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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-14 18:08:49 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Litauische Geschichten, by Hermann Sudermann
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
+most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
+of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
+will have to check the laws of the country where you are located before
+using this ebook.
+
+Title: Litauische Geschichten
+
+Author: Hermann Sudermann
+
+Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
+ https://www.pgdp.net
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+
+ Litauische Geschichten
+
+
+
+
+ Litauische Geschichten
+
+
+ Von
+ Hermann Sudermann
+
+ 2.-25. Auflage
+
+
+ Stuttgart und Berlin 1917
+ J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
+
+
+ Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
+
+ Für die Vereinigten Staaten von Amerika:
+ Für die nachstehenden Erzählungen »Die Reise nach Tilsit« und
+ »Miks Bumbullis«
+ Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin
+
+
+ Seinem lieben und verehrten Freunde
+ Ökonomierat Scheu
+ auf Adl. Heydekrug
+ zugeeignet
+
+
+
+
+ Inhalt
+
+
+ Seite
+ Die Reise nach Tilsit 9
+ Miks Bumbullis 69
+ Jons und Erdme 141
+ Die Magd 349
+
+
+
+
+ Die Reise nach Tilsit
+
+
+Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am Haff liegt Wilwischken. Und
+wenn man von dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen will, muß
+man so nah an den Häusern vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn
+aus mit ein paar Zwiebeln -- es können auch Gelbrüben sein -- die
+Fenster einzuschmeißen.
+
+Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich schade. Denn
+Wilwischken ist ein sauberes Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner
+betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei einträgliche Acker- und
+Gartenwirtschaft, und die Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt.
+
+Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, die an der Mündung der
+Parwe gleichsam die scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas
+Balczus.
+
+Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher Fischer, der bei jedem
+Raubfang sein Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der am
+Montagabend seine Barsche in Heydekrug unterm Preis ausbietet und am
+Dienstagnachmittag betrunken heimfährt; der Ansas Balczus ist beinahe
+schon ein Herr, der mit den Deutschen deutsch spricht wie ein Deutscher,
+der sich sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der sich bei seinen
+Prozessen so gut zu verteidigen weiß, daß er die Anwaltskosten sparen
+kann.
+
+Er hat sich auch eine feine Frau genommen, der Ansas Balczus. Sie stammt
+aus Minge und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, dem die großen
+Haffwiesen gehören. Daß er die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte
+keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und sie ging so blaß und
+sanft an ihnen vorbei, als ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre.
+
+Nun _hat_ er sie aber und kann stolz auf sie sein. Sie hat ihm drei
+hübsche Kinder geboren, und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie
+mit der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. Ihre Butter wird ihr
+von den Händlern schon weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt,
+ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und breit, und im
+Brautwinkel stehen seit vorigen Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man
+erzählt sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie sieben Jahre alt
+sein wird, ein Klavier kaufen will.
+
+Und dabei geht sie noch ebenso sanft und blaß ihres Wegs, wie sie es als
+Mädchen getan hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn man sie
+anspricht.
+
+So ist die Indre Balczus. Und wenn _ich_ der Ansas wäre, ich würde meine
+Hände zum Himmel heben, morgens und abends, daß _sie_ meine Frau ist und
+keine andere.
+
+Und so war es auch früher, aber seit die Busze als Magd ins Haus
+gekommen ist, hat es sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die
+Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, wenn von dem Hof
+des Balczus Schimpfen und Weinen herüberschallt.
+
+Das Schimpfen kommt von dem Ansas. _Die_ Stimme kennt ein jeder. Aber
+weinen tut nicht die Indre -- _wenn_ sie's tut, so nur ganz leis und in
+der Nacht --, es sind die drei Kinder, die da weinen über all das Üble,
+das ihre Mutter erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein Lachen
+darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart wie Glas und schadenfroh wie
+Hähergeschrei.
+
+Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. Wenn sie nicht selbst eine
+Besitzerstochter wäre und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes,
+hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten können. Warum muß die
+überhaupt dienen gehen mit ihren blinkernden Achataugen und dem Fleisch
+wie von Apfelblüten? Wer weiß, wie vielen die schon die Köpfe verdreht
+hat! Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn sie irgendwo einen
+ganz verrückt gemacht hat, dann lacht sie und geht in einen anderen
+Dienst.
+
+Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun als das leibhaftige
+Gegenteil der stillen und sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und
+rumort vom Morgenstern an bis in die späte Nacht, schafft für dreie und
+wird schon aufgebracht, wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen.
+
+Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer gewesen ist, kennt sie
+überhaupt keinen Spaß mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie die
+Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und er ist schwach und tut, was
+sie will.
+
+Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, wo die Frau arm eingezogen ist
+oder aber kränklichen Leibes und darum die Dinge gehen läßt, wie sie
+gehen. Aber der Indre gegenüber, dem reichen Jaksztat seiner schönen
+Tochter, die bloß zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so einem
+Biest auflegen zu können, da versteht man die Welt nicht mehr.
+
+Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen ist und sie geschlagen hat,
+kommt die Nachbarin, die Ane Doczys, zu ihr und sagt: »Indre, wir können
+das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. Wir haben beschlossen, ich
+schreib's deinem Vater.«
+
+Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, und sagt: »Tut's nicht,
+sonst nimmt er mich mit, und was wird dann aus den Kindern?«
+
+»Wir tun's doch,« sagt die Doczene, »denn solch ein Frevel darf nicht
+sein auf der Welt.«
+
+Und die Indre bittet auch noch für ihren Mann und sagt: »Spricht es sich
+immer weiter herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. Heiraten darf
+er sie nicht wegen des Ehebruchs. Auf den müßt' ich klagen, denn nur so
+kann ich die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt betrinkt er sich
+immer häufiger. Was dann erst wird, das überlegt sich ein jeder.«
+
+»Aber soll denn das immer so fortgehen?« fragt die Doczene.
+
+»Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, wenn sie genug gehabt
+hat,« sagt die Indre, »und mit ihm wird sie's nicht anders machen.«
+
+Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, wie Nachbarinnen sind, denen
+es morgen ebenso gehen kann, warnt sie wieder und wieder.
+
+»Wir haben uns auch erkundigt,« sagt sie, »das sind dann immer
+Saufbengels gewesen und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann läßt die
+nicht los.«
+
+Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, was für einen
+vortrefflichen Mann sie gehabt hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie
+weint und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie wendet nur ein
+wenig das eingefallene Gesicht und sagt: »Wie Gott will.«
+
+Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will.
+
+Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem Mann, der auf der Ofenbank liegt
+und schläft: »Doczys,« sagt sie, »hier sind die Wasserstiefel. Setz die
+Segel ins Mittelboot, wir fahren nach Minge.«
+
+»Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?« fragt er ungehalten; denn wer
+schläft, will Ruhe haben.
+
+Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, daß es ihr morgen ebenso
+gehen kann, fackelt nicht viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch
+noch die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe Stunde später fahren
+die beiden nach Minge.
+
+Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat in Wilwischken an. Er ist nicht
+zu Kahn gekommen, das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, sondern hat
+den Umweg über Land nicht gescheut, um seinem Schwiegersohn mit dem
+Verdeckwagen und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die Nase zu
+reiben, welcherart das Haus ist, aus dem seine Frau herstammt.
+
+Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch alle. Der o-beinige, kleine
+Mann mit dem lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen
+war ja bekannt genug. Als er starb, ist er schließlich gar nicht so
+reich gewesen. Aber das tut nichts zur Sache.
+
+Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht als erste das Fuhrwerk
+vorfahren und tritt aus dem Hause.
+
+Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, und funkelt ihn an.
+
+Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die Peitsche aus der Hand und
+reißt ihr eins über. Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm
+herunter flammt die Strieme.
+
+Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, zieht ihn vom Wagen und fängt
+ihn mit den Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt vom Bock, der
+Ansas Balczus kommt aus dem Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen
+gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson zu entreißen. Weiß Gott,
+sie hätte ihn sonst vielleicht umgebracht.
+
+So schlimm dies Vorkommnis an und für sich sein mag, in der nun
+folgenden Unterredung gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit vom
+Wege abgekommen ist der Ansas Balczus doch noch nicht durch seine
+Kebserei, daß er nicht wüßte, welche Schande ein solcher Empfang dem
+Hause weit und breit bereiten muß.
+
+Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem hinter die Ohren
+gestrichenen gelben Flachshaar und dem braunen Sommersprossengesicht vor
+dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen lassen soll.
+
+Der schnauft immerzu vor Zorn und weil ihm noch vom Herumrangen die Luft
+fehlt.
+
+»Wo ist deine Frau?«
+
+Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine Frau ist? Die läuft in ihrer
+Ratlosigkeit oft genug aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf und
+Schlägen sicher ist.
+
+»Ich bin der reiche Jaksztat!« schimpft der Alte. »Mir soll so was
+passieren!«
+
+Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, so gut es geht. Aber was
+kann er viel sagen?
+
+»Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort aus dem Hause!«
+
+»Na, na,« brummt der Ansas. Wäre das nicht eben geschehen, so hätte er
+wahrscheinlich die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei _seine_
+Wirtschaft, hier hab' er allein was zu sagen, aber jetzt brummt er bloß:
+»Na, na.«
+
+Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, und nun legt er los. Es
+gibt nicht viel Schimpfwörter im Litauischen, die der Ansas für sich und
+sein Frauenzimmer _nicht_ zu hören gekriegt hat in dieser Stunde.
+
+Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt auf der Ofenbank und
+weint.
+
+Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden Ältesten aus der Schule
+geholt und geht über den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, schlank
+und rank, geradeso wie die katholische heilige Jungfrau.
+
+Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt sie zusammen, setzt das
+Kindchen auf die Erde und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am
+raschesten verstecken.
+
+Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür hinaus -- und sie packen -- und
+sie hereinziehen -- hast du nicht gesehen!
+
+»Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,« fährt er den Schwiegersohn an,
+»und küssest den Saum ihres Gewandes!«
+
+So ohne Willen, wie der auch ist, das will er doch nicht. Aber der Alte
+hilft kräftig nach, und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem
+Schluchzer: »Ich weiß, ich bin ein Sünder vor dem Herrn.«
+
+»Steh auf, Ansas,« sagt sie in ihrer milden Weise und legt die Hand auf
+seinen Kopf. »Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt du es mir
+nachher nicht, und es bleibt alles beim alten.«
+
+Ach, wie gut hat sie ihn gekannt!
+
+Aber vorläufig geht er auf alles ein und verspricht dem Alten, daß die
+Busze mit seinem Willen den Hof nicht mehr betreten soll und daß sie
+jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll.
+
+Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht zu verlangen. Aber er besteht
+darauf. Er hätte es lieber nicht sollen.
+
+»Die Busze! Wo ist die Busze?«
+
+Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht mit einem Taschentuch verbunden
+wie eine mit Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat sie eine nasse
+Schürze gewickelt. Zum Kühlen.
+
+Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei ganz freundlich an.
+
+»Na also, was ist?« sagt sie. »Ich hab' zu tun.«
+
+»Du hast hier nichts mehr zu tun,« sagt der Alte, »und das wird dir dein
+Brotherr gleich klarmachen.«
+
+»Da bin ich doch neugierig,« trumpft sie als eine, die ihrer Sache
+sicher ist.
+
+Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen und wo aufhören. Aber weil sie
+mit ihrem verbundenen Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, wird es
+ihm leichter. Er stottert was von »Hausfrieden« und »man muß Opfer
+bringen« und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus.
+
+Sie lacht laut auf und lacht und lacht. »Haben sie dich richtig
+kleingekriegt, du Dreckfresser?« sagt sie. »Ums übrige wirst du ja bald
+wissen, wo du mich finden kannst.«
+
+Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür hinter sich zu. -- -- --
+
+Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. Und anfangs scheint es auch
+so. Der Ansas tut freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen auf
+den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt er ihr aus dem Hofmannschen
+Laden sogar ein Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen Blick, und
+wenn er kann, geht er ihr aus dem Wege.
+
+Die Indre schreibt nach Hause: »Es ist alles wieder gut.« Aber auf das
+Papier sind ihre Tränen gefallen.
+
+Denn die Busze ist immer noch da. Sie hat sich bei den Pilkuhns
+eingemietet, die hinten am Abzugsgraben wohnen, und was das für Gesindel
+ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. Sie tut so, als arbeitet sie in
+den Wiesen, aber man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man sie
+irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, den beiden Kindern, wenn sie
+aus der Schule kommen, Gerstenzucker zu schenken.
+
+Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel wird? Kein Mensch weiß. Er geht
+an der Parwe entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, daß sich
+kein Abendrot zum Wasser hinfindet. Und die Leute, die vor den Türen
+sitzen, reden leise hinter ihm drein: »Jetzt trifft er sich mit der
+Busze.«
+
+Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich wirklich mit der Busze.
+
+Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet, sitzen sie bis in die
+Nacht hinein und schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was sie auch
+übersinnen, -- die Frau, die Indre, steht immer dazwischen.
+
+»Laß dich scheiden!«
+
+Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die Kinder! Der Endrik, der
+Älteste, soll einmal das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm selbst
+aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst gar Klavier spielen.
+Solche Kinder stößt man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar nicht
+zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, der reiche Jaksztat, die
+zweite Hypothek hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er kündigt?
+
+Aber die Indre muß fort! Die Indre muß aus dem Wege! Die Indre mit ihrem
+Buttergesicht. Die Indre, die ihm nachspioniert. Die Indre, die
+allabendlich von Tür zu Tür läuft, um ihn schlecht zu machen vor den
+Leuten. Die Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches gibt, was sie
+nicht erzählt von ihm. Sogar daß er einen Bruchschaden hat, hat sie
+erzählt. Woher sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht ist
+sie bei all ihrer Scheinheiligkeit.
+
+Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene Sache. Es fragt sich bloß,
+wie.
+
+Er natürlich will nichts davon hören, aber es muß ja doch sein.
+
+Manche Frauen sterben im Kindbett -- man braucht kaum einmal
+nachzuhelfen, aber das kann lange dauern und bleibt eine unsichere
+Sache.
+
+Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei mal zwei vier ist. Und wer's
+dann getan hat, weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? Aber die
+Indre geht nicht aufs Wasser. Das ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal
+auf dem Wasser gewesen.
+
+Sie wird schon gehen -- man muß ihr nur zureden.
+
+Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig 'reinspringen? Ja, selbst _wenn_
+sie's täte, wer würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, sitzt man
+auch schon in Untersuchung.
+
+Gift oder Ertrinken -- es ist ein und dasselbe.
+
+Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die Busze weiß Rat.
+
+Ob er schwimmen kann.
+
+Er kann schon schwimmen. Aber in den schweren Stiefeln nutzt das nichts.
+Da wird man auf den Grund gezogen wie die »Kulschen« -- die kleinen
+Steine im Staknetz.
+
+Dann muß man barfuß 'raus. Jetzt im Sommer fährt jeder barfuß 'raus.
+
+Er, der Ansas, hat das nie getan, und das wissen die Leute.
+
+Ob die Indre schwimmen kann.
+
+Wie die bleiernen Entchen -- so kann die Indre schwimmen.
+
+»Also, es wird gehen,« meint nachdenklich die Busze.
+
+»_Was_ wird gehen?«
+
+Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen Sommer, an der Windenburger
+Ecke, wobei die zwei Fischer ums Leben gekommen sind?
+
+Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der eine der Toten ist ja sein
+Vetter gewesen.
+
+Ob er auch weiß, wie es geschehen ist.
+
+Genau weiß es niemand, aber man nimmt an, daß sie betrunken gewesen sind
+und die gefährliche Stelle verschlafen haben, die Stelle hinter dem
+Leuchtturm, wo der Wind plötzlich einsetzt und wo man scharf aufpassen
+muß, will man nicht kentern wie ein zu hoch geladener Heukahn.
+
+Ob man das Kentern nicht auch künstlich machen kann!
+
+Ja, wenn man durchaus ersaufen will.
+
+Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten kann!
+
+Bis an Land schwimmt keiner.
+
+Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen kann mit Binsen oder
+Schweinsblasen, die einen stundenlang über Wasser halten!
+
+Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich und würde bemerkt werden.
+
+Dann müßte man sie nach dem Gebrauch aus der Welt schaffen.
+
+»Ja, aber wie?«
+
+Die Busze wird nachdenken.
+
+So reden und beraten sie Stunden und Stunden lang, Nacht für Nacht. Die
+Busze fragt, und er antwortet. Und aus dem Fragen und dem Antworten
+backen sie bei langsamem Feuer den Kuchen gar, an dem die Indre sich den
+Tod essen muß.
+
+Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie sie am besten zu dem Ausflug
+zu bringen ist. Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, ehe der
+Schlag geführt werden kann. Wo aber die Gründe hernehmen, um die
+häufigen Fahrten zu rechtfertigen? -- Und wie selten auch weht der Süd
+oder der Südwest, bei dem allein das Unternehmen gelingen kann, und noch
+dazu in der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas Besonderes gefunden
+werden, ein Grund wie kein anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig
+macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt.
+
+Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer wieder ans Herz, heißt es
+freundlich zu der Indre sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird und
+auch die Nachbarn glauben können, es sei nun alles wieder in Ordnung.
+
+Und er ist freundlich zu der Indre -- so freundlich, wie's einer
+versteht, der sich nie im Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz
+klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, er bessert den
+Stöpsel im Rauchfang, er küßt sie beim »Guten Tag« und »Gute Nacht«, und
+er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt sie nicht an.
+
+Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn er um Mitternacht
+heimkommt, um den Dunst der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor an
+sich herumträgt.
+
+Und schließlich -- die Busze hat es so verlangt -- bringt er auch das
+schwerste Opfer und geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht.
+Von nun an verkehren sie nur durch den Briefträger. Die Aufschriften
+sind von einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er weisgemacht hat,
+er könne nicht schreiben, auf Vorrat gefertigt, und drinnen stehen
+Zeichen, die nur sie beide verstehen.
+
+So muß auch die Indre glauben, der heimliche Verkehr habe aufgehört.
+Aber täuschen läßt sie sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe
+sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn er sich vor ihr wunder
+wie niedlich macht, denkt sie bei sich: »Wie seh' ich ihn doch durch und
+durch!«
+
+Eines Tages kommt er besonders liebselig auf sie zu und sagt: »Mein
+Täubchen, mein Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich möchte dir
+gern etwas Gutes bereiten, such es dir aus.«
+
+Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er Hinterhältiges im Sinne
+führt. Und sie sagt: »Ich brauche nichts Gutes. Ich hab' ja die Kinder.«
+
+»Nein, nein,« sagt er, »es muß sein. Schon wegen der Nachbarn. Auch
+deinem Vater will ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. Weißt du
+nichts, so denke nach, und auch ich werde mir den Kopf zerbrechen.«
+
+Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber sie weiß noch immer nichts.
+
+Da sagt er: »Nun, dann weiß ich es. Du hast noch nie die Eisenbahn
+gesehen. Laß uns nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn
+siehst.«
+
+Sie sagt darauf: »Die Leute erzählen sich, daß die Eisenbahn nächstens
+bis nach Memel geführt werden soll, und Heydekrug wird dann eine Station
+werden. Wenn es so weit ist, kann ich ja einmal zum Wochenmarkt
+mitfahren.«
+
+Aber er gibt sich nicht zufrieden.
+
+»Tilsit ist eine schöne Stadt,« sagt er, »wenn du nicht hinfahren
+willst, so weiß ich, daß du einen bösen Willen hast und an Versöhnung
+nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne habe, als dir zu
+Gefallen zu leben.«
+
+Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte mit der Magd wirklich
+aufgegeben hat, und sie beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden.
+
+Und sie sagt: »Ach Ansas, ich weiß ja, daß du es nicht aufrichtig
+meinst, aber ich werde dir wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind wir
+ja alle in Gottes Hand.«
+
+Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot werden kann wie irgend ein
+junges Ding. Und weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und schämt
+sich draußen. Aber ihm ist zumut, als _muß_ er es tun und ein Zurück
+gebe es nicht. Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel vorwärts
+schuppst, so ist ihm zumut. Und darum fängt er an demselben Tage noch
+einmal an.
+
+»In Tilsit ist ein Kirchturm,« sagt er, »der ruht auf acht Kugeln, und
+darum hat ihn der Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen wollen. Er
+ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine so merkwürdige Sache muß man doch
+sehen.«
+
+Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber nichts.
+
+»Außerdem,« fährt er fort, »gibt es ja ein Lied, das geht so:
+
+ Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!
+ Ich liebe dich heute wie einst,
+ Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch,
+ Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.
+
+Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne Stadt Tilsit ist.«
+
+Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch einmal an, und er wird
+wieder rot und redet rasch von anderen Dingen.
+
+Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: »Nun, wann werden wir
+fahren?« Als ob es längst eine abgemachte Sache wäre.
+
+Sie denkt: »Will er mich los sein, so kann er es auf tausend Arten. Es
+ist das Beste, ich füge mich.«
+
+Und zu ihm sagt sie: »Wann du wirst wollen.«
+
+»Nun, dann je eher, je besser,« sagt er.
+
+Es wird also der nächste Morgen bestimmt.
+
+Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, läuft er am Nachmittag von
+Wirtschaft zu Wirtschaft und sagt: »Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß ich
+mich schlecht aufgeführt habe. Aber von nun an soll alles anders werden.
+Zum Zeichen dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt nach
+Tilsit machen. Damit will ich sozusagen die Versöhnung festlich
+begehen.«
+
+Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch noch. Genau, wie die Busze es
+vorhergesagt hat.
+
+Was aber tut die Indre inzwischen?
+
+Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, schreibt auf ein Papier, was sie
+am Alltag und am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke Leinwand,
+die sie selber gewebt hat, künftig einmal zu verschneiden sind. Auch
+ihre Kleider verteilt sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, und
+die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt sie noch ihr Leichenhemde
+bereit und was ihr sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann ist
+sie fertig.
+
+Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. Sie denkt: »Ihr Armen werdet
+schlechte Tage haben, wenn die Busze erst da ist.«
+
+Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz nachdem der Ansas dagewesen
+ist, und sagt: »Dem Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, daß
+ich von dieser Reise nicht wiederkommen werde.«
+
+Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: »Warum sollst du nicht
+wiederkommen? Nach Tilsit ist bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch
+ein Versöhnungsfest sein.«
+
+Die Indre lächelt bloß und sagt: »Wir werden ja sehn. Darum versprich
+mir, daß du auf die Kinder achtgeben wirst und dem Großvater schreibst,
+wenn es ihnen nicht gut geht.«
+
+Die Ane weint und verspricht alles, und die Indre geht heim. Sie bringt
+die Kinder zu Bett und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ...
+
+In der Frühe, lang' vor der Sonne, fahren sie ab.
+
+Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider an, und auch sie hat sich
+geschmückt, denn es soll ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die
+rote, grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, in dem sie vor
+neun Jahren mit ihm zur Versprechung nach der Kirche gefahren ist, und
+ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen.
+
+Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen und in dem vorderen
+Abschlag verstaut.
+
+Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten Wichsstiefel in der Hand. Im
+letzten Augenblick bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand
+gepackt, das wirft er neben sich vor das Steuer und sieht sie verstohlen
+dabei an, als ob er eine Frage erwartet.
+
+Aber sie fragt nichts.
+
+Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß ihm die Hände zittern. Er
+will sich nichts merken lassen und sagt: »Es ist ein hübsches kleines
+Windchen, wir können zu Mittag in Tilsit sein.«
+
+Sie sagt: »Mir ist es gleich.«
+
+Und er meint: »Ob es hin auch noch so rasch geht, zurück muß man
+kreuzen.«
+
+Dann wirft er das Schwert aus und setzt auch den Raginnis, das kleine
+Vorsegel. Er sitzt nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so daß sie
+ihn kaum sehen kann.
+
+Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings in dem Wasser glucksen die
+Fischchen.
+
+Über das weite Haff hin ist es nach Westen wie eine blaugraue Decke
+gebreitet, nur drüben die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein.
+
+Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, dort, wo die Landzunge
+sich spitz in das Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine
+und wirft dann mit raschem Griff das Steuer um, denn von nun an geht es
+mit vollem Wind geradeswegs nach Osten.
+
+So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor dieser Stelle hat sie schon
+immer Angst gehabt, denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen ist,
+dann war es nur hier.
+
+Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das liebe Minge, das in der
+Ferne ganz deutlich zu sehen ist, und denkt bei sich: »Ach Vater, wenn
+du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die Indre fährt.«
+
+Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche Stelle macht ihr das
+Herz eng.
+
+Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung zu, die mit ihren
+Grasbändern rechts und links schon lang' auf sie zu warten scheint.
+
+Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, breit wie die Memel selber,
+von der er ein Arm ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf dem
+Wasser ein Reibeisen.
+
+»Zwei Mundvoll mehr wären gut,« sagt der Ansas halb abgewandt zu ihr
+herüber, »denn wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn merkt ihn
+doch.«
+
+Sie denkt bloß: »Ich möchte nach Minge.« Aber Minge liegt längst weit im
+Rücken. Denn drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen
+Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die Leute sagen, daß, wer
+darauf wohnen will, sich Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er
+nicht vor und nicht zurück.
+
+»Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,« denkt sie, »und muß
+stillhalten, wie er es bestimmt.«
+
+Nun macht der Strom den großen Ellbogen nach Süden hin, und die Segel
+schlagen zur Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper sehen kann.
+Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag vorn an der Spitze, und er
+hinten am Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen.
+
+Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. Er rückt nach
+rechts, er rückt nach links, aber es hilft ihm nichts.
+
+»Du armer Mann,« denkt sie, »ich möchte nicht an deiner Stelle sein.«
+Und sie lächelt ihn traurig an, so leid tut er ihr.
+
+Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der große Herrenort, in dem so viel
+getrunken wird wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner Wasserpunsch
+fürchten sich ja selbst die Herren von der Regierung.
+
+Zuerst mit den vielen Flößen davor der Anckersche Holzplatz und eine
+Sägemühle und dann noch eine und noch eine.
+
+Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern stromab aus Rußland kommen,
+sitzen in ihren langen, grauen Hemden auf der Floßkante und baden sich
+die Füße. Hinter ihnen rauchen die Kessel zum Frühstücksbrot.
+
+»Er wird mir wohl Gift 'reintun,« denkt sie. Aber noch hat sie das
+mitgebrachte Essen in ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu sich
+nehmen.
+
+Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen Sägemühle. Auch hier liegen
+Holztriften fest, und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik machen
+müssen, fangen schon an, die Kehlen zu stimmen.
+
+Eins von den Liedern kennt sie:
+
+ _Lytus lynòju, rasà rasòju,_
+ _O mùdu abùdu lovò gulèju._
+
+Sie denkt: »Wenn alles so wäre wie einst, dann würden wir jetzt
+mitsingen.«
+
+Die Dzimken winken ihnen auch einladend mit den Händen, aber keines von
+ihnen beiden grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen während der
+Fahrt noch zugewinkt, aber niemals haben sie Antwort gegeben.
+
+Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine traurige Gegend. Links das
+Medszokel-Moor, wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das Bredszuller
+Moor, das auch nicht viel wert ist. Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln
+und Höhen der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem die wilden Elche
+hausen.
+
+Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, vor sieben Jahren. Sie trug
+damals die Elske im sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon wenig
+mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu ihr: »Wir wollen nach Ibenhorst
+fahren, vielleicht daß wir die Elche sehen.« Aber er nahm nicht wie
+heute die Waltelle -- das Mittelboot --, denn damit kommt man in den
+kleinen Seitenflüssen nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem
+fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch das Gewirr der fließenden
+Gräben, durch Rohr und Binsen, stunden- und stundenlang. Und sie hatte
+den Kopf auf seinem Schoß liegen und sagte ein Mal über das andere:
+»Ach, was brauchen wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz
+wunderschön.« Und schließlich sahen sie doch einen. Es war ein mächtiger
+Bulle mit einem Geweih rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz nahe
+im Röhricht und kaute und sah sie an. Ansas sagte: »Sehr wild scheint
+der nicht zu sein, ich fahr' einfach auf ihn los.« Aber die Elske in
+ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte einen heftigen Sprung. Und
+als sie ihm das sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren sollte.
+
+An jenen Frühlingstag also muß sie denken, und dabei kommt mitten aus
+ihrer Ergebung der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten
+Hände vor die Stirn legt und dreimal weinend sagt: »O Gott, o Gott, o
+Gott!«
+
+Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht und über die Großmastbank zu
+ihr herübersteigt.
+
+»Worüber klagst du eigentlich?« hört sie ihn sagen.
+
+Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: »Ach Ansas, Ansas, weißt du
+nicht besser als ich, warum ich klage?«
+
+Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht stumm zum Hinterende
+zurück.
+
+Auf einer der entgegenfahrenden Triften spielt ein Dzimke die Harmonika.
+
+Sie denkt: »Nun wird die Elske wohl nie mehr Klavier spielen lernen ...
+und der Willus wird auch niemals ein Pfarrer werden.« Denn das hat sie
+sich in ihrem Sinne vorgenommen, weil es ein gottgefälliges Werk ist.
+
+Sie denkt weiter: »Ich werde es mir noch vorher von ihm versprechen
+lassen.« Aber wie kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen wird, so
+daß sie noch Zeit behält zum Bitten? Jeden Augenblick kann es kommen,
+denn oft ist alles menschenleer -- auch an den Ufern weit und breit.
+
+»Was mag er nur in der Sackleinwand haben?« denkt sie weiter. »Da drin
+muß es sein, womit er das Schreckliche ausüben will. Aber was kann es
+sein?« Das Paket ist rund und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer
+so stark. Als er es vor der Abfahrt auf den Boden warf, ist kein Schall
+zu hören gewesen. Es muß also leicht sein von Gewicht.
+
+»Das Beste ist,« denkt sie, »ich lasse es kommen, wie es kommt, und
+nutze die Zeit, um Frieden zu machen mit dem Herrn.«
+
+Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. Sie weiß kaum einmal,
+um was sie beten soll. Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. Da
+braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein Floß kommt. Und so betet
+sie für die Kinder. Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne.
+
+Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht sagen. Aber die Sonne
+steht schon ganz hoch, da hört sie von drüben seine Stimme: »Bring mir
+zu essen, ich hab' Hunger!«
+
+Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. »Jetzt wird es geschehen,«
+denkt sie. Aber wie sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst
+hinüberträgt und Brot und Butter dazu, da zittert sie nicht, denn jetzt
+denkt sie wieder: »Nein, so kann es _nicht_ geschehen, er wird sich eine
+andere Art und Weise suchen.«
+
+Und dann, wie er fragt: »Ißt du denn nichts?«, kommt ihr plötzlich der
+Gedanke: »Es wird _gar_ nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn malt
+es mir aus.«
+
+Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er dasitzt, in sich
+zusammengekrochen und die Blicke irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser
+gerichtet, bloß nicht auf sie, dann weiß sie: »Es wird _doch_
+geschehen.«
+
+Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: »Was hast du da in der
+Sackleinwand?«
+
+Er zieht finster den Mund in die Höhe und antwortet: »Meine
+Wasserstiefel.« Aber sie weiß, daß das nicht wahr sein kann, denn deren
+Absätze sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen geklappert.
+
+Dann packt sie die Speisen zusammen und geht nach dem Vorderende zurück.
+
+Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr Kopftuch tief in die Augen
+ziehen.
+
+Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, auch der schwarze Rand
+des Ibenhorstes ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt sich die
+fruchtbare Niederung, wo der Morgen tausend Mark kostet und die Bauern
+Rotwein auf dem Tische haben.
+
+Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen liegt, der große, reiche
+Marktort, in dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus und ein
+gehen dürfen. »Wenn der Willus Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus
+und ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja nie Pfarrer sein. Wird
+etwa die Busze ihn auf die hohe Schule gehen lassen?«
+
+Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann kommt die Stelle, an der die
+Gilge sich abzweigt. Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin im
+Grünen verschwinden, fragt aber nichts.
+
+Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache wieder und sagt: »Du, Indre,
+von nun an heißt es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die Memel.«
+
+Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann wird es wieder still. So
+lange still, bis Ansas plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach
+vorne zeigt.
+
+Sie wendet sich um und fragt: »Was ist?«
+
+»Was wird sein?« sagt er. »Tilsit wird sein.«
+
+Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß nach ihm. Er lacht übers
+ganze Gesicht, weil sie nun bald da sind.
+
+»Es wird _nicht_ geschehen,« denkt sie. »_Der_ Mensch kann sich nicht
+freuen, der so Schreckliches mit sich herumträgt.«
+
+Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so gar keine Neugier zeigt.
+
+»Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,« sagt er, »und hinten
+steht auch Napoleons Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.«
+
+Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. Und so kommen sie
+immer näher.
+
+Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, und die Eisengerüste hoch
+oben, die in der Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen -- so was
+hat sie wirklich noch nie gesehen.
+
+»Alles war Unsinn,« denkt sie. »Es wird _nicht_ geschehen.«
+
+Und dann kommen Holzplätze, so groß wie der Anckersche in Ruß, und
+Schornstein nach Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit
+Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in Memel. Denn Memel kennt sie.
+Dorthin ist sie früher manchmal zum Markt mitgefahren und um die See zu
+sehen.
+
+Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer vorgestellt. Die acht
+Kugeln sind wirklich da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es gar
+nicht anders sein könnte.
+
+Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem steinernen Ufer zu. Dort, wo er
+festmacht, liegen schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren
+Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus Tawe und Inse, die ihren
+Fang am Morgen verkauft haben.
+
+»Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,« sagt einer neidisch,
+»und verderbt uns die Preise?«
+
+Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, antwortet ihm gar
+nicht. Für solche Gespräche ist er zu stolz.
+
+Indre breitet das weiße Reisetuch über den vorderen Abschlag und setzt
+die Speisen darauf. Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat sie auch
+Soleier und selbstgeräucherten Lachs mit eingepackt. Und da sie seit
+halb vier in der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie jetzt, daß
+ihr schon längst vor Hunger ganz schwach ist.
+
+Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes einander nahe gegenüber
+und essen das Mitgenommene als Mittagbrot. Geld, um in ein vornehmes
+Gasthaus zu gehen und sich auftafeln zu lassen vom Besten, hat Ansas
+wohl übergenug. Aber das ist nicht Fischergewohnheit.
+
+Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, aber das Herz liegt
+ihr von all dem Fürchten noch wie ein Stein in der Brust.
+
+Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen kann, denn die Erwartung,
+ihr alles zu zeigen, läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: »Nun
+kann es losgehen.« Aber vorher kehrt er noch nach hinten zurück, das
+Hängeschloß zu holen, damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet.
+
+Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter den runden Sack, der vor dem
+Steuersitz liegt. Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und
+sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei erschrickt und zu ihr
+herüberglupt, ob sie's auch nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer
+Brust wird schwerer.
+
+Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und er ihr alles erklärt, denkt sie
+wieder: »Es kann nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis haben.«
+
+Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, die breit ist wie ein Strom
+und an ihren Rändern lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern kann
+man sich kaufen, was man will, und alles ist viel schöner und prächtiger
+als in Memel.
+
+Der Ansas sagt: »Hier aber ist das Schönste,« und weist auf ein Schild,
+das die Aufschrift trägt: »Konditorei von Dekomin«.
+
+Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt macht, so beschließen sie
+auch sogleich hineinzugehen und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen.
+
+Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die Indre da! In einer langen,
+schmalen Stube, in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit von
+der Wand ein Tisch, der von einem Ende bis zum andern reicht und der
+ganz bedeckt ist mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten aller
+Art.
+
+»Da wollen wir nun schwelgen,« sagt der Ansas und reckt sich.
+
+Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr die Stücke einzeln auf
+den Teller legen. Auch einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist süß
+wie der Himmel und klebt an den Fingern, so daß man immerzu nachlecken
+muß.
+
+»Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?« fragt sie.
+
+»Nun, das versteht sich,« sagt er und lacht.
+
+Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, daß sie die Kinder
+vielleicht niemals mehr sehen wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an
+-- und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. Der Mund steht
+ihm offen, ganz hohl sind die Backen, und die Augen schielen an ihr
+vorbei.
+
+»Es wird _doch_ geschehen,« denkt sie und legt den Teelöffel hin, ißt
+auch nicht einen Bissen mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller
+verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie mit den Fingerspitzen
+auf und denkt dabei -- -- ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch
+er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet kein Wort.
+
+Also wird es _doch_ geschehen!
+
+Dann, wie er aufsteht, sagt er: »Nun laß dir einpacken.« Aber sie kann
+nicht. »Bring _du_ es ihnen,« sagt sie, und er tritt an den Tisch und
+sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, denn seine Augen gehen
+immer nach ihr zurück, als will er was sagen und traut sich nicht.
+
+Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, die von der
+Nachmittagssonne geheizt ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck
+und fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies ist das und jenes ist das.
+Aber sie hört kaum mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer Angst. Die
+kommt und geht, wie die Haffwellen ans Ufer schlagen.
+
+Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, in dessen Schaufenster auch
+Kindersachen ausliegen. »Wir wollen 'reingehen,« sagt sie. »Du kannst
+den Kindern ein Andenken mitbringen.«
+
+»Andenken? An wen?« fragt er und stottert dabei.
+
+»An mich,« sagt sie und sieht ihn fest an.
+
+Da wird er wieder rot, wendet die Augen ab und fragt nichts weiter.
+
+Es wird also ganz sicher geschehen.
+
+Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze mit roten Rändern, damit
+er sich nicht schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für die Elske
+eine blaue Kappe gegen die Sonne und für den kleinen Willus -- was kann
+es viel sein? -- ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn zu binden.
+»Vielleicht werden doch noch einmal Pfarrerbäffchen daraus,« denkt sie
+und verbeißt ihre Tränen.
+
+Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, sagt zu Ansas gewandt:
+»Vielleicht haben Sie auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.«
+
+Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man die Indre eine »Frau
+Gemahlin« nennt, was von einer litauischen Fischersfrau wohl nicht
+häufig gesagt wird.
+
+Und der junge Mann fährt fort: »Vielleicht darf ich auf unsere echten
+Schleiertücher aufmerksam machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung
+erlauben darf, das, welches die Frau Gemahlin augenblicklich trägt, ist
+etwas -- durchgeschwitzt.«
+
+Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, denn noch hat sie nicht den
+Mut gehabt, sich irgendwo zu besehen. Und der junge Mann breitet eilig
+seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus Spinnweben gemacht und haben
+Muster wie die schönsten Mullgardinen.
+
+Ansas wählt das teuerste von allen -- er getraut sich gar nicht, ihr zu
+sagen, _wie_ teuer es ist --, und der junge Mann führt sie vor eine
+Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie sie das Tuch am Halse
+geknotet hat, so daß es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, da
+weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu lassen.
+
+»Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!« ruft er ein Mal über das
+andere. »Nie hat dieser Spiegel etwas Schöneres gesehen!«
+
+Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der Ansas sich freut.
+
+Im Rausgehen wendet er sich noch einmal um und fragt den jungen Mann, ob
+er wohl weiß, wie die Züge gehen.
+
+»Zur Ankunft oder zur Abfahrt?« fragt der junge Mann.
+
+Und Ansas meint, das wäre ganz gleich.
+
+Da lächelt der junge Mann und sagt, bald nach viere komme einer an, und
+gegen sechse fahre einer ab. Man habe also die Auswahl.
+
+Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen sind: »Wir wollen lieber
+die Abfahrt nehmen, denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.«
+
+Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann man da machen?
+
+Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: »Wenn es _doch_ geschehen
+soll, warum hat er dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?«
+
+Und in ihr Herz kommt wieder einmal die Hoffnung zurück.
+
+Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, auf der ein Zettel klebt:
+
+ _Jakobsruh_
+ heute vier Uhr
+ _Großes Militärkonzert_
+ ausgeführt von der Kapelle
+ des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht.
+
+Und darunter steht alles gedruckt, was sie spielen werden.
+
+Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht geworden; kaum zu fühlen
+ist er. Aber sie hat Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das
+augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, auch Litauer zugegen
+sein dürfen -- und dazu noch in ihrer Landestracht.
+
+Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld bezahlt, ist
+eingeladen, gleichgültig ob er »_wokiszkai_« spricht oder
+»_lietuwiszkai_«.
+
+Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, daß es ja ein
+_litauisches_ Dragonerregiment ist, welches die Musiker hergibt, macht
+ihre Schamhaftigkeit etwas geringer.
+
+So fahren sie also in einer Droschke nach Jakobsruh, jenem Lustort, der
+bekanntlich so schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so hoch und
+schattengebend wie diese hat Indre noch nie gesehen, auch nicht in
+Heydekrug und nicht in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden gibt und
+dünne Erlen, könnte man sich von einer solchen Blätterkirche erst recht
+keinen Begriff machen.
+
+Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden Orte noch bange genug,
+denn ringsum sitzen an rotgedeckten Tischen lauter städtische
+Herrenleute, und als Ansas vorangeht, einen Platz zu suchen, recken alle
+die Hälse und sehen hinter ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken.
+
+Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. Er findet auch gleich
+einen leeren Tisch, wischt mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen
+und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm und ihr Kaffee und Kuchen
+zu bringen. Genau so, wie es die anderen machen.
+
+So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man fühlt sich gut geborgen bei ihm,
+und alle die Angst war ein Unsinn.
+
+Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut mit dünnen
+Eisenständern und einem runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit
+hellblauen Soldaten. O Gott, so vielen und blanken Soldaten! Während es
+doch sonst nur drei oder vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik
+machen.
+
+Zuerst kommt ein Stück, das heißt »Der Rosenwalzer«. So steht auf einem
+Blatt zu lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. Wie das
+gespielt wird, ist es, als flöge man gleich in den Himmel. Dicht vor den
+Musikern haben sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib gefaßt und
+drehen sich im Tanze. Da möchte man gleich mittanzen.
+
+Und hat sich doch vor einer Stunde noch in Todesnöten gewunden!
+
+Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und auch die Indre klatscht.
+
+Rings wird es still, und die Kaffeetassen klappern.
+
+Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie ihn etwas fragen will -- so
+gut ist sie schon wieder mit ihm --, da macht er ihr ein heimliches
+Zeichen nach links hin: sie soll horchen.
+
+Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame von ihr.
+
+»Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel hübscher als wir deutschen
+Frauen,« sagt die Dame.
+
+Und der Herr sagt: »In ihrer blassen Lieblichkeit sieht sie aus wie eine
+Madonna von -- --«
+
+Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. Auch was das ist:
+»Madonna«, weiß sie nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas
+gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich.
+
+Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit dem er gleichsam zu ihr in
+die Höhe schaut, und nun weiß sie, was sie schon im Laden geahnt hat: er
+ist stolz auf sie, und sie braucht nie mehr Angst zu haben.
+
+Dann hört die Pause auf, und es kommt ein neues Stück. Das heißt »Zar
+und Zimmermann«. Der Zar ist der russische Kaiser. Daß man von _dem_
+Musik macht, läßt sich begreifen. Warum aber ein Zimmermann zu solchen
+Ehren kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen trägt und immerzu
+Balken abmißt, bleibt ein Rätsel.
+
+Dann kommt ein drittes Stück, das wenig hübsch ist und bloß den Kopf
+müde macht. Das hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht.
+
+Aber dann kommt etwas! Daß es so was Schönes auf Erden gibt, hat man
+selbst im Traum nicht für möglich gehalten. Es heißt: »Die Post im
+Walde«. Ein Trompeter ist vorher weggegangen und spielt die Melodie ganz
+leise und sehnsüchtig von weit, weit her, während die andern ihn ebenso
+leise begleiten. Man bleibt gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und
+weil die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen dürfen, wie sie
+sich hat, springt sie rasch auf und eilt durch den Haufen, der die
+Kapelle umgibt, und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es einsam ist
+und wo hinter den Bäumen versteckt noch leere Bänke stehen.
+
+Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch aus den Augen, damit
+es nicht naß wird, und weint, und weint sich all die -- ach, all die
+ausgestandene Angst von der Seele.
+
+Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt ihre Hand. Sie weiß
+natürlich, daß es der Ansas ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie
+lehnt den Kopf an seine Schulter und sagt immer schluchzend: »Mein
+Ansuttis, mein Ansaschen, bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.«
+
+Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun wird, aber sie kann nicht
+anders -- sie muß immerzu bitten.
+
+Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand fest und sagt ein Mal über
+das andere: »Was redest du da nur? Was redest du da nur?«
+
+Sie sagt: »Noch ist es nicht gut. Ehe du es nicht gestehst, ist es noch
+nicht ganz gut.«
+
+Er sagt: »Ich habe nichts zu gestehen.«
+
+Und sie streichelt seinen Arm und sagt: »Du wirst es schon noch
+gestehen. Ich weiß, daß du es gestehen wirst.«
+
+Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu gestehen hat, und sie gibt
+sich zufrieden. Nur wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die Busze
+sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu kalt über den Rücken.
+
+Mit ineinandergelegten Händen gehen sie zu ihrem Tische zurück und
+kümmern sich nicht mehr um die Leute, die nicht satt werden können,
+ihnen nachzusehen.
+
+Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden sind und statt ihrer
+Biergläser stehen, bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen Herrn --
+aber kein Bier bestellt er, sondern eine Flasche süßen Muskatwein, wie
+ihn die Litauer lieben.
+
+Und beide trinken und sehen sich an, bis Indre sich ein Herz faßt und
+ihn fragt: »Mein Ansaschen, was heißt das -- eine Madonna?«
+
+»So nennt man die katholische heilige Jungfrau,« sagt er.
+
+Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: »Wenn's weiter nichts
+ist.« Denn die Neidischen, die sie ärgern wollten, haben sie schon als
+Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine fromme Lutheranerin
+gewesen.
+
+Und sie trinken immer noch mehr, und Indre fühlt, daß sie rote Backen
+bekommt, und weiß sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen.
+
+Da plötzlich fällt dem Ansas ein: »O Gott -- die Eisenbahn! Und die Uhr
+ist gleich sechse!«
+
+Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt mit zwei harten Talern. Dann
+fragt er noch nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber wie sie nun
+eilends dorthin laufen wollen, ergibt es sich, daß sie nicht mehr ganz
+gerade stehen können.
+
+Die Leute lachen hinter ihnen her, und die Dame am Nebentisch sagt
+bedauernd: »Daß diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.«
+
+Hätte sie gewußt, _was_ hier gefeiert wird, so hätte sie's wohl nicht
+gesagt.
+
+Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah an den Schienen entlang. Sie
+laufen und lachen und laufen.
+
+Da mit einmal macht es irgendwo: »Puff, puff, puff.«
+
+O Gott -- was für ein Ungeheuer kommt dort an! Und geradeswegs auf sie
+zu.
+
+Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen und fragt: »Ist sie das?«
+
+Ja, das ist sie.
+
+Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! Der Pukys mit dem
+feurigen Schweif und der andere Drache, der Atwars, sind gar nichts
+dagegen. Sie schreit und hält sich die Augen zu und weiß nicht, ob sie
+weiterlachen oder noch einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie
+beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und nimmt die Schürze vom
+Gesicht und macht: »Puff, Puff.« Genau so kindisch, wie die Elske machen
+würde, wenn sie den Drachen sähe, mit dem die Leute spazieren fahren.
+
+»Wohin fahren sie?« fragt sie dann, als die letzten Wagen vorbei sind.
+
+Und Ansas belehrt sie: »Zuerst nach Insterburg und dann nach Königsberg
+und dann immer weiter bis nach Berlin.«
+
+»Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?« bittet sie.
+
+»Wenn alles geordnet ist,« sagt er, »dann wollen wir nach Berlin fahren
+und den Kaiser sehen.« Dabei wird er mit einmal steinernst, als ob er
+ein Gelübde tut.
+
+O Gott, wie ist das Leben schön!
+
+Und das Leben wird immer noch schöner.
+
+Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt an dem »Anger« vorbeikommen,
+jenem großen, häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- und
+Pferdemärkte abgehalten werden, da hören sie aus dem Gebüsch, das den
+einrahmenden Spazierweg umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel und
+sehen den Glanz von Purpur und von Flittern durch die Zweige schimmern.
+
+Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, der an einem Karussell
+vorbeigeht, ohne begierig stehen zu bleiben.
+
+Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, und morgen früh will Ansas
+beim Kuhfuttern sein, aber was kann der kleine Umweg viel schaden, da
+man ja so wie so an vierzehn Stunden kreuzen muß.
+
+Und wie sie das runde, sammetbehangene Tempelchen vor sich sehen, dessen
+Prunksessel und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, da weist
+Ansas mit einmal fast erschrocken nach dem Leinwanddache, auf dessen
+Spitze ein goldener Wimpel weht.
+
+Sie weiß nicht, was sie da kucken soll.
+
+Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen rings auf den Dächern. Es
+stimmt! Der Wind ist nach Süden umgeschlagen -- und das Kreuzen unnötig
+geworden. In sieben Stunden kann der Kahn zu Hause sein.
+
+Also 'rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt sich wohl ein bißchen -- eine
+Mutter von drei Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt sie
+ja keiner. Also, fix, fix 'rauf auf die Pferde, sonst geht's am Ende
+noch los ohne sie beide.
+
+Und sie reiten und fahren und reiten wieder, und dann fahren sie noch
+einmal und noch einmal, weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig
+sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe geworden, und der
+Himmel jagt rückwärts als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie
+fahren noch immer und singen dazu:
+
+ »Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!
+ Ich liebe dich heute wie einst!
+ Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch,
+ Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.«
+
+Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal Freifahrt gehabt haben,
+singen dankbar mit, obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können.
+
+Aber schließlich wird der Indre übel. Sie _muß_ ein Ende machen, ob sie
+will oder nicht. Und nun stehen sie beide lachend und betäubt unter den
+johlenden Kindern und streuen in die ausgestreckten Hände die Krümel der
+Konditorkuchen, die sie aus Versehen längst plattgesessen haben.
+
+Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man sich liebt und Karussell dazu
+fährt!
+
+Dann nehmen sie Abschied von den Kindern und den Kindermädchen, von
+denen etliche sie noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg zu zeigen,
+sagen sie, aber in Wahrheit wollen sie bei Gelegenheit noch ein Stück
+Kuchen erraffen. Und sie hätten auch richtig was gekriegt, wenn sie bis
+zur Dekominschen Konditorei ausgehalten hätten. Aber die liegt ja, wie
+wir wissen, am andern Ende der Stadt.
+
+Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein schönes Paketchen
+zurechtmachen, aber diesmal sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt
+derweilen noch zwei Gläschen von dem klebrigen Rosenlikör und nimmt zur
+Sicherheit für vorkommende Fälle gleich die ganze Flasche mit.
+
+Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die Sonne längst untergegangen.
+Aber das macht nichts, denn der Südwind hält fest, und der Mond steht
+schon bereit, um ihnen zu leuchten.
+
+Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt ein Kinderspiel.
+
+Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, damit die Bodenbretter
+hübsch trocken sind, wenn die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie
+will nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn auf die Paragge,
+damit sie dem Ansas zusehen und sich im stillen an ihm freuen kann.
+
+Und dann geht es los.
+
+Die Ufer werden dunkler, und eine große Stille breitet sich aus. Sie muß
+immerzu daran denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz sie drückte,
+als sie vor acht Stunden desselben Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt
+Atem holen kann.
+
+Sie möchte am liebsten ein Dankgebet sprechen, aber sie will es nicht
+allein tun, denn er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er es
+auch.
+
+Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und Steuer, denn die
+Brückenpfeiler sind da und viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker
+liegen.
+
+Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist alles.
+
+Alsdann breitet sich der Strom, und der Mond fängt zu scheinen an. Die
+Wellchen sind ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und setzen sich
+und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen.
+
+Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber nicht, denn der Mond steht
+hinter ihr. Darum sagt er auch plötzlich: »Warum sitzt du so weit von
+mir weg?«
+
+»Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen hab',« sagt sie.
+
+»Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden wie Tag und Nacht,« sagt er.
+
+Und sie denkt: »Bloß daß jetzt Tag ist und damals Nacht war.«
+
+»Darum komm herüber und setz dich neben mich,« sagt er.
+
+Ach, wie gerne sie das tut!
+
+Aber als sie ihm näher kommt, da fällt ihr Blick auf die Sackleinwand,
+die zwischen seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt hat.
+
+Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. Sie sinkt auf die
+Mittelbank nieder und lehnt ihren Rücken gegen den Mast.
+
+»Warum kommst du nicht?« fragt er fast unwirsch.
+
+Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll sie ihn fragen, soll sie's
+mit Stillschweigen übergehen? Aber das weiß sie: dorthin, wo prall und
+rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er sie belügt, dorthin kann sie
+die Füße nicht setzen. Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen zu
+treten.
+
+Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit zu schaffen über das, was gewesen
+ist. Jetzt gleich im Augenblick. Denn später kommt sie vielleicht nie.
+
+Sie faßt sich also ein Herz.
+
+»Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, was du in der Sackleinwand
+hast?«
+
+Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem Schlangennest in den Fuß
+gebissen, aber er schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann sehen, wie
+er zittert.
+
+Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine Schulter, aber sie hütet
+sich wohl, der Sackleinwand zu nahe zu kommen.
+
+»Mein Ansaschen,« sagt sie, »es ist ja jetzt wieder ganz gut zwischen
+uns, aber ehe du nicht alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse
+nicht weg.«
+
+Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn schüttelt.
+
+»Und dann, mein Ansaschen,« sagt sie weiter, »geht es auch wegen des
+lieben Gottes nicht anders. Ich hab' vorhin beten wollen, aber die Worte
+blieben mir im Halse. Denn du standest mir nicht bei. Darum sag es
+schon, und dann beten wir beide zusammen.«
+
+Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt die Arme um ihre Kniee und
+gesteht alles.
+
+»Mein armes Ansaschen,« sagt sie, als er zu Ende ist, und streichelt
+seinen Kopf. »Da müssen wir aber _tüchtig_ beten, damit der liebe Gott
+uns verzeiht.«
+
+Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee nieder, faltet ihre Hände mit
+den seinen zusammen, und so beten sie lange. Nur manchmal muß er nach
+dem Steuer sehen, und dann wartet sie, bis er fertig ist.
+
+Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, und dann stehen sie wieder
+auf und sind guter Dinge.
+
+Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen zu sagen.
+
+Sie zeigt darauf hin und will es wissen.
+
+Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu sehr.
+
+Da sagt sie: »Ich werde selber öffnen.« Und er wehrt ihr nicht.
+
+Und wie sie den Sack aufreißt, was findet sie da? Zwei Bündel grüne
+Binsen findet sie, mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter nichts.
+
+Sie lacht und sagt: »Ist das die ganze Zauberei?«
+
+Aber er schämt sich noch immer.
+
+Da errät sie langsam, daß er damit nach dem Umschlagen des Kahnes hat
+davonschwimmen wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im tiefen
+Wasser paddeln.
+
+»Solch ein Lunterus bin ich geworden!« sagt er und schlägt sich mit den
+Fäusten vor die Brust.
+
+Aber sie lächelt und sagt: »Pfui doch, Ansaschen, der Mensch soll sich
+nicht _zu_ hart schimpfen, sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.«
+
+Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern richtet auch seine Seele
+wieder auf. -- -- --
+
+Wie sie sich neben ihn setzt -- denn er will sie nun ganz nahe haben --,
+da merkt sie, daß sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert,
+darum breitet sie zu seinen Füßen das weiße Reisetuch aus, das sie im
+vorderen Abschlag verwahrt hat, und legt sich darauf -- doch so, daß ihr
+Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und nun ist es genau so wie damals
+in Ibenhorst, als die Elske noch unterwegs war.
+
+Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück nicht, was sie zueinander
+reden sollen.
+
+Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras -- man kann den Thymian
+unterscheiden und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran und das
+Timotheegras -- und was sonst noch starken Duft an sich hat ... Der
+Stromdamm zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. Nur wo zufällig
+der Rasen den Abhang hinuntergeglitten ist, da leuchtet er wie ein
+Schneeberg. Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß man immer ein
+wenig aufpassen muß.
+
+Außer den plumpsenden Fischchen, die nach den Mücken jagen, ist nicht
+viel zu hören. Nur die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt ein Gehölz
+oder ein Garten, dann ist auch die Nachtigall da und singt ihr: »Jurgut
+-- jurgut -- jurgut -- wazok, wazok, wazok« ... Und der Wachtelmann
+betet sein Liebesgebet: »Garbink Diewa«. Sogar ein Kiebitz läßt sich
+noch ab und zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte.
+
+Und dann kommt mit einemmal Musik. Das sind die Dzimken, die ihre
+Triften während der Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber Gott
+weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern sie und singen, und bei Nacht
+singen sie auch.
+
+Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie ringsum. Einer spielt die
+Harmonika, und sie singen.
+
+Da hört man auch schon das hübsche Liedchen »Meine Tochter Symonene,«
+das jeder kennt, in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, die
+Symonene! Die zu einem Knaben kam und wußte nicht wie! Das kann wohl
+mancher so gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman geworden,
+wenigstens hat die Symonene es so geträumt.
+
+»Der Willus muß ein Pfarrer werden,« bittet die Indre schmeichelnd zu
+Ansas empor.
+
+»Der Willus wird ein Pfarrer werden,« sagt er ganz feierlich, und die
+Indre freut sich. Denn was in solcher Stunde versprochen wird, das
+erfüllt sich gleichsam von selber.
+
+So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald kommt ein nächstes. Darauf
+spielt einer gar die Geige. Und die andern singen:
+
+ »Unterm Ahorn rinnt die Quelle,
+ Wo die Gottessöhne tanzen
+ Nächtlich in der Mondenhelle
+ Mit den Gottestöchtern.«
+
+Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken erkennen die Frauenstimme und
+rufen ihnen ein »_Labs wakars!_« zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß will
+Ansas ihnen was Freundliches antun und läßt sich die Mühe nicht
+verdrießen, das Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen.
+
+Nun kommen sie alle heran -- es sind ihrer fünfe --, und der Jude, dem
+die Trift gehört, kommt auch.
+
+Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör ein, und sie erklären, so
+was Schönes noch nie im Leben getrunken zu haben.
+
+Und dann singen sie alle zusammen noch einmal das Lied von den
+Gottestöchtern, von dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei
+Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen.
+
+Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, und die Indre auch. Und der
+Jude wünscht ihnen »noch hundert Johr«!
+
+Wären's bloß hundert Stunden gewesen, der Ansas hätt' sie brauchen
+können.
+
+Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal hervorgeholt ist, wäre es
+unklug gewesen, sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und zu
+einen Tropfen und werden immer glücklicher.
+
+Noch an mancher Trift kommen sie vorbei und singen mit, was sie nur
+singen können, aber halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör
+ihnen zu schade.
+
+Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, aber sie wehren sich tapfer.
+Denn sonst -- weiß Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben!
+
+Nur eins darf der Ansas sich gönnen -- nämlich von dem Abschlag
+hernieder auf die Bodenbretter zu gleiten. So kann er die Indre in
+seinem linken Arm halten und mit dem rechten das Steuer versehen.
+
+Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner Brust und denkt selig: »Der
+Endrik -- und die Elske -- und der Willus -- und nun sind wir alle fünfe
+wieder eins.«
+
+Mit einmal -- sie wissen nicht wie -- ist Ruß da. Sie erkennen es an dem
+Brionischker Schornstein, der wie ein warnender Finger zu ihnen sagt:
+»Paßt auf!«
+
+Die Dzimken, die dort mit ihren Triften liegen, sind nun richtig
+schlafen gegangen. Auch ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die
+tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? Von Ruß gibt es ein
+hübsches Liedchen:
+
+ »Zwei Fischer waren,
+ Zwei schöne Knaben,
+ Aus Ruß gen Westen
+ Zum Haff gefahren.«
+
+Das singen sie aus voller Kehle, und um hernach die Kehle anzufeuchten,
+wollen sie noch einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, aber siehe
+da, -- die Flasche ist leer.
+
+Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird immer zärtlicher.
+
+»Ach, liebes Ansaschen,« bittet die Indre, »gleich kommt der große
+Ellbogen, und dann geht es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig
+sein.«
+
+Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist auch schon der blanke
+Szieszefluß, da wo die Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine mehr an
+und steuert nach links. Es geht zwar schwer, aber es geht doch noch
+immer.
+
+Bis nach Windenburg hin, die anderthalb Meilen, läuft der Strom nun so
+schnurgerade, wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man hinter der
+Mündung der Mole ein wenig auszuweichen braucht.
+
+Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche Stelle ist, dort, wo gerade
+bei Südwind der Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff seitlich stark
+einsetzt, dort muß man die Sinne doppelt beisammen halten -- aber bis
+dahin ist noch lange, lange -- -- ach, wie lange Zeit!
+
+»Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich vergeben hast, dann mußt du's
+mir auch beweisen.«
+
+»Ansaschen, du mußt aufpassen.«
+
+»Ach was, aufpassen!« Wenn man so lange blind und verhext neben der
+Besten, der Schönsten, neben einer Gottestochter dahergegangen ist und
+die Augen sind wieder aufgetan, was heißt da aufpassen?
+
+»_Meine_ Indre!«
+
+»_Mein_ Ansaschen!« -- -- --
+
+Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder nebeneinander, und der
+Kahn fährt dahin, als säße die Laime selber am Steuer.
+
+»Ansaschen -- aber nicht einschlafen!«
+
+»Ach, wo werd' ich einschlafen.« -- --
+
+»Ansaschen -- wer einschläft, den muß der andere wecken.«
+
+»Jawohl -- den -- muß -- der andere wecken.« -- -- --
+
+»Ansaschen, du schläfst!«
+
+»Wer so was -- sagen kann, -- der schläft -- selber.«
+
+»Ansaschen, wach auf!«
+
+»Ich wach'. Wachst du?«
+
+Und so schlafen sie ein.
+
+ * * * * *
+
+Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. Sie weckt also ihren Mann
+und sagt: »Doczys, steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.«
+
+»Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?« fragt der Doczys, sich den
+Schlaf aus den Augen reibend. »Fischen tu' ich erst morgen.«
+
+»Die Indre hat solche Reden geführt,« sagt die Doczene, »es ist besser,
+wir fahren ihnen entgegen.«
+
+Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und setzt die Segel.
+
+Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es schon Tag, und der Frühnebel
+liegt so dicht, daß sie keine Handbreit vorauf sehen können.
+
+»Wohin soll ich fahren?« fragt der Doczys.
+
+»Nach Windenburg zu,« bestimmt die Doczene.
+
+Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen entgegen, und sie müssen
+kreuzen.
+
+Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf.
+
+Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel gedrungen -- eine
+Frauenstimme.
+
+»Gerade drauf zu!« schreit die Doczene. Aber er muß ja kreuzen.
+
+Und sie kommen schließlich doch näher -- ganz nahe kommen sie.
+
+Da finden sie die Indre auf dem Wasser liegen, wie die Wellen sie auf
+und nieder schaukeln.
+
+Wie hat es zugehen können, daß sie _nicht_ ertrunken ist?
+
+Rechts und links von ihrer Brust ragen halb aus dem Wasser zwei Bündel
+von grünen Binsen, die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken
+zusammengebunden.
+
+Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit immerzu: »Rettet den Ansas!
+Rettet den Ansas!«
+
+Ja -- wo ist der Ansas?
+
+Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder hochgekommen ist, da hat
+sie seine Hände gefühlt, wie er wassertretend die Binsen an ihr
+befestigte. Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm.
+
+Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie finden ihn nicht. Nur den
+umgeschlagenen Kahn finden sie. An dem hätte er sich wohl halten können,
+aber er ist ihm sicher davongeschwommen, dieweil er die Binsen an Indres
+Leibe befestigte.
+
+Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre liegt auf den Knieen und
+betet um ein Wunder.
+
+Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei Tage später lag er oberwärts
+friedlich am Strande.
+
+ * * * * *
+
+Neun Monate nach dem Tode des Ansas gebar ihm die Indre einen Sohn. Er
+wurde nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, das heißt
+»Abschluß« benannt. Doch weil der Name ungebräuchlich ist, hat man ihn
+meistens nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein ansehnlicher Mann.
+
+Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft in gutem Stande, die Elske hat
+einen wohlhabenden Besitzer geheiratet, und der Willus ist richtig ein
+Pfarrer geworden. Seine Gemeinde sieht in ihm einen Abgesandten des
+Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm.
+
+Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt im Ausgedinge bei dem ältesten
+Sohn. Wenn sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie weiß, daß
+sie nun bald im Himmel mit Ansas vereint sein wird, denn Gott ist den
+Sündern gnädig.
+
+Und also gnädig sei er auch uns!
+
+
+
+
+ Miks Bumbullis
+
+
+ 1
+
+Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer gegangen, hatten sich
+dann beim Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, wie das junger
+Menschenkinder gutes Recht ist, und als sie sich dem Försterhause
+näherten, verschämt und verstohlen, da war es fast schon heller Tag.
+
+Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe im Wohnzimmer des Herrn
+noch brannte. Er winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins Haus zu
+schleichen, und tat so, als sei er schon bei der Arbeit. Er machte sich
+an dem Holzlager zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche
+Erlenkloben zwecklos übereinander.
+
+Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des alten Hegemeisters auf sich zu
+lenken und der Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern.
+
+Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den er erwartet hatte, blieb aus.
+
+»Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,« dachte er und setzte
+erleichtert die Pfeife in Brand.
+
+Aber da sah er, wie vom Giebelende her die Eve mit heftigen Gebärden
+nach ihm zu rufen schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und
+erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie beim Nachsehen das
+Bettchen der kleinen Anikke leer gefunden habe.
+
+Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen Neffen, das der Alte
+zu sich genommen hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter aus
+Gram darüber dem Lungenhusten erlegen war. Als erster Gedanke stieg dem
+Grigas auf, daß nur eine der Laumen die Anikke entführt haben könne.
+Denn daß diese Feen sich mit dem Wegnehmen und Auswechseln von Kindern
+befassen, auch lange nachdem sie getauft sind, das weiß ja selbst der
+Dümmste.
+
+Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung war, wollte ihm nicht Recht
+geben. Die brennende Lampe -- und die Stille im Haus -- und dazu kam
+noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen bemerkt haben wollte: Das
+Fenster war geschlossen gewesen, aber in einer der Rauten hatten die
+Scherben gehangen.
+
+So faßte er sich denn ein Herz und machte sich dicht vor der
+erleuchteten Stube zu schaffen.
+
+Und beim Hineinschielen -- was sah er da? Der alte Wickelbart lag auf
+dem Boden in seinem Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme
+schlief das Kind.
+
+Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen wieder lebendig. Sie
+wußten auch gleich, wer's getan hatte: »Miks Bumbullis« sagten sie fast
+in einem Atemzuge.
+
+Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei Tagen von dem alten Hegemeister
+abgefaßt worden, wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm und dazu
+ein »_Tewe musso_« betete. Denn das Vaterunser ist immer gut gegen das
+Abgefaßtwerden. Aber diesmal hatte es dem Miks nichts geholfen. Er hatte
+sogar noch seine Flinte hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht
+gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, weil er genau wußte,
+daß sein Gefangener ihn während des Weges trotz seiner Schußwaffe
+überwältigen würde.
+
+Und nun hatte er doch daran glauben müssen. Denn mit dem Miks Bumbullis
+war nicht zu spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze ging, wo dem
+Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt wurde, wo man dem Juden den Schnaps
+auf die Straße goß, -- der Miks war überall dabei. Nun gar das verdammte
+Wilddieben!
+
+Und er hätte es so gut haben können! Die Wirtstöchter weit und breit
+waren nach ihm aus. Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für eine! Mit
+einem Hof von hundertzwanzig Morgen. -- Die hatte schon zweimal den
+Vermittler zu ihm geschickt.
+
+Aber er? Nun, da sah man's ja.
+
+Der Grigas und die Eve hoben das Kind aus dem starr gewordenen Arm, und
+als sie ihm das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe zogen, da
+wachte es nicht einmal auf.
+
+Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen und lächelte wie so ein
+Engelchen.
+
+Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den Leichnam abzuwaschen und auf
+die Totenbahre zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit noch ein,
+daß man jeden, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist, liegen
+lassen muß, wie er gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht dagewesen
+sind. Und so geschah es auch.
+
+
+ 2
+
+Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er trieb sich in den Krügen umher
+und erklärte in seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, er sei
+von dem Hegemeister beklappt worden. Darum müsse er jetzt auf ein paar
+Jahr in die Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts.
+
+Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, streckte er die Zunge aus und
+bestand darauf, daß der Krüger sich das Geld für die Zeche selber aus
+der Hosentasche hole, denn er müsse die kostbaren Armbänder schonen, die
+der Staat ihm geschenkt habe.
+
+Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit einem blonden
+Unschuldsgesicht. Trug das Haar noch von der Soldatenzeit her glatt an
+der Seite gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten Augen gelassen in
+die Runde.
+
+Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, als der
+Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der alte Hegemeister habe es zwar
+schon lange auf ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen Mann würde er
+auch sicherlich auf ihn abgedrückt haben, das hätte die Ehre von ihm
+gefordert; den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer getan.
+
+Soweit war alles in Ordnung.
+
+Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten habe?
+
+Und nun kam die merkwürdige Wendung.
+
+Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue Flinte zu beschaffen. Wo,
+sage er nicht.
+
+Was er denn mit der Flinte habe anfangen wollen, da er doch sicher
+gewesen sei, alsbald verhaftet zu werden?
+
+Er habe über die Grenze gehen wollen, und da drüben müsse man immer was
+in der Hand haben.
+
+Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, daß, wenn er nicht angeben
+wolle, _wo_ er den Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als
+abgetan betrachten könne. Aber auch das half nichts.
+
+Noch an demselben Tage wurde er zwischen zwei Gendarmen auf einen
+Bretterwagen gesetzt und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren.
+Das Publikum in Heydekrug sammelte sich am Wege und starrte ihn an. Das
+schien ihm großen Spaß zu machen.
+
+Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission mit der dienstfertigen
+Würde des guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, als
+ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen Heimkunft abgefragt
+wurden.
+
+Der Tatbestand war klar. Der Bruch der Fensterscheibe schien auf einen
+Schrotschuß hinzuweisen, obwohl nur _eine_ Wunde -- dicht über dem
+Herzen -- sich vorfand. Genaueres festzustellen blieb der Leichenöffnung
+vorbehalten. Fußspuren ließen sich nicht entdecken.
+
+Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt wurde, tasteten ein halbes
+Dutzend Augenpaare gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick,
+der so manches Geständnis aus der Seele reißt, verging ungenutzt.
+Ruhevoll -- ein wenig neugierig fast -- blickte Miks auf den liegenden
+Körper nieder und sah sich dann, als suche er irgend etwas, in der Stube
+um.
+
+Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, ein kluger, kleiner Mann,
+der in der Seele des fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch
+eindrucksvoller übersetzte, verhallten ungehört.
+
+»Ich weiß von rein gar nuscht,« blieb die einzige Antwort.
+
+Nur als hierauf die kleine Anikke weinend hereingeführt wurde, flog ein
+Schein wie von plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge -- einen
+Augenblick nur --, dann war er wieder der alte.
+
+Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor den fremden Männern nichts
+herausbringen. Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im
+Zwiegespräch ausgeplaudert hatte.
+
+Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor Angst nicht einschlafen
+können und immerzu geweint. Da sei der Großvater gekommen, habe sie aus
+dem Bettchen genommen und zu sich aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es
+draußen geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und dann habe er sich
+auf die Erde gelegt und sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie
+eingeschlafen.
+
+Der Untersuchungsrichter wandte sich an Miks.
+
+»Als Sie auf den Hegemeister anlegten und das Kind auf seinem Schoß
+sitzen sahen, schlug Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner
+das unschuldige Wesen treffen könnten?«
+
+»Ich weiß von rein gar nuscht,« war wie immer die Antwort. Aber etwas
+wie ein Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als das Kind
+hinausgeführt wurde, sah er ihm mit einem Blick nach, wie der Hund nach
+der Wurst.
+
+Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem Geständnis, wo er in der
+Johannisnacht eingebrochen war. Sonderbarerweise hatte er sich den Hof
+jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb Jahren auf ihn Jagd
+machte. Er habe gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz einer Flinte
+gewesen sei, und die habe er sich holen wollen. Es sei aber nichts zu
+finden gewesen.
+
+Woher er das Haus so genau kenne, daß er den Einbruch mit Aussicht auf
+Erfolg habe unternehmen können?
+
+Darauf blieb er die Antwort schuldig.
+
+
+ 3
+
+Nun trat -- vorgeladen -- Frau Alute Lampsatis in die Erscheinung. Eine
+hübsche Dreißigerin mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig
+weggeschnürten Busen. In dem roten, fleischigen Gesicht saß ein Paar
+unruhig sinnlicher Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche
+glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, obwohl das reiche rotblonde
+Haar keines Schmuckes bedurfte.
+
+In gebrochenem Deutsch, doch mit großem Wortschwall versicherte sie, sie
+sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+
+Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte sie der Richter. Sie habe
+nur zu bezeugen, ob sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von
+einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe.
+
+Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand
+könne ihr etwas Schlechtes nachsagen.
+
+Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Dolmetsch
+holen ließ, der sie in ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr
+die Lust zu Ausflüchten verging.
+
+Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre Nichte -- die Madlyne --, als
+die vom Johannisfeuer gekommen sei, da habe sie einen Mann aus dem
+Fenster der Klete steigen sehen, der in der Richtung nach dem Walde
+verschwunden sei.
+
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich an. Sie glaubten den
+Schlüssel zu den Aussagen der ehrbaren Witwe gefunden zu haben.
+
+Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte gleich mitgebracht hatte.
+Sie wurde heraufgeholt und stellte sich als ein achtzehnjähriges
+Püppchen dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. Sie war im
+Sonntagsstaat, trug eine grünseidene Schürze über der selbstgewebten
+Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus dem reichgestickten Mieder
+hervorquollen. Ein Bauernmädchen wie aus der Operette.
+
+Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn sie sprach ein
+ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, klare Antworten und konnte auf der
+Stelle vereidigt werden.
+
+Sie war -- gleich Grigas und Eve -- gegen Morgen vom Johannisfeuer
+gekommen --
+
+»Allein?«
+
+Sie senkte schämig die langwimprigen Lider.
+
+»Ganz allein.«
+
+-- da habe sie schon von weitem den Hund bellen hören und sich darum
+hinter dem Zaun versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein Mann aus
+dem Fenster der »Kleinen Stube« gestiegen.
+
+»Ich denke, der Mann kam aus der Klete?« fragte der Richter.
+
+Die Klete -- der Raum, in dem die haltbaren Vorräte aufbewahrt werden --
+pflegt sich in älteren Wirtschaften unter einem gesonderten Dache zu
+befinden.
+
+»Ak nei, ak nei,« versicherte Madlyne, und vor lauter Bekenntniseifer
+schoß ihr das Blut in das Wachspuppengesicht. »Akkrat aus der Stubele is
+er gekommen, das kann ich beschwören.«
+
+»Und wo schläft deine Tante, Madlyne?«
+
+»Die schläft in der Stuba -- der Großen Stube -- das kann ich
+beschwören.«
+
+Die Große und die Kleine Stube liegen stets auf derselben Seite des
+Hausflurs und sind durch eine Tür verbunden.
+
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich abermals an.
+
+Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer Frau Alute wieder
+hereingerufen.
+
+Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch die schwerwiegenden Folgen
+eines etwaigen Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den
+Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage Madlynens und dem,
+was sie von ihr erfahren haben wollte, bestand.
+
+Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine anständige Besitzerin, und
+niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt auch
+der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, der ihr sämtliche
+Höllenstrafen der Reihe nach vorführte.
+
+Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall fürchtete, auf eine
+Gegenüberstellung der beiden Verwandten verzichten zu sollen, und
+beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen Einbruchs der Klärung
+näherzubringen.
+
+Ob sie eine Flinte im Hause habe.
+
+Sie verneinte heftig.
+
+Oder gehabt habe.
+
+Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes sei wohl ein Schießgewehr
+dagewesen, womit der Selige die Karekles -- die jungen Krähen -- von den
+Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann krank geworden sei, habe
+er es eines Tages an den Juden verkauft.
+
+»An welchen Juden?«
+
+Das konnte sie natürlich nicht wissen. »Der Jude ist der Jude, und einer
+sieht aus wie der andere.«
+
+Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit sorgsam umgangen
+hatte, hielt den Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten
+ins Treffen zu führen.
+
+Ob sie den Miks Bumbullis kenne.
+
+Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt oder auch nur befangen.
+
+Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht kennen. Er war ja mit ihrem
+seligen Mann immer zusammen über die Grenze gegangen.
+
+Der Dolmetsch sah den Richter verstehend an. Schmuggeln taten sie in den
+Grenzdörfern alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. Der Miks
+konnte sich also wohl der Flinte erinnert haben, die sein ehemaliger
+Kumpan mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem Verkauf nichts wußte,
+durfte er mit etlichem Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt
+herumstand.
+
+Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem Hause gewesen sei.
+
+Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal den seligen Mann des Abends
+abgeholt.
+
+»Wozu abgeholt?«
+
+»Nun, über die Grenze zu gehen.«
+
+Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals die Flinte aufbewahrt habe.
+
+Sie stutzte und besann sich, als wittere sie den heimlichen Zusammenhang
+der scheinbar ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen.
+
+Und dann fing sie an zu wehklagen und zog sich auf die Plattform der
+anständigen Besitzerin zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen
+könne.
+
+Von diesem Augenblick an war nichts mehr aus ihr herauszuholen. Auf ihre
+Vereidigung wurde verzichtet.
+
+
+ 4
+
+Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam heran. Eine große Zeugenschar
+war aufgeboten. Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte sich
+als das eines rücksichtslos strengen Verfolgers, dem schon viele Rache
+geschworen hatten und dem es nie in den Sinn gekommen war, selbst
+harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. So war zum Beispiel, wie
+sich zufällig herausstellte, auch der selige Mann der Frau Lampsatis
+durch ihn ins Gefängnis geraten. Der hatte also, wie es schien, seine
+Flinte nicht bloß zum Krähenschießen benutzt.
+
+Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht übersehen, daß, wenn
+Miks ein leidliches Alibi beibringen konnte, statt seiner ein anderer
+als Täter in Frage kam.
+
+Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam und häufig teilnahmlos auf der
+Armsünderbank. Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als in den blaß
+hinstarrenden Augen malte sich die geistige Übermüdung, die diese des
+scharfen Denkens ungewohnten Naturkinder oft überfällt, wenn sie ihr
+Schicksal dem Spiel und Widerspiel der Zeugenschaften anheimgegeben
+sehen.
+
+Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute keine Schuhschnalle
+hervorschob, war wieder ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende
+Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges Schmunzeln selbst bei den
+Greisen der Geschworenenbank.
+
+Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute ließ sich auch heute keine
+Einigung erzielen. Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre
+Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt hatte, der Mann, den sie
+gesehen habe, sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, daß
+sie so etwas nie gesagt haben könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit
+gewesen.
+
+Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, den er genommen haben
+wollte. Er habe die unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die
+Große Stube hineingetastet --
+
+In der _Großen_ Stube schlief Frau Alute! Sie hätte bei seinem Kommen
+erwachen müssen!
+
+Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er sich in die Kleine Stube
+geschlichen, habe Wände und Winkel abgetastet und sei schließlich, als
+das Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster hinausgeklettert.
+
+Warum er nicht den bequemeren Rückweg durch Große Stube und Hausflur
+gewählt habe.
+
+Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt.
+
+Das klang einigermaßen glaubhaft und stimmte mit Madlynens Aussage
+überein. Aber der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer Tante erzählt
+haben sollte und ihrer beschworenen Aussage klaffte noch immer. Und dann
+war auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, daß er in Frau
+Alutes Auftrag zweimal bei Miks gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten.
+
+Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte vereidigt werden. Sie wurde
+noch einmal ausdrücklich ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger
+in die Höhe, da geschah das Unerwartete, daß Miks in die Eidesworte
+hineinzusprechen anfing.
+
+Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach weiter. Schwerfällig,
+tropfenweise fielen die litauischen Worte aus seinem Munde.
+
+Frau Alute horchte hoch auf und -- brach dann weinend zusammen.
+
+Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht und lautete: »Ich habe dir
+zwar bei Gott und bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht nichts
+davon zu sagen, aber es ist doch besser, daß du deine Seele nicht mit
+einem Meineide beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. Drum sage
+doch lieber die Wahrheit.«
+
+Unter Schreien und Händeringen kam, was geschehen war, nunmehr ans
+Tageslicht.
+
+Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen in ihrem Bette. Da wurde
+sie plötzlich durch Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur
+näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts helfen würde, denn Madlyne
+und die Magd und der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. Da fing
+sie zu beten an und erwartete ihr Ende. Aber dann hörte sie plötzlich
+ihren Namen nennen und erkannte Miksens Stimme. »Geh weg,« sagte sie,
+»wenn ich auch nach dir geschickt habe, ich bin eine anständige
+Besitzerin, und niemand soll mir was Schlechtes nachsagen können.« --
+»Ich will gar nicht bei dir schlafen,« antwortete er, »ich will bloß,
+daß du mir das Gewehr gibst, das deinem Mann gehört hat, denn der
+Hegemeister hat mir meines weggenommen.« -- »Das Gewehr ist nicht mehr
+da,« sagte sie, »und wenn es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn
+du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.« Das bestritt er, aber
+sie glaubte ihm nicht. Und als er sich daraufhin wieder entfernen
+wollte, sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und verlegte ihm den
+Weg. Da fühlte er, daß sie im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den
+Morgen.
+
+Die große Spannung löste sich. Die Unschuld Miksens schien erwiesen. Und
+auch die Frage, warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau da war,
+statt einfach durch die Haustür zu gehen, durch das Kleinestubenfenster
+geklettert war, wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden
+hinreichend aufgeklärt. Man war des Glaubens gewesen, Madlyne sei
+inzwischen heimgekommen, und da ihre Kammer auf der anderen Seite des
+Hauses lag, hätten die Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen
+können.
+
+»Das hättet ihr gleich sagen können,« meinte der Vorsitzende. Und da auf
+weitere Zeugenvernehmungen verzichtet wurde, begann der Staatsanwalt
+gleich seine Rede.
+
+Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle wie von selber dem
+Richterspruche zu. Der Losmann Miks Bumbullis wurde von der Anklage des
+Mordes freigesprochen und wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis
+verurteilt.
+
+Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch als Frau Alute, die sich
+inzwischen von ihren Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf ihn
+zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. Sein Blick hing wie
+erstarrt an einem Platze der Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd,
+schmutzig und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen Äpfeln
+nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt hatte. Sie war der
+Vollständigkeit halber mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie
+ausgesagt.
+
+Als Miks abgeführt werden sollte -- an Haftentlassung war natürlich
+nicht zu denken --, wandte er sich noch einmal nach dem Kinde um, als
+wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. Aber der Gerichtsdiener
+stieß ihn hinaus.
+
+
+ 5
+
+Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann zu verfallen, denn niemand
+war da, der sein Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen Anikke
+entspann sich ein Prozeß zwischen dem Forstfiskus und der Gemeinde, der
+ihr verschollener Vater angehört hatte. Beide wollten die
+Erziehungspflicht einander in die Schuhe schieben. Und da der Fiskus an
+allzuviel Gemüt nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft
+zwischen dem Toten und dessen verwaistem Pflegling ihm als ausreichender
+Grund zustatten kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener Gast
+an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits froh war, sie für ein kleines
+Entgelt an den Ort abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit über
+gehaust hatte.
+
+So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen öffentlich versteigert und
+kam an den Mindestfordernden, den Häusler Kibelka, einen wenig
+vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar Groschen brauchte, um
+sie in Branntwein anzulegen.
+
+Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem Gott und Menschheit die
+sorgenden Augen abgewandt haben, in seinem stummen Jammer leidet, das
+hat noch niemand erkannt und beschrieben, und niemand wird es je
+erkennen und beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, was Prügel und
+Kälte, was vor allem das Fehlen jedes streichelnden Wortes in der noch
+nicht erschlossenen Seele ersticken und zerfressen, bis aus dem in
+unbewußter Zuversicht aufjauchzenden jungen Leben ein scheu zitterndes,
+in sich verkrochenes, kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein geworden
+ist, das verliert sich in Dunkel und Schweigen. Alljährlich wird ein
+unermeßlicher Haufe von solchem Menschenkehricht ins Grab geschaufelt,
+wo es zu seinem Besten hingehört. Und nur wie durch ein Wunder senkt
+sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder und hebt eins oder das
+andere der schon fast abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor.
+
+Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der Hofhund allenfalls!
+
+Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie er von einem gutgesinnten
+Mittagssonnenschein sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das
+einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. -- -- --
+
+Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, sprang anschlagend auf und
+fegte mit schleppender Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches.
+
+Anikke, die allein zu Hause war, sah einen Menschen durch das Hoftor
+kommen, der sich vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte zuschritt,
+an der sie sich schutzsuchend festhielt.
+
+Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er halt und sagte: »Ist der Wirt
+zu Hause?«
+
+Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln gruben, aber um nichts in
+der Welt hätte sie antworten können.
+
+»Wie heißt du?« fragte er weiter.
+
+In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen vergessen.
+
+Der Hund belferte dazwischen, und erst, als der fremde Mensch ihm mit
+seinem Stock eins überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte zurück.
+
+Dann kam der Fremde näher an sie heran, immer den Stock vorhaltend, in
+den der Hund sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt werden sollte,
+und fing furchtbar zu weinen an.
+
+Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und mit jähem Rucke fortgezogen,
+während der Hund, von einem neuen Schlage getroffen, sich um und um
+kugelte.
+
+»Wein nicht, wein nicht, ich tu' dir nichts,« hörte sie seine Stimme.
+Denn vor lauter Tränen sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang
+irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie hörte zu weinen auf.
+
+»Bist du die Anikke?«
+
+»Ja--a.«
+
+»Willst du ein Lakritzenholz haben?«
+
+Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen die großen Kinder manchmal,
+wenn die Schule aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab.
+
+Und dann gab der fremde Mensch ihr aus einer Tüte eine schöne gelbe
+Stange, in die sie auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum noch
+Angst vor ihm.
+
+Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse sah er nicht aus. Viel guter
+als der Wirt. Und er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges Haar
+hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. Und sie wußte jetzt auch, wo
+sie ihn schon gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen wie in der
+Kirche. Aber statt _eines_ Pfarrers im Talar hatte gleich ein ganzer
+Tisch voll dagesessen.
+
+»Wie alt bist du, Anikke?«
+
+»Ich werd' sieben.«
+
+»Gehst du schon in die Schule?«
+
+»Nein.«
+
+»Warum nicht?«
+
+»Ich hab' nichts anzuziehen, sagt die Frau.«
+
+Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete lange das Lumpengezottel,
+in das sie notdürftig gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt wohl
+finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung des Feldes und geleitete ihn
+auch ein Stück, denn sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen.
+
+Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er ihr die ganze Tüte, die er
+solange in der Hand gehalten hatte, und sagte: »Versteck's, daß die
+anderen es dir nicht wegessen.«
+
+Damit schickte er sie zurück und schritt in der Kartoffelfurche weiter,
+bis er auf den Wirt stieß, der mit Weib und drei Kindern kniend nach
+Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte und stöhnte auf seine
+Art.
+
+Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz von den Hosen abschüttelnd
+stand er auf, ihm die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht der Mörder
+war, so hätte er doch immer der Mörder sein können. Sich mit ihm gut zu
+stellen, war geraten.
+
+»Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,« sagte er, »denn wen der
+Staat ernährt, der ist geborgen.« Dabei lachte er höhnisch und
+einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige Maul ging ihm bis an
+die Ohren.
+
+»Ihr habt es hier um so schwerer,« sagte Miks Bumbullis, die Fläche
+überblickend, die in ihrem dürren Kraut unausgegraben dalag.
+
+Auch das Weib war aufgestanden und wischte sich die Hand an dem
+sacktuchenen Schurzfell. Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit
+scharfen, mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen gafften.
+
+Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. Der nasse September -- und
+schon alles im Faulen -- und fremde Hilfe zu teuer.
+
+»Wenn Ihr billige Hilfe braucht,« sagte Miks, »ich wüßte wohl eine.«
+
+»Wer wird so dumm sein!« lachte der Wirt. »Selbst der Henker läßt sich
+bezahlen.«
+
+»Ich hab' mir einiges gespart,« sagte Miks, »und wenn man mir sonst
+freie Hand läßt, bring' ich noch ab und zu was in die Wirtschaft.«
+
+Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie rasch und gierig ein und
+fragten nicht weiter.
+
+So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem Pfleger Anikkes.
+
+Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu kümmern, und es vergingen
+drei Tage, ehe er sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer
+sei, das da immer im Hause herumkrieche.
+
+Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit der Sprache heraus, denn der
+Mordverdacht saß ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten
+sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen waren und daß sie es eigentlich
+bloß um Gottes Barmherzigkeit willen bei sich behielten.
+
+Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf und sagte nur: »Der Vater
+soll in Amerika sein. Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er jeden
+belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.«
+
+Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten Mittag durfte das kleine,
+bleiche Lumpenbündelchen, das sonst von dem Ofenwinkel her stumm wartend
+herübersah, mit den Kindern zu Tische sitzen.
+
+Als der Sonnabendabend kam, verschwand Miks Bumbullis und kam am
+Sonntagvormittag mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet und in den
+Spalten mit Erde verklebt war.
+
+Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt hatte, und alle standen
+ringsum und sahen voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel
+die Teile auseinandernahm und jeden einzelnen putzte und ölte, bis die
+Waffe blitzblank und schußbereit wiedererstand.
+
+Und wiederum am Sonntag gab es bei den Kibelkas ein Rehstück zu Mittag,
+was nicht passiert war, solange die Welt stand. Alle schwelgten, und
+selbst der Hofhund bekam seinen Knochen.
+
+Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten Kleidchen da, das der
+Miks ihr mitgebracht hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen
+Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr geschah.
+
+»Ich verstehe ja deine Meinung,« sagte der Wirt, »aber wenn der Vater
+_nicht_ aus Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.«
+
+»Dann tu' ich's wie ihr um Gottes Lohn,« erwiderte Miks, »man muß sich
+immer ein Beispiel nehmen.«
+
+Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem Knecht zu, denn die
+Schnapsbuddel saß ihm allzeit locker.
+
+»Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule schicken,« meinte Miks
+Bumbullis so nebenbei.
+
+Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. Der Gendarm sei schon zweimal
+dagewesen, und sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man könne
+schließlich noch Strafe zahlen.
+
+Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als Anikke am Montag morgen die
+Kinder zur Schule begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar
+eine Schiefertafel.
+
+
+ 6
+
+Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun höchst angesehen im Hause. Er
+pflegte das Pferd blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die
+Dreschflegel gingen: »Ubags, ubags, ubags«, -- sein Schlag war immer
+herauszuhören.
+
+Lohn forderte er nicht, und er hätte auch keinen bekommen, denn der Wirt
+vertrank jeden Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich ab und zu
+in der Morgen- oder der Abenddämmerung hinter der Scheune zu schaffen
+machte und vorläufig nicht mehr wiederkam.
+
+Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, so daß sie nun ebenso
+fein aussahen wie Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er mit, dem
+einer nach dem anderen standhalten mußte. Kibelka meinte zwar, es sei
+sündhaft, es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber schließlich
+lieh auch er sich den Kamm aus.
+
+Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. Die warme Schule -- und das
+reichliche Essen -- und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam sie hie
+und da noch einen Stirnicksel, aber der tat kaum einmal weh, denn sie
+fühlte in seliger Geborgenheit, daß einer da war, der sie vor
+Schlimmerem beschützte.
+
+Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, aber ihm ganz nahe zu
+kommen wagte sie nicht, denn er ermunterte sie nie.
+
+Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an seinem Gesicht, und als sie
+die Geschichte vom lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß
+der ebenso ausgesehen hatte wie er.
+
+Eines Abends, als der Kienspan brannte, war er besonders vergnügt und
+sagte zum Ältesten, dem Jons: »Willst du reiten?« Der wollte natürlich
+gern, und er nahm ihn auf sein Knie und sang dazu: »Apappa, upappa.«
+Dann kam die Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. Und sie stand im
+Winkelchen und dachte, die Tränen verbeißend: »Ich bin ja nur das
+Ziehkind, und darum will er mich nicht.«
+
+Aber da sagte er auch schon: »Die Anikke muß auch.«
+
+Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie traute sich nicht. Dann,
+als er sie hochhob, war es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken.
+So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz schwindlig wurde, bis
+der Jons, abgünstig geworden, einmal über das andere schrie: »Ich will
+auch solange!«
+
+Diese Augenblicke waren das Schönste, was sie je erlebt hatte, denn daß
+schon einmal einer dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten hatte,
+das war ihr inzwischen aus dem Sinne verschwunden. Nur eines langen
+weißen Bartes erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei der
+Weihnachtsmann gewesen, von dem der Lehrer erzählte.
+
+Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, und wenn man gegen den
+Schneesturm laufend bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete das
+manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe gekauft und eine
+wollengefütterte Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden
+sind. Die drei Hauskinder bekamen die gleichen, so daß ein Neid nicht
+entstehen konnte.
+
+Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X für ein U machen und sagte
+mit süßsaurem Lächeln: »Meine Kinder haben es ja sehr gut bei dir, aber
+der liebe Gott wird schon wissen, was du damit verhehlen willst.«
+
+Miks sagte darauf: »Wenn einer Kinder liebhat, was braucht er da zu
+verhehlen?« und wandte sich ab.
+
+Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen in der Kleinen Stube, die
+gut geheizt wurde, sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, wo es
+jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich aus den Zeiten ihrer
+Zurücksetzung so erhalten, und sie wünschte es sich gar nicht anders,
+denn in der Kammer nebenbei schlief der Miks.
+
+Aber nun der Winterfrost gekommen war, konnte sie gar nicht recht
+einschlafen und lag in ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke
+frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen Morgen.
+
+Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von der Knechtskammer her ein
+leises Knirschen und Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare
+Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich wenden soll.
+
+Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten in ihrem Frieren die Decke
+vom Leibe, ging in die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch mehr
+als vor Kälte: »Miks, tut dir was weh?«
+
+Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. Und dann griffen
+zwei Arme nach ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und wärmte
+sich auf und schlief auch bald ein.
+
+Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und war da wie in Abrahams Schoß.
+
+Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß niemand etwas davon merken
+konnte. Auch beachtete er sie bei Tage nicht häufiger als früher. Aber
+nun grämte sie sich nicht mehr darüber, denn sie wußte ja zu allen
+Zeiten, wie gut er's mit ihr meinte.
+
+Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. Manchmal schlief er sogar
+noch früher ein als sie selber.
+
+
+ 7
+
+Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, da wurde Miks Bumbullis auf
+einem seiner Wege zum Walde von einer Frauensperson angerufen, die bis
+zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande im Schnee saß.
+
+Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme gleich erkannt.
+
+»Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,« sagte er. »Ich habe schon
+immer einmal zu dir kommen wollen.«
+
+»Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,« erwiderte sie, »und hätte ich
+dir nicht aufgelauert, so wären auch noch drei weitere verstrichen.«
+
+»Das ist wohl möglich,« meinte er. »Was man nicht gern tut, verschiebt
+man immer wieder.«
+
+»Sagst du mir das ins Gesicht?« knirschte sie, und ihre Augen blitzten
+ihn an.
+
+»Ich sage, was wahr ist,« erwiderte er.
+
+»Dann will ich dir _auch_ sagen, was wahr ist!« schrie sie. »Daß _du_
+den Hegemeister erschossen hast -- daß deine Flinte da, mit der du's
+getan hast, _meine_ Flinte ist -- und daß ich meine Seele dem ewigen
+Verderben verkauft habe -- und Madlynens Seele dazu, die meine
+Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, was ich wollte. _Das_
+ist die Wahrheit.«
+
+»Und dann ist die Wahrheit,« fuhr er fort, »daß du mir die Flinte in die
+Hand gegeben hast und zu mir gesagt hast: >Mein Seliger hat es schon tun
+wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. Nun tu du es, sonst hast du
+keine Ehre im Leibe.< _Das_ ist die Wahrheit.«
+
+»Und ferner ist die Wahrheit,« nahm sie ihm die Rede aus dem Munde, »daß
+ich einen Tag und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich dich am
+besten vor der Leibesstrafe bewahren konnte, denn wenn ich einfach
+ausgesagt hätte: >Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,< dann hätte mir
+keiner geglaubt. Darum hab' ich der Madlyne eingegeben, sie habe dich
+aus dem Stubenfenster steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum
+habe ich dir zehnmal vorgesprochen -- alles -- auch was du zu sagen
+hast, wenn ich die Schwurfinger erhebe. Denn du bist ja so dumm wie ein
+Deutscher.«
+
+»Und du bist so klug wie der Teufel,« erwiderte er.
+
+»Es ist gut,« sagte sie, in die Runde schauend, »daß uns hier niemand
+hören kann außer den Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen.
+Aber man weiß nie, was noch werden kann, wenn sich einer im Zorn
+vergißt. Darum frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: Willst du
+dein Versprechen halten?«
+
+»Ich weiß von keinem Versprechen,« stöhnte er.
+
+»Natürlich weißt du von keinem Versprechen, aber _ich_ weiß, daß seit
+zwei Jahren die Menschen mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein
+Freiwerber mehr bei mir sehen läßt -- nicht für mich und auch nicht für
+die Madlyne, und seit Michaeli treffe ich keinen, der nicht speilzahnig
+fragt: >Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas den Knecht spielt?<
+Darum frage ich dich zum überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken,
+der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?«
+
+Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer.
+
+»Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,« bat er.
+
+»Jawohl,« höhnte sie, »erst bis nach Fastnacht -- und dann bis zum
+Palmsonntag -- und dann immer so weiter. -- Aber es soll gut sein. Bis
+nach Fastnacht werd' ich warten. Schickst du dann keinen, dann weiß ich,
+woran ich mit dir bin.«
+
+Und es klang noch fast wie ein Schöndank, was er da stammelte.
+
+Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal um und sagte: »Die Leute
+erzählen sich, daß du das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist,
+hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. Deine Seele kaufst du
+doch nicht los, und der Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.«
+
+Damit schritt sie von dannen.
+
+Miks Bumbullis war von dem allen zumute, als hätte er mit der Axt eins
+vor den Kopf bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, dann
+taumelte er in den Wald hinein. Aber er schoß nichts, und er sah auch
+nichts. Er dachte bloß immer das eine: »Ich bin bis heute sehr glücklich
+gewesen und habe es nicht gewußt.«
+
+Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das Kind in der Nähe zu haben. Er
+sicherte die Flinte und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen
+konnte.
+
+Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag und die leisen, kleinen
+Schritte nähertappten und das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm
+hineinschob, da war er wieder wie im Himmel. Er fing so bitterlich zu
+weinen an, wie ein Mann sonst nur in der Kirche tut.
+
+Da weinte auch das Kind und wußte doch gar nicht, warum. Er tröstete
+sie, und sie streichelte ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er es nicht
+getan.
+
+
+ 8
+
+Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu keinem Handeln entschließen.
+Den Freiwerber zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, denn
+jedermann wußte, wie die Dinge standen. Er mußte also den Gang schon
+selber machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er zu sich: »Also nächsten
+Sonntag.« Und dabei blieb es.
+
+Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn dort hätte er ihr ja
+begegnen können.
+
+So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. Er saß am Vormittag
+in seiner Kammer und schnitzelte für Anikke an einem Springbock. Da kam
+der Älteste, der Jons, eilfertig zu ihm herein und sagte: »Es ist eine
+draußen, die will dich sprechen -- eine Feine.«
+
+Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte die Arbeit hin und ging.
+
+Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen Kopftuch und einer
+seidenen Schürze die Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte sie an,
+obgleich es noch ziemlich rauh war, und alles an ihr sah rund aus und
+quoll und wippte.
+
+Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und fragte, ob er wohl einen
+kleinen Spaziergang mit ihr machen wolle.
+
+»Ich will nicht, aber ich muß wohl,« sagte er.
+
+Und dann gingen sie zusammen zum Walde, dorthin, wo er vor einem
+Vierteljahr die Alute getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort.
+
+»Du wunderst dich wohl, warum ich noch nicht verheiratet bin,« begann
+sie endlich. »Ich kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich will
+nicht.«
+
+»Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,« erwiderte er, »und ich
+soll daran schuld sein.«
+
+»Schuld magst du schon sein,« erwiderte sie und lächelte, »aber anders,
+als sie denkt. Wenn du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit
+durchfüttern müssen.«
+
+»Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,« sagte er.
+
+»Nach menschlichem Willen geht es meistens nicht,« erwiderte sie. »Und
+wenn du einen guten Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. Meiner
+Mutter Schwester macht falsche Redensarten. Es könnte sein, daß es eines
+Tages zu spät ist.«
+
+»Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch sich selber an,« warf er
+ein.
+
+»Und mich genau ebenso,« erwiderte sie, immer in der gleichen lächelnden
+Weise. »Aber seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht
+allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß des Hegemeisters gesessen
+hat, als das Unglück geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße
+sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt sie dazu. Und keiner
+weiß. Aber ein bedenkliches Gesicht macht ein jeder.«
+
+Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den dieses rachsüchtige
+Geschwätz gehen würde. Und sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst
+so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm und sich selber die
+Grube.
+
+»Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,« sagte Madlyne mit ihrem
+lieblichen und verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder
+Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch Schlimmerem gar. »Denn
+ich war ja noch sehr jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber du,
+Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin ich der Meinung, du läßt keinen
+Tag mehr verstreichen und kommst heute nachmittag zu uns auf den Hof.
+Dann wird sie schon Ruhe geben.«
+
+»Wirt bei euch,« sagte er, »kann ich nur sein unter einer Bedingung: daß
+Alute gut zu dem Kinde ist.«
+
+»Das willst du mitbringen?« fragte sie, und in ihrem Erschrecken
+verschwand zum ersten Male das Lächeln von ihrem Angesicht.
