zu stellen, +war geraten. +</p> + +<p> +„Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,“ +sagte er, „denn wen der Staat ernährt, +der ist geborgen.“ Dabei lachte er höhnisch und +einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige +Maul ging ihm bis an die Ohren. +</p> + +<p> +„Ihr habt es hier um so schwerer,“ sagte Miks +Bumbullis, die Fläche überblickend, die in ihrem +dürren Kraut unausgegraben dalag. +</p> + +<p> +Auch das Weib war aufgestanden und wischte +sich die Hand an dem sacktuchenen Schurzfell. +Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit scharfen, +mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen +gafften. +</p> + +<p> +Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. +Der nasse September — und schon alles im +Faulen — und fremde Hilfe zu teuer. +</p> + +<p> +„Wenn Ihr billige Hilfe braucht,“ sagte Miks, +„ich wüßte wohl eine.“ +</p> + +<p> +„Wer wird so dumm sein!“ lachte der Wirt. +„Selbst der Henker läßt sich bezahlen.“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ mir einiges gespart,“ sagte +Miks, „und wenn man mir sonst freie Hand +läßt, bring’ ich noch ab und zu was in die +Wirtschaft.“ +</p> + +<p> +Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie +rasch und gierig ein und fragten nicht weiter. +</p> + +<p> +<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a> +So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem +Pfleger Anikkes. +</p> + +<p> +Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu +kümmern, und es vergingen drei Tage, ehe er +sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer +sei, das da immer im Hause herumkrieche. +</p> + +<p> +Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit +der Sprache heraus, denn der Mordverdacht saß +ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten +sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen +waren und daß sie es eigentlich bloß um Gottes +Barmherzigkeit willen bei sich behielten. +</p> + +<p> +Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf +und sagte nur: „Der Vater soll in Amerika sein. +Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er +jeden belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.“ +</p> + +<p> +Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten +Mittag durfte das kleine, bleiche Lumpenbündelchen, +das sonst von dem Ofenwinkel her +stumm wartend herübersah, mit den Kindern zu +Tische sitzen. +</p> + +<p> +Als der Sonnabendabend kam, verschwand +Miks Bumbullis und kam am Sonntagvormittag +mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet +und in den Spalten mit Erde verklebt war. +</p> + +<p> +Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt +hatte, und alle standen ringsum und sahen +voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel +die Teile auseinandernahm und jeden +<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> +einzelnen putzte und ölte, bis die Waffe blitzblank +und schußbereit wiedererstand. +</p> + +<p> +Und wiederum am Sonntag gab es bei den +Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, was nicht +passiert war, solange die Welt stand. Alle +schwelgten, und selbst der Hofhund bekam seinen +Knochen. +</p> + +<p> +Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten +Kleidchen da, das der Miks ihr mitgebracht +hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen +Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr +geschah. +</p> + +<p> +„Ich verstehe ja deine Meinung,“ sagte +der Wirt, „aber wenn der Vater <em>nicht</em> aus +Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.“ +</p> + +<p> +„Dann tu’ ich’s wie ihr um Gottes Lohn,“ +erwiderte Miks, „man muß sich immer ein Beispiel +nehmen.“ +</p> + +<p> +Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem +Knecht zu, denn die Schnapsbuddel saß ihm +allzeit locker. +</p> + +<p> +„Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule +schicken,“ meinte Miks Bumbullis so nebenbei. +</p> + +<p> +Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. +Der Gendarm sei schon zweimal dagewesen, und +sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man +könne schließlich noch Strafe zahlen. +</p> + +<p> +Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als +<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> +Anikke am Montag morgen die Kinder zur Schule +begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar +eine Schiefertafel. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun +höchst angesehen im Hause. Er pflegte das Pferd +blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die +Dreschflegel gingen: „Ubags, ubags, ubags“, — +sein Schlag war immer herauszuhören. +</p> + +<p> +Lohn forderte er nicht, und er hätte auch +keinen bekommen, denn der Wirt vertrank jeden +Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich +ab und zu in der Morgen- oder der Abenddämmerung +hinter der Scheune zu schaffen machte und +vorläufig nicht mehr wiederkam. +</p> + +<p> +Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, +so daß sie nun ebenso fein aussahen wie +Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er +mit, dem einer nach dem anderen standhalten +mußte. Kibelka meinte zwar, es sei sündhaft, +es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber +schließlich lieh auch er sich den Kamm aus. +</p> + +<p> +Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. +Die warme Schule — und das reichliche Essen — +und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam +sie hie und da noch einen Stirnicksel, aber der tat +kaum einmal weh, denn sie fühlte in seliger Geborgenheit, +<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> +daß einer da war, der sie vor Schlimmerem +beschützte. +</p> + +<p> +Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, +aber ihm ganz nahe zu kommen wagte sie nicht, +denn er ermunterte sie nie. +</p> + +<p> +Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an +seinem Gesicht, und als sie die Geschichte vom +lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß +der ebenso ausgesehen hatte wie er. +</p> + +<p> +Eines Abends, als der Kienspan brannte, war +er besonders vergnügt und sagte zum Ältesten, +dem Jons: „Willst du reiten?“ Der wollte natürlich +gern, und er nahm ihn auf sein Knie und +sang dazu: „Apappa, upappa.“ Dann kam die +Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. +Und sie stand im Winkelchen und dachte, die +Tränen verbeißend: „Ich bin ja nur das Ziehkind, +und darum will er mich nicht.“ +</p> + +<p> +Aber da sagte er auch schon: „Die Anikke +muß auch.“ +</p> + +<p> +Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie +traute sich nicht. Dann, als er sie hochhob, war +es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken. +So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz +schwindlig wurde, bis der Jons, abgünstig geworden, +einmal über das andere schrie: „Ich will +auch solange!“ +</p> + +<p> +Diese Augenblicke waren das Schönste, was +sie je erlebt hatte, denn daß schon einmal einer +<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> +dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten +hatte, das war ihr inzwischen aus dem Sinne +verschwunden. Nur eines langen weißen Bartes +erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei +der Weihnachtsmann gewesen, von dem der +Lehrer erzählte. +</p> + +<p> +Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, +und wenn man gegen den Schneesturm laufend +bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete +das manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe +gekauft und eine wollengefütterte +Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden +sind. Die drei Hauskinder bekamen die +gleichen, so daß ein Neid nicht entstehen konnte. +</p> + +<p> +Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X +für ein U machen und sagte mit süßsaurem +Lächeln: „Meine Kinder haben es ja sehr gut +bei dir, aber der liebe Gott wird schon wissen, +was du damit verhehlen willst.“ +</p> + +<p> +Miks sagte darauf: „Wenn einer Kinder liebhat, +was braucht er da zu verhehlen?“ und +wandte sich ab. +</p> + +<p> +Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen +in der Kleinen Stube, die gut geheizt wurde, +sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, +wo es jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich +aus den Zeiten ihrer Zurücksetzung so erhalten, +und sie wünschte es sich gar nicht anders, denn +in der Kammer nebenbei schlief der Miks. +</p> + +<p> +<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> +Aber nun der Winterfrost gekommen war, +konnte sie gar nicht recht einschlafen und lag in +ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke +frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen +Morgen. +</p> + +<p> +Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von +der Knechtskammer her ein leises Knirschen und +Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare +Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich +wenden soll. +</p> + +<p> +Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten +in ihrem Frieren die Decke vom Leibe, ging in +die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch +mehr als vor Kälte: „Miks, tut dir was weh?“ +</p> + +<p> +Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. +Und dann griffen zwei Arme nach +ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und +wärmte sich auf und schlief auch bald ein. +</p> + +<p> +Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und +war da wie in Abrahams Schoß. +</p> + +<p> +Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß +niemand etwas davon merken konnte. Auch beachtete +er sie bei Tage nicht häufiger als früher. +Aber nun grämte sie sich nicht mehr darüber, +denn sie wußte ja zu allen Zeiten, wie gut er’s +mit ihr meinte. +</p> + +<p> +Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. +Manchmal schlief er sogar noch früher ein als +sie selber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-7"> +<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, +da wurde Miks Bumbullis auf einem seiner Wege +zum Walde von einer Frauensperson angerufen, +die bis zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande +im Schnee saß. +</p> + +<p> +Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme +gleich erkannt. +</p> + +<p> +„Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,“ +sagte er. „Ich habe schon immer einmal zu dir +kommen wollen.“ +</p> + +<p> +„Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,“ erwiderte +sie, „und hätte ich dir nicht aufgelauert, +so wären auch noch drei weitere verstrichen.“ +</p> + +<p> +„Das ist wohl möglich,“ meinte er. „Was +man nicht gern tut, verschiebt man immer wieder.“ +</p> + +<p> +„Sagst du mir das ins Gesicht?“ knirschte sie, +und ihre Augen blitzten ihn an. +</p> + +<p> +„Ich sage, was wahr ist,“ erwiderte er. +</p> + +<p> +„Dann will ich dir <em>auch</em> sagen, was wahr +ist!“ schrie sie. „Daß <em>du</em> den Hegemeister erschossen +hast — daß deine Flinte da, mit der du’s +getan hast, <em>meine</em> Flinte ist — und daß ich +meine Seele dem ewigen Verderben verkauft +habe — und Madlynens Seele dazu, die meine +Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, +was ich wollte. <em>Das</em> ist die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> +„Und dann ist die Wahrheit,“ fuhr er fort, +„daß du mir die Flinte in die Hand gegeben hast +und zu mir gesagt hast: ‚Mein Seliger hat es +schon tun wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. +Nun tu du es, sonst hast du keine Ehre +im Leibe.‘ <em>Das</em> ist die Wahrheit.“ +</p> + +<p> +„Und ferner ist die Wahrheit,“ nahm sie ihm +die Rede aus dem Munde, „daß ich einen Tag +und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich +dich am besten vor der Leibesstrafe bewahren +konnte, denn wenn ich einfach ausgesagt hätte: +‚Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,‘ dann hätte +mir keiner geglaubt. Darum hab’ ich der Madlyne +eingegeben, sie habe dich aus dem Stubenfenster +steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum +habe ich dir zehnmal vorgesprochen — alles — +auch was du zu sagen hast, wenn ich die Schwurfinger +erhebe. Denn du bist ja so dumm wie +ein Deutscher.“ +</p> + +<p> +„Und du bist so klug wie der Teufel,“ erwiderte +er. +</p> + +<p> +„Es ist gut,“ sagte sie, in die Runde schauend, +„daß uns hier niemand hören kann außer den +Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen. +Aber man weiß nie, was noch werden +kann, wenn sich einer im Zorn vergißt. Darum +frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: +Willst du dein Versprechen halten?“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von keinem Versprechen,“ stöhnte er. +</p> + +<p> +<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a> +„Natürlich weißt du von keinem Versprechen, +aber <em>ich</em> weiß, daß seit zwei Jahren die Menschen +mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein Freiwerber +mehr bei mir sehen läßt — nicht für mich +und auch nicht für die Madlyne, und seit Michaeli +treffe ich keinen, der nicht speilzahnig fragt: +‚Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas +den Knecht spielt?‘ Darum frage ich dich zum +überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken, +der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?“ +</p> + +<p> +Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer. +</p> + +<p> +„Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,“ bat er. +</p> + +<p> +„Jawohl,“ höhnte sie, „erst bis nach Fastnacht +— und dann bis zum Palmsonntag — +und dann immer so weiter. — Aber es soll gut +sein. Bis nach Fastnacht werd’ ich warten. +Schickst du dann keinen, dann weiß ich, woran +ich mit dir bin.“ +</p> + +<p> +Und es klang noch fast wie ein Schöndank, +was er da stammelte. +</p> + +<p> +Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal +um und sagte: „Die Leute erzählen sich, daß du +das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist, +hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. +Deine Seele kaufst du doch nicht los, und der +Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.“ +</p> + +<p> +Damit schritt sie von dannen. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis war von dem allen zumute, +als hätte er mit der Axt eins vor den Kopf +<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> +bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, +dann taumelte er in den Wald hinein. Aber er +schoß nichts, und er sah auch nichts. Er dachte +bloß immer das eine: „Ich bin bis heute sehr +glücklich gewesen und habe es nicht gewußt.“ +</p> + +<p> +Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das +Kind in der Nähe zu haben. Er sicherte die Flinte +und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen +konnte. +</p> + +<p> +Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag +und die leisen, kleinen Schritte nähertappten und +das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm hineinschob, +da war er wieder wie im Himmel. Er +fing so bitterlich zu weinen an, wie ein Mann +sonst nur in der Kirche tut. +</p> + +<p> +Da weinte auch das Kind und wußte doch +gar nicht, warum. Er tröstete sie, und sie streichelte +ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er +es nicht getan. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-8"> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu +keinem Handeln entschließen. Den Freiwerber +zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, +denn jedermann wußte, wie die Dinge standen. +Er mußte also den Gang schon selber +machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er +zu sich: „Also nächsten Sonntag.“ Und dabei +blieb es. +</p> + +<p> +<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> +Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn +dort hätte er ihr ja begegnen können. +</p> + +<p> +So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. +Er saß am Vormittag in seiner +Kammer und schnitzelte für Anikke an einem +Springbock. Da kam der Älteste, der Jons, eilfertig +zu ihm herein und sagte: „Es ist eine +draußen, die will dich sprechen — eine Feine.“ +</p> + +<p> +Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte +die Arbeit hin und ging. +</p> + +<p> +Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen +Kopftuch und einer seidenen Schürze die +Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte +sie an, obgleich es noch ziemlich rauh war, und +alles an ihr sah rund aus und quoll und wippte. +</p> + +<p> +Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und +fragte, ob er wohl einen kleinen Spaziergang +mit ihr machen wolle. +</p> + +<p> +„Ich will nicht, aber ich muß wohl,“ sagte er. +</p> + +<p> +Und dann gingen sie zusammen zum Walde, +dorthin, wo er vor einem Vierteljahr die Alute +getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort. +</p> + +<p> +„Du wunderst dich wohl, warum ich noch +nicht verheiratet bin,“ begann sie endlich. „Ich +kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich +will nicht.“ +</p> + +<p> +„Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,“ +erwiderte er, „und ich soll daran schuld +sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> +„Schuld magst du schon sein,“ erwiderte sie +und lächelte, „aber anders, als sie denkt. Wenn +du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit +durchfüttern müssen.“ +</p> + +<p> +„Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,“ +sagte er. +</p> + +<p> +„Nach menschlichem Willen geht es meistens +nicht,“ erwiderte sie. „Und wenn du einen guten +Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. +Meiner Mutter Schwester macht falsche Redensarten. +Es könnte sein, daß es eines Tages zu +spät ist.“ +</p> + +<p> +„Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch +sich selber an,“ warf er ein. +</p> + +<p> +„Und mich genau ebenso,“ erwiderte sie, +immer in der gleichen lächelnden Weise. „Aber +seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht +allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß +des Hegemeisters gesessen hat, als das Unglück +geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße +sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt +sie dazu. Und keiner weiß. Aber ein bedenkliches +Gesicht macht ein jeder.“ +</p> + +<p> +Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den +dieses rachsüchtige Geschwätz gehen würde. Und +sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst +so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm +und sich selber die Grube. +</p> + +<p> +„Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,“ +<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> +sagte Madlyne mit ihrem lieblichen und +verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder +Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch +Schlimmerem gar. „Denn ich war ja noch sehr +jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber +du, Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin +ich der Meinung, du läßt keinen Tag mehr verstreichen +und kommst heute nachmittag zu uns +auf den Hof. Dann wird sie schon Ruhe geben.“ +</p> + +<p> +„Wirt bei euch,“ sagte er, „kann ich nur sein +unter einer Bedingung: daß Alute gut zu dem +Kinde ist.“ +</p> + +<p> +„Das willst du mitbringen?“ fragte sie, und +in ihrem Erschrecken verschwand zum ersten Male +das Lächeln von ihrem Angesicht. +</p> + +<p> +„Das will ich mitbringen,“ erwiderte er beinahe +feierlich, „sonst komm’ ich nie und nimmermehr.“ +</p> + +<p> +Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und +sah stumm in die Höhe. Und ihre wasserhellen +Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. +Dann sagte sie: „Zurzeit ist sie freilich dem +Kinde noch bös gesinnt, denn sie meint, daß du +es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den +Willen tust und die Scham von ihr nimmst, wird +sie sich wohl mit ihm versöhnen. Außerdem bin +ich ja auch noch da, und ich hab’ Kinder sehr lieb.“ +</p> + +<p> +„Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,“ +entgegnete er finster. +</p> + +<p> +<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> +„Wann hast du schon das Farnkraut blühen +gesehen, daß du so allwissend tust?“ fragte sie +und sah ihn neckend von unten auf an. +</p> + +<p> +In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal +und das des Kindes nicht gar so drohend +mehr, und er sagte: „Ich werd’ also kommen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +So geschah’s, daß am Himmelfahrtstage +Miks Bumbullis und Alute Lampsatis im Brautwinkel +saßen und die Hochzeitsgäste in hellen +Haufen um sie her. Auf dem Tische standen +leckere Speisen in Menge, und über ihm hing +von der Decke herab die künstlich geflochtene +Krone, in der silberglänzende Vögel sich wiegten. +</p> + +<p> +Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und +Spruchbändern reichlich beschenkt worden, und +das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe geworfen +wird — denn niemand soll wissen, wieviel +ein jeder gegeben —, dieser unwillkommene +Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die +meisten ihren guten Taler nicht loswerden +konnten. +</p> + +<p> +Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, +die, was einst geschehen war, mit dem +Mantel der Nächstenliebe bedeckte. +</p> + +<p> +Die Kibelkas waren auch geladen, und +der Ehemann lag schon längst in seligem Schlaf +<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> +hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten +sie nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute +so bestimmt. Und sie erwies sich damit wieder +einmal als die klügste von allen. Denn wenn +die ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des +Hauses unter den Gästen herumbewegt hätte, +so wären Befremden und Verdacht alsbald am +Werke gewesen, den verständnislosen Klatsch noch +mehr ins Böse zu wenden. +</p> + +<p> +Als nun aber die Brautsuppe kam, deren +Branntwein Alute mit Kirschsaft und Honig üppig +gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst +unter den Frauen immer kühner aufflackerten, +da wurde auch lächelnd des armen Kindes gedacht, +das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen +war. +</p> + +<p> +„Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was +Lebendiges mit in die Ehe,“ sagte eine der Nachbarinnen. +„Hier tut es der Bräutigam, obwohl +er noch Junggesell’ ist.“ +</p> + +<p> +Und eine andere sagte: „Ihr braucht euch gar +nicht erst selbst zu bemühen. Euch fliegen die +Kinder nur so vom Himmel.“ +</p> + +<p> +Und eine dritte: „Kauft’s den Kibelkas ab. +Für eine Buddel Schnaps gibt er euch auch die +drei eigenen dazu.“ +</p> + +<p> +Alute, die heute das rotblonde Haar würdig +unter dem Frauentuch versteckt hielt und auf deren +Wiste eine goldene Brosche strahlte, so groß +<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> +wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles +mit nachsichtigem Lächeln an und sagte dann +gleichsam überlegend: „Ihr habt eigentlich Recht. +Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, +aber ich glaube, er wird es nicht zugeben, +weil es gar zu sonderbar aussieht.“ +</p> + +<p> +Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal +ganz harmlos und aufrichtig war. Was denn +dabei sei! Und „wenn er das Kind doch nun einmal +gern hat?“ +</p> + +<p> +Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen +zu lassen und die kleine Anikke sofort +aus Wiszellen zum Feste zu holen. +</p> + +<p> +Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller +Freude schweigend dasaß, stieg das Herz hoch, +aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch +später noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu +Dank die Stunden des Festes verkürzen. +</p> + +<p> +Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen +den Gästen herumhuschte und wegen ihrer +niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke +von den Burschen „Melinoji kielele“ — das +Bachstelzchen — gerufen wurde, war, als sie in +dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, +lauschend stehen geblieben und sagte nun mit +einem Lachen hinüber: „Wenn ihr es alle durchaus +begehrt, dann bin ich die erste, die sich den +Dank der Wirtin verdienen muß, und das werde +ich morgen auch tun.“ +</p> + +<p> +<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> +Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem +von Dank nicht viel zu lesen stand, aber sie war +schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich +gegen drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich +gelassen hatten, um sich mit ihr ein bißchen +herumzureißen. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel +genug auf dem Hofe und am dritten auch. +Als aber alles still geworden war und die jungen +Eheleute nicht zum Vorschein kamen, da machte +sich Madlyne auf den Weg und kam zwei Stunden +später mit der kleinen Anikke wieder, die ein +neues, grüngesticktes Miederchen anhatte und +mit großen, sehnsüchtig ängstlichen Augen der +künftigen Heimat entgegensah. +</p> + +<p> +Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit +einem Bündel, in dem die Siebensachen des +Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor +in Sicht kam, mußte er Schuhchen und +Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie nicht +etwa barfuß ankam. +</p> + +<p> +Es war nun wirklich so, als ob eine kleine +Prinzessin ihren Einzug hielt. +</p> + +<p> +Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar +und aß dicke Milch mit Zucker, denn es war +Vesperzeit. +</p> + +<p> +Anikke löste sich von Madlynens Hand und +wollte auf Miks zueilen, da sah sie ein Paar +Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren +<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> +machte; sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts +oder zurück. +</p> + +<p> +Aber da kam auch schon die lustige Madlyne +ihr nach und sagte: „Warum hast du Angst vor +deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat +versprochen, sie tut dir nichts.“ +</p> + +<p> +Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie +ihn in der Schule gelernt hatte, und wartete auf +ein Willkommen. +</p> + +<p> +Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute +noch darauf warten. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine +Anikke es schlecht gehabt hätte, der würde sehr +im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu +kluge Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch +ein sichtbares Hervorkehren ihrer Abneigung dem +Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt +teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein +verderben mußte. Sie tat darum so, als ob sie +das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, +und ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit +durch doppelte Liebesdienste von ihm bezahlen. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt +und ein treuer Verwalter. Er arbeitete von +früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln +gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, +<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> +und als die Roggenaust begann, wurde beim +Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen +war eine große Veränderung vor sich gegangen. +Er trieb sich nicht mehr in den Krügen herum +und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach +Hause. Auch das Wilddieben hatte er aufgegeben, +und wenn die Versuchung an ihn herantrat, +nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, +seine Frau wünsche es nicht. +</p> + +<p> +Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, +was der Alute einst an ihm gefallen hatte, war +sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen. +Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten +und Forschesten von allen zu eigen zu haben, +und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend +ein Kopfhänger neben ihr herging. +</p> + +<p> +Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, +blieb ihr freilich verborgen, denn das geschah nur, +wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte +er mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als +zweie nicht nötig sind, und ersann sich täglich +neue dazu. +</p> + +<p> +Da war eines, das hieß „die Katzenfalle“. +Dabei muß einer durch die hohlen Arme des +anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich +für ihre Kinderärmchen viel zu dick war, so gab +das des Lachens kein Ende. Und ein anderes +„die Windmühle“. Wenn man die darstellen +will, muß man sich zwei Hopfenstangen kreuzweis +<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> +am Leibe festbinden lassen und sich nun +ganz rasch um sich selber drehen. Kann der +andere eine der Stangen ergreifen und so die +Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er gewonnen. +</p> + +<p> +So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die +Dämmerung hinein, aber beileibe nicht auf +dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr +Lachen nirgends zu hören war. Denn sie hatten +immer ein Gefühl, als sei dies nicht wohlgelitten. +</p> + +<p> +Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, +die durfte sogar die dritte im Bunde sein. Und +dann ging es erst recht hoch her. +</p> + +<p> +Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens +wo anders heftig beschäftigt. Denn hinter +dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit +und breit, und immer war ein Gejacher um sie +herum und ein Gegluckse, das nahm kein Ende. +</p> + +<p> +Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte +und der Freiwerber die Stube betrat, dann +konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß +er noch den Kirschschnaps austrank, so sehr +lachte Madlyne. Hinterher machte Alute ihr stets +die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht +im mindesten daran. +</p> + +<p> +„Was willst du von mir?“ sagte sie. „Arbeite +ich nicht ebenso fleißig wie eine Magd? Und +weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft +steckt, so arbeite ich auch für mich selber.“ +</p> + +<p> +<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a> +Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war +alles die Wahrheit. +</p> + +<p> +Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in +der Klete geschlafen, denn sie meinte, die jungen +Eheleute möchten im Hause am liebsten allein +sein. Aber weil die Burschen ihr dort bis in den +Morgen keine Ruhe ließen und der Hofhund +aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte +sie wieder in die Kammer jenseits des Hausflurs +über. Und Miks war neidisch auf sie, denn +in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem +nahm er an, daß die Burschen ihr selbst hierhin +folgten, und er wollte nicht, daß Anikke erwachte, +wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch +hatte er freilich keinen ertappt, aber wie sollte +es anders sein. +</p> + +<p> +Und so verliebter Natur war Madlyne, daß +sie es nicht unterlassen konnte, selbst ihm von +ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu geben. +Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. +Wie ihr ganzes Wesen, so war auch dies von +einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so daß +man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man +nicht darauf eingehen wollte. +</p> + +<p> +Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach +eine einzige große Liebkosung, die um +so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie +ernst zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit +der sie sich an ihn heranschmeichelte, machte +<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> +jeden Gedanken an künftige Buhlschaft zuschanden. +</p> + +<p> +Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, +hörte er sie eine Daina singen, die lautete umgedeutscht +etwa so: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Liegt mir ein Lämmlein</p> + <p class="verse">Im reißenden Strome,</p> + <p class="verse">Frag’ ich nicht lange,</p> + <p class="verse">Ob ich’s errette,</p> + <p class="verse">Nein doch, ich springe ihm nach.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Liegt der Geliebte</p> + <p class="verse">Im Arme der Muhme,</p> + <p class="verse">Frag’ ich mich täglich,</p> + <p class="verse">Ob ihn erretten,</p> + <p class="verse">Und ich weiß doch nicht wie.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Gönn’ ich den Lieben</p> + <p class="verse">Der bösen Muhme,</p> + <p class="verse">Die ihm mit Tränkchen,</p> + <p class="verse">Aus Giftkraut bereitet,</p> + <p class="verse">Zankend den Schlummer verdirbt?</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Oder ich sage:</p> + <p class="verse">„Komm, lieber Schwager,</p> + <p class="verse">In meiner Kammer</p> + <p class="verse">Steht eine Bettstatt</p> + <p class="verse">— Ach, so schmal ist das Bett! —</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Aber zur Mauer,</p> + <p class="verse">Der eiskalten Mauer,</p> + <p class="verse">Rück’ ich geschwinde,</p> + <p class="verse">Daß du es warm hast</p> + <p class="verse">Und mich im Arm hast und schläfst.“</p> + </div> + <div class="stanza"> +<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a> + <p class="verse">Soll ich’s ihm sagen,</p> + <p class="verse">Oder verschweig’ ich’s,</p> + <p class="verse">Bis einst der Kummer</p> + <p class="verse">Vom Lager der Muhme</p> + <p class="verse">Nach dem Strome ihn treibt?</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und hätt’ ich tausend</p> + <p class="verse">Der Lämmlein errettet,</p> + <p class="verse">Ihn, den ich liebe,</p> + <p class="verse">Ließ ich verderben,</p> + <p class="verse">Und ich sprang ihm nicht nach.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn +er wollte sie nicht wissen lassen, daß sie von ihm +belauscht worden war. Und als er sie wiedersah +und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, +konnte er es nicht fassen, daß sie ein so finsteres +und hitziges Lied gesungen hatte. +</p> + +<p> +Und ein anderes Mal, als sie die kleine +Anikke auf dem Schoße hielt, sang sie folgendes: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,</p> + <p class="verse">Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Ich schenkte dir Betten von Seide so weich</p> + <p class="verse">Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Auch einen Liebsten schenkt’ ich dir wohl,</p> + <p class="verse">Der dich zur Kirche hinführen soll.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?</p> + <p class="verse">Ich lieg’ alleine und bang’ mich und frier’,</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,</p> + <p class="verse">Der siehet mich nicht und höret mich nicht.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Wenn der mich wollte und ließe von ihr,</p> + <p class="verse">Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> +Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob +er sie nicht einmal in die Arme nehmen sollte. +Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an +all die jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft +hatten, erschien es ihm nicht gut genug, ein +„Kuszbendris“ — ein Weibsteilhaber — zu sein; +auch mochte er um des Kindes willen das Haus +nicht mit Verdacht und Unfrieden erfüllen. +</p> + +<p> +Aber der Unfriede kam auch ohne dies. +</p> + +<p> +Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit +dem Kinde von der anderen Seite des Hauses +her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren +Zwischentür kein Schloß und keine Klinke hatte +und darum immer ein wenig offen stand. +</p> + +<p> +Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau +zu liegen, und machte allerlei Ausflüchte, um +sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da +ihm nichts Besseres einfiel, fing er das Leben +wieder an, das er einst geführt hatte, als +das große Unglück noch nicht geschehen war. +Denn nur so konnte er die Nacht zum Tage +machen. +</p> + +<p> +Er suchte die Krüge auf, von wo aus im +Schutze der Dunkelheit der Schmuggel über die +Grenze ging, und da es nicht immer was zu +tragen gab, nahm er auf alle Fälle die Flinte +mit, um das Frühmorgenlicht für einen Rehbock +auszunutzen. +</p> + +<p> +So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder +<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> +in schlechten Ruf kam, und Alute, die deswegen +gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und +ihn noch kurz vorher einen „Schwanzeinkneifer“ +genannt hatte, schalt ihn nun heftig aus, weil +ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle +würde. +</p> + +<p> +Aber er kehrte sich nicht daran. +</p> + +<p> +Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und +sagte: „Es tut nicht gut, Miks, daß du so oft +unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause +halten.“ +</p> + +<p> +„Aus welchem Grunde wünschst du mir das?“ +fragte er. +</p> + +<p> +„Sieh dir das Kind an,“ erwiderte sie und +wandte sich ab. +</p> + +<p> +Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich +genommen, daß es der kleinen Anikke +gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die +Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte +seine Frau noch nie etwas Feindseliges gegen sie +unternommen. Höchstens daß sie sie nicht beachtete. +</p> + +<p> +Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, +fiel ihm auf, daß es ungerufen nicht mehr an +ihn herankam, sondern sich zaghaft in den Winkeln +herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich +aus und hatte doch während des Sommers geblüht +wie ein Tausendschönchen. +</p> + +<p> +Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, +<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> +aber es wollte nicht mit der Sprache heraus. +Nur weinen tat es bitterlich. +</p> + +<p> +Da legte er sich eines Abends auf die Lauer +und mußte erleben, daß Alute das Kind mit +einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen +Schnallen steckten. +</p> + +<p> +Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß +der Armen Kleider und Hemde herunter und +fand das Körperchen von oben bis unten mit +Striemen und blauen Flecken bedeckt. +</p> + +<p> +Da hob er den Zaum auf, den das wütende +Weib von sich geworfen hatte, und prügelte es +so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. +Auch gegen Madlyne wandte er sich in seinem +Zorn, und von nun an saß der Teufel im Hause. +</p> + +<p> +Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte +er oft, wenn der Kummer ihn zur Nacht aus +dem Hause trieb. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +So geschah es eines Novembermorgens kurz +vor dem roten Sonnenaufgang, als er durchfroren +im jungen Schnee saß und gerade auf +einen schönen Bock anlegen wollte, daß er rückschauend +eine Flintenmündung auf sich gerichtet +sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den +er wohl kannte. +</p> + +<p> +Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, +aber er wußte: es war zu spät. Darum stand +<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> +er ganz gemächlich auf und sagte: „Na, wieviel +Jahr’ wird es kosten?“ +</p> + +<p> +„Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet +hast, Miks,“ erwiderte der stämmige Förster, +der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war, +und er fügte hinzu: „Die Flinte laß liegen. +Die hol’ ich mir später. Sonst könnte es passieren, +daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst +und meine dazu.“ +</p> + +<p> +„Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute +es machen,“ lachte Miks und schlug, ohne erst viel +zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er +ja doch abgeliefert werden mußte. Der Förster +ging zehn Schritt weit hinterdrein und hielt die +Flinte schußbereit. +</p> + +<p> +„Dreh dich lieber nicht um,“ sagte er ganz +freundlich, als Miks das Gespräch fortsetzen +wollte, „sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im +Genick.“ +</p> + +<p> +Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über +das Geschehene nachzudenken. Daß er von der +Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber +dann plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis +in die Kniekehlen hinein. Das Kind! Was wird +nun aus dem Kinde? +</p> + +<p> +„Ich Dummerjan,“ dachte er, „schon wegen +des Kindes allein hätt’ ich es nicht dürfen.“ +</p> + +<p> +Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, +wie er von der Untersuchungshaft aus die kleine +<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> +Anikke in andre Pflegschaft bringen könnte. +Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit +der Behörden auf das Kind zurücklenkte +und in den Verhören irgend ein Widerspruch +laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, +das Alute damals aufgebaut hatte, davon +zusammenfallen wie eine Haferhocke. +</p> + +<p> +Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb +mitleidig, halb schadenfroh den Zug begleiteten. +Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat +sich der Förster. So gingen sie in halblauten +Gesprächen neben dem Miks daher, und weil sie +wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand, +erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch +den Mord auf dem Gewissen habe. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis hörte das alles. Es war +ein rechter Leidensweg. +</p> + +<p> +Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem +Schritte, und als er vor dem Hause des Gendarmen +ankam, hatte er ein Gefolge wie ein +König. — — +</p> + +<p> +Miks bestritt natürlich alles. Von dem +Bock wisse er nichts. Er habe nur ein paar +Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich +ein großes Verbrechen sein. +</p> + +<p> +Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden +zu machen, fragte der Richter. +</p> + +<p> +O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja +bei dem Kinde bleiben. +</p> + +<p> +<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> +In der Hauptverhandlung kam er mit seinem +Weibe und Madlyne wieder zusammen. +Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, +das Kind möchte nicht geladen sein, denn es war +nun schon groß genug, um zu verstehen, welche +Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich +nicht da war, tat ihm das Herz weh. Er hätte +es so gern einmal wiedergesehen. +</p> + +<p> +Madlyne gab sich lange nicht so adrett und +fixniedlich wie dazumal, und ihre Augen waren +klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen +auch diesmal wie aus der Pistole geschossen. +</p> + +<p> +Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in +Gebrauch genommen. Ja richtig! Einmal habe +er eine Eule geschossen. Das war alles. +</p> + +<p> +Alute schien ihm die schlechte Behandlung +längst wieder vergessen zu haben. Nie sei er +zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, +nie habe er die Flinte vom Nagel geholt, +nie habe er ein Stück Wild oder das Geld dafür +von seinen Wegen nach Hause gebracht. +</p> + +<p> +Schade, daß die Frauensleute nicht schwören +durften! +</p> + +<p> +Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von +ihrem Eidesrechte Gebrauch zu machen, aber +der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, +ebenso wie bei Madlyne, die ihm als Hehlerin +verdächtig schien, und so blieben beider Aussagen +wirkungslos. +</p> + +<p> +<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> +Doch auch die andern, die vereidigt wurden, +hielten sich wacker. Selbst diejenigen, die ihn +so und so viele Male wegen seiner Schießereien +geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je +davon gehört, geschweige denn eine Flinte an +ihm gesehen zu haben. +</p> + +<p> +Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung +richtete sich drohend hinter ihm auf, und +der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln +über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt +mit argwöhnischer Anspielung darauf Bezug +nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse +verborgen lagen, die nur eines rächenden +Anlasses bedurften, um gegen ihn loszubrechen. +</p> + +<p> +Als der Richterspruch verkündet wurde, der +ihm drei Jahre Gefängnis zuerkannte, erhob sich +Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem +Auge zu begegnen, langsam von der Zeugenbank +und nickte, den Kopf feierlich wiegend, eine +ganze Weile lang zu ihm herüber. +</p> + +<p> +Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er +dran dachte. +</p> + +<p> +Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, +bevor er in die Strafanstalt überführt wurde, +die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, daß +dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke +noch einmal zu sehen. +</p> + +<p> +Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn +als die Zellentür sich öffnete und hinter der +<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a> +Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das +Kind an der Hand. +</p> + +<p> +Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, +sonst wäre er vor dem Kinde niedergekniet +und hätte geweint und geweint. +</p> + +<p> +Nun aber sagte er bloß: „Da seid ihr ja +alle,“ und begrüßte sie freundlich der Reihe +nach. +</p> + +<p> +Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz +trug und auch sonst sehr unternehmend aussah, +sagte zu ihm: „Ich könnte mich jetzt von dir +scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. +Nein, das werde ich nicht tun.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Tu, was du für recht hältst. +Wenn du nur gut zu dem Kinde sein willst.“ +</p> + +<p> +„Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,“ erwiderte +sie, „aber da hast du alles verdorben.“ +</p> + +<p> +Er demütigte sich vor ihr und sagte: „Ich +werde meine Fehler bereuen und ablegen, wenn +du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde +sein willst.“ +</p> + +<p> +Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: +„Ich verspreche es.“ Dann reichte sie +ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, +er möge sie hinauslassen. +</p> + +<p> +Der Aufseher tat es und wollte auch die +andern auffordern fortzugehen, da bemerkte er, +daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und +weinte und weinte. Und weil er ein guter und +<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> +aufrichtiger Mann war, so schloß er die Tür noch +einmal und ließ ihn gewähren. +</p> + +<p> +Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: +„Erbarm dich des Kindes!“ +</p> + +<p> +Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: +„Ich schwöre dir, daß ich auf das Kind achtgeben +werde.“ +</p> + +<p> +„Und wenn du heiratest und weggehst, — +schwöre mir, daß du das Kind mitnehmen wirst.“ +</p> + +<p> +Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und +sagte: „Ich werde nicht heiraten.“ +</p> + +<p> +Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das +Kind und küßte auch Madlyne. +</p> + +<p> +Und dann war die Besuchszeit um. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis +die Nachricht, daß das Kind gestorben war. +</p> + +<p> +Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon +einige Male im Traume erschienen. +</p> + +<p> +Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück +Mitteilung machte, lautete so: +</p> + +<p> +„Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die +kleine Anikke ein seliges Hinscheiden erlitten hat. +Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es unsre +Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht +zu vertreiben, habe ich Madlyne zu einer weisen +Frau geschickt, die sie nach den Regeln besprochen +<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> +hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht +und ihr den Saft mit getrockneten Quitschen +zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts versäumt +worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet +wie meinem eigenen Kinde. Die Festlichkeiten +haben zwei Tage gedauert, und es sind dabei +drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein +ausgetrunken worden. Nicht zu rechnen, +was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen +Sarg habe ich ihr machen lassen, in dem sie +sich ordentlich ausstrecken kann. Auch ist sie in +ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. +Du siehst also, daß ich mein Versprechen gehalten +habe, und wenn du die Madlyne fragen +wirst, so kann sie es nicht anders sagen.“ +</p> + +<p> +Von nun an erschien die kleine Anikke dem +Miks Bumbullis in jeder Nacht. Er brauchte +nur die Augen zuzumachen, und sie war da. +Und in vielerlei Gestalt erschien sie ihm — manchmal +im Sarge liegend, manchmal als eine +Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal +als ein Engelchen mit gläsernen Flügeln, +manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit +einem Strick um den Hals. Und immer wieder +in neuen Gestalten. +</p> + +<p> +Als ein großes Glück empfand er es, daß +Alute nun doch gut zu dem Kinde gewesen war. +Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn +wenn sie das Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, +<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> +würde sie die Tote so heimlich wie möglich eingescharrt +haben. Aber vor allem war ja Madlyne +dagewesen, auf die er sich ganz verlassen konnte. +</p> + +<p> +Und doch mußte etwas versäumt worden +sein, sonst würde die kleine Anikke Ruhe im Grabe +gehabt haben und ihm nicht immer von neuem +erschienen sein. +</p> + +<p> +Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages +der Anstaltsarzt zu ihm trat und ihn fragte, +was ihm eigentlich fehle. +</p> + +<p> +„Was soll mir fehlen?“ erwiderte Miks. „Ich +habe satt zu essen, und keiner ist schlecht zu mir.“ +</p> + +<p> +Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. +Miks tat es, aber der Arzt fand eine Krankheit +nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer +zugestoßen sei, fragte er dann. +</p> + +<p> +„Ich habe ein Kind verloren,“ antwortete +Miks. Aber von den Erscheinungen sagte er +nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich +immer in acht nehmen. +</p> + +<p> +Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, +derselbe, der am Sonntag gewöhnlich predigte. +</p> + +<p> +Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten +an, aber er hatte sich nicht einmal die Mühe genommen, +die Akten durchzusehen, sonst würde +er gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind +gar nicht besaß. +</p> + +<p> +Miks beließ ihn in seinem Irrtum und +küßte ihm die Hand, um ihn glauben zu machen, +<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> +daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so +weit, daß er sich schon den ganzen Tag über auf +die Erscheinung freute. Aber dann machte er +sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, +denn wenn es der Anikke im Grabe an gar nichts +fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen sein. +Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man +hatte ihr etwas Erstickendes auf den Mund gelegt. +Vielleicht gar auch war die Giltinne — die Todesgöttin +— nicht versöhnt worden, wie es nach +dem Glauben Vieler geschehen muß, so daß sie +aus Rache die arme Tote allnächtlich aus ihrem +Frieden scheuchte. +</p> + +<p> +Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber +er schämte sich vor den Deutschen, die den Brief +durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn +lachen würden. +</p> + +<p> +Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor +ihn eines Tages rufen ließ und ihm +eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig +erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, +brauche er sie auch später nicht mehr abzusitzen. +</p> + +<p> +Er dachte: „Da kann ich nun selber nach dem +Grabe sehen,“ und machte sich auf den Heimweg. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und +alle arbeiteten auf den Feldern. Kaum einer +<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> +sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet +bis nach Haus. +</p> + +<p> +Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, +und er streichelte ihn, denn das Kind hatte ihn +lieb gehabt. +</p> + +<p> +Das Haus war leer und alles offen. Ihn +hungerte, aber er wagte nicht, sich ein Stück +Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf +seinem eigenen Besitz. Er sah sich erst in der +Kleinen Stube um, wo das Bettchen zuletzt gestanden +hatte. Aber nichts mehr war davon +zu bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der +Welt. Aber dann fand er auf Madlynens Brett +ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit +Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie +ihr einmal gemacht hatte. +</p> + +<p> +Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre +er auf den Kirchhof gegangen. Und so setzte er +sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, dort, +wo die Sonne schien, und wartete. Dabei +schlief er ein und wachte erst auf, als die Stimmen +der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden. +</p> + +<p> +Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. +Sie richtete sich hoch auf und schritt in ihren +Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu, +während sie ihm ganz starr in die Augen sah. +Sie freute sich nicht, aber sie hatte auch keine +Furcht. +</p> + +<p> +„Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,“ +<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> +sagte sie, ihm die Hand reichend, „der Wirt ist +gerade sehr nötig im Hause.“ +</p> + +<p> +„Ich werde schon arbeiten,“ entgegnete er. +</p> + +<p> +Dann ging sie, das Abendbrot machen. +</p> + +<p> +Madlyne war hinter ihr gekommen. Er +bemerkte, daß sie ganz schmal geworden war +und daß um ihren Mund herum allerhand kleine +Falten standen. +</p> + +<p> +Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann +rasch fort. +</p> + +<p> +Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, +mit dem die Alute sicher nichts vorgehabt hatte — +„drum werd’ ich ihn ruhig behalten können,“ dachte +er —, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil +sie nicht wußte, was sie aus ihm machen sollte. +</p> + +<p> +Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen +Hahn geschlachtet. „Damit alle erfahren, daß +der Herr wieder da ist,“ sagte sie. +</p> + +<p> +Sie war nun ganz freundlich und sah ihn +immer von unten auf an, wie eine Bittende. +</p> + +<p> +Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber +das Fleisch auf dem Rande liegen. +</p> + +<p> +„Warum ißt du nicht?“ fragte die Madlyne, +der immer die Augen voll Wasser standen. +</p> + +<p> +„Ich will’s mir bis nachher verwahren,“ erwiderte +er, „denn ich hab’ so was Gutes lang’ +nicht gehabt.“ +</p> + +<p> +Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte +es aber nicht an. +</p> + +<p> +<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> +Nach dem Essen trug er beides in die Kammer +hinüber, wo er sich still hinsetzte, bis es dunkel +wurde. Dann holte er sich einen Topf von der +Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und +Trinken hinein und verbarg es unter seinem Rocke. +</p> + +<p> +„Ich will nur noch einen kleinen Gang +machen,“ sagte er, und die beiden Frauen fragten +ihn nicht, wohin. +</p> + +<p> +Das kleine Grab hatte er bald gefunden. +Ein neues Holzkreuz stand zu Kopfenden mit +einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich +Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen +an den schrägen Enden. Die hatte sicherlich +die Madlyne angebracht als Spielzeug für die +Tote in der langen Ewigkeit. +</p> + +<p> +Er wühlte in dem Sande des Grabhügels +eine kleine Kaule aus und stellte Topf und +Flasche hinein. Dann glättete er den Sand +wieder, so daß nicht das mindeste zu bemerken +war. +</p> + +<p> +Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung +für den Geist der Toten gut ist, andere +aber — und die sind wohl in der Wahrheit — +meinen, daß die böse Giltinne damit besänftigt +wird, so daß sie der abgeschiedenen Seele +die Ruhe nicht fortnimmt. +</p> + +<p> +Und dann saß er noch eine Weile und dachte +bei sich: „Hier ist gut sein.“ Und ihm war, als +sei er erst jetzt in die Heimat gekommen. +</p> + +<p> +<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> +Als er wieder im Hause war und alle sich +zum Schlafengehen bereiteten, sann er darüber +nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte +genau, daß, wenn er sich absonderte, der Hader +von neuem losgehen würde. Darum kroch er +in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie +weggewesen. +</p> + +<p> +Nun fing sie auch aus freien Stücken von +dem Kinde zu reden an. Gegen Gottes allmächtigen +Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; +man müsse zufrieden sein, wenn man sich nichts +vorzuwerfen habe. +</p> + +<p> +Und sie weinte. +</p> + +<p> +Er sagte nur: „Erzähle mir nichts.“ Denn +er wußte, daß er es nicht ertragen würde. +</p> + +<p> +In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes +ihm nicht. Er freute sich, daß er mit der Gabe +an die Giltinne das Rechte getroffen hatte. +</p> + +<p> +Als er am nächsten Morgen den Spaten +schulterte, um mit den andern in die Kartoffeln +zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: „Ruh dich +erst aus, du bist noch zu schwach.“ +</p> + +<p> +Und er wunderte sich, daß sie so wenig von +seinen Kräften hielt. +</p> + +<p> +Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, +mußte er sich setzen, denn der Atem fing an, ihm +zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die +Mutter ihr krankes Kind. — — — +</p> + +<p> +Auch die Alute war von nun an immer gut +<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> +zu ihm. Sie brachte ihm Paradieskörner in +Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte: +„Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt +für gute Tage haben!“ +</p> + +<p> +Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, +und er begann schon, der Giltinne +mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken. +</p> + +<p> +Und so vertraut war er inzwischen mit der +Alute geworden, daß er sich eines Abends ein +Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen +sprach. Auch von dem Mittel, das sich dagegen +bewährt hatte. +</p> + +<p> +Sie lachte und sagte: „Wenn das so leicht ist, +will ich dir Hähne schlachten, so viel du willst.“ +</p> + +<p> +Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und +er fragte sich manches Mal, warum er sich früher +eigentlich vor ihr gefürchtet hatte. +</p> + +<p> +Auch von der Krankheit des Kindes wollte +er jetzt Näheres wissen. Nicht daß sein Kummer +geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, +nur hielt er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie +würde die richtige Teilnahme haben. +</p> + +<p> +Aber Alute erwiderte: „Du Armer würdest +es auch heute noch nicht ertragen, drum warte +noch eine kleine Weile.“ Und so sagte sie immer +aufs neue. +</p> + +<p> +Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne +zu fragen. Aber die Madlyne war jetzt wie +umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, +<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a> +wo sie nur konnte, sprach bei Tisch kein Wort +und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz. +</p> + +<p> +Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte +sie: „Die Madlyne muß aus dem Hause, und +schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich +ihr aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack +und Kasten vors Hoftor.“ +</p> + +<p> +Er erschrak, daß er an einem so bösen +Ende die Schuld tragen sollte, und beschloß, +das Seine zu tun, um alles zum bessern zu +wenden. +</p> + +<p> +Darum ging er der Madlyne eines Morgens +zum Melken nach und sagte: „Du mußt nicht +denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des +Kindes etwas nachtrage.“ +</p> + +<p> +Sie stand von der Hocke auf und sagte: +„Aber ich trage es mir nach.“ +</p> + +<p> +Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, +daß gegen Gottes allmächtigen Willen +Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse +zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen +habe. +</p> + +<p> +Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine +Schultern, sah ihn lange mit den bohrenden +Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte +dann: „Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann +werd’ ich dir etwas erzählen, was zu wissen dir +nottut.“ +</p> + +<p> +Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: +<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> +„Mir ist nach lockeren Streichen nicht zumut. +Erzähl es mir auch so.“ +</p> + +<p> +„Nein,“ sagte sie, „anders tu’ ich es nicht.“ +</p> + +<p> +„Ich werd’ es mir überlegen,“ antwortete +er und ging aus dem Stalle. +</p> + +<p> +In derselben Nacht kam die Erscheinung +wieder. Sie war in ihrem Hemdchen, hatte +auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug +einen Stengel in der Hand, aber das war ein +Schierlingstengel. +</p> + +<p> +Er sagte der Alute nichts davon. Und als +der Abend kam, sparte er wieder sein Essen auf, +holte sich heimlich einen Topf und trug es darin +zum Kirchhof hinaus. +</p> + +<p> +Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt +geschehen, aber hinter dem Hofzaun stand Alute +und sah ihm nach. +</p> + +<p> +Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht +zufrieden, denn das Kind erschien ihm auch in +der nächsten Nacht. +</p> + +<p> +„Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,“ +dachte er, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt +ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn schlachte. +</p> + +<p> +Die Erscheinung kam immer wieder, und die +Unruhe verließ ihn nicht mehr. +</p> + +<p> +Da faßte er sich ein Herz, und während die +Frau noch auf dem Felde war, ging er der Madlyne +nach in die Kammer. Als sie ihn kommen +sah, stieß sie einen Seufzer aus und faltete die +<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a> +Hände wie eine, die sich bereit macht, selig zu +sterben. +</p> + +<p> +So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an +seiner Schulter lag, da kam es ihm zur Klarheit, daß +er immer und immer nur nach ihr verlangt hatte. +</p> + +<p> +Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm +beide Hände. +</p> + +<p> +Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr +Versprechen erfüllen solle. +</p> + +<p> +Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: +„Verlange es nicht! Verlange es nicht!“ +</p> + +<p> +Aber er verlangte es immer wieder. +</p> + +<p> +Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, +und erzählte ihm, auf welche Art Alute das +Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und +nimmer zu überführen sein. +</p> + +<p> +In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens +Halse, um sie zu erwürgen, weil sie die +Tat nicht verhindert hatte. +</p> + +<p> +Sie sagte: „Drück nur zu! Drück nur zu! +Oben am Hühnerbalken kannst du die Schlinge +sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und +wärst du nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es +auch getan.“ +</p> + +<p> +Da sprang er aus dem Bette und lief nach +dem Schleifstein. — — — +</p> + +<p> +Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah +sie einen Menschen auf sich zustürmen, der halb +angezogen war und eine Axt schwang. +</p> + +<p> +<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> +Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte +sie sofort, was geschehen war und daß es ihr +nun ans Leben ging. +</p> + +<p> +Sie rannte schreiend nach der Richtung des +Dorfes hin, und er mit der erhobenen Axt hinter +ihr drein. +</p> + +<p> +Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten +Höfe einzubiegen, denn sie wußte, daß +kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern +würde, die Tat zu begehen. +</p> + +<p> +So lief sie weiter, und der Raum zwischen +ihr und ihm verkürzte sich immer mehr. +</p> + +<p> +Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen +und erkannte gleich, daß sie sich für heute +und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles +gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand +nachweisen, und der Meineid war bald gebüßt. +</p> + +<p> +Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, +da ließ er von ihr ab, denn des Wachtmeisters +Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in +seinen Fußtapfen um, und die Leute, die ihm +gefolgt waren, gingen in großem Bogen um +ihn herum. +</p> + +<p> +Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei +seiner Heimkehr gefunden hatte. Auch nach +Madlyne rief er umsonst. +</p> + +<p> +Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld +in die Tasche, holte ein altes Gewehr hinter den +Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit +<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> +dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche +von Graben zu Graben. +</p> + +<p> +Als es finster geworden war, floh er über +die Grenze. Rußland ist groß. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-3-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Der Gendarm erstattete die Anzeige. +</p> + +<p> +Die Herren vom Gericht nahmen sich der +Sache mit großem Eifer an. Ein Steckbrief +wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen +hüben und drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen +angebahnt, damit, wenn +man ihn faßte, kein Aufschub entstand. +</p> + +<p> +Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch +immer frei herumlief, lachte zu alledem und sagte: +„Was gebt ihr euch für Müh’! Das Kind wird +ihn schon holen gehn.“ Sie hütete sich wohl, in +ihrem Hause zu bleiben, und selbst für kurze +Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn +sie fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde. +</p> + +<p> +Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen +und ein paar Männern, die dazu aufgeboten +waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. +Die Männer wechselten ab, denn keiner +konnte für die Dauer die Nachtwachen vertragen. +Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage +streifte sie herum wie ein wildernder Jagdhund. +Wo und wann sie schlief, wußte keiner. +</p> + +<p> +<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> +Wenn einer von den fremden Gendarmen, +die den hiesigen jede zweite Nacht ablösen kamen, +gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: +„Ich denke, wir stellen die vergebliche Arbeit ein, +denn er müßte schön dumm sein, uns freiwillig +in die Arme zu laufen,“ dann wehklagte sie und +flehte mit erhobenen Armen: „Erbarmen, Pons +Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird ihn +schon holen gehn, — wird ihn schon holen gehn.