+
+»Das will ich mitbringen,« erwiderte er beinahe feierlich, »sonst komm'
+ich nie und nimmermehr.«
+
+Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und sah stumm in die Höhe. Und
+ihre wasserhellen Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. Dann
+sagte sie: »Zurzeit ist sie freilich dem Kinde noch bös gesinnt, denn
+sie meint, daß du es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den Willen
+tust und die Scham von ihr nimmst, wird sie sich wohl mit ihm versöhnen.
+Außerdem bin ich ja auch noch da, und ich hab' Kinder sehr lieb.«
+
+»Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,« entgegnete er finster.
+
+»Wann hast du schon das Farnkraut blühen gesehen, daß du so allwissend
+tust?« fragte sie und sah ihn neckend von unten auf an.
+
+In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal und das des Kindes
+nicht gar so drohend mehr, und er sagte: »Ich werd' also kommen.«
+
+
+ 9
+
+So geschah's, daß am Himmelfahrtstage Miks Bumbullis und Alute Lampsatis
+im Brautwinkel saßen und die Hochzeitsgäste in hellen Haufen um sie her.
+Auf dem Tische standen leckere Speisen in Menge, und über ihm hing von
+der Decke herab die künstlich geflochtene Krone, in der silberglänzende
+Vögel sich wiegten.
+
+Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und Spruchbändern reichlich
+beschenkt worden, und das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe
+geworfen wird -- denn niemand soll wissen, wieviel ein jeder gegeben --,
+dieser unwillkommene Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die
+meisten ihren guten Taler nicht loswerden konnten.
+
+Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, die, was einst geschehen
+war, mit dem Mantel der Nächstenliebe bedeckte.
+
+Die Kibelkas waren auch geladen, und der Ehemann lag schon längst in
+seligem Schlaf hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten sie
+nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute so bestimmt. Und sie erwies
+sich damit wieder einmal als die klügste von allen. Denn wenn die
+ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des Hauses unter den Gästen
+herumbewegt hätte, so wären Befremden und Verdacht alsbald am Werke
+gewesen, den verständnislosen Klatsch noch mehr ins Böse zu wenden.
+
+Als nun aber die Brautsuppe kam, deren Branntwein Alute mit Kirschsaft
+und Honig üppig gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst unter
+den Frauen immer kühner aufflackerten, da wurde auch lächelnd des armen
+Kindes gedacht, das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen war.
+
+»Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was Lebendiges mit in die Ehe,«
+sagte eine der Nachbarinnen. »Hier tut es der Bräutigam, obwohl er noch
+Junggesell' ist.«
+
+Und eine andere sagte: »Ihr braucht euch gar nicht erst selbst zu
+bemühen. Euch fliegen die Kinder nur so vom Himmel.«
+
+Und eine dritte: »Kauft's den Kibelkas ab. Für eine Buddel Schnaps gibt
+er euch auch die drei eigenen dazu.«
+
+Alute, die heute das rotblonde Haar würdig unter dem Frauentuch
+versteckt hielt und auf deren Wiste eine goldene Brosche strahlte, so
+groß wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles mit nachsichtigem
+Lächeln an und sagte dann gleichsam überlegend: »Ihr habt eigentlich
+Recht. Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, aber ich glaube,
+er wird es nicht zugeben, weil es gar zu sonderbar aussieht.«
+
+Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal ganz harmlos und
+aufrichtig war. Was denn dabei sei! Und »wenn er das Kind doch nun
+einmal gern hat?«
+
+Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen zu lassen und die
+kleine Anikke sofort aus Wiszellen zum Feste zu holen.
+
+Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller Freude schweigend dasaß, stieg
+das Herz hoch, aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch später
+noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu Dank die Stunden des Festes
+verkürzen.
+
+Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen den Gästen herumhuschte
+und wegen ihrer niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke von den
+Burschen »Melinoji kielele« -- das Bachstelzchen -- gerufen wurde, war,
+als sie in dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, lauschend stehen
+geblieben und sagte nun mit einem Lachen hinüber: »Wenn ihr es alle
+durchaus begehrt, dann bin ich die erste, die sich den Dank der Wirtin
+verdienen muß, und das werde ich morgen auch tun.«
+
+Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem von Dank nicht viel zu lesen
+stand, aber sie war schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich gegen
+drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich gelassen hatten, um sich mit
+ihr ein bißchen herumzureißen.
+
+Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel genug auf dem Hofe und am
+dritten auch. Als aber alles still geworden war und die jungen Eheleute
+nicht zum Vorschein kamen, da machte sich Madlyne auf den Weg und kam
+zwei Stunden später mit der kleinen Anikke wieder, die ein neues,
+grüngesticktes Miederchen anhatte und mit großen, sehnsüchtig
+ängstlichen Augen der künftigen Heimat entgegensah.
+
+Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit einem Bündel, in dem die
+Siebensachen des Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor in Sicht
+kam, mußte er Schuhchen und Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie
+nicht etwa barfuß ankam.
+
+Es war nun wirklich so, als ob eine kleine Prinzessin ihren Einzug
+hielt.
+
+Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar und aß dicke Milch mit
+Zucker, denn es war Vesperzeit.
+
+Anikke löste sich von Madlynens Hand und wollte auf Miks zueilen, da sah
+sie ein Paar Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren machte;
+sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts oder zurück.
+
+Aber da kam auch schon die lustige Madlyne ihr nach und sagte: »Warum
+hast du Angst vor deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat
+versprochen, sie tut dir nichts.«
+
+Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie ihn in der Schule gelernt
+hatte, und wartete auf ein Willkommen.
+
+Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute noch darauf warten.
+
+
+ 10
+
+Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine Anikke es schlecht gehabt
+hätte, der würde sehr im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu kluge
+Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch ein sichtbares Hervorkehren
+ihrer Abneigung dem Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt
+teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein verderben mußte. Sie tat
+darum so, als ob sie das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, und
+ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit durch doppelte Liebesdienste
+von ihm bezahlen.
+
+Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt und ein treuer Verwalter. Er
+arbeitete von früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln
+gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, und als die Roggenaust begann,
+wurde beim Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen war eine große
+Veränderung vor sich gegangen. Er trieb sich nicht mehr in den Krügen
+herum und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach Hause. Auch das
+Wilddieben hatte er aufgegeben, und wenn die Versuchung an ihn
+herantrat, nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, seine Frau
+wünsche es nicht.
+
+Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, was der Alute einst an ihm
+gefallen hatte, war sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen.
+Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten und Forschesten von allen zu
+eigen zu haben, und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend ein
+Kopfhänger neben ihr herging.
+
+Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, blieb ihr freilich verborgen,
+denn das geschah nur, wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte er
+mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als zweie nicht nötig sind, und
+ersann sich täglich neue dazu.
+
+Da war eines, das hieß »die Katzenfalle«. Dabei muß einer durch die
+hohlen Arme des anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich für ihre
+Kinderärmchen viel zu dick war, so gab das des Lachens kein Ende. Und
+ein anderes »die Windmühle«. Wenn man die darstellen will, muß man sich
+zwei Hopfenstangen kreuzweis am Leibe festbinden lassen und sich nun
+ganz rasch um sich selber drehen. Kann der andere eine der Stangen
+ergreifen und so die Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er
+gewonnen.
+
+So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die Dämmerung hinein, aber
+beileibe nicht auf dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr Lachen
+nirgends zu hören war. Denn sie hatten immer ein Gefühl, als sei dies
+nicht wohlgelitten.
+
+Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, die durfte sogar die dritte
+im Bunde sein. Und dann ging es erst recht hoch her.
+
+Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens wo anders heftig beschäftigt.
+Denn hinter dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit und breit, und
+immer war ein Gejacher um sie herum und ein Gegluckse, das nahm kein
+Ende.
+
+Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte und der Freiwerber die Stube
+betrat, dann konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß er noch den
+Kirschschnaps austrank, so sehr lachte Madlyne. Hinterher machte Alute
+ihr stets die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht im
+mindesten daran.
+
+»Was willst du von mir?« sagte sie. »Arbeite ich nicht ebenso fleißig
+wie eine Magd? Und weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft steckt,
+so arbeite ich auch für mich selber.«
+
+Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war alles die Wahrheit.
+
+Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in der Klete geschlafen, denn sie
+meinte, die jungen Eheleute möchten im Hause am liebsten allein sein.
+Aber weil die Burschen ihr dort bis in den Morgen keine Ruhe ließen und
+der Hofhund aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte sie wieder
+in die Kammer jenseits des Hausflurs über. Und Miks war neidisch auf
+sie, denn in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem nahm er an, daß
+die Burschen ihr selbst hierhin folgten, und er wollte nicht, daß Anikke
+erwachte, wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch hatte er
+freilich keinen ertappt, aber wie sollte es anders sein.
+
+Und so verliebter Natur war Madlyne, daß sie es nicht unterlassen
+konnte, selbst ihm von ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu
+geben. Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. Wie ihr ganzes
+Wesen, so war auch dies von einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so
+daß man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man nicht darauf eingehen
+wollte.
+
+Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach eine einzige große
+Liebkosung, die um so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie ernst
+zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit der sie sich an ihn
+heranschmeichelte, machte jeden Gedanken an künftige Buhlschaft
+zuschanden.
+
+Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, hörte er sie eine Daina singen,
+die lautete umgedeutscht etwa so:
+
+ Liegt mir ein Lämmlein
+ Im reißenden Strome,
+ Frag' ich nicht lange,
+ Ob ich's errette,
+ Nein doch, ich springe ihm nach.
+
+ Liegt der Geliebte
+ Im Arme der Muhme,
+ Frag' ich mich täglich,
+ Ob ihn erretten,
+ Und ich weiß doch nicht wie.
+
+ Gönn' ich den Lieben
+ Der bösen Muhme,
+ Die ihm mit Tränkchen,
+ Aus Giftkraut bereitet,
+ Zankend den Schlummer verdirbt?
+
+ Oder ich sage:
+ »Komm, lieber Schwager,
+ In meiner Kammer
+ Steht eine Bettstatt
+ -- Ach, so schmal ist das Bett! --
+
+ Aber zur Mauer,
+ Der eiskalten Mauer,
+ Rück' ich geschwinde,
+ Daß du es warm hast
+ Und mich im Arm hast und schläfst.«
+
+ Soll ich's ihm sagen,
+ Oder verschweig' ich's,
+ Bis einst der Kummer
+ Vom Lager der Muhme
+ Nach dem Strome ihn treibt?
+
+ Und hätt' ich tausend
+ Der Lämmlein errettet,
+ Ihn, den ich liebe,
+ Ließ ich verderben,
+ Und ich sprang ihm nicht nach.
+
+Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn er wollte sie nicht wissen
+lassen, daß sie von ihm belauscht worden war. Und als er sie wiedersah
+und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, konnte er es nicht
+fassen, daß sie ein so finsteres und hitziges Lied gesungen hatte.
+
+Und ein anderes Mal, als sie die kleine Anikke auf dem Schoße hielt,
+sang sie folgendes:
+
+ Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,
+ Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,
+
+ Ich schenkte dir Betten von Seide so weich
+ Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.
+
+ Auch einen Liebsten schenkt' ich dir wohl,
+ Der dich zur Kirche hinführen soll.
+
+ Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?
+ Ich lieg' alleine und bang' mich und frier',
+
+ Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,
+ Der siehet mich nicht und höret mich nicht.
+
+ Wenn der mich wollte und ließe von ihr,
+ Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.
+
+Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob er sie nicht einmal in die Arme
+nehmen sollte. Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an all die
+jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft hatten, erschien es ihm
+nicht gut genug, ein »Kuszbendris« -- ein Weibsteilhaber -- zu sein;
+auch mochte er um des Kindes willen das Haus nicht mit Verdacht und
+Unfrieden erfüllen.
+
+Aber der Unfriede kam auch ohne dies.
+
+Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit dem Kinde von der anderen Seite
+des Hauses her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren Zwischentür
+kein Schloß und keine Klinke hatte und darum immer ein wenig offen
+stand.
+
+Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau zu liegen, und machte
+allerlei Ausflüchte, um sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da ihm
+nichts Besseres einfiel, fing er das Leben wieder an, das er einst
+geführt hatte, als das große Unglück noch nicht geschehen war. Denn nur
+so konnte er die Nacht zum Tage machen.
+
+Er suchte die Krüge auf, von wo aus im Schutze der Dunkelheit der
+Schmuggel über die Grenze ging, und da es nicht immer was zu tragen gab,
+nahm er auf alle Fälle die Flinte mit, um das Frühmorgenlicht für einen
+Rehbock auszunutzen.
+
+So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder in schlechten Ruf kam, und
+Alute, die deswegen gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und ihn
+noch kurz vorher einen »Schwanzeinkneifer« genannt hatte, schalt ihn nun
+heftig aus, weil ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle
+würde.
+
+Aber er kehrte sich nicht daran.
+
+Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und sagte: »Es tut nicht gut,
+Miks, daß du so oft unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause
+halten.«
+
+»Aus welchem Grunde wünschst du mir das?« fragte er.
+
+»Sieh dir das Kind an,« erwiderte sie und wandte sich ab.
+
+Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich genommen,
+daß es der kleinen Anikke gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die
+Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte seine Frau noch nie etwas
+Feindseliges gegen sie unternommen. Höchstens daß sie sie nicht
+beachtete.
+
+Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, fiel ihm auf, daß es
+ungerufen nicht mehr an ihn herankam, sondern sich zaghaft in den
+Winkeln herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich aus und hatte
+doch während des Sommers geblüht wie ein Tausendschönchen.
+
+Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, aber es wollte nicht mit der
+Sprache heraus. Nur weinen tat es bitterlich.
+
+Da legte er sich eines Abends auf die Lauer und mußte erleben, daß Alute
+das Kind mit einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen
+Schnallen steckten.
+
+Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß der Armen Kleider und Hemde
+herunter und fand das Körperchen von oben bis unten mit Striemen und
+blauen Flecken bedeckt.
+
+Da hob er den Zaum auf, den das wütende Weib von sich geworfen hatte,
+und prügelte es so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. Auch
+gegen Madlyne wandte er sich in seinem Zorn, und von nun an saß der
+Teufel im Hause.
+
+Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte er oft, wenn der Kummer ihn
+zur Nacht aus dem Hause trieb.
+
+
+ 11
+
+So geschah es eines Novembermorgens kurz vor dem roten Sonnenaufgang,
+als er durchfroren im jungen Schnee saß und gerade auf einen schönen
+Bock anlegen wollte, daß er rückschauend eine Flintenmündung auf sich
+gerichtet sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den er wohl kannte.
+
+Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, aber er wußte: es war zu
+spät. Darum stand er ganz gemächlich auf und sagte: »Na, wieviel Jahr'
+wird es kosten?«
+
+»Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet hast, Miks,« erwiderte
+der stämmige Förster, der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war,
+und er fügte hinzu: »Die Flinte laß liegen. Die hol' ich mir später.
+Sonst könnte es passieren, daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst
+und meine dazu.«
+
+»Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute es machen,« lachte Miks und
+schlug, ohne erst viel zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er ja
+doch abgeliefert werden mußte. Der Förster ging zehn Schritt weit
+hinterdrein und hielt die Flinte schußbereit.
+
+»Dreh dich lieber nicht um,« sagte er ganz freundlich, als Miks das
+Gespräch fortsetzen wollte, »sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im
+Genick.«
+
+Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über das Geschehene nachzudenken.
+Daß er von der Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber dann
+plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis in die Kniekehlen hinein. Das
+Kind! Was wird nun aus dem Kinde?
+
+»Ich Dummerjan,« dachte er, »schon wegen des Kindes allein hätt' ich es
+nicht dürfen.«
+
+Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, wie er von der
+Untersuchungshaft aus die kleine Anikke in andre Pflegschaft bringen
+könnte. Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit der
+Behörden auf das Kind zurücklenkte und in den Verhören irgend ein
+Widerspruch laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, das Alute
+damals aufgebaut hatte, davon zusammenfallen wie eine Haferhocke.
+
+Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb mitleidig, halb schadenfroh
+den Zug begleiteten. Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat sich
+der Förster. So gingen sie in halblauten Gesprächen neben dem Miks
+daher, und weil sie wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand,
+erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch den Mord auf dem Gewissen
+habe.
+
+Miks Bumbullis hörte das alles. Es war ein rechter Leidensweg.
+
+Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem Schritte, und als er vor dem
+Hause des Gendarmen ankam, hatte er ein Gefolge wie ein König. -- --
+
+Miks bestritt natürlich alles. Von dem Bock wisse er nichts. Er habe nur
+ein paar Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes
+Verbrechen sein.
+
+Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden zu machen, fragte der
+Richter.
+
+O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja bei dem Kinde bleiben.
+
+In der Hauptverhandlung kam er mit seinem Weibe und Madlyne wieder
+zusammen. Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, das Kind möchte
+nicht geladen sein, denn es war nun schon groß genug, um zu verstehen,
+welche Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich nicht da war, tat ihm
+das Herz weh. Er hätte es so gern einmal wiedergesehen.
+
+Madlyne gab sich lange nicht so adrett und fixniedlich wie dazumal, und
+ihre Augen waren klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen auch
+diesmal wie aus der Pistole geschossen.
+
+Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in Gebrauch genommen. Ja
+richtig! Einmal habe er eine Eule geschossen. Das war alles.
+
+Alute schien ihm die schlechte Behandlung längst wieder vergessen zu
+haben. Nie sei er zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, nie
+habe er die Flinte vom Nagel geholt, nie habe er ein Stück Wild oder das
+Geld dafür von seinen Wegen nach Hause gebracht.
+
+Schade, daß die Frauensleute nicht schwören durften!
+
+Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von ihrem Eidesrechte Gebrauch zu
+machen, aber der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, ebenso wie
+bei Madlyne, die ihm als Hehlerin verdächtig schien, und so blieben
+beider Aussagen wirkungslos.
+
+Doch auch die andern, die vereidigt wurden, hielten sich wacker. Selbst
+diejenigen, die ihn so und so viele Male wegen seiner Schießereien
+geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je davon gehört, geschweige
+denn eine Flinte an ihm gesehen zu haben.
+
+Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung richtete sich drohend
+hinter ihm auf, und der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln
+über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt mit argwöhnischer Anspielung
+darauf Bezug nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse
+verborgen lagen, die nur eines rächenden Anlasses bedurften, um gegen
+ihn loszubrechen.
+
+Als der Richterspruch verkündet wurde, der ihm drei Jahre Gefängnis
+zuerkannte, erhob sich Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem Auge
+zu begegnen, langsam von der Zeugenbank und nickte, den Kopf feierlich
+wiegend, eine ganze Weile lang zu ihm herüber.
+
+Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er dran dachte.
+
+Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, bevor er in die
+Strafanstalt überführt wurde, die Seinen ihn besuchten, denn er wußte,
+daß dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke noch einmal zu
+sehen.
+
+Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn als die Zellentür sich öffnete
+und hinter der Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das Kind
+an der Hand.
+
+Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, sonst wäre er vor dem
+Kinde niedergekniet und hätte geweint und geweint.
+
+Nun aber sagte er bloß: »Da seid ihr ja alle,« und begrüßte sie
+freundlich der Reihe nach.
+
+Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz trug und auch sonst sehr
+unternehmend aussah, sagte zu ihm: »Ich könnte mich jetzt von dir
+scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht
+tun.«
+
+Er antwortete: »Tu, was du für recht hältst. Wenn du nur gut zu dem
+Kinde sein willst.«
+
+»Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,« erwiderte sie, »aber da hast du
+alles verdorben.«
+
+Er demütigte sich vor ihr und sagte: »Ich werde meine Fehler bereuen und
+ablegen, wenn du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde sein
+willst.«
+
+Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: »Ich verspreche es.«
+Dann reichte sie ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, er möge
+sie hinauslassen.
+
+Der Aufseher tat es und wollte auch die andern auffordern fortzugehen,
+da bemerkte er, daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und weinte und
+weinte. Und weil er ein guter und aufrichtiger Mann war, so schloß er
+die Tür noch einmal und ließ ihn gewähren.
+
+Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: »Erbarm dich des Kindes!«
+
+Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: »Ich schwöre dir, daß ich
+auf das Kind achtgeben werde.«
+
+»Und wenn du heiratest und weggehst, -- schwöre mir, daß du das Kind
+mitnehmen wirst.«
+
+Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und sagte: »Ich werde nicht
+heiraten.«
+
+Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das Kind und küßte auch Madlyne.
+
+Und dann war die Besuchszeit um.
+
+
+ 12
+
+Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis die Nachricht, daß das Kind
+gestorben war.
+
+Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon einige Male im Traume
+erschienen.
+
+Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück Mitteilung machte, lautete
+so:
+
+»Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die kleine Anikke ein seliges
+Hinscheiden erlitten hat. Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es
+unsre Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht zu vertreiben, habe
+ich Madlyne zu einer weisen Frau geschickt, die sie nach den Regeln
+besprochen hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht und ihr den Saft
+mit getrockneten Quitschen zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts
+versäumt worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet wie meinem
+eigenen Kinde. Die Festlichkeiten haben zwei Tage gedauert, und es sind
+dabei drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein ausgetrunken worden.
+Nicht zu rechnen, was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen Sarg habe
+ich ihr machen lassen, in dem sie sich ordentlich ausstrecken kann. Auch
+ist sie in ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. Du siehst
+also, daß ich mein Versprechen gehalten habe, und wenn du die Madlyne
+fragen wirst, so kann sie es nicht anders sagen.«
+
+Von nun an erschien die kleine Anikke dem Miks Bumbullis in jeder Nacht.
+Er brauchte nur die Augen zuzumachen, und sie war da. Und in vielerlei
+Gestalt erschien sie ihm -- manchmal im Sarge liegend, manchmal als eine
+Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal als ein Engelchen mit
+gläsernen Flügeln, manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit einem
+Strick um den Hals. Und immer wieder in neuen Gestalten.
+
+Als ein großes Glück empfand er es, daß Alute nun doch gut zu dem Kinde
+gewesen war. Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn wenn sie das
+Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, würde sie die Tote so heimlich
+wie möglich eingescharrt haben. Aber vor allem war ja Madlyne dagewesen,
+auf die er sich ganz verlassen konnte.
+
+Und doch mußte etwas versäumt worden sein, sonst würde die kleine Anikke
+Ruhe im Grabe gehabt haben und ihm nicht immer von neuem erschienen
+sein.
+
+Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages der Anstaltsarzt zu ihm
+trat und ihn fragte, was ihm eigentlich fehle.
+
+»Was soll mir fehlen?« erwiderte Miks. »Ich habe satt zu essen, und
+keiner ist schlecht zu mir.«
+
+Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. Miks tat es, aber der Arzt
+fand eine Krankheit nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer
+zugestoßen sei, fragte er dann.
+
+»Ich habe ein Kind verloren,« antwortete Miks. Aber von den
+Erscheinungen sagte er nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich
+immer in acht nehmen.
+
+Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, derselbe, der am Sonntag
+gewöhnlich predigte.
+
+Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten an, aber er hatte sich
+nicht einmal die Mühe genommen, die Akten durchzusehen, sonst würde er
+gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind gar nicht besaß.
+
+Miks beließ ihn in seinem Irrtum und küßte ihm die Hand, um ihn glauben
+zu machen, daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so weit, daß er
+sich schon den ganzen Tag über auf die Erscheinung freute. Aber dann
+machte er sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, denn wenn es der
+Anikke im Grabe an gar nichts fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen
+sein. Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man hatte ihr etwas
+Erstickendes auf den Mund gelegt. Vielleicht gar auch war die Giltinne
+-- die Todesgöttin -- nicht versöhnt worden, wie es nach dem Glauben
+Vieler geschehen muß, so daß sie aus Rache die arme Tote allnächtlich
+aus ihrem Frieden scheuchte.
+
+Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber er schämte sich vor den
+Deutschen, die den Brief durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn
+lachen würden.
+
+Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor ihn eines Tages
+rufen ließ und ihm eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig
+erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, brauche er sie auch später
+nicht mehr abzusitzen.
+
+Er dachte: »Da kann ich nun selber nach dem Grabe sehen,« und machte
+sich auf den Heimweg.
+
+
+ 13
+
+Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und alle arbeiteten auf den
+Feldern. Kaum einer sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet bis
+nach Haus.
+
+Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, und er streichelte ihn, denn
+das Kind hatte ihn lieb gehabt.
+
+Das Haus war leer und alles offen. Ihn hungerte, aber er wagte nicht,
+sich ein Stück Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf seinem
+eigenen Besitz. Er sah sich erst in der Kleinen Stube um, wo das
+Bettchen zuletzt gestanden hatte. Aber nichts mehr war davon zu
+bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der Welt. Aber dann fand er
+auf Madlynens Brett ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit
+Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie ihr einmal gemacht hatte.
+
+Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre er auf den Kirchhof
+gegangen. Und so setzte er sich vor das Haus auf die Milcheimerbank,
+dort, wo die Sonne schien, und wartete. Dabei schlief er ein und wachte
+erst auf, als die Stimmen der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden.
+
+Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. Sie richtete sich hoch auf
+und schritt in ihren Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu,
+während sie ihm ganz starr in die Augen sah. Sie freute sich nicht, aber
+sie hatte auch keine Furcht.
+
+»Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,« sagte sie, ihm die Hand
+reichend, »der Wirt ist gerade sehr nötig im Hause.«
+
+»Ich werde schon arbeiten,« entgegnete er.
+
+Dann ging sie, das Abendbrot machen.
+
+Madlyne war hinter ihr gekommen. Er bemerkte, daß sie ganz schmal
+geworden war und daß um ihren Mund herum allerhand kleine Falten
+standen.
+
+Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann rasch fort.
+
+Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, mit dem die Alute sicher
+nichts vorgehabt hatte -- »drum werd' ich ihn ruhig behalten können,«
+dachte er --, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil sie nicht wußte,
+was sie aus ihm machen sollte.
+
+Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen Hahn geschlachtet. »Damit alle
+erfahren, daß der Herr wieder da ist,« sagte sie.
+
+Sie war nun ganz freundlich und sah ihn immer von unten auf an, wie eine
+Bittende.
+
+Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber das Fleisch auf dem Rande
+liegen.
+
+»Warum ißt du nicht?« fragte die Madlyne, der immer die Augen voll
+Wasser standen.
+
+»Ich will's mir bis nachher verwahren,« erwiderte er, »denn ich hab' so
+was Gutes lang' nicht gehabt.«
+
+Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte es aber nicht an.
+
+Nach dem Essen trug er beides in die Kammer hinüber, wo er sich still
+hinsetzte, bis es dunkel wurde. Dann holte er sich einen Topf von der
+Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und Trinken hinein und
+verbarg es unter seinem Rocke.
+
+»Ich will nur noch einen kleinen Gang machen,« sagte er, und die beiden
+Frauen fragten ihn nicht, wohin.
+
+Das kleine Grab hatte er bald gefunden. Ein neues Holzkreuz stand zu
+Kopfenden mit einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich
+Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen an den schrägen Enden.
+Die hatte sicherlich die Madlyne angebracht als Spielzeug für die Tote
+in der langen Ewigkeit.
+
+Er wühlte in dem Sande des Grabhügels eine kleine Kaule aus und stellte
+Topf und Flasche hinein. Dann glättete er den Sand wieder, so daß nicht
+das mindeste zu bemerken war.
+
+Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung für den Geist der Toten
+gut ist, andere aber -- und die sind wohl in der Wahrheit -- meinen, daß
+die böse Giltinne damit besänftigt wird, so daß sie der abgeschiedenen
+Seele die Ruhe nicht fortnimmt.
+
+Und dann saß er noch eine Weile und dachte bei sich: »Hier ist gut
+sein.« Und ihm war, als sei er erst jetzt in die Heimat gekommen.
+
+Als er wieder im Hause war und alle sich zum Schlafengehen bereiteten,
+sann er darüber nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte genau,
+daß, wenn er sich absonderte, der Hader von neuem losgehen würde. Darum
+kroch er in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie
+weggewesen.
+
+Nun fing sie auch aus freien Stücken von dem Kinde zu reden an. Gegen
+Gottes allmächtigen Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe.
+
+Und sie weinte.
+
+Er sagte nur: »Erzähle mir nichts.« Denn er wußte, daß er es nicht
+ertragen würde.
+
+In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes ihm nicht. Er freute sich,
+daß er mit der Gabe an die Giltinne das Rechte getroffen hatte.
+
+Als er am nächsten Morgen den Spaten schulterte, um mit den andern in
+die Kartoffeln zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: »Ruh dich erst aus,
+du bist noch zu schwach.«
+
+Und er wunderte sich, daß sie so wenig von seinen Kräften hielt.
+
+Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, mußte er sich setzen, denn der
+Atem fing an, ihm zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die Mutter
+ihr krankes Kind. -- -- --
+
+Auch die Alute war von nun an immer gut zu ihm. Sie brachte ihm
+Paradieskörner in Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte:
+»Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt für gute Tage haben!«
+
+Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, und er begann schon,
+der Giltinne mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken.
+
+Und so vertraut war er inzwischen mit der Alute geworden, daß er sich
+eines Abends ein Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen sprach.
+Auch von dem Mittel, das sich dagegen bewährt hatte.
+
+Sie lachte und sagte: »Wenn das so leicht ist, will ich dir Hähne
+schlachten, so viel du willst.«
+
+Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und er fragte sich manches Mal,
+warum er sich früher eigentlich vor ihr gefürchtet hatte.
+
+Auch von der Krankheit des Kindes wollte er jetzt Näheres wissen. Nicht
+daß sein Kummer geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, nur hielt
+er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie würde die richtige Teilnahme
+haben.
+
+Aber Alute erwiderte: »Du Armer würdest es auch heute noch nicht
+ertragen, drum warte noch eine kleine Weile.« Und so sagte sie immer
+aufs neue.
+
+Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne zu fragen. Aber die Madlyne war
+jetzt wie umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, wo sie nur konnte,
+sprach bei Tisch kein Wort und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz.
+
+Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte sie: »Die Madlyne muß aus
+dem Hause, und schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich ihr
+aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack und Kasten vors Hoftor.«
+
+Er erschrak, daß er an einem so bösen Ende die Schuld tragen sollte, und
+beschloß, das Seine zu tun, um alles zum bessern zu wenden.
+
+Darum ging er der Madlyne eines Morgens zum Melken nach und sagte: »Du
+mußt nicht denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des Kindes etwas
+nachtrage.«
+
+Sie stand von der Hocke auf und sagte: »Aber ich trage es mir nach.«
+
+Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, daß gegen Gottes
+allmächtigen Willen Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe.
+
+Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine Schultern, sah ihn lange
+mit den bohrenden Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte dann:
+»Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann werd' ich dir etwas erzählen, was
+zu wissen dir nottut.«
+
+Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: »Mir ist nach lockeren
+Streichen nicht zumut. Erzähl es mir auch so.«
+
+»Nein,« sagte sie, »anders tu' ich es nicht.«
+
+»Ich werd' es mir überlegen,« antwortete er und ging aus dem Stalle.
+
+In derselben Nacht kam die Erscheinung wieder. Sie war in ihrem
+Hemdchen, hatte auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug einen
+Stengel in der Hand, aber das war ein Schierlingstengel.
+
+Er sagte der Alute nichts davon. Und als der Abend kam, sparte er wieder
+sein Essen auf, holte sich heimlich einen Topf und trug es darin zum
+Kirchhof hinaus.
+
+Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt geschehen, aber hinter dem
+Hofzaun stand Alute und sah ihm nach.
+
+Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht zufrieden, denn das Kind
+erschien ihm auch in der nächsten Nacht.
+
+»Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,« dachte er, aber ein
+unbestimmtes Gefühl hielt ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn
+schlachte.
+
+Die Erscheinung kam immer wieder, und die Unruhe verließ ihn nicht mehr.
+
+Da faßte er sich ein Herz, und während die Frau noch auf dem Felde war,
+ging er der Madlyne nach in die Kammer. Als sie ihn kommen sah, stieß
+sie einen Seufzer aus und faltete die Hände wie eine, die sich bereit
+macht, selig zu sterben.
+
+So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an seiner Schulter lag, da
+kam es ihm zur Klarheit, daß er immer und immer nur nach ihr verlangt
+hatte.
+
+Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm beide Hände.
+
+Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr Versprechen erfüllen solle.
+
+Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: »Verlange es nicht! Verlange
+es nicht!«
+
+Aber er verlangte es immer wieder.
+
+Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, und erzählte ihm, auf welche
+Art Alute das Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und nimmer zu
+überführen sein.
+
+In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens Halse, um sie zu erwürgen,
+weil sie die Tat nicht verhindert hatte.
+
+Sie sagte: »Drück nur zu! Drück nur zu! Oben am Hühnerbalken kannst du
+die Schlinge sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und wärst du
+nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es auch getan.«
+
+Da sprang er aus dem Bette und lief nach dem Schleifstein. -- -- --
+
+Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah sie einen Menschen auf
+sich zustürmen, der halb angezogen war und eine Axt schwang.
+
+Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte sie sofort, was geschehen war
+und daß es ihr nun ans Leben ging.
+
+Sie rannte schreiend nach der Richtung des Dorfes hin, und er mit der
+erhobenen Axt hinter ihr drein.
+
+Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten Höfe einzubiegen, denn
+sie wußte, daß kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern würde,
+die Tat zu begehen.
+
+So lief sie weiter, und der Raum zwischen ihr und ihm verkürzte sich
+immer mehr.
+
+Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen und erkannte gleich, daß
+sie sich für heute und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles
+gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand nachweisen, und der Meineid
+war bald gebüßt.
+
+Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, da ließ er von ihr ab,
+denn des Wachtmeisters Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in seinen
+Fußtapfen um, und die Leute, die ihm gefolgt waren, gingen in großem
+Bogen um ihn herum.
+
+Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei seiner Heimkehr gefunden
+hatte. Auch nach Madlyne rief er umsonst.
+
+Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld in die Tasche, holte ein
+altes Gewehr hinter den Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit
+dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche von Graben zu Graben.
+
+Als es finster geworden war, floh er über die Grenze. Rußland ist groß.
+
+
+ 14
+
+Der Gendarm erstattete die Anzeige.
+
+Die Herren vom Gericht nahmen sich der Sache mit großem Eifer an. Ein
+Steckbrief wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen hüben und
+drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen angebahnt, damit, wenn
+man ihn faßte, kein Aufschub entstand.
+
+Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch immer frei herumlief,
+lachte zu alledem und sagte: »Was gebt ihr euch für Müh'! Das Kind wird
+ihn schon holen gehn.« Sie hütete sich wohl, in ihrem Hause zu bleiben,
+und selbst für kurze Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn sie
+fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde.
+
+Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen und ein paar Männern,
+die dazu aufgeboten waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. Die
+Männer wechselten ab, denn keiner konnte für die Dauer die Nachtwachen
+vertragen. Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage streifte sie herum
+wie ein wildernder Jagdhund. Wo und wann sie schlief, wußte keiner.
+
+Wenn einer von den fremden Gendarmen, die den hiesigen jede zweite Nacht
+ablösen kamen, gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: »Ich denke,
+wir stellen die vergebliche Arbeit ein, denn er müßte schön dumm sein,
+uns freiwillig in die Arme zu laufen,« dann wehklagte sie und flehte mit
+erhobenen Armen: »Erbarmen, Pons Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird
+ihn schon holen gehn, -- wird ihn schon holen gehn.«
+
+Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher Zeit und gar nicht weit
+vom Kirchhof Madlyne im Graben lag -- dicht an dem Wege, der von der
+Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich heimlich in dem Hause
+eines früheren Bewerbers auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn
+nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn es dunkel wurde, schlich
+sie sich hinaus auf Wache für den Fall, daß er vorbeikommen sollte.
+
+Manchmal war es noch kalt, und manchmal regnete es, aber sie fror nicht
+und ließ sich ruhig durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen fiel
+ihr schwer. Darum legte sie sich gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf
+den Kopf, die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend nach
+vorn überneigte. Und von dem Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach.
+
+Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises Stimmengeräusch oder ein
+Säbelklirren sich hören; ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch
+ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie höhnisch und schüttelte
+die Fäuste in das Dunkel hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr.
+
+Aber in einer Nacht -- es mag die vierzehnte oder fünfzehnte ihres
+Dienstes gewesen sein --, da muß der Schlaf sie doch überwältigt haben,
+oder aber er war nicht auf dem Wege, sondern quer über die Felder
+gegangen, denn plötzlich hörte sie auffahrend vom Kirchhof her Knallen
+und Männergeschrei. Und die Stimme Alutens mischte sich keifend darein.
+
+Da wußte sie: sie hatten ihn.
+
+Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der plötzlich aufgeflammt war.
+
+Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei Männer brachten ihn geführt,
+und Alute tanzte um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte und die
+Zunge ausstreckte.
+
+In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen Flasche, die wohl
+beim Kampfe mitten durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für die
+Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch einmal die ewige Ruhe hatte
+erkaufen wollen.
+
+Madlyne warf sich ihm in den Weg und küßte die eisernen Ringe, in die
+sie seine blutigen Hände gesteckt hatten.
+
+Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch und schritt weiter -- seinem
+Schicksal entgegen.
+
+
+
+
+ Jons und Erdme
+
+
+ 1
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+Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben nicht weit vom Matzicker
+Walde zwei Liebesleute -- der Jons Baltruschat und die Erdme Maurus.
+
+Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben will auf Erden! Selbst
+die Aller-, Allerärmsten, die kaum das nackte Leben haben, möchten ein
+Nest bauen.
+
+Der Jons ist das, was der Litauer einen »Antrininkas« nennt, der »Knecht
+eines Knechtes«. Das sagt wohl genug.
+
+Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr Glück machen wollen. Vorläufig
+dient sie als Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus nicht weit
+vom Bahnhof, das die Leute in Heydekrug meistens das »Hotel
+Lausequetsch« nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten Zeit hat
+es sich sehr gehoben. Sogar die besseren Viehverlader verkehren
+bisweilen darin.
+
+Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat seine blanken Kirchgangsstiefel
+an und die schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. Und die Erdme
+-- die ist nun gar eine Feine! Litauisch trägt sich die doch nicht mehr!
+Sie hat ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft und eine
+halbseidene Bluse an, die hinten zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die
+Kellnerin geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen hinderlich war.
+
+Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber das ist auch alles. Eltern
+mit Haus und Hof haben sie nicht. Überhaupt -- wo sie herstammen, davon
+reden sie lieber gar nicht.
+
+Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um acht kommen die
+Handwerksburschen, die bringen Feiertagsfladen von der Walze mit und
+wollen reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr üppig zu. In der
+Küche werden jetzt sogar Ölsardinen gehalten, und das Öl darf man
+hinterher austrinken.
+
+Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. Wie wird eine Frau, die an so
+vornehme Lebensart gewöhnt ist, später neben ihm aushalten wollen?
+
+Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was hat das alles zu sagen gegen
+einen eigenen Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das Leben doch
+erst eigentlich an.
+
+Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl -- aber wie? Die Vögel, die
+ringsum Halme suchen, die haben's leicht. Denen liegt der Baustoff frei
+auf der Straße, und für ihren Nestplatz brauchen sie auch nichts zu
+zahlen.
+
+Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet ihm Mut zu. Und so ganz ohne
+Vermögen sind sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch ihre
+Beutelchen vor und breiten die Schätze neben sich aus, geben aber
+sorgfältig acht, daß beide nicht untereinander geraten. Denn das kann
+erst nach der Trauung geschehen, wenn die Gütergemeinschaft erklärt ist.
+
+Das Häufchen der Erdme ist viel größer als seines, so groß, daß er
+beinahe argwöhnisch wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig
+Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen.
+
+Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie kann doch Auskunft geben.
+Das goldne Zwanzigmarkstück, das den Hauptstock bildet, hat ihr einmal
+ein Betrunkener geschenkt, der hernach verhaftet wurde. Doch das macht
+ja nichts, wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und auch das übrige
+ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, wie sie Bräutigams nicht
+gerne sehen, sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die höchstens
+einmal in die Küche kommen, um ein ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es
+sich kneifen läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler durchaus
+an Kindesstatt annehmen wollen und sich erst nach vielem Zureden damit
+begnügt, ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr hat er gerade
+nicht bei sich gehabt.
+
+Das alles ist also in guter Ordnung, aber die lumpigen fünfundzwanzig
+Mark, die er sich in zwei Jahren -- und mit was für Opfern! -- von
+seinem Lohne erspart hat, können sich daneben nicht sehen lassen.
+
+»Ach was,« sagt die Erdme, »zusammen sind das einundneunzig. Und für
+hundert kann man sich schon ein Haus bauen.«
+
+»Ja wo?« fragt er. »Etwa im Monde?«
+
+»Durchaus nicht im Monde, sondern sogar ganz nah' von hier. Auf der
+anderen Seite von Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor die
+Kolonie Bismarck liegt.«
+
+»Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe und die Mörder hausen,« meint
+er, denn in gutem Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck.
+
+Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es Diebe und Mörder überall, und
+zweitens kommt es zunächst darauf an, daß man ein Haus über dem Kopfe
+hat. Dort ist man sozusagen beim preußischen Staat zu Gaste, der Grund
+und Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn kann sich keiner
+erdenken.
+
+Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, für hundert Mark ein Haus zu
+erbauen, aber sie weiß es genau.
+
+»Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,« sagt sie und lacht ihm
+verstohlen zu. »Nachhelfen tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo
+es herkommt.«
+
+Nun lacht auch er, und der Entschluß wird besiegelt.
+
+Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft haben, betrachten sie
+einander und finden, daß sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann.
+
+Er -- straff, breit, knorrig, mit wagerechten Trageschultern und zwei
+Fäusten, die nicht mehr loslassen, wo sie einmal zugepackt haben.
+
+Sie -- eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig mit federnden Armen
+und Schenkeln von Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, in denen
+zwei Augen listig und lustig Nähe und Ferne nach Beute durchmustern.
+
+Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem Schwersten Stand zu halten und
+das Widrigste mit Schlauheit zu umgehen.
+
+
+ 2
+
+Zuerst der Moorvogt.
+
+Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher der Kolonie, der
+zweitausend Lebensschicksale sorgsam und strenge an obrigkeitlicher
+Leine führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; doch wer und
+was das eigentlich ist, ahnen nur wenige.
+
+Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt.
+
+Mit List und Gewalt haben sie sich beide aus ihren Dienststellungen
+freigemacht. Die Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste an
+den Kopf werfen lassen und hierauf mit einer Anzeige wegen
+Körperverletzung gedroht, so daß sie schließlich mit dem Zeugnis auch
+noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, und der Jons, der weniger gerissen
+ist, hat seinem Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag in Aussicht
+gestellt, falls er ihn nicht auf der Stelle abziehen lasse. Manchmal
+hilft das, manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal hat es
+geholfen.
+
+So wandern sie also wohlgemut auf der Rußner Chaussee zur Kolonie
+Bismarck hinaus, die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt und sich
+so weit ins Moor hinausstreckt, daß man ihr Ende nirgends absehen kann.
+
+Als sie an der langen Brücke sind, die über die Sumpfniederung führt,
+bleibt die Erdme an dem schwarz-weißen Geländer stehen und zeigt auf die
+Kuhblumen hinunter, die ihre buttergelben Köpfe aus dem
+Überschwemmungswasser stecken, und sie sagt: »Wie die Blumchen da
+vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden wir auch vorwärts kommen.«
+
+Und der Jons meint dasselbe.
+
+Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause stehen, in dem jetzt der
+Moorvogt wohnt, da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe.
+
+Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen die Vierzig, mit ernsten Augen
+und einem Munde, der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart sieht er
+nicht aus, aber seine Rede ist scharf und gemessen. Angst muß man schon
+darum vor ihm haben, weil er so mächtig ist.
+
+»Also anbauen wollt ihr euch?«
+
+»Jawohl.«
+
+»Seid ihr verheiratet?«
+
+Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das Aufgebot kann jeden
+Augenblick bestellt werden. Jetzt gleich, wenn er will.
+
+»Sind die Papiere in Ordnung?«
+
+Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an.
+
+»Sind die nötigen Mittel da?«
+
+Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze ziehen sie ihre Beutelchen. Das
+Goldstück, das bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen Eindruck
+zu machen, denn zum ersten Male geht ein Lächeln über sein Gesicht.
+
+Und er greift nach Mütze und Hakenstock und sagt: »Kommt mit.«
+
+Dann geht er ihnen voran auf einer Straße aus Knüppeln und Lehm, die
+geradeswegs von der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. Das sieht
+nun freilich fürs erste nach allem aus, nur nicht nach einem Moor.
+Rechts und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen bis in den
+grauen Dunst hinein. _Die_ Häuser haben etwas mehr als hundert Mark
+gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und ringsum Ställe und
+Schuppen! Und Gärten sogar -- die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! Und
+jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, aus Quitschen und Birken --
+weiß wie Schnee und schnurgerade.
+
+Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber zu reden wagen sie nicht. Sonst
+wären sie vielleicht noch umgekehrt. Denn wie kann man je daran denken,
+solche Herrlichkeiten sein eigen zu nennen?
+
+So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. Eine Wirtschaft folgt der
+anderen, ein Ackerfeld dem anderen. Nur hie und da auf höherem Boden,
+wie aus Versehen stehen geblieben, ein Gebüsch von krüppeligen Fichten,
+die kaum einmal die Kraft haben, Nadeln zu tragen.
+
+Dann allmählich verändert sich das Bild. Die Wohnhäuser werden ärmlicher
+-- demütiger, möchte man sagen --, die Wirtschaftsgebäude hören auf, und
+statt der beackerten Felder breiten sich kahle Moorheiden aus bis ins
+Endlose hin, von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, die vom
+Torfstechen übriggeblieben sind. Auf denen sprießt ein junges Sumpfgrün.
+Sonst ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist alles.
+
+Der Moorvogt hat den ganzen Weg über kein Wort zu ihnen gesprochen.
+Jetzt wendet er sich um und sagt: »Hier könnt ihr euch nun eine
+Baustelle aussuchen.«
+
+Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den Moorboden hinaus, der unter
+ihren Füßen quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt den Stock
+einstößt, bleibt ein wasserglänzendes Löchelchen übrig.
+
+Da endlich macht der Jons seinem bedrückten Herzen Luft und fragt
+beinahe schreiend: »Kann man denn hier überhaupt bauen?«
+
+Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück und in die Runde: »Die haben
+alle einmal so gebaut,« sagt er. »Das Trockenmachen ist eure Sache.«
+
+Jons und Erdme sehen sich an und denken: »Was die anderen gekonnt haben,
+müssen wir auch können.« Und so suchen sie sich aufs Geratewohl einen
+Platz für Haus und Ackerland und sind dabei immer dem Weinen nahe.
+
+Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden Schritten die ungefähr in Betracht
+kommende Fläche. »Diese Parzelle,« sagt er dann stehen bleibend, »gibt
+euch der Staat zur Bewirtschaftung. Sie wird natürlich genau ausgemessen
+werden und ist dann einen Hektar groß. Geht es euch gut, so dürft ihr
+später noch drei weitere dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei mir an
+und gebt eure Unterschrift. Bis dahin überlegt es euch. Braucht ihr
+einen Rat, so bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!«
+
+Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er.
+
+Nun stehen sie da und sehen sich wieder an.
+
+Ja oder nein?
+
+Nein -- dann müssen sie zurück in Dienst -- in einen härteren
+vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, obgleich das kaum noch möglich
+ist, und die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für Jahre. Wozu sind
+sie jung und übervoll von unverbrauchten Kräften, die sich sonst für
+Fremde erschöpfen müssen? Also ja -- dreimal und tausendmal ja.
+
+»Was die anderen gekonnt haben, müssen wir auch können,« wiederholt der
+Jons noch einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. Und damit sind
+sie fertig.
+
+Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, sich für die nächsten Monate
+ein Obdach zu besorgen.
+
+Sie gehen also an die ersten zwei Leute heran, die sie auf dem Acker
+arbeiten sehen, und sagen: »Wir wollen uns in der Nähe anbauen. Könnt
+ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?«
+
+Der Mann, der sanftblickende Augen hat und dem um das magere, bartlose
+Gesicht langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, sieht sie lange
+an und fragt dann: »Seid ihr verheiratet?«
+
+Erdme lügt rasch »ja«, denn sie überlegt sich, daß ihr wahrhafter Stand,
+mag er noch so kurze Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten
+Hindernisse bereiten würde.
+
+Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist und die so aussieht, als muß
+sie immer Senf aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die sagt: »Wir
+sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht nach den Geboten des Herrn lebt, den
+nehmen wir nicht auf.«
+
+Erdme sagt: »Auch wir wollen uns den Erleuchteten zuwenden,« denn sie
+weiß sofort, daß sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen erlangen
+werden.
+
+Betten wird sie mitbringen, und so ist für Unterschlupf gesorgt.
+
+Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an.
+
+Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, sieht noch einmal ihre Papiere
+durch, und dann gibt Jons die Unterschrift.
+
+Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte und trägt sie als
+Brautleute in die Register ein.
+
+Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme vorhin ausgesprochen hat, und
+fragt: »Die Zeit ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon einziehen
+dürfen?«
+
+Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan hat, als er ihr Vermögen
+besah, und sagt: »Die Aushängebogen liest keiner.«
+
+Damit sind sie entlassen.
+
+Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das wichtigste von allem -- außer
+dem Pfarrer natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden muß. Das ist
+für Jons, sich eine regelrechte Arbeit zu beschaffen, damit durch den
+Tagelohn für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und ab und zu noch ein
+paar Groschen in die Baukasse kommen.
+
+Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik und der Sägemühle, die
+beide jetzt zum Frühling Leute brauchen. Jons wählt die Sägemühle, weil
+er hoffen kann, dort am ehesten Gelegenheit zu billigem oder -- wenn das
+Glück es will -- auch kostenlosem Holzerwerb zu finden.
+
+Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug zurück, -- und siehe da!
+kaum nachgefragt, da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, daß er
+am nächsten Morgen antreten kann.
+
+Zwei Mark pro Tag -- so viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht
+verdient.
+
+Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen sie sich, daß noch nie ein
+Tag da war, der sie ein so großes Stück im Leben weiterführte. Aber er
+hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und da sie beileibe kein Geld
+ausgeben wollen und zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, so
+scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen Zuhause ein paar
+Saatkartoffeln aus einer Miete, was gewiß eine große Sünde ist, aber der
+Besitzer hat noch genug, und so geschieht niemandem ein Schade.
+
+Die Taschen voll kommen sie heim, und als sie beim Abkochen ein
+andächtiges Abendlied singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar noch
+ein Stückchen Speck dazu.
+
+
+ 3
+
+Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne den geht nichts.
+
+Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn wenn Jons auch um drei aufsteht,
+um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, und abends ist sein
+Helfen auch nicht viel wert. Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am
+Leibe.
+
+Aber Erdme -- die schafft es. Sie steht bis zu den Knieen im eiskalten
+Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht -- quer durch das
+widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch keine Menschenkraft
+bezwingbar scheint.
+
+Der fromme Taruttis -- so heißt der Wirt -- sieht von weitem ihr
+maßloses Mühen, und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt
+er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr über die schwersten
+Stellen hinwegzuhelfen.
+
+Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt, die
+kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden.
+Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache, aber man muß Zeit
+dazu haben. Sonst wird es zur Landplag'.
+
+Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein
+Glücksfall erwiesen. Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man
+auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren, in welchem Walde und an
+welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt.
+
+Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit gebundenen Händen irgend
+einem Aufseher auszuliefern, dem es beliebt, ihn anzuhalten.
+
+Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, die als Eckpfeiler eines zu
+erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für
+blankes Geld von einem Besitzer, der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein
+schönes Eckchen seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er einen
+regelrechten Kaufschein, den er fortan als Schirm und Schutz in seiner
+Tasche mit sich führt. Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht
+einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der nicht ganz so rechtsgültig
+erworben ist, da kann er sich des guten Gewissens erfreuen, das solch
+ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht.
+
+Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, der natürlich nichts Böses
+ahnt, und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein. Ob der
+nun hilft oder was Anderes, kurz, auch der dritte Stamm gelangt
+unangehalten nach Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, da kommt
+als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen.
+
+Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden
+und kostet beim Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für die
+fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat. Ein
+Glück ist, daß die sich bereit erklären, auch bei der Trauung am
+nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, daß sie
+hernach drei süße Schnäpse bekommen.
+
+Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich, er hat nicht
+einmal die Lichter angesteckt, so gering achtet er sie. Zum Schlusse
+reicht er ihnen die Hand und sagt: »Von nun an könnt ihr in Ehren
+beieinander wohnen.«
+
+Als ob das ohne den Pfarrer so ginge!
+
+Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, als er am Sonntag das junge
+Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint die
+Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; aber da sie schon halbwegs
+zu den Erleuchteten gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet
+bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt es ihnen weiter nicht
+nach.
+
+Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende
+Rautenblättchen, die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren
+wollen, und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an.
+
+Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, sie aber schämen sich, auf
+einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute
+sitzen, und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler.
+Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an, sondern bekneifen sie
+mit den heißen Fingern.
+
+Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt kommt erst eine große
+Hochzeitsgesellschaft, die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben
+Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner laufen umher, und die
+Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall.
+
+Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, und ihre Zeugen riechen
+nach Mist.
+
+Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat,
+fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang.
+
+Der Pfarrer -- ein junger Mann, mit einem Traumdeutergesicht -- blickt
+ihnen freundlich entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den
+Altar zu treten wagen, öffnet er die rotgepolsterten Schranken und
+schreitet auf sie zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen.
+
+Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im Buche stehen, sondern hält
+ihnen eine genau so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt hätten.
+
+Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung,
+die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt
+ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn sie fleißig und
+beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem -- vor allem, vor
+allem! -- den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen.
+
+Jons und Erdme weinen sehr, und jeder von ihnen schwört sich zu, die
+Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen.
+
+Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu
+werden beginnt, da müssen sie doch daran gehen, den vierten der Stämme
+aus dem Walde zu holen, denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein.
+
+Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon gestern in sicherem
+Gewahrsam untergestellt haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem
+Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, ziehen sie beschämt und
+beklommen auf Raub aus.
+
+»Wenn man so arm ist wie wir, dann kann das unmöglich eine Sünde sein,«
+tröstet die Erdme sich und ihn.
+
+»Eine Sünde ist es schon,« antwortet der Jons, »das hat ja noch heute
+der Pfarrer gesagt. Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, dann wollen
+wir alles wieder gut machen, worin wir uns jetzt vergehen müssen.«
+
+Und das geloben sie einander, während sie im Chausseegraben die
+Nachtstille abwarten.
+
+Und noch manches geloben sie. Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen
+und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein
+gutes Beispiel geben.
+
+»Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut haben,« meint der Jons.
+
+Und die Erdme gerät ins Schwärmen: »Wenn ich Töchter kriege, dann sollen
+sie in Samt und Seide gehen -- und ihre Hochzeiten sollen acht Tage
+dauern -- und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein
+Gendarm.«
+
+Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich, darum spinnen
+sie ihn nicht weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker Waldes zu
+verschwinden, wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als
+frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt.
+
+
+ 4
+
+Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für den Winter noch nichts zu essen
+hat! Die Tage werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat geschafft sein.
+
+Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten Frühjahr allenfalls in
+Arbeit genommen werden kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und
+nachdem die Quergräben gezogen sind, die die weitere Trockenlegung
+verlangt, kann das Urbarmachen beginnen.
+
+Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai -- wenn man das Morgen nennen kann,
+denn noch stehen die Sterne am Himmel --, da schultern sie Hacke und
+Spaten und ziehen hinaus auf das kahle Moor, dorthin, wo die vier
+Kiefernstangen lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt auf Vorrat
+schlafen.
+
+Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen die Grenzen des Ackers,
+der nun werden soll.
+
+Den beiden ist bang und feierlich zumut. Gemeinsam zu beten getrauen sie
+sich nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum spricht
+jeder von ihnen sein Vaterunser ganz im geheimen, als ob er Wunder was
+Unrechtes täte.
+
+Und dann geht es los.
+
+Die oberste Schicht des Moores, die aus lebendigen Pflanzenstoffen
+besteht, muß zerkleinert und heruntergeschält werden -- »abplacken«
+nennt man es --, weil der drunter liegende Boden erst dann, wenn sie mit
+ihm gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, die eine Aussicht
+auf künftige -- wenn auch spärliche -- Ernten eröffnet.
+
+Die paar Stunden der Frühe vergehen im Fluge. Dann muß er ja weg, um mit
+dem Taglohn Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo soll der Stoff zum
+Hausbau sonst herkommen?
+
+Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. Zuerst die Latten oder
+Schwarten, mittels deren die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das
+Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses bilden soll. Dann die
+Sparrbalken -- die Sparren selbst -- die Ziegel für die Feuerstätte und
+so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden kann.
+
+Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will hinter dem andern
+zurückstehn. Von einem, dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und um
+acht Uhr abends endet, kann niemand auf Erden sagen, er habe es sich zu
+knapp bemessen.
+
+So kommt der Acker rasch voran.
+
+Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, um sich den rieselnden
+Schweiß aus den Augen zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter sich
+stehen.
+
+Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark Pacht, die für das erste Jahr
+gezahlt werden sollen -- später werden es dreißig --, sind noch nicht
+abgeliefert.
+
+Er sagt: »Es ist spät im Jahr. Werdet ihr mit der Aussaat
+zurechtkommen?«
+
+Und sie antwortet: »Wie Gott will.«
+
+»Gott will, wie der Mensch will,« sagt er. »Wenn er erst weiß, daß ihr
+tüchtig seid, wird er euch nichts in den Weg legen.«
+
+Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, schon geschält, wie Silber in
+der Sonne funkeln.
+
+»Schöne Stangen habt ihr da,« sagt er und sieht Erdme dabei mit schiefem
+Munde halb von der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen
+Gänge verborgen geblieben.
+
+In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den Sohlen den schwarzen
+Schlamm von den Beinen, denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung
+fragen werde; aber die Frage bleibt aus.
+
+Auch ein Haufen Schwarten liegt schon da, die Jons sich für billiges
+Geld unter den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen dürfen.
+
+Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die untauglichen zeichnet er
+mit der Spitze seines Hakenstocks.
+
+»Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben sind,« sagt er und
+wendet sich ohne Gruß wieder dem Wege zu.
+
+»Da geht er hin wie der liebe Gott,« denkt Erdme und ist sehr froh, mit
+heiler Haut davongekommen zu sein. Vieles an ihm begreift sie nicht,
+aber beim lieben Gott geht es einem ja ebenso. --
+
+Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel Saatkartoffeln gekauft,
+glasblank und dünnschalig, wie sie für den Moorboden gut sind. Die
+werden in Hälften geschnitten und in die flachen Rücke gleichsam obenauf
+gelegt, denn nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende
+Wasser.
+
+»Auch die sind redlich erworben,« sagt Erdme mit Stolz. Und darum
+brauchen sie sich nicht zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet
+zu tun.
+
+Aber noch muß viel zusammengegrapscht werden!
+
+Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken zurechthackt, mit blankem
+Gelde zu bezahlen, während sie freundlich in den Wäldern herumliegen,
+wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber vorsichtig muß man schon sein, darum
+wird Jons auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln käuflich
+erstehen und ärgert sich bloß, daß er den Schein dafür nicht gleich vor
+den Mützenschirm stecken kann. Jetzt und auch bei den nächsten Fahrten
+hernach, wenn alles an Ort und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens
+der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der fragt ja nicht, wie man
+weiß.
+
+Eine Nacht um die andere ziehen sie los, denn ab und zu schlafen muß
+doch der Mensch.
+
+Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. Ihm hat der Kaufschein die
+Augen verblendet. Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht
+nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum betet er fleißig für sie,
+während sie auf seinem Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und Hopp
+nach Hause fahren.
+
+Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn sie ihn nicht übertrumpfen
+kann, steht sogar im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes
+bereitzuhalten.
+
+So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, und die Baukasse wird kaum
+einmal magerer.
+
+Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die Aufrichtung des Hauses
+vonstattengehen kann. Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen nun
+freilich nicht, und darum entschließt sich Erdme auf des Taruttis Rat,
+bei den Nachbarn herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten.
+
+»Talka« heißt auf deutsch »Arbeitsgesellschaft«, und auf solchen
+gemeinsamen Hilfeleistungen beruht vieles, was unter diesen armen
+Menschen, die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, an Tüchtigem
+zustandekommt. Dafür erweist man sich dann später dankbar, wenn der Ruf
+an einen selber ergeht, und alles schließt mit einer fröhlichen
+Bewirtung, so viel oder so wenig der Bittende zu geben vermag.
+
+Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand die Häuser, in denen sie
+vorsprechen kann, und die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt
+einer, der hilft _nicht_, aber dort wohnt einer, der hilft, weil man ihm
+selber geholfen hat.
+
+Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf der anderen Seite des Weges
+sein kleines Anwesen hat, geht Erdme zuerst.
+
+Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen und ist weit in der Welt
+herumgewesen. Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm bekannt sein,
+so daß er schon manchem der Langeingesessenen einen guten Ratschlag hat
+geben können.
+
+Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu Mitte der Dreißig, der die
+Gewohnheit hat, beim Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und dabei
+zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie er die Erdme daherkommen sieht,
+die frisch von der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und
+aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, macht er große Augen
+vor ihrer Glieder Pracht, um dann erst -- gleichsam erschrocken -- den
+Blick von ihr wegzuwenden.
+
+Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes Litauisch, etwa wie die
+Pfarrer sprechen, die es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt
+aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist gut und höflich zu ihr --
+nur, daß er sie nicht ansehen kann.
+
+Seine Frau kommt später zum Vorschein. -- Eine Halblitauerin ist auch
+sie, klein und kümmerlich -- ach Gott, wie sehr! --, mit grauer
+Gesichtsfarbe und abgemüdeten Augen. Sie wirft einen neidischen Blick
+auf Erdmes kräftige Gestalt, begrüßt sie dann aber ganz freundlich.
+
+»Wenn wir nun Nachbarn werden,« sagt sie, »möge Gott geben, daß Frieden
+zwischen uns bleibt.« Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern ihren
+Mann an, der auch vor ihr den Blick zur Seite wendet.
+
+»An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,« sagt Erdme und verabschiedet
+sich. Sie fühlt sich zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man ja
+sehen kann, das Unglück im Hause sitzt.
+
+Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen ist, hat sein Eigentum
+dicht neben dem kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase sitzt und so
+niedrig ist, daß man bloß auf eine Fußbank zu steigen braucht, um
+darüber hinwegzublicken. Diese Wirtschaft sieht schon etwas
+vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an den grünen Simsenbüscheln
+rupfen zwei magere Kühe.
+
+Der Besitzer heißt Smailus und hat vor kurzem schon die zweite Frau
+begraben. Er ist ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an die
+Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht und langhängendem
+Hetmansschnurrbart, aber seine Augen haben einen stumpfen und
+schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn nichts anginge.
+
+Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins Leben, das sich dicht hinter
+ihm aus dem Hause drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens
+dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, aber unter dem Halse hat
+sie eine goldene Brosche sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins
+Gespräch und sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem ganz kleinen
+Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei sie immerhin, und was sie tun
+könne, um Frischzugezogenen das Leben zu erleichtern, das solle gewiß
+geschehen.
+
+Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine Ding, das mit dem Maulwerk
+vorneweg ist wie eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht anders
+sein kann, und sagt bloß: »Ja, ja, das Bauen und das Begraben muß man
+schon immer gemeinsam verrichten.«
+
+»In dem Begraben hat er wohl Übung,« denkt die Erdme, sich bedankend,
+und die Kleine begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich.
+
+Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt sie, und dann wird sie in die
+Stadt gehen und ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein,
+wie es in der Kolonie schon viele getan haben. Vorerst aber muß sie dem
+Vater noch eine Frau besorgen. So eine schöne und starke wie Erdme wäre
+ihr schon recht -- aber Geld muß sie haben --; die zweite, von der sie
+die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt -- bloß nicht genug --, und ob
+Erdme nicht eine weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann.
+
+Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der Kleinen schlägt ihr aufs Herz
+wie ein starker Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen Lebens
+vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch ihr Schicksal liegt nun bereits
+so steinern fest, daß keiner auf der Welt mehr daran rühren kann. Wie
+eingesunken in diesen Moorschlamm liegt es, der keinen Grund und Boden
+hat und nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen Wurzelfäden
+umwindet.
+
+Die Kleine heißt Ulele. »Das ist ein altertümlicher Name,« sagt sie,
+»den ich natürlich nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen
+sein wird.«
+
+Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht ihr traurig und bewundernd
+nach, wie sie mit ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich
+flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und die Lumpen flattern an ihr
+wie zwei Fledermausflügel.
+
+»Für mich ist es nun schon zu spät,« denkt Erdme. »Ich muß warten, bis
+ich Töchter kriege.« -- -- --
+
+Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn es auch schon älter scheint,
+doch noch zur Nachbarschaft gehört. Es macht aus der Ferne gesehen einen
+recht kläglichen Eindruck, und gerade darum möchte Erdme es kennen
+lernen, denn sie will wissen, wie man sich hier behelfen muß, wenn man
+ganz arm bleibt. Gleichsam als abschreckendes Beispiel will sie es
+kennen lernen.
+
+Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei gezeigt, und als sie ihn am
+Mittag noch einmal fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit dem
+Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier nichts zu mähen gibt.
+
+So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt er: »Über meine Nächsten rede
+ich nichts Böses, und wenn ich Böses reden müßte, so schweige ich
+lieber.«
+
+Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, aber als sie gegen den Abend
+desselben Tages wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom Wege aus
+angerufen.
+
+Sie sieht einen kleinen, alten Mann im Graben sitzen, der einen Arm voll
+Weidenruten neben sich liegen hat und einer gerade mit dem Taschenmesser
+die Haut abzieht.
+
+»Was willst du von mir?« fragt sie, ohne sich stören zu lassen.
+
+»Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?« ruft er herüber.
+
+»Das kann schon sein,« sagt sie. »Arme zum Helfen kann man immer
+brauchen.«
+
+»Zwei Arme hab' ich auch,« sagt er.
+
+»Gehörst du zur Nachbarschaft?« fragt sie.
+
+»Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,« sagt er, »daß du heute schon
+zweimal an meinem Haus vorbeigegangen bist.«
+
+Und er weist mit seinem Messer gerade auf das Anwesen hin, von dem der
+Taruttis durchaus nicht reden will.
+
+Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, mit dem sie die Rücke
+glättet, und tritt näher auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus
+zusammengebettelten Kleidern sich streckend ein zahnloses, plieräugiges
+Greisengesicht, dem die Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen
+Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem Aussatz klebt.
+
+Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er aus.
+
+Sie fragt: »Wer bist du denn?«
+
+»Ich bin ein verdienter Mann,« sagt er und fährt fort, seine Ruten zu
+schälen. »Durch fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat tätig
+gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, da er mir keine
+Altersversorgung zahlen will. Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß
+Ruten flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt werden, die ich
+ganz ohne Lohn vollbracht habe ... Übrigens bin ich noch stark bei
+Kräften, und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten willst, so
+werde ich dir die Balken heben wie ein Spielzeug.«
+
+Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt sie sich auf die abweisenden
+Worte des milden Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, der sie
+beim Näherkommen befallen hat, und darum antwortet sie: »Ich danke dir,
+Nachbar, für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat schon ihre volle
+Zahl.«
+
+Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt vom Grabenrand auf und speit
+ihr seine wilde Bosheit sozusagen ins Gesicht.
+
+»Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?« schreit er. »Haben
+die Ohrenbläser dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner will
+mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses von mir nehmen! Aber ich
+werd' es euch antun! Wenn das Unglück kommen wird, die große Not, die
+Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen werden zu Brei und euer Herd
+sinken wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt sitzen werdet im
+Schornstein und schreien um Gnade, dann werde ich lachend anspannen
+lassen die Arche Noah und vorüberfahren und lachen über das Todesquieken
+eurer Schweine und das Todesgebrüll eurer Kuh -- am meisten aber werde
+ich lachen über euch selber, wenn der Schornstein zusammenfällt und das
+schwimmende Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es sein. Amen.«
+
+Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten auf, zieht die zerlumpten
+Beinlinge über den Hintern und geht seines Weges, aber immer noch kehrt
+er sich um und schüttelt die Faust und speilt die roten Gaumen.
+
+Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen von dem höllischen Feuer auf
+sie niedergefallen. Wenn das das Ende sein soll, warum bauen sie dann
+erst? Und warum haben die anderen gebaut? Doch deren Häuser stehen ja
+noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln in der Abendsonne. Es
+ist also wohl der böse Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat
+abschnüren wollen.
+
+Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als Jons von der Arbeit kommt
+und ihr mit Stolz zeigt, was er alles mitgebracht hat.
+
+Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen Drahtnägeln, denn
+ohne die geht's nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen Kornschnaps
+aus der Schmidtschen Destillation und alle die Zutaten zu einem süßen
+Fladen, der heute noch gebacken werden muß.
+
+Die Taruttene liefert das Mehl und viele erbauliche Sprüche dazu, und
+als die Hähne krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste dampfende
+Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, wo er die Nacht über Balken behauen
+hat wie ein gelernter Zimmermann.
+
+Aber von dem bösen alten Mann sagt sie ihm nichts.
+
+
+ 5
+
+Und nun ist es wieder Nacht geworden, und das Haus steht gerichtet. Die
+vier Kiefernstämme sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß rund
+um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel hochschoß wie ein Quell, und
+sind dann durch die aufgenagelten Latten verbunden. Oben darauf haben
+sich Sparren und Sparrbalken zum Dachgerüst zusammengefügt, und die
+künftige Zimmerdecke ist genagelt.
+
+Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die viereckigen Stücke der obersten
+Moorschicht, die für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger aber,
+um später von außen her an die Latten geklatscht zu werden und so eine
+mauerähnliche Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und Wärme gibt.
+
+Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft und ruht sich aus. Der
+fromme Taruttis natürlich und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der
+halbdeutsche Fremdling, und der lange Smailus mit seiner kleinen Ulele,
+die ihm meistens das Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat sie wie
+ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, und wo keiner die Schlinge
+befestigen konnte zum Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand hat
+sie viel klettern gesehen. Fixes Ding!
+
+Müde sind sie und warten voll Freuden des kleinen Festes, das der
+Besitzer ihnen zu bieten hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem
+Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal reihum.
+
+Nur die Frau des Witkuhn fehlt. »Sie ist immer elend,« sagt er, »und muß
+mit den Hühnern zu Bette.«
+
+»Da werd' ich mich dir wohl bald erkenntlich zeigen können, Nachbar,«
+meint die Erdme. Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes Gesicht
+geht rot eine Flamme wie von verbotener Freude.
+
+Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja immer, und zum Überfluß steht
+der Mond ziemlich hoch.
+
+Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu singen, damit die bösen
+Geister das unfertige Bauwerk nicht umschmeißen können, und das
+geschieht denn auch.
+
+Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, daß auf dem Wege, der wohl
+hundert Schritte abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und her
+bewegt.
+
+Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den bösen alten Mann von
+gestern. Die Stimme zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den
+heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, bis sie zu Ende sind,
+dann weist sie mit der Hand auf den Schatten hin, der in dem ungewissen
+Mondlicht zu tanzen scheint.
+
+Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht ein Wort. Es scheint, sie
+fürchten sich alle.
+
+Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, bis er fragt, was da los ist.
+
+»Scht« macht die Taruttene.
+
+Der lange Smailus grunzt etwas vom »Kipszas«, dem Satan, und seine
+Tochter, die Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: »Es
+müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich nicht gebeten hätte, heute
+zur Talka zu kommen, denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.«
+
+Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern mit ihm begegnet ist.
+
+»So versucht er es immer aufs neue,« sagt Taruttis, »denn der Arme kann
+es nicht verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu schaffen macht.«
+
+Jons fragt: »Warum tut man es nicht?« Und Erdme meint, abscheulich genug
+sehe er ja aus, aber das könne unmöglich allein die Schuld daran tragen.
+
+Und da erfahren sie beide seine furchtbare Geschichte. Sie ist weit
+furchtbarer, als Menschen sich ausdenken können.
+
+Als ein überführter und geständiger Raubmörder hat er fast sein ganzes
+Leben im Zuchthaus zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode geschleift,
+mit dem er zusammen nächtlicherweile auf einem Wagen gefahren war, und
+zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit dem einen Ende um die
+Radfelge, mit dem anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, als er
+nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen ist, hat er dasselbe
+Kunststück noch einmal probiert -- an einem Fuhrmann, den er auf
+stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden hatte. Aber diesmal
+ist es ihm mißglückt, denn dabei war ihm die eigene Hand ins Rad
+hineingeraten. Darum hat er auch den Dusel gehabt, trotz der
+Wiederholung solch einer Untat noch einmal herauszukommen. Und nun haust
+er wie ein Dachs in seiner Kate, die er sich als junger Mensch gebaut
+und in der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen
+Vorrichtungen gegen die Überschwemmung versehen hat. Worin sie bestehen,
+weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm hinein; von außen aber liegt
+an der Wand eine schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis zum
+Fenster hinauf alles verbirgt.
+
+Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und doch läuft es ihr einmal
+nach dem anderen kalt über den Leib. Und während der alte Raubmörder in
+seiner Sehnsucht nach Menschen dort auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie
+so leise wie die anderen, mit was für fürchterlichen Worten er ihr die
+künftige Wassersnot ausgemalt hat.
+
+Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe Frage, die ihr seit gestern
+wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht: »Wenn die wirklich einmal kommen
+wird, warum bauen wir uns erst hier an?«
+
+Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit her ist, das Wort und sagt
+beinahe feierlich: »Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute sind und
+eine Zuflucht nötig haben. Wo anders gibt man uns keine, sondern hetzt
+uns herum.«
+
+Und dann erzählt er, wie schon zweimal das Hochwasser unermeßlichen
+Schaden verursacht hat und daß es für die Zukunft immer häufiger zu
+befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: durch die Urbarmachung
+sterbe das Torfmoos ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr zu
+Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber zu einer Gefahr, die mit
+Vernichtung bedrohe, was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich
+geschaffen hat. »Aber darum arbeiten wir doch ruhig weiter,« sagt er zum
+Schluß und zieht den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen
+fühlt, »denn wir lieben dieses Stückchen Erde, das für die anderen zu
+schlecht ist und wo uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben auch die,
+die das gleiche mit uns tun und erdulden.«
+
+»Und wir lieben auch den lieben Gott,« sagt der fromme Taruttis, »der
+Gutes und Böses über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der Mensch
+sogar ein Mörder wird.«
+
+Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, denn er hat lauter gesprochen
+als die anderen, aber da ist das graue Gespenst schon fort.
+
+
+ 6
+
+Wie macht man einen Herd? Wie baut man einen Ofen? Der Boden trägt ja
+nichts. Willst du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er nach und
+schluckt es langsam unter.
+
+Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores.
+Und er ist immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber nicht etwa von
+selber kommt er. Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die
+Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. Und ruft man ihn nicht,
+so geht er von dannen.
+
+Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer von den Deutschen benimmt
+er sich nicht, die immer eine große Schnauze haben und die Litauer als
+Vieh ansehen. Und er verkehrt auch nicht mit ihnen, soviel ihrer auch
+auf der Kolonie herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem eine Heimat
+fehlt.
+
+Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. Schleppt sich 'rum und tut
+ihre Arbeit mit Wehklag'. Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre das
+nötigste oft nicht getan.
+
+Und nun ist ja auch die Erdme da. Die knapst sich manche Viertelstunde
+ab, um für sie Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen auf dem Felde
+ist.
+
+»Wenn mein Kindchen noch lebte,« sagt sie, »dann könnte es mir schon in
+manchem behilflich sein.«
+
+Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter
+den Leib zerrissen, so daß er nie mehr ganz heil ward.
+
+Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine
+Wirtin.
+
+Und dann ist noch das Unglück da, von dem _sie_ nicht spricht und _er_
+nicht spricht und das man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof nur in
+die Nähe kommt.
+
+»Ja also,« sagt der Witkuhn eines Tages, »den Herd baut man so: Man
+kauft sich« -- er sagt »kauft«, »holen« sagt er nicht -- »man kauft sich
+den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine Kiefer darf es nicht sein, denn
+deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, als wäre
+er nicht gewesen. Eine Tanne muß es sein -- deren Wurzel hat Querläufer
+nach allen Seiten -- die legen sich wie Riegel vor, wenn der Stubben
+einsinken will. So trägt er vielleicht den Herd, und ein anderer trägt
+auch den Ofen.«
+
+Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen, wo
+Tannen gerodet werden. Solche Stellen sind selten, denn die Tanne ist
+ein kostbarer Baum, nicht so gemein wie die Kiefer.
+
+Er sucht, und er findet. Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen,
+und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei Meilen
+weit. Der preußische Staat ist reich. Ob der einen Stubben mehr oder
+weniger hat, was macht ihm das? Und auch den zweiten kann er noch
+leidlich entbehren.
+
+Aber noch mehrere müssen daran glauben, denn die Schlammschicht ist
+tief. Einer muß über den anderen gelegt werden, und dann erst hält der
+Grund so fest, daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann.
+
+Aber die Ziegel kann man leider nicht »holen«, denn der Herr
+Ökonomierat, dem der große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter und
+hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute.
+
+Vielleicht versucht man es also mit Betteln. Denn weit und breit weiß
+jeder, welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist.
+
+Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal, der mit
+Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen. Man kann sich
+nicht vorstellen, daß es so viele Bücher gibt auf der Welt. Aber es ist
+kein »Bagoszius« -- kein Geldprotz --, der zu ihnen spricht, sondern er
+ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die
+Zähne und schmunzelt sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. Die
+sehen einen durch und durch.
+
+»Schenken werd' ich euch die Ziegel nicht,« sagt er, als sie ihre Bitte
+vorgebracht haben, »denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher.
+Aber verkaufen werd' ich sie euch.«
+
+Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen
+können.
+
+»Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen.«
+
+Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: Vielleicht probiert man es
+doch mit dem »Holen«.
+
+Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl er litauisch spricht,
+beinahe so gut wie sie selber. Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst
+lachen sie hell auf.
+
+_Ob_ sie singen können!
+
+»Könnt ihr auch Märchen erzählen?«
+
+Fünfhundert können sie erzählen. Tag und Nacht und noch einmal Tag und
+Nacht lang können sie erzählen.
+
+»So viel will ich gar nicht wissen,« sagt er. »Singt mir zehn Lieder und
+erzählt mir zehn Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter finde.
+Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden, soviel ihr braucht.«
+
+Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, damit sie den nötigen Mut
+bekommen, und dann geht's los.
+
+Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich wieder abbrechen. Aber
+das vierte ist ihm neu, das schreibt er sich auf. Und von den Märchen,
+die die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf.
+
+Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister, und damit
+haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige Lehm
+muß ja freilich doch noch gemaust werden, aber den liefert zur Nachtzeit
+die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, und das Strauchwerk, das
+als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß, kann man sich ringsum von
+den Weidenbüschen schneiden.
+
+So steigt die Mauer bald bis zur Decke.
+
+Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran, auf der anderen
+der Ofen. Sehr schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten Kacheln
+würde sich sicher weit besser machen, und gerade steht er ja auch nicht,
+aber wärmen wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin prasseln.
+
+Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt man im Rauch.
+
+Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten. Wenn man nur
+weiter wüßte!
+
+»Bei Schmidt auf dem Hofe,« sagt der Witkuhn, »liegt ein Haufen von
+rostigen Kannen. In denen ist früher Petroleum gewesen. Da kostet jede
+zehn Pfennig. Davon kauft euch ein Dutzend.«
+
+Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch.
+
+Aber nun weiter!
+
+Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus Latten eine vierseitige Röhre
+macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch die
+Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben
+und so hoch geführt, daß sie die Sparren noch überragt. Dann wird unten
+von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, -- und siehe da! der
+Schornstein ist fertig.
+
+Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, wie qualmt das -- und stinken
+tut es nicht weniger -- vor allem nach Leim und Petroleum, aber das wird
+sich schon legen.
+
+Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat, findet er schließlich
+den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin, wo es
+schnurgerade in den Himmel geht. Wenn er es im Winter ebenso macht, ist
+die Stubenwärme gesichert.
+
+Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und Dach das ihrige tun. Die
+Hauswand -- das ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der kluge
+Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie niemals fertig.
+
+Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein? Er wartet ja bloß darauf,
+daß die Erdme ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch.
+
+Die viereckigen Moorfladen, die man an die Bretterwand preßt, halten
+wohl fest, solange sie feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab,
+wie Sandbrocken fallen.
+
+Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine
+zweite Wand -- fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die ist ganz
+luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. In dem Raum zwischen den beiden
+sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber
+beruhen.
+
+Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen. Nur zur
+besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde
+geklemmt, denn es werden die Winterstürme kommen, und der Sturzregen
+wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen.
+
+So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß und alles kennt, und sieht an
+Erdme vorbei, und das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren.
+
+Wenn sie mit ihm allein ist -- und das geschieht fast alltäglich --,
+dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu dem
+noch was Anderes hinzukommt, das ihr das Herz beklemmt. Es ist, als
+hätte sie Angst vor _seiner_ Angst, denn Angst hat er immer, das ist
+ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. --
+
+Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich den guten Nachbar erhalten.
+
+Nach der Hauswand das Dach!
+
+»Jons, bring Rohr!« Es können auch Binsen sein -- oder beides zusammen.
+-- An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn auch das
+Moor selbst sie nicht liebt -- oder sie nicht das Moor, was auf dasselbe
+herauskommt. Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, und alle sind sie
+mit Röhricht umstanden.
+
+Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last, wenn er
+hochgetürmt vom Rußufer daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel,
+denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man es findet, versteht sich von
+selber.
+
+In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, so daß man bald ans
+Dachdecken gehen kann. Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen
+werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen
+und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und
+besichelt die Enden. Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr
+zu, denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen, es sei denn der
+eigene.
+
+O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun sieht es schon bald aus wie ein
+Haus. Aber noch fehlen die Türen, die Fenster -- kein Mensch kann sich
+ausdenken, was alles noch fehlt.
+
+Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, der irrt sich. Eines Tages bringt
+er zwei Fenster an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, nur daß
+die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind. Vorige Nacht hat es
+nämlich in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen
+und hat gesagt: »Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps. Dem
+Versicherungsinspektor erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden,
+und dann kriegst du neues dafür.«
+
+Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein, er hilft sogar dem Jons in
+der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den
+Handwagen laden.
+
+Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst,
+und wer ihm begegnet, der lacht ihn an, denn er denkt, er habe es aus
+dem Brandschutt gestohlen.
+
+So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht
+kommen.
+
+
+ 7
+
+Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die
+Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt, so fragt er
+wohl seinen Begleiter: »Wer hat sich das hübsche kleine Hauschen
+gebaut?«
+
+Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet er: »Das ist der Losmann
+Jons Baltruschat, der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist.«
+
+Und der Fremde sagt wohl: »Das müssen fleißige Leute sein.«
+
+Aber durch die himmelblaue Tür darf er bei Jesu Leibe nicht eintreten,
+denn drin sieht es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar nichts.
+Nicht einmal die Ritzen, die zwischen den Schwarten klaffen, und die
+Astaugen darin sind richtig verschmiert, und überall hängen die Fasern
+der Moorschicht.
+
+Doch lange darf die Schande nicht dauern.
+
+Vor allem der Fußboden! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor, und das
+soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein. Aber da
+kennt ihr die Erdme schlecht! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein
+Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht. Dann werden die
+Wände verklebt, und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. Überall in
+den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, bunte Bilder ausgehängt. Die
+preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und
+Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen. Und
+immer kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf dem Speicher
+herumliegen, die bettelt man sich zusammen. Und die jungen Gehilfen
+lachen und holen sie gern. Außerdem war doch -- Erdme besinnt sich genau
+-- in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter
+aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen. Der Niagarafall und
+die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so noch
+manches andere.
+
+»_Liebe_ Frau Schlopsnies, _gute_ Frau Schlopsnies, ich hab' mich so
+sehr nach Ihnen gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, möcht' ich's
+fürs Leben gern nach Ihnen benennen.«
+
+Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen
+eigentlich heißt. Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar die
+Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei, die Frau Schlopsnies
+sich einst gesammelt hat, als sie noch keine alte Schachtel war und als
+Kellnerin hochkommen wollte.
+
+Die sind noch so gut wie neu. Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter
+kriegt, dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen
+Damen, die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen.
+
+Und nun wird die Stube geschmückt! Bild neben Bild geklebt, und die
+buntesten kriegen die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer so
+viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen muß, und die Spitze des
+Monte Rosa schon deshalb, weil es da oben so kalt ist.
+
+So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends. Der Taruttis hat
+ja auch Bilder geklebt, aber die sind bloß griesgrau und stammen aus
+Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und bei Witkuhn hängt nur das
+Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des Moorvogts.
+
+Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. Die Tage werden kürzer, und
+darum getraut sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber wie die
+Zimmerdecke gedichtet werden muß, da braucht sie ihn doch. Denn wenn der
+Jons heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel.
+
+Erst will er gar nicht hereinkommen -- gewiß hat er wieder mal Angst --,
+aber als er die Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln -- ein
+Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön ist -- über sein stilles
+Gesicht.
+
+Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit.
+
+»Ohne dich, Nachbar,« sagt sie, »hätten wir's nie so weit gebracht.« Und
+sie legt ihm die Hände auf beide Schultern.
+
+Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser, sinkt auf
+den Bock, wo der Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht und
+weint.
+
+»Was ist? Was ist?« fragt sie erschrocken.
+
+Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich zu ihm nieder und
+streichelt ihn.
+
+Und -- was tut er? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und
+küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen.
+
+»Nicht doch, Nachbar,« sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf,
+»so was mußt du nicht tun.«
+
+Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, sonst muß er ins Torfloch.
+
+»Schade, Nachbar,« sagt sie und lacht, wie sie immer gelacht hat, wenn
+sie einer hat haben wollen, »schade, daß du nicht früher gekommen bist.
+Als Mädchen nahm ich's nicht so genau. Da hat mich bald der geliebt und
+bald jener. Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der Jons und ich,
+da würde ich mich vor ihm schämen, wenn er des Abends nach Haus kommt.
+Außerdem, wenn du's wissen willst, in anderen Umständen bin ich wohl
+auch.«
+
+Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, sich festzuhalten, und
+geht hinaus wie betrunken.
+
+Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, denn innerlich hat sie den
+Nachbar gern. Und um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr hängt.
+Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm gutzumachen, so hält sie es
+mit der Frau und hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes Tagwerk
+kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, aber über das Schwerste ist sie
+ja weg. Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, wenn sie vom
+Melken kommt. Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht.
+
+Und die Frau sieht sie immer mit großen, bittenden Augen an, als will
+sie was sagen. Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch nachhilft.
+
+Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal denkt die Erdme: »Jetzt
+weiß ich's.« Aber das geht wider Natur und Religion, und darum wirft sie
+es weit von sich weg.
+
+Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe, und wenn er
+vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er lieber noch
+einmal um. Sie möchte ihm manchmal entgegengehen, aber das sähe ja aus,
+als ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber.
+
+Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen werden kann, aber alles Geräte
+fehlt. Nur die Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen Hause
+steht, ist gleich beim Bauen festgemacht worden.
+
+Und der Jons kommt immer später. Er sagt, er habe Überstunden, aber das
+glaubt sie ihm nicht.
+
+Der Winter steht vor der Tür, und noch ist die Bettstatt nicht da und
+auch kein Tisch und kein Kasten.
+
+Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, aber er schüttelt bloß
+immer den Kopf.
+
+»Mein Gott, mein Gott,« denkt sie, denn sie geht mit der Katrike -- so
+wird es heißen, wenn es ein Mädchen ist -- nun schon im vierten Monat.
+
+Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. Wie andere heimlich
+nach einem vergrabenen Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie
+wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um, ob niemand am Weg
+ist, und dann kniet sie rasch nieder und scharrt an _der_ Stelle und
+jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut, -- und
+siehe da! überall sagt ihr ein junges Knollchen: »Labsriets« und »da bin
+ich«. -- Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen
+schon, wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen sie
+immer noch weiter.
+
+Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht das mindeste an. Für nichts hat
+er Sinn und Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab. Er
+kommt und geht -- das ist alles.
+
+Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes
+angekramt -- und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum
+Winter verlassen.
+
+»Dann steck' ich das Haus in Brand,« denkt sie, »und zieh' hinüber zum
+Nachbar.«
+
+Aber eines Abends so um die Michaeliszeit -- da kommt nach
+Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang -- beladen mit allerhand
+Zeug -- man weiß nicht recht was. Und neben dem Fuhrmann sitzt einer --
+der hat so breite Schultern wie Jons -- und sieht auch sonst aus wie
+Jons -- und schließlich ist es auch Jons.
+
+Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut, als will er aufs Moor
+einbiegen. Aber das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine Schuhe an
+und würde versinken bis an den Leibgurt.
+
+Und wie sie herzuläuft -- um Gotteswillen, was sieht sie da? Hoch auf
+dem Wagen steht ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten und gelben
+Blumchen, und eine Bettstatt ebenso grün, und ein Tisch mit kreuzweisen
+Füßen, und sogar -- man kann es nicht fassen, ob auch das Abendrot draus
+in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln -- ein Spiegel ist da! --
+Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel!
+
+Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, und das wäre auf dem Moor
+auch gar nicht so schwierig.
+
+»Ist das für uns?« schreit sie ihn an.
+
+Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat, und reicht ihr den
+Spiegel herunter. Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar
+zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, die Rágana selber.
+
+Und sie kuckt in den Spiegel -- der spiegelt zwar nicht -- aber es ist
+doch ein Spiegel.
+
+Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, aber die Bettstatt muß
+auseinandergenommen werden, denn die Tür ist zu schmal, und der Tisch
+geht erst recht nicht hindurch. Aber schließlich steht alles an seinem
+Platz, und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk.
+
+Nur schade! Stockfinster ist es geworden. Selbst die Blumchen der
+Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen.
+
+Da sagt der Jons: »Was du wohl denkst! Das Schönste ist immer noch
+draußen.«
+
+Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im Leben hat sie gedacht, daß man
+so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann.
+
+Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und was bringt er getragen? Eine
+Lampe. Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke, wie sie
+im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube
+der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. Dort hatten sie alle
+bloß blecherne Schilder.
+
+Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht da und läßt sich bewundern.
+
+Wie hat das zugehen können?
+
+Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter sind aus der Sägemühle, das
+ist klar. Aber weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz
+seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn gefragt, wie man wohl am besten zu
+einer Einrichtung kommen könne. Da hat der Tischler sich erst umgesehen
+und dann gesagt: »Wer mir beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht
+etwa zu kurz komme, dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm
+zeigen, wie er es macht.« Nun, der Tischler Kuntze ist _nicht_ zu kurz
+gekommen. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen
+lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. Dann
+hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe, und
+noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Heim wohnen wie jeder
+Besitzer.
+
+So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es müßte wirklich mit unrechten
+Dingen zugehen, wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen.
+
+Und sie kommen vorwärts.
+
+Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. Davon kann neben ihnen noch
+ein Ferkelchen satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos ist,
+erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und
+rohrgeflochtenen Wänden. Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl
+auch eine Ziege, deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt. Im
+Sommer nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter aber muß
+vorgesorgt werden.
+
+Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher Finsternis hinter den
+Fudern daherläuft, die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott
+sei Dank bloß in kurzem Trab fahren -- sonst würde die Erdme in ihrem
+Zustand ihnen nicht folgen können. Das Verstreute sammelt man auf dem
+hinterher fahrenden Handwagen, so rasch es nur geht, denn unverschämte
+Diebe gibt es genug, die einem das sauer Erworbene vor der Nase
+wegschnappen wollen. Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern
+bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen prügelt man sich herum,
+oder man einigt sich besser in Güte.
+
+So wird allmählich der Bodenraum voll. Nur für die Heizung muß Platz
+bleiben. Um die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das Randstück eines
+Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben -- genau
+so wie jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht. Warum soll man
+ihm also entgegenkommen?
+
+»Er wird schon mahnen,« lacht die kleine Ulele. »Er hat ein dickes Buch.
+Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters. Was
+ehrlich erworben ist und was nicht. Es steht alles darin.«
+
+Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach
+hinten zurück. Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. Und so
+entschuldigt sie's auch bei der kleinen Ulele.
+
+
+ 8
+
+Der Winter kommt wie alles Schlimme früher, als man sich's denkt.
+
+Eines Morgens zu Anfang November ist das Moor gefroren wie ein Brett.
+Bis dahin hat man im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr.
+
+Der Handwagen des frommen Taruttis, der so viel Unfrommes mit angesehen
+hat, ist ihm zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, die Jons
+vom Markte gebracht hat.
+
+Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt sich und klingt, wenn man
+auf dem Moore daherkommt. Die Torfziegel, die Erdme alle selber
+gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. Obwohl sie sie
+mit Rohr bedeckt hat gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer
+nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, brennen werden sie doch, und der
+Qualm geht zum Schornstein hinaus.
+
+Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach Haus kommt, findet er die Stube
+so voller Rauch, daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und auf dem
+Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet.
+
+Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei ist, lacht und sagt: »An
+den Rauch gewöhnt man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken wir,
+unten versinken wir und sind ganz lustig dabei.«
+
+Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man kaum mehr, ob es raucht oder
+nicht, wenn man's nur warm hat. Und das ist die Hauptsache.
+
+Denn Tage brechen herein, so naß und so kalt, daß einem das Herz im
+Leibe erklammt, wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer ist,
+der suppende Nebel oder der rotklare Frost, die fegenden Schneestürme
+oder der windstille Rauhreif, -- man weiß es wahrhaftig kaum; nirgends
+friert man so wie hier auf dem Moor. Die Kälte auf der Spitze des Monte
+Rosa muß dagegen ein Kinderspiel sein.
+
+Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee kam, der Zufahrtssteg
+angelegt und mit kleinen Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde
+der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, nicht wissen, wo er
+abbiegen muß, so verstiemt ist alles in Weite und Breite. -- Selbst das
+Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee und muß am Morgen
+ausgeschaufelt werden, damit man weiß, daß es Tag ist.
+
+Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. Nur das Ferkelchen muß sie
+versehen, das prächtig gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, könnte
+man pökeln für Jahre. Aber so üppig leben wir nicht. Wir sind froh, wenn
+wir ab und zu einen Hering haben. Das Schwein wird, wenn es fett ist, an
+den Schlachter verkauft, und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital
+für die künftige Kuh. Aber das sind noch Zukunftsträume. Fürs erste
+wollen wir mit der Ziege zufrieden sein.
+
+Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, frißt mit aus dem
+Schweinetrog und stößt, wenn man sie melken will.
+
+Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt ihre Milch so großmütig her,
+wie nur eine kann, deren Haltung nichts kostet. --
+
+Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist das Gefangensein. Man kuckt
+nach rechts -- man kuckt nach links -- alles ist weiß, alles ist weit,
+und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem Wege, um zu zeigen, daß es noch
+Dinge gibt auf der Welt, die anders aussehen als weiß. Die Häuser der
+Nachbarn stehen ja da, aber sie sind fast ganz in Schneefluchten
+versunken, und nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt's auf dem Dach
+einen graulichen Flecken.
+
+Man kann sich kaum vorstellen, daß dort überall Menschen wohnen, denn
+niemals sieht man einen, und man geht auch nicht gerne hinüber.
+
+Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber kaum mehr, wie eine
+fremde Menschenstimme sich anhört.
+
+Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie geht auf Freiersfüßen. Wenn
+sie zum Frühling eingesegnet wird, muß der Vater schon seine Frau haben.
+Denn dann will sie in die große Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine,
+die hat dreihundert Taler, und eine andere, die hat noch mehr. Aber an
+der hängen zwei Kinder, deren Vater sie manchmal besucht. Und die Ulele
+meint mit Recht, das werde Streitigkeiten geben, wenn sie selbst als
+Vermittlerin nicht mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die erste
+wählen, aber der muß noch viel zugeredet werden, denn sie fürchtet, der
+Weg der Vorgängerinnen werde alsbald auch der ihrige sein.
+
+So hat man seine Sorgen, auch wenn man noch Kind ist.
+
+Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit Monaten nichts mehr gesehen, und
+die Hilfeleistung bei seiner Frau muß die kleine Ulele für sie mit
+übernehmen.
+
+Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an den man sich halten kann. An
+jedem Sonntagabend gibt's eine Versammlung bei ihm. Zu der kommen die
+Gebetsleute weit und breit, und manchmal sind Stube und Vorflur so voll,
+daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht der eisige Wind wie mit
+Peitschenhieben über die Köpfe.
+
+Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder werden gesungen,
+Sündenbekenntnisse abgegeben, und meistens kriegt der heilige Geist
+einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht und mit Zungen
+redet, während die anderen horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes
+Sonntagsvergnügen.
+
+Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme noch nicht, denn das Abtun des
+Irdischen ist wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden als Gäste
+geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung auch ihnen nicht ausbleiben
+kann.
+
+Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen und Weststurm. Dann hat der
+Schnee sich gelöst, und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann
+riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und doch sind gar wenige
+Pferde ringsum. Nur der Wohlhabende kann sich eins halten.
+
+Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr
+Pferdchen nicht fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, aber kommen
+wird es gewiß, genau wie das Fettschwein gekommen ist, um das der
+Schlachter schon lange herumstreicht.
+
+Aber vorerst wird was Anderes kommen -- etwas, das einst in Samt und
+Seide gehen wird und wofür der Sohn eines Gendarmen schon längst nicht
+mehr gut genug ist. Ein großer Besitzer muß es sein, wie die reichen
+Herren der Niederung, die hundert Kühe halten und deren Käsereien mit
+Dampf betrieben werden. Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst
+der Jons mit sich handeln läßt.
+
+Um Mitte März kann das Kleine schon da sein. Und der März steht vor der
+Tür. Die Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, und wenn mittags
+die Eiszapfen tropfen, klingt es wie Frühlingsmusik.
+
+Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. Mühselig schleppt sie sich ins
+Haus. Die Erdme ist noch ein Wiesel dagegen.
+
+»Nachbarin,« sagt sie. »Ich weiß, deine Stunde wird bald kommen. Ich
+hab' eine Bitte an dich.«
+
+»Was für eine Bitte?« fragt die Erdme.
+
+»Sieh mich an,« sagt sie darauf. »So quiem' ich nun schon an die zehn
+Jahr. Und die Wirtschaft kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott ein
+Einsehen, so würd' er mich zu sich nehmen, damit der Witkuhn sich nach
+etwas Besserem umsehen kann. Aber so werd' ich ihm zur Last liegen, wer
+weiß wie lange.«
+
+Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was man so sagen kann.
+
+»Darum sollst du mir das Versprechen geben,« fährt sie fort, »daß du es
+bei der Hebamme nicht bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor
+bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.«
+
+»Um Gotteswillen!« schreit die Erdme ganz erschrocken. »Das kostet zehn
+Mark!«
+
+»Das haben wir auch schon überlegt,« meint die Nachbarin, »und der
+Witkuhn hat gesagt, wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt er
+mit Freuden.«
+
+Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an das, was im Frühherbst
+passiert ist. Und sie sagt: »Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel
+haben wir selber. Nur sollt' es für die Kuh gespart bleiben.«
+
+»Die Kuh kann krepieren,« sagt die Witkuhn, »und dann spart man sich
+eine neue. Aber wenn man selbst zuschanden ist, dann spart man sich
+keine mehr.«
+
+_Die_ Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und sie gibt das Versprechen. Sie
+kann es ruhig tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem Fuhrwerk werden
+wird, weiß sie noch nicht. Denn wenn der Doktor sich selbst eins
+bestellt, so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat auch dafür
+schon Rat geschafft. Er hat mit einem der besseren Besitzer gesprochen,
+und der wird sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so weit ist.
+
+Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und schreit wie ein Tier. Seit
+Stunden folgt eine Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm aus
+dem Leibe reißen.
+
+Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, anzusehen wie ein rotbärtiger
+Riese -- Perkuhn, der Donnergott, muß so ausgesehen haben --, und blickt
+aus großen, rollenden Gottesaugen auf sie herab und sagt mit einer
+Stimme, bullrig und gut wie abziehendes Ungewitter: »Na--a? Kommt es
+denn immer noch nicht?«
+
+Nein, es kommt immer noch nicht. Und kommt auch die ganze Nacht hindurch
+nicht. Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine Knie zu fassen
+und kneift sich darin fest, daß er lachend schreit: »Wirst du wohl
+loslassen!« Aber sie kneift nur noch fester.
+
+Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher gewesen als die Decke
+des Zimmers; nur ganz gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und
+auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke sitzt, erscheint er noch
+immer so groß wie etwa ein Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er
+langsam kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird er kleiner. --
+
+Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie mit einmal: »Für zehn Mark wird
+er das gar nicht machen.« Und sie fängt vor Angst und Ungeduld zu weinen
+an, weil es so teuer wird.
+
+Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen Schmerzen sind, die ihr die
+Tränen zum Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die Hand beklopft,
+da ist er schon ganz klein.
+
+Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht und kippt mit seinem
+mächtigen Schmerbauch nach hinten zurück, so daß die Beine hoch in der
+Luft herumrudern.
+
+Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht und der Moorboden haben dem
+mächtigen Körper nicht standhalten können, und die vier Beine der Hocke
+sind unter ihm in die Tiefe gesunken.
+
+Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht und lacht, und aus dem Lachen
+heraus kreischt sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke
+geschnitten, und -- wupp! -- ist die Katrike da!
+
+Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons demütig die Mütze in der Hand
+und fragt ihn, was es wohl kostet.
+
+Da sieht er sich in der Stube um, besieht den grünbunten Schrank und den
+goldrahmigen Spiegel und sagt: »Nun, nun, ihr scheint ja ganz
+wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also« -- der Erdme steht das Herz
+still vor Angst -- »gebt mir also -- drei Mark.«
+
+Und die Erdme denkt jubelnd: »Wenn das so billig ist, krieg' ich
+nächsten Frühling ein zweites.«
+
+
+ 9
+
+Man müßte lügen, wollte man sagen, daß das nun folgende Jahr für den
+Jons und die Erdme kein gesegnetes gewesen sei.
+
+Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh zieht ein. -- Sie ist die
+klügste, die schönstgefärbte, die milchreichste Kuh, die es auf Erden je
+gegeben hat. Die Milch muß morgens und abends zur Sammelstelle getragen
+werden und bringt manchen nützlichen Groschen. Das Schlimme ist nur, daß
+es an Futter fehlt, denn auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst,
+wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine Bewohner helfen sich
+dadurch, daß sie im Umkreis -- bis über den großen Strom hin -- jedes
+Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist.
+
+So geht auch Jons auf die Suche, findet aber nichts, was nahe genug
+gelegen wäre, daß man das Heu auf der Karre heimschaffen könnte.
+
+In all den Sorgen muß also wohl oder übel der Moorvogt heran, der ja am
+besten Bescheid weiß.
+
+Sie tun also so, als hätten sie _kein_ schlechtes Gewissen, stecken für
+alle Fälle die schuldig gebliebene Pacht in die Tasche und gehen zu ihm.
+
+Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt dann ein großes Buch auf
+-- das Buch gewiß, in dem all ihre Sünden stehen -- und sieht sie darauf
+wieder an.
+
+Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, und er denkt: »In Gottes
+Namen.« Damit zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt sie auf
+den Tisch. »Schad' um das schöne Geld,« denkt die Erdme. Aber wenn man
+so angesehen wird, was kann man da machen?
+
+»Es war Zeit,« sagt der Moorvogt -- weiter nichts -- und schreibt ein
+Zeichen in das Buch.
+
+Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen Bewußtsein seiner
+Rechtlichkeit und sagt mit Würde: »Die Pacht fürs zweite Jahr wird auch
+bald da sein.«
+
+»_Das_ wär' nun nicht nötig gewesen,« denkt die Erdme, aber weil es doch
+mal heraus ist, will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt hinzu:
+»Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen erfüllen wir
+pünktlich.«
+
+Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als will er ein Prusten verstecken,
+und der Erdme wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit dem Manne nie,
+wie man dran ist.
+
+Er breitet eine große Plankarte aus und fragt dann: »Wieviel
+Kartoffelland nehmt ihr dieses Jahr in Arbeit?«
+
+»Wenn's Glück gut ist,« sagt die Erdme, »wird die Hälfte von dem
+Gepachteten fertig.«
+
+Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder eine Weile an und sagt dann:
+»Für ordentliche Leute hab' ich immer noch ein Stückchen Wiese bereit,
+das nicht zu weit liegt.«
+
+»O Gott, o Gott,« denkt die Erdme. »Wie erträgt der Mensch so viel
+Glück? Erst die Wiese und dann auch noch gelobt werden.«
+
+»Außerdem,« fährt der Moorvogt fort, »ist der Fiskus bereit, Ansiedlern,
+die sich bewähren, zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel
+unter die Arme zu greifen. Das gibt dann die doppelte Ernte.«
+
+Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt das Heulen, rennt hinaus und
+rennt schnurstracks nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. Dann
+wirft sie sich über die Wiege der kleinen Katrike und erzählt ihr die
+ganze Geschichte. Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher einmal in
+Samt und Seide gehen wird, erzählt sie ihr auch.
+
+Wie der Jons nachkommt, der inzwischen alles festgemacht hat, fällt ihr
+ein, daß der Moorvogt, wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen
+Fahrten unmöglich was wissen kann. Die kleine Ulele hat sie gewiß
+umsonst in Angst gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine Grenzen.
+
+Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß angelegt werden, sonst wird's für
+den Sommer zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht da, Weidenruten
+tun's auch. Wenn die bloß nicht immer von neuem losgrünen wollten. Tag
+für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, sogar die Brandmauer
+zwischen Kochherd und Ofen schlägt noch einmal aus, weil die Ruten, die
+ihr den Halt geben sollen, sich in dem Glauben befinden, sie seien zu
+neuem Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt.
+
+So will alles leben und gedeihen, selbst wenn es längst tot ist. Und der
+Jons und die Erdme sollten _nicht_ gedeihen, in denen doch Leben steckt
+für zehne?
+
+Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch und Fenchel werden gesät, vor
+allem aber die Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. Denn wenn die
+Katrike heiratet, muß sie sich ihren Kranz aus dem eigenen Garten
+winden. Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht anders. -- --
+
+Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles zum dritten Mal Hochzeit. Die
+Kleine hat viel Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die sie der
+künftigen Stiefmutter beibrachte, daß sie selbst einmal etwas sehr
+Reiches werden wird, hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben.
+
+Sie ist eine hübsche Person zu Ende der Zwanzig mit einem gutherzigen
+und gekränkten Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen deutschen
+Kleide und einer Jettbrosche unter dem Halse, sieht sie aus, als ob sie
+gekommen wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber die kleine Ulele
+weicht ihr nicht von der Seite und erzählt ihr immer aufs neue, wie
+herrlich hier alles bestellt ist und was für vornehme Gäste die Stube
+erfüllen und daß es für ihre dreihundert Taler eine bessere Verwertung
+nicht gebe.
+
+Der große Smailus dagegen streicht seinen rundbogigen Schnurrbart, sieht
+kühn in die Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, dies sei nun
+schon seine Dritte. Und hernach, wie er betrunken ist, setzt er hinzu,
+wenn daraus eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es ganz recht. Aber
+da hat ihn die Ulele bald beiseite geschafft.
+
+Abends spät, wie viele der Gäste schon weg sind und die verlassene junge
+Frau aus dem Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, als möchte sie
+rasch wieder anspannen lassen, da nimmt die kleine Ulele die Erdme
+beiseite und sagt: »Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach der Stadt,
+um das Nähen und die Putzmacherei zu erlernen, denn das muß immer das
+erste sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen kann. Aber ich
+seh' ein, ich kann die Stiefmutter, bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz
+allein lassen. Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. Von dort
+wutsch' ich des Abends manchmal herüber und red' ihr gut zu. Dich,
+Erdme, aber bitt' ich, daß du oft um sie bist. Der Vater meint es nicht
+schlecht, aber sein Wesen könnt' sie verschrecken.«
+
+Und die Erdme verspricht es und denkt: »Zusammen mit der kranken Witkuhn
+sind es schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.«
+
+Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge Frau und erzählt, wie
+verzagt sie einmal gewesen ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen
+sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte.
+
+Und die junge Frau meint traurig: »Aber deiner war jung und war auch
+kein Witmann.«
+
+Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt sie sie bloß und hält ihr die
+Hände. Und langsam beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten
+Fladen.
+
+Der Witkuhn ist auch da -- ohne die Frau --, aber er spricht die Erdme
+nicht an. Sie muß selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten
+erinnern.
+
+»Es war doch so hübsch, Nachbar,« sagt sie, »darum komm nur immer
+herüber. Was nicht sein soll, das hab' ich vergessen.«
+
+Er sagt: »Du bist gut gegen die kranke Frau und darum auch gut gegen
+mich. Ich bete für dich am Morgen und Abend, aber kommen -- das kann ich
+nicht.«
+
+Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen gehen soll, und nimmt
+sich vor, ihn nächstens kirre zu kriegen.
+
+Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie -- sie führt ihn natürlich,
+denn hätt' er sich nüchtern gehalten, so wär's eine schlechte Hochzeit
+gewesen --, da sieht sie auf dem Weg den grauen Schatten herumlaufen,
+der voriges Jahr, als sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich
+ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen gefahren war.
+
+Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis und denkt auch an die
+Wassersnot, vor der sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz
+ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, wie es geschieht --, sie
+hätt' es auch nicht für möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen
+hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt hat, und es ihm hinreichen.
+Und sagt: »Da nimm, Nachbar, und wenn _du_ Hochzeit machst, gibst du mir
+auch was.«
+
+Er greift zu wie ein Verhungernder und prustet und faucht und läuft
+rasch davon, als muß er den Raub in Sicherheit bringen.
+
+Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. Denn sie denkt, er werde nun
+ein Recht an sie haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, wenn er des
+Wegs kommt. Und es redet doch sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme
+Taruttis tut es nicht.
+
+Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat er sie anzuhalten versucht,
+und manchmal ist er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. -- -- --
+
+Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und Kuh verlangen Wartung, eines so
+viel wie das andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da.
+
+Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr schwer, und die junge Frau
+Smailus muß eingewöhnt werden, sonst läuft sie womöglich wieder davon.
+
+Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der kleinen Ulele gehabt hat.
+Aber klein ist die schon lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch
+kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid und einen Strohhut mit Blumen.
+Sie nimmt die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich mit ihr in das
+Kieferngestrüpp, das nicht höher ist als der Vater und dessen Nadeln
+büschelweis stehen wie Haare auf Warzen.
+
+»Ach, wie ist es schön, so in einem grünen Walde zu sitzen,« sagt sie
+dann, »und die gesegnete Flur zu erblicken!« Und dabei zeigt sie nach
+den struppigen Kartoffeln und auf das brandige Moor, auf dem nichts
+weiter wächst als Torf in kohlschwarzen Haufen.
+
+Und alsbald hat sie die junge Frau für acht Tage wieder getröstet.
+
+Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: »Gott sei Dank, jetzt wird sie's
+leichter haben, denn es ist zugesät bei ihr.«
+
+Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. Oft muß die Erdme heran,
+der traurigen Frau den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht
+und immer nach Hause will.
+
+Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. Da heißt es, sich dreifach
+zusammennehmen und sich nichts merken lassen, sonst geht die Wirtschaft
+den Krebsgang.
+
+Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt auch für die Wiese zu
+sorgen. Die Karre nimmt er des Morgens meist mit und schiebt sie des
+Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. Dazu kommt noch die Heuaust,
+das Mähen, das Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, wenn
+der Regen alles durchweicht hat.
+
+Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul wird und kaum Antwort gibt,
+wenn man ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb's wenig
+Unterhaltung im Hause. Aber die lacht schon, macht Brummchen und
+zappelt, solange man Zeit hat zum Spielen.
+
+Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig Scheffel. Davon darf man
+sogar verkaufen. Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines kommen dazu.
+Man kann fürs nächste Jahr an eine weitere Pachtung denken.
+
+Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur daß die Erdme ein Spielzeug
+hat und daß die Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt.
+
+Im April kommt die kleine Urte zugereist. Ganz leicht und plötzlich ist
+sie gekommen. Der Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen.
+
+Nun sind es schon zweie, und darum wird Schluß gemacht. Das Nötige hat
+die Erdme als Mädchen gelernt.
+
+Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig gewesen. Noch bleibt Zeit
+genug für die Frühjahrsbestellung. Am neunten Tage nach der Geburt hat
+die Erdme schon wieder bis an die Knie im eiskalten Schlamm gestanden.
+So ein Kerl ist die Erdme.
+
+Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus gehabt, aber daran ist ihr
+Herzweh wohl schuld. Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit einem
+Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste getan, hat das Kind gewartet
+so gut wie die Mutter und hat dabei noch in den Büchern gelesen.
+
+Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: »Nun wird es wohl gehen, daß
+ich weg kann. Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts auf der
+Welt.«
+
+Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will.
+
+Und sie sagt: »Zuerst nach Königsberg und dann nach Berlin. Denn diese
+kleinen Nester sind nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer
+Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des Abends die Schreibmaschine
+erlernen sowie die Schnellschrift, die man Stenographie nennt. Dann muß
+ich noch einmal aufs Land, das heißt auf ein Rittergut, um die
+Wirtschaft zu lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich
+verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft und mach' mich dort
+unentbehrlich. Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, weil er
+einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr los ist. Aber im Grunde glaub'
+ich es nicht. Denn die Männer sehen mich nicht an.«
+
+»Du bist ja noch so jung,« sagt die Erdme.
+
+»Das ist wahr,« sagt sie, »Busen hab' ich noch gar nicht. Vielleicht
+werd' ich auch nie einen kriegen. Ich hab' immer gedacht, ich werd'
+durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber das muß ich mir wohl aus
+dem Kopf schlagen. Und es wird ja auch so gehen.«
+
+Und die Erdme lacht und sagt: »Du mit deinen fünfzehn -- was kannst du
+da Großes verlangen?«
+
+»Um mich herum liebt sich schon alles,« gibt sie zur Antwort, »bloß mich
+wollen sie nicht.«
+
+Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, sieht auf die Wiege, in
+der Kopf an Kopf die Urte und die Katrike liegen, beide mit
+Lutschpfropfen im Munde, und denkt: »Euch wird es nicht so gehen, denn
+ihr habt von meinem Blut in den Adern.«
+
+Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken erriete, denn sie sagt
+seufzend: »Ja, wenn man so eine wäre wie du!«
+
+»Was willst du damit sagen?« fragt die Erdme argwöhnisch. »Weißt du
+etwas von mir?«
+
+»Das gerade nicht,« sagt sie, »aber -- aber --« Und sie druckst und
+druckst und kommt nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, dreht
+sie sich noch einmal um und sagt: »Eine Bestellung ist es eigentlich
+nicht, das würde sie sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß,
+daß du es erfährst.«
+
+»Wer? Was?« fragt die Erdme ganz erstaunt.
+
+Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen wie zu einer Alten. Das
+Elend mit ihrem Manne reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht da
+ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid antun. Und ob es keine
+Möglichkeit gebe, daß die Erdme sich seiner erbarme.
+
+Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau sich wirklich so an der Natur
+und der Religion versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen.
+
+»Warum hängt er sich gerade an mich?« fragt sie. »Mädchen, die ihm gern
+einen Gefallen täten, laufen genug herum auf dem Moor.«
+
+Die Ulele macht eine pfiffige Nase. »Das ist es gerade,« sagt sie.
+»Ursprünglich wäre ihm wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine ihm
+nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als ich noch dümmer war und nicht
+wußte, warum, da hab' ich mich ihm manchmal auf den Schoß setzen wollen,
+aber da hat er mich von sich gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber
+hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich verstehe ja nicht viel
+davon, aber ich meine, wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm
+wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, ich tät's, aber ich bin
+ihm wohl noch zu klein.«
+
+Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf bis zu Füßen. »Du verstehst
+wirklich noch nichts davon,« sagt sie und schiebt die Ulele hinaus und
+nimmt auch keinen Abschied von ihr.
+
+Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt
+der Jons ihr gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit ist,
+dann sieht sie ihn immerzu an und denkt: »Soll ich -- soll ich nicht?«
+Und ihr Entschluß ist dann stets: »Nein, ich soll nicht.«
+
+Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht fernab auf dem Feld und sich
+sein feines, stilles Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen,
+dann denkt sie doch wieder: »Ich soll.«
+
+Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts von ihm träumt und bei Tage
+auf dem Grabenrand sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich die
+Arbeit.
+
+Schließlich denkt sie: »Komm's, wie es will, geschehen muß was.«
+
+Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz und geht zu ihm 'rüber.
+
+Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke aus der Hand. Er steht da
+und sieht sie an wie eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie doch
+immer vor Augen.
+
+»Nachbar,« sagt sie, als hätte sie noch gestern mit ihm gesprochen,
+»willst du nicht einmal nach unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.«
+
+Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße und kommt. Er befühlt der
+Kuh den Leib, legt ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die Augenhaut
+um. »Die Kuh ist gesund,« sagt er. Weiter nichts.
+
+Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie zittert. Aber sie weiß, so ein
+Augenblick kommt nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch ein wenig
+in die Stube zu treten.
+
+»Was soll ich da drin?« fragt er.
+
+»Ich hab' schon lange einmal mit dir reden wollen,« sagt sie.
+
+Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. Die Wiege hat sie vorher
+auf den Hof gestellt, damit die Kinder nicht zusehen.
+
+Und jetzt stehen sie da und zittern beide.
+
+»Nachbar,« sagt sie, »ich muß immer an die Stunde denken vor zwei
+Jahren, und mir ist, als habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es
+gutmachen kann, will ich es gerne.«
+
+»Es ist nichts gutzumachen,« sagt er und bekuckt sich die Bilder.
+
+»Setz dich auf die Bank, Nachbar,« sagt sie.
+
+Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr kann sie wahrhaftig
+nicht tun.
+
+»Nachbar,« sagt sie, »du hast ein seltsames Wesen. Nicht bloß gegen
+mich. Dir muß irgend was geschehen sein. Das Beste wär' schon, du
+sprichst dich aus.«
+
+»Jawohl,« sagt er, »das will ich.«
+
+Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie es ihm in der Jugend
+ergangen ist. Er ist ein froher Bursch gewesen, Besitzerssohn,
+ansehnlich und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern gewollt zum
+Heiraten sowohl wie zu dem anderen. Und eine -- die war wild und
+heimlich zugleich. Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war ihr
+heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern trafen sie sich unter dem
+Kadigbusch auf der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. Da wollte
+sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich sind ringsum Lichter aufgetaucht
+von Jägern, die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. Da hat sie
+zu schreien angefangen, daß er ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer
+stak, so hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück gekommen. Das hat
+ihn verfolgt von Ort zu Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er ein
+Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge vor Gericht hat stehen
+müssen. Schließlich hat er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher
+bestraft ist und keinem viel Schaden daraus erwächst. Der Moorvogt weiß
+es und seine Frau. Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung gesucht,
+aber die ist ja schon lang' keine Frau mehr. Und sobald eine andere ihm
+zugelächelt hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: »Sie wird
+schreien.« Immer hört er das Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht,
+wie es ihm damals gezittert hat, als er sich stumm und ohne Verteidigung
+hat abführen lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist er noch
+heute.
+
+»Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen können?« fragt sie und
+lächelt ihn an.
+
+»Das weiß ich selber nicht,« sagt er und streicht sich übers Gesicht.
+
+»Nun, ich hab' doch _nicht_ geschrieen,« sagt sie und lächelt ihn
+immerzu auffordernd an.
+
+»Aber -- abgewiesen hast du mich, und seitdem ist es schlimmer als je!«
+
+Soll sie nun sagen: »Heute würd' ich dich _nicht_ abweisen?« Das kann
+sie nicht. Das bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen Arm
+streichelt sie und sagt: »Armer Nachbar.«
+
+Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber was tut er? Er zittert und
+rückt von ihr weg und stöhnt: »Laß man, mir hilft keiner mehr.«
+
+»Gott wird helfen!« sagt sie, wie man sagt: »Guten Tag« und »Guten Weg«.
+
+»Auch Gott hilft mir nicht,« schluchzt er und ringt die Hände. »Ich hab'
+zu ihm gebetet bei Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung von
+mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.«
+
+»_Ich_ werd' für dich beten,« sagt sie. Sündigen möcht' sie viel lieber,
+aber man muß doch so tun.
+
+Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie der Hungernde den Knochen,
+den man zum Fenster hinauswirft.
+
+»Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn du mir eine große Gnade antun
+willst, dann laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott mich dann
+hört.«
+
+Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor und das von Jons, und jeder
+schlägt auf, und sie beten und beten.
+
+Und siehe da! Immer frömmer wird ihr zumute. Sie denkt an die
+schlafenden Kinderchen draußen und an den Mann, der sich abschindet von
+früh bis spät, und bald begreift sie gar nicht mehr, daß sie eine so
+große Sünde hat begehen wollen.
+
+Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, sagt sie: »Nun, Nachbar, fühlst
+du, daß es dir hilft?«
+
+Er schüttelt bloß den Kopf.
+
+Sie denkt: »Aber mir hat es geholfen.« Und nun -- ganz aufrichtig
+gesonnen -- redet sie ihm gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den
+Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die Kinderchen sind noch so
+klein, und der Jons hat sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht
+recht ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später einmal anders
+werden, so daß sie sich dann wegen des Unrechts nicht mehr so zu schämen
+braucht. Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken anfängt und sie
+schlägt oder so. Dann würd' sie sich kein Gewissen draus machen.
+
+Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner Mütze und sagt im Gehen: »Ich
+werd' also warten.«
+
+Und sie denkt: »Schade! Aber wer weiß, wozu es gut ist?«
+
+
+ 10
+
+Wenn _das_ Überschwemmung ist, das läßt sich ertragen!
+
+Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter Wasser, auch ist der
+Knüppelweg zur Chaussee an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich in
+der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von neuem kneten lassen.
+Aber schließlich -- zu seinem Vergnügen lebt man nicht im Moor, und
+alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über Hof und Gräben legt man
+Bretter, und der Estrich wird wieder glatt gewalzt.
+
+So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal gewesen, und die Erdme denkt
+nicht mehr mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit denen der alte
+Raubmörder einst ihre Hoffnungen vergiftete.
+
+Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die scheinen ungern davon zu
+sprechen, und darum unterläßt sie es. -- -- --
+
+Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man stark genug ist, noch
+weitere Sprünge zu machen. Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite
+Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall gebaut werden. Der Abschlag
+am Giebelende reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn die
+Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, so daß an manchem Morgen das
+ganze Dach der Kuh auf dem Rücken liegt.
+
+Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, ist zu bezweifeln. Und da
+zu gleicher Zeit wegen der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem
+Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man vielleicht aus dem
+Raiffeisenverein ein Darlehen von ihm erlangen.
+
+Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April stellen sie die Lampe hoch,
+verstecken die Streichhölzer, schließen die Kinder ein, und dann gehen
+sie zum Moorvogt.
+
+Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf sein großes Buch auf.
+Ach, dieses fürchterliche Buch! Je länger er darin liest, desto
+zittriger werden der Erdme die Beine, denn die Ulele hat ja einmal
+gesagt -- -- man wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt hat.
+
+Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie damals, und endlich macht er
+den Mund auf.
+
+»Also alles in allem geht es euch gut?« fragt er.
+
+Nun möchte ich den Landmann sehen -- ob litauisch oder deutsch, ob Bauer
+oder Graf --, der auf eine solche Frage mit einem schlichten Ja
+geantwortet hätte.
+
+Sie fangen also alle beide fürchterlich zu klagen an. Die Nachtfröste im
+vorigen Herbst -- und die verschorften Kartoffeln -- und die
+wartungsbedürftigen Kinder -- und die Überschwemmung noch jüngst!
+
+»Was wißt ihr von Überschwemmung!« sagt er, und ein bitteres, ein fast
+verzagtes Lächeln fliegt über sein starkes Gesicht.
+
+»Jedenfalls geht es euch so gut,« fährt er fort, »daß ihr eine
+erhebliche Vergrößerung eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es
+kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe euch natürlich im Auge
+behalten. Das zweite Hektar ist euch bewilligt, und auch für das
+Darlehen werde ich eintreten. Nur -- nur --« er stockt und sieht sie
+wieder an, »nur scheint mir, daß ihr noch von der Bauzeit her dies und
+jenes in Ordnung zu bringen habt.«
+
+Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen Blick zu. Was kann er nur
+meinen?
+
+Und er sieht sie immer weiter an mit starren, bohrenden Augen, als ob
+sie splinterfasernackig vor ihm stünden.
+
+»O Gott, o Gott!« denkt die Erdme. Denn _was_ hat die Ulele gesagt?
+
+Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich am Abend ihrer Trauung
+im Matzicker Chausseegraben gegeben haben. Ach, wie bald ist das
+vergessen gewesen!
+
+»Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,« fährt der Moorvogt fort.
+»Geht also nach Hause und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß ich
+Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht früher.«
+
+Damit sind sie entlassen.
+
+In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. Stillschweigend, mit gesenkten
+Köpfen gehen sie wieder heim.
+
+»Allwissend ist Gott allein,« denkt die Erdme.
+
+»Hier hilft bloß eines,« sagt schließlich der Jons, »daß wir nun doch
+noch unter die Gebetsleute gehen.«
+
+»Warum?« fragt die Erdme. »Wir sind ja fromm genug.«
+
+»Wenn man unter die Gebetsleute geht,« sagt der Jons, »kann man seine
+Sünden bekennen und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein Schade
+erwächst.«
+
+»Gutmachen kann man auch so,« sagt die Erdme. »Wozu noch erst viel
+bekennen?«
+
+»Das ist nicht das Richtige,« sagt der Jons.
+
+Sie beschließen also, den frommen Taruttis zu besuchen und zu sehen, ob
+es lohnt, sich in die Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen.
+
+Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden.
+
+»Ich habe schon oft gebetet,« sagt er, »daß ihr den Weg zum Heile finden
+möget, und nun ist mein Gebet erhört.«
+
+So mager und so sanft sieht er aus wie ein Sendbote des Herrn. Und seine
+Augen leuchten wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die Taruttene, die
+ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. Sie ist nun ganz hutzlig geworden und
+will gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon gar nicht mehr aus.
+Aber er beruhigt sie. Damit habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit.
+Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt werden. Und bei dem
+öffentlichen Bekenntnis werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen um
+Vergebung anflehen. Das habe noch immer geholfen.
+
+Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben es zwar oft schon mitgemacht,
+aber nun sie selbst daran glauben müssen, wird es ihnen doch
+fürchterlich sauer.
+
+Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier auf den Tisch, macht eine
+römische Eins und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt die Erdme das
+Wort und sagt: »Damit das Bekenntnis ganz vollständig wird, wollen wir
+uns vorerst im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. Sonst könnte es
+geschehen, daß etwas fehlt, und das würden wir uns niemals verzeihen.«
+
+Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer Bestrebungen und ladet sie zu
+der nächsten Versammlung. Und dann gehen sie heim.
+
+»Nein,« sagt die Erdme entschieden, »damit die Leute hernach mit Fingern
+auf uns weisen: >Da seht das verstohlene Pack<. Das könnte mir passen.«
+
+Der Jons meint zwar schüchtern, man könne das Bekenntnis so undeutlich
+sprechen -- besonders wenn man zu zweit ist --, daß niemand was Rechtes
+versteht. Aber die Erdme bleibt fest. »Unsere Kinder sollen einmal in
+Samt und Seide gehen,« sagt sie, »für die muß vorgesorgt werden.«
+
+Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. Der Mann, dem sie die
+Saatkartoffeln ausbuddelten, bekommt die erste Nummer. Und dann folgt
+eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. Wem zum
+Beispiel sollen sie das Heu für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel
+der Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? Oder: Wem hat der Jons
+Schaden getan, als er mit dem Abgebrannten wegen der Türen und Fenster
+den heimlichen Handel abschloß? Denn was eine Versicherungsgesellschaft
+ist, wer kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: die
+Veruntreuungen auf dem Holzplatz, auf dem der Jons ja heute noch
+arbeitet! Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. Gar manchem,
+der eine offene Hand hatte, ist beim Verladen eine oder die andere
+Planke mehr auf den Wagen geschmissen worden. Und der Aufseher hat dann
+den Rüffel gekriegt.
+
+Schlimme Sache! Schlimme Sache!
+
+Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons bringt Postanweisungen und
+Linienpapier, und nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, gerade
+so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten eintreten wollten ... Und
+das tun sie aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse
+werden von den Deutschen mit Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht
+aufgenommen und niemals weiter verfolgt. Aber in zweifelhaften Fällen
+vermeiden sie der Sicherheit halber, ihre Namen anzugeben.
+
+Einer der Briefe lautet so:
+
+»Wehrter Herr Hahn!
+
+Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich eretet hat aus allen meinen
+Sünden. Bezeugt mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um mit Gott
+und Menschen ins reine zu komen, soll ich mihr reinigen wie auch der
+Herr Jesus rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch Ihnen währent
+meinem Hausbau beschädigt habe indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich
+biete um Vergebung der Schuld, das sie mir nicht vor dem Throne Gottes
+verklagen wirde. Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten
+Matirials. Der liebe Gott ist selber Richter und weis am bästen den Weg.
+Er hat meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete nochmals um
+Verzeihung und vergebung der Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und
+mein Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr Jesus hat mir schon
+vergäben, als er am Kreuze auf Golgatha das Wort ausrief Es ist
+volbracht.
+
+ Achtungsvol
+ J. Baltruschat.«
+
+Und ein anderer lautete so:
+
+»Hochgerter Herr!
+
+Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens mich mit meinem Gott
+versähnen wolte, fand ich unter den verbannten Gegenstenden, das ich
+mich auch an Ihnen vergangen habe. Zwar glaubte ich früher das wen man
+von einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine Sünde ist. Komme
+daher ihnen dankbar um Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. Ich
+befand mich vor langer Zeit bei meinem bauen in großer Verlegenheit und
+da ging ich hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm gleichwie es Gott
+gefiel. Daher sände Sie gefälligst 10 Mark. Biete wenn möglich um
+Sündenvergebung.
+
+ Hochachtend
+ ein Nachbar.«
+
+Diese beiden Briefe, den frömmeren und den weltlicheren, nehmen sie sich
+zum Muster und richten danach die übrigen ein.
+
+So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen genau die Beträge, die
+sie den Empfängern schuldig sind.
+
+Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, um zu erfahren, an wen er sich
+wegen des Ersatzes zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen Hause.
+Dessen Türen und Fenster sind tausendmal schöner als die, die er damals
+beiseite geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, als er aber hört,
+daß Jons zu den Gebetsleuten gehen will, sieht er gleich ein, daß es
+sein muß, und gibt ihm genaueste Auskunft.
+
+So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, denn das Ziegenheu kann
+auch von selber gefallen sein. Aber das Holzgeschäft!
+
+»Das deutsche Schwein kann Wind auf dich kriegen und zeigt dich am Ende
+noch an,« warnt die Erdme. »Selbst ohne Unterschrift kann es dir
+schlecht gehen.«
+
+Das sieht er auch ein und schreibt darum zur Sicherheit den Namen eines
+anderen Arbeiters, der vor kurzem nach Rußland zu den Holzfällern
+gegangen ist und der ebenso gemaust hat wie er. So reinigt er zugleich
+auch dessen Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen werden muß.
+
+Als die Briefe und die Postanweisungen weg sind, wird ihnen beiden sehr
+wohl zumut. Die Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, aber
+statt dessen hilft ja der Moorvogt.
+
+Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der nächsten Versammlung der
+Gebetsleute das Sündenbekenntnis ablegen sollen.
+
+So kommt der Sonntagnachmittag heran. Sie sitzen vergnügt vor der Tür.
+Er raucht seine Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die Kinder
+spielen um sie herum. Da hören sie mit einem Male einen feierlichen
+Gesang.
+
+»Es wird ein Begräbnis sein,« meint die Erdme.
+
+Aber der Gesang kommt immer näher, und was sehen sie? Der fromme
+Taruttis und zwei andere fromme Männer gehen zwischen den Kartoffeln
+geradeswegs auf sie zu, und jeder hält sein Gesangbuch in der einen Hand
+und sein Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze hat keiner auf.
+
+O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen können sie nicht, und Ausreden
+haben sie auch nicht.
+
+Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie willkommen und fragt, ob er
+den werten Gästen vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er doch
+wissen muß, daß die Erleuchteten geistige Getränke nicht zu sich nehmen.
+
+Der fromme Taruttis tut, als hat er die Frage gar nicht gehört, und
+sagt: »Teurer Bruder und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens ist
+da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! Folget uns nach
+Jerusalem, wo ihr alsbald in weißen Kleidern dastehen werdet zur rechten
+Seite des Herrn.«
+
+Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen ist, will richtig schon gehen,
+aber die Erdme hält ihn gerad' noch am Ärmel.
+
+»Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten Gäste,« sagt sie und macht ein
+scheinheiliges Gesicht, »seit wir unseren Entschluß kundgetan haben,
+prüfen wir uns unaufhörlich, aber es will uns gar keine Sünde einfallen.
+Nun müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht vor euch zu
+erscheinen, wo doch ein jeder sonst sein Bündelchen auspackt. Darum
+lasset uns Zeit, ein Monatchen oder ein Jahrchen -- oder noch mehr,
+damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. Vielleicht sündigen
+wir inzwischen auch noch was Neues, und das ist dann gleich ein
+Abwaschen.«
+
+So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis auch sein mag, -- daß diese
+freche Person sich lustig macht, das sieht er doch ein.
+
+»Warum seid ihr denn zu mir gekommen?« fragt er sie ganz verdutzt.
+
+»Ihr seid ja auch zu uns gekommen,« gibt sie zur Antwort.
+
+Darauf wissen die frommen Männer nichts zu erwidern und heben sich
+wieder von hinnen. Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben,
+dorthin, wo das Brett 'rüberführt.
+
+Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die beiden Kleinen im Arm hat
+und liebkost.
+
+Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste hinter den Weggehenden her
+und ruft ganz laut:
+
+»Meinen Töchtern die Heirat verderben, das wär' euer ganzer Segen, ihr
+Schufte!«
+
+Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte er gedacht, daß sein Weib so
+böse sein kann.
+
+
+ 11
+
+Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas wie Frieden gekommen. Er weicht
+der Erdme nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie der kranken
+Frau beispringt, und kommt herüber, so oft es nottut. Ohne ihn wäre der
+Stall gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel prächtiger als das
+Wohnhaus und bietet Platz für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar --
+der Himmel bewahr' uns vor Hochmut! -- sogar für ein künftiges Pferd.
+
+Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es nie so weit bringen wird. Um
+so eifriger ist er darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen.
+
+Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein Werk. Eine Holländerin ist sie,
+wollstirnig mit einem schwarzen und einem weißen Auge. Und Milch gibt
+sie -- man schämt sich zu sagen, wieviel Milch sie gibt, aber die an der
+Ablieferungsstelle, die wissen's.
+
+Jetzt kommt des Abends schon manchmal Butter auf den Tisch, und die
+Kleinen trinken frische Milch, soviel sie nur mögen.
+
+Im Frühling des fünften Jahres geschieht das Große, daß Jons seine
+ständige Arbeitsstelle aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht mehr,
+selbst wenn er die Freistunden noch so sehr ausnutzt.
+
+Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied zehn Mark und eine Kiste
+Zigarren wegen der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im Gegensatz
+zu anderen, die sich jetzt in Rußland herumtreiben.
+
+Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff genommen werden, zumal der
+am frühesten urbar gemachte Boden für Roggen bald reif ist.
+
+Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück Wiese dazu und verspricht sogar,
+den Jons bei der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab und zu in der
+Wirtschaft zu still wird.
+
+So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt da wie ein blühendes
+Kleefeld.
+
+Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten Beine hebt und senkt,
+daß der federnde Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das schwarze
+Wurzelwerk unter den Streichen der Hacke zerblättert, als wäre es
+Torfgrus, dann ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, um
+ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt in lauter Wohlsein die starke
+Brust dem Gelingen entgegen.
+
+Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber ringsum sitzt Kummer genug. Von
+der hinfälligen Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. Die wird sich
+vielleicht noch Jahre so schleppen, ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben
+ihr lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig von Gliedern und schafft
+auch, aber in ihrem Innern scheint sie noch kränker als jene.
+
+Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche Antwort, wenn man sie fragt,
+und ihre Brust hat nicht Milch für die Kinder.
+
+»Was ihr fehlt, weiß ich lange,« sagt der Nachbar Witkuhn. »Die
+Moorkrankheit hat sie.«
+
+Die Erdme fragt, was das ist.
+
+Und er sagt: »Die Moorkrankheit kommt wie durch ein Gift, das aus dem
+Boden aufsteigt. Niemand weiß, wie es aussieht, und kein Doktor hat es
+gefunden. Es ist da und ist auch nicht da. Wie man will. Den einen wirft
+es nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für den, der daran krankt,
+gibt es nur eine Rettung: 'raus aus dem Moor, rasch 'raus, ohne sich
+umzusehen. Aber für die meisten ist es zu spät.«
+
+Was die Erdme einst der Ulele versprochen hat, das hält sie getreulich.
+Sie steht der gemütskranken Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht bei
+der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des Sonntags oder zum Feierabend
+-- denn Feierabend gibt es schon manchmal -- geht sie hinüber zu ihr,
+legt den Arm um ihre Schulter und sagt: »Komm, Nachbarin, wir wollen uns
+was erzählen.« Und sie führt sie die Sandnase hoch und in das
+Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke Frau am liebsten, denn es gemahnt
+sie an die verlorene Heide, von der sie herstammt.
+
+Und dann seufzt sie und weint: »Ach, meine Heide, meine Heide!«
+
+Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht machen. »Ich bin ja auch
+von der Heide zu Hause,« sagt sie, »und weiß: schinden tut man sich dort
+nicht weniger als hier. Auf dem Sand gedeiht nicht einmal Roggen, und
+der Hafer sieht aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten -- na ja
+-- die stehen ja dort höher. Aber Schatten geben sie auch nicht. Und
+vorwärts kommt man hier besser als dort.«
+
+»Aber wenn dort das Heidekraut blüht,« sagt die Frau und starrt
+sehnsüchtig ins Weite, »und alles ist rot von lauter Blumchen, und die
+Hummeln singen drum 'rum, und die Luft ist warm, und unter dem Kadig
+liegt man geborgen so wie im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im
+August und ist stets am Versinken. Vier Wochen sind's her, da ist mir
+mit einmal der Herd eingesunken -- vor meinen sehenden Augen ist er
+gesunken.«
+
+»Dann ist er eben zu schwer gewesen,« tröstet die Erdme, »man muß ihm
+einen besseren Untergrund schaffen.« Und um die Frau aufzuheitern,
+erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, rotbärtigen Doktor, der
+immer kleiner und kleiner wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem
+Leibe versanken.
+
+Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit anrichtet, sie hätte es
+lieber _nicht_ getan. Als sie das nächste Mal mit der Frau
+zusammenkommt, da krallt die sich an ihr fest und sagt: »Stell dir vor,
+Nachbarin, jetzt kann ich des Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich
+muß immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir wegsinken, und das ganze
+Bett versinkt, und ich versink' mit.«
+
+In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel ein, das der Nachbar Witkuhn
+die einzige Rettung genannt hat, und sie entschließt sich, die
+verängstigte Frau langsam an den Gedanken des Weggehens zu gewöhnen.
+
+Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist.
+
+Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie keine, trinken tut er auch
+nicht, aber -- und nun legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr --
+»aber er wartet schon«.
+
+»Worauf wartet er denn?« fragt die Erdme.
+
+Da macht die Frau die Augen weit auf -- die richtigen Unglücksaugen
+macht sie -- und sagt ganz leise ihr großes Geheimnis: »Er wartet schon
+auf die Vierte.«
+
+»Woher weißt du das?«
+
+Sie weiß es nicht, aber das fühlt man.
+
+Die Erdme wird dreister. »Da kannst du ihm aber behilflich sein,« sagt
+sie.
+
+»Womit?«
+
+»Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich 'raustragen. Dann bist du
+das Moor los und gehst auf die Heide.«
+
+»Und die Kinder?«
+
+Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, was Mutter ist, einen anderen
+Gedanken gäbe.
+
+»Die nimmst du mit.«
+
+»Und dann?«
+
+Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie mitgekriegt hat, die stecken
+hier in der Wirtschaft. Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie
+nun wiederkommt -- ohne einen Groschen und ein Kind an jeder Hand, --
+wer wird sie aufnehmen? Betteln kann sie gehen.
+
+Die Erdme denkt: »Wenn das Herz ihr nicht längst gebrochen wär', würd'
+sie schon durchkommen.«
+
+Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! Auch die gehört zu den
+meisten, für die es zu spät ist.
+
+Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und denkt: »Dann werd' ich sie
+also zu Tode trösten.«
+
+Und das hat sie auch redlich getan. Ein Lungenhusten ist gekommen, und
+die Frau ist schwächer und schwächer geworden. Und erst, als gar
+nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken war als der, der auf den
+Kirchhof führt, da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne gemacht. Der
+Smailus werde verkaufen, ihr zuliebe werd' er verkaufen -- genau so ist
+der Smailus! --, dann werden sie auf die Heide ziehen, und sie wird sich
+unter den Kadigbusch legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist -- und
+dann wird sie schlafen und schlafen -- alle Angst und alle Müdigkeit
+wird sie ausschlafen.
+
+Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber es hat doch noch zwei Jahre
+gedauert. -- --
+
+In der Nacht nach dem Tode, so gegen Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an
+Baltruschats Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus ist da und
+weint dicke Tränen. Es ist ihm so graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht
+behalten möchten bis gegen den Morgen.
+
+»Da hast du's, Nachbar,« sagt die Erdme. »Erst konntest du's nicht
+erwarten, und jetzt tut es dir weh.«
+
+»Es ist nicht ums Wehtun,« sagt er, »aber ohne Frau kann man nicht sein.
+Wer wird mir jetzt die Schweine futtern und die Kuh?«
+
+»Ich denk', die hast du schon lange gefuttert,« sagt die Erdme.
+
+»Das ist richtig,« sagt er, »aber sie war doch da.«
+
+Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps nach dem anderen. Und
+langsam wird er beredt. Was man beim Nachbar Smailus so nennen kann.
+
+»Ich darf mich ja nicht beklagen,« sagt er, »denn das Sprichwort heißt:
+>_Der_ Bauer hat Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen sterben.<
+Pferde hab' ich ja keine, aber von Frauen ist mir nun schon die dritte
+gestorben. Also hab' ich doch Glück. Aber so was ist leicht gesagt. Denn
+wo krieg' ich nun gleich die Vierte her?«
+
+»Damit hat's ja noch Zeit,« tröstet die Erdme. »Laß sie doch erst unter
+der Erde sein.«
+
+»Nein, damit hat's keine Zeit,« entgegnet er. »Die Trauerfrist werd' ich
+schon abwarten. Das versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. Und
+so eine, wie meine Dritte war, die findet sich nicht leicht. So sanft
+von Gemüt, und dreihundert Taler. Die hat mir auch noch die Ulele
+besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?«
+
+»Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,« sagt die Erdme. »Die hat ja
+noch unlängst Wein geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.«
+
+Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, die Ulele, aber die
+Ölsardinen haben der Erdme den stärksten Eindruck gemacht -- in
+Erinnerung an den Glanz ihrer Mädchenzeit.
+
+Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten Tage eine Depesche zu
+schicken. Berlin ist ja weit, aber denkbar wär's immerhin, daß sie käme.
+
+»Wieviel kostet so eine Depesche?« fragt der Smailus. Und ob er
+womöglich auch noch die Reise bezahlen muß.
+
+Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die Depesche werde sie auslegen und
+sich später von der Ulele entrichten lassen. Was aber die Reise belangt,
+so sei die ohnehin viel, viel zu teuer für ihn.
+
+Da willigt er ein und gibt auch gleich den Umschlag mit ihrer Adresse.
+
+Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele.
+
+Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof zu Heydekrug ankommt, da
+steigt sie aus einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt eine
+Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht so eine Dame! Ganz in Schwarz mit
+langem Schleier und noch einem Schleier und noch einem Schleier. Nie im
+Leben hat die Erdme so viele schwarze Schleier gesehen.
+
+Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich sie den Wagen selber
+kutschiert, der die Nachbarstochter heimfahren soll. Die muß erst kommen
+und sie in die Arme schließen. Und das tut sie vor allen den Leuten und
+schämt sich nicht im geringsten.
+
+Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt nicht mehr an die tote
+Nachbarsfrau, nicht an den Sarg, nicht ans Begräbnis -- wo sie doch
+selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist wie ein hilfloses
+Kind, -- sie sieht bloß die Ulele.
+
+Der Inbegriff von allem, was sie hat werden wollen und nicht geworden
+ist, das Abbild, das Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der
+Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, das Feinste, das Höchste
+auf und über der Erde, Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin
+des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, keine Kellnerin kann
+so schön sein wie die Ulele.
+
+Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man solch eine Dame Litauisch
+sprechen gehört. Es geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch
+Litauisch.
+
+Sie fragt gleich nach allem: »Wo ist der Vater? Wer macht den Sarg? Wer
+trägt mir Koffer und Kranz auf den Wagen?«
+
+Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig Lilien, und es ist doch noch
+Winter.
+
+Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann zu fahren, um den Sarg
+zu besehen. Und zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation
+wegen des Leichenschmauses.
+
+Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und alles ist da.
+
+Das ist die Ulele.
+
+Aber stolz ist sie eigentlich nicht.
+
+Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat sie all ihre Schleier abgetan
+und sieht nun in dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel anders aus
+als eine Deutsche auf dem Szibbener Kirchhof.
+
+Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das tut, da sagt sie: »Ich bin
+ein dummes Kalb gewesen. Ich hab' mich von euch bewundern lassen wollen,
+und darum hab' ich mir all das Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm' ich
+mich recht vor eurem bißchen Armut.«
+
+Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die gelben, knöchernen Hände
+und sagt: »Die hab' ich allein auf dem Gewissen.«
+
+»Wieso?« fragt die Erdme.
+
+»Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und nur auf mein Zureden ist sie
+gekommen.«
+
+Während der Leichenfeier hält sie die Kinder auf dem Schoß und wischt
+ihnen die Näschen, aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in seinem
+Kummer nicht nach hinten geht und zu viel trinkt. Und jedem der Gäste
+schenkt sie ein Stückchen Seife.
+
+Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch weitere acht Tage, ist
+aber selten zu sehen. Und wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich
+immer steckt, da gibt sie zur Antwort: »Ich muß doch den Kindern eine
+Mutter besorgen.«
+
+Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und setzt sich mit der Erdme an den
+Feuerherd.
+
+»Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich weiter gehen,« sagt sie. »Sie
+ist aus Pagrienen und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas Geld
+hat sie, und das übrige leg' ich zu. Aber das darf der Vater nicht
+wissen. Damit er sie richtig in Ehren hält.«
+
+»Du bist wohl sehr reich?« fragt die Erdme bewundernd.
+
+Sie lächelt und sagt: »Eigentlich bin ich ärmer als ihr, nur bei euch
+hat das Geld einen anderen Wert.«
+
+Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze Geschichte.
+
+Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es einmal in ihrem Kopf
+entstanden war. Hat die Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die
+Verwaltung und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren Geschäftsleiterin in
+einer Seifenfabrik. Daß es kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen
+war, sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied.
+
+»Und wird Er dich heiraten?« fragt die Erdme begierig, denn sie hat
+jedes Wort im Gedächtnis behalten.
+
+Die Ulele macht den Zeigefinger naß und streicht sich über die
+Augenbrauen. Das tut sie oft, wenn sie nachdenkt.
+
+»Das geht nicht so leicht, wie man sich's vorgestellt hat,« sagt sie und
+lächelt. »Denn meistens ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar
+noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann begnügt man sich gerne
+damit, daß Er manchmal abends zu einem kommt und bis Mitternacht bleibt.
+Dann muß man Ihn heimschicken, damit die Frau nicht Verdacht schöpft.«
+
+»Aber Er gibt dir doch, was du willst?« fragt die Erdme mit blitzenden
+Augen.
+
+»Was ich will, gibt Er mir schon,« sagt die Ulele. »Aber viel darf es
+nicht sein, damit die anderen nicht denken, daß man sich 'rumtreibt.«
+
+Das begreift die Erdme nicht recht. Sie würde gegrapscht haben ohne
+Unterlaß, ohne Bedenken. So was versteht sich von selber.
+
+»Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter da,« fährt die Ulele fort,
+»der mich durchaus heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen und
+niemand. Darum muß man immer hübsch einfach sein. Nun ist die Frage:
+soll ich darauf hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, oder
+mach' ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? Das erstere wäre mir
+lieber, denn dann bliebe ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an
+zwei Männer -- das ist mir zuviel. Und schließlich kommt's einmal 'raus,
+und die ganze Blase platzt auseinander. Ich werd's aber trotzdem wohl
+tun, denn ich lieb' die Fabrik wie mein Kind.«
+
+»So hast du also doch durch das Mannsvolk dein Glück gemacht,« sagt die
+Erdme mit Stolz.
+
+Die Ulele schüttelt den Kopf. »Dann sieht die Geschichte ganz anders
+aus,« sagt sie. »Stöckrig bin ich geblieben, und Busen hab' ich richtig
+auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, reden wir vom Geschäft
+viel mehr als von Liebe. Durch Tätigkeit hab ich's gemacht und durch
+Nachdenken, -- aber natürlich: das Mannsvolk muß mithelfen, sonst bleibt
+man im Mustopf.«
+
+Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt auch die Kinder. Und jedem
+schenkt sie ein Stückchen Seife, die riecht noch schöner als die beim
+Begräbnis.
+
+An demselben Abend, nachdem Erdme die Kinder zur Ruhe gebracht hat,
+kniet sie an ihren Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem
+Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso fein und ebenso vornehm
+werden sollen wie die Ulele, die jetzt Adele heißt.
+
+Und die sollen _gerade_ durch das Mannsvolk ihr Glück machen.
+
+
+ 12
+
+Von der Katrike und der Urte hab' ich noch gar nichts erzählt.
+
+Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, gehen in die Schule und
+lernen ein vornehmes Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch
+Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite Welt hinaus, dorthin,
+wo die Menschen nicht einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist
+unerbittlich, wenn sie das »h« nicht aussprechen können, und wie sie's
+endlich gelernt haben, da verwechseln sie »Ecke« und »Hecke« und sagen
+»der Uhn at Heier gelegt«. Und manchmal weiß die Erdme es selbst nicht.
+
+Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was Besserem geschaffen sind,
+als sich hier von dem Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, denn
+das Moor beizt und macht Schrunden und Risse. Darum sollen sie in den
+Kartoffeln nur arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. Am
+liebsten schickt sie sie in die Wiese. Dort dürfen sie auf den Heuhaufen
+liegen und den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. So wie die
+Schwalbchen werden sie auch einmal in andere Gegenden ziehen, aber
+heimkehren zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür sind sie zu schade.
+
+Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit nach Kräften. Sie treiben
+sich weit und breit im Moore herum und entdecken allsommerlich neue
+Gebiete.
+
+Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, wird nicht leicht glauben,
+wieviel es darin zu entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein
+Birkengebüsch -- von fern sah es nach gar nichts aus, aber steckt man
+die Nase hinein, dann ist es voll von heimlichen Wundern. Rauschbeeren
+wachsen darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man sie gern, denn
+sie schmecken noch schöner als die Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie
+machen die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt und einschläft. Und
+der ledrige Porst treibt Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch
+besser als in dem kitzelnden Heu.
+
+Und manchmal findet man Blänken und Teiche -- nicht die viereckigen mit
+dem kohlschwarzen Steilrand, die durch Torfstechen künstlich gemacht
+sind -- o nein doch -- diese hier stehen seit Erschaffung der Welt und
+stechen von weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die einer im
+Sonnenlicht hin und her dreht.
+
+Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel zu Humpel muß man springen,
+sonst versinkt man womöglich im Schlamm, und wer einen dann noch
+herausholt, wie kann man das wissen? Aber ist man erst da, dann hat man
+Freude genug. Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, wie Knäuel von
+Schlangen durcheinandergewunden. Darin klettert man 'rum und genießt das
+eigene Fürchten. Und noch was weit, weit Schöneres gibt es. Das ist der
+Rasen, der in das Wasser hineinwächst und auf dem man sich schaukeln
+kann, noch lustiger als zwischen zwei Birken. Aber fix muß man sein und
+das Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben auf, und will man
+verweilen, dann sinkt er schwer in die Tiefe. Auch sind seine Ränder
+sehr böse gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit er hält. Mit einem
+Male kann das Wasser an einem hochspritzen, und wie man dann 'rauskommt,
+das weiß man noch weniger.
+
+Aber das macht nichts. Bisher hat man sich immer gerettet. Zwei so'nen
+Moorkröten wird das Moor doch nichts tun. Das wär' ja noch besser.
+
+Im Winter freilich ist's schlimm -- wenn man zur Schule muß und der
+Frost durch die Handschuhe durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. Und
+in den Schlorren erfrieren die Füße. Da muß die Mutter zur Nacht
+Terpentin auflegen. Das brennt wie das höllische Feuer.
+
+Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn man die Hand vor den Augen
+nicht sieht und vom Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und plötzlich
+im Schnee steckt bis über die Achseln.
+
+Dann möchte man wohl gerne zu Hause bleiben wie die anderen, deren
+Eltern ein solcher Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig
+die Mutter sonst wohl auch ist, hierin kennt sie kein Mitleid.
+
+»Die Schule _muß_ sein,« sagt sie, »denn wenn sie nicht lernen, können
+Besitzerstöchter niemals ihr Glück machen.«
+
+Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens und abends und bei
+jeder Gelegenheit. Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug ihrer
+Geburt erinnert werden als sie. Auch daß sie einmal in Samt und Seide
+gehen werden, wissen sie längst und putzen zunächst an den Lumpen herum,
+die zum Schulgang immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke sind fein
+-- bunter Kattun aus dem Hoffmannschen Laden, mit weißen Spitzen besetzt
+-- dreißig Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben sie auch und
+Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter selber bestickt.
+
+Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur wenn sie mithelfen sollen und
+die Mutter meint, sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich
+auf. Und dann muß sie klein beigeben. Wer weiß, ob er ihr sonst nicht
+eins überrisse.
+
+Vom Vater wissen sie wenig. Meistens hockt er des Abends stumm auf der
+Ofenbank, oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann nimmt er ein
+Blatt Papier vor und rechnet.
+
+Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun.
+
+Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und damit der Höchststand
+erreicht. Das Pferd ist auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und
+bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist eine braune, struppige
+Kragge mit Spatbeinen und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin
+achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. Darum läuft es trotz
+seiner vierzehn Jahre noch immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem
+Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen mit einem
+Lehnensitz, man könnte sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen.
+
+Aber solche Sprünge machen wir lange noch nicht. Wir sammeln Pfennig für
+Pfennig und tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß das Pracherhaus
+heruntergerissen und statt seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es
+die Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, mit Kachelofen und Dielen
+unter den Füßen.
+
+Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie es geht, und steckte das
+Gekrassel dann an. Aber zwischen Versicherung und Brand müßten
+anstandshalber zwei Jahrchen liegen oder auch drei, sonst steigt einem
+womöglich der Staatsanwalt auf den Puckel. Versichern kann man ja
+immerhin schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, das immer besser
+gedeiht und das auf dem Markte Preise kriegt, wie man sie niemals
+geträumt hat.
+
+Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin vorwärts kommt und der liebe
+Gott seine Hände sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu hüten!
+
+Dann ist auch das Frommsein leicht, und die Kirchfahrt wird ein
+Vergnügen. Schon weil einen die Leute ansehen und sagen: »Das ist der
+Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei Töchtern. Der fing einmal ganz
+klein an und hat unlängst eine Belobigung bekommen für Mastvieh.«
+
+Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht mehr, und keiner geht
+jemals zu ihm.
+
+Bis endlich die Erdme sagt: »Ich muß ihm die Kinder bringen, damit er
+sieht, wer wir sind.«
+
+Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, steckt ihnen Kämme ins Haar
+und Schleifen unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber.
+
+Er ist nun ein Greis, und die Taruttene pappelt wer weiß was.
+
+»Nachbar,« sagt die Erdme, »du hast uns einmal Obdach gegeben, als wir
+jung waren und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum kommen die Mädchen
+schön Dank sagen.«
+
+Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm die Hand, und die Katrike
+will nicht, aber sie muß.
+
+Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz übersinnig geworden. Er muß
+erst nachdenken, wer sie wohl sind, dann sagt er: »Ja ja -- ja ja. Der
+Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen Trachtens voll. Und keine Reue
+hilft und keine Demütigung und kein Gebet. Darum soll er sich züchtigen
+mit Geißeln und den Kopf im Staube bergen vor seinem Gott.«
+
+Die Erdme sagt gekränkt: »Wenn ich gewußt hätte, daß du so nachtragend
+bist, Nachbar, dann wär' ich nicht zu dir gekommen.«
+
+Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von neuem. Dann sagt er: »Es
+will mir scheinen, Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, während
+ich doch nur mich selber im Sinne habe.«
+
+»Wieso?« fragt die Erdme verwundert.
+
+»Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr mich und meine gottgefälligen
+Freunde mit Kränkung von dannen gehen heißen. Da habe ich Lieblosigkeit
+gegen euch aufgesammelt in meinem Herzen und habe euch Übles antun
+wollen. Ich habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt hätte,
+hätte ich es auch nicht gekonnt, aber daß ich bösem Willen eine Herberge
+geben konnte in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. Die bitte ich
+Gott ab, indem ich sie dir abbitte, Nachbarin.«
+
+Und da geschieht das Wunderbare: der arme alte Mann kniet mühsam vor ihr
+nieder und hebt die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, ihn
+wieder hochzuziehen.
+
+Die beiden Marjellen aber lachen sich eins und machen, daß sie
+hinauskommen. Und wenn Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack
+spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß sie niederkniet und
+Abbitte leistet, sonst sei sie kein gottgefälliges Mädchen.
+
+Und dann vertragen sie sich und lachen immer aufs neue.
+
+Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht als der Baubau -- »der
+Baboszius«, wie die Litauer sagen -- durch ihre ganze Kinderzeit. Vor
+dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken.
+
+Das ist der alte Raubmörder drüben in der baufälligen Kate, der
+korbflechtend am Wege sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn sie,
+aus der Schule kommend, vorbeimüssen. Dann nehmen sie die Röcke zwischen
+die Beine, und heidi! jagen sie quer übers Moor -- über Kartoffeläcker
+und Gräben der schützenden Heimat entgegen.
+
+Und doch hat er ihnen nie was getan.
+
+Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein gütiger Onkel, bringt
+Gerstenzucker und Walnüsse mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. Darin
+stehen Geschichten von Königstöchtern und Prinzen und anderen vornehmen
+Leuten, zu denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt immer noch
+und läßt sich von der Mutter betreuen. Aber ihnen sollte es einfallen,
+für fremde Leute Magddienste zu tun!
+
+Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike ließ' es nicht zu, denn
+warum so was Unnützes überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung.
+
+Die Frau des Smailus -- die vierte -- ist ihnen nicht grün und will kaum
+einmal, daß die Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze Person,
+die ihren Mann hält, als wär' er ihr Knecht.
+
+Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der Smailus bisweilen und klagt:
+»Was können die Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, und die
+gestorbenen Frauen? Denn ich bang' mich so sehr nach der Dritten.«
+
+Und dann sagt die Mutter bloß: »Siehst du, Nachbar, da hast du's.« -- --
+--
+
+Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen Kopf und soll drum in der
+Fremde ihr Glück machen.
+
+Die Katrike wird nächstens zum Unterricht gehn. Sie wächst und wächst
+dem lieben Gott ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie »das
+Katzchen« genannt. Faul ist sie wie die Pest. Sie muß daher ein
+Rittergut haben. Und so ist alles aufs beste bestellt.
+
+
+ 13
+
+Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! Wassersnot!
+
+Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser wird man doch noch aushalten
+können. Das ist doch fast in jedem Frühling so gewesen.
+
+Aber man hat erzählt, die Leute, die vom großen Strom herkommen, haben
+Vieh angebunden und Betten aufgeladen. In langer Reihe stehen die Wagen
+auf dem Rußner Chausseedamm, und vor der langen Brücke sollen sie
+aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter können. Der Heydekrüger
+Markt sei übervoll, und nirgends mehr geb' es ein Obdach.
+
+Die Erdme sagt zum Jons: »Sieh doch mal nach, was dran wahr ist.«
+
+Der zieht die langen Stiefel an und planscht drauf los.
+
+Der Hof steht unter Wasser. Das will am Ende nicht viel sagen. Der
+Knüppelweg steht auch unter Wasser, aber der Boden darunter ist noch
+steif gefroren. Man kann vom Fenster aus sehen, daß er fest hält. Wie
+der Jons marschiert, macht das Wasser spielende Wellchen über dem
+Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde es spritzen.
+
+Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen Nebel und scheinen so weit
+weg, daß man meinen könnte, sie seien aus einer anderen Welt.
+
+Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, und die Dächer tropfen.
+
+Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen an. Die Kühe haben heute früh
+noch kein Heu gekriegt, und die Schweine quaksen.
+
+Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: »Wir müssen abfuttern gehen.«
+Aber die wollen nicht 'ran, denn das Wasser ist naß.
+
+So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt die Röcke hoch und geht
+auf Klotzkorken nach dem Hof.
+
+Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, schwimmen schon, und wenn
+man von einem zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur so in die
+Höhe.
+
+Aber man kommt doch noch hin.
+
+Den Schweinen geht das Wasser schon an die Läufe. Sie sind unruhig und
+fressen nicht. Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die kommt aus der
+Niederung und kennt den Dienst. Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die
+will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, obwohl ihm die
+nasse Streu kein Vergnügen bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann,
+aber sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher legen, und dazu gehört
+eine Sommerarbeit von vierzehn Tagen.
+
+Sie will sich von den Tieren nicht trennen, läuft von einem zum anderen
+und klopft ihnen beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun.
+
+Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: »Mamma! Mamma!«
+
+»Was ist?«
+
+»Das Wasser ist in der Stube!«
+
+Also zurück.
+
+Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr halten. Tritt man darauf, so
+gleiten sie seitwärts, und man sieht sich im Wasser bis über die Waden.
+Aber man kommt doch noch immer zurück.
+
+Richtig! Das Wasser steht in der Stube. Gar nicht wie ein Gast, der
+nicht hingehört. Hat sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann sich
+drin spiegeln.
+
+Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und sagen: »Wo sollen wir nun
+sitzen?«
+
+»Setzt euch auf den Tisch,« sagt die Erdme. Ihr sind die Beine wie Eis.
+Sie sucht einen Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den Kasten.
+Da ist das Wasser schon an den Kleidern hochgeklettert und hat alles
+verfeuchtet. So setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine an
+der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt ist noch worden. Das wärmt sie
+wieder ein bißchen.
+
+Die Marjellen haben sich richtig auf den Tisch gehuckt, wo das Frühstück
+noch 'rumsteht. Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie in die
+Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie zu träge ...
+
+Die Erdme will die Füße zur Erde sinken lassen, aber erschrocken zieht
+sie sie wieder zurück, denn das Wasser reicht auch hier schon bis über
+die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen Kartoffeln geschwommen
+und der Schmandtopf zum Buttern.
+
+Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da nun doch nicht gebuttert
+wird, so trinken sie ihn umzech aus, und jede freut sich an dem weißen
+Schnurrbart der anderen.
+
+»Mamma,« sagt die Katrike, »wenn wir hier 'raus müssen, wer wird uns
+dann abholen kommen?«
+
+»Der König wird einen Prinzen schicken,« sagt die Erdme, die sich zu
+ärgern anfängt.
+
+Und sie wollen sich schief lachen.
+
+Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe in dem Kleiderschrank auf
+dem Boden stehen und notwendig naß werden müssen.
+
+»Ach, Mamma,« sagt die Katrike, »du hast ja schon sowieso kalte Füße.
+Sei so gut und hol uns die Schuhe.«
+
+»Holt sie euch selber,« sagt die Erdme, die immer noch zittert.
+
+Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da die Katrike am Mittwoch zum
+Unterricht muß, so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß einen
+Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. Auf dem Sitz kniet sie nieder und
+öffnet die Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, und einer ist
+umgekippt, so daß beim Hochheben das Wasser im Bogen herausläuft.
+
+Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt erst ein Unglück geschehen
+ist. Wenn _die_ eine Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht!
+
+Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden.
+
+»Paßt auf, ob der Vater kommt,« sagt sie zu den Marjellen.
+
+Die kucken zum Fenster 'raus und sagen nach einer Weile: »Der Nachbar
+Witkuhn will das Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.«
+
+»Ist es schon so weit?« denkt die Erdme, und das Herz steigt ihr hoch.
+Doch dann gibt sie sich einen Stoß und springt von der Ofenbank 'runter.
+Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, stundenlang -- sie
+wird auch das aushalten können.
+
+»Kommt mit in den Stall,« sagt sie.
+
+Die beiden glauben nicht recht gehört zu haben. Quer durch die
+Überschwemmung -- o pfui doch!
+
+»Dann ersauft meinetwegen hier,« sagt sie.
+
+Da leuchtet es ihnen schon eher ein.
+
+Draußen reicht das Wasser bereits bis an die Knie, und den Marjellen
+noch höher. Sie heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie doch.
+
+Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine drehen sich quiekend im
+Kreise, und die Kühe reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. Nur das
+Pferdchen steht voll Ergebung und zittert.
+
+Mein Gott, und der Vater kommt immer noch nicht!
+
+Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter ihr -- naß bis gegen den
+Nabel.
+
+»Ich hab' mein Vieh dem Smailus mitgegeben,« sagt er. »Die Schweine sind
+in den Graben geraten und werden ertrinken. Eure kriegt ihr schon nicht
+mehr heraus.«
+
+»Was wird werden, Nachbar?« Sie ringt die Hände.
+
+»Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, ihr schafft die Kühe hinauf.«
+
+Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. Seit wann kann eine Kuh
+die Leiter hochklettern?
+
+»Bringt Säge und Schaufeln,« sagt er. »Auch Mistgabeln bringt, ich
+werd's euch zeigen. Dann muß ich 'rüber, meine Frau auf den Boden
+tragen. Die liegt im Bett und kann sich nicht rühren.«
+
+Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei Mistgabeln.
+
+»Draußen liegen Ziegel vom Bau her,« sagt er weiter, »die klaut aus dem
+Wasser und schafft sie herein.«
+
+Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt er jeder einen Stoß gegen
+den Hintern. Das hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die Ziegel, und
+die Katrike schimpft, sie wird sich erkälten.
+
+Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht auf dem Estrich aus, gerade
+unter der Luke, und dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, die
+ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist zu staken an, der Kuh immer
+unter die Hufe, so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht.
+
+»So macht's weiter,« sagt er und schwingt sich hinauf durch die Luke.
+Deren Bretter sägt er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, daß
+eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann.
+
+Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon gegen die Decke, aber unten
+weicht das Wasser die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will.
+
+»Stemmt Bretter gegen!« sagt er. Die Marjellen tun's. Nun sie naß sind
+bis gegen den Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das einzige,
+was sie vor dem Erstarren bewahrt.
+
+Die Schweine stehen auf den Hinterläufen und trippeln an der Wand
+entlang wie große Ratten im Käfig.
+
+Wer wird sie heben können? Denn um stille zu halten, sind sie zu dumm.
+
+»Manneskraft fehlt,« sagt der Nachbar. Dann, sich vor die Stirn fassend,
+stöhnt er leise: »Und sie liegt und kann sich nicht rühren.«
+
+Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber er bleibt. Es ist ja die
+Erdme, die ihn braucht.
+
+Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, da steht der Jons mit einem
+Male da -- naß wie eine ertränkte Katze.
+
+»Ich hatt' einen Kahn beschafft für euch,« sagt er, »da haben die
+anderen mich 'rausgeschmissen. Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, und
+ein Kind ist ertrunken. Von nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den
+Chausseedamm.«
+
+Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind starr. Nur ein Rucken zeigt,
+daß noch Leben in ihnen ist.
+
+»Nachbar,« sagt der Witkuhn, »die eine Kuh ist oben. Versuch's mit der
+anderen. Die Erdme weiß, wie. Das Pferd laß 'raus, das schwimmt zum Damm
+von alleine. Aber die Schweine müssen ersaufen.«
+
+»Vielleicht krieg' ich sie auch noch 'rauf,« sagt der Jons.
+
+»Unmöglich ist nichts,« sagt der Nachbar und planscht zur Tür.
+
+»Wo willst du hin?« fragt der Jons.
+
+»Meine Frau liegt im Bett und kann sich nicht rühren!«
+
+»Dann bet ein Vaterunser für sie,« sagt der Jons. »Jenseits des Wegs ist
+jetzt Strömung. Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen tust du
+auch.«
+
+»Ich muß!« sagt der Nachbar und geht. --
+
+Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen Stücke schwimmen nun 'rum. Auch die
+Schwarzweiße folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch der Mist will
+unter dem Wasser jetzt nicht mehr halten. Der Jons bricht die Raufen
+entzwei und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So kommt Festigkeit in
+den Bau.
+
+Die Schweine in ihrer Todesangst klettern jetzt an den Menschen hoch --
+man muß sie mit Mühe abwehren --, und auch das Pferdchen wird unruhig.
+
+Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem es eine Weile lang in den
+Stall zurückgewollt hat, begibt es sich klug auf die Reise.
+
+Sie schaufeln und staken und staken und schaufeln und nutzen jeden Eimer
+und jede Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen.
+
+Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, da liegt schon das eine der
+Schweine regungslos auf dem Wasser. Das andere, das immer noch quiekt,
+schieben sie den Mistberg hoch, so daß es halb erwürgt oben ankommt.
+
+Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen.
+
+Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu und hat Krämpfe.
+
+»Ich geh' ins Haus und hole, was nötig ist,« sagt die Erdme.
+
+Die Marjellen schreien: »Du wirst ertrinken!« Aber sie macht sich nichts
+draus.
+
+Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die Brust. Es steht nicht mehr
+still wie zuvor. Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, dicker
+als Torfziegel. Die kommen sicher vom Strome. Es muß also ein Dammbruch
+geschehen sein.
+
+Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren zu wollen über Nacht. Aus
+der Gegend der Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von Menschen und
+Tieren. Ab und zu ein Schrei wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles
+still. Wie längst gestorben ist alles.
+
+Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen die Tischplatte. Die Stühle
+schwimmen. Die im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch trocken.
+Nur das unterste Stück hängt ins Wasser.
+
+Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück ist's, daß dem Jons sein
+Schafpelz zum Trocknen noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird Wärme
+haben.
+
+Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und her, die Arme hochhaltend, und
+immer schwieriger werden die Wirbel.
+
+Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu die Glieder warm und wühlt
+sich nackt in den Haufen. Und während die Marjellen kreischen und Jons
+im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein und schläft die ganze Nacht
+durch wie ein Sack. --
+
+ * * * * *
+
+Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser glänzt eine dünne, blaßblaue
+Eisschicht, in die schneegraue Blöcke eingefroren sind.
+
+Sie denkt an die Prophezeiung des alten Raubmörders. Wer jetzt noch
+gegen das Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe Eis mit tausend
+Messern das Fleisch zerschneiden.
+
+Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte ihr einstmals drohte. Nur daß
+sie nicht im Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben im Hause
+geblieben, weiß Gott, wie es dann aussähe! Das, was dort Dach heißt,
+hätte sie niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, das Haus
+sieht aus wie eine Roggenhocke kurz vor dem Umfall. --
+
+Sie steht auf und zieht sich an. -- Die Röcke von gestern sind noch
+patschnaß, aber die mitgebrachten scheinen fast trocken.
+
+Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem Fieber redet Dummzeug. Die
+Kühe haben sich eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück.
+
+Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch der Stall nicht mehr
+festhält. Und der war doch wie für die Ewigkeit gebaut.
+
+Wie geht's denn mit den Häusern ringsum? Heute ist klare Luft. Man sieht
+sie, als wäre man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft das Wasser zur
+Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen sein mag? Ob die Frau wohl noch
+lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein das Dach durchschlagen,
+denn der bestand bis hoch oben aus Ziegeln.
+
+Und dicht daneben? Was ist das? Da steht ja ein anderes Haus, das
+gestern nicht da war! -- Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des
+alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden.
+
+Um Himmelswillen -- das fremde Haus dicht neben dem Hofe des Smailus,
+das ist sie ja!
+
+Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, langsam treibt sie der
+Wasserdrang vor sich her. In jedem Augenblick verschiebt sich die
+Richtung gegen den Hof hin.
+
+Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, das sie weiter bewegt? So viel
+Kraft kann das kaum haben, denn dann gäb' es ja keine Eisschicht. Und
+was bedeutet die Stange, die sich am hinteren Ende hebt und senkt?
+
+Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein Kahn. -- Ein Kahn, der sich
+fortbewegt, ein Kahn, der gelenkt wird.
+
+Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst von einer Arche Noah
+gesprochen?
+
+Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam kommt sie, aber sie kommt.
+Kommt sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie vorbei?
+
+Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und schreit: »Hierher! Hierher!«
+
+Die beiden Marjellen fahren hoch: »Mamma, was ist?«
+
+»Schreit, schreit, schreit!«
+
+Und alle drei schreien: »Hierher! Hierher! Hierher!«
+
+Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, dort, wo die Birken bis an
+die Kronen im Eise stehen.
+
+Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit hochstehenden Rändern. Die
+hat er all die Jahre mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts
+ahnen.
+
+»Hierher! Hierher!«
+
+Und jetzt hört man schon das Zerspellen des Eises, das sich am Holze
+hochschiebt und klingende Risse voraufwirft.
+
+Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die Lumpen eines Schafpelzes
+hängen an ihm herum. Er schwingt die Stange und lacht -- lacht -- lacht.
+
+»Nachbar, hierher!«
+
+»Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar -- hä? -- Der geliebte Nachbar!
+Der wertvolle Nachbar -- hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen wollten,
+dann wär' ich euch nicht zu schlecht -- hä?«
+
+»Nachbar -- vergiß und hilf!«
+
+»Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! Und kein Abseitsrücken!
+Jetzt wird spazierengefahren an allen vorbei, die ertrinken, und gelacht
+wird wie bei einer Hochzeit.«
+
+»Nachbar -- erbarm dich!«
+
+»Hast _du_ dich erbarmt? Ja, du _hast_ dich erbarmt! Du hast mir einmal
+ein Stück Hochzeitsfladen hingeworfen. Hast es wohl längst vergessen.
+Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, Hochzeit zu feiern bei mir. --
+Du und was mit dir da drin ist.«
+
+»Jons, steh auf!«
+
+Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt von Sommerwiesen und Heuaust. Und
+die Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen lieber ertrinken
+als zu dem Raubmörder ins Haus.
+
+Aber die Erdme fackelt nicht lang'. Sie kriegt die Urte zu packen und
+wirft sie dem Alten aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe
+entzweiknallt. Und mit der Katrike macht sie's nicht anders.
+
+Aber der Jons! Der Jons! »Jons, steh auf, wir müssen in die Wiesen!«
+
+Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er läßt sich auch den Pelz
+anziehen, mit dem er über Nacht bedeckt war.
+
+Aber nun 'runter. Wie schafft man ihn 'runter? Denn auch ihn aufs Dach
+werfen -- das geht nicht. Er würde abrutschen und ins Wasser stürzen.
+
+»Jons, spring! Nimm Vernunft an und spring!«
+
+Aber das tut er nicht. Er muß ja in die Wiesen.
+
+Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch die Luft zu werfen, so daß es
+das Rohrdach in Haufen bedeckt.
+
+»Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring 'rauf, sonst fahren wir ohne
+dich nach Haus.«
+
+Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und -- Gott sei gesegnet! Er springt.
+Bleibt in dem Rohrloch stecken, und da ist er geborgen!
+
+Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt werden. Die Kühe haben Futter,
+aber das Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht von dem Miste
+ernährt.
+
+Also los!
+
+Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm entgegen.
+
+»Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?«
+
+»Wer hat mir geholfen -- hä?«
+
+»Der Taruttis hat für dich gebetet.«
+
+»Aber gesprochen hat er nicht mit mir -- und der Taruttis ist auch schon
+weg.«
+
+»Aber der Witkuhn ist noch da und seine todkranke Frau.«
+
+»Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen sie alle.«
+
+»Der Witkuhn wird _nicht_ ersaufen. Und wenn du mir nicht gehorchst --
+ich bin stärker als du und schmeiß' dich ins Wasser.«
+
+»Ist das der Dank, du Bestije?«
+
+»Ob Dank oder nicht -- ich schmeiß' dich ins Wasser.«
+
+Sie hat Fäuste wie Eisen -- das merkt er sofort und läßt schimpfend die
+Stake in ihrer Hand.
+
+Und sie lenkt hinüber zum Weg -- an den eingefrorenen Birken entlang und
+über den Weg hinweg. Langsam geht es -- o Gott, wie langsam! -- Das Eis
+knirscht, als fletscht es ihr tausend grimmige Zähne entgegen, und der
+Alte tanzt hin und her und droht, er wird die Axt holen und sie
+erschlagen; aber sie lacht nur und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft
+dicht vor ihr liegt.
+
+»Nachbar! Nachbar Witkuhn!«
+
+Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr lebendig. Nur die Katze
+sitzt auf dem Dachfirst und knaut. Und das Wasser spült über das
+zersplitterte Eis weg rund um den Giebel.
+
+»Nachbar Witkuhn!«
+
+Da -- was schiebt sich aus der schwarzen Luke langsam ins Helle? Ein
+Bett kommt gekrochen, und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt die
+tote Frau, und der Nachbar geht hinterher und schiebt.
+
+Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar schwimmt hinterher. Und
+schließlich kommt auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten
+festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen herein.
+
+»Wie fandst du sie?«
+
+»Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß ich nicht. Als ich sie auf
+den Boden hob, war sie längst tot.«
+
+Weiterfahren!
+
+Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar die Hand. Und der nimmt sie
+auch und hält sie ganz gierig, als hätte _er_ die Rettung vollbracht.
+
+Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, an keiner Wirtschaft
+vorbeizufahren, aus der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten Geschmack
+gefunden, seitdem eine Menschenhand in der seinigen lag.
+
+Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar Witkuhn, denn er ist naß und darf
+nicht erklammen. Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. Die beiden
+Marjellen sitzen zusammengekrochen im Winkel, und der Jons stöhnt oben
+im Rohrdach.
+
+Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger als ein
+Ziegenverschlag. Der Fußboden besteht aus langen Rudern, den Putschinen,
+mit denen die Flößer ihre Holztriften lenken. Die hat er dicht neben
+einander gelegt und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und verteert. Ein
+Bett und ein eiserner Ofen -- viel mehr steht nicht drin. Und da kein
+Herd da ist, der einen Untergrund braucht, so kann das Ganze vom
+steigenden Wasser sich hochheben lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm.
+
+Noch aus drei Häusern holen sie die nassen und steifgefrorenen Bewohner.
+Die dürfen ins Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen zum Heizen
+sind auch da.
+
+Der alte Raubmörder geht immer von einem zum andern und kriegt nicht
+genug Hände zu schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er.
+
+So kommen sie näher und näher an den Chausseedamm, an dessen Höhe dem
+Wasser kaum noch ein Zoll fehlt.
+
+Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall und nach Fütterung, und auf
+den Wagen weinen die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum mit
+Eimern voll dampfendem Kaffee.
+
+Und überall die Stimme des Moorvogts. Vorne und hinten, in Streit und in
+Jammer -- überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft und schiebt
+die Achsen und halftert das Vieh und ordnet die allmähliche Abfahrt.
+
+Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen sieht und den
+Bootshaken streckt, an dem man sich festhält.
+
+»Also das war dein Kunststück,« sagt er zu dem aussteigenden Alten. Und
+der nicht faul, verlangt sofort seine Pension.
+
+»Erst geht in mein Haus und wärmt euch,« sagt der Moorvogt. Da gewahrt
+er das Bett mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. Sein
+Gesicht, das von dem zweinächtigen Tagewerk wild gedunsen und rot ist,
+wird lang und grau. Er schlägt sich mit den Fäusten vor die Stirn, und
+wie einer, den beim letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, sagt
+er leis' vor sich hin:
+
+»Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.«
+
+Aber in demselben Augenblick hat er sich schon einen Ruck gegeben und
+ist obenauf. Niemand als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei gehört.
+
+Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm herangefischt. Und
+während es langsam dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die Mützen
+vom Kopf. Einer stimmt an, und alle bis weit in die Ferne hinein, auch
+jene, die noch nicht wissen können, was los ist, singen das alte
+Begräbnislied:
+
+ _Jau su Diewu gywenkite_
+ _Jus mylimi, ne werkite,_
+ _Kunelí manó dekite_
+ _I zemé ir pakaskite._
+
+Das heißt auf deutsch:
+
+ »Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,
+ Weint nicht, nun ich selig werde,
+ Und den Leib, der hier geblieben,
+ Senket in die dunkle Erde.«
+
+Laut und andächtig singen sie, denn wenn es, Gott sei gedankt, auch nur
+wenig Tote gab, jeder hat ja eine Hoffnung begraben.
+
+Bloß einem geht es so gut wie noch nie.
+
+Das ist der alte Raubmörder.
+
+Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts mitten auf dem gestreiften
+Sofa, hat die Hände um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift,
+speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die ihn voll Achtung
+umstehen, wie klug vorausschauend er einst sein Haus umgebaut hat und
+wie vielen durch seine Guttat heute das Leben erhalten blieb. Darum und
+aus noch vielen anderen Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine
+Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage beschließen.
+
+
+ 14
+
+Wie kann der Frühling so unbarmherzig sein!
+
+Je wärmer die Tage werden, desto frostigere Nebel haucht das
+durchkältete Moor; je heller die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt
+sie zutage.
+
+Der Jons ist von seiner Lungenentzündung aufgestanden und schleicht am
+Stock wie ein nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er gelegen, und
+Erdme mitsamt den Marjellen ist derweilen bei Fremden in Pflege gewesen.
+
+Nun sich das Wasser verläuft, können die Moorleute endlich wieder
+zurück.
+
+Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da finden!
+
+Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor fünfzehn Jahren erbauten, das steht
+zwar noch -- aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer stark
+schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. Tritt man ein, so stinkt es
+nach Moder und Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der Herd
+auseinandergespellt, und was von dem Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein
+mächtiger Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es mit Lehm und mit
+Ziegeln bis in die Tischecke hin.
+
+Ein Wohnen darin ist unmöglich.
+
+Darum beschließt die Erdme, mit dem noch krankenden Mann und den
+Töchtern zum Stall hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren
+geholt worden, die an jenem Tage im Extrazug aus Königsberg kamen. Und
+das Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. Die müssen sich
+alle mit der linken Seite behelfen, die rechte, wo früher die Schweine
+hausten, wird Wohnung.
+
+Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen wollen nicht 'ran. In
+einem Schweinestall zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. Das
+sei eine Entwürdigung. Besonders wenn man dicht vor der Fräuleinschaft
+steht.
+
+Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der trostlose Zustand dauert
+nicht ewig. Denn dort, wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten,
+um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen und vier Dutzend
+Schwarten ein Haus zu errichten, rücken eines Tages die Zimmerleute an,
+und langgestreckte Gefährte bringen Balken und Bretter.
+
+Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als damals! -- Der
+Raiffeisenverein hilft, und was noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank.
+
+Der Meister hat einen Grundriß gemacht für eine Große und eine Kleine
+Stube, für Kammern und Klete, und statt des lehmbeschmierten
+Ziegelgestells wird ein glitzernder Kachelofen herrlich erstehen.
+
+In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das den Stolz der Familie noch
+weiter in die Höhe hebt.
+
+Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist in der weiten Welt nicht
+unbemerkt geblieben. Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange
+Schilderungen gebracht, und sowohl die rettende Arche Noah als auch die
+Frauenleiche im schwimmenden Bett sind beschrieben und abgebildet
+gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die auf Erden so lange und so still
+gelitten hat, vom Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu ihrem
+Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert.
+
+In den großen Städten haben die schönen jungen Damen zugunsten der
+Überschwemmten getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. Haben
+Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, Schaumwein und Küsse verkauft und
+sind, wenn das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen.
+
+Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt und dabei vielerlei
+Sachen gefunden, die den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem
+Werte sein mußten: Festkleider von vor sechs Jahren, durchgescheuerte
+Unterröcke, zerpliesertes Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern,
+vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, gespenstische Bademäntel und
+zu alledem Hüte für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult,
+verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der Inbegriff aller irdischen
+Pracht.
+
+Auch die feinen Herren haben das ihre getan. Die einen haben alte
+Hochgebirgskostüme geliefert, weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich
+war. Die anderen haben weißen Flanell bevorzugt, weil so ein Moor doch
+nahe am Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen Wesen der
+Notleidenden entsprechend ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische
+gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise ihr altes Ballzeug
+loswerden zu können.
+
+Kisten und Kisten wurden verfrachtet und gingen per Eilzug an den
+Heydekrüger Frauenverein. Endlich, endlich werden die armen, nackten
+Moorleute was anzuziehen kriegen!
+
+Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand vor sich liegen sehen, schlagen
+sie voll Entsetzen die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, ihn ihren
+Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten zu dürfen. Sie kramen alles
+heraus, was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen das andere
+verstecken. Aber da kennen sie unsere Moorleute schlecht.
+
+Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten für sie ins Land
+geflogen sind, da stürmen sie den Schmidtschen Speicher und suchen mit
+List und Gewalt das Feinste des Feinen für sich zu erraffen. Wunder
+auch! Wer, der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt den schwarzen
+Erdenschlamm knetet, wird es sich nehmen lassen, des Abglanzes fernher
+leuchtender Paradiese teilhaftig zu werden?
+
+Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden flittrigen Fetzen. Wer was
+Warmes und Dunkles in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen.
+Schandworte fliegen herum, und draußen kommen Tauschgeschäfte zustande,
+die wohl zehnmal zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer
+Tracht Prügel ein Ende nehmen.
+
+Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, was das Glück ihnen zuschanzte,
+und haben ein Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. Manche
+spiegeln sich nach jedem hundertsten Schritte im Wasser der Gräben, und
+alle fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, ob ihm in der
+Dämmerung nicht was weggegrapscht wird. Den alten Raubmörder will einer
+gesehen haben, wie er, gegen einen Chausseebaum gelehnt, barhäuptig
+dastand und einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der Brust
+plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen ließ.
+
+Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen reich beladen nach Hause.
+Sie haben die lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich mehr an
+das Schwere und Feierliche gehalten, denn Erdme war ihres alten Schwures
+gedenk, daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide einhergehen sollen.
+
+Und das können sie fortan wirklich.
+
+Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem Samt, tiefausgeschnitten
+und mit glitzernden Perlen bestickt.
+
+Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen und damit selbst die
+vornehmsten Töchter der Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des
+Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar herumstehen.
+
+Da die frühere Eigentümerin von mächtigem Leibesumfang gewesen sein muß,
+so können beim Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen werden,
+daß sich auch für die Urte ein Staatskleid ergibt. Und als das fertig
+ist, bleiben noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme die eigene
+Bluse reichlich damit besetzen kann.
+
+So fahren sie also am Einsegnungstage alle drei in himmelblauem Samt zur
+Kirche. Und die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher.
+
+Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin.
+
+Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die lichterziehend und wie ein
+Paradiesvogel bunt in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, da
+packt sie sie an dem Samtschlafittchen und schiebt sie ins Pfarrhaus.
+
+»Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, Marjell, dich in solchem
+Aufzug vor den Altar Gottes treten zu lassen?«
+
+Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken.
+
+Aber wie die Katrike bittet und weint, da fühlt sie ein menschliches
+Rühren, holt aus dem Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft es ihr
+um die Schultern.
+
+Und so kann sie denn eingesegnet werden.
+
+Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen die Baltruschats, von
+neidischem Staunen umgeben. Nur des Jons muß man sich etwas schämen,
+weil er nicht fein genug ist.
+
+Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, wie sie den Stolz der
+Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit verdammt hinter dem Pfarrer
+herkommen sieht, aber sie tröstet sich bald.
+
+Steckt auch der Glanz noch in schlichtem Futteral, er ist doch schon da.
+Und das ganze kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu entfalten.
+
+Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch blauer sind als der Samt, den sie
+anhat, und denkt beim Singen und Beten an die künftigen Bräutigams.
+
+Und der Jons denkt beim Singen und Beten an das wachsende Haus, dessen
+glatt behobelte Wände schon über das Moor hinleuchten.
+
+Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht zu denken gewagt?
+
+Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus dem Moorschlamm herausgeholt,
+der zäh und unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser lagert, bereit zu
+verschlingen, was sich ihm anvertraut.
+
+Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons seine zerarbeitete Hand und
+denkt: Hat es zwischen uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer
+hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich überstanden, --
+wo sollte er herkommen, nun es leichter und leichter wird?
+
+Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag nah ist.
+
+
+ 15
+
+So! Nun mach' ich einen langen Atemzug -- der dauert volle zehn Jahre
+lang --, und dann erzähl' ich, was aus dem Jons und der Erdme und den
+zwei hoch hinaus wollenden Töchtern weiter noch wird.
+
+Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand nicht viel zu
+berichten. Als sie mit siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als
+Kellnerin einzutreten -- denn das sollte die Schwelle sein zu dem
+künftigen Glück --, da war sie ein appetitliches Marjellchen mit
+kornblumenblauen Augen und einem süßen Schnauzchen, rund und feucht wie
+eine betaute und gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, die sie
+inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie schlank und hoch geworden ist
+und überhaupt wie eine von den schönen Damen, die in dem früheren Hause
+an den Wänden klebten. Sie schreibt bald von der Pariser
+Weltausstellung, bald aus dem schönen Italien, sogar von der Spitze des
+Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte geschickt, obgleich einem dort von
+der großen Kälte die Finger erklammen.
+
+Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern Ortrud, und auch
+Baltruschat heißt sie nicht mehr -- so ein litauischer Name ist viel zu
+gemein für sie --, sondern einmal schreibt sie sich Balté, ein andermal
+Baldamus und ein drittes Mal sogar wie der katholische heilige
+Balthasar.
+
+Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, wenn man ihrer gedenkt.
+
+Die Katrike allerdings -- die ist noch etwas im Rückstand. Sie hat keine
+Lust gehabt, sich ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch
+daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer hat sie immer noch
+nicht. Woran das liegt, ist schwer zu sagen.
+
+An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang ist sie geraten -- das
+wissen wir schon --, und die Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter
+ihr her: »Kiek -- die lange Latte!« Dafür ruft man sie zu Hause auch
+»Pusze, Pusze«, das heißt »Miesekatzchen«, und dieser liebliche Name
+macht viel wieder gut.
+
+An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie spricht ein sehr feines Deutsch
+und spitzt den Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum Beispiel:
+»Üch bün eune reuche Besützerstochter.« Und das soll ihr mal einer
+nachmachen!
+
+Viel tun -- tut sie nicht. Hat sie auch nicht nötig. Dafür ist jetzt die
+Jette da, die Dienstmagd. Eine niederträchtige Kröt' übrigens. Die
+spottet der Katrike doch immer nach. Wenn sie über den Hof geht, faßt
+sie den Unterrock mit zwei Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und
+dreht den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann ihr nichts nachweisen.
+
+Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu schade. Eine Stelle als
+Stütze oder Gesellschafterin müßte es sein. Aber sie will nicht. Sie
+will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen und sich mit der
+Brennschere -- die hat ihr einmal die Urte geschickt -- die Haare in
+Wickel drehen. Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so graugelb
+wie bei einem Mutterschaf auf der Scherbank.
+
+Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. Sie liebt die Traumbücher
+und die Zaubersprüche und liest darin morgens und abends.
+
+Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und die bespricht sie
+fortwährend. An einem Ostermorgen ist sie sogar früh aufgestanden, hat
+splitterfasernackt das Haus ausgefegt und das Gemüll ebenso nackt über
+die Grenze getragen. Aber geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die
+Jette meint, sie solle es machen wie sie und die Flöhe mit einem
+Spirituslappen betupfen, so daß sie nicht hoch können. Aber diese
+Fangart ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es lieber mit
+Zaubern.
+
+Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike sehr wenig. Aber was soll er
+machen? Die Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß gehen
+darf sie nicht, und die Hände zerreißen darf sie sich auch nicht, denn
+wenn der reiche Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, dann
+zieht er sofort wieder ab.
+
+Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der Allerweltsfreiwerber,
+schon zweimal im Hause gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner
+Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock die Zunge ausstrecken
+lassen und was er sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams,
+die er anbot, waren bloß Kroppzeug. Nicht _ein_ richtiger deutscher
+Besitzer ist darunter gewesen. Aber die Erdme hat's ihm auch vergolten.
+Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, um sich die Nase zu begießen.
+
+Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons schon an die fünfundzwanzig
+Jahr. Sehr schön ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch
+nachgelassen. Jetzt würde sich kein Nachbar mehr in sie verlieben. Hart
+und knochig ist sie geworden, und einen bösen Blick hat sie gekriegt von
+dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen.
+
+Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele ihnen ihr bißchen Wohlstand
+beneiden und ihnen jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen.
+Schon manches liebe Mal hat sie einen Zauberbesen in den Quitschen
+hängen gefunden, und wie oft der weiße Hexenspeichel an den Zaunlatten
+hing, ist gar nicht zu zählen. Einer hat sogar bei dem katholischen
+Pfarrer in Szibben für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat ihm
+aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer daß er das Reißen bekam.
+
+Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. Sein Haar ist grau, und
+sein Gesicht sieht aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost.
+
+Was hat der Mann aber nicht alles in seinem Kopfe! Allein das viele Geld
+zu verwalten! Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. Und die
+Wirtschaft wird staatsmäßiger Jahr für Jahr.
+
+Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden glänzt in der Sonne wie
+Silber, und der massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, was
+der Moorgrund schon aushalten kann. Auch drinnen ist alles aufs beste.
+Der Herd steht noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in dem er
+den Platz hat, ist hoch und weit und voll von bemalten Türen.
+
+Links geht's in die Große und in die Kleine Stube und rechts in die
+Kammern. In keinem litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte ich
+erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder in goldenen Rahmen und den
+glasierten, doppelten Ofen, -- von der Tapete mit ihren blanken
+Sternchen gar nicht zu reden, -- weiß Gott, ich würde kein Ende finden!
+Winklig zum Stall ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit
+Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des Torfes. Der Garten hat einen
+richtigen Staketenzaun, und nicht bloß Raute und Riechblatt wachsen
+darin und was man an Buntem wohl liebhat, sondern auch Möhren, Salat und
+mannshohe Schoten, wovon man essen kann, soviel man nur will, selbst
+wenn man Dienstags Körbe voll auf den Markt bringt.
+
+So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und keiner der Nachbarn kann
+sich mit ihnen vergleichen.
+
+Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die Taruttene auch. Beide starben
+am gleichen Tage, und als man ihnen die Leichenhemden anzog, hat der
+Flachs in der Leinwand noch einmal zu blühen begonnen. Überall saßen die
+blauen Sternchen. So fromm sind sie beide gewesen.
+
+Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension gekriegt, und als er zu
+Grabe getragen wurde, sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt.
+Ob aus Hochachtung oder zur besseren Bewachung, hat niemand zu sagen
+gewußt.
+
+Der lange Smailus ist nun auch schon alt. Seine Vierte, von der niemand
+was Gutes weiß, soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, und
+wenn das Glück es will, kommt er dazu und nimmt sich noch eine Fünfte.
+Die Ulele schreibt ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie schickt,
+riecht immer noch schöner. Sie hat längst ihren Oberbuchhalter
+geheiratet. Der ist Teilhaber an der Fabrik, und die beiden Besitzer
+vertragen sich prächtig. -- Da sieht man, was ein tüchtiges Mädchen
+kann!
+
+Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, wie ist der zusammengefallen!
+Eine Dienstmagd besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet von früh
+bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen Armen und sucht aus dem
+Boden herauszuschlagen, daß er gerade zu leben hat.
+
+Aber raten und helfen, das tut er noch immer, und sieht an der Erdme
+noch immer vorbei, und das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und
+gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl so bleiben, bis auch das
+andere stille steht.
+
+Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich über den Weg hin aufpaßt,
+und wenn er gleich fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, ob ihn
+selber friert oder schläfert.
+
+
+ 16
+
+Der Jons und die Erdme sitzen im Garten zwischen den eingefaßten Beeten
+und haben sich lieb -- denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag.
+
+Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, aber außer der Katrike
+weiß keiner, weshalb.
+
+Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz aus Silberpapier schenken
+wollen, hat auch schon Maß genommen und so, aber dann ist es doch
+unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war.
+
+Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede geben unter den Leuten.
+
+Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die dünnbehaarten Köpfe. Jons
+nimmt die Mütze, die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt sie ihr
+auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch einen Scherz hat er in all den
+fünfundzwanzig Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht im innersten
+Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat.
+
+Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig und glücklich nebeneinander
+hergegangen, und nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken hat
+er sich nie -- außer bei Hochzeiten natürlich und ab und zu wohl am
+Markttag, aber das gehört ja zum Leben, -- und geschlagen hat er sie
+auch nicht.
+
+Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür dankt sie ihm mit Tränen. Und
+auch er weint ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder.
+
+Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit den Traumdeuteraugen und der
+zwei Trauzeugen, die auch am Sonntag nach Mist rochen. Und der
+Abendstunde im Matzicker Chausseegraben gedenken sie auch und sehen sich
+um, ob niemand sie hört.
+
+»Denkst du daran,« sagt die Erdme, »was wir uns damals alles gelobt
+haben? Leicht war es nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch
+getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden gestört.«
+
+Und er sagt: »Das ist dein Verdienst.«
+
+Sie sagt: »Deins ist es auch.«
+
+Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, denen ein guter Streich
+geglückt ist wider Erwarten.
+
+»Gott sei gelobt!« sagt die Erdme; »jetzt sind wir über den Berg, denn
+was kann uns nun noch Böses geschehen?«
+
+Und er sagt: »Ein Dreck kann uns geschehen.«
+
+Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen im blanken Sonnenschein
+und denken: »Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.«
+
+Aber es kommt doch noch schöner! Viel schöner kommt es.
+
+Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen wollen wie alle Tage, da
+bemerkt die Erdme, daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, ein
+Herrschaftswagen, wie er hier selten zu sehen ist.
+
+Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der »Germania« und denkt
+natürlich, es sind Herren von der Regierung, die im Moor nach dem
+Rechten sehen wollen.
+
+Aber wie der Wagen immer noch näher kommt, erkennen sie beide, daß keine
+Herren darin sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich sitzt sie
+auch nicht, sondern steht und hält einen weißen Sonnenschirm in der Hand
+-- mit dem winkt sie und winkt sie und winkt.
+
+»O Jezau!« sagt die Erdme und fällt wie leblos auf die Bank zurück.
+
+Da biegt der Wagen auch schon nach dem Zufahrtsweg ein und hält vor dem
+Hoftor.
+
+Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, Brennschere und Seidenpapier
+noch in der Hand, und rings um die Stirn sitzen die gewickelten
+Knötchen.
+
+Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud heißt. In einem feinen
+graukarierten Wollenkleide springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr her
+springt ein Hund, wie ihn noch nie eines Menschen Auge sah. Mit
+schneeweißen Locken, größer noch als ein Wolf und magerer als ein
+Schmalreh.
+
+Doch daß die Urte mager ist, kann man nicht sagen. Einen Busen hat sie
+-- der ist kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im dritten
+Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. Und die blauen
+Kornblumenaugen hat sie noch immer, aber goldene Haare hat sie
+inzwischen gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft.
+
+Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da kniet sie vor ihr und befühlt das
+Kleid und betastet die Schuhe, und wie sie das Kleid ein wenig hebt, was
+kommt da zum Vorschein? Ein Unterrock von lauter -- du wagst es gar
+nicht auszusprechen, nicht auszudenken wagst du es! -- ein Unterrock von
+lauter Seide, von resedagrüner, ruschelnder, klingender Seide.
+
+Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, so klingt bei jeder Bewegung
+die Seide.
+
+Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor und Zaun und traut sich an
+die hochgeborene Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei der
+Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. Und sie küßt auch ihn, aber
+man sieht: sehr gerne tut sie es nicht.
+
+Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, sich die gebrannten
+Wickel auszukämmen, und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte an
+und möchte auch für sich was Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut
+keiner.
+
+Der weißgelockte Hund, von dem man glauben könnte, man zerbricht ihn,
+wenn man ihn anfaßt, steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten
+Menschenaugen um sich und streckt den witternden Schlangenkopf bald nach
+rechts und bald nach links, als kann er sich nicht erklären, wie er
+plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft geraten ist. Den
+belfernden Köter, der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude
+springt, würdigt er keines Blickes. --
+
+Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender Lederkoffer, hoch
+wie ein Haus und wohlriechend wie russische Gurten.
+
+Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen Anmutigkeit und
+ihrer rundhüftigen Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer führen kann,
+wie man die Lämmer zu Markte führt.
+
+Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der ist von poliertem Holz und hat
+silberne Einlagen. Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll noch
+viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht aus wie schwarze, runde
+Graupenkörner und schmeckt nach gesalzenen Fischen.
+
+Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid zum Vorschein mit einem
+Spitzeneinsatz und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und auch die Katrike
+kriegt ein Kleid, ein hellblaues Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse
+und einem hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und federt, wenn man
+ihn anrührt.
+
+Und das Allerschönste hab' ich noch gar nicht genannt: das ist der
+Silberkranz. Kein Silberkranz aus Papierblättern, wie ihn die Katrike
+beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem schweren, klirrenden
+Silber, und ein gleiches Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins
+Knopfloch zu stecken.
+
+Von nun an ist's mit den Heimlichkeiten vorbei. Die Erdme muß das
+seidene Kleid anziehen und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, Jons
+bekommt das Sträußchen wirklich ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen
+sie beide im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein und lassen sich's
+gut sein.
+
+Die Töchter sind um sie herum, und sogar die Jette, die abscheuliche
+Kröt', tut sich lieblich, wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne
+Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, damit sie des Morgens nicht
+klappert.
+
+Nur einer ist nicht zufrieden -- das ist der große, magere, weißlockige
+Hund. Der schnüffelt und schnobert, und wenn man ihn 'reinzieht, läuft
+er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte Fressen rührt er nicht an. Die
+Urte muß ihm von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, sonst würde er
+am Ende verhungern.
+
+Die Urte erklärt: »Das ist ein sibirischer Windhund, Barsoi genannt, aus
+einer ganz alten vornehmen Zucht mit einem Stammbaum, der reicht wohl
+hundert Jahre zurück.«
+
+Sie hat ihn von einem russischen Grafen bekommen, der mit ihrem Freunde
+befreundet war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, und alle
+lachen sehr, als sie ihn hören, denn Petruschka heißt »Petersilie«.
+
+Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als die nach Hause gekommene
+Tochter ansehen und ansehen.
+
+Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt -- einen besseren gibt es ja
+nicht -- und mit den dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen Haare
+geben Feuerstrahlen um sie herum, dann ist der Erdme, als muß sie in
+einen finsteren Winkel kriechen und weinen und beten, daß Gott sie nicht
+strafen wolle für dieses allzu große Glück.
+
+
+ 17
+
+Der Urte -- die jetzt Ortrud heißt -- ist in der Kleinen Stube ein Lager
+bereitet, und Jons und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich zu rühren
+-- aus Angst, sie möchten die Tochter erwecken.
+
+Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in Frieden bis in den
+blanken Vormittag. Eine Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater
+zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem erst fertig.