“ +</p> + +<p> +Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher +Zeit und gar nicht weit vom Kirchhof Madlyne +im Graben lag — dicht an dem Wege, der von der +Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich +heimlich in dem Hause eines früheren Bewerbers +auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn +nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn +es dunkel wurde, schlich sie sich hinaus auf Wache +für den Fall, daß er vorbeikommen sollte. +</p> + +<p> +Manchmal war es noch kalt, und manchmal +regnete es, aber sie fror nicht und ließ sich ruhig +durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen +fiel ihr schwer. Darum legte sie sich +gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf den Kopf, +die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend +nach vorn überneigte. Und von dem +Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach. +</p> + +<p> +Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises +Stimmengeräusch oder ein Säbelklirren sich hören; +ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch +<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> +ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie +höhnisch und schüttelte die Fäuste in das Dunkel +hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr. +</p> + +<p> +Aber in einer Nacht — es mag die vierzehnte +oder fünfzehnte ihres Dienstes gewesen +sein —, da muß der Schlaf sie doch überwältigt +haben, oder aber er war nicht auf +dem Wege, sondern quer über die Felder gegangen, +denn plötzlich hörte sie auffahrend vom +Kirchhof her Knallen und Männergeschrei. Und +die Stimme Alutens mischte sich keifend darein. +</p> + +<p> +Da wußte sie: sie hatten ihn. +</p> + +<p> +Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der +plötzlich aufgeflammt war. +</p> + +<p> +Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei +Männer brachten ihn geführt, und Alute tanzte +um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte +und die Zunge ausstreckte. +</p> + +<p> +In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen +Flasche, die wohl beim Kampfe mitten +durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für +die Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch +einmal die ewige Ruhe hatte erkaufen wollen. +</p> + +<p> +Madlyne warf sich ihm in den Weg und +küßte die eisernen Ringe, in die sie seine blutigen +Hände gesteckt hatten. +</p> + +<p> +Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch +und schritt weiter — seinem Schicksal entgegen. +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-4"> +<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> +Jons und Erdme +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-4-1"> +<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben +nicht weit vom Matzicker Walde zwei +Liebesleute — der Jons Baltruschat und die +Erdme Maurus. +</p> + +<p> +Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben +will auf Erden! Selbst die Aller-, Allerärmsten, +die kaum das nackte Leben haben, möchten ein +Nest bauen. +</p> + +<p> +Der Jons ist das, was der Litauer einen +„Antrininkas“ nennt, der „Knecht eines Knechtes“. +Das sagt wohl genug. +</p> + +<p> +Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr +Glück machen wollen. Vorläufig dient sie als +Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus +nicht weit vom Bahnhof, das die Leute +in Heydekrug meistens das „Hotel Lausequetsch“ +nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten +Zeit hat es sich sehr gehoben. Sogar die +besseren Viehverlader verkehren bisweilen darin. +</p> + +<p> +Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat +seine blanken Kirchgangsstiefel an und die +schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. +<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> +Und die Erdme — die ist nun gar eine Feine! +Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! Sie hat +ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft +und eine halbseidene Bluse an, die hinten +zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die Kellnerin +geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen +hinderlich war. +</p> + +<p> +Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber +das ist auch alles. Eltern mit Haus und Hof +haben sie nicht. Überhaupt — wo sie herstammen, +davon reden sie lieber gar nicht. +</p> + +<p> +Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um +acht kommen die Handwerksburschen, die bringen +Feiertagsfladen von der Walze mit und wollen +reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr +üppig zu. In der Küche werden jetzt sogar Ölsardinen +gehalten, und das Öl darf man hinterher +austrinken. +</p> + +<p> +Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. +Wie wird eine Frau, die an so vornehme Lebensart +gewöhnt ist, später neben ihm aushalten +wollen? +</p> + +<p> +Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was +hat das alles zu sagen gegen einen eigenen +Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das +Leben doch erst eigentlich an. +</p> + +<p> +Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl — +aber wie? Die Vögel, die ringsum Halme suchen, +die haben’s leicht. Denen liegt der Baustoff +<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> +frei auf der Straße, und für ihren Nestplatz +brauchen sie auch nichts zu zahlen. +</p> + +<p> +Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet +ihm Mut zu. Und so ganz ohne Vermögen sind +sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch +ihre Beutelchen vor und breiten die Schätze +neben sich aus, geben aber sorgfältig acht, daß +beide nicht untereinander geraten. Denn das +kann erst nach der Trauung geschehen, wenn die +Gütergemeinschaft erklärt ist. +</p> + +<p> +Das Häufchen der Erdme ist viel größer +als seines, so groß, daß er beinahe argwöhnisch +wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig +Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen. +</p> + +<p> +Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie +kann doch Auskunft geben. Das goldne Zwanzigmarkstück, +das den Hauptstock bildet, hat ihr +einmal ein Betrunkener geschenkt, der hernach +verhaftet wurde. Doch das macht ja nichts, +wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und +auch das übrige ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, +wie sie Bräutigams nicht gerne sehen, +sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die +höchstens einmal in die Küche kommen, um ein +ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es sich kneifen +läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler +durchaus an Kindesstatt annehmen wollen und +sich erst nach vielem Zureden damit begnügt, +<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> +ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr +hat er gerade nicht bei sich gehabt. +</p> + +<p> +Das alles ist also in guter Ordnung, aber +die lumpigen fünfundzwanzig Mark, die er sich +in zwei Jahren — und mit was für Opfern! — +von seinem Lohne erspart hat, können sich daneben +nicht sehen lassen. +</p> + +<p> +„Ach was,“ sagt die Erdme, „zusammen sind +das einundneunzig. Und für hundert kann man +sich schon ein Haus bauen.“ +</p> + +<p> +„Ja wo?“ fragt er. „Etwa im Monde?“ +</p> + +<p> +„Durchaus nicht im Monde, sondern sogar +ganz nah’ von hier. Auf der anderen Seite von +Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor +die Kolonie Bismarck liegt.“ +</p> + +<p> +„Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe +und die Mörder hausen,“ meint er, denn in gutem +Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck. +</p> + +<p> +Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es +Diebe und Mörder überall, und zweitens kommt +es zunächst darauf an, daß man ein Haus über +dem Kopfe hat. Dort ist man sozusagen beim +preußischen Staat zu Gaste, der Grund und +Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn +kann sich keiner erdenken. +</p> + +<p> +Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, +für hundert Mark ein Haus zu erbauen, aber sie +weiß es genau. +</p> + +<p> +„Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,“ +<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> +sagt sie und lacht ihm verstohlen zu. „Nachhelfen +tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo +es herkommt.“ +</p> + +<p> +Nun lacht auch er, und der Entschluß wird +besiegelt. +</p> + +<p> +Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft +haben, betrachten sie einander und finden, daß +sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann. +</p> + +<p> +Er — straff, breit, knorrig, mit wagerechten +Trageschultern und zwei Fäusten, die nicht mehr +loslassen, wo sie einmal zugepackt haben. +</p> + +<p> +Sie — eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig +mit federnden Armen und Schenkeln von +Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, +in denen zwei Augen listig und lustig Nähe und +Ferne nach Beute durchmustern. +</p> + +<p> +Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem +Schwersten Stand zu halten und das Widrigste +mit Schlauheit zu umgehen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-2"> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Zuerst der Moorvogt. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher +der Kolonie, der zweitausend Lebensschicksale +sorgsam und strenge an obrigkeitlicher Leine +führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; +doch wer und was das eigentlich ist, +ahnen nur wenige. +</p> + +<p> +<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> +Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt. +</p> + +<p> +Mit List und Gewalt haben sie sich beide +aus ihren Dienststellungen freigemacht. Die +Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste +an den Kopf werfen lassen und hierauf +mit einer Anzeige wegen Körperverletzung gedroht, +so daß sie schließlich mit dem Zeugnis +auch noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, +und der Jons, der weniger gerissen ist, hat seinem +Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag +in Aussicht gestellt, falls er ihn nicht auf der +Stelle abziehen lasse. Manchmal hilft das, +manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal +hat es geholfen. +</p> + +<p> +So wandern sie also wohlgemut auf der +Rußner Chaussee zur Kolonie Bismarck hinaus, +die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt +und sich so weit ins Moor hinausstreckt, daß man +ihr Ende nirgends absehen kann. +</p> + +<p> +Als sie an der langen Brücke sind, die über +die Sumpfniederung führt, bleibt die Erdme +an dem schwarz-weißen Geländer stehen und +zeigt auf die Kuhblumen hinunter, die ihre +buttergelben Köpfe aus dem Überschwemmungswasser +stecken, und sie sagt: „Wie die Blumchen +da vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden +wir auch vorwärts kommen.“ +</p> + +<p> +Und der Jons meint dasselbe. +</p> + +<p> +<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> +Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause +stehen, in dem jetzt der Moorvogt wohnt, +da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen +die Vierzig, mit ernsten Augen und einem Munde, +der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart +sieht er nicht aus, aber seine Rede ist scharf und +gemessen. Angst muß man schon darum vor +ihm haben, weil er so mächtig ist. +</p> + +<p> +„Also anbauen wollt ihr euch?“ +</p> + +<p> +„Jawohl.“ +</p> + +<p> +„Seid ihr verheiratet?“ +</p> + +<p> +Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das +Aufgebot kann jeden Augenblick bestellt werden. +Jetzt gleich, wenn er will. +</p> + +<p> +„Sind die Papiere in Ordnung?“ +</p> + +<p> +Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an. +</p> + +<p> +„Sind die nötigen Mittel da?“ +</p> + +<p> +Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze +ziehen sie ihre Beutelchen. Das Goldstück, das +bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen +Eindruck zu machen, denn zum ersten Male geht +ein Lächeln über sein Gesicht. +</p> + +<p> +Und er greift nach Mütze und Hakenstock +und sagt: „Kommt mit.“ +</p> + +<p> +Dann geht er ihnen voran auf einer Straße +aus Knüppeln und Lehm, die geradeswegs von +der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. +Das sieht nun freilich fürs erste nach +<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a> +allem aus, nur nicht nach einem Moor. Rechts +und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen +bis in den grauen Dunst hinein. <em>Die</em> +Häuser haben etwas mehr als hundert Mark +gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und +ringsum Ställe und Schuppen! Und Gärten +sogar — die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! +Und jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, +aus Quitschen und Birken — weiß wie Schnee +und schnurgerade. +</p> + +<p> +Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber +zu reden wagen sie nicht. Sonst wären sie vielleicht +noch umgekehrt. Denn wie kann man je +daran denken, solche Herrlichkeiten sein eigen +zu nennen? +</p> + +<p> +So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. +Eine Wirtschaft folgt der anderen, ein Ackerfeld +dem anderen. Nur hie und da auf höherem +Boden, wie aus Versehen stehen geblieben, ein +Gebüsch von krüppeligen Fichten, die kaum einmal +die Kraft haben, Nadeln zu tragen. +</p> + +<p> +Dann allmählich verändert sich das Bild. +Die Wohnhäuser werden ärmlicher — demütiger, +möchte man sagen —, die Wirtschaftsgebäude +hören auf, und statt der beackerten Felder breiten +sich kahle Moorheiden aus bis ins Endlose hin, +von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, +die vom Torfstechen übriggeblieben sind. Auf +denen sprießt ein junges Sumpfgrün. Sonst +<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> +ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist +alles. +</p> + +<p> +Der Moorvogt hat den ganzen Weg über +kein Wort zu ihnen gesprochen. Jetzt wendet +er sich um und sagt: „Hier könnt ihr euch nun +eine Baustelle aussuchen.“ +</p> + +<p> +Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den +Moorboden hinaus, der unter ihren Füßen +quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt +den Stock einstößt, bleibt ein wasserglänzendes +Löchelchen übrig. +</p> + +<p> +Da endlich macht der Jons seinem bedrückten +Herzen Luft und fragt beinahe schreiend: +„Kann man denn hier überhaupt bauen?“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück +und in die Runde: „Die haben alle einmal +so gebaut,“ sagt er. „Das Trockenmachen ist +eure Sache.“ +</p> + +<p> +Jons und Erdme sehen sich an und denken: +„Was die anderen gekonnt haben, müssen wir +auch können.“ Und so suchen sie sich aufs Geratewohl +einen Platz für Haus und Ackerland und +sind dabei immer dem Weinen nahe. +</p> + +<p> +Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden +Schritten die ungefähr in Betracht kommende +Fläche. „Diese Parzelle,“ sagt er dann stehen +bleibend, „gibt euch der Staat zur Bewirtschaftung. +Sie wird natürlich genau ausgemessen +werden und ist dann einen Hektar groß. Geht +<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a> +es euch gut, so dürft ihr später noch drei weitere +dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei +mir an und gebt eure Unterschrift. Bis dahin +überlegt es euch. Braucht ihr einen Rat, so +bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!“ +</p> + +<p> +Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er. +</p> + +<p> +Nun stehen sie da und sehen sich wieder an. +</p> + +<p> +Ja oder nein? +</p> + +<p> +Nein — dann müssen sie zurück in Dienst — +in einen härteren vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, +obgleich das kaum noch möglich ist, und +die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für +Jahre. Wozu sind sie jung und übervoll von +unverbrauchten Kräften, die sich sonst für Fremde +erschöpfen müssen? Also ja — dreimal und +tausendmal ja. +</p> + +<p> +„Was die anderen gekonnt haben, müssen +wir auch können,“ wiederholt der Jons noch +einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. +Und damit sind sie fertig. +</p> + +<p> +Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, +sich für die nächsten Monate ein Obdach zu +besorgen. +</p> + +<p> +Sie gehen also an die ersten zwei Leute +heran, die sie auf dem Acker arbeiten sehen, und +sagen: „Wir wollen uns in der Nähe anbauen. +Könnt ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?“ +</p> + +<p> +Der Mann, der sanftblickende Augen hat +<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> +und dem um das magere, bartlose Gesicht +langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, +sieht sie lange an und fragt dann: „Seid ihr +verheiratet?“ +</p> + +<p> +Erdme lügt rasch „ja“, denn sie überlegt sich, +daß ihr wahrhafter Stand, mag er noch so kurze +Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten +Hindernisse bereiten würde. +</p> + +<p> +Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist +und die so aussieht, als muß sie immer Senf +aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die +sagt: „Wir sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht +nach den Geboten des Herrn lebt, den nehmen +wir nicht auf.“ +</p> + +<p> +Erdme sagt: „Auch wir wollen uns den Erleuchteten +zuwenden,“ denn sie weiß sofort, daß +sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen +erlangen werden. +</p> + +<p> +Betten wird sie mitbringen, und so ist für +Unterschlupf gesorgt. +</p> + +<p> +Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an. +</p> + +<p> +Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, +sieht noch einmal ihre Papiere durch, und dann +gibt Jons die Unterschrift. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte +und trägt sie als Brautleute in die Register +ein. +</p> + +<p> +Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme +vorhin ausgesprochen hat, und fragt: „Die Zeit +<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> +ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon +einziehen dürfen?“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan +hat, als er ihr Vermögen besah, und sagt: „Die +Aushängebogen liest keiner.“ +</p> + +<p> +Damit sind sie entlassen. +</p> + +<p> +Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das +wichtigste von allem — außer dem Pfarrer +natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden +muß. Das ist für Jons, sich eine regelrechte +Arbeit zu beschaffen, damit durch den Tagelohn +für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und +ab und zu noch ein paar Groschen in die Baukasse +kommen. +</p> + +<p> +Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik +und der Sägemühle, die beide jetzt zum +Frühling Leute brauchen. Jons wählt die +Sägemühle, weil er hoffen kann, dort am ehesten +Gelegenheit zu billigem oder — wenn das +Glück es will — auch kostenlosem Holzerwerb zu +finden. +</p> + +<p> +Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug +zurück, — und siehe da! kaum nachgefragt, +da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, +daß er am nächsten Morgen antreten kann. +</p> + +<p> +Zwei Mark pro Tag — so viel hat er in +seinem ganzen Leben noch nicht verdient. +</p> + +<p> +Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen +sie sich, daß noch nie ein Tag da war, der sie +<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> +ein so großes Stück im Leben weiterführte. +Aber er hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und +da sie beileibe kein Geld ausgeben wollen und +zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, +so scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen +Zuhause ein paar Saatkartoffeln aus einer Miete, +was gewiß eine große Sünde ist, aber der Besitzer +hat noch genug, und so geschieht niemandem +ein Schade. +</p> + +<p> +Die Taschen voll kommen sie heim, und als +sie beim Abkochen ein andächtiges Abendlied +singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar +noch ein Stückchen Speck dazu. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne +den geht nichts. +</p> + +<p> +Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn +wenn Jons auch um drei aufsteht, um fünf +muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, +und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert. +Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke +am Leibe. +</p> + +<p> +Aber Erdme — die schafft es. Sie steht bis +zu den Knieen im eiskalten Wasser und sticht +und gräbt und gräbt und sticht — quer durch das +widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch +keine Menschenkraft bezwingbar scheint. +</p> + +<p> +<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> +Der fromme Taruttis — so heißt der Wirt — +sieht von weitem ihr maßloses Mühen, und da +sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt +er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr +über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen. +</p> + +<p> +Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren +Ärger genötigt, die kostbaren Freistunden des +Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden. +Frommsein ist gewiß eine schöne und +notwendige Sache, aber man muß Zeit dazu +haben. Sonst wird es zur Landplag’. +</p> + +<p> +Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle +hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen. +Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten +kann man auf unauffällige Weise tagtäglich +erfahren, in welchem Walde und an welcher +Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung +bereit liegt. +</p> + +<p> +Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit +gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern, +dem es beliebt, ihn anzuhalten. +</p> + +<p> +Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, +die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses +nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für +blankes Geld von einem Besitzer, der wegen +leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen +seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er +einen regelrechten Kaufschein, den er fortan als +Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt. +<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> +Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht +einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der +nicht ganz so rechtsgültig erworben ist, da kann er +sich des guten Gewissens erfreuen, <a id="corr-2"></a>das solch ein +Stückchen Papier seinem Träger verleiht. +</p> + +<p> +Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, +der natürlich nichts Böses ahnt, und legt sogar +noch einen goldumränderten Spruch hinein. +Ob der nun hilft oder was Anderes, kurz, auch +der dritte Stamm gelangt unangehalten nach +Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, +da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis +die Hochzeit dazwischen. +</p> + +<p> +Die muß wegen der Wirtsleute in strengster +Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim +Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für +die fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße +mitgebracht hat. Ein Glück ist, daß die sich +bereit erklären, auch bei der Trauung am nächsten +Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, +daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen. +</p> + +<p> +Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten +feierlich, er hat nicht einmal die Lichter angesteckt, +so gering achtet er sie. Zum Schlusse reicht er +ihnen die Hand und sagt: „Von nun an könnt +ihr in Ehren beieinander wohnen.“ +</p> + +<p> +Als ob das ohne den Pfarrer so ginge! +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, +<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> +als er am Sonntag das junge Paar im besten +Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint +die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; +aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten +gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet +bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt +es ihnen weiter nicht nach. +</p> + +<p> +Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar +jungsprossende Rautenblättchen, die sie als Merkmal +ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen, +und treten dann den langen Weg zum Gotteshause +an. +</p> + +<p> +Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, +sie aber schämen sich, auf einer der vordersten +Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute +sitzen, und verkriechen sich hinter +einem der rückwärtigen Pfeiler. Nicht einmal +die Rautensträußchen legen sie an, sondern +bekneifen sie mit den heißen Fingern. +</p> + +<p> +Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt +kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft, die +mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben +Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner +laufen umher, und die Brautführer umgeben +wie eine Königsgarde den Marschall. +</p> + +<p> +Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, +und ihre Zeugen riechen nach Mist. +</p> + +<p> +Als der letzte von der großen Hochzeit den +Kirchenraum verlassen hat, fassen sie sich ein +<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> +Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang. +</p> + +<p> +Der Pfarrer — ein junger Mann, mit einem +Traumdeutergesicht — blickt ihnen freundlich +entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht +vor den Altar zu treten wagen, öffnet er die +rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie +zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin +zu führen. +</p> + +<p> +Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im +Buche stehen, sondern hält ihnen eine genau +so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt +hätten. +</p> + +<p> +Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft +und Hoffnung, die gemeinsame Reise +durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt +ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn +sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten +und vor allem — vor allem, vor allem! — +den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen +wollen. +</p> + +<p> +Jons und Erdme weinen sehr, und jeder +von ihnen schwört sich zu, die Ermahnungen des +Pfarrers nicht zu vergessen. +</p> + +<p> +Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten +haben und es dunkel zu werden beginnt, +da müssen sie doch daran gehen, den vierten der +Stämme aus dem Walde zu holen, denn jeder +Tag Aufschub kann von Nachteil sein. +</p> + +<p> +<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a> +Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon +gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt +haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem +Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, +ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus. +</p> + +<p> +„Wenn man so arm ist wie wir, dann kann +das unmöglich eine Sünde sein,“ tröstet die +Erdme sich und ihn. +</p> + +<p> +„Eine Sünde ist es schon,“ antwortet der +Jons, „das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt. +Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, +dann wollen wir alles wieder gut machen, worin +wir uns jetzt vergehen müssen.“ +</p> + +<p> +Und das geloben sie einander, während +sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten. +</p> + +<p> +Und noch manches geloben sie. Keinen Hader +wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen +Worte in den Mund nehmen und in allem +den Kindern ein gutes Beispiel geben. +</p> + +<p> +„Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut +haben,“ meint der Jons. +</p> + +<p> +Und die Erdme gerät ins Schwärmen: +„Wenn ich Töchter kriege, dann sollen sie in +Samt und Seide gehen — und ihre Hochzeiten +sollen acht Tage dauern — und der Bräutigamsvater +soll nichts Geringeres sein als ein +Gendarm.“ +</p> + +<p> +Doch der Gedanke an den Gendarmen ist +ihnen unbehaglich, darum spinnen sie ihn nicht +<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> +weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker +Waldes zu verschwinden, wo der vierte Pfosten +ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer +mattschimmernd am Boden liegt. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-4"> +4 +</h3> + +<p class="first"> +Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für +den Winter noch nichts zu essen hat! Die Tage +werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat +geschafft sein. +</p> + +<p> +Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten +Frühjahr allenfalls in Arbeit genommen werden +kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und +nachdem die Quergräben gezogen sind, die die +weitere Trockenlegung verlangt, kann das Urbarmachen +beginnen. +</p> + +<p> +Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai — +wenn man das Morgen nennen kann, denn noch +stehen die Sterne am Himmel —, da schultern +sie Hacke und Spaten und ziehen hinaus auf +das kahle Moor, dorthin, wo die vier Kiefernstangen +lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt +auf Vorrat schlafen. +</p> + +<p> +Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen +die Grenzen des Ackers, der nun werden +soll. +</p> + +<p> +Den beiden ist bang und feierlich zumut. +Gemeinsam zu beten getrauen sie sich nicht, weil +<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a> +sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum +spricht jeder von ihnen sein Vaterunser ganz +im geheimen, als ob er Wunder was Unrechtes +täte. +</p> + +<p> +Und dann geht es los. +</p> + +<p> +Die oberste Schicht des Moores, die aus +lebendigen Pflanzenstoffen besteht, muß zerkleinert +und heruntergeschält werden — „abplacken“ +nennt man es —, weil der drunter +liegende Boden erst dann, wenn sie mit ihm +gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, +die eine Aussicht auf künftige — wenn auch +spärliche — Ernten eröffnet. +</p> + +<p> +Die paar Stunden der Frühe vergehen im +Fluge. Dann muß er ja weg, um mit dem Taglohn +Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo +soll der Stoff zum Hausbau sonst herkommen? +</p> + +<p> +Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. +Zuerst die Latten oder Schwarten, mittels deren +die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das +Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses +bilden soll. Dann die Sparrbalken — die Sparren +selbst — die Ziegel für die Feuerstätte und +so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden +kann. +</p> + +<p> +Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will +hinter dem andern zurückstehn. Von einem, +dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und +um acht Uhr abends endet, kann niemand +<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> +auf Erden sagen, er habe es sich zu knapp bemessen. +</p> + +<p> +So kommt der Acker rasch voran. +</p> + +<p> +Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, +um sich den rieselnden Schweiß aus den Augen +zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter +sich stehen. +</p> + +<p> +Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark +Pacht, die für das erste Jahr gezahlt werden +sollen — später werden es dreißig —, sind noch +nicht abgeliefert. +</p> + +<p> +Er sagt: „Es ist spät im Jahr. Werdet ihr +mit der Aussaat zurechtkommen?“ +</p> + +<p> +Und sie antwortet: „Wie Gott will.“ +</p> + +<p> +„Gott will, wie der Mensch will,“ sagt er. +„Wenn er erst weiß, daß ihr tüchtig seid, wird +er euch nichts in den Weg legen.“ +</p> + +<p> +Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, +schon geschält, wie Silber in der Sonne funkeln. +</p> + +<p> +„Schöne Stangen habt ihr da,“ sagt er und +sieht Erdme dabei mit schiefem Munde halb von +der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen +Gänge verborgen geblieben. +</p> + +<p> +In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den +Sohlen den schwarzen Schlamm von den Beinen, +denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung +fragen werde; aber die Frage bleibt aus. +</p> + +<p> +Auch ein Haufen Schwarten liegt schon +da, die Jons sich für billiges Geld unter +<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> +den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen +dürfen. +</p> + +<p> +Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die +untauglichen zeichnet er mit der Spitze seines +Hakenstocks. +</p> + +<p> +„Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben +sind,“ sagt er und wendet sich ohne +Gruß wieder dem Wege zu. +</p> + +<p> +„Da geht er hin wie der liebe Gott,“ denkt +Erdme und ist sehr froh, mit heiler Haut davongekommen +zu sein. Vieles an ihm begreift sie +nicht, aber beim lieben Gott geht es einem ja +ebenso. — +</p> + +<p> +Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel +Saatkartoffeln gekauft, glasblank und dünnschalig, +wie sie für den Moorboden gut sind. +Die werden in Hälften geschnitten und in die +flachen Rücke gleichsam obenauf gelegt, denn +nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende +Wasser. +</p> + +<p> +„Auch die sind redlich erworben,“ sagt Erdme +mit Stolz. Und darum brauchen sie sich nicht +zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet +zu tun. +</p> + +<p> +Aber noch muß viel zusammengegrapscht +werden! +</p> + +<p> +Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken +zurechthackt, mit blankem Gelde zu bezahlen, +während sie freundlich in den Wäldern +<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a> +herumliegen, wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber +vorsichtig muß man schon sein, darum wird Jons +auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln +käuflich erstehen und ärgert sich bloß, daß er +den Schein dafür nicht gleich vor den Mützenschirm +stecken kann. Jetzt und auch bei den +nächsten Fahrten hernach, wenn alles an Ort +und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens +der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der +fragt ja nicht, wie man weiß. +</p> + +<p> +Eine Nacht um die andere ziehen sie los, +denn ab und zu schlafen muß doch der Mensch. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. +Ihm hat der Kaufschein die Augen verblendet. +Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht +nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum +betet er fleißig für sie, während sie auf seinem +Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und +Hopp nach Hause fahren. +</p> + +<p> +Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn +sie ihn nicht übertrumpfen kann, steht sogar +im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes +bereitzuhalten. +</p> + +<p> +So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, +und die Baukasse wird kaum einmal magerer. +</p> + +<p> +Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die +Aufrichtung des Hauses vonstattengehen kann. +Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen +nun freilich nicht, und darum entschließt sich +<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a> +Erdme auf des Taruttis Rat, bei den Nachbarn +herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten. +</p> + +<p> +„Talka“ heißt auf deutsch „Arbeitsgesellschaft“, +und auf solchen gemeinsamen Hilfeleistungen +beruht vieles, was unter diesen armen Menschen, +die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, +an Tüchtigem zustandekommt. Dafür erweist +man sich dann später dankbar, wenn der Ruf an +einen selber ergeht, und alles schließt mit einer +fröhlichen Bewirtung, so viel oder so wenig der +Bittende zu geben vermag. +</p> + +<p> +Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand +die Häuser, in denen sie vorsprechen kann, und +die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt +einer, der hilft <em>nicht</em>, aber dort wohnt einer, +der hilft, weil man ihm selber geholfen hat. +</p> + +<p> +Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf +der anderen Seite des Weges sein kleines Anwesen +hat, geht Erdme zuerst. +</p> + +<p> +Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen +und ist weit in der Welt herumgewesen. +Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm +bekannt sein, so daß er schon manchem der Langeingesessenen +einen guten Ratschlag hat geben +können. +</p> + +<p> +Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu +Mitte der Dreißig, der die Gewohnheit hat, beim +Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und +<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a> +dabei zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie +er die Erdme daherkommen sieht, die frisch von +der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und +aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, +macht er große Augen vor ihrer Glieder Pracht, +um dann erst — gleichsam erschrocken — den Blick +von ihr wegzuwenden. +</p> + +<p> +Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes +Litauisch, etwa wie die Pfarrer sprechen, die +es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt +aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist +gut und höflich zu ihr — nur, daß er sie nicht +ansehen kann. +</p> + +<p> +Seine Frau kommt später zum Vorschein. — +Eine Halblitauerin ist auch sie, klein und kümmerlich +— ach Gott, wie sehr! —, mit grauer Gesichtsfarbe +und abgemüdeten Augen. Sie wirft +einen neidischen Blick auf Erdmes kräftige Gestalt, +begrüßt sie dann aber ganz freundlich. +</p> + +<p> +„Wenn wir nun Nachbarn werden,“ sagt sie, +„möge Gott geben, daß Frieden zwischen uns +bleibt.“ Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern +ihren Mann an, der auch vor ihr den Blick zur +Seite wendet. +</p> + +<p> +„An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,“ +sagt Erdme und verabschiedet sich. Sie fühlt sich +zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man +ja sehen kann, das Unglück im Hause sitzt. +</p> + +<p> +Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen +<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a> +ist, hat sein Eigentum dicht neben dem +kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase +sitzt und so niedrig ist, daß man bloß auf eine +Fußbank zu steigen braucht, um darüber hinwegzublicken. +Diese Wirtschaft sieht schon etwas +vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an +den grünen Simsenbüscheln rupfen zwei magere +Kühe. +</p> + +<p> +Der Besitzer heißt Smailus und hat vor +kurzem schon die zweite Frau begraben. Er ist +ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an +die Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht +und langhängendem Hetmansschnurrbart, +aber seine Augen haben einen stumpfen +und schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn +nichts anginge. +</p> + +<p> +Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins +Leben, das sich dicht hinter ihm aus dem Hause +drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens +dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, +aber unter dem Halse hat sie eine goldene Brosche +sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins Gespräch und +sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem +ganz kleinen Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei +sie immerhin, und was sie tun könne, um Frischzugezogenen +das Leben zu erleichtern, das solle +gewiß geschehen. +</p> + +<p> +Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine +Ding, das mit dem Maulwerk vorneweg ist wie +<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a> +eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht +anders sein kann, und sagt bloß: „Ja, ja, das +Bauen und das Begraben muß man schon immer +gemeinsam verrichten.“ +</p> + +<p> +„In dem Begraben hat er wohl Übung,“ +denkt die Erdme, sich bedankend, und die Kleine +begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich. +</p> + +<p> +Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt +sie, und dann wird sie in die Stadt gehen und +ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein, +wie es in der Kolonie schon viele +getan haben. Vorerst aber muß sie dem Vater +noch eine Frau besorgen. So eine schöne und +starke wie Erdme wäre ihr schon recht — aber +Geld muß sie haben —; die zweite, von der sie +die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt — +bloß nicht genug —, und ob Erdme nicht eine +weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann. +</p> + +<p> +Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der +Kleinen schlägt ihr aufs Herz wie ein starker +Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen +Lebens vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch +ihr Schicksal liegt nun bereits so steinern fest, +daß keiner auf der Welt mehr daran rühren +kann. Wie eingesunken in diesen Moorschlamm +liegt es, der keinen Grund und Boden hat und +nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen +Wurzelfäden umwindet. +</p> + +<p> +<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a> +Die Kleine heißt Ulele. „Das ist ein altertümlicher +Name,“ sagt sie, „den ich natürlich +nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen +sein wird.“ +</p> + +<p> +Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht +ihr traurig und bewundernd nach, wie sie mit +ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich +flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und +die Lumpen flattern an ihr wie zwei Fledermausflügel. +</p> + +<p> +„Für mich ist es nun schon zu spät,“ denkt +Erdme. „Ich muß warten, bis ich Töchter +kriege.“ — — — +</p> + +<p> +Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn +es auch schon älter scheint, doch noch zur Nachbarschaft +gehört. Es macht aus der Ferne gesehen +einen recht kläglichen Eindruck, und gerade +darum möchte Erdme es kennen lernen, denn +sie will wissen, wie man sich hier behelfen +muß, wenn man ganz arm bleibt. Gleichsam +als abschreckendes Beispiel will sie es kennen +lernen. +</p> + +<p> +Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei +gezeigt, und als sie ihn am Mittag noch einmal +fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit +dem Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier +nichts zu mähen gibt. +</p> + +<p> +So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt +er: „Über meine Nächsten rede ich nichts Böses, +<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a> +und wenn ich Böses reden müßte, so schweige +ich lieber.“ +</p> + +<p> +Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, +aber als sie gegen den Abend desselben Tages +wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom +Wege aus angerufen. +</p> + +<p> +Sie sieht einen kleinen, alten Mann im +Graben sitzen, der einen Arm voll Weidenruten +neben sich liegen hat und einer gerade mit dem +Taschenmesser die Haut abzieht. +</p> + +<p> +„Was willst du von mir?“ fragt sie, ohne +sich stören zu lassen. +</p> + +<p> +„Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?“ +ruft er herüber. +</p> + +<p> +„Das kann schon sein,“ sagt sie. „Arme zum +Helfen kann man immer brauchen.“ +</p> + +<p> +„Zwei Arme hab’ ich auch,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Gehörst du zur Nachbarschaft?“ fragt sie. +</p> + +<p> +„Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,“ sagt +er, „daß du heute schon zweimal an meinem +Haus vorbeigegangen bist.“ +</p> + +<p> +Und er weist mit seinem Messer gerade auf +das Anwesen hin, von dem der Taruttis durchaus +nicht reden will. +</p> + +<p> +Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, +mit dem sie die Rücke glättet, und tritt näher +auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus zusammengebettelten +Kleidern sich streckend ein +zahnloses, plieräugiges Greisengesicht, dem die +<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a> +Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen +Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem +Aussatz klebt. +</p> + +<p> +Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er +aus. +</p> + +<p> +Sie fragt: „Wer bist du denn?“ +</p> + +<p> +„Ich bin ein verdienter Mann,“ sagt er und +fährt fort, seine Ruten zu schälen. „Durch +fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat +tätig gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, +da er mir keine Altersversorgung zahlen will. +Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß Ruten +flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt +werden, die ich ganz ohne Lohn vollbracht +habe ... Übrigens bin ich noch stark bei Kräften, +und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten +willst, so werde ich dir die Balken heben wie +ein Spielzeug.“ +</p> + +<p> +Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt +sie sich auf die abweisenden Worte des milden +Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, +der sie beim Näherkommen befallen hat, und +darum antwortet sie: „Ich danke dir, Nachbar, +für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat +schon ihre volle Zahl.“ +</p> + +<p> +Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt +vom Grabenrand auf und speit ihr seine wilde +Bosheit sozusagen ins Gesicht. +</p> + +<p> +„Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?“ +<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a> +schreit er. „Haben die Ohrenbläser +dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner +will mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses +von mir nehmen! Aber ich werd’ es euch +antun! Wenn das Unglück kommen wird, die +große Not, die Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen +werden zu Brei und euer Herd sinken +wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt +sitzen werdet im Schornstein und schreien um +Gnade, dann werde ich lachend anspannen lassen +die Arche Noah und vorüberfahren und lachen +über das Todesquieken eurer Schweine und das +Todesgebrüll eurer Kuh — am meisten aber +werde ich lachen über euch selber, wenn der +Schornstein zusammenfällt und das schwimmende +Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es +sein. Amen.“ +</p> + +<p> +Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten +auf, zieht die zerlumpten Beinlinge über den +Hintern und geht seines Weges, aber immer +noch kehrt er sich um und schüttelt die Faust und +speilt die roten Gaumen. +</p> + +<p> +Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen +von dem höllischen Feuer auf sie niedergefallen. +Wenn das das Ende sein soll, warum bauen +sie dann erst? Und warum haben die anderen +gebaut? Doch deren Häuser stehen ja +noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln +in der Abendsonne. Es ist also wohl der böse +<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a> +Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat abschnüren +wollen. +</p> + +<p> +Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als +Jons von der Arbeit kommt und ihr mit Stolz +zeigt, was er alles mitgebracht hat. +</p> + +<p> +Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen +Drahtnägeln, denn ohne die geht’s +nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen +Kornschnaps aus der Schmidtschen Destillation +und alle die Zutaten zu einem +süßen Fladen, der heute noch gebacken werden +muß. +</p> + +<p> +Die Taruttene liefert das Mehl und viele +erbauliche Sprüche dazu, und als die Hähne +krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste +dampfende Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, +wo er die Nacht über Balken behauen hat wie +ein gelernter Zimmermann. +</p> + +<p> +Aber von dem bösen alten Mann sagt sie +ihm nichts. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Und nun ist es wieder Nacht geworden, und +das Haus steht gerichtet. Die vier Kiefernstämme +sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß +rund um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel +hochschoß wie ein Quell, und sind dann durch +die aufgenagelten Latten verbunden. Oben +darauf haben sich Sparren und Sparrbalken zum +<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a> +Dachgerüst zusammengefügt, und die künftige +Zimmerdecke ist genagelt. +</p> + +<p> +Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die +viereckigen Stücke der obersten Moorschicht, die +für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger +aber, um später von außen her an die Latten +geklatscht zu werden und so eine mauerähnliche +Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und +Wärme gibt. +</p> + +<p> +Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft +und ruht sich aus. Der fromme Taruttis natürlich +und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der halbdeutsche +Fremdling, und der lange Smailus +mit seiner kleinen Ulele, die ihm meistens das +Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat +sie wie ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, +und wo keiner die Schlinge befestigen konnte zum +Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand +hat sie viel klettern gesehen. Fixes Ding! +</p> + +<p> +Müde sind sie und warten voll Freuden des +kleinen Festes, das der Besitzer ihnen zu bieten +hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem +Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal +reihum. +</p> + +<p> +Nur die Frau des Witkuhn fehlt. „Sie ist +immer elend,“ sagt er, „und muß mit den Hühnern +zu Bette.“ +</p> + +<p> +„Da werd’ ich mich dir wohl bald erkenntlich +zeigen können, Nachbar,“ meint die Erdme. +<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a> +Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes +Gesicht geht rot eine Flamme wie von verbotener +Freude. +</p> + +<p> +Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja +immer, und zum Überfluß steht der Mond ziemlich +hoch. +</p> + +<p> +Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu +singen, damit die bösen Geister das unfertige +Bauwerk nicht umschmeißen können, und das +geschieht denn auch. +</p> + +<p> +Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, +daß auf dem Wege, der wohl hundert Schritte +abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und +her bewegt. +</p> + +<p> +Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den +bösen alten Mann von gestern. Die Stimme +zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den +heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, +bis sie zu Ende sind, dann weist sie mit der Hand +auf den Schatten hin, der in dem ungewissen +Mondlicht zu tanzen scheint. +</p> + +<p> +Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht +ein Wort. Es scheint, sie fürchten sich alle. +</p> + +<p> +Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, +bis er fragt, was da los ist. +</p> + +<p> +„Scht“ macht die Taruttene. +</p> + +<p> +Der lange Smailus grunzt etwas vom +„Kipszas“, dem Satan, und seine Tochter, die +Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: +<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a> +„Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich +nicht gebeten hätte, heute zur Talka zu kommen, +denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.“ +</p> + +<p> +Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern +mit ihm begegnet ist. +</p> + +<p> +„So versucht er es immer aufs neue,“ +sagt Taruttis, „denn der Arme kann es nicht +verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu +schaffen macht.“ +</p> + +<p> +Jons fragt: „Warum tut man es nicht?“ +Und Erdme meint, abscheulich genug sehe er +ja aus, aber das könne unmöglich allein die +Schuld daran tragen. +</p> + +<p> +Und da erfahren sie beide seine furchtbare +Geschichte. Sie ist weit furchtbarer, als Menschen +sich ausdenken können. +</p> + +<p> +Als ein überführter und geständiger Raubmörder +hat er fast sein ganzes Leben im Zuchthaus +zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode +geschleift, mit dem er zusammen nächtlicherweile +auf einem Wagen gefahren war, und +zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit +dem einen Ende um die Radfelge, mit dem +anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, +als er nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen +ist, hat er dasselbe Kunststück noch einmal +probiert — an einem Fuhrmann, den er auf +stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden +hatte. Aber diesmal ist es ihm mißglückt, +<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a> +denn dabei war ihm die eigene Hand +ins Rad hineingeraten. Darum hat er auch +den Dusel gehabt, trotz der Wiederholung solch +einer Untat noch einmal herauszukommen. +Und nun haust er wie ein Dachs in seiner Kate, +die er sich als junger Mensch gebaut und in +der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen +Vorrichtungen gegen die Überschwemmung +versehen hat. Worin sie bestehen, +weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm +hinein; von außen aber liegt an der Wand eine +schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis +zum Fenster hinauf alles verbirgt. +</p> + +<p> +Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und +doch läuft es ihr einmal nach dem anderen kalt +über den Leib. Und während der alte Raubmörder +in seiner Sehnsucht nach Menschen dort +auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie so leise wie +die anderen, mit was für fürchterlichen Worten +er ihr die künftige Wassersnot ausgemalt hat. +</p> + +<p> +Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe +Frage, die ihr seit gestern wie ein Mühlrad im +Kopfe herumgeht: „Wenn die wirklich einmal +kommen wird, warum bauen wir uns erst hier an?“ +</p> + +<p> +Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit +her ist, das Wort und sagt beinahe feierlich: +„Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute +sind und eine Zuflucht nötig haben. Wo anders +gibt man uns keine, sondern hetzt uns herum.“ +</p> + +<p> +<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a> +Und dann erzählt er, wie schon zweimal das +Hochwasser unermeßlichen Schaden verursacht +hat und daß es für die Zukunft immer häufiger +zu befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: +durch die Urbarmachung sterbe das Torfmoos +ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr +zu Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber +zu einer Gefahr, die mit Vernichtung bedrohe, +was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich +geschaffen hat. „Aber darum arbeiten wir doch +ruhig weiter,“ sagt er zum Schluß und zieht +den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen +fühlt, „denn wir lieben dieses Stückchen +Erde, das für die anderen zu schlecht ist und wo +uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben +auch die, die das gleiche mit uns tun und erdulden.“ +</p> + +<p> +„Und wir lieben auch den lieben Gott,“ sagt +der fromme Taruttis, „der Gutes und Böses +über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der +Mensch sogar ein Mörder wird.“ +</p> + +<p> +Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, +denn er hat lauter gesprochen als die anderen, +aber da ist das graue Gespenst schon fort. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Wie macht man einen Herd? Wie baut man +einen Ofen? Der Boden trägt ja nichts. Willst +<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a> +du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er +nach und schluckt es langsam unter. +</p> + +<p> +Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle +Nücken und Tücken des Moores. Und er ist +immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber +nicht etwa von selber kommt er. Wie ein +furchtsamer Hund schleicht er sich um die +Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. +Und ruft man ihn nicht, so geht er von +dannen. +</p> + +<p> +Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer +von den Deutschen benimmt er sich nicht, die +immer eine große Schnauze haben und die Litauer +als Vieh ansehen. Und er verkehrt auch +nicht mit ihnen, soviel ihrer auch auf der Kolonie +herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem +eine Heimat fehlt. +</p> + +<p> +Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. +Schleppt sich ’rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag’. +Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre +das nötigste oft nicht getan. +</p> + +<p> +Und nun ist ja auch die Erdme da. Die +knapst sich manche Viertelstunde ab, um für sie +Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen +auf dem Felde ist. +</p> + +<p> +„Wenn mein Kindchen noch lebte,“ sagt sie, +„dann könnte es mir schon in manchem behilflich +sein.“ +</p> + +<p> +Aber das war ja schon in der Geburt gestorben +<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a> +und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen, +so daß er nie mehr ganz heil ward. +</p> + +<p> +Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau +mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin. +</p> + +<p> +Und dann ist noch das Unglück da, von dem +<em>sie</em> nicht spricht und <em>er</em> nicht spricht und das +man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof +nur in die Nähe kommt. +</p> + +<p> +„Ja also,“ sagt der Witkuhn eines Tages, „den +Herd baut man so: Man kauft sich“ — er sagt +„kauft“, „holen“ sagt er nicht — „man kauft sich +den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine +Kiefer darf es nicht sein, denn deren Wurzel +ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, +als wäre er nicht gewesen. Eine Tanne muß es +sein — deren Wurzel hat Querläufer nach allen +Seiten — die legen sich wie Riegel vor, wenn +der Stubben einsinken will. So trägt er vielleicht +den Herd, und ein anderer trägt auch den Ofen.“ +</p> + +<p> +Der Jons streift also nachts durch die Wälder +und sucht die Stellen, wo Tannen gerodet +werden. Solche Stellen sind selten, denn die +Tanne ist ein kostbarer Baum, nicht so gemein +wie die Kiefer. +</p> + +<p> +Er sucht, und er findet. Und wieder leiht +der Taruttis den Handwagen, und beide ziehen +aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei +Meilen weit. Der preußische Staat ist reich. +Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat, +<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a> +was macht ihm das? Und auch den zweiten +kann er noch leidlich entbehren. +</p> + +<p> +Aber noch mehrere müssen daran glauben, +denn die Schlammschicht ist tief. Einer muß +über den anderen gelegt werden, und dann erst +hält der Grund so fest, daß man mit Ziegeln und +Lehm darauf arbeiten kann. +</p> + +<p> +Aber die Ziegel kann man leider nicht +„holen“, denn der Herr Ökonomierat, dem der +große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter +und hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute. +</p> + +<p> +Vielleicht versucht man es also mit Betteln. +Denn weit und breit weiß jeder, welch ein guter +und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat +ist. +</p> + +<p> +Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in +dem großen Saal, der mit Bücherregalen gefüllt +ist von einem Ende bis zum anderen. Man +kann sich nicht vorstellen, daß es so viele Bücher +gibt auf der Welt. Aber es ist kein „Bagoszius“ +— kein Geldprotz —, der zu ihnen spricht, +sondern er ist freundlich und leutselig und wischt +sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt +sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. +Die sehen einen durch und durch. +</p> + +<p> +„Schenken werd’ ich euch die Ziegel nicht,“ +sagt er, als sie ihre Bitte vorgebracht haben, +„denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher. +Aber verkaufen werd’ ich sie euch.“ +</p> + +<p> +<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a> +Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten +sie ja einfach aufs Kontor gehen können. +</p> + +<p> +„Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis +sagen.“ +</p> + +<p> +Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: +Vielleicht probiert man es doch mit dem „Holen“. +</p> + +<p> +Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl +er litauisch spricht, beinahe so gut wie sie selber. +Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst lachen +sie hell auf. +</p> + +<p> +<em>Ob</em> sie singen können! +</p> + +<p> +„Könnt ihr auch Märchen erzählen?“ +</p> + +<p> +Fünfhundert können sie erzählen. Tag und +Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang +können sie erzählen. +</p> + +<p> +„So viel will ich gar nicht wissen,“ sagt er. +„Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn +Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter +finde. Und dann könnt ihr euch Ziegel +auf die Karre laden, soviel ihr braucht.“ +</p> + +<p> +Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, +damit sie den nötigen Mut bekommen, und dann +geht’s los. +</p> + +<p> +Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich +wieder abbrechen. Aber das vierte ist ihm neu, +das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, die +die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf. +</p> + +<p> +Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen +Ziegelmeister, und damit haben sie sich Feuerstatt +<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a> +und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige +Lehm muß ja freilich doch noch gemaust +werden, aber den liefert zur Nachtzeit +die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, +und das Strauchwerk, das als Halt in die Brandmauer +gepackt werden muß, kann man sich ringsum +von den Weidenbüschen schneiden. +</p> + +<p> +So steigt die Mauer bald bis zur Decke. +</p> + +<p> +Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle +daran, auf der anderen der Ofen. Sehr +schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten +Kacheln würde sich sicher weit besser machen, +und gerade steht er ja auch nicht, aber wärmen +wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin +prasseln. +</p> + +<p> +Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt +man im Rauch. +</p> + +<p> +Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon +geschnitten. Wenn man nur weiter wüßte! +</p> + +<p> +„Bei Schmidt auf dem Hofe,“ sagt der Witkuhn, +„liegt ein Haufen von rostigen Kannen. +In denen ist früher Petroleum gewesen. Da +kostet jede zehn Pfennig. Davon kauft euch ein +Dutzend.“ +</p> + +<p> +Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei +noch mit durch. +</p> + +<p> +Aber nun weiter! +</p> + +<p> +Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus +Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit +<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a> +dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch +die Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird +durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt, +daß sie die Sparren noch überragt. Dann +wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, +— und siehe da! der Schornstein ist +fertig. +</p> + +<p> +Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, +wie qualmt das — und stinken tut es nicht weniger +— vor allem nach Leim und Petroleum, +aber das wird sich schon legen. +</p> + +<p> +Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen +hat, findet er schließlich den richtigen Weg und +entfernt sich gefälligst dorthin, wo es schnurgerade +in den Himmel geht. Wenn er es im +Winter ebenso macht, ist die Stubenwärme gesichert. +</p> + +<p> +Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und +Dach das ihrige tun. Die Hauswand — das +ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der +kluge Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie +niemals fertig. +</p> + +<p> +Aber wie können kluge Leute so ängstlich +sein? Er wartet ja bloß darauf, daß die Erdme +ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch. +</p> + +<p> +Die viereckigen Moorfladen, die man an die +Bretterwand preßt, halten wohl fest, solange sie +feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab, +wie Sandbrocken fallen. +</p> + +<p> +<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a> +Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der +schlechtesten Latten noch eine zweite Wand — +fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die +ist ganz luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. +In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die +Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich +selber beruhen. +</p> + +<p> +Nach ein paar Wochen kann man die Latten +wieder entfernen. Nur zur besseren Sicherung +läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde +geklemmt, denn es werden die Winterstürme +kommen, und der Sturzregen wird wühlen +und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen. +</p> + +<p> +So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß +und alles kennt, und sieht an Erdme vorbei, und +das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren. +</p> + +<p> +Wenn sie mit ihm allein ist — und das geschieht +fast alltäglich —, dann hat sie stets ein +Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu +dem noch was Anderes hinzukommt, das ihr das +Herz beklemmt. Es ist, als hätte sie Angst vor +<em>seiner</em> Angst, denn Angst hat er immer, das +ist ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. — +</p> + +<p> +Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich +den guten Nachbar erhalten. +</p> + +<p> +Nach der Hauswand das Dach! +</p> + +<p> +„Jons, bring Rohr!“ Es können auch Binsen +sein — oder beides zusammen. — An Rohr und +<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a> +Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn +auch das Moor selbst sie nicht liebt — oder sie +nicht das Moor, was auf dasselbe herauskommt. +Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, +und alle sind sie mit Röhricht umstanden. +</p> + +<p> +Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat +leichte Last, wenn er hochgetürmt vom Rußufer +daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel, +denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man +es findet, versteht sich von selber. +</p> + +<p> +In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, +so daß man bald ans Dachdecken gehen kann. +Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen +werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für +Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel +dicht neben das andere und preßt es zusammen +und besichelt die Enden. Und unten lauert die +kleine Ulele und reicht ihr zu, denn eine Mannsperson +kann man dazu nicht brauchen, es sei +denn der eigene. +</p> + +<p> +O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun +sieht es schon bald aus wie ein Haus. Aber +noch fehlen die Türen, die Fenster — kein Mensch +kann sich ausdenken, was alles noch fehlt. +</p> + +<p> +Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, +der irrt sich. Eines Tages bringt er zwei Fenster +an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, +nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen +angekohlt sind. Vorige Nacht hat es nämlich +<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a> +in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer +gegangen und hat gesagt: „Verkauf mir den +Kram für zwei Stof Schnaps. Dem Versicherungsinspektor +erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden, +und dann kriegst du neues dafür.“ +</p> + +<p> +Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag +ein, er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf +die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und +auf den Handwagen laden. +</p> + +<p> +Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig +Schritt nach Feuersbrunst, und wer ihm begegnet, +der lacht ihn an, denn er denkt, er habe +es aus dem Brandschutt gestohlen. +</p> + +<p> +So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel +in schweren Verdacht kommen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-7"> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer +durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht +und dann links um die Ecke biegt, so fragt er wohl +seinen Begleiter: „Wer hat sich das hübsche +kleine Hauschen gebaut?“ +</p> + +<p> +Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet +er: „Das ist der Losmann Jons Baltruschat, +der mit seiner jungen Frau im Frühling +zugezogen ist.“ +</p> + +<p> +Und der Fremde sagt wohl: „Das müssen +fleißige Leute sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a> +Aber durch die himmelblaue Tür darf er +bei Jesu Leibe nicht eintreten, denn drin sieht +es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar +nichts. Nicht einmal die Ritzen, die zwischen +den Schwarten klaffen, und die Astaugen darin +sind richtig verschmiert, und überall hängen die +Fasern der Moorschicht. +</p> + +<p> +Doch lange darf die Schande nicht dauern. +</p> + +<p> +Vor allem der Fußboden! Viele wohnen +ja auf dem nackten Moor, und das soll sogar +trocken halten und im Winter gar nicht so kalt +sein. Aber da kennt ihr die Erdme schlecht! +Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein +Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte +zu Fastnacht. Dann werden die Wände verklebt, +und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. +Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, +bunte Bilder ausgehängt. Die preisen +Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt +und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend +andere nützliche Sachen. Und immer +kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf +dem Speicher herumliegen, die bettelt man sich +zusammen. Und die jungen Gehilfen lachen +und holen sie gern. Außerdem war doch — +Erdme besinnt sich genau — in der Rumpelkammer +der Frau Schlopsnies ein Haufen alter +Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen +fünf Erdteilen. Der Niagarafall und die Pariser +<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a> +Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa +und so noch manches andere. +</p> + +<p> +„<em>Liebe</em> Frau Schlopsnies, <em>gute</em> Frau +Schlopsnies, ich hab’ mich so sehr nach Ihnen +gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, +möcht’ ich’s fürs Leben gern nach Ihnen benennen.“ +</p> + +<p> +Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau +Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt. +Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar +die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind +dabei, die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt +hat, als sie noch keine alte Schachtel war und +als Kellnerin hochkommen wollte. +</p> + +<p> +Die sind noch so gut wie neu. Und wenn +die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt, dann +müssen sie genau so angezogen gehen wie alle +diese schönen Damen, die einem das Herz vor +Neid im Leibe umdrehen. +</p> + +<p> +Und nun wird die Stube geschmückt! Bild +neben Bild geklebt, und die buntesten kriegen +die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer +so viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen +muß, und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb, +weil es da oben so kalt ist. +</p> + +<p> +So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl +nirgends. Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt, +aber die sind bloß griesgrau und stammen +aus Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und +<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a> +bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem +Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des +Moorvogts. +</p> + +<p> +Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. +Die Tage werden kürzer, und darum getraut +sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber +wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß, da +braucht sie ihn doch. Denn wenn der Jons +heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel. +</p> + +<p> +Erst will er gar nicht hereinkommen — gewiß +hat er wieder mal Angst —, aber als er die +Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln — +ein Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön +ist — über sein stilles Gesicht. +</p> + +<p> +Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit. +</p> + +<p> +„Ohne dich, Nachbar,“ sagt sie, „hätten wir’s +nie so weit gebracht.“ Und sie legt ihm die +Hände auf beide Schultern. +</p> + +<p> +Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie +ein Taschenmesser, sinkt auf den Bock, wo der +Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht +und weint. +</p> + +<p> +„Was ist? Was ist?“ fragt sie erschrocken. +</p> + +<p> +Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich +zu ihm nieder und streichelt ihn. +</p> + +<p> +Und — was tut er? Er umschlingt ihre Hüften +und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden +Hände und will sie gar zu sich niederziehen. +</p> + +<p> +<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a> +„Nicht doch, Nachbar,“ sagt sie mit einem Blick +auf den Kleistertopf, „so was mußt du nicht tun.“ +</p> + +<p> +Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, +sonst muß er ins Torfloch. +</p> + +<p> +„Schade, Nachbar,“ sagt sie und lacht, wie +sie immer gelacht hat, wenn sie einer hat haben +wollen, „schade, daß du nicht früher gekommen +bist. Als Mädchen nahm ich’s nicht so genau. +Da hat mich bald der geliebt und bald jener. +Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der +Jons und ich, da würde ich mich vor ihm schämen, +wenn er des Abends nach Haus kommt. Außerdem, +wenn du’s wissen willst, in anderen Umständen +bin ich wohl auch.“ +</p> + +<p> +Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, +sich festzuhalten, und geht hinaus wie betrunken. +</p> + +<p> +Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, +denn innerlich hat sie den Nachbar gern. Und +um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr +hängt. Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm +gutzumachen, so hält sie es mit der Frau und +hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes +Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, +aber über das Schwerste ist sie ja weg. +Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, +wenn sie vom Melken kommt. Zur Dienstmagd +aber reicht es auch dort nicht. +</p> + +<p> +Und die Frau sieht sie immer mit großen, +bittenden Augen an, als will sie was sagen. +<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a> +Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch +nachhilft. +</p> + +<p> +Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal +denkt die Erdme: „Jetzt weiß ich’s.“ Aber +das geht wider Natur und Religion, und darum +wirft sie es weit von sich weg. +</p> + +<p> +Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht +mehr in die Nähe, und wenn er vom Felde kommt +und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er +lieber noch einmal um. Sie möchte ihm manchmal +entgegengehen, aber das sähe ja aus, als +ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber. +</p> + +<p> +Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen +werden kann, aber alles Geräte fehlt. Nur die +Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen +Hause steht, ist gleich beim Bauen festgemacht +worden. +</p> + +<p> +Und der Jons kommt immer später. Er +sagt, er habe Überstunden, aber das glaubt sie +ihm nicht. +</p> + +<p> +Der Winter steht vor der Tür, und noch ist +die Bettstatt nicht da und auch kein Tisch und +kein Kasten. +</p> + +<p> +Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, +aber er schüttelt bloß immer den Kopf. +</p> + +<p> +„Mein Gott, mein Gott,“ denkt sie, denn +sie geht mit der Katrike — so wird es heißen, +wenn es ein Mädchen ist — nun schon im vierten +Monat. +</p> + +<p> +<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a> +Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. +Wie andere heimlich nach einem vergrabenen +Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie wohl +dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst +um, ob niemand am Weg ist, und dann kniet +sie rasch nieder und scharrt an <em>der</em> Stelle und +jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem +Vorderfuß klaut, — und siehe da! überall sagt +ihr ein junges Knollchen: „Labsriets“ und „da +bin ich“. — Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß +und nach vierzehn Tagen schon, wie Katrikes +künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen +sie immer noch weiter. +</p> + +<p> +Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht +das mindeste an. Für nichts hat er Sinn und +Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn +liefert er ab. Er kommt und geht — das ist alles. +</p> + +<p> +Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht +weit vom Wege was Liebes angekramt — und +da sitzt er nun wohl die Abende über und wird +sie zum Winter verlassen. +</p> + +<p> +„Dann steck’ ich das Haus in Brand,“ denkt +sie, „und zieh’ hinüber zum Nachbar.“ +</p> + +<p> +Aber eines Abends so um die Michaeliszeit +— da kommt nach Sonnenuntergang ein +Einspänner den Weg entlang — beladen mit +allerhand Zeug — man weiß nicht recht was. +Und neben dem Fuhrmann sitzt einer — der +hat so breite Schultern wie Jons — und sieht +<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a> +auch sonst aus wie Jons — und schließlich ist es +auch Jons. +</p> + +<p> +Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg +und tut, als will er aufs Moor einbiegen. Aber +das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine +Schuhe an und würde versinken bis an den +Leibgurt. +</p> + +<p> +Und wie sie herzuläuft — um Gotteswillen, +was sieht sie da? Hoch auf dem Wagen steht +ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten +und gelben Blumchen, und eine Bettstatt ebenso +grün, und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen, +und sogar — man kann es nicht fassen, ob auch +das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit +feurigen Nadeln — ein Spiegel ist da! — +Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel! +</p> + +<p> +Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, +und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so +schwierig. +</p> + +<p> +„Ist das für uns?“ schreit sie ihn an. +</p> + +<p> +Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht +hat, und reicht ihr den Spiegel herunter. +Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar +zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, +die Rágana selber. +</p> + +<p> +Und sie kuckt in den Spiegel — der spiegelt +zwar nicht — aber es ist doch ein Spiegel. +</p> + +<p> +Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, +aber die Bettstatt muß auseinandergenommen +<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a> +werden, denn die Tür ist zu schmal, +und der Tisch geht erst recht nicht hindurch. Aber +schließlich steht alles an seinem Platz, und der +Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk. +</p> + +<p> +Nur schade! Stockfinster ist es geworden. +Selbst die Blumchen der Schranktür sind nirgends +mehr zu erkennen. +</p> + +<p> +Da sagt der Jons: „Was du wohl denkst! +Das Schönste ist immer noch draußen.“ +</p> + +<p> +Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im +Leben hat sie gedacht, daß man so klein dastehen +könne neben dem eigenen Mann. +</p> + +<p> +Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und +was bringt er getragen? Eine Lampe. Eine +richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und +Glocke, wie sie im Hoffmannschen Laden im +Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube +der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. +Dort hatten sie alle bloß blecherne +Schilder. +</p> + +<p> +Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht +da und läßt sich bewundern. +</p> + +<p> +Wie hat das zugehen können? +</p> + +<p> +Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter +sind aus der Sägemühle, das ist klar. Aber +weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem +Holzplatz seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn +gefragt, wie man wohl am besten zu einer Einrichtung +kommen könne. Da hat der Tischler +<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a> +sich erst umgesehen und dann gesagt: „Wer mir +beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht etwa +zu kurz komme, dem werd’ ich nach Feierabend +zur Hand gehen und ihm zeigen, wie er es macht.“ +Nun, der Tischler Kuntze ist <em>nicht</em> zu kurz gekommen. +Im Gegenteil. Und zum Dank dafür +hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt +arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. +Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen +für Licht und für Ölfarbe, und noch heute können +sie ’rüberziehen und im eigenen Heim wohnen +wie jeder Besitzer. +</p> + +<p> +So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es +müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen, +wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen. +</p> + +<p> +Und sie kommen vorwärts. +</p> + +<p> +Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. +Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen +satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos +ist, erhebt sich alsbald ein Abschlag mit +Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden. +Darin hat das Schweinchen Platz und +später wohl auch eine Ziege, deren Milch man +als Wöchnerin ungern entbehrt. Im Sommer +nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter +aber muß vorgesorgt werden. +</p> + +<p> +Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher +Finsternis hinter den Fudern daherläuft, +die auf der Chaussee von den Wiesen kommen +<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a> +und Gott sei Dank bloß in kurzem Trab fahren — +sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen +nicht folgen können. Das Verstreute sammelt +man auf dem hinterher fahrenden Handwagen, +so rasch es nur geht, denn unverschämte Diebe +gibt es genug, die einem das sauer Erworbene +vor der Nase wegschnappen wollen. Manchmal +findet man die Plätze hinter den Fudern +bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen +prügelt man sich herum, oder man einigt sich +besser in Güte. +</p> + +<p> +So wird allmählich der Bodenraum voll. +Nur für die Heizung muß Platz bleiben. Um +die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das +Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch +diese Pacht schuldig geblieben — genau so wie +jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt +ja nicht. Warum soll man ihm also entgegenkommen? +</p> + +<p> +„Er wird schon mahnen,“ lacht die kleine +Ulele. „Er hat ein dickes Buch. Darin steht +alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen +Richters. Was ehrlich erworben ist und was +nicht. Es steht alles darin.“ +</p> + +<p> +Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie +eine Maus und sinkt nach hinten zurück. Aber +das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. +Und so entschuldigt sie’s auch bei der kleinen +Ulele. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-8"> +<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Der Winter kommt wie alles Schlimme +früher, als man sich’s denkt. +</p> + +<p> +Eines Morgens zu Anfang November ist das +Moor gefroren wie ein Brett. Bis dahin hat man +im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr. +</p> + +<p> +Der Handwagen des frommen Taruttis, der +so viel Unfrommes mit angesehen hat, ist ihm +zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, +die Jons vom Markte gebracht hat. +</p> + +<p> +Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt +sich und klingt, wenn man auf dem Moore daherkommt. +Die Torfziegel, die Erdme alle selber +gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. +Obwohl sie sie mit Rohr bedeckt hat +gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer +nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, +brennen werden sie doch, und der Qualm geht +zum Schornstein hinaus. +</p> + +<p> +Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach +Haus kommt, findet er die Stube so voller Rauch, +daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und +auf dem Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet. +</p> + +<p> +Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei +ist, lacht und sagt: „An den Rauch gewöhnt +man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken +wir, unten versinken wir und sind ganz lustig +dabei.“ +</p> + +<p> +<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a> +Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man +kaum mehr, ob es raucht oder nicht, wenn man’s +nur warm hat. Und das ist die Hauptsache. +</p> + +<p> +Denn Tage brechen herein, so naß und so +kalt, daß einem das Herz im Leibe erklammt, +wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer +ist, der suppende Nebel oder der rotklare +Frost, die fegenden Schneestürme oder der windstille +Rauhreif, — man weiß es wahrhaftig kaum; +nirgends friert man so wie hier auf dem Moor. +Die Kälte auf der Spitze des Monte Rosa muß +dagegen ein Kinderspiel sein. +</p> + +<p> +Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee +kam, der Zufahrtssteg angelegt und mit kleinen +Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde +der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, +nicht wissen, wo er abbiegen muß, so verstiemt +ist alles in Weite und Breite. — Selbst das +Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee +und muß am Morgen ausgeschaufelt werden, +damit man weiß, daß es Tag ist. +</p> + +<p> +Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. +Nur das Ferkelchen muß sie versehen, das prächtig +gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, +könnte man pökeln für Jahre. Aber so üppig +leben wir nicht. Wir sind froh, wenn wir ab und +zu einen Hering haben. Das Schwein wird, +wenn es fett ist, an den Schlachter verkauft, +und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital +<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a> +für die künftige Kuh. Aber das sind +noch Zukunftsträume. Fürs erste wollen wir +mit der Ziege zufrieden sein. +</p> + +<p> +Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, +frißt mit aus dem Schweinetrog und stößt, wenn +man sie melken will. +</p> + +<p> +Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt +ihre Milch so großmütig her, wie nur eine kann, +deren Haltung nichts kostet. — +</p> + +<p> +Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist +das Gefangensein. Man kuckt nach rechts — +man kuckt nach links — alles ist weiß, alles ist +weit, und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem +Wege, um zu zeigen, daß es noch Dinge gibt +auf der Welt, die anders aussehen als weiß. +Die Häuser der Nachbarn stehen ja da, aber sie +sind fast ganz in Schneefluchten versunken, und +nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt’s auf +dem Dach einen graulichen Flecken. +</p> + +<p> +Man kann sich kaum vorstellen, daß dort +überall Menschen wohnen, denn niemals sieht +man einen, und man geht auch nicht gerne +hinüber. +</p> + +<p> +Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber +kaum mehr, wie eine fremde Menschenstimme +sich anhört. +</p> + +<p> +Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie +geht auf Freiersfüßen. Wenn sie zum Frühling +eingesegnet wird, muß der Vater schon seine +<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a> +Frau haben. Denn dann will sie in die große +Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, die +hat dreihundert Taler, und eine andere, die +hat noch mehr. Aber an der hängen zwei Kinder, +deren Vater sie manchmal besucht. Und die +Ulele meint mit Recht, das werde Streitigkeiten +geben, wenn sie selbst als Vermittlerin nicht +mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die +erste wählen, aber der muß noch viel zugeredet +werden, denn sie fürchtet, der Weg der Vorgängerinnen +werde alsbald auch der ihrige sein. +</p> + +<p> +So hat man seine Sorgen, auch wenn man +noch Kind ist. +</p> + +<p> +Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit +Monaten nichts mehr gesehen, und die Hilfeleistung +bei seiner Frau muß die kleine Ulele für +sie mit übernehmen. +</p> + +<p> +Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an +den man sich halten kann. An jedem Sonntagabend +gibt’s eine Versammlung bei ihm. Zu +der kommen die Gebetsleute weit und breit, +und manchmal sind Stube und Vorflur so voll, +daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht +der eisige Wind wie mit Peitschenhieben über +die Köpfe. +</p> + +<p> +Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder +werden gesungen, Sündenbekenntnisse abgegeben, +und meistens kriegt der heilige Geist +einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht +<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a> +und mit Zungen redet, während die anderen +horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes +Sonntagsvergnügen. +</p> + +<p> +Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme +noch nicht, denn das Abtun des Irdischen ist +wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden +als Gäste geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung +auch ihnen nicht ausbleiben kann. +</p> + +<p> +Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen +und Weststurm. Dann hat der Schnee sich gelöst, +und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann +riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und +doch sind gar wenige Pferde ringsum. Nur der +Wohlhabende kann sich eins halten. +</p> + +<p> +Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn +die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr Pferdchen nicht +fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, +aber kommen wird es gewiß, genau wie das +Fettschwein gekommen ist, um das der Schlachter +schon lange herumstreicht. +</p> + +<p> +Aber vorerst wird was Anderes kommen — +etwas, das einst in Samt und Seide gehen +wird und wofür der Sohn eines Gendarmen +schon längst nicht mehr gut genug ist. Ein großer +Besitzer muß es sein, wie die reichen Herren +der Niederung, die hundert Kühe halten und +deren Käsereien mit Dampf betrieben werden. +Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst +der Jons mit sich handeln läßt. +</p> + +<p> +<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a> +Um Mitte März kann das Kleine schon da +sein. Und der März steht vor der Tür. Die +Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, +und wenn mittags die Eiszapfen tropfen, klingt +es wie Frühlingsmusik. +</p> + +<p> +Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. +Mühselig schleppt sie sich ins Haus. Die Erdme +ist noch ein Wiesel dagegen. +</p> + +<p> +„Nachbarin,“ sagt sie. „Ich weiß, deine +Stunde wird bald kommen. Ich hab’ eine Bitte +an dich.“ +</p> + +<p> +„Was für eine Bitte?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +„Sieh mich an,“ sagt sie darauf. „So quiem’ +ich nun schon an die zehn Jahr. Und die Wirtschaft +kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott +ein Einsehen, so würd’ er mich zu sich nehmen, +damit der Witkuhn sich nach etwas Besserem +umsehen kann. Aber so werd’ ich ihm zur Last +liegen, wer weiß wie lange.“ +</p> + +<p> +Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was +man so sagen kann. +</p> + +<p> +„Darum sollst du mir das Versprechen geben,“ +fährt sie fort, „daß du es bei der Hebamme nicht +bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor +bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.“ +</p> + +<p> +„Um Gotteswillen!“ schreit die Erdme ganz +erschrocken. „Das kostet zehn Mark!“ +</p> + +<p> +„Das haben wir auch schon überlegt,“ meint +die Nachbarin, „und der Witkuhn hat gesagt, +<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a> +wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt +er mit Freuden.“ +</p> + +<p> +Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an +das, was im Frühherbst passiert ist. Und sie +sagt: „Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel +haben wir selber. Nur sollt’ es für die Kuh +gespart bleiben.“ +</p> + +<p> +„Die Kuh kann krepieren,“ sagt die Witkuhn, +„und dann spart man sich eine neue. Aber wenn +man selbst zuschanden ist, dann spart man sich +keine mehr.“ +</p> + +<p> +<em>Die</em> Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und +sie gibt das Versprechen. Sie kann es ruhig +tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem +Fuhrwerk werden wird, weiß sie noch nicht. +Denn wenn der Doktor sich selbst eins bestellt, +so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat +auch dafür schon Rat geschafft. Er hat mit einem +der besseren Besitzer gesprochen, und der wird +sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so +weit ist. +</p> + +<p> +Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und +schreit wie ein Tier. Seit Stunden folgt eine +Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm +aus dem Leibe reißen. +</p> + +<p> +Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, +anzusehen wie ein rotbärtiger Riese — Perkuhn, +der Donnergott, muß so ausgesehen haben —, +und blickt aus großen, rollenden Gottesaugen +<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a> +auf sie herab und sagt mit einer Stimme, bullrig +und gut wie abziehendes Ungewitter: „Na—a? +Kommt es denn immer noch nicht?“ +</p> + +<p> +Nein, es kommt immer noch nicht. Und +kommt auch die ganze Nacht hindurch nicht. +Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine +Knie zu fassen und kneift sich darin fest, daß er +lachend schreit: „Wirst du wohl loslassen!“ +Aber sie kneift nur noch fester. +</p> + +<p> +Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher +gewesen als die Decke des Zimmers; nur ganz +gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und +auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke +sitzt, erscheint er noch immer so groß wie etwa ein +Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er langsam +kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird +er kleiner. — +</p> + +<p> +Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie +mit einmal: „Für zehn Mark wird er das gar +nicht machen.“ Und sie fängt vor Angst und Ungeduld +zu weinen an, weil es so teuer wird. +</p> + +<p> +Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen +Schmerzen sind, die ihr die Tränen zum +Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die +Hand beklopft, da ist er schon ganz klein. +</p> + +<p> +Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht +und kippt mit seinem mächtigen Schmerbauch +nach hinten zurück, so daß die Beine hoch +in der Luft herumrudern. +</p> + +<p> +<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a> +Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht +und der Moorboden haben dem mächtigen Körper +nicht standhalten können, und die vier +Beine der Hocke sind unter ihm in die Tiefe +gesunken. +</p> + +<p> +Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht +und lacht, und aus dem Lachen heraus kreischt +sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke +geschnitten, und — wupp! — ist die Katrike da! +</p> + +<p> +Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons +demütig die Mütze in der Hand und fragt ihn, +was es wohl kostet. +</p> + +<p> +Da sieht er sich in der Stube um, besieht den +grünbunten Schrank und den goldrahmigen +Spiegel und sagt: „Nun, nun, ihr scheint ja ganz +wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also“ +— der Erdme steht das Herz still vor Angst — +„gebt mir also — drei Mark.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme denkt jubelnd: „Wenn das +so billig ist, krieg’ ich nächsten Frühling ein +zweites.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +Man müßte lügen, wollte man sagen, daß +das nun folgende Jahr für den Jons und die +Erdme kein gesegnetes gewesen sei. +</p> + +<p> +Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh +zieht ein. — Sie ist die klügste, die schönstgefärbte, +die milchreichste Kuh, die es auf Erden +<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a> +je gegeben hat. Die Milch muß morgens und +abends zur Sammelstelle getragen werden und +bringt manchen nützlichen Groschen. Das +Schlimme ist nur, daß es an Futter fehlt, denn +auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst, +wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine +Bewohner helfen sich dadurch, daß sie im Umkreis +— bis über den großen Strom hin — jedes +Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist. +</p> + +<p> +So geht auch Jons auf die Suche, findet +aber nichts, was nahe genug gelegen wäre, +daß man das Heu auf der Karre heimschaffen +könnte. +</p> + +<p> +In all den Sorgen muß also wohl oder übel +der Moorvogt heran, der ja am besten Bescheid +weiß. +</p> + +<p> +Sie tun also so, als hätten sie <em>kein</em> schlechtes +Gewissen, stecken für alle Fälle die schuldig gebliebene +Pacht in die Tasche und gehen zu ihm. +</p> + +<p> +Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt +dann ein großes Buch auf — das Buch gewiß, +in dem all ihre Sünden stehen — und sieht +sie darauf wieder an. +</p> + +<p> +Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, +und er denkt: „In Gottes Namen.“ Damit +zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt +sie auf den Tisch. „Schad’ um das schöne Geld,“ +denkt die Erdme. Aber wenn man so angesehen +wird, was kann man da machen? +</p> + +<p> +<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a> +„Es war Zeit,“ sagt der Moorvogt — weiter +nichts — und schreibt ein Zeichen in das Buch. +</p> + +<p> +Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen +Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und sagt +mit Würde: „Die Pacht fürs zweite Jahr wird +auch bald da sein.“ +</p> + +<p> +„<em>Das</em> wär’ nun nicht nötig gewesen,“ denkt +die Erdme, aber weil es doch mal heraus ist, +will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt +hinzu: „Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen +erfüllen wir pünktlich.“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als +will er ein Prusten verstecken, und der Erdme +wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit +dem Manne nie, wie man dran ist. +</p> + +<p> +Er breitet eine große Plankarte aus und fragt +dann: „Wieviel Kartoffelland nehmt ihr dieses +Jahr in Arbeit?“ +</p> + +<p> +„Wenn’s Glück gut ist,“ sagt die Erdme, +„wird die Hälfte von dem Gepachteten fertig.“ +</p> + +<p> +Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder +eine Weile an und sagt dann: „Für ordentliche +Leute hab’ ich immer noch ein Stückchen Wiese +bereit, das nicht zu weit liegt.“ +</p> + +<p> +„O Gott, o Gott,“ denkt die Erdme. „Wie +erträgt der Mensch so viel Glück? Erst die +Wiese und dann auch noch gelobt werden.“ +</p> + +<p> +„Außerdem,“ fährt der Moorvogt fort, „ist +der Fiskus bereit, Ansiedlern, die sich bewähren, +<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a> +zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel +unter die Arme zu greifen. Das gibt +dann die doppelte Ernte.“ +</p> + +<p> +Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt +das Heulen, rennt hinaus und rennt schnurstracks +nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. +Dann wirft sie sich über die Wiege der kleinen +Katrike und erzählt ihr die ganze Geschichte. +Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher +einmal in Samt und Seide gehen wird, erzählt +sie ihr auch. +</p> + +<p> +Wie der Jons nachkommt, der inzwischen +alles festgemacht hat, fällt ihr ein, daß der Moorvogt, +wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen +Fahrten unmöglich was wissen kann. +Die kleine Ulele hat sie gewiß umsonst in Angst +gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine +Grenzen. +</p> + +<p> +Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß +angelegt werden, sonst wird’s für den Sommer +zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht +da, Weidenruten tun’s auch. Wenn die bloß +nicht immer von neuem losgrünen wollten. +Tag für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, +sogar die Brandmauer zwischen Kochherd +und Ofen schlägt noch einmal aus, weil +die Ruten, die ihr den Halt geben sollen, sich in +dem Glauben befinden, sie seien zu neuem +Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt. +</p> + +<p> +<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a> +So will alles leben und gedeihen, selbst +wenn es längst tot ist. Und der Jons und die +Erdme sollten <em>nicht</em> gedeihen, in denen doch +Leben steckt für zehne? +</p> + +<p> +Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch +und Fenchel werden gesät, vor allem aber die +Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. +Denn wenn die Katrike heiratet, muß sie sich +ihren Kranz aus dem eigenen Garten winden. +Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht +anders. — — +</p> + +<p> +Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles +zum dritten Mal Hochzeit. Die Kleine hat viel +Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die +sie der künftigen Stiefmutter beibrachte, daß +sie selbst einmal etwas sehr Reiches werden wird, +hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben. +</p> + +<p> +Sie ist eine hübsche Person zu Ende der +Zwanzig mit einem gutherzigen und gekränkten +Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen +deutschen Kleide und einer Jettbrosche unter +dem Halse, sieht sie aus, als ob sie gekommen +wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber +die kleine Ulele weicht ihr nicht von der Seite +und erzählt ihr immer aufs neue, wie herrlich +hier alles bestellt ist und was für vornehme +Gäste die Stube erfüllen und daß es für ihre +dreihundert Taler eine bessere Verwertung nicht +gebe. +</p> + +<p> +<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a> +Der große Smailus dagegen streicht seinen +rundbogigen Schnurrbart, sieht kühn in die +Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, +dies sei nun schon seine Dritte. Und hernach, +wie er betrunken ist, setzt er hinzu, wenn daraus +eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es +ganz recht. Aber da hat ihn die Ulele bald +beiseite geschafft. +</p> + +<p> +Abends spät, wie viele der Gäste schon weg +sind und die verlassene junge Frau aus dem +Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, +als möchte sie rasch wieder anspannen lassen, +da nimmt die kleine Ulele die Erdme beiseite +und sagt: „Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach +der Stadt, um das Nähen und die Putzmacherei +zu erlernen, denn das muß immer das erste +sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen +kann. Aber ich seh’ ein, ich kann die Stiefmutter, +bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz allein lassen. +Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. +Von dort wutsch’ ich des Abends manchmal herüber +und red’ ihr gut zu. Dich, Erdme, aber +bitt’ ich, daß du oft um sie bist. Der Vater +meint es nicht schlecht, aber sein Wesen könnt’ +sie verschrecken.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme verspricht es und denkt: +„Zusammen mit der kranken Witkuhn sind es +schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.“ +</p> + +<p> +<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a> +Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge +Frau und erzählt, wie verzagt sie einmal gewesen +ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen +sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte. +</p> + +<p> +Und die junge Frau meint traurig: „Aber +deiner war jung und war auch kein Witmann.“ +</p> + +<p> +Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt +sie sie bloß und hält ihr die Hände. Und langsam +beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten +Fladen. +</p> + +<p> +Der Witkuhn ist auch da — ohne die Frau —, +aber er spricht die Erdme nicht an. Sie muß +selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten +erinnern. +</p> + +<p> +„Es war doch so hübsch, Nachbar,“ sagt sie, +„darum komm nur immer herüber. Was nicht +sein soll, das hab’ ich vergessen.“ +</p> + +<p> +Er sagt: „Du bist gut gegen die kranke Frau +und darum auch gut gegen mich. Ich bete für +dich am Morgen und Abend, aber kommen — +das kann ich nicht.“ +</p> + +<p> +Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen +gehen soll, und nimmt sich vor, ihn nächstens +kirre zu kriegen. +</p> + +<p> +Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie +— sie führt ihn natürlich, denn hätt’ er sich nüchtern +gehalten, so wär’s eine schlechte Hochzeit +gewesen —, da sieht sie auf dem Weg den grauen +Schatten herumlaufen, der voriges Jahr, als +<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a> +sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich +ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen +gefahren war. +</p> + +<p> +Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis +und denkt auch an die Wassersnot, vor der +sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz +ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, +wie es geschieht —, sie hätt’ es auch nicht für +möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen +hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt +hat, und es ihm hinreichen. Und sagt: „Da +nimm, Nachbar, und wenn <em>du</em> Hochzeit machst, +gibst du mir auch was.“ +</p> + +<p> +Er greift zu wie ein Verhungernder und +prustet und faucht und läuft rasch davon, als +muß er den Raub in Sicherheit bringen. +</p> + +<p> +Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. +Denn sie denkt, er werde nun ein Recht an sie +haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, +wenn er des Wegs kommt. Und es redet doch +sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme +Taruttis tut es nicht. +</p> + +<p> +Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat +er sie anzuhalten versucht, und manchmal ist +er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. — — — +</p> + +<p> +Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und +Kuh verlangen Wartung, eines so viel wie das +andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da. +</p> + +<p> +Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr +<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a> +schwer, und die junge Frau Smailus muß eingewöhnt +werden, sonst läuft sie womöglich wieder +davon. +</p> + +<p> +Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der +kleinen Ulele gehabt hat. Aber klein ist die schon +lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch +kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid +und einen Strohhut mit Blumen. Sie nimmt +die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich +mit ihr in das Kieferngestrüpp, das nicht höher +ist als der Vater und dessen Nadeln büschelweis +stehen wie Haare auf Warzen. +</p> + +<p> +„Ach, wie ist es schön, so in einem grünen +Walde zu sitzen,“ sagt sie dann, „und die gesegnete +Flur zu erblicken!“ Und dabei zeigt sie nach den +struppigen Kartoffeln und auf das brandige +Moor, auf dem nichts weiter wächst als Torf in +kohlschwarzen Haufen. +</p> + +<p> +Und alsbald hat sie die junge Frau für acht +Tage wieder getröstet. +</p> + +<p> +Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: „Gott +sei Dank, jetzt wird sie’s leichter haben, denn es +ist zugesät bei ihr.“ +</p> + +<p> +Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. +Oft muß die Erdme heran, der traurigen Frau +den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht +und immer nach Hause will. +</p> + +<p> +Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. +Da heißt es, sich dreifach zusammennehmen +<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a> +und sich nichts merken lassen, sonst geht die +Wirtschaft den Krebsgang. +</p> + +<p> +Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt +auch für die Wiese zu sorgen. Die Karre nimmt +er des Morgens meist mit und schiebt sie des +Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. +Dazu kommt noch die Heuaust, das Mähen, das +Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, +wenn der Regen alles durchweicht hat. +</p> + +<p> +Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul +wird und kaum Antwort gibt, wenn man +ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb’s +wenig Unterhaltung im Hause. Aber die lacht +schon, macht Brummchen und zappelt, solange +man Zeit hat zum Spielen. +</p> + +<p> +Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig +Scheffel. Davon darf man sogar verkaufen. +Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines +kommen dazu. Man kann fürs nächste Jahr +an eine weitere Pachtung denken. +</p> + +<p> +Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur +daß die Erdme ein Spielzeug hat und daß die +Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt. +</p> + +<p> +Im April kommt die kleine Urte zugereist. +Ganz leicht und plötzlich ist sie gekommen. Der +Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen. +</p> + +<p> +Nun sind es schon zweie, und darum wird +Schluß gemacht. Das Nötige hat die Erdme als +Mädchen gelernt. +</p> + +<p> +<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a> +Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig +gewesen. Noch bleibt Zeit genug für die Frühjahrsbestellung. +Am neunten Tage nach der +Geburt hat die Erdme schon wieder bis an die +Knie im eiskalten Schlamm gestanden. So ein +Kerl ist die Erdme. +</p> + +<p> +Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus +gehabt, aber daran ist ihr Herzweh wohl schuld. +Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit +einem Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste +getan, hat das Kind gewartet so gut wie +die Mutter und hat dabei noch in den Büchern +gelesen. +</p> + +<p> +Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: +„Nun wird es wohl gehen, daß ich weg kann. +Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts +auf der Welt.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will. +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Zuerst nach Königsberg und +dann nach Berlin. Denn diese kleinen Nester sind +nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer +Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des +Abends die Schreibmaschine erlernen sowie die +Schnellschrift, die man Stenographie nennt. +Dann muß ich noch einmal aufs Land, das +heißt auf ein Rittergut, um die Wirtschaft zu +lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich +verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft +und mach’ mich dort unentbehrlich. +<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a> +Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, +weil er einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr +los ist. Aber im Grunde glaub’ ich es nicht. +Denn die Männer sehen mich nicht an.“ +</p> + +<p> +„Du bist ja noch so jung,“ sagt die Erdme. +</p> + +<p> +„Das ist wahr,“ sagt sie, „Busen hab’ ich +noch gar nicht. Vielleicht werd’ ich auch nie +einen kriegen. Ich hab’ immer gedacht, ich werd’ +durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber +das muß ich mir wohl aus dem Kopf schlagen. +Und es wird ja auch so gehen.“ +</p> + +<p> +Und die Erdme lacht und sagt: „Du mit +deinen fünfzehn — was kannst du da Großes +verlangen?“ +</p> + +<p> +„Um mich herum liebt sich schon alles,“ gibt +sie zur Antwort, „bloß mich wollen sie nicht.“ +</p> + +<p> +Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, +sieht auf die Wiege, in der Kopf an Kopf die +Urte und die Katrike liegen, beide mit Lutschpfropfen +im Munde, und denkt: „Euch wird es +nicht so gehen, denn ihr habt von meinem Blut +in den Adern.“ +</p> + +<p> +Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken +erriete, denn sie sagt seufzend: „Ja, wenn man +so eine wäre wie du!“ +</p> + +<p> +„Was willst du damit sagen?“ fragt die Erdme +argwöhnisch. „Weißt du etwas von mir?“ +</p> + +<p> +„Das gerade nicht,“ sagt sie, „aber — +aber —“ Und sie druckst und druckst und kommt +<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a> +nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, +dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Eine +Bestellung ist es eigentlich nicht, das würde sie +sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß, +daß du es erfährst.“ +</p> + +<p> +„Wer? Was?“ fragt die Erdme ganz erstaunt. +</p> + +<p> +Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen +wie zu einer Alten. Das Elend mit ihrem Manne +reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht +da ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid +antun. Und ob es keine Möglichkeit gebe, daß +die Erdme sich seiner erbarme. +</p> + +<p> +Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau +sich wirklich so an der Natur und der Religion +versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen. +</p> + +<p> +„Warum hängt er sich gerade an mich?“ +fragt sie. „Mädchen, die ihm gern einen Gefallen +täten, laufen genug herum auf dem Moor.“ +</p> + +<p> +Die Ulele macht eine pfiffige Nase. „Das +ist es gerade,“ sagt sie. „Ursprünglich wäre ihm +wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine +ihm nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als +ich noch dümmer war und nicht wußte, warum, +da hab’ ich mich ihm manchmal auf den Schoß +setzen wollen, aber da hat er mich von sich +gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber +hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich +verstehe ja nicht viel davon, aber ich meine, +wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm +<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a> +wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, +ich tät’s, aber ich bin ihm wohl noch zu klein.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf +bis zu Füßen. „Du verstehst wirklich noch nichts +davon,“ sagt sie und schiebt die Ulele hinaus +und nimmt auch keinen Abschied von ihr. +</p> + +<p> +Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr +nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt der Jons ihr +gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit +ist, dann sieht sie ihn immerzu an +und denkt: „Soll ich — soll ich nicht?“ Und ihr +Entschluß ist dann stets: „Nein, ich soll nicht.“ +</p> + +<p> +Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht +fernab auf dem Feld und sich sein feines, stilles +Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen, +dann denkt sie doch wieder: „Ich soll.“ +</p> + +<p> +Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts +von ihm träumt und bei Tage auf dem Grabenrand +sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich +die Arbeit. +</p> + +<p> +Schließlich denkt sie: „Komm’s, wie es will, +geschehen muß was.“ +</p> + +<p> +Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz +und geht zu ihm ’rüber. +</p> + +<p> +Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke +aus der Hand. Er steht da und sieht sie an wie +eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie +doch immer vor Augen. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, als hätte sie noch gestern +<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a> +mit ihm gesprochen, „willst du nicht einmal nach +unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.“ +</p> + +<p> +Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße +und kommt. Er befühlt der Kuh den Leib, legt +ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die +Augenhaut um. „Die Kuh ist gesund,“ sagt er. +Weiter nichts. +</p> + +<p> +Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie +zittert. Aber sie weiß, so ein Augenblick kommt +nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch +ein wenig in die Stube zu treten. +</p> + +<p> +„Was soll ich da drin?“ fragt er. +</p> + +<p> +„Ich hab’ schon lange einmal mit dir reden +wollen,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. +Die Wiege hat sie vorher auf den Hof gestellt, +damit die Kinder nicht zusehen. +</p> + +<p> +Und jetzt stehen sie da und zittern beide. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, „ich muß immer an die +Stunde denken vor zwei Jahren, und mir ist, als +habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es +gutmachen kann, will ich es gerne.“ +</p> + +<p> +„Es ist nichts gutzumachen,“ sagt er und bekuckt +sich die Bilder. +</p> + +<p> +„Setz dich auf die Bank, Nachbar,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr +kann sie wahrhaftig nicht tun. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt sie, „du hast ein seltsames +Wesen. Nicht bloß gegen mich. Dir muß irgend +<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a> +was geschehen sein. Das Beste wär’ schon, du +sprichst dich aus.“ +</p> + +<p> +„Jawohl,“ sagt er, „das will ich.“ +</p> + +<p> +Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie +es ihm in der Jugend ergangen ist. Er ist ein +froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, ansehnlich +und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern +gewollt zum Heiraten sowohl wie zu dem anderen. +Und eine — die war wild und heimlich zugleich. +Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war +ihr heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern +trafen sie sich unter dem Kadigbusch auf +der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. +Da wollte sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich +sind ringsum Lichter aufgetaucht von Jägern, +die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. +Da hat sie zu schreien angefangen, daß er +ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer stak, so +hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück +gekommen. Das hat ihn verfolgt von Ort zu +Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er +ein Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge +vor Gericht hat stehen müssen. Schließlich hat +er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher +bestraft ist und keinem viel Schaden daraus +erwächst. Der Moorvogt weiß es und seine Frau. +Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung +gesucht, aber die ist ja schon lang’ keine Frau +mehr. Und sobald eine andere ihm zugelächelt +<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a> +hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: +„Sie wird schreien.“ Immer hört er das +Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht, +wie es ihm damals gezittert hat, als er sich +stumm und ohne Verteidigung hat abführen +lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist +er noch heute. +</p> + +<p> +„Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen +können?“ fragt sie und lächelt ihn an. +</p> + +<p> +„Das weiß ich selber nicht,“ sagt er und streicht +sich übers Gesicht. +</p> + +<p> +„Nun, ich hab’ doch <em>nicht</em> geschrieen,“ sagt +sie und lächelt ihn immerzu auffordernd an. +</p> + +<p> +„Aber — abgewiesen hast du mich, und seitdem +ist es schlimmer als je!“ +</p> + +<p> +Soll sie nun sagen: „Heute würd’ ich dich +<em>nicht</em> abweisen?“ Das kann sie nicht. Das +bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen +Arm streichelt sie und sagt: „Armer Nachbar.“ +</p> + +<p> +Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber +was tut er? Er zittert und rückt von ihr +weg und stöhnt: „Laß man, mir hilft keiner +mehr.“ +</p> + +<p> +„Gott wird helfen!“ sagt sie, wie man sagt: +„Guten Tag“ und „Guten Weg“. +</p> + +<p> +„Auch Gott hilft mir nicht,“ schluchzt er und +ringt die Hände. „Ich hab’ zu ihm gebetet bei +Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung +von mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.“ +</p> + +<p> +<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a> +„<em>Ich</em> werd’ für dich beten,“ sagt sie. Sündigen +möcht’ sie viel lieber, aber man muß doch +so tun. +</p> + +<p> +Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie +der Hungernde den Knochen, den man zum Fenster +hinauswirft. +</p> + +<p> +„Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn +du mir eine große Gnade antun willst, dann +laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott +mich dann hört.“ +</p> + +<p> +Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor +und das von Jons, und jeder schlägt auf, +und sie beten und beten. +</p> + +<p> +Und siehe da! Immer frömmer wird ihr +zumute. Sie denkt an die schlafenden Kinderchen +draußen und an den Mann, der sich abschindet +von früh bis spät, und bald begreift sie +gar nicht mehr, daß sie eine so große Sünde hat +begehen wollen. +</p> + +<p> +Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, +sagt sie: „Nun, Nachbar, fühlst du, daß es dir +hilft?“ +</p> + +<p> +Er schüttelt bloß den Kopf. +</p> + +<p> +Sie denkt: „Aber mir hat es geholfen.“ Und +nun — ganz aufrichtig gesonnen — redet sie ihm +gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den +Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die +Kinderchen sind noch so klein, und der Jons hat +sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht recht +<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a> +ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später +einmal anders werden, so daß sie sich dann wegen +des Unrechts nicht mehr so zu schämen braucht. +Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken +anfängt und sie schlägt oder so. Dann würd’ +sie sich kein Gewissen draus machen. +</p> + +<p> +Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner +Mütze und sagt im Gehen: „Ich werd’ also +warten.“ +</p> + +<p> +Und sie denkt: „Schade! Aber wer weiß, +wozu es gut ist?“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Wenn <em>das</em> Überschwemmung ist, das läßt +sich ertragen! +</p> + +<p> +Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter +Wasser, auch ist der Knüppelweg zur Chaussee +an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich +in der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von +neuem kneten lassen. Aber schließlich — zu seinem +Vergnügen lebt man nicht im Moor, und +alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über +Hof und Gräben legt man Bretter, und der Estrich +wird wieder glatt gewalzt. +</p> + +<p> +So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal +gewesen, und die Erdme denkt nicht mehr +mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit +denen der alte Raubmörder einst ihre Hoffnungen +vergiftete. +</p> + +<p> +<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a> +Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die +scheinen ungern davon zu sprechen, und darum +unterläßt sie es. — — — +</p> + +<p> +Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man +stark genug ist, noch weitere Sprünge zu machen. +Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite +Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall +gebaut werden. Der Abschlag am Giebelende +reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn +die Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, +so daß an manchem Morgen das ganze Dach der +Kuh auf dem Rücken liegt. +</p> + +<p> +Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, +ist zu bezweifeln. Und da zu gleicher Zeit wegen +der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem +Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man +vielleicht aus dem Raiffeisenverein ein Darlehen +von ihm erlangen. +</p> + +<p> +Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April +stellen sie die Lampe hoch, verstecken die Streichhölzer, +schließen die Kinder ein, und dann gehen +sie zum Moorvogt. +</p> + +<p> +Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf +sein großes Buch auf. Ach, dieses fürchterliche +Buch! Je länger er darin liest, desto +zittriger werden der Erdme die Beine, denn +die Ulele hat ja einmal gesagt — — man +wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt +hat. +</p> + +<p> +<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a> +Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie +damals, und endlich macht er den Mund auf. +</p> + +<p> +„Also alles in allem geht es euch gut?“ +fragt er. +</p> + +<p> +Nun möchte ich den Landmann sehen — ob +litauisch oder deutsch, ob Bauer oder Graf —, +der auf eine solche Frage mit einem schlichten +Ja geantwortet hätte. +</p> + +<p> +Sie fangen also alle beide fürchterlich zu +klagen an. Die Nachtfröste im vorigen Herbst — +und die verschorften Kartoffeln — und die wartungsbedürftigen +Kinder — und die Überschwemmung +noch jüngst! +</p> + +<p> +„Was wißt ihr von Überschwemmung!“ sagt +er, und ein bitteres, ein fast verzagtes Lächeln +fliegt über sein starkes Gesicht. +</p> + +<p> +„Jedenfalls geht es euch so gut,“ fährt er +fort, „daß ihr eine erhebliche Vergrößerung +eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es +kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe +euch natürlich im Auge behalten. Das zweite +Hektar ist euch bewilligt, und auch für das Darlehen +werde ich eintreten. Nur — nur —“ +er stockt und sieht sie wieder an, „nur scheint mir, +daß ihr noch von der Bauzeit her dies und jenes +in Ordnung zu bringen habt.“ +</p> + +<p> +Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen +Blick zu. Was kann er nur meinen? +</p> + +<p> +Und er sieht sie immer weiter an mit starren, +<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a> +bohrenden Augen, als ob sie splinterfasernackig +vor ihm stünden. +</p> + +<p> +„O Gott, o Gott!“ denkt die Erdme. Denn +<em>was</em> hat die Ulele gesagt? +</p> + +<p> +Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich +am Abend ihrer Trauung im Matzicker Chausseegraben +gegeben haben. Ach, wie bald ist das +vergessen gewesen! +</p> + +<p> +„Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,“ +fährt der Moorvogt fort. „Geht also nach Hause +und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß +ich Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht +früher.“ +</p> + +<p> +Damit sind sie entlassen. +</p> + +<p> +In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. +Stillschweigend, mit gesenkten Köpfen gehen sie +wieder heim. +</p> + +<p> +„Allwissend ist Gott allein,“ denkt die Erdme. +</p> + +<p> +„Hier hilft bloß eines,“ sagt schließlich der +Jons, „daß wir nun doch noch unter die Gebetsleute +gehen.“ +</p> + +<p> +„Warum?“ fragt die Erdme. „Wir sind ja +fromm genug.“ +</p> + +<p> +„Wenn man unter die Gebetsleute geht,“ +sagt der Jons, „kann man seine Sünden bekennen +und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein +Schade erwächst.“ +</p> + +<p> +„Gutmachen kann man auch so,“ sagt die +Erdme. „Wozu noch erst viel bekennen?“ +</p> + +<p> +<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a> +„Das ist nicht das Richtige,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +Sie beschließen also, den frommen Taruttis +zu besuchen und zu sehen, ob es lohnt, sich in die +Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden. +</p> + +<p> +„Ich habe schon oft gebetet,“ sagt er, „daß ihr +den Weg zum Heile finden möget, und nun ist +mein Gebet erhört.“ +</p> + +<p> +So mager und so sanft sieht er aus wie ein +Sendbote des Herrn. Und seine Augen leuchten +wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die +Taruttene, die ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. +Sie ist nun ganz hutzlig geworden und will +gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon +gar nicht mehr aus. Aber er beruhigt sie. Damit +habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit. +Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt +werden. Und bei dem öffentlichen Bekenntnis +werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen +um Vergebung anflehen. Das habe noch immer +geholfen. +</p> + +<p> +Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben +es zwar oft schon mitgemacht, aber nun sie selbst +daran glauben müssen, wird es ihnen doch fürchterlich +sauer. +</p> + +<p> +Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier +auf den Tisch, macht eine römische Eins +und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt +<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a> +die Erdme das Wort und sagt: „Damit das Bekenntnis +ganz vollständig wird, wollen wir uns vorerst +im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. +Sonst könnte es geschehen, daß etwas fehlt, und +das würden wir uns niemals verzeihen.“ +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer +Bestrebungen und ladet sie zu der nächsten Versammlung. +Und dann gehen sie heim. +</p> + +<p> +„Nein,“ sagt die Erdme entschieden, „damit +die Leute hernach mit Fingern auf uns weisen: +‚Da seht das verstohlene Pack‘. Das könnte mir +passen.“ +</p> + +<p> +Der Jons meint zwar schüchtern, man könne +das Bekenntnis so undeutlich sprechen — besonders +wenn man zu zweit ist —, daß niemand +was Rechtes versteht. Aber die Erdme bleibt +fest. „Unsere Kinder sollen einmal in Samt +und Seide gehen,“ sagt sie, „für die muß vorgesorgt +werden.“ +</p> + +<p> +Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. +Der Mann, dem sie die Saatkartoffeln ausbuddelten, +bekommt die erste Nummer. Und dann folgt +eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. +Wem zum Beispiel sollen sie das Heu +für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel der +Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? +Oder: Wem hat der Jons Schaden getan, als +er mit dem Abgebrannten wegen der Türen +und Fenster den heimlichen Handel abschloß? +<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a> +Denn was eine Versicherungsgesellschaft ist, wer +kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: +die Veruntreuungen auf dem Holzplatz, +auf dem der Jons ja heute noch arbeitet! +Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. +Gar manchem, der eine offene Hand hatte, ist +beim Verladen eine oder die andere Planke mehr +auf den Wagen geschmissen worden. Und der +Aufseher hat dann den Rüffel gekriegt. +</p> + +<p> +Schlimme Sache! Schlimme Sache! +</p> + +<p> +Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons +bringt Postanweisungen und Linienpapier, und +nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, +gerade so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten +eintreten wollten ... Und das tun sie +aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse +werden von den Deutschen mit +Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht aufgenommen +und niemals weiter verfolgt. Aber +in zweifelhaften Fällen vermeiden sie der Sicherheit +halber, ihre Namen anzugeben. +</p> + +<p> +Einer der Briefe lautet so: +</p> + +<p class="addr"> +„Wehrter Herr Hahn! +</p> + +<p class="noindent"> +Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich +eretet hat aus allen meinen Sünden. Bezeugt +mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um +mit Gott und Menschen ins reine zu komen, +soll ich mihr reinigen wie auch der Herr Jesus +rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch +<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a> +Ihnen währent meinem Hausbau beschädigt habe +indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich +biete um Vergebung der Schuld, das sie mir +nicht vor dem Throne Gottes verklagen wirde. +Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten +Matirials. Der liebe Gott ist selber +Richter und weis am bästen den Weg. Er hat +meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete +nochmals um Verzeihung und vergebung der +Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und mein +Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr +Jesus hat mir schon vergäben, als er am Kreuze +auf Golgatha das Wort ausrief Es ist volbracht. +</p> + +<p class="sign"> +Achtungsvol<br /> +J. Baltruschat.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Und ein anderer lautete so: +</p> + +<p class="addr"> +„Hochgerter Herr! +</p> + +<p class="noindent"> +Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens +mich mit meinem Gott versähnen wolte, +fand ich unter den verbannten Gegenstenden, +das ich mich auch an Ihnen vergangen habe. +Zwar glaubte ich früher das wen man von +einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine +Sünde ist. Komme daher ihnen dankbar um +Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. +Ich befand mich vor langer Zeit bei meinem +bauen in großer Verlegenheit und da ging ich +hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm +gleichwie es Gott gefiel. Daher sände Sie gefälligst +<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a> +10 Mark. Biete wenn möglich um +Sündenvergebung. +</p> + +<p class="sign"> +Hochachtend<br /> +ein Nachbar.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Diese beiden Briefe, den frömmeren und +den weltlicheren, nehmen sie sich zum Muster +und richten danach die übrigen ein. +</p> + +<p> +So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen +genau die Beträge, die sie den Empfängern +schuldig sind. +</p> + +<p> +Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, +um zu erfahren, an wen er sich wegen des Ersatzes +zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen +Hause. Dessen Türen und Fenster sind +tausendmal schöner als die, die er damals beiseite +geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, +als er aber hört, daß Jons zu den Gebetsleuten +gehen will, sieht er gleich ein, daß es sein muß, +und gibt ihm genaueste Auskunft. +</p> + +<p> +So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, +denn das Ziegenheu kann auch von selber gefallen +sein. Aber das Holzgeschäft! +</p> + +<p> +„Das deutsche Schwein kann Wind auf dich +kriegen und zeigt dich am Ende noch an,“ warnt +die Erdme. „Selbst ohne Unterschrift kann es +dir schlecht gehen.“ +</p> + +<p> +Das sieht er auch ein und schreibt darum +zur Sicherheit den Namen eines anderen Arbeiters, +der vor kurzem nach Rußland zu den +<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a> +Holzfällern gegangen ist und der ebenso gemaust +hat wie er. So reinigt er zugleich auch dessen +Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen +werden muß. +</p> + +<p> +Als die Briefe und die Postanweisungen weg +sind, wird ihnen beiden sehr wohl zumut. Die +Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, +aber statt dessen hilft ja der Moorvogt. +</p> + +<p> +Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der +nächsten Versammlung der Gebetsleute das Sündenbekenntnis +ablegen sollen. +</p> + +<p> +So kommt der Sonntagnachmittag heran. +Sie sitzen vergnügt vor der Tür. Er raucht seine +Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die +Kinder spielen um sie herum. Da hören sie +mit <a id="corr-5"></a>einem Male einen feierlichen Gesang. +</p> + +<p> +„Es wird ein Begräbnis sein,“ meint die Erdme. +</p> + +<p> +Aber der Gesang kommt immer näher, und +was sehen sie? Der fromme Taruttis und zwei +andere fromme Männer gehen zwischen den +Kartoffeln geradeswegs auf sie zu, und jeder hält +sein Gesangbuch in der einen Hand und sein +Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze +hat keiner auf. +</p> + +<p> +O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen +können sie nicht, und Ausreden haben sie auch +nicht. +</p> + +<p> +Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie +willkommen und fragt, ob er den werten Gästen +<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a> +vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er +doch wissen muß, daß die Erleuchteten geistige +Getränke nicht zu sich nehmen. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis tut, als hat er die +Frage gar nicht gehört, und sagt: „Teurer Bruder +und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens +ist da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! +Folget uns nach Jerusalem, wo ihr alsbald +in weißen Kleidern dastehen werdet zur +rechten Seite des Herrn.“ +</p> + +<p> +Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen +ist, will richtig schon gehen, aber die Erdme hält +ihn gerad’ noch am Ärmel. +</p> + +<p> +„Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten +Gäste,“ sagt sie und macht ein scheinheiliges Gesicht, +„seit wir unseren Entschluß kundgetan +haben, prüfen wir uns unaufhörlich, aber es +will uns gar keine Sünde einfallen. Nun +müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht +vor euch zu erscheinen, wo doch ein jeder sonst +sein Bündelchen auspackt. Darum lasset uns Zeit, +ein Monatchen oder ein Jahrchen — oder noch +mehr, damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. +Vielleicht sündigen wir inzwischen +auch noch was Neues, und das ist dann gleich +ein Abwaschen.“ +</p> + +<p> +So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis +auch sein mag, — daß diese freche Person +sich lustig macht, das sieht er doch ein. +</p> + +<p> +<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a> +„Warum seid ihr denn zu mir gekommen?“ +fragt er sie ganz verdutzt. +</p> + +<p> +„Ihr seid ja auch zu uns gekommen,“ gibt +sie zur Antwort. +</p> + +<p> +Darauf wissen die frommen Männer nichts +zu erwidern und heben sich wieder von hinnen. +Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben, +dorthin, wo das Brett ’rüberführt. +</p> + +<p> +Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die +beiden Kleinen im Arm hat und liebkost. +</p> + +<p> +Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste +hinter den Weggehenden her und ruft ganz laut: +</p> + +<p> +„Meinen Töchtern die Heirat verderben, das +wär’ euer ganzer Segen, ihr Schufte!“ +</p> + +<p> +Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte +er gedacht, daß sein Weib so böse sein kann. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas +wie Frieden gekommen. Er weicht der Erdme +nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie +der kranken Frau beispringt, und kommt herüber, +so oft es nottut. Ohne ihn wäre der Stall +gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel +prächtiger als das Wohnhaus und bietet Platz +für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar — +der Himmel bewahr’ uns vor Hochmut! — sogar +für ein künftiges Pferd. +</p> + +<p> +<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a> +Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es +nie so weit bringen wird. Um so eifriger ist er +darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen. +</p> + +<p> +Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein +Werk. Eine Holländerin ist sie, wollstirnig mit +einem schwarzen und einem weißen Auge. Und +Milch gibt sie — man schämt sich zu sagen, wieviel +Milch sie gibt, aber die an der Ablieferungsstelle, +die wissen’s. +</p> + +<p> +Jetzt kommt des Abends schon manchmal +Butter auf den Tisch, und die Kleinen trinken +frische Milch, soviel sie nur mögen. +</p> + +<p> +Im Frühling des fünften Jahres geschieht +das Große, daß Jons seine ständige Arbeitsstelle +aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht +mehr, selbst wenn er die Freistunden noch so sehr +ausnutzt. +</p> + +<p> +Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied +zehn Mark und eine Kiste Zigarren wegen +der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im +Gegensatz zu anderen, die sich jetzt in Rußland +herumtreiben. +</p> + +<p> +Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff +genommen werden, zumal der am frühesten +urbar gemachte Boden für Roggen bald +reif ist. +</p> + +<p> +Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück +Wiese dazu und verspricht sogar, den Jons bei +<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a> +der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab +und zu in der Wirtschaft zu still wird. +</p> + +<p> +So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt +da wie ein blühendes Kleefeld. +</p> + +<p> +Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten +Beine hebt und senkt, daß der federnde +Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das +schwarze Wurzelwerk unter den Streichen der +Hacke zerblättert, als wäre es Torfgrus, dann +ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, +um ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt +in lauter Wohlsein die starke Brust dem Gelingen +entgegen. +</p> + +<p> +Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber +ringsum sitzt Kummer genug. Von der hinfälligen +Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. +Die wird sich vielleicht noch Jahre so schleppen, +ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben ihr +lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig +von Gliedern und schafft auch, aber in ihrem +Innern scheint sie noch kränker als jene. +</p> + +<p> +Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche +Antwort, wenn man sie fragt, und ihre Brust +hat nicht Milch für die Kinder. +</p> + +<p> +„Was ihr fehlt, weiß ich lange,“ sagt der Nachbar +Witkuhn. „Die Moorkrankheit hat sie.