+
+Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund zu zwei Mark, und läuft zwischen
+Herd und Stubentür hin und her, um zu horchen, wann die Zeit zum
+Frühstück gekommen ist. Dann trägt sie ihr alles ans Bett und sieht mit
+Sorgen, ob die Urte sich's wohl schmecken läßt.
+
+Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen Spitzenhemd, mit dem
+ruscheligen Goldhaar und den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe,
+die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote und blaue Sonnen auf
+der gewürfelten Decke.
+
+Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen pflegt. Aber viel ist es
+nicht. Und lange Zeiten übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in der
+Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme schon aus den Briefen, aber was
+sie da überall getan hat, läßt sie im Dunkeln.
+
+Viele Männer haben sie heiraten wollen, aber es ist nie etwas daraus
+geworden. Bei den Reichen und Hochgestellten haben die Eltern es nicht
+erlaubt, und den anderen hat sie selber den Laufpaß gegeben. Als sie in
+Königsberg Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr hergelaufen.
+Viele haben sich duelliert, und einige haben sich totgeschossen.
+Schließlich hat sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen
+können und ist nach Berlin ausgerückt. Und dort hat das Leben erst recht
+begonnen.
+
+Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft zu machen gedenkt, lächelt
+sie mit ihren Blauaugen bloß so verschwommen ins Weite und sagt: »Mach
+dir keine Sorgen, Mamusze. Für eine wie mich liegt der Reichtum nur auf
+der Straße. Aber erst möcht' ich mich hier noch ein bißchen ausruhen.«
+
+Und das tut sie auch gründlich. Niemals faßt sie mit an oder kümmert
+sich um was. Sie sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen auf der
+Gartenbank, blickt nach dem Himmel und lächelt. Nur ihre Kleider hält
+sie in Ordnung, steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und bügelt,
+und ihre Finger, die rund und lecker aussehen wie marzipanene Würstchen,
+führen die Nadel schnell und mit Ruhe.
+
+Die Erdme ist noch immer wie von einem Zauber befallen.
+
+Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an das heimgekommene Kind, macht
+sich in ihrer Nähe zu schaffen und schleicht um sie 'rum, bloß um sie
+still und andächtig zu betrachten. Oft ist ihr bange vor lauter Stolz,
+so daß sie sagen möchte: »Sei doch einmal wieder wie früher.« Aber sie
+weiß, das kann die Urte nicht mehr, dazu ist sie zu lange weggewesen und
+hat zu viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie Schönschreiben kann und
+Französisch, das hat die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie
+gehabt. Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, aber es muß wohl das
+Feinste sein, was auf der Welt gelehrt werden kann.
+
+Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand und sagt: »Ach, freu dich doch!
+Freu dich doch!«
+
+Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, mit der Tochter
+zusammenzusein, und er schämt sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr
+reden und wie er den Löffel halten soll, und das Brot schneidet er
+heimlich unter dem Tisch.
+
+Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, hat ihn »lieb Väterchen«
+genannt und so. Wie er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch
+sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. Es liegt noch nicht
+Übles zwischen ihnen, bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder
+Tag für Tag.
+
+Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz will ihr zerbrechen bei seinem
+stillschweigenden Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht zwingen,
+daß er sie lieb hat.
+
+Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der Schwester alles nachmachen
+und versteht es doch nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen
+und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die Nägel werden bloß noch
+dreckiger, der Mund sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab
+wie vertrocknetes Krummstroh.
+
+Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne Beschwerde.
+
+Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und macht sich ihre Gedanken.
+Nicht daß sie die Katrike nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist wie
+ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt dasitzt und sich in rein
+gar nichts mit der Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn sie das
+Hellblaue angezogen und den großen Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch
+immer wie Tag und Nacht.
+
+Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist.
+
+Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. Die Urte unterweist
+die Katrike in allem, was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme
+und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, so daß der Neid in ihr
+nicht hochwachsen kann.
+
+Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht länger so mit ihr geht.
+
+»Wenn du die Ulele wärst,« sagt die Mutter, »dann würdest du jetzt einen
+Mann für sie suchen.«
+
+»Ich kann ebensoviel wie die Ulele,« sagt die Urte.
+
+Und da sie's verlangt, wird eines Tages, als der Jons in die Wiesen
+gefahren ist, der kleine Tuleweit bestellt, der schon für hundert
+Vermittlungen seine Prozente gekriegt hat.
+
+Der in seinem langen Pfarrersrock und den knallengen Hosen kommt forsch
+herein und denkt, er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel spielen;
+wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die ihn in ihrer rosenfarbenen
+Fleischlichkeit ankuckt, da wird ihm schon ganz anders.
+
+»Aus was für 'nem Himmel ist denn _das_ hierher geflogen?« fragt er.
+
+Und die Urte sagt: »Nehmen Sie Platz, Herr Tuleweit.« Und sie, die
+Erdme, bringt von dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer was da
+ist.
+
+Und die Urte sagt weiter: »Sie sehen es mir vielleicht nicht an, Herr
+Tuleweit, daß ich aus diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das
+macht nichts.« Und dann lobt sie ihn, weil ihr bekannt ist, daß er bei
+seinen Vorschlägen immer das Richtige trifft.
+
+Er bedankt sich und dienert.
+
+»Nun bin ich aber drauf und dran,« sagt sie weiter, »eine große Partie
+zu machen. Eine wirklich große Partie. Und da wär' es mir natürlich
+angenehm, wenn ich durch meine Schwester nicht in Verlegenheit käme. Ein
+Deutscher müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, so daß man
+sagen könnte: >Meine Schwester ist an einen Gutsbesitzer verheiratet.<
+Das würde dann schon den richtigen Eindruck machen.«
+
+Die Erdme denkt: »Sie ist noch klüger als die Ulele.« Und der ganze Herr
+Tuleweit schwimmt wie Öl auf Zuckerwasser.
+
+Was an seinen bescheidenen Kräften liege, das werde sicher geschehen,
+aber letzten Endes sei es ja leider Sache der Mitgift.
+
+»Natürlich, natürlich,« sagt die Urte. Und wäre sie schon verheiratet,
+so würde es ihr auch nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich
+auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon mit etwas Bescheidenem
+vorlieb nehmen.
+
+»Was heißt bei Ihnen >bescheiden<?« fragt der kleine Herr Tuleweit und
+dienert nicht mehr.
+
+Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird sie sagen?
+
+Und sie sagt: »Nun, etwa fünftausend Mark.«
+
+Fünftausend Mark hat der Jons auf der Sparbank. Die hat er mit ihr in
+zwanzig Jahren zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht meinen.
+Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht sein für das kommende Alter.
+Gewiß will sie aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es fehlt
+womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit macht eine hängende Nase und
+sagt, bei einem so kleinen Anerbieten werde man leicht behandelt wie ein
+nichtsnutziger Schwätzer, aber er wolle schon sehen, er wolle schon Rat
+schaffen und hoffe auf spätere reiche Belohnung.
+
+Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, in acht Tagen
+wiederzukommen.
+
+»Willst du die Fünftausend wirklich aus Eigenem geben?« fragt die Erdme
+voll Dankbarkeit.
+
+»Sehr gern wollt' ich sie geben,« sagt die Urte und lächelt; »nur, wenn
+ich sie hätte, dann braucht' ich sie selber.«
+
+»Wo sollen sie denn aber herkommen?«
+
+»Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,« erwidert die Urte. »Ist es
+nicht schon genug, daß ich auf meine Hälfte verzichte?«
+
+Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr ein Klumpen Heede im
+Schlund.
+
+Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit die Katrike ein Nest kriegt.
+
+Und die, die solange in der Kammer gelauert hat, kommt begierig
+gelaufen.
+
+»Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen hat er? Wieviel Pferde stehen im
+Stalle? Wieviel Rindvieh weidet am Ufer?«
+
+Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. »Wenn es um _den_ Preis geht,
+dann schlag dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein Gespartes gibt der
+Vater dir nie.«
+
+Und die Katrike heult und wälzt sich am Boden. Ihren Besitzer will sie
+nicht lassen. Der ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der kommt
+ihr zu. Der gehört ihr zu eigen.
+
+Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. Ihr Kind ist im Recht. Nie ist
+von was Anderem die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders
+gedacht.
+
+Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie und verspricht ihr das Blaue
+vom Himmel.
+
+Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die dickgeweinten Gesichter und
+wundert sich. Aber fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon
+abgewöhnt.
+
+Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste ist, geht ihm aus dem Wege,
+so viel sie nur kann, aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich
+versucht sie's mit Vorwürfen.
+
+»Du hast kein Herz für deine Töchter,« sagt sie, »und du achtest sie wie
+einen Strick um den Hals.«
+
+Er fragt: »Wer hat dir das zu wissen getan?«
+
+Und sie sagt: »Das ersieht man aus deinem Benehmen. Schon die Katrike
+hast du nicht leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, ist es noch
+schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis« -- ein gemeiner Mann -- »und
+bleibst ein Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.«
+
+Er sagt: »Ich habe nie erfahren, daß du von besserer Herkunft wärest als
+ich. Als wir anfingen, Pracher waren wir da alle beide.«
+
+»Ich habe doch wenigstens meine Betten gehabt,« entgegnet sie drauf,
+»und sechsundsechzig Mark hatt' ich auch, aber du hattest so gut wie gar
+nichts.«
+
+Und er sagt: »Zu meinem bißchen habe ich zwei Jahre Arbeit gebraucht,
+aber wo du deine Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts
+Rechtes.«
+
+Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor die Stirn. »Ich habe dir
+vorgerechnet auf Heller und Pfennig,« sagt sie, wie mit Blut übergossen,
+und wendet sich ab.
+
+Sie ist nun so wütend auf ihn -- sie könnt' ihn beinahe vergiften.
+
+
+ 18
+
+Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder da. Er hat einen, der
+wäre nicht abgeneigt. Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit dem
+Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat eine verschuldete Wirtschaft nicht
+weit von Mineiken, und er ist der Dritte von Fünfen, hat eben gedient
+und hält bereits Umschau unter den Töchtern der Gegend. Ob man nach
+deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf dem Markt oder auf dem
+Gericht oder sonst irgendwo, als käm' es durch Zufall.
+
+Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, aber ihre Tochter, die
+Urte, will alles schön in die Hand nehmen.
+
+Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. Dort wird der junge Herr
+Schmidt einen Schimmel seines Vaters am Halfter führen, und die
+Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. Und was dann folgt,
+wird Herr Tuleweit bestens besorgen.
+
+Das wird von nun durch und durch geredet, stundenlang, tagelang. Für die
+drei Frauensleute gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. Kaum daß
+die Hausarbeit notdürftig besorgt wird zwischen all dem Getuschel.
+
+Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. Wenn er nicht einen neuen
+Freund bekommen hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein
+gewesen.
+
+Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer Hund. Du glaubst es nicht,
+wie sich das langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem Hof gestanden
+und ist still zur Seite gewichen, wenn ihn einer hat anrühren wollen.
+Keinen hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer ihn zu
+streicheln meinte, der griff in die Luft. Ins Haus hat ihn keiner
+'reinholen können, selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie
+ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl mit ihr gegangen, aber beim
+nächsten Wupp war er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich
+ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die Arbeitswagen stehen und
+etwas Heu immer verstreut liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein
+Fressen gebracht, und da lag er und blickte still um sich.
+
+Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit Locken und mit Betatschen
+zu nahe zu kommen, war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu fein und zu
+herrschaftlich. Aber siehe da! Eines Frühmorgens, wie der Jons als
+erster aus dem Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, wer ist
+da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen und hat sich
+zukuckend auf die Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend
+geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, bis der Jons zum Mittagessen
+nach Hause ging? Und wer ist allmählich näher gekommen und hat sich mit
+leisem, langem Bisse das Brot aus den Fingern geholt? Und wer ist
+schließlich sogar, wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden
+Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat bei ihm Wache gehalten
+stundenlang, bis er beladen zurückkehrte?
+
+Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde sollen ja immer untreu
+sein, sagen die Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; nur wenn
+sie spazieren geht auf der Chaussee nach Heydekrug oder nach Ruß hin,
+dann nimmt sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas zum Staunen
+haben.
+
+Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber das macht nichts. Denn dort
+sieht man doch Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt
+hinterherraten, weil sie das plötzliche Wunder nicht zu fassen vermögen.
+Und Urte fühlt sich als Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst
+mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die alle sehnsüchtig hinstarren,
+denen im Hinterwalde zu hausen bestimmt ist.
+
+Bisweilen trifft man auch junge Männer mit Schmissen, die sicherlich in
+Königsberg studiert haben und denen man vielleicht einmal auf dem Schoße
+gesessen hat.
+
+Denen wirft man gelegentlich einen lockenden Blick zu und bringt sie zum
+Rasen. Denn irgend eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben in der
+torfschwarzen Öde.
+
+Nur an dem Hause des Moorvogts geht man ungern vorbei. Man weiß es
+nicht, aber man spürt's in den Gliedern, daß dort hinter den
+Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich sie und ihr Leben
+durchmustern. -- --
+
+So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt heran, auf dem die Besitzer von
+weit und breit zu Kauf und Trunk sich treffen.
+
+Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh hingebracht, die demnächst
+stehen soll und die darum eingetauscht werden muß.
+
+Die Schwestern melden sich erst, als er weg ist, denn mit dem Vater
+zusammen einzuziehen, hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr
+gefördert. Wenn alles gut geht, gleitet man im Gedränge an ihm vorbei
+und braucht ihn nicht einmal anzureden.
+
+Die Katrike wird heute von der Urte extra zurechtgemacht. Sie darf die
+Haare nicht brennen und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen
+faucht, die Schwester sei nichts weiter als neidisch. Aber die lächelt
+nur und ist nicht einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen
+Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen.
+
+Dann ziehen sie los, und die Erdme weint und betet hinter ihnen her.
+
+Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen.
+
+Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er hat einen guten Handel gemacht. Die
+neue Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und kaum einmal zuzahlen
+hat er dürfen.
+
+Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. Er schlingt finster sein
+Mittagbrot und fragt mit keinem Wort nach den Töchtern.
+
+Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die heute früh hat angebunden
+werden müssen, weil sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein wollte.
+
+Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf in seine Arme nimmt und
+leise zu ihm herniederredet.
+
+Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht hinter ihm her und sagt: »Mit
+dem unvernünftigen Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, gönnst du
+kein gutes Wort.«
+
+Und er sagt: »Ich habe die beiden Marjellen getroffen, ausgeputzt und
+mit fremden Männern. Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite
+gedreht. Ist das nicht etwa genug?«
+
+Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. »Wer kann seine Augen überall
+haben?« sagt sie.
+
+Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten sie sich, ob er nicht
+endlich schon weg sei.
+
+»Und _wenn_ auch,« sagt sie. »Was kann _ich_ dafür?«
+
+Da läuft ihm die Galle über, und alles, was er in sich verborgen hat
+seit Jahren, kommt ans Tageslicht.
+
+»Was du dafür kannst?« schreit er. »Du hast zwei Faulenzerinnen erzogen,
+zwei Rumtreibersche hast du erzogen, die kein Verlangen tragen nach
+Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen und sich den Rücken wundschlafen
+bis Mittag -- die es mit den Deutschen halten und ihren Vater achten,
+als wär' er ein Schnodder. Soviel kannst du dafür, wie die Stute kann,
+daß ein Fohlen aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!«
+
+Die Erdme denkt an das, was sie neulich heruntergeschluckt hat. Eine so
+zornige Rede darf sie nicht ohne Antwort lassen.
+
+»Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,« sagt sie, »aber da kommst
+du gerad' an die Rechte.« Und dann wirft sie ihm vor, daß sie es war,
+die den ganzen Wohlstand geschaffen hat, daß er nichts Anderes gewesen
+ist als ihr Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet hat
+fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder andere Knecht ersetzen kann,
+wenn es ihr paßt, ihn zu mieten.
+
+Die Augen schwellen ihm zu und glupen nach rechts und glupen nach links,
+als sucht er was und kann es nicht finden.
+
+»Was du sagst, mag wohl so sein,« sagt er, »nur in einem könnt' er mich
+nicht ersetzen, nämlich dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu geben.«
+
+Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den Pfahl aus der Erde, an dem
+die Petruschka angebunden ist, und schlägt damit die Erdme über den
+Rücken.
+
+Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt die flachen Hände als
+Stütze. Die Jette, die grienend zugehört hat, schreit auch und springt
+auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn der Pfahl ist zu dick, als
+daß menschliche Glieder unter ihm ganz bleiben könnten.
+
+Darum wirft er ihn auch weg und holt aus dem Stalle die Peitsche. Die
+Petruschka läuft winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend die Hände,
+aber er achtet ihrer nicht, schlingt die hanfene Schnur um den Stiel und
+läßt ihn im Bogen durch die Luft hinpfeifen.
+
+So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme noch kniet.
+
+Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn vor ihm da -- bleich
+und zusammengefallen wie immer -- umpusten könnte man ihn --, aber in
+seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem er sich sonst die
+Spatzen vom Kirschbaume schießt.
+
+Ihm das Gewehr zu entreißen, wär' leicht, aber was dann? Wie kann man
+sein Weib noch bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen?
+
+Drum bleibt er ruhig und sagt: »Nachbar, hast du mal was von
+Hausfriedensbruch gehört und Bedrohung mit tödlichen Waffen?«
+
+Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und stellt sich so vor die Erdme,
+daß er sie mit dem Leibe deckt.
+
+»Ich fordere dich also auf, meinen Grund und Boden zu verlassen -- zum
+ersten, zum zweiten und zum dritten Male.«
+
+Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein rechter Zeigefinger liegt
+dicht vor dem Abzug.
+
+»Gut,« sagt der Jons, »ich geh' jetzt zum Rechtsanwalt, der wird die
+Anzeige erstatten. Aber die Peitsche nehm' ich mit, und treff' ich
+unterwegs die beiden Marjellen, dann werden sie die Prügel kriegen, die
+ihrer Mutter noch zustehen.«
+
+Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann völlig zu Boden. Er aber
+kehrt sich nicht daran und geht seiner Wege ...
+
+Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und die beiden Marjellen hat er
+auch nicht getroffen. Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen
+geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit zu Hause
+angelangt ist, da hat er das Nest leer gefunden. -- Keine Frau, keine
+Töchter, keine Magd.
+
+Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man kann ihre Stimmen hören über
+den Weg hin.
+
+Und das Sparkassenbuch ist auch weg.
+
+Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist bloß der fremde Hund da, der
+aus traurigen Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er die Übeltat
+gutmachen, die man ihm angetan hat und die im Grunde genommen seine
+eigene Übeltat ist.
+
+
+ 19
+
+Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn auf die Erdme gewartet.
+
+Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann.
+
+Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder und wieder an. Sie ist
+die Schönste, die Jüngste, die Kräftigste geblieben, aber er ist ein
+alter Mann.
+
+Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und schwatzen, wie sie nur mögen,
+und achtet ihrer nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die die
+Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach geben muß, weil sie nun einmal
+zu ihr gehören. Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner Magd.
+
+Die Urte und die Katrike haben gestern Großes erlebt, und das erzählen
+sie immer von neuem: Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen hat, da
+ist er gleich ganz hingenommen gewesen. Zuerst hat er freilich gedacht,
+die Urte sei ihm als Zukünftige bestimmt, und da hat er sich
+zurückziehen wollen, denn er ist sich nicht gut genug erschienen für
+sie; wie er aber gehört hat, daß die Katrike es ist, da hat er um so
+freudiger zugegriffen und hat mit ihnen beiden und dem Herrn Tuleweit in
+der »Germania« gesessen bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit weiß
+auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit Fünftausend Anzahlung wohl
+zu haben wäre, nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn sein Vater
+gibt ihm rein gar nichts.
+
+Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht die Erdme hoch auf, denn von
+ihrem Eigenen her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die nicht
+gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind in der Frühe.
+
+Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem Eimer hinübergehen. Die
+wehrt sich erst, denn sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich
+tut sie's doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, der Wirt habe auf
+der Häckselbank gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, und die
+Petruschka vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr umgesehen.
+
+Und die Urte erzählt weiter: Um drei nachmittags habe der junge Herr
+Schmidt weggemußt, aber am Nebentisch -- da hätten ein paar vornehme
+junge Herren gesessen mit Schmissen und goldenen Kneifern, die wären
+schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt zu machen, und hätten
+ihr zugeprostet und so. Und schließlich wären sie alle zueinander
+gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den Abend. Den kleinen
+Herrn Tuleweit hätten die fremden Herren erst für den Vater gehalten;
+als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler sei, da wäre des
+Neckens kein Ende gewesen, so daß er nichts Besseres zu tun gewußt habe,
+als bald zu verschwinden. Und von nun an sei es erst recht hoch
+hergegangen.
+
+Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen mit Heimlichtun nicht zu
+Ende.
+
+Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den Haushalt besorgen, aber das Kreuz
+ist ihr wie gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum redet die Urte
+ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest zu beschaffen wegen der künftigen
+Scheidung.
+
+Um vier Uhr nachmittags wird drüben der gute Wagen angespannt, und Jons
+fährt weg, ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen.
+
+Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was gestern zur Nacht nicht
+mitgebracht werden konnte.
+
+Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme bei sich trägt, hat der Jons
+zum Schutze vor Einbruch ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern
+kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig zum Lachen.
+
+Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, und auch sie selber gibt
+an, was sie für Sonntags wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug
+haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel Gäste versorgen?
+
+Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! Die Federbetten gehen mit,
+und so noch vieles andere, so daß der Handwagen des Nachbars viermal
+hochbeladen den Knüppelweg überquert.
+
+Schwer wird der Abschied von den Kühen, die die Erdme nicht einmal
+melken kann, so weh tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und wirft
+ihnen Heu hin und denkt: »Wie gut wär's, wenn ich sie drüben hätte!«
+Auch die Neue ist ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat sie sie
+kaum schon gesehen.
+
+Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, und dann geht es heim.
+
+ * * * * *
+
+Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause des Nachbars ein furchtbarer
+Lärm. Schwere Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons betrunkene
+Stimme schreit: »Ihr Diebe! Ihr Räuber! Kommt 'raus! Ich schlag' euch
+tot, ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und dann ihren« --
+»Liebhaber« sagt er nicht, es ist ein viel schlimmeres Wort, das er
+sagt. Und ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd und droht, sie
+alle zu erschlagen.
+
+Die Urte und die Katrike knien im Hemd an der Mutter Bett und kreischen
+bei jedem Schlage, der das Ladenholz zersplittern will. Und vor der
+Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und ruft durchs Schlüsselloch, sie
+möchten ganz ruhig sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn der
+draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen.
+
+Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, und auch das Winseln und
+Heulen Petruschkas verstummt nach und nach.
+
+Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch zwischen dem Nachbar
+Witkuhn und der Erdme.
+
+»Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,« sagt der Nachbar,
+»aber heute seh' ich ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was du
+für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu Diensten sein, was dein
+Wunsch ist.«
+
+»Ich weiß nicht aus, nicht ein,« sagt die Erdme.
+
+Und der Nachbar sagt: »Ich habe es mein Lebenlang für das größte Glück
+auf Erden gehalten, daß du einmal meine Frau würdest. Aber nun mir
+plötzlich die Möglichkeit gegeben ist, daß es so werden könnte, da seh'
+ich ein, ich bring' es nicht übers Herz. Denn jeder wird sagen, wie Er
+es ausschrie heute nacht, daß wir in Buhlschaft gelebt haben alle die
+Jahre.«
+
+»Beinahe wär' es ja so gewesen,« sagt die Erdme.
+
+»Wenn es so gewesen wäre,« erwidert der Nachbar, »dann hätten wir längst
+kein Gewissen mehr und keine Scham und würden lachen, wenn die Leute mit
+Fingern auf uns zeigen. Aber nun schreck' ich schon zurück bei dem
+Gedanken, Ihm auf dem Weg zu begegnen.«
+
+»Ich dränge mich niemandem auf,« sagt die Erdme gekränkt.
+
+»Und ich bin ein alter Mann,« sagt der Nachbar. »Ich möchte nicht, daß
+du mir fluchst, wenn du mich auf den Kirchhof trägst.«
+
+»So bleibt mir als einziges,« sagt die Erdme, »daß ich in Ausgedinge zu
+der Katrike zieh', wenn die jetzt heiratet.«
+
+»Ist es denn schon so weit?« fragt der Nachbar.
+
+»Wenn ich alles hergebe,« sagt die Erdme und drückt die Hand gegen das
+Sparkassenbuch, das sie auf nackigem Leibe trägt, »dann ist es so weit.«
+
+»Er wird das Geld schon gesperrt haben,« sagt der Nachbar.
+
+»Vielleicht auch nicht,« sagt die Erdme, und weil sie sowieso nach
+Heydekrug muß wegen des Doktorattestes, wird sie auch gleich die
+Fünftausend abheben, die ihr nicht weniger gehören als ihm.
+
+Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn er selber hat immer noch keins,
+und wie sie aufsteigen will, muß sie von zweien gehoben werden, so
+verschwollen ist alles.
+
+Als der Doktor sie untersucht hat, macht er ein ernstes Gesicht und
+sagt: »Schlimm genug sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich
+schreiben muß, aber ich rat' euch trotzdem: Vertragt euch!«
+
+Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie ein ängstlicher Traum, und
+oft hat sie gedacht: »Wenn er jetzt käme und sagte: >Laß gut sein< --
+weiß Gott, ich ginge zurück.« Wie der Doktor aber sagt: »Es sieht
+schlimm aus,« da wird ihr Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß
+sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den Menschen.
+
+Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem und zahlt ihr das Geld
+ohne Bedenken. »Ja ja,« sagt er, »wenn man Töchter verheiraten will.«
+
+Und da hat sie's auch schon in den Händen.
+
+Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie selber kann sich nicht an-
+und nicht ausziehen, weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt
+sie »Mamusze« und »Mammelyte«, was sonst nur die Urte sagt, und »Mane
+Baltgalwele« -- mein Weißköpfchen -- nennt sie sie, wie die alten Mütter
+in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar noch fast braun ist.
+
+Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, jetzt wird sie dem Jons
+begegnen, aber sie begegnet ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl
+fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite der Chaussee gelegen ist,
+sieht sie was Helles. Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn,
+denn er ist wohl wieder betrunken.
+
+Von weitem schon hört man das Brüllen der Kühe. Die müssen verkommen,
+wenn man sie da läßt.
+
+»Hast du Platz im Stalle für sie?« fragt die Erdme.
+
+»Ich habe Platz für alles, was dein ist,« sagt der Nachbar.
+
+Darum schickt sie auch gleich die Jette und die Witkuhnsche Magd
+hinüber, die Kühe zu holen.
+
+Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. -- Das Geld und das Vieh
+-- alles ist da. Nun kann geheiratet werden.
+
+Und noch am selben Abend macht sie sich auf, zum kleinen Tuleweit zu
+gehen, damit er so rasch wie möglich alles in Ordnung bringt.
+
+Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher nach Heydekrug zu
+machen, wo irgendwo am Spazierweg die jungen Herren von gestern schon
+warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka nicht bei ihr ist --
+dann wäre ihr Anblick zehnmal so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie
+schließlich zu Hause.
+
+Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß der Spektakel von voriger
+Nacht heut wegen der Kühe noch einmal losgehen wird.
+
+Aber nichts regt sich fortan.
+
+Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche lang, und wenn sie sich
+aufrichten will, kriegt sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich
+hochzieht.
+
+Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen herüber, was für die
+Aussteuer irgend von Wert ist -- den großen Ecktisch und den
+buntblumigen Schrank und noch vieles andere.
+
+Niemand hindert sie dran, denn morgens fährt er weg, und mit der
+Dunkelheit kommt er wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was er
+macht und wo er sich aufhält, weiß keiner.
+
+Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit tritt ein junger Mensch in
+die Kammer. Der hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche
+Augen. Und hinterher schiebt sich mit heißem Gesicht und frisch
+gebranntem Strohhaar die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer als er
+und sieht aus, als möcht' sie ihn auf den Arm nehmen.
+
+Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter künftiger Bräutigam.
+
+Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch an, und sie richtet sich
+auf und sagt auf Deutsch:
+
+»Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir reden das Deutsche genau so wie
+Sie. Und im Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen habe.
+Gewöhnlich arbeit' ich wie sonst nur die Jüngste.«
+
+Die Katrike und der junge Mensch sehen sich verstohlen an, woraus sie
+schließen muß, daß ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und noch
+etwas Anderes will sie daraus schließen, aber das drängt sie sofort von
+sich ab.
+
+Er möchte am liebsten das Geld gleich mit sich nehmen, aber sie weiß,
+daß es ihr wohlgeborgen unter dem Leibe liegt, und erst müßte man sie
+totschlagen, ehe sie es hergäbe.
+
+»In dem Kontrakt soll stehen,« sagt sie, »daß ich eine Altsitzerstelle
+bekomme mit so und so viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner zu
+halten, und noch anderen Rechten, die ich alle bezeichnen werde. Sonst
+wird aus dem Kaufe nichts.«
+
+Die Katrike fängt sofort an zu weinen und klagt sie an, sie steh' ihrem
+Glücke entgegen. Der junge Herr Schmidt aber sagt: »Es _wird_ auch alles
+in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein ganz anderer Kontrakt als der,
+den ich mit dem Besitzer abschließen werde. Denn den geht es nichts an,
+was wir miteinander ausmachen wollen.«
+
+Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche klüger ist als sie selbst, und
+schickt sich in das, was verlangt wird.
+
+Aber erst will sie gesund sein und mit aufs Gericht gehen und alles
+bewachen können bis in das kleinste.
+
+Die Katrike und der junge Herr Schmidt sehen sich schon wieder an. Dann
+aber geben sie sich die Hand und knien am Bette nieder und bitten um
+ihren Segen.
+
+Sie weint und küßt und segnet die beiden, aber in ihrem Innern denkt sie
+dabei: »Ich will doch erst den Rechtsanwalt fragen.«
+
+
+ 20
+
+Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, und wenn einer am
+Chausseehaus vorübergeht, sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine
+Art, über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins klare zu kommen. Aus
+ihrem Aussehen, ihrem Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, und
+den Lasten, die sie tragen, kann er genau erkennen, wie er mit ihnen
+dran ist, ob sie vorwärts kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind.
+
+Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling mehr, und die dreißig Jahre, die
+er dem Moor geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. Aber sein
+Auge sieht noch so scharf wie je, und noch immer hält er zweitausend
+Schicksale straff an der Leine.
+
+Eines schönen Sommerabends sieht er den Jons Baltruschat zu Fuß nach
+Hause gehen, und doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren.
+Der Jons Baltruschat ist ihm schon seit einiger Zeit auffällig gewesen.
+Morgens macht er sich auf nach der Wiese, und abends fährt er betrunken
+zurück. Und der fremde weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter gehört,
+läuft nebenher.
+
+Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken tut er. Aber seine Gangart
+ist mehr wie die eines Kranken als die eines Betrunkenen.
+
+Darum macht der Moorvogt das kleine Fensterchen auf, durch das früher
+die Stange mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft ihm nach:
+»Jons, komm doch mal 'rein!«
+
+Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts gehört, doch wie der
+Moorvogt nicht nachläßt, da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und
+tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. Sie läuft sofort zu dem
+Moorvogt, steckt die Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt die
+nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: »Wenn _du_ nicht hilfst!«
+
+Der Moorvogt braucht nur _einen_ Blick, um zu sehen: Der Jons ist so gut
+wie ein verlorener Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken bloß und
+verschüchtern, darum sagt er gleichsam so nebenher: »Mir war doch, als
+bist du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du das irgendwo stehen
+gelassen?«
+
+»Ja,« sagt der Jons, »das hab' ich stehen gelassen.«
+
+»Na, wo denn?«
+
+»Auf -- der -- Chaussee.«
+
+»Aber warum denn?«
+
+»Ja -- na.« Mehr ist nicht aus ihm 'rauszukriegen.
+
+»Dann wollen wir's doch gleich einmal holen gehen,« sagt der Moorvogt
+und greift nach der Mütze.
+
+Aber der Jons will nicht. »Wenn es 'n Zweck hätt',« sagt er.
+
+»Warum hat's keinen Zweck?«
+
+»Weil das Pferd gar nich mehr da is.«
+
+»Wo ist es denn?«
+
+»Wer kann wissen?«
+
+»Ach so,« sagt der Moorvogt. »Du bist betrunken gewesen, hast dich in'n
+Chausseegraben gelegt, und unterdessen hat's dir einer ausgespannt.«
+
+»Wer kann wissen?« sagt der Jons.
+
+»Und da gehst du hier vorbei und machst keine Anzeige? Möchtest du den
+hübschen Braunen gar nicht mehr wiederhaben?«
+
+»Is ja alles egal,« sagt der Jons.
+
+»Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.«
+
+»Da waren auch noch die Kühe da.«
+
+»Sind die denn _nicht_ mehr da?«
+
+»Nichts is mehr da. Die Schweine werden sie heute auch wohl geholt
+haben.«
+
+»Wer denn?«
+
+»Na, die Erdme und die Marjellen.«
+
+»Und das läßt du dir ruhig gefallen?«
+
+»Is ja alles egal.« Und dabei bleibt er.
+
+Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt auf, wie der Mensch zum
+rettenden Herrgott. Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell
+verfilzt ist und verschorft von Wunden und schwarzgrau. Und er sagt:
+»Wie kommt's, daß der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?«
+
+»Das is so gekommen,« sagt der Jons.
+
+»Weißt du, was deine Tochter für eine ist?« fragt der Moorvogt.
+
+»Ich will es auch gar nicht wissen,« sagt der Jons.
+
+Damit geht er.
+
+Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher wegen des Braunen und
+hat dann eine schlaflose Nacht.
+
+Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus kommen. Der bibbert am
+Krückstock, und seine Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das
+kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein Schnurrbart wölbt sich
+forsch, als will er den Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen.
+
+Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür hat seine Vierte reichlich
+gesorgt. Wenn es Gott will und sie stirbt, die ist imstande und
+verleidet ihm vorher die Fünfte.
+
+»Was ist also mit den Baltruschats los?« fragt der Moorvogt. Und nun
+erfährt er das Nötige.
+
+»Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen und hast es erzählt?«
+
+Seine Frau hat es nicht gewollt.
+
+»_Warum_ hat deine Frau es nicht gewollt?«
+
+Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, und dafür muß sie sich
+rächen.
+
+»Und was hat sie ihm gepfändet?«
+
+Der Smailus lacht schadenfroh. »Das ist gar nicht zu zählen,« sagt er.
+Überhaupt _das_ Weib! Aber davon will der Moorvogt nichts wissen.
+
+»Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn mal was vorgehabt hat?«
+
+Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine eigenen vier Weiber ihm treu
+gewesen sind, das weiß er, bei den anderen kann man niemals drauf
+schwören.
+
+»Aber bemerkt hast du nichts?«
+
+Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum wird er entlassen. -- -- --
+
+Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll er die Erdme in dem
+Witkuhnschen Hause besuchen oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht
+er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, und Kreuz und Kopf trägt
+sie bewickelt, aber kriechen kann sie doch schon.
+
+»Du -- komm mal 'rein!«
+
+Sie steht da und sieht ihn böse an.
+
+»Schöne Geschichten hör' ich von dir.«
+
+Sie schweigt und sieht ihn böse an.
+
+»Nach fünfundzwanzigjährigem Leben -- schämst du dich nicht?«
+
+Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er sie geschlagen -- beinahe das
+Rückgrat hat er ihr gebrochen -- mit Schmutznamen hat er sie belegt --
+ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt -- die ehr- und tugendsamen
+Töchter hat er mißhandeln wollen, und was das Schlimmste ist, das Vieh
+hat er verhungern lassen, so daß sie es nur durch Rüberholen mit knapper
+Not errettet hat.
+
+Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt schlimm für den Jons, und
+_sie_ ist eine Furie geworden. Mit gut Zureden wird der nicht
+beizukommen sein. So versucht er es also mit böse: »Weißt du, was ich
+jetzt tun werde? Ich werd' dich durch den Gendarm in die Kaluse bringen
+lassen.«
+
+Aber sie lacht ihn nur aus. »Das können Sie ja. Bloß morgen werd' ich
+schon wieder bei Ihnen vorbeigehen.«
+
+»Wenn du dich nur nicht irrst.«
+
+»Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen Antrag gestellt. Und er
+wird auch gar keinen stellen. Denn hier unter der Wiste hab' ich das
+Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie schlimm es gewesen ist und
+daß ich nur durch ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die Kalus'
+fliegt, dann ist er es. Und ich zieh' jetzt zu meiner älteren Tochter.
+Die wird eine reiche Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot
+bestellen kommen. Und wenn ich erst hier 'raus bin, dann kann man mir
+sonst was.«
+
+Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. Im Laufe der Jahre
+haben nur wenige ihm so entgegenzutreten gewagt.
+
+»Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, das will ich nicht
+verstanden haben. Aber eins prophezei' ich dir: der Tag wird kommen, und
+er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich preisen, bei dem Jons
+noch einmal unterkriechen zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann
+auch aufnimmt.«
+
+Sie beißt die Zähne zusammen und schwört bei Gott dem Allmächtigen:
+»Eher geh' ich und ertränk' mich im Torfloch.«
+
+Und damit humpelt sie wieder hinaus nach Heydekrug zu, wo der
+Rechtsanwalt ihr raten soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und
+Schwiegersohn, denen sie alles opfert, sie übervorteilen wollen.
+
+
+ 21
+
+Das Geld muß hergegeben werden. Da ist nichts zu machen. Denn ohne
+Anzahlung kommt das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird aus
+Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, damit der junge Herr
+Schmidt vor der Hochzeit nicht etwa noch abschnappt.
+
+Die Kühe und die Schweine und alles, was vom Hausrat herübergetragen
+ist, sollen mit in die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht weniger
+als alles.
+
+Der Kontrakt wird unterschrieben, und das Geld ist weg -- so schnell,
+wie man eine Fliege in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert
+die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der bisherige Besitzer
+behauptet, er hätte sein Hab und Gut wegwerfen müssen, und der junge
+Herr Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises wäre auch noch
+reichlich gewesen. Daß es zum Prügeln nicht kommt, daran ist nur die
+Urte schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen macht und dadurch das
+Schlimmste verhindert.
+
+Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach noch ein bißchen spazieren
+geht, wobei sie alsbald die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die
+ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren Chaussee
+freundschaftlich einigen kann.
+
+Die Katrike will mit dem jungen Herrn Schmidt über Nacht zu den
+Schwiegereltern fahren, was ihr nicht zu verdenken ist, und darum geht
+die Erdme allein nach Hause.
+
+Nach Hause? -- Als ob sie ein »Zuhause« hätte -- das soll erst morgen
+kommen. Denn für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag
+bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste geschrieben, was ihr bis zu
+ihrem seligen Tode zukommen wird -- ja sogar für die Zeit _nach_ dem
+Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger als zehn Fladen und sechs Achtel
+Bier müssen den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das Kreuz auf
+ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein.
+
+So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl ist ihr doch nicht zumut.
+Wenn jetzt zum Beispiel der Jons des Weges käme, wie könnte sie ohne ein
+Wort an ihm vorübergehen?
+
+Da ist nun die lange Brücke, die über die Sumpfniederung führt! Und sie
+muß des Frühlingstages gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig Jahren
+mit Jons zum Moor hinauszog. Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus dem
+blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: »Wie die Blumchen da vorwärts
+kommen, ohne zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.«
+
+Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern gewesen.
+
+»Aber was hilft das Vorwärtskommen,« denkt sie, »wenn einem zuguterletzt
+alles wieder zunichte wird.«
+
+In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie seien längst über den Berg,
+und Hader könnt's gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da gewesen
+wie der Dieb in der Nacht und hat alles -- aber auch alles -- zunichte
+gemacht.
+
+Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, die ihr das Geld aus den
+Händen riß! Kaum einmal warten konnte die Kröt', bis sie die Wiste
+aufgehakt hatte!
+
+»Aber morgen,« denkt sie, »morgen wird alles festgemacht werden.« Aus
+dem Hause wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der Rechtsanwalt
+schon gesorgt, und das Brautpaar hat wohl oder übel seine Zustimmung
+geben müssen.
+
+Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen um elf werden sie sich wieder in
+Heydekrug treffen, und übernächsten Sonntag kann dann die Hochzeit sein.
+
+Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, als muß sie sich wieder
+krank hinlegen, so zerschlagen fühlt sie sich. Aber das kommt nicht vom
+Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie alles hergeben muß.
+
+Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl und redet ihr Trost zu. Aber was
+kann er viel sagen?
+
+Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. Sie hat heiße Backen und sieht
+verjucht und verjachert aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, und der
+unverschämte Kerl hat sie angehalten und verlangt, sie soll ein
+Führungsattest beibringen. Was der sich wohl denkt?
+
+Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, aber zu der ermatteten
+Mutter ist sie voll Zärtlichkeit und besteht darauf, daß der Nachbar
+einen Wagen besorgt und sie morgen selber nach Heydekrug fährt. Denn der
+weite Gang zwei Tage gleich nach einander könnte zu viel für sie sein.
+
+Spät abends kniet sie noch vor der Mutter Bett und streichelt und küßt
+ihr die Hände und bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat und
+weiter noch tun muß. Die Erdme weiß zwar nicht, was sie meint, aber von
+solcher Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug ganz naß
+weint.
+
+Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, fängt die Urte von
+neuem an, gerade so, als wär' es ein Abschied für immer.
+
+Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur Augen für drüben. Ob nicht der
+Jons sich irgendwo sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und still.
+Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. Freilich, blitzen tut die
+nicht mehr, denn die ist jetzt dreckig, wer weiß wie.
+
+Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem Rechtsanwaltshaus. Sie denkt,
+die Brautleute schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch um halb
+zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig.
+
+Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte Termin und sagt im Vorbeigehen,
+jetzt müßte sie warten bis zwei, denn früher käm' er nicht wieder.
+
+Und wie er um zwei wiederkommt, sind die Brautleute noch immer nicht da.
+
+»Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,« sagt er. »Inzwischen können sie
+immer noch kommen.«
+
+Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut seit langem das Kreuz weh,
+und der Nachbar redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. Dort kann
+sie sich wenigstens ausstrecken. Aber sie will nicht. Sie könnte das
+Brautpaar am Ende verfehlen.
+
+Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, und dann geht es ja wieder.
+
+Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher heraus und sagt, für
+heute sei es nun leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da und
+der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder auch sonst wann zur Beglaubigung
+gerne bereit sein.
+
+So fahren sie wieder zurück. Die Erdme hat das Kopftuch um Mund und
+Backen gebunden und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? Man muß
+sich ja fürchten zu denken -- um wieviel mehr noch zu reden!
+
+Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. Und so kommen sie an.
+
+Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann es euch zehnmal erzählen, ihr
+glaubt es mir doch nicht.
+
+Die Kühe sind weg. Die Schweine sind weg, die Betten sind weg. Auch der
+andere Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso weg. Und selbst
+die kröt'sche Marjell, die Jette, ist weg.
+
+Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches Mädchen ist, sieht die
+erschreckten Gesichter und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, es
+geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte sie den Nachbar Smailus
+gerufen oder sonst wen -- und sie schielt hinüber nach Baltruschats
+Haus.
+
+Was bei Jesu Namen _ist_ also geschehen?
+
+Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. Darauf haben die
+Brautleute gesessen und haben erklärt, sie wollten jetzt alles
+überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. Und die Mutter wäre
+schon dort, um einzurichten, und käme nur später noch einmal, die
+eigenen Sachen zu holen.
+
+Und dann haben sie vorne das Hausgerät aufgeladen und hinten die
+Schweine. Und die Kühe haben sie angebunden, und so sind sie
+davongefahren. Und die Urte hat ihr noch fünf Mark geschenkt für die
+gute Bedienung.
+
+Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den Tisch gelegt. An wen die sind,
+weiß sie nicht, denn Aufschrift hat keiner.
+
+Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und gefühllos. Der Nachbar und die
+Magd müssen sie in die Stube tragen.
+
+Da liegen die Briefe.
+
+Die Katrike schreibt so:
+
+»Mein geliebtes Mütterlein!
+
+Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich von Dir zu trennen. Mein
+Bräutigam, der junge Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber so.
+Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht Sitte, daß gleich die Mutter
+als Altsitzerin in die Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie
+wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit wird in kleinstem Kreise
+gefeiert werden, und darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was mir
+auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. Das Vieh und die anderen
+Sachen habe ich gleich mitgenommen, denn mein Bräutigam, der junge Herr
+Schmidt, hat es schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. Ich
+bedanke mich auch sehr für alles, womit Du mich beschenkt hast, und
+werde Dich lieben in Ewigkeit.
+
+ Deine treue Tochter Katrike.«
+
+Und die Urte schreibt so:
+
+»Meine Mamusze!
+
+Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, aber die Katrike bestand
+darauf. Darum habe ich Dich gestern und heute auch immerfort um
+Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich nicht, sondern fahre von
+Jugnaten aus gleich nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen Kleider
+nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, noch weit ärmer, als die Ulele
+einst war, dann würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so würden wir
+uns beide gegenseitig nur hinderlich sein. Darum rate ich Dir, laß Dich
+rasch scheiden und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja immer
+geliebt hat. Wenn man daran denkt, scheint es einem wie ein trauriges
+Buch, und das muß doch wenigstens einen befriedigenden Schluß haben. Zu
+dem bösen Vater kannst Du ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka
+mag bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe wohl, meine Mamusze,
+und sei mir nicht böse. Ich schicke Dir bald etwas Schönes.
+
+ Deine Urte.«
+
+So lauten die Abschiedsbriefe der beiden Töchter.
+
+
+ 22
+
+Die Erdme will sich ins Bett legen, denn die Beine tragen sie nicht.
+
+Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die Kammer. Er hat seinen Mantel
+auf dem Arme und sagt: »Bis heute waren die Töchter da. Ich könnte ja
+jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, aber vor Gericht glauben sie ihr
+am Ende nicht, weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn ich auch ein
+alter Mann bin, da ich nun einmal mit dir im Verdacht stehe, so möchte
+ich dir das künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit dir zur Nacht
+allein unter einem Dache verweile. Oder doch so gut wie allein. Ich
+werde darum den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit bitten und
+darin fortfahren, solange dein Ruf es verlangt.«
+
+Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach mehr über dem Kopfe hat, denn
+den Nachbar aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht.
+
+Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung nicht abzubringen sein
+wird, so willigt sie zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung
+mit auf den Weg und sagt, sie wird gleich zur Ruhe gehn.
+
+Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, auf den sie sich stützen
+muß, -- und siehe da! jetzt tragen die Beine sie wieder.
+
+Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, und damit verläßt sie
+den Hof.
+
+Es ist ein lieblicher Abend, nur -- Gott sei's geklagt -- sie weiß
+nicht, wohin.
+
+Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. So ein Schwur ist leicht
+gegeben, will man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht schwer.
+
+Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein müssen, denn was bleibt ihr
+sonst übrig?
+
+Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt noch einmal nach ihrem Eigenen
+hinüber.
+
+»Es ist merkwürdig,« denkt sie, »daß man nie etwas von ihm sieht oder
+hört.« Seit sie ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht mehr
+wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch nicht vorbei. Selbst die Petruschka
+ist wie in die Erde gesunken.
+
+Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, deren Beeren schon halb
+und halb rot sind, und auch den Garten besieht sie von ferne. Viel
+erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist schon im Fallen, aber
+daß die Sonnenblumen im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen der
+Zuckerschoten umgeschmissen hat, das bemerkt man auch von dem Weg her.
+
+»Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,« denkt sie, »so würd' ich nachher
+über den Zaun klettern und sie noch aufrichten.«
+
+Und dann macht sie sich auf -- nach dem Torfloch.
+
+Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett übergossen an seinem Rande
+stehen, hat sie noch selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie einst
+in den Jahren der Jugend. Mit der Magd waren sie drei, so wie es die
+Regel verlangt. Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz.
+
+Der Abendschein liegt feuerrot auf dem Wasser.
+
+»Wenn ich jetzt hier 'reinspringe,« denkt sie, »dann wird er sein Lebtag
+glauben, ich sei mit dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig
+gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will der Nachbar ihn anreden, so
+schlägt er ihn tot.«
+
+Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden gar nicht so
+schlimm ist. Hier 'reinzuspringen ist schlimmer.
+
+»Wie wär's,« denkt sie weiter, »wenn ich vorher noch mit ihm spreche und
+alles ins klare bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja auch
+nicht.«
+
+Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn das noch ein Segen wär'. Bloß
+hier nicht 'reinspringen müssen!
+
+Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg.
+
+Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon gar nicht mehr, nur daß das
+Vieh weg ist, erfüllt sie mit Kummer.
+
+»Hätt' ich bloß eine einzige Kuh an die Leine zu nehmen,« denkt sie,
+»dann könnte ich mich schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als
+Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch recht schwer.«
+
+Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. -- -- --
+
+Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, ist es schon Nacht, aber
+richtig Nacht wird es im Juli ja doch nicht.
+
+»Find' ich ihn nicht zu Hause,« denkt sie, »so setz' ich mich an die
+Feuerstelle und warte, bis er zurückkommt.«
+
+Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg hinauf und bis an das Hoftor.
+Der Kettenhund rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, weil
+er sich losgemacht und die Petruschka zerbissen hat. So hat es der Magd
+die Smailene erzählt.
+
+Das Tor steht offen. Warum auch nicht? Das Vieh ist längst fort, das hat
+sie ja selber gestohlen.
+
+Ob er wenigstens die Haustür verschlossen hat?
+
+Aber wie kann er? Sie selber hat ja den Schlüssel.
+
+So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur.
+
+Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen und riecht an ihr hoch
+und riecht und riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt zu
+heulen an, wie ein Mensch heult.
+
+Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? Wer kann es wissen?
+
+Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel gewöhnt, und wie der Jons in
+seinen Kleidern aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. Sie
+sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß verschlafen scheint er zu
+sein.
+
+Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht erst Antwort, sondern
+fällt vor der Feuerstelle zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel
+nehmen oder die Axt.
+
+Aber was tut er?
+
+Er macht die Haustür weit auf, damit er sie besser besehen kann, und
+dann stellt er sich neben sie hin und fragt: »Ist es noch immer das
+Kreuz, daß du nicht aufkannst?«
+
+Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die Angst ist es nicht mehr,
+jetzt sind es die Tränen, daß sie nicht aufkann.
+
+Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die Stirn auf die Kante und
+weint und weint, weil sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder
+die Schaufel.
+
+Wie wird sie's ihm aber bloß beibringen von dem Sparkassenbuch und dem
+Vieh? Und dann auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden hat,
+treu nach der Wahrheit?
+
+Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, liegt sie da und weint.
+
+Da sagt der Jons: »Die Marjellens sind ja, Gott sei Dank, auch weg.«
+
+»Das weißt du?« sagt sie und richtet sich auf.
+
+»Ich hab' ja alles aufladen sehen heute mittag,« sagt er.
+
+»Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?«
+
+»Ich hab' schon eine zuschanden geprügelt,« sagt er und setzt sich neben
+sie auf den Herd.
+
+Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm zwischen die Knie, und er legt die
+Hand auf ihr Haar, und so sitzen sie lange.
+
+Aber endlich muß sie es ihm doch sagen -- das mit dem Nachbar zuerst.
+
+Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht losgehen. »Der Nachbar
+--« sagt sie, »der Nachbar --« und dabei bleibt es.
+
+»Is ja alles egal mit dem Nachbar,« sagt er, »wenn du bloß da bist.«
+
+Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, wenn es auch noch so
+schlimm wäre. Aber sie will es nicht auf sich sitzen lassen -- nicht
+eine Stunde mehr.
+
+Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die Höhe und setzt sich neben
+ihn und erzählt ihm von dem Gesangbuch -- wie wundertätig sich das in
+der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun aber sind sie längst angejahrt und
+drüber hinweg. Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum Nachbar
+Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm auch.
+
+Er sagt: »Wenn du bloß da bist.« Und sonst sagt er nichts. -- -- -- --
+--
+
+Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind keine Betten da.
+
+»Ich lieg' sonst auf dem Stroh,« sagt er, »und bedecken tu' ich mich mit
+dem Woilach.«
+
+Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient weiter.
+
+»Wie wir anfingen,« sagt sie und schämt sich, »da hatten wir wenigstens
+Bettzeug.«
+
+»Ach Gott,« sagt er, »das Vieh ist ja weg und viel von dem Hausrat und
+alles Gesparte« -- wie er sagt »alles Gesparte«, da schluckt er doch,
+und ihr zerreißt es das Herz --, »aber die schönen Gebäude sind da, und
+die Wiese haben wir auch, und die Kartoffeln gedeihen -- und der
+Moorvogt sagt: >Das Pferd wird sich finden,< und fürs übrige leiht er.
+Wir fangen eben noch einmal von vorne an, das ist alles.«
+
+Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich wieder ganz jung vor.
+
+Und dann kriechen sie still in das kahle Bett und decken sich zu, so
+viel die kurze Pferdedecke nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, denn
+die Nacht ist ja mild, und sie können sich gegenseitig erwärmen.
+
+Wie die Erdme da liegt, denkt sie: »O Gott, o Gott, wie liegt es sich
+schön hier!« Und ihr Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie
+arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird kommen, wie er das
+erstemal kam. Nein, er _ist_ schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei
+ihr und sagt halb im Schlaf: »Wenn du bloß da bist.«
+
+Die Petruschka hat den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und träumt von
+einer Wanne mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen Schrubber.
+
+Und wie ich die Erdme kenne, wird der Traum sich morgen erfüllen. -- --
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+
+
+
+ Die Magd
+
+
+ 1
+
+Es war am ersten Juli und schon Feierabend, als die Marinke Tamoszus im
+Dorfe einfuhr. Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht.
+Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. Sie kam von dem Gute des
+Herrn Westphal, wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient und dann zwei
+Jahre lang die Meierei verwaltet hatte.
+
+Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen in die Augen gefallen. Er
+hatte beim Milchabliefern die fleißige Wirtin in ihr erkannt und erst
+seine Frau und dann auch seinen Sohn, den Jurris, auf sie aufmerksam
+gemacht. Hierauf, als beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem
+Vater verständigt, und das Ende vom Liede war, daß sie dem Herrn
+Westphal kündigte und vom alten Enskys den Mietstaler nahm.
+
+Aber nein doch, das Ende war es nicht! Es sollte vielmehr ein
+glücklicher Anfang sein.
+
+Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so konnte nach den letzten
+Kartoffeln, um Mitte Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden.
+Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht worden. Und sie, die
+Marinke, hatte sich nicht gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht,
+weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und ewig auf dem großen Gute
+zu scharwerken, hatte erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich bloß
+ins Gerede.
+
+Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen Zöpfen und
+brauner Taftschürze, blond und rund und schüchtern neben dem
+dürrgearbeiteten Vater, der auf seine Gäule losprügelte, denn er wollte
+forsch vorgefahren kommen.
+
+Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, sie hingegen war noch niemals
+dort gewesen und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs Meer
+hinausfährt.
+
+Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die Runde, und von freudiger
+Erwartung stand wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte auch
+nicht: »Ist es hier? Ist es dort?« Aber wenn der Wagen an einem neuen
+Zugangswege vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil ihr noch eine
+Galgenfrist blieb.
+
+Endlich bog er doch um die Ecke, und im Abendschein lag die künftige
+Heimat vor ihr. Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. Daß die
+tüchtige Milchgeberinnen waren, das wußte sie schon von der Meierei her.
+Der Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. Der Stumpf einer
+Dreschmaschine vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen fiel ihr
+sonst nicht viel auf. Nur die braunen Netze, die zum Trocknen über den
+Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, denn noch nie war
+sie in einer Fischergegend gewesen.
+
+Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem Jurris. Auch ein Knecht war da
+und eine Taglöhnerfrau. Um derentwillen durfte der Willkomm nicht allzu
+herzlich sein. Aber sie dachten sich doch ihr Teil, denn sie
+grieflachten heimlich zusammen.
+
+Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die Magd kommt zweispännig
+angefahren, und der eigene Vater kutschiert!
+
+Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. Man hätte es nicht von ihm
+glauben sollen, denn er war unlängst von den Kürassieren nach Hause
+gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm noch auf dem linken Ohr. Aber
+als er ihr kaum die Hand gegeben hatte, machte er sich schon eifrig an
+dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe des Knechts über die Sprossen
+hob. Nur um nicht mit ihr reden zu müssen.
+
+Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht aus. Nach seiner Gestalt hätte
+man ihn eher bei den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von sinkendem
+Schulterbau. Die Augen blau und still. Viel von Bart noch nicht auf den
+Lippen.
+
+Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. Denn bis nach Piktaten, wo
+seine Wirtschaft lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte nachts
+schon zu Hause sein. Aber einen Bissen geräucherten Aal aß er doch und
+trank den Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. Er fühlte es mit
+Zufriedenheit: die Marinke kam in ein gutes Haus, und die fünfhundert
+Taler, die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt sein.
+
+So fuhr er also von dannen, und die Marinke saß in der Kammer und
+weinte.
+
+Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans Lachen als ans Weinen denkt,
+so war sie am nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. Die Kühe
+standen über dem Melkeimer so still, als hätte sie sie schon seit Wochen
+geliebkost, und der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen gerade unter
+die hungernden Rüssel.
+
+Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und Tritt, aber so, daß sie von
+ihr nicht gesehen werden konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte
+sie leise zu ihrem Mann: »Wir haben gut gewählt. Sie ist eine
+Gesegnete.«
+
+Der alte Enskys faltete die rissigen Hände und sagte noch zweifelnd:
+»Geb' Gott!«
+
+Und beide dachten daran, wie sie nun im Herbste sich zur Ruhe setzen
+könnten, waren dabei aber erst um die Funfzig.
+
+Die Marinke tat, als merke sie nichts von dem Beobachtetwerden und dem
+Getuschel, und machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten liebt und
+nicht nach rechts und nach links sieht.
+
+Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem und gütigen Herzens und nicht
+gewillt, sie ihre Herrschaft fühlen zu lassen.
+
+Aus dem Schwiegervater war vorderhand noch nicht klug zu werden.
+Bescheiden im Wesen, als wär' er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks und
+im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte sie zwei-, dreimal an etwas,
+was sie noch gar nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft
+sein.
+
+Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach sie nicht an. Und so blieb
+es Tage und Tage lang, so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren
+Verdacht bald wieder fahren ließen.
+
+Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken weilten ganz, ganz wo
+anders als bei dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und wollte
+wissen, wie er es anfangen würde. Aber er fing es lieber gar nicht an.
+Und mit der Zeit begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt
+werden. Und noch etwas Schlimmeres fürchtete sie, doch daran ging das
+Denken gerne vorüber.
+
+
+ 2
+
+Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten die fünf größten Wirte des
+Dorfes mit Herrn Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und lieferten
+ihm so und so viel Liter täglich für seine Meierei. Im Hinfahren
+wechselten sie sich allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke sie
+alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen und Kinder, denn die
+Besitzer spielten den Kutscher meistens nur dann, wenn sie in
+Augustenhof sonst noch zu tun hatten.
+
+In der Woche nach Marinkes Ankunft war der Jozup an der Reihe. Der Jozup
+Wilkat, der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. Ein dunkler junger
+Mensch von Dreiviertelgröße mit buschigem Schnurrbart und
+zusammengewachsenen Brauen, die ihm ein finsteres und fremdartiges
+Aussehen gaben. Den Hof, der übrigens wohlhabend und gutgehalten war,
+nannte man in der Gegend die »Wilkija«, das Wolfsnest. Zuerst natürlich
+des Namens wegen, denn Wilkat heißt im Deutschen der »Werwolf«. Dann
+aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos herangewachsen waren, sich
+von früher Jugend an in den Haaren gelegen hatten, bis die Mutter, deren
+Liebling der Jozup war, die beiden Älteren herausbiß, so daß sie nun in
+Berlin auf Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete nur auf eine
+passende Frau, um dann die Wirtschaft zu übernehmen.
+
+In Augustenhof waren alle Mägde hinter ihm her, aber er kümmerte sich
+wenig um sie. Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm angeglupt,
+hatte seine Milch aufschreiben lassen -- und weg war er.
+
+Man sagte von ihm, er sei ein »Bedraugis«, das ist einer, der keinen
+Freund hat, und das mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn er
+jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte er sich lange im Stall
+bei dem Jurris zu schaffen, rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte
+womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof sind es im Schritt immerhin
+doch anderthalb Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde immer
+gewesen.
+
+Am vierten Abend mochte es sein, da trat er zu der Marinke, die eben die
+Milchkannen auflud, und redete sie mit den Worten an: »Gestern hat mich
+der Herr Westphal halten lassen und hat gesagt, ich möchte dir sagen, du
+möchtest doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof kommen.«
+
+Die Marinke wurde rot und sagte: »Was soll ich in Augustenhof? Ich bin
+nicht mehr in Dienst dort.«
+
+Und der Jozup entgegnete: »Es ist noch etwas abzurechnen, hat er
+gesagt.«
+
+Die Marinke antwortete: »Ich _habe_ abgerechnet,« und ging ihrer Wege.
+
+Aber am Sonnabend kam er noch einmal und sagte: »Der Herr Westphal ist
+gestern auf der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde aus einem
+Posten nicht klug und er müsse durchaus mit dir reden. Morgen am Sonntag
+ist mein letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das Vertrauen und
+fährst mit mir.«
+
+Der Marinke gab es einen Stoß gegen das Herz. Sie sah den Jurris an, der
+still nebenbei stand, und sagte: »Wenn ich durchaus fahren muß, so fahr'
+ich doch lieber, wenn _wir_ an der Reihe sind. Die acht Tage wird der
+Herr Westphal sich wohl noch gedulden.«
+
+Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer zusammen, stieg auf und
+fuhr vom Hofe herunter.
+
+Der Jurris stand da und sah ihm nach, und die Marinke grämte sich, daß
+er noch immer nicht zu ihr sprach. Schließlich war sie doch »auf Prob'«
+hier. Was sollte werden, wenn es so blieb?
+
+Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen Sinne ganz zuwider war und
+wozu sie bisher den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte sich neben
+ihn und sagte: »Vielleicht bist _du_ so gut und nimmst mich dann einmal
+mit.«
+
+Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort gegeben oder ihr sonst
+sein Mißfallen gezeigt, dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten bald
+würde packen müssen. Aber was tat er?
+
+Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man konnte sagen, ein glückliches
+Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: »Wirst du dann
+auch einmal mit mir fischen kommen?«
+
+Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war und daß sie mit ihrem Kasten
+würde hierbleiben können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten wäre sie
+gleich davongelaufen und hätte im Winkel geweint, aber sie bezwang sich
+und lächelte nur und sagte: »Du _hast_ ja bisher noch gar nicht
+gefischt.«
+
+»Ich habe immer auf dich gewartet,« entgegnete er.
+
+»Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte sie mich wohl freigelassen,«
+sagte sie.
+
+»Ja, das hätte ich eigentlich tun können,« entgegnete er, »aber ich
+dachte immer, du hättest zu viel zu tun.«
+
+»Zu tun habe ich wohl genug,« war ihre Antwort, »aber wie man fischt,
+das sähe ich gar zu gerne.«
+
+Da führte er sie vor die braunen, nach Teer riechenden Netze, die über
+die Stakete gehängt waren, und erklärte ihr alles.
+
+Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor lauter Glück hörte sie
+nichts. Das Schwere, das Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet
+war, löste sich auf.
+
+Nichts war um sie und in ihr als ein milder Sommerabend mit braunen
+Netzen und grünen Staketen und vielen Blumen dahinter, und Vögelchen,
+die sie ansangen, und einem Hofhund, der sie anwedelte, und einem
+lieben, guten Menschen, der fortan der Ihre war.
+
+Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, und hätte er ihre Hand
+gefaßt und wäre mit ihr in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im
+geringsten gewundert.
+
+Daß sie nun auch gemeinsam den Garten besuchten, geschah wie von selbst.
+Er zeigte ihr den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie zeigte ihm
+den Ehrenpreis und die Studentennelke, und nur an dem Rautenbeet gingen
+sie schweigend vorüber.
+
+
+ 3
+
+Zwei Tage später am frühen Morgen sagte der Jurris zur Marinke: »Die
+Mutter hat erlaubt, daß wir zusammen fischen dürfen.«
+
+Sie fragte: »Wer wird die Kühe melken?«
+
+Und er erwiderte: »Sie wird es selber tun.«
+
+Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen lud, schämte sie sich sehr
+vor den Blicken, die sie auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch
+nichts zu essen mit und sagte zu keinem: »Ich geh' nun.« Wie eine
+Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam.
+
+Er zog den Handwagen, und sie schob nach. Aber zu schieben war
+eigentlich nichts, denn die Räder drehten sich wie von selber.
+
+Bis zum Haff geht man quer durch die Felder mehr als eine halbe Stunde.
+Zuerst war nichts davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er morgens
+wohl auf den Wiesen liegt, dann aber brach das blaue Wasser durch, hoch
+über dem Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser und Himmel
+blänkerten in der Ferne die Sandberge der Nehrung, anzusehen wie ein
+Gürtelband von weißgelber Seide.
+
+Marinke dachte: »Wie schön wird meine Heimat sein!« Sie wollte was
+sagen, aber sie traute sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte
+sich nie nach ihr um.
+
+Und so kamen sie dem Ufer immer näher.
+
+Dort standen Schuppen errichtet, um die Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit
+der Stürme drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, waren sie nicht
+einmal auf den Strand gezogen und schaukelten sich, an Pfähle gebunden,
+zwischen Grasbank und Röhricht.
+
+Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit haben, war am Ufer zu
+sehen. Denn jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf den Feldern
+zu tun.
+
+Und Marinke fühlte in beklommener Seele, daß auch _seine_ Ausfahrt nur
+ihr zuliebe geschah.
+
+Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und sie half ihm dabei, obgleich es
+auch hier nichts zu helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, weit
+draußen im Blauen, wo nur die Ruder klatschten und die Kielwellen
+schälten, da forderte er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu gehen.
+
+Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, so daß alsbald die
+»Pluden« -- das sind die leichten Hölzer, die das Netz obenhalten -- in
+schönem Bogen rings um sie herschwammen.
+
+Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die Sonne fing etwas zu stechen an.
+
+»Du hast kein Tuch,« sagte er, »du wirst Kopfschmerzen kriegen.« Und er
+holte eine Ölkappe hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie wollte
+nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr Aussehen lachen müssen. Und
+das sagte sie ihm auch.
+
+Aber da begann er schon im voraus zu lachen und rief: »Hundertmal
+reichen nicht, daß ich dich in der Ölkappe sehen werde.«
+
+Und ohne sich zu besinnen, _was_ sie da sagte, entgegnete sie: »Aber
+dann werden wir auch verheiratet sein.«
+
+Noch wie das Wort kaum heraus war, da schämte sie sich schon so sehr,
+daß sie sich am liebsten ins Wasser gestürzt hätte. »O Gott, o Gott,«
+dachte sie, »jetzt wird er mich für dreist und für zudringlich halten.«
+Und weil sie fühlte, daß sie ganz glutrot geworden war und immer noch
+röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und machte sich klein.
+
+Er -- vom Steuer her -- sagte: »Marinke, dreh dich doch um.«
+
+Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich stieg der Gedanke in ihr
+auf: »Es wird nicht sein -- es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich
+-- und ich bin es nicht wert.«
+
+Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß sie bitterlich zu weinen
+begann.
+
+Der Jurris stand von seinem Platze auf und setzte sich neben sie, so
+dicht, daß ihr Rücken an seine Brust stieß.
+
+Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich nicht wolle, da sonst ja die
+Heirat kein Grund zu solchen Tränen sei.
+
+Aber sie weinte nur um so heftiger.
+
+Da schlang er von hinten her die Arme um ihren Hals, so daß ihr Kopf auf
+seine Schulter zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach ihm um,
+damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem hellen Tage preiszugeben
+brauchte, und so lag sie an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz
+still.
+
+»Ach wenn er mich doch küssen möchte!« dachte sie.
+
+Aber er küßte sie nicht.
+
+Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu sehen. Viel brachte der Fang
+nicht. Ein paar Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber sie
+kümmerten sich nicht darum, und schließlich lachten sie gar darüber.
+
+Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob sie nicht mehr wie in der
+Frühe, sondern schritt an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es beim
+besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen gab, legte er seinen freien
+Arm um ihre Hüfte, so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. Und
+darum gab es des Lachens kein Ende.
+
+Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, und als die künftige
+Schwiegermutter ihnen das Frühstück auftischte, wollte sie es nicht
+dulden und küßte ihr Ärmel und Rocksaum.
+
+Da sagte die Enskene mit einem freundlichen Lächeln: »Was ihr gefischt
+habt, ist ja nicht viel, und doch hat mein Jurris einen guten Fang
+gemacht.«
+
+Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen und ängstlichen Blicken um
+beide herum, so daß auch der Marinke wieder ganz angst ward.
+
+»Ob er was weiß?« dachte sie.
+
+Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß sie »auf Prob'« ins Haus kam.
+
+Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre Arbeit.
+
+
+ 4
+
+In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat eigentlich nichts mehr auf dem
+Hofe zu tun, denn das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber trotzdem
+sah man ihn morgens und abends. Einmal hatte er sich einen Bohrer
+geborgt, den er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm die
+Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich kam er ganz ohne Grund,
+setzte sich neben den Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal drei
+Pfeifen aus.
+
+Daß man den jemals einen »Bedraugis« genannt hatte, war zum Verwundern.
+
+Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der neuen Freundschaft gekommen
+war, die eigentlich schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen,
+aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ er es sich gefallen. Der
+Jozup, den alle für störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar
+nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und Lieder die Menge, und wenn
+man die Auflösungen seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich vor Lachen den
+Bauch halten.
+
+Darum kamen auch die beiden Alten häufig dazu, und nur die Marinke
+machte sich ungern in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen
+Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn kommen und gehen sah mit
+seinen strammen Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel er ihr
+immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, die sie schon in Augustenhof
+manchmal befallen hatte, wenn er auf dem Milchwagen vorfuhr, verließ sie
+auch jetzt nicht.
+
+Zuweilen dachte sie: »Der wird mir gewiß einmal ein Leid antun.« Aber
+ein bißchen Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, seitdem sie
+erfahren hatte, wie wenig ein armes Mädchen vor ihrem starken Willen
+vermag.
+
+Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris hinüberzublicken, um zu
+wissen, wie gut geborgen sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah
+kommen können.
+
+Eines Spätabends beim Weggehen blieb der Jozup am Gartenzaun stehen und
+rief zu ihr herein: »Du, richt dich mal auf!«
+
+Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade Mohrrüben aus der Erde für
+morgen Mittag, aber sie mußte es doch tun.
+
+»Warum hältst du dich so weit ab von mir?« war seine Frage. »Ich beiß'
+dich nicht. Ich beiß' bloß in Rindfleisch.«
+
+»Ich bin die Magd hier,« gab sie zur Antwort, »und ich habe zu tun.«
+
+»Wenn du von Magd sprichst,« sagte er, »dann lachen die Hühner. Ich weiß
+am besten, wie bald du hier Herrin sein wirst.«
+
+»Wenn du das weißt,« entgegnete sie, »dann wart hübsch, bis ich das
+Recht hab', mit dir zu reden.«
+
+»Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt ist,« sagte er, »und ich
+habe auch eine Bestellung an dich.«
+
+Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. »Wenn es wieder von Herrn
+Westphal ist,« entgegnete sie, »dann sag ihm nur, sobald die Reihe an
+uns ist, würde ich kommen -- und früher nicht!«
+
+Aber diesmal war es was Anderes.
+
+»Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,« sagte er. »Sie hat
+gehört, daß du eine heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr
+einmal aufzulegen. Bei _der_ Gelegenheit könntest du dir gleich unsere
+Wirtschaft besehn.«
+
+Ihr wurde ganz heiß von dem allen.
+
+»Wer das gesagt hat von meiner Hand,« entgegnete sie, »der erfindet sich
+Lügen, denn ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer Wirtschaft zu
+sehen hätte, das weiß ich noch weniger.«
+
+Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet hinunter und sah ihn nicht
+mehr an.
+
+Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, als fühle sie seine Blicke
+auf ihrer Haut; dann wünschte er »Guten Abend« und ging von hinnen.
+
+»Mein Gott, mein Gott!« dachte sie. »Trachtet der auch nach mir?« Aber
+das konnte nicht sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum Freunde
+ausgesucht haben?
+
+Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte den Mittelsteg herabkommen,
+und ihr Herz flog ihm entgegen. Sie dachte: »Wie kann man einen bloß so
+rasch liebhaben!« Aber sie blickte nicht auf und beklopfte die Möhren
+nur um so fleißiger.
+
+Er blieb hinter ihr stehen und sagte: »Kannst du dir denn gar nicht
+genug tun? Es ist halbdunkel und Schlafenszeit, und du arbeitest noch
+immer.«
+
+Sie stand auf und wischte das Schrapmesser an ihrer Schürze ab. »Du mußt
+nicht glauben,« sagte sie, »daß ich mich zeigen will vor dir oder den
+Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es vielleicht auch bald _meine_
+Erde ist, auf der ich da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen und
+die Arbeit zum Spiel.«
+
+Er sagte: »Wir haben uns immer noch nicht richtig miteinander
+versprochen.«
+
+»Nein,« sagte sie, »das haben wir noch nicht.«
+
+Und sie schickte sich an, den Korb mit den Gelbrüben ins Haus zu tragen.
+
+Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und führte sie den Mittelsteg weiter
+zu dem Eschenbaum, unter dem die Bank stand für Mittagsruh' und für
+Feierabend.
+
+Dort unter den hängenden Zweigen war es fast Nacht, und wer einen
+auffinden wollte, den sah man schon lang' auf dem helleren Stege
+daherkommen.
+
+Der Jurris stellte den Korb auf die Erde und setzte sich neben sie. Ihre
+Hand ließ er nicht los und nahm auch die andere dazu.
+
+»Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?« begann er das Gespräch.
+»Wenn wir Hochzeit machen, möcht' er Brautführer sein.«
+
+Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie Angst vor dem Jozup hatte, denn
+ihr war ja nichts Böses von ihm geschehen, und darum meinte sie nur: »So
+weit ist es ja noch nicht.«
+
+Er antwortete: »Warum nicht? Wenn _du_ mich willst, _ich_ will dich. Ich
+hab' dich schon immer gewollt.«
+
+Und sie erwiderte: »Ich will dich gern.«
+
+Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie lehnte den Kopf an seine
+Schulter, und er lehnte die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: »Warum
+küßt er mich immer noch nicht?«
+
+Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder ihn für linkisch gehalten
+hätte, aber sie hatte so große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie auch
+den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter nach hinten, so daß erst ihre
+Backe auf seiner Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem Munde lag.
+
+Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein Schaudern und wie ein
+Schlag. Und wie eine ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine neue
+Angst.
+
+Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. Sie wußte nicht mehr, wieviel
+von ihrer Seele und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte ihm
+immer noch mehr von sich schenken und immer noch mehr die Seinige sein.
+
+Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo rings ein Geräusch, und es
+war doch niemand den Steg heruntergekommen.
+
+Darum sprang sie auf und sagte: »Komm. Es ist nicht mehr sicher hier.«
+Und wünschte ihm rasch »Gute Nacht« und lief stracks nach der Klete, wo
+ihre Kammer gelegen war.
+
+Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, es würde nicht lange
+mehr dauern, dann würde er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum schnarchte
+die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte er es ruhig auf sich nehmen können.
+
+Sie horchte und horchte nach der Türklinke hin, aber die rührte sich
+nicht. Statt dessen war es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise
+Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus und Klete unaufhörlich hin
+und her liefen.
+
+»Der Arme!« dachte sie. »Er traut sich nicht. Ich muß es ihm leichter
+machen.«
+
+Und darum stand sie auf und öffnete sacht den oberen Teil der Tür nur
+eine Handbreit weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer geriet!
+Denn als sie den Kopf für einen Augenblick durchgesteckt hatte, wurde
+ihr gleich offenbar, daß der, der da draußen im Sommernachtschein
+ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, sondern sein Vater war, der wider
+Recht und Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht
+zueinanderkam.
+
+
+ 5
+
+Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. Denn wenn eine Braut, die »auf Prob'«
+ist, sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann ziehen sie
+womöglich in eine Kammer, und keiner kümmert sich drum.
+
+Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten Vormittag der Jurris vom
+Felde kam, um kaltes Braunbier zum Trinken zu holen -- denn draußen beim
+Mähen und Binden starben sie alle vor Durst --, da fand er, als er den
+Rückweg antreten wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe gönnte,
+wartend im Hausflur stehen.
+
+»Komm doch mal 'rein,« sagte er.
+
+Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, und als er in die Stube
+trat, was sah er da?
+
+Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch bedeckt. Darauf standen
+zwei brennende Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch.
+
+Der Alte war barhaupt und hatte die Schlorren nicht an und sah furchtsam
+und heimlich aus.
+
+»Nimm deine Mütze ab,« sagte er.
+
+Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen war.
+
+Und der Vater fuhr fort: »Als die Marinke ins Haus kommen sollte, sagte
+ich zu dir: kennen lernen müssen sich die Menschen, die beieinander
+bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte ich von dir das
+Versprechen, daß du ihr nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand
+des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. Und das gabst du mir
+auch.«
+
+»Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,« fiel ihm der Jurris ins Wort,
+»wenn die Braut einem so dicht nebenbei wohnt.«
+
+»Und die Herren vom Gericht wissen es noch viel weniger,« gab der Vater
+zur Antwort, »denn es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von Gott
+eine andere Vernunft bekommen als wir. So hat es sich vor etlicher Zeit
+auf dem Tilsiter Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer
+Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite vom Pfade der Tugend
+gewichen war, ein Jahr Zuchthaus -- nicht Gefängnis, mein Sohn, sondern
+Zuchthaus -- gekriegt hat, weil sein Sohn und die Braut, die auch auf
+Prob' war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache zusammen geschlafen
+haben. Er hat geweint und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen,
+denn im Herbst sollt' ja die Hochzeit sein, und zu der Aust könnt' man
+zwei fleißige Händ' nicht entbehren; aber unbarmherzig, wie die
+Deutschen sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen und haben ihn
+eingesperrt zusammen mit Räubern und Mördern.«
+
+»Das kann nicht sein!« rief der Jurris voll Empörung. »Das wär' ja die
+schlimmste Gewalttat!«
+
+»Die Deutschen nennen's Gerechtigkeit,« sagte der Vater, »und unter
+einander strafen sie sich genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten
+Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, denn Aufpasser gibt es ja
+überall. Und weil ich gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit
+euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst und Unglück zu retten:
+entweder ich schick' sie solang' zu den Eltern zurück --«
+
+»Das geht ja nicht, Vater,« rief der Jurris entsetzt, »das würde
+aussehen, als wollten wir sie nicht haben.«
+
+»-- oder du schwörst mir hier auf das heilige Gotteswort, daß du dich
+ihrem Leibe fernhalten wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand,
+selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.«
+
+Das kam den Jurris hart an, aber was sollte er machen? Und er schwor
+zwischen den Lichtern, die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der Vater
+verlangte. Und daß, wenn er den Eid verletze, Gott ihn mit Drangsal und
+Tod heimsuchen wolle, das schwor er auch, genau wie der Vater es
+vorsprach.
+
+Und dann brachte er das warm gewordene Braunbier aufs Feld hinaus.
+
+Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer atmend dastand, griff nach dem
+Krug, als ob er ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, als tränke
+sie Trübsal daraus.
+
+Nachher zur Mittagspause, als die Mäher alle im kargen Schatten zweier
+Weidenstümpfe lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich erstaunt
+nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es der Leute wegen geschehe, und
+darum beruhigte sie sich wieder.
+
+Auch beim Nachhausegang schritt er nicht etwa an ihrer Seite, sondern
+machte sich mit den kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren
+lagen.
+
+Und immer und immer wich er ihr aus, so daß sie schließlich ganz krank
+war.
+
+Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. Darum zweifelte sie
+auch nicht an seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große Sehnsucht
+nach ihm war es, die sie krank machte.
+
+So kam der Montagabend heran, an dem der Enskyssche Wagen zum ersten
+Male wieder die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu bringen hatte.
+Seit langem war ausgemacht worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren
+solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn nicht länger
+entgegenzustehen.
+
+Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte sie zu ihrer künftigen
+Schwiegermutter, denn sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und
+nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger war, könne schuld
+daran sein, daß etwas nicht stimmte.
+
+Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer -- wenn auch nicht wegen der
+Bücher.
+
+Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte Bänder durch die Zöpfe und
+legte ein seidenes Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt
+hatte. Und wenn sie daran dachte, daß sie nun zwei Stunden lang in der
+roten Dämmerung mit dem Jurris allein durch die Welt fahren sollte, so
+verschwand alles andere, wovor ihr wohl bangte.
+
+Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns kam, war der Jurris
+nirgends zu finden. Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen,
+und auch die der anderen Wirte warteten sicher schon lange, aber alles
+Rufen nach ihm blieb vergeblich.
+
+»Dann wirst du wohl allein fahren müssen, mein Täubchen,« sagte die
+Schwiegermutter.
+
+Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und viel mehr Tränen weinte sie,
+als die kleine Fahrt wert war.
+
+Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun einmal war, fing er sogleich
+zu quengeln an. »Was machst du für ein Wesen?« sagte er. »Es scheint,
+daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden nicht umzugehen verstehst.«
+
+Das kränkte die Marinke natürlich aufs tiefste, denn den Litauer oder
+die Litauerin möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre Gespielen
+betrachten. Das Reiten und Fahren können sie alle womöglich noch früher,
+als sie das Gehen gelernt haben.
+
+Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein Wort, sondern biß nur die
+Lippen zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter.
+
+Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr Mann so häßliche Reden geführt
+hatte, und deshalb ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es sich
+machte, der Marinke was Tröstliches mit auf den Weg zu geben.
+
+Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur von weitem konnte sie sehen,
+daß, als der Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz ihrer
+gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse stieg und die Marinke
+abbutschte, wer weiß wie sehr.
+
+Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: »Was hat die alte Wölfin ihr
+Maul an der Marinke abzuwischen?«
+
+Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder zum Vorschein kommen. Er
+sei auf dem Haff gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu
+seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe machte und weiter in ihn
+drang, erwiderte er nur noch: »Frage den Vater.«
+
+Aber der wußte von gar nichts. Und beide Männer gingen zur Ruhe.
+
+Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die künftige Tochter wieder zu
+Hause war.
+
+Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte sich unter den Lindenbaum,
+ließ auch die Lampe brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen die
+Mücken.
+
+Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte sie gleichwie ihr
+Slinka, der alte Kater. Sie wartete und wartete, aber die Marinke kam
+nicht.
+
+Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen Wagen langsam, langsam näher
+knarren. Die Räder mahlten, und die Achsen schlackerten.
+
+»Sie wird eingeschlafen sein,« dachte sie, »und die Pferde machen es
+sich zunutze.«
+
+Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit großen Augen nach dem Mond
+hinstarren, und dann absteigen ohne »Wie geht's?« und »Guten Abend«, da
+wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, sondern ihr war etwas geschehen.
+
+Sie liebkoste sie und sagte: »Du bist müde, mein Tochterchen, darum iß
+einen Bissen und lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen statt
+deiner.«
+
+Und die Marinke ließ es auch zu.
+
+Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde und kaute. Aber es war, als
+täte sie's nur, weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das
+Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß sie von Gesicht ganz
+weiß war, bloß daß unter den Augen zwei Flecken brannten.
+
+Die Mutter umarmte sie und sagte: »Gestehe, was dir begegnet ist.«
+
+Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: »Es hat nicht gestimmt.«
+
+»Um wieviel hat es nicht gestimmt?« fragte die Mutter.
+
+Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Mehr als funfzig
+Mark sind es, die fehlen.«
+
+Da lachte die Mutter und sagte: »Die schick' ich noch in der Frühe und
+lege funfzig als Zinsen dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer
+kochen.«
+
+Und die Marinke entgegnete heftig: »Um das Geld ist es nicht. Das hat er
+mir gleich geschenkt. Der Verdacht ist es -- die Schande ist es, daß der
+Schweizer nun sagen wird: >Eine lüderliche Kröt' ist vor mir im Amte
+gewesen.< Oder er sagt gar noch Schlimmeres.«
+
+Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen Sorgen abgab, aber
+in ihrem Innern freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem Jurris
+eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren wollen.
+
+Und sie sagte: »Morgen fahr' _ich_ mit der Milch, und wenn ich deinen
+Herrn Westphal seh', dann sag' ich ihm ordentlich die Meinung, weil er
+ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht hat. Ja, das werd'
+ich tun und fürcht' mich nicht im geringsten.«
+
+Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst ein sehr erschrockenes
+Gesicht gemacht. Dann aber lächelte sie ein weniges, wie man zu
+Kinderworten wohl lächelt. Dem Herrn Westphal trat kein Mann und keine
+Frau mit Vorwürfen unter die Augen. Dem nahte man höchstens mit einer
+Bitte im Munde.
+
+Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn weit und breit den »Wieszpatis«.
+Das heißt auf deutsch »König und Herrscher«. Und der liebe Herrgott
+heißt auch so.
+
+
+ 6
+
+Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke fast wieder so wie
+gewöhnlich.
+
+Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab dem Jurris die Hand. Aber warum
+er sich gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. Sie fragte
+überhaupt nichts mehr, sondern ging still an die Arbeit.
+
+Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken herein, und Erbsen und
+Gerste nicht minder. Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. Keine
+Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes und nichts Enthülstes.
+
+»Die Laumen meinen es gut mit uns,« sagte die Mutter, »seit das Kind bei
+uns wohnt.«
+
+Und der Vater sagte: »Wenn nur nicht --« Aber das weitere verschwieg er.
+
+Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde es nie mehr so, wie es gewesen
+war. Sie gingen wohl freundlich nebeneinander her und sprachen auch, was
+der Augenblick brachte, aber zusammen allein zu sein, das suchte der
+eine nicht und auch nicht der andere.
+
+Und jeder grämte sich auf seine Art.
+
+Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, dann hing sie mit fragenden
+und ängstlichen Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging um sie
+'rum wie ein Dieb und scheute sich, sie zu berühren.
+
+Auch von der kommenden Hochzeit war nie mehr die Rede. Höchstens daß die
+Mutter einmal von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, was das
+Elternhaus ihr wohl mitgab.
+
+Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend nahte, dann war er da.
+Und beide Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten oder aßen unreife
+Äpfel.
+
+Einmal, als die Marinke das Rindvieh von der Weide heimtrieb, tauchte
+der Jozup neben ihr auf und begann ein Gespräch.
+
+»Hast du auch schon den Schwiegereltern das Stück Brautleinwand
+geschenkt,« sagte er, »und Rautenblüte hineingelegt?«
+
+»Warum sollt' ich das?« fragte sie. »Ich bin die Magd hier und sonst
+nichts.«
+
+»Das hast du mir schon einmal gesagt,« erwiderte er. »Es ist Zeit, daß
+du freundlicher zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir die
+Hochzeitsgäste zusammenzubitten.«
+
+»Ich weiß von keiner Hochzeit,« erwiderte sie.
+
+Er stieß ein Gelächter aus. »Aber im Leibe sitzt sie uns schon, als
+hätten wir Tollwasser gesoffen. Ich lieg' bis zum Morgen und denk' an
+die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß der Brautführer sein.
+Vom Jurris red' ich nicht, der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran
+denkt, die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, mein
+Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach aus, als ob dir sehr davor
+graute, über ein Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es nicht, der
+ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt er sich einen Vertreter.«
+
+Der Weg war schmal, darum mußte sie das lästerliche Gerede anhören, und
+als sie es ihm gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der Gedanke:
+»Vielleicht weiß er mehr von mir, als mir gut ist; sonst könnte er gar
+nicht so dreist sein.«
+
+Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß sie nur den Kopf senkte und
+ihn reden ließ, was er wollte.
+
+Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl sie innerlich wünschte, er
+möchte ihn mit der Peitsche vom Hof hinunterjagen.
+
+Und bald darauf kamen Tage voll neuer Herzensangst. Die drückten noch
+härter als alles, was vordem gewesen war.
+
+Sie lief von der Arbeit weg und versteckte sich in der Scheune, um in
+den Garben nach Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, ob
+nicht irgendwo ein Sadebaum sich über den Zaun hinstreckte, und ihre
+Füße waren verbrüht von kochendem Wasser.
+
+Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber bei Tage machte sie
+freundliche Augen. Mit denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter
+täuschte sie nicht.
+
+Die legte eines Tages die Arme um ihren Hals und sagte: »Mein Täubchen,
+du bist nun bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe dich wohl
+geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem Jurris nichts Besseres wünsche
+als dich, so weißt du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten
+spielen die Männer oft so schlimme Streiche, daß wir ins Unglück kommen
+und wissen nicht wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, nimm
+deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt.
+Auf etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur muß man den Knaben
+liebhaben, wenn man ihn täuscht.«
+
+Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, vermochte Marinke nicht zu
+ergründen, aber gute Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie auf, in
+Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann darüber nach, wie sie dem
+Jurris wieder nahkommen könne. Leicht war das nicht, denn in den Garten
+ging er zum Feierabend nie mehr, und nie mehr wollte er einen Gang mit
+ihr machen.
+
+Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, hörte sie, wie er zum Alten
+sagte: »Ich bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, ich muß einmal
+nach dem Kahn und dem Schuppen sehn.«
+
+Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, so hätte er jetzt zu ihr
+gesagt: »Komm mit!« und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen.
+Aber statt dessen schlich er sich um die Scheune herum und kroch durch
+die Zäune und blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand bemerke.
+
+Da sagte sie sich: »Ich tu's.« Und ging ihm nach. Aber sie ließ eine
+weite Entfernung, so daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen
+konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen Rückweg genommen.
+
+Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, setzte sie sich auf den
+Grabenrand und wartete.
+
+Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie sangen die Heimchen.
+
+Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen Gedanken im Kopfe hinter
+ihm herlief. Wäre es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen,
+so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, aber nun die Not sie zwang, kam
+sie sich als eine Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre Liebe
+zu ihm nur noch größer und reiner war. Aber es hätte ihr keiner
+geglaubt. Und auch sie selber glaubte es kaum.
+
+So verging eine geraume Zeit, da hörte sie seine Schritte näherkommen.
+Beinahe wäre sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, daß
+sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden konnte.
+
+Er blieb vor ihr stehen und fragte: »Wer ist da?«
+
+Und sie fragte: »Wie kommst _du_ hierher?«
+
+Da erkannte er sie und sagte: »Es wird dir zwar keiner was tun, aber
+Sitte ist es nicht, daß die Mädchen am Sonntagabend allein in den Wiesen
+herumlaufen.«
+
+Sie erwiderte: »Was soll ich machen? Eine Freundin habe ich nicht, und
+der, der sich um mich kümmern sollte, der unterläßt es.«
+
+Er fragte: »Meinst du mich?«
+
+Und sie erwiderte: »Nein, ich meine den Jozup.«
+
+Da setzte er sich neben sie und sagte: »Du hast Recht, Marinke, daß du
+mir Vorwürfe machst. Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, aber
+was sollte ich tun? Der Vater verlangt es so und hat mir einen schweren
+Eid abgenommen.«
+
+Sie zuckte die Achseln und sagte: »Was ist ein Eid? Für dich schwör' ich
+fünftausend, und wenn sie zufällig falsch sind, dann lach' ich.«
+
+Er antwortete: »Dies war kein gewöhnlicher Eid, wie man ihn etwa vor
+Gericht schwört. Der ging um _meinen_ Tod und um _deinen_ Tod, und zwei
+Lichter brannten rechts und links vom Gesangbuch.«
+
+Sie sagte: »Dein Vater könnte auch was Besseres tun, als zwei
+Liebesleute zu ängstigen.« Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen
+war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof vor ihr versteckt
+hatte.
+
+Er sagte: »Ja«, und sie legte den Kopf auf seine Kniee und schluchzte.
+Sie dachte nicht mehr an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen
+wollte sie sich.
+
+Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder in die Höhe zu kriegen, und
+dann küßte er ihr die Tränen von den Backen und weinte mit ihr.
+
+Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: »Ich taug' ja nichts mehr,« aber
+sie war so glücklich, wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut dazu nicht
+fand.
+
+Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm um des anderen Hüfte gelegt, und
+der Jurris sagte: »Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, denn ich
+weiß, es _kann_ nichts Böses geschehen.«
+
+Das gab ihr einen Stich durch die Brust, denn es _mußte_ ja was Böses
+geschehen. Heut' oder nächstens. Und ob es auf Tod oder Leben ging --
+gleichviel.
+
+Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche zu ziehen. Diesmal aber
+tat sie's mit guter Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und wieder und
+merkte mit Freuden, daß er schwindlig wurde und wankte.
+
+Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon dunkel und still.
+
+Er konnte sich nicht von ihr trennen, und sie dachte bereits, er würde
+bitten, ihn mit sich zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da riß
+er sich los und floh ins Haus, als säße der Böse ihm auf den Hacken.
+
+Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie schon manche Nacht gekniet
+hatte. Und betete und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die Klinke
+sich nicht bewegte.
+
+Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst wenn die sie hörte, was tat
+ihr das noch?
+
+Und dann stand sie auf. Und da er noch immer nicht kam, trat sie den
+schweren Gang an nach seiner Kammer.
+
+
+ 7
+
+Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf kam der Jurris zu dem Alten in
+die Stube und sagte: »Ich möchte dich in Gehorsam bitten, Vater, daß die
+Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden kann.«
+
+Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er las, und sagte: »Du hast
+wohl deinen Eid gebrochen?«
+
+Und der Jurris erwiderte: »Ja, ich habe meinen Eid gebrochen.«
+
+Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: »Dafür strafe dich Gott!«
+
+Der Jurris senkte den Kopf und sagte: »Gott wird mir vielleicht
+vergeben, denn es war gar zu schwer.«
+
+Der Alte aber schrie: »Nein, Gott wird dir _nicht_ vergeben. Ebenso
+wenig, wie _ich_ dir vergebe, daß du mich in so große Ungelegenheit
+gebracht hast.«
+
+Und er lief auf seinen Schlorren umher wie ein Rasender.
+
+Nach einer Weile sagte er weiter: »Natürlich muß die Hochzeit früher
+stattfinden. So früh als möglich muß sie stattfinden, damit nicht
+vielleicht hinterher ein Stein auf mich geworfen wird. Aber das sage ich
+dir: Kummer und Drangsal werden mit euch zu Tische sitzen, und der Tod
+wird hinter euch stehen, weil du den Willen Gottes so wenig geachtet
+hast, und den Willen deines Vaters noch weniger.«
+
+Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach mit keinem ein Wort, nur
+daß er zur Marinke, die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: »Er hat
+es erlaubt.«
+
+Und alsbald erhob sich im Hause ein großes Rumoren, denn die
+Vorbereitungen zur Hochzeit sollten sogleich beginnen.
+
+Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt sowohl wie beim Pfarrer, und
+der Jozup erschien am hellen Vormittag auf einem mit Bändern
+geschmückten Pferde und selber mit Bändern geschmückt an Achseln und
+Hutrand. Dem reichte die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel
+von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu laden waren.
+
+Und die Marinke wurde geschickt, ihm den Festtrunk zu zapfen.
+
+Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er es so gierig mit seinen
+Händen, daß sie die ihren nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest
+und sagte: »Wenn ich nun losreite, dann mußt du mit und kommst nicht
+mehr frei bis ans Ende der Welt.«
+
+Und sie sagte erschrocken: »Dann wärst du ein schlechter
+Hochzeitsbitter.«
+
+Er trank und sprengte lachend davon, sie aber fühlte seine Hände brennen
+bis gegen Abend.
+
+Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr und des ersten Pflügens, aber
+beides mußte hintangestellt werden, weil es im Hause soviel zu tun gab.
+
+Und die Leute im Dorf wunderten sich und sagten: »Die Marinke ist doch
+erst so kurze Zeit hier; sollten die beiden schon vorher miteinander
+gekramt haben?«
+
+Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen erfuhr, daß er gerade das
+Gegenteil davon erreichte, was seine Absicht gewesen war; er hätte sich
+sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. Der Jurris aber
+erfuhr's. Dem steckte es der Jozup nur allzubald.
+
+Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, so grämte er sich doch immer
+noch mehr und dachte in seinem Herzen: »Sollte so das Unglück bereits
+beginnen?«
+
+Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf immer neue Kohlen ins Feuer.
+
+Die Marinke hingegen tröstete ihn und sagte: »Wenn zweie sich liebhaben,
+für die gibt es kein Unglück und kein Verschulden, denen steht Gott zur
+Seite und nimmt den Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.«
+
+Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn sie ihn heimlich im Arm hielt,
+vergaß sie alles, auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt
+hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und Töpfe und Eimer und Garben und
+was sie zu fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre dankbaren Hände.
+
+Der Jurris aber hielt's mit dem Müßiggang. Sie mochte ihm noch so viel
+zureden, seine Arbeit wurde nur halb getan, und wäre nicht
+glücklicherweise ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer weiß, ob der
+Hafer nicht ins Faulen gekommen wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf
+dem Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der Landwirtschaft hat,
+ans Fischen nur denken kann, machte er sich morgens und abends draußen
+zu schaffen.
+
+Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam er naß bis auf die Knochen
+vom Ufer nach Hause. Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das
+Draußensein kam es ihm an.
+
+Die Marinke küßte ihm beide Hände und sagte: »Jurris, Jurris, es tut dir
+ja keiner was.« Aber auch das half nicht viel.
+
+Eines Morgens wehte stark der »Aulaukis«, der Südwest, den die Fischer
+nicht mögen, besonders wenn Regen als Zugabe kommt.
+
+Als die Marinke hinaussah, dachte sie: »Nun, heute wird er wohl nicht
+gefahren sein,« aber wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder im
+Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris.
+
+Die Vormittagsstunden vergingen, und sie dachte: »Um Gottes willen, wo
+bleibt der Jurris?«
+
+Und als er zum Mittagbrot noch nicht da war und auch die Mutter das
+Fürchten bekam, da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von der
+Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem Strande zu.
+
+Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte sie: das war kein
+Wind mehr, das war ein Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken.
+
+Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, und der Handkahn war weg.
+
+Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, denn die Regenwolken
+strichen ganz niedrig darüber hin, aber die Strandwellen gingen so hoch,
+als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah kam, und das Rohr
+schrie, als hätte es eine Menschenstimme bekommen.
+
+Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, so weit, daß die Wellen
+sie nicht erreichen konnten, und die Marinke dachte bei sich: »Jetzt muß
+ich hinausfahren -- muß ihm entgegenfahren.«
+
+Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser herangebracht hatte, dann
+schlugen die Wellen ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben
+lag.
+
+Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft war und daß sie davon nur
+den Tod haben würde.
+
+Und sie warf sich im nassen Sande auf die Kniee, wie sie es jüngst vor
+ihrem Bette oft getan hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen.
+
+Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken gekrochen, und keine
+Menschenstimme rief: »Da bin ich.«
+
+Ja, _eine_ Menschenstimme war da. Ganz plötzlich schallte sie ihr in die
+Ohren und sagte: »Was machst du?«
+
+Und diese Stimme gehörte dem Jozup.
+
+Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf dem Herzen gehabt hatte, und
+hob die gefalteten Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte mit ihr
+hinausfahren. Für sie allein sei es zu schwer. Aber zusammen würden sie
+ihn schon finden.
+
+Der Jozup fragte: »Seit wann ist er fort?«
+
+Und sie erwiderte: »Seit in der Frühe.«
+
+Da lachte er bloß und sagte: »Dann ist er längst wieder an Land und
+sitzt verschlagen wer weiß wo.«
+
+Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr fort: »Denkst du denn, daß
+Menschen sich acht Stunden lang in so 'nem Wetter draußen herumtreiben
+können? Oder sich erst den Platz aussuchen zum Landen? Da ist es jedem
+egal, wo ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber komm ins Trockene,
+denn dir klappern ja alle Glieder.«
+
+Und er führte sie in den Schuppen und schlug die Tür hinter sich zu, so
+daß sie fortan im Halbdunkel waren.
+
+An den Wänden hingen die Netze, und über das Heu, das im Winkel lag, war
+der Mantel des Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters versteckt,
+wenn alle ihn suchten.
+
+Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten Fingern und küßte
+den Saum und sagte: »Komm doch wieder! Komm doch wieder!«
+
+Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie hatte schon all ihre Tränen
+verschüttet.
+
+Der Jozup stand daneben und biß sich die Lippen. Und dann sagte er:
+»_Warum_ soll er eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug da, die
+bloß auf dich warten.«
+
+Da drehte sie sich um und spie nach ihm.
+
+»Warum speist du mich an,« sagte er, »da ich doch einstmals dein Mann
+sein werde?«
+
+Und sie sagte: »Laß mich hinaus. Ich habe schon lange gewußt, was du für
+einer bist.«
+
+Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, und indem er ihre Hände hielt
+wie in Klammern geschroben, sagte er folgendes: »Du betest da immerzu,
+er möchte doch wiederkommen, aber wenn ich jetzt als sein Freund mein
+Gebet mit dem deinen vereinigen wollte, dann würde es lauten: er soll
+_nicht_ wiederkommen. Und er _wird_ auch nicht wiederkommen. Wenigstens
+als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du schon mir, und das will ich
+dir gleich beweisen.«
+
+Sie rang mit ihm und schrie: »Vergreife dich nicht an mir, denn ich
+trage ein Kind von ihm.«
+
+Aber er lachte sie aus: »Du willst ein Kind von ihm tragen? Hat er mir
+doch oft genug von dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen
+müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! Ich aber kehr' mich an
+nichts und will tausend Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.«
+
+Und sie rang weiter mit ihm und schrie: »Ich trage ein Kind von ihm!«
+
+Und er sagte mitten im Ringen: »Wenn es die Wahrheit wäre, daß du ein
+Kind trägst, dann ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, von wem
+es ist.«
+
+Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, und sie fiel hintenüber und
+wußte von nichts mehr.
+
+Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür offen, und niemand war da
+außer ihr.
+
+Unter ihr lag noch immer der Mantel des Jurris. Den streichelte sie von
+neuem und küßte den Saum, aber sie dachte dabei: »Mir ist ganz recht
+geschehen.«
+
+Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte wiederkommen. Hätte sie
+ein Gebet gehabt, so würde es gelautet haben wie das von dem Jozup: »Er
+soll _nicht_ wiederkommen.«
+
+So ohne Mut und so voll Scham war ihre Seele.
+
+
+ 8
+
+Im nächsten Frühling bekam die Marinke einen Knaben. Der sollte einmal
+die Enskyssche Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft
+war keiner als Erbe da.
+
+Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben und durfte um den
+Ertrunkenen trauern, als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und
+niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn die Hochzeit war ja
+bestellt gewesen. -- Bloß daß nun ein Begräbnis daraus wurde.
+
+Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, ehrte
+sie wie ihres Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war immer gut zu
+ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes willen, den er von ihr
+erwartete.
+
+Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, denn er fühlte sich durch
+den Eid, den er dem Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert auch
+über dessen Tod hinaus.
+
+Der Jozup war während des ganzen Winters nur dann im Hause zu sehen
+gewesen, wenn er die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl gehütet,
+ihm zu begegnen.
+
+Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade vom Melken, da stand er
+breit in der Stalltür. Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. Um
+derentwillen mußte sie tun, als ob nichts vorgefallen war.
+
+Er bot ihr die Hand und sagte: »Ich halte mich fern von dir, aber wenn
+die Zeit gekommen ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.«
+
+Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, denn daß sie ihm verfallen
+war, daran zweifelte sie nicht.
+
+Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, daß sie die alte
+Wilkene, die das Haus bisweilen besuchte, bereits als zukünftige
+Schwiegermutter betrachtete.
+
+Aber freundlich war die durchaus nicht mehr.
+
+Wenn sie an ihrem klappernden Stock über den Hof gehumpelt kam, gab es
+der Marinke stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte in ihrem
+Innern: »Bin ich erst in dem Wolfsnest drin, dann werde auch ich das
+Hemd auf den Schultern mit meinen Tränen waschen.« Denn so heißt es in
+dem alten Liede.
+
+Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich nach der Entbindung ins
+Elternhaus zurückzubegeben; aber wie man sie aufnehmen würde, wenn sie
+mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft bat, daran gab's nicht den
+mindesten Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens gewesen. Der Jozup
+hätte sie auch von dorther geholt.
+
+So neigte sie sich also in Demut vor dem kommenden Schicksal, und nur
+die bösen Augen der Alten machten ihr Angst.
+
+Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: »Was will die alte Wölfin immer von
+dir? Du willst ja nichts von ihr.«
+
+Aber was der Jozup wollte, davon ahnte sie nichts.
+
+Und eines späteren Tages -- der kleine Jurris mochte acht Wochen gewesen
+sein -- da kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter Stunde und setzte
+sich neben die Wiege, die gerade ohne Aufsicht neben der Haustür stand.
+
+Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, denn beim ersten Blicke hatte
+sie den Mann, der sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar nicht
+erkannt.
+
+Er richtete sich auf und sagte: »Der Tote ist mein Freund gewesen, und
+ich habe sein Kind bis heute noch nicht gesehen.«
+
+Und die Mutter sagte: »So sieh es dir ordentlich an.«
+
+Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte sogleich: »Habt ihr auch
+schon daran gedacht, ihm einen Vater zu geben?«
+
+»Sein Vater liegt im Grabe,« sagte die Enskene, »und einen anderen
+braucht es nicht.«
+
+»Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch ein Wort mitzusprechen haben,«
+entgegnete er, »oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als Magd bei
+euch behalten könnt?«
+
+»Das Kind in der Wiege,« sagte sie, »wird künftig einmal Herr auf diesem
+Hofe sein, und die du meinst, halt' ich wie meine Tochter. Im übrigen
+glaube ich nicht, daß dich dies alles was angeht.«
+
+»Dies geht mich nur insoweit was an,« erwiderte er, »als die Marinke
+demnächst meine Frau werden soll.«
+
+Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig Macht ihr über die einstige
+Braut ihres Sohnes gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, und
+darum sagte sie: »Deine Werbung ist mir so willkommen, daß ich Lust
+hätte, meinen Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe weist.«
+
+»Ich _habe_ gar nicht geworben,« entgegnete er, »denn ihr Vater wohnt ja
+wo anders.«
+
+Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber und weinte.
+
+Und er wartete schweigend, bis die Marinke vom Felde kam.
+
+Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: »Schick ihn fort, so daß er nie
+wiederkommt.«
+
+Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, wünschte ihm kaum »Guten Tag«
+und nahm dann das Kind aus der Wiege, um es zu stillen.
+
+»Da hast du ja ein schönes Kind,« sagte er, »und ich will hinfort sein
+Vater sein.«
+
+Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: »Kannst du nicht wenigstens
+warten, bis die Trauerzeit um ist?«
+
+Da rang die Mutter die Hände und schrie: »Du ermunterst ihn ja!«
+
+Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste auf und reichte dem Kinde
+die Brust.
+
+»Pfleg es mir gut,« sagte er mit einem Lachen und schritt nach dem
+Hoftor.
+
+Von nun an gab es trübe Tage im Hause. Die Mutter weinte, der Alte
+schalt, und beide verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen.
+
+»Hier hast du's wie eine Prinzessin, aber dort in dem Wolfsnest werden
+die Wölfe dich fressen mit Haut und mit Haar.«
+
+So ging das Lied immerzu.
+
+»Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, daß das Kind dem
+Jurris sein Kind ist? Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich
+anglupt, als schlepptest du ein ganzes Gehetz von Bankerts mit dir
+herum.«
+
+So ging eine andere Weise.
+
+Die Marinke sagte nur immer: »Habt Geduld, bis die Trauerzeit um ist.«
+
+Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr zum Rechtsanwalt zweimal in
+der Woche, denn er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten.
+
+Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt hatte und sein Grab von
+frischen Blumen noch voll war, erschien der Jozup von neuem auf dem
+Hofe.
+
+Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, daß er die Marinke allein
+sprach.
+
+Sie kam mit einem Wäschekorb von der Bleiche und lief ihm gerade in die
+Arme.
+
+»Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,« sagte er, »und Geduld
+bewiesen ein Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum frage ich
+dich: Wann wirst du mir das Jawort geben?«
+
+Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen könne, aber niemand
+war weit und breit.
+
+»Deine Mutter ist mir böse gesinnt,« sagte sie. »Und du wirst zu ihr
+stehen gegen mich.«
+
+»Meine Mutter ist dir böse gesinnt,« entgegnete er, »weil sie sich
+ärgert, daß du ein fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß es mein
+eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst würde sie's ausschreien bis
+hinter Prökuls.«
+
+»Es _ist_ auch nicht dein eigenes!« rief sie. »Das weißt du, und wenn du
+es nicht weißt, dann schwör' ich es dir.«
+
+Aber er lachte sie aus. »Der gute Jurris ist tot,« sagte er. »Darum will
+ich so tun, als hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde zu ihr
+stehn gegen dich, dann kennst du mich falsch. Ich bin nach dir
+ausgewesen wie ein Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die erste
+Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit meiner Mutter die Sache beredet bei
+Tag und bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind fixer gewesen als
+ich. Ich hab' ihnen den Hof anzünden wollen über dem Kopf, -- ich habe
+den Jurris -- na, nun ist egal, was ich wollte mit deinem Jurris. Aber
+hast du dir nie gedacht, warum ich da saß Abend für Abend neben ihm auf
+der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein Augenschmeißer bin und
+weiter sonst nichts? Ich hab' kein Wort von meinem Zustand zu dir
+geredet, denn schaliges Bier lieb' ich nicht, und den Bettler beißen die
+Hunde. Aber das hättest du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden
+kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch nicht den Finger heben
+gegen dich. _Ich_ sollte zur Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was
+dachtest du von mir?«
+
+Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, daß sie ihm recht in die
+Augen sah. Und es war, als spritze Feuer daraus, und es war, als sei
+eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene Wege.
+
+Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte seinem Willen doch nicht
+entweichen.
+
+»Die Eltern werden es nicht zugeben,« sagte sie, um doch etwas zu sagen.
+
+»Welche Eltern? Deine oder dem Jurris seine?«
+
+»Meine sind froh, wenn sie mich los sind,« entgegnete sie, »aber diese
+hier lassen mich nicht mehr weg.«
+
+»Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die Krähe vom Neste, und um zwei
+solche Grasmücken sollt' ich mich kümmern?«
+
+»Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. So ein Glück kommt nicht
+wieder.«
+
+»Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, wenn ich das will.«
+
+»Hier geht es nicht nach deinem Willen, das weißt du sehr gut. Denn
+eigene Kinder kommen zuerst.«
+
+Der Jozup war rasch von Begriffen. Er sah gleich ein: wenn er nicht
+drohte, kam er zu nichts.
+
+»Na, gut,« sagte er, »dann muß ich doch wohl meiner Mutter erzählen, was
+zwischen uns passiert ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein Kahn
+koppheister schoß. Was weiter geschieht, dafür wird _sie_ dann schon
+sorgen.«
+
+Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach und Beschmutzung. Und auch
+des Jurris' Andenken würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. Darum
+wurde sie stark in ihrer Schwäche und sagte: »Ein Eid gilt dir nichts,«
+-- daß er auch ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte sie nicht
+-- »und so schwör' ich erst gar nicht. Aber was ich jetzt sage, das ist
+so wahr, wie daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du mich heiraten
+willst, so werd' ich nicht widerstehen und werd' auch das Kind bei mir
+behalten, bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es zu denen
+zurück, die es beerben wird. Sagst du aber deiner Mutter oder sonst
+einem auf der Welt, was du mir angetan hast, dann nehm' ich mir am
+selbigen Tage den ersten besten Kahn von denen, die am Ufer stehen, und
+fahre hinaus und komme nicht anders wieder, als einstmals der Jurris
+kam. Nun weißt du's.«
+
+Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt an ihm vorüber dem Hofraum
+zu.
+
+Er aber hatte seinen Willen. Und was heute noch daran fehlte, das mußte
+die Zukunft ihm bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner Gewalt
+war.
+
+Am nächsten Vormittag kam die Alte auf Freischaft.
+
+Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, und als sie die Marinke
+küßte, war's ihr, als gösse der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus.
+
+Aber sie widerstand nicht mehr.
+
+Mochte die gute Mutter ihr auch weinend Rücken und Hände streicheln,
+mochte der gnitschige Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen
+versprechen, -- sie blieb fest. Und auch was mit dem Kinde werden
+sollte, bestimmte sie nach ihrem Willen.
+
+Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, was nötig war, um den Enkel
+an eigener Kindesstatt anzunehmen, aber das durfte nun erst in Kraft
+treten, wenn Marinkes Leib von neuem gesegnet war. Bis dahin sollte der
+Kleine bei seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die
+Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat.
+
+So wurde es festgemacht, und niemand sagte mehr Nein.
+
+
+ 9
+
+Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest gefeiert. Die alten
+Enskys hatten sie ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke ihres
+Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer einen Stein auf ihre Sittsamkeit
+hatte werfen wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und nur die alte
+Wölfin grollte und kicherte höhnisch in sich hinein.
+
+Am Morgen des ersten Tages -- lange vor Sonnenaufgang -- war Marinke auf
+den Kirchhof gegangen, um von dem Grabe des Jurris Abschied zu nehmen,
+denn daß ihre Gänge hierher von nun an nicht gern gesehen sein würden,
+das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich für das schwere Leben,
+das vor ihr lag. Auch bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie
+ihm im geheimen angetan hatte und wodurch er auch schließlich zu Tode
+gekommen war.
+
+Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl nichts wie eine große Buße sein
+würde, und die nahm sie auf sich mit Freuden.
+
+Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern angefahren. Auch die zwei
+erwachsenen Brüder fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen.
+
+Obgleich alle vier sie oftmals herzten und küßten, erschienen sie ihr
+nur wie weitläufige Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren kaum
+noch gesehen.
+
+Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst von hinnen getrieben hatte,
+schämte sich ein wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause
+ausgerichtet worden war, und erzählte jedem, mit dem sie bekannt wurde,
+es wäre nur der weiten Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem,
+weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams durchaus darauf bestanden
+hätten, das Fest an Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder vier
+sonstige Gründe führte sie an.
+
+Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht und trug den Beutel
+mit den vielen Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei jeder
+Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, und man erkannte wohl, daß er
+keinen anderen Willen besaß als den, den sie ihm eingab.
+
+Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke in diesem Hause wie eine
+Tochter geehrt wurde und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals
+hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat sie an sie heran,
+umarmte sie und sagte, so laut, daß die Enskene es hörte: »Du wirst
+hoffentlich dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in deinem
+Elternhause eine Zuflucht hast und keine Fremden brauchst, dich zu
+beschützen.«
+
+Und die Enskene erwiderte darauf: »Ebenso wirst du hoffentlich dessen
+gedenk sein, meine Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.«
+
+Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede gedemütigt wurde, schwieg
+sie ganz still, denn sie hatte erreicht, was sie wollte.
+
+Das Kind begehrte keiner von der Familie zu sehen, und es wurde ihnen
+auch nicht gezeigt.
+
+In der Kirche sah die Marinke den Jozup an diesem Tage zum ersten Male,
+denn es war damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut und Bräutigam
+-- jeder mit seinem Anhang -- gesondert zur Kirche fahren und nicht
+früher zueinandertreten, als bis der fromme Gesang zu Ende ist und der
+Pfarrer vor dem Altare steht, den Segen über sie zu sprechen.
+
+Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, und die auf der linken, die
+zu dem Bräutigam gehörten, sahen feindlich herüber.
+
+Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil die Marinke keinen
+Rautenkranz trug, sondern bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte,
+das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte.
+
+Und das kam daher, daß sie eine Entweihte war, wie die alte Wölfin jedem
+zuraunte, der es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, bis die
+Verachtung so in ihm wach wurde.
+
+Der Jozup sah und hörte nichts von dem allen. Er starrte bloß immer mit
+einem wilden und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke herüber,
+als wollte er ihr zurufen: »Hab' ich dich endlich?«
+
+Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als müßte sie ihm erwidern: »Ja,
+nun hast du mich ganz.«
+
+Und als der Pfarrer hernach das Jawort von ihr verlangte, sprach sie es
+so hell und deutlich, als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer
+Seite gestanden.
+
+Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch sie gedachte dessen, der in
+der Erde lag.
+
+Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut und Bräutigam vom Kruge aus,
+wo die Trauung begossen wird, ein jeder gesondert nach Hause fahren, um
+erst am zweiten Tage der Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen;
+aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, wie es jetzt immer
+üblicher wurde, gemeinsam den Weg zur Brautwohnung ein.
+
+Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. Er sprach nicht zu ihr und sah
+sie nicht an, aber wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine schlug,
+zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr angst und bange wurde. Und noch
+bänger wurde ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten Wagen die
+Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen hatte und deren Blick sie
+durch und durch stach.
+
+»Er wird mich mit seiner Liebe fressen,« dachte sie, »und die Alte mit
+ihrem Haß.«
+
+In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste gerichtet. Die Türrahmen mit
+Gewinden umgeben und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die Tische konnten
+all die guten Gerichte nicht fassen. Da gab es Rindfleisch mit Reis und
+Pflaumen mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und Neunaugen, gewürzt
+und gesäuert. Und noch vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar
+nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier und Alaus und Kirschen-
+und Kornschnaps -- alles sehr reichlich.
+
+Im Brautwinkel, wo neben dem jungen Paare die vornehmsten Gäste sitzen,
+stand sogar in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; der war aus
+Memel extra verschrieben.
+
+Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz wollte eine behagliche oder
+gar freudige Stimmung nicht aufkommen. Die Verwandten des Bräutigams
+hielten sich abseits von den Verwandten der Braut, giftige Blicke flogen
+hin und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt war, der sah mit
+Sorge, daß, wenn das Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden
+nachfolgen würden.
+
+Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch immer. Ihr Sohn habe was
+Besseres verdient, als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem könne
+es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen zu sein, bei der die
+Brauteltern, anstatt sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen.
+
+Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, den drohenden Sturm zu
+verscheuchen. Die gute Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre sie
+die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch der Alte auch sonst
+die Schätze seiner Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit und
+verteilte Handschuhe und Handtücher in Menge, selbst seidengewebte
+Jostbänder verteilte er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem
+Verstecke.
+
+Aber nichts wollte helfen. Die Magila, die Göttin des Zornes, saß schon
+im Rauchfang, und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, dann wehe!
+
+Die arme Marinke traute sich nicht mehr zu reden, zu lächeln, und der
+Jozup saß da mit eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten nach
+rechts und nach links, als wolle er bald dem, bald jenem stracks an den
+Hals.
+
+Und immerzu ging das Getuschel der Alten. Wie ein Messerstich hierhin
+und dorthin flog schon ab und zu ein häßliches Wort durch die
+eintretende Stille.
+
+Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann hätte sich wohl alles anders
+gestaltet. Er war ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich
+abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb.
+
+Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter den Gästen, aber der war
+noch sehr jung und besaß nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig
+zu machen.
+
+So konnte das Unheil weiter gedeihen.
+
+Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher Mann, der harmlos gekommen
+war, sich zu vergnügen, hob mit einemmal sein Glas und rief zu dem
+Brautvater hinüber: »Du -- prost auf die billige Hochzeit!«
+
+Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. Der alte Tamoszus
+sprang auf und wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf werfen, andere
+fielen ihm in den Arm, ein großes Lärmen hub an, -- das Schlimmste
+schien nun gekommen.
+
+Da geschah etwas, was niemand geahnt oder für möglich gehalten hätte.
+Wäre der Herrgott vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu stiften,
+keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt.
+
+Und es war ja auch eine Art von Herrgott, ein »Wieszpatis« war es, der
+sich selber bemühte.
+
+Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, die plötzlich herangebraust
+kamen? Wer kannte nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze und
+der rotsamtnen Troddel? Wer kannte nicht das Lacklederverdeck mit den
+silbernen Bügeln?
+
+Und wer kannte nicht den Mann, der fünf Fuß zehn Zoll hoch mit
+blitzendem Auge unter buschigen Brauen und auseinandergestrichenem
+dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen Polstern entstieg, um
+sich dann umzuwenden und einer Dame im seidenen Schleier und seidenen
+Mantel aus dem Innern zu helfen?
+
+Ja, wenn _der_ zur Hochzeit kam! Der und die Frau, die alle liebten, wie
+man einstmals die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß schön
+war, sondern in ihrem Gutsein sich auch zu den Demütigen neigte!
+
+Wenn _das_ geschah, dann gab es nicht Hadern mehr und nicht Hochmut.
+Dann gab es keine Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da wo der
+Rautenkranz und die silberne Krone hingehört hätten. Dann gab es nur
+Frieden und Glück und Geehrtsein.
+
+Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, erhoben sich stumm von
+den Sitzen, und so betraten beide suchend die Stube, in der sein Kopf
+die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz hätte aufrichten wollen.
+Auf den Brautwinkel gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich die
+Hand, die blutübergossen und stumm den Blick auf die Dielen geheftet
+hielt. Und auch den Jozup begrüßten sie -- glückwünschend, daß er solch
+eine Frau, deren Wert sie ja kannten, sich zu eigen genommen. Und dann
+begrüßten sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die Herrin,
+wechselte einen ernsten Blick mit der Mutter, den nur sie beide
+verstanden, und die Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte.
+
+Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und immer noch hübsche Frau war,
+drängte sich vor, um auch einen Gruß zu bekommen, aber die Herrschaften
+achteten ihrer nicht mehr, als ob sie ein Unkraut gewesen wäre.
+
+Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, oder vielleicht wußten
+sie gar nicht, daß eine Bräutigamsmutter noch da war.
+
+Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar gegenüber, und er, der
+Wieszpatis, zog einen Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. Der
+war innen mit Seide gefüttert, und auf der hellblauen Seide lagen
+silberne Messer und Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler und
+mehr. Das war sicher.
+
+Noch niemals hatte man jemand gekannt, dem zur Hochzeit solch eine Gabe
+beschert worden war.
+
+Und der Herr sagte: »Ihr alle sollt daraus erfahren, wie treu die
+Marinke mir einstmals gedient hat und wie hoch meine Frau und ich ihre
+Dienste heute noch schätzen.«
+
+Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn Litauisch konnte sie
+nicht: »Es muß ein besonderes Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie
+dem Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen dürfen.«
+
+Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn des Kindes war heute noch
+niemals von einem gedacht worden.
+
+Und die Herrin fragte: »Kann man es sehen, Marinke?«
+
+Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, wo die Wiege versteckt
+war, und brachte es angetragen in seinen rotbunten Kissen.
+
+Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und schaukelte es und sagte: »Ein
+hübsches Jungchen. Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn erinnere.
+Findest du nicht auch, John?«
+
+Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, da gewahrte er, daß die
+Augen der Marinke sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller
+Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, und darum nickte er nur
+bedächtig und nachsinnend vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein
+auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, nahmen die Herrschaften
+freundlichen Abschied und fuhren von dannen.
+
+Das Kind und das Silberbesteck aber gingen noch lange Zeit bei den
+Gästen von einem Schoß auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt und
+bewundert.
+
+Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und kichernd draußen herumlief,
+wollte von beiden nichts wissen.
+
+
+ 10
+
+Das Gehöft, das die Leute das »Wolfsnest« nannten, lag ein wenig abseits
+vom Dorfe und war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den fünfen,
+denen man Hochachtung schuldete. Aber man sah nicht viel davon, denn es
+war auf drei Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, daß man
+höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern sah.
+
+Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn verborgen. Und nur wer von
+der Landseite herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, die als
+Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall und Scheune bedeckten.
+
+Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst recht überrascht durch die
+schönen Maschinen, die auf dem Hofe der Reihe nach standen.
+
+Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem Stolze erfüllen,
+die auf Arbeit hielt und auf Ordnung.
+
+Die Marinke fand sich rasch in das neue Leben, und war sie von
+Kindesbeinen an fleißig und tüchtig gewesen, wie hätte sie's hier nicht
+sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand?
+
+Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter an, wenn sie vom
+Fenster der Altsitzerstube aus, bereit zu Tadel und Zank, das Wirken der
+Hausfrau verfolgte. Und sie hütete sich wohl, sich an ihr zu vergreifen
+oder den Sohn gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich auf
+günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit erschien und ohne Gruß
+aus und ein ging.
+
+Die Marinke kümmerte sich nicht viel um ihr feindseliges Benehmen, denn
+sie hatte ja Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen würde, wenn es
+zwischen ihr und der Alten zu offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht.
+Ob er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der Mutter würde er doch
+wohl nicht Unrecht geben, denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil
+sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen hatte. Der eine
+war Schutzmann in Berlin, und der andere stand kurz vor dem
+Versorgungsschein. Schreiben taten sie beide nicht mehr.
+
+Mit dem Jozup war's eine eigene Sache. Manchmal, wenn er dasaß und sie
+ansah halbe Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein Wort zu reden,
+und sie gleichsam aufzehrte mit seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann
+dachte sie innerlich schaudernd: »Das ist zu viel, das darf nicht sein,
+das geht wider Gottes Macht und Willen.«
+
+Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor allzugroßer Liebe und ihr nicht
+nahe zu kommen wagte, dann dachte sie wieder: »Das ist die Strafe, weil
+er sich an dem Jurris vergangen hat.« Bis er sich dann auf sie stürzte
+wie ein wildes Tier, so daß _sie_ nun zitterte vor seiner allzugroßen
+Liebe. Und manchmal dachte sie dabei: »Vielleicht ist er wirklich ein
+Werwolf und heißt nicht bloß so.« Aber dann warf sie die Furcht wieder
+ab und tröstete sich: »Das kommt bloß daher, daß er zu lange nach mir
+begehrt hat und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun kann er's noch
+immer nicht fassen.«
+
+Und dann war es ihr manchmal, als könnte sie ihn mit der Zeit auch
+wiederlieben. Aber ihr Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, wo
+der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab und zu an das Grab zu
+gehen, ihr wäre manches leichter geworden.
+
+Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine wilde Liebe. Ob es sein
+eigenes war oder nicht, darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und
+Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen Glauben zu lassen, denn sie
+wußte, wenn's anders käme, würd' es ihr schlecht gehn.
+
+Er nannte den Kleinen auch nicht »Jurris«, wie er getauft war, sondern
+»Wilkiutis« oder »Wilkytis«, was gar kein christlicher Vorname ist,
+sondern das »Wölfchen« bedeutet. Und er war ganz zornig, wenn die
+Dienstboten nicht taten wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen
+Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich brachte sie's auch nicht
+mehr übers Herz und nannte ihn immer bloß »Kindchen« oder auch
+»Liebling«.
+
+Der Kleine wuchs rasch heran und konnte gehen und sprechen, noch ehe das
+erste Ehejahr um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie der Wolf mit
+seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. Lag lang auf der Erde und
+ließ ihn klettern über sich her und hob ihn hoch in die Luft, und dann
+mußte er sehen, wie er von den Handflächen wieder herabkam.
+
+Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der Dämmerung zwei alte Leute
+und kuckten sich die Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und kuckten
+nicht minder nach der Marinke, ob ihr Leib noch immer nicht Spuren zeige
+von kommendem Segen, damit alsbald der Vertrag in Kraft treten könne,
+der ihnen den Enkel zurückgab.
+
+Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, obwohl der Alte die
+Vormundschaft hatte, und ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen.
+Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt und sich
+streicheln lassen von ihren verständigen Händen, aber um des lieben
+Friedens willen entbehrte sie auch das.
+
+Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde zu haben, hatten die Alten es
+auf sich genommen, den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen bei
+den Besitzern immer reihum fuhr, selbst zu kutschieren, wenn ihre Woche
+gekommen war. Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher an den Rand
+des großen Weges bringen, wo sie herrenlos standen, bis der Wagen sie
+auflud, und als die Alten sich dumm stellten und unter diesem oder jenem
+Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, da machte er kurzen Prozeß und trat aus
+der Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, als er selber nicht
+gerne mehr nach Augustenhof hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und
+vielleicht besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis nannte er nur noch
+»den Deutschen«, und das schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf dem
+Grunde des Schrankes und zehn Schichten Kleider darübergefliehen.
+
+Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen tot, und der Tag seines
+Sterbens kam heran.
+
+Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch nicht, kurz, um die Stunde,
+in der damals das alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle
+aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht Fische zu fangen. Er
+tat das sehr selten, denn den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und
+wie er die Marinke zum Abschied küßte, da war Triumph in seinem Auge, so
+daß sie sich dachte: »Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an
+seiner Gewalttat.«
+
+Und weiter dachte sie: »Soll der arme Jurris nun ganz allein da liegen
+und denken, ich hab' ihn vergessen?«
+
+Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf den Kirchhof, und der
+Vorwurf in ihr sprach lauter und lauter.
+
+Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg bei der Hand, denn es mußte ja
+aussehen wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie aber hinter den
+Erlen war und die Alte ihr nicht mehr nachblicken konnte, hob sie ihn
+auf den Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof zu, der wohl
+eine halbe Stunde entfernt lag.
+
+Das Grab war ziemlich verfallen. Frische Blumen lagen nicht darauf, und
+auch sie hatte ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie Blätter
+von den Ahornbäumen, und weil sie zufällig ein Knäulchen Zwirn in der
+Tasche hatte, machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu winden, die
+den Grabhügel der Länge und Breite nach festlich umrahmen sollte. Zeit
+hatte sie genug, und der Kleine grub artig im Sande.
+
+Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, und auch weil ihr hier an
+dem Grabe so wohl war.
+
+Sie sang:
+
+ »Dort unter den Linden
+ In jenem Grabe,
+ Da liegt und schlummert
+ Mein lieber Knabe.
+
+ Auf seinem Denkmal
+ Stehet zu lesen,
+ Wie schön und tapfer
+ Er einst gewesen.
+
+ Mit Blumen schmück' ich's
+ In jedem Lenze,
+ Sitz' auf dem Grabe
+ Und flecht' ihm Kränze.
+
+ Und ranke Grünes
+ Rings um die Kanten
+ Und pflanze Goldlack
+ Und Amaranten.
+
+ Und klag' und weine,
+ Weil sie den Knaben
+ Mir aus dem Brautbett
+ Gerissen haben.
+
+ Doch aus dem Herzen
+ Stiehlt ihn mir keine,
+ Und jeden Abend
+ Komm' ich und weine.«
+
+»Wenn _ich_ hier mit meinem Kinde an jedem Abend ein Stündchen sitzen
+könnte,« dachte sie, »ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern immer
+vergnügt sein.«
+
+Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit freute, da wurden mit
+einemmal vom Kirchhoftor Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und
+ein Klappern dabei -- das kannte sie wohl.
+
+Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind auf den Arm und ging der
+Schwiegermutter entgegen.
+
+Die schwang die Krücke und schrie: »So also bist du dem Jozup treu, du
+Allerweltsfrauenzimmer, daß du selbst mit den Gräbern buhlen gehst? Ohne
+Jungfernschaft bist du ins Haus gekommen, den Muturis« -- das
+Frauenkopftuch -- »hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht ich. Aus
+der Mistpfütze bist du gekrochen, und nicht eher werde ich ruhen, als
+bis ich dich dahin zurückgeprügelt habe.«
+
+Und sie schlug mit dem Krückstock auf die Marinke los.
+
+Die dachte nur daran, den kleinen Jurris zu schützen, der bitterlich zu
+weinen begann, weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, und ging
+davon ohne ein Wort der Erwiderung.
+
+Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich vor das Hoftor, um dem Jozup
+aufzupassen.
+
+Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe zurückkam, erzählte sie ihm
+alles. »So hat sie dich beseift,« sagte sie. »Nun strafe sie, wie sich's
+gebührt.«
+
+Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen und kämpfte lange mit sich.
+»Warum soll ich sie strafen?« sagte er dann. »Es ist besser, ihr Zeit zu
+lassen, damit das Andenken an jenen aussauern kann aus ihrem Gemüte.«
+
+»Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?« fragte höhnisch die Alte.
+
+»Weil ich ein Mann bin,« entgegnete er, »weiß ich, was ich zu tun habe.«
+
+Aber sie ließ ihm keine Ruhe. »Weiche Äpfel faulen bald,« sagte sie,
+»und wer bloß Krumen essen will, bricht sich am ehesten die Zähne
+entzwei. Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.«
+
+Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu schelten. Nur fernhalten
+tat er sich von ihr, und auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche
+lang.
+
+Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem Begegnen, denn jetzt hatte sie
+einen Grund.
+
+Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter schon einmal
+gehoben hatte, ohne daß ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es
+alsbald von neuem und fiel über sie her, allemal, wenn sie ihr nicht
+entweichen konnte.
+
+Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen und war auf nichts weiter
+bedacht, als den Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger
+angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr setzen. Und eines Tages
+-- nicht weit vom Herde -- riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand
+und warf sie gegen den hängenden Kessel, so daß ein wenig von dem
+kochenden Wasser herausspritzte.
+
+Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. Die Schwiegertochter habe
+sie geschlagen und verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die Blasen
+an Hals und an Händen. Und als der Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie
+auch ihm und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens nicht
+sicher.
+
+Da geschah es zum ersten Male, daß er sich an seinem Weibe vergriff. Er
+schlug sie nicht, wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, sondern
+warf sie schweigend über den Tisch und schüttelte und würgte sie, wie
+man mit einem bissigen Hunde tut.
+
+Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den kleinen Jurris auf den Arm
+und rannte in ihrer Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja jeder
+Verkehr verboten war.
+
+Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot und rief dann den Alten
+herbei. Der tat desgleichen, und als Marinke ihnen alles erzählt hatte,
+wollten sie sie sogleich bei sich behalten.
+
+Aber die Marinke willigte nicht darein. »Von hier holt er mich schon
+morgen vormittag,« sagte sie, »und wenn ich mich wehre, schleppt er mich
+womöglich an den Haaren zurück. Aber ich weiß jetzt, was ich ihm sagen
+werde, wenn ich auch nicht danach tun kann.«
+
+Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, ihr den Kleinen noch eine
+Strecke zu tragen, und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen
+Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren Armen Eiapopeia.
+
+Am nächsten Morgen wollte der Jozup schweigend von dannen gehen, aber
+sie hielt ihn zurück und sagte: »Ich habe es satt, mich schlecht
+behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der Himmel bisher nicht geschenkt,
+es hält uns also auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse
+Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd' ich dort nicht, und darum
+ist es das Beste, ich gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst du
+behalten.«
+
+Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand und entgegnete drauf: »Das
+Einzige ist, ich teile ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen
+fließt. Dann wird sie's vielleicht weitererzählen, aber im Hause wird
+Ruhe sein.«
+
+Da sagte die Marinke: »Gestern vor vierzehn Tagen war des Jurris'
+Todestag, und heute wird _mein_ Todestag, wenn du das tust, so wahr ich
+dein Weib bin.«
+
+Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache ihr Sinn unveränderlich war und
+daß er nie und nimmermehr daran würde rühren dürfen. Darum sagte er:
+»Ich werde nachsinnen, ob es ein anderes Mittel gibt.«
+
+Und die Marinke sagte: »Du kannst nachsinnen, soviel du willst. Ein
+anderes Mittel, als daß _sie_ aus dem Hause geht oder ich, wirst du
+nicht finden.«
+
+Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: »Sie hat mich vorgezogen,
+seit ich im Kinderkleid war -- sie hat die Brüder hinausgejagt, damit
+ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel von mir!«
+
+Und die Marinke erwiderte: »Ich verlange ja nichts.«
+
+An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube und blieb dort länger
+als eine Stunde. Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte herauskam,
+das Gesicht wie behonigt, und zu der Marinke sagte: »Setze meinen Teller
+auch auf den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, will ich fortan
+mit euch zusammen essen.«
+
+Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die Alte den Kleinen ihren
+»Putytis«, ihr Hähnchen, nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte,
+zog sie ihn rasch auf die Seite.
+
+Von diesem Tage an war die Wilkene wie umgewandelt, und niemand konnte
+wissen, wodurch es geschehen war.
+
+Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend im Erlengebüsch auf
+Marinke lauerte -- -- denn so war es jüngst ausgemacht worden --, sagte
+zu ihr: »Paß gut auf, daß sie nicht an den Herd kommt. Ich will mich
+rösten lassen wie Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das Kind
+zu vergiften.«
+
+Die Alte aber saß allabendlich am Rande des Sumpfteichs hinter dem
+Roßgarten, um Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, die
+nächstens ausgelegt werden sollten, und in der Dunkelheit kam sie mit
+Kräutern beladen nach Hause, die sie niemandem zeigte.
+
+Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei und dem Kalmus auch
+Wasserschierling in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten können, so
+viel Schierlingsstauden standen dort mit ihren weißlichen Schirmchen.
+
+Ja, die Marinke paßte gut auf.
+
+Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben gegen die Gicht, das hatte
+nichts auf sich, aber daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem
+Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische aß, das gab schon mehr zu
+bedenken. Und stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder zu
+wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich war.
+
+Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit wich die Marinke nicht von
+der Stelle. Kaum den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich
+wurd' ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn.
+
+Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit Zucker und Rosinen, da fiel
+ihr ein fremder Geruch auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der Jozup
+mochte wie viele den Kürbis nicht und kriegte was Anderes, die Alte aber
+bekam mit einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich Melissentee
+kochen, so daß nur sie selbst und das Kind noch übrigblieben, davon zu
+essen, denn den Leuten war schon vorher zugeteilt worden.
+
+Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab auch dem Kinde nichts,
+füllte aber, soviel sie konnte, in eine breithalsige Flasche und lief
+heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit sie nun tue, was not war.
+
+Und als der Freitagabend herankam, da sagte die Mutter: »Ich bin in
+Heydekrug gewesen beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht und
+gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn man's dem anzeigen wollte, wär' mit
+der Hälfte zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.«
+
+Die Marinke nahm den Zettel und ging zum Jozup. »Deine Mutter ist mir
+die rechte,« sagte sie.
+
+»Wieso?« fragte er und ließ die Halsbinde los, denn er zog sich eben die
+Kleider vom Leibe.
+
+»Weil sie mich hat vergeben wollen -- mich und das Kind.«
+
+Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten ersticken, und riß sich
+das Hemd am Halse entzwei.
+
+»Ich habe das Versprechen getan, dich niemals zu schlagen,« sagte er,
+»aber du machst es einem recht schwer.«
+
+»Hier ist der Zettel,« sagte sie.
+
+Er las den Namen des alten Settegast, den jeder ehrte weit und breit,
+und so rot, wie er gewesen war, so blaß wurde er nun. Und dann ließ er
+sich alles von ihr erzählen. Auch daß die Mutter Enskys die Probe zur
+Apotheke getragen hatte, verschwieg sie ihm nicht. »Straf mich, wenn du
+willst,« sagte sie, »aber das Kind mußt' ich am Leben erhalten,
+gleichviel, wer sein Vater ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich
+jetzt gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.«
+
+»Du und das Kind bleiben hier,« erwiderte er.
+
+»Gut,« sagte sie, »dann muß deine Mutter fort, oder ich zeige sie an.«
+
+»Du zeigst sie an?« fragte er, als ob er nicht recht gehört hätte.
+
+»So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.«
+
+Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und kam die ganze Nacht nicht
+mehr wieder. Auch am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, erst
+gegen Mittag trat er mit einemmal aus der Altsitzerstube. Er zitterte am
+ganzen Leibe und sagte: »Ich habe mit der Mutter gesprochen. Was sie
+jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals prophezeit und habe für
+alle Fälle mit den Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die Hälfte
+aller Einkünfte bekommen und sie dafür in Pflege nehmen, solange sie
+lebt. Siehst du nun wohl, wie lieb du mir bist -- du und das Kind?«
+
+Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte kaum einen Widerspruch zu
+leisten gewagt, denn sie wußte, die Anzeige drohte.
+
+Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der Jozup sie zur Bahn brachte,
+reckte sie noch einmal den Krückstock nach der Marinke und schrie ihr
+den schwersten Fluch an den Hals: »Mag der Perkuhns dich treffen nach
+Bartholomä!«
+
+Und da es bis zum nächsten Bartholomä noch lange hin war, verbesserte
+sie sich: »Nein, noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich
+treffen.«
+
+Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in die Weite, dorthin, wo kein
+Litauergott mehr donnert.
+
+
+ 11
+
+Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man glückliche nennen.
+
+In Marinkes Herzen wurde das Bild des Jurris allmählich blasser und
+blasser. Da eine Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte sie manches
+liebe Mal nach seinem Grabe sehen können, aber es drängte sie nichts
+mehr dorthin.
+
+Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler heran, der sich die Butter
+vom Brote nicht nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen bis zum Abend
+in die Welt hinauskrähte.
+
+Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn darin zu bestärken, und wenn der
+Junge recht unartig war, sagte der Vater: »So ist's gut, mein
+Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.«
+
+Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe zur Weide führen und setzte
+ihn jedem Tier auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit vier Jahren
+ritt er bereits auf der bockigen Schimmelstute, und die war auch sonst
+nicht die frömmste.
+
+Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger zwischen den beiden, und als
+der fünfte Frühling herankam und die künftige Schulzeit schon drohte, da
+nahm der Jozup ihn morgens sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die
+Lenkstange der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen Zipfel des
+Säelakens zu tragen und meinte: »Das muß das Erste sein, was ein
+Wirtssohn erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und Rechnen.«
+
+Ein Glück war's -- ein unaussprechliches und nie besprochenes --, daß
+noch immer kein Zeichen sich meldete, der kleine Jurris werde ein
+Brüderchen oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade so, als ob der
+Himmel selbst darüber wachte, daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand
+und Ruhe allmählich einkehrte.
+
+Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich zwei alte Leute auf ihren
+Knieen und flehten zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam in
+die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn und Erben zurückgeben.
+
+Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. Die Marinke mochte sich
+noch so sorgsam verstecken, die Dienstleute trugen es doch hinaus, und
+bald wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes war.
+
+Der Jozup ging umher wie ein Wüterich und erklärte, wer ihm den Knaben
+nehmen wolle, den schieße er nieder.
+
+Aber als die beiden Enskys von seinen Reden hörten, da lachten sie nur,
+denn sie hatten es schriftlich.
+
+Und eines Tages waren sie dreist genug und erschienen beide im Hoftor.
+
+Die Marinke, die im achten Monat war und nur noch leichte Gartenarbeit
+verrichten konnte, saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten
+unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die aber hatten sie wohl gesehen
+und wollten gerade in den Garten einbiegen, da stießen sie auf den
+Jozup, der eben aus dem Hause trat.
+
+»Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?« sagte er ihnen zum Gruße.
+
+Die Großelternliebe war stärker in ihnen als jegliche Angst, und obwohl
+der Alte sich ein wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit
+hatte er doch, um zu sagen: »Ich würde an deiner Stelle versuchen, dich
+mit uns zu verständigen, denn vor den Behörden bist du ja machtlos.«
+
+Da dachte er nicht anders, als sie würden wohl mit sich handeln lassen,
+und lud sie ein, in die Stube zu treten.
+
+Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine bestanden und nur
+Gewißheit haben wollten, wann sie das Kind heimholen könnten.
+
+Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: wie sich den Sohn erhalten,
+an dem seine Seele hing. Für einen Augenblick stieg wohl der Wunsch in
+ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, das ihn mit dessen Leben verband,
+aber er warf ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen wohl
+erkannt, daß, wenn die Marinke, mochte sie sonst noch so weich sein, zu
+einer Sache entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon abbringen
+konnte.
+
+Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen -- das wollte er doch nicht.
+
+In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin und her, ob nicht ein
+einziger Grund sich finden ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich
+für immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein anderer ein als der, mit
+dem er sein Weib nun schändete.
+
+»Jurris habt ihr ihn ja genannt,« sagte er, »aber was wißt ihr, ob er
+wirklich dem Jurris sein Kind ist?«
+
+Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände zu ihm auf, als wollte sie
+ihn anflehen, den Schlag _nicht_ zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte.
+Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und schrie immerzu: »Wer ist es?
+Wer ist es? Wer ist es?«
+
+Und er -- mehr aufs Geratewohl, als weil er sich eines bestimmten
+Verdachtes bewußt war -- entgegnete dieses: »Nun -- es kann ja zum
+Beispiel -- der -- Wieszpatis gewesen sein. Nicht umsonst hat er Kinder
+sitzen weit und breit -- und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf dem
+Hofe gewesen.«
+
+Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom Blitze getroffen, der Alte aber
+rannte spornstreichs hinaus und in den Garten -- dorthin, wo die Marinke
+vorhin gearbeitet hatte.
+
+Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn sie dachte, der Jozup
+wolle dem Alten zu Leibe, da schrie er auch schon: »Nun ist es heraus,
+du Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. Und das Kind ist von
+ihm. Gesteh, daß das Kind von ihm ist!«
+
+In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht anders, als es sei durch
+ein Unglück alles ruchbar geworden, was sie sich selber kaum eingestand,
+und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete sie: »Wenn du es
+weißt, warum fragst du mich erst?«
+
+Da rannte er spornstreichs zurück und schrie es durch Garten und Hof:
+»Sie hat gestanden, daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es eben
+gestanden.«
+
+Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde so gelb wie die Asche im Eimer.
+Er nahm den Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. Dort gab
+er ihm noch einen Stoß mit dem Absatz und überließ ihn seinem weinenden
+Weibe. Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem Leibe
+mühsam aus dem Garten kam.
+
+Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei er der Henker. Aber da sie
+wußte, daß nichts auf der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, so
+gab sie sich drein.
+
+»Geh ins Haus,« sagte er und blieb ihr dicht auf den Hacken.
+
+Dann peitschte er die Mägde hinaus, die ängstlich um die Feuerstätte
+standen, und folgte ihr in die Stube.
+
+Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach war sie geworden, und seine
+Augen stachen nach ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit.
+
+»Also wie war das mit dem Wieszpatis?« fragte er ganz freundlich.
+
+»Wie wird's gewesen sein?« sagte sie. »Er war doch der Herr, und ich war
+die Magd. Und wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, dann hat er
+gesagt, ich gefall' ihm.«
+
+»Und das ging so die ganzen Jahre lang?«
+
+»Solang' ich die Meierei unter mir hatte, wird's wohl gegangen sein.«
+
+»Und als du merktest, daß du ein Kind von ihm trugst, da suchtest du dir
+den Jurris als Vater dazu?« fragte er immer noch freundlicher.
+
+Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das war anders.« Und nun berichtete sie
+ihm der Wahrheit nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal nach
+Augustenhof hatte hinkommen lassen -- der Jozup selber war ja Vermittler
+gewesen -- und wie sie allein hatte fahren müssen, weil der Jurris nicht
+war zu finden gewesen. Da hatte der Herr gesagt: »Wir wollen nun
+Abschied feiern, Marinke.« Und sie hatte gebeten und gefleht: »Ach
+lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.« Aber er war ja der Herr, und sie
+hatte ihm schon so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm auch
+diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von daher war alles Unglück
+gekommen.
+
+Er sagte: »Ich habe das Gelöbnis getan, dich nicht zu schlagen. Und das
+ist dein Glück, sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser Stube
+kommen. Auch sollst du mir zuerst einen Sohn zur Welt bringen, denn das
+bist du mir jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen werde, das weiß
+ich noch nicht. Aber ich rate dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt
+hast, den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn ist Hurensohn. Und
+kommt er mir in den Weg, so schmeiß' ich nach ihm mit allem, was ich
+grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.«
+
+Die Marinke hob die Arme nach ihrem Manne auf und weinte und bat: »Wo
+soll ich hin mit ihm in meinem Zustand?«
+
+»Das geht bloß dich an,« entgegnete er und schritt aus der Türe.
+
+Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm drein, um den Kleinen vor
+ihm zu sichern, der wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. Und sie
+fand ihn auch glücklich und wartete ab, bis der Weg frei war, dann zog
+sie ihn rasch in die Klete.
+
+»Hole mir Betten für mich und das Kind,« sagte sie zu der Hausmagd,
+»denn hier werd' ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.«
+
+Und der Kleine schrie nach dem Vater, er wolle hinaus und mit ihm
+spielen, wie er's gewohnt war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus Furcht,
+der Jozup möchte eindringen und mit ihm tun, was er gedroht hatte.
+
+In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen Jurris wohl vierzehn Tage
+auf und traute sich nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten gut
+für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche Herrin gewesen.
+
+Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er an der Klete vorbeiging,
+schüttelte er die Faust nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus,
+wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört.
+
+Er nannte sein Weib eine »Klorke«. Und »Szunjôda« und »Pajudêle« nannte
+er sie. Das sind Namen, die man am besten ins Deutsche nicht überträgt.
+
+Und drohen tat er ihr auch und immer aufs neue. Sie konnte das Fenster
+noch so fest schließen, sie hörte und verstand ihn in allem. »Denke nur
+nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein Täubchen, weil ich das
+Gelöbnis getan habe, dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand
+kommen lassen, der wird das alles statt meiner besorgen. Der wird dir
+mit der Bratpfanne den Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten
+streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben wirst, heute feiern wir
+Ostern.«
+
+Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und dachte: »Wer mag es nur
+sein, den er meint?« Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben
+konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden.
+
+Am allermeisten hatte sie Angst um den Knaben, dem der Jozup Tag für Tag
+ans Leben gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit sich verkürzte,
+wurde die Unruhe größer in ihr, daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn
+aufpassen konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war.
+
+
+ 12
+
+Eines Nachmittags -- es war zu Ende August, und die Leute arbeiteten
+draußen im Grummet --, da sah die Marinke durch das Fenster der Klete,
+daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, sich einen Korb mit Essen und
+Trinken aufladen ließ und davon fuhr.
+
+Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen die Sonntagskleider an und
+schmückte sich selber, so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte sie
+sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war die einzige, die auf dem Hofe
+geblieben war. Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben habe,
+sondern sagte nur im Vorbeigehn: »Ich will jetzt den Kleinen wegbringen.
+Erzähle dem Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht nicht zu Haus
+bin.«
+
+Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch fortgehen wollte, so
+wußte sie doch nicht, wohin. Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach.
+
+Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, wenn Leute ihr
+entgegenkamen, denn das Geschehene war ja längst allen bekannt; aber
+jeder grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr sprach.
+
+Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen wollte, in dem sie so
+glückliche Tage verlebt hatte, da überfiel sie der Jammer, so daß sie
+sich weinend auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme sprach in ihr:
+»Kehre an! Vielleicht daß die Mutter dich nicht fortweist und einen Rat
+für dich hat!«
+
+Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß der Alte auch auf dem Felde
+war und die gute Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte.
+
+Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß und sagte: »Da ist er nun, um
+den wir Jahre und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, so hübsch
+wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch zu uns gehören.«
+
+Und sie küßte ihn und sagte weiter: »Wenn der Jurris noch lebte, der
+würde es nie erfahren haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes.
+Weiß Gott, mir wär' es gleich! Ich würd' ihn auch weiter liebhaben,
+schon weil er von dem Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will
+nicht. Der spuckt aus.«
+
+Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und bat: »Sag, Mutter, was soll
+ich tun?«
+
+Und die Enskene erwiderte: »Es ist doch ein Vater da. Der muß sich jetzt
+kümmern.«
+
+Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie hatte sie daran gedacht,
+daß sie dem Wieszpatis mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe.
+
+Und die Mutter Enskys fuhr fort: »Wenn er erfährt, daß sein Fleisch und
+Blut ganz und gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so wird er es zu
+sich nehmen. Denn nicht umsonst sagen alle, daß er ein guter Mann ist
+und ein gerechter Mann.«
+
+Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit kam über sie. Beinahe wäre
+sie von der Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die Mutter Enskys
+hielt sie fest und sagte: »Daß es dir schwer fällt, kann man sich
+denken. Es trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, darum kannst
+du gleich mit dem Milchfuhrwerk mitfahren, das der Hütejunge
+kutschiert.«
+
+»Aber bei den andern anhalten, wenn er die Kannen einsammelt, das bring'
+ich nicht übers Herz,« sagte die Marinke.
+
+Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig sein würde, der Junge könne
+ja erst die Runde machen und sie dann abholen kommen.
+
+Und so geschah es.
+
+Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen auf Augustenhof eintraf.
+Der Schweizer in der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie kümmerte
+sich nicht um ihn, sondern nahm den kleinen Jurris bei der Hand und
+schlug den Weg zum Herrenhause ein.
+
+Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich in den Garten läuft, schlug
+ihr das Herz so sehr, daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen zu
+müssen, und als sie gar lachende Stimmen auf der Veranda hörte und
+milchfarbene Windlichter sah, da war es vollends mit ihren Kräften zu
+Ende.
+
+»Wer ist da?« hörte sie die Stimme des Herrn.
+
+Und da sie nicht zu antworten vermochte, sagte er weiter: »Sieh doch
+einmal nach, Agnes, wer da ist.«
+
+Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen herab -- sollte das wirklich
+die Agnes sein? -- und fragte: »Was wünschen Sie?« Und da sie noch immer
+nicht antwortete, rief das Mädchen hinauf: »Eine Frau ist da mit einem
+Kinde, aber sie spricht nichts.«
+
+Da kam er, der Herr, selber die Treppe herab. Und sie neigte sich vor
+ihm und küßte ihm den Ärmel.
+
+»Ich kann nicht recht sehen,« sagte er. »Bist du etwa die Marinke?«
+
+Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: »Die bin ich.«
+
+»Komm herein,« befahl er und schritt ihr und dem Kinde voran die Stufen
+empor, an lauter Herrenleuten vorbei -- jungen und alten --, es waren
+deren mindestens sechs oder sieben. Sie erkannte die gnädige Frau, der
+küßte sie rasch noch die Hand, und dann ging sie durch die Sommerstube
+und den Saal und den mittleren Korridor immer hinter ihm her, und der
+Kleine war tapfer und quarrte nicht im geringsten.
+
+Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, das am Giebelende gelegen war
+und drei Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und eine zum
+Korridor hin, durch die sie nun eintraten.
+
+Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch nie gesehen hatte, denn
+damals war es Petroleum gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an dem
+sie Sonnabends immer Rechnung gelegt hatte, und das Ruhebett in der
+linken Fensterecke stand auch noch da. Und alles war überhaupt, als sei
+sie nie weg gewesen.
+
+Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt und betrachtete sie lange,
+aber von dem Kinde, das sie erwartete, und auch von dem, das sie an der
+Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann so: »Es hat mir leid getan,
+Marinke, daß dein Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt hat.
+So sind wir ganz außer Verkehr gekommen, und ich weiß nichts mehr von
+dir. Du hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich gewandt, und
+das passiert mir in ähnlichen Fällen eigentlich niemals. Ich will nicht
+sagen, daß ich dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich kann,
+helf' ich gerne. Aber nun setz dich hin, denn du wirst müde sein, und
+sage, was führt dich her?«
+
+Sie dachte bloß immer: »Und sein Kind sieht er nicht an.«
+
+Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante des Ruhebetts setzte und
+das Kind zwischen die Kniee nahm, da sah er es doch.
+
+»Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,« sagte er und streckte von
+seinem Schreibstuhl her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen
+lockt.
+
+Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich nur um so enger an sie.
+
+»Wie werd' ich's ihm bloß sagen?« dachte sie. »Das Beste wird sein, ich
+geh' wieder weg, wie ich gekommen bin.«
+
+»Nun also, Marinke, erzähle.«
+
+»Ich hab' nichts zu erzählen, Ponusze.«
+
+»Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es schwer fällt, nicht einen so
+weiten Weg. Also sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder möcht' er
+bauen oder sonst was? Ich geb', was er will, denn ihr seid mir sicher.«
+
+»Mein Mann braucht keine Hypothek,« sagte sie, »und bauen möcht' er auch
+nicht, aber es ist 'rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen ist,
+Herrchen, und mir.«
+
+Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz nach ihr um, so daß es
+knarrte, und machte sich ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf
+ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel hart auf ihn herab.
+
+»Er ist ganz grau geworden,« dachte sie. Und nun sah er vollkommen so
+aus, als wär' er der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger
+Herrgott sah er aus.
+
+»Nur du und ich haben's gewußt,« herrschte er sie an, »und von mir hat's
+keiner erfahren.«
+
+Sie hätte nun sagen müssen: »Von mir auch nicht,« aber ihre Angst vor
+ihm war so groß, daß sie sich keine Antwort getraute.
+
+»Ich werd' denn man gehen,« sagte sie und versuchte aufzustehen. Aber
+sie war so schwach, daß sie wieder zurückfiel.
+
+Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen war. Die geschliffene
+Karaffe stand immer noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr ein
+Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, aus dem sie manches liebe
+Mal hatte naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der wollte erst
+nicht, aber was ihm in die hohlen Händchen geschüttet wurde, das nahm
+er.
+
+»Nun laß uns vernünftig reden,« sagte der Herr, »und erzähl alles.« Aber
+sie konnte nicht. Sie saß bloß so da und sah vor sich hin.
+
+»Marinke,« sagte der Herr, »du bist einmal die Freude meiner Feierabende
+gewesen, und ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen großen Stein
+bei mir im Brett. Denk daran und faß dir ein Herz.«
+
+Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: »Das Kind hier ist _Ihr_
+Kind, Ponusze.«
+
+»Ei der Deiwel,« sagte er und lachte hellauf, »das ist ja ganz was
+Neues.« Dann nahm er den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die
+Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. »Wie gesagt, stramm ist
+er. Wenn er sich auswächst, kann er mir schon ähneln. Denn das weißt du
+ja, sie ähneln mir alle.«
+
+Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten fünf oder sechs auf dem Hof.
+Wenn man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie der andere.
+
+Und er fuhr fort: »An sich wär's also schon möglich. Aber ich denk', es
+ist deinem ertrunkenen Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich weiß, hat
+er ja auch den Namen.«
+
+»Das ist richtig,« entgegnete sie, »aber von dem ist er nicht. Und von
+meinem jetzigen Mann ist er auch nicht.«
+
+»War der denn auch dabei?« fragte er, und sie konnte nicht anders als Ja
+sagen.
+
+»Du -- das ist aber ein bißchen reichlich,« rief da der Herr und wußte
+vor Lachen sich nicht zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh!
+
+Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. Aber die Marinke
+sah ein, daß sie in der fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde,
+wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das mußte sie jetzt tun, denn er
+allein konnte sie verstehen, und es drückte ihr längst schon das Herz
+ab.
+
+Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, wie alles gekommen war. Er
+hörte ihr aufmerksam zu und wurde ernster und immer noch ernster.
+
+Mitten darin griff er mit der Hand nach dem Kleinen und hob ihn sich auf
+das Knie. Und der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und lutschte
+still weiter.
+
+Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den Wuschelkopf und setzte ihn
+sacht auf die Erde. Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er mußte die
+Beine freikriegen zum Rumgehen, denn das tat er immer, wenn ihm das Herz
+von irgend was voll war.
+
+Er ging und ging, und dann klingelte er und sagte dem eintretenden
+Mädchen: »Man soll nicht auf mich warten -- ich habe zu tun.« Einst war
+sie selbst dieses Mädchen gewesen, und oft hatte er dasselbe zu ihr
+gesagt. Und dann ging er immer noch länger.
+
+Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: »Wie wirst du nach Hause
+kommen?«
+
+»Der Enskyssche Milchwagen wartet auf mich,« entgegnete sie.
+
+Der große Augenblick war nun da. In ihm mußte das Schicksal des Kindes
+sich entscheiden.
+
+»Die Enskene hat gemeint,« stotterte sie, »weil es doch dein Fleisch und
+Blut ist, Herrchen, und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest du es
+vielleicht in Pflegschaft nehmen und es großziehen lassen auf deinem
+Hofe. Von Instleuten wohnen ja bei dir so viele.«
+
+Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm erbitten wollen, aber
+jetzt, da sie das vornehme Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte
+sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen war.
+
+»Du vergißt, Marinke,« sagte er, »daß da draußen die gnädige Frau sitzt,
+der ich Rechenschaft schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald auch ihr
+zu Ohren kommen, und dann gäbe es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem
+Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu kommen, war schon zu viel,
+aber ich mochte es ihr nicht abschlagen -- auch um deinetwillen nicht,
+Kind, weil du so außer jedem Verdacht bliebst. Kommt's nun aber heraus,
+dann ist jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie wieder gutmachen
+kann.«
+
+Die Marinke verstand nicht recht, was er meinte, aber daß ihr Verlangen
+eine Vermessenheit war, das wußte sie nun.
+
+»Ich werd' denn man gehn,« sagte sie zum zweiten Male. Diesmal fiel sie
+nicht von selbst zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter gefaßt
+und festgehalten, so daß sie das Aufstehen vergaß.
+
+»In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier bin,« sagte er, »ist kein
+Fremder ohne Trost aus dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr
+gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht hinausschicken?
+Das geht nicht, Marinke, wenn ich dir auch leider was Anderes als Geld
+nicht zu bieten hab'.«
+
+»Ich will kein Geld!« stieß sie hervor.
+
+»Verachte das Geld nicht,« ermahnte er sie. »Denn es macht die Bösen gut
+und die Harten gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von mir hat
+oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, tausend Taler mit auf den Weg.
+Und noch keine hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine Mitgift
+geben, dreimal so groß, so daß er als ein wohlhabender Erbe gelten kann,
+und du wirst sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.«
+
+Damit setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb einen
+Schenkungsbrief über zehntausend Mark, und noch vieles andere schrieb er
+dazu, wie die Zinsen zu erheben seien und wie das Kapital einst
+ausgezahlt werden sollte. Das unterstempelte er mit dem Stempel des
+Amtsvorstehers, dessen Dienst er selber versah, und reichte es der
+Marinke.
+
+Die dachte bloß immer das eine: »Aus mir kann nun werden, was will. Das
+Kind ist fürs Leben geborgen.«
+
+
+ 13
+
+Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen auf dem Enskysschen Hofe
+einfuhr, saß die Mutter gerade so wartend im Mondschein wie an jenem
+Abend vor sechs Jahren, von dem alles Unglück seinen Ursprung hatte.
+
+»Der Vater ist schon lange zur Ruhe,« sagte sie, »drum komm herein und
+stärke dich.«
+
+Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle genau so wie damals und aß
+und wußte nicht, was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter.
+
+Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen.
+
+Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche und reichte ihn ihr.
+
+Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht und ließ sich die Summe
+immer wieder von neuem sagen, bevor sie sie glaubte.
+
+»Aber dann ist ja alles gut,« sagte sie, »und dann will ich erst mal den
+Vater wecken.«
+
+Die Marinke hatte Angst, der Alte würde sie und das Kind sofort zur Tür
+hinausweisen, aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und ging damit
+nach der Stube.
+
+Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder da war, und hinter ihr in
+Hosen und Hemd, die Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen
+-- wie ein Wiesel kam er gesprungen -- und bot der Marinke den Willkomm
+und klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte ihn selber ins
+Bettchen tragen, denn Kinder müßten mit den Hühnern zur Ruhe.
+
+Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. »In was für ein Bettchen?«
+fragte sie.
+
+»Nun, das für ihn bereit steht schon seit Jahren.« Und er habe immer
+gesagt, das mit dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. Das habe
+der Jozup sich ausgedacht, um ihn und die Mutter zu täuschen. Und nun
+sei es offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr Westphal so viel
+bares Geld nicht aus, sonst wäre er längst schon ein Bettler.
+
+Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden wollte, stieß die Mutter
+sie an und sagte ihr leise: »Laß ihn nur immer. Er redet sich's ein und
+wird's auch den andern einreden -- und so ist's am besten.«
+
+Da gedachte die Marinke der Worte, die der Herr zu ihr gesprochen hatte,
+ehe er die Schenkung niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine nun
+wirklich die Heimat gefunden hatte noch am heutigen Abend.
+
+Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, denn sie wußte
+wohl, daß es zum letzten Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über
+ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen des Kreuzes und ging vor die
+Haustür.
+
+Dort standen die beiden und warteten ihrer.
+
+»Ach, möchten sie mich doch einladen, bei ihnen zu bleiben!« dachte die
+Marinke. Aber sie taten es nicht. Wie konnten sie auch!
+
+»Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,« sagte der Alte, »denn ich bin
+der Vormund.«
+
+Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke ins Dunkel hinein und
+sagte zum Abschied: »Ich bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig
+Jahr' hab' ich gewiß noch. Und so lange wird es ihm gut gehn, das weißt
+du.«
+
+Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr mit Tränen.
+
+»Was wird aber mit dir werden?« fragte die Mutter.
+
+»Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,« sagte die Marinke und ging
+von ihr fort ...
+
+Der Mond stand hoch -- es war schon ein Herbstmond --, aber die Luft
+wehte warm wie im Juni.
+
+Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, überkam sie ein Schaudern.
+Der Hofhund würde bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf würde
+der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, hinausrufen: »Wer ist da?« Und
+wenn sie dann sagte: »Ich bin es -- ich, die Marinke,« dann würde das
+Schimpfen losgehen -- Klorke und Szunjôda und Pajudêle und alles, womit
+er sie sonst noch traktierte.
+
+Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. Niemand paßte ihr auf. Sie
+konnte die Nachtstunden nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo sollte sie
+sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat hatte sie nicht. Da fiel der
+Kirchhof ihr ein, auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. Wie eine
+Erleuchtung kam es da über sie.
+
+Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an den Morgen, das war es, was
+ihr jetzt fehlte. Da sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie
+keiner anschreien und schimpfen.
+
+So schlug sie also den Weg zum Kirchhof ein, den sie beinahe vergessen
+hatte.
+
+Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht zu finden, denn ringsherum
+hatte manch neuer Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren auch
+höher geworden. Aber schließlich unterschied sie es doch und setzte sich
+auf den Hügel, dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich
+begrünte.
+
+Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die Eltern errichtet. Der war
+inzwischen schon wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der Tafel
+schien blaß und von Regen verwaschen, soviel man im Mondschein erkannte.
+
+»Bald werden sie ihn alle vergessen haben,« dachte sie, und ihr
+schien's, als sei sie ihm doppelt und dreifach untreu gewesen. Oft hätte
+sie Zeit gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte danach gefragt.
+Trotzdem fand sie erst heute den Weg hierher, wie man verlassene Freunde
+nicht früher aufsucht, als wenn man nicht aus und nicht ein weiß.
+
+»Ach wenn ich doch ein bißchen weinen könnte!« dachte sie, aber sie
+hatte heute schon zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar nicht so
+schmerzhaft zumute. Nur müde war sie. Darum lehnte sie das abgerackerte
+Kreuz gegen den Pfosten und dachte: »Hier möcht' ich einschlafen.«
+
+Und das tat sie auch wirklich. Aber bald weckte der Nachtwind sie
+wieder. Sie lag nun mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht mehr
+aufstehen.
+
+Es war eine große Stille ringsum, nur die harten Baumblätter rieben sich
+ab und zu aneinander, und in dem Grase raschelte es, wenn irgend ein
+Getier sich bewegte.
+
+Sie dachte an alle die Geister, die auf so einem Kirchhof zur Nachtzeit
+ihr Wesen treiben, aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn
+unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, und der hätte sie schon
+beschützt.
+
+Über diesem Gedanken schlief sie von neuem ein, und ihr war im Traume
+fortwährend, als stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. Aber
+wie sie wieder einmal erwachte, merkte sie, daß es nur der Wind gewesen
+war, und da tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief.
+
+»Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,« dachte sie. Da kam das Schaudern
+wieder, das sie auf dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt
+hatte.
+
+»Was soll ich eigentlich dort?« dachte sie weiter. »Sobald er mich
+sieht, wird er mich quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, ob
+ich ihnen noch was zu befehlen hab'. Hier gehör' ich her. Zu meinem
+Jurrischen. Hierher auf den Kirchhof.«
+
+Und sie beugte sich zur Seite und küßte das Grab, aber ihr kam davon nur
+Sand zwischen die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender Zeiten.
+
+»Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,« dachte sie. »Denn ich bin
+für ihn gar nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die Gimdywe -- die
+Gebärerin -- bin ich ihm noch. Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen
+anstatt des anderen, das er verstoßen hat, und dann kann ich abgehen. Er
+wird schon dafür sorgen, daß sie mich bald hierher auf den Kirchhof
+fahren.«
+
+Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten gleich hier.
+
+Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, die er ihr zugefügt
+hatte seit jenem Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an alle die,
+die er ihr noch zufügen würde -- er und der Helfer, mit dem er drohte.
+
+Und sie sagte zu sich: »Nun hab' ich ihm umsonst prophezeit, daß ich ins
+Haff gehen werde, wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn was er
+jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist ebenso schlimm wie das, was
+sie damals zu erzählen gehabt hätte.«
+
+Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig wurde, überfiel sie
+plötzlich ein Erschrecken, so furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe
+sprang und wie eine Unvernünftige drum herumlief.
+
+Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich kommen lassen wollte, niemand
+sonst als die Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin dann?
+
+Sie rannte nach rechts und rannte nach links, als wollte sie ihr
+entrinnen, und wußte doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es gewiß
+zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut mehr. Wenn das noch zu
+fürchten gewesen wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt.
+
+Da war es ihr, als sagte eine Stimme: »Er _hat_ sie ja gar nicht
+zurückgeholt.«
+
+Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. Entweder er schwebte um sie
+herum, oder sie hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von seinem
+Sarge aus zu ihr redete.
+
+Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf die Knie, wühlte die Stirn in
+den Sand, um ihm näher zu sein, und bat und flehte: »Ach hilf mir doch,
+Jurrischen, hilf mir doch!«
+
+Und die Stimme sprach weiter: »Gewiß hat er dir nur Angst machen wollen,
+wie man kleine Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist sonst gar
+nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt schon über fünf Jahr, und du
+bist so zufrieden mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen hattest.
+Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse bin. Nein, ich bin dir nicht im
+mindesten böse. Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab' ich hier
+stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen kommst, das tut mir weh. Nun aber
+gehe getrost wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, die Gott
+der Herr dir gesetzt hat. Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen,
+und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen lassen. Und wenn er sieht,
+wie treu du ihm dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum Guten
+wandeln, und alles wird werden, wie es noch jüngstens war.«
+
+So sprach der Jurris aus seinem Grabe, und sie hörte begierig darauf.
+
+Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte sich bereit, nach Hause
+zu gehen. Diesmal wandelte kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war
+wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen zu können. Wenn nur das eine
+nicht kam, wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, nicht kam, dann war
+alles gut! Von ihm selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie
+kränkte.
+
+Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender Körper zur Seite
+gedrückt hatte, zog die Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar
+ein Vaterunser.
+
+Dann machte sie sich auf den Heimweg.
+
+Über dem schwarzen Forst, der den Osten begrenzte, erhob sich bereits
+ein gelblicher Streif. Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen
+zwitscherten schon.
+
+Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. Darum bellte der Hund
+auch nicht, der sie von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem
+Schweife gegen die Hüttenwand.
+
+Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen wollte, gewahrte sie,
+daß in der Kleinen Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und
+drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, wo er mit dem Giebel
+zusammenstößt.
+
+Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, da hörte sie aus dem
+Innern zwei Stimmen.
+
+Die eine gehörte dem Jozup, die andere aber -- vier Jahre hatte sie sie
+nicht mehr gehört, und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu
+müssen.
+
+Sie war also _doch_ gekommen, die Wölfin! Für sie hatte er heute den
+Spazierwagen angespannt, sie von der Bahn abzuholen, und die Magd hatte
+geschwiegen -- aus Mitleid.
+
+Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie nicht, das Elternhaus wollte sie
+nicht, der Wieszpatis wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe
+wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit List und mit
+Täuschung.
+
+Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und rannte und rannte -- ohne Sinn
+und Verstand -- so rasch ihr Körper es zuließ.
+
+Bloß weg! -- Weg aus dem Hause! Weg aus dem Leben! Weg -- weg -- weg!
+
+Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue Wasser und die
+schaukelnden Kähne. Und der Schuppen des Jurris war auch da.
+
+Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs Haff hinaus -- -- -- -- -- --
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+
+ 14
+
+Am Morgen desselben Tages segelte in drei Mittelbooten eine
+Trauergesellschaft aus der Richtung von Karkeln her nordwestlich nach
+der Nehrung hinüber.
+
+Es waren Männer und Frauen aus dem Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer
+Niddnerin, die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett hatte dran
+glauben müssen, das Geleite gegeben.
+
+Da der junge Witwer, um die Heimgegangene zu ehren, ein großes Begräbnis
+ausgerichtet hatte, so war die Nacht hindurch getanzt und getrunken
+worden, und alle befanden sich noch in der heitersten Stimmung.
+
+In dem ersten der Boote saßen die Eltern der Toten. Die freilich
+verhielten sich ruhig, aber sie freuten sich doch, daß die anderen so
+lustig waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man ihres Kindes
+lange und gern gedenken würde.
+
+Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem länglichen Bündel, das die Alte
+vorsichtig in den Armen wog, während ihr Mann achtgab, daß die untere
+Kante des schlagenden Segels in guter Entfernung darüber hinstrich.
+
+In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft ihres Kindes, der
+Säugling, den sie mit sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn
+aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch nirgends zu finden gewesen,
+aber ob sie sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr zu
+bezweifeln.
+
+Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an dem Lutschpfropfen, in dem
+gekaute Semmelkrume mit geriebenem Zucker gemischt war, und wenn es zu
+schreien begann, bekam es Fenchelwasser zu trinken, wovon man auch nicht
+sehr satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht vertrug, so lag die
+Gefahr nicht sehr fern, daß es kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen
+würde, aus der es eben gekommen war.
+
+Aber die andern scherten sich wenig um solche Großmuttersorgen. Sie
+lachten und sangen, und wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung
+die Flasche.
+
+Da bemerkte einer, daß von Nordosten her mit der Richtung des Windes ein
+leerer Kahn auf sie zutrieb.
+
+Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und darum wollte der Steuerer im
+vordersten Boote halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. Aber
+die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen ihm zu, er möge das lassen;
+der Kahn würde in einer halben Stunde von selber am Ufer der Nehrung
+erscheinen und wäre dann leichter zu bergen als jetzt.
+
+So blieb er also auf seinem Wege, und die anderen folgten ihm nach.
+
+Da -- als sie gerade die Windlinie durchstrichen, die von dem leeren
+Kahn auf sie zulief, vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines
+kleinen Kindes klang.
+
+Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, es käme von dem
+Bündelchen her, das die Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten
+sofort, daß es damit eine andere Bewandtnis hatte.
+
+Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten und fuhr in kurzem Bogen
+dem leeren Kahne entgegen.
+
+Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle zu ihrer Verwunderung
+erkannten, lag auf dem Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und zu
+ihren Füßen ein Neugeborenes.
+
+Die Weiber drängten die Männer zurück, damit deren Augen die Scham der
+Geburt nicht entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen sacht in
+den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten Dienste zu leisten.
+
+Dort aber, wo das Bündelchen unter dem Segelrand lag, sagte der alte
+Mann leise zu seiner Frau: »Laß uns dem Herrn ein Dankgebet sprechen,
+denn mir scheint, er hat uns vom Himmel Nahrung geschickt für das
+Kleine.«
+
+Und die Großmutter sprach: »Frohlocke nicht zu früh. Das dort ist kein
+Jungfernkind. Sie sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und wird uns
+bald wieder verlassen.«
+
+Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde Wöchnerin in Pflege zu
+nehmen, und die andern waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten.
+
+So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren war, sich in den
+Wellen die ewige Ruhstatt zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett
+wieder erwachte und statt des einen Kindes, dem sie das Leben gegeben
+hatte, deren zwei in der Wiege neben sich vorfand.
+
+Und ob sie auch zum Verwundern und zum Fragen zu schwach war, so nahm
+sie sie doch gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung für beide.
+
+Dann, als man zu wissen begehrte, woher sie sei und wie sie sich nenne,
+da weinte sie nur und wollte nicht reden.
+
+Es mußte aber die Meldung an das Standesamt gehen, und da sie auch am
+zweiten und dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, so wußten
+die beiden sich kaum einen Rat mehr.
+
+Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden der Pfarrer Hoffheinz
+Seelsorger war, der jüngere Bruder des Superintendenten, den die
+Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich diesem ein lebensfroher und
+gottgefälliger Mann, der die Litauer liebte, als wäre er einer von
+ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, Ratschlag und Zuflucht
+bot, soweit sein Arm sich erstreckte.
+
+Der sagte: »Sie scheint großes Leid erfahren zu haben. Darum laßt sie in
+Ruhe bis an den neunten Tag. Die Behörden werd' ich solange auf mich
+nehmen. Und ist sie erst wieder bei Kräften, dann will ich sie selber
+befragen.«
+
+Das war das Richtige. Am neunten Tage trat er zu ihr an das Bett, schloß
+die Stubentür ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei Stunden.
+
+Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche Mann die Augen voll
+Wasser und sagte: »Hier hat Gott ein Wunder getan.«
+
+»An uns auch,« sagte die Alte, »denn ohne sie wäre das Kind der Anikke
+schon unter der Erde.«
+
+Von nun an dauerte es keine zweite Nacht mehr, da erfuhr der Jozup
+Wilkat, wo sein Weib geblieben war -- und mit ihr das Kind, das sie nach
+seinem Glauben ihm schuldete. Und weil er sich schämte, sie in den Tod
+getrieben zu haben, war er sehr froh und machte sich auf, sie
+heimzuholen -- sie und das Kleine.
+
+Das aber war es gerade, wovor die Marinke zitterte bei Tag und bei Nacht
+und das zu verhüten der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte.
+
+Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl gegeben, daß, wenn ein Mann
+im Dorfe herumfragte, wo die Kiekutis wohnten, bei denen die Fremde sich
+aufhielt, kein einziger es wissen dürfe -- nicht einmal der Schulze --
+und daß man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, ins Pfarrhaus weise;
+da könne er's wahrscheinlich erfahren.
+
+So kam es, daß der Jozup, der wütend von einem zum andern lief und
+alsbald erkannte, daß man ihn narre, schließlich einem Manne ins
+Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht umspringen ließ wie mit
+einem schutzlosen Weibe.
+
+Ja, das Weib -- das sei ihm egal, das könne seinetwegen gehen,
+Filzschuhe wichsen, aber das Kind -- das Kind, das müsse er haben, tot
+oder lebendig.
+
+Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein guter Freund vom alten Settegast
+-- er hat ja später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet --,
+das sagte er dem Jozup so nebenbei. Und daß, wenn auf diese Weise die
+Kürbisgeschichte ruchbar würde, von einem Verschulden der Frau nicht
+mehr die Rede sein könne, das sagte er auch.
+
+Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, ließ seine Ansprüche fahren
+und setzte für die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld aus,
+so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt.
+
+Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen zu haben, fuhr er zurück übers
+Haff -- zurück zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr hat er einen
+solchen Angriff gewagt.
+
+Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die ihr fast so zugetan waren
+wie einst die Mutter Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen Kinde
+das fremde rosig und blank.
+
+Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt kam, nach ihm zu
+sehen, da fand er es nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte.
+
+So geschah es fast von selber, daß die beiden sich miteinander
+versprachen.
+
+Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem Jurris, und das gefiel der
+Marinke am meisten.
+
+Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille begangen. Und still und
+friedlich leben die beiden noch heute.
+
+
+ Druck der
+ Union Deutsche Verlagsgesellschaft
+ in Stuttgart
+
+
+ Anzeigen des
+ Cotta'schen Verlages
+
+
+ Hermann Sudermann:
+
+ Gebunden
+ Im Zwielicht
+ Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage M. 3.50
+ Frau Sorge
+ Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.--
+ Geschwister
+ Zwei Novellen. 35.-37. Auflage » 5.--
+ Der Katzensteg
+ Roman. 106.-115. Auflage » 5.--
+ Jolanthes Hochzeit
+ Erzählung. 31.-33. Auflage » 3.50
+ Es war
+ Roman. 59.-63. Auflage » 6.50
+ Das Hohe Lied
+ Roman. 61.-65. Auflage » 6.50
+ Die indische Lilie
+ Sieben Novellen. 21.-25. Auflage » 4.50
+ Litauische Geschichten
+ Vier Geschichten. 1.-25. Auflage » 5.--
+ Die Ehre
+ Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage » 3.50
+ Sodoms Ende
+ Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage » 3.50
+ Heimat
+ Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage » 4.50
+ Die Schmetterlingsschlacht
+ Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage » 3.50
+ Das Glück im Winkel
+ Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage » 3.50
+ Morituri
+ Drei Einakter: _Teja_. Drama -- _Fritzchen_. Drama -- » 3.50
+ _Das Ewig-Männliche_. Spiel. 21. u. 22. Auflage
+ Johannes
+ Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage » 4.50
+ Die drei Reiherfedern
+ Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl. » 4.50
+ Johannisfeuer
+ Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage » 3.50
+ Es lebe das Leben
+ Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage » 4.50
+ Der Sturmgeselle Sokrates
+ Komödie in vier Akten. 15. Auflage » 3.50
+ Stein unter Steinen
+ Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage » 3.50
+ Das Blumenboot
+ Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. » 4.50
+ Auflage
+ Rosen
+ Vier Einakter: _Die Lichtbänder._ Drama -- _Margot._ » 4.50
+ Schauspiel -- _Der letzte Besuch._ Schauspiel --
+ _Die ferne Prinzessin._ Lustspiel. 2.-10. Auflage
+ Strandkinder
+ Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50
+ Der Bettler von Syrakus
+ Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. » 4.50
+ Auflage
+ Der gute Ruf
+ Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50
+ Die Lobgesänge des Claudian
+ Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage » 4.50
+ Die entgötterte Welt
+ Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: _Die » 5.--
+ Freundin._ Schauspiel in vier Akten. -- _Die
+ gutgeschnittene Ecke._ Tragikomödie in fünf Akten.
+ -- _Das höhere Leben._ Lustspiel in vier Akten. 7.
+ Auflage
+
+
+ Cotta'sche Gelbe Bibliothek
+ Romane und Novellen
+
+ Gebunden
+ _Althof, Paul_ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke M. 4.50
+ und andere Geschichten
+ --»-- Das verlorene Wort. Roman » 4.50
+ _Andreas-Salomé, Lou_, Fenitschka -- Eine Ausschweifung. » 4.--
+ Zwei Erzählungen
+ --»-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl. » 5.50
+ _Anzengruber, Ludwig_, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Wolken und Sunn'schein. 6. Aufl. » 4.--
+ _Arminius, W._, Der Weg zur Erkenntnis. Roman » 4.50
+ --»-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl. » 5.50
+ _Bertsch, Hugo_, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. » 4.50
+ Aufl.
+ --»-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. » 4.--
+ 12. Aufl.
+ _Birt, Th._, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen » 5.50
+ _Böhlau, Helene_, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl. » 4.50
+ _Boy-Ed, Ida_, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl. » 5.--
+ --»-- Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.50
+ --»-- Um Helena. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. » 5.50
+ u. 19. Aufl.
+ --»-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. » 5.--
+ Aufl.
+ --»-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl. » 3.50
+ _Bülow, Frieda v._, Kara. Roman » 5.50
+ _Burckhard, Max_, Simon Thums. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Dove, A._, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. » 10.--
+ Aufl.
+ _Ebner-Eschenbach, Marie v._, Bozena. Erzählung. 12. Aufl. » 4.50
+ --»-- Erzählungen. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Margarete. 8. Aufl. » 3.50
+ _Ebner-Eschenbach, Moritz v._, _Hypnosis perennis_ -- Ein » 3.50
+ Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten
+ _Eckstein, Ernst_, Nero. Roman. 9. Aufl. » 6.50
+ _El-Correï_. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl. » 5.50
+ _Enderling, Paul_, Der Hungerhaufen und andere Novellen » 3.50
+ --»-- Zwischen Tat und Traum. Roman » 5.50
+ _Engel, Eduard_, Paraskewúla und andere Novellen » 5.--
+ _Fontane, Theodor_, Ellernklipp. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Grete Minde. 8. Aufl. » 4.--
+ --»-- Quitt. Roman. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl. » 5.50
+ --»-- Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl. » 5.--
+ _Franzos, K. E._, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. » 3.50
+ 2. Aufl.
+ --»-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl. » 4.50
+ --»-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl. » 8.--
+ --»-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl. » 4.--
+ --»-- Neue Novellen. 2. Aufl. » 3.50
+ --»-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. » 6.--
+ Aufl.
+ --»-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl. » 3.50
+ --»-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl. » 9.--
+ --»-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. » 4.--
+ Aufl.
+ _Frei, Leonore_, Das leuchtende Reich. Roman » 5.50
+ _Frey, Adolf_, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer » 6.50
+ Schweizerroman. 5. Aufl.
+ _Fulda, L._, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl. » 3.50
+ _Gleichen-Rußwurm, A. v._, Vergeltung. Roman » 5.--
+ _Grimm, Herman_, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. » 11.--
+ Aufl.
+ _Harbou, Thea v._, Der unsterbliche Acker. Ein » 4.--
+ Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.
+ --»-- Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. » 4.--
+ 2.-8. Aufl.
+ _Hartmann, Alfred Georg_, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein » 4.--
+ Künstlerroman aus Holland
+ _Haushofer, Max_, Geschichten zwischen Diesseits und » 5.--
+ Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.
+ --»-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman » 5.--
+ _Heer, J. C._, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. » 3.50
+ Aufl.
+ --»-- Da träumen sie von Lieb' und Glück! Drei Schweizer » 5.--
+ Novellen. 28.-30. Aufl.
+ --»-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl. » 5.--
+ --»-- Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.--
+ --»-- Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl. » 5.--
+ --»-- Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. » 4.--
+ 21.-25. Aufl.
+ --»-- An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.--
+ _Heilborn, Ernst_, Kleefeld. Roman » 3.50
+ _Herzog, Rudolf_, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. » 5.50
+ Aufl.
+ --»-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl. » 5.50
+ --»-- Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl. » 6.50
+ --»-- Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl. » 5.50
+ --»-- Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl. » 5.50
+ --»-- Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 4.--
+ _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl. » 3.90
+ --»-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem » 5.50
+ Alltagsleben -- Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.
+ --»-- Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen » 5.--
+ --»-- Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 » 7.80
+ Bände
+ --»-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl. » 7.80
+ --»-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. » 5.--
+ 2. Aufl.
+ --»-- Neue Märchen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Martha's Briefe an Maria. 2. Aufl. » 2.50
+ --»-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. » 5.50
+ Aufl.
+ --»-- Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band » 6.30
+ --»-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. » 4.--
+ 2.-4. Aufl.
+ --»-- Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl. » 3.90
+ --»-- Meraner Novellen. 12. Aufl. » 5.--
+ --»-- Neue Novellen. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl. » 7.80
+ --»-- Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl. » 3.90
+ --»-- Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 3.90
+ --»-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. » 3.90
+ 7. Aufl.
+ --»-- Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. » 6.--
+ Aufl.
+ --»-- Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Vroni und andere Novellen » 5.--
+ --»-- Xaverl und andere Novellen » 5.--
+ _Hillern, W. v._, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- 's Reis am Weg. 3. Aufl. » 3.--
+ --»-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. » 6.50
+ --»-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ _Hirschfeld, Georg_, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. » 5.50
+ u. 5. Aufl.
+ _Höcker, Paul Oskar_, Väterchen. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Hofe, Ernst von_, Sehnsucht. Roman » 4.50
+ _Hofer, Klara_, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich » 6.50
+ Hebbels. 3. Aufl.
+ --»-- Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl. » 3.50
+ _Hopfen, Hans_, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. » 4.--
+ 6. Aufl.
+ _Huch, Ricarda_, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem » 5.50
+ Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.
+ _Junghans, Sophie_, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. » 5.50
+ _Kaiser, Isabelle_, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. » 4.--
+ _Knudsen, J._, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte » 5.50
+ Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.
+ _Krauel, Wilhelm_, Von der andern Art. Roman » 4.50
+ --»-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht » 5.--
+ _Kurz, Hermann_ (Der Schweizer), Sie tanzen » 5.50
+ Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.
+ _Kurz, Isolde_, Italienische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. » 4.50
+ --»-- Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl. » 5.--
+ _Langmann, Philipp_, Leben und Musik. Roman » 5.--
+ _Lilienfein, Heinrich_, Von den Frauen und einer Frau. » 3.50
+ Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.
+ --»-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die große Stille. Roman. 4. Aufl. » 6.--
+ _Lindau, Paul_, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 » 8.--
+ Bände. 7. Aufl.
+ --»-- Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl. » 5.50
+ --»-- Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl. » 5.50
+ _Mahn, Paul_, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Mauthner, Fritz_, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. » 4.50
+ Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von
+ »_Lügenohr_«
+ _Meyer-Förster, Wilh._, Eldena. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Meyerhof-Hildeck, Leonie_, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Töchter der Zeit. Münchner Roman » 4.50
+ _Moreck, Curt_, Büßer des Gefühls. Novellen » 5.--
+ _Moersberger, Felicitas Rose_, Pastor Verden. Ein » 5.--
+ Heideroman. 2.-5. Aufl.
+ _Muellenbach, E._ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen » 4.50
+ --»-- Aphrodite und andere Novellen » 4.50
+ --»-- Vom heißen Stein. Roman » 4.50
+ _Niessen-Deiters, Leonore_, Leute mit und ohne Frack. » 4.50
+ Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von _Hans
+ Deiters_. 2. Aufl.
+ --»-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50
+ --»-- Mitmenschen. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50
+ _Pietsch, Otto_, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. » 6.50
+ Aufl.
+ --»-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl. » 4.--
+ _Prel, Karl du_, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl. » 6.50
+ _Riehl, W. H._, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl. » 5.50
+ --»-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl. » 5.50
+ _Rittberg, Gräfin Charlotte_, Der Weg zur Höhe. Roman » 4.50
+ _Rommel-Hohrath, Clara_, Im Banne Roms. Roman » 5.50
+ _Rosner, Karl_, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus » 6.--
+ der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.
+ _Seidel, Heinrich_, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. » 5.50
+ 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)
+ --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. » 5.50
+ Aufl. (4. u. 5. Tsd.)
+ --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. » 5.50
+ Tsd.)
+ --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. » 5.50
+ (3. Tsd.)
+ --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. » 5.50
+ (3. Tsd.)
+ --»-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. » 5.50
+ Gesamt-Ausg.
+ --»-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe » 5.50
+ _Seidel, H. Wolfgang_, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. » 5.50
+ Aufl.
+ _Skowronnek, R._, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl. » 4.50
+ _Speidel, Felix_, Hindurch mit Freuden. Novellen » 4.50
+ _Stegemann, Hermann_, Der Gebieter. Roman » 4.--
+ --»-- Stille Wasser. Roman » 4.50
+ _Steinhart, Armin_ (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine » 4.--
+ Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.
+ _Stratz, Rudolph_, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman » 5.50
+ einer Studentin. 18.-20. Aufl.
+ --»-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.--
+ --»-- Du bist die Ruh'. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.--
+ --»-- Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl. » 5.--
+ --»-- Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl. » 6.--
+ --»-- Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl. » 5.50
+ --»-- Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl. » 5.50
+ --»-- Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl. » 5.50
+ --»-- Ich harr' des Glücks. Novellen. 7. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl. » 5.50
+ --»-- Montblanc. Roman. 10. Aufl. » 4.50
+ --»-- Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der » 6.--
+ deutschen Armee. 46.-50. Aufl.
+ --»-- Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd. » 3.50
+ --»-- Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.50
+ _Sudermann, Hermann_, Es war. Roman. 59.-63. Aufl. » 6.50
+ --»-- Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl. » 5.--
+ --»-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl. » 3.50
+ --»-- Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl. » 4.50
+ --»-- Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl. » 5.--
+ --»-- Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.--
+ --»-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. » 3.50
+ Aufl.
+ _Telmann, Konrad_, Trinacria. Sizilische Geschichten » 5.50
+ _Trojan, Johannes_, Das Wustrower Königsschießen und » 3.50
+ andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.
+ _Uxkull, Gräfin Lucy_, Rote Nelken. Ein sozialer Roman » 5.50
+ _Vockeradt, Emma_, Wanderer im Dunkeln. Roman » 4.50
+ _Vogt, Martha_, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen » 4.--
+ _Vollert, Konrad_, Sonja. Roman » 6.--
+ _Voß, Richard_, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 6.--
+ --»-- Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl. » 5.--
+ --»-- Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. » 6.--
+ 3. Aufl.
+ --»-- Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.50
+ --»-- Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. » 6.50
+ Aufl.
+ _Watzdorf-Bachoff, E. v._, Maria und Yvonne. Geschichte » 5.--
+ einer Freundschaft. 2. Aufl.
+ _Wilbrandt, Adolf_, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. » 6.--
+ --»-- Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Fesseln. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Franz. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. » 5.50
+ --»-- Irma. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl. » 5.50
+ --»-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
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+ _Wildenbruch, E. v._, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. » 5.50
+ Aufl.
+ _Wohlbrück, Olga_, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl. » 6.50
+ _Worms, C._, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. » 4.--
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+ --»-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. » 5.50
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+ --»-- Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. » 4.--
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+ _Auerbach, Berthold_, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl. M. 2.50
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+ --»-- Neue Märchen. 9. Tsd. » 4.--
+ --»-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd. » 4.20
+ _Boy-Ed, Ida_, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. » 3.--
+ Aufl.
+ _Ebner-Eschenbach, Marie_ v., Die erste Beichte. » 2.--
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+ _Grisebach. Ed._, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches » 4.--
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+ _Harbou, Thea v._, Der Krieg und die Frauen. Novellen. » 1.80
+ Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden
+ In Geschenkband » 3.--
+ _Herzog, Rudolf_, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl. » 2.50
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+ --»-- In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. » 4.--
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+ _Hoffmann, Hans_, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl. » 3.50
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+ _Keller, Gottfried_, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. » 13.50
+ 86.-90. Aufl.
+ --»-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl. » 9.--
+ --»-- Züricher Novellen. 88.-92. Aufl. » 4.50
+ --»-- Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl. » 4.50
+ --»-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden. » 4.50
+ 71.-75. Aufl.
+ --»-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. » 3.--
+ --»-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. » 3.--
+ Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.
+ _Kügelgen, Wilhelm_ v., Jugenderinnerungen eines alten » 3.--
+ Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.
+ _Kurz, Isolde_, Unsere Carlotta. Erzählung » 3.--
+ --»-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen » 3.--
+ --»-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld. » 5.--
+ Erzählungen
+ --»-- Phantasieen und Märchen » 3.--
+ --»-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der » 6.50
+ Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.
+ _Müller, Hans_, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, » 6.--
+ Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.
+ _Olfers, Marie v._, Neue Novellen » 4.50
+ --»-- Die Vernunftheirat und andere Novellen » 4.--
+ _Riehl, W. H._, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. » 7.--
+ _Seidel, Heinrich_, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser » 4.--
+ und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je
+ --»-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je » 4.--
+ --»-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse » 4.--
+ herausgegeben von _H. W. Seidel_. 2. Tsd.
+ _Wilbrandt, Adolf_, Novellen » 4.50
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Der Zensurstempel »A. g. XIII.« wurde von der Titelseite entfernt.
+
+Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original:
+futtern, Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a.
+
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
+Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier
+aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 157]:
+ ... sich des guten Gewissens erfreuen, den solch ein ...
+ ... sich des guten Gewissens erfreuen, das solch ein ...
+
+ [S. 234]:
+ ... mit einen Male einen feierlichen Gesang. ...
+ ... mit einem Male einen feierlichen Gesang. ...
+
+ [S. 373]:
+ ... Das kam dem Jurris hart an, aber was sollte ...
+ ... Das kam den Jurris hart an, aber was sollte ...
+
+ [S. 376]:
+ ... Gespielen betrachtet. Das Reiten und Fahren ...
+ ... Gespielen betrachten. Das Reiten und Fahren ...
+
+ [S. 377]:
+ ... Räder mahlten, und die Achseln schlackerten. ...
+ ... Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. ...
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+
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+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of
+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
+exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
+from people in all walks of life.
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+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
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+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
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+
+For additional contact information:
+
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
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+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
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+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
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+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
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+any statements concerning tax treatment of donations received from
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+
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+
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+/* Transcriber's note */
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+<body>
+<pre style='margin-bottom:6em;'>The Project Gutenberg EBook of Litauische Geschichten, by Hermann Sudermann
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
+most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
+of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
+will have to check the laws of the country where you are located before
+using this ebook.
+
+Title: Litauische Geschichten
+
+Author: Hermann Sudermann
+
+Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
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+Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
+ https://www.pgdp.net
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+</pre>
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="halftitle">
+Litauische Geschichten
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<h1 class="title">
+Litauische Geschichten
+</h1>
+
+<p class="aut">
+<span class="line1">Von</span><br />
+<span class="line2">Hermann Sudermann</span>
+</p>
+
+<p class="run">
+2.-25. Auflage
+</p>
+
+<div class="centerpic logo">
+<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div>
+
+<p class="pub">
+<span class="line1">Stuttgart und Berlin 1917</span><br />
+<span class="line2">J. G. Cotta&rsquo;sche Buchhandlung Nachfolger</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="cop">
+Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
+</p>
+
+<p class="copus">
+Für die Vereinigten Staaten von Amerika:<br />
+Für die nachstehenden Erzählungen &bdquo;Die Reise nach Tilsit&ldquo; und &bdquo;Miks Bumbullis&ldquo;<br />
+Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="ded">
+<span class="line1">Seinem lieben und verehrten Freunde</span><br />
+<span class="line2">Ökonomierat Scheu</span><br />
+<span class="line3">auf Adl. Heydekrug</span><br />
+<span class="line4">zugeeignet</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="toc" id="part-1">
+<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
+Inhalt
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="table">
+<table class="toc" summary="TOC">
+<tbody>
+ <tr>
+ <td class="col1">&nbsp;</td>
+ <td class="col_page">Seite</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Die Reise nach Tilsit</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Miks Bumbullis</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Jons und Erdme</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-141">141</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Die Magd</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-349">349</a></td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-2">
+<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
+Die Reise nach Tilsit
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="section1 first">
+<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
+Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am
+Haff liegt Wilwischken. Und wenn man von
+dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen
+will, muß man so nah an den Häusern
+vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn
+aus mit ein paar Zwiebeln &mdash; es können auch
+Gelbrüben sein &mdash; die Fenster einzuschmeißen.
+</p>
+
+<p>
+Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich
+schade. Denn Wilwischken ist ein sauberes
+Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner
+betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei
+einträgliche Acker- und Gartenwirtschaft, und die
+Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt.
+</p>
+
+<p>
+Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die,
+die an der Mündung der Parwe gleichsam die
+scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas
+Balczus.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher
+Fischer, der bei jedem Raubfang sein
+Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der
+am Montagabend seine Barsche in Heydekrug
+unterm Preis ausbietet und am Dienstagnachmittag
+betrunken heimfährt; der Ansas Balczus
+<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
+ist beinahe schon ein Herr, der mit den Deutschen
+deutsch spricht wie ein Deutscher, der sich
+sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der
+sich bei seinen Prozessen so gut zu verteidigen
+weiß, daß er die Anwaltskosten sparen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er hat sich auch eine feine Frau genommen,
+der Ansas Balczus. Sie stammt aus Minge
+und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat,
+dem die großen Haffwiesen gehören. Daß er
+die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte
+keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und
+sie ging so blaß und sanft an ihnen vorbei, als
+ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre.
+</p>
+
+<p>
+Nun <em>hat</em> er sie aber und kann stolz auf sie
+sein. Sie hat ihm drei hübsche Kinder geboren,
+und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie mit
+der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde.
+Ihre Butter wird ihr von den Händlern schon
+weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt,
+ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und
+breit, und im Brautwinkel stehen seit vorigen
+Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man erzählt
+sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie
+sieben Jahre alt sein wird, ein Klavier kaufen
+will.
+</p>
+
+<p>
+Und dabei geht sie noch ebenso sanft und
+blaß ihres Wegs, wie sie es als Mädchen getan
+hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn
+man sie anspricht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
+So ist die Indre Balczus. Und wenn <em>ich</em> der
+Ansas wäre, ich würde meine Hände zum Himmel
+heben, morgens und abends, daß <em>sie</em> meine
+Frau ist und keine andere.
+</p>
+
+<p>
+Und so war es auch früher, aber seit die
+Busze als Magd ins Haus gekommen ist, hat es
+sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die
+Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken,
+wenn von dem Hof des Balczus Schimpfen
+und Weinen herüberschallt.
+</p>
+
+<p>
+Das Schimpfen kommt von dem Ansas. <em>Die</em>
+Stimme kennt ein jeder. Aber weinen tut nicht
+die Indre &mdash; <em>wenn</em> sie&rsquo;s tut, so nur ganz leis
+und in der Nacht &mdash;, es sind die drei Kinder, die
+da weinen über all das Üble, das ihre Mutter
+erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein
+Lachen darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart
+wie Glas und schadenfroh wie Hähergeschrei.
+</p>
+
+<p>
+Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht.
+Wenn sie nicht selbst eine Besitzerstochter wäre
+und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes,
+hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten
+können. Warum muß die überhaupt dienen
+gehen mit ihren blinkernden Achataugen und
+dem Fleisch wie von Apfelblüten? Wer weiß,
+wie vielen die schon die Köpfe verdreht hat!
+Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn
+sie irgendwo einen ganz verrückt gemacht hat,
+dann lacht sie und geht in einen anderen Dienst.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
+Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun
+als das leibhaftige Gegenteil der stillen und
+sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und
+rumort vom Morgenstern an bis in die späte
+Nacht, schafft für dreie und wird schon aufgebracht,
+wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen.
+</p>
+
+<p>
+Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer
+gewesen ist, kennt sie überhaupt keinen Spaß
+mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie
+die Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und
+er ist schwach und tut, was sie will.
+</p>
+
+<p>
+Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor,
+wo die Frau arm eingezogen ist oder aber kränklichen
+Leibes und darum die Dinge gehen läßt,
+wie sie gehen. Aber der Indre gegenüber, dem
+reichen Jaksztat seiner schönen Tochter, die bloß
+zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so
+einem Biest auflegen zu können, da versteht man
+die Welt nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen
+ist und sie geschlagen hat, kommt die Nachbarin,
+die Ane Doczys, zu ihr und sagt: &bdquo;Indre, wir
+können das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum.
+Wir haben beschlossen, ich schreib&rsquo;s deinem Vater.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist,
+und sagt: &bdquo;Tut&rsquo;s nicht, sonst nimmt er mich mit,
+und was wird dann aus den Kindern?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wir tun&rsquo;s doch,&ldquo; sagt die Doczene, &bdquo;denn
+solch ein Frevel darf nicht sein auf der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
+Und die Indre bittet auch noch für ihren
+Mann und sagt: &bdquo;Spricht es sich immer weiter
+herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück.
+Heiraten darf er sie nicht wegen des Ehebruchs.
+Auf den müßt&rsquo; ich klagen, denn nur so kann ich
+die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt
+betrinkt er sich immer häufiger. Was dann erst
+wird, das überlegt sich ein jeder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber soll denn das immer so fortgehen?&ldquo;
+fragt die Doczene.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen,
+wenn sie genug gehabt hat,&ldquo; sagt die
+Indre, &bdquo;und mit ihm wird sie&rsquo;s nicht anders
+machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens,
+wie Nachbarinnen sind, denen es morgen ebenso
+gehen kann, warnt sie wieder und wieder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wir haben uns auch erkundigt,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;das sind dann immer Saufbengels gewesen
+und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann
+läßt die nicht los.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte,
+was für einen vortrefflichen Mann sie gehabt
+hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie weint
+und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie
+wendet nur ein wenig das eingefallene Gesicht
+und sagt: &bdquo;Wie Gott will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will.
+</p>
+
+<p>
+Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem
+<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
+Mann, der auf der Ofenbank liegt und schläft:
+&bdquo;Doczys,&ldquo; sagt sie, &bdquo;hier sind die Wasserstiefel.
+Setz die Segel ins Mittelboot, wir fahren nach
+Minge.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?&ldquo;
+fragt er ungehalten; denn wer schläft, will
+Ruhe haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken,
+daß es ihr morgen ebenso gehen kann, fackelt nicht
+viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch noch
+die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe
+Stunde später fahren die beiden nach Minge.