“ +</p> + +<p> +Die Erdme fragt, was das ist. +</p> + +<p> +Und er sagt: „Die Moorkrankheit kommt wie +durch ein Gift, das aus dem Boden aufsteigt. +<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a> +Niemand weiß, wie es aussieht, und kein +Doktor hat es gefunden. Es ist da und ist auch +nicht da. Wie man will. Den einen wirft es +nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für +den, der daran krankt, gibt es nur eine Rettung: +’raus aus dem Moor, rasch ’raus, ohne +sich umzusehen. Aber für die meisten ist es zu +spät.“ +</p> + +<p> +Was die Erdme einst der Ulele versprochen +hat, das hält sie getreulich. Sie steht der gemütskranken +Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht +bei der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des +Sonntags oder zum Feierabend — denn Feierabend +gibt es schon manchmal — geht sie hinüber +zu ihr, legt den Arm um ihre Schulter und sagt: +„Komm, Nachbarin, wir wollen uns was erzählen.“ +Und sie führt sie die Sandnase hoch +und in das Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke +Frau am liebsten, denn es gemahnt sie an die +verlorene Heide, von der sie herstammt. +</p> + +<p> +Und dann seufzt sie und weint: „Ach, meine +Heide, meine Heide!“ +</p> + +<p> +Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht +machen. „Ich bin ja auch von der Heide zu +Hause,“ sagt sie, „und weiß: schinden tut man +sich dort nicht weniger als hier. Auf dem Sand +gedeiht nicht einmal Roggen, und der Hafer sieht +aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten +— na ja — die stehen ja dort höher. Aber Schatten +<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a> +geben sie auch nicht. Und vorwärts kommt +man hier besser als dort.“ +</p> + +<p> +„Aber wenn dort das Heidekraut blüht,“ sagt +die Frau und starrt sehnsüchtig ins Weite, „und +alles ist rot von lauter Blumchen, und die Hummeln +singen drum ’rum, und die Luft ist warm, +und unter dem Kadig liegt man geborgen so wie +im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im +August und ist stets am Versinken. Vier Wochen +sind’s her, da ist mir mit einmal der Herd eingesunken +— vor meinen sehenden Augen ist er +gesunken.“ +</p> + +<p> +„Dann ist er eben zu schwer gewesen,“ tröstet +die Erdme, „man muß ihm einen besseren Untergrund +schaffen.“ Und um die Frau aufzuheitern, +erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, +rotbärtigen Doktor, der immer kleiner und kleiner +wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem +Leibe versanken. +</p> + +<p> +Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit +anrichtet, sie hätte es lieber <em>nicht</em> getan. +Als sie das nächste Mal mit der Frau zusammenkommt, +da krallt die sich an ihr fest und sagt: +„Stell dir vor, Nachbarin, jetzt kann ich des +Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich muß +immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir +wegsinken, und das ganze Bett versinkt, und ich +versink’ mit.“ +</p> + +<p> +In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel +<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a> +ein, das der Nachbar Witkuhn die einzige Rettung +genannt hat, und sie entschließt sich, die verängstigte +Frau langsam an den Gedanken des +Weggehens zu gewöhnen. +</p> + +<p> +Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist. +</p> + +<p> +Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie +keine, trinken tut er auch nicht, aber — und nun +legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr — +„aber er wartet schon“. +</p> + +<p> +„Worauf wartet er denn?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +Da macht die Frau die Augen weit auf — +die richtigen Unglücksaugen macht sie — und sagt +ganz leise ihr großes Geheimnis: „Er wartet +schon auf die Vierte.“ +</p> + +<p> +„Woher weißt du das?“ +</p> + +<p> +Sie weiß es nicht, aber das fühlt man. +</p> + +<p> +Die Erdme wird dreister. „Da kannst du ihm +aber behilflich sein,“ sagt sie. +</p> + +<p> +„Womit?“ +</p> + +<p> +„Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich +’raustragen. Dann bist du das Moor los und +gehst auf die Heide.“ +</p> + +<p> +„Und die Kinder?“ +</p> + +<p> +Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, +was Mutter ist, einen anderen Gedanken gäbe. +</p> + +<p> +„Die nimmst du mit.“ +</p> + +<p> +„Und dann?“ +</p> + +<p> +Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie +mitgekriegt hat, die stecken hier in der Wirtschaft. +<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a> +Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie +nun wiederkommt — ohne einen Groschen und +ein Kind an jeder Hand, — wer wird sie aufnehmen? +Betteln kann sie gehen. +</p> + +<p> +Die Erdme denkt: „Wenn das Herz ihr nicht +längst gebrochen wär’, würd’ sie schon durchkommen.“ +</p> + +<p> +Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! +Auch die gehört zu den meisten, für die es zu +spät ist. +</p> + +<p> +Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und +denkt: „Dann werd’ ich sie also zu Tode trösten.“ +</p> + +<p> +Und das hat sie auch redlich getan. Ein +Lungenhusten ist gekommen, und die Frau ist +schwächer und schwächer geworden. Und erst, +als gar nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken +war als der, der auf den Kirchhof führt, +da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne +gemacht. Der Smailus werde verkaufen, ihr +zuliebe werd’ er verkaufen — genau so ist der +Smailus! —, dann werden sie auf die Heide +ziehen, und sie wird sich unter den Kadigbusch +legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist +— und dann wird sie schlafen und schlafen — +alle Angst und alle Müdigkeit wird sie ausschlafen. +</p> + +<p> +Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber +es hat doch noch zwei Jahre gedauert. — — +</p> + +<p> +In der Nacht nach dem Tode, so gegen +<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a> +Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an Baltruschats +Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus +ist da und weint dicke Tränen. Es ist ihm so +graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht behalten +möchten bis gegen den Morgen. +</p> + +<p> +„Da hast du’s, Nachbar,“ sagt die Erdme. +„Erst konntest du’s nicht erwarten, und jetzt tut +es dir weh.“ +</p> + +<p> +„Es ist nicht ums Wehtun,“ sagt er, „aber +ohne Frau kann man nicht sein. Wer wird mir +jetzt die Schweine futtern und die Kuh?“ +</p> + +<p> +„Ich denk’, die hast du schon lange gefuttert,“ +sagt die Erdme. +</p> + +<p> +„Das ist richtig,“ sagt er, „aber sie war doch +da.“ +</p> + +<p> +Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps +nach dem anderen. Und langsam wird er beredt. +Was man beim Nachbar Smailus so nennen +kann. +</p> + +<p> +„Ich darf mich ja nicht beklagen,“ sagt er, +„denn das Sprichwort heißt: ‚<em>Der</em> Bauer hat +Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen +sterben.‘ Pferde hab’ ich ja keine, aber von +Frauen ist mir nun schon die dritte gestorben. +Also hab’ ich doch Glück. Aber so was ist leicht +gesagt. Denn wo krieg’ ich nun gleich die Vierte +her?“ +</p> + +<p> +„Damit hat’s ja noch Zeit,“ tröstet die Erdme. +„Laß sie doch erst unter der Erde sein.“ +</p> + +<p> +<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a> +„Nein, damit hat’s keine Zeit,“ entgegnet er. +„Die Trauerfrist werd’ ich schon abwarten. Das +versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. +Und so eine, wie meine Dritte war, die findet +sich nicht leicht. So sanft von Gemüt, und dreihundert +Taler. Die hat mir auch noch die Ulele +besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?“ +</p> + +<p> +„Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,“ sagt +die Erdme. „Die hat ja noch unlängst Wein +geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.“ +</p> + +<p> +Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, +die Ulele, aber die Ölsardinen haben der +Erdme den stärksten Eindruck gemacht — in Erinnerung +an den Glanz ihrer Mädchenzeit. +</p> + +<p> +Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten +Tage eine Depesche zu schicken. Berlin ist ja +weit, aber denkbar wär’s immerhin, daß sie käme. +</p> + +<p> +„Wieviel kostet so eine Depesche?“ fragt der +Smailus. Und ob er womöglich auch noch die +Reise bezahlen muß. +</p> + +<p> +Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die +Depesche werde sie auslegen und sich später +von der Ulele entrichten lassen. Was aber die +Reise belangt, so sei die ohnehin viel, viel zu +teuer für ihn. +</p> + +<p> +Da willigt er ein und gibt auch gleich den +Umschlag mit ihrer Adresse. +</p> + +<p> +Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele. +</p> + +<p> +Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof +<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a> +zu Heydekrug ankommt, da steigt sie aus +einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt +eine Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht +so eine Dame! Ganz in Schwarz mit langem +Schleier und noch einem Schleier und noch +einem Schleier. Nie im Leben hat die Erdme +so viele schwarze Schleier gesehen. +</p> + +<p> +Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich +sie den Wagen selber kutschiert, der die Nachbarstochter +heimfahren soll. Die muß erst kommen +und sie in die Arme schließen. Und das tut sie +vor allen den Leuten und schämt sich nicht im +geringsten. +</p> + +<p> +Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt +nicht mehr an die tote Nachbarsfrau, nicht an +den Sarg, nicht ans Begräbnis — wo sie doch +selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist +wie ein hilfloses Kind, — sie sieht bloß die Ulele. +</p> + +<p> +Der Inbegriff von allem, was sie hat werden +wollen und nicht geworden ist, das Abbild, das +Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der +Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, +das Feinste, das Höchste auf und über der Erde, +Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin +des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, +keine Kellnerin kann so schön sein wie +die Ulele. +</p> + +<p> +Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man +solch eine Dame Litauisch sprechen gehört. Es +<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a> +geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch +Litauisch. +</p> + +<p> +Sie fragt gleich nach allem: „Wo ist der +Vater? Wer macht den Sarg? Wer trägt mir +Koffer und Kranz auf den Wagen?“ +</p> + +<p> +Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig +Lilien, und es ist doch noch Winter. +</p> + +<p> +Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann +zu fahren, um den Sarg zu besehen. Und +zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation +wegen des Leichenschmauses. +</p> + +<p> +Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und +alles ist da. +</p> + +<p> +Das ist die Ulele. +</p> + +<p> +Aber stolz ist sie eigentlich nicht. +</p> + +<p> +Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat +sie all ihre Schleier abgetan und sieht nun in +dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel +anders aus als eine Deutsche auf dem Szibbener +Kirchhof. +</p> + +<p> +Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das +tut, da sagt sie: „Ich bin ein dummes Kalb gewesen. +Ich hab’ mich von euch bewundern +lassen wollen, und darum hab’ ich mir all das +Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm’ ich mich +recht vor eurem bißchen Armut.“ +</p> + +<p> +Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die +gelben, knöchernen Hände und sagt: „Die hab’ +ich allein auf dem Gewissen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a> +„Wieso?“ fragt die Erdme. +</p> + +<p> +„Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und +nur auf mein Zureden ist sie gekommen.“ +</p> + +<p> +Während der Leichenfeier hält sie die Kinder +auf dem Schoß und wischt ihnen die Näschen, +aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in +seinem Kummer nicht nach hinten geht und zu +viel trinkt. Und jedem der Gäste schenkt sie ein +Stückchen Seife. +</p> + +<p> +Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch +weitere acht Tage, ist aber selten zu sehen. Und +wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich immer +steckt, da gibt sie zur Antwort: „Ich muß doch +den Kindern eine Mutter besorgen.“ +</p> + +<p> +Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und +setzt sich mit der Erdme an den Feuerherd. +</p> + +<p> +„Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich +weiter gehen,“ sagt sie. „Sie ist aus Pagrienen +und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas +Geld hat sie, und das übrige leg’ ich zu. Aber +das darf der Vater nicht wissen. Damit er sie +richtig in Ehren hält.“ +</p> + +<p> +„Du bist wohl sehr reich?“ fragt die Erdme +bewundernd. +</p> + +<p> +Sie lächelt und sagt: „Eigentlich bin ich ärmer +als ihr, nur bei euch hat das Geld einen anderen +Wert.“ +</p> + +<p> +Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze +Geschichte. +</p> + +<p> +<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a> +Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es +einmal in ihrem Kopf entstanden war. Hat die +Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die Verwaltung +und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren +Geschäftsleiterin in einer Seifenfabrik. Daß es +kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen war, +sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied. +</p> + +<p> +„Und wird Er dich heiraten?“ fragt die Erdme +begierig, denn sie hat jedes Wort im Gedächtnis +behalten. +</p> + +<p> +Die Ulele macht den Zeigefinger naß und +streicht sich über die Augenbrauen. Das tut sie +oft, wenn sie nachdenkt. +</p> + +<p> +„Das geht nicht so leicht, wie man sich’s vorgestellt +hat,“ sagt sie und lächelt. „Denn meistens +ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar +noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann +begnügt man sich gerne damit, daß Er manchmal +abends zu einem kommt und bis Mitternacht +bleibt. Dann muß man Ihn heimschicken, damit +die Frau nicht Verdacht schöpft.“ +</p> + +<p> +„Aber Er gibt dir doch, was du willst?“ fragt +die Erdme mit blitzenden Augen. +</p> + +<p> +„Was ich will, gibt Er mir schon,“ sagt die +Ulele. „Aber viel darf es nicht sein, damit die +anderen nicht denken, daß man sich ’rumtreibt.“ +</p> + +<p> +Das begreift die Erdme nicht recht. Sie +würde gegrapscht haben ohne Unterlaß, ohne Bedenken. +So was versteht sich von selber. +</p> + +<p> +<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a> +„Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter +da,“ fährt die Ulele fort, „der mich durchaus +heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen +und niemand. Darum muß man immer hübsch +einfach sein. Nun ist die Frage: soll ich darauf +hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, +oder mach’ ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? +Das erstere wäre mir lieber, denn dann bliebe +ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an +zwei Männer — das ist mir zuviel. Und schließlich +kommt’s einmal ’raus, und die ganze Blase +platzt auseinander. Ich werd’s aber trotzdem +wohl tun, denn ich lieb’ die Fabrik wie mein +Kind.“ +</p> + +<p> +„So hast du also doch durch das Mannsvolk +dein Glück gemacht,“ sagt die Erdme mit Stolz. +</p> + +<p> +Die Ulele schüttelt den Kopf. „Dann sieht die +Geschichte ganz anders aus,“ sagt sie. „Stöckrig +bin ich geblieben, und Busen hab’ ich richtig +auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, +reden wir vom Geschäft viel mehr als von Liebe. +Durch Tätigkeit hab ich’s gemacht und durch +Nachdenken, — aber natürlich: das Mannsvolk +muß mithelfen, sonst bleibt man im Mustopf.“ +</p> + +<p> +Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt +auch die Kinder. Und jedem schenkt sie ein Stückchen +Seife, die riecht noch schöner als die beim +Begräbnis. +</p> + +<p> +An demselben Abend, nachdem Erdme die +<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a> +Kinder zur Ruhe gebracht hat, kniet sie an ihren +Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem +Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso +fein und ebenso vornehm werden sollen wie die +Ulele, die jetzt Adele heißt. +</p> + +<p> +Und die sollen <em>gerade</em> durch das Mannsvolk +ihr Glück machen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Von der Katrike und der Urte hab’ ich noch +gar nichts erzählt. +</p> + +<p> +Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, +gehen in die Schule und lernen ein vornehmes +Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch +Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite +Welt hinaus, dorthin, wo die Menschen nicht +einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist +unerbittlich, wenn sie das „h“ nicht aussprechen +können, und wie sie’s endlich gelernt haben, +da verwechseln sie „Ecke“ und „Hecke“ und sagen +„der Uhn at Heier gelegt“. Und manchmal +weiß die Erdme es selbst nicht. +</p> + +<p> +Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was +Besserem geschaffen sind, als sich hier von dem +Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, +denn das Moor beizt und macht Schrunden und +Risse. Darum sollen sie in den Kartoffeln nur +arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. +<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a> +Am liebsten schickt sie sie in die Wiese. +Dort dürfen sie auf den Heuhaufen liegen und +den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. +So wie die Schwalbchen werden sie auch +einmal in andere Gegenden ziehen, aber heimkehren +zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür +sind sie zu schade. +</p> + +<p> +Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit +nach Kräften. Sie treiben sich weit und breit +im Moore herum und entdecken allsommerlich +neue Gebiete. +</p> + +<p> +Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, +wird nicht leicht glauben, wieviel es darin zu +entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein Birkengebüsch +— von fern sah es nach gar nichts aus, +aber steckt man die Nase hinein, dann ist es voll +von heimlichen Wundern. Rauschbeeren wachsen +darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man +sie gern, denn sie schmecken noch schöner als die +Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie machen +die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt +und einschläft. Und der ledrige Porst treibt +Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch +besser als in dem kitzelnden Heu. +</p> + +<p> +Und manchmal findet man Blänken und +Teiche — nicht die viereckigen mit dem kohlschwarzen +Steilrand, die durch Torfstechen künstlich +gemacht sind — o nein doch — diese hier +stehen seit Erschaffung der Welt und stechen von +<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a> +weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die +einer im Sonnenlicht hin und her dreht. +</p> + +<p> +Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel +zu Humpel muß man springen, sonst versinkt +man womöglich im Schlamm, und wer einen +dann noch herausholt, wie kann man das wissen? +Aber ist man erst da, dann hat man Freude genug. +Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, +wie Knäuel von Schlangen durcheinandergewunden. +Darin klettert man ’rum und genießt +das eigene Fürchten. Und noch was weit, +weit Schöneres gibt es. Das ist der Rasen, +der in das Wasser hineinwächst und auf dem +man sich schaukeln kann, noch lustiger als zwischen +zwei Birken. Aber fix muß man sein und das +Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben +auf, und will man verweilen, dann sinkt er schwer +in die Tiefe. Auch sind seine Ränder sehr böse +gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit +er hält. Mit einem Male kann das Wasser an +einem hochspritzen, und wie man dann ’rauskommt, +das weiß man noch weniger. +</p> + +<p> +Aber das macht nichts. Bisher hat man sich +immer gerettet. Zwei so’nen Moorkröten wird +das Moor doch nichts tun. Das wär’ ja noch +besser. +</p> + +<p> +Im Winter freilich ist’s schlimm — wenn man +zur Schule muß und der Frost durch die Handschuhe +durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. +<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a> +Und in den Schlorren erfrieren die Füße. Da +muß die Mutter zur Nacht Terpentin auflegen. +Das brennt wie das höllische Feuer. +</p> + +<p> +Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn +man die Hand vor den Augen nicht sieht und vom +Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und +plötzlich im Schnee steckt bis über die Achseln. +</p> + +<p> +Dann möchte man wohl gerne zu Hause +bleiben wie die anderen, deren Eltern ein solcher +Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig +die Mutter sonst wohl auch ist, hierin +kennt sie kein Mitleid. +</p> + +<p> +„Die Schule <em>muß</em> sein,“ sagt sie, „denn +wenn sie nicht lernen, können Besitzerstöchter +niemals ihr Glück machen.“ +</p> + +<p> +Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens +und abends und bei jeder Gelegenheit. +Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug +ihrer Geburt erinnert werden als sie. Auch +daß sie einmal in Samt und Seide gehen +werden, wissen sie längst und putzen zunächst +an den Lumpen herum, die zum Schulgang +immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke +sind fein — bunter Kattun aus dem Hoffmannschen +Laden, mit weißen Spitzen besetzt — dreißig +Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben +sie auch und Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter +selber bestickt. +</p> + +<p> +Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur +<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a> +wenn sie mithelfen sollen und die Mutter meint, +sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich +auf. Und dann muß sie klein beigeben. +Wer weiß, ob er ihr sonst nicht eins überrisse. +</p> + +<p> +Vom Vater wissen sie wenig. Meistens +hockt er des Abends stumm auf der Ofenbank, +oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann +nimmt er ein Blatt Papier vor und rechnet. +</p> + +<p> +Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun. +</p> + +<p> +Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und +damit der Höchststand erreicht. Das Pferd ist +auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und +bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist +eine braune, struppige Kragge mit Spatbeinen +und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin +achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. +Darum läuft es trotz seiner vierzehn Jahre noch +immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem +Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen +mit einem Lehnensitz, man könnte +sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen. +</p> + +<p> +Aber solche Sprünge machen wir lange noch +nicht. Wir sammeln Pfennig für Pfennig und +tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß +das Pracherhaus heruntergerissen und statt +seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es die +Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, +mit Kachelofen und Dielen unter den Füßen. +</p> + +<p> +Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie +<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a> +es geht, und steckte das Gekrassel dann an. Aber +zwischen Versicherung und Brand müßten anstandshalber +zwei Jahrchen liegen oder auch drei, +sonst steigt einem womöglich der Staatsanwalt +auf den Puckel. Versichern kann man ja immerhin +schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, +das immer besser gedeiht und das auf dem +Markte Preise kriegt, wie man sie niemals geträumt +hat. +</p> + +<p> +Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin +vorwärts kommt und der liebe Gott seine Hände +sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu +hüten! +</p> + +<p> +Dann ist auch das Frommsein leicht, und die +Kirchfahrt wird ein Vergnügen. Schon weil +einen die Leute ansehen und sagen: „Das ist +der Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei +Töchtern. Der fing einmal ganz klein an und +hat unlängst eine Belobigung bekommen für +Mastvieh.“ +</p> + +<p> +Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht +mehr, und keiner geht jemals zu ihm. +</p> + +<p> +Bis endlich die Erdme sagt: „Ich muß ihm +die Kinder bringen, damit er sieht, wer wir sind.“ +</p> + +<p> +Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, +steckt ihnen Kämme ins Haar und Schleifen +unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber. +</p> + +<p> +Er ist nun ein Greis, und die Taruttene +pappelt wer weiß was. +</p> + +<p> +<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a> +„Nachbar,“ sagt die Erdme, „du hast uns +einmal Obdach gegeben, als wir jung waren +und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum +kommen die Mädchen schön Dank sagen.“ +</p> + +<p> +Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm +die Hand, und die Katrike will nicht, aber sie +muß. +</p> + +<p> +Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz +übersinnig geworden. Er muß erst nachdenken, +wer sie wohl sind, dann sagt er: „Ja ja — ja ja. +Der Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen +Trachtens voll. Und keine Reue hilft und keine +Demütigung und kein Gebet. Darum soll er +sich züchtigen mit Geißeln und den Kopf im +Staube bergen vor seinem Gott.“ +</p> + +<p> +Die Erdme sagt gekränkt: „Wenn ich gewußt +hätte, daß du so nachtragend bist, Nachbar, dann +wär’ ich nicht zu dir gekommen.“ +</p> + +<p> +Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von +neuem. Dann sagt er: „Es will mir scheinen, +Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, +während ich doch nur mich selber im Sinne habe.“ +</p> + +<p> +„Wieso?“ fragt die Erdme verwundert. +</p> + +<p> +„Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr +mich und meine gottgefälligen Freunde mit Kränkung +von dannen gehen heißen. Da habe ich +Lieblosigkeit gegen euch aufgesammelt in meinem +Herzen und habe euch Übles antun wollen. Ich +habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt +<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a> +hätte, hätte ich es auch nicht gekonnt, aber +daß ich bösem Willen eine Herberge geben konnte +in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. +Die bitte ich Gott ab, indem ich sie dir abbitte, +Nachbarin.“ +</p> + +<p> +Und da geschieht das Wunderbare: der arme +alte Mann kniet mühsam vor ihr nieder und hebt +die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, +ihn wieder hochzuziehen. +</p> + +<p> +Die beiden Marjellen aber lachen sich eins +und machen, daß sie hinauskommen. Und wenn +Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack +spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß +sie niederkniet und Abbitte leistet, sonst sei sie +kein gottgefälliges Mädchen. +</p> + +<p> +Und dann vertragen sie sich und lachen immer +aufs neue. +</p> + +<p> +Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht +als der Baubau — „der Baboszius“, wie die Litauer +sagen — durch ihre ganze Kinderzeit. Vor +dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken. +</p> + +<p> +Das ist der alte Raubmörder drüben in der +baufälligen Kate, der korbflechtend am Wege +sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn +sie, aus der Schule kommend, vorbeimüssen. +Dann nehmen sie die Röcke zwischen die Beine, +und heidi! jagen sie quer übers Moor — über +Kartoffeläcker und Gräben der schützenden Heimat +entgegen. +</p> + +<p> +<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a> +Und doch hat er ihnen nie was getan. +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein +gütiger Onkel, bringt Gerstenzucker und Walnüsse +mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. +Darin stehen Geschichten von Königstöchtern und +Prinzen und anderen vornehmen Leuten, zu +denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt +immer noch und läßt sich von der Mutter betreuen. +Aber ihnen sollte es einfallen, für fremde +Leute Magddienste zu tun! +</p> + +<p> +Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike +ließ’ es nicht zu, denn warum so was Unnützes +überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung. +</p> + +<p> +Die Frau des Smailus — die vierte — ist +ihnen nicht grün und will kaum einmal, daß die +Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze +Person, die ihren Mann hält, als wär’ er ihr +Knecht. +</p> + +<p> +Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der +Smailus bisweilen und klagt: „Was können die +Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, +und die gestorbenen Frauen? Denn ich bang’ +mich so sehr nach der Dritten.“ +</p> + +<p> +Und dann sagt die Mutter bloß: „Siehst du, +Nachbar, da hast du’s.“ — — — +</p> + +<p> +Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen +Kopf und soll drum in der Fremde +ihr Glück machen. +</p> + +<p> +<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a> +Die Katrike wird nächstens zum Unterricht +gehn. Sie wächst und wächst dem lieben Gott +ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie +„das Katzchen“ genannt. Faul ist sie wie die +Pest. Sie muß daher ein Rittergut haben. Und +so ist alles aufs beste bestellt. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! +Wassersnot! +</p> + +<p> +Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser +wird man doch noch aushalten können. Das +ist doch fast in jedem Frühling so gewesen. +</p> + +<p> +Aber man hat erzählt, die Leute, die vom +großen Strom herkommen, haben Vieh angebunden +und Betten aufgeladen. In langer +Reihe stehen die Wagen auf dem Rußner Chausseedamm, +und vor der langen Brücke sollen sie +aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter +können. Der Heydekrüger Markt sei übervoll, +und nirgends mehr geb’ es ein Obdach. +</p> + +<p> +Die Erdme sagt zum Jons: „Sieh doch mal +nach, was dran wahr ist.“ +</p> + +<p> +Der zieht die langen Stiefel an und planscht +drauf los. +</p> + +<p> +Der Hof steht unter Wasser. Das will am +Ende nicht viel sagen. Der Knüppelweg steht +auch unter Wasser, aber der Boden darunter +<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a> +ist noch steif gefroren. Man kann vom Fenster +aus sehen, daß er fest hält. Wie der Jons marschiert, +macht das Wasser spielende Wellchen +über dem Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde +es spritzen. +</p> + +<p> +Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen +Nebel und scheinen so weit weg, daß man meinen +könnte, sie seien aus einer anderen Welt. +</p> + +<p> +Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, +und die Dächer tropfen. +</p> + +<p> +Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen +an. Die Kühe haben heute früh noch kein Heu +gekriegt, und die Schweine quaksen. +</p> + +<p> +Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: +„Wir müssen abfuttern gehen.“ Aber die wollen +nicht ’ran, denn das Wasser ist naß. +</p> + +<p> +So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt +die Röcke hoch und geht auf Klotzkorken nach +dem Hof. +</p> + +<p> +Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, +schwimmen schon, und wenn man von einem +zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur +so in die Höhe. +</p> + +<p> +Aber man kommt doch noch hin. +</p> + +<p> +Den Schweinen geht das Wasser schon an +die Läufe. Sie sind unruhig und fressen nicht. +Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die +kommt aus der Niederung und kennt den Dienst. +Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die +<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a> +will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, +obwohl ihm die nasse Streu kein Vergnügen +bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, aber +sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher +legen, und dazu gehört eine Sommerarbeit von +vierzehn Tagen. +</p> + +<p> +Sie will sich von den Tieren nicht trennen, +läuft von einem zum anderen und klopft ihnen +beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun. +</p> + +<p> +Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: +„Mamma! Mamma!“ +</p> + +<p> +„Was ist?“ +</p> + +<p> +„Das Wasser ist in der Stube!“ +</p> + +<p> +Also zurück. +</p> + +<p> +Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr +halten. Tritt man darauf, so gleiten sie seitwärts, +und man sieht sich im Wasser bis über die +Waden. Aber man kommt doch noch immer +zurück. +</p> + +<p> +Richtig! Das Wasser steht in der Stube. +Gar nicht wie ein Gast, der nicht hingehört. Hat +sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann +sich drin spiegeln. +</p> + +<p> +Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und +sagen: „Wo sollen wir nun sitzen?“ +</p> + +<p> +„Setzt euch auf den Tisch,“ sagt die Erdme. +Ihr sind die Beine wie Eis. Sie sucht einen +Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den +Kasten. Da ist das Wasser schon an den Kleidern +<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a> +hochgeklettert und hat alles verfeuchtet. So +setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine +an der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt +ist noch worden. Das wärmt sie wieder ein +bißchen. +</p> + +<p> +Die Marjellen haben sich richtig auf den +Tisch gehuckt, wo das Frühstück noch ’rumsteht. +Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie +in die Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie +zu träge ... +</p> + +<p> +Die Erdme will die Füße zur Erde sinken +lassen, aber erschrocken zieht sie sie wieder zurück, +denn das Wasser reicht auch hier schon bis über +die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen +Kartoffeln geschwommen und der Schmandtopf +zum Buttern. +</p> + +<p> +Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da +nun doch nicht gebuttert wird, so trinken sie ihn +umzech aus, und jede freut sich an dem weißen +Schnurrbart der anderen. +</p> + +<p> +„Mamma,“ sagt die Katrike, „wenn wir hier +’raus müssen, wer wird uns dann abholen kommen?“ +</p> + +<p> +„Der König wird einen Prinzen schicken,“ +sagt die Erdme, die sich zu ärgern anfängt. +</p> + +<p> +Und sie wollen sich schief lachen. +</p> + +<p> +Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe +in dem Kleiderschrank auf dem Boden stehen +und notwendig naß werden müssen. +</p> + +<p> +<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a> +„Ach, Mamma,“ sagt die Katrike, „du hast ja +schon sowieso kalte Füße. Sei so gut und hol +uns die Schuhe.“ +</p> + +<p> +„Holt sie euch selber,“ sagt die Erdme, die +immer noch zittert. +</p> + +<p> +Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da +die Katrike am Mittwoch zum Unterricht muß, +so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß +einen Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. +Auf dem Sitz kniet sie nieder und öffnet die +Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, +und einer ist umgekippt, so daß beim Hochheben +das Wasser im Bogen herausläuft. +</p> + +<p> +Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt +erst ein Unglück geschehen ist. Wenn <em>die</em> eine +Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht! +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden. +</p> + +<p> +„Paßt auf, ob der Vater kommt,“ sagt sie +zu den Marjellen. +</p> + +<p> +Die kucken zum Fenster ’raus und sagen nach +einer Weile: „Der Nachbar Witkuhn will das +Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.“ +</p> + +<p> +„Ist es schon so weit?“ denkt die Erdme, und +das Herz steigt ihr hoch. Doch dann gibt sie sich +einen Stoß und springt von der Ofenbank ’runter. +Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, +stundenlang — sie wird auch das aushalten +können. +</p> + +<p> +„Kommt mit in den Stall,“ sagt sie. +</p> + +<p> +<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a> +Die beiden glauben nicht recht gehört zu +haben. Quer durch die Überschwemmung — +o pfui doch! +</p> + +<p> +„Dann ersauft meinetwegen hier,“ sagt sie. +</p> + +<p> +Da leuchtet es ihnen schon eher ein. +</p> + +<p> +Draußen reicht das Wasser bereits bis an +die Knie, und den Marjellen noch höher. Sie +heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie +doch. +</p> + +<p> +Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine +drehen sich quiekend im Kreise, und die Kühe +reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. +Nur das Pferdchen steht voll Ergebung und +zittert. +</p> + +<p> +Mein Gott, und der Vater kommt immer noch +nicht! +</p> + +<p> +Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter +ihr — naß bis gegen den Nabel. +</p> + +<p> +„Ich hab’ mein Vieh dem Smailus mitgegeben,“ +sagt er. „Die Schweine sind in den +Graben geraten und werden ertrinken. Eure +kriegt ihr schon nicht mehr heraus.“ +</p> + +<p> +„Was wird werden, Nachbar?“ Sie ringt +die Hände. +</p> + +<p> +„Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, +ihr schafft die Kühe hinauf.“ +</p> + +<p> +Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. +Seit wann kann eine Kuh die Leiter hochklettern? +</p> + +<p> +„Bringt Säge und Schaufeln,“ sagt er. +<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a> +„Auch Mistgabeln bringt, ich werd’s euch zeigen. +Dann muß ich ’rüber, meine Frau auf den +Boden tragen. Die liegt im Bett und kann sich +nicht rühren.“ +</p> + +<p> +Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei +Mistgabeln. +</p> + +<p> +„Draußen liegen Ziegel vom Bau her,“ sagt +er weiter, „die klaut aus dem Wasser und schafft +sie herein.“ +</p> + +<p> +Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt +er jeder einen Stoß gegen den Hintern. Das +hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die +Ziegel, und die Katrike schimpft, sie wird sich +erkälten. +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht +auf dem Estrich aus, gerade unter der Luke, und +dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, +die ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist +zu staken an, der Kuh immer unter die Hufe, +so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht. +</p> + +<p> +„So macht’s weiter,“ sagt er und schwingt +sich hinauf durch die Luke. Deren Bretter sägt +er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, +daß eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann. +</p> + +<p> +Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon +gegen die Decke, aber unten weicht das Wasser +die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will. +</p> + +<p> +„Stemmt Bretter gegen!“ sagt er. Die Marjellen +tun’s. Nun sie naß sind bis gegen den +<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a> +Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das +einzige, was sie vor dem Erstarren bewahrt. +</p> + +<p> +Die Schweine stehen auf den Hinterläufen +und trippeln an der Wand entlang wie große +Ratten im Käfig. +</p> + +<p> +Wer wird sie heben können? Denn um stille +zu halten, sind sie zu dumm. +</p> + +<p> +„Manneskraft fehlt,“ sagt der Nachbar. Dann, +sich vor die Stirn fassend, stöhnt er leise: „Und +sie liegt und kann sich nicht rühren.“ +</p> + +<p> +Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber +er bleibt. Es ist ja die Erdme, die ihn braucht. +</p> + +<p> +Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, +da steht der Jons mit einem Male da — naß wie +eine ertränkte Katze. +</p> + +<p> +„Ich hatt’ einen Kahn beschafft für euch,“ +sagt er, „da haben die anderen mich ’rausgeschmissen. +Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, +und ein Kind ist ertrunken. Von +nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den +Chausseedamm.“ +</p> + +<p> +Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind +starr. Nur ein Rucken zeigt, daß noch Leben +in ihnen ist. +</p> + +<p> +„Nachbar,“ sagt der Witkuhn, „die eine Kuh +ist oben. Versuch’s mit der anderen. Die Erdme +weiß, wie. Das Pferd laß ’raus, das schwimmt +zum Damm von alleine. Aber die Schweine +müssen ersaufen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a> +„Vielleicht krieg’ ich sie auch noch ’rauf,“ sagt +der Jons. +</p> + +<p> +„Unmöglich ist nichts,“ sagt der Nachbar und +planscht zur Tür. +</p> + +<p> +„Wo willst du hin?“ fragt der Jons. +</p> + +<p> +„Meine Frau liegt im Bett und kann sich +nicht rühren!“ +</p> + +<p> +„Dann bet ein Vaterunser für sie,“ sagt der +Jons. „Jenseits des Wegs ist jetzt Strömung. +Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen +tust du auch.“ +</p> + +<p> +„Ich muß!“ sagt der Nachbar und geht. — +</p> + +<p> +Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen +Stücke schwimmen nun ’rum. Auch die Schwarzweiße +folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch +der Mist will unter dem Wasser jetzt nicht mehr +halten. Der Jons bricht die Raufen entzwei +und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So +kommt Festigkeit in den Bau. +</p> + +<p> +Die Schweine in ihrer Todesangst klettern +jetzt an den Menschen hoch — man muß sie mit +Mühe abwehren —, und auch das Pferdchen +wird unruhig. +</p> + +<p> +Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem +es eine Weile lang in den Stall zurückgewollt +hat, begibt es sich klug auf die Reise. +</p> + +<p> +Sie schaufeln und staken und staken und +schaufeln und nutzen jeden Eimer und jede +Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen. +</p> + +<p> +<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a> +Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, +da liegt schon das eine der Schweine regungslos +auf dem Wasser. Das andere, das immer noch +quiekt, schieben sie den Mistberg hoch, so daß es +halb erwürgt oben ankommt. +</p> + +<p> +Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen. +</p> + +<p> +Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu +und hat Krämpfe. +</p> + +<p> +„Ich geh’ ins Haus und hole, was nötig ist,“ +sagt die Erdme. +</p> + +<p> +Die Marjellen schreien: „Du wirst ertrinken!“ +Aber sie macht sich nichts draus. +</p> + +<p> +Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die +Brust. Es steht nicht mehr still wie zuvor. +Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, +dicker als Torfziegel. Die kommen sicher vom +Strome. Es muß also ein Dammbruch geschehen +sein. +</p> + +<p> +Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren +zu wollen über Nacht. Aus der Gegend der +Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von +Menschen und Tieren. Ab und zu ein Schrei +wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles still. +Wie längst gestorben ist alles. +</p> + +<p> +Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen +die Tischplatte. Die Stühle schwimmen. Die +im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch +trocken. Nur das unterste Stück hängt ins +Wasser. +</p> + +<p> +<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a> +Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück +ist’s, daß dem Jons sein Schafpelz zum Trocknen +noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird +Wärme haben. +</p> + +<p> +Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und +her, die Arme hochhaltend, und immer schwieriger +werden die Wirbel. +</p> + +<p> +Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu +die Glieder warm und wühlt sich nackt in den +Haufen. Und während die Marjellen kreischen +und Jons im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein +und schläft die ganze Nacht durch wie ein Sack. — +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser +glänzt eine dünne, blaßblaue Eisschicht, in die +schneegraue Blöcke eingefroren sind. +</p> + +<p> +Sie denkt an die Prophezeiung des alten +Raubmörders. Wer jetzt noch gegen das +Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe +Eis mit tausend Messern das Fleisch zerschneiden. +</p> + +<p> +Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte +ihr einstmals drohte. Nur daß sie nicht im +Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben +im Hause geblieben, weiß Gott, wie es dann +aussähe! Das, was dort Dach heißt, hätte sie +niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, +das Haus sieht aus wie eine Roggenhocke +kurz vor dem Umfall. — +</p> + +<p> +<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a> +Sie steht auf und zieht sich an. — Die Röcke +von gestern sind noch patschnaß, aber die mitgebrachten +scheinen fast trocken. +</p> + +<p> +Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem +Fieber redet Dummzeug. Die Kühe haben sich +eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück. +</p> + +<p> +Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch +der Stall nicht mehr festhält. Und der war doch +wie für die Ewigkeit gebaut. +</p> + +<p> +Wie geht’s denn mit den Häusern ringsum? +Heute ist klare Luft. Man sieht sie, als wäre +man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft +das Wasser zur Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen +sein mag? Ob die Frau wohl noch +lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein +das Dach durchschlagen, denn der bestand +bis hoch oben aus Ziegeln. +</p> + +<p> +Und dicht daneben? Was ist das? Da steht +ja ein anderes Haus, das gestern nicht da war! — +Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des +alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden. +</p> + +<p> +Um Himmelswillen — das fremde Haus +dicht neben dem Hofe des Smailus, das ist sie ja! +</p> + +<p> +Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, +langsam treibt sie der Wasserdrang vor sich +her. In jedem Augenblick verschiebt sich die +Richtung gegen den Hof hin. +</p> + +<p> +<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a> +Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, +das sie weiter bewegt? So viel Kraft kann das +kaum haben, denn dann gäb’ es ja keine Eisschicht. +Und was bedeutet die Stange, die sich am hinteren +Ende hebt und senkt? +</p> + +<p> +Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein +Kahn. — Ein Kahn, der sich fortbewegt, ein +Kahn, der gelenkt wird. +</p> + +<p> +Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst +von einer Arche Noah gesprochen? +</p> + +<p> +Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam +kommt sie, aber sie kommt. Kommt +sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie +vorbei? +</p> + +<p> +Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und +schreit: „Hierher! Hierher!“ +</p> + +<p> +Die beiden Marjellen fahren hoch: „Mamma, +was ist?“ +</p> + +<p> +„Schreit, schreit, schreit!“ +</p> + +<p> +Und alle drei schreien: „Hierher! Hierher! +Hierher!“ +</p> + +<p> +Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, +dort, wo die Birken bis an die Kronen im +Eise stehen. +</p> + +<p> +Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit +hochstehenden Rändern. Die hat er all die Jahre +mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts +ahnen. +</p> + +<p> +„Hierher! Hierher!“ +</p> + +<p> +<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a> +Und jetzt hört man schon das Zerspellen des +Eises, das sich am Holze hochschiebt und klingende +Risse voraufwirft. +</p> + +<p> +Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die +Lumpen eines Schafpelzes hängen an ihm herum. +Er schwingt die Stange und lacht — lacht — +lacht. +</p> + +<p> +„Nachbar, hierher!“ +</p> + +<p> +„Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar — hä? +— Der geliebte Nachbar! Der wertvolle Nachbar +— hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen +wollten, dann wär’ ich euch nicht zu schlecht — +hä?“ +</p> + +<p> +„Nachbar — vergiß und hilf!“ +</p> + +<p> +„Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! +Und kein Abseitsrücken! Jetzt wird spazierengefahren +an allen vorbei, die ertrinken, +und gelacht wird wie bei einer Hochzeit.“ +</p> + +<p> +„Nachbar — erbarm dich!“ +</p> + +<p> +„Hast <em>du</em> dich erbarmt? Ja, du <em>hast</em> dich +erbarmt! Du hast mir einmal ein Stück Hochzeitsfladen +hingeworfen. Hast es wohl längst +vergessen. Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, +Hochzeit zu feiern bei mir. — Du und +was mit dir da drin ist.“ +</p> + +<p> +„Jons, steh auf!“ +</p> + +<p> +Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt +von Sommerwiesen und Heuaust. Und die +Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen +<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a> +lieber ertrinken als zu dem Raubmörder ins +Haus. +</p> + +<p> +Aber die Erdme fackelt nicht lang’. Sie +kriegt die Urte zu packen und wirft sie dem Alten +aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe entzweiknallt. +Und mit der Katrike macht sie’s +nicht anders. +</p> + +<p> +Aber der Jons! Der Jons! „Jons, steh auf, +wir müssen in die Wiesen!“ +</p> + +<p> +Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er +läßt sich auch den Pelz anziehen, mit dem er +über Nacht bedeckt war. +</p> + +<p> +Aber nun ’runter. Wie schafft man ihn +’runter? Denn auch ihn aufs Dach werfen — +das geht nicht. Er würde abrutschen und ins +Wasser stürzen. +</p> + +<p> +„Jons, spring! Nimm Vernunft an und +spring!“ +</p> + +<p> +Aber das tut er nicht. Er muß ja in die +Wiesen. +</p> + +<p> +Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch +die Luft zu werfen, so daß es das Rohrdach in +Haufen bedeckt. +</p> + +<p> +„Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring +’rauf, sonst fahren wir ohne dich nach Haus.“ +</p> + +<p> +Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und — +Gott sei gesegnet! Er springt. Bleibt in dem +Rohrloch stecken, und da ist er geborgen! +</p> + +<p> +Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt +<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a> +werden. Die Kühe haben Futter, aber das +Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht +von dem Miste ernährt. +</p> + +<p> +Also los! +</p> + +<p> +Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm +entgegen. +</p> + +<p> +„Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?“ +</p> + +<p> +„Wer hat mir geholfen — hä?“ +</p> + +<p> +„Der Taruttis hat für dich gebetet.“ +</p> + +<p> +„Aber gesprochen hat er nicht mit mir — und +der Taruttis ist auch schon weg.“ +</p> + +<p> +„Aber der Witkuhn ist noch da und seine +todkranke Frau.“ +</p> + +<p> +„Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen +sie alle.“ +</p> + +<p> +„Der Witkuhn wird <em>nicht</em> ersaufen. Und +wenn du mir nicht gehorchst — ich bin stärker als +du und schmeiß’ dich ins Wasser.“ +</p> + +<p> +„Ist das der Dank, du Bestije?“ +</p> + +<p> +„Ob Dank oder nicht — ich schmeiß’ dich ins +Wasser.“ +</p> + +<p> +Sie hat Fäuste wie Eisen — das merkt er +sofort und läßt schimpfend die Stake in ihrer +Hand. +</p> + +<p> +Und sie lenkt hinüber zum Weg — an den +eingefrorenen Birken entlang und über den +Weg hinweg. Langsam geht es — o Gott, wie +langsam! — Das Eis knirscht, als fletscht es ihr +tausend grimmige Zähne entgegen, und der +<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a> +Alte tanzt hin und her und droht, er wird die +Axt holen und sie erschlagen; aber sie lacht nur +und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft dicht +vor ihr liegt. +</p> + +<p> +„Nachbar! Nachbar Witkuhn!“ +</p> + +<p> +Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr +lebendig. Nur die Katze sitzt auf dem Dachfirst +und knaut. Und das Wasser spült über das zersplitterte +Eis weg rund um den Giebel. +</p> + +<p> +„Nachbar Witkuhn!“ +</p> + +<p> +Da — was schiebt sich aus der schwarzen +Luke langsam ins Helle? Ein Bett kommt gekrochen, +und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt +die tote Frau, und der Nachbar geht +hinterher und schiebt. +</p> + +<p> +Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar +schwimmt hinterher. Und schließlich kommt +auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten +festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen +herein. +</p> + +<p> +„Wie fandst du sie?“ +</p> + +<p> +„Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß +ich nicht. Als ich sie auf den Boden hob, war sie +längst tot.“ +</p> + +<p> +Weiterfahren! +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar +die Hand. Und der nimmt sie auch und hält +sie ganz gierig, als hätte <em>er</em> die Rettung vollbracht. +</p> + +<p> +<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a> +Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, +an keiner Wirtschaft vorbeizufahren, aus +der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten +Geschmack gefunden, seitdem eine Menschenhand +in der seinigen lag. +</p> + +<p> +Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar +Witkuhn, denn er ist naß und darf nicht erklammen. +Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. +Die beiden Marjellen sitzen zusammengekrochen +im Winkel, und der Jons stöhnt oben im Rohrdach. +</p> + +<p> +Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger +als ein Ziegenverschlag. Der Fußboden +besteht aus langen Rudern, den Putschinen, +mit denen die Flößer ihre Holztriften +lenken. Die hat er dicht neben einander gelegt +und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und +verteert. Ein Bett und ein eiserner Ofen — +viel mehr steht nicht drin. Und da kein Herd +da ist, der einen Untergrund braucht, so kann +das Ganze vom steigenden Wasser sich hochheben +lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm. +</p> + +<p> +Noch aus drei Häusern holen sie die nassen +und steifgefrorenen Bewohner. Die dürfen ins +Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen +zum Heizen sind auch da. +</p> + +<p> +Der alte Raubmörder geht immer von einem +zum andern und kriegt nicht genug Hände zu +schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er. +</p> + +<p> +<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a> +So kommen sie näher und näher an den +Chausseedamm, an dessen Höhe dem Wasser kaum +noch ein Zoll fehlt. +</p> + +<p> +Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall +und nach Fütterung, und auf den Wagen weinen +die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum +mit Eimern voll dampfendem Kaffee. +</p> + +<p> +Und überall die Stimme des Moorvogts. +Vorne und hinten, in Streit und in Jammer — +überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft +und schiebt die Achsen und halftert das Vieh +und ordnet die allmähliche Abfahrt. +</p> + +<p> +Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen +sieht und den Bootshaken streckt, +an dem man sich festhält. +</p> + +<p> +„Also das war dein Kunststück,“ sagt er zu dem +aussteigenden Alten. Und der nicht faul, verlangt +sofort seine Pension. +</p> + +<p> +„Erst geht in mein Haus und wärmt euch,“ +sagt der Moorvogt. Da gewahrt er das Bett +mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. +Sein Gesicht, das von dem zweinächtigen +Tagewerk wild gedunsen und rot ist, +wird lang und grau. Er schlägt sich mit den +Fäusten vor die Stirn, und wie einer, den beim +letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, +sagt er leis’ vor sich hin: +</p> + +<p> +„Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.“ +</p> + +<p> +<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a> +Aber in demselben Augenblick hat er sich schon +einen Ruck gegeben und ist obenauf. Niemand +als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei +gehört. +</p> + +<p> +Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm +herangefischt. Und während es langsam +dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die +Mützen vom Kopf. Einer stimmt an, und alle +bis weit in die Ferne hinein, auch jene, die +noch nicht wissen können, was los ist, singen das +alte Begräbnislied: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse"><span class="antiqua">Jau su Diewu gywenkite</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">Jus mylimi, ne werkite,</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">Kunelí manó dekite</span></p> + <p class="verse"><span class="antiqua">I zemé ir pakaskite.</span></p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Das heißt auf deutsch: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,</p> + <p class="verse">Weint nicht, nun ich selig werde,</p> + <p class="verse">Und den Leib, der hier geblieben,</p> + <p class="verse">Senket in die dunkle Erde.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +Laut und andächtig singen sie, denn wenn +es, Gott sei gedankt, auch nur wenig Tote gab, +jeder hat ja eine Hoffnung begraben. +</p> + +<p> +Bloß einem geht es so gut wie noch nie. +</p> + +<p> +Das ist der alte Raubmörder. +</p> + +<p> +Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts +mitten auf dem gestreiften Sofa, hat die Hände +um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift, +speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die +<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a> +ihn voll Achtung umstehen, wie klug vorausschauend +er einst sein Haus umgebaut hat und +wie vielen durch seine Guttat heute das Leben +erhalten blieb. Darum und aus noch vielen anderen +Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine +Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage +beschließen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Wie kann der Frühling so unbarmherzig +sein! +</p> + +<p> +Je wärmer die Tage werden, desto frostigere +Nebel haucht das durchkältete Moor; je heller +die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt sie +zutage. +</p> + +<p> +Der Jons ist von seiner Lungenentzündung +aufgestanden und schleicht am Stock wie ein +nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er +gelegen, und Erdme mitsamt den Marjellen ist +derweilen bei Fremden in Pflege gewesen. +</p> + +<p> +Nun sich das Wasser verläuft, können die +Moorleute endlich wieder zurück. +</p> + +<p> +Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da +finden! +</p> + +<p> +Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor +fünfzehn Jahren erbauten, das steht zwar noch — +aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer +stark schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. +Tritt man ein, so stinkt es nach Moder und +<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a> +Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der +Herd auseinandergespellt, und was von dem +Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein mächtiger +Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es +mit Lehm und mit Ziegeln bis in die Tischecke +hin. +</p> + +<p> +Ein Wohnen darin ist unmöglich. +</p> + +<p> +Darum beschließt die Erdme, mit dem noch +krankenden Mann und den Töchtern zum Stall +hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren +geholt worden, die an jenem Tage +im Extrazug aus Königsberg kamen. Und das +Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. +Die müssen sich alle mit der linken +Seite behelfen, die rechte, wo früher die +Schweine hausten, wird Wohnung. +</p> + +<p> +Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen +wollen nicht ’ran. In einem Schweinestall +zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. +Das sei eine Entwürdigung. Besonders wenn +man dicht vor der Fräuleinschaft steht. +</p> + +<p> +Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der +trostlose Zustand dauert nicht ewig. Denn dort, +wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten, +um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen +und vier Dutzend Schwarten ein Haus zu errichten, +rücken eines Tages die Zimmerleute an, +und langgestreckte Gefährte bringen Balken und +Bretter. +</p> + +<p> +<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a> +Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als +damals! — Der Raiffeisenverein hilft, und was +noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank. +</p> + +<p> +Der Meister hat einen Grundriß gemacht für +eine Große und eine Kleine Stube, für Kammern +und Klete, und statt des lehmbeschmierten Ziegelgestells +wird ein glitzernder Kachelofen herrlich +erstehen. +</p> + +<p> +In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das +den Stolz der Familie noch weiter in die Höhe +hebt. +</p> + +<p> +Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist +in der weiten Welt nicht unbemerkt geblieben. +Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange Schilderungen +gebracht, und sowohl die rettende Arche +Noah als auch die Frauenleiche im schwimmenden +Bett sind beschrieben und abgebildet +gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die +auf Erden so lange und so still gelitten hat, vom +Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu +ihrem Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert. +</p> + +<p> +In den großen Städten haben die schönen +jungen Damen zugunsten der Überschwemmten +getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. +Haben Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, +Schaumwein und Küsse verkauft und sind, wenn +das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen. +</p> + +<p> +Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt +<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a> +und dabei vielerlei Sachen gefunden, die +den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem +Werte sein mußten: Festkleider von vor +sechs Jahren, durchgescheuerte Unterröcke, zerpliesertes +Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern, +vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, +gespenstische Bademäntel und zu alledem Hüte +für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult, +verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der +Inbegriff aller irdischen Pracht. +</p> + +<p> +Auch die feinen Herren haben das ihre getan. +Die einen haben alte Hochgebirgskostüme geliefert, +weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich +war. Die anderen haben weißen Flanell +bevorzugt, weil so ein Moor doch nahe am +Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen +Wesen der Notleidenden entsprechend +ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische +gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise +ihr altes Ballzeug loswerden zu können. +</p> + +<p> +Kisten und Kisten wurden verfrachtet und +gingen per Eilzug an den Heydekrüger Frauenverein. +Endlich, endlich werden die armen, nackten +Moorleute was anzuziehen kriegen! +</p> + +<p> +Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand +vor sich liegen sehen, schlagen sie voll Entsetzen +die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, +ihn ihren Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten +zu dürfen. Sie kramen alles heraus, +<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a> +was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen +das andere verstecken. Aber da kennen sie +unsere Moorleute schlecht. +</p> + +<p> +Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten +für sie ins Land geflogen sind, da +stürmen sie den Schmidtschen Speicher und +suchen mit List und Gewalt das Feinste des +Feinen für sich zu erraffen. Wunder auch! Wer, +der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt +den schwarzen Erdenschlamm knetet, wird es sich +nehmen lassen, des Abglanzes fernher leuchtender +Paradiese teilhaftig zu werden? +</p> + +<p> +Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden +flittrigen Fetzen. Wer was Warmes und Dunkles +in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen. +Schandworte fliegen herum, und draußen kommen +Tauschgeschäfte zustande, die wohl zehnmal +zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer +Tracht Prügel ein Ende nehmen. +</p> + +<p> +Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, +was das Glück ihnen zuschanzte, und haben ein +Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. +Manche spiegeln sich nach jedem hundertsten +Schritte im Wasser der Gräben, und alle +fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, +ob ihm in der Dämmerung nicht was weggegrapscht +wird. Den alten Raubmörder will +einer gesehen haben, wie er, gegen einen +Chausseebaum gelehnt, barhäuptig dastand und +<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a> +einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der +Brust plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen +ließ. +</p> + +<p> +Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen +reich beladen nach Hause. Sie haben die +lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich +mehr an das Schwere und Feierliche gehalten, +denn Erdme war ihres alten Schwures gedenk, +daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide +einhergehen sollen. +</p> + +<p> +Und das können sie fortan wirklich. +</p> + +<p> +Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem +Samt, tiefausgeschnitten und mit glitzernden +Perlen bestickt. +</p> + +<p> +Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen +und damit selbst die vornehmsten Töchter der +Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des +Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar +herumstehen. +</p> + +<p> +Da die frühere Eigentümerin von mächtigem +Leibesumfang gewesen sein muß, so können beim +Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen +werden, daß sich auch für die Urte ein +Staatskleid ergibt. Und als das fertig ist, bleiben +noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme +die eigene Bluse reichlich damit besetzen kann. +</p> + +<p> +So fahren sie also am Einsegnungstage alle +drei in himmelblauem Samt zur Kirche. Und +die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher. +</p> + +<p> +<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a> +Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin. +</p> + +<p> +Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die +lichterziehend und wie ein Paradiesvogel bunt +in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, +da packt sie sie an dem Samtschlafittchen und +schiebt sie ins Pfarrhaus. +</p> + +<p> +„Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, +Marjell, dich in solchem Aufzug vor den Altar +Gottes treten zu lassen?“ +</p> + +<p> +Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken. +</p> + +<p> +Aber wie die Katrike bittet und weint, da +fühlt sie ein menschliches Rühren, holt aus dem +Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft +es ihr um die Schultern. +</p> + +<p> +Und so kann sie denn eingesegnet werden. +</p> + +<p> +Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen +die Baltruschats, von neidischem Staunen umgeben. +Nur des Jons muß man sich etwas schämen, +weil er nicht fein genug ist. +</p> + +<p> +Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, +wie sie den Stolz der Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit +verdammt hinter dem Pfarrer herkommen +sieht, aber sie tröstet sich bald. +</p> + +<p> +Steckt auch der Glanz noch in schlichtem +Futteral, er ist doch schon da. Und das ganze +kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu +entfalten. +</p> + +<p> +Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch +<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a> +blauer sind als der Samt, den sie anhat, und +denkt beim Singen und Beten an die künftigen +Bräutigams. +</p> + +<p> +Und der Jons denkt beim Singen und Beten +an das wachsende Haus, dessen glatt behobelte +Wände schon über das Moor hinleuchten. +</p> + +<p> +Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht +zu denken gewagt? +</p> + +<p> +Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus +dem Moorschlamm herausgeholt, der zäh und +unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser +lagert, bereit zu verschlingen, was sich ihm anvertraut. +</p> + +<p> +Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons +seine zerarbeitete Hand und denkt: Hat es zwischen +uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer +hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich +überstanden, — wo sollte er herkommen, +nun es leichter und leichter wird? +</p> + +<p> +Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag +nah ist. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-15"> +15 +</h3> + +<p class="first"> +So! Nun mach’ ich einen langen Atemzug — +der dauert volle zehn Jahre lang —, und dann +erzähl’ ich, was aus dem Jons und der Erdme +und den zwei hoch hinaus wollenden Töchtern +weiter noch wird. +</p> + +<p> +Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand +<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a> +nicht viel zu berichten. Als sie mit +siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als +Kellnerin einzutreten — denn das sollte die +Schwelle sein zu dem künftigen Glück —, da +war sie ein appetitliches Marjellchen mit kornblumenblauen +Augen und einem süßen Schnauzchen, +rund und feucht wie eine betaute und +gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, +die sie inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie +schlank und hoch geworden ist und überhaupt +wie eine von den schönen Damen, die in dem +früheren Hause an den Wänden klebten. Sie +schreibt bald von der Pariser Weltausstellung, +bald aus dem schönen Italien, sogar von der +Spitze des Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte +geschickt, obgleich einem dort von der großen +Kälte die Finger erklammen. +</p> + +<p> +Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern +Ortrud, und auch Baltruschat heißt sie nicht +mehr — so ein litauischer Name ist viel zu gemein +für sie —, sondern einmal schreibt sie sich +Balté, ein andermal Baldamus und ein drittes +Mal sogar wie der katholische heilige Balthasar. +</p> + +<p> +Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, +wenn man ihrer gedenkt. +</p> + +<p> +Die Katrike allerdings — die ist noch etwas +im Rückstand. Sie hat keine Lust gehabt, sich +ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch +daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer +<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a> +hat sie immer noch nicht. Woran das +liegt, ist schwer zu sagen. +</p> + +<p> +An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang +ist sie geraten — das wissen wir schon —, und die +Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter ihr +her: „Kiek — die lange Latte!“ Dafür ruft man +sie zu Hause auch „Pusze, Pusze“, das heißt +„Miesekatzchen“, und dieser liebliche Name macht +viel wieder gut. +</p> + +<p> +An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie +spricht ein sehr feines Deutsch und spitzt den +Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum +Beispiel: „Üch bün eune reuche Besützerstochter.“ +Und das soll ihr mal einer nachmachen! +</p> + +<p> +Viel tun — tut sie nicht. Hat sie auch nicht +nötig. Dafür ist jetzt die Jette da, die Dienstmagd. +Eine niederträchtige Kröt’ übrigens. Die spottet +der Katrike doch immer nach. Wenn sie über +den Hof geht, faßt sie den Unterrock mit zwei +Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und dreht +den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann +ihr nichts nachweisen. +</p> + +<p> +Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu +schade. Eine Stelle als Stütze oder Gesellschafterin +müßte es sein. Aber sie will nicht. +Sie will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen +und sich mit der Brennschere — die hat ihr einmal +die Urte geschickt — die Haare in Wickel drehen. +Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so +<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a> +graugelb wie bei einem Mutterschaf auf der +Scherbank. +</p> + +<p> +Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. +Sie liebt die Traumbücher und die Zaubersprüche +und liest darin morgens und abends. +</p> + +<p> +Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und +die bespricht sie fortwährend. An einem Ostermorgen +ist sie sogar früh aufgestanden, hat splitterfasernackt +das Haus ausgefegt und das Gemüll +ebenso nackt über die Grenze getragen. Aber +geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die +Jette meint, sie solle es machen wie sie und die +Flöhe mit einem Spirituslappen betupfen, so +daß sie nicht hoch können. Aber diese Fangart +ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es +lieber mit Zaubern. +</p> + +<p> +Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike +sehr wenig. Aber was soll er machen? Die +Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß +gehen darf sie nicht, und die Hände zerreißen +darf sie sich auch nicht, denn wenn der reiche +Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, +dann zieht er sofort wieder ab. +</p> + +<p> +Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der +Allerweltsfreiwerber, schon zweimal im Hause +gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner +Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock +die Zunge ausstrecken lassen und was er +sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams, +<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a> +die er anbot, waren bloß Kroppzeug. +Nicht <em>ein</em> richtiger deutscher Besitzer ist darunter +gewesen. Aber die Erdme hat’s ihm auch vergolten. +Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, +um sich die Nase zu begießen. +</p> + +<p> +Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons +schon an die fünfundzwanzig Jahr. Sehr schön +ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch nachgelassen. +Jetzt würde sich kein Nachbar mehr +in sie verlieben. Hart und knochig ist sie geworden, +und einen bösen Blick hat sie gekriegt +von dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen. +</p> + +<p> +Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele +ihnen ihr bißchen Wohlstand beneiden und ihnen +jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen. +Schon manches liebe Mal hat sie einen +Zauberbesen in den Quitschen hängen gefunden, +und wie oft der weiße Hexenspeichel an den +Zaunlatten hing, ist gar nicht zu zählen. Einer +hat sogar bei dem katholischen Pfarrer in Szibben +für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat +ihm aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer +daß er das Reißen bekam. +</p> + +<p> +Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. +Sein Haar ist grau, und sein Gesicht sieht +aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost. +</p> + +<p> +Was hat der Mann aber nicht alles in seinem +Kopfe! Allein das viele Geld zu verwalten! +Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. +<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a> +Und die Wirtschaft wird staatsmäßiger +Jahr für Jahr. +</p> + +<p> +Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden +glänzt in der Sonne wie Silber, und der +massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, +was der Moorgrund schon aushalten kann. Auch +drinnen ist alles aufs beste. Der Herd steht +noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in +dem er den Platz hat, ist hoch und weit und voll +von bemalten Türen. +</p> + +<p> +Links geht’s in die Große und in die Kleine +Stube und rechts in die Kammern. In keinem +litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte +ich erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder +in goldenen Rahmen und den glasierten, doppelten +Ofen, — von der Tapete mit ihren blanken +Sternchen gar nicht zu reden, — weiß Gott, ich +würde kein Ende finden! Winklig zum Stall +ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit +Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des +Torfes. Der Garten hat einen richtigen Staketenzaun, +und nicht bloß Raute und Riechblatt +wachsen darin und was man an Buntem wohl +liebhat, sondern auch Möhren, Salat und mannshohe +Schoten, wovon man essen kann, soviel +man nur will, selbst wenn man Dienstags Körbe +voll auf den Markt bringt. +</p> + +<p> +So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und +keiner der Nachbarn kann sich mit ihnen vergleichen. +</p> + +<p> +<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a> +Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die +Taruttene auch. Beide starben am gleichen +Tage, und als man ihnen die Leichenhemden +anzog, hat der Flachs in der Leinwand noch einmal +zu blühen begonnen. Überall saßen die +blauen Sternchen. So fromm sind sie beide +gewesen. +</p> + +<p> +Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension +gekriegt, und als er zu Grabe getragen wurde, +sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt. +Ob aus Hochachtung oder zur besseren +Bewachung, hat niemand zu sagen gewußt. +</p> + +<p> +Der lange Smailus ist nun auch schon alt. +Seine Vierte, von der niemand was Gutes weiß, +soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, +und wenn das Glück es will, kommt er dazu und +nimmt sich noch eine Fünfte. Die Ulele schreibt +ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie +schickt, riecht immer noch schöner. Sie hat längst +ihren Oberbuchhalter geheiratet. Der ist Teilhaber +an der Fabrik, und die beiden Besitzer +vertragen sich prächtig. — Da sieht man, was +ein tüchtiges Mädchen kann! +</p> + +<p> +Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, +wie ist der zusammengefallen! Eine Dienstmagd +besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet +von früh bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen +Armen und sucht aus dem Boden herauszuschlagen, +daß er gerade zu leben hat. +</p> + +<p> +<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a> +Aber raten und helfen, das tut er noch immer, +und sieht an der Erdme noch immer vorbei, und +das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und +gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl +so bleiben, bis auch das andere stille steht. +</p> + +<p> +Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich +über den Weg hin aufpaßt, und wenn er gleich +fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, +ob ihn selber friert oder schläfert. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-16"> +16 +</h3> + +<p class="first"> +Der Jons und die Erdme sitzen im Garten +zwischen den eingefaßten Beeten und haben sich +lieb — denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag. +</p> + +<p> +Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, +aber außer der Katrike weiß keiner, weshalb. +</p> + +<p> +Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz +aus Silberpapier schenken wollen, hat auch schon +Maß genommen und so, aber dann ist es doch +unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war. +</p> + +<p> +Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede +geben unter den Leuten. +</p> + +<p> +Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die +dünnbehaarten Köpfe. Jons nimmt die Mütze, +die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt +sie ihr auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch +einen Scherz hat er in all den fünfundzwanzig +<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a> +Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht +im innersten Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat. +</p> + +<p> +Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig +und glücklich nebeneinander hergegangen, und +nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken +hat er sich nie — außer bei Hochzeiten +natürlich und ab und zu wohl am Markttag, +aber das gehört ja zum Leben, — und geschlagen +hat er sie auch nicht. +</p> + +<p> +Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür +dankt sie ihm mit Tränen. Und auch er weint +ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder. +</p> + +<p> +Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit +den Traumdeuteraugen und der zwei Trauzeugen, +die auch am Sonntag nach Mist rochen. +Und der Abendstunde im Matzicker Chausseegraben +gedenken sie auch und sehen sich um, ob +niemand sie hört. +</p> + +<p> +„Denkst du daran,“ sagt die Erdme, „was wir +uns damals alles gelobt haben? Leicht war es +nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch +getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden +gestört.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Das ist dein Verdienst.“ +</p> + +<p> +Sie sagt: „Deins ist es auch.“ +</p> + +<p> +Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, +denen ein guter Streich geglückt ist wider Erwarten. +</p> + +<p> +„Gott sei gelobt!“ sagt die Erdme; „jetzt sind +<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a> +wir über den Berg, denn was kann uns nun noch +Böses geschehen?“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Ein Dreck kann uns geschehen.“ +</p> + +<p> +Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen +im blanken Sonnenschein und denken: +„Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr +kommen.“ +</p> + +<p> +Aber es kommt doch noch schöner! Viel +schöner kommt es. +</p> + +<p> +Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen +wollen wie alle Tage, da bemerkt die Erdme, +daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, +ein Herrschaftswagen, wie er hier selten +zu sehen ist. +</p> + +<p> +Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der +„Germania“ und denkt natürlich, es sind Herren +von der Regierung, die im Moor nach dem +Rechten sehen wollen. +</p> + +<p> +Aber wie der Wagen immer noch näher +kommt, erkennen sie beide, daß keine Herren darin +sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich +sitzt sie auch nicht, sondern steht und hält +einen weißen Sonnenschirm in der Hand — mit +dem winkt sie und winkt sie und winkt. +</p> + +<p> +„O Jezau!“ sagt die Erdme und fällt wie +leblos auf die Bank zurück. +</p> + +<p> +Da biegt der Wagen auch schon nach dem +Zufahrtsweg ein und hält vor dem Hoftor. +</p> + +<p> +Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, +<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a> +Brennschere und Seidenpapier noch in der Hand, +und rings um die Stirn sitzen die gewickelten +Knötchen. +</p> + +<p> +Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud +heißt. In einem feinen graukarierten Wollenkleide +springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr +her springt ein Hund, wie ihn noch nie eines +Menschen Auge sah. Mit schneeweißen Locken, +größer noch als ein Wolf und magerer als ein +Schmalreh. +</p> + +<p> +Doch daß die Urte mager ist, kann man +nicht sagen. Einen Busen hat sie — der ist +kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im +dritten Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. +Und die blauen Kornblumenaugen hat sie noch +immer, aber goldene Haare hat sie inzwischen +gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft. +</p> + +<p> +Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da +kniet sie vor ihr und befühlt das Kleid und betastet +die Schuhe, und wie sie das Kleid ein +wenig hebt, was kommt da zum Vorschein? Ein +Unterrock von lauter — du wagst es gar nicht auszusprechen, +nicht auszudenken wagst du es! — +ein Unterrock von lauter Seide, von resedagrüner, +ruschelnder, klingender Seide. +</p> + +<p> +Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, +so klingt bei jeder Bewegung die Seide. +</p> + +<p> +Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor +und Zaun und traut sich an die hochgeborene +<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a> +Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei +der Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. +Und sie küßt auch ihn, aber man sieht: +sehr gerne tut sie es nicht. +</p> + +<p> +Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, +sich die gebrannten Wickel auszukämmen, +und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte +an und möchte auch für sich was +Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut +keiner. +</p> + +<p> +Der weißgelockte Hund, von dem man glauben +könnte, man zerbricht ihn, wenn man ihn anfaßt, +steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten +Menschenaugen um sich und streckt den +witternden Schlangenkopf bald nach rechts und +bald nach links, als kann er sich nicht erklären, +wie er plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft +geraten ist. Den belfernden Köter, +der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude +springt, würdigt er keines Blickes. — +</p> + +<p> +Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender +Lederkoffer, hoch wie ein Haus und +wohlriechend wie russische Gurten. +</p> + +<p> +Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen +Anmutigkeit und ihrer rundhüftigen +Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer +führen kann, wie man die Lämmer zu Markte +führt. +</p> + +<p> +Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der +<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a> +ist von poliertem Holz und hat silberne Einlagen. +Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll +noch viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht +aus wie schwarze, runde Graupenkörner und +schmeckt nach gesalzenen Fischen. +</p> + +<p> +Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid +zum Vorschein mit einem Spitzeneinsatz +und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und +auch die Katrike kriegt ein Kleid, ein hellblaues +Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse und einem +hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und +federt, wenn man ihn anrührt. +</p> + +<p> +Und das Allerschönste hab’ ich noch gar nicht +genannt: das ist der Silberkranz. Kein Silberkranz +aus Papierblättern, wie ihn die Katrike +beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem +schweren, klirrenden Silber, und ein gleiches +Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins +Knopfloch zu stecken. +</p> + +<p> +Von nun an ist’s mit den Heimlichkeiten +vorbei. Die Erdme muß das seidene Kleid anziehen +und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, +Jons bekommt das Sträußchen wirklich +ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen sie beide +im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein +und lassen sich’s gut sein. +</p> + +<p> +Die Töchter sind um sie herum, und sogar +die Jette, die abscheuliche Kröt’, tut sich lieblich, +wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne +<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a> +Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, +damit sie des Morgens nicht klappert. +</p> + +<p> +Nur einer ist nicht zufrieden — das ist der +große, magere, weißlockige Hund. Der schnüffelt +und schnobert, und wenn man ihn ’reinzieht, +läuft er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte +Fressen rührt er nicht an. Die Urte muß ihm +von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, +sonst würde er am Ende verhungern. +</p> + +<p> +Die Urte erklärt: „Das ist ein sibirischer Windhund, +Barsoi genannt, aus einer ganz alten vornehmen +Zucht mit einem Stammbaum, der reicht +wohl hundert Jahre zurück.“ +</p> + +<p> +Sie hat ihn von einem russischen Grafen +bekommen, der mit ihrem Freunde befreundet +war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, +und alle lachen sehr, als sie ihn hören, +denn Petruschka heißt „Petersilie“. +</p> + +<p> +Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als +die nach Hause gekommene Tochter ansehen und +ansehen. +</p> + +<p> +Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt — +einen besseren gibt es ja nicht — und mit den +dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen +Haare geben Feuerstrahlen um sie herum, dann +ist der Erdme, als muß sie in einen finsteren +Winkel kriechen und weinen und beten, daß +Gott sie nicht strafen wolle für dieses allzu +große Glück. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-17"> +<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a> +17 +</h3> + +<p class="first"> +Der Urte — die jetzt Ortrud heißt — ist in +der Kleinen Stube ein Lager bereitet, und Jons +und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich +zu rühren — aus Angst, sie möchten die Tochter +erwecken. +</p> + +<p> +Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in +Frieden bis in den blanken Vormittag. Eine +Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater +zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem +erst fertig. +</p> + +<p> +Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund +zu zwei Mark, und läuft zwischen Herd und Stubentür +hin und her, um zu horchen, wann die +Zeit zum Frühstück gekommen ist. Dann trägt +sie ihr alles ans Bett und sieht mit Sorgen, +ob die Urte sich’s wohl schmecken läßt. +</p> + +<p> +Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen +Spitzenhemd, mit dem ruscheligen Goldhaar und +den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe, +die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote +und blaue Sonnen auf der gewürfelten Decke. +</p> + +<p> +Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen +pflegt. Aber viel ist es nicht. Und lange Zeiten +übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in +der Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme +schon aus den Briefen, aber was sie da überall +getan hat, läßt sie im Dunkeln. +</p> + +<p> +<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a> +Viele Männer haben sie heiraten wollen, +aber es ist nie etwas daraus geworden. Bei den +Reichen und Hochgestellten haben die Eltern +es nicht erlaubt, und den anderen hat sie selber +den Laufpaß gegeben. Als sie in Königsberg +Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr +hergelaufen. Viele haben sich duelliert, und +einige haben sich totgeschossen. Schließlich hat +sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen +können und ist nach Berlin ausgerückt. +Und dort hat das Leben erst recht begonnen. +</p> + +<p> +Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft +zu machen gedenkt, lächelt sie mit ihren Blauaugen +bloß so verschwommen ins Weite und +sagt: „Mach dir keine Sorgen, Mamusze. Für +eine wie mich liegt der Reichtum nur auf der +Straße. Aber erst möcht’ ich mich hier noch ein +bißchen ausruhen.“ +</p> + +<p> +Und das tut sie auch gründlich. Niemals +faßt sie mit an oder kümmert sich um was. Sie +sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen +auf der Gartenbank, blickt nach dem Himmel und +lächelt. Nur ihre Kleider hält sie in Ordnung, +steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und +bügelt, und ihre Finger, die rund und lecker aussehen +wie marzipanene Würstchen, führen die +Nadel schnell und mit Ruhe. +</p> + +<p> +Die Erdme ist noch immer wie von einem +Zauber befallen. +</p> + +<p> +<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a> +Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an +das heimgekommene Kind, macht sich in ihrer +Nähe zu schaffen und schleicht um sie ’rum, bloß +um sie still und andächtig zu betrachten. Oft +ist ihr bange vor lauter Stolz, so daß sie sagen +möchte: „Sei doch einmal wieder wie früher.“ +Aber sie weiß, das kann die Urte nicht mehr, +dazu ist sie zu lange weggewesen und hat zu +viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie +Schönschreiben kann und Französisch, das hat +die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie gehabt. +Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, +aber es muß wohl das Feinste sein, was auf der +Welt gelehrt werden kann. +</p> + +<p> +Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand +und sagt: „Ach, freu dich doch! Freu dich doch!“ +</p> + +<p> +Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, +mit der Tochter zusammenzusein, und er schämt +sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr reden +und wie er den Löffel halten soll, und das Brot +schneidet er heimlich unter dem Tisch. +</p> + +<p> +Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, +hat ihn „lieb Väterchen“ genannt und so. Wie +er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch +sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. +Es liegt noch nicht Übles zwischen ihnen, +bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder +Tag für Tag. +</p> + +<p> +Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz +<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a> +will ihr zerbrechen bei seinem stillschweigenden +Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht +zwingen, daß er sie lieb hat. +</p> + +<p> +Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der +Schwester alles nachmachen und versteht es doch +nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen +und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die +Nägel werden bloß noch dreckiger, der Mund +sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab +wie vertrocknetes Krummstroh. +</p> + +<p> +Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne +Beschwerde. +</p> + +<p> +Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und +macht sich ihre Gedanken. Nicht daß sie die Katrike +nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist +wie ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt +dasitzt und sich in rein gar nichts mit der +Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn +sie das Hellblaue angezogen und den großen +Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch immer wie +Tag und Nacht. +</p> + +<p> +Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist. +</p> + +<p> +Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. +Die Urte unterweist die Katrike in allem, +was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme +und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, +so daß der Neid in ihr nicht hochwachsen kann. +</p> + +<p> +Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht +länger so mit ihr geht. +</p> + +<p> +<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a> +„Wenn du die Ulele wärst,“ sagt die Mutter, +„dann würdest du jetzt einen Mann für sie suchen.“ +</p> + +<p> +„Ich kann ebensoviel wie die Ulele,“ sagt +die Urte. +</p> + +<p> +Und da sie’s verlangt, wird eines Tages, +als der Jons in die Wiesen gefahren ist, der kleine +Tuleweit bestellt, der schon für hundert Vermittlungen +seine Prozente gekriegt hat. +</p> + +<p> +Der in seinem langen Pfarrersrock und den +knallengen Hosen kommt forsch herein und denkt, +er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel +spielen; wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die +ihn in ihrer rosenfarbenen Fleischlichkeit ankuckt, +da wird ihm schon ganz anders. +</p> + +<p> +„Aus was für ’nem Himmel ist denn <em>das</em> +hierher geflogen?“ fragt er. +</p> + +<p> +Und die Urte sagt: „Nehmen Sie Platz, Herr +Tuleweit.“ Und sie, die Erdme, bringt von +dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer +was da ist. +</p> + +<p> +Und die Urte sagt weiter: „Sie sehen es mir +vielleicht nicht an, Herr Tuleweit, daß ich aus +diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das +macht nichts.“ Und dann lobt sie ihn, weil ihr +bekannt ist, daß er bei seinen Vorschlägen immer +das Richtige trifft. +</p> + +<p> +Er bedankt sich und dienert. +</p> + +<p> +„Nun bin ich aber drauf und dran,“ sagt sie +weiter, „eine große Partie zu machen. Eine +<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a> +wirklich große Partie. Und da wär’ es mir natürlich +angenehm, wenn ich durch meine Schwester +nicht in Verlegenheit käme. Ein Deutscher +müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, +so daß man sagen könnte: ‚Meine Schwester ist +an einen Gutsbesitzer verheiratet.‘ Das würde +dann schon den richtigen Eindruck machen.“ +</p> + +<p> +Die Erdme denkt: „Sie ist noch klüger als die +Ulele.“ Und der ganze Herr Tuleweit schwimmt +wie Öl auf Zuckerwasser. +</p> + +<p> +Was an seinen bescheidenen Kräften liege, +das werde sicher geschehen, aber letzten Endes +sei es ja leider Sache der Mitgift. +</p> + +<p> +„Natürlich, natürlich,“ sagt die Urte. Und +wäre sie schon verheiratet, so würde es ihr auch +nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich +auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon +mit etwas Bescheidenem vorlieb nehmen. +</p> + +<p> +„Was heißt bei Ihnen ‚bescheiden‘?“ fragt der +kleine Herr Tuleweit und dienert nicht mehr. +</p> + +<p> +Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird +sie sagen? +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Nun, etwa fünftausend Mark.“ +</p> + +<p> +Fünftausend Mark hat der Jons auf der +Sparbank. Die hat er mit ihr in zwanzig Jahren +zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht +meinen. Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht +sein für das kommende Alter. Gewiß will sie +aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es +<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a> +fehlt womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit +macht eine hängende Nase und sagt, bei +einem so kleinen Anerbieten werde man leicht +behandelt wie ein nichtsnutziger Schwätzer, aber +er wolle schon sehen, er wolle schon Rat schaffen +und hoffe auf spätere reiche Belohnung. +</p> + +<p> +Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, +in acht Tagen wiederzukommen. +</p> + +<p> +„Willst du die Fünftausend wirklich aus +Eigenem geben?“ fragt die Erdme voll Dankbarkeit. +</p> + +<p> +„Sehr gern wollt’ ich sie geben,“ sagt die +Urte und lächelt; „nur, wenn ich sie hätte, dann +braucht’ ich sie selber.“ +</p> + +<p> +„Wo sollen sie denn aber herkommen?“ +</p> + +<p> +„Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,“ +erwidert die Urte. „Ist es nicht schon genug, +daß ich auf meine Hälfte verzichte?“ +</p> + +<p> +Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr +ein Klumpen Heede im Schlund. +</p> + +<p> +Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit +die Katrike ein Nest kriegt. +</p> + +<p> +Und die, die solange in der Kammer gelauert +hat, kommt begierig gelaufen. +</p> + +<p> +„Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen +hat er? Wieviel Pferde stehen im Stalle? Wieviel +Rindvieh weidet am Ufer?“ +</p> + +<p> +Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. +„Wenn es um <em>den</em> Preis geht, dann schlag +<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a> +dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein +Gespartes gibt der Vater dir nie.“ +</p> + +<p> +Und die Katrike heult und wälzt sich am +Boden. Ihren Besitzer will sie nicht lassen. Der +ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der +kommt ihr zu. Der gehört ihr zu eigen. +</p> + +<p> +Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. +Ihr Kind ist im Recht. Nie ist von was Anderem +die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders +gedacht. +</p> + +<p> +Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie +und verspricht ihr das Blaue vom Himmel. +</p> + +<p> +Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die +dickgeweinten Gesichter und wundert sich. Aber +fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon +abgewöhnt. +</p> + +<p> +Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste +ist, geht ihm aus dem Wege, so viel sie nur kann, +aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich +versucht sie’s mit Vorwürfen. +</p> + +<p> +„Du hast kein Herz für deine Töchter,“ sagt sie, +„und du achtest sie wie einen Strick um den Hals.“ +</p> + +<p> +Er fragt: „Wer hat dir das zu wissen getan?“ +</p> + +<p> +Und sie sagt: „Das ersieht man aus deinem +Benehmen. Schon die Katrike hast du nicht +leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, +ist es noch schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis“ +— ein gemeiner Mann — „und bleibst ein +Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.“ +</p> + +<p> +<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a> +Er sagt: „Ich habe nie erfahren, daß du von +besserer Herkunft wärest als ich. Als wir anfingen, +Pracher waren wir da alle beide.“ +</p> + +<p> +„Ich habe doch wenigstens meine Betten +gehabt,“ entgegnet sie drauf, „und sechsundsechzig +Mark hatt’ ich auch, aber du hattest so +gut wie gar nichts.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Zu meinem bißchen habe ich +zwei Jahre Arbeit gebraucht, aber wo du deine +Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts +Rechtes.“ +</p> + +<p> +Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor +die Stirn. „Ich habe dir vorgerechnet auf Heller +und Pfennig,“ sagt sie, wie mit Blut übergossen, +und wendet sich ab. +</p> + +<p> +Sie ist nun so wütend auf ihn — sie könnt’ ihn +beinahe vergiften. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-18"> +18 +</h3> + +<p class="first"> +Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder +da. Er hat einen, der wäre nicht abgeneigt. +Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit +dem Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat +eine verschuldete Wirtschaft nicht weit von Mineiken, +und er ist der Dritte von Fünfen, hat +eben gedient und hält bereits Umschau unter +den Töchtern der Gegend. Ob man nach +deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf +<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a> +dem Markt oder auf dem Gericht oder sonst +irgendwo, als käm’ es durch Zufall. +</p> + +<p> +Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, +aber ihre Tochter, die Urte, will alles schön in +die Hand nehmen. +</p> + +<p> +Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. +Dort wird der junge Herr Schmidt einen Schimmel +seines Vaters am Halfter führen, und die +Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. +Und was dann folgt, wird Herr Tuleweit +bestens besorgen. +</p> + +<p> +Das wird von nun durch und durch geredet, +stundenlang, tagelang. Für die drei Frauensleute +gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. +Kaum daß die Hausarbeit notdürftig besorgt +wird zwischen all dem Getuschel. +</p> + +<p> +Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. +Wenn er nicht einen neuen Freund bekommen +hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein +gewesen. +</p> + +<p> +Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer +Hund. Du glaubst es nicht, wie sich das +langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem +Hof gestanden und ist still zur Seite gewichen, +wenn ihn einer hat anrühren wollen. Keinen +hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer +ihn zu streicheln meinte, der griff in die Luft. +Ins Haus hat ihn keiner ’reinholen können, +selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie +<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a> +ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl +mit ihr gegangen, aber beim nächsten Wupp war +er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich +ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die +Arbeitswagen stehen und etwas Heu immer verstreut +liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein +Fressen gebracht, und da lag er und blickte still +um sich. +</p> + +<p> +Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit +Locken und mit Betatschen zu nahe zu kommen, +war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu +fein und zu herrschaftlich. Aber siehe da! Eines +Frühmorgens, wie der Jons als erster aus dem +Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, +wer ist da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen +und hat sich zukuckend auf die +Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend +geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, +bis der Jons zum Mittagessen nach Hause ging? +Und wer ist allmählich näher gekommen und hat +sich mit leisem, langem Bisse das Brot aus den +Fingern geholt? Und wer ist schließlich sogar, +wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden +Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat +bei ihm Wache gehalten stundenlang, bis er beladen +zurückkehrte? +</p> + +<p> +Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde +sollen ja immer untreu sein, sagen die +Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; +<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a> +nur wenn sie spazieren geht auf der Chaussee +nach Heydekrug oder nach Ruß hin, dann nimmt +sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas +zum Staunen haben. +</p> + +<p> +Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber +das macht nichts. Denn dort sieht man doch +Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt hinterherraten, +weil sie das plötzliche Wunder nicht +zu fassen vermögen. Und Urte fühlt sich als +Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst +mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die +alle sehnsüchtig hinstarren, denen im Hinterwalde +zu hausen bestimmt ist. +</p> + +<p> +Bisweilen trifft man auch junge Männer mit +Schmissen, die sicherlich in Königsberg studiert +haben und denen man vielleicht einmal auf +dem Schoße gesessen hat. +</p> + +<p> +Denen wirft man gelegentlich einen lockenden +Blick zu und bringt sie zum Rasen. Denn irgend +eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben +in der torfschwarzen Öde. +</p> + +<p> +Nur an dem Hause des Moorvogts geht man +ungern vorbei. Man weiß es nicht, aber man +spürt’s in den Gliedern, daß dort hinter den +Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich +sie und ihr Leben durchmustern. — — +</p> + +<p> +So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt +heran, auf dem die Besitzer von weit und breit zu +Kauf und Trunk sich treffen. +</p> + +<p> +<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a> +Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh +hingebracht, die demnächst stehen soll und die +darum eingetauscht werden muß. +</p> + +<p> +Die Schwestern melden sich erst, als er weg +ist, denn mit dem Vater zusammen einzuziehen, +hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr gefördert. +Wenn alles gut geht, gleitet man im +Gedränge an ihm vorbei und braucht ihn nicht +einmal anzureden. +</p> + +<p> +Die Katrike wird heute von der Urte extra +zurechtgemacht. Sie darf die Haare nicht brennen +und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen +faucht, die Schwester sei nichts weiter +als neidisch. Aber die lächelt nur und ist nicht +einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen +Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen. +</p> + +<p> +Dann ziehen sie los, und die Erdme weint +und betet hinter ihnen her. +</p> + +<p> +Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen. +</p> + +<p> +Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er +hat einen guten Handel gemacht. Die neue +Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und +kaum einmal zuzahlen hat er dürfen. +</p> + +<p> +Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. +Er schlingt finster sein Mittagbrot und fragt mit +keinem Wort nach den Töchtern. +</p> + +<p> +Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die +heute früh hat angebunden werden müssen, weil +<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a> +sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein +wollte. +</p> + +<p> +Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf +in seine Arme nimmt und leise zu ihm herniederredet. +</p> + +<p> +Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht +hinter ihm her und sagt: „Mit dem unvernünftigen +Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, +gönnst du kein gutes Wort.“ +</p> + +<p> +Und er sagt: „Ich habe die beiden Marjellen +getroffen, ausgeputzt und mit fremden Männern. +Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite +gedreht. Ist das nicht etwa genug?“ +</p> + +<p> +Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. +„Wer kann seine Augen überall haben?“ sagt sie. +</p> + +<p> +Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten +sie sich, ob er nicht endlich schon weg sei. +</p> + +<p> +„Und <em>wenn</em> auch,“ sagt sie. „Was kann +<em>ich</em> dafür?“ +</p> + +<p> +Da läuft ihm die Galle über, und alles, was +er in sich verborgen hat seit Jahren, kommt ans +Tageslicht. +</p> + +<p> +„Was du dafür kannst?“ schreit er. „Du hast +zwei Faulenzerinnen erzogen, zwei Rumtreibersche +hast du erzogen, die kein Verlangen tragen +nach Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen +und sich den Rücken wundschlafen bis Mittag — +die es mit den Deutschen halten und ihren Vater +achten, als wär’ er ein Schnodder. Soviel kannst +<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a> +du dafür, wie die Stute kann, daß ein Fohlen +aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!“ +</p> + +<p> +Die Erdme denkt an das, was sie neulich +heruntergeschluckt hat. Eine so zornige Rede +darf sie nicht ohne Antwort lassen. +</p> + +<p> +„Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,“ +sagt sie, „aber da kommst du gerad’ an +die Rechte.“ Und dann wirft sie ihm vor, daß +sie es war, die den ganzen Wohlstand geschaffen +hat, daß er nichts Anderes gewesen ist als ihr +Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet +hat fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder +andere Knecht ersetzen kann, wenn es ihr paßt, +ihn zu mieten. +</p> + +<p> +Die Augen schwellen ihm zu und glupen +nach rechts und glupen nach links, als sucht er +was und kann es nicht finden. +</p> + +<p> +„Was du sagst, mag wohl so sein,“ sagt er, +„nur in einem könnt’ er mich nicht ersetzen, nämlich +dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu +geben.“ +</p> + +<p> +Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den +Pfahl aus der Erde, an dem die Petruschka angebunden +ist, und schlägt damit die Erdme über +den Rücken. +</p> + +<p> +Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt +die flachen Hände als Stütze. Die Jette, die +grienend zugehört hat, schreit auch und springt +auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn +<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a> +der Pfahl ist zu dick, als daß menschliche Glieder +unter ihm ganz bleiben könnten. +</p> + +<p> +Darum wirft er ihn auch weg und holt aus +dem Stalle die Peitsche. Die Petruschka läuft +winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend +die Hände, aber er achtet ihrer nicht, schlingt die +hanfene Schnur um den Stiel und läßt ihn im +Bogen durch die Luft hinpfeifen. +</p> + +<p> +So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme +noch kniet. +</p> + +<p> +Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn +vor ihm da — bleich und zusammengefallen +wie immer — umpusten könnte man ihn —, aber in +seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem +er sich sonst die Spatzen vom Kirschbaume schießt. +</p> + +<p> +Ihm das Gewehr zu entreißen, wär’ leicht, +aber was dann? Wie kann man sein Weib noch +bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen? +</p> + +<p> +Drum bleibt er ruhig und sagt: „Nachbar, +hast du mal was von Hausfriedensbruch gehört +und Bedrohung mit tödlichen Waffen?“ +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und +stellt sich so vor die Erdme, daß er sie mit dem +Leibe deckt. +</p> + +<p> +„Ich fordere dich also auf, meinen Grund +und Boden zu verlassen — zum ersten, zum +zweiten und zum dritten Male.“ +</p> + +<p> +Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein +rechter Zeigefinger liegt dicht vor dem Abzug. +</p> + +<p> +<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a> +„Gut,“ sagt der Jons, „ich geh’ jetzt zum +Rechtsanwalt, der wird die Anzeige erstatten. +Aber die Peitsche nehm’ ich mit, und treff’ ich +unterwegs die beiden Marjellen, dann werden +sie die Prügel kriegen, die ihrer Mutter noch zustehen.“ +</p> + +<p> +Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann +völlig zu Boden. Er aber kehrt sich nicht daran +und geht seiner Wege ... +</p> + +<p> +Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und +die beiden Marjellen hat er auch nicht getroffen. +Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen +geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit +zu Hause angelangt ist, da hat er +das Nest leer gefunden. — Keine Frau, keine +Töchter, keine Magd. +</p> + +<p> +Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man +kann ihre Stimmen hören über den Weg hin. +</p> + +<p> +Und das Sparkassenbuch ist auch weg. +</p> + +<p> +Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist +bloß der fremde Hund da, der aus traurigen +Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er +die Übeltat gutmachen, die man ihm angetan +hat und die im Grunde genommen seine eigene +Übeltat ist. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-19"> +19 +</h3> + +<p class="first"> +Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn +auf die Erdme gewartet. +</p> + +<p> +<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a> +Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann. +</p> + +<p> +Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder +und wieder an. Sie ist die Schönste, die Jüngste, +die Kräftigste geblieben, aber er ist ein alter Mann. +</p> + +<p> +Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und +schwatzen, wie sie nur mögen, und achtet ihrer +nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die +die Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach +geben muß, weil sie nun einmal zu ihr gehören. +Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner +Magd. +</p> + +<p> +Die Urte und die Katrike haben gestern Großes +erlebt, und das erzählen sie immer von neuem: +Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen +hat, da ist er gleich ganz hingenommen gewesen. +Zuerst hat er freilich gedacht, die Urte sei ihm als +Zukünftige bestimmt, und da hat er sich zurückziehen +wollen, denn er ist sich nicht gut genug +erschienen für sie; wie er aber gehört hat, daß +die Katrike es ist, da hat er um so freudiger zugegriffen +und hat mit ihnen beiden und dem +Herrn Tuleweit in der „Germania“ gesessen +bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit +weiß auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit +Fünftausend Anzahlung wohl zu haben wäre, +nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn +sein Vater gibt ihm rein gar nichts. +</p> + +<p> +Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht +die Erdme hoch auf, denn von ihrem Eigenen +<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a> +her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die +nicht gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind +in der Frühe. +</p> + +<p> +Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem +Eimer hinübergehen. Die wehrt sich erst, denn +sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich tut +sie’s doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, +der Wirt habe auf der Häckselbank gesessen, den +Kopf in die Hände gestützt, und die Petruschka +vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr +umgesehen. +</p> + +<p> +Und die Urte erzählt weiter: Um drei +nachmittags habe der junge Herr Schmidt +weggemußt, aber am Nebentisch — da hätten +ein paar vornehme junge Herren gesessen mit +Schmissen und goldenen Kneifern, die wären +schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt +zu machen, und hätten ihr zugeprostet +und so. Und schließlich wären sie alle zueinander +gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den +Abend. Den kleinen Herrn Tuleweit hätten die +fremden Herren erst für den Vater gehalten; +als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler +sei, da wäre des Neckens kein Ende gewesen, +so daß er nichts Besseres zu tun gewußt +habe, als bald zu verschwinden. Und von nun +an sei es erst recht hoch hergegangen. +</p> + +<p> +Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen +mit Heimlichtun nicht zu Ende. +</p> + +<p> +<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a> +Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den +Haushalt besorgen, aber das Kreuz ist ihr wie +gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum +redet die Urte ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest +zu beschaffen wegen der künftigen Scheidung. +</p> + +<p> +Um vier Uhr nachmittags wird drüben der +gute Wagen angespannt, und Jons fährt weg, +ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen. +</p> + +<p> +Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was +gestern zur Nacht nicht mitgebracht werden konnte. +</p> + +<p> +Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme +bei sich trägt, hat der Jons zum Schutze vor Einbruch +ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern +kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig +zum Lachen. +</p> + +<p> +Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, +und auch sie selber gibt an, was sie für Sonntags +wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug +haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel +Gäste versorgen? +</p> + +<p> +Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! +Die Federbetten gehen mit, und so noch vieles +andere, so daß der Handwagen des Nachbars +viermal hochbeladen den Knüppelweg überquert. +</p> + +<p> +Schwer wird der Abschied von den Kühen, +die die Erdme nicht einmal melken kann, so weh +tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und +wirft ihnen Heu hin und denkt: „Wie gut wär’s, +wenn ich sie drüben hätte!“ Auch die Neue ist +<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a> +ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat +sie sie kaum schon gesehen. +</p> + +<p> +Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, +und dann geht es heim. +</p> + +<hr class="tb" /> + +<p class="noindent"> +Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause +des Nachbars ein furchtbarer Lärm. Schwere +Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons +betrunkene Stimme schreit: „Ihr Diebe! Ihr +Räuber! Kommt ’raus! Ich schlag’ euch tot, +ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und +dann ihren“ — „Liebhaber“ sagt er nicht, es +ist ein viel schlimmeres Wort, das er sagt. Und +ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd +und droht, sie alle zu erschlagen. +</p> + +<p> +Die Urte und die Katrike knien im Hemd an +der Mutter Bett und kreischen bei jedem Schlage, +der das Ladenholz zersplittern will. Und vor +der Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und +ruft durchs Schlüsselloch, sie möchten ganz ruhig +sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn +der draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen. +</p> + +<p> +Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, +und auch das Winseln und Heulen Petruschkas +verstummt nach und nach. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch +zwischen dem Nachbar Witkuhn und der +Erdme. +</p> + +<p> +„Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,“ +<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a> +sagt der Nachbar, „aber heute seh’ ich +ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was +du für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu +Diensten sein, was dein Wunsch ist.“ +</p> + +<p> +„Ich weiß nicht aus, nicht ein,“ sagt die Erdme. +</p> + +<p> +Und der Nachbar sagt: „Ich habe es mein +Lebenlang für das größte Glück auf Erden gehalten, +daß du einmal meine Frau würdest. +Aber nun mir plötzlich die Möglichkeit gegeben +ist, daß es so werden könnte, da seh’ ich ein, +ich bring’ es nicht übers Herz. Denn jeder wird +sagen, wie Er es ausschrie heute nacht, daß wir +in Buhlschaft gelebt haben alle die Jahre.“ +</p> + +<p> +„Beinahe wär’ es ja so gewesen,“ sagt die +Erdme. +</p> + +<p> +„Wenn es so gewesen wäre,“ erwidert der +Nachbar, „dann hätten wir längst kein Gewissen +mehr und keine Scham und würden lachen, wenn +die Leute mit Fingern auf uns zeigen. Aber +nun schreck’ ich schon zurück bei dem Gedanken, +Ihm auf dem Weg zu begegnen.“ +</p> + +<p> +„Ich dränge mich niemandem auf,“ sagt die +Erdme gekränkt. +</p> + +<p> +„Und ich bin ein alter Mann,“ sagt der Nachbar. +„Ich möchte nicht, daß du mir fluchst, +wenn du mich auf den Kirchhof trägst.“ +</p> + +<p> +„So bleibt mir als einziges,“ sagt die Erdme, +„daß ich in Ausgedinge zu der Katrike zieh’, wenn +die jetzt heiratet.“ +</p> + +<p> +<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a> +„Ist es denn schon so weit?“ fragt der Nachbar. +</p> + +<p> +„Wenn ich alles hergebe,“ sagt die Erdme +und drückt die Hand gegen das Sparkassenbuch, +das sie auf nackigem Leibe trägt, „dann ist es +so weit.“ +</p> + +<p> +„Er wird das Geld schon gesperrt haben,“ +sagt der Nachbar. +</p> + +<p> +„Vielleicht auch nicht,“ sagt die Erdme, und +weil sie sowieso nach Heydekrug muß wegen +des Doktorattestes, wird sie auch gleich die Fünftausend +abheben, die ihr nicht weniger gehören +als ihm. +</p> + +<p> +Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn +er selber hat immer noch keins, und wie sie aufsteigen +will, muß sie von zweien gehoben werden, +so verschwollen ist alles. +</p> + +<p> +Als der Doktor sie untersucht hat, macht er +ein ernstes Gesicht und sagt: „Schlimm genug +sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich +schreiben muß, aber ich rat’ euch trotzdem: Vertragt +euch!“ +</p> + +<p> +Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie +ein ängstlicher Traum, und oft hat sie gedacht: +„Wenn er jetzt käme und sagte: ‚Laß gut sein‘ — +weiß Gott, ich ginge zurück.“ Wie der Doktor +aber sagt: „Es sieht schlimm aus,“ da wird ihr +Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß +sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den +Menschen. +</p> + +<p> +<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a> +Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem +und zahlt ihr das Geld ohne Bedenken. +„Ja ja,“ sagt er, „wenn man Töchter verheiraten +will.“ +</p> + +<p> +Und da hat sie’s auch schon in den Händen. +</p> + +<p> +Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie +selber kann sich nicht an- und nicht ausziehen, +weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt +sie „Mamusze“ und „Mammelyte“, was sonst +nur die Urte sagt, und „Mane Baltgalwele“ — +mein Weißköpfchen — nennt sie sie, wie die alten +Mütter in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar +noch fast braun ist. +</p> + +<p> +Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, +jetzt wird sie dem Jons begegnen, aber sie begegnet +ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl +fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite +der Chaussee gelegen ist, sieht sie was Helles. +Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn, +denn er ist wohl wieder betrunken. +</p> + +<p> +Von weitem schon hört man das Brüllen +der Kühe. Die müssen verkommen, wenn man +sie da läßt. +</p> + +<p> +„Hast du Platz im Stalle für sie?“ fragt die +Erdme. +</p> + +<p> +„Ich habe Platz für alles, was dein ist,“ sagt +der Nachbar. +</p> + +<p> +Darum schickt sie auch gleich die Jette und die +Witkuhnsche Magd hinüber, die Kühe zu holen. +</p> + +<p> +<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a> +Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. +— Das Geld und das Vieh — alles ist +da. Nun kann geheiratet werden. +</p> + +<p> +Und noch am selben Abend macht sie sich auf, +zum kleinen Tuleweit zu gehen, damit er so rasch +wie möglich alles in Ordnung bringt. +</p> + +<p> +Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher +nach Heydekrug zu machen, wo irgendwo am +Spazierweg die jungen Herren von gestern schon +warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka +nicht bei ihr ist — dann wäre ihr Anblick zehnmal +so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie +schließlich zu Hause. +</p> + +<p> +Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß +der Spektakel von voriger Nacht heut wegen der +Kühe noch einmal losgehen wird. +</p> + +<p> +Aber nichts regt sich fortan. +</p> + +<p> +Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche +lang, und wenn sie sich aufrichten will, kriegt +sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich hochzieht. +</p> + +<p> +Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen +herüber, was für die Aussteuer irgend von Wert +ist — den großen Ecktisch und den buntblumigen +Schrank und noch vieles andere. +</p> + +<p> +Niemand hindert sie dran, denn morgens +fährt er weg, und mit der Dunkelheit kommt er +wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was +er macht und wo er sich aufhält, weiß keiner. +</p> + +<p> +<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a> +Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit +tritt ein junger Mensch in die Kammer. Der +hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche +Augen. Und hinterher schiebt sich mit +heißem Gesicht und frisch gebranntem Strohhaar +die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer +als er und sieht aus, als möcht’ sie ihn auf den +Arm nehmen. +</p> + +<p> +Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter +künftiger Bräutigam. +</p> + +<p> +Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch +an, und sie richtet sich auf und sagt auf Deutsch: +</p> + +<p> +„Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir +reden das Deutsche genau so wie Sie. Und im +Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen +habe. Gewöhnlich arbeit’ ich wie sonst nur die +Jüngste.“ +</p> + +<p> +Die Katrike und der junge Mensch sehen sich +verstohlen an, woraus sie schließen muß, daß +ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und +noch etwas Anderes will sie daraus schließen, +aber das drängt sie sofort von sich ab. +</p> + +<p> +Er möchte am liebsten das Geld gleich mit +sich nehmen, aber sie weiß, daß es ihr wohlgeborgen +unter dem Leibe liegt, und erst müßte +man sie totschlagen, ehe sie es hergäbe. +</p> + +<p> +„In dem Kontrakt soll stehen,“ sagt sie, „daß +ich eine Altsitzerstelle bekomme mit so und so +viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner +<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a> +zu halten, und noch anderen Rechten, die ich +alle bezeichnen werde. Sonst wird aus dem +Kaufe nichts.“ +</p> + +<p> +Die Katrike fängt sofort an zu weinen und +klagt sie an, sie steh’ ihrem Glücke entgegen. Der +junge Herr Schmidt aber sagt: „Es <em>wird</em> auch +alles in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein +ganz anderer Kontrakt als der, den ich mit dem +Besitzer abschließen werde. Denn den geht es +nichts an, was wir miteinander ausmachen +wollen.“ +</p> + +<p> +Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche +klüger ist als sie selbst, und schickt sich in das, +was verlangt wird. +</p> + +<p> +Aber erst will sie gesund sein und mit aufs +Gericht gehen und alles bewachen können bis +in das kleinste. +</p> + +<p> +Die Katrike und der junge Herr Schmidt +sehen sich schon wieder an. Dann aber geben +sie sich die Hand und knien am Bette nieder und +bitten um ihren Segen. +</p> + +<p> +Sie weint und küßt und segnet die beiden, +aber in ihrem Innern denkt sie dabei: „Ich will +doch erst den Rechtsanwalt fragen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-20"> +20 +</h3> + +<p class="first"> +Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, +und wenn einer am Chausseehaus vorübergeht, +<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a> +sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine Art, +über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins +klare zu kommen. Aus ihrem Aussehen, ihrem +Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, +und den Lasten, die sie tragen, kann er genau +erkennen, wie er mit ihnen dran ist, ob sie vorwärts +kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind. +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling +mehr, und die dreißig Jahre, die er dem Moor +geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. +Aber sein Auge sieht noch so scharf wie je, und +noch immer hält er zweitausend Schicksale straff +an der Leine. +</p> + +<p> +Eines schönen Sommerabends sieht er den +Jons Baltruschat zu Fuß nach Hause gehen, und +doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren. +Der Jons Baltruschat ist ihm +schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. Morgens +macht er sich auf nach der Wiese, und abends +fährt er betrunken zurück. Und der fremde +weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter +gehört, läuft nebenher. +</p> + +<p> +Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken +tut er. Aber seine Gangart ist mehr wie +die eines Kranken als die eines Betrunkenen. +</p> + +<p> +Darum macht der Moorvogt das kleine +Fensterchen auf, durch das früher die Stange +mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft +ihm nach: „Jons, komm doch mal ’rein!“ +</p> + +<p> +<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a> +Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts +gehört, doch wie der Moorvogt nicht nachläßt, +da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und +tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. +Sie läuft sofort zu dem Moorvogt, steckt die +Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt +die nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: +„Wenn <em>du</em> nicht hilfst!“ +</p> + +<p> +Der Moorvogt braucht nur <em>einen</em> Blick, +um zu sehen: Der Jons ist so gut wie ein verlorener +Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken +bloß und verschüchtern, darum sagt er +gleichsam so nebenher: „Mir war doch, als bist +du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du +das irgendwo stehen gelassen?“ +</p> + +<p> +„Ja,“ sagt der Jons, „das hab’ ich stehen +gelassen.“ +</p> + +<p> +„Na, wo denn?“ +</p> + +<p> +„Auf — der — Chaussee.“ +</p> + +<p> +„Aber warum denn?“ +</p> + +<p> +„Ja — na.“ Mehr ist nicht aus ihm ’rauszukriegen. +</p> + +<p> +„Dann wollen wir’s doch gleich einmal holen +gehen,“ sagt der Moorvogt und greift nach der +Mütze. +</p> + +<p> +Aber der Jons will nicht. „Wenn es ’n +Zweck hätt’,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Warum hat’s keinen Zweck?“ +</p> + +<p> +„Weil das Pferd gar nich mehr da is.“ +</p> + +<p> +<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a> +„Wo ist es denn?“ +</p> + +<p> +„Wer kann wissen?“ +</p> + +<p> +„Ach so,“ sagt der Moorvogt. „Du bist betrunken +gewesen, hast dich in’n Chausseegraben +gelegt, und unterdessen hat’s dir einer ausgespannt.“ +</p> + +<p> +„Wer kann wissen?“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Und da gehst du hier vorbei und machst +keine Anzeige? Möchtest du den hübschen Braunen +gar nicht mehr wiederhaben?“ +</p> + +<p> +„Is ja alles egal,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.“ +</p> + +<p> +„Da waren auch noch die Kühe da.“ +</p> + +<p> +„Sind die denn <em>nicht</em> mehr da?“ +</p> + +<p> +„Nichts is mehr da. Die Schweine werden +sie heute auch wohl geholt haben.“ +</p> + +<p> +„Wer denn?“ +</p> + +<p> +„Na, die Erdme und die Marjellen.“ +</p> + +<p> +„Und das läßt du dir ruhig gefallen?“ +</p> + +<p> +„Is ja alles egal.“ Und dabei bleibt er. +</p> + +<p> +Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt +auf, wie der Mensch zum rettenden Herrgott. +Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell +verfilzt ist und verschorft von Wunden und +schwarzgrau. Und er sagt: „Wie kommt’s, daß +der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?“ +</p> + +<p> +„Das is so gekommen,“ sagt der Jons. +</p> + +<p> +„Weißt du, was deine Tochter für eine ist?“ +fragt der Moorvogt. +</p> + +<p> +<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a> +„Ich will es auch gar nicht wissen,“ sagt der +Jons. +</p> + +<p> +Damit geht er. +</p> + +<p> +Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher +wegen des Braunen und hat dann eine +schlaflose Nacht. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus +kommen. Der bibbert am Krückstock, und seine +Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das +kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein +Schnurrbart wölbt sich forsch, als will er den +Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen. +</p> + +<p> +Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür +hat seine Vierte reichlich gesorgt. Wenn es +Gott will und sie stirbt, die ist imstande und +verleidet ihm vorher die Fünfte. +</p> + +<p> +„Was ist also mit den Baltruschats los?“ +fragt der Moorvogt. Und nun erfährt er das +Nötige. +</p> + +<p> +„Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen +und hast es erzählt?“ +</p> + +<p> +Seine Frau hat es nicht gewollt. +</p> + +<p> +„<em>Warum</em> hat deine Frau es nicht gewollt?“ +</p> + +<p> +Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, +und dafür muß sie sich rächen. +</p> + +<p> +„Und was hat sie ihm gepfändet?“ +</p> + +<p> +Der Smailus lacht schadenfroh. „Das ist gar +nicht zu zählen,“ sagt er. Überhaupt <em>das</em> Weib! +Aber davon will der Moorvogt nichts wissen. +</p> + +<p> +<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a> +„Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn +mal was vorgehabt hat?“ +</p> + +<p> +Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine +eigenen vier Weiber ihm treu gewesen sind, das +weiß er, bei den anderen kann man niemals +drauf schwören. +</p> + +<p> +„Aber bemerkt hast du nichts?“ +</p> + +<p> +Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum +wird er entlassen. — — — +</p> + +<p> +Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll +er die Erdme in dem Witkuhnschen Hause besuchen +oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht +er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, +und Kreuz und Kopf trägt sie bewickelt, aber +kriechen kann sie doch schon. +</p> + +<p> +„Du — komm mal ’rein!“ +</p> + +<p> +Sie steht da und sieht ihn böse an. +</p> + +<p> +„Schöne Geschichten hör’ ich von dir.“ +</p> + +<p> +Sie schweigt und sieht ihn böse an. +</p> + +<p> +„Nach fünfundzwanzigjährigem Leben — +schämst du dich nicht?“ +</p> + +<p> +Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er +sie geschlagen — beinahe das Rückgrat hat er +ihr gebrochen — mit Schmutznamen hat er sie +belegt — ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt — +die ehr- und tugendsamen Töchter hat er mißhandeln +wollen, und was das Schlimmste ist, das +Vieh hat er verhungern lassen, so daß sie es nur +durch Rüberholen mit knapper Not errettet hat. +</p> + +<p> +<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a> +Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt +schlimm für den Jons, und <em>sie</em> ist eine Furie +geworden. Mit gut Zureden wird der nicht +beizukommen sein. So versucht er es also mit +böse: „Weißt du, was ich jetzt tun werde? Ich +werd’ dich durch den Gendarm in die Kaluse +bringen lassen.“ +</p> + +<p> +Aber sie lacht ihn nur aus. „Das können +Sie ja. Bloß morgen werd’ ich schon wieder bei +Ihnen vorbeigehen.“ +</p> + +<p> +„Wenn du dich nur nicht irrst.“ +</p> + +<p> +„Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen +Antrag gestellt. Und er wird auch gar keinen +stellen. Denn hier unter der Wiste hab’ ich das +Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie +schlimm es gewesen ist und daß ich nur durch +ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die +Kalus’ fliegt, dann ist er es. Und ich zieh’ jetzt +zu meiner älteren Tochter. Die wird eine reiche +Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot +bestellen kommen. Und wenn ich erst +hier ’raus bin, dann kann man mir sonst was.“ +</p> + +<p> +Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. +Im Laufe der Jahre haben nur +wenige ihm so entgegenzutreten gewagt. +</p> + +<p> +„Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, +das will ich nicht verstanden haben. Aber eins +prophezei’ ich dir: der Tag wird kommen, und +er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich +<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a> +preisen, bei dem Jons noch einmal unterkriechen +zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann +auch aufnimmt.“ +</p> + +<p> +Sie beißt die Zähne zusammen und schwört +bei Gott dem Allmächtigen: „Eher geh’ ich und +ertränk’ mich im Torfloch.