+</p>
+
+<p>
+Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat
+in Wilwischken an. Er ist nicht zu Kahn gekommen,
+das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen,
+sondern hat den Umweg über Land nicht gescheut,
+um seinem Schwiegersohn mit dem Verdeckwagen
+und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die
+Nase zu reiben, welcherart das Haus ist, aus
+dem seine Frau herstammt.
+</p>
+
+<p>
+Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch
+alle. Der o-beinige, kleine Mann mit dem
+lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen
+war ja bekannt genug. Als er
+starb, ist er schließlich gar nicht so reich gewesen.
+Aber das tut nichts zur Sache.
+</p>
+
+<p>
+Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht
+als erste das Fuhrwerk vorfahren und tritt aus
+dem Hause.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
+Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend,
+und funkelt ihn an.
+</p>
+
+<p>
+Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die
+Peitsche aus der Hand und reißt ihr eins über.
+Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm
+herunter flammt die Strieme.
+</p>
+
+<p>
+Und was tut sie? Sie packt den alten Mann,
+zieht ihn vom Wagen und fängt ihn mit den
+Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt
+vom Bock, der Ansas Balczus kommt aus dem
+Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen
+gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson
+zu entreißen. Weiß Gott, sie hätte ihn sonst
+vielleicht umgebracht.
+</p>
+
+<p>
+So schlimm dies Vorkommnis an und für
+sich sein mag, in der nun folgenden Unterredung
+gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit
+vom Wege abgekommen ist der Ansas Balczus
+doch noch nicht durch seine Kebserei, daß er nicht
+wüßte, welche Schande ein solcher Empfang
+dem Hause weit und breit bereiten muß.
+</p>
+
+<p>
+Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem
+hinter die Ohren gestrichenen gelben Flachshaar
+und dem braunen Sommersprossengesicht vor
+dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen
+lassen soll.
+</p>
+
+<p>
+Der schnauft immerzu vor Zorn und weil
+ihm noch vom Herumrangen die Luft fehlt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo ist deine Frau?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
+Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine
+Frau ist? Die läuft in ihrer Ratlosigkeit oft genug
+aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf
+und Schlägen sicher ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin der reiche Jaksztat!&ldquo; schimpft der
+Alte. &bdquo;Mir soll so was passieren!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall,
+so gut es geht. Aber was kann er viel sagen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort
+aus dem Hause!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, na,&ldquo; brummt der Ansas. Wäre das
+nicht eben geschehen, so hätte er wahrscheinlich
+die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei
+<em>seine</em> Wirtschaft, hier hab&rsquo; er allein was zu
+sagen, aber jetzt brummt er bloß: &bdquo;Na, na.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht,
+und nun legt er los. Es gibt nicht viel Schimpfwörter
+im Litauischen, die der Ansas für sich und
+sein Frauenzimmer <em>nicht</em> zu hören gekriegt
+hat in dieser Stunde.
+</p>
+
+<p>
+Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt
+auf der Ofenbank und weint.
+</p>
+
+<p>
+Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden
+Ältesten aus der Schule geholt und geht über
+den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm,
+schlank und rank, geradeso wie die katholische
+heilige Jungfrau.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt
+sie zusammen, setzt das Kindchen auf die Erde
+<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
+und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am
+raschesten verstecken.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür
+hinaus &mdash; und sie packen &mdash; und sie hereinziehen
+&mdash; hast du nicht gesehen!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,&ldquo; fährt
+er den Schwiegersohn an, &bdquo;und küssest den Saum
+ihres Gewandes!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ohne Willen, wie der auch ist, das will
+er doch nicht. Aber der Alte hilft kräftig nach,
+und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem
+Schluchzer: &bdquo;Ich weiß, ich bin ein Sünder vor
+dem Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Steh auf, Ansas,&ldquo; sagt sie in ihrer milden
+Weise und legt die Hand auf seinen Kopf.
+&bdquo;Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt
+du es mir nachher nicht, und es bleibt alles beim
+alten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie gut hat sie ihn gekannt!
+</p>
+
+<p>
+Aber vorläufig geht er auf alles ein und
+verspricht dem Alten, daß die Busze mit seinem
+Willen den Hof nicht mehr betreten soll und
+daß sie jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht
+zu verlangen. Aber er besteht darauf. Er hätte
+es lieber nicht sollen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Busze! Wo ist die Busze?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht
+mit einem Taschentuch verbunden wie eine mit
+<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
+Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat
+sie eine nasse Schürze gewickelt. Zum Kühlen.
+</p>
+
+<p>
+Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei
+ganz freundlich an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na also, was ist?&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ich hab&rsquo; zu
+tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast hier nichts mehr zu tun,&ldquo; sagt der
+Alte, &bdquo;und das wird dir dein Brotherr gleich
+klarmachen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da bin ich doch neugierig,&ldquo; trumpft sie als
+eine, die ihrer Sache sicher ist.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen
+und wo aufhören. Aber weil sie mit ihrem verbundenen
+Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht,
+wird es ihm leichter. Er stottert was von
+&bdquo;Hausfrieden&ldquo; und &bdquo;man muß Opfer bringen&ldquo;
+und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus.
+</p>
+
+<p>
+Sie lacht laut auf und lacht und lacht. &bdquo;Haben
+sie dich richtig kleingekriegt, du Dreckfresser?&ldquo;
+sagt sie. &bdquo;Ums übrige wirst du ja bald wissen,
+wo du mich finden kannst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür
+hinter sich zu. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen.
+Und anfangs scheint es auch so. Der Ansas tut
+freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen
+auf den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt
+er ihr aus dem Hofmannschen Laden sogar ein
+Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen
+<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
+Blick, und wenn er kann, geht er ihr aus dem
+Wege.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre schreibt nach Hause: &bdquo;Es ist alles
+wieder gut.&ldquo; Aber auf das Papier sind ihre
+Tränen gefallen.
+</p>
+
+<p>
+Denn die Busze ist immer noch da. Sie
+hat sich bei den Pilkuhns eingemietet, die hinten
+am Abzugsgraben wohnen, und was das für
+Gesindel ist, das weiß in Wilwischken ein jeder.
+Sie tut so, als arbeitet sie in den Wiesen, aber
+man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man
+sie irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit,
+den beiden Kindern, wenn sie aus der Schule
+kommen, Gerstenzucker zu schenken.
+</p>
+
+<p>
+Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel
+wird? Kein Mensch weiß. Er geht an der Parwe
+entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen,
+daß sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet.
+Und die Leute, die vor den Türen sitzen, reden
+leise hinter ihm drein: &bdquo;Jetzt trifft er sich mit
+der Busze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich
+wirklich mit der Busze.
+</p>
+
+<p>
+Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser
+hinfindet, sitzen sie bis in die Nacht hinein und
+schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was
+sie auch übersinnen, &mdash; die Frau, die Indre,
+steht immer dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Laß dich scheiden!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
+Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die
+Kinder! Der Endrik, der Älteste, soll einmal
+das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm
+selbst aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst
+gar Klavier spielen. Solche Kinder stößt
+man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar
+nicht zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater,
+der reiche Jaksztat, die zweite Hypothek
+hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er
+kündigt?
+</p>
+
+<p>
+Aber die Indre muß fort! Die Indre muß
+aus dem Wege! Die Indre mit ihrem Buttergesicht.
+Die Indre, die ihm nachspioniert. Die
+Indre, die allabendlich von Tür zu Tür läuft,
+um ihn schlecht zu machen vor den Leuten. Die
+Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches
+gibt, was sie nicht erzählt von ihm. Sogar daß er
+einen Bruchschaden hat, hat sie erzählt. Woher
+sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht
+ist sie bei all ihrer Scheinheiligkeit.
+</p>
+
+<p>
+Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene
+Sache. Es fragt sich bloß, wie.
+</p>
+
+<p>
+Er natürlich will nichts davon hören, aber
+es muß ja doch sein.
+</p>
+
+<p>
+Manche Frauen sterben im Kindbett &mdash; man
+braucht kaum einmal nachzuhelfen, aber das kann
+lange dauern und bleibt eine unsichere Sache.
+</p>
+
+<p>
+Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei
+mal zwei vier ist. Und wer&rsquo;s dann getan hat,
+<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
+weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken?
+Aber die Indre geht nicht aufs Wasser. Das
+ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal auf dem
+Wasser gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Sie wird schon gehen &mdash; man muß ihr nur
+zureden.
+</p>
+
+<p>
+Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig &rsquo;reinspringen?
+Ja, selbst <em>wenn</em> sie&rsquo;s täte, wer
+würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück,
+sitzt man auch schon in Untersuchung.
+</p>
+
+<p>
+Gift oder Ertrinken &mdash; es ist ein und dasselbe.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die
+Busze weiß Rat.
+</p>
+
+<p>
+Ob er schwimmen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er kann schon schwimmen. Aber in den
+schweren Stiefeln nutzt das nichts. Da wird
+man auf den Grund gezogen wie die &bdquo;Kulschen&ldquo;
+&mdash; die kleinen Steine im Staknetz.
+</p>
+
+<p>
+Dann muß man barfuß &rsquo;raus. Jetzt im
+Sommer fährt jeder barfuß &rsquo;raus.
+</p>
+
+<p>
+Er, der Ansas, hat das nie getan, und das
+wissen die Leute.
+</p>
+
+<p>
+Ob die Indre schwimmen kann.
+</p>
+
+<p>
+Wie die bleiernen Entchen &mdash; so kann die
+Indre schwimmen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also, es wird gehen,&ldquo; meint nachdenklich die
+Busze.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Was</em> wird gehen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen
+<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
+Sommer, an der Windenburger Ecke, wobei die
+zwei Fischer ums Leben gekommen sind?
+</p>
+
+<p>
+Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der
+eine der Toten ist ja sein Vetter gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Ob er auch weiß, wie es geschehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Genau weiß es niemand, aber man nimmt
+an, daß sie betrunken gewesen sind und die gefährliche
+Stelle verschlafen haben, die Stelle
+hinter dem Leuchtturm, wo der Wind plötzlich
+einsetzt und wo man scharf aufpassen muß, will
+man nicht kentern wie ein zu hoch geladener
+Heukahn.
+</p>
+
+<p>
+Ob man das Kentern nicht auch künstlich
+machen kann!
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn man durchaus ersaufen will.
+</p>
+
+<p>
+Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten
+kann!
+</p>
+
+<p>
+Bis an Land schwimmt keiner.
+</p>
+
+<p>
+Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen
+kann mit Binsen oder Schweinsblasen,
+die einen stundenlang über Wasser halten!
+</p>
+
+<p>
+Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich
+und würde bemerkt werden.
+</p>
+
+<p>
+Dann müßte man sie nach dem Gebrauch
+aus der Welt schaffen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, aber wie?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Busze wird nachdenken.
+</p>
+
+<p>
+So reden und beraten sie Stunden und Stunden
+lang, Nacht für Nacht. Die Busze fragt,
+<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
+und er antwortet. Und aus dem Fragen und
+dem Antworten backen sie bei langsamem Feuer
+den Kuchen gar, an dem die Indre sich den Tod
+essen muß.
+</p>
+
+<p>
+Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie
+sie am besten zu dem Ausflug zu bringen ist.
+Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen,
+ehe der Schlag geführt werden kann. Wo aber
+die Gründe hernehmen, um die häufigen Fahrten
+zu rechtfertigen? &mdash; Und wie selten auch weht
+der Süd oder der Südwest, bei dem allein das
+Unternehmen gelingen kann, und noch dazu in
+der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas
+Besonderes gefunden werden, ein Grund wie kein
+anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig
+macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt.
+</p>
+
+<p>
+Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer
+wieder ans Herz, heißt es freundlich zu der Indre
+sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird
+und auch die Nachbarn glauben können, es sei
+nun alles wieder in Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Und er ist freundlich zu der Indre &mdash; so
+freundlich, wie&rsquo;s einer versteht, der sich nie im
+Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz
+klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen,
+er bessert den Stöpsel im Rauchfang, er
+küßt sie beim &bdquo;Guten Tag&ldquo; und &bdquo;Gute Nacht&ldquo;,
+und er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt
+sie nicht an.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
+Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn
+er um Mitternacht heimkommt, um den Dunst
+der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor
+an sich herumträgt.
+</p>
+
+<p>
+Und schließlich &mdash; die Busze hat es so verlangt
+&mdash; bringt er auch das schwerste Opfer und
+geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht.
+Von nun an verkehren sie nur durch
+den Briefträger. Die Aufschriften sind von
+einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er
+weisgemacht hat, er könne nicht schreiben, auf
+Vorrat gefertigt, und drinnen stehen Zeichen,
+die nur sie beide verstehen.
+</p>
+
+<p>
+So muß auch die Indre glauben, der heimliche
+Verkehr habe aufgehört. Aber täuschen läßt sie
+sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe
+sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn
+er sich vor ihr wunder wie niedlich macht, denkt
+sie bei sich: &bdquo;Wie seh&rsquo; ich ihn doch durch und
+durch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt er besonders liebselig
+auf sie zu und sagt: &bdquo;Mein Täubchen, mein
+Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich
+möchte dir gern etwas Gutes bereiten, such es
+dir aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er
+Hinterhältiges im Sinne führt. Und sie sagt:
+&bdquo;Ich brauche nichts Gutes. Ich hab&rsquo; ja die
+Kinder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
+&bdquo;Nein, nein,&ldquo; sagt er, &bdquo;es muß sein. Schon
+wegen der Nachbarn. Auch deinem Vater will
+ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben.
+Weißt du nichts, so denke nach, und auch ich werde
+mir den Kopf zerbrechen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber
+sie weiß noch immer nichts.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt er: &bdquo;Nun, dann weiß ich es. Du
+hast noch nie die Eisenbahn gesehen. Laß uns
+nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn
+siehst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt darauf: &bdquo;Die Leute erzählen sich,
+daß die Eisenbahn nächstens bis nach Memel geführt
+werden soll, und Heydekrug wird dann
+eine Station werden. Wenn es so weit ist, kann
+ich ja einmal zum Wochenmarkt mitfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er gibt sich nicht zufrieden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Tilsit ist eine schöne Stadt,&ldquo; sagt er, &bdquo;wenn
+du nicht hinfahren willst, so weiß ich, daß du
+einen bösen Willen hast und an Versöhnung
+nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne
+habe, als dir zu Gefallen zu leben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte
+mit der Magd wirklich aufgegeben hat, und sie
+beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Ach Ansas, ich weiß ja, daß du
+es nicht aufrichtig meinst, aber ich werde dir
+wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind
+wir ja alle in Gottes Hand.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
+Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot
+werden kann wie irgend ein junges Ding. Und
+weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und
+schämt sich draußen. Aber ihm ist zumut, als
+<em>muß</em> er es tun und ein Zurück gebe es nicht.
+Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel
+vorwärts schuppst, so ist ihm zumut. Und darum
+fängt er an demselben Tage noch einmal an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In Tilsit ist ein Kirchturm,&ldquo; sagt er, &bdquo;der
+ruht auf acht Kugeln, und darum hat ihn der
+Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen
+wollen. Er ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine
+so merkwürdige Sache muß man doch sehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Außerdem,&ldquo; fährt er fort, &bdquo;gibt es ja ein
+Lied, das geht so:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p>
+ <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst,</p>
+ <p class="verse">Die Sonne wär&rsquo; nichts wie ein finsteres Loch,</p>
+ <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne
+Stadt Tilsit ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch
+einmal an, und er wird wieder rot und redet
+rasch von anderen Dingen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin:
+&bdquo;Nun, wann werden wir fahren?&ldquo; Als ob
+es längst eine abgemachte Sache wäre.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
+Sie denkt: &bdquo;Will er mich los sein, so kann
+er es auf tausend Arten. Es ist das Beste, ich
+füge mich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und zu ihm sagt sie: &bdquo;Wann du wirst wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, dann je eher, je besser,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Es wird also der nächste Morgen bestimmt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Busze es ihm eingegeben hat,
+läuft er am Nachmittag von Wirtschaft zu Wirtschaft
+und sagt: &bdquo;Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß
+ich mich schlecht aufgeführt habe. Aber von
+nun an soll alles anders werden. Zum Zeichen
+dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt
+nach Tilsit machen. Damit will ich sozusagen
+die Versöhnung festlich begehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch
+noch. Genau, wie die Busze es vorhergesagt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Was aber tut die Indre inzwischen?
+</p>
+
+<p>
+Sie legt die Sachen der Kinder zurecht,
+schreibt auf ein Papier, was sie am Alltag und
+am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke
+Leinwand, die sie selber gewebt hat, künftig einmal
+zu verschneiden sind. Auch ihre Kleider verteilt
+sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys,
+und die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt
+sie noch ihr Leichenhemde bereit und was ihr
+sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann
+ist sie fertig.
+</p>
+
+<p>
+Draußen auf dem Hof spielen die Kinder.
+<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
+Sie denkt: &bdquo;Ihr Armen werdet schlechte Tage
+haben, wenn die Busze erst da ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz
+nachdem der Ansas dagewesen ist, und sagt: &bdquo;Dem
+Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß,
+daß ich von dieser Reise nicht wiederkommen
+werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: &bdquo;Warum
+sollst du nicht wiederkommen? Nach Tilsit ist
+bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch ein
+Versöhnungsfest sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre lächelt bloß und sagt: &bdquo;Wir werden
+ja sehn. Darum versprich mir, daß du auf die
+Kinder achtgeben wirst und dem Großvater
+schreibst, wenn es ihnen nicht gut geht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ane weint und verspricht alles, und die
+Indre geht heim. Sie bringt die Kinder zu Bett
+und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ...
+</p>
+
+<p>
+In der Frühe, lang&rsquo; vor der Sonne, fahren
+sie ab.
+</p>
+
+<p>
+Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider
+an, und auch sie hat sich geschmückt, denn es soll
+ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die rote,
+grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock,
+in dem sie vor neun Jahren mit ihm zur Versprechung
+nach der Kirche gefahren ist, und
+ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen.
+</p>
+
+<p>
+Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen
+<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
+und in dem vorderen Abschlag verstaut.
+</p>
+
+<p>
+Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten
+Wichsstiefel in der Hand. Im letzten Augenblick
+bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand
+gepackt, das wirft er neben sich vor das
+Steuer und sieht sie verstohlen dabei an, als ob
+er eine Frage erwartet.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie fragt nichts.
+</p>
+
+<p>
+Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß
+ihm die Hände zittern. Er will sich nichts merken
+lassen und sagt: &bdquo;Es ist ein hübsches kleines Windchen,
+wir können zu Mittag in Tilsit sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Mir ist es gleich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er meint: &bdquo;Ob es hin auch noch so rasch
+geht, zurück muß man kreuzen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann wirft er das Schwert aus und setzt
+auch den Raginnis, das kleine Vorsegel. Er sitzt
+nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so
+daß sie ihn kaum sehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings
+in dem Wasser glucksen die Fischchen.
+</p>
+
+<p>
+Über das weite Haff hin ist es nach Westen
+wie eine blaugraue Decke gebreitet, nur drüben
+die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen,
+dort, wo die Landzunge sich spitz in das
+Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine
+und wirft dann mit raschem Griff das
+<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
+Steuer um, denn von nun an geht es mit vollem
+Wind geradeswegs nach Osten.
+</p>
+
+<p>
+So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor
+dieser Stelle hat sie schon immer Angst gehabt,
+denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen
+ist, dann war es nur hier.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das
+liebe Minge, das in der Ferne ganz deutlich zu
+sehen ist, und denkt bei sich: &bdquo;Ach Vater, wenn
+du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die
+Indre fährt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche
+Stelle macht ihr das Herz eng.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung
+zu, die mit ihren Grasbändern rechts und
+links schon lang&rsquo; auf sie zu warten scheint.
+</p>
+
+<p>
+Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom,
+breit wie die Memel selber, von der er ein Arm
+ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf
+dem Wasser ein Reibeisen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zwei Mundvoll mehr wären gut,&ldquo; sagt der
+Ansas halb abgewandt zu ihr herüber, &bdquo;denn
+wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn
+merkt ihn doch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt bloß: &bdquo;Ich möchte nach Minge.&ldquo;
+Aber Minge liegt längst weit im Rücken. Denn
+drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen
+Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die
+Leute sagen, daß, wer darauf wohnen will, sich
+<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
+Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er
+nicht vor und nicht zurück.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;und muß stillhalten, wie er es bestimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun macht der Strom den großen Ellbogen
+nach Süden hin, und die Segel schlagen zur
+Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper
+sehen kann. Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag
+vorn an der Spitze, und er hinten am
+Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen.
+</p>
+
+<p>
+Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken.
+Er rückt nach rechts, er rückt nach links,
+aber es hilft ihm nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du armer Mann,&ldquo; denkt sie, &bdquo;ich möchte
+nicht an deiner Stelle sein.&ldquo; Und sie lächelt ihn
+traurig an, so leid tut er ihr.
+</p>
+
+<p>
+Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der
+große Herrenort, in dem so viel getrunken wird
+wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner
+Wasserpunsch fürchten sich ja selbst die Herren
+von der Regierung.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst mit den vielen Flößen davor der
+Anckersche Holzplatz und eine Sägemühle und
+dann noch eine und noch eine.
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern
+stromab aus Rußland kommen, sitzen in ihren
+langen, grauen Hemden auf der Floßkante und
+baden sich die Füße. Hinter ihnen rauchen die
+Kessel zum Frühstücksbrot.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
+&bdquo;Er wird mir wohl Gift &rsquo;reintun,&ldquo; denkt sie.
+Aber noch hat sie das mitgebrachte Essen in
+ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu
+sich nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen
+Sägemühle. Auch hier liegen Holztriften fest,
+und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik
+machen müssen, fangen schon an, die Kehlen zu
+stimmen.
+</p>
+
+<p>
+Eins von den Liedern kennt sie:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Lytus lynòju, rasà rasòju,</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">O mùdu abùdu lovò gulèju.</span></p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Sie denkt: &bdquo;Wenn alles so wäre wie einst,
+dann würden wir jetzt mitsingen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken winken ihnen auch einladend
+mit den Händen, aber keines von ihnen beiden
+grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen
+während der Fahrt noch zugewinkt, aber niemals
+haben sie Antwort gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine
+traurige Gegend. Links das Medszokel-Moor,
+wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das
+Bredszuller Moor, das auch nicht viel wert ist.
+Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln und Höhen
+der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem
+die wilden Elche hausen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie muß an jenen Frühlingstag denken,
+vor sieben Jahren. Sie trug damals die Elske im
+sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon
+<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
+wenig mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu
+ihr: &bdquo;Wir wollen nach Ibenhorst fahren, vielleicht
+daß wir die Elche sehen.&ldquo; Aber er nahm nicht
+wie heute die Waltelle &mdash; das Mittelboot &mdash;, denn
+damit kommt man in den kleinen Seitenflüssen
+nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem
+fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch
+das Gewirr der fließenden Gräben, durch Rohr
+und Binsen, stunden- und stundenlang. Und
+sie hatte den Kopf auf seinem Schoß liegen und
+sagte ein Mal über das andere: &bdquo;Ach, was brauchen
+wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz wunderschön.&ldquo;
+Und schließlich sahen sie doch einen.
+Es war ein mächtiger Bulle mit einem Geweih
+rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz
+nahe im Röhricht und kaute und sah sie an.
+Ansas sagte: &bdquo;Sehr wild scheint der nicht zu sein,
+ich fahr&rsquo; einfach auf ihn los.&ldquo; Aber die Elske
+in ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte
+einen heftigen Sprung. Und als sie ihm das
+sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren
+sollte.
+</p>
+
+<p>
+An jenen Frühlingstag also muß sie denken,
+und dabei kommt mitten aus ihrer Ergebung
+der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten
+Hände vor die Stirn legt und dreimal
+weinend sagt: &bdquo;O Gott, o Gott, o Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht
+und über die Großmastbank zu ihr herübersteigt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
+&bdquo;Worüber klagst du eigentlich?&ldquo; hört sie ihn
+sagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt:
+&bdquo;Ach Ansas, Ansas, weißt du nicht besser als ich,
+warum ich klage?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht
+stumm zum Hinterende zurück.
+</p>
+
+<p>
+Auf einer der entgegenfahrenden Triften
+spielt ein Dzimke die Harmonika.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt: &bdquo;Nun wird die Elske wohl nie
+mehr Klavier spielen lernen ... und der Willus
+wird auch niemals ein Pfarrer werden.&ldquo; Denn
+das hat sie sich in ihrem Sinne vorgenommen,
+weil es ein gottgefälliges Werk ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt weiter: &bdquo;Ich werde es mir noch
+vorher von ihm versprechen lassen.&ldquo; Aber wie
+kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen
+wird, so daß sie noch Zeit behält zum Bitten?
+Jeden Augenblick kann es kommen, denn oft
+ist alles menschenleer &mdash; auch an den Ufern weit
+und breit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was mag er nur in der Sackleinwand
+haben?&ldquo; denkt sie weiter. &bdquo;Da drin muß es
+sein, womit er das Schreckliche ausüben will.
+Aber was kann es sein?&ldquo; Das Paket ist rund
+und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer
+so stark. Als er es vor der Abfahrt auf
+den Boden warf, ist kein Schall zu hören gewesen.
+Es muß also leicht sein von Gewicht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
+&bdquo;Das Beste ist,&ldquo; denkt sie, &bdquo;ich lasse es kommen,
+wie es kommt, und nutze die Zeit, um Frieden
+zu machen mit dem Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt.
+Sie weiß kaum einmal, um was sie beten soll.
+Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht.
+Da braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein
+Floß kommt. Und so betet sie für die Kinder.
+Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne.
+</p>
+
+<p>
+Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht
+sagen. Aber die Sonne steht schon ganz hoch,
+da hört sie von drüben seine Stimme: &bdquo;Bring
+mir zu essen, ich hab&rsquo; Hunger!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse.
+&bdquo;Jetzt wird es geschehen,&ldquo; denkt sie. Aber wie
+sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst hinüberträgt
+und Brot und Butter dazu, da zittert
+sie nicht, denn jetzt denkt sie wieder: &bdquo;Nein, so
+kann es <em>nicht</em> geschehen, er wird sich eine andere
+Art und Weise suchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann, wie er fragt: &bdquo;Ißt du denn nichts?&ldquo;,
+kommt ihr plötzlich der Gedanke: &bdquo;Es wird <em>gar</em>
+nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn
+malt es mir aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er
+dasitzt, in sich zusammengekrochen und die Blicke
+irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser gerichtet,
+bloß nicht auf sie, dann weiß sie: &bdquo;Es wird
+<em>doch</em> geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
+Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt:
+&bdquo;Was hast du da in der Sackleinwand?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zieht finster den Mund in die Höhe und
+antwortet: &bdquo;Meine Wasserstiefel.&ldquo; Aber sie weiß,
+daß das nicht wahr sein kann, denn deren Absätze
+sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen
+geklappert.
+</p>
+
+<p>
+Dann packt sie die Speisen zusammen und
+geht nach dem Vorderende zurück.
+</p>
+
+<p>
+Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr
+Kopftuch tief in die Augen ziehen.
+</p>
+
+<p>
+Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen,
+auch der schwarze Rand des Ibenhorstes
+ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt
+sich die fruchtbare Niederung, wo der Morgen
+tausend Mark kostet und die Bauern Rotwein
+auf dem Tische haben.
+</p>
+
+<p>
+Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen
+liegt, der große, reiche Marktort, in
+dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus
+und ein gehen dürfen. &bdquo;Wenn der Willus
+Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus und
+ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja
+nie Pfarrer sein. Wird etwa die Busze ihn auf
+die hohe Schule gehen lassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann
+kommt die Stelle, an der die Gilge sich abzweigt.
+Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin
+im Grünen verschwinden, fragt aber nichts.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
+Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache
+wieder und sagt: &bdquo;Du, Indre, von nun an heißt
+es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die
+Memel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann
+wird es wieder still. So lange still, bis Ansas
+plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach
+vorne zeigt.
+</p>
+
+<p>
+Sie wendet sich um und fragt: &bdquo;Was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird sein?&ldquo; sagt er. &bdquo;Tilsit wird sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß
+nach ihm. Er lacht übers ganze Gesicht, weil sie
+nun bald da sind.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird <em>nicht</em> geschehen,&ldquo; denkt sie. &bdquo;<em>Der</em>
+Mensch kann sich nicht freuen, der so Schreckliches
+mit sich herumträgt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so
+gar keine Neugier zeigt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,&ldquo;
+sagt er, &bdquo;und hinten steht auch Napoleons
+Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären.
+Und so kommen sie immer näher.
+</p>
+
+<p>
+Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen,
+und die Eisengerüste hoch oben, die in der
+Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen &mdash;
+so was hat sie wirklich noch nie gesehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Alles war Unsinn,&ldquo; denkt sie. &bdquo;Es wird
+<em>nicht</em> geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
+Und dann kommen Holzplätze, so groß wie
+der Anckersche in Ruß, und Schornstein nach
+Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit
+Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in
+Memel. Denn Memel kennt sie. Dorthin ist
+sie früher manchmal zum Markt mitgefahren
+und um die See zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer
+vorgestellt. Die acht Kugeln sind wirklich
+da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es
+gar nicht anders sein könnte.
+</p>
+
+<p>
+Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem
+steinernen Ufer zu. Dort, wo er festmacht, liegen
+schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren
+Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus
+Tawe und Inse, die ihren Fang am Morgen verkauft
+haben.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,&ldquo;
+sagt einer neidisch, &bdquo;und verderbt uns die
+Preise?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht,
+antwortet ihm gar nicht. Für solche Gespräche
+ist er zu stolz.
+</p>
+
+<p>
+Indre breitet das weiße Reisetuch über den
+vorderen Abschlag und setzt die Speisen darauf.
+Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat
+sie auch Soleier und selbstgeräucherten Lachs
+mit eingepackt. Und da sie seit halb vier in
+der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie
+<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
+jetzt, daß ihr schon längst vor Hunger ganz
+schwach ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes
+einander nahe gegenüber und essen das Mitgenommene
+als Mittagbrot. Geld, um in ein
+vornehmes Gasthaus zu gehen und sich auftafeln
+zu lassen vom Besten, hat Ansas wohl übergenug.
+Aber das ist nicht Fischergewohnheit.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche,
+aber das Herz liegt ihr von all dem Fürchten
+noch wie ein Stein in der Brust.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen
+kann, denn die Erwartung, ihr alles zu zeigen,
+läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt:
+&bdquo;Nun kann es losgehen.&ldquo; Aber vorher kehrt er
+noch nach hinten zurück, das Hängeschloß zu holen,
+damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet.
+</p>
+
+<p>
+Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter
+den runden Sack, der vor dem Steuersitz liegt.
+Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und
+sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei
+erschrickt und zu ihr herüberglupt, ob sie&rsquo;s auch
+nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer Brust
+wird schwerer.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und
+er ihr alles erklärt, denkt sie wieder: &bdquo;Es kann
+nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis
+haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
+Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein,
+die breit ist wie ein Strom und an ihren Rändern
+lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern
+kann man sich kaufen, was man will, und alles
+ist viel schöner und prächtiger als in Memel.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas sagt: &bdquo;Hier aber ist das Schönste,&ldquo;
+und weist auf ein Schild, das die Aufschrift trägt:
+&bdquo;Konditorei von Dekomin&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt
+macht, so beschließen sie auch sogleich hineinzugehen
+und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die
+Indre da! In einer langen, schmalen Stube,
+in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit
+von der Wand ein Tisch, der von einem Ende
+bis zum andern reicht und der ganz bedeckt ist
+mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten
+aller Art.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da wollen wir nun schwelgen,&ldquo; sagt der
+Ansas und reckt sich.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr
+die Stücke einzeln auf den Teller legen. Auch
+einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist
+süß wie der Himmel und klebt an den Fingern,
+so daß man immerzu nachlecken muß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?&ldquo;
+fragt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, das versteht sich,&ldquo; sagt er und lacht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
+Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz,
+daß sie die Kinder vielleicht niemals mehr sehen
+wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an &mdash;
+und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert.
+Der Mund steht ihm offen, ganz hohl sind die
+Backen, und die Augen schielen an ihr vorbei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird <em>doch</em> geschehen,&ldquo; denkt sie und
+legt den Teelöffel hin, ißt auch nicht einen Bissen
+mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller
+verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie
+mit den Fingerspitzen auf und denkt dabei &mdash; &mdash;
+ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch
+er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet
+kein Wort.
+</p>
+
+<p>
+Also wird es <em>doch</em> geschehen!
+</p>
+
+<p>
+Dann, wie er aufsteht, sagt er: &bdquo;Nun laß dir
+einpacken.&ldquo; Aber sie kann nicht. &bdquo;Bring <em>du</em> es
+ihnen,&ldquo; sagt sie, und er tritt an den Tisch und
+sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht,
+denn seine Augen gehen immer nach ihr zurück,
+als will er was sagen und traut sich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten,
+die von der Nachmittagssonne geheizt
+ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck und
+fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies
+ist das und jenes ist das. Aber sie hört kaum
+mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer
+Angst. Die kommt und geht, wie die Haffwellen
+ans Ufer schlagen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
+Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen,
+in dessen Schaufenster auch Kindersachen ausliegen.
+&bdquo;Wir wollen &rsquo;reingehen,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Du
+kannst den Kindern ein Andenken mitbringen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Andenken? An wen?&ldquo; fragt er und stottert
+dabei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An mich,&ldquo; sagt sie und sieht ihn fest an.
+</p>
+
+<p>
+Da wird er wieder rot, wendet die Augen
+ab und fragt nichts weiter.
+</p>
+
+<p>
+Es wird also ganz sicher geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze
+mit roten Rändern, damit er sich nicht
+schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für
+die Elske eine blaue Kappe gegen die Sonne
+und für den kleinen Willus &mdash; was kann es viel
+sein? &mdash; ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn
+zu binden. &bdquo;Vielleicht werden doch noch einmal
+Pfarrerbäffchen daraus,&ldquo; denkt sie und verbeißt
+ihre Tränen.
+</p>
+
+<p>
+Der junge Mann, der die Sachen einwickelt,
+sagt zu Ansas gewandt: &bdquo;Vielleicht haben Sie
+auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man
+die Indre eine &bdquo;Frau Gemahlin&ldquo; nennt, was von
+einer litauischen Fischersfrau wohl nicht häufig
+gesagt wird.
+</p>
+
+<p>
+Und der junge Mann fährt fort: &bdquo;Vielleicht
+darf ich auf unsere echten Schleiertücher aufmerksam
+machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung
+<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
+erlauben darf, das, welches die Frau
+Gemahlin augenblicklich trägt, ist etwas &mdash; durchgeschwitzt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Indre erschrickt und sucht einen Spiegel,
+denn noch hat sie nicht den Mut gehabt, sich irgendwo
+zu besehen. Und der junge Mann breitet
+eilig seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus
+Spinnweben gemacht und haben Muster wie
+die schönsten Mullgardinen.
+</p>
+
+<p>
+Ansas wählt das teuerste von allen &mdash; er getraut
+sich gar nicht, ihr zu sagen, <em>wie</em> teuer es
+ist &mdash;, und der junge Mann führt sie vor eine
+Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie
+sie das Tuch am Halse geknotet hat, so daß
+es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet,
+da weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu
+lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!&ldquo; ruft
+er ein Mal über das andere. &bdquo;Nie hat dieser
+Spiegel etwas Schöneres gesehen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der
+Ansas sich freut.
+</p>
+
+<p>
+Im Rausgehen wendet er sich noch einmal
+um und fragt den jungen Mann, ob er wohl
+weiß, wie die Züge gehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zur Ankunft oder zur Abfahrt?&ldquo; fragt der
+junge Mann.
+</p>
+
+<p>
+Und Ansas meint, das wäre ganz gleich.
+</p>
+
+<p>
+Da lächelt der junge Mann und sagt, bald
+<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
+nach viere komme einer an, und gegen sechse
+fahre einer ab. Man habe also die Auswahl.
+</p>
+
+<p>
+Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen
+sind: &bdquo;Wir wollen lieber die Abfahrt nehmen,
+denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann
+man da machen?
+</p>
+
+<p>
+Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß:
+&bdquo;Wenn es <em>doch</em> geschehen soll, warum hat er
+dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und in ihr Herz kommt wieder einmal die
+Hoffnung zurück.
+</p>
+
+<p>
+Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben,
+auf der ein Zettel klebt:
+</p>
+
+<p class="center">
+<em>Jakobsruh</em><br />
+heute vier Uhr<br />
+<em>Großes Militärkonzert</em><br />
+ausgeführt von der Kapelle<br />
+des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht.
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und darunter steht alles gedruckt, was sie
+spielen werden.
+</p>
+
+<p>
+Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht
+geworden; kaum zu fühlen ist er. Aber sie hat
+Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das
+augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist,
+auch Litauer zugegen sein dürfen &mdash; und dazu
+noch in ihrer Landestracht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
+Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld
+bezahlt, ist eingeladen, gleichgültig ob er
+&bdquo;<span class="antiqua">wokiszkai</span>&ldquo; spricht oder &bdquo;<span class="antiqua">lietuwiszkai</span>&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke,
+daß es ja ein <em>litauisches</em> Dragonerregiment
+ist, welches die Musiker hergibt, macht
+ihre Schamhaftigkeit etwas geringer.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie also in einer Droschke nach
+Jakobsruh, jenem Lustort, der bekanntlich so
+schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so
+hoch und schattengebend wie diese hat Indre noch
+nie gesehen, auch nicht in Heydekrug und nicht
+in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden
+gibt und dünne Erlen, könnte man sich von einer
+solchen Blätterkirche erst recht keinen Begriff
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden
+Orte noch bange genug, denn ringsum sitzen an
+rotgedeckten Tischen lauter städtische Herrenleute,
+und als Ansas vorangeht, einen Platz zu
+suchen, recken alle die Hälse und sehen hinter
+ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken.
+</p>
+
+<p>
+Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten.
+Er findet auch gleich einen leeren Tisch, wischt
+mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen
+und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm
+und ihr Kaffee und Kuchen zu bringen. Genau
+so, wie es die anderen machen.
+</p>
+
+<p>
+So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man
+<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
+fühlt sich gut geborgen bei ihm, und alle die Angst
+war ein Unsinn.
+</p>
+
+<p>
+Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut
+mit dünnen Eisenständern und einem
+runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit hellblauen
+Soldaten. O Gott, so vielen und blanken
+Soldaten! Während es doch sonst nur drei oder
+vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst kommt ein Stück, das heißt &bdquo;Der
+Rosenwalzer&ldquo;. So steht auf einem Blatt zu
+lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat.
+Wie das gespielt wird, ist es, als flöge man gleich
+in den Himmel. Dicht vor den Musikern haben
+sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib
+gefaßt und drehen sich im Tanze. Da möchte
+man gleich mittanzen.
+</p>
+
+<p>
+Und hat sich doch vor einer Stunde noch in
+Todesnöten gewunden!
+</p>
+
+<p>
+Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und
+auch die Indre klatscht.
+</p>
+
+<p>
+Rings wird es still, und die Kaffeetassen
+klappern.
+</p>
+
+<p>
+Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie
+ihn etwas fragen will &mdash; so gut ist sie schon wieder
+mit ihm &mdash;, da macht er ihr ein heimliches
+Zeichen nach links hin: sie soll horchen.
+</p>
+
+<p>
+Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame
+von ihr.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
+&bdquo;Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel
+hübscher als wir deutschen Frauen,&ldquo; sagt die
+Dame.
+</p>
+
+<p>
+Und der Herr sagt: &bdquo;In ihrer blassen Lieblichkeit
+sieht sie aus wie eine Madonna von &mdash; &mdash;&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht.
+Auch was das ist: &bdquo;Madonna&ldquo;, weiß sie
+nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas
+gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich.
+</p>
+
+<p>
+Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit
+dem er gleichsam zu ihr in die Höhe schaut,
+und nun weiß sie, was sie schon im Laden
+geahnt hat: er ist stolz auf sie, und sie braucht
+nie mehr Angst zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Dann hört die Pause auf, und es kommt ein
+neues Stück. Das heißt &bdquo;Zar und Zimmermann&ldquo;.
+Der Zar ist der russische Kaiser. Daß
+man von <em>dem</em> Musik macht, läßt sich begreifen.
+Warum aber ein Zimmermann zu solchen Ehren
+kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen
+trägt und immerzu Balken abmißt, bleibt ein
+Rätsel.
+</p>
+
+<p>
+Dann kommt ein drittes Stück, das wenig
+hübsch ist und bloß den Kopf müde macht. Das
+hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann kommt etwas! Daß es so was
+Schönes auf Erden gibt, hat man selbst im Traum
+nicht für möglich gehalten. Es heißt: &bdquo;Die Post
+im Walde&ldquo;. Ein Trompeter ist vorher weggegangen
+<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
+und spielt die Melodie ganz leise und
+sehnsüchtig von weit, weit her, während die
+andern ihn ebenso leise begleiten. Man bleibt
+gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und weil
+die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen
+dürfen, wie sie sich hat, springt sie rasch auf und
+eilt durch den Haufen, der die Kapelle umgibt,
+und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es
+einsam ist und wo hinter den Bäumen versteckt
+noch leere Bänke stehen.
+</p>
+
+<p>
+Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch
+aus den Augen, damit es nicht naß wird,
+und weint, und weint sich all die &mdash; ach, all die
+ausgestandene Angst von der Seele.
+</p>
+
+<p>
+Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt
+ihre Hand. Sie weiß natürlich, daß es der Ansas
+ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie lehnt
+den Kopf an seine Schulter und sagt immer
+schluchzend: &bdquo;Mein Ansuttis, mein Ansaschen,
+bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun
+wird, aber sie kann nicht anders &mdash; sie muß immerzu
+bitten.
+</p>
+
+<p>
+Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand
+fest und sagt ein Mal über das andere: &bdquo;Was
+redest du da nur? Was redest du da nur?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Noch ist es nicht gut. Ehe du es
+nicht gestehst, ist es noch nicht ganz gut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Ich habe nichts zu gestehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
+Und sie streichelt seinen Arm und sagt: &bdquo;Du
+wirst es schon noch gestehen. Ich weiß, daß du
+es gestehen wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu
+gestehen hat, und sie gibt sich zufrieden. Nur
+wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die
+Busze sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu
+kalt über den Rücken.
+</p>
+
+<p>
+Mit ineinandergelegten Händen gehen sie
+zu ihrem Tische zurück und kümmern sich nicht
+mehr um die Leute, die nicht satt werden können,
+ihnen nachzusehen.
+</p>
+
+<p>
+Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden
+sind und statt ihrer Biergläser stehen,
+bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen
+Herrn &mdash; aber kein Bier bestellt er, sondern
+eine Flasche süßen Muskatwein, wie ihn die
+Litauer lieben.
+</p>
+
+<p>
+Und beide trinken und sehen sich an, bis
+Indre sich ein Herz faßt und ihn fragt: &bdquo;Mein
+Ansaschen, was heißt das &mdash; eine Madonna?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So nennt man die katholische heilige Jungfrau,&ldquo;
+sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich:
+&bdquo;Wenn&rsquo;s weiter nichts ist.&ldquo; Denn die Neidischen,
+die sie ärgern wollten, haben sie schon als
+Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine
+fromme Lutheranerin gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie trinken immer noch mehr, und Indre
+<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
+fühlt, daß sie rote Backen bekommt, und weiß
+sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich fällt dem Ansas ein: &bdquo;O Gott &mdash;
+die Eisenbahn! Und die Uhr ist gleich sechse!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt
+mit zwei harten Talern. Dann fragt er noch
+nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber
+wie sie nun eilends dorthin laufen wollen, ergibt
+es sich, daß sie nicht mehr ganz gerade stehen
+können.
+</p>
+
+<p>
+Die Leute lachen hinter ihnen her, und die
+Dame am Nebentisch sagt bedauernd: &bdquo;Daß
+diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Hätte sie gewußt, <em>was</em> hier gefeiert wird,
+so hätte sie&rsquo;s wohl nicht gesagt.
+</p>
+
+<p>
+Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah
+an den Schienen entlang. Sie laufen und lachen
+und laufen.
+</p>
+
+<p>
+Da mit einmal macht es irgendwo: &bdquo;Puff,
+puff, puff.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+O Gott &mdash; was für ein Ungeheuer kommt
+dort an! Und geradeswegs auf sie zu.
+</p>
+
+<p>
+Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen
+und fragt: &bdquo;Ist sie das?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, das ist sie.
+</p>
+
+<p>
+Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben!
+Der Pukys mit dem feurigen Schweif und der
+andere Drache, der Atwars, sind gar nichts dagegen.
+Sie schreit und hält sich die Augen zu
+<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
+und weiß nicht, ob sie weiterlachen oder noch
+einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie
+beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und
+nimmt die Schürze vom Gesicht und macht:
+&bdquo;Puff, Puff.&ldquo; Genau so kindisch, wie die Elske
+machen würde, wenn sie den Drachen sähe, mit
+dem die Leute spazieren fahren.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wohin fahren sie?&ldquo; fragt sie dann, als die
+letzten Wagen vorbei sind.
+</p>
+
+<p>
+Und Ansas belehrt sie: &bdquo;Zuerst nach Insterburg
+und dann nach Königsberg und dann immer
+weiter bis nach Berlin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?&ldquo;
+bittet sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn alles geordnet ist,&ldquo; sagt er, &bdquo;dann
+wollen wir nach Berlin fahren und den Kaiser
+sehen.&ldquo; Dabei wird er mit einmal steinernst, als
+ob er ein Gelübde tut.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, wie ist das Leben schön!
+</p>
+
+<p>
+Und das Leben wird immer noch schöner.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt
+an dem &bdquo;Anger&ldquo; vorbeikommen, jenem großen,
+häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh-
+und Pferdemärkte abgehalten werden, da hören
+sie aus dem Gebüsch, das den einrahmenden Spazierweg
+umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel
+und sehen den Glanz von Purpur und von Flittern
+durch die Zweige schimmern.
+</p>
+
+<p>
+Nun möchte ich den Litauer kennen lernen,
+<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
+der an einem Karussell vorbeigeht, ohne begierig
+stehen zu bleiben.
+</p>
+
+<p>
+Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern,
+und morgen früh will Ansas beim Kuhfuttern
+sein, aber was kann der kleine Umweg viel
+schaden, da man ja so wie so an vierzehn Stunden
+kreuzen muß.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie das runde, sammetbehangene
+Tempelchen vor sich sehen, dessen Prunksessel
+und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen,
+da weist Ansas mit einmal fast erschrocken nach
+dem Leinwanddache, auf dessen Spitze ein goldener
+Wimpel weht.
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß nicht, was sie da kucken soll.
+</p>
+
+<p>
+Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen
+rings auf den Dächern. Es stimmt! Der
+Wind ist nach Süden umgeschlagen &mdash; und das
+Kreuzen unnötig geworden. In sieben Stunden
+kann der Kahn zu Hause sein.
+</p>
+
+<p>
+Also &rsquo;rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt
+sich wohl ein bißchen &mdash; eine Mutter von drei
+Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt
+sie ja keiner. Also, fix, fix &rsquo;rauf auf die Pferde,
+sonst geht&rsquo;s am Ende noch los ohne sie beide.
+</p>
+
+<p>
+Und sie reiten und fahren und reiten wieder,
+und dann fahren sie noch einmal und noch einmal,
+weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig
+sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe
+geworden, und der Himmel jagt rückwärts
+<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
+als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie
+fahren noch immer und singen dazu:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p>
+ <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst!</p>
+ <p class="verse">Die Sonne wär&rsquo; nichts wie ein finsteres Loch,</p>
+ <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal
+Freifahrt gehabt haben, singen dankbar mit,
+obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich wird der Indre übel. Sie
+<em>muß</em> ein Ende machen, ob sie will oder nicht.
+Und nun stehen sie beide lachend und betäubt
+unter den johlenden Kindern und streuen in die
+ausgestreckten Hände die Krümel der Konditorkuchen,
+die sie aus Versehen längst plattgesessen
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man
+sich liebt und Karussell dazu fährt!
+</p>
+
+<p>
+Dann nehmen sie Abschied von den Kindern
+und den Kindermädchen, von denen etliche sie
+noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg
+zu zeigen, sagen sie, aber in Wahrheit wollen
+sie bei Gelegenheit noch ein Stück Kuchen erraffen.
+Und sie hätten auch richtig was gekriegt,
+wenn sie bis zur Dekominschen Konditorei ausgehalten
+hätten. Aber die liegt ja, wie wir wissen,
+am andern Ende der Stadt.
+</p>
+
+<p>
+Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein
+schönes Paketchen zurechtmachen, aber diesmal
+<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
+sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt derweilen
+noch zwei Gläschen von dem klebrigen
+Rosenlikör und nimmt zur Sicherheit für vorkommende
+Fälle gleich die ganze Flasche mit.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die
+Sonne längst untergegangen. Aber das macht
+nichts, denn der Südwind hält fest, und der
+Mond steht schon bereit, um ihnen zu leuchten.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt
+ein Kinderspiel.
+</p>
+
+<p>
+Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus,
+damit die Bodenbretter hübsch trocken sind, wenn
+die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie will
+nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn
+auf die Paragge, damit sie dem Ansas zusehen
+und sich im stillen an ihm freuen kann.
+</p>
+
+<p>
+Und dann geht es los.
+</p>
+
+<p>
+Die Ufer werden dunkler, und eine große
+Stille breitet sich aus. Sie muß immerzu daran
+denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz
+sie drückte, als sie vor acht Stunden desselben
+Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt Atem holen
+kann.
+</p>
+
+<p>
+Sie möchte am liebsten ein Dankgebet
+sprechen, aber sie will es nicht allein tun, denn
+er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er
+es auch.
+</p>
+
+<p>
+Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und
+Steuer, denn die Brückenpfeiler sind da und
+<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
+viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker
+liegen.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist
+alles.
+</p>
+
+<p>
+Alsdann breitet sich der Strom, und der
+Mond fängt zu scheinen an. Die Wellchen sind
+ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und
+setzen sich und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen.
+</p>
+
+<p>
+Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber
+nicht, denn der Mond steht hinter ihr. Darum
+sagt er auch plötzlich: &bdquo;Warum sitzt du so weit
+von mir weg?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen
+hab&rsquo;,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden
+wie Tag und Nacht,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Und sie denkt: &bdquo;Bloß daß jetzt Tag ist und
+damals Nacht war.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darum komm herüber und setz dich neben
+mich,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie gerne sie das tut!
+</p>
+
+<p>
+Aber als sie ihm näher kommt, da fällt
+ihr Blick auf die Sackleinwand, die zwischen
+seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht.
+Sie sinkt auf die Mittelbank nieder und lehnt
+ihren Rücken gegen den Mast.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
+&bdquo;Warum kommst du nicht?&ldquo; fragt er fast
+unwirsch.
+</p>
+
+<p>
+Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll
+sie ihn fragen, soll sie&rsquo;s mit Stillschweigen übergehen?
+Aber das weiß sie: dorthin, wo prall
+und rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er
+sie belügt, dorthin kann sie die Füße nicht setzen.
+Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen
+zu treten.
+</p>
+
+<p>
+Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit
+zu schaffen über das, was gewesen ist. Jetzt
+gleich im Augenblick. Denn später kommt sie
+vielleicht nie.
+</p>
+
+<p>
+Sie faßt sich also ein Herz.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen,
+was du in der Sackleinwand hast?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem
+Schlangennest in den Fuß gebissen, aber er
+schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann
+sehen, wie er zittert.
+</p>
+
+<p>
+Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine
+Schulter, aber sie hütet sich wohl, der Sackleinwand
+zu nahe zu kommen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Ansaschen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;es ist ja jetzt
+wieder ganz gut zwischen uns, aber ehe du nicht
+alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse
+nicht weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn
+schüttelt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
+&bdquo;Und dann, mein Ansaschen,&ldquo; sagt sie weiter,
+&bdquo;geht es auch wegen des lieben Gottes nicht
+anders. Ich hab&rsquo; vorhin beten wollen, aber die
+Worte blieben mir im Halse. Denn du standest
+mir nicht bei. Darum sag es schon, und dann
+beten wir beide zusammen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt
+die Arme um ihre Kniee und gesteht alles.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein armes Ansaschen,&ldquo; sagt sie, als er zu
+Ende ist, und streichelt seinen Kopf. &bdquo;Da müssen
+wir aber <em>tüchtig</em> beten, damit der liebe Gott
+uns verzeiht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee
+nieder, faltet ihre Hände mit den seinen zusammen,
+und so beten sie lange. Nur manchmal
+muß er nach dem Steuer sehen, und dann wartet
+sie, bis er fertig ist.
+</p>
+
+<p>
+Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie,
+und dann stehen sie wieder auf und sind guter
+Dinge.
+</p>
+
+<p>
+Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen
+zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie zeigt darauf hin und will es wissen.
+</p>
+
+<p>
+Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu
+sehr.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt sie: &bdquo;Ich werde selber öffnen.&ldquo;
+Und er wehrt ihr nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie den Sack aufreißt, was findet
+sie da? Zwei Bündel grüne Binsen findet sie,
+<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
+mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+Sie lacht und sagt: &bdquo;Ist das die ganze Zauberei?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er schämt sich noch immer.
+</p>
+
+<p>
+Da errät sie langsam, daß er damit nach dem
+Umschlagen des Kahnes hat davonschwimmen
+wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im
+tiefen Wasser paddeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Solch ein Lunterus bin ich geworden!&ldquo; sagt
+er und schlägt sich mit den Fäusten vor die Brust.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie lächelt und sagt: &bdquo;Pfui doch, Ansaschen,
+der Mensch soll sich nicht <em>zu</em> hart schimpfen,
+sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern
+richtet auch seine Seele wieder auf. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie sie sich neben ihn setzt &mdash; denn er will
+sie nun ganz nahe haben &mdash;, da merkt sie, daß
+sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert,
+darum breitet sie zu seinen Füßen das
+weiße Reisetuch aus, das sie im vorderen Abschlag
+verwahrt hat, und legt sich darauf &mdash; doch so, daß
+ihr Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und
+nun ist es genau so wie damals in Ibenhorst,
+als die Elske noch unterwegs war.
+</p>
+
+<p>
+Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück
+nicht, was sie zueinander reden sollen.
+</p>
+
+<p>
+Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras
+&mdash; man kann den Thymian unterscheiden
+<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
+und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran
+und das Timotheegras &mdash; und was sonst noch
+starken Duft an sich hat ... Der Stromdamm
+zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband.
+Nur wo zufällig der Rasen den Abhang hinuntergeglitten
+ist, da leuchtet er wie ein Schneeberg.
+Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß
+man immer ein wenig aufpassen muß.
+</p>
+
+<p>
+Außer den plumpsenden Fischchen, die nach
+den Mücken jagen, ist nicht viel zu hören. Nur
+die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt
+ein Gehölz oder ein Garten, dann ist auch die
+Nachtigall da und singt ihr: &bdquo;Jurgut &mdash; jurgut &mdash;
+jurgut &mdash; wa&#382;ok, wa&#382;ok, wa&#382;ok&ldquo; ... Und der
+Wachtelmann betet sein Liebesgebet: &bdquo;Garbink
+Diewa&ldquo;. Sogar ein Kiebitz läßt sich noch ab und
+zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte.
+</p>
+
+<p>
+Und dann kommt mit einemmal Musik. Das
+sind die Dzimken, die ihre Triften während der
+Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber
+Gott weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern
+sie und singen, und bei Nacht singen sie auch.
+</p>
+
+<p>
+Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie
+ringsum. Einer spielt die Harmonika, und sie
+singen.
+</p>
+
+<p>
+Da hört man auch schon das hübsche Liedchen
+&bdquo;Meine Tochter Symonene,&ldquo; das jeder kennt,
+in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja,
+die Symonene! Die zu einem Knaben kam und
+<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
+wußte nicht wie! Das kann wohl mancher so
+gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman
+geworden, wenigstens hat die Symonene
+es so geträumt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Willus muß ein Pfarrer werden,&ldquo;
+bittet die Indre schmeichelnd zu Ansas empor.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Willus wird ein Pfarrer werden,&ldquo; sagt
+er ganz feierlich, und die Indre freut sich. Denn
+was in solcher Stunde versprochen wird, das erfüllt
+sich gleichsam von selber.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald
+kommt ein nächstes. Darauf spielt einer gar die
+Geige. Und die andern singen:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Unterm Ahorn rinnt die Quelle,</p>
+ <p class="verse">Wo die Gottessöhne tanzen</p>
+ <p class="verse">Nächtlich in der Mondenhelle</p>
+ <p class="verse">Mit den Gottestöchtern.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken
+erkennen die Frauenstimme und rufen ihnen
+ein &bdquo;<span class="antiqua">Labs wakars!</span>&ldquo; zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß
+will Ansas ihnen was Freundliches
+antun und läßt sich die Mühe nicht verdrießen, das
+Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen.
+</p>
+
+<p>
+Nun kommen sie alle heran &mdash; es sind ihrer
+fünfe &mdash;, und der Jude, dem die Trift gehört,
+kommt auch.
+</p>
+
+<p>
+Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör
+ein, und sie erklären, so was Schönes noch
+nie im Leben getrunken zu haben.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
+Und dann singen sie alle zusammen noch
+einmal das Lied von den Gottestöchtern, von
+dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei
+Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen.
+</p>
+
+<p>
+Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand,
+und die Indre auch. Und der Jude wünscht
+ihnen &bdquo;noch hundert Johr&ldquo;!
+</p>
+
+<p>
+Wären&rsquo;s bloß hundert Stunden gewesen,
+der Ansas hätt&rsquo; sie brauchen können.
+</p>
+
+<p>
+Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal
+hervorgeholt ist, wäre es unklug gewesen,
+sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und
+zu einen Tropfen und werden immer glücklicher.
+</p>
+
+<p>
+Noch an mancher Trift kommen sie vorbei
+und singen mit, was sie nur singen können, aber
+halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör
+ihnen zu schade.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal will auch der Schlaf sie befallen,
+aber sie wehren sich tapfer. Denn sonst &mdash; weiß
+Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben!
+</p>
+
+<p>
+Nur eins darf der Ansas sich gönnen &mdash; nämlich
+von dem Abschlag hernieder auf die Bodenbretter
+zu gleiten. So kann er die Indre in
+seinem linken Arm halten und mit dem rechten
+das Steuer versehen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner
+Brust und denkt selig: &bdquo;Der Endrik &mdash; und die
+Elske &mdash; und der Willus &mdash; und nun sind wir
+alle fünfe wieder eins.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
+Mit einmal &mdash; sie wissen nicht wie &mdash; ist Ruß
+da. Sie erkennen es an dem Brionischker Schornstein,
+der wie ein warnender Finger zu ihnen
+sagt: &bdquo;Paßt auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken, die dort mit ihren Triften
+liegen, sind nun richtig schlafen gegangen. Auch
+ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die
+tausendmal stilleschweigen, was macht es aus?
+Von Ruß gibt es ein hübsches Liedchen:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Zwei Fischer waren,</p>
+ <p class="verse">Zwei schöne Knaben,</p>
+ <p class="verse">Aus Ruß gen Westen</p>
+ <p class="verse">Zum Haff gefahren.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Das singen sie aus voller Kehle, und um
+hernach die Kehle anzufeuchten, wollen sie noch
+einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen,
+aber siehe da, &mdash; die Flasche ist leer.
+</p>
+
+<p>
+Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird
+immer zärtlicher.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, liebes Ansaschen,&ldquo; bittet die Indre,
+&bdquo;gleich kommt der große Ellbogen, und dann geht
+es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist
+auch schon der blanke Szieszefluß, da wo die
+Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine
+mehr an und steuert nach links. Es geht zwar
+schwer, aber es geht doch noch immer.
+</p>
+
+<p>
+Bis nach Windenburg hin, die anderthalb
+Meilen, läuft der Strom nun so schnurgerade,
+<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
+wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man
+hinter der Mündung der Mole ein wenig auszuweichen
+braucht.
+</p>
+
+<p>
+Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche
+Stelle ist, dort, wo gerade bei Südwind der
+Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff
+seitlich stark einsetzt, dort muß man die Sinne
+doppelt beisammen halten &mdash; aber bis dahin
+ist noch lange, lange &mdash; &mdash; ach, wie lange Zeit!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich
+vergeben hast, dann mußt du&rsquo;s mir auch
+beweisen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen, du mußt aufpassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach was, aufpassen!&ldquo; Wenn man so lange
+blind und verhext neben der Besten, der Schönsten,
+neben einer Gottestochter dahergegangen ist
+und die Augen sind wieder aufgetan, was heißt
+da aufpassen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Meine</em> Indre!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Mein</em> Ansaschen!&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder
+nebeneinander, und der Kahn fährt dahin, als
+säße die Laime selber am Steuer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen &mdash; aber nicht einschlafen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, wo werd&rsquo; ich einschlafen.&ldquo; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen &mdash; wer einschläft, den muß der
+andere wecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl &mdash; den &mdash; muß &mdash; der andere
+wecken.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
+&bdquo;Ansaschen, du schläfst!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer so was &mdash; sagen kann, &mdash; der schläft &mdash;
+selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen, wach auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich wach&rsquo;. Wachst du?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so schlafen sie ein.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett.
+Sie weckt also ihren Mann und sagt: &bdquo;Doczys,
+steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?&ldquo;
+fragt der Doczys, sich den Schlaf aus den Augen
+reibend. &bdquo;Fischen tu&rsquo; ich erst morgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Indre hat solche Reden geführt,&ldquo; sagt
+die Doczene, &bdquo;es ist besser, wir fahren ihnen
+entgegen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und
+setzt die Segel.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es
+schon Tag, und der Frühnebel liegt so dicht,
+daß sie keine Handbreit vorauf sehen können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wohin soll ich fahren?&ldquo; fragt der Doczys.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach Windenburg zu,&ldquo; bestimmt die Doczene.
+</p>
+
+<p>
+Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen
+entgegen, und sie müssen kreuzen.
+</p>
+
+<p>
+Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf.
+</p>
+
+<p>
+Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel
+gedrungen &mdash; eine Frauenstimme.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
+&bdquo;Gerade drauf zu!&ldquo; schreit die Doczene.
+Aber er muß ja kreuzen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kommen schließlich doch näher &mdash; ganz
+nahe kommen sie.
+</p>
+
+<p>
+Da finden sie die Indre auf dem Wasser
+liegen, wie die Wellen sie auf und nieder schaukeln.
+</p>
+
+<p>
+Wie hat es zugehen können, daß sie <em>nicht</em>
+ertrunken ist?
+</p>
+
+<p>
+Rechts und links von ihrer Brust ragen halb
+aus dem Wasser zwei Bündel von grünen Binsen,
+die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken
+zusammengebunden.
+</p>
+
+<p>
+Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit
+immerzu: &bdquo;Rettet den Ansas! Rettet den
+Ansas!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja &mdash; wo ist der Ansas?
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder
+hochgekommen ist, da hat sie seine Hände gefühlt,
+wie er wassertretend die Binsen an ihr befestigte.
+Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm.
+</p>
+
+<p>
+Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie
+finden ihn nicht. Nur den umgeschlagenen Kahn
+finden sie. An dem hätte er sich wohl halten
+können, aber er ist ihm sicher davongeschwommen,
+dieweil er die Binsen an Indres Leibe
+befestigte.
+</p>
+
+<p>
+Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre
+liegt auf den Knieen und betet um ein Wunder.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
+Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei
+Tage später lag er oberwärts friedlich am
+Strande.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Neun Monate nach dem Tode des Ansas
+gebar ihm die Indre einen Sohn. Er wurde
+nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas,
+das heißt &bdquo;Abschluß&ldquo; benannt. Doch weil der
+Name ungebräuchlich ist, hat man ihn meistens
+nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein
+ansehnlicher Mann.
+</p>
+
+<p>
+Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft
+in gutem Stande, die Elske hat einen wohlhabenden
+Besitzer geheiratet, und der Willus
+ist richtig ein Pfarrer geworden. Seine Gemeinde
+sieht in ihm einen Abgesandten des
+Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt
+im Ausgedinge bei dem ältesten Sohn. Wenn
+sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie
+weiß, daß sie nun bald im Himmel mit Ansas
+vereint sein wird, denn Gott ist den Sündern
+gnädig.
+</p>
+
+<p>
+Und also gnädig sei er auch uns!
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-3">
+<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
+Miks Bumbullis
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-3-1">
+<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer
+gegangen, hatten sich dann beim
+Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten,
+wie das junger Menschenkinder gutes Recht ist,
+und als sie sich dem Försterhause näherten, verschämt
+und verstohlen, da war es fast schon heller
+Tag.
+</p>
+
+<p>
+Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe
+im Wohnzimmer des Herrn noch brannte. Er
+winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins
+Haus zu schleichen, und tat so, als sei er schon
+bei der Arbeit. Er machte sich an dem Holzlager
+zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche
+Erlenkloben zwecklos übereinander.
+</p>
+
+<p>
+Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des
+alten Hegemeisters auf sich zu lenken und der
+Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den
+er erwartet hatte, blieb aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,&ldquo;
+dachte er und setzte erleichtert die Pfeife in
+Brand.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
+Aber da sah er, wie vom Giebelende her die
+Eve mit heftigen Gebärden nach ihm zu rufen
+schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und
+erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie
+beim Nachsehen das Bettchen der kleinen Anikke
+leer gefunden habe.
+</p>
+
+<p>
+Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen
+Neffen, das der Alte zu sich genommen
+hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter
+aus Gram darüber dem Lungenhusten erlegen
+war. Als erster Gedanke stieg dem Grigas auf,
+daß nur eine der Laumen die Anikke entführt
+haben könne. Denn daß diese Feen sich mit dem
+Wegnehmen und Auswechseln von Kindern befassen,
+auch lange nachdem sie getauft sind, das
+weiß ja selbst der Dümmste.
+</p>
+
+<p>
+Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung
+war, wollte ihm nicht Recht geben. Die brennende
+Lampe &mdash; und die Stille im Haus &mdash; und dazu
+kam noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen
+bemerkt haben wollte: Das Fenster war geschlossen
+gewesen, aber in einer der Rauten hatten
+die Scherben gehangen.
+</p>
+
+<p>
+So faßte er sich denn ein Herz und machte
+sich dicht vor der erleuchteten Stube zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+Und beim Hineinschielen &mdash; was sah er da?
+Der alte Wickelbart lag auf dem Boden in seinem
+Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme
+schlief das Kind.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
+Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen
+wieder lebendig. Sie wußten auch
+gleich, wer&rsquo;s getan hatte: &bdquo;Miks Bumbullis&ldquo;
+sagten sie fast in einem Atemzuge.
+</p>
+
+<p>
+Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei
+Tagen von dem alten Hegemeister abgefaßt worden,
+wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm
+und dazu ein &bdquo;<span class="antiqua">Tewe musso</span>&ldquo; betete. Denn
+das Vaterunser ist immer gut gegen das Abgefaßtwerden.
+Aber diesmal hatte es dem Miks
+nichts geholfen. Er hatte sogar noch seine Flinte
+hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht
+gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum,
+weil er genau wußte, daß sein Gefangener ihn
+während des Weges trotz seiner Schußwaffe überwältigen
+würde.
+</p>
+
+<p>
+Und nun hatte er doch daran glauben müssen.
+Denn mit dem Miks Bumbullis war nicht zu
+spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze
+ging, wo dem Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt
+wurde, wo man dem Juden den Schnaps
+auf die Straße goß, &mdash; der Miks war überall
+dabei. Nun gar das verdammte Wilddieben!
+</p>
+
+<p>
+Und er hätte es so gut haben können! Die
+Wirtstöchter weit und breit waren nach ihm aus.
+Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für
+eine! Mit einem Hof von hundertzwanzig Morgen.
+&mdash; Die hatte schon zweimal den Vermittler
+zu ihm geschickt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
+Aber er? Nun, da sah man&rsquo;s ja.
+</p>
+
+<p>
+Der Grigas und die Eve hoben das Kind
+aus dem starr gewordenen Arm, und als sie ihm
+das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe
+zogen, da wachte es nicht einmal auf.
+</p>
+
+<p>
+Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen
+und lächelte wie so ein Engelchen.
+</p>
+
+<p>
+Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den
+Leichnam abzuwaschen und auf die Totenbahre
+zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit
+noch ein, daß man jeden, der eines unnatürlichen
+Todes gestorben ist, liegen lassen muß, wie er
+gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht
+dagewesen sind. Und so geschah es auch.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-2">
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er
+trieb sich in den Krügen umher und erklärte in
+seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte,
+er sei von dem Hegemeister beklappt worden.
+Darum müsse er jetzt auf ein paar Jahr in die
+Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts.
+</p>
+
+<p>
+Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte,
+streckte er die Zunge aus und bestand darauf,
+daß der Krüger sich das Geld für die Zeche
+selber aus der Hosentasche hole, denn er müsse
+die kostbaren Armbänder schonen, die der Staat
+ihm geschenkt habe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
+Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit
+einem blonden Unschuldsgesicht. Trug das Haar
+noch von der Soldatenzeit her glatt an der Seite
+gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten
+Augen gelassen in die Runde.
+</p>
+
+<p>
+Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders,
+als der Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der
+alte Hegemeister habe es zwar schon lange auf
+ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen
+Mann würde er auch sicherlich auf ihn abgedrückt
+haben, das hätte die Ehre von ihm gefordert;
+den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer
+getan.
+</p>
+
+<p>
+Soweit war alles in Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten
+habe?
+</p>
+
+<p>
+Und nun kam die merkwürdige Wendung.
+</p>
+
+<p>
+Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue
+Flinte zu beschaffen. Wo, sage er nicht.
+</p>
+
+<p>
+Was er denn mit der Flinte habe anfangen
+wollen, da er doch sicher gewesen sei, alsbald
+verhaftet zu werden?
+</p>
+
+<p>
+Er habe über die Grenze gehen wollen, und
+da drüben müsse man immer was in der Hand
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz,
+daß, wenn er nicht angeben wolle, <em>wo</em> er den
+Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als abgetan
+betrachten könne. Aber auch das half nichts.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
+Noch an demselben Tage wurde er zwischen
+zwei Gendarmen auf einen Bretterwagen gesetzt
+und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren.
+Das Publikum in Heydekrug sammelte
+sich am Wege und starrte ihn an. Das schien
+ihm großen Spaß zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission
+mit der dienstfertigen Würde des
+guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug,
+als ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen
+Heimkunft abgefragt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Der Tatbestand war klar. Der Bruch der
+Fensterscheibe schien auf einen Schrotschuß hinzuweisen,
+obwohl nur <em>eine</em> Wunde &mdash; dicht
+über dem Herzen &mdash; sich vorfand. Genaueres
+festzustellen blieb der Leichenöffnung vorbehalten.
+Fußspuren ließen sich nicht entdecken.
+</p>
+
+<p>
+Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt
+wurde, tasteten ein halbes Dutzend Augenpaare
+gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick,
+der so manches Geständnis aus der Seele
+reißt, verging ungenutzt. Ruhevoll &mdash; ein wenig
+neugierig fast &mdash; blickte Miks auf den liegenden
+Körper nieder und sah sich dann, als suche er
+irgend etwas, in der Stube um.
+</p>
+
+<p>
+Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch,
+ein kluger, kleiner Mann, der in der Seele des
+fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch eindrucksvoller
+übersetzte, verhallten ungehört.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
+&bdquo;Ich weiß von rein gar nuscht,&ldquo; blieb die
+einzige Antwort.
+</p>
+
+<p>
+Nur als hierauf die kleine Anikke weinend
+hereingeführt wurde, flog ein Schein wie von
+plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge
+&mdash; einen Augenblick nur &mdash;, dann war er wieder
+der alte.
+</p>
+
+<p>
+Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor
+den fremden Männern nichts herausbringen.
+Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im
+Zwiegespräch ausgeplaudert hatte.
+</p>
+
+<p>
+Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor
+Angst nicht einschlafen können und immerzu geweint.
+Da sei der Großvater gekommen, habe
+sie aus dem Bettchen genommen und zu sich
+aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es draußen
+geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und
+dann habe er sich auf die Erde gelegt und
+sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie eingeschlafen.
+</p>
+
+<p>
+Der Untersuchungsrichter wandte sich an
+Miks.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Als Sie auf den Hegemeister anlegten und
+das Kind auf seinem Schoß sitzen sahen, schlug
+Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner
+das unschuldige Wesen treffen könnten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von rein gar nuscht,&ldquo; war wie
+immer die Antwort. Aber etwas wie ein
+Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als
+<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
+das Kind hinausgeführt wurde, sah er ihm mit
+einem Blick nach, wie der Hund nach der Wurst.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem
+Geständnis, wo er in der Johannisnacht eingebrochen
+war. Sonderbarerweise hatte er sich
+den Hof jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb
+Jahren auf ihn Jagd machte. Er habe
+gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz
+einer Flinte gewesen sei, und die habe er sich
+holen wollen. Es sei aber nichts zu finden gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Woher er das Haus so genau kenne, daß er
+den Einbruch mit Aussicht auf Erfolg habe unternehmen
+können?
+</p>
+
+<p>
+Darauf blieb er die Antwort schuldig.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nun trat &mdash; vorgeladen &mdash; Frau Alute Lampsatis
+in die Erscheinung. Eine hübsche Dreißigerin
+mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig
+weggeschnürten Busen. In dem roten,
+fleischigen Gesicht saß ein Paar unruhig sinnlicher
+Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche
+glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor,
+obwohl das reiche rotblonde Haar keines
+Schmuckes bedurfte.
+</p>
+
+<p>
+In gebrochenem Deutsch, doch mit großem
+Wortschwall versicherte sie, sie sei eine anständige
+<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
+Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+</p>
+
+<p>
+Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte
+sie der Richter. Sie habe nur zu bezeugen, ob
+sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von
+einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige
+Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen,
+als daß er den Dolmetsch holen ließ, der sie in
+ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr
+die Lust zu Ausflüchten verging.
+</p>
+
+<p>
+Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre
+Nichte &mdash; die Madlyne &mdash;, als die vom Johannisfeuer
+gekommen sei, da habe sie einen Mann
+aus dem Fenster der Klete steigen sehen, der
+in der Richtung nach dem Walde verschwunden
+sei.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich
+an. Sie glaubten den Schlüssel zu den Aussagen
+der ehrbaren Witwe gefunden zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte
+gleich mitgebracht hatte. Sie wurde heraufgeholt
+und stellte sich als ein achtzehnjähriges Püppchen
+dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund.
+Sie war im Sonntagsstaat, trug eine
+grünseidene Schürze über der selbstgewebten
+Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus
+<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
+dem reichgestickten Mieder hervorquollen. Ein
+Bauernmädchen wie aus der Operette.
+</p>
+
+<p>
+Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn
+sie sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze,
+klare Antworten und konnte auf der Stelle vereidigt
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Sie war &mdash; gleich Grigas und Eve &mdash; gegen
+Morgen vom Johannisfeuer gekommen &mdash;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Allein?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie senkte schämig die langwimprigen Lider.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ganz allein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&mdash; da habe sie schon von weitem den Hund
+bellen hören und sich darum hinter dem Zaun
+versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein
+Mann aus dem Fenster der &bdquo;Kleinen Stube&ldquo;
+gestiegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich denke, der Mann kam aus der Klete?&ldquo;
+fragte der Richter.
+</p>
+
+<p>
+Die Klete &mdash; der Raum, in dem die haltbaren
+Vorräte aufbewahrt werden &mdash; pflegt sich in
+älteren Wirtschaften unter einem gesonderten
+Dache zu befinden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ak nei, ak nei,&ldquo; versicherte Madlyne, und
+vor lauter Bekenntniseifer schoß ihr das Blut in
+das Wachspuppengesicht. &bdquo;Akkrat aus der Stubele
+is er gekommen, das kann ich beschwören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wo schläft deine Tante, Madlyne?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die schläft in der Stuba &mdash; der Großen
+Stube &mdash; das kann ich beschwören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
+Die Große und die Kleine Stube liegen stets
+auf derselben Seite des Hausflurs und sind durch
+eine Tür verbunden.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich
+abermals an.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer
+Frau Alute wieder hereingerufen.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch
+die schwerwiegenden Folgen eines etwaigen
+Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den
+Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage
+Madlynens und dem, was sie von ihr erfahren
+haben wollte, bestand.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine
+anständige Besitzerin, und niemand könne ihr
+etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt
+auch der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber,
+der ihr sämtliche Höllenstrafen der Reihe nach
+vorführte.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall
+fürchtete, auf eine Gegenüberstellung der
+beiden Verwandten verzichten zu sollen, und
+beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen
+Einbruchs der Klärung näherzubringen.
+</p>
+
+<p>
+Ob sie eine Flinte im Hause habe.
+</p>
+
+<p>
+Sie verneinte heftig.
+</p>
+
+<p>
+Oder gehabt habe.
+</p>
+
+<p>
+Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes
+sei wohl ein Schießgewehr dagewesen, womit der
+<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
+Selige die Karekles &mdash; die jungen Krähen &mdash; von
+den Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann
+krank geworden sei, habe er es eines Tages an
+den Juden verkauft.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An welchen Juden?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das konnte sie natürlich nicht wissen. &bdquo;Der
+Jude ist der Jude, und einer sieht aus wie der
+andere.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit
+sorgsam umgangen hatte, hielt den
+Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten
+ins Treffen zu führen.
+</p>
+
+<p>
+Ob sie den Miks Bumbullis kenne.
+</p>
+
+<p>
+Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt
+oder auch nur befangen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht
+kennen. Er war ja mit ihrem seligen Mann immer
+zusammen über die Grenze gegangen.
+</p>
+
+<p>
+Der Dolmetsch sah den Richter verstehend
+an. Schmuggeln taten sie in den Grenzdörfern
+alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch.
+Der Miks konnte sich also wohl der Flinte
+erinnert haben, die sein ehemaliger Kumpan
+mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem
+Verkauf nichts wußte, durfte er mit etlichem
+Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt herumstand.
+</p>
+
+<p>
+Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem
+Hause gewesen sei.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
+Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal
+den seligen Mann des Abends abgeholt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wozu abgeholt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, über die Grenze zu gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals
+die Flinte aufbewahrt habe.
+</p>
+
+<p>
+Sie stutzte und besann sich, als wittere sie
+den heimlichen Zusammenhang der scheinbar
+ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fing sie an zu wehklagen und zog
+sich auf die Plattform der anständigen Besitzerin
+zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen
+könne.
+</p>
+
+<p>
+Von diesem Augenblick an war nichts mehr
+aus ihr herauszuholen. Auf ihre Vereidigung
+wurde verzichtet.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-4">
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam
+heran. Eine große Zeugenschar war aufgeboten.
+Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte
+sich als das eines rücksichtslos strengen
+Verfolgers, dem schon viele Rache geschworen
+hatten und dem es nie in den Sinn gekommen
+war, selbst harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen.
+So war zum Beispiel, wie sich zufällig
+herausstellte, auch der selige Mann der Frau
+Lampsatis durch ihn ins Gefängnis geraten. Der
+<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
+hatte also, wie es schien, seine Flinte nicht bloß
+zum Krähenschießen benutzt.
+</p>
+
+<p>
+Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht
+übersehen, daß, wenn Miks ein leidliches Alibi
+beibringen konnte, statt seiner ein anderer als
+Täter in Frage kam.
+</p>
+
+<p>
+Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam
+und häufig teilnahmlos auf der Armsünderbank.
+Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als
+in den blaß hinstarrenden Augen malte sich die
+geistige Übermüdung, die diese des scharfen Denkens
+ungewohnten Naturkinder oft überfällt,
+wenn sie ihr Schicksal dem Spiel und Widerspiel
+der Zeugenschaften anheimgegeben sehen.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute
+keine Schuhschnalle hervorschob, war wieder
+ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende
+Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges
+Schmunzeln selbst bei den Greisen der Geschworenenbank.
+</p>
+
+<p>
+Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute
+ließ sich auch heute keine Einigung erzielen.
+Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre
+Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt
+hatte, der Mann, den sie gesehen habe,
+sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete,
+daß sie so etwas nie gesagt haben
+könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
+Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg,
+den er genommen haben wollte. Er habe die
+unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die
+Große Stube hineingetastet &mdash;
+</p>
+
+<p>
+In der <em>Großen</em> Stube schlief Frau Alute!
+Sie hätte bei seinem Kommen erwachen müssen!
+</p>
+
+<p>
+Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er
+sich in die Kleine Stube geschlichen, habe Wände
+und Winkel abgetastet und sei schließlich, als das
+Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster
+hinausgeklettert.
+</p>
+
+<p>
+Warum er nicht den bequemeren Rückweg
+durch Große Stube und Hausflur gewählt habe.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt.
+</p>
+
+<p>
+Das klang einigermaßen glaubhaft und
+stimmte mit Madlynens Aussage überein. Aber
+der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer
+Tante erzählt haben sollte und ihrer beschworenen
+Aussage klaffte noch immer. Und dann war
+auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte,
+daß er in Frau Alutes Auftrag zweimal bei Miks
+gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten.
+</p>
+
+<p>
+Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte
+vereidigt werden. Sie wurde noch einmal ausdrücklich
+ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger
+in die Höhe, da geschah das Unerwartete,
+daß Miks in die Eidesworte hineinzusprechen
+anfing.
+</p>
+
+<p>
+Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach
+<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
+weiter. Schwerfällig, tropfenweise fielen die
+litauischen Worte aus seinem Munde.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute horchte hoch auf und &mdash; brach
+dann weinend zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht
+und lautete: &bdquo;Ich habe dir zwar bei Gott und
+bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht
+nichts davon zu sagen, aber es ist doch besser,
+daß du deine Seele nicht mit einem Meineide
+beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt.
+Drum sage doch lieber die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Unter Schreien und Händeringen kam, was
+geschehen war, nunmehr ans Tageslicht.
+</p>
+
+<p>
+Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen
+in ihrem Bette. Da wurde sie plötzlich durch
+Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur
+näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts
+helfen würde, denn Madlyne und die Magd und
+der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen.
+Da fing sie zu beten an und erwartete ihr Ende.
+Aber dann hörte sie plötzlich ihren Namen nennen
+und erkannte Miksens Stimme. &bdquo;Geh weg,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;wenn ich auch nach dir geschickt habe,
+ich bin eine anständige Besitzerin, und niemand
+soll mir was Schlechtes nachsagen können.&ldquo; &mdash; &bdquo;Ich
+will gar nicht bei dir schlafen,&ldquo; antwortete er,
+&bdquo;ich will bloß, daß du mir das Gewehr gibst,
+das deinem Mann gehört hat, denn der Hegemeister
+hat mir meines weggenommen.&ldquo; &mdash; &bdquo;Das
+<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
+Gewehr ist nicht mehr da,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und wenn
+es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn
+du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.&ldquo;
+Das bestritt er, aber sie glaubte ihm nicht. Und
+als er sich daraufhin wieder entfernen wollte,
+sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und
+verlegte ihm den Weg. Da fühlte er, daß sie
+im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den
+Morgen.
+</p>
+
+<p>
+Die große Spannung löste sich. Die Unschuld
+Miksens schien erwiesen. Und auch die Frage,
+warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau
+da war, statt einfach durch die Haustür zu gehen,
+durch das Kleinestubenfenster geklettert war,
+wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden
+hinreichend aufgeklärt. Man war des
+Glaubens gewesen, Madlyne sei inzwischen
+heimgekommen, und da ihre Kammer auf
+der anderen Seite des Hauses lag, hätten die
+Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen
+können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das hättet ihr gleich sagen können,&ldquo; meinte
+der Vorsitzende. Und da auf weitere Zeugenvernehmungen
+verzichtet wurde, begann der
+Staatsanwalt gleich seine Rede.
+</p>
+
+<p>
+Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle
+wie von selber dem Richterspruche zu.
+Der Losmann Miks Bumbullis wurde von
+der Anklage des Mordes freigesprochen und
+<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
+wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis
+verurteilt.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch
+als Frau Alute, die sich inzwischen von ihren
+Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf
+ihn zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht.
+Sein Blick hing wie erstarrt an einem Platze der
+Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, schmutzig
+und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen
+Äpfeln nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt
+hatte. Sie war der Vollständigkeit halber
+mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie
+ausgesagt.
+</p>
+
+<p>
+Als Miks abgeführt werden sollte &mdash; an Haftentlassung
+war natürlich nicht zu denken &mdash;,
+wandte er sich noch einmal nach dem Kinde
+um, als wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen.
+Aber der Gerichtsdiener stieß ihn hinaus.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann
+zu verfallen, denn niemand war da, der sein
+Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen
+Anikke entspann sich ein Prozeß zwischen dem
+Forstfiskus und der Gemeinde, der ihr verschollener
+Vater angehört hatte. Beide wollten
+die Erziehungspflicht einander in die Schuhe
+schieben. Und da der Fiskus an allzuviel Gemüt
+<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
+nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft
+zwischen dem Toten und dessen verwaistem
+Pflegling ihm als ausreichender Grund zustatten
+kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener
+Gast an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits
+froh war, sie für ein kleines Entgelt an den Ort
+abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit
+über gehaust hatte.
+</p>
+
+<p>
+So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen
+öffentlich versteigert und kam an den Mindestfordernden,
+den Häusler Kibelka, einen wenig
+vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar
+Groschen brauchte, um sie in Branntwein anzulegen.
+</p>
+
+<p>
+Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem
+Gott und Menschheit die sorgenden Augen abgewandt
+haben, in seinem stummen Jammer
+leidet, das hat noch niemand erkannt und beschrieben,
+und niemand wird es je erkennen und
+beschreiben können. Was Hunger und Schmutz,
+was Prügel und Kälte, was vor allem das Fehlen
+jedes streichelnden Wortes in der noch nicht erschlossenen
+Seele ersticken und zerfressen, bis aus
+dem in unbewußter Zuversicht aufjauchzenden
+jungen Leben ein scheu zitterndes, in sich verkrochenes,
+kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein
+geworden ist, das verliert sich in Dunkel
+und Schweigen. Alljährlich wird ein unermeßlicher
+Haufe von solchem Menschenkehricht ins
+<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
+Grab geschaufelt, wo es zu seinem Besten hingehört.
+Und nur wie durch ein Wunder senkt
+sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder
+und hebt eins oder das andere der schon fast
+abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor.
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der
+Hofhund allenfalls!
+</p>
+
+<p>
+Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie
+er von einem gutgesinnten Mittagssonnenschein
+sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das
+einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes.
+&mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren,
+sprang anschlagend auf und fegte mit schleppender
+Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches.
+</p>
+
+<p>
+Anikke, die allein zu Hause war, sah einen
+Menschen durch das Hoftor kommen, der sich
+vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte
+zuschritt, an der sie sich schutzsuchend festhielt.
+</p>
+
+<p>
+Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er
+halt und sagte: &bdquo;Ist der Wirt zu Hause?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln
+gruben, aber um nichts in der Welt hätte
+sie antworten können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie heißt du?&ldquo; fragte er weiter.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen
+vergessen.
+</p>
+
+<p>
+Der Hund belferte dazwischen, und erst, als
+der fremde Mensch ihm mit seinem Stock eins
+<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
+überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte
+zurück.
+</p>
+
+<p>
+Dann kam der Fremde näher an sie heran,
+immer den Stock vorhaltend, in den der Hund
+sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt
+werden sollte, und fing furchtbar zu weinen an.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und
+mit jähem Rucke fortgezogen, während der Hund,
+von einem neuen Schlage getroffen, sich um
+und um kugelte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wein nicht, wein nicht, ich tu&rsquo; dir nichts,&ldquo;
+hörte sie seine Stimme. Denn vor lauter Tränen
+sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang
+irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie
+hörte zu weinen auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bist du die Anikke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja&mdash;a.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du ein Lakritzenholz haben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen
+die großen Kinder manchmal, wenn die Schule
+aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab.
+</p>
+
+<p>
+Und dann gab der fremde Mensch ihr aus
+einer Tüte eine schöne gelbe Stange, in die sie
+auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum
+noch Angst vor ihm.
+</p>
+
+<p>
+Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse
+sah er nicht aus. Viel guter als der Wirt. Und
+er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges
+Haar hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart.
+<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
+Und sie wußte jetzt auch, wo sie ihn schon
+gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen
+wie in der Kirche. Aber statt <em>eines</em> Pfarrers
+im Talar hatte gleich ein ganzer Tisch voll dagesessen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie alt bist du, Anikke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; sieben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gehst du schon in die Schule?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; nichts anzuziehen, sagt die Frau.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete
+lange das Lumpengezottel, in das sie notdürftig
+gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt
+wohl finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung
+des Feldes und geleitete ihn auch ein Stück, denn
+sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen.
+</p>
+
+<p>
+Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er
+ihr die ganze Tüte, die er solange in der Hand
+gehalten hatte, und sagte: &bdquo;Versteck&rsquo;s, daß die
+anderen es dir nicht wegessen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit schickte er sie zurück und schritt in der
+Kartoffelfurche weiter, bis er auf den Wirt stieß,
+der mit Weib und drei Kindern kniend nach
+Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte
+und stöhnte auf seine Art.
+</p>
+
+<p>
+Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz
+von den Hosen abschüttelnd stand er auf, ihm
+die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht
+<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
+der Mörder war, so hätte er doch immer der Mörder
+sein können. Sich mit ihm gut zu stellen,
+war geraten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,&ldquo;
+sagte er, &bdquo;denn wen der Staat ernährt,
+der ist geborgen.&ldquo; Dabei lachte er höhnisch und
+einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige
+Maul ging ihm bis an die Ohren.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr habt es hier um so schwerer,&ldquo; sagte Miks
+Bumbullis, die Fläche überblickend, die in ihrem
+dürren Kraut unausgegraben dalag.
+</p>
+
+<p>
+Auch das Weib war aufgestanden und wischte
+sich die Hand an dem sacktuchenen Schurzfell.
+Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit scharfen,
+mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen
+gafften.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an.
+Der nasse September &mdash; und schon alles im
+Faulen &mdash; und fremde Hilfe zu teuer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn Ihr billige Hilfe braucht,&ldquo; sagte Miks,
+&bdquo;ich wüßte wohl eine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer wird so dumm sein!&ldquo; lachte der Wirt.
+&bdquo;Selbst der Henker läßt sich bezahlen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; mir einiges gespart,&ldquo; sagte
+Miks, &bdquo;und wenn man mir sonst freie Hand
+läßt, bring&rsquo; ich noch ab und zu was in die
+Wirtschaft.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie
+rasch und gierig ein und fragten nicht weiter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
+So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem
+Pfleger Anikkes.
+</p>
+
+<p>
+Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu
+kümmern, und es vergingen drei Tage, ehe er
+sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer
+sei, das da immer im Hause herumkrieche.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit
+der Sprache heraus, denn der Mordverdacht saß
+ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten
+sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen
+waren und daß sie es eigentlich bloß um Gottes
+Barmherzigkeit willen bei sich behielten.
+</p>
+
+<p>
+Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf
+und sagte nur: &bdquo;Der Vater soll in Amerika sein.
+Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er
+jeden belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten
+Mittag durfte das kleine, bleiche Lumpenbündelchen,
+das sonst von dem Ofenwinkel her
+stumm wartend herübersah, mit den Kindern zu
+Tische sitzen.
+</p>
+
+<p>
+Als der Sonnabendabend kam, verschwand
+Miks Bumbullis und kam am Sonntagvormittag
+mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet
+und in den Spalten mit Erde verklebt war.
+</p>
+
+<p>
+Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt
+hatte, und alle standen ringsum und sahen
+voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel
+die Teile auseinandernahm und jeden
+<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
+einzelnen putzte und ölte, bis die Waffe blitzblank
+und schußbereit wiedererstand.
+</p>
+
+<p>
+Und wiederum am Sonntag gab es bei den
+Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, was nicht
+passiert war, solange die Welt stand. Alle
+schwelgten, und selbst der Hofhund bekam seinen
+Knochen.
+</p>
+
+<p>
+Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten
+Kleidchen da, das der Miks ihr mitgebracht
+hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen
+Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr
+geschah.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich verstehe ja deine Meinung,&ldquo; sagte
+der Wirt, &bdquo;aber wenn der Vater <em>nicht</em> aus
+Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann tu&rsquo; ich&rsquo;s wie ihr um Gottes Lohn,&ldquo;
+erwiderte Miks, &bdquo;man muß sich immer ein Beispiel
+nehmen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem
+Knecht zu, denn die Schnapsbuddel saß ihm
+allzeit locker.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule
+schicken,&ldquo; meinte Miks Bumbullis so nebenbei.
+</p>
+
+<p>
+Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an.
+Der Gendarm sei schon zweimal dagewesen, und
+sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man
+könne schließlich noch Strafe zahlen.
+</p>
+
+<p>
+Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als
+<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
+Anikke am Montag morgen die Kinder zur Schule
+begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar
+eine Schiefertafel.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun
+höchst angesehen im Hause. Er pflegte das Pferd
+blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die
+Dreschflegel gingen: &bdquo;Ubags, ubags, ubags&ldquo;, &mdash;
+sein Schlag war immer herauszuhören.
+</p>
+
+<p>
+Lohn forderte er nicht, und er hätte auch
+keinen bekommen, denn der Wirt vertrank jeden
+Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich
+ab und zu in der Morgen- oder der Abenddämmerung
+hinter der Scheune zu schaffen machte und
+vorläufig nicht mehr wiederkam.
+</p>
+
+<p>
+Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt,
+so daß sie nun ebenso fein aussahen wie
+Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er
+mit, dem einer nach dem anderen standhalten
+mußte. Kibelka meinte zwar, es sei sündhaft,
+es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber
+schließlich lieh auch er sich den Kamm aus.
+</p>
+
+<p>
+Die kleine Anikke ging umher wie im Traum.
+Die warme Schule &mdash; und das reichliche Essen &mdash;
+und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam
+sie hie und da noch einen Stirnicksel, aber der tat
+kaum einmal weh, denn sie fühlte in seliger Geborgenheit,
+<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
+daß einer da war, der sie vor Schlimmerem
+beschützte.
+</p>
+
+<p>
+Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen,
+aber ihm ganz nahe zu kommen wagte sie nicht,
+denn er ermunterte sie nie.
+</p>
+
+<p>
+Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an
+seinem Gesicht, und als sie die Geschichte vom
+lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß
+der ebenso ausgesehen hatte wie er.
+</p>
+
+<p>
+Eines Abends, als der Kienspan brannte, war
+er besonders vergnügt und sagte zum Ältesten,
+dem Jons: &bdquo;Willst du reiten?&ldquo; Der wollte natürlich
+gern, und er nahm ihn auf sein Knie und
+sang dazu: &bdquo;Apappa, upappa.&ldquo; Dann kam die
+Katrike an die Reihe und dann der Jendrys.
+Und sie stand im Winkelchen und dachte, die
+Tränen verbeißend: &bdquo;Ich bin ja nur das Ziehkind,
+und darum will er mich nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber da sagte er auch schon: &bdquo;Die Anikke
+muß auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie
+traute sich nicht. Dann, als er sie hochhob, war
+es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken.
+So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz
+schwindlig wurde, bis der Jons, abgünstig geworden,
+einmal über das andere schrie: &bdquo;Ich will
+auch solange!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Diese Augenblicke waren das Schönste, was
+sie je erlebt hatte, denn daß schon einmal einer
+<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
+dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten
+hatte, das war ihr inzwischen aus dem Sinne
+verschwunden. Nur eines langen weißen Bartes
+erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei
+der Weihnachtsmann gewesen, von dem der
+Lehrer erzählte.
+</p>
+
+<p>
+Es war nun inzwischen sehr kalt geworden,
+und wenn man gegen den Schneesturm laufend
+bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete
+das manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe
+gekauft und eine wollengefütterte
+Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden
+sind. Die drei Hauskinder bekamen die
+gleichen, so daß ein Neid nicht entstehen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X
+für ein U machen und sagte mit süßsaurem
+Lächeln: &bdquo;Meine Kinder haben es ja sehr gut
+bei dir, aber der liebe Gott wird schon wissen,
+was du damit verhehlen willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Miks sagte darauf: &bdquo;Wenn einer Kinder liebhat,
+was braucht er da zu verhehlen?&ldquo; und
+wandte sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen
+in der Kleinen Stube, die gut geheizt wurde,
+sondern auf der anderen Seite des Hausflurs,
+wo es jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich
+aus den Zeiten ihrer Zurücksetzung so erhalten,
+und sie wünschte es sich gar nicht anders, denn
+in der Kammer nebenbei schlief der Miks.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
+Aber nun der Winterfrost gekommen war,
+konnte sie gar nicht recht einschlafen und lag in
+ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke
+frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen
+Morgen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von
+der Knechtskammer her ein leises Knirschen und
+Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare
+Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich
+wenden soll.
+</p>
+
+<p>
+Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten
+in ihrem Frieren die Decke vom Leibe, ging in
+die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch
+mehr als vor Kälte: &bdquo;Miks, tut dir was weh?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei.
+Und dann griffen zwei Arme nach
+ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und
+wärmte sich auf und schlief auch bald ein.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und
+war da wie in Abrahams Schoß.
+</p>
+
+<p>
+Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß
+niemand etwas davon merken konnte. Auch beachtete
+er sie bei Tage nicht häufiger als früher.
+Aber nun grämte sie sich nicht mehr darüber,
+denn sie wußte ja zu allen Zeiten, wie gut er&rsquo;s
+mit ihr meinte.
+</p>
+
+<p>
+Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören.
+Manchmal schlief er sogar noch früher ein als
+sie selber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-7">
+<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Es war eines Abends um die Weihnachtszeit,
+da wurde Miks Bumbullis auf einem seiner Wege
+zum Walde von einer Frauensperson angerufen,
+die bis zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande
+im Schnee saß.
+</p>
+
+<p>
+Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme
+gleich erkannt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,&ldquo;
+sagte er. &bdquo;Ich habe schon immer einmal zu dir
+kommen wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,&ldquo; erwiderte
+sie, &bdquo;und hätte ich dir nicht aufgelauert,
+so wären auch noch drei weitere verstrichen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist wohl möglich,&ldquo; meinte er. &bdquo;Was
+man nicht gern tut, verschiebt man immer wieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sagst du mir das ins Gesicht?&ldquo; knirschte sie,
+und ihre Augen blitzten ihn an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich sage, was wahr ist,&ldquo; erwiderte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann will ich dir <em>auch</em> sagen, was wahr
+ist!&ldquo; schrie sie. &bdquo;Daß <em>du</em> den Hegemeister erschossen
+hast &mdash; daß deine Flinte da, mit der du&rsquo;s
+getan hast, <em>meine</em> Flinte ist &mdash; und daß ich
+meine Seele dem ewigen Verderben verkauft
+habe &mdash; und Madlynens Seele dazu, die meine
+Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur,
+was ich wollte. <em>Das</em> ist die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
+&bdquo;Und dann ist die Wahrheit,&ldquo; fuhr er fort,
+&bdquo;daß du mir die Flinte in die Hand gegeben hast
+und zu mir gesagt hast: &sbquo;Mein Seliger hat es
+schon tun wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert.
+Nun tu du es, sonst hast du keine Ehre
+im Leibe.&lsquo; <em>Das</em> ist die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ferner ist die Wahrheit,&ldquo; nahm sie ihm
+die Rede aus dem Munde, &bdquo;daß ich einen Tag
+und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich
+dich am besten vor der Leibesstrafe bewahren
+konnte, denn wenn ich einfach ausgesagt hätte:
+&sbquo;Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,&lsquo; dann hätte
+mir keiner geglaubt. Darum hab&rsquo; ich der Madlyne
+eingegeben, sie habe dich aus dem Stubenfenster
+steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum
+habe ich dir zehnmal vorgesprochen &mdash; alles &mdash;
+auch was du zu sagen hast, wenn ich die Schwurfinger
+erhebe. Denn du bist ja so dumm wie
+ein Deutscher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und du bist so klug wie der Teufel,&ldquo; erwiderte
+er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist gut,&ldquo; sagte sie, in die Runde schauend,
+&bdquo;daß uns hier niemand hören kann außer den
+Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen.
+Aber man weiß nie, was noch werden
+kann, wenn sich einer im Zorn vergißt. Darum
+frage ich dich zum ersten und zum letzten Male:
+Willst du dein Versprechen halten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von keinem Versprechen,&ldquo; stöhnte er.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
+&bdquo;Natürlich weißt du von keinem Versprechen,
+aber <em>ich</em> weiß, daß seit zwei Jahren die Menschen
+mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein Freiwerber
+mehr bei mir sehen läßt &mdash; nicht für mich
+und auch nicht für die Madlyne, und seit Michaeli
+treffe ich keinen, der nicht speilzahnig fragt:
+&sbquo;Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas
+den Knecht spielt?&lsquo; Darum frage ich dich zum
+überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken,
+der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,&ldquo; bat er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl,&ldquo; höhnte sie, &bdquo;erst bis nach Fastnacht
+&mdash; und dann bis zum Palmsonntag &mdash;
+und dann immer so weiter. &mdash; Aber es soll gut
+sein. Bis nach Fastnacht werd&rsquo; ich warten.
+Schickst du dann keinen, dann weiß ich, woran
+ich mit dir bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und es klang noch fast wie ein Schöndank,
+was er da stammelte.
+</p>
+
+<p>
+Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal
+um und sagte: &bdquo;Die Leute erzählen sich, daß du
+das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist,
+hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein.