“ +</p> + +<p> +Und damit humpelt sie wieder hinaus nach +Heydekrug zu, wo der Rechtsanwalt ihr raten +soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und Schwiegersohn, +denen sie alles opfert, sie übervorteilen +wollen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-21"> +21 +</h3> + +<p class="first"> +Das Geld muß hergegeben werden. Da ist +nichts zu machen. Denn ohne Anzahlung kommt +das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird +aus Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, +damit der junge Herr Schmidt vor der Hochzeit +nicht etwa noch abschnappt. +</p> + +<p> +Die Kühe und die Schweine und alles, was +vom Hausrat herübergetragen ist, sollen mit in +die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht +weniger als alles. +</p> + +<p> +Der Kontrakt wird unterschrieben, und das +Geld ist weg — so schnell, wie man eine Fliege +in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert +die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der +bisherige Besitzer behauptet, er hätte sein Hab +und Gut wegwerfen müssen, und der junge Herr +<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a> +Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises +wäre auch noch reichlich gewesen. Daß es zum +Prügeln nicht kommt, daran ist nur die Urte +schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen +macht und dadurch das Schlimmste verhindert. +</p> + +<p> +Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach +noch ein bißchen spazieren geht, wobei sie alsbald +die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die +ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren +Chaussee freundschaftlich einigen kann. +</p> + +<p> +Die Katrike will mit dem jungen Herrn +Schmidt über Nacht zu den Schwiegereltern fahren, +was ihr nicht zu verdenken ist, und darum +geht die Erdme allein nach Hause. +</p> + +<p> +Nach Hause? — Als ob sie ein „Zuhause“ +hätte — das soll erst morgen kommen. Denn +für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag +bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste +geschrieben, was ihr bis zu ihrem seligen +Tode zukommen wird — ja sogar für die Zeit +<em>nach</em> dem Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger +als zehn Fladen und sechs Achtel Bier müssen +den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das +Kreuz auf ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein. +</p> + +<p> +So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl +ist ihr doch nicht zumut. Wenn jetzt zum Beispiel +der Jons des Weges käme, wie könnte sie +ohne ein Wort an ihm vorübergehen? +</p> + +<p> +Da ist nun die lange Brücke, die über die +<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a> +Sumpfniederung führt! Und sie muß des Frühlingstages +gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig +Jahren mit Jons zum Moor hinauszog. +Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus +dem blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: +„Wie die Blumchen da vorwärts kommen, ohne +zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.“ +</p> + +<p> +Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern +gewesen. +</p> + +<p> +„Aber was hilft das Vorwärtskommen,“ +denkt sie, „wenn einem zuguterletzt alles wieder +zunichte wird.“ +</p> + +<p> +In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie +seien längst über den Berg, und Hader könnt’s +gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da +gewesen wie der Dieb in der Nacht und hat +alles — aber auch alles — zunichte gemacht. +</p> + +<p> +Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, +die ihr das Geld aus den Händen riß! Kaum +einmal warten konnte die Kröt’, bis sie die +Wiste aufgehakt hatte! +</p> + +<p> +„Aber morgen,“ denkt sie, „morgen wird +alles festgemacht werden.“ Aus dem Hause +wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der +Rechtsanwalt schon gesorgt, und das Brautpaar +hat wohl oder übel seine Zustimmung geben +müssen. +</p> + +<p> +Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen +<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a> +um elf werden sie sich wieder in Heydekrug +treffen, und übernächsten Sonntag kann dann +die Hochzeit sein. +</p> + +<p> +Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, +als muß sie sich wieder krank hinlegen, so zerschlagen +fühlt sie sich. Aber das kommt nicht +vom Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie +alles hergeben muß. +</p> + +<p> +Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl +und redet ihr Trost zu. Aber was kann er viel +sagen? +</p> + +<p> +Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. +Sie hat heiße Backen und sieht verjucht und verjachert +aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, +und der unverschämte Kerl hat sie angehalten +und verlangt, sie soll ein Führungsattest beibringen. +Was der sich wohl denkt? +</p> + +<p> +Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, +aber zu der ermatteten Mutter ist sie voll Zärtlichkeit +und besteht darauf, daß der Nachbar einen +Wagen besorgt und sie morgen selber nach +Heydekrug fährt. Denn der weite Gang zwei +Tage gleich nach einander könnte zu viel für +sie sein. +</p> + +<p> +Spät abends kniet sie noch vor der Mutter +Bett und streichelt und küßt ihr die Hände und +bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat +und weiter noch tun muß. Die Erdme weiß +zwar nicht, was sie meint, aber von solcher +<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a> +Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug +ganz naß weint. +</p> + +<p> +Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, +fängt die Urte von neuem an, gerade +so, als wär’ es ein Abschied für immer. +</p> + +<p> +Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur +Augen für drüben. Ob nicht der Jons sich irgendwo +sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und +still. Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. +Freilich, blitzen tut die nicht mehr, denn die ist +jetzt dreckig, wer weiß wie. +</p> + +<p> +Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem +Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, die Brautleute +schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch +um halb zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig. +</p> + +<p> +Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte +Termin und sagt im Vorbeigehen, jetzt müßte sie +warten bis zwei, denn früher käm’ er nicht wieder. +</p> + +<p> +Und wie er um zwei wiederkommt, sind +die Brautleute noch immer nicht da. +</p> + +<p> +„Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,“ sagt +er. „Inzwischen können sie immer noch kommen.“ +</p> + +<p> +Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut +seit langem das Kreuz weh, und der Nachbar +redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. +Dort kann sie sich wenigstens ausstrecken. Aber +sie will nicht. Sie könnte das Brautpaar am +Ende verfehlen. +</p> + +<p> +<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a> +Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, +und dann geht es ja wieder. +</p> + +<p> +Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher +heraus und sagt, für heute sei es nun +leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da +und der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder +auch sonst wann zur Beglaubigung gerne bereit +sein. +</p> + +<p> +So fahren sie wieder zurück. Die Erdme +hat das Kopftuch um Mund und Backen gebunden +und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? +Man muß sich ja fürchten zu denken — um wieviel +mehr noch zu reden! +</p> + +<p> +Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. +Und so kommen sie an. +</p> + +<p> +Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann +es euch zehnmal erzählen, ihr glaubt es mir doch +nicht. +</p> + +<p> +Die Kühe sind weg. Die Schweine sind +weg, die Betten sind weg. Auch der andere +Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso +weg. Und selbst die kröt’sche Marjell, die Jette, +ist weg. +</p> + +<p> +Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches +Mädchen ist, sieht die erschreckten Gesichter +und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, +es geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte +sie den Nachbar Smailus gerufen oder sonst wen +— und sie schielt hinüber nach Baltruschats Haus. +</p> + +<p> +<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a> +Was bei Jesu Namen <em>ist</em> also geschehen? +</p> + +<p> +Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. +Darauf haben die Brautleute gesessen +und haben erklärt, sie wollten jetzt alles +überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. +Und die Mutter wäre schon dort, um einzurichten, +und käme nur später noch einmal, die +eigenen Sachen zu holen. +</p> + +<p> +Und dann haben sie vorne das Hausgerät +aufgeladen und hinten die Schweine. Und die +Kühe haben sie angebunden, und so sind sie davongefahren. +Und die Urte hat ihr noch fünf Mark +geschenkt für die gute Bedienung. +</p> + +<p> +Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den +Tisch gelegt. An wen die sind, weiß sie nicht, +denn Aufschrift hat keiner. +</p> + +<p> +Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und +gefühllos. Der Nachbar und die Magd müssen +sie in die Stube tragen. +</p> + +<p> +Da liegen die Briefe. +</p> + +<p> +Die Katrike schreibt so: +</p> + +<p class="addr"> +„Mein geliebtes Mütterlein! +</p> + +<p class="noindent"> +Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich +von Dir zu trennen. Mein Bräutigam, der junge +Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber +so. Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht +Sitte, daß gleich die Mutter als Altsitzerin in die +Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie +wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit +<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a> +wird in kleinstem Kreise gefeiert werden, und +darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was +mir auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. +Das Vieh und die anderen Sachen +habe ich gleich mitgenommen, denn mein +Bräutigam, der junge Herr Schmidt, hat es +schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. +Ich bedanke mich auch sehr für alles, womit +Du mich beschenkt hast, und werde Dich lieben +in Ewigkeit. +</p> + +<p class="sign"> +Deine treue Tochter Katrike.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Und die Urte schreibt so: +</p> + +<p class="addr"> +„Meine Mamusze! +</p> + +<p class="noindent"> +Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, +aber die Katrike bestand darauf. Darum habe +ich Dich gestern und heute auch immerfort um +Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich +nicht, sondern fahre von Jugnaten aus gleich +nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen +Kleider nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, +noch weit ärmer, als die Ulele einst war, dann +würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so +würden wir uns beide gegenseitig nur hinderlich +sein. Darum rate ich Dir, laß Dich rasch scheiden +und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja +immer geliebt hat. Wenn man daran denkt, +scheint es einem wie ein trauriges Buch, und +das muß doch wenigstens einen befriedigenden +Schluß haben. Zu dem bösen Vater kannst Du +<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a> +ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka mag +bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe +wohl, meine Mamusze, und sei mir nicht böse. +Ich schicke Dir bald etwas Schönes. +</p> + +<p class="sign"> +Deine Urte.“ +</p> + +<p class="noindent"> +So lauten die Abschiedsbriefe der beiden +Töchter. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-4-22"> +22 +</h3> + +<p class="first"> +Die Erdme will sich ins Bett legen, denn +die Beine tragen sie nicht. +</p> + +<p> +Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die +Kammer. Er hat seinen Mantel auf dem Arme +und sagt: „Bis heute waren die Töchter da. Ich +könnte ja jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, +aber vor Gericht glauben sie ihr am Ende nicht, +weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn +ich auch ein alter Mann bin, da ich nun einmal +mit dir im Verdacht stehe, so möchte ich dir das +künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit +dir zur Nacht allein unter einem Dache verweile. +Oder doch so gut wie allein. Ich werde darum +den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit +bitten und darin fortfahren, solange dein +Ruf es verlangt.“ +</p> + +<p> +Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach +mehr über dem Kopfe hat, denn den Nachbar +aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht. +</p> + +<p> +Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung +<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a> +nicht abzubringen sein wird, so willigt sie +zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung +mit auf den Weg und sagt, sie wird +gleich zur Ruhe gehn. +</p> + +<p> +Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, +auf den sie sich stützen muß, — und siehe da! +jetzt tragen die Beine sie wieder. +</p> + +<p> +Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, +und damit verläßt sie den Hof. +</p> + +<p> +Es ist ein lieblicher Abend, nur — Gott sei’s +geklagt — sie weiß nicht, wohin. +</p> + +<p> +Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. +So ein Schwur ist leicht gegeben, will +man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht +schwer. +</p> + +<p> +Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein +müssen, denn was bleibt ihr sonst übrig? +</p> + +<p> +Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt +noch einmal nach ihrem Eigenen hinüber. +</p> + +<p> +„Es ist merkwürdig,“ denkt sie, „daß man +nie etwas von ihm sieht oder hört.“ Seit sie +ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht +mehr wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch +nicht vorbei. Selbst die Petruschka ist wie in +die Erde gesunken. +</p> + +<p> +Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, +deren Beeren schon halb und halb rot sind, und +auch den Garten besieht sie von ferne. Viel +erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist +<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a> +schon im Fallen, aber daß die Sonnenblumen +im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen +der Zuckerschoten umgeschmissen hat, das +bemerkt man auch von dem Weg her. +</p> + +<p> +„Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,“ denkt +sie, „so würd’ ich nachher über den Zaun klettern +und sie noch aufrichten.“ +</p> + +<p> +Und dann macht sie sich auf — nach dem +Torfloch. +</p> + +<p> +Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett +übergossen an seinem Rande stehen, hat sie noch +selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie +einst in den Jahren der Jugend. Mit der Magd +waren sie drei, so wie es die Regel verlangt. +Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz. +</p> + +<p> +Der Abendschein liegt feuerrot auf dem +Wasser. +</p> + +<p> +„Wenn ich jetzt hier ’reinspringe,“ denkt sie, +„dann wird er sein Lebtag glauben, ich sei mit +dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig +gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will +der Nachbar ihn anreden, so schlägt er ihn tot.“ +</p> + +<p> +Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden +gar nicht so schlimm ist. Hier ’reinzuspringen +ist schlimmer. +</p> + +<p> +„Wie wär’s,“ denkt sie weiter, „wenn ich vorher +noch mit ihm spreche und alles ins klare +bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja +auch nicht.“ +</p> + +<p> +<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a> +Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn +das noch ein Segen wär’. Bloß hier nicht ’reinspringen +müssen! +</p> + +<p> +Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg. +</p> + +<p> +Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon +gar nicht mehr, nur daß das Vieh weg ist, erfüllt +sie mit Kummer. +</p> + +<p> +„Hätt’ ich bloß eine einzige Kuh an die Leine +zu nehmen,“ denkt sie, „dann könnte ich mich +schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als +Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch +recht schwer.“ +</p> + +<p> +Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. +— — — +</p> + +<p> +Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, +ist es schon Nacht, aber richtig Nacht wird es im +Juli ja doch nicht. +</p> + +<p> +„Find’ ich ihn nicht zu Hause,“ denkt sie, „so +setz’ ich mich an die Feuerstelle und warte, bis +er zurückkommt.“ +</p> + +<p> +Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg +hinauf und bis an das Hoftor. Der Kettenhund +rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, +weil er sich losgemacht und die Petruschka +zerbissen hat. So hat es der Magd die Smailene +erzählt. +</p> + +<p> +Das Tor steht offen. Warum auch nicht? +Das Vieh ist längst fort, das hat sie ja selber gestohlen. +</p> + +<p> +<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a> +Ob er wenigstens die Haustür verschlossen +hat? +</p> + +<p> +Aber wie kann er? Sie selber hat ja den +Schlüssel. +</p> + +<p> +So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur. +</p> + +<p> +Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen +und riecht an ihr hoch und riecht und +riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt +zu heulen an, wie ein Mensch heult. +</p> + +<p> +Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? +Wer kann es wissen? +</p> + +<p> +Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel +gewöhnt, und wie der Jons in seinen Kleidern +aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. +Sie sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß +verschlafen scheint er zu sein. +</p> + +<p> +Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht +erst Antwort, sondern fällt vor der Feuerstelle +zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel +nehmen oder die Axt. +</p> + +<p> +Aber was tut er? +</p> + +<p> +Er macht die Haustür weit auf, damit er sie +besser besehen kann, und dann stellt er sich neben +sie hin und fragt: „Ist es noch immer das Kreuz, +daß du nicht aufkannst?“ +</p> + +<p> +Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die +Angst ist es nicht mehr, jetzt sind es die Tränen, +daß sie nicht aufkann. +</p> + +<p> +Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die +<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a> +Stirn auf die Kante und weint und weint, weil +sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder +die Schaufel. +</p> + +<p> +Wie wird sie’s ihm aber bloß beibringen von +dem Sparkassenbuch und dem Vieh? Und dann +auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden +hat, treu nach der Wahrheit? +</p> + +<p> +Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, +liegt sie da und weint. +</p> + +<p> +Da sagt der Jons: „Die Marjellens sind ja, +Gott sei Dank, auch weg.“ +</p> + +<p> +„Das weißt du?“ sagt sie und richtet sich auf. +</p> + +<p> +„Ich hab’ ja alles aufladen sehen heute +mittag,“ sagt er. +</p> + +<p> +„Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ schon eine zuschanden geprügelt,“ +sagt er und setzt sich neben sie auf den Herd. +</p> + +<p> +Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm +zwischen die Knie, und er legt die Hand auf ihr +Haar, und so sitzen sie lange. +</p> + +<p> +Aber endlich muß sie es ihm doch sagen — +das mit dem Nachbar zuerst. +</p> + +<p> +Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht +losgehen. „Der Nachbar —“ sagt sie, „der Nachbar +—“ und dabei bleibt es. +</p> + +<p> +„Is ja alles egal mit dem Nachbar,“ sagt er, +„wenn du bloß da bist.“ +</p> + +<p> +Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, +wenn es auch noch so schlimm wäre. Aber sie +<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a> +will es nicht auf sich sitzen lassen — nicht eine +Stunde mehr. +</p> + +<p> +Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die +Höhe und setzt sich neben ihn und erzählt ihm +von dem Gesangbuch — wie wundertätig sich +das in der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun +aber sind sie längst angejahrt und drüber hinweg. +Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum +Nachbar Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm +auch. +</p> + +<p> +Er sagt: „Wenn du bloß da bist.“ Und sonst +sagt er nichts. — — — — — +</p> + +<p> +Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind +keine Betten da. +</p> + +<p> +„Ich lieg’ sonst auf dem Stroh,“ sagt er, +„und bedecken tu’ ich mich mit dem Woilach.“ +</p> + +<p> +Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient +weiter. +</p> + +<p> +„Wie wir anfingen,“ sagt sie und schämt sich, +„da hatten wir wenigstens Bettzeug.“ +</p> + +<p> +„Ach Gott,“ sagt er, „das Vieh ist ja weg und +viel von dem Hausrat und alles Gesparte“ — +wie er sagt „alles Gesparte“, da schluckt er doch, +und ihr zerreißt es das Herz —, „aber die schönen +Gebäude sind da, und die Wiese haben wir auch, +und die Kartoffeln gedeihen — und der Moorvogt +sagt: ‚Das Pferd wird sich finden,‘ und fürs +übrige leiht er. Wir fangen eben noch einmal +von vorne an, das ist alles.“ +</p> + +<p> +<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a> +Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich +wieder ganz jung vor. +</p> + +<p> +Und dann kriechen sie still in das kahle +Bett und decken sich zu, so viel die kurze Pferdedecke +nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, +denn die Nacht ist ja mild, und sie können sich +gegenseitig erwärmen. +</p> + +<p> +Wie die Erdme da liegt, denkt sie: „O Gott, +o Gott, wie liegt es sich schön hier!“ Und ihr +Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie +arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird +kommen, wie er das erstemal kam. Nein, er <em>ist</em> +schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei +ihr und sagt halb im Schlaf: „Wenn du bloß +da bist.“ +</p> + +<p> +Die Petruschka hat den Kopf zwischen die +Pfoten gesteckt und träumt von einer Wanne +mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen +Schrubber. +</p> + +<p> +Und wie ich die Erdme kenne, wird der +Traum sich morgen erfüllen. — — — — — +— — — — — — — — — — — — — — +</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="chapter" id="part-5"> +<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a> +Die Magd +</h2> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<h3 class="section section1" id="chapter-5-1"> +<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a> +1 +</h3> + +</div> + +<p class="first"> +Es war am ersten Juli und schon Feierabend, +als die Marinke Tamoszus im Dorfe einfuhr. +Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht. +Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. +Sie kam von dem Gute des Herrn Westphal, +wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient +und dann zwei Jahre lang die Meierei verwaltet +hatte. +</p> + +<p> +Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen +in die Augen gefallen. Er hatte beim Milchabliefern +die fleißige Wirtin in ihr erkannt und +erst seine Frau und dann auch seinen Sohn, den +Jurris, auf sie aufmerksam gemacht. Hierauf, als +beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem +Vater verständigt, und das Ende vom Liede +war, daß sie dem Herrn Westphal kündigte und +vom alten Enskys den Mietstaler nahm. +</p> + +<p> +Aber nein doch, das Ende war es nicht! +Es sollte vielmehr ein glücklicher Anfang sein. +</p> + +<p> +Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so +konnte nach den letzten Kartoffeln, um Mitte +Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden. +<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a> +Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht +worden. Und sie, die Marinke, hatte sich nicht +gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht, +weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und +ewig auf dem großen Gute zu scharwerken, hatte +erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich +bloß ins Gerede. +</p> + +<p> +Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen +Zöpfen und brauner Taftschürze, +blond und rund und schüchtern neben dem dürrgearbeiteten +Vater, der auf seine Gäule losprügelte, +denn er wollte forsch vorgefahren +kommen. +</p> + +<p> +Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, +sie hingegen war noch niemals dort gewesen +und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs +Meer hinausfährt. +</p> + +<p> +Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die +Runde, und von freudiger Erwartung stand +wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte +auch nicht: „Ist es hier? Ist es dort?“ Aber +wenn der Wagen an einem neuen Zugangswege +vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil +ihr noch eine Galgenfrist blieb. +</p> + +<p> +Endlich bog er doch um die Ecke, und im +Abendschein lag die künftige Heimat vor ihr. +Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. +Daß die tüchtige Milchgeberinnen waren, das +wußte sie schon von der Meierei her. Der +<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a> +Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. +Der Stumpf einer Dreschmaschine +vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen +fiel ihr sonst nicht viel auf. Nur die +braunen Netze, die zum Trocknen über den +Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, +denn noch nie war sie in einer Fischergegend +gewesen. +</p> + +<p> +Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem +Jurris. Auch ein Knecht war da und eine Taglöhnerfrau. +Um derentwillen durfte der Willkomm +nicht allzu herzlich sein. Aber sie dachten +sich doch ihr Teil, denn sie grieflachten heimlich +zusammen. +</p> + +<p> +Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die +Magd kommt zweispännig angefahren, und der +eigene Vater kutschiert! +</p> + +<p> +Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. +Man hätte es nicht von ihm glauben sollen, denn +er war unlängst von den Kürassieren nach Hause +gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm +noch auf dem linken Ohr. Aber als er ihr kaum +die Hand gegeben hatte, machte er sich schon +eifrig an dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe +des Knechts über die Sprossen hob. Nur um +nicht mit ihr reden zu müssen. +</p> + +<p> +Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht +aus. Nach seiner Gestalt hätte man ihn eher bei +den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von +<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a> +sinkendem Schulterbau. Die Augen blau und +still. Viel von Bart noch nicht auf den Lippen. +</p> + +<p> +Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. +Denn bis nach Piktaten, wo seine Wirtschaft +lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte +nachts schon zu Hause sein. Aber einen Bissen +geräucherten Aal aß er doch und trank den +Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. +Er fühlte es mit Zufriedenheit: die Marinke kam +in ein gutes Haus, und die fünfhundert Taler, +die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt +sein. +</p> + +<p> +So fuhr er also von dannen, und die Marinke +saß in der Kammer und weinte. +</p> + +<p> +Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans +Lachen als ans Weinen denkt, so war sie am +nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. +Die Kühe standen über dem Melkeimer so still, +als hätte sie sie schon seit Wochen geliebkost, und +der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen +gerade unter die hungernden Rüssel. +</p> + +<p> +Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und +Tritt, aber so, daß sie von ihr nicht gesehen werden +konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte +sie leise zu ihrem Mann: „Wir haben gut gewählt. +Sie ist eine Gesegnete.“ +</p> + +<p> +Der alte Enskys faltete die rissigen Hände +und sagte noch zweifelnd: „Geb’ Gott!“ +</p> + +<p> +Und beide dachten daran, wie sie nun im +<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a> +Herbste sich zur Ruhe setzen könnten, waren dabei +aber erst um die Funfzig. +</p> + +<p> +Die Marinke tat, als merke sie nichts von +dem Beobachtetwerden und dem Getuschel, und +machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten +liebt und nicht nach rechts und nach links sieht. +</p> + +<p> +Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem +und gütigen Herzens und nicht gewillt, sie ihre +Herrschaft fühlen zu lassen. +</p> + +<p> +Aus dem Schwiegervater war vorderhand +noch nicht klug zu werden. Bescheiden im Wesen, +als wär’ er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks +und im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte +sie zwei-, dreimal an etwas, was sie noch gar +nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft +sein. +</p> + +<p> +Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach +sie nicht an. Und so blieb es Tage und Tage lang, +so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren +Verdacht bald wieder fahren ließen. +</p> + +<p> +Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken +weilten ganz, ganz wo anders als bei +dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und +wollte wissen, wie er es anfangen würde. Aber +er fing es lieber gar nicht an. Und mit der Zeit +begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt +werden. Und noch etwas Schlimmeres +fürchtete sie, doch daran ging das Denken gerne +vorüber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-2"> +<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a> +2 +</h3> + +<p class="first"> +Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten +die fünf größten Wirte des Dorfes mit Herrn +Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und +lieferten ihm so und so viel Liter täglich für +seine Meierei. Im Hinfahren wechselten sie sich +allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke +sie alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen +und Kinder, denn die Besitzer spielten den Kutscher +meistens nur dann, wenn sie in Augustenhof sonst +noch zu tun hatten. +</p> + +<p> +In der Woche nach Marinkes Ankunft war +der Jozup an der Reihe. Der Jozup Wilkat, +der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. +Ein dunkler junger Mensch von Dreiviertelgröße +mit buschigem Schnurrbart und zusammengewachsenen +Brauen, die ihm ein finsteres und +fremdartiges Aussehen gaben. Den Hof, der +übrigens wohlhabend und gutgehalten war, +nannte man in der Gegend die „Wilkija“, das +Wolfsnest. Zuerst natürlich des Namens wegen, +denn Wilkat heißt im Deutschen der „Werwolf“. +Dann aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos +herangewachsen waren, sich von früher Jugend +an in den Haaren gelegen hatten, bis die +Mutter, deren Liebling der Jozup war, die beiden +Älteren herausbiß, so daß sie nun in Berlin auf +Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete +<a id="page-357" class="pagenum" title="357"></a> +nur auf eine passende Frau, um dann die Wirtschaft +zu übernehmen. +</p> + +<p> +In Augustenhof waren alle Mägde hinter +ihm her, aber er kümmerte sich wenig um sie. +Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm +angeglupt, hatte seine Milch aufschreiben lassen — +und weg war er. +</p> + +<p> +Man sagte von ihm, er sei ein „Bedraugis“, +das ist einer, der keinen Freund hat, und das +mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn +er jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte +er sich lange im Stall bei dem Jurris zu schaffen, +rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte +womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof +sind es im Schritt immerhin doch anderthalb +Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde +immer gewesen. +</p> + +<p> +Am vierten Abend mochte es sein, da trat er +zu der Marinke, die eben die Milchkannen auflud, +und redete sie mit den Worten an: „Gestern +hat mich der Herr Westphal halten lassen und +hat gesagt, ich möchte dir sagen, du möchtest +doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof +kommen.“ +</p> + +<p> +Die Marinke wurde rot und sagte: „Was +soll ich in Augustenhof? Ich bin nicht mehr in +Dienst dort.“ +</p> + +<p> +Und der Jozup entgegnete: „Es ist noch etwas +abzurechnen, hat er gesagt.“ +</p> + +<p> +<a id="page-358" class="pagenum" title="358"></a> +Die Marinke antwortete: „Ich <em>habe</em> abgerechnet,“ +und ging ihrer Wege. +</p> + +<p> +Aber am Sonnabend kam er noch einmal +und sagte: „Der Herr Westphal ist gestern auf +der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde +aus einem Posten nicht klug und er müsse durchaus +mit dir reden. Morgen am Sonntag ist mein +letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das +Vertrauen und fährst mit mir.“ +</p> + +<p> +Der Marinke gab es einen Stoß gegen das +Herz. Sie sah den Jurris an, der still nebenbei +stand, und sagte: „Wenn ich durchaus fahren +muß, so fahr’ ich doch lieber, wenn <em>wir</em> an der +Reihe sind. Die acht Tage wird der Herr Westphal +sich wohl noch gedulden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer +zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofe herunter. +</p> + +<p> +Der Jurris stand da und sah ihm nach, und +die Marinke grämte sich, daß er noch immer nicht +zu ihr sprach. Schließlich war sie doch „auf +Prob’“ hier. Was sollte werden, wenn es so +blieb? +</p> + +<p> +Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen +Sinne ganz zuwider war und wozu sie bisher +den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte +sich neben ihn und sagte: „Vielleicht bist <em>du</em> +so gut und nimmst mich dann einmal mit.“ +</p> + +<p> +Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort +gegeben oder ihr sonst sein Mißfallen gezeigt, +<a id="page-359" class="pagenum" title="359"></a> +dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten +bald würde packen müssen. Aber was tat er? +</p> + +<p> +Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man +konnte sagen, ein glückliches Lächeln ging +über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: +„Wirst du dann auch einmal mit mir fischen +kommen?“ +</p> + +<p> +Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war +und daß sie mit ihrem Kasten würde hierbleiben +können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten +wäre sie gleich davongelaufen und hätte +im Winkel geweint, aber sie bezwang sich und +lächelte nur und sagte: „Du <em>hast</em> ja bisher noch +gar nicht gefischt.“ +</p> + +<p> +„Ich habe immer auf dich gewartet,“ entgegnete +er. +</p> + +<p> +„Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte +sie mich wohl freigelassen,“ sagte sie. +</p> + +<p> +„Ja, das hätte ich eigentlich tun können,“ +entgegnete er, „aber ich dachte immer, du hättest +zu viel zu tun.“ +</p> + +<p> +„Zu tun habe ich wohl genug,“ war ihre Antwort, +„aber wie man fischt, das sähe ich gar zu +gerne.“ +</p> + +<p> +Da führte er sie vor die braunen, nach Teer +riechenden Netze, die über die Stakete gehängt +waren, und erklärte ihr alles. +</p> + +<p> +Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor +lauter Glück hörte sie nichts. Das Schwere, das +<a id="page-360" class="pagenum" title="360"></a> +Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet war, +löste sich auf. +</p> + +<p> +Nichts war um sie und in ihr als ein milder +Sommerabend mit braunen Netzen und grünen +Staketen und vielen Blumen dahinter, und +Vögelchen, die sie ansangen, und einem Hofhund, +der sie anwedelte, und einem lieben, guten +Menschen, der fortan der Ihre war. +</p> + +<p> +Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, +und hätte er ihre Hand gefaßt und wäre mit ihr +in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im +geringsten gewundert. +</p> + +<p> +Daß sie nun auch gemeinsam den Garten +besuchten, geschah wie von selbst. Er zeigte ihr +den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie +zeigte ihm den Ehrenpreis und die Studentennelke, +und nur an dem Rautenbeet gingen sie +schweigend vorüber. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-3"> +3 +</h3> + +<p class="first"> +Zwei Tage später am frühen Morgen sagte +der Jurris zur Marinke: „Die Mutter hat erlaubt, +daß wir zusammen fischen dürfen.“ +</p> + +<p> +Sie fragte: „Wer wird die Kühe melken?“ +</p> + +<p> +Und er erwiderte: „Sie wird es selber tun.“ +</p> + +<p> +Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen +lud, schämte sie sich sehr vor den Blicken, die sie +auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch nichts +<a id="page-361" class="pagenum" title="361"></a> +zu essen mit und sagte zu keinem: „Ich geh’ nun.“ +Wie eine Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam. +</p> + +<p> +Er zog den Handwagen, und sie schob nach. +Aber zu schieben war eigentlich nichts, denn die +Räder drehten sich wie von selber. +</p> + +<p> +Bis zum Haff geht man quer durch die Felder +mehr als eine halbe Stunde. Zuerst war nichts +davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er +morgens wohl auf den Wiesen liegt, dann aber +brach das blaue Wasser durch, hoch über dem +Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser +und Himmel blänkerten in der Ferne die Sandberge +der Nehrung, anzusehen wie ein Gürtelband +von weißgelber Seide. +</p> + +<p> +Marinke dachte: „Wie schön wird meine Heimat +sein!“ Sie wollte was sagen, aber sie traute +sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte sich +nie nach ihr um. +</p> + +<p> +Und so kamen sie dem Ufer immer näher. +</p> + +<p> +Dort standen Schuppen errichtet, um die +Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit der Stürme +drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, +waren sie nicht einmal auf den Strand gezogen +und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, zwischen +Grasbank und Röhricht. +</p> + +<p> +Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit +haben, war am Ufer zu sehen. Denn +jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf +den Feldern zu tun. +</p> + +<p> +<a id="page-362" class="pagenum" title="362"></a> +Und Marinke fühlte in beklommener Seele, +daß auch <em>seine</em> Ausfahrt nur ihr zuliebe geschah. +</p> + +<p> +Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und +sie half ihm dabei, obgleich es auch hier nichts zu +helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, +weit draußen im Blauen, wo nur die Ruder +klatschten und die Kielwellen schälten, da forderte +er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu +gehen. +</p> + +<p> +Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, +so daß alsbald die „Pluden“ — das sind die leichten +Hölzer, die das Netz obenhalten — in schönem +Bogen rings um sie herschwammen. +</p> + +<p> +Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die +Sonne fing etwas zu stechen an. +</p> + +<p> +„Du hast kein Tuch,“ sagte er, „du wirst +Kopfschmerzen kriegen.“ Und er holte eine Ölkappe +hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie +wollte nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr +Aussehen lachen müssen. Und das sagte sie ihm +auch. +</p> + +<p> +Aber da begann er schon im voraus zu lachen +und rief: „Hundertmal reichen nicht, daß ich dich +in der Ölkappe sehen werde.“ +</p> + +<p> +Und ohne sich zu besinnen, <em>was</em> sie da sagte, +entgegnete sie: „Aber dann werden wir auch +verheiratet sein.“ +</p> + +<p> +Noch wie das Wort kaum heraus war, da +schämte sie sich schon so sehr, daß sie sich am liebsten +<a id="page-363" class="pagenum" title="363"></a> +ins Wasser gestürzt hätte. „O Gott, o Gott,“ +dachte sie, „jetzt wird er mich für dreist und für +zudringlich halten.“ Und weil sie fühlte, daß +sie ganz glutrot geworden war und immer noch +röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und +machte sich klein. +</p> + +<p> +Er — vom Steuer her — sagte: „Marinke, +dreh dich doch um.“ +</p> + +<p> +Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich +stieg der Gedanke in ihr auf: „Es wird nicht sein +— es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich — +und ich bin es nicht wert.“ +</p> + +<p> +Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß +sie bitterlich zu weinen begann. +</p> + +<p> +Der Jurris stand von seinem Platze auf und +setzte sich neben sie, so dicht, daß ihr Rücken an +seine Brust stieß. +</p> + +<p> +Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich +nicht wolle, da sonst ja die Heirat kein Grund +zu solchen Tränen sei. +</p> + +<p> +Aber sie weinte nur um so heftiger. +</p> + +<p> +Da schlang er von hinten her die Arme um +ihren Hals, so daß ihr Kopf auf seine Schulter +zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach +ihm um, damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem +hellen Tage preiszugeben brauchte, und so lag sie +an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz still. +</p> + +<p> +„Ach wenn er mich doch küssen möchte!“ +dachte sie. +</p> + +<p> +<a id="page-364" class="pagenum" title="364"></a> +Aber er küßte sie nicht. +</p> + +<p> +Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu +sehen. Viel brachte der Fang nicht. Ein paar +Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber +sie kümmerten sich nicht darum, und schließlich +lachten sie gar darüber. +</p> + +<p> +Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob +sie nicht mehr wie in der Frühe, sondern schritt +an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es +beim besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen +gab, legte er seinen freien Arm um ihre Hüfte, +so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. +Und darum gab es des Lachens kein Ende. +</p> + +<p> +Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, +und als die künftige Schwiegermutter ihnen das +Frühstück auftischte, wollte sie es nicht dulden +und küßte ihr Ärmel und Rocksaum. +</p> + +<p> +Da sagte die Enskene mit einem freundlichen +Lächeln: „Was ihr gefischt habt, ist ja nicht viel, +und doch hat mein Jurris einen guten Fang +gemacht.“ +</p> + +<p> +Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen +und ängstlichen Blicken um beide herum, so daß +auch der Marinke wieder ganz angst ward. +</p> + +<p> +„Ob er was weiß?“ dachte sie. +</p> + +<p> +Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß +sie „auf Prob’“ ins Haus kam. +</p> + +<p> +Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre +Arbeit. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-4"> +<a id="page-365" class="pagenum" title="365"></a> +4 +</h3> + +<p class="first"> +In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat +eigentlich nichts mehr auf dem Hofe zu tun, denn +das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber +trotzdem sah man ihn morgens und abends. +Einmal hatte er sich einen Bohrer geborgt, den +er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm +die Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich +kam er ganz ohne Grund, setzte sich neben den +Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal +drei Pfeifen aus. +</p> + +<p> +Daß man den jemals einen „Bedraugis“ +genannt hatte, war zum Verwundern. +</p> + +<p> +Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der +neuen Freundschaft gekommen war, die eigentlich +schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen, +aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ +er es sich gefallen. Der Jozup, den alle für +störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar +nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und +Lieder die Menge, und wenn man die Auflösungen +seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich +vor Lachen den Bauch halten. +</p> + +<p> +Darum kamen auch die beiden Alten häufig +dazu, und nur die Marinke machte sich ungern +in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen +Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn +kommen und gehen sah mit seinen strammen +<a id="page-366" class="pagenum" title="366"></a> +Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel +er ihr immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, +die sie schon in Augustenhof manchmal befallen +hatte, wenn er auf dem Milchwagen +vorfuhr, verließ sie auch jetzt nicht. +</p> + +<p> +Zuweilen dachte sie: „Der wird mir gewiß +einmal ein Leid antun.“ Aber ein bißchen +Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, +seitdem sie erfahren hatte, wie wenig ein armes +Mädchen vor ihrem starken Willen vermag. +</p> + +<p> +Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris +hinüberzublicken, um zu wissen, wie gut geborgen +sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah +kommen können. +</p> + +<p> +Eines Spätabends beim Weggehen blieb +der Jozup am Gartenzaun stehen und rief zu +ihr herein: „Du, richt dich mal auf!“ +</p> + +<p> +Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade +Mohrrüben aus der Erde für morgen Mittag, +aber sie mußte es doch tun. +</p> + +<p> +„Warum hältst du dich so weit ab von mir?“ +war seine Frage. „Ich beiß’ dich nicht. Ich beiß’ +bloß in Rindfleisch.“ +</p> + +<p> +„Ich bin die Magd hier,“ gab sie zur Antwort, +„und ich habe zu tun.“ +</p> + +<p> +„Wenn du von Magd sprichst,“ sagte er, +„dann lachen die Hühner. Ich weiß am besten, +wie bald du hier Herrin sein wirst.“ +</p> + +<p> +„Wenn du das weißt,“ entgegnete sie, „dann +<a id="page-367" class="pagenum" title="367"></a> +wart hübsch, bis ich das Recht hab’, mit dir zu +reden.“ +</p> + +<p> +„Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt +ist,“ sagte er, „und ich habe auch eine Bestellung +an dich.“ +</p> + +<p> +Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. +„Wenn es wieder von Herrn Westphal ist,“ entgegnete +sie, „dann sag ihm nur, sobald die Reihe +an uns ist, würde ich kommen — und früher +nicht!“ +</p> + +<p> +Aber diesmal war es was Anderes. +</p> + +<p> +„Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,“ +sagte er. „Sie hat gehört, daß du eine +heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr +einmal aufzulegen. Bei <em>der</em> Gelegenheit könntest +du dir gleich unsere Wirtschaft besehn.“ +</p> + +<p> +Ihr wurde ganz heiß von dem allen. +</p> + +<p> +„Wer das gesagt hat von meiner Hand,“ +entgegnete sie, „der erfindet sich Lügen, denn +ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer +Wirtschaft zu sehen hätte, das weiß ich noch weniger.“ +</p> + +<p> +Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet +hinunter und sah ihn nicht mehr an. +</p> + +<p> +Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, +als fühle sie seine Blicke auf ihrer Haut; dann +wünschte er „Guten Abend“ und ging von +hinnen. +</p> + +<p> +„Mein Gott, mein Gott!“ dachte sie. „Trachtet +<a id="page-368" class="pagenum" title="368"></a> +der auch nach mir?“ Aber das konnte nicht +sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum +Freunde ausgesucht haben? +</p> + +<p> +Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte +den Mittelsteg herabkommen, und ihr Herz flog +ihm entgegen. Sie dachte: „Wie kann man +einen bloß so rasch liebhaben!“ Aber sie blickte +nicht auf und beklopfte die Möhren nur um so +fleißiger. +</p> + +<p> +Er blieb hinter ihr stehen und sagte: „Kannst +du dir denn gar nicht genug tun? Es ist halbdunkel +und Schlafenszeit, und du arbeitest noch +immer.“ +</p> + +<p> +Sie stand auf und wischte das Schrapmesser +an ihrer Schürze ab. „Du mußt nicht glauben,“ +sagte sie, „daß ich mich zeigen will vor dir oder +den Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es +vielleicht auch bald <em>meine</em> Erde ist, auf der ich +da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen +und die Arbeit zum Spiel.“ +</p> + +<p> +Er sagte: „Wir haben uns immer noch nicht +richtig miteinander versprochen.“ +</p> + +<p> +„Nein,“ sagte sie, „das haben wir noch nicht.“ +</p> + +<p> +Und sie schickte sich an, den Korb mit den +Gelbrüben ins Haus zu tragen. +</p> + +<p> +Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und +führte sie den Mittelsteg weiter zu dem Eschenbaum, +unter dem die Bank stand für Mittagsruh’ +und für Feierabend. +</p> + +<p> +<a id="page-369" class="pagenum" title="369"></a> +Dort unter den hängenden Zweigen war es +fast Nacht, und wer einen auffinden wollte, den +sah man schon lang’ auf dem helleren Stege +daherkommen. +</p> + +<p> +Der Jurris stellte den Korb auf die Erde +und setzte sich neben sie. Ihre Hand ließ er nicht +los und nahm auch die andere dazu. +</p> + +<p> +„Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?“ +begann er das Gespräch. „Wenn wir Hochzeit +machen, möcht’ er Brautführer sein.“ +</p> + +<p> +Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie +Angst vor dem Jozup hatte, denn ihr war ja +nichts Böses von ihm geschehen, und darum +meinte sie nur: „So weit ist es ja noch nicht.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Warum nicht? Wenn <em>du</em> +mich willst, <em>ich</em> will dich. Ich hab’ dich schon +immer gewollt.“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Ich will dich gern.“ +</p> + +<p> +Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie +lehnte den Kopf an seine Schulter, und er lehnte +die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: +„Warum küßt er mich immer noch nicht?“ +</p> + +<p> +Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder +ihn für linkisch gehalten hätte, aber sie hatte so +große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie +auch den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter +nach hinten, so daß erst ihre Backe auf seiner +Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem +Munde lag. +</p> + +<p> +<a id="page-370" class="pagenum" title="370"></a> +Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein +Schaudern und wie ein Schlag. Und wie eine +ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine +neue Angst. +</p> + +<p> +Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. +Sie wußte nicht mehr, wieviel von ihrer Seele +und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte +ihm immer noch mehr von sich schenken und +immer noch mehr die Seinige sein. +</p> + +<p> +Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo +rings ein Geräusch, und es war doch niemand +den Steg heruntergekommen. +</p> + +<p> +Darum sprang sie auf und sagte: „Komm. +Es ist nicht mehr sicher hier.“ Und wünschte ihm +rasch „Gute Nacht“ und lief stracks nach der Klete, +wo ihre Kammer gelegen war. +</p> + +<p> +Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, +es würde nicht lange mehr dauern, dann würde +er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum +schnarchte die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte +er es ruhig auf sich nehmen können. +</p> + +<p> +Sie horchte und horchte nach der Türklinke +hin, aber die rührte sich nicht. Statt dessen war +es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise +Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus +und Klete unaufhörlich hin und her liefen. +</p> + +<p> +„Der Arme!“ dachte sie. „Er traut sich nicht. +Ich muß es ihm leichter machen.“ +</p> + +<p> +Und darum stand sie auf und öffnete sacht +<a id="page-371" class="pagenum" title="371"></a> +den oberen Teil der Tür nur eine Handbreit +weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer +geriet! Denn als sie den Kopf für einen Augenblick +durchgesteckt hatte, wurde ihr gleich offenbar, +daß der, der da draußen im Sommernachtschein +ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, +sondern sein Vater war, der wider Recht und +Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht +zueinanderkam. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-5"> +5 +</h3> + +<p class="first"> +Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. +Denn wenn eine Braut, die „auf Prob’“ ist, +sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann +ziehen sie womöglich in eine Kammer, und +keiner kümmert sich drum. +</p> + +<p> +Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten +Vormittag der Jurris vom Felde kam, um kaltes +Braunbier zum Trinken zu holen — denn draußen +beim Mähen und Binden starben sie alle vor +Durst —, da fand er, als er den Rückweg antreten +wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe +gönnte, wartend im Hausflur stehen. +</p> + +<p> +„Komm doch mal ’rein,“ sagte er. +</p> + +<p> +Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, +und als er in die Stube trat, was sah er da? +</p> + +<p> +Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch +bedeckt. Darauf standen zwei brennende +Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch. +</p> + +<p> +<a id="page-372" class="pagenum" title="372"></a> +Der Alte war barhaupt und hatte die +Schlorren nicht an und sah furchtsam und +heimlich aus. +</p> + +<p> +„Nimm deine Mütze ab,“ sagte er. +</p> + +<p> +Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen +war. +</p> + +<p> +Und der Vater fuhr fort: „Als die Marinke +ins Haus kommen sollte, sagte ich zu dir: kennen +lernen müssen sich die Menschen, die beieinander +bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte +ich von dir das Versprechen, daß du ihr +nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand +des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. +Und das gabst du mir auch.“ +</p> + +<p> +„Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,“ fiel +ihm der Jurris ins Wort, „wenn die Braut +einem so dicht nebenbei wohnt.“ +</p> + +<p> +„Und die Herren vom Gericht wissen es noch +viel weniger,“ gab der Vater zur Antwort, „denn +es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von +Gott eine andere Vernunft bekommen als wir. +So hat es sich vor etlicher Zeit auf dem Tilsiter +Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer +Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite +vom Pfade der Tugend gewichen war, +ein Jahr Zuchthaus — nicht Gefängnis, mein +Sohn, sondern Zuchthaus — gekriegt hat, weil +sein Sohn und die Braut, die auch auf Prob’ +war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache +<a id="page-373" class="pagenum" title="373"></a> +zusammen geschlafen haben. Er hat geweint +und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen, +denn im Herbst sollt’ ja die Hochzeit sein, und zu +der Aust könnt’ man zwei fleißige Händ’ nicht +entbehren; aber unbarmherzig, wie die Deutschen +sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen +und haben ihn eingesperrt zusammen +mit Räubern und Mördern.“ +</p> + +<p> +„Das kann nicht sein!“ rief der Jurris voll +Empörung. „Das wär’ ja die schlimmste Gewalttat!“ +</p> + +<p> +„Die Deutschen nennen’s Gerechtigkeit,“ sagte +der Vater, „und unter einander strafen sie sich +genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten +Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, +denn Aufpasser gibt es ja überall. Und weil ich +gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit +euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst +und Unglück zu retten: entweder ich schick’ sie +solang’ zu den Eltern zurück —“ +</p> + +<p> +„Das geht ja nicht, Vater,“ rief der Jurris +entsetzt, „das würde aussehen, als wollten wir +sie nicht haben.“ +</p> + +<p> +„— oder du schwörst mir hier auf das heilige +Gotteswort, daß du dich ihrem Leibe fernhalten +wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand, +selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.“ +</p> + +<p> +Das kam <a id="corr-8"></a>den Jurris hart an, aber was sollte +er machen? Und er schwor zwischen den Lichtern, +<a id="page-374" class="pagenum" title="374"></a> +die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der +Vater verlangte. Und daß, wenn er den Eid +verletze, Gott ihn mit Drangsal und Tod heimsuchen +wolle, das schwor er auch, genau wie der +Vater es vorsprach. +</p> + +<p> +Und dann brachte er das warm gewordene +Braunbier aufs Feld hinaus. +</p> + +<p> +Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer +atmend dastand, griff nach dem Krug, als ob er +ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, +als tränke sie Trübsal daraus. +</p> + +<p> +Nachher zur Mittagspause, als die Mäher +alle im kargen Schatten zweier Weidenstümpfe +lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich +erstaunt nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es +der Leute wegen geschehe, und darum beruhigte +sie sich wieder. +</p> + +<p> +Auch beim Nachhausegang schritt er nicht +etwa an ihrer Seite, sondern machte sich mit den +kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren +lagen. +</p> + +<p> +Und immer und immer wich er ihr aus, so +daß sie schließlich ganz krank war. +</p> + +<p> +Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. +Darum zweifelte sie auch nicht an +seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große +Sehnsucht nach ihm war es, die sie krank machte. +</p> + +<p> +So kam der Montagabend heran, an dem +der Enskyssche Wagen zum ersten Male wieder +<a id="page-375" class="pagenum" title="375"></a> +die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu +bringen hatte. Seit langem war ausgemacht +worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren +solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn +nicht länger entgegenzustehen. +</p> + +<p> +Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte +sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter, denn +sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und +nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger +war, könne schuld daran sein, daß etwas +nicht stimmte. +</p> + +<p> +Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer — +wenn auch nicht wegen der Bücher. +</p> + +<p> +Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte +Bänder durch die Zöpfe und legte ein seidenes +Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt +hatte. Und wenn sie daran dachte, daß +sie nun zwei Stunden lang in der roten Dämmerung +mit dem Jurris allein durch die Welt fahren +sollte, so verschwand alles andere, wovor ihr +wohl bangte. +</p> + +<p> +Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns +kam, war der Jurris nirgends zu finden. +Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen, +und auch die der anderen Wirte warteten +sicher schon lange, aber alles Rufen nach ihm +blieb vergeblich. +</p> + +<p> +„Dann wirst du wohl allein fahren müssen, +mein Täubchen,“ sagte die Schwiegermutter. +</p> + +<p> +<a id="page-376" class="pagenum" title="376"></a> +Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und +viel mehr Tränen weinte sie, als die kleine Fahrt +wert war. +</p> + +<p> +Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun +einmal war, fing er sogleich zu quengeln an. +„Was machst du für ein Wesen?“ sagte er. „Es +scheint, daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden +nicht umzugehen verstehst.“ +</p> + +<p> +Das kränkte die Marinke natürlich aufs +tiefste, denn den Litauer oder die Litauerin +möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre +Gespielen <a id="corr-9"></a>betrachten. Das Reiten und Fahren +können sie alle womöglich noch früher, als sie +das Gehen gelernt haben. +</p> + +<p> +Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein +Wort, sondern biß nur die Lippen zusammen, +stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter. +</p> + +<p> +Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr +Mann so häßliche Reden geführt hatte, und deshalb +ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es +sich machte, der Marinke was Tröstliches mit auf +den Weg zu geben. +</p> + +<p> +Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur +von weitem konnte sie sehen, daß, als der +Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz +ihrer gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse +stieg und die Marinke abbutschte, wer weiß +wie sehr. +</p> + +<p> +Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: +<a id="page-377" class="pagenum" title="377"></a> +„Was hat die alte Wölfin ihr Maul an der +Marinke abzuwischen?“ +</p> + +<p> +Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder +zum Vorschein kommen. Er sei auf dem Haff +gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu +seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe +machte und weiter in ihn drang, erwiderte +er nur noch: „Frage den Vater.“ +</p> + +<p> +Aber der wußte von gar nichts. Und beide +Männer gingen zur Ruhe. +</p> + +<p> +Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die +künftige Tochter wieder zu Hause war. +</p> + +<p> +Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte +sich unter den Lindenbaum, ließ auch die Lampe +brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen +die Mücken. +</p> + +<p> +Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte +sie gleichwie ihr Slinka, der alte Kater. Sie +wartete und wartete, aber die Marinke kam nicht. +</p> + +<p> +Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen +Wagen langsam, langsam näher knarren. Die +Räder mahlten, und die <a id="corr-10"></a>Achsen schlackerten. +</p> + +<p> +„Sie wird eingeschlafen sein,“ dachte sie, +„und die Pferde machen es sich zunutze.“ +</p> + +<p> +Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit +großen Augen nach dem Mond hinstarren, und +dann absteigen ohne „Wie geht’s?“ und „Guten +Abend“, da wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, +sondern ihr war etwas geschehen. +</p> + +<p> +<a id="page-378" class="pagenum" title="378"></a> +Sie liebkoste sie und sagte: „Du bist müde, +mein Tochterchen, darum iß einen Bissen und +lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen +statt deiner.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke ließ es auch zu. +</p> + +<p> +Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde +und kaute. Aber es war, als täte sie’s nur, +weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das +Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß +sie von Gesicht ganz weiß war, bloß daß unter +den Augen zwei Flecken brannten. +</p> + +<p> +Die Mutter umarmte sie und sagte: „Gestehe, +was dir begegnet ist.“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: +„Es hat nicht gestimmt.“ +</p> + +<p> +„Um wieviel hat es nicht gestimmt?“ fragte +die Mutter. +</p> + +<p> +Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte +dann: „Mehr als funfzig Mark sind es, +die fehlen.“ +</p> + +<p> +Da lachte die Mutter und sagte: „Die schick’ +ich noch in der Frühe und lege funfzig als Zinsen +dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer kochen.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke entgegnete heftig: „Um +das Geld ist es nicht. Das hat er mir gleich +geschenkt. Der Verdacht ist es — die Schande +ist es, daß der Schweizer nun sagen wird: ‚Eine +lüderliche Kröt’ ist vor mir im Amte gewesen.‘ +Oder er sagt gar noch Schlimmeres.“ +</p> + +<p> +<a id="page-379" class="pagenum" title="379"></a> +Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen +Sorgen abgab, aber in ihrem Innern +freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem +Jurris eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren +wollen. +</p> + +<p> +Und sie sagte: „Morgen fahr’ <em>ich</em> mit der +Milch, und wenn ich deinen Herrn Westphal seh’, +dann sag’ ich ihm ordentlich die Meinung, weil +er ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht +hat. Ja, das werd’ ich tun und fürcht’ +mich nicht im geringsten.“ +</p> + +<p> +Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst +ein sehr erschrockenes Gesicht gemacht. Dann +aber lächelte sie ein weniges, wie man zu Kinderworten +wohl lächelt. Dem Herrn Westphal +trat kein Mann und keine Frau mit Vorwürfen +unter die Augen. Dem nahte man höchstens +mit einer Bitte im Munde. +</p> + +<p> +Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn +weit und breit den „Wieszpatis“. Das heißt +auf deutsch „König und Herrscher“. Und der +liebe Herrgott heißt auch so. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-6"> +6 +</h3> + +<p class="first"> +Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke +fast wieder so wie gewöhnlich. +</p> + +<p> +Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab +dem Jurris die Hand. Aber warum er sich +<a id="page-380" class="pagenum" title="380"></a> +gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. +Sie fragte überhaupt nichts mehr, sondern ging +still an die Arbeit. +</p> + +<p> +Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken +herein, und Erbsen und Gerste nicht minder. +Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. +Keine Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes +und nichts Enthülstes. +</p> + +<p> +„Die Laumen meinen es gut mit uns,“ +sagte die Mutter, „seit das Kind bei uns +wohnt.“ +</p> + +<p> +Und der Vater sagte: „Wenn nur nicht —“ +Aber das weitere verschwieg er. +</p> + +<p> +Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde +es nie mehr so, wie es gewesen war. Sie gingen +wohl freundlich nebeneinander her und sprachen +auch, was der Augenblick brachte, aber zusammen +allein zu sein, das suchte der eine nicht und auch +nicht der andere. +</p> + +<p> +Und jeder grämte sich auf seine Art. +</p> + +<p> +Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, +dann hing sie mit fragenden und ängstlichen +Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging +um sie ’rum wie ein Dieb und scheute sich, sie +zu berühren. +</p> + +<p> +Auch von der kommenden Hochzeit war nie +mehr die Rede. Höchstens daß die Mutter einmal +von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, +was das Elternhaus ihr wohl mitgab. +</p> + +<p> +<a id="page-381" class="pagenum" title="381"></a> +Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend +nahte, dann war er da. Und beide +Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten +oder aßen unreife Äpfel. +</p> + +<p> +Einmal, als die Marinke das Rindvieh von +der Weide heimtrieb, tauchte der Jozup neben +ihr auf und begann ein Gespräch. +</p> + +<p> +„Hast du auch schon den Schwiegereltern +das Stück Brautleinwand geschenkt,“ sagte er, +„und Rautenblüte hineingelegt?“ +</p> + +<p> +„Warum sollt’ ich das?“ fragte sie. „Ich +bin die Magd hier und sonst nichts.“ +</p> + +<p> +„Das hast du mir schon einmal gesagt,“ erwiderte +er. „Es ist Zeit, daß du freundlicher +zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir +die Hochzeitsgäste zusammenzubitten.“ +</p> + +<p> +„Ich weiß von keiner Hochzeit,“ erwiderte sie. +</p> + +<p> +Er stieß ein Gelächter aus. „Aber im Leibe +sitzt sie uns schon, als hätten wir Tollwasser gesoffen. +Ich lieg’ bis zum Morgen und denk’ an +die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß +der Brautführer sein. Vom Jurris red’ ich nicht, +der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran denkt, +die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, +mein Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach +aus, als ob dir sehr davor graute, über ein +Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es +nicht, der ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt +er sich einen Vertreter.“ +</p> + +<p> +<a id="page-382" class="pagenum" title="382"></a> +Der Weg war schmal, darum mußte sie das +lästerliche Gerede anhören, und als sie es ihm +gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der +Gedanke: „Vielleicht weiß er mehr von mir, +als mir gut ist; sonst könnte er gar nicht so dreist +sein.“ +</p> + +<p> +Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß +sie nur den Kopf senkte und ihn reden ließ, was +er wollte. +</p> + +<p> +Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl +sie innerlich wünschte, er möchte ihn mit der +Peitsche vom Hof hinunterjagen. +</p> + +<p> +Und bald darauf kamen Tage voll neuer +Herzensangst. Die drückten noch härter als alles, +was vordem gewesen war. +</p> + +<p> +Sie lief von der Arbeit weg und versteckte +sich in der Scheune, um in den Garben nach +Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, +ob nicht irgendwo ein Sadebaum sich über +den Zaun hinstreckte, und ihre Füße waren verbrüht +von kochendem Wasser. +</p> + +<p> +Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber +bei Tage machte sie freundliche Augen. Mit +denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter +täuschte sie nicht. +</p> + +<p> +Die legte eines Tages die Arme um ihren +Hals und sagte: „Mein Täubchen, du bist nun +bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe +dich wohl geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem +<a id="page-383" class="pagenum" title="383"></a> +Jurris nichts Besseres wünsche als dich, so weißt +du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten +spielen die Männer oft so schlimme Streiche, +daß wir ins Unglück kommen und wissen nicht +wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, +nimm deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, +was sich noch gutmachen läßt. Auf +etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur +muß man den Knaben liebhaben, wenn man +ihn täuscht.“ +</p> + +<p> +Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, +vermochte Marinke nicht zu ergründen, aber gute +Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie +auf, in Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann +darüber nach, wie sie dem Jurris wieder nahkommen +könne. Leicht war das nicht, denn in +den Garten ging er zum Feierabend nie mehr, +und nie mehr wollte er einen Gang mit ihr +machen. +</p> + +<p> +Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, +hörte sie, wie er zum Alten sagte: „Ich +bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, +ich muß einmal nach dem Kahn und dem Schuppen +sehn.“ +</p> + +<p> +Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, +so hätte er jetzt zu ihr gesagt: „Komm mit!