+Deine Seele kaufst du doch nicht los, und der
+Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit schritt sie von dannen.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis war von dem allen zumute,
+als hätte er mit der Axt eins vor den Kopf
+<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
+bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still,
+dann taumelte er in den Wald hinein. Aber er
+schoß nichts, und er sah auch nichts. Er dachte
+bloß immer das eine: &bdquo;Ich bin bis heute sehr
+glücklich gewesen und habe es nicht gewußt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das
+Kind in der Nähe zu haben. Er sicherte die Flinte
+und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen
+konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag
+und die leisen, kleinen Schritte nähertappten und
+das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm hineinschob,
+da war er wieder wie im Himmel. Er
+fing so bitterlich zu weinen an, wie ein Mann
+sonst nur in der Kirche tut.
+</p>
+
+<p>
+Da weinte auch das Kind und wußte doch
+gar nicht, warum. Er tröstete sie, und sie streichelte
+ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er
+es nicht getan.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-8">
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu
+keinem Handeln entschließen. Den Freiwerber
+zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich,
+denn jedermann wußte, wie die Dinge standen.
+Er mußte also den Gang schon selber
+machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er
+zu sich: &bdquo;Also nächsten Sonntag.&ldquo; Und dabei
+blieb es.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
+Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn
+dort hätte er ihr ja begegnen können.
+</p>
+
+<p>
+So war also richtig der Stillfreitag herangekommen.
+Er saß am Vormittag in seiner
+Kammer und schnitzelte für Anikke an einem
+Springbock. Da kam der Älteste, der Jons, eilfertig
+zu ihm herein und sagte: &bdquo;Es ist eine
+draußen, die will dich sprechen &mdash; eine Feine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte
+die Arbeit hin und ging.
+</p>
+
+<p>
+Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen
+Kopftuch und einer seidenen Schürze die
+Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte
+sie an, obgleich es noch ziemlich rauh war, und
+alles an ihr sah rund aus und quoll und wippte.
+</p>
+
+<p>
+Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und
+fragte, ob er wohl einen kleinen Spaziergang
+mit ihr machen wolle.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will nicht, aber ich muß wohl,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Und dann gingen sie zusammen zum Walde,
+dorthin, wo er vor einem Vierteljahr die Alute
+getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du wunderst dich wohl, warum ich noch
+nicht verheiratet bin,&ldquo; begann sie endlich. &bdquo;Ich
+kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich
+will nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,&ldquo;
+erwiderte er, &bdquo;und ich soll daran schuld
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
+&bdquo;Schuld magst du schon sein,&ldquo; erwiderte sie
+und lächelte, &bdquo;aber anders, als sie denkt. Wenn
+du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit
+durchfüttern müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,&ldquo;
+sagte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach menschlichem Willen geht es meistens
+nicht,&ldquo; erwiderte sie. &bdquo;Und wenn du einen guten
+Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange.
+Meiner Mutter Schwester macht falsche Redensarten.
+Es könnte sein, daß es eines Tages zu
+spät ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch
+sich selber an,&ldquo; warf er ein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und mich genau ebenso,&ldquo; erwiderte sie,
+immer in der gleichen lächelnden Weise. &bdquo;Aber
+seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht
+allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß
+des Hegemeisters gesessen hat, als das Unglück
+geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße
+sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt
+sie dazu. Und keiner weiß. Aber ein bedenkliches
+Gesicht macht ein jeder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den
+dieses rachsüchtige Geschwätz gehen würde. Und
+sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst
+so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm
+und sich selber die Grube.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,&ldquo;
+<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
+sagte Madlyne mit ihrem lieblichen und
+verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder
+Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch
+Schlimmerem gar. &bdquo;Denn ich war ja noch sehr
+jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber
+du, Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin
+ich der Meinung, du läßt keinen Tag mehr verstreichen
+und kommst heute nachmittag zu uns
+auf den Hof. Dann wird sie schon Ruhe geben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wirt bei euch,&ldquo; sagte er, &bdquo;kann ich nur sein
+unter einer Bedingung: daß Alute gut zu dem
+Kinde ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das willst du mitbringen?&ldquo; fragte sie, und
+in ihrem Erschrecken verschwand zum ersten Male
+das Lächeln von ihrem Angesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das will ich mitbringen,&ldquo; erwiderte er beinahe
+feierlich, &bdquo;sonst komm&rsquo; ich nie und nimmermehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und
+sah stumm in die Höhe. Und ihre wasserhellen
+Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel.
+Dann sagte sie: &bdquo;Zurzeit ist sie freilich dem
+Kinde noch bös gesinnt, denn sie meint, daß du
+es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den
+Willen tust und die Scham von ihr nimmst, wird
+sie sich wohl mit ihm versöhnen. Außerdem bin
+ich ja auch noch da, und ich hab&rsquo; Kinder sehr lieb.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,&ldquo;
+entgegnete er finster.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
+&bdquo;Wann hast du schon das Farnkraut blühen
+gesehen, daß du so allwissend tust?&ldquo; fragte sie
+und sah ihn neckend von unten auf an.
+</p>
+
+<p>
+In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal
+und das des Kindes nicht gar so drohend
+mehr, und er sagte: &bdquo;Ich werd&rsquo; also kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+So geschah&rsquo;s, daß am Himmelfahrtstage
+Miks Bumbullis und Alute Lampsatis im Brautwinkel
+saßen und die Hochzeitsgäste in hellen
+Haufen um sie her. Auf dem Tische standen
+leckere Speisen in Menge, und über ihm hing
+von der Decke herab die künstlich geflochtene
+Krone, in der silberglänzende Vögel sich wiegten.
+</p>
+
+<p>
+Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und
+Spruchbändern reichlich beschenkt worden, und
+das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe geworfen
+wird &mdash; denn niemand soll wissen, wieviel
+ein jeder gegeben &mdash;, dieser unwillkommene
+Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die
+meisten ihren guten Taler nicht loswerden
+konnten.
+</p>
+
+<p>
+Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung,
+die, was einst geschehen war, mit dem
+Mantel der Nächstenliebe bedeckte.
+</p>
+
+<p>
+Die Kibelkas waren auch geladen, und
+der Ehemann lag schon längst in seligem Schlaf
+<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
+hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten
+sie nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute
+so bestimmt. Und sie erwies sich damit wieder
+einmal als die klügste von allen. Denn wenn
+die ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des
+Hauses unter den Gästen herumbewegt hätte,
+so wären Befremden und Verdacht alsbald am
+Werke gewesen, den verständnislosen Klatsch noch
+mehr ins Böse zu wenden.
+</p>
+
+<p>
+Als nun aber die Brautsuppe kam, deren
+Branntwein Alute mit Kirschsaft und Honig üppig
+gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst
+unter den Frauen immer kühner aufflackerten,
+da wurde auch lächelnd des armen Kindes gedacht,
+das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen
+war.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was
+Lebendiges mit in die Ehe,&ldquo; sagte eine der Nachbarinnen.
+&bdquo;Hier tut es der Bräutigam, obwohl
+er noch Junggesell&rsquo; ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und eine andere sagte: &bdquo;Ihr braucht euch gar
+nicht erst selbst zu bemühen. Euch fliegen die
+Kinder nur so vom Himmel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und eine dritte: &bdquo;Kauft&rsquo;s den Kibelkas ab.
+Für eine Buddel Schnaps gibt er euch auch die
+drei eigenen dazu.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alute, die heute das rotblonde Haar würdig
+unter dem Frauentuch versteckt hielt und auf deren
+Wiste eine goldene Brosche strahlte, so groß
+<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
+wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles
+mit nachsichtigem Lächeln an und sagte dann
+gleichsam überlegend: &bdquo;Ihr habt eigentlich Recht.
+Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten,
+aber ich glaube, er wird es nicht zugeben,
+weil es gar zu sonderbar aussieht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal
+ganz harmlos und aufrichtig war. Was denn
+dabei sei! Und &bdquo;wenn er das Kind doch nun einmal
+gern hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen
+zu lassen und die kleine Anikke sofort
+aus Wiszellen zum Feste zu holen.
+</p>
+
+<p>
+Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller
+Freude schweigend dasaß, stieg das Herz hoch,
+aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch
+später noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu
+Dank die Stunden des Festes verkürzen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen
+den Gästen herumhuschte und wegen ihrer
+niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke
+von den Burschen &bdquo;Melinoji kielele&ldquo; &mdash; das
+Bachstelzchen &mdash; gerufen wurde, war, als sie in
+dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte,
+lauschend stehen geblieben und sagte nun mit
+einem Lachen hinüber: &bdquo;Wenn ihr es alle durchaus
+begehrt, dann bin ich die erste, die sich den
+Dank der Wirtin verdienen muß, und das werde
+ich morgen auch tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
+Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem
+von Dank nicht viel zu lesen stand, aber sie war
+schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich
+gegen drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich
+gelassen hatten, um sich mit ihr ein bißchen
+herumzureißen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel
+genug auf dem Hofe und am dritten auch.
+Als aber alles still geworden war und die jungen
+Eheleute nicht zum Vorschein kamen, da machte
+sich Madlyne auf den Weg und kam zwei Stunden
+später mit der kleinen Anikke wieder, die ein
+neues, grüngesticktes Miederchen anhatte und
+mit großen, sehnsüchtig ängstlichen Augen der
+künftigen Heimat entgegensah.
+</p>
+
+<p>
+Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit
+einem Bündel, in dem die Siebensachen des
+Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor
+in Sicht kam, mußte er Schuhchen und
+Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie nicht
+etwa barfuß ankam.
+</p>
+
+<p>
+Es war nun wirklich so, als ob eine kleine
+Prinzessin ihren Einzug hielt.
+</p>
+
+<p>
+Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar
+und aß dicke Milch mit Zucker, denn es war
+Vesperzeit.
+</p>
+
+<p>
+Anikke löste sich von Madlynens Hand und
+wollte auf Miks zueilen, da sah sie ein Paar
+Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren
+<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
+machte; sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts
+oder zurück.
+</p>
+
+<p>
+Aber da kam auch schon die lustige Madlyne
+ihr nach und sagte: &bdquo;Warum hast du Angst vor
+deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat
+versprochen, sie tut dir nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie
+ihn in der Schule gelernt hatte, und wartete auf
+ein Willkommen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute
+noch darauf warten.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine
+Anikke es schlecht gehabt hätte, der würde sehr
+im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu
+kluge Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch
+ein sichtbares Hervorkehren ihrer Abneigung dem
+Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt
+teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein
+verderben mußte. Sie tat darum so, als ob sie
+das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete,
+und ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit
+durch doppelte Liebesdienste von ihm bezahlen.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt
+und ein treuer Verwalter. Er arbeitete von
+früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln
+gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen,
+<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
+und als die Roggenaust begann, wurde beim
+Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen
+war eine große Veränderung vor sich gegangen.
+Er trieb sich nicht mehr in den Krügen herum
+und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach
+Hause. Auch das Wilddieben hatte er aufgegeben,
+und wenn die Versuchung an ihn herantrat,
+nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er,
+seine Frau wünsche es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil,
+was der Alute einst an ihm gefallen hatte, war
+sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen.
+Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten
+und Forschesten von allen zu eigen zu haben,
+und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend
+ein Kopfhänger neben ihr herging.
+</p>
+
+<p>
+Daß er auch spaßen und lustig sein konnte,
+blieb ihr freilich verborgen, denn das geschah nur,
+wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte
+er mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als
+zweie nicht nötig sind, und ersann sich täglich
+neue dazu.
+</p>
+
+<p>
+Da war eines, das hieß &bdquo;die Katzenfalle&ldquo;.
+Dabei muß einer durch die hohlen Arme des
+anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich
+für ihre Kinderärmchen viel zu dick war, so gab
+das des Lachens kein Ende. Und ein anderes
+&bdquo;die Windmühle&ldquo;. Wenn man die darstellen
+will, muß man sich zwei Hopfenstangen kreuzweis
+<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
+am Leibe festbinden lassen und sich nun
+ganz rasch um sich selber drehen. Kann der
+andere eine der Stangen ergreifen und so die
+Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er gewonnen.
+</p>
+
+<p>
+So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die
+Dämmerung hinein, aber beileibe nicht auf
+dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr
+Lachen nirgends zu hören war. Denn sie hatten
+immer ein Gefühl, als sei dies nicht wohlgelitten.
+</p>
+
+<p>
+Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja,
+die durfte sogar die dritte im Bunde sein. Und
+dann ging es erst recht hoch her.
+</p>
+
+<p>
+Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens
+wo anders heftig beschäftigt. Denn hinter
+dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit
+und breit, und immer war ein Gejacher um sie
+herum und ein Gegluckse, das nahm kein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte
+und der Freiwerber die Stube betrat, dann
+konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß
+er noch den Kirschschnaps austrank, so sehr
+lachte Madlyne. Hinterher machte Alute ihr stets
+die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht
+im mindesten daran.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du von mir?&ldquo; sagte sie. &bdquo;Arbeite
+ich nicht ebenso fleißig wie eine Magd? Und
+weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft
+steckt, so arbeite ich auch für mich selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
+Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war
+alles die Wahrheit.
+</p>
+
+<p>
+Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in
+der Klete geschlafen, denn sie meinte, die jungen
+Eheleute möchten im Hause am liebsten allein
+sein. Aber weil die Burschen ihr dort bis in den
+Morgen keine Ruhe ließen und der Hofhund
+aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte
+sie wieder in die Kammer jenseits des Hausflurs
+über. Und Miks war neidisch auf sie, denn
+in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem
+nahm er an, daß die Burschen ihr selbst hierhin
+folgten, und er wollte nicht, daß Anikke erwachte,
+wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch
+hatte er freilich keinen ertappt, aber wie sollte
+es anders sein.
+</p>
+
+<p>
+Und so verliebter Natur war Madlyne, daß
+sie es nicht unterlassen konnte, selbst ihm von
+ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu geben.
+Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin.
+Wie ihr ganzes Wesen, so war auch dies von
+einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so daß
+man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man
+nicht darauf eingehen wollte.
+</p>
+
+<p>
+Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach
+eine einzige große Liebkosung, die um
+so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie
+ernst zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit
+der sie sich an ihn heranschmeichelte, machte
+<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
+jeden Gedanken an künftige Buhlschaft zuschanden.
+</p>
+
+<p>
+Dann einmal, als er unbemerkt dazukam,
+hörte er sie eine Daina singen, die lautete umgedeutscht
+etwa so:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Liegt mir ein Lämmlein</p>
+ <p class="verse">Im reißenden Strome,</p>
+ <p class="verse">Frag&rsquo; ich nicht lange,</p>
+ <p class="verse">Ob ich&rsquo;s errette,</p>
+ <p class="verse">Nein doch, ich springe ihm nach.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Liegt der Geliebte</p>
+ <p class="verse">Im Arme der Muhme,</p>
+ <p class="verse">Frag&rsquo; ich mich täglich,</p>
+ <p class="verse">Ob ihn erretten,</p>
+ <p class="verse">Und ich weiß doch nicht wie.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Gönn&rsquo; ich den Lieben</p>
+ <p class="verse">Der bösen Muhme,</p>
+ <p class="verse">Die ihm mit Tränkchen,</p>
+ <p class="verse">Aus Giftkraut bereitet,</p>
+ <p class="verse">Zankend den Schlummer verdirbt?</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Oder ich sage:</p>
+ <p class="verse">&bdquo;Komm, lieber Schwager,</p>
+ <p class="verse">In meiner Kammer</p>
+ <p class="verse">Steht eine Bettstatt</p>
+ <p class="verse">&mdash; Ach, so schmal ist das Bett! &mdash;</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Aber zur Mauer,</p>
+ <p class="verse">Der eiskalten Mauer,</p>
+ <p class="verse">Rück&rsquo; ich geschwinde,</p>
+ <p class="verse">Daß du es warm hast</p>
+ <p class="verse">Und mich im Arm hast und schläfst.&ldquo;</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
+ <p class="verse">Soll ich&rsquo;s ihm sagen,</p>
+ <p class="verse">Oder verschweig&rsquo; ich&rsquo;s,</p>
+ <p class="verse">Bis einst der Kummer</p>
+ <p class="verse">Vom Lager der Muhme</p>
+ <p class="verse">Nach dem Strome ihn treibt?</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und hätt&rsquo; ich tausend</p>
+ <p class="verse">Der Lämmlein errettet,</p>
+ <p class="verse">Ihn, den ich liebe,</p>
+ <p class="verse">Ließ ich verderben,</p>
+ <p class="verse">Und ich sprang ihm nicht nach.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn
+er wollte sie nicht wissen lassen, daß sie von ihm
+belauscht worden war. Und als er sie wiedersah
+und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete,
+konnte er es nicht fassen, daß sie ein so finsteres
+und hitziges Lied gesungen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Und ein anderes Mal, als sie die kleine
+Anikke auf dem Schoße hielt, sang sie folgendes:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,</p>
+ <p class="verse">Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Ich schenkte dir Betten von Seide so weich</p>
+ <p class="verse">Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Auch einen Liebsten schenkt&rsquo; ich dir wohl,</p>
+ <p class="verse">Der dich zur Kirche hinführen soll.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?</p>
+ <p class="verse">Ich lieg&rsquo; alleine und bang&rsquo; mich und frier&rsquo;,</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,</p>
+ <p class="verse">Der siehet mich nicht und höret mich nicht.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Wenn der mich wollte und ließe von ihr,</p>
+ <p class="verse">Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
+Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob
+er sie nicht einmal in die Arme nehmen sollte.
+Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an
+all die jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft
+hatten, erschien es ihm nicht gut genug, ein
+&bdquo;Kuszbendris&ldquo; &mdash; ein Weibsteilhaber &mdash; zu sein;
+auch mochte er um des Kindes willen das Haus
+nicht mit Verdacht und Unfrieden erfüllen.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Unfriede kam auch ohne dies.
+</p>
+
+<p>
+Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit
+dem Kinde von der anderen Seite des Hauses
+her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren
+Zwischentür kein Schloß und keine Klinke hatte
+und darum immer ein wenig offen stand.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau
+zu liegen, und machte allerlei Ausflüchte, um
+sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da
+ihm nichts Besseres einfiel, fing er das Leben
+wieder an, das er einst geführt hatte, als
+das große Unglück noch nicht geschehen war.
+Denn nur so konnte er die Nacht zum Tage
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Er suchte die Krüge auf, von wo aus im
+Schutze der Dunkelheit der Schmuggel über die
+Grenze ging, und da es nicht immer was zu
+tragen gab, nahm er auf alle Fälle die Flinte
+mit, um das Frühmorgenlicht für einen Rehbock
+auszunutzen.
+</p>
+
+<p>
+So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder
+<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
+in schlechten Ruf kam, und Alute, die deswegen
+gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und
+ihn noch kurz vorher einen &bdquo;Schwanzeinkneifer&ldquo;
+genannt hatte, schalt ihn nun heftig aus, weil
+ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle
+würde.
+</p>
+
+<p>
+Aber er kehrte sich nicht daran.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und
+sagte: &bdquo;Es tut nicht gut, Miks, daß du so oft
+unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause
+halten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus welchem Grunde wünschst du mir das?&ldquo;
+fragte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sieh dir das Kind an,&ldquo; erwiderte sie und
+wandte sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich
+genommen, daß es der kleinen Anikke
+gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die
+Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte
+seine Frau noch nie etwas Feindseliges gegen sie
+unternommen. Höchstens daß sie sie nicht beachtete.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt,
+fiel ihm auf, daß es ungerufen nicht mehr an
+ihn herankam, sondern sich zaghaft in den Winkeln
+herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich
+aus und hatte doch während des Sommers geblüht
+wie ein Tausendschönchen.
+</p>
+
+<p>
+Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen,
+<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
+aber es wollte nicht mit der Sprache heraus.
+Nur weinen tat es bitterlich.
+</p>
+
+<p>
+Da legte er sich eines Abends auf die Lauer
+und mußte erleben, daß Alute das Kind mit
+einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen
+Schnallen steckten.
+</p>
+
+<p>
+Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß
+der Armen Kleider und Hemde herunter und
+fand das Körperchen von oben bis unten mit
+Striemen und blauen Flecken bedeckt.
+</p>
+
+<p>
+Da hob er den Zaum auf, den das wütende
+Weib von sich geworfen hatte, und prügelte es
+so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte.
+Auch gegen Madlyne wandte er sich in seinem
+Zorn, und von nun an saß der Teufel im Hause.
+</p>
+
+<p>
+Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte
+er oft, wenn der Kummer ihn zur Nacht aus
+dem Hause trieb.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+So geschah es eines Novembermorgens kurz
+vor dem roten Sonnenaufgang, als er durchfroren
+im jungen Schnee saß und gerade auf
+einen schönen Bock anlegen wollte, daß er rückschauend
+eine Flintenmündung auf sich gerichtet
+sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den
+er wohl kannte.
+</p>
+
+<p>
+Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen,
+aber er wußte: es war zu spät. Darum stand
+<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
+er ganz gemächlich auf und sagte: &bdquo;Na, wieviel
+Jahr&rsquo; wird es kosten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet
+hast, Miks,&ldquo; erwiderte der stämmige Förster,
+der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war,
+und er fügte hinzu: &bdquo;Die Flinte laß liegen.
+Die hol&rsquo; ich mir später. Sonst könnte es passieren,
+daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst
+und meine dazu.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute
+es machen,&ldquo; lachte Miks und schlug, ohne erst viel
+zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er
+ja doch abgeliefert werden mußte. Der Förster
+ging zehn Schritt weit hinterdrein und hielt die
+Flinte schußbereit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dreh dich lieber nicht um,&ldquo; sagte er ganz
+freundlich, als Miks das Gespräch fortsetzen
+wollte, &bdquo;sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im
+Genick.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über
+das Geschehene nachzudenken. Daß er von der
+Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber
+dann plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis
+in die Kniekehlen hinein. Das Kind! Was wird
+nun aus dem Kinde?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich Dummerjan,&ldquo; dachte er, &bdquo;schon wegen
+des Kindes allein hätt&rsquo; ich es nicht dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er fing tausend Pläne zu schmieden an,
+wie er von der Untersuchungshaft aus die kleine
+<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
+Anikke in andre Pflegschaft bringen könnte.
+Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit
+der Behörden auf das Kind zurücklenkte
+und in den Verhören irgend ein Widerspruch
+laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk,
+das Alute damals aufgebaut hatte, davon
+zusammenfallen wie eine Haferhocke.
+</p>
+
+<p>
+Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb
+mitleidig, halb schadenfroh den Zug begleiteten.
+Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat
+sich der Förster. So gingen sie in halblauten
+Gesprächen neben dem Miks daher, und weil sie
+wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand,
+erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch
+den Mord auf dem Gewissen habe.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis hörte das alles. Es war
+ein rechter Leidensweg.
+</p>
+
+<p>
+Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem
+Schritte, und als er vor dem Hause des Gendarmen
+ankam, hatte er ein Gefolge wie ein
+König. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Miks bestritt natürlich alles. Von dem
+Bock wisse er nichts. Er habe nur ein paar
+Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich
+ein großes Verbrechen sein.
+</p>
+
+<p>
+Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden
+zu machen, fragte der Richter.
+</p>
+
+<p>
+O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja
+bei dem Kinde bleiben.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
+In der Hauptverhandlung kam er mit seinem
+Weibe und Madlyne wieder zusammen.
+Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht,
+das Kind möchte nicht geladen sein, denn es war
+nun schon groß genug, um zu verstehen, welche
+Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich
+nicht da war, tat ihm das Herz weh. Er hätte
+es so gern einmal wiedergesehen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne gab sich lange nicht so adrett und
+fixniedlich wie dazumal, und ihre Augen waren
+klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen
+auch diesmal wie aus der Pistole geschossen.
+</p>
+
+<p>
+Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in
+Gebrauch genommen. Ja richtig! Einmal habe
+er eine Eule geschossen. Das war alles.
+</p>
+
+<p>
+Alute schien ihm die schlechte Behandlung
+längst wieder vergessen zu haben. Nie sei er
+zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen,
+nie habe er die Flinte vom Nagel geholt,
+nie habe er ein Stück Wild oder das Geld dafür
+von seinen Wegen nach Hause gebracht.
+</p>
+
+<p>
+Schade, daß die Frauensleute nicht schwören
+durften!
+</p>
+
+<p>
+Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von
+ihrem Eidesrechte Gebrauch zu machen, aber
+der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern,
+ebenso wie bei Madlyne, die ihm als Hehlerin
+verdächtig schien, und so blieben beider Aussagen
+wirkungslos.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
+Doch auch die andern, die vereidigt wurden,
+hielten sich wacker. Selbst diejenigen, die ihn
+so und so viele Male wegen seiner Schießereien
+geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je
+davon gehört, geschweige denn eine Flinte an
+ihm gesehen zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung
+richtete sich drohend hinter ihm auf, und
+der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln
+über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt
+mit argwöhnischer Anspielung darauf Bezug
+nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse
+verborgen lagen, die nur eines rächenden
+Anlasses bedurften, um gegen ihn loszubrechen.
+</p>
+
+<p>
+Als der Richterspruch verkündet wurde, der
+ihm drei Jahre Gefängnis zuerkannte, erhob sich
+Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem
+Auge zu begegnen, langsam von der Zeugenbank
+und nickte, den Kopf feierlich wiegend, eine
+ganze Weile lang zu ihm herüber.
+</p>
+
+<p>
+Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er
+dran dachte.
+</p>
+
+<p>
+Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß,
+bevor er in die Strafanstalt überführt wurde,
+die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, daß
+dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke
+noch einmal zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn
+als die Zellentür sich öffnete und hinter der
+<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
+Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das
+Kind an der Hand.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen,
+sonst wäre er vor dem Kinde niedergekniet
+und hätte geweint und geweint.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber sagte er bloß: &bdquo;Da seid ihr ja
+alle,&ldquo; und begrüßte sie freundlich der Reihe
+nach.
+</p>
+
+<p>
+Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz
+trug und auch sonst sehr unternehmend aussah,
+sagte zu ihm: &bdquo;Ich könnte mich jetzt von dir
+scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun.
+Nein, das werde ich nicht tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Tu, was du für recht hältst.
+Wenn du nur gut zu dem Kinde sein willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,&ldquo; erwiderte
+sie, &bdquo;aber da hast du alles verdorben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er demütigte sich vor ihr und sagte: &bdquo;Ich
+werde meine Fehler bereuen und ablegen, wenn
+du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde
+sein willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete:
+&bdquo;Ich verspreche es.&ldquo; Dann reichte sie
+ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher,
+er möge sie hinauslassen.
+</p>
+
+<p>
+Der Aufseher tat es und wollte auch die
+andern auffordern fortzugehen, da bemerkte er,
+daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und
+weinte und weinte. Und weil er ein guter und
+<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
+aufrichtiger Mann war, so schloß er die Tür noch
+einmal und ließ ihn gewähren.
+</p>
+
+<p>
+Miks streichelte Madlynens Rock und sagte:
+&bdquo;Erbarm dich des Kindes!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte:
+&bdquo;Ich schwöre dir, daß ich auf das Kind achtgeben
+werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wenn du heiratest und weggehst, &mdash;
+schwöre mir, daß du das Kind mitnehmen wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und
+sagte: &bdquo;Ich werde nicht heiraten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das
+Kind und küßte auch Madlyne.
+</p>
+
+<p>
+Und dann war die Besuchszeit um.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis
+die Nachricht, daß das Kind gestorben war.
+</p>
+
+<p>
+Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon
+einige Male im Traume erschienen.
+</p>
+
+<p>
+Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück
+Mitteilung machte, lautete so:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die
+kleine Anikke ein seliges Hinscheiden erlitten hat.
+Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es unsre
+Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht
+zu vertreiben, habe ich Madlyne zu einer weisen
+Frau geschickt, die sie nach den Regeln besprochen
+<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
+hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht
+und ihr den Saft mit getrockneten Quitschen
+zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts versäumt
+worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet
+wie meinem eigenen Kinde. Die Festlichkeiten
+haben zwei Tage gedauert, und es sind dabei
+drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein
+ausgetrunken worden. Nicht zu rechnen,
+was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen
+Sarg habe ich ihr machen lassen, in dem sie
+sich ordentlich ausstrecken kann. Auch ist sie in
+ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden.
+Du siehst also, daß ich mein Versprechen gehalten
+habe, und wenn du die Madlyne fragen
+wirst, so kann sie es nicht anders sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Von nun an erschien die kleine Anikke dem
+Miks Bumbullis in jeder Nacht. Er brauchte
+nur die Augen zuzumachen, und sie war da.
+Und in vielerlei Gestalt erschien sie ihm &mdash; manchmal
+im Sarge liegend, manchmal als eine
+Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal
+als ein Engelchen mit gläsernen Flügeln,
+manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit
+einem Strick um den Hals. Und immer wieder
+in neuen Gestalten.
+</p>
+
+<p>
+Als ein großes Glück empfand er es, daß
+Alute nun doch gut zu dem Kinde gewesen war.
+Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn
+wenn sie das Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte,
+<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
+würde sie die Tote so heimlich wie möglich eingescharrt
+haben. Aber vor allem war ja Madlyne
+dagewesen, auf die er sich ganz verlassen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und doch mußte etwas versäumt worden
+sein, sonst würde die kleine Anikke Ruhe im Grabe
+gehabt haben und ihm nicht immer von neuem
+erschienen sein.
+</p>
+
+<p>
+Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages
+der Anstaltsarzt zu ihm trat und ihn fragte,
+was ihm eigentlich fehle.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll mir fehlen?&ldquo; erwiderte Miks. &bdquo;Ich
+habe satt zu essen, und keiner ist schlecht zu mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen.
+Miks tat es, aber der Arzt fand eine Krankheit
+nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer
+zugestoßen sei, fragte er dann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe ein Kind verloren,&ldquo; antwortete
+Miks. Aber von den Erscheinungen sagte er
+nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich
+immer in acht nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer,
+derselbe, der am Sonntag gewöhnlich predigte.
+</p>
+
+<p>
+Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten
+an, aber er hatte sich nicht einmal die Mühe genommen,
+die Akten durchzusehen, sonst würde
+er gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind
+gar nicht besaß.
+</p>
+
+<p>
+Miks beließ ihn in seinem Irrtum und
+küßte ihm die Hand, um ihn glauben zu machen,
+<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
+daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so
+weit, daß er sich schon den ganzen Tag über auf
+die Erscheinung freute. Aber dann machte er
+sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen,
+denn wenn es der Anikke im Grabe an gar nichts
+fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen sein.
+Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man
+hatte ihr etwas Erstickendes auf den Mund gelegt.
+Vielleicht gar auch war die Giltinne &mdash; die Todesgöttin
+&mdash; nicht versöhnt worden, wie es nach
+dem Glauben Vieler geschehen muß, so daß sie
+aus Rache die arme Tote allnächtlich aus ihrem
+Frieden scheuchte.
+</p>
+
+<p>
+Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber
+er schämte sich vor den Deutschen, die den Brief
+durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn
+lachen würden.
+</p>
+
+<p>
+Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor
+ihn eines Tages rufen ließ und ihm
+eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig
+erlassen, und wenn er sich ordentlich führe,
+brauche er sie auch später nicht mehr abzusitzen.
+</p>
+
+<p>
+Er dachte: &bdquo;Da kann ich nun selber nach dem
+Grabe sehen,&ldquo; und machte sich auf den Heimweg.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und
+alle arbeiteten auf den Feldern. Kaum einer
+<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
+sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet
+bis nach Haus.
+</p>
+
+<p>
+Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen,
+und er streichelte ihn, denn das Kind hatte ihn
+lieb gehabt.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus war leer und alles offen. Ihn
+hungerte, aber er wagte nicht, sich ein Stück
+Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf
+seinem eigenen Besitz. Er sah sich erst in der
+Kleinen Stube um, wo das Bettchen zuletzt gestanden
+hatte. Aber nichts mehr war davon
+zu bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der
+Welt. Aber dann fand er auf Madlynens Brett
+ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit
+Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie
+ihr einmal gemacht hatte.
+</p>
+
+<p>
+Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre
+er auf den Kirchhof gegangen. Und so setzte er
+sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, dort,
+wo die Sonne schien, und wartete. Dabei
+schlief er ein und wachte erst auf, als die Stimmen
+der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden.
+</p>
+
+<p>
+Die Alute war die erste, die ihn bemerkte.
+Sie richtete sich hoch auf und schritt in ihren
+Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu,
+während sie ihm ganz starr in die Augen sah.
+Sie freute sich nicht, aber sie hatte auch keine
+Furcht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,&ldquo;
+<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
+sagte sie, ihm die Hand reichend, &bdquo;der Wirt ist
+gerade sehr nötig im Hause.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werde schon arbeiten,&ldquo; entgegnete er.
+</p>
+
+<p>
+Dann ging sie, das Abendbrot machen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne war hinter ihr gekommen. Er
+bemerkte, daß sie ganz schmal geworden war
+und daß um ihren Mund herum allerhand kleine
+Falten standen.
+</p>
+
+<p>
+Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann
+rasch fort.
+</p>
+
+<p>
+Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann,
+mit dem die Alute sicher nichts vorgehabt hatte &mdash;
+&bdquo;drum werd&rsquo; ich ihn ruhig behalten können,&ldquo; dachte
+er &mdash;, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil
+sie nicht wußte, was sie aus ihm machen sollte.
+</p>
+
+<p>
+Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen
+Hahn geschlachtet. &bdquo;Damit alle erfahren, daß
+der Herr wieder da ist,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Sie war nun ganz freundlich und sah ihn
+immer von unten auf an, wie eine Bittende.
+</p>
+
+<p>
+Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber
+das Fleisch auf dem Rande liegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum ißt du nicht?&ldquo; fragte die Madlyne,
+der immer die Augen voll Wasser standen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will&rsquo;s mir bis nachher verwahren,&ldquo; erwiderte
+er, &bdquo;denn ich hab&rsquo; so was Gutes lang&rsquo;
+nicht gehabt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte
+es aber nicht an.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
+Nach dem Essen trug er beides in die Kammer
+hinüber, wo er sich still hinsetzte, bis es dunkel
+wurde. Dann holte er sich einen Topf von der
+Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und
+Trinken hinein und verbarg es unter seinem Rocke.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will nur noch einen kleinen Gang
+machen,&ldquo; sagte er, und die beiden Frauen fragten
+ihn nicht, wohin.
+</p>
+
+<p>
+Das kleine Grab hatte er bald gefunden.
+Ein neues Holzkreuz stand zu Kopfenden mit
+einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich
+Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen
+an den schrägen Enden. Die hatte sicherlich
+die Madlyne angebracht als Spielzeug für die
+Tote in der langen Ewigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Er wühlte in dem Sande des Grabhügels
+eine kleine Kaule aus und stellte Topf und
+Flasche hinein. Dann glättete er den Sand
+wieder, so daß nicht das mindeste zu bemerken
+war.
+</p>
+
+<p>
+Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung
+für den Geist der Toten gut ist, andere
+aber &mdash; und die sind wohl in der Wahrheit &mdash;
+meinen, daß die böse Giltinne damit besänftigt
+wird, so daß sie der abgeschiedenen Seele
+die Ruhe nicht fortnimmt.
+</p>
+
+<p>
+Und dann saß er noch eine Weile und dachte
+bei sich: &bdquo;Hier ist gut sein.&ldquo; Und ihm war, als
+sei er erst jetzt in die Heimat gekommen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
+Als er wieder im Hause war und alle sich
+zum Schlafengehen bereiteten, sann er darüber
+nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte
+genau, daß, wenn er sich absonderte, der Hader
+von neuem losgehen würde. Darum kroch er
+in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie
+weggewesen.
+</p>
+
+<p>
+Nun fing sie auch aus freien Stücken von
+dem Kinde zu reden an. Gegen Gottes allmächtigen
+Willen sei Menschenkraft ohnmächtig;
+man müsse zufrieden sein, wenn man sich nichts
+vorzuwerfen habe.
+</p>
+
+<p>
+Und sie weinte.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte nur: &bdquo;Erzähle mir nichts.&ldquo; Denn
+er wußte, daß er es nicht ertragen würde.
+</p>
+
+<p>
+In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes
+ihm nicht. Er freute sich, daß er mit der Gabe
+an die Giltinne das Rechte getroffen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Als er am nächsten Morgen den Spaten
+schulterte, um mit den andern in die Kartoffeln
+zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: &bdquo;Ruh dich
+erst aus, du bist noch zu schwach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er wunderte sich, daß sie so wenig von
+seinen Kräften hielt.
+</p>
+
+<p>
+Aber als er eine Weile vorgegraben hatte,
+mußte er sich setzen, denn der Atem fing an, ihm
+zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die
+Mutter ihr krankes Kind. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auch die Alute war von nun an immer gut
+<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
+zu ihm. Sie brachte ihm Paradieskörner in
+Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte:
+&bdquo;Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt
+für gute Tage haben!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen,
+und er begann schon, der Giltinne
+mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken.
+</p>
+
+<p>
+Und so vertraut war er inzwischen mit der
+Alute geworden, daß er sich eines Abends ein
+Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen
+sprach. Auch von dem Mittel, das sich dagegen
+bewährt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie lachte und sagte: &bdquo;Wenn das so leicht ist,
+will ich dir Hähne schlachten, so viel du willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und
+er fragte sich manches Mal, warum er sich früher
+eigentlich vor ihr gefürchtet hatte.
+</p>
+
+<p>
+Auch von der Krankheit des Kindes wollte
+er jetzt Näheres wissen. Nicht daß sein Kummer
+geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht,
+nur hielt er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie
+würde die richtige Teilnahme haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber Alute erwiderte: &bdquo;Du Armer würdest
+es auch heute noch nicht ertragen, drum warte
+noch eine kleine Weile.&ldquo; Und so sagte sie immer
+aufs neue.
+</p>
+
+<p>
+Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne
+zu fragen. Aber die Madlyne war jetzt wie
+umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege,
+<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
+wo sie nur konnte, sprach bei Tisch kein Wort
+und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz.
+</p>
+
+<p>
+Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte
+sie: &bdquo;Die Madlyne muß aus dem Hause, und
+schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich
+ihr aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack
+und Kasten vors Hoftor.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er erschrak, daß er an einem so bösen
+Ende die Schuld tragen sollte, und beschloß,
+das Seine zu tun, um alles zum bessern zu
+wenden.
+</p>
+
+<p>
+Darum ging er der Madlyne eines Morgens
+zum Melken nach und sagte: &bdquo;Du mußt nicht
+denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des
+Kindes etwas nachtrage.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie stand von der Hocke auf und sagte:
+&bdquo;Aber ich trage es mir nach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend,
+daß gegen Gottes allmächtigen Willen
+Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen
+habe.
+</p>
+
+<p>
+Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine
+Schultern, sah ihn lange mit den bohrenden
+Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte
+dann: &bdquo;Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann
+werd&rsquo; ich dir etwas erzählen, was zu wissen dir
+nottut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fühlte eine große Unruhe und antwortete:
+<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
+&bdquo;Mir ist nach lockeren Streichen nicht zumut.
+Erzähl es mir auch so.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagte sie, &bdquo;anders tu&rsquo; ich es nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; es mir überlegen,&ldquo; antwortete
+er und ging aus dem Stalle.
+</p>
+
+<p>
+In derselben Nacht kam die Erscheinung
+wieder. Sie war in ihrem Hemdchen, hatte
+auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug
+einen Stengel in der Hand, aber das war ein
+Schierlingstengel.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte der Alute nichts davon. Und als
+der Abend kam, sparte er wieder sein Essen auf,
+holte sich heimlich einen Topf und trug es darin
+zum Kirchhof hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt
+geschehen, aber hinter dem Hofzaun stand Alute
+und sah ihm nach.
+</p>
+
+<p>
+Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht
+zufrieden, denn das Kind erschien ihm auch in
+der nächsten Nacht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,&ldquo;
+dachte er, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt
+ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn schlachte.
+</p>
+
+<p>
+Die Erscheinung kam immer wieder, und die
+Unruhe verließ ihn nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Da faßte er sich ein Herz, und während die
+Frau noch auf dem Felde war, ging er der Madlyne
+nach in die Kammer. Als sie ihn kommen
+sah, stieß sie einen Seufzer aus und faltete die
+<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
+Hände wie eine, die sich bereit macht, selig zu
+sterben.
+</p>
+
+<p>
+So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an
+seiner Schulter lag, da kam es ihm zur Klarheit, daß
+er immer und immer nur nach ihr verlangt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm
+beide Hände.
+</p>
+
+<p>
+Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr
+Versprechen erfüllen solle.
+</p>
+
+<p>
+Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte:
+&bdquo;Verlange es nicht! Verlange es nicht!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er verlangte es immer wieder.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab,
+und erzählte ihm, auf welche Art Alute das
+Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und
+nimmer zu überführen sein.
+</p>
+
+<p>
+In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens
+Halse, um sie zu erwürgen, weil sie die
+Tat nicht verhindert hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie sagte: &bdquo;Drück nur zu! Drück nur zu!
+Oben am Hühnerbalken kannst du die Schlinge
+sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und
+wärst du nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es
+auch getan.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sprang er aus dem Bette und lief nach
+dem Schleifstein. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah
+sie einen Menschen auf sich zustürmen, der halb
+angezogen war und eine Axt schwang.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
+Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte
+sie sofort, was geschehen war und daß es ihr
+nun ans Leben ging.
+</p>
+
+<p>
+Sie rannte schreiend nach der Richtung des
+Dorfes hin, und er mit der erhobenen Axt hinter
+ihr drein.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten
+Höfe einzubiegen, denn sie wußte, daß
+kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern
+würde, die Tat zu begehen.
+</p>
+
+<p>
+So lief sie weiter, und der Raum zwischen
+ihr und ihm verkürzte sich immer mehr.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen
+und erkannte gleich, daß sie sich für heute
+und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles
+gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand
+nachweisen, und der Meineid war bald gebüßt.
+</p>
+
+<p>
+Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte,
+da ließ er von ihr ab, denn des Wachtmeisters
+Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in
+seinen Fußtapfen um, und die Leute, die ihm
+gefolgt waren, gingen in großem Bogen um
+ihn herum.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei
+seiner Heimkehr gefunden hatte. Auch nach
+Madlyne rief er umsonst.
+</p>
+
+<p>
+Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld
+in die Tasche, holte ein altes Gewehr hinter den
+Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit
+<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
+dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche
+von Graben zu Graben.
+</p>
+
+<p>
+Als es finster geworden war, floh er über
+die Grenze. Rußland ist groß.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Gendarm erstattete die Anzeige.
+</p>
+
+<p>
+Die Herren vom Gericht nahmen sich der
+Sache mit großem Eifer an. Ein Steckbrief
+wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen
+hüben und drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen
+angebahnt, damit, wenn
+man ihn faßte, kein Aufschub entstand.
+</p>
+
+<p>
+Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch
+immer frei herumlief, lachte zu alledem und sagte:
+&bdquo;Was gebt ihr euch für Müh&rsquo;! Das Kind wird
+ihn schon holen gehn.&ldquo; Sie hütete sich wohl, in
+ihrem Hause zu bleiben, und selbst für kurze
+Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn
+sie fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde.
+</p>
+
+<p>
+Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen
+und ein paar Männern, die dazu aufgeboten
+waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt.
+Die Männer wechselten ab, denn keiner
+konnte für die Dauer die Nachtwachen vertragen.
+Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage
+streifte sie herum wie ein wildernder Jagdhund.
+Wo und wann sie schlief, wußte keiner.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
+Wenn einer von den fremden Gendarmen,
+die den hiesigen jede zweite Nacht ablösen kamen,
+gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte:
+&bdquo;Ich denke, wir stellen die vergebliche Arbeit ein,
+denn er müßte schön dumm sein, uns freiwillig
+in die Arme zu laufen,&ldquo; dann wehklagte sie und
+flehte mit erhobenen Armen: &bdquo;Erbarmen, Pons
+Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird ihn
+schon holen gehn, &mdash; wird ihn schon holen gehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher
+Zeit und gar nicht weit vom Kirchhof Madlyne
+im Graben lag &mdash; dicht an dem Wege, der von der
+Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich
+heimlich in dem Hause eines früheren Bewerbers
+auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn
+nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn
+es dunkel wurde, schlich sie sich hinaus auf Wache
+für den Fall, daß er vorbeikommen sollte.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal war es noch kalt, und manchmal
+regnete es, aber sie fror nicht und ließ sich ruhig
+durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen
+fiel ihr schwer. Darum legte sie sich
+gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf den Kopf,
+die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend
+nach vorn überneigte. Und von dem
+Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach.
+</p>
+
+<p>
+Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises
+Stimmengeräusch oder ein Säbelklirren sich hören;
+ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch
+<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
+ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie
+höhnisch und schüttelte die Fäuste in das Dunkel
+hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr.
+</p>
+
+<p>
+Aber in einer Nacht &mdash; es mag die vierzehnte
+oder fünfzehnte ihres Dienstes gewesen
+sein &mdash;, da muß der Schlaf sie doch überwältigt
+haben, oder aber er war nicht auf
+dem Wege, sondern quer über die Felder gegangen,
+denn plötzlich hörte sie auffahrend vom
+Kirchhof her Knallen und Männergeschrei. Und
+die Stimme Alutens mischte sich keifend darein.
+</p>
+
+<p>
+Da wußte sie: sie hatten ihn.
+</p>
+
+<p>
+Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der
+plötzlich aufgeflammt war.
+</p>
+
+<p>
+Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei
+Männer brachten ihn geführt, und Alute tanzte
+um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte
+und die Zunge ausstreckte.
+</p>
+
+<p>
+In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen
+Flasche, die wohl beim Kampfe mitten
+durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für
+die Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch
+einmal die ewige Ruhe hatte erkaufen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne warf sich ihm in den Weg und
+küßte die eisernen Ringe, in die sie seine blutigen
+Hände gesteckt hatten.
+</p>
+
+<p>
+Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch
+und schritt weiter &mdash; seinem Schicksal entgegen.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-4">
+<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
+Jons und Erdme
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-4-1">
+<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben
+nicht weit vom Matzicker Walde zwei
+Liebesleute &mdash; der Jons Baltruschat und die
+Erdme Maurus.
+</p>
+
+<p>
+Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben
+will auf Erden! Selbst die Aller-, Allerärmsten,
+die kaum das nackte Leben haben, möchten ein
+Nest bauen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist das, was der Litauer einen
+&bdquo;Antrininkas&ldquo; nennt, der &bdquo;Knecht eines Knechtes&ldquo;.
+Das sagt wohl genug.
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr
+Glück machen wollen. Vorläufig dient sie als
+Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus
+nicht weit vom Bahnhof, das die Leute
+in Heydekrug meistens das &bdquo;Hotel Lausequetsch&ldquo;
+nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten
+Zeit hat es sich sehr gehoben. Sogar die
+besseren Viehverlader verkehren bisweilen darin.
+</p>
+
+<p>
+Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat
+seine blanken Kirchgangsstiefel an und die
+schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch.
+<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
+Und die Erdme &mdash; die ist nun gar eine Feine!
+Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! Sie hat
+ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft
+und eine halbseidene Bluse an, die hinten
+zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die Kellnerin
+geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen
+hinderlich war.
+</p>
+
+<p>
+Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber
+das ist auch alles. Eltern mit Haus und Hof
+haben sie nicht. Überhaupt &mdash; wo sie herstammen,
+davon reden sie lieber gar nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um
+acht kommen die Handwerksburschen, die bringen
+Feiertagsfladen von der Walze mit und wollen
+reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr
+üppig zu. In der Küche werden jetzt sogar Ölsardinen
+gehalten, und das Öl darf man hinterher
+austrinken.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt.
+Wie wird eine Frau, die an so vornehme Lebensart
+gewöhnt ist, später neben ihm aushalten
+wollen?
+</p>
+
+<p>
+Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was
+hat das alles zu sagen gegen einen eigenen
+Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das
+Leben doch erst eigentlich an.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl &mdash;
+aber wie? Die Vögel, die ringsum Halme suchen,
+die haben&rsquo;s leicht. Denen liegt der Baustoff
+<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
+frei auf der Straße, und für ihren Nestplatz
+brauchen sie auch nichts zu zahlen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet
+ihm Mut zu. Und so ganz ohne Vermögen sind
+sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch
+ihre Beutelchen vor und breiten die Schätze
+neben sich aus, geben aber sorgfältig acht, daß
+beide nicht untereinander geraten. Denn das
+kann erst nach der Trauung geschehen, wenn die
+Gütergemeinschaft erklärt ist.
+</p>
+
+<p>
+Das Häufchen der Erdme ist viel größer
+als seines, so groß, daß er beinahe argwöhnisch
+wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig
+Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie
+kann doch Auskunft geben. Das goldne Zwanzigmarkstück,
+das den Hauptstock bildet, hat ihr
+einmal ein Betrunkener geschenkt, der hernach
+verhaftet wurde. Doch das macht ja nichts,
+wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und
+auch das übrige ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten,
+wie sie Bräutigams nicht gerne sehen,
+sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die
+höchstens einmal in die Küche kommen, um ein
+ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es sich kneifen
+läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler
+durchaus an Kindesstatt annehmen wollen und
+sich erst nach vielem Zureden damit begnügt,
+<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
+ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr
+hat er gerade nicht bei sich gehabt.
+</p>
+
+<p>
+Das alles ist also in guter Ordnung, aber
+die lumpigen fünfundzwanzig Mark, die er sich
+in zwei Jahren &mdash; und mit was für Opfern! &mdash;
+von seinem Lohne erspart hat, können sich daneben
+nicht sehen lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach was,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;zusammen sind
+das einundneunzig. Und für hundert kann man
+sich schon ein Haus bauen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja wo?&ldquo; fragt er. &bdquo;Etwa im Monde?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Durchaus nicht im Monde, sondern sogar
+ganz nah&rsquo; von hier. Auf der anderen Seite von
+Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor
+die Kolonie Bismarck liegt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe
+und die Mörder hausen,&ldquo; meint er, denn in gutem
+Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es
+Diebe und Mörder überall, und zweitens kommt
+es zunächst darauf an, daß man ein Haus über
+dem Kopfe hat. Dort ist man sozusagen beim
+preußischen Staat zu Gaste, der Grund und
+Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn
+kann sich keiner erdenken.
+</p>
+
+<p>
+Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist,
+für hundert Mark ein Haus zu erbauen, aber sie
+weiß es genau.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,&ldquo;
+<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
+sagt sie und lacht ihm verstohlen zu. &bdquo;Nachhelfen
+tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo
+es herkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun lacht auch er, und der Entschluß wird
+besiegelt.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft
+haben, betrachten sie einander und finden, daß
+sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er &mdash; straff, breit, knorrig, mit wagerechten
+Trageschultern und zwei Fäusten, die nicht mehr
+loslassen, wo sie einmal zugepackt haben.
+</p>
+
+<p>
+Sie &mdash; eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig
+mit federnden Armen und Schenkeln von
+Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen,
+in denen zwei Augen listig und lustig Nähe und
+Ferne nach Beute durchmustern.
+</p>
+
+<p>
+Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem
+Schwersten Stand zu halten und das Widrigste
+mit Schlauheit zu umgehen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-2">
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Zuerst der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher
+der Kolonie, der zweitausend Lebensschicksale
+sorgsam und strenge an obrigkeitlicher Leine
+führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission;
+doch wer und was das eigentlich ist,
+ahnen nur wenige.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
+Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Mit List und Gewalt haben sie sich beide
+aus ihren Dienststellungen freigemacht. Die
+Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste
+an den Kopf werfen lassen und hierauf
+mit einer Anzeige wegen Körperverletzung gedroht,
+so daß sie schließlich mit dem Zeugnis
+auch noch ein Schmerzensgeld bekommen hat,
+und der Jons, der weniger gerissen ist, hat seinem
+Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag
+in Aussicht gestellt, falls er ihn nicht auf der
+Stelle abziehen lasse. Manchmal hilft das,
+manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal
+hat es geholfen.
+</p>
+
+<p>
+So wandern sie also wohlgemut auf der
+Rußner Chaussee zur Kolonie Bismarck hinaus,
+die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt
+und sich so weit ins Moor hinausstreckt, daß man
+ihr Ende nirgends absehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an der langen Brücke sind, die über
+die Sumpfniederung führt, bleibt die Erdme
+an dem schwarz-weißen Geländer stehen und
+zeigt auf die Kuhblumen hinunter, die ihre
+buttergelben Köpfe aus dem Überschwemmungswasser
+stecken, und sie sagt: &bdquo;Wie die Blumchen
+da vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden
+wir auch vorwärts kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons meint dasselbe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
+Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause
+stehen, in dem jetzt der Moorvogt wohnt,
+da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen
+die Vierzig, mit ernsten Augen und einem Munde,
+der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart
+sieht er nicht aus, aber seine Rede ist scharf und
+gemessen. Angst muß man schon darum vor
+ihm haben, weil er so mächtig ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also anbauen wollt ihr euch?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Seid ihr verheiratet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das
+Aufgebot kann jeden Augenblick bestellt werden.
+Jetzt gleich, wenn er will.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die Papiere in Ordnung?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die nötigen Mittel da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze
+ziehen sie ihre Beutelchen. Das Goldstück, das
+bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen
+Eindruck zu machen, denn zum ersten Male geht
+ein Lächeln über sein Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+Und er greift nach Mütze und Hakenstock
+und sagt: &bdquo;Kommt mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann geht er ihnen voran auf einer Straße
+aus Knüppeln und Lehm, die geradeswegs von
+der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt.
+Das sieht nun freilich fürs erste nach
+<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
+allem aus, nur nicht nach einem Moor. Rechts
+und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen
+bis in den grauen Dunst hinein. <em>Die</em>
+Häuser haben etwas mehr als hundert Mark
+gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und
+ringsum Ställe und Schuppen! Und Gärten
+sogar &mdash; die Zäune mit Ölfarbe gestrichen!
+Und jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee,
+aus Quitschen und Birken &mdash; weiß wie Schnee
+und schnurgerade.
+</p>
+
+<p>
+Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber
+zu reden wagen sie nicht. Sonst wären sie vielleicht
+noch umgekehrt. Denn wie kann man je
+daran denken, solche Herrlichkeiten sein eigen
+zu nennen?
+</p>
+
+<p>
+So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang.
+Eine Wirtschaft folgt der anderen, ein Ackerfeld
+dem anderen. Nur hie und da auf höherem
+Boden, wie aus Versehen stehen geblieben, ein
+Gebüsch von krüppeligen Fichten, die kaum einmal
+die Kraft haben, Nadeln zu tragen.
+</p>
+
+<p>
+Dann allmählich verändert sich das Bild.
+Die Wohnhäuser werden ärmlicher &mdash; demütiger,
+möchte man sagen &mdash;, die Wirtschaftsgebäude
+hören auf, und statt der beackerten Felder breiten
+sich kahle Moorheiden aus bis ins Endlose hin,
+von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen,
+die vom Torfstechen übriggeblieben sind. Auf
+denen sprießt ein junges Sumpfgrün. Sonst
+<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
+ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist
+alles.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt hat den ganzen Weg über
+kein Wort zu ihnen gesprochen. Jetzt wendet
+er sich um und sagt: &bdquo;Hier könnt ihr euch nun
+eine Baustelle aussuchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den
+Moorboden hinaus, der unter ihren Füßen
+quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt
+den Stock einstößt, bleibt ein wasserglänzendes
+Löchelchen übrig.
+</p>
+
+<p>
+Da endlich macht der Jons seinem bedrückten
+Herzen Luft und fragt beinahe schreiend:
+&bdquo;Kann man denn hier überhaupt bauen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück
+und in die Runde: &bdquo;Die haben alle einmal
+so gebaut,&ldquo; sagt er. &bdquo;Das Trockenmachen ist
+eure Sache.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme sehen sich an und denken:
+&bdquo;Was die anderen gekonnt haben, müssen wir
+auch können.&ldquo; Und so suchen sie sich aufs Geratewohl
+einen Platz für Haus und Ackerland und
+sind dabei immer dem Weinen nahe.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden
+Schritten die ungefähr in Betracht kommende
+Fläche. &bdquo;Diese Parzelle,&ldquo; sagt er dann stehen
+bleibend, &bdquo;gibt euch der Staat zur Bewirtschaftung.
+Sie wird natürlich genau ausgemessen
+werden und ist dann einen Hektar groß. Geht
+<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a>
+es euch gut, so dürft ihr später noch drei weitere
+dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei
+mir an und gebt eure Unterschrift. Bis dahin
+überlegt es euch. Braucht ihr einen Rat, so
+bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er.
+</p>
+
+<p>
+Nun stehen sie da und sehen sich wieder an.
+</p>
+
+<p>
+Ja oder nein?
+</p>
+
+<p>
+Nein &mdash; dann müssen sie zurück in Dienst &mdash;
+in einen härteren vielleicht, vielleicht auch niedrigeren,
+obgleich das kaum noch möglich ist, und
+die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für
+Jahre. Wozu sind sie jung und übervoll von
+unverbrauchten Kräften, die sich sonst für Fremde
+erschöpfen müssen? Also ja &mdash; dreimal und
+tausendmal ja.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was die anderen gekonnt haben, müssen
+wir auch können,&ldquo; wiederholt der Jons noch
+einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch.
+Und damit sind sie fertig.
+</p>
+
+<p>
+Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist,
+sich für die nächsten Monate ein Obdach zu
+besorgen.
+</p>
+
+<p>
+Sie gehen also an die ersten zwei Leute
+heran, die sie auf dem Acker arbeiten sehen, und
+sagen: &bdquo;Wir wollen uns in der Nähe anbauen.
+Könnt ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Mann, der sanftblickende Augen hat
+<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a>
+und dem um das magere, bartlose Gesicht
+langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt,
+sieht sie lange an und fragt dann: &bdquo;Seid ihr
+verheiratet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Erdme lügt rasch &bdquo;ja&ldquo;, denn sie überlegt sich,
+daß ihr wahrhafter Stand, mag er noch so kurze
+Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten
+Hindernisse bereiten würde.
+</p>
+
+<p>
+Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist
+und die so aussieht, als muß sie immer Senf
+aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die
+sagt: &bdquo;Wir sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht
+nach den Geboten des Herrn lebt, den nehmen
+wir nicht auf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Erdme sagt: &bdquo;Auch wir wollen uns den Erleuchteten
+zuwenden,&ldquo; denn sie weiß sofort, daß
+sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen
+erlangen werden.
+</p>
+
+<p>
+Betten wird sie mitbringen, und so ist für
+Unterschlupf gesorgt.
+</p>
+
+<p>
+Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an.
+</p>
+
+<p>
+Er hat einen großen Bogen ausgefertigt,
+sieht noch einmal ihre Papiere durch, und dann
+gibt Jons die Unterschrift.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte
+und trägt sie als Brautleute in die Register
+ein.
+</p>
+
+<p>
+Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme
+vorhin ausgesprochen hat, und fragt: &bdquo;Die Zeit
+<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a>
+ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon
+einziehen dürfen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan
+hat, als er ihr Vermögen besah, und sagt: &bdquo;Die
+Aushängebogen liest keiner.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit sind sie entlassen.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das
+wichtigste von allem &mdash; außer dem Pfarrer
+natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden
+muß. Das ist für Jons, sich eine regelrechte
+Arbeit zu beschaffen, damit durch den Tagelohn
+für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und
+ab und zu noch ein paar Groschen in die Baukasse
+kommen.
+</p>
+
+<p>
+Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik
+und der Sägemühle, die beide jetzt zum
+Frühling Leute brauchen. Jons wählt die
+Sägemühle, weil er hoffen kann, dort am ehesten
+Gelegenheit zu billigem oder &mdash; wenn das
+Glück es will &mdash; auch kostenlosem Holzerwerb zu
+finden.
+</p>
+
+<p>
+Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug
+zurück, &mdash; und siehe da! kaum nachgefragt,
+da hat er auch schon die Zusage in der Tasche,
+daß er am nächsten Morgen antreten kann.
+</p>
+
+<p>
+Zwei Mark pro Tag &mdash; so viel hat er in
+seinem ganzen Leben noch nicht verdient.
+</p>
+
+<p>
+Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen
+sie sich, daß noch nie ein Tag da war, der sie
+<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a>
+ein so großes Stück im Leben weiterführte.
+Aber er hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und
+da sie beileibe kein Geld ausgeben wollen und
+zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen,
+so scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen
+Zuhause ein paar Saatkartoffeln aus einer Miete,
+was gewiß eine große Sünde ist, aber der Besitzer
+hat noch genug, und so geschieht niemandem
+ein Schade.
+</p>
+
+<p>
+Die Taschen voll kommen sie heim, und als
+sie beim Abkochen ein andächtiges Abendlied
+singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar
+noch ein Stückchen Speck dazu.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne
+den geht nichts.
+</p>
+
+<p>
+Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn
+wenn Jons auch um drei aufsteht, um fünf
+muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein,
+und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert.
+Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke
+am Leibe.
+</p>
+
+<p>
+Aber Erdme &mdash; die schafft es. Sie steht bis
+zu den Knieen im eiskalten Wasser und sticht
+und gräbt und gräbt und sticht &mdash; quer durch das
+widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch
+keine Menschenkraft bezwingbar scheint.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a>
+Der fromme Taruttis &mdash; so heißt der Wirt &mdash;
+sieht von weitem ihr maßloses Mühen, und da
+sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt
+er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr
+über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen.
+</p>
+
+<p>
+Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren
+Ärger genötigt, die kostbaren Freistunden des
+Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden.
+Frommsein ist gewiß eine schöne und
+notwendige Sache, aber man muß Zeit dazu
+haben. Sonst wird es zur Landplag&rsquo;.
+</p>
+
+<p>
+Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle
+hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen.
+Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten
+kann man auf unauffällige Weise tagtäglich
+erfahren, in welchem Walde und an welcher
+Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung
+bereit liegt.
+</p>
+
+<p>
+Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit
+gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern,
+dem es beliebt, ihn anzuhalten.
+</p>
+
+<p>
+Die erste der kräftigen vier Kieferstangen,
+die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses
+nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für
+blankes Geld von einem Besitzer, der wegen
+leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen
+seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er
+einen regelrechten Kaufschein, den er fortan als
+Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt.
+<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a>
+Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht
+einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der
+nicht ganz so rechtsgültig erworben ist, da kann er
+sich des guten Gewissens erfreuen, <a id="corr-2"></a>das solch ein
+Stückchen Papier seinem Träger verleiht.
+</p>
+
+<p>
+Den Handwagen borgt der fromme Taruttis,
+der natürlich nichts Böses ahnt, und legt sogar
+noch einen goldumränderten Spruch hinein.
+Ob der nun hilft oder was Anderes, kurz, auch
+der dritte Stamm gelangt unangehalten nach
+Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist,
+da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis
+die Hochzeit dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+Die muß wegen der Wirtsleute in strengster
+Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim
+Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für
+die fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße
+mitgebracht hat. Ein Glück ist, daß die sich
+bereit erklären, auch bei der Trauung am nächsten
+Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt,
+daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten
+feierlich, er hat nicht einmal die Lichter angesteckt,
+so gering achtet er sie. Zum Schlusse reicht er
+ihnen die Hand und sagt: &bdquo;Von nun an könnt
+ihr in Ehren beieinander wohnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als ob das ohne den Pfarrer so ginge!
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut,
+<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a>
+als er am Sonntag das junge Paar im besten
+Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint
+die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand;
+aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten
+gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet
+bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt
+es ihnen weiter nicht nach.
+</p>
+
+<p>
+Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar
+jungsprossende Rautenblättchen, die sie als Merkmal
+ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen,
+und treten dann den langen Weg zum Gotteshause
+an.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle,
+sie aber schämen sich, auf einer der vordersten
+Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute
+sitzen, und verkriechen sich hinter
+einem der rückwärtigen Pfeiler. Nicht einmal
+die Rautensträußchen legen sie an, sondern
+bekneifen sie mit den heißen Fingern.
+</p>
+
+<p>
+Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt
+kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft, die
+mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben
+Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner
+laufen umher, und die Brautführer umgeben
+wie eine Königsgarde den Marschall.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen,
+und ihre Zeugen riechen nach Mist.
+</p>
+
+<p>
+Als der letzte von der großen Hochzeit den
+Kirchenraum verlassen hat, fassen sie sich ein
+<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a>
+Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang.
+</p>
+
+<p>
+Der Pfarrer &mdash; ein junger Mann, mit einem
+Traumdeutergesicht &mdash; blickt ihnen freundlich
+entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht
+vor den Altar zu treten wagen, öffnet er die
+rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie
+zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin
+zu führen.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im
+Buche stehen, sondern hält ihnen eine genau
+so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt
+hätten.
+</p>
+
+<p>
+Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft
+und Hoffnung, die gemeinsame Reise
+durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt
+ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn
+sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten
+und vor allem &mdash; vor allem, vor allem! &mdash;
+den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme weinen sehr, und jeder
+von ihnen schwört sich zu, die Ermahnungen des
+Pfarrers nicht zu vergessen.
+</p>
+
+<p>
+Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten
+haben und es dunkel zu werden beginnt,
+da müssen sie doch daran gehen, den vierten der
+Stämme aus dem Walde zu holen, denn jeder
+Tag Aufschub kann von Nachteil sein.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a>
+Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon
+gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt
+haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem
+Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen,
+ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn man so arm ist wie wir, dann kann
+das unmöglich eine Sünde sein,&ldquo; tröstet die
+Erdme sich und ihn.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Eine Sünde ist es schon,&ldquo; antwortet der
+Jons, &bdquo;das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt.
+Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben,
+dann wollen wir alles wieder gut machen, worin
+wir uns jetzt vergehen müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das geloben sie einander, während
+sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten.
+</p>
+
+<p>
+Und noch manches geloben sie. Keinen Hader
+wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen
+Worte in den Mund nehmen und in allem
+den Kindern ein gutes Beispiel geben.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut
+haben,&ldquo; meint der Jons.
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme gerät ins Schwärmen:
+&bdquo;Wenn ich Töchter kriege, dann sollen sie in
+Samt und Seide gehen &mdash; und ihre Hochzeiten
+sollen acht Tage dauern &mdash; und der Bräutigamsvater
+soll nichts Geringeres sein als ein
+Gendarm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Doch der Gedanke an den Gendarmen ist
+ihnen unbehaglich, darum spinnen sie ihn nicht
+<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a>
+weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker
+Waldes zu verschwinden, wo der vierte Pfosten
+ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer
+mattschimmernd am Boden liegt.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-4">
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für
+den Winter noch nichts zu essen hat! Die Tage
+werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat
+geschafft sein.
+</p>
+
+<p>
+Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten
+Frühjahr allenfalls in Arbeit genommen werden
+kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und
+nachdem die Quergräben gezogen sind, die die
+weitere Trockenlegung verlangt, kann das Urbarmachen
+beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai &mdash;
+wenn man das Morgen nennen kann, denn noch
+stehen die Sterne am Himmel &mdash;, da schultern
+sie Hacke und Spaten und ziehen hinaus auf
+das kahle Moor, dorthin, wo die vier Kiefernstangen
+lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt
+auf Vorrat schlafen.
+</p>
+
+<p>
+Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen
+die Grenzen des Ackers, der nun werden
+soll.
+</p>
+
+<p>
+Den beiden ist bang und feierlich zumut.
+Gemeinsam zu beten getrauen sie sich nicht, weil
+<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a>
+sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum
+spricht jeder von ihnen sein Vaterunser ganz
+im geheimen, als ob er Wunder was Unrechtes
+täte.
+</p>
+
+<p>
+Und dann geht es los.
+</p>
+
+<p>
+Die oberste Schicht des Moores, die aus
+lebendigen Pflanzenstoffen besteht, muß zerkleinert
+und heruntergeschält werden &mdash; &bdquo;abplacken&ldquo;
+nennt man es &mdash;, weil der drunter
+liegende Boden erst dann, wenn sie mit ihm
+gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält,
+die eine Aussicht auf künftige &mdash; wenn auch
+spärliche &mdash; Ernten eröffnet.
+</p>
+
+<p>
+Die paar Stunden der Frühe vergehen im
+Fluge. Dann muß er ja weg, um mit dem Taglohn
+Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo
+soll der Stoff zum Hausbau sonst herkommen?
+</p>
+
+<p>
+Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt.
+Zuerst die Latten oder Schwarten, mittels deren
+die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das
+Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses
+bilden soll. Dann die Sparrbalken &mdash; die Sparren
+selbst &mdash; die Ziegel für die Feuerstätte und
+so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden
+kann.
+</p>
+
+<p>
+Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will
+hinter dem andern zurückstehn. Von einem,
+dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und
+um acht Uhr abends endet, kann niemand
+<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a>
+auf Erden sagen, er habe es sich zu knapp bemessen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt der Acker rasch voran.
+</p>
+
+<p>
+Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet,
+um sich den rieselnden Schweiß aus den Augen
+zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter
+sich stehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark
+Pacht, die für das erste Jahr gezahlt werden
+sollen &mdash; später werden es dreißig &mdash;, sind noch
+nicht abgeliefert.
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Es ist spät im Jahr. Werdet ihr
+mit der Aussaat zurechtkommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie antwortet: &bdquo;Wie Gott will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott will, wie der Mensch will,&ldquo; sagt er.
+&bdquo;Wenn er erst weiß, daß ihr tüchtig seid, wird
+er euch nichts in den Weg legen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die,
+schon geschält, wie Silber in der Sonne funkeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schöne Stangen habt ihr da,&ldquo; sagt er und
+sieht Erdme dabei mit schiefem Munde halb von
+der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen
+Gänge verborgen geblieben.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den
+Sohlen den schwarzen Schlamm von den Beinen,
+denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung
+fragen werde; aber die Frage bleibt aus.
+</p>
+
+<p>
+Auch ein Haufen Schwarten liegt schon
+da, die Jons sich für billiges Geld unter
+<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a>
+den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen
+dürfen.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die
+untauglichen zeichnet er mit der Spitze seines
+Hakenstocks.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben
+sind,&ldquo; sagt er und wendet sich ohne
+Gruß wieder dem Wege zu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da geht er hin wie der liebe Gott,&ldquo; denkt
+Erdme und ist sehr froh, mit heiler Haut davongekommen
+zu sein. Vieles an ihm begreift sie
+nicht, aber beim lieben Gott geht es einem ja
+ebenso. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel
+Saatkartoffeln gekauft, glasblank und dünnschalig,
+wie sie für den Moorboden gut sind.
+Die werden in Hälften geschnitten und in die
+flachen Rücke gleichsam obenauf gelegt, denn
+nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch die sind redlich erworben,&ldquo; sagt Erdme
+mit Stolz. Und darum brauchen sie sich nicht
+zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet
+zu tun.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch muß viel zusammengegrapscht
+werden!
+</p>
+
+<p>
+Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken
+zurechthackt, mit blankem Gelde zu bezahlen,
+während sie freundlich in den Wäldern
+<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a>
+herumliegen, wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber
+vorsichtig muß man schon sein, darum wird Jons
+auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln
+käuflich erstehen und ärgert sich bloß, daß er
+den Schein dafür nicht gleich vor den Mützenschirm
+stecken kann. Jetzt und auch bei den
+nächsten Fahrten hernach, wenn alles an Ort
+und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens
+der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der
+fragt ja nicht, wie man weiß.
+</p>
+
+<p>
+Eine Nacht um die andere ziehen sie los,
+denn ab und zu schlafen muß doch der Mensch.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts.
+Ihm hat der Kaufschein die Augen verblendet.
+Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht
+nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum
+betet er fleißig für sie, während sie auf seinem
+Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und
+Hopp nach Hause fahren.
+</p>
+
+<p>
+Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn
+sie ihn nicht übertrumpfen kann, steht sogar
+im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes
+bereitzuhalten.
+</p>
+
+<p>
+So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf,
+und die Baukasse wird kaum einmal magerer.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die
+Aufrichtung des Hauses vonstattengehen kann.
+Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen
+nun freilich nicht, und darum entschließt sich
+<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a>
+Erdme auf des Taruttis Rat, bei den Nachbarn
+herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Talka&ldquo; heißt auf deutsch &bdquo;Arbeitsgesellschaft&ldquo;,
+und auf solchen gemeinsamen Hilfeleistungen
+beruht vieles, was unter diesen armen Menschen,
+die gemietete Hände niemals bezahlen könnten,
+an Tüchtigem zustandekommt. Dafür erweist
+man sich dann später dankbar, wenn der Ruf an
+einen selber ergeht, und alles schließt mit einer
+fröhlichen Bewirtung, so viel oder so wenig der
+Bittende zu geben vermag.
+</p>
+
+<p>
+Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand
+die Häuser, in denen sie vorsprechen kann, und
+die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt
+einer, der hilft <em>nicht</em>, aber dort wohnt einer,
+der hilft, weil man ihm selber geholfen hat.
+</p>
+
+<p>
+Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf
+der anderen Seite des Weges sein kleines Anwesen
+hat, geht Erdme zuerst.
+</p>
+
+<p>
+Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen
+und ist weit in der Welt herumgewesen.
+Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm
+bekannt sein, so daß er schon manchem der Langeingesessenen
+einen guten Ratschlag hat geben
+können.
+</p>
+
+<p>
+Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu
+Mitte der Dreißig, der die Gewohnheit hat, beim
+Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und
+<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a>
+dabei zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie
+er die Erdme daherkommen sieht, die frisch von
+der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und
+aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet,
+macht er große Augen vor ihrer Glieder Pracht,
+um dann erst &mdash; gleichsam erschrocken &mdash; den Blick
+von ihr wegzuwenden.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes
+Litauisch, etwa wie die Pfarrer sprechen, die
+es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt
+aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist
+gut und höflich zu ihr &mdash; nur, daß er sie nicht
+ansehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau kommt später zum Vorschein. &mdash;
+Eine Halblitauerin ist auch sie, klein und kümmerlich
+&mdash; ach Gott, wie sehr! &mdash;, mit grauer Gesichtsfarbe
+und abgemüdeten Augen. Sie wirft
+einen neidischen Blick auf Erdmes kräftige Gestalt,
+begrüßt sie dann aber ganz freundlich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn wir nun Nachbarn werden,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;möge Gott geben, daß Frieden zwischen uns
+bleibt.&ldquo; Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern
+ihren Mann an, der auch vor ihr den Blick zur
+Seite wendet.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,&ldquo;
+sagt Erdme und verabschiedet sich. Sie fühlt sich
+zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man
+ja sehen kann, das Unglück im Hause sitzt.
+</p>
+
+<p>
+Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen
+<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a>
+ist, hat sein Eigentum dicht neben dem
+kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase
+sitzt und so niedrig ist, daß man bloß auf eine
+Fußbank zu steigen braucht, um darüber hinwegzublicken.
+Diese Wirtschaft sieht schon etwas
+vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an
+den grünen Simsenbüscheln rupfen zwei magere
+Kühe.
+</p>
+
+<p>
+Der Besitzer heißt Smailus und hat vor
+kurzem schon die zweite Frau begraben. Er ist
+ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an
+die Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht
+und langhängendem Hetmansschnurrbart,
+aber seine Augen haben einen stumpfen
+und schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn
+nichts anginge.
+</p>
+
+<p>
+Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins
+Leben, das sich dicht hinter ihm aus dem Hause
+drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens
+dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt,
+aber unter dem Halse hat sie eine goldene Brosche
+sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins Gespräch und
+sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem
+ganz kleinen Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei
+sie immerhin, und was sie tun könne, um Frischzugezogenen
+das Leben zu erleichtern, das solle
+gewiß geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine
+Ding, das mit dem Maulwerk vorneweg ist wie
+<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a>
+eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht
+anders sein kann, und sagt bloß: &bdquo;Ja, ja, das
+Bauen und das Begraben muß man schon immer
+gemeinsam verrichten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In dem Begraben hat er wohl Übung,&ldquo;
+denkt die Erdme, sich bedankend, und die Kleine
+begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich.
+</p>
+
+<p>
+Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt
+sie, und dann wird sie in die Stadt gehen und
+ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein,
+wie es in der Kolonie schon viele
+getan haben. Vorerst aber muß sie dem Vater
+noch eine Frau besorgen. So eine schöne und
+starke wie Erdme wäre ihr schon recht &mdash; aber
+Geld muß sie haben &mdash;; die zweite, von der sie
+die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt &mdash;
+bloß nicht genug &mdash;, und ob Erdme nicht eine
+weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann.
+</p>
+
+<p>
+Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der
+Kleinen schlägt ihr aufs Herz wie ein starker
+Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen
+Lebens vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch
+ihr Schicksal liegt nun bereits so steinern fest,
+daß keiner auf der Welt mehr daran rühren
+kann. Wie eingesunken in diesen Moorschlamm
+liegt es, der keinen Grund und Boden hat und
+nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen
+Wurzelfäden umwindet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a>
+Die Kleine heißt Ulele. &bdquo;Das ist ein altertümlicher
+Name,&ldquo; sagt sie, &bdquo;den ich natürlich
+nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen
+sein wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht
+ihr traurig und bewundernd nach, wie sie mit
+ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich
+flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und
+die Lumpen flattern an ihr wie zwei Fledermausflügel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Für mich ist es nun schon zu spät,&ldquo; denkt
+Erdme. &bdquo;Ich muß warten, bis ich Töchter
+kriege.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn
+es auch schon älter scheint, doch noch zur Nachbarschaft
+gehört. Es macht aus der Ferne gesehen
+einen recht kläglichen Eindruck, und gerade
+darum möchte Erdme es kennen lernen, denn
+sie will wissen, wie man sich hier behelfen
+muß, wenn man ganz arm bleibt. Gleichsam
+als abschreckendes Beispiel will sie es kennen
+lernen.
+</p>
+
+<p>
+Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei
+gezeigt, und als sie ihn am Mittag noch einmal
+fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit
+dem Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier
+nichts zu mähen gibt.
+</p>
+
+<p>
+So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt
+er: &bdquo;Über meine Nächsten rede ich nichts Böses,
+<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a>
+und wenn ich Böses reden müßte, so schweige
+ich lieber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen,
+aber als sie gegen den Abend desselben Tages
+wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom
+Wege aus angerufen.
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht einen kleinen, alten Mann im
+Graben sitzen, der einen Arm voll Weidenruten
+neben sich liegen hat und einer gerade mit dem
+Taschenmesser die Haut abzieht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du von mir?&ldquo; fragt sie, ohne
+sich stören zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?&ldquo;
+ruft er herüber.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das kann schon sein,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Arme zum
+Helfen kann man immer brauchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zwei Arme hab&rsquo; ich auch,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gehörst du zur Nachbarschaft?&ldquo; fragt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,&ldquo; sagt
+er, &bdquo;daß du heute schon zweimal an meinem
+Haus vorbeigegangen bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er weist mit seinem Messer gerade auf
+das Anwesen hin, von dem der Taruttis durchaus
+nicht reden will.
+</p>
+
+<p>
+Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder,
+mit dem sie die Rücke glättet, und tritt näher
+auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus zusammengebettelten
+Kleidern sich streckend ein
+zahnloses, plieräugiges Greisengesicht, dem die
+<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a>
+Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen
+Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem
+Aussatz klebt.
+</p>
+
+<p>
+Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er
+aus.
+</p>
+
+<p>
+Sie fragt: &bdquo;Wer bist du denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin ein verdienter Mann,&ldquo; sagt er und
+fährt fort, seine Ruten zu schälen. &bdquo;Durch
+fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat
+tätig gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm,
+da er mir keine Altersversorgung zahlen will.
+Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß Ruten
+flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt
+werden, die ich ganz ohne Lohn vollbracht
+habe ... Übrigens bin ich noch stark bei Kräften,
+und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten
+willst, so werde ich dir die Balken heben wie
+ein Spielzeug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt
+sie sich auf die abweisenden Worte des milden
+Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu,
+der sie beim Näherkommen befallen hat, und
+darum antwortet sie: &bdquo;Ich danke dir, Nachbar,
+für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat
+schon ihre volle Zahl.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt
+vom Grabenrand auf und speit ihr seine wilde
+Bosheit sozusagen ins Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?&ldquo;
+<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a>
+schreit er. &bdquo;Haben die Ohrenbläser
+dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner
+will mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses
+von mir nehmen! Aber ich werd&rsquo; es euch
+antun! Wenn das Unglück kommen wird, die
+große Not, die Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen
+werden zu Brei und euer Herd sinken
+wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt
+sitzen werdet im Schornstein und schreien um
+Gnade, dann werde ich lachend anspannen lassen
+die Arche Noah und vorüberfahren und lachen
+über das Todesquieken eurer Schweine und das
+Todesgebrüll eurer Kuh &mdash; am meisten aber
+werde ich lachen über euch selber, wenn der
+Schornstein zusammenfällt und das schwimmende
+Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es
+sein. Amen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten
+auf, zieht die zerlumpten Beinlinge über den
+Hintern und geht seines Weges, aber immer
+noch kehrt er sich um und schüttelt die Faust und
+speilt die roten Gaumen.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen
+von dem höllischen Feuer auf sie niedergefallen.
+Wenn das das Ende sein soll, warum bauen
+sie dann erst? Und warum haben die anderen
+gebaut? Doch deren Häuser stehen ja
+noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln
+in der Abendsonne. Es ist also wohl der böse
+<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a>
+Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat abschnüren
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als
+Jons von der Arbeit kommt und ihr mit Stolz
+zeigt, was er alles mitgebracht hat.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen
+Drahtnägeln, denn ohne die geht&rsquo;s
+nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen
+Kornschnaps aus der Schmidtschen Destillation
+und alle die Zutaten zu einem
+süßen Fladen, der heute noch gebacken werden
+muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Taruttene liefert das Mehl und viele
+erbauliche Sprüche dazu, und als die Hähne
+krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste
+dampfende Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus,
+wo er die Nacht über Balken behauen hat wie
+ein gelernter Zimmermann.
+</p>
+
+<p>
+Aber von dem bösen alten Mann sagt sie
+ihm nichts.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Und nun ist es wieder Nacht geworden, und
+das Haus steht gerichtet. Die vier Kiefernstämme
+sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß
+rund um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel
+hochschoß wie ein Quell, und sind dann durch
+die aufgenagelten Latten verbunden. Oben
+darauf haben sich Sparren und Sparrbalken zum
+<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a>
+Dachgerüst zusammengefügt, und die künftige
+Zimmerdecke ist genagelt.
+</p>
+
+<p>
+Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die
+viereckigen Stücke der obersten Moorschicht, die
+für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger
+aber, um später von außen her an die Latten
+geklatscht zu werden und so eine mauerähnliche
+Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und
+Wärme gibt.
+</p>
+
+<p>
+Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft
+und ruht sich aus. Der fromme Taruttis natürlich
+und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der halbdeutsche
+Fremdling, und der lange Smailus
+mit seiner kleinen Ulele, die ihm meistens das
+Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat
+sie wie ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen,
+und wo keiner die Schlinge befestigen konnte zum
+Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand
+hat sie viel klettern gesehen. Fixes Ding!
+</p>
+
+<p>
+Müde sind sie und warten voll Freuden des
+kleinen Festes, das der Besitzer ihnen zu bieten
+hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem
+Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal
+reihum.
+</p>
+
+<p>
+Nur die Frau des Witkuhn fehlt. &bdquo;Sie ist
+immer elend,&ldquo; sagt er, &bdquo;und muß mit den Hühnern
+zu Bette.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da werd&rsquo; ich mich dir wohl bald erkenntlich
+zeigen können, Nachbar,&ldquo; meint die Erdme.
+<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a>
+Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes
+Gesicht geht rot eine Flamme wie von verbotener
+Freude.
+</p>
+
+<p>
+Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja
+immer, und zum Überfluß steht der Mond ziemlich
+hoch.
+</p>
+
+<p>
+Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu
+singen, damit die bösen Geister das unfertige
+Bauwerk nicht umschmeißen können, und das
+geschieht denn auch.
+</p>
+
+<p>
+Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme,
+daß auf dem Wege, der wohl hundert Schritte
+abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und
+her bewegt.
+</p>
+
+<p>
+Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den
+bösen alten Mann von gestern. Die Stimme
+zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den
+heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie,
+bis sie zu Ende sind, dann weist sie mit der Hand
+auf den Schatten hin, der in dem ungewissen
+Mondlicht zu tanzen scheint.
+</p>
+
+<p>
+Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht
+ein Wort. Es scheint, sie fürchten sich alle.
+</p>
+
+<p>
+Selbst der Jons braucht eine ganze Weile,
+bis er fragt, was da los ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Scht&ldquo; macht die Taruttene.
+</p>
+
+<p>
+Der lange Smailus grunzt etwas vom
+&bdquo;Kipszas&ldquo;, dem Satan, und seine Tochter, die
+Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise:
+<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a>
+&bdquo;Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich
+nicht gebeten hätte, heute zur Talka zu kommen,
+denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern
+mit ihm begegnet ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So versucht er es immer aufs neue,&ldquo;
+sagt Taruttis, &bdquo;denn der Arme kann es nicht
+verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu
+schaffen macht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons fragt: &bdquo;Warum tut man es nicht?&ldquo;
+Und Erdme meint, abscheulich genug sehe er
+ja aus, aber das könne unmöglich allein die
+Schuld daran tragen.
+</p>
+
+<p>
+Und da erfahren sie beide seine furchtbare
+Geschichte. Sie ist weit furchtbarer, als Menschen
+sich ausdenken können.
+</p>
+
+<p>
+Als ein überführter und geständiger Raubmörder
+hat er fast sein ganzes Leben im Zuchthaus
+zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode
+geschleift, mit dem er zusammen nächtlicherweile
+auf einem Wagen gefahren war, und
+zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit
+dem einen Ende um die Radfelge, mit dem
+anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann,
+als er nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen
+ist, hat er dasselbe Kunststück noch einmal
+probiert &mdash; an einem Fuhrmann, den er auf
+stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden
+hatte. Aber diesmal ist es ihm mißglückt,
+<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a>
+denn dabei war ihm die eigene Hand
+ins Rad hineingeraten. Darum hat er auch
+den Dusel gehabt, trotz der Wiederholung solch
+einer Untat noch einmal herauszukommen.
+Und nun haust er wie ein Dachs in seiner Kate,
+die er sich als junger Mensch gebaut und in
+der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen
+Vorrichtungen gegen die Überschwemmung
+versehen hat. Worin sie bestehen,
+weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm
+hinein; von außen aber liegt an der Wand eine
+schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis
+zum Fenster hinauf alles verbirgt.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und
+doch läuft es ihr einmal nach dem anderen kalt
+über den Leib. Und während der alte Raubmörder
+in seiner Sehnsucht nach Menschen dort
+auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie so leise wie
+die anderen, mit was für fürchterlichen Worten
+er ihr die künftige Wassersnot ausgemalt hat.
+</p>
+
+<p>
+Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe
+Frage, die ihr seit gestern wie ein Mühlrad im
+Kopfe herumgeht: &bdquo;Wenn die wirklich einmal
+kommen wird, warum bauen wir uns erst hier an?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit
+her ist, das Wort und sagt beinahe feierlich:
+&bdquo;Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute
+sind und eine Zuflucht nötig haben. Wo anders
+gibt man uns keine, sondern hetzt uns herum.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a>
+Und dann erzählt er, wie schon zweimal das
+Hochwasser unermeßlichen Schaden verursacht
+hat und daß es für die Zukunft immer häufiger
+zu befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme:
+durch die Urbarmachung sterbe das Torfmoos
+ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr
+zu Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber
+zu einer Gefahr, die mit Vernichtung bedrohe,
+was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich
+geschaffen hat. &bdquo;Aber darum arbeiten wir doch
+ruhig weiter,&ldquo; sagt er zum Schluß und zieht
+den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen
+fühlt, &bdquo;denn wir lieben dieses Stückchen
+Erde, das für die anderen zu schlecht ist und wo
+uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben
+auch die, die das gleiche mit uns tun und erdulden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wir lieben auch den lieben Gott,&ldquo; sagt
+der fromme Taruttis, &bdquo;der Gutes und Böses
+über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der
+Mensch sogar ein Mörder wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin,
+denn er hat lauter gesprochen als die anderen,
+aber da ist das graue Gespenst schon fort.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wie macht man einen Herd? Wie baut man
+einen Ofen? Der Boden trägt ja nichts. Willst
+<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a>
+du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er
+nach und schluckt es langsam unter.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle
+Nücken und Tücken des Moores. Und er ist
+immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber
+nicht etwa von selber kommt er. Wie ein
+furchtsamer Hund schleicht er sich um die
+Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft.
+Und ruft man ihn nicht, so geht er von
+dannen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer
+von den Deutschen benimmt er sich nicht, die
+immer eine große Schnauze haben und die Litauer
+als Vieh ansehen. Und er verkehrt auch
+nicht mit ihnen, soviel ihrer auch auf der Kolonie
+herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem
+eine Heimat fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs.
+Schleppt sich &rsquo;rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag&rsquo;.
+Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre
+das nötigste oft nicht getan.
+</p>
+
+<p>
+Und nun ist ja auch die Erdme da. Die
+knapst sich manche Viertelstunde ab, um für sie
+Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen
+auf dem Felde ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn mein Kindchen noch lebte,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;dann könnte es mir schon in manchem behilflich
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber das war ja schon in der Geburt gestorben
+<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a>
+und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen,
+so daß er nie mehr ganz heil ward.
+</p>
+
+<p>
+Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau
+mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin.
+</p>
+
+<p>
+Und dann ist noch das Unglück da, von dem
+<em>sie</em> nicht spricht und <em>er</em> nicht spricht und das
+man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof
+nur in die Nähe kommt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja also,&ldquo; sagt der Witkuhn eines Tages, &bdquo;den
+Herd baut man so: Man kauft sich&ldquo; &mdash; er sagt
+&bdquo;kauft&ldquo;, &bdquo;holen&ldquo; sagt er nicht &mdash; &bdquo;man kauft sich
+den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine
+Kiefer darf es nicht sein, denn deren Wurzel
+ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter,
+als wäre er nicht gewesen. Eine Tanne muß es
+sein &mdash; deren Wurzel hat Querläufer nach allen
+Seiten &mdash; die legen sich wie Riegel vor, wenn
+der Stubben einsinken will. So trägt er vielleicht
+den Herd, und ein anderer trägt auch den Ofen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons streift also nachts durch die Wälder
+und sucht die Stellen, wo Tannen gerodet
+werden. Solche Stellen sind selten, denn die
+Tanne ist ein kostbarer Baum, nicht so gemein
+wie die Kiefer.
+</p>
+
+<p>
+Er sucht, und er findet. Und wieder leiht
+der Taruttis den Handwagen, und beide ziehen
+aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei
+Meilen weit. Der preußische Staat ist reich.
+Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat,
+<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a>
+was macht ihm das? Und auch den zweiten
+kann er noch leidlich entbehren.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch mehrere müssen daran glauben,
+denn die Schlammschicht ist tief. Einer muß
+über den anderen gelegt werden, und dann erst
+hält der Grund so fest, daß man mit Ziegeln und
+Lehm darauf arbeiten kann.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Ziegel kann man leider nicht
+&bdquo;holen&ldquo;, denn der Herr Ökonomierat, dem der
+große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter
+und hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht versucht man es also mit Betteln.
+Denn weit und breit weiß jeder, welch ein guter
+und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat
+ist.
+</p>
+
+<p>
+Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in
+dem großen Saal, der mit Bücherregalen gefüllt
+ist von einem Ende bis zum anderen. Man
+kann sich nicht vorstellen, daß es so viele Bücher
+gibt auf der Welt. Aber es ist kein &bdquo;Bagoszius&ldquo;
+&mdash; kein Geldprotz &mdash;, der zu ihnen spricht,
+sondern er ist freundlich und leutselig und wischt
+sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt
+sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen.
+Die sehen einen durch und durch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schenken werd&rsquo; ich euch die Ziegel nicht,&ldquo;
+sagt er, als sie ihre Bitte vorgebracht haben,
+&bdquo;denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher.
+Aber verkaufen werd&rsquo; ich sie euch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a>
+Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten
+sie ja einfach aufs Kontor gehen können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis
+sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt:
+Vielleicht probiert man es doch mit dem &bdquo;Holen&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl
+er litauisch spricht, beinahe so gut wie sie selber.
+Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst lachen
+sie hell auf.
+</p>
+
+<p>
+<em>Ob</em> sie singen können!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Könnt ihr auch Märchen erzählen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Fünfhundert können sie erzählen. Tag und
+Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang
+können sie erzählen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So viel will ich gar nicht wissen,&ldquo; sagt er.
+&bdquo;Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn
+Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter
+finde. Und dann könnt ihr euch Ziegel
+auf die Karre laden, soviel ihr braucht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein,
+damit sie den nötigen Mut bekommen, und dann
+geht&rsquo;s los.
+</p>
+
+<p>
+Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich
+wieder abbrechen. Aber das vierte ist ihm neu,
+das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, die
+die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf.
+</p>
+
+<p>
+Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen
+Ziegelmeister, und damit haben sie sich Feuerstatt
+<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a>
+und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige
+Lehm muß ja freilich doch noch gemaust
+werden, aber den liefert zur Nachtzeit
+die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen,
+und das Strauchwerk, das als Halt in die Brandmauer
+gepackt werden muß, kann man sich ringsum
+von den Weidenbüschen schneiden.
+</p>
+
+<p>
+So steigt die Mauer bald bis zur Decke.
+</p>
+
+<p>
+Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle
+daran, auf der anderen der Ofen. Sehr
+schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten
+Kacheln würde sich sicher weit besser machen,
+und gerade steht er ja auch nicht, aber wärmen
+wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin
+prasseln.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt
+man im Rauch.
+</p>
+
+<p>
+Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon
+geschnitten. Wenn man nur weiter wüßte!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bei Schmidt auf dem Hofe,&ldquo; sagt der Witkuhn,
+&bdquo;liegt ein Haufen von rostigen Kannen.
+In denen ist früher Petroleum gewesen. Da
+kostet jede zehn Pfennig. Davon kauft euch ein
+Dutzend.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei
+noch mit durch.
+</p>
+
+<p>
+Aber nun weiter!
+</p>
+
+<p>
+Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus
+Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit
+<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a>
+dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch
+die Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird
+durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt,
+daß sie die Sparren noch überragt. Dann
+wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt,
+&mdash; und siehe da! der Schornstein ist
+fertig.
+</p>
+
+<p>
+Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach,
+wie qualmt das &mdash; und stinken tut es nicht weniger
+&mdash; vor allem nach Leim und Petroleum,
+aber das wird sich schon legen.
+</p>
+
+<p>
+Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen
+hat, findet er schließlich den richtigen Weg und
+entfernt sich gefälligst dorthin, wo es schnurgerade
+in den Himmel geht. Wenn er es im
+Winter ebenso macht, ist die Stubenwärme gesichert.
+</p>
+
+<p>
+Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und
+Dach das ihrige tun. Die Hauswand &mdash; das
+ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der
+kluge Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie
+niemals fertig.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie können kluge Leute so ängstlich
+sein? Er wartet ja bloß darauf, daß die Erdme
+ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch.
+</p>
+
+<p>
+Die viereckigen Moorfladen, die man an die
+Bretterwand preßt, halten wohl fest, solange sie
+feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab,
+wie Sandbrocken fallen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a>
+Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der
+schlechtesten Latten noch eine zweite Wand &mdash;
+fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die
+ist ganz luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun.
+In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die
+Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich
+selber beruhen.
+</p>
+
+<p>
+Nach ein paar Wochen kann man die Latten
+wieder entfernen. Nur zur besseren Sicherung
+läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde
+geklemmt, denn es werden die Winterstürme
+kommen, und der Sturzregen wird wühlen
+und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen.
+</p>
+
+<p>
+So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß
+und alles kennt, und sieht an Erdme vorbei, und
+das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie mit ihm allein ist &mdash; und das geschieht
+fast alltäglich &mdash;, dann hat sie stets ein
+Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu
+dem noch was Anderes hinzukommt, das ihr das
+Herz beklemmt. Es ist, als hätte sie Angst vor
+<em>seiner</em> Angst, denn Angst hat er immer, das
+ist ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich
+den guten Nachbar erhalten.
+</p>
+
+<p>
+Nach der Hauswand das Dach!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, bring Rohr!&ldquo; Es können auch Binsen
+sein &mdash; oder beides zusammen. &mdash; An Rohr und
+<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a>
+Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn
+auch das Moor selbst sie nicht liebt &mdash; oder sie
+nicht das Moor, was auf dasselbe herauskommt.
+Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen,
+und alle sind sie mit Röhricht umstanden.
+</p>
+
+<p>
+Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat
+leichte Last, wenn er hochgetürmt vom Rußufer
+daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel,
+denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man
+es findet, versteht sich von selber.
+</p>
+
+<p>
+In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht,
+so daß man bald ans Dachdecken gehen kann.
+Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen
+werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für
+Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel
+dicht neben das andere und preßt es zusammen
+und besichelt die Enden. Und unten lauert die
+kleine Ulele und reicht ihr zu, denn eine Mannsperson
+kann man dazu nicht brauchen, es sei
+denn der eigene.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun
+sieht es schon bald aus wie ein Haus. Aber
+noch fehlen die Türen, die Fenster &mdash; kein Mensch
+kann sich ausdenken, was alles noch fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt,
+der irrt sich. Eines Tages bringt er zwei Fenster
+an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin,
+nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen
+angekohlt sind. Vorige Nacht hat es nämlich
+<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a>
+in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer
+gegangen und hat gesagt: &bdquo;Verkauf mir den
+Kram für zwei Stof Schnaps. Dem Versicherungsinspektor
+erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden,
+und dann kriegst du neues dafür.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag
+ein, er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf
+die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und
+auf den Handwagen laden.
+</p>
+
+<p>
+Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig
+Schritt nach Feuersbrunst, und wer ihm begegnet,
+der lacht ihn an, denn er denkt, er habe
+es aus dem Brandschutt gestohlen.
+</p>
+
+<p>
+So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel
+in schweren Verdacht kommen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-7">
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer
+durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht
+und dann links um die Ecke biegt, so fragt er wohl
+seinen Begleiter: &bdquo;Wer hat sich das hübsche
+kleine Hauschen gebaut?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet
+er: &bdquo;Das ist der Losmann Jons Baltruschat,
+der mit seiner jungen Frau im Frühling
+zugezogen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Fremde sagt wohl: &bdquo;Das müssen
+fleißige Leute sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a>
+Aber durch die himmelblaue Tür darf er
+bei Jesu Leibe nicht eintreten, denn drin sieht
+es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar
+nichts. Nicht einmal die Ritzen, die zwischen
+den Schwarten klaffen, und die Astaugen darin
+sind richtig verschmiert, und überall hängen die
+Fasern der Moorschicht.
+</p>
+
+<p>
+Doch lange darf die Schande nicht dauern.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem der Fußboden! Viele wohnen
+ja auf dem nackten Moor, und das soll sogar
+trocken halten und im Winter gar nicht so kalt
+sein. Aber da kennt ihr die Erdme schlecht!
+Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein
+Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte
+zu Fastnacht. Dann werden die Wände verklebt,
+und dann kommt das feinste: der Bildschmuck.
+Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne,
+bunte Bilder ausgehängt. Die preisen
+Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt
+und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend
+andere nützliche Sachen. Und immer
+kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf
+dem Speicher herumliegen, die bettelt man sich
+zusammen. Und die jungen Gehilfen lachen
+und holen sie gern. Außerdem war doch &mdash;
+Erdme besinnt sich genau &mdash; in der Rumpelkammer
+der Frau Schlopsnies ein Haufen alter
+Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen
+fünf Erdteilen. Der Niagarafall und die Pariser
+<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a>
+Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa
+und so noch manches andere.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Liebe</em> Frau Schlopsnies, <em>gute</em> Frau
+Schlopsnies, ich hab&rsquo; mich so sehr nach Ihnen
+gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege,
+möcht&rsquo; ich&rsquo;s fürs Leben gern nach Ihnen benennen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau
+Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt.
+Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar
+die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind
+dabei, die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt
+hat, als sie noch keine alte Schachtel war und
+als Kellnerin hochkommen wollte.
+</p>
+
+<p>
+Die sind noch so gut wie neu. Und wenn
+die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt, dann
+müssen sie genau so angezogen gehen wie alle
+diese schönen Damen, die einem das Herz vor
+Neid im Leibe umdrehen.
+</p>
+
+<p>
+Und nun wird die Stube geschmückt! Bild
+neben Bild geklebt, und die buntesten kriegen
+die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer
+so viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen
+muß, und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb,
+weil es da oben so kalt ist.
+</p>
+
+<p>
+So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl
+nirgends. Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt,
+aber die sind bloß griesgrau und stammen
+aus Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und
+<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a>
+bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem
+Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des
+Moorvogts.
+</p>
+
+<p>
+Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt.
+Die Tage werden kürzer, und darum getraut
+sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber
+wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß, da
+braucht sie ihn doch. Denn wenn der Jons
+heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel.
+</p>
+
+<p>
+Erst will er gar nicht hereinkommen &mdash; gewiß
+hat er wieder mal Angst &mdash;, aber als er die
+Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln &mdash;
+ein Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön
+ist &mdash; über sein stilles Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ohne dich, Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;hätten wir&rsquo;s
+nie so weit gebracht.&ldquo; Und sie legt ihm die
+Hände auf beide Schultern.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie
+ein Taschenmesser, sinkt auf den Bock, wo der
+Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht
+und weint.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist? Was ist?&ldquo; fragt sie erschrocken.
+</p>
+
+<p>
+Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich
+zu ihm nieder und streichelt ihn.