“ +und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen. +Aber statt dessen schlich er sich um die +Scheune herum und kroch durch die Zäune und +<a id="page-384" class="pagenum" title="384"></a> +blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand +bemerke. +</p> + +<p> +Da sagte sie sich: „Ich tu’s.“ Und ging ihm +nach. Aber sie ließ eine weite Entfernung, so +daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen +konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen +Rückweg genommen. +</p> + +<p> +Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, +setzte sie sich auf den Grabenrand und wartete. +</p> + +<p> +Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie +sangen die Heimchen. +</p> + +<p> +Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen +Gedanken im Kopfe hinter ihm herlief. Wäre +es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen, +so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, +aber nun die Not sie zwang, kam sie sich als eine +Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre +Liebe zu ihm nur noch größer und reiner war. +Aber es hätte ihr keiner geglaubt. Und auch sie +selber glaubte es kaum. +</p> + +<p> +So verging eine geraume Zeit, da hörte sie +seine Schritte näherkommen. Beinahe wäre +sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, +daß sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden +konnte. +</p> + +<p> +Er blieb vor ihr stehen und fragte: „Wer ist +da?“ +</p> + +<p> +Und sie fragte: „Wie kommst <em>du</em> hierher?“ +</p> + +<p> +Da erkannte er sie und sagte: „Es wird dir +<a id="page-385" class="pagenum" title="385"></a> +zwar keiner was tun, aber Sitte ist es nicht, daß +die Mädchen am Sonntagabend allein in den +Wiesen herumlaufen.“ +</p> + +<p> +Sie erwiderte: „Was soll ich machen? Eine +Freundin habe ich nicht, und der, der sich um +mich kümmern sollte, der unterläßt es.“ +</p> + +<p> +Er fragte: „Meinst du mich?“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Nein, ich meine den +Jozup.“ +</p> + +<p> +Da setzte er sich neben sie und sagte: „Du hast +Recht, Marinke, daß du mir Vorwürfe machst. +Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, +aber was sollte ich tun? Der Vater verlangt es +so und hat mir einen schweren Eid abgenommen.“ +</p> + +<p> +Sie zuckte die Achseln und sagte: „Was ist +ein Eid? Für dich schwör’ ich fünftausend, und +wenn sie zufällig falsch sind, dann lach’ ich.“ +</p> + +<p> +Er antwortete: „Dies war kein gewöhnlicher +Eid, wie man ihn etwa vor Gericht schwört. +Der ging um <em>meinen</em> Tod und um <em>deinen</em> +Tod, und zwei Lichter brannten rechts und links +vom Gesangbuch.“ +</p> + +<p> +Sie sagte: „Dein Vater könnte auch was +Besseres tun, als zwei Liebesleute zu ängstigen.“ +Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen +war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof +vor ihr versteckt hatte. +</p> + +<p> +Er sagte: „Ja“, und sie legte den Kopf auf +seine Kniee und schluchzte. Sie dachte nicht mehr +<a id="page-386" class="pagenum" title="386"></a> +an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen +wollte sie sich. +</p> + +<p> +Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder +in die Höhe zu kriegen, und dann küßte er ihr +die Tränen von den Backen und weinte mit ihr. +</p> + +<p> +Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: +„Ich taug’ ja nichts mehr,“ aber sie war so glücklich, +wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut +dazu nicht fand. +</p> + +<p> +Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm +um des anderen Hüfte gelegt, und der Jurris +sagte: „Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, +denn ich weiß, es <em>kann</em> nichts Böses geschehen.“ +</p> + +<p> +Das gab ihr einen Stich durch die Brust, +denn es <em>mußte</em> ja was Böses geschehen. +Heut’ oder nächstens. Und ob es auf Tod oder +Leben ging — gleichviel. +</p> + +<p> +Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche +zu ziehen. Diesmal aber tat sie’s mit guter +Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und +wieder und merkte mit Freuden, daß er schwindlig +wurde und wankte. +</p> + +<p> +Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon +dunkel und still. +</p> + +<p> +Er konnte sich nicht von ihr trennen, und +sie dachte bereits, er würde bitten, ihn mit sich +zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da +riß er sich los und floh ins Haus, als säße der +Böse ihm auf den Hacken. +</p> + +<p> +<a id="page-387" class="pagenum" title="387"></a> +Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie +schon manche Nacht gekniet hatte. Und betete +und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die +Klinke sich nicht bewegte. +</p> + +<p> +Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst +wenn die sie hörte, was tat ihr das noch? +</p> + +<p> +Und dann stand sie auf. Und da er noch +immer nicht kam, trat sie den schweren Gang +an nach seiner Kammer. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-7"> +7 +</h3> + +<p class="first"> +Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf +kam der Jurris zu dem Alten in die Stube +und sagte: „Ich möchte dich in Gehorsam bitten, +Vater, daß die Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden +kann.“ +</p> + +<p> +Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er +las, und sagte: „Du hast wohl deinen Eid gebrochen?“ +</p> + +<p> +Und der Jurris erwiderte: „Ja, ich habe +meinen Eid gebrochen.“ +</p> + +<p> +Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: +„Dafür strafe dich Gott!“ +</p> + +<p> +Der Jurris senkte den Kopf und sagte: „Gott +wird mir vielleicht vergeben, denn es war gar +zu schwer.“ +</p> + +<p> +Der Alte aber schrie: „Nein, Gott wird dir +<em>nicht</em> vergeben. Ebenso wenig, wie <em>ich</em> dir vergebe, +<a id="page-388" class="pagenum" title="388"></a> +daß du mich in so große Ungelegenheit gebracht +hast.“ +</p> + +<p> +Und er lief auf seinen Schlorren umher wie +ein Rasender. +</p> + +<p> +Nach einer Weile sagte er weiter: „Natürlich +muß die Hochzeit früher stattfinden. So +früh als möglich muß sie stattfinden, damit +nicht vielleicht hinterher ein Stein auf mich +geworfen wird. Aber das sage ich dir: +Kummer und Drangsal werden mit euch zu +Tische sitzen, und der Tod wird hinter euch +stehen, weil du den Willen Gottes so wenig +geachtet hast, und den Willen deines Vaters +noch weniger.“ +</p> + +<p> +Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach +mit keinem ein Wort, nur daß er zur Marinke, +die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: +„Er hat es erlaubt.“ +</p> + +<p> +Und alsbald erhob sich im Hause ein großes +Rumoren, denn die Vorbereitungen zur Hochzeit +sollten sogleich beginnen. +</p> + +<p> +Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt +sowohl wie beim Pfarrer, und der Jozup erschien +am hellen Vormittag auf einem mit Bändern +geschmückten Pferde und selber mit Bändern +geschmückt an Achseln und Hutrand. Dem reichte +die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel +von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu +laden waren. +</p> + +<p> +<a id="page-389" class="pagenum" title="389"></a> +Und die Marinke wurde geschickt, ihm den +Festtrunk zu zapfen. +</p> + +<p> +Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er +es so gierig mit seinen Händen, daß sie die ihren +nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest und +sagte: „Wenn ich nun losreite, dann mußt du +mit und kommst nicht mehr frei bis ans Ende +der Welt.“ +</p> + +<p> +Und sie sagte erschrocken: „Dann wärst du +ein schlechter Hochzeitsbitter.“ +</p> + +<p> +Er trank und sprengte lachend davon, sie +aber fühlte seine Hände brennen bis gegen +Abend. +</p> + +<p> +Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr +und des ersten Pflügens, aber beides mußte +hintangestellt werden, weil es im Hause soviel +zu tun gab. +</p> + +<p> +Und die Leute im Dorf wunderten sich und +sagten: „Die Marinke ist doch erst so kurze Zeit +hier; sollten die beiden schon vorher miteinander +gekramt haben?“ +</p> + +<p> +Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen +erfuhr, daß er gerade das Gegenteil davon erreichte, +was seine Absicht gewesen war; er hätte +sich sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. +Der Jurris aber erfuhr’s. Dem steckte +es der Jozup nur allzubald. +</p> + +<p> +Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, +so grämte er sich doch immer noch mehr und +<a id="page-390" class="pagenum" title="390"></a> +dachte in seinem Herzen: „Sollte so das Unglück +bereits beginnen?“ +</p> + +<p> +Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf +immer neue Kohlen ins Feuer. +</p> + +<p> +Die Marinke hingegen tröstete ihn und +sagte: „Wenn zweie sich liebhaben, für die +gibt es kein Unglück und kein Verschulden, +denen steht Gott zur Seite und nimmt den +Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.“ +</p> + +<p> +Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn +sie ihn heimlich im Arm hielt, vergaß sie alles, +auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt +hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und +Töpfe und Eimer und Garben und was sie zu +fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre +dankbaren Hände. +</p> + +<p> +Der Jurris aber hielt’s mit dem Müßiggang. +Sie mochte ihm noch so viel zureden, seine Arbeit +wurde nur halb getan, und wäre nicht glücklicherweise +ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer +weiß, ob der Hafer nicht ins Faulen gekommen +wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf dem +Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der +Landwirtschaft hat, ans Fischen nur denken +kann, machte er sich morgens und abends draußen +zu schaffen. +</p> + +<p> +Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam +er naß bis auf die Knochen vom Ufer nach Hause. +<a id="page-391" class="pagenum" title="391"></a> +Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das +Draußensein kam es ihm an. +</p> + +<p> +Die Marinke küßte ihm beide Hände und +sagte: „Jurris, Jurris, es tut dir ja keiner was.“ +Aber auch das half nicht viel. +</p> + +<p> +Eines Morgens wehte stark der „Aulaukis“, +der Südwest, den die Fischer nicht mögen, besonders +wenn Regen als Zugabe kommt. +</p> + +<p> +Als die Marinke hinaussah, dachte sie: „Nun, +heute wird er wohl nicht gefahren sein,“ aber +wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder +im Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris. +</p> + +<p> +Die Vormittagsstunden vergingen, und sie +dachte: „Um Gottes willen, wo bleibt der +Jurris?“ +</p> + +<p> +Und als er zum Mittagbrot noch nicht da +war und auch die Mutter das Fürchten bekam, +da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von +der Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem +Strande zu. +</p> + +<p> +Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte +sie: das war kein Wind mehr, das war ein +Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken. +</p> + +<p> +Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, +und der Handkahn war weg. +</p> + +<p> +Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, +denn die Regenwolken strichen ganz niedrig darüber +hin, aber die Strandwellen gingen so hoch, +als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah +<a id="page-392" class="pagenum" title="392"></a> +kam, und das Rohr schrie, als hätte es eine Menschenstimme +bekommen. +</p> + +<p> +Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, +so weit, daß die Wellen sie nicht erreichen +konnten, und die Marinke dachte bei sich: +„Jetzt muß ich hinausfahren — muß ihm entgegenfahren.“ +</p> + +<p> +Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser +herangebracht hatte, dann schlugen die Wellen +ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben +lag. +</p> + +<p> +Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft +war und daß sie davon nur den Tod haben würde. +</p> + +<p> +Und sie warf sich im nassen Sande auf die +Kniee, wie sie es jüngst vor ihrem Bette oft getan +hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen. +</p> + +<p> +Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken +gekrochen, und keine Menschenstimme rief: „Da +bin ich.“ +</p> + +<p> +Ja, <em>eine</em> Menschenstimme war da. Ganz +plötzlich schallte sie ihr in die Ohren und sagte: +„Was machst du?“ +</p> + +<p> +Und diese Stimme gehörte dem Jozup. +</p> + +<p> +Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf +dem Herzen gehabt hatte, und hob die gefalteten +Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte +mit ihr hinausfahren. Für sie allein sei es zu +schwer. Aber zusammen würden sie ihn schon +finden. +</p> + +<p> +<a id="page-393" class="pagenum" title="393"></a> +Der Jozup fragte: „Seit wann ist er fort?“ +</p> + +<p> +Und sie erwiderte: „Seit in der Frühe.“ +</p> + +<p> +Da lachte er bloß und sagte: „Dann ist er +längst wieder an Land und sitzt verschlagen wer +weiß wo.“ +</p> + +<p> +Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr +fort: „Denkst du denn, daß Menschen sich acht +Stunden lang in so ’nem Wetter draußen herumtreiben +können? Oder sich erst den Platz aussuchen +zum Landen? Da ist es jedem egal, wo +ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber +komm ins Trockene, denn dir klappern ja alle +Glieder.“ +</p> + +<p> +Und er führte sie in den Schuppen und schlug +die Tür hinter sich zu, so daß sie fortan im Halbdunkel +waren. +</p> + +<p> +An den Wänden hingen die Netze, und über +das Heu, das im Winkel lag, war der Mantel des +Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters +versteckt, wenn alle ihn suchten. +</p> + +<p> +Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten +Fingern und küßte den Saum und +sagte: „Komm doch wieder! Komm doch wieder!“ +</p> + +<p> +Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie +hatte schon all ihre Tränen verschüttet. +</p> + +<p> +Der Jozup stand daneben und biß sich die +Lippen. Und dann sagte er: „<em>Warum</em> soll er +eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug +da, die bloß auf dich warten.“ +</p> + +<p> +<a id="page-394" class="pagenum" title="394"></a> +Da drehte sie sich um und spie nach ihm. +</p> + +<p> +„Warum speist du mich an,“ sagte er, „da ich +doch einstmals dein Mann sein werde?“ +</p> + +<p> +Und sie sagte: „Laß mich hinaus. Ich habe +schon lange gewußt, was du für einer bist.“ +</p> + +<p> +Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, +und indem er ihre Hände hielt wie in Klammern +geschroben, sagte er folgendes: „Du betest da +immerzu, er möchte doch wiederkommen, aber +wenn ich jetzt als sein Freund mein Gebet mit +dem deinen vereinigen wollte, dann würde es +lauten: er soll <em>nicht</em> wiederkommen. Und er +<em>wird</em> auch nicht wiederkommen. Wenigstens +als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du +schon mir, und das will ich dir gleich beweisen.“ +</p> + +<p> +Sie rang mit ihm und schrie: „Vergreife dich +nicht an mir, denn ich trage ein Kind von ihm.“ +</p> + +<p> +Aber er lachte sie aus: „Du willst ein Kind +von ihm tragen? Hat er mir doch oft genug von +dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen +müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! +Ich aber kehr’ mich an nichts und will tausend +Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.“ +</p> + +<p> +Und sie rang weiter mit ihm und schrie: „Ich +trage ein Kind von ihm!“ +</p> + +<p> +Und er sagte mitten im Ringen: „Wenn es +die Wahrheit wäre, daß du ein Kind trägst, dann +ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, +von wem es ist.“ +</p> + +<p> +<a id="page-395" class="pagenum" title="395"></a> +Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, +und sie fiel hintenüber und wußte von nichts +mehr. +</p> + +<p> +Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür +offen, und niemand war da außer ihr. +</p> + +<p> +Unter ihr lag noch immer der Mantel des +Jurris. Den streichelte sie von neuem und küßte +den Saum, aber sie dachte dabei: „Mir ist +ganz recht geschehen.“ +</p> + +<p> +Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte +wiederkommen. Hätte sie ein Gebet gehabt, +so würde es gelautet haben wie das von dem +Jozup: „Er soll <em>nicht</em> wiederkommen.“ +</p> + +<p> +So ohne Mut und so voll Scham war ihre +Seele. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-8"> +8 +</h3> + +<p class="first"> +Im nächsten Frühling bekam die Marinke +einen Knaben. Der sollte einmal die Enskyssche +Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft +war keiner als Erbe da. +</p> + +<p> +Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben +und durfte um den Ertrunkenen trauern, +als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und +niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn +die Hochzeit war ja bestellt gewesen. — Bloß +daß nun ein Begräbnis daraus wurde. +</p> + +<p> +Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter +geworden wäre, ehrte sie wie ihres +<a id="page-396" class="pagenum" title="396"></a> +Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war +immer gut zu ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes +willen, den er von ihr erwartete. +</p> + +<p> +Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, +denn er fühlte sich durch den Eid, den er dem +Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert +auch über dessen Tod hinaus. +</p> + +<p> +Der Jozup war während des ganzen Winters +nur dann im Hause zu sehen gewesen, wenn er +die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl +gehütet, ihm zu begegnen. +</p> + +<p> +Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade +vom Melken, da stand er breit in der Stalltür. +Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. +Um derentwillen mußte sie tun, als ob nichts +vorgefallen war. +</p> + +<p> +Er bot ihr die Hand und sagte: „Ich halte +mich fern von dir, aber wenn die Zeit gekommen +ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.“ +</p> + +<p> +Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, +denn daß sie ihm verfallen war, daran +zweifelte sie nicht. +</p> + +<p> +Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken +gewöhnt, daß sie die alte Wilkene, die das Haus +bisweilen besuchte, bereits als zukünftige Schwiegermutter +betrachtete. +</p> + +<p> +Aber freundlich war die durchaus nicht mehr. +</p> + +<p> +Wenn sie an ihrem klappernden Stock über +den Hof gehumpelt kam, gab es der Marinke +<a id="page-397" class="pagenum" title="397"></a> +stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte +in ihrem Innern: „Bin ich erst in dem Wolfsnest +drin, dann werde auch ich das Hemd auf den +Schultern mit meinen Tränen waschen.“ Denn +so heißt es in dem alten Liede. +</p> + +<p> +Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich +nach der Entbindung ins Elternhaus zurückzubegeben; +aber wie man sie aufnehmen würde, +wenn sie mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft +bat, daran gab’s nicht den mindesten +Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens +gewesen. Der Jozup hätte sie auch von dorther +geholt. +</p> + +<p> +So neigte sie sich also in Demut vor dem +kommenden Schicksal, und nur die bösen Augen +der Alten machten ihr Angst. +</p> + +<p> +Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: „Was +will die alte Wölfin immer von dir? Du willst +ja nichts von ihr.“ +</p> + +<p> +Aber was der Jozup wollte, davon ahnte +sie nichts. +</p> + +<p> +Und eines späteren Tages — der kleine +Jurris mochte acht Wochen gewesen sein — da +kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter +Stunde und setzte sich neben die Wiege, die +gerade ohne Aufsicht neben der Haustür +stand. +</p> + +<p> +Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, +denn beim ersten Blicke hatte sie den Mann, der +<a id="page-398" class="pagenum" title="398"></a> +sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar +nicht erkannt. +</p> + +<p> +Er richtete sich auf und sagte: „Der Tote +ist mein Freund gewesen, und ich habe sein Kind +bis heute noch nicht gesehen.“ +</p> + +<p> +Und die Mutter sagte: „So sieh es dir +ordentlich an.“ +</p> + +<p> +Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte +sogleich: „Habt ihr auch schon daran gedacht, +ihm einen Vater zu geben?“ +</p> + +<p> +„Sein Vater liegt im Grabe,“ sagte die Enskene, +„und einen anderen braucht es nicht.“ +</p> + +<p> +„Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch +ein Wort mitzusprechen haben,“ entgegnete er, +„oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als +Magd bei euch behalten könnt?“ +</p> + +<p> +„Das Kind in der Wiege,“ sagte sie, „wird +künftig einmal Herr auf diesem Hofe sein, und +die du meinst, halt’ ich wie meine Tochter. Im +übrigen glaube ich nicht, daß dich dies alles was +angeht.“ +</p> + +<p> +„Dies geht mich nur insoweit was an,“ erwiderte +er, „als die Marinke demnächst meine +Frau werden soll.“ +</p> + +<p> +Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig +Macht ihr über die einstige Braut ihres Sohnes +gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, +und darum sagte sie: „Deine Werbung ist mir +so willkommen, daß ich Lust hätte, meinen +<a id="page-399" class="pagenum" title="399"></a> +Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe +weist.“ +</p> + +<p> +„Ich <em>habe</em> gar nicht geworben,“ entgegnete +er, „denn ihr Vater wohnt ja wo anders.“ +</p> + +<p> +Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber +und weinte. +</p> + +<p> +Und er wartete schweigend, bis die Marinke +vom Felde kam. +</p> + +<p> +Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: +„Schick ihn fort, so daß er nie wiederkommt.“ +</p> + +<p> +Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, +wünschte ihm kaum „Guten Tag“ und nahm +dann das Kind aus der Wiege, um es zu +stillen. +</p> + +<p> +„Da hast du ja ein schönes Kind,“ sagte er, +„und ich will hinfort sein Vater sein.“ +</p> + +<p> +Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: +„Kannst du nicht wenigstens warten, bis die +Trauerzeit um ist?“ +</p> + +<p> +Da rang die Mutter die Hände und schrie: +„Du ermunterst ihn ja!“ +</p> + +<p> +Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste +auf und reichte dem Kinde die Brust. +</p> + +<p> +„Pfleg es mir gut,“ sagte er mit einem Lachen +und schritt nach dem Hoftor. +</p> + +<p> +Von nun an gab es trübe Tage im Hause. +Die Mutter weinte, der Alte schalt, und beide +verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen. +</p> + +<p> +„Hier hast du’s wie eine Prinzessin, aber +<a id="page-400" class="pagenum" title="400"></a> +dort in dem Wolfsnest werden die Wölfe dich +fressen mit Haut und mit Haar.“ +</p> + +<p> +So ging das Lied immerzu. +</p> + +<p> +„Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, +daß das Kind dem Jurris sein Kind ist? +Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich anglupt, +als schlepptest du ein ganzes Gehetz von +Bankerts mit dir herum.“ +</p> + +<p> +So ging eine andere Weise. +</p> + +<p> +Die Marinke sagte nur immer: „Habt Geduld, +bis die Trauerzeit um ist.“ +</p> + +<p> +Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr +zum Rechtsanwalt zweimal in der Woche, denn +er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten. +</p> + +<p> +Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt +hatte und sein Grab von frischen Blumen +noch voll war, erschien der Jozup von neuem +auf dem Hofe. +</p> + +<p> +Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, +daß er die Marinke allein sprach. +</p> + +<p> +Sie kam mit einem Wäschekorb von der +Bleiche und lief ihm gerade in die Arme. +</p> + +<p> +„Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,“ +sagte er, „und Geduld bewiesen ein +Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum +frage ich dich: Wann wirst du mir das Jawort +geben?“ +</p> + +<p> +Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen +könne, aber niemand war weit und breit. +</p> + +<p> +<a id="page-401" class="pagenum" title="401"></a> +„Deine Mutter ist mir böse gesinnt,“ sagte sie. +„Und du wirst zu ihr stehen gegen mich.“ +</p> + +<p> +„Meine Mutter ist dir böse gesinnt,“ entgegnete +er, „weil sie sich ärgert, daß du ein +fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß +es mein eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst +würde sie’s ausschreien bis hinter Prökuls.“ +</p> + +<p> +„Es <em>ist</em> auch nicht dein eigenes!“ rief sie. +„Das weißt du, und wenn du es nicht weißt, +dann schwör’ ich es dir.“ +</p> + +<p> +Aber er lachte sie aus. „Der gute Jurris +ist tot,“ sagte er. „Darum will ich so tun, als +hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde +zu ihr stehn gegen dich, dann kennst du mich +falsch. Ich bin nach dir ausgewesen wie ein +Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die +erste Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit +meiner Mutter die Sache beredet bei Tag und +bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind +fixer gewesen als ich. Ich hab’ ihnen den Hof +anzünden wollen über dem Kopf, — ich habe +den Jurris — na, nun ist egal, was ich wollte +mit deinem Jurris. Aber hast du dir nie gedacht, +warum ich da saß Abend für Abend neben ihm +auf der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein +Augenschmeißer bin und weiter sonst nichts? +Ich hab’ kein Wort von meinem Zustand zu dir +geredet, denn schaliges Bier lieb’ ich nicht, und +den Bettler beißen die Hunde. Aber das hättest +<a id="page-402" class="pagenum" title="402"></a> +du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden +kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch +nicht den Finger heben gegen dich. <em>Ich</em> sollte zur +Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was +dachtest du von mir?“ +</p> + +<p> +Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, +daß sie ihm recht in die Augen sah. Und es war, +als spritze Feuer daraus, und es war, als sei +eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene +Wege. +</p> + +<p> +Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte +seinem Willen doch nicht entweichen. +</p> + +<p> +„Die Eltern werden es nicht zugeben,“ sagte +sie, um doch etwas zu sagen. +</p> + +<p> +„Welche Eltern? Deine oder dem Jurris +seine?“ +</p> + +<p> +„Meine sind froh, wenn sie mich los sind,“ +entgegnete sie, „aber diese hier lassen mich nicht +mehr weg.“ +</p> + +<p> +„Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die +Krähe vom Neste, und um zwei solche Grasmücken +sollt’ ich mich kümmern?“ +</p> + +<p> +„Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. +So ein Glück kommt nicht wieder.“ +</p> + +<p> +„Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, +wenn ich das will.“ +</p> + +<p> +„Hier geht es nicht nach deinem Willen, das +weißt du sehr gut. Denn eigene Kinder kommen +zuerst.“ +</p> + +<p> +<a id="page-403" class="pagenum" title="403"></a> +Der Jozup war rasch von Begriffen. Er +sah gleich ein: wenn er nicht drohte, kam er zu +nichts. +</p> + +<p> +„Na, gut,“ sagte er, „dann muß ich doch wohl +meiner Mutter erzählen, was zwischen uns passiert +ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein +Kahn koppheister schoß. Was weiter geschieht, +dafür wird <em>sie</em> dann schon sorgen.“ +</p> + +<p> +Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach +und Beschmutzung. Und auch des Jurris’ Andenken +würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. +Darum wurde sie stark in ihrer Schwäche und +sagte: „Ein Eid gilt dir nichts,“ — daß er auch +ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte +sie nicht — „und so schwör’ ich erst gar nicht. +Aber was ich jetzt sage, das ist so wahr, wie +daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du +mich heiraten willst, so werd’ ich nicht widerstehen +und werd’ auch das Kind bei mir behalten, +bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es +zu denen zurück, die es beerben wird. Sagst +du aber deiner Mutter oder sonst einem auf der +Welt, was du mir angetan hast, dann nehm’ ich +mir am selbigen Tage den ersten besten Kahn +von denen, die am Ufer stehen, und fahre hinaus +und komme nicht anders wieder, als einstmals +der Jurris kam. Nun weißt du’s.“ +</p> + +<p> +Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt +an ihm vorüber dem Hofraum zu. +</p> + +<p> +<a id="page-404" class="pagenum" title="404"></a> +Er aber hatte seinen Willen. Und was heute +noch daran fehlte, das mußte die Zukunft ihm +bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner +Gewalt war. +</p> + +<p> +Am nächsten Vormittag kam die Alte auf +Freischaft. +</p> + +<p> +Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, +und als sie die Marinke küßte, war’s ihr, als gösse +der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus. +</p> + +<p> +Aber sie widerstand nicht mehr. +</p> + +<p> +Mochte die gute Mutter ihr auch weinend +Rücken und Hände streicheln, mochte der gnitschige +Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen +versprechen, — sie blieb fest. Und auch was mit +dem Kinde werden sollte, bestimmte sie nach +ihrem Willen. +</p> + +<p> +Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, +was nötig war, um den Enkel an eigener Kindesstatt +anzunehmen, aber das durfte nun erst in +Kraft treten, wenn Marinkes Leib von neuem +gesegnet war. Bis dahin sollte der Kleine bei +seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die +Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat. +</p> + +<p> +So wurde es festgemacht, und niemand sagte +mehr Nein. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-9"> +9 +</h3> + +<p class="first"> +Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest +gefeiert. Die alten Enskys hatten sie +<a id="page-405" class="pagenum" title="405"></a> +ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke +ihres Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer +einen Stein auf ihre Sittsamkeit hatte werfen +wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und +nur die alte Wölfin grollte und kicherte höhnisch +in sich hinein. +</p> + +<p> +Am Morgen des ersten Tages — lange vor +Sonnenaufgang — war Marinke auf den Kirchhof +gegangen, um von dem Grabe des Jurris +Abschied zu nehmen, denn daß ihre Gänge hierher +von nun an nicht gern gesehen sein würden, +das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich +für das schwere Leben, das vor ihr lag. Auch +bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie +ihm im geheimen angetan hatte und wodurch +er auch schließlich zu Tode gekommen war. +</p> + +<p> +Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl +nichts wie eine große Buße sein würde, und +die nahm sie auf sich mit Freuden. +</p> + +<p> +Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern +angefahren. Auch die zwei erwachsenen Brüder +fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen. +</p> + +<p> +Obgleich alle vier sie oftmals herzten und +küßten, erschienen sie ihr nur wie weitläufige +Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren +kaum noch gesehen. +</p> + +<p> +Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst +von hinnen getrieben hatte, schämte sich ein +<a id="page-406" class="pagenum" title="406"></a> +wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause ausgerichtet +worden war, und erzählte jedem, mit +dem sie bekannt wurde, es wäre nur der weiten +Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem, +weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams +durchaus darauf bestanden hätten, das Fest an +Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder +vier sonstige Gründe führte sie an. +</p> + +<p> +Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht +und trug den Beutel mit den vielen +Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei +jeder Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, +und man erkannte wohl, daß er keinen anderen +Willen besaß als den, den sie ihm eingab. +</p> + +<p> +Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke +in diesem Hause wie eine Tochter geehrt wurde +und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals +hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat +sie an sie heran, umarmte sie und sagte, so laut, +daß die Enskene es hörte: „Du wirst hoffentlich +dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in +deinem Elternhause eine Zuflucht hast und keine +Fremden brauchst, dich zu beschützen.“ +</p> + +<p> +Und die Enskene erwiderte darauf: „Ebenso +wirst du hoffentlich dessen gedenk sein, meine +Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.“ +</p> + +<p> +Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede +gedemütigt wurde, schwieg sie ganz still, +denn sie hatte erreicht, was sie wollte. +</p> + +<p> +<a id="page-407" class="pagenum" title="407"></a> +Das Kind begehrte keiner von der Familie +zu sehen, und es wurde ihnen auch nicht gezeigt. +</p> + +<p> +In der Kirche sah die Marinke den Jozup +an diesem Tage zum ersten Male, denn es war +damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut +und Bräutigam — jeder mit seinem Anhang — +gesondert zur Kirche fahren und nicht früher +zueinandertreten, als bis der fromme Gesang +zu Ende ist und der Pfarrer vor dem Altare steht, +den Segen über sie zu sprechen. +</p> + +<p> +Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, +und die auf der linken, die zu dem Bräutigam +gehörten, sahen feindlich herüber. +</p> + +<p> +Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil +die Marinke keinen Rautenkranz trug, sondern +bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte, +das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte. +</p> + +<p> +Und das kam daher, daß sie eine Entweihte +war, wie die alte Wölfin jedem zuraunte, der +es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, +bis die Verachtung so in ihm wach wurde. +</p> + +<p> +Der Jozup sah und hörte nichts von dem +allen. Er starrte bloß immer mit einem wilden +und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke +herüber, als wollte er ihr zurufen: „Hab’ +ich dich endlich?“ +</p> + +<p> +Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als +müßte sie ihm erwidern: „Ja, nun hast du mich +ganz.“ +</p> + +<p> +<a id="page-408" class="pagenum" title="408"></a> +Und als der Pfarrer hernach das Jawort +von ihr verlangte, sprach sie es so hell und deutlich, +als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer +Seite gestanden. +</p> + +<p> +Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch +sie gedachte dessen, der in der Erde lag. +</p> + +<p> +Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut +und Bräutigam vom Kruge aus, wo die Trauung +begossen wird, ein jeder gesondert nach +Hause fahren, um erst am zweiten Tage der +Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen; +aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, +wie es jetzt immer üblicher wurde, gemeinsam +den Weg zur Brautwohnung ein. +</p> + +<p> +Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. +Er sprach nicht zu ihr und sah sie nicht an, aber +wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine +schlug, zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr +angst und bange wurde. Und noch bänger wurde +ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten +Wagen die Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen +hatte und deren Blick sie durch und durch +stach. +</p> + +<p> +„Er wird mich mit seiner Liebe fressen,“ +dachte sie, „und die Alte mit ihrem Haß.“ +</p> + +<p> +In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste +gerichtet. Die Türrahmen mit Gewinden umgeben +und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die +Tische konnten all die guten Gerichte nicht fassen. +<a id="page-409" class="pagenum" title="409"></a> +Da gab es Rindfleisch mit Reis und Pflaumen +mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und +Neunaugen, gewürzt und gesäuert. Und noch +vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar +nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier +und Alaus und Kirschen- und Kornschnaps — +alles sehr reichlich. +</p> + +<p> +Im Brautwinkel, wo neben dem jungen +Paare die vornehmsten Gäste sitzen, stand sogar +in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; +der war aus Memel extra verschrieben. +</p> + +<p> +Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz +wollte eine behagliche oder gar freudige Stimmung +nicht aufkommen. Die Verwandten des +Bräutigams hielten sich abseits von den Verwandten +der Braut, giftige Blicke flogen hin +und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt +war, der sah mit Sorge, daß, wenn das +Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden +nachfolgen würden. +</p> + +<p> +Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch +immer. Ihr Sohn habe was Besseres verdient, +als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem +könne es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen +zu sein, bei der die Brauteltern, anstatt +sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen. +</p> + +<p> +Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, +den drohenden Sturm zu verscheuchen. Die gute +Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre +<a id="page-410" class="pagenum" title="410"></a> +sie die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch +der Alte auch sonst die Schätze seiner +Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit +und verteilte Handschuhe und Handtücher in +Menge, selbst seidengewebte Jostbänder verteilte +er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem +Verstecke. +</p> + +<p> +Aber nichts wollte helfen. Die Magila, +die Göttin des Zornes, saß schon im Rauchfang, +und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, +dann wehe! +</p> + +<p> +Die arme Marinke traute sich nicht mehr +zu reden, zu lächeln, und der Jozup saß da mit +eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten +nach rechts und nach links, als wolle er bald +dem, bald jenem stracks an den Hals. +</p> + +<p> +Und immerzu ging das Getuschel der Alten. +Wie ein Messerstich hierhin und dorthin flog schon +ab und zu ein häßliches Wort durch die eintretende +Stille. +</p> + +<p> +Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann +hätte sich wohl alles anders gestaltet. Er war +ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich +abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb. +</p> + +<p> +Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter +den Gästen, aber der war noch sehr jung und besaß +nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig +zu machen. +</p> + +<p> +So konnte das Unheil weiter gedeihen. +</p> + +<p> +<a id="page-411" class="pagenum" title="411"></a> +Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher +Mann, der harmlos gekommen war, sich zu vergnügen, +hob mit einemmal sein Glas und rief +zu dem Brautvater hinüber: „Du — prost auf +die billige Hochzeit!“ +</p> + +<p> +Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. +Der alte Tamoszus sprang auf und +wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf +werfen, andere fielen ihm in den Arm, ein +großes Lärmen hub an, — das Schlimmste +schien nun gekommen. +</p> + +<p> +Da geschah etwas, was niemand geahnt oder +für möglich gehalten hätte. Wäre der Herrgott +vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu +stiften, keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt. +</p> + +<p> +Und es war ja auch eine Art von Herrgott, +ein „Wieszpatis“ war es, der sich selber bemühte. +</p> + +<p> +Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, +die plötzlich herangebraust kamen? Wer kannte +nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze +und der rotsamtnen Troddel? Wer kannte +nicht das Lacklederverdeck mit den silbernen +Bügeln? +</p> + +<p> +Und wer kannte nicht den Mann, der fünf +Fuß zehn Zoll hoch mit blitzendem Auge unter +buschigen Brauen und auseinandergestrichenem +dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen +Polstern entstieg, um sich dann umzuwenden +<a id="page-412" class="pagenum" title="412"></a> +und einer Dame im seidenen Schleier +und seidenen Mantel aus dem Innern zu helfen? +</p> + +<p> +Ja, wenn <em>der</em> zur Hochzeit kam! Der und +die Frau, die alle liebten, wie man einstmals +die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß +schön war, sondern in ihrem Gutsein sich auch +zu den Demütigen neigte! +</p> + +<p> +Wenn <em>das</em> geschah, dann gab es nicht Hadern +mehr und nicht Hochmut. Dann gab es keine +Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da +wo der Rautenkranz und die silberne Krone hingehört +hätten. Dann gab es nur Frieden und +Glück und Geehrtsein. +</p> + +<p> +Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, +erhoben sich stumm von den Sitzen, und +so betraten beide suchend die Stube, in der sein +Kopf die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz +hätte aufrichten wollen. Auf den Brautwinkel +gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich +die Hand, die blutübergossen und stumm den +Blick auf die Dielen geheftet hielt. Und auch +den Jozup begrüßten sie — glückwünschend, daß +er solch eine Frau, deren Wert sie ja kannten, +sich zu eigen genommen. Und dann begrüßten +sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die +Herrin, wechselte einen ernsten Blick mit der +Mutter, den nur sie beide verstanden, und die +Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte. +</p> + +<p> +Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und +<a id="page-413" class="pagenum" title="413"></a> +immer noch hübsche Frau war, drängte sich vor, +um auch einen Gruß zu bekommen, aber die +Herrschaften achteten ihrer nicht mehr, als ob sie +ein Unkraut gewesen wäre. +</p> + +<p> +Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, +oder vielleicht wußten sie gar nicht, daß eine +Bräutigamsmutter noch da war. +</p> + +<p> +Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar +gegenüber, und er, der Wieszpatis, zog einen +Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. +Der war innen mit Seide gefüttert, und auf +der hellblauen Seide lagen silberne Messer und +Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler +und mehr. Das war sicher. +</p> + +<p> +Noch niemals hatte man jemand gekannt, +dem zur Hochzeit solch eine Gabe beschert worden +war. +</p> + +<p> +Und der Herr sagte: „Ihr alle sollt daraus +erfahren, wie treu die Marinke mir einstmals +gedient hat und wie hoch meine Frau und ich +ihre Dienste heute noch schätzen.“ +</p> + +<p> +Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn +Litauisch konnte sie nicht: „Es muß ein besonderes +Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie dem +Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen +dürfen.“ +</p> + +<p> +Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn +des Kindes war heute noch niemals von einem +gedacht worden. +</p> + +<p> +<a id="page-414" class="pagenum" title="414"></a> +Und die Herrin fragte: „Kann man es sehen, +Marinke?“ +</p> + +<p> +Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, +wo die Wiege versteckt war, und brachte +es angetragen in seinen rotbunten Kissen. +</p> + +<p> +Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und +schaukelte es und sagte: „Ein hübsches Jungchen. +Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn +erinnere. Findest du nicht auch, John?“ +</p> + +<p> +Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, +da gewahrte er, daß die Augen der Marinke +sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller +Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, +und darum nickte er nur bedächtig und nachsinnend +vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein +auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, +nahmen die Herrschaften freundlichen Abschied +und fuhren von dannen. +</p> + +<p> +Das Kind und das Silberbesteck aber gingen +noch lange Zeit bei den Gästen von einem Schoß +auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt +und bewundert. +</p> + +<p> +Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und +kichernd draußen herumlief, wollte von beiden +nichts wissen. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-10"> +10 +</h3> + +<p class="first"> +Das Gehöft, das die Leute das „Wolfsnest“ +nannten, lag ein wenig abseits vom Dorfe und +<a id="page-415" class="pagenum" title="415"></a> +war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den +fünfen, denen man Hochachtung schuldete. Aber +man sah nicht viel davon, denn es war auf drei +Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, +daß man höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern +sah. +</p> + +<p> +Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn +verborgen. Und nur wer von der Landseite +herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, +die als Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall +und Scheune bedeckten. +</p> + +<p> +Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst +recht überrascht durch die schönen Maschinen, +die auf dem Hofe der Reihe nach standen. +</p> + +<p> +Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem +Stolze erfüllen, die auf Arbeit hielt +und auf Ordnung. +</p> + +<p> +Die Marinke fand sich rasch in das neue +Leben, und war sie von Kindesbeinen an fleißig +und tüchtig gewesen, wie hätte sie’s hier nicht +sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand? +</p> + +<p> +Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter +an, wenn sie vom Fenster der Altsitzerstube +aus, bereit zu Tadel und Zank, das +Wirken der Hausfrau verfolgte. Und sie hütete +sich wohl, sich an ihr zu vergreifen oder den Sohn +gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich +auf günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit +erschien und ohne Gruß aus und ein ging. +</p> + +<p> +<a id="page-416" class="pagenum" title="416"></a> +Die Marinke kümmerte sich nicht viel um +ihr feindseliges Benehmen, denn sie hatte ja +Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen +würde, wenn es zwischen ihr und der Alten zu +offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. Ob +er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der +Mutter würde er doch wohl nicht Unrecht geben, +denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil +sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen +hatte. Der eine war Schutzmann in +Berlin, und der andere stand kurz vor dem Versorgungsschein. +Schreiben taten sie beide nicht +mehr. +</p> + +<p> +Mit dem Jozup war’s eine eigene Sache. +Manchmal, wenn er dasaß und sie ansah halbe +Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein +Wort zu reden, und sie gleichsam aufzehrte mit +seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann dachte +sie innerlich schaudernd: „Das ist zu viel, das +darf nicht sein, das geht wider Gottes Macht +und Willen.“ +</p> + +<p> +Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor +allzugroßer Liebe und ihr nicht nahe zu kommen +wagte, dann dachte sie wieder: „Das ist die +Strafe, weil er sich an dem Jurris vergangen +hat.“ Bis er sich dann auf sie stürzte wie ein +wildes Tier, so daß <em>sie</em> nun zitterte vor seiner +allzugroßen Liebe. Und manchmal dachte sie +dabei: „Vielleicht ist er wirklich ein Werwolf und +<a id="page-417" class="pagenum" title="417"></a> +heißt nicht bloß so.“ Aber dann warf sie die +Furcht wieder ab und tröstete sich: „Das kommt +bloß daher, daß er zu lange nach mir begehrt hat +und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun +kann er’s noch immer nicht fassen.“ +</p> + +<p> +Und dann war es ihr manchmal, als könnte +sie ihn mit der Zeit auch wiederlieben. Aber ihr +Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, +wo der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab +und zu an das Grab zu gehen, ihr wäre manches +leichter geworden. +</p> + +<p> +Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine +wilde Liebe. Ob es sein eigenes war oder nicht, +darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und +Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen +Glauben zu lassen, denn sie wußte, wenn’s anders +käme, würd’ es ihr schlecht gehn. +</p> + +<p> +Er nannte den Kleinen auch nicht „Jurris“, +wie er getauft war, sondern „Wilkiutis“ oder +„Wilkytis“, was gar kein christlicher Vorname ist, +sondern das „Wölfchen“ bedeutet. Und er war +ganz zornig, wenn die Dienstboten nicht taten +wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen +Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich +brachte sie’s auch nicht mehr übers Herz und +nannte ihn immer bloß „Kindchen“ oder auch +„Liebling“. +</p> + +<p> +Der Kleine wuchs rasch heran und konnte +gehen und sprechen, noch ehe das erste Ehejahr +<a id="page-418" class="pagenum" title="418"></a> +um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie +der Wolf mit seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. +Lag lang auf der Erde und ließ ihn +klettern über sich her und hob ihn hoch in die +Luft, und dann mußte er sehen, wie er von den +Handflächen wieder herabkam. +</p> + +<p> +Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der +Dämmerung zwei alte Leute und kuckten sich die +Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und +kuckten nicht minder nach der Marinke, ob ihr +Leib noch immer nicht Spuren zeige von kommendem +Segen, damit alsbald der Vertrag in +Kraft treten könne, der ihnen den Enkel zurückgab. +</p> + +<p> +Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, +obwohl der Alte die Vormundschaft hatte, und +ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen. +Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der +Mutter gelegt und sich streicheln lassen von +ihren verständigen Händen, aber um des lieben +Friedens willen entbehrte sie auch das. +</p> + +<p> +Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde +zu haben, hatten die Alten es auf sich genommen, +den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen +bei den Besitzern immer reihum fuhr, selbst +zu kutschieren, wenn ihre Woche gekommen war. +Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher +an den Rand des großen Weges bringen, wo sie +herrenlos standen, bis der Wagen sie auflud, und +<a id="page-419" class="pagenum" title="419"></a> +als die Alten sich dumm stellten und unter diesem +oder jenem Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, +da machte er kurzen Prozeß und trat aus der +Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, +als er selber nicht gerne mehr nach Augustenhof +hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und vielleicht +besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis +nannte er nur noch „den Deutschen“, und das +schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf +dem Grunde des Schrankes und zehn Schichten +Kleider darübergefliehen. +</p> + +<p> +Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen +tot, und der Tag seines Sterbens kam heran. +</p> + +<p> +Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch +nicht, kurz, um die Stunde, in der damals das +alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle +aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht +Fische zu fangen. Er tat das sehr selten, denn +den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und wie +er die Marinke zum Abschied küßte, da war +Triumph in seinem Auge, so daß sie sich dachte: +„Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an +seiner Gewalttat.“ +</p> + +<p> +Und weiter dachte sie: „Soll der arme Jurris +nun ganz allein da liegen und denken, ich hab’ +ihn vergessen?“ +</p> + +<p> +Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf +den Kirchhof, und der Vorwurf in ihr sprach +lauter und lauter. +</p> + +<p> +<a id="page-420" class="pagenum" title="420"></a> +Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg +bei der Hand, denn es mußte ja aussehen +wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie +aber hinter den Erlen war und die Alte ihr nicht +mehr nachblicken konnte, hob sie ihn auf den +Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof +zu, der wohl eine halbe Stunde entfernt lag. +</p> + +<p> +Das Grab war ziemlich verfallen. Frische +Blumen lagen nicht darauf, und auch sie hatte +ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie +Blätter von den Ahornbäumen, und weil sie +zufällig ein Knäulchen Zwirn in der Tasche hatte, +machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu +winden, die den Grabhügel der Länge und Breite +nach festlich umrahmen sollte. Zeit hatte sie +genug, und der Kleine grub artig im Sande. +</p> + +<p> +Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, +und auch weil ihr hier an dem Grabe so wohl war. +</p> + +<p> +Sie sang: +</p> + +<div class="poem-container"> + <div class="poem"> + <div class="stanza"> + <p class="verse">„Dort unter den Linden</p> + <p class="verse">In jenem Grabe,</p> + <p class="verse">Da liegt und schlummert</p> + <p class="verse">Mein lieber Knabe.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Auf seinem Denkmal</p> + <p class="verse">Stehet zu lesen,</p> + <p class="verse">Wie schön und tapfer</p> + <p class="verse">Er einst gewesen.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Mit Blumen schmück’ ich’s</p> + <p class="verse">In jedem Lenze,</p> +<a id="page-421" class="pagenum" title="421"></a> + <p class="verse">Sitz’ auf dem Grabe</p> + <p class="verse">Und flecht’ ihm Kränze.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und ranke Grünes</p> + <p class="verse">Rings um die Kanten</p> + <p class="verse">Und pflanze Goldlack</p> + <p class="verse">Und Amaranten.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Und klag’ und weine,</p> + <p class="verse">Weil sie den Knaben</p> + <p class="verse">Mir aus dem Brautbett</p> + <p class="verse">Gerissen haben.</p> + </div> + <div class="stanza"> + <p class="verse">Doch aus dem Herzen</p> + <p class="verse">Stiehlt ihn mir keine,</p> + <p class="verse">Und jeden Abend</p> + <p class="verse">Komm’ ich und weine.“</p> + </div> + </div> +</div> + +<p class="noindent"> +„Wenn <em>ich</em> hier mit meinem Kinde an jedem +Abend ein Stündchen sitzen könnte,“ dachte sie, +„ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern +immer vergnügt sein.“ +</p> + +<p> +Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit +freute, da wurden mit einemmal vom Kirchhoftor +Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und +ein Klappern dabei — das kannte sie wohl. +</p> + +<p> +Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind +auf den Arm und ging der Schwiegermutter +entgegen. +</p> + +<p> +Die schwang die Krücke und schrie: „So also +bist du dem Jozup treu, du Allerweltsfrauenzimmer, +daß du selbst mit den Gräbern buhlen +gehst? Ohne Jungfernschaft bist du ins Haus +gekommen, den Muturis“ — das Frauenkopftuch +<a id="page-422" class="pagenum" title="422"></a> +— „hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht +ich. Aus der Mistpfütze bist du gekrochen, und +nicht eher werde ich ruhen, als bis ich dich dahin +zurückgeprügelt habe.“ +</p> + +<p> +Und sie schlug mit dem Krückstock auf die +Marinke los. +</p> + +<p> +Die dachte nur daran, den kleinen Jurris +zu schützen, der bitterlich zu weinen begann, +weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, +und ging davon ohne ein Wort der Erwiderung. +</p> + +<p> +Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich +vor das Hoftor, um dem Jozup aufzupassen. +</p> + +<p> +Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe +zurückkam, erzählte sie ihm alles. „So hat sie +dich beseift,“ sagte sie. „Nun strafe sie, wie sich’s +gebührt.“ +</p> + +<p> +Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen +und kämpfte lange mit sich. „Warum soll +ich sie strafen?“ sagte er dann. „Es ist besser, ihr +Zeit zu lassen, damit das Andenken an jenen +aussauern kann aus ihrem Gemüte.“ +</p> + +<p> +„Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?“ fragte +höhnisch die Alte. +</p> + +<p> +„Weil ich ein Mann bin,“ entgegnete er, +„weiß ich, was ich zu tun habe.“ +</p> + +<p> +Aber sie ließ ihm keine Ruhe. „Weiche Äpfel +faulen bald,“ sagte sie, „und wer bloß Krumen +essen will, bricht sich am ehesten die Zähne entzwei. +Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.“ +</p> + +<p> +<a id="page-423" class="pagenum" title="423"></a> +Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu +schelten. Nur fernhalten tat er sich von ihr, und +auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche +lang. +</p> + +<p> +Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem +Begegnen, denn jetzt hatte sie einen Grund. +</p> + +<p> +Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter +schon einmal gehoben hatte, ohne daß +ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es alsbald +von neuem und fiel über sie her, allemal, +wenn sie ihr nicht entweichen konnte. +</p> + +<p> +Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen +und war auf nichts weiter bedacht, als den +Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger +angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr +setzen. Und eines Tages — nicht weit vom Herde +— riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand +und warf sie gegen den hängenden Kessel, so +daß ein wenig von dem kochenden Wasser herausspritzte. +</p> + +<p> +Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. +Die Schwiegertochter habe sie geschlagen und +verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die +Blasen an Hals und an Händen. Und als der +Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie auch ihm +und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens +nicht sicher. +</p> + +<p> +Da geschah es zum ersten Male, daß er sich +an seinem Weibe vergriff. Er schlug sie nicht, +<a id="page-424" class="pagenum" title="424"></a> +wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, +sondern warf sie schweigend über den Tisch und +schüttelte und würgte sie, wie man mit einem +bissigen Hunde tut. +</p> + +<p> +Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den +kleinen Jurris auf den Arm und rannte in ihrer +Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja +jeder Verkehr verboten war. +</p> + +<p> +Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot +und rief dann den Alten herbei. Der tat desgleichen, +und als Marinke ihnen alles erzählt +hatte, wollten sie sie sogleich bei sich behalten. +</p> + +<p> +Aber die Marinke willigte nicht darein. „Von +hier holt er mich schon morgen vormittag,“ +sagte sie, „und wenn ich mich wehre, schleppt er +mich womöglich an den Haaren zurück. Aber +ich weiß jetzt, was ich ihm sagen werde, wenn +ich auch nicht danach tun kann.“ +</p> + +<p> +Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, +ihr den Kleinen noch eine Strecke zu tragen, +und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen +Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren +Armen Eiapopeia. +</p> + +<p> +Am nächsten Morgen wollte der Jozup +schweigend von dannen gehen, aber sie hielt ihn +zurück und sagte: „Ich habe es satt, mich schlecht +behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der +Himmel bisher nicht geschenkt, es hält uns also +auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse +<a id="page-425" class="pagenum" title="425"></a> +Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd’ +ich dort nicht, und darum ist es das Beste, ich +gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst +du behalten.“ +</p> + +<p> +Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand +und entgegnete drauf: „Das Einzige ist, ich teile +ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen +fließt. Dann wird sie’s vielleicht weitererzählen, +aber im Hause wird Ruhe sein.“ +</p> + +<p> +Da sagte die Marinke: „Gestern vor vierzehn +Tagen war des Jurris’ Todestag, und heute wird +<em>mein</em> Todestag, wenn du das tust, so wahr ich +dein Weib bin.“ +</p> + +<p> +Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache +ihr Sinn unveränderlich war und daß er nie +und nimmermehr daran würde rühren dürfen. +Darum sagte er: „Ich werde nachsinnen, ob es +ein anderes Mittel gibt.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke sagte: „Du kannst nachsinnen, +soviel du willst. Ein anderes Mittel, als +daß <em>sie</em> aus dem Hause geht oder ich, wirst du +nicht finden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: +„Sie hat mich vorgezogen, seit ich im Kinderkleid +war — sie hat die Brüder hinausgejagt, damit +ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel +von mir!“ +</p> + +<p> +Und die Marinke erwiderte: „Ich verlange +ja nichts.“ +</p> + +<p> +<a id="page-426" class="pagenum" title="426"></a> +An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube +und blieb dort länger als eine Stunde. +Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte +herauskam, das Gesicht wie behonigt, und zu der +Marinke sagte: „Setze meinen Teller auch auf +den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, +will ich fortan mit euch zusammen essen.“ +</p> + +<p> +Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die +Alte den Kleinen ihren „Putytis“, ihr Hähnchen, +nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte, +zog sie ihn rasch auf die Seite. +</p> + +<p> +Von diesem Tage an war die Wilkene wie +umgewandelt, und niemand konnte wissen, wodurch +es geschehen war. +</p> + +<p> +Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend +im Erlengebüsch auf Marinke lauerte — +— denn so war es jüngst ausgemacht worden —, +sagte zu ihr: „Paß gut auf, daß sie nicht an den +Herd kommt. Ich will mich rösten lassen wie +Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das +Kind zu vergiften.“ +</p> + +<p> +Die Alte aber saß allabendlich am Rande +des Sumpfteichs hinter dem Roßgarten, um +Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, +die nächstens ausgelegt werden sollten, und in der +Dunkelheit kam sie mit Kräutern beladen nach +Hause, die sie niemandem zeigte. +</p> + +<p> +Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei +und dem Kalmus auch Wasserschierling +<a id="page-427" class="pagenum" title="427"></a> +in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten +können, so viel Schierlingsstauden standen dort +mit ihren weißlichen Schirmchen. +</p> + +<p> +Ja, die Marinke paßte gut auf. +</p> + +<p> +Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben +gegen die Gicht, das hatte nichts auf sich, aber +daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem +Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische +aß, das gab schon mehr zu bedenken. Und +stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder +zu wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich +war. +</p> + +<p> +Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit +wich die Marinke nicht von der Stelle. Kaum +den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich +wurd’ ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn. +</p> + +<p> +Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit +Zucker und Rosinen, da fiel ihr ein fremder Geruch +auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der +Jozup mochte wie viele den Kürbis nicht und +kriegte was Anderes, die Alte aber bekam mit +einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich +Melissentee kochen, so daß nur sie selbst und das +Kind noch übrigblieben, davon zu essen, denn +den Leuten war schon vorher zugeteilt worden. +</p> + +<p> +Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab +auch dem Kinde nichts, füllte aber, soviel sie +konnte, in eine breithalsige Flasche und lief +<a id="page-428" class="pagenum" title="428"></a> +heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit +sie nun tue, was not war. +</p> + +<p> +Und als der Freitagabend herankam, da +sagte die Mutter: „Ich bin in Heydekrug gewesen +beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht +und gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn +man’s dem anzeigen wollte, wär’ mit der Hälfte +zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.“ +</p> + +<p> +Die Marinke nahm den Zettel und ging zum +Jozup. „Deine Mutter ist mir die rechte,“ +sagte sie. +</p> + +<p> +„Wieso?“ fragte er und ließ die Halsbinde +los, denn er zog sich eben die Kleider vom Leibe. +</p> + +<p> +„Weil sie mich hat vergeben wollen — mich +und das Kind.“ +</p> + +<p> +Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten +ersticken, und riß sich das Hemd am Halse entzwei. +</p> + +<p> +„Ich habe das Versprechen getan, dich niemals +zu schlagen,“ sagte er, „aber du machst es +einem recht schwer.“ +</p> + +<p> +„Hier ist der Zettel,“ sagte sie. +</p> + +<p> +Er las den Namen des alten Settegast, den +jeder ehrte weit und breit, und so rot, wie er gewesen +war, so blaß wurde er nun. Und dann +ließ er sich alles von ihr erzählen. Auch daß die +Mutter Enskys die Probe zur Apotheke getragen +hatte, verschwieg sie ihm nicht. „Straf mich, +wenn du willst,“ sagte sie, „aber das Kind mußt’ +ich am Leben erhalten, gleichviel, wer sein Vater +<a id="page-429" class="pagenum" title="429"></a> +ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich jetzt +gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.“ +</p> + +<p> +„Du und das Kind bleiben hier,“ erwiderte er. +</p> + +<p> +„Gut,“ sagte sie, „dann muß deine Mutter +fort, oder ich zeige sie an.“ +</p> + +<p> +„Du zeigst sie an?“ fragte er, als ob er nicht +recht gehört hätte. +</p> + +<p> +„So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.“ +</p> + +<p> +Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und +kam die ganze Nacht nicht mehr wieder. Auch +am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, +erst gegen Mittag trat er mit einemmal aus der +Altsitzerstube. Er zitterte am ganzen Leibe und +sagte: „Ich habe mit der Mutter gesprochen. +Was sie jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals +prophezeit und habe für alle Fälle mit den +Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die +Hälfte aller Einkünfte bekommen und sie dafür +in Pflege nehmen, solange sie lebt. Siehst du +nun wohl, wie lieb du mir bist — du und das +Kind?“ +</p> + +<p> +Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte +kaum einen Widerspruch zu leisten gewagt, denn +sie wußte, die Anzeige drohte. +</p> + +<p> +Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der +Jozup sie zur Bahn brachte, reckte sie noch einmal +den Krückstock nach der Marinke und schrie +ihr den schwersten Fluch an den Hals: „Mag der +Perkuhns dich treffen nach Bartholomä!“ +</p> + +<p> +<a id="page-430" class="pagenum" title="430"></a> +Und da es bis zum nächsten Bartholomä +noch lange hin war, verbesserte sie sich: „Nein, +noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich +treffen.“ +</p> + +<p> +Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in +die Weite, dorthin, wo kein Litauergott mehr +donnert. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-11"> +11 +</h3> + +<p class="first"> +Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man +glückliche nennen. +</p> + +<p> +In Marinkes Herzen wurde das Bild des +Jurris allmählich blasser und blasser. Da eine +Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte +sie manches liebe Mal nach seinem Grabe sehen +können, aber es drängte sie nichts mehr dorthin. +</p> + +<p> +Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler +heran, der sich die Butter vom Brote nicht +nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen +bis zum Abend in die Welt hinauskrähte. +</p> + +<p> +Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn +darin zu bestärken, und wenn der Junge recht +unartig war, sagte der Vater: „So ist’s gut, +mein Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.“ +</p> + +<p> +Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe +zur Weide führen und setzte ihn jedem Tier +auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit +vier Jahren ritt er bereits auf der bockigen +<a id="page-431" class="pagenum" title="431"></a> +Schimmelstute, und die war auch sonst nicht die +frömmste. +</p> + +<p> +Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger +zwischen den beiden, und als der fünfte +Frühling herankam und die künftige Schulzeit +schon drohte, da nahm der Jozup ihn morgens +sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die Lenkstange +der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen +Zipfel des Säelakens zu tragen und meinte: +„Das muß das Erste sein, was ein Wirtssohn +erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und +Rechnen.“ +</p> + +<p> +Ein Glück war’s — ein unaussprechliches und +nie besprochenes —, daß noch immer kein Zeichen +sich meldete, der kleine Jurris werde ein Brüderchen +oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade +so, als ob der Himmel selbst darüber wachte, +daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand und +Ruhe allmählich einkehrte. +</p> + +<p> +Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich +zwei alte Leute auf ihren Knieen und flehten +zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam +in die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn +und Erben zurückgeben. +</p> + +<p> +Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. +Die Marinke mochte sich noch so sorgsam verstecken, +die Dienstleute trugen es doch hinaus, und bald +wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes +war. +</p> + +<p> +<a id="page-432" class="pagenum" title="432"></a> +Der Jozup ging umher wie ein Wüterich +und erklärte, wer ihm den Knaben nehmen wolle, +den schieße er nieder. +</p> + +<p> +Aber als die beiden Enskys von seinen +Reden hörten, da lachten sie nur, denn sie +hatten es schriftlich. +</p> + +<p> +Und eines Tages waren sie dreist genug und +erschienen beide im Hoftor. +</p> + +<p> +Die Marinke, die im achten Monat war und +nur noch leichte Gartenarbeit verrichten konnte, +saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten +unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die +aber hatten sie wohl gesehen und wollten gerade +in den Garten einbiegen, da stießen sie auf +den Jozup, der eben aus dem Hause trat. +</p> + +<p> +„Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?“ +sagte er ihnen zum Gruße. +</p> + +<p> +Die Großelternliebe war stärker in ihnen +als jegliche Angst, und obwohl der Alte sich ein +wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit +hatte er doch, um zu sagen: „Ich würde an deiner +Stelle versuchen, dich mit uns zu verständigen, +denn vor den Behörden bist du ja machtlos.“ +</p> + +<p> +Da dachte er nicht anders, als sie würden +wohl mit sich handeln lassen, und lud sie ein, in +die Stube zu treten. +</p> + +<p> +Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine +bestanden und nur Gewißheit haben wollten, +wann sie das Kind heimholen könnten. +</p> + +<p> +<a id="page-433" class="pagenum" title="433"></a> +Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: +wie sich den Sohn erhalten, an dem seine Seele +hing. Für einen Augenblick stieg wohl der +Wunsch in ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, +das ihn mit dessen Leben verband, aber er warf +ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen +wohl erkannt, daß, wenn die Marinke, +mochte sie sonst noch so weich sein, zu einer Sache +entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon +abbringen konnte. +</p> + +<p> +Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen — +das wollte er doch nicht. +</p> + +<p> +In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin +und her, ob nicht ein einziger Grund sich finden +ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich für +immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein +anderer ein als der, mit dem er sein Weib +nun schändete. +</p> + +<p> +„Jurris habt ihr ihn ja genannt,“ sagte er, +„aber was wißt ihr, ob er wirklich dem Jurris +sein Kind ist?“ +</p> + +<p> +Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände +zu ihm auf, als wollte sie ihn anflehen, den Schlag +<em>nicht</em> zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte. +Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und +schrie immerzu: „Wer ist es? Wer ist es? Wer +ist es?“ +</p> + +<p> +Und er — mehr aufs Geratewohl, als weil +er sich eines bestimmten Verdachtes bewußt war +<a id="page-434" class="pagenum" title="434"></a> +— entgegnete dieses: „Nun — es kann ja zum +Beispiel — der — Wieszpatis gewesen sein. +Nicht umsonst hat er Kinder sitzen weit und +breit — und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf +dem Hofe gewesen.“ +</p> + +<p> +Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom +Blitze getroffen, der Alte aber rannte spornstreichs +hinaus und in den Garten — dorthin, +wo die Marinke vorhin gearbeitet hatte. +</p> + +<p> +Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn +sie dachte, der Jozup wolle dem Alten zu Leibe, +da schrie er auch schon: „Nun ist es heraus, du +Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. +Und das Kind ist von ihm. Gesteh, +daß das Kind von ihm ist!“ +</p> + +<p> +In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht +anders, als es sei durch ein Unglück alles ruchbar +geworden, was sie sich selber kaum eingestand, +und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete +sie: „Wenn du es weißt, warum fragst +du mich erst?“ +</p> + +<p> +Da rannte er spornstreichs zurück und schrie +es durch Garten und Hof: „Sie hat gestanden, +daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es +eben gestanden.“ +</p> + +<p> +Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde +so gelb wie die Asche im Eimer. Er nahm den +Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. +Dort gab er ihm noch einen Stoß mit dem +<a id="page-435" class="pagenum" title="435"></a> +Absatz und überließ ihn seinem weinenden Weibe. +Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem +Leibe mühsam aus dem Garten kam. +</p> + +<p> +Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei +er der Henker. Aber da sie wußte, daß nichts auf +der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, +so gab sie sich drein. +</p> + +<p> +„Geh ins Haus,“ sagte er und blieb ihr dicht +auf den Hacken. +</p> + +<p> +Dann peitschte er die Mägde hinaus, die +ängstlich um die Feuerstätte standen, und folgte +ihr in die Stube. +</p> + +<p> +Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach +war sie geworden, und seine Augen stachen nach +ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit. +</p> + +<p> +„Also wie war das mit dem Wieszpatis?“ +fragte er ganz freundlich. +</p> + +<p> +„Wie wird’s gewesen sein?“ sagte sie. „Er +war doch der Herr, und ich war die Magd. Und +wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, +dann hat er gesagt, ich gefall’ ihm.“ +</p> + +<p> +„Und das ging so die ganzen Jahre lang?“ +</p> + +<p> +„Solang’ ich die Meierei unter mir hatte, +wird’s wohl gegangen sein.“ +</p> + +<p> +„Und als du merktest, daß du ein Kind von +ihm trugst, da suchtest du dir den Jurris als Vater +dazu?“ fragte er immer noch freundlicher. +</p> + +<p> +Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das war +anders.“ Und nun berichtete sie ihm der Wahrheit +<a id="page-436" class="pagenum" title="436"></a> +nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal +nach Augustenhof hatte hinkommen lassen — +der Jozup selber war ja Vermittler gewesen — +und wie sie allein hatte fahren müssen, weil +der Jurris nicht war zu finden gewesen. Da +hatte der Herr gesagt: „Wir wollen nun Abschied +feiern, Marinke.“ Und sie hatte gebeten und gefleht: +„Ach lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.“ +Aber er war ja der Herr, und sie hatte ihm schon +so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm +auch diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von +daher war alles Unglück gekommen. +</p> + +<p> +Er sagte: „Ich habe das Gelöbnis getan, +dich nicht zu schlagen. Und das ist dein Glück, +sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser +Stube kommen. Auch sollst du mir zuerst einen +Sohn zur Welt bringen, denn das bist du mir +jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen +werde, das weiß ich noch nicht. Aber ich rate +dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt hast, +den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn +ist Hurensohn. Und kommt er mir in den +Weg, so schmeiß’ ich nach ihm mit allem, was ich +grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.“ +</p> + +<p> +Die Marinke hob die Arme nach ihrem +Manne auf und weinte und bat: „Wo soll ich hin +mit ihm in meinem Zustand?“ +</p> + +<p> +„Das geht bloß dich an,“ entgegnete er und +schritt aus der Türe. +</p> + +<p> +<a id="page-437" class="pagenum" title="437"></a> +Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm +drein, um den Kleinen vor ihm zu sichern, der +wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. +Und sie fand ihn auch glücklich und wartete ab, +bis der Weg frei war, dann zog sie ihn rasch +in die Klete. +</p> + +<p> +„Hole mir Betten für mich und das Kind,“ +sagte sie zu der Hausmagd, „denn hier werd’ +ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.“ +</p> + +<p> +Und der Kleine schrie nach dem Vater, er +wolle hinaus und mit ihm spielen, wie er’s gewohnt +war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus +Furcht, der Jozup möchte eindringen und mit +ihm tun, was er gedroht hatte. +</p> + +<p> +In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen +Jurris wohl vierzehn Tage auf und traute sich +nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten +gut für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche +Herrin gewesen. +</p> + +<p> +Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er +an der Klete vorbeiging, schüttelte er die Faust +nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus, +wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört. +</p> + +<p> +Er nannte sein Weib eine „Klorke“. Und +„Szunjôda“ und „Pajudêle“ nannte er sie. Das +sind Namen, die man am besten ins Deutsche +nicht überträgt. +</p> + +<p> +Und drohen tat er ihr auch und immer aufs +neue. Sie konnte das Fenster noch so fest schließen, +<a id="page-438" class="pagenum" title="438"></a> +sie hörte und verstand ihn in allem. „Denke +nur nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein +Täubchen, weil ich das Gelöbnis getan habe, +dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand +kommen lassen, der wird das alles statt meiner +besorgen. Der wird dir mit der Bratpfanne den +Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten +streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben +wirst, heute feiern wir Ostern.“ +</p> + +<p> +Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und +dachte: „Wer mag es nur sein, den er meint?“ +Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben +konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden. +</p> + +<p> +Am allermeisten hatte sie Angst um den +Knaben, dem der Jozup Tag für Tag ans Leben +gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit +sich verkürzte, wurde die Unruhe größer in ihr, +daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn aufpassen +konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war. +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-12"> +12 +</h3> + +<p class="first"> +Eines Nachmittags — es war zu Ende August, +und die Leute arbeiteten draußen im Grummet —, +da sah die Marinke durch das Fenster der Klete, +daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, +sich einen Korb mit Essen und Trinken aufladen +ließ und davon fuhr. +</p> + +<p> +Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen +<a id="page-439" class="pagenum" title="439"></a> +die Sonntagskleider an und schmückte sich selber, +so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte +sie sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war +die einzige, die auf dem Hofe geblieben war. +Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben +habe, sondern sagte nur im Vorbeigehn: „Ich +will jetzt den Kleinen wegbringen. Erzähle dem +Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht +nicht zu Haus bin.“ +</p> + +<p> +Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch +fortgehen wollte, so wußte sie doch nicht, wohin. +Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach. +</p> + +<p> +Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, +wenn Leute ihr entgegenkamen, denn das Geschehene +war ja längst allen bekannt; aber jeder +grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr +sprach. +</p> + +<p> +Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen +wollte, in dem sie so glückliche Tage verlebt hatte, +da überfiel sie der Jammer, so daß sie sich weinend +auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme +sprach in ihr: „Kehre an! Vielleicht daß die +Mutter dich nicht fortweist und einen Rat für +dich hat!“ +</p> + +<p> +Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß +der Alte auch auf dem Felde war und die gute +Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte. +</p> + +<p> +Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß +und sagte: „Da ist er nun, um den wir Jahre +<a id="page-440" class="pagenum" title="440"></a> +und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, +so hübsch wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch +zu uns gehören.“ +</p> + +<p> +Und sie küßte ihn und sagte weiter: „Wenn +der Jurris noch lebte, der würde es nie erfahren +haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes. +Weiß Gott, mir wär’ es gleich! Ich würd’ ihn +auch weiter liebhaben, schon weil er von dem +Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will +nicht. Der spuckt aus.“ +</p> + +<p> +Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und +bat: „Sag, Mutter, was soll ich tun?“ +</p> + +<p> +Und die Enskene erwiderte: „Es ist doch ein +Vater da. Der muß sich jetzt kümmern.“ +</p> + +<p> +Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie +hatte sie daran gedacht, daß sie dem Wieszpatis +mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe. +</p> + +<p> +Und die Mutter Enskys fuhr fort: „Wenn +er erfährt, daß sein Fleisch und Blut ganz und +gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so +wird er es zu sich nehmen. Denn nicht umsonst +sagen alle, daß er ein guter Mann ist und ein +gerechter Mann.“ +</p> + +<p> +Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit +kam über sie. Beinahe wäre sie von der +Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die +Mutter Enskys hielt sie fest und sagte: „Daß +es dir schwer fällt, kann man sich denken. Es +trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, +<a id="page-441" class="pagenum" title="441"></a> +darum kannst du gleich mit dem Milchfuhrwerk +mitfahren, das der Hütejunge kutschiert.“ +</p> + +<p> +„Aber bei den andern anhalten, wenn er die +Kannen einsammelt, das bring’ ich nicht übers +Herz,“ sagte die Marinke. +</p> + +<p> +Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig +sein würde, der Junge könne ja erst die Runde +machen und sie dann abholen kommen. +</p> + +<p> +Und so geschah es. +</p> + +<p> +Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen +auf Augustenhof eintraf. Der Schweizer in +der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie +kümmerte sich nicht um ihn, sondern nahm den +kleinen Jurris bei der Hand und schlug den Weg +zum Herrenhause ein. +</p> + +<p> +Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich +in den Garten läuft, schlug ihr das Herz so sehr, +daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen +zu müssen, und als sie gar lachende Stimmen +auf der Veranda hörte und milchfarbene Windlichter +sah, da war es vollends mit ihren Kräften +zu Ende. +</p> + +<p> +„Wer ist da?“ hörte sie die Stimme des Herrn. +</p> + +<p> +Und da sie nicht zu antworten vermochte, +sagte er weiter: „Sieh doch einmal nach, Agnes, +wer da ist.“ +</p> + +<p> +Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen +herab — sollte das wirklich die Agnes sein? — +und fragte: „Was wünschen Sie?“ Und da sie +<a id="page-442" class="pagenum" title="442"></a> +noch immer nicht antwortete, rief das Mädchen +hinauf: „Eine Frau ist da mit einem Kinde, +aber sie spricht nichts.“ +</p> + +<p> +Da kam er, der Herr, selber die Treppe +herab. Und sie neigte sich vor ihm und küßte +ihm den Ärmel. +</p> + +<p> +„Ich kann nicht recht sehen,“ sagte er. „Bist +du etwa die Marinke?“ +</p> + +<p> +Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: +„Die bin ich.“ +</p> + +<p> +„Komm herein,“ befahl er und schritt ihr und +dem Kinde voran die Stufen empor, an lauter +Herrenleuten vorbei — jungen und alten —, es +waren deren mindestens sechs oder sieben. Sie +erkannte die gnädige Frau, der küßte sie rasch +noch die Hand, und dann ging sie durch die +Sommerstube und den Saal und den mittleren +Korridor immer hinter ihm her, und der Kleine +war tapfer und quarrte nicht im geringsten. +</p> + +<p> +Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, +das am Giebelende gelegen war und drei +Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und +eine zum Korridor hin, durch die sie nun eintraten. +</p> + +<p> +Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch +nie gesehen hatte, denn damals war es Petroleum +gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an +dem sie Sonnabends immer Rechnung gelegt +hatte, und das Ruhebett in der linken Fensterecke +<a id="page-443" class="pagenum" title="443"></a> +stand auch noch da. Und alles war überhaupt, +als sei sie nie weg gewesen. +</p> + +<p> +Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt +und betrachtete sie lange, aber von dem Kinde, +das sie erwartete, und auch von dem, das sie an +der Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann +so: „Es hat mir leid getan, Marinke, daß dein +Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt +hat. So sind wir ganz außer Verkehr +gekommen, und ich weiß nichts mehr von dir. Du +hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich +gewandt, und das passiert mir in ähnlichen Fällen +eigentlich niemals. Ich will nicht sagen, daß ich +dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich +kann, helf’ ich gerne. Aber nun setz dich hin, +denn du wirst müde sein, und sage, was führt dich +her?“ +</p> + +<p> +Sie dachte bloß immer: „Und sein Kind +sieht er nicht an.“ +</p> + +<p> +Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante +des Ruhebetts setzte und das Kind zwischen die +Kniee nahm, da sah er es doch. +</p> + +<p> +„Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,“ +sagte er und streckte von seinem Schreibstuhl +her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen +lockt. +</p> + +<p> +Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich +nur um so enger an sie. +</p> + +<p> +„Wie werd’ ich’s ihm bloß sagen?“ dachte +<a id="page-444" class="pagenum" title="444"></a> +sie. „Das Beste wird sein, ich geh’ wieder weg, +wie ich gekommen bin.“ +</p> + +<p> +„Nun also, Marinke, erzähle.“ +</p> + +<p> +„Ich hab’ nichts zu erzählen, Ponusze.“ +</p> + +<p> +„Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es +schwer fällt, nicht einen so weiten Weg. Also +sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder +möcht’ er bauen oder sonst was? Ich geb’, was +er will, denn ihr seid mir sicher.“ +</p> + +<p> +„Mein Mann braucht keine Hypothek,“ sagte +sie, „und bauen möcht’ er auch nicht, aber es ist +’rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen +ist, Herrchen, und mir.“ +</p> + +<p> +Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz +nach ihr um, so daß es knarrte, und machte sich +ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf +ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel +hart auf ihn herab. +</p> + +<p> +„Er ist ganz grau geworden,“ dachte sie. +Und nun sah er vollkommen so aus, als wär’ er +der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger +Herrgott sah er aus. +</p> + +<p> +„Nur du und ich haben’s gewußt,“ herrschte +er sie an, „und von mir hat’s keiner erfahren.“ +</p> + +<p> +Sie hätte nun sagen müssen: „Von mir auch +nicht,“ aber ihre Angst vor ihm war so groß, daß +sie sich keine Antwort getraute. +</p> + +<p> +„Ich werd’ denn man gehen,“ sagte sie und +<a id="page-445" class="pagenum" title="445"></a> +versuchte aufzustehen. Aber sie war so schwach, +daß sie wieder zurückfiel. +</p> + +<p> +Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen +war. Die geschliffene Karaffe stand immer +noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr +ein Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, +aus dem sie manches liebe Mal hatte +naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der +wollte erst nicht, aber was ihm in die hohlen +Händchen geschüttet wurde, das nahm er. +</p> + +<p> +„Nun laß uns vernünftig reden,“ sagte der +Herr, „und erzähl alles.“ Aber sie konnte nicht. +Sie saß bloß so da und sah vor sich hin. +</p> + +<p> +„Marinke,“ sagte der Herr, „du bist einmal +die Freude meiner Feierabende gewesen, und +ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen +großen Stein bei mir im Brett. Denk daran +und faß dir ein Herz.“ +</p> + +<p> +Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: +„Das Kind hier ist <em>Ihr</em> Kind, Ponusze.“ +</p> + +<p> +„Ei der Deiwel,“ sagte er und lachte hellauf, +„das ist ja ganz was Neues.“ Dann nahm er +den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die +Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. +„Wie gesagt, stramm ist er. Wenn er sich auswächst, +kann er mir schon ähneln. Denn das +weißt du ja, sie ähneln mir alle.“ +</p> + +<p> +Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten +fünf oder sechs auf dem Hof. Wenn +<a id="page-446" class="pagenum" title="446"></a> +man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie +der andere. +</p> + +<p> +Und er fuhr fort: „An sich wär’s also schon +möglich. Aber ich denk’, es ist deinem ertrunkenen +Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich +weiß, hat er ja auch den Namen.“ +</p> + +<p> +„Das ist richtig,“ entgegnete sie, „aber von +dem ist er nicht. Und von meinem jetzigen Mann +ist er auch nicht.“ +</p> + +<p> +„War der denn auch dabei?“ fragte er, und +sie konnte nicht anders als Ja sagen. +</p> + +<p> +„Du — das ist aber ein bißchen reichlich,“ +rief da der Herr und wußte vor Lachen sich nicht +zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh! +</p> + +<p> +Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. +Aber die Marinke sah ein, daß sie in der +fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde, +wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das +mußte sie jetzt tun, denn er allein konnte sie +verstehen, und es drückte ihr längst schon das +Herz ab. +</p> + +<p> +Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, +wie alles gekommen war. Er hörte ihr aufmerksam +zu und wurde ernster und immer noch +ernster. +</p> + +<p> +Mitten darin griff er mit der Hand nach dem +Kleinen und hob ihn sich auf das Knie. Und +der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und +lutschte still weiter. +</p> + +<p> +<a id="page-447" class="pagenum" title="447"></a> +Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den +Wuschelkopf und setzte ihn sacht auf die Erde. +Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er +mußte die Beine freikriegen zum Rumgehen, +denn das tat er immer, wenn ihm das Herz von +irgend was voll war. +</p> + +<p> +Er ging und ging, und dann klingelte er +und sagte dem eintretenden Mädchen: „Man +soll nicht auf mich warten — ich habe zu tun.“ +Einst war sie selbst dieses Mädchen gewesen, +und oft hatte er dasselbe zu ihr gesagt. Und +dann ging er immer noch länger. +</p> + +<p> +Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: +„Wie wirst du nach Hause kommen?“ +</p> + +<p> +„Der Enskyssche Milchwagen wartet auf +mich,“ entgegnete sie. +</p> + +<p> +Der große Augenblick war nun da. In ihm +mußte das Schicksal des Kindes sich entscheiden. +</p> + +<p> +„Die Enskene hat gemeint,“ stotterte sie, +„weil es doch dein Fleisch und Blut ist, Herrchen, +und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest +du es vielleicht in Pflegschaft nehmen und es +großziehen lassen auf deinem Hofe. Von Instleuten +wohnen ja bei dir so viele.“ +</p> + +<p> +Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm +erbitten wollen, aber jetzt, da sie das vornehme +Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte +sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen +war. +</p> + +<p> +<a id="page-448" class="pagenum" title="448"></a> +„Du vergißt, Marinke,“ sagte er, „daß da +draußen die gnädige Frau sitzt, der ich Rechenschaft +schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald +auch ihr zu Ohren kommen, und dann gäbe +es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem +Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu +kommen, war schon zu viel, aber ich mochte es +ihr nicht abschlagen — auch um deinetwillen +nicht, Kind, weil du so außer jedem Verdacht +bliebst. Kommt’s nun aber heraus, dann ist +jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie +wieder gutmachen kann.“ +</p> + +<p> +Die Marinke verstand nicht recht, was er +meinte, aber daß ihr Verlangen eine Vermessenheit +war, das wußte sie nun. +</p> + +<p> +„Ich werd’ denn man gehn,“ sagte sie zum +zweiten Male. Diesmal fiel sie nicht von selbst +zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter +gefaßt und festgehalten, so daß sie das Aufstehen +vergaß. +</p> + +<p> +„In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier +bin,“ sagte er, „ist kein Fremder ohne Trost aus +dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr +gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht +hinausschicken? Das geht nicht, Marinke, wenn +ich dir auch leider was Anderes als Geld nicht +zu bieten hab’.“ +</p> + +<p> +„Ich will kein Geld!“ stieß sie hervor. +</p> + +<p> +„Verachte das Geld nicht,“ ermahnte er sie. +<a id="page-449" class="pagenum" title="449"></a> +„Denn es macht die Bösen gut und die Harten +gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von +mir hat oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, +tausend Taler mit auf den Weg. Und noch keine +hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine +Mitgift geben, dreimal so groß, so daß er als ein +wohlhabender Erbe gelten kann, und du wirst +sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.“ +</p> + +<p> +Damit setzte er sich an den Schreibtisch und +schrieb einen Schenkungsbrief über zehntausend +Mark, und noch vieles andere schrieb er dazu, +wie die Zinsen zu erheben seien und wie das +Kapital einst ausgezahlt werden sollte. Das +unterstempelte er mit dem Stempel des Amtsvorstehers, +dessen Dienst er selber versah, und +reichte es der Marinke. +</p> + +<p> +Die dachte bloß immer das eine: „Aus mir +kann nun werden, was will. Das Kind ist fürs +Leben geborgen.“ +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-13"> +13 +</h3> + +<p class="first"> +Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen +auf dem Enskysschen Hofe einfuhr, saß die +Mutter gerade so wartend im Mondschein wie +an jenem Abend vor sechs Jahren, von dem alles +Unglück seinen Ursprung hatte. +</p> + +<p> +„Der Vater ist schon lange zur Ruhe,“ sagte +sie, „drum komm herein und stärke dich.“ +</p> + +<p> +Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle +<a id="page-450" class="pagenum" title="450"></a> +genau so wie damals und aß und wußte nicht, +was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter. +</p> + +<p> +Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen. +</p> + +<p> +Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche +und reichte ihn ihr. +</p> + +<p> +Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht +und ließ sich die Summe immer wieder von +neuem sagen, bevor sie sie glaubte. +</p> + +<p> +„Aber dann ist ja alles gut,“ sagte sie, „und +dann will ich erst mal den Vater wecken.“ +</p> + +<p> +Die Marinke hatte Angst, der Alte würde +sie und das Kind sofort zur Tür hinausweisen, +aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und +ging damit nach der Stube. +</p> + +<p> +Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder +da war, und hinter ihr in Hosen und Hemd, die +Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen +— wie ein Wiesel kam er gesprungen +— und bot der Marinke den Willkomm und +klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte +ihn selber ins Bettchen tragen, denn Kinder +müßten mit den Hühnern zur Ruhe. +</p> + +<p> +Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. +„In was für ein Bettchen?“ fragte sie. +</p> + +<p> +„Nun, das für ihn bereit steht schon seit +Jahren.“ Und er habe immer gesagt, das mit +dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. +Das habe der Jozup sich ausgedacht, um ihn +und die Mutter zu täuschen. Und nun sei es +<a id="page-451" class="pagenum" title="451"></a> +offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr +Westphal so viel bares Geld nicht aus, sonst +wäre er längst schon ein Bettler. +</p> + +<p> +Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden +wollte, stieß die Mutter sie an und sagte ihr +leise: „Laß ihn nur immer. Er redet sich’s ein +und wird’s auch den andern einreden — und so +ist’s am besten.“ +</p> + +<p> +Da gedachte die Marinke der Worte, die der +Herr zu ihr gesprochen hatte, ehe er die Schenkung +niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine +nun wirklich die Heimat gefunden hatte noch am +heutigen Abend. +</p> + +<p> +Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, +denn sie wußte wohl, daß es zum letzten +Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über +ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen +des Kreuzes und ging vor die Haustür. +</p> + +<p> +Dort standen die beiden und warteten ihrer. +</p> + +<p> +„Ach, möchten sie mich doch einladen, bei +ihnen zu bleiben!“ dachte die Marinke. Aber +sie taten es nicht. Wie konnten sie auch! +</p> + +<p> +„Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,“ +sagte der Alte, „denn ich bin der Vormund.“ +</p> + +<p> +Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke +ins Dunkel hinein und sagte zum Abschied: „Ich +bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig +Jahr’ hab’ ich gewiß noch. Und so lange wird +es ihm gut gehn, das weißt du.“ +</p> + +<p> +<a id="page-452" class="pagenum" title="452"></a> +Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr +mit Tränen. +</p> + +<p> +„Was wird aber mit dir werden?“ fragte die +Mutter. +</p> + +<p> +„Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,“ +sagte die Marinke und ging von ihr fort ... +</p> + +<p> +Der Mond stand hoch — es war schon ein +Herbstmond —, aber die Luft wehte warm wie +im Juni. +</p> + +<p> +Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, +überkam sie ein Schaudern. Der Hofhund würde +bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf +würde der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, +hinausrufen: „Wer ist da?“ Und wenn sie dann +sagte: „Ich bin es — ich, die Marinke,“ dann +würde das Schimpfen losgehen — Klorke und +Szunjôda und Pajudêle und alles, womit er +sie sonst noch traktierte. +</p> + +<p> +Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. +Niemand paßte ihr auf. Sie konnte die Nachtstunden +nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo +sollte sie sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat +hatte sie nicht. Da fiel der Kirchhof ihr ein, +auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. +Wie eine Erleuchtung kam es da über sie. +</p> + +<p> +Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an +den Morgen, das war es, was ihr jetzt fehlte. Da +sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie +keiner anschreien und schimpfen. +</p> + +<p> +<a id="page-453" class="pagenum" title="453"></a> +So schlug sie also den Weg zum Kirchhof +ein, den sie beinahe vergessen hatte. +</p> + +<p> +Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht +zu finden, denn ringsherum hatte manch neuer +Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren +auch höher geworden. Aber schließlich unterschied +sie es doch und setzte sich auf den Hügel, +dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich +begrünte. +</p> + +<p> +Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die +Eltern errichtet. Der war inzwischen schon +wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der +Tafel schien blaß und von Regen verwaschen, +soviel man im Mondschein erkannte. +</p> + +<p> +„Bald werden sie ihn alle vergessen haben,“ +dachte sie, und ihr schien’s, als sei sie ihm doppelt +und dreifach untreu gewesen. Oft hätte sie Zeit +gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte +danach gefragt. Trotzdem fand sie erst heute den +Weg hierher, wie man verlassene Freunde nicht +früher aufsucht, als wenn man nicht aus und +nicht ein weiß. +</p> + +<p> +„Ach wenn ich doch ein bißchen weinen +könnte!“ dachte sie, aber sie hatte heute schon +zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar +nicht so schmerzhaft zumute. Nur müde war +sie. Darum lehnte sie das abgerackerte Kreuz +gegen den Pfosten und dachte: „Hier möcht’ +ich einschlafen.“ +</p> + +<p> +<a id="page-454" class="pagenum" title="454"></a> +Und das tat sie auch wirklich. Aber bald +weckte der Nachtwind sie wieder. Sie lag nun +mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht +mehr aufstehen. +</p> + +<p> +Es war eine große Stille ringsum, nur die +harten Baumblätter rieben sich ab und zu aneinander, +und in dem Grase raschelte es, wenn +irgend ein Getier sich bewegte. +</p> + +<p> +Sie dachte an alle die Geister, die auf so +einem Kirchhof zur Nachtzeit ihr Wesen treiben, +aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn +unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, +und der hätte sie schon beschützt. +</p> + +<p> +Über diesem Gedanken schlief sie von neuem +ein, und ihr war im Traume fortwährend, als +stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. +Aber wie sie wieder einmal erwachte, merkte +sie, daß es nur der Wind gewesen war, und da +tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief. +</p> + +<p> +„Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,“ dachte +sie. Da kam das Schaudern wieder, das sie auf +dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt +hatte. +</p> + +<p> +„Was soll ich eigentlich dort?“ dachte sie +weiter. „Sobald er mich sieht, wird er mich +quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, +ob ich ihnen noch was zu befehlen hab’. Hier +gehör’ ich her. Zu meinem Jurrischen. Hierher +auf den Kirchhof.“ +</p> + +<p> +<a id="page-455" class="pagenum" title="455"></a> +Und sie beugte sich zur Seite und küßte das +Grab, aber ihr kam davon nur Sand zwischen +die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender +Zeiten. +</p> + +<p> +„Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,“ +dachte sie. „Denn ich bin für ihn gar +nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die +Gimdywe — die Gebärerin — bin ich ihm noch. +Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen anstatt des +anderen, das er verstoßen hat, und dann kann +ich abgehen. Er wird schon dafür sorgen, daß sie +mich bald hierher auf den Kirchhof fahren.“ +</p> + +<p> +Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten +gleich hier. +</p> + +<p> +Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, +die er ihr zugefügt hatte seit jenem +Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an +alle die, die er ihr noch zufügen würde — er und +der Helfer, mit dem er drohte. +</p> + +<p> +Und sie sagte zu sich: „Nun hab’ ich ihm umsonst +prophezeit, daß ich ins Haff gehen werde, +wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn +was er jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist +ebenso schlimm wie das, was sie damals zu erzählen +gehabt hätte.“ +</p> + +<p> +Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig +wurde, überfiel sie plötzlich ein Erschrecken, so +furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe sprang +und wie eine Unvernünftige drum herumlief. +</p> + +<p> +<a id="page-456" class="pagenum" title="456"></a> +Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich +kommen lassen wollte, niemand sonst als die +Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin +dann? +</p> + +<p> +Sie rannte nach rechts und rannte nach +links, als wollte sie ihr entrinnen, und wußte +doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es +gewiß zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut +mehr. Wenn das noch zu fürchten gewesen +wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt. +</p> + +<p> +Da war es ihr, als sagte eine Stimme: „Er +<em>hat</em> sie ja gar nicht zurückgeholt.“ +</p> + +<p> +Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. +Entweder er schwebte um sie herum, oder sie +hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von +seinem Sarge aus zu ihr redete. +</p> + +<p> +Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf +die Knie, wühlte die Stirn in den Sand, um ihm +näher zu sein, und bat und flehte: „Ach hilf mir +doch, Jurrischen, hilf mir doch!“ +</p> + +<p> +Und die Stimme sprach weiter: „Gewiß hat +er dir nur Angst machen wollen, wie man kleine +Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist +sonst gar nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt +schon über fünf Jahr, und du bist so zufrieden +mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen +hattest. Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse +bin. Nein, ich bin dir nicht im mindesten böse. +<a id="page-457" class="pagenum" title="457"></a> +Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab’ +ich hier stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen +kommst, das tut mir weh. Nun aber gehe getrost +wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, +die Gott der Herr dir gesetzt hat. +Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen, +und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen +lassen. Und wenn er sieht, wie treu du ihm +dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum +Guten wandeln, und alles wird werden, wie es +noch jüngstens war.“ +</p> + +<p> +So sprach der Jurris aus seinem Grabe, +und sie hörte begierig darauf. +</p> + +<p> +Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte +sich bereit, nach Hause zu gehen. Diesmal wandelte +kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war +wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen +zu können. Wenn nur das eine nicht kam, +wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, +nicht kam, dann war alles gut! Von ihm +selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie +kränkte. +</p> + +<p> +Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender +Körper zur Seite gedrückt hatte, zog die +Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar +ein Vaterunser. +</p> + +<p> +Dann machte sie sich auf den Heimweg. +</p> + +<p> +Über dem schwarzen Forst, der den Osten +begrenzte, erhob sich bereits ein gelblicher Streif. +<a id="page-458" class="pagenum" title="458"></a> +Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen +zwitscherten schon. +</p> + +<p> +Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. +Darum bellte der Hund auch nicht, der sie +von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem +Schweife gegen die Hüttenwand. +</p> + +<p> +Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen +wollte, gewahrte sie, daß in der Kleinen +Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und +drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, +wo er mit dem Giebel zusammenstößt. +</p> + +<p> +Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, +da hörte sie aus dem Innern zwei Stimmen. +</p> + +<p> +Die eine gehörte dem Jozup, die andere +aber — vier Jahre hatte sie sie nicht mehr gehört, +und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu +müssen. +</p> + +<p> +Sie war also <em>doch</em> gekommen, die Wölfin! +Für sie hatte er heute den Spazierwagen angespannt, +sie von der Bahn abzuholen, und die +Magd hatte geschwiegen — aus Mitleid. +</p> + +<p> +Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie +nicht, das Elternhaus wollte sie nicht, der Wieszpatis +wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe +wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit +List und mit Täuschung. +</p> + +<p> +Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und +rannte und rannte — ohne Sinn und Verstand +— so rasch ihr Körper es zuließ. +</p> + +<p> +<a id="page-459" class="pagenum" title="459"></a> +Bloß weg! — Weg aus dem Hause! Weg +aus dem Leben! Weg — weg — weg! +</p> + +<p> +Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue +Wasser und die schaukelnden Kähne. Und +der Schuppen des Jurris war auch da. +</p> + +<p> +Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs +Haff hinaus — — — — — — — — — — +— — — — — — — — — — — — — — +</p> + +<h3 class="section" id="chapter-5-14"> +14 +</h3> + +<p class="first"> +Am Morgen desselben Tages segelte in drei +Mittelbooten eine Trauergesellschaft aus der Richtung +von Karkeln her nordwestlich nach der Nehrung +hinüber. +</p> + +<p> +Es waren Männer und Frauen aus dem +Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer Niddnerin, +die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett +hatte dran glauben müssen, das Geleite gegeben. +</p> + +<p> +Da der junge Witwer, um die Heimgegangene +zu ehren, ein großes Begräbnis ausgerichtet +hatte, so war die Nacht hindurch getanzt +und getrunken worden, und alle befanden +sich noch in der heitersten Stimmung. +</p> + +<p> +In dem ersten der Boote saßen die Eltern der +Toten. Die freilich verhielten sich ruhig, aber +sie freuten sich doch, daß die anderen so lustig +waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man +ihres Kindes lange und gern gedenken würde. +</p> + +<p> +Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem +<a id="page-460" class="pagenum" title="460"></a> +länglichen Bündel, das die Alte vorsichtig in +den Armen wog, während ihr Mann achtgab, +daß die untere Kante des schlagenden Segels +in guter Entfernung darüber hinstrich. +</p> + +<p> +In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft +ihres Kindes, der Säugling, den sie mit +sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn +aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch +nirgends zu finden gewesen, aber ob sie +sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr +zu bezweifeln. +</p> + +<p> +Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an +dem Lutschpfropfen, in dem gekaute Semmelkrume +mit geriebenem Zucker gemischt war, und +wenn es zu schreien begann, bekam es Fenchelwasser +zu trinken, wovon man auch nicht sehr +satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht +vertrug, so lag die Gefahr nicht sehr fern, daß es +kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen würde, +aus der es eben gekommen war. +</p> + +<p> +Aber die andern scherten sich wenig um solche +Großmuttersorgen. Sie lachten und sangen, und +wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung +die Flasche. +</p> + +<p> +Da bemerkte einer, daß von Nordosten her +mit der Richtung des Windes ein leerer Kahn +auf sie zutrieb. +</p> + +<p> +Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und +darum wollte der Steuerer im vordersten Boote +<a id="page-461" class="pagenum" title="461"></a> +halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. +Aber die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen +ihm zu, er möge das lassen; der Kahn würde in +einer halben Stunde von selber am Ufer der +Nehrung erscheinen und wäre dann leichter zu +bergen als jetzt. +</p> + +<p> +So blieb er also auf seinem Wege, und die +anderen folgten ihm nach. +</p> + +<p> +Da — als sie gerade die Windlinie durchstrichen, +die von dem leeren Kahn auf sie zulief, +vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines +kleinen Kindes klang. +</p> + +<p> +Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, +es käme von dem Bündelchen her, das die +Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten sofort, +daß es damit eine andere Bewandtnis +hatte. +</p> + +<p> +Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten +und fuhr in kurzem Bogen dem leeren Kahne +entgegen. +</p> + +<p> +Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle +zu ihrer Verwunderung erkannten, lag auf dem +Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und +zu ihren Füßen ein Neugeborenes. +</p> + +<p> +Die Weiber drängten die Männer zurück, +damit deren Augen die Scham der Geburt nicht +entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen +sacht in den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten +Dienste zu leisten. +</p> + +<p> +<a id="page-462" class="pagenum" title="462"></a> +Dort aber, wo das Bündelchen unter dem +Segelrand lag, sagte der alte Mann leise zu +seiner Frau: „Laß uns dem Herrn ein Dankgebet +sprechen, denn mir scheint, er hat uns vom +Himmel Nahrung geschickt für das Kleine.“ +</p> + +<p> +Und die Großmutter sprach: „Frohlocke nicht +zu früh. Das dort ist kein Jungfernkind. Sie +sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und +wird uns bald wieder verlassen.“ +</p> + +<p> +Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde +Wöchnerin in Pflege zu nehmen, und die andern +waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten. +</p> + +<p> +So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren +war, sich in den Wellen die ewige Ruhstatt +zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett +wieder erwachte und statt des einen Kindes, +dem sie das Leben gegeben hatte, deren zwei +in der Wiege neben sich vorfand. +</p> + +<p> +Und ob sie auch zum Verwundern und zum +Fragen zu schwach war, so nahm sie sie doch +gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung +für beide. +</p> + +<p> +Dann, als man zu wissen begehrte, woher +sie sei und wie sie sich nenne, da weinte sie nur +und wollte nicht reden. +</p> + +<p> +Es mußte aber die Meldung an das Standesamt +gehen, und da sie auch am zweiten und +dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, +so wußten die beiden sich kaum einen Rat mehr. +</p> + +<p> +<a id="page-463" class="pagenum" title="463"></a> +Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden +der Pfarrer Hoffheinz Seelsorger war, der +jüngere Bruder des Superintendenten, den die +Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich +diesem ein lebensfroher und gottgefälliger Mann, +der die Litauer liebte, als wäre er einer von +ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, +Ratschlag und Zuflucht bot, soweit sein Arm sich +erstreckte. +</p> + +<p> +Der sagte: „Sie scheint großes Leid erfahren +zu haben. Darum laßt sie in Ruhe bis an den +neunten Tag. Die Behörden werd’ ich solange +auf mich nehmen. Und ist sie erst wieder bei +Kräften, dann will ich sie selber befragen.“ +</p> + +<p> +Das war das Richtige. Am neunten Tage +trat er zu ihr an das Bett, schloß die Stubentür +ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei +Stunden. +</p> + +<p> +Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche +Mann die Augen voll Wasser und sagte: +„Hier hat Gott ein Wunder getan.“ +</p> + +<p> +„An uns auch,“ sagte die Alte, „denn ohne +sie wäre das Kind der Anikke schon unter der +Erde.“ +</p> + +<p> +Von nun an dauerte es keine zweite Nacht +mehr, da erfuhr der Jozup Wilkat, wo sein Weib +geblieben war — und mit ihr das Kind, das sie +nach seinem Glauben ihm schuldete. Und weil +er sich schämte, sie in den Tod getrieben zu haben, +<a id="page-464" class="pagenum" title="464"></a> +war er sehr froh und machte sich auf, sie heimzuholen +— sie und das Kleine. +</p> + +<p> +Das aber war es gerade, wovor die Marinke +zitterte bei Tag und bei Nacht und das zu verhüten +der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte. +</p> + +<p> +Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl +gegeben, daß, wenn ein Mann im Dorfe herumfragte, +wo die Kiekutis wohnten, bei denen die +Fremde sich aufhielt, kein einziger es wissen +dürfe — nicht einmal der Schulze — und daß +man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, +ins Pfarrhaus weise; da könne er’s wahrscheinlich +erfahren. +</p> + +<p> +So kam es, daß der Jozup, der wütend von +einem zum andern lief und alsbald erkannte, +daß man ihn narre, schließlich einem Manne +ins Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht +umspringen ließ wie mit einem schutzlosen +Weibe. +</p> + +<p> +Ja, das Weib — das sei ihm egal, das könne +seinetwegen gehen, Filzschuhe wichsen, aber das +Kind — das Kind, das müsse er haben, tot oder +lebendig. +</p> + +<p> +Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein +guter Freund vom alten Settegast — er hat ja +später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet +—, das sagte er dem Jozup so nebenbei. +Und daß, wenn auf diese Weise die Kürbisgeschichte +ruchbar würde, von einem Verschulden +<a id="page-465" class="pagenum" title="465"></a> +der Frau nicht mehr die Rede sein könne, das +sagte er auch. +</p> + +<p> +Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, +ließ seine Ansprüche fahren und setzte für +die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld +aus, so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt. +</p> + +<p> +Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen +zu haben, fuhr er zurück übers Haff — zurück +zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr +hat er einen solchen Angriff gewagt. +</p> + +<p> +Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die +ihr fast so zugetan waren wie einst die Mutter +Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen +Kinde das fremde rosig und blank. +</p> + +<p> +Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt +kam, nach ihm zu sehen, da fand er es +nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte. +</p> + +<p> +So geschah es fast von selber, daß die beiden +sich miteinander versprachen. +</p> + +<p> +Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem +Jurris, und das gefiel der Marinke am meisten. +</p> + +<p> +Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille +begangen. Und still und friedlich leben die beiden +noch heute. +</p> + +<p class="printer"> +<a id="page-466" class="pagenum" title="466"></a> +Druck der<br /> +Union Deutsche Verlagsgesellschaft<br /> +in Stuttgart +</p> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h1 adh"> +<a id="page-467" class="pagenum" title="467"></a> +Anzeigen des<br /> +Cotta’schen Verlages +</p> + +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-468" class="pagenum" title="468"></a> +<span class="line1">Hermann Sudermann:</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads468" summary="Table-1"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Im Zwielicht</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Frau Sorge</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Geschwister</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Zwei Novellen. 35.-37. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Katzensteg</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 106.-115. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Jolanthes Hochzeit</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Erzählung. 31.-33. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Es war</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 59.-63. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Hohe Lied</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Roman. 61.-65. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die indische Lilie</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Sieben Novellen. 21.-25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Litauische Geschichten</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Vier Geschichten. 1.-25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Ehre</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Sodoms Ende</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Heimat</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Schmetterlingsschlacht</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Glück im Winkel</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Morituri</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drei Einakter: <em>Teja</em>. Drama — <em>Fritzchen</em>. Drama — <em>Das Ewig-Männliche</em>. Spiel. 21. u. 22. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1"><a id="page-469" class="pagenum" title="469"></a>Johannes</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die drei Reiherfedern</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Johannisfeuer</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Es lebe das Leben</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Sturmgeselle Sokrates</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Komödie in vier Akten. 15. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Stein unter Steinen</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Das Blumenboot</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Rosen</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Vier Einakter: <em>Die Lichtbänder.</em> Drama — <em>Margot.</em> Schauspiel — <em>Der letzte Besuch.</em> Schauspiel — <em>Die ferne Prinzessin.</em> Lustspiel. 2.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Strandkinder</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der Bettler von Syrakus</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Der gute Ruf</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die Lobgesänge des Claudian</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr class="b"> + <td class="col1">Die entgötterte Welt</td> + <td class="col2"> </td> + <td class="col3"> </td> + </tr> + <tr class="i"> + <td class="col1">Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: <em>Die Freundin.</em> Schauspiel in vier Akten. — <em>Die gutgeschnittene Ecke.</em> Tragikomödie in fünf Akten. — <em>Das höhere Leben.</em> Lustspiel in vier Akten. 7. Auflage</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-470" class="pagenum" title="470"></a> +<span class="cottasche"><img src="images/cottasche.jpg" alt="" /></span> +<span class="line1">Cotta’sche Gelbe Bibliothek</span><br /> +<span class="line2">Romane und Novellen</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads470" summary="Table-2"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Althof, Paul</em> (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das verlorene Wort. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Andreas-Salomé, Lou</em>, Fenitschka — Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ruth. Erzählung. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Anzengruber, Ludwig</em>, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wolken und Sunn’schein. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Arminius, W.</em>, Der Weg zur Erkenntnis. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Bertsch, Hugo</em>, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Birt, Th.</em>, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Böhlau, Helene</em>, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Um Helena. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. u. 19. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Bülow, Frieda v.</em>, Kara. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Burckhard, Max</em>, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Dove, A.</em>, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">10.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie v.</em>, Božena. Erzählung. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erzählungen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Margarete. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Moritz v.</em>, <span class="antiqua">Hypnosis perennis</span> — Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Eckstein, Ernst</em>, Nero. Roman. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>El-Correï</em>. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Enderling, Paul</em>, Der Hungerhaufen und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Zwischen Tat und Traum. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Engel, Eduard</em>, Paraskewúla und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Fontane, Theodor</em>, Ellernklipp. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Grete Minde. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Quitt. Roman. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Franzos, K. E.</em>, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">8.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-471" class="pagenum" title="471"></a>—„— Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">9.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Frei, Leonore</em>, Das leuchtende Reich. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Frey, Adolf</em>, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Fulda, L.</em>, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Gleichen-Rußwurm, A. v.</em>, Vergeltung. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Grimm, Herman</em>, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">11.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. 2.-8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hartmann, Alfred Georg</em>, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein Künstlerroman aus Holland</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Haushofer, Max</em>, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heer, J. C.</em>, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Da träumen sie von Lieb’ und Glück! Drei Schweizer Novellen. 28.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. 21.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heilborn, Ernst</em>, Kleefeld. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L’Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben — Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-472" class="pagenum" title="472"></a>—„— Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Märchen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Martha’s Briefe an Maria. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.30</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Meraner Novellen. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Novellen. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.90</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vroni und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Xaverl und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hillern, W. v.</em>, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— ’s Reis am Weg. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hirschfeld, Georg</em>, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Höcker, Paul Oskar</em>, Väterchen. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hofe, Ernst von</em>, Sehnsucht. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hofer, Klara</em>, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich Hebbels. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hopfen, Hans</em>, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Huch, Ricarda</em>, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Junghans, Sophie</em>, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kaiser, Isabelle</em>, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Knudsen, J.</em>, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Krauel, Wilhelm</em>, Von der andern Art. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Hermann</em> (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Italienische Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Langmann, Philipp</em>, Leben und Musik. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-473" class="pagenum" title="473"></a><em>Lilienfein, Heinrich</em>, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die große Stille. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Lindau, Paul</em>, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">8.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Mahn, Paul</em>, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Mauthner, Fritz</em>, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von „<em>Lügenohr</em>“</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Meyer-Förster, Wilh.</em>, Eldena. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Meyerhof-Hildeck, Leonie</em>, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Töchter der Zeit. Münchner Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Moreck, Curt</em>, Büßer des Gefühls. Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Moersberger, Felicitas Rose</em>, Pastor Verden. Ein Heideroman. 2.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Muellenbach, E.</em> (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aphrodite und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vom heißen Stein. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Niessen-Deiters, Leonore</em>, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em>. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Liebesfalle. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Mitmenschen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Pietsch, Otto</em>, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Prel, Karl du</em>, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neues Novellenbuch. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rittberg, Gräfin Charlotte</em>, Der Weg zur Höhe. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rommel-Hohrath, Clara</em>, Im Banne Roms. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Rosner, Karl</em>, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausg.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, H. Wolfgang</em>, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-474" class="pagenum" title="474"></a><em>Skowronnek, R.</em>, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Speidel, Felix</em>, Hindurch mit Freuden. Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Stegemann, Hermann</em>, Der Gebieter. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stille Wasser. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Steinhart, Armin</em> (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Stratz, Rudolph</em>, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman einer Studentin. 18.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du bist die Ruh’. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ich harr’ des Glücks. Novellen. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Montblanc. Roman. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der deutschen Armee. 46.-50. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Sudermann, Hermann</em>, Es war. Roman. 59.-63. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Telmann, Konrad</em>, Trinacria. Sizilische Geschichten</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Trojan, Johannes</em>, Das Wustrower Königsschießen und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Uxkull, Gräfin Lucy</em>, Rote Nelken. Ein sozialer Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vockeradt, Emma</em>, Wanderer im Dunkeln. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vogt, Martha</em>, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Vollert, Konrad</em>, Sonja. Roman</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Voß, Richard</em>, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Watzdorf-Bachoff, E. v.</em>, Maria und Yvonne. Geschichte einer Freundschaft. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><a id="page-475" class="pagenum" title="475"></a>—„— Meister Amor. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erika — Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Fesseln. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Franz. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Irma. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Familie Roland. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Der Sänger. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Villa Maria. Roman. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wildenbruch, E. v.</em>, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wohlbrück, Olga</em>, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Worms, C.</em>, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Erdkinder. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. u. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="ads chapter"> +<p class="h2 adh"> +<a id="page-476" class="pagenum" title="476"></a> +<span class="line1">Ferner werden empfohlen:</span> +</p> + + <div class="table"> +<table class="ads476" summary="Table-3"> +<tbody> + <tr class="g"> + <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Auerbach, Berthold</em>, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl.</td> + <td class="col2">M.</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Auf der Höhe. Roman. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Spinoza. Ein Denkerleben</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">1.70</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.10</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Baumbach, Rudolf</em>, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.80</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Aus der Jugendzeit. 10. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Neue Märchen. 9. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.20</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie</em> v., Die erste Beichte. Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Grisebach. Ed.</em>, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der Krieg und die Frauen. Novellen. Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">1.80</td> + </tr> + <tr class="r"> + <td class="col1" colspan="1">In Geschenkband</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L’Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">2.40</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">10.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Hoffmann, Hans</em>, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ostseemärchen. 3. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Keller, Gottfried</em>, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. 86.-90. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">13.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">9.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Züricher Novellen. 88.-92. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Das Sinngedicht. Novellen — Sieben Legenden. 71.-75. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kügelgen, Wilhelm</em> v., Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Unsere Carlotta. Erzählung</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Frutti di Mare. Zwei Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Genesung — Sein Todfeind — Gedankenschuld. Erzählungen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">5.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Phantasieen und Märchen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">3.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Müller, Hans</em>, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">6.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Olfers, Marie v.</em>, Neue Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Die Vernunftheirat und andere Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">7.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1">—„— Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausgegeben von <em>H. W. Seidel</em>. 2. Tsd.</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.—</td> + </tr> + <tr> + <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Novellen</td> + <td class="col2">„</td> + <td class="col3">4.50</td> + </tr> +</tbody> +</table> + </div> +</div> + +<div class="trnote chapter"> +<p class="transnote"> +Anmerkungen zur Transkription +</p> + +<p> +Der Zensurstempel „A. g. XIII.“ wurde von der Titelseite entfernt. +</p> + +<p> +Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: futtern, +Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a. +</p> + +<p> +Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. +Weitere Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, +sind hier aufgeführt (vorher/nachher): +</p> + + + +<ul> + +<li> +... sich des guten Gewissens erfreuen, <span class="underline">den</span> solch ein ...<br /> +... sich des guten Gewissens erfreuen, <a href="#corr-2"><span class="underline">das</span></a> solch ein ...<br /> +</li> + +<li> +... mit <span class="underline">einen</span> Male einen feierlichen Gesang. ...<br /> +... mit <a href="#corr-5"><span class="underline">einem</span></a> Male einen feierlichen Gesang. ...<br /> +</li> + +<li> +... Das kam <span class="underline">dem</span> Jurris hart an, aber was sollte ...<br /> +... Das kam <a href="#corr-8"><span class="underline">den</span></a> Jurris hart an, aber was sollte ...<br /> +</li> + +<li> +... Gespielen <span class="underline">betrachtet</span>. Das Reiten und Fahren ...<br /> +... Gespielen <a href="#corr-9"><span class="underline">betrachten</span></a>. Das Reiten und Fahren ...<br /> +</li> + +<li> +... Räder mahlten, und die <span class="underline">Achseln</span> schlackerten. ...<br /> +... Räder mahlten, und die <a href="#corr-10"><span class="underline">Achsen</span></a> schlackerten. ...<br /> +</li> +</ul> +</div> + + +<pre style='margin-top:6em'> +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN *** + +This file should be named 63946-h.htm or 63946-h.zip + +This and all associated files of various formats will be found in: +http://www.gutenberg.org/6/3/9/4/63946/ + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + +Section 3. 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