+</p>
+
+<p>
+Und &mdash; was tut er? Er umschlingt ihre Hüften
+und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden
+Hände und will sie gar zu sich niederziehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a>
+&bdquo;Nicht doch, Nachbar,&ldquo; sagt sie mit einem Blick
+auf den Kleistertopf, &bdquo;so was mußt du nicht tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen,
+sonst muß er ins Torfloch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schade, Nachbar,&ldquo; sagt sie und lacht, wie
+sie immer gelacht hat, wenn sie einer hat haben
+wollen, &bdquo;schade, daß du nicht früher gekommen
+bist. Als Mädchen nahm ich&rsquo;s nicht so genau.
+Da hat mich bald der geliebt und bald jener.
+Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der
+Jons und ich, da würde ich mich vor ihm schämen,
+wenn er des Abends nach Haus kommt. Außerdem,
+wenn du&rsquo;s wissen willst, in anderen Umständen
+bin ich wohl auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da steht er langsam auf, greift nach der Wand,
+sich festzuhalten, und geht hinaus wie betrunken.
+</p>
+
+<p>
+Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts,
+denn innerlich hat sie den Nachbar gern. Und
+um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr
+hängt. Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm
+gutzumachen, so hält sie es mit der Frau und
+hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes
+Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand,
+aber über das Schwerste ist sie ja weg.
+Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen,
+wenn sie vom Melken kommt. Zur Dienstmagd
+aber reicht es auch dort nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und die Frau sieht sie immer mit großen,
+bittenden Augen an, als will sie was sagen.
+<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a>
+Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch
+nachhilft.
+</p>
+
+<p>
+Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal
+denkt die Erdme: &bdquo;Jetzt weiß ich&rsquo;s.&ldquo; Aber
+das geht wider Natur und Religion, und darum
+wirft sie es weit von sich weg.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht
+mehr in die Nähe, und wenn er vom Felde kommt
+und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er
+lieber noch einmal um. Sie möchte ihm manchmal
+entgegengehen, aber das sähe ja aus, als
+ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen
+werden kann, aber alles Geräte fehlt. Nur die
+Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen
+Hause steht, ist gleich beim Bauen festgemacht
+worden.
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons kommt immer später. Er
+sagt, er habe Überstunden, aber das glaubt sie
+ihm nicht.
+</p>
+
+<p>
+Der Winter steht vor der Tür, und noch ist
+die Bettstatt nicht da und auch kein Tisch und
+kein Kasten.
+</p>
+
+<p>
+Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern,
+aber er schüttelt bloß immer den Kopf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Gott, mein Gott,&ldquo; denkt sie, denn
+sie geht mit der Katrike &mdash; so wird es heißen,
+wenn es ein Mädchen ist &mdash; nun schon im vierten
+Monat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a>
+Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen.
+Wie andere heimlich nach einem vergrabenen
+Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie wohl
+dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst
+um, ob niemand am Weg ist, und dann kniet
+sie rasch nieder und scharrt an <em>der</em> Stelle und
+jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem
+Vorderfuß klaut, &mdash; und siehe da! überall sagt
+ihr ein junges Knollchen: &bdquo;Labsriets&ldquo; und &bdquo;da
+bin ich&ldquo;. &mdash; Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß
+und nach vierzehn Tagen schon, wie Katrikes
+künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen
+sie immer noch weiter.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht
+das mindeste an. Für nichts hat er Sinn und
+Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn
+liefert er ab. Er kommt und geht &mdash; das ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht
+weit vom Wege was Liebes angekramt &mdash; und
+da sitzt er nun wohl die Abende über und wird
+sie zum Winter verlassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann steck&rsquo; ich das Haus in Brand,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;und zieh&rsquo; hinüber zum Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber eines Abends so um die Michaeliszeit
+&mdash; da kommt nach Sonnenuntergang ein
+Einspänner den Weg entlang &mdash; beladen mit
+allerhand Zeug &mdash; man weiß nicht recht was.
+Und neben dem Fuhrmann sitzt einer &mdash; der
+hat so breite Schultern wie Jons &mdash; und sieht
+<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a>
+auch sonst aus wie Jons &mdash; und schließlich ist es
+auch Jons.
+</p>
+
+<p>
+Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg
+und tut, als will er aufs Moor einbiegen. Aber
+das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine
+Schuhe an und würde versinken bis an den
+Leibgurt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie herzuläuft &mdash; um Gotteswillen,
+was sieht sie da? Hoch auf dem Wagen steht
+ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten
+und gelben Blumchen, und eine Bettstatt ebenso
+grün, und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen,
+und sogar &mdash; man kann es nicht fassen, ob auch
+das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit
+feurigen Nadeln &mdash; ein Spiegel ist da! &mdash;
+Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel!
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken,
+und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so
+schwierig.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist das für uns?&ldquo; schreit sie ihn an.
+</p>
+
+<p>
+Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht
+hat, und reicht ihr den Spiegel herunter.
+Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar
+zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe,
+die Rágana selber.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kuckt in den Spiegel &mdash; der spiegelt
+zwar nicht &mdash; aber es ist doch ein Spiegel.
+</p>
+
+<p>
+Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt,
+aber die Bettstatt muß auseinandergenommen
+<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a>
+werden, denn die Tür ist zu schmal,
+und der Tisch geht erst recht nicht hindurch. Aber
+schließlich steht alles an seinem Platz, und der
+Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk.
+</p>
+
+<p>
+Nur schade! Stockfinster ist es geworden.
+Selbst die Blumchen der Schranktür sind nirgends
+mehr zu erkennen.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt der Jons: &bdquo;Was du wohl denkst!
+Das Schönste ist immer noch draußen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im
+Leben hat sie gedacht, daß man so klein dastehen
+könne neben dem eigenen Mann.
+</p>
+
+<p>
+Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und
+was bringt er getragen? Eine Lampe. Eine
+richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und
+Glocke, wie sie im Hoffmannschen Laden im
+Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube
+der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben.
+Dort hatten sie alle bloß blecherne
+Schilder.
+</p>
+
+<p>
+Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht
+da und läßt sich bewundern.
+</p>
+
+<p>
+Wie hat das zugehen können?
+</p>
+
+<p>
+Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter
+sind aus der Sägemühle, das ist klar. Aber
+weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem
+Holzplatz seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn
+gefragt, wie man wohl am besten zu einer Einrichtung
+kommen könne. Da hat der Tischler
+<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a>
+sich erst umgesehen und dann gesagt: &bdquo;Wer mir
+beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht etwa
+zu kurz komme, dem werd&rsquo; ich nach Feierabend
+zur Hand gehen und ihm zeigen, wie er es macht.&ldquo;
+Nun, der Tischler Kuntze ist <em>nicht</em> zu kurz gekommen.
+Im Gegenteil. Und zum Dank dafür
+hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt
+arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein.
+Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen
+für Licht und für Ölfarbe, und noch heute können
+sie &rsquo;rüberziehen und im eigenen Heim wohnen
+wie jeder Besitzer.
+</p>
+
+<p>
+So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es
+müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen,
+wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kommen vorwärts.
+</p>
+
+<p>
+Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel.
+Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen
+satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos
+ist, erhebt sich alsbald ein Abschlag mit
+Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden.
+Darin hat das Schweinchen Platz und
+später wohl auch eine Ziege, deren Milch man
+als Wöchnerin ungern entbehrt. Im Sommer
+nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter
+aber muß vorgesorgt werden.
+</p>
+
+<p>
+Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher
+Finsternis hinter den Fudern daherläuft,
+die auf der Chaussee von den Wiesen kommen
+<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a>
+und Gott sei Dank bloß in kurzem Trab fahren &mdash;
+sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen
+nicht folgen können. Das Verstreute sammelt
+man auf dem hinterher fahrenden Handwagen,
+so rasch es nur geht, denn unverschämte Diebe
+gibt es genug, die einem das sauer Erworbene
+vor der Nase wegschnappen wollen. Manchmal
+findet man die Plätze hinter den Fudern
+bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen
+prügelt man sich herum, oder man einigt sich
+besser in Güte.
+</p>
+
+<p>
+So wird allmählich der Bodenraum voll.
+Nur für die Heizung muß Platz bleiben. Um
+die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das
+Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch
+diese Pacht schuldig geblieben &mdash; genau so wie
+jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt
+ja nicht. Warum soll man ihm also entgegenkommen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird schon mahnen,&ldquo; lacht die kleine
+Ulele. &bdquo;Er hat ein dickes Buch. Darin steht
+alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen
+Richters. Was ehrlich erworben ist und was
+nicht. Es steht alles darin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie
+eine Maus und sinkt nach hinten zurück. Aber
+das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen.
+Und so entschuldigt sie&rsquo;s auch bei der kleinen
+Ulele.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-8">
+<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a>
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Winter kommt wie alles Schlimme
+früher, als man sich&rsquo;s denkt.
+</p>
+
+<p>
+Eines Morgens zu Anfang November ist das
+Moor gefroren wie ein Brett. Bis dahin hat man
+im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Der Handwagen des frommen Taruttis, der
+so viel Unfrommes mit angesehen hat, ist ihm
+zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre,
+die Jons vom Markte gebracht hat.
+</p>
+
+<p>
+Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt
+sich und klingt, wenn man auf dem Moore daherkommt.
+Die Torfziegel, die Erdme alle selber
+gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet.
+Obwohl sie sie mit Rohr bedeckt hat
+gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer
+nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet,
+brennen werden sie doch, und der Qualm geht
+zum Schornstein hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach
+Haus kommt, findet er die Stube so voller Rauch,
+daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und
+auf dem Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet.
+</p>
+
+<p>
+Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei
+ist, lacht und sagt: &bdquo;An den Rauch gewöhnt
+man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken
+wir, unten versinken wir und sind ganz lustig
+dabei.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a>
+Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man
+kaum mehr, ob es raucht oder nicht, wenn man&rsquo;s
+nur warm hat. Und das ist die Hauptsache.
+</p>
+
+<p>
+Denn Tage brechen herein, so naß und so
+kalt, daß einem das Herz im Leibe erklammt,
+wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer
+ist, der suppende Nebel oder der rotklare
+Frost, die fegenden Schneestürme oder der windstille
+Rauhreif, &mdash; man weiß es wahrhaftig kaum;
+nirgends friert man so wie hier auf dem Moor.
+Die Kälte auf der Spitze des Monte Rosa muß
+dagegen ein Kinderspiel sein.
+</p>
+
+<p>
+Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee
+kam, der Zufahrtssteg angelegt und mit kleinen
+Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde
+der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt,
+nicht wissen, wo er abbiegen muß, so verstiemt
+ist alles in Weite und Breite. &mdash; Selbst das
+Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee
+und muß am Morgen ausgeschaufelt werden,
+damit man weiß, daß es Tag ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie.
+Nur das Ferkelchen muß sie versehen, das prächtig
+gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte,
+könnte man pökeln für Jahre. Aber so üppig
+leben wir nicht. Wir sind froh, wenn wir ab und
+zu einen Hering haben. Das Schwein wird,
+wenn es fett ist, an den Schlachter verkauft,
+und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital
+<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a>
+für die künftige Kuh. Aber das sind
+noch Zukunftsträume. Fürs erste wollen wir
+mit der Ziege zufrieden sein.
+</p>
+
+<p>
+Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud,
+frißt mit aus dem Schweinetrog und stößt, wenn
+man sie melken will.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt
+ihre Milch so großmütig her, wie nur eine kann,
+deren Haltung nichts kostet. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist
+das Gefangensein. Man kuckt nach rechts &mdash;
+man kuckt nach links &mdash; alles ist weiß, alles ist
+weit, und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem
+Wege, um zu zeigen, daß es noch Dinge gibt
+auf der Welt, die anders aussehen als weiß.
+Die Häuser der Nachbarn stehen ja da, aber sie
+sind fast ganz in Schneefluchten versunken, und
+nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt&rsquo;s auf
+dem Dach einen graulichen Flecken.
+</p>
+
+<p>
+Man kann sich kaum vorstellen, daß dort
+überall Menschen wohnen, denn niemals sieht
+man einen, und man geht auch nicht gerne
+hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber
+kaum mehr, wie eine fremde Menschenstimme
+sich anhört.
+</p>
+
+<p>
+Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie
+geht auf Freiersfüßen. Wenn sie zum Frühling
+eingesegnet wird, muß der Vater schon seine
+<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a>
+Frau haben. Denn dann will sie in die große
+Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, die
+hat dreihundert Taler, und eine andere, die
+hat noch mehr. Aber an der hängen zwei Kinder,
+deren Vater sie manchmal besucht. Und die
+Ulele meint mit Recht, das werde Streitigkeiten
+geben, wenn sie selbst als Vermittlerin nicht
+mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die
+erste wählen, aber der muß noch viel zugeredet
+werden, denn sie fürchtet, der Weg der Vorgängerinnen
+werde alsbald auch der ihrige sein.
+</p>
+
+<p>
+So hat man seine Sorgen, auch wenn man
+noch Kind ist.
+</p>
+
+<p>
+Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit
+Monaten nichts mehr gesehen, und die Hilfeleistung
+bei seiner Frau muß die kleine Ulele für
+sie mit übernehmen.
+</p>
+
+<p>
+Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an
+den man sich halten kann. An jedem Sonntagabend
+gibt&rsquo;s eine Versammlung bei ihm. Zu
+der kommen die Gebetsleute weit und breit,
+und manchmal sind Stube und Vorflur so voll,
+daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht
+der eisige Wind wie mit Peitschenhieben über
+die Köpfe.
+</p>
+
+<p>
+Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder
+werden gesungen, Sündenbekenntnisse abgegeben,
+und meistens kriegt der heilige Geist
+einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht
+<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a>
+und mit Zungen redet, während die anderen
+horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes
+Sonntagsvergnügen.
+</p>
+
+<p>
+Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme
+noch nicht, denn das Abtun des Irdischen ist
+wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden
+als Gäste geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung
+auch ihnen nicht ausbleiben kann.
+</p>
+
+<p>
+Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen
+und Weststurm. Dann hat der Schnee sich gelöst,
+und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann
+riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und
+doch sind gar wenige Pferde ringsum. Nur der
+Wohlhabende kann sich eins halten.
+</p>
+
+<p>
+Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn
+die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr Pferdchen nicht
+fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern,
+aber kommen wird es gewiß, genau wie das
+Fettschwein gekommen ist, um das der Schlachter
+schon lange herumstreicht.
+</p>
+
+<p>
+Aber vorerst wird was Anderes kommen &mdash;
+etwas, das einst in Samt und Seide gehen
+wird und wofür der Sohn eines Gendarmen
+schon längst nicht mehr gut genug ist. Ein großer
+Besitzer muß es sein, wie die reichen Herren
+der Niederung, die hundert Kühe halten und
+deren Käsereien mit Dampf betrieben werden.
+Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst
+der Jons mit sich handeln läßt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a>
+Um Mitte März kann das Kleine schon da
+sein. Und der März steht vor der Tür. Die
+Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee,
+und wenn mittags die Eiszapfen tropfen, klingt
+es wie Frühlingsmusik.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn.
+Mühselig schleppt sie sich ins Haus. Die Erdme
+ist noch ein Wiesel dagegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbarin,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ich weiß, deine
+Stunde wird bald kommen. Ich hab&rsquo; eine Bitte
+an dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was für eine Bitte?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sieh mich an,&ldquo; sagt sie darauf. &bdquo;So quiem&rsquo;
+ich nun schon an die zehn Jahr. Und die Wirtschaft
+kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott
+ein Einsehen, so würd&rsquo; er mich zu sich nehmen,
+damit der Witkuhn sich nach etwas Besserem
+umsehen kann. Aber so werd&rsquo; ich ihm zur Last
+liegen, wer weiß wie lange.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was
+man so sagen kann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darum sollst du mir das Versprechen geben,&ldquo;
+fährt sie fort, &bdquo;daß du es bei der Hebamme nicht
+bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor
+bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um Gotteswillen!&ldquo; schreit die Erdme ganz
+erschrocken. &bdquo;Das kostet zehn Mark!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das haben wir auch schon überlegt,&ldquo; meint
+die Nachbarin, &bdquo;und der Witkuhn hat gesagt,
+<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a>
+wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt
+er mit Freuden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an
+das, was im Frühherbst passiert ist. Und sie
+sagt: &bdquo;Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel
+haben wir selber. Nur sollt&rsquo; es für die Kuh
+gespart bleiben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Kuh kann krepieren,&ldquo; sagt die Witkuhn,
+&bdquo;und dann spart man sich eine neue. Aber wenn
+man selbst zuschanden ist, dann spart man sich
+keine mehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<em>Die</em> Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und
+sie gibt das Versprechen. Sie kann es ruhig
+tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem
+Fuhrwerk werden wird, weiß sie noch nicht.
+Denn wenn der Doktor sich selbst eins bestellt,
+so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat
+auch dafür schon Rat geschafft. Er hat mit einem
+der besseren Besitzer gesprochen, und der wird
+sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so
+weit ist.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und
+schreit wie ein Tier. Seit Stunden folgt eine
+Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm
+aus dem Leibe reißen.
+</p>
+
+<p>
+Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett,
+anzusehen wie ein rotbärtiger Riese &mdash; Perkuhn,
+der Donnergott, muß so ausgesehen haben &mdash;,
+und blickt aus großen, rollenden Gottesaugen
+<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a>
+auf sie herab und sagt mit einer Stimme, bullrig
+und gut wie abziehendes Ungewitter: &bdquo;Na&mdash;a?
+Kommt es denn immer noch nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, es kommt immer noch nicht. Und
+kommt auch die ganze Nacht hindurch nicht.
+Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine
+Knie zu fassen und kneift sich darin fest, daß er
+lachend schreit: &bdquo;Wirst du wohl loslassen!&ldquo;
+Aber sie kneift nur noch fester.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher
+gewesen als die Decke des Zimmers; nur ganz
+gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und
+auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke
+sitzt, erscheint er noch immer so groß wie etwa ein
+Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er langsam
+kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird
+er kleiner. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie
+mit einmal: &bdquo;Für zehn Mark wird er das gar
+nicht machen.&ldquo; Und sie fängt vor Angst und Ungeduld
+zu weinen an, weil es so teuer wird.
+</p>
+
+<p>
+Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen
+Schmerzen sind, die ihr die Tränen zum
+Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die
+Hand beklopft, da ist er schon ganz klein.
+</p>
+
+<p>
+Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht
+und kippt mit seinem mächtigen Schmerbauch
+nach hinten zurück, so daß die Beine hoch
+in der Luft herumrudern.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a>
+Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht
+und der Moorboden haben dem mächtigen Körper
+nicht standhalten können, und die vier
+Beine der Hocke sind unter ihm in die Tiefe
+gesunken.
+</p>
+
+<p>
+Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht
+und lacht, und aus dem Lachen heraus kreischt
+sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke
+geschnitten, und &mdash; wupp! &mdash; ist die Katrike da!
+</p>
+
+<p>
+Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons
+demütig die Mütze in der Hand und fragt ihn,
+was es wohl kostet.
+</p>
+
+<p>
+Da sieht er sich in der Stube um, besieht den
+grünbunten Schrank und den goldrahmigen
+Spiegel und sagt: &bdquo;Nun, nun, ihr scheint ja ganz
+wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also&ldquo;
+&mdash; der Erdme steht das Herz still vor Angst &mdash;
+&bdquo;gebt mir also &mdash; drei Mark.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme denkt jubelnd: &bdquo;Wenn das
+so billig ist, krieg&rsquo; ich nächsten Frühling ein
+zweites.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+Man müßte lügen, wollte man sagen, daß
+das nun folgende Jahr für den Jons und die
+Erdme kein gesegnetes gewesen sei.
+</p>
+
+<p>
+Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh
+zieht ein. &mdash; Sie ist die klügste, die schönstgefärbte,
+die milchreichste Kuh, die es auf Erden
+<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a>
+je gegeben hat. Die Milch muß morgens und
+abends zur Sammelstelle getragen werden und
+bringt manchen nützlichen Groschen. Das
+Schlimme ist nur, daß es an Futter fehlt, denn
+auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst,
+wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine
+Bewohner helfen sich dadurch, daß sie im Umkreis
+&mdash; bis über den großen Strom hin &mdash; jedes
+Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist.
+</p>
+
+<p>
+So geht auch Jons auf die Suche, findet
+aber nichts, was nahe genug gelegen wäre,
+daß man das Heu auf der Karre heimschaffen
+könnte.
+</p>
+
+<p>
+In all den Sorgen muß also wohl oder übel
+der Moorvogt heran, der ja am besten Bescheid
+weiß.
+</p>
+
+<p>
+Sie tun also so, als hätten sie <em>kein</em> schlechtes
+Gewissen, stecken für alle Fälle die schuldig gebliebene
+Pacht in die Tasche und gehen zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt
+dann ein großes Buch auf &mdash; das Buch gewiß,
+in dem all ihre Sünden stehen &mdash; und sieht
+sie darauf wieder an.
+</p>
+
+<p>
+Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß,
+und er denkt: &bdquo;In Gottes Namen.&ldquo; Damit
+zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt
+sie auf den Tisch. &bdquo;Schad&rsquo; um das schöne Geld,&ldquo;
+denkt die Erdme. Aber wenn man so angesehen
+wird, was kann man da machen?
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a>
+&bdquo;Es war Zeit,&ldquo; sagt der Moorvogt &mdash; weiter
+nichts &mdash; und schreibt ein Zeichen in das Buch.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen
+Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und sagt
+mit Würde: &bdquo;Die Pacht fürs zweite Jahr wird
+auch bald da sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Das</em> wär&rsquo; nun nicht nötig gewesen,&ldquo; denkt
+die Erdme, aber weil es doch mal heraus ist,
+will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt
+hinzu: &bdquo;Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen
+erfüllen wir pünktlich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als
+will er ein Prusten verstecken, und der Erdme
+wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit
+dem Manne nie, wie man dran ist.
+</p>
+
+<p>
+Er breitet eine große Plankarte aus und fragt
+dann: &bdquo;Wieviel Kartoffelland nehmt ihr dieses
+Jahr in Arbeit?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn&rsquo;s Glück gut ist,&ldquo; sagt die Erdme,
+&bdquo;wird die Hälfte von dem Gepachteten fertig.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder
+eine Weile an und sagt dann: &bdquo;Für ordentliche
+Leute hab&rsquo; ich immer noch ein Stückchen Wiese
+bereit, das nicht zu weit liegt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Gott, o Gott,&ldquo; denkt die Erdme. &bdquo;Wie
+erträgt der Mensch so viel Glück? Erst die
+Wiese und dann auch noch gelobt werden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Außerdem,&ldquo; fährt der Moorvogt fort, &bdquo;ist
+der Fiskus bereit, Ansiedlern, die sich bewähren,
+<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a>
+zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel
+unter die Arme zu greifen. Das gibt
+dann die doppelte Ernte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt
+das Heulen, rennt hinaus und rennt schnurstracks
+nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt.
+Dann wirft sie sich über die Wiege der kleinen
+Katrike und erzählt ihr die ganze Geschichte.
+Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher
+einmal in Samt und Seide gehen wird, erzählt
+sie ihr auch.
+</p>
+
+<p>
+Wie der Jons nachkommt, der inzwischen
+alles festgemacht hat, fällt ihr ein, daß der Moorvogt,
+wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen
+Fahrten unmöglich was wissen kann.
+Die kleine Ulele hat sie gewiß umsonst in Angst
+gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine
+Grenzen.
+</p>
+
+<p>
+Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß
+angelegt werden, sonst wird&rsquo;s für den Sommer
+zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht
+da, Weidenruten tun&rsquo;s auch. Wenn die bloß
+nicht immer von neuem losgrünen wollten.
+Tag für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden,
+sogar die Brandmauer zwischen Kochherd
+und Ofen schlägt noch einmal aus, weil
+die Ruten, die ihr den Halt geben sollen, sich in
+dem Glauben befinden, sie seien zu neuem
+Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a>
+So will alles leben und gedeihen, selbst
+wenn es längst tot ist. Und der Jons und die
+Erdme sollten <em>nicht</em> gedeihen, in denen doch
+Leben steckt für zehne?
+</p>
+
+<p>
+Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch
+und Fenchel werden gesät, vor allem aber die
+Raute, die Mädchenblume, die Brautblume.
+Denn wenn die Katrike heiratet, muß sie sich
+ihren Kranz aus dem eigenen Garten winden.
+Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht
+anders. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles
+zum dritten Mal Hochzeit. Die Kleine hat viel
+Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die
+sie der künftigen Stiefmutter beibrachte, daß
+sie selbst einmal etwas sehr Reiches werden wird,
+hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Sie ist eine hübsche Person zu Ende der
+Zwanzig mit einem gutherzigen und gekränkten
+Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen
+deutschen Kleide und einer Jettbrosche unter
+dem Halse, sieht sie aus, als ob sie gekommen
+wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber
+die kleine Ulele weicht ihr nicht von der Seite
+und erzählt ihr immer aufs neue, wie herrlich
+hier alles bestellt ist und was für vornehme
+Gäste die Stube erfüllen und daß es für ihre
+dreihundert Taler eine bessere Verwertung nicht
+gebe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a>
+Der große Smailus dagegen streicht seinen
+rundbogigen Schnurrbart, sieht kühn in die
+Weite und berichtet jedem, der es längst weiß,
+dies sei nun schon seine Dritte. Und hernach,
+wie er betrunken ist, setzt er hinzu, wenn daraus
+eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es
+ganz recht. Aber da hat ihn die Ulele bald
+beiseite geschafft.
+</p>
+
+<p>
+Abends spät, wie viele der Gäste schon weg
+sind und die verlassene junge Frau aus dem
+Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht,
+als möchte sie rasch wieder anspannen lassen,
+da nimmt die kleine Ulele die Erdme beiseite
+und sagt: &bdquo;Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach
+der Stadt, um das Nähen und die Putzmacherei
+zu erlernen, denn das muß immer das erste
+sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen
+kann. Aber ich seh&rsquo; ein, ich kann die Stiefmutter,
+bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz allein lassen.
+Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben.
+Von dort wutsch&rsquo; ich des Abends manchmal herüber
+und red&rsquo; ihr gut zu. Dich, Erdme, aber
+bitt&rsquo; ich, daß du oft um sie bist. Der Vater
+meint es nicht schlecht, aber sein Wesen könnt&rsquo;
+sie verschrecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme verspricht es und denkt:
+&bdquo;Zusammen mit der kranken Witkuhn sind es
+schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a>
+Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge
+Frau und erzählt, wie verzagt sie einmal gewesen
+ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen
+sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte.
+</p>
+
+<p>
+Und die junge Frau meint traurig: &bdquo;Aber
+deiner war jung und war auch kein Witmann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt
+sie sie bloß und hält ihr die Hände. Und langsam
+beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten
+Fladen.
+</p>
+
+<p>
+Der Witkuhn ist auch da &mdash; ohne die Frau &mdash;,
+aber er spricht die Erdme nicht an. Sie muß
+selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten
+erinnern.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es war doch so hübsch, Nachbar,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;darum komm nur immer herüber. Was nicht
+sein soll, das hab&rsquo; ich vergessen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Du bist gut gegen die kranke Frau
+und darum auch gut gegen mich. Ich bete für
+dich am Morgen und Abend, aber kommen &mdash;
+das kann ich nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen
+gehen soll, und nimmt sich vor, ihn nächstens
+kirre zu kriegen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie
+&mdash; sie führt ihn natürlich, denn hätt&rsquo; er sich nüchtern
+gehalten, so wär&rsquo;s eine schlechte Hochzeit
+gewesen &mdash;, da sieht sie auf dem Weg den grauen
+Schatten herumlaufen, der voriges Jahr, als
+<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a>
+sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich
+ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen
+gefahren war.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis
+und denkt auch an die Wassersnot, vor der
+sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz
+ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht,
+wie es geschieht &mdash;, sie hätt&rsquo; es auch nicht für
+möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen
+hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt
+hat, und es ihm hinreichen. Und sagt: &bdquo;Da
+nimm, Nachbar, und wenn <em>du</em> Hochzeit machst,
+gibst du mir auch was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er greift zu wie ein Verhungernder und
+prustet und faucht und läuft rasch davon, als
+muß er den Raub in Sicherheit bringen.
+</p>
+
+<p>
+Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen.
+Denn sie denkt, er werde nun ein Recht an sie
+haben und verlangen, daß sie mit ihm redet,
+wenn er des Wegs kommt. Und es redet doch
+sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme
+Taruttis tut es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat
+er sie anzuhalten versucht, und manchmal ist
+er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und
+Kuh verlangen Wartung, eines so viel wie das
+andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da.
+</p>
+
+<p>
+Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr
+<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a>
+schwer, und die junge Frau Smailus muß eingewöhnt
+werden, sonst läuft sie womöglich wieder
+davon.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der
+kleinen Ulele gehabt hat. Aber klein ist die schon
+lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch
+kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid
+und einen Strohhut mit Blumen. Sie nimmt
+die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich
+mit ihr in das Kieferngestrüpp, das nicht höher
+ist als der Vater und dessen Nadeln büschelweis
+stehen wie Haare auf Warzen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, wie ist es schön, so in einem grünen
+Walde zu sitzen,&ldquo; sagt sie dann, &bdquo;und die gesegnete
+Flur zu erblicken!&ldquo; Und dabei zeigt sie nach den
+struppigen Kartoffeln und auf das brandige
+Moor, auf dem nichts weiter wächst als Torf in
+kohlschwarzen Haufen.
+</p>
+
+<p>
+Und alsbald hat sie die junge Frau für acht
+Tage wieder getröstet.
+</p>
+
+<p>
+Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: &bdquo;Gott
+sei Dank, jetzt wird sie&rsquo;s leichter haben, denn es
+ist zugesät bei ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich.
+Oft muß die Erdme heran, der traurigen Frau
+den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht
+und immer nach Hause will.
+</p>
+
+<p>
+Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit.
+Da heißt es, sich dreifach zusammennehmen
+<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a>
+und sich nichts merken lassen, sonst geht die
+Wirtschaft den Krebsgang.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt
+auch für die Wiese zu sorgen. Die Karre nimmt
+er des Morgens meist mit und schiebt sie des
+Abends mit Grünfutter beladen nach Hause.
+Dazu kommt noch die Heuaust, das Mähen, das
+Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen,
+wenn der Regen alles durchweicht hat.
+</p>
+
+<p>
+Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul
+wird und kaum Antwort gibt, wenn man
+ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb&rsquo;s
+wenig Unterhaltung im Hause. Aber die lacht
+schon, macht Brummchen und zappelt, solange
+man Zeit hat zum Spielen.
+</p>
+
+<p>
+Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig
+Scheffel. Davon darf man sogar verkaufen.
+Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines
+kommen dazu. Man kann fürs nächste Jahr
+an eine weitere Pachtung denken.
+</p>
+
+<p>
+Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur
+daß die Erdme ein Spielzeug hat und daß die
+Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt.
+</p>
+
+<p>
+Im April kommt die kleine Urte zugereist.
+Ganz leicht und plötzlich ist sie gekommen. Der
+Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen.
+</p>
+
+<p>
+Nun sind es schon zweie, und darum wird
+Schluß gemacht. Das Nötige hat die Erdme als
+Mädchen gelernt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a>
+Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig
+gewesen. Noch bleibt Zeit genug für die Frühjahrsbestellung.
+Am neunten Tage nach der
+Geburt hat die Erdme schon wieder bis an die
+Knie im eiskalten Schlamm gestanden. So ein
+Kerl ist die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus
+gehabt, aber daran ist ihr Herzweh wohl schuld.
+Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit
+einem Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste
+getan, hat das Kind gewartet so gut wie
+die Mutter und hat dabei noch in den Büchern
+gelesen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt:
+&bdquo;Nun wird es wohl gehen, daß ich weg kann.
+Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts
+auf der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Zuerst nach Königsberg und
+dann nach Berlin. Denn diese kleinen Nester sind
+nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer
+Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des
+Abends die Schreibmaschine erlernen sowie die
+Schnellschrift, die man Stenographie nennt.
+Dann muß ich noch einmal aufs Land, das
+heißt auf ein Rittergut, um die Wirtschaft zu
+lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich
+verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft
+und mach&rsquo; mich dort unentbehrlich.
+<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a>
+Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet,
+weil er einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr
+los ist. Aber im Grunde glaub&rsquo; ich es nicht.
+Denn die Männer sehen mich nicht an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bist ja noch so jung,&ldquo; sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist wahr,&ldquo; sagt sie, &bdquo;Busen hab&rsquo; ich
+noch gar nicht. Vielleicht werd&rsquo; ich auch nie
+einen kriegen. Ich hab&rsquo; immer gedacht, ich werd&rsquo;
+durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber
+das muß ich mir wohl aus dem Kopf schlagen.
+Und es wird ja auch so gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme lacht und sagt: &bdquo;Du mit
+deinen fünfzehn &mdash; was kannst du da Großes
+verlangen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um mich herum liebt sich schon alles,&ldquo; gibt
+sie zur Antwort, &bdquo;bloß mich wollen sie nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist,
+sieht auf die Wiege, in der Kopf an Kopf die
+Urte und die Katrike liegen, beide mit Lutschpfropfen
+im Munde, und denkt: &bdquo;Euch wird es
+nicht so gehen, denn ihr habt von meinem Blut
+in den Adern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken
+erriete, denn sie sagt seufzend: &bdquo;Ja, wenn man
+so eine wäre wie du!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du damit sagen?&ldquo; fragt die Erdme
+argwöhnisch. &bdquo;Weißt du etwas von mir?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das gerade nicht,&ldquo; sagt sie, &bdquo;aber &mdash;
+aber &mdash;&ldquo; Und sie druckst und druckst und kommt
+<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a>
+nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will,
+dreht sie sich noch einmal um und sagt: &bdquo;Eine
+Bestellung ist es eigentlich nicht, das würde sie
+sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß,
+daß du es erfährst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer? Was?&ldquo; fragt die Erdme ganz erstaunt.
+</p>
+
+<p>
+Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen
+wie zu einer Alten. Das Elend mit ihrem Manne
+reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht
+da ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid
+antun. Und ob es keine Möglichkeit gebe, daß
+die Erdme sich seiner erbarme.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau
+sich wirklich so an der Natur und der Religion
+versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hängt er sich gerade an mich?&ldquo;
+fragt sie. &bdquo;Mädchen, die ihm gern einen Gefallen
+täten, laufen genug herum auf dem Moor.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele macht eine pfiffige Nase. &bdquo;Das
+ist es gerade,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ursprünglich wäre ihm
+wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine
+ihm nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als
+ich noch dümmer war und nicht wußte, warum,
+da hab&rsquo; ich mich ihm manchmal auf den Schoß
+setzen wollen, aber da hat er mich von sich
+gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber
+hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich
+verstehe ja nicht viel davon, aber ich meine,
+wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm
+<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a>
+wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich,
+ich tät&rsquo;s, aber ich bin ihm wohl noch zu klein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf
+bis zu Füßen. &bdquo;Du verstehst wirklich noch nichts
+davon,&ldquo; sagt sie und schiebt die Ulele hinaus
+und nimmt auch keinen Abschied von ihr.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr
+nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt der Jons ihr
+gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit
+ist, dann sieht sie ihn immerzu an
+und denkt: &bdquo;Soll ich &mdash; soll ich nicht?&ldquo; Und ihr
+Entschluß ist dann stets: &bdquo;Nein, ich soll nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht
+fernab auf dem Feld und sich sein feines, stilles
+Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen,
+dann denkt sie doch wieder: &bdquo;Ich soll.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts
+von ihm träumt und bei Tage auf dem Grabenrand
+sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich
+die Arbeit.
+</p>
+
+<p>
+Schließlich denkt sie: &bdquo;Komm&rsquo;s, wie es will,
+geschehen muß was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz
+und geht zu ihm &rsquo;rüber.
+</p>
+
+<p>
+Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke
+aus der Hand. Er steht da und sieht sie an wie
+eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie
+doch immer vor Augen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, als hätte sie noch gestern
+<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a>
+mit ihm gesprochen, &bdquo;willst du nicht einmal nach
+unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße
+und kommt. Er befühlt der Kuh den Leib, legt
+ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die
+Augenhaut um. &bdquo;Die Kuh ist gesund,&ldquo; sagt er.
+Weiter nichts.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie
+zittert. Aber sie weiß, so ein Augenblick kommt
+nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch
+ein wenig in die Stube zu treten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll ich da drin?&ldquo; fragt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; schon lange einmal mit dir reden
+wollen,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein.
+Die Wiege hat sie vorher auf den Hof gestellt,
+damit die Kinder nicht zusehen.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt stehen sie da und zittern beide.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;ich muß immer an die
+Stunde denken vor zwei Jahren, und mir ist, als
+habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es
+gutmachen kann, will ich es gerne.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist nichts gutzumachen,&ldquo; sagt er und bekuckt
+sich die Bilder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Setz dich auf die Bank, Nachbar,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr
+kann sie wahrhaftig nicht tun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;du hast ein seltsames
+Wesen. Nicht bloß gegen mich. Dir muß irgend
+<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a>
+was geschehen sein. Das Beste wär&rsquo; schon, du
+sprichst dich aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl,&ldquo; sagt er, &bdquo;das will ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie
+es ihm in der Jugend ergangen ist. Er ist ein
+froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, ansehnlich
+und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern
+gewollt zum Heiraten sowohl wie zu dem anderen.
+Und eine &mdash; die war wild und heimlich zugleich.
+Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war
+ihr heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern
+trafen sie sich unter dem Kadigbusch auf
+der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt.
+Da wollte sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich
+sind ringsum Lichter aufgetaucht von Jägern,
+die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben.
+Da hat sie zu schreien angefangen, daß er
+ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer stak, so
+hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück
+gekommen. Das hat ihn verfolgt von Ort zu
+Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er
+ein Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge
+vor Gericht hat stehen müssen. Schließlich hat
+er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher
+bestraft ist und keinem viel Schaden daraus
+erwächst. Der Moorvogt weiß es und seine Frau.
+Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung
+gesucht, aber die ist ja schon lang&rsquo; keine Frau
+mehr. Und sobald eine andere ihm zugelächelt
+<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a>
+hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen:
+&bdquo;Sie wird schreien.&ldquo; Immer hört er das
+Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht,
+wie es ihm damals gezittert hat, als er sich
+stumm und ohne Verteidigung hat abführen
+lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist
+er noch heute.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen
+können?&ldquo; fragt sie und lächelt ihn an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das weiß ich selber nicht,&ldquo; sagt er und streicht
+sich übers Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, ich hab&rsquo; doch <em>nicht</em> geschrieen,&ldquo; sagt
+sie und lächelt ihn immerzu auffordernd an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber &mdash; abgewiesen hast du mich, und seitdem
+ist es schlimmer als je!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Soll sie nun sagen: &bdquo;Heute würd&rsquo; ich dich
+<em>nicht</em> abweisen?&ldquo; Das kann sie nicht. Das
+bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen
+Arm streichelt sie und sagt: &bdquo;Armer Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber
+was tut er? Er zittert und rückt von ihr
+weg und stöhnt: &bdquo;Laß man, mir hilft keiner
+mehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott wird helfen!&ldquo; sagt sie, wie man sagt:
+&bdquo;Guten Tag&ldquo; und &bdquo;Guten Weg&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch Gott hilft mir nicht,&ldquo; schluchzt er und
+ringt die Hände. &bdquo;Ich hab&rsquo; zu ihm gebetet bei
+Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung
+von mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a>
+&bdquo;<em>Ich</em> werd&rsquo; für dich beten,&ldquo; sagt sie. Sündigen
+möcht&rsquo; sie viel lieber, aber man muß doch
+so tun.
+</p>
+
+<p>
+Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie
+der Hungernde den Knochen, den man zum Fenster
+hinauswirft.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn
+du mir eine große Gnade antun willst, dann
+laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott
+mich dann hört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor
+und das von Jons, und jeder schlägt auf,
+und sie beten und beten.
+</p>
+
+<p>
+Und siehe da! Immer frömmer wird ihr
+zumute. Sie denkt an die schlafenden Kinderchen
+draußen und an den Mann, der sich abschindet
+von früh bis spät, und bald begreift sie
+gar nicht mehr, daß sie eine so große Sünde hat
+begehen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben,
+sagt sie: &bdquo;Nun, Nachbar, fühlst du, daß es dir
+hilft?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er schüttelt bloß den Kopf.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt: &bdquo;Aber mir hat es geholfen.&ldquo; Und
+nun &mdash; ganz aufrichtig gesonnen &mdash; redet sie ihm
+gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den
+Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die
+Kinderchen sind noch so klein, und der Jons hat
+sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht recht
+<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a>
+ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später
+einmal anders werden, so daß sie sich dann wegen
+des Unrechts nicht mehr so zu schämen braucht.
+Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken
+anfängt und sie schlägt oder so. Dann würd&rsquo;
+sie sich kein Gewissen draus machen.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner
+Mütze und sagt im Gehen: &bdquo;Ich werd&rsquo; also
+warten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie denkt: &bdquo;Schade! Aber wer weiß,
+wozu es gut ist?&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wenn <em>das</em> Überschwemmung ist, das läßt
+sich ertragen!
+</p>
+
+<p>
+Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter
+Wasser, auch ist der Knüppelweg zur Chaussee
+an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich
+in der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von
+neuem kneten lassen. Aber schließlich &mdash; zu seinem
+Vergnügen lebt man nicht im Moor, und
+alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über
+Hof und Gräben legt man Bretter, und der Estrich
+wird wieder glatt gewalzt.
+</p>
+
+<p>
+So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal
+gewesen, und die Erdme denkt nicht mehr
+mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit
+denen der alte Raubmörder einst ihre Hoffnungen
+vergiftete.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a>
+Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die
+scheinen ungern davon zu sprechen, und darum
+unterläßt sie es. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man
+stark genug ist, noch weitere Sprünge zu machen.
+Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite
+Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall
+gebaut werden. Der Abschlag am Giebelende
+reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn
+die Mastferkel an den Pfosten herumwühlen,
+so daß an manchem Morgen das ganze Dach der
+Kuh auf dem Rücken liegt.
+</p>
+
+<p>
+Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird,
+ist zu bezweifeln. Und da zu gleicher Zeit wegen
+der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem
+Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man
+vielleicht aus dem Raiffeisenverein ein Darlehen
+von ihm erlangen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April
+stellen sie die Lampe hoch, verstecken die Streichhölzer,
+schließen die Kinder ein, und dann gehen
+sie zum Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf
+sein großes Buch auf. Ach, dieses fürchterliche
+Buch! Je länger er darin liest, desto
+zittriger werden der Erdme die Beine, denn
+die Ulele hat ja einmal gesagt &mdash; &mdash; man
+wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a>
+Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie
+damals, und endlich macht er den Mund auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also alles in allem geht es euch gut?&ldquo;
+fragt er.
+</p>
+
+<p>
+Nun möchte ich den Landmann sehen &mdash; ob
+litauisch oder deutsch, ob Bauer oder Graf &mdash;,
+der auf eine solche Frage mit einem schlichten
+Ja geantwortet hätte.
+</p>
+
+<p>
+Sie fangen also alle beide fürchterlich zu
+klagen an. Die Nachtfröste im vorigen Herbst &mdash;
+und die verschorften Kartoffeln &mdash; und die wartungsbedürftigen
+Kinder &mdash; und die Überschwemmung
+noch jüngst!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wißt ihr von Überschwemmung!&ldquo; sagt
+er, und ein bitteres, ein fast verzagtes Lächeln
+fliegt über sein starkes Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jedenfalls geht es euch so gut,&ldquo; fährt er
+fort, &bdquo;daß ihr eine erhebliche Vergrößerung
+eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es
+kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe
+euch natürlich im Auge behalten. Das zweite
+Hektar ist euch bewilligt, und auch für das Darlehen
+werde ich eintreten. Nur &mdash; nur &mdash;&ldquo;
+er stockt und sieht sie wieder an, &bdquo;nur scheint mir,
+daß ihr noch von der Bauzeit her dies und jenes
+in Ordnung zu bringen habt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen
+Blick zu. Was kann er nur meinen?
+</p>
+
+<p>
+Und er sieht sie immer weiter an mit starren,
+<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a>
+bohrenden Augen, als ob sie splinterfasernackig
+vor ihm stünden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Gott, o Gott!&ldquo; denkt die Erdme. Denn
+<em>was</em> hat die Ulele gesagt?
+</p>
+
+<p>
+Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich
+am Abend ihrer Trauung im Matzicker Chausseegraben
+gegeben haben. Ach, wie bald ist das
+vergessen gewesen!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,&ldquo;
+fährt der Moorvogt fort. &bdquo;Geht also nach Hause
+und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß
+ich Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht
+früher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit sind sie entlassen.
+</p>
+
+<p>
+In stolzer Hoffnung waren sie gekommen.
+Stillschweigend, mit gesenkten Köpfen gehen sie
+wieder heim.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Allwissend ist Gott allein,&ldquo; denkt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier hilft bloß eines,&ldquo; sagt schließlich der
+Jons, &bdquo;daß wir nun doch noch unter die Gebetsleute
+gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum?&ldquo; fragt die Erdme. &bdquo;Wir sind ja
+fromm genug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn man unter die Gebetsleute geht,&ldquo;
+sagt der Jons, &bdquo;kann man seine Sünden bekennen
+und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein
+Schade erwächst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gutmachen kann man auch so,&ldquo; sagt die
+Erdme. &bdquo;Wozu noch erst viel bekennen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a>
+&bdquo;Das ist nicht das Richtige,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+Sie beschließen also, den frommen Taruttis
+zu besuchen und zu sehen, ob es lohnt, sich in die
+Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe schon oft gebetet,&ldquo; sagt er, &bdquo;daß ihr
+den Weg zum Heile finden möget, und nun ist
+mein Gebet erhört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So mager und so sanft sieht er aus wie ein
+Sendbote des Herrn. Und seine Augen leuchten
+wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die
+Taruttene, die ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt.
+Sie ist nun ganz hutzlig geworden und will
+gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon
+gar nicht mehr aus. Aber er beruhigt sie. Damit
+habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit.
+Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt
+werden. Und bei dem öffentlichen Bekenntnis
+werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen
+um Vergebung anflehen. Das habe noch immer
+geholfen.
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben
+es zwar oft schon mitgemacht, aber nun sie selbst
+daran glauben müssen, wird es ihnen doch fürchterlich
+sauer.
+</p>
+
+<p>
+Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier
+auf den Tisch, macht eine römische Eins
+und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt
+<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a>
+die Erdme das Wort und sagt: &bdquo;Damit das Bekenntnis
+ganz vollständig wird, wollen wir uns vorerst
+im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen.
+Sonst könnte es geschehen, daß etwas fehlt, und
+das würden wir uns niemals verzeihen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer
+Bestrebungen und ladet sie zu der nächsten Versammlung.
+Und dann gehen sie heim.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagt die Erdme entschieden, &bdquo;damit
+die Leute hernach mit Fingern auf uns weisen:
+&sbquo;Da seht das verstohlene Pack&lsquo;. Das könnte mir
+passen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons meint zwar schüchtern, man könne
+das Bekenntnis so undeutlich sprechen &mdash; besonders
+wenn man zu zweit ist &mdash;, daß niemand
+was Rechtes versteht. Aber die Erdme bleibt
+fest. &bdquo;Unsere Kinder sollen einmal in Samt
+und Seide gehen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;für die muß vorgesorgt
+werden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis.
+Der Mann, dem sie die Saatkartoffeln ausbuddelten,
+bekommt die erste Nummer. Und dann folgt
+eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten.
+Wem zum Beispiel sollen sie das Heu
+für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel der
+Nacht aus den fahrenden Fudern zupften?
+Oder: Wem hat der Jons Schaden getan, als
+er mit dem Abgebrannten wegen der Türen
+und Fenster den heimlichen Handel abschloß?
+<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a>
+Denn was eine Versicherungsgesellschaft ist, wer
+kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste:
+die Veruntreuungen auf dem Holzplatz,
+auf dem der Jons ja heute noch arbeitet!
+Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen.
+Gar manchem, der eine offene Hand hatte, ist
+beim Verladen eine oder die andere Planke mehr
+auf den Wagen geschmissen worden. Und der
+Aufseher hat dann den Rüffel gekriegt.
+</p>
+
+<p>
+Schlimme Sache! Schlimme Sache!
+</p>
+
+<p>
+Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons
+bringt Postanweisungen und Linienpapier, und
+nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen,
+gerade so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten
+eintreten wollten ... Und das tun sie
+aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse
+werden von den Deutschen mit
+Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht aufgenommen
+und niemals weiter verfolgt. Aber
+in zweifelhaften Fällen vermeiden sie der Sicherheit
+halber, ihre Namen anzugeben.
+</p>
+
+<p>
+Einer der Briefe lautet so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Wehrter Herr Hahn!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich
+eretet hat aus allen meinen Sünden. Bezeugt
+mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um
+mit Gott und Menschen ins reine zu komen,
+soll ich mihr reinigen wie auch der Herr Jesus
+rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch
+<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a>
+Ihnen währent meinem Hausbau beschädigt habe
+indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich
+biete um Vergebung der Schuld, das sie mir
+nicht vor dem Throne Gottes verklagen wirde.
+Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten
+Matirials. Der liebe Gott ist selber
+Richter und weis am bästen den Weg. Er hat
+meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete
+nochmals um Verzeihung und vergebung der
+Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und mein
+Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr
+Jesus hat mir schon vergäben, als er am Kreuze
+auf Golgatha das Wort ausrief Es ist volbracht.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Achtungsvol<br />
+J. Baltruschat.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und ein anderer lautete so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Hochgerter Herr!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens
+mich mit meinem Gott versähnen wolte,
+fand ich unter den verbannten Gegenstenden,
+das ich mich auch an Ihnen vergangen habe.
+Zwar glaubte ich früher das wen man von
+einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine
+Sünde ist. Komme daher ihnen dankbar um
+Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind.
+Ich befand mich vor langer Zeit bei meinem
+bauen in großer Verlegenheit und da ging ich
+hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm
+gleichwie es Gott gefiel. Daher sände Sie gefälligst
+<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a>
+10 Mark. Biete wenn möglich um
+Sündenvergebung.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Hochachtend<br />
+ein Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Diese beiden Briefe, den frömmeren und
+den weltlicheren, nehmen sie sich zum Muster
+und richten danach die übrigen ein.
+</p>
+
+<p>
+So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen
+genau die Beträge, die sie den Empfängern
+schuldig sind.
+</p>
+
+<p>
+Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht,
+um zu erfahren, an wen er sich wegen des Ersatzes
+zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen
+Hause. Dessen Türen und Fenster sind
+tausendmal schöner als die, die er damals beiseite
+geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich,
+als er aber hört, daß Jons zu den Gebetsleuten
+gehen will, sieht er gleich ein, daß es sein muß,
+und gibt ihm genaueste Auskunft.
+</p>
+
+<p>
+So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig,
+denn das Ziegenheu kann auch von selber gefallen
+sein. Aber das Holzgeschäft!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das deutsche Schwein kann Wind auf dich
+kriegen und zeigt dich am Ende noch an,&ldquo; warnt
+die Erdme. &bdquo;Selbst ohne Unterschrift kann es
+dir schlecht gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das sieht er auch ein und schreibt darum
+zur Sicherheit den Namen eines anderen Arbeiters,
+der vor kurzem nach Rußland zu den
+<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a>
+Holzfällern gegangen ist und der ebenso gemaust
+hat wie er. So reinigt er zugleich auch dessen
+Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen
+werden muß.
+</p>
+
+<p>
+Als die Briefe und die Postanweisungen weg
+sind, wird ihnen beiden sehr wohl zumut. Die
+Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert,
+aber statt dessen hilft ja der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der
+nächsten Versammlung der Gebetsleute das Sündenbekenntnis
+ablegen sollen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt der Sonntagnachmittag heran.
+Sie sitzen vergnügt vor der Tür. Er raucht seine
+Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die
+Kinder spielen um sie herum. Da hören sie
+mit <a id="corr-5"></a>einem Male einen feierlichen Gesang.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird ein Begräbnis sein,&ldquo; meint die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Gesang kommt immer näher, und
+was sehen sie? Der fromme Taruttis und zwei
+andere fromme Männer gehen zwischen den
+Kartoffeln geradeswegs auf sie zu, und jeder hält
+sein Gesangbuch in der einen Hand und sein
+Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze
+hat keiner auf.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen
+können sie nicht, und Ausreden haben sie auch
+nicht.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie
+willkommen und fragt, ob er den werten Gästen
+<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a>
+vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er
+doch wissen muß, daß die Erleuchteten geistige
+Getränke nicht zu sich nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis tut, als hat er die
+Frage gar nicht gehört, und sagt: &bdquo;Teurer Bruder
+und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens
+ist da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan!
+Folget uns nach Jerusalem, wo ihr alsbald
+in weißen Kleidern dastehen werdet zur
+rechten Seite des Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen
+ist, will richtig schon gehen, aber die Erdme hält
+ihn gerad&rsquo; noch am Ärmel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten
+Gäste,&ldquo; sagt sie und macht ein scheinheiliges Gesicht,
+&bdquo;seit wir unseren Entschluß kundgetan
+haben, prüfen wir uns unaufhörlich, aber es
+will uns gar keine Sünde einfallen. Nun
+müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht
+vor euch zu erscheinen, wo doch ein jeder sonst
+sein Bündelchen auspackt. Darum lasset uns Zeit,
+ein Monatchen oder ein Jahrchen &mdash; oder noch
+mehr, damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen.
+Vielleicht sündigen wir inzwischen
+auch noch was Neues, und das ist dann gleich
+ein Abwaschen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis
+auch sein mag, &mdash; daß diese freche Person
+sich lustig macht, das sieht er doch ein.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a>
+&bdquo;Warum seid ihr denn zu mir gekommen?&ldquo;
+fragt er sie ganz verdutzt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr seid ja auch zu uns gekommen,&ldquo; gibt
+sie zur Antwort.
+</p>
+
+<p>
+Darauf wissen die frommen Männer nichts
+zu erwidern und heben sich wieder von hinnen.
+Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben,
+dorthin, wo das Brett &rsquo;rüberführt.
+</p>
+
+<p>
+Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die
+beiden Kleinen im Arm hat und liebkost.
+</p>
+
+<p>
+Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste
+hinter den Weggehenden her und ruft ganz laut:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meinen Töchtern die Heirat verderben, das
+wär&rsquo; euer ganzer Segen, ihr Schufte!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte
+er gedacht, daß sein Weib so böse sein kann.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas
+wie Frieden gekommen. Er weicht der Erdme
+nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie
+der kranken Frau beispringt, und kommt herüber,
+so oft es nottut. Ohne ihn wäre der Stall
+gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel
+prächtiger als das Wohnhaus und bietet Platz
+für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar &mdash;
+der Himmel bewahr&rsquo; uns vor Hochmut! &mdash; sogar
+für ein künftiges Pferd.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a>
+Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es
+nie so weit bringen wird. Um so eifriger ist er
+darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen.
+</p>
+
+<p>
+Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein
+Werk. Eine Holländerin ist sie, wollstirnig mit
+einem schwarzen und einem weißen Auge. Und
+Milch gibt sie &mdash; man schämt sich zu sagen, wieviel
+Milch sie gibt, aber die an der Ablieferungsstelle,
+die wissen&rsquo;s.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt kommt des Abends schon manchmal
+Butter auf den Tisch, und die Kleinen trinken
+frische Milch, soviel sie nur mögen.
+</p>
+
+<p>
+Im Frühling des fünften Jahres geschieht
+das Große, daß Jons seine ständige Arbeitsstelle
+aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht
+mehr, selbst wenn er die Freistunden noch so sehr
+ausnutzt.
+</p>
+
+<p>
+Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied
+zehn Mark und eine Kiste Zigarren wegen
+der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im
+Gegensatz zu anderen, die sich jetzt in Rußland
+herumtreiben.
+</p>
+
+<p>
+Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff
+genommen werden, zumal der am frühesten
+urbar gemachte Boden für Roggen bald
+reif ist.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück
+Wiese dazu und verspricht sogar, den Jons bei
+<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a>
+der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab
+und zu in der Wirtschaft zu still wird.
+</p>
+
+<p>
+So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt
+da wie ein blühendes Kleefeld.
+</p>
+
+<p>
+Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten
+Beine hebt und senkt, daß der federnde
+Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das
+schwarze Wurzelwerk unter den Streichen der
+Hacke zerblättert, als wäre es Torfgrus, dann
+ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen,
+um ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt
+in lauter Wohlsein die starke Brust dem Gelingen
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber
+ringsum sitzt Kummer genug. Von der hinfälligen
+Frau des Witkuhn gar nicht zu reden.
+Die wird sich vielleicht noch Jahre so schleppen,
+ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben ihr
+lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig
+von Gliedern und schafft auch, aber in ihrem
+Innern scheint sie noch kränker als jene.
+</p>
+
+<p>
+Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche
+Antwort, wenn man sie fragt, und ihre Brust
+hat nicht Milch für die Kinder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ihr fehlt, weiß ich lange,&ldquo; sagt der Nachbar
+Witkuhn. &bdquo;Die Moorkrankheit hat sie.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fragt, was das ist.
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Die Moorkrankheit kommt wie
+durch ein Gift, das aus dem Boden aufsteigt.
+<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a>
+Niemand weiß, wie es aussieht, und kein
+Doktor hat es gefunden. Es ist da und ist auch
+nicht da. Wie man will. Den einen wirft es
+nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für
+den, der daran krankt, gibt es nur eine Rettung:
+&rsquo;raus aus dem Moor, rasch &rsquo;raus, ohne
+sich umzusehen. Aber für die meisten ist es zu
+spät.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Was die Erdme einst der Ulele versprochen
+hat, das hält sie getreulich. Sie steht der gemütskranken
+Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht
+bei der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des
+Sonntags oder zum Feierabend &mdash; denn Feierabend
+gibt es schon manchmal &mdash; geht sie hinüber
+zu ihr, legt den Arm um ihre Schulter und sagt:
+&bdquo;Komm, Nachbarin, wir wollen uns was erzählen.&ldquo;
+Und sie führt sie die Sandnase hoch
+und in das Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke
+Frau am liebsten, denn es gemahnt sie an die
+verlorene Heide, von der sie herstammt.
+</p>
+
+<p>
+Und dann seufzt sie und weint: &bdquo;Ach, meine
+Heide, meine Heide!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht
+machen. &bdquo;Ich bin ja auch von der Heide zu
+Hause,&ldquo; sagt sie, &bdquo;und weiß: schinden tut man
+sich dort nicht weniger als hier. Auf dem Sand
+gedeiht nicht einmal Roggen, und der Hafer sieht
+aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten
+&mdash; na ja &mdash; die stehen ja dort höher. Aber Schatten
+<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a>
+geben sie auch nicht. Und vorwärts kommt
+man hier besser als dort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber wenn dort das Heidekraut blüht,&ldquo; sagt
+die Frau und starrt sehnsüchtig ins Weite, &bdquo;und
+alles ist rot von lauter Blumchen, und die Hummeln
+singen drum &rsquo;rum, und die Luft ist warm,
+und unter dem Kadig liegt man geborgen so wie
+im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im
+August und ist stets am Versinken. Vier Wochen
+sind&rsquo;s her, da ist mir mit einmal der Herd eingesunken
+&mdash; vor meinen sehenden Augen ist er
+gesunken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann ist er eben zu schwer gewesen,&ldquo; tröstet
+die Erdme, &bdquo;man muß ihm einen besseren Untergrund
+schaffen.&ldquo; Und um die Frau aufzuheitern,
+erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen,
+rotbärtigen Doktor, der immer kleiner und kleiner
+wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem
+Leibe versanken.
+</p>
+
+<p>
+Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit
+anrichtet, sie hätte es lieber <em>nicht</em> getan.
+Als sie das nächste Mal mit der Frau zusammenkommt,
+da krallt die sich an ihr fest und sagt:
+&bdquo;Stell dir vor, Nachbarin, jetzt kann ich des
+Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich muß
+immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir
+wegsinken, und das ganze Bett versinkt, und ich
+versink&rsquo; mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel
+<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a>
+ein, das der Nachbar Witkuhn die einzige Rettung
+genannt hat, und sie entschließt sich, die verängstigte
+Frau langsam an den Gedanken des
+Weggehens zu gewöhnen.
+</p>
+
+<p>
+Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie
+keine, trinken tut er auch nicht, aber &mdash; und nun
+legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr &mdash;
+&bdquo;aber er wartet schon&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Worauf wartet er denn?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Da macht die Frau die Augen weit auf &mdash;
+die richtigen Unglücksaugen macht sie &mdash; und sagt
+ganz leise ihr großes Geheimnis: &bdquo;Er wartet
+schon auf die Vierte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Woher weißt du das?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß es nicht, aber das fühlt man.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird dreister. &bdquo;Da kannst du ihm
+aber behilflich sein,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Womit?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich
+&rsquo;raustragen. Dann bist du das Moor los und
+gehst auf die Heide.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und die Kinder?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Natürlich die Kinder! Als ob es für alles,
+was Mutter ist, einen anderen Gedanken gäbe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die nimmst du mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und dann?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie
+mitgekriegt hat, die stecken hier in der Wirtschaft.
+<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a>
+Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie
+nun wiederkommt &mdash; ohne einen Groschen und
+ein Kind an jeder Hand, &mdash; wer wird sie aufnehmen?
+Betteln kann sie gehen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt: &bdquo;Wenn das Herz ihr nicht
+längst gebrochen wär&rsquo;, würd&rsquo; sie schon durchkommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt!
+Auch die gehört zu den meisten, für die es zu
+spät ist.
+</p>
+
+<p>
+Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und
+denkt: &bdquo;Dann werd&rsquo; ich sie also zu Tode trösten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das hat sie auch redlich getan. Ein
+Lungenhusten ist gekommen, und die Frau ist
+schwächer und schwächer geworden. Und erst,
+als gar nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken
+war als der, der auf den Kirchhof führt,
+da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne
+gemacht. Der Smailus werde verkaufen, ihr
+zuliebe werd&rsquo; er verkaufen &mdash; genau so ist der
+Smailus! &mdash;, dann werden sie auf die Heide
+ziehen, und sie wird sich unter den Kadigbusch
+legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist
+&mdash; und dann wird sie schlafen und schlafen &mdash;
+alle Angst und alle Müdigkeit wird sie ausschlafen.
+</p>
+
+<p>
+Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber
+es hat doch noch zwei Jahre gedauert. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+In der Nacht nach dem Tode, so gegen
+<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a>
+Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an Baltruschats
+Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus
+ist da und weint dicke Tränen. Es ist ihm so
+graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht behalten
+möchten bis gegen den Morgen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da hast du&rsquo;s, Nachbar,&ldquo; sagt die Erdme.
+&bdquo;Erst konntest du&rsquo;s nicht erwarten, und jetzt tut
+es dir weh.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist nicht ums Wehtun,&ldquo; sagt er, &bdquo;aber
+ohne Frau kann man nicht sein. Wer wird mir
+jetzt die Schweine futtern und die Kuh?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich denk&rsquo;, die hast du schon lange gefuttert,&ldquo;
+sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist richtig,&ldquo; sagt er, &bdquo;aber sie war doch
+da.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps
+nach dem anderen. Und langsam wird er beredt.
+Was man beim Nachbar Smailus so nennen
+kann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich darf mich ja nicht beklagen,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;denn das Sprichwort heißt: &sbquo;<em>Der</em> Bauer hat
+Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen
+sterben.&lsquo; Pferde hab&rsquo; ich ja keine, aber von
+Frauen ist mir nun schon die dritte gestorben.
+Also hab&rsquo; ich doch Glück. Aber so was ist leicht
+gesagt. Denn wo krieg&rsquo; ich nun gleich die Vierte
+her?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Damit hat&rsquo;s ja noch Zeit,&ldquo; tröstet die Erdme.
+&bdquo;Laß sie doch erst unter der Erde sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a>
+&bdquo;Nein, damit hat&rsquo;s keine Zeit,&ldquo; entgegnet er.
+&bdquo;Die Trauerfrist werd&rsquo; ich schon abwarten. Das
+versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen.
+Und so eine, wie meine Dritte war, die findet
+sich nicht leicht. So sanft von Gemüt, und dreihundert
+Taler. Die hat mir auch noch die Ulele
+besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,&ldquo; sagt
+die Erdme. &bdquo;Die hat ja noch unlängst Wein
+geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt,
+die Ulele, aber die Ölsardinen haben der
+Erdme den stärksten Eindruck gemacht &mdash; in Erinnerung
+an den Glanz ihrer Mädchenzeit.
+</p>
+
+<p>
+Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten
+Tage eine Depesche zu schicken. Berlin ist ja
+weit, aber denkbar wär&rsquo;s immerhin, daß sie käme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieviel kostet so eine Depesche?&ldquo; fragt der
+Smailus. Und ob er womöglich auch noch die
+Reise bezahlen muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die
+Depesche werde sie auslegen und sich später
+von der Ulele entrichten lassen. Was aber die
+Reise belangt, so sei die ohnehin viel, viel zu
+teuer für ihn.
+</p>
+
+<p>
+Da willigt er ein und gibt auch gleich den
+Umschlag mit ihrer Adresse.
+</p>
+
+<p>
+Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof
+<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a>
+zu Heydekrug ankommt, da steigt sie aus
+einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt
+eine Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht
+so eine Dame! Ganz in Schwarz mit langem
+Schleier und noch einem Schleier und noch
+einem Schleier. Nie im Leben hat die Erdme
+so viele schwarze Schleier gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich
+sie den Wagen selber kutschiert, der die Nachbarstochter
+heimfahren soll. Die muß erst kommen
+und sie in die Arme schließen. Und das tut sie
+vor allen den Leuten und schämt sich nicht im
+geringsten.
+</p>
+
+<p>
+Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt
+nicht mehr an die tote Nachbarsfrau, nicht an
+den Sarg, nicht ans Begräbnis &mdash; wo sie doch
+selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist
+wie ein hilfloses Kind, &mdash; sie sieht bloß die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Der Inbegriff von allem, was sie hat werden
+wollen und nicht geworden ist, das Abbild, das
+Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der
+Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben,
+das Feinste, das Höchste auf und über der Erde,
+Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin
+des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter,
+keine Kellnerin kann so schön sein wie
+die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man
+solch eine Dame Litauisch sprechen gehört. Es
+<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a>
+geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch
+Litauisch.
+</p>
+
+<p>
+Sie fragt gleich nach allem: &bdquo;Wo ist der
+Vater? Wer macht den Sarg? Wer trägt mir
+Koffer und Kranz auf den Wagen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig
+Lilien, und es ist doch noch Winter.
+</p>
+
+<p>
+Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann
+zu fahren, um den Sarg zu besehen. Und
+zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation
+wegen des Leichenschmauses.
+</p>
+
+<p>
+Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und
+alles ist da.
+</p>
+
+<p>
+Das ist die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Aber stolz ist sie eigentlich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat
+sie all ihre Schleier abgetan und sieht nun in
+dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel
+anders aus als eine Deutsche auf dem Szibbener
+Kirchhof.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das
+tut, da sagt sie: &bdquo;Ich bin ein dummes Kalb gewesen.
+Ich hab&rsquo; mich von euch bewundern
+lassen wollen, und darum hab&rsquo; ich mir all das
+Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm&rsquo; ich mich
+recht vor eurem bißchen Armut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die
+gelben, knöchernen Hände und sagt: &bdquo;Die hab&rsquo;
+ich allein auf dem Gewissen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und
+nur auf mein Zureden ist sie gekommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Während der Leichenfeier hält sie die Kinder
+auf dem Schoß und wischt ihnen die Näschen,
+aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in
+seinem Kummer nicht nach hinten geht und zu
+viel trinkt. Und jedem der Gäste schenkt sie ein
+Stückchen Seife.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch
+weitere acht Tage, ist aber selten zu sehen. Und
+wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich immer
+steckt, da gibt sie zur Antwort: &bdquo;Ich muß doch
+den Kindern eine Mutter besorgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und
+setzt sich mit der Erdme an den Feuerherd.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich
+weiter gehen,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Sie ist aus Pagrienen
+und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas
+Geld hat sie, und das übrige leg&rsquo; ich zu. Aber
+das darf der Vater nicht wissen. Damit er sie
+richtig in Ehren hält.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bist wohl sehr reich?&ldquo; fragt die Erdme
+bewundernd.
+</p>
+
+<p>
+Sie lächelt und sagt: &bdquo;Eigentlich bin ich ärmer
+als ihr, nur bei euch hat das Geld einen anderen
+Wert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze
+Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a>
+Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es
+einmal in ihrem Kopf entstanden war. Hat die
+Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die Verwaltung
+und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren
+Geschäftsleiterin in einer Seifenfabrik. Daß es
+kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen war,
+sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wird Er dich heiraten?&ldquo; fragt die Erdme
+begierig, denn sie hat jedes Wort im Gedächtnis
+behalten.
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele macht den Zeigefinger naß und
+streicht sich über die Augenbrauen. Das tut sie
+oft, wenn sie nachdenkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht nicht so leicht, wie man sich&rsquo;s vorgestellt
+hat,&ldquo; sagt sie und lächelt. &bdquo;Denn meistens
+ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar
+noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann
+begnügt man sich gerne damit, daß Er manchmal
+abends zu einem kommt und bis Mitternacht
+bleibt. Dann muß man Ihn heimschicken, damit
+die Frau nicht Verdacht schöpft.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber Er gibt dir doch, was du willst?&ldquo; fragt
+die Erdme mit blitzenden Augen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ich will, gibt Er mir schon,&ldquo; sagt die
+Ulele. &bdquo;Aber viel darf es nicht sein, damit die
+anderen nicht denken, daß man sich &rsquo;rumtreibt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das begreift die Erdme nicht recht. Sie
+würde gegrapscht haben ohne Unterlaß, ohne Bedenken.
+So was versteht sich von selber.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a>
+&bdquo;Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter
+da,&ldquo; fährt die Ulele fort, &bdquo;der mich durchaus
+heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen
+und niemand. Darum muß man immer hübsch
+einfach sein. Nun ist die Frage: soll ich darauf
+hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt,
+oder mach&rsquo; ich mit diesem ein Seifengeschäft auf?
+Das erstere wäre mir lieber, denn dann bliebe
+ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an
+zwei Männer &mdash; das ist mir zuviel. Und schließlich
+kommt&rsquo;s einmal &rsquo;raus, und die ganze Blase
+platzt auseinander. Ich werd&rsquo;s aber trotzdem
+wohl tun, denn ich lieb&rsquo; die Fabrik wie mein
+Kind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So hast du also doch durch das Mannsvolk
+dein Glück gemacht,&ldquo; sagt die Erdme mit Stolz.
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele schüttelt den Kopf. &bdquo;Dann sieht die
+Geschichte ganz anders aus,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Stöckrig
+bin ich geblieben, und Busen hab&rsquo; ich richtig
+auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist,
+reden wir vom Geschäft viel mehr als von Liebe.
+Durch Tätigkeit hab ich&rsquo;s gemacht und durch
+Nachdenken, &mdash; aber natürlich: das Mannsvolk
+muß mithelfen, sonst bleibt man im Mustopf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt
+auch die Kinder. Und jedem schenkt sie ein Stückchen
+Seife, die riecht noch schöner als die beim
+Begräbnis.
+</p>
+
+<p>
+An demselben Abend, nachdem Erdme die
+<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a>
+Kinder zur Ruhe gebracht hat, kniet sie an ihren
+Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem
+Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso
+fein und ebenso vornehm werden sollen wie die
+Ulele, die jetzt Adele heißt.
+</p>
+
+<p>
+Und die sollen <em>gerade</em> durch das Mannsvolk
+ihr Glück machen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Von der Katrike und der Urte hab&rsquo; ich noch
+gar nichts erzählt.
+</p>
+
+<p>
+Die sind nun schon längst zwei große Mädchen,
+gehen in die Schule und lernen ein vornehmes
+Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch
+Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite
+Welt hinaus, dorthin, wo die Menschen nicht
+einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist
+unerbittlich, wenn sie das &bdquo;h&ldquo; nicht aussprechen
+können, und wie sie&rsquo;s endlich gelernt haben,
+da verwechseln sie &bdquo;Ecke&ldquo; und &bdquo;Hecke&ldquo; und sagen
+&bdquo;der Uhn at Heier gelegt&ldquo;. Und manchmal
+weiß die Erdme es selbst nicht.
+</p>
+
+<p>
+Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was
+Besserem geschaffen sind, als sich hier von dem
+Moorschlamm die Beine verderben zu lassen,
+denn das Moor beizt und macht Schrunden und
+Risse. Darum sollen sie in den Kartoffeln nur
+arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt.
+<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a>
+Am liebsten schickt sie sie in die Wiese.
+Dort dürfen sie auf den Heuhaufen liegen und
+den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt.
+So wie die Schwalbchen werden sie auch
+einmal in andere Gegenden ziehen, aber heimkehren
+zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür
+sind sie zu schade.
+</p>
+
+<p>
+Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit
+nach Kräften. Sie treiben sich weit und breit
+im Moore herum und entdecken allsommerlich
+neue Gebiete.
+</p>
+
+<p>
+Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert,
+wird nicht leicht glauben, wieviel es darin zu
+entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein Birkengebüsch
+&mdash; von fern sah es nach gar nichts aus,
+aber steckt man die Nase hinein, dann ist es voll
+von heimlichen Wundern. Rauschbeeren wachsen
+darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man
+sie gern, denn sie schmecken noch schöner als die
+Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie machen
+die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt
+und einschläft. Und der ledrige Porst treibt
+Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch
+besser als in dem kitzelnden Heu.
+</p>
+
+<p>
+Und manchmal findet man Blänken und
+Teiche &mdash; nicht die viereckigen mit dem kohlschwarzen
+Steilrand, die durch Torfstechen künstlich
+gemacht sind &mdash; o nein doch &mdash; diese hier
+stehen seit Erschaffung der Welt und stechen von
+<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a>
+weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die
+einer im Sonnenlicht hin und her dreht.
+</p>
+
+<p>
+Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel
+zu Humpel muß man springen, sonst versinkt
+man womöglich im Schlamm, und wer einen
+dann noch herausholt, wie kann man das wissen?
+Aber ist man erst da, dann hat man Freude genug.
+Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp,
+wie Knäuel von Schlangen durcheinandergewunden.
+Darin klettert man &rsquo;rum und genießt
+das eigene Fürchten. Und noch was weit,
+weit Schöneres gibt es. Das ist der Rasen,
+der in das Wasser hineinwächst und auf dem
+man sich schaukeln kann, noch lustiger als zwischen
+zwei Birken. Aber fix muß man sein und das
+Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben
+auf, und will man verweilen, dann sinkt er schwer
+in die Tiefe. Auch sind seine Ränder sehr böse
+gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit
+er hält. Mit einem Male kann das Wasser an
+einem hochspritzen, und wie man dann &rsquo;rauskommt,
+das weiß man noch weniger.
+</p>
+
+<p>
+Aber das macht nichts. Bisher hat man sich
+immer gerettet. Zwei so&rsquo;nen Moorkröten wird
+das Moor doch nichts tun. Das wär&rsquo; ja noch
+besser.
+</p>
+
+<p>
+Im Winter freilich ist&rsquo;s schlimm &mdash; wenn man
+zur Schule muß und der Frost durch die Handschuhe
+durchbeißt, als wären sie leinene Lappen.
+<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a>
+Und in den Schlorren erfrieren die Füße. Da
+muß die Mutter zur Nacht Terpentin auflegen.
+Das brennt wie das höllische Feuer.
+</p>
+
+<p>
+Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn
+man die Hand vor den Augen nicht sieht und vom
+Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und
+plötzlich im Schnee steckt bis über die Achseln.
+</p>
+
+<p>
+Dann möchte man wohl gerne zu Hause
+bleiben wie die anderen, deren Eltern ein solcher
+Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig
+die Mutter sonst wohl auch ist, hierin
+kennt sie kein Mitleid.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Schule <em>muß</em> sein,&ldquo; sagt sie, &bdquo;denn
+wenn sie nicht lernen, können Besitzerstöchter
+niemals ihr Glück machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens
+und abends und bei jeder Gelegenheit.
+Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug
+ihrer Geburt erinnert werden als sie. Auch
+daß sie einmal in Samt und Seide gehen
+werden, wissen sie längst und putzen zunächst
+an den Lumpen herum, die zum Schulgang
+immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke
+sind fein &mdash; bunter Kattun aus dem Hoffmannschen
+Laden, mit weißen Spitzen besetzt &mdash; dreißig
+Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben
+sie auch und Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter
+selber bestickt.
+</p>
+
+<p>
+Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur
+<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a>
+wenn sie mithelfen sollen und die Mutter meint,
+sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich
+auf. Und dann muß sie klein beigeben.
+Wer weiß, ob er ihr sonst nicht eins überrisse.
+</p>
+
+<p>
+Vom Vater wissen sie wenig. Meistens
+hockt er des Abends stumm auf der Ofenbank,
+oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann
+nimmt er ein Blatt Papier vor und rechnet.
+</p>
+
+<p>
+Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun.
+</p>
+
+<p>
+Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und
+damit der Höchststand erreicht. Das Pferd ist
+auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und
+bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist
+eine braune, struppige Kragge mit Spatbeinen
+und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin
+achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen.
+Darum läuft es trotz seiner vierzehn Jahre noch
+immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem
+Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen
+mit einem Lehnensitz, man könnte
+sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen.
+</p>
+
+<p>
+Aber solche Sprünge machen wir lange noch
+nicht. Wir sammeln Pfennig für Pfennig und
+tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß
+das Pracherhaus heruntergerissen und statt
+seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es die
+Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete,
+mit Kachelofen und Dielen unter den Füßen.
+</p>
+
+<p>
+Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie
+<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a>
+es geht, und steckte das Gekrassel dann an. Aber
+zwischen Versicherung und Brand müßten anstandshalber
+zwei Jahrchen liegen oder auch drei,
+sonst steigt einem womöglich der Staatsanwalt
+auf den Puckel. Versichern kann man ja immerhin
+schon des Stalls und des Viehzeugs wegen,
+das immer besser gedeiht und das auf dem
+Markte Preise kriegt, wie man sie niemals geträumt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin
+vorwärts kommt und der liebe Gott seine Hände
+sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu
+hüten!
+</p>
+
+<p>
+Dann ist auch das Frommsein leicht, und die
+Kirchfahrt wird ein Vergnügen. Schon weil
+einen die Leute ansehen und sagen: &bdquo;Das ist
+der Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei
+Töchtern. Der fing einmal ganz klein an und
+hat unlängst eine Belobigung bekommen für
+Mastvieh.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht
+mehr, und keiner geht jemals zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Bis endlich die Erdme sagt: &bdquo;Ich muß ihm
+die Kinder bringen, damit er sieht, wer wir sind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie putzt die Urte und die Katrike aus,
+steckt ihnen Kämme ins Haar und Schleifen
+unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Er ist nun ein Greis, und die Taruttene
+pappelt wer weiß was.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;du hast uns
+einmal Obdach gegeben, als wir jung waren
+und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum
+kommen die Mädchen schön Dank sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm
+die Hand, und die Katrike will nicht, aber sie
+muß.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz
+übersinnig geworden. Er muß erst nachdenken,
+wer sie wohl sind, dann sagt er: &bdquo;Ja ja &mdash; ja ja.
+Der Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen
+Trachtens voll. Und keine Reue hilft und keine
+Demütigung und kein Gebet. Darum soll er
+sich züchtigen mit Geißeln und den Kopf im
+Staube bergen vor seinem Gott.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt gekränkt: &bdquo;Wenn ich gewußt
+hätte, daß du so nachtragend bist, Nachbar, dann
+wär&rsquo; ich nicht zu dir gekommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von
+neuem. Dann sagt er: &bdquo;Es will mir scheinen,
+Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich,
+während ich doch nur mich selber im Sinne habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragt die Erdme verwundert.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr
+mich und meine gottgefälligen Freunde mit Kränkung
+von dannen gehen heißen. Da habe ich
+Lieblosigkeit gegen euch aufgesammelt in meinem
+Herzen und habe euch Übles antun wollen. Ich
+habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt
+<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a>
+hätte, hätte ich es auch nicht gekonnt, aber
+daß ich bösem Willen eine Herberge geben konnte
+in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde.
+Die bitte ich Gott ab, indem ich sie dir abbitte,
+Nachbarin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da geschieht das Wunderbare: der arme
+alte Mann kniet mühsam vor ihr nieder und hebt
+die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat,
+ihn wieder hochzuziehen.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Marjellen aber lachen sich eins
+und machen, daß sie hinauskommen. Und wenn
+Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack
+spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß
+sie niederkniet und Abbitte leistet, sonst sei sie
+kein gottgefälliges Mädchen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann vertragen sie sich und lachen immer
+aufs neue.
+</p>
+
+<p>
+Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht
+als der Baubau &mdash; &bdquo;der Baboszius&ldquo;, wie die Litauer
+sagen &mdash; durch ihre ganze Kinderzeit. Vor
+dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der alte Raubmörder drüben in der
+baufälligen Kate, der korbflechtend am Wege
+sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn
+sie, aus der Schule kommend, vorbeimüssen.
+Dann nehmen sie die Röcke zwischen die Beine,
+und heidi! jagen sie quer übers Moor &mdash; über
+Kartoffeläcker und Gräben der schützenden Heimat
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a>
+Und doch hat er ihnen nie was getan.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein
+gütiger Onkel, bringt Gerstenzucker und Walnüsse
+mit und schenkt ihnen deutsche Bücher.
+Darin stehen Geschichten von Königstöchtern und
+Prinzen und anderen vornehmen Leuten, zu
+denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt
+immer noch und läßt sich von der Mutter betreuen.
+Aber ihnen sollte es einfallen, für fremde
+Leute Magddienste zu tun!
+</p>
+
+<p>
+Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike
+ließ&rsquo; es nicht zu, denn warum so was Unnützes
+überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung.
+</p>
+
+<p>
+Die Frau des Smailus &mdash; die vierte &mdash; ist
+ihnen nicht grün und will kaum einmal, daß die
+Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze
+Person, die ihren Mann hält, als wär&rsquo; er ihr
+Knecht.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der
+Smailus bisweilen und klagt: &bdquo;Was können die
+Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen,
+und die gestorbenen Frauen? Denn ich bang&rsquo;
+mich so sehr nach der Dritten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann sagt die Mutter bloß: &bdquo;Siehst du,
+Nachbar, da hast du&rsquo;s.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen
+Kopf und soll drum in der Fremde
+ihr Glück machen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a>
+Die Katrike wird nächstens zum Unterricht
+gehn. Sie wächst und wächst dem lieben Gott
+ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie
+&bdquo;das Katzchen&ldquo; genannt. Faul ist sie wie die
+Pest. Sie muß daher ein Rittergut haben. Und
+so ist alles aufs beste bestellt.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot!
+Wassersnot!
+</p>
+
+<p>
+Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser
+wird man doch noch aushalten können. Das
+ist doch fast in jedem Frühling so gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Aber man hat erzählt, die Leute, die vom
+großen Strom herkommen, haben Vieh angebunden
+und Betten aufgeladen. In langer
+Reihe stehen die Wagen auf dem Rußner Chausseedamm,
+und vor der langen Brücke sollen sie
+aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter
+können. Der Heydekrüger Markt sei übervoll,
+und nirgends mehr geb&rsquo; es ein Obdach.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt zum Jons: &bdquo;Sieh doch mal
+nach, was dran wahr ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der zieht die langen Stiefel an und planscht
+drauf los.
+</p>
+
+<p>
+Der Hof steht unter Wasser. Das will am
+Ende nicht viel sagen. Der Knüppelweg steht
+auch unter Wasser, aber der Boden darunter
+<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a>
+ist noch steif gefroren. Man kann vom Fenster
+aus sehen, daß er fest hält. Wie der Jons marschiert,
+macht das Wasser spielende Wellchen
+über dem Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde
+es spritzen.
+</p>
+
+<p>
+Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen
+Nebel und scheinen so weit weg, daß man meinen
+könnte, sie seien aus einer anderen Welt.
+</p>
+
+<p>
+Alles ist still, und kein Windchen rührt sich,
+und die Dächer tropfen.
+</p>
+
+<p>
+Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen
+an. Die Kühe haben heute früh noch kein Heu
+gekriegt, und die Schweine quaksen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen:
+&bdquo;Wir müssen abfuttern gehen.&ldquo; Aber die wollen
+nicht &rsquo;ran, denn das Wasser ist naß.
+</p>
+
+<p>
+So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt
+die Röcke hoch und geht auf Klotzkorken nach
+dem Hof.
+</p>
+
+<p>
+Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind,
+schwimmen schon, und wenn man von einem
+zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur
+so in die Höhe.
+</p>
+
+<p>
+Aber man kommt doch noch hin.
+</p>
+
+<p>
+Den Schweinen geht das Wasser schon an
+die Läufe. Sie sind unruhig und fressen nicht.
+Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die
+kommt aus der Niederung und kennt den Dienst.
+Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die
+<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a>
+will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen,
+obwohl ihm die nasse Streu kein Vergnügen
+bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, aber
+sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher
+legen, und dazu gehört eine Sommerarbeit von
+vierzehn Tagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie will sich von den Tieren nicht trennen,
+läuft von einem zum anderen und klopft ihnen
+beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun.
+</p>
+
+<p>
+Da hört sie vom Wohnhaus her schreien:
+&bdquo;Mamma! Mamma!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Wasser ist in der Stube!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Also zurück.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr
+halten. Tritt man darauf, so gleiten sie seitwärts,
+und man sieht sich im Wasser bis über die
+Waden. Aber man kommt doch noch immer
+zurück.
+</p>
+
+<p>
+Richtig! Das Wasser steht in der Stube.
+Gar nicht wie ein Gast, der nicht hingehört. Hat
+sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann
+sich drin spiegeln.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und
+sagen: &bdquo;Wo sollen wir nun sitzen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Setzt euch auf den Tisch,&ldquo; sagt die Erdme.
+Ihr sind die Beine wie Eis. Sie sucht einen
+Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den
+Kasten. Da ist das Wasser schon an den Kleidern
+<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a>
+hochgeklettert und hat alles verfeuchtet. So
+setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine
+an der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt
+ist noch worden. Das wärmt sie wieder ein
+bißchen.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen haben sich richtig auf den
+Tisch gehuckt, wo das Frühstück noch &rsquo;rumsteht.
+Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie
+in die Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie
+zu träge ...
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme will die Füße zur Erde sinken
+lassen, aber erschrocken zieht sie sie wieder zurück,
+denn das Wasser reicht auch hier schon bis über
+die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen
+Kartoffeln geschwommen und der Schmandtopf
+zum Buttern.
+</p>
+
+<p>
+Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da
+nun doch nicht gebuttert wird, so trinken sie ihn
+umzech aus, und jede freut sich an dem weißen
+Schnurrbart der anderen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mamma,&ldquo; sagt die Katrike, &bdquo;wenn wir hier
+&rsquo;raus müssen, wer wird uns dann abholen kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der König wird einen Prinzen schicken,&ldquo;
+sagt die Erdme, die sich zu ärgern anfängt.
+</p>
+
+<p>
+Und sie wollen sich schief lachen.
+</p>
+
+<p>
+Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe
+in dem Kleiderschrank auf dem Boden stehen
+und notwendig naß werden müssen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a>
+&bdquo;Ach, Mamma,&ldquo; sagt die Katrike, &bdquo;du hast ja
+schon sowieso kalte Füße. Sei so gut und hol
+uns die Schuhe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Holt sie euch selber,&ldquo; sagt die Erdme, die
+immer noch zittert.
+</p>
+
+<p>
+Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da
+die Katrike am Mittwoch zum Unterricht muß,
+so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß
+einen Stuhl bis in die Gegend des Schrankes.
+Auf dem Sitz kniet sie nieder und öffnet die
+Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst,
+und einer ist umgekippt, so daß beim Hochheben
+das Wasser im Bogen herausläuft.
+</p>
+
+<p>
+Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt
+erst ein Unglück geschehen ist. Wenn <em>die</em> eine
+Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht!
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Paßt auf, ob der Vater kommt,&ldquo; sagt sie
+zu den Marjellen.
+</p>
+
+<p>
+Die kucken zum Fenster &rsquo;raus und sagen nach
+einer Weile: &bdquo;Der Nachbar Witkuhn will das
+Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist es schon so weit?&ldquo; denkt die Erdme, und
+das Herz steigt ihr hoch. Doch dann gibt sie sich
+einen Stoß und springt von der Ofenbank &rsquo;runter.
+Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden,
+stundenlang &mdash; sie wird auch das aushalten
+können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Kommt mit in den Stall,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a>
+Die beiden glauben nicht recht gehört zu
+haben. Quer durch die Überschwemmung &mdash;
+o pfui doch!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann ersauft meinetwegen hier,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Da leuchtet es ihnen schon eher ein.
+</p>
+
+<p>
+Draußen reicht das Wasser bereits bis an
+die Knie, und den Marjellen noch höher. Sie
+heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie
+doch.
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine
+drehen sich quiekend im Kreise, und die Kühe
+reißen ihr mit den Halftern die Hände wund.
+Nur das Pferdchen steht voll Ergebung und
+zittert.
+</p>
+
+<p>
+Mein Gott, und der Vater kommt immer noch
+nicht!
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter
+ihr &mdash; naß bis gegen den Nabel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; mein Vieh dem Smailus mitgegeben,&ldquo;
+sagt er. &bdquo;Die Schweine sind in den
+Graben geraten und werden ertrinken. Eure
+kriegt ihr schon nicht mehr heraus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird werden, Nachbar?&ldquo; Sie ringt
+die Hände.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste,
+ihr schafft die Kühe hinauf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben.
+Seit wann kann eine Kuh die Leiter hochklettern?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bringt Säge und Schaufeln,&ldquo; sagt er.
+<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a>
+&bdquo;Auch Mistgabeln bringt, ich werd&rsquo;s euch zeigen.
+Dann muß ich &rsquo;rüber, meine Frau auf den
+Boden tragen. Die liegt im Bett und kann sich
+nicht rühren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei
+Mistgabeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Draußen liegen Ziegel vom Bau her,&ldquo; sagt
+er weiter, &bdquo;die klaut aus dem Wasser und schafft
+sie herein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt
+er jeder einen Stoß gegen den Hintern. Das
+hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die
+Ziegel, und die Katrike schimpft, sie wird sich
+erkälten.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht
+auf dem Estrich aus, gerade unter der Luke, und
+dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte,
+die ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist
+zu staken an, der Kuh immer unter die Hufe,
+so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So macht&rsquo;s weiter,&ldquo; sagt er und schwingt
+sich hinauf durch die Luke. Deren Bretter sägt
+er ringsum entzwei und macht das Loch so groß,
+daß eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann.
+</p>
+
+<p>
+Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon
+gegen die Decke, aber unten weicht das Wasser
+die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Stemmt Bretter gegen!&ldquo; sagt er. Die Marjellen
+tun&rsquo;s. Nun sie naß sind bis gegen den
+<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a>
+Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das
+einzige, was sie vor dem Erstarren bewahrt.
+</p>
+
+<p>
+Die Schweine stehen auf den Hinterläufen
+und trippeln an der Wand entlang wie große
+Ratten im Käfig.
+</p>
+
+<p>
+Wer wird sie heben können? Denn um stille
+zu halten, sind sie zu dumm.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Manneskraft fehlt,&ldquo; sagt der Nachbar. Dann,
+sich vor die Stirn fassend, stöhnt er leise: &bdquo;Und
+sie liegt und kann sich nicht rühren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber
+er bleibt. Es ist ja die Erdme, die ihn braucht.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Rotbunte eben schon oben ist,
+da steht der Jons mit einem Male da &mdash; naß wie
+eine ertränkte Katze.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hatt&rsquo; einen Kahn beschafft für euch,&ldquo;
+sagt er, &bdquo;da haben die anderen mich &rsquo;rausgeschmissen.
+Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen,
+und ein Kind ist ertrunken. Von
+nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den
+Chausseedamm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind
+starr. Nur ein Rucken zeigt, daß noch Leben
+in ihnen ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt der Witkuhn, &bdquo;die eine Kuh
+ist oben. Versuch&rsquo;s mit der anderen. Die Erdme
+weiß, wie. Das Pferd laß &rsquo;raus, das schwimmt
+zum Damm von alleine. Aber die Schweine
+müssen ersaufen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a>
+&bdquo;Vielleicht krieg&rsquo; ich sie auch noch &rsquo;rauf,&ldquo; sagt
+der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Unmöglich ist nichts,&ldquo; sagt der Nachbar und
+planscht zur Tür.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo willst du hin?&ldquo; fragt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Frau liegt im Bett und kann sich
+nicht rühren!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann bet ein Vaterunser für sie,&ldquo; sagt der
+Jons. &bdquo;Jenseits des Wegs ist jetzt Strömung.
+Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen
+tust du auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich muß!&ldquo; sagt der Nachbar und geht. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen
+Stücke schwimmen nun &rsquo;rum. Auch die Schwarzweiße
+folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch
+der Mist will unter dem Wasser jetzt nicht mehr
+halten. Der Jons bricht die Raufen entzwei
+und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So
+kommt Festigkeit in den Bau.
+</p>
+
+<p>
+Die Schweine in ihrer Todesangst klettern
+jetzt an den Menschen hoch &mdash; man muß sie mit
+Mühe abwehren &mdash;, und auch das Pferdchen
+wird unruhig.
+</p>
+
+<p>
+Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem
+es eine Weile lang in den Stall zurückgewollt
+hat, begibt es sich klug auf die Reise.
+</p>
+
+<p>
+Sie schaufeln und staken und staken und
+schaufeln und nutzen jeden Eimer und jede
+Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a>
+Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben,
+da liegt schon das eine der Schweine regungslos
+auf dem Wasser. Das andere, das immer noch
+quiekt, schieben sie den Mistberg hoch, so daß es
+halb erwürgt oben ankommt.
+</p>
+
+<p>
+Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu
+und hat Krämpfe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich geh&rsquo; ins Haus und hole, was nötig ist,&ldquo;
+sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen schreien: &bdquo;Du wirst ertrinken!&ldquo;
+Aber sie macht sich nichts draus.
+</p>
+
+<p>
+Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die
+Brust. Es steht nicht mehr still wie zuvor.
+Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich,
+dicker als Torfziegel. Die kommen sicher vom
+Strome. Es muß also ein Dammbruch geschehen
+sein.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren
+zu wollen über Nacht. Aus der Gegend der
+Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von
+Menschen und Tieren. Ab und zu ein Schrei
+wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles still.
+Wie längst gestorben ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen
+die Tischplatte. Die Stühle schwimmen. Die
+im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch
+trocken. Nur das unterste Stück hängt ins
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a>
+Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück
+ist&rsquo;s, daß dem Jons sein Schafpelz zum Trocknen
+noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird
+Wärme haben.
+</p>
+
+<p>
+Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und
+her, die Arme hochhaltend, und immer schwieriger
+werden die Wirbel.
+</p>
+
+<p>
+Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu
+die Glieder warm und wühlt sich nackt in den
+Haufen. Und während die Marjellen kreischen
+und Jons im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein
+und schläft die ganze Nacht durch wie ein Sack. &mdash;
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser
+glänzt eine dünne, blaßblaue Eisschicht, in die
+schneegraue Blöcke eingefroren sind.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt an die Prophezeiung des alten
+Raubmörders. Wer jetzt noch gegen das
+Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe
+Eis mit tausend Messern das Fleisch zerschneiden.
+</p>
+
+<p>
+Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte
+ihr einstmals drohte. Nur daß sie nicht im
+Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben
+im Hause geblieben, weiß Gott, wie es dann
+aussähe! Das, was dort Dach heißt, hätte sie
+niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief,
+das Haus sieht aus wie eine Roggenhocke
+kurz vor dem Umfall. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a>
+Sie steht auf und zieht sich an. &mdash; Die Röcke
+von gestern sind noch patschnaß, aber die mitgebrachten
+scheinen fast trocken.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem
+Fieber redet Dummzeug. Die Kühe haben sich
+eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch
+der Stall nicht mehr festhält. Und der war doch
+wie für die Ewigkeit gebaut.
+</p>
+
+<p>
+Wie geht&rsquo;s denn mit den Häusern ringsum?
+Heute ist klare Luft. Man sieht sie, als wäre
+man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft
+das Wasser zur Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen
+sein mag? Ob die Frau wohl noch
+lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein
+das Dach durchschlagen, denn der bestand
+bis hoch oben aus Ziegeln.
+</p>
+
+<p>
+Und dicht daneben? Was ist das? Da steht
+ja ein anderes Haus, das gestern nicht da war! &mdash;
+Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des
+alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden.
+</p>
+
+<p>
+Um Himmelswillen &mdash; das fremde Haus
+dicht neben dem Hofe des Smailus, das ist sie ja!
+</p>
+
+<p>
+Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam,
+langsam treibt sie der Wasserdrang vor sich
+her. In jedem Augenblick verschiebt sich die
+Richtung gegen den Hof hin.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a>
+Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser,
+das sie weiter bewegt? So viel Kraft kann das
+kaum haben, denn dann gäb&rsquo; es ja keine Eisschicht.
+Und was bedeutet die Stange, die sich am hinteren
+Ende hebt und senkt?
+</p>
+
+<p>
+Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein
+Kahn. &mdash; Ein Kahn, der sich fortbewegt, ein
+Kahn, der gelenkt wird.
+</p>
+
+<p>
+Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst
+von einer Arche Noah gesprochen?
+</p>
+
+<p>
+Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam
+kommt sie, aber sie kommt. Kommt
+sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie
+vorbei?
+</p>
+
+<p>
+Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und
+schreit: &bdquo;Hierher! Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Marjellen fahren hoch: &bdquo;Mamma,
+was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schreit, schreit, schreit!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und alle drei schreien: &bdquo;Hierher! Hierher!
+Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg,
+dort, wo die Birken bis an die Kronen im
+Eise stehen.
+</p>
+
+<p>
+Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit
+hochstehenden Rändern. Die hat er all die Jahre
+mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts
+ahnen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hierher! Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a>
+Und jetzt hört man schon das Zerspellen des
+Eises, das sich am Holze hochschiebt und klingende
+Risse voraufwirft.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die
+Lumpen eines Schafpelzes hängen an ihm herum.
+Er schwingt die Stange und lacht &mdash; lacht &mdash;
+lacht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar, hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar &mdash; hä?
+&mdash; Der geliebte Nachbar! Der wertvolle Nachbar
+&mdash; hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen
+wollten, dann wär&rsquo; ich euch nicht zu schlecht &mdash;
+hä?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar &mdash; vergiß und hilf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung!
+Und kein Abseitsrücken! Jetzt wird spazierengefahren
+an allen vorbei, die ertrinken,
+und gelacht wird wie bei einer Hochzeit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar &mdash; erbarm dich!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast <em>du</em> dich erbarmt? Ja, du <em>hast</em> dich
+erbarmt! Du hast mir einmal ein Stück Hochzeitsfladen
+hingeworfen. Hast es wohl längst
+vergessen. Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen,
+Hochzeit zu feiern bei mir. &mdash; Du und
+was mit dir da drin ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, steh auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt
+von Sommerwiesen und Heuaust. Und die
+Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen
+<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a>
+lieber ertrinken als zu dem Raubmörder ins
+Haus.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Erdme fackelt nicht lang&rsquo;. Sie
+kriegt die Urte zu packen und wirft sie dem Alten
+aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe entzweiknallt.
+Und mit der Katrike macht sie&rsquo;s
+nicht anders.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons! Der Jons! &bdquo;Jons, steh auf,
+wir müssen in die Wiesen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er
+läßt sich auch den Pelz anziehen, mit dem er
+über Nacht bedeckt war.
+</p>
+
+<p>
+Aber nun &rsquo;runter. Wie schafft man ihn
+&rsquo;runter? Denn auch ihn aufs Dach werfen &mdash;
+das geht nicht. Er würde abrutschen und ins
+Wasser stürzen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, spring! Nimm Vernunft an und
+spring!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber das tut er nicht. Er muß ja in die
+Wiesen.
+</p>
+
+<p>
+Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch
+die Luft zu werfen, so daß es das Rohrdach in
+Haufen bedeckt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring
+&rsquo;rauf, sonst fahren wir ohne dich nach Haus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und &mdash;
+Gott sei gesegnet! Er springt. Bleibt in dem
+Rohrloch stecken, und da ist er geborgen!
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt
+<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a>
+werden. Die Kühe haben Futter, aber das
+Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht
+von dem Miste ernährt.
+</p>
+
+<p>
+Also los!
+</p>
+
+<p>
+Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer hat mir geholfen &mdash; hä?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Taruttis hat für dich gebetet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber gesprochen hat er nicht mit mir &mdash; und
+der Taruttis ist auch schon weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber der Witkuhn ist noch da und seine
+todkranke Frau.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen
+sie alle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Witkuhn wird <em>nicht</em> ersaufen. Und
+wenn du mir nicht gehorchst &mdash; ich bin stärker als
+du und schmeiß&rsquo; dich ins Wasser.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist das der Dank, du Bestije?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob Dank oder nicht &mdash; ich schmeiß&rsquo; dich ins
+Wasser.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat Fäuste wie Eisen &mdash; das merkt er
+sofort und läßt schimpfend die Stake in ihrer
+Hand.
+</p>
+
+<p>
+Und sie lenkt hinüber zum Weg &mdash; an den
+eingefrorenen Birken entlang und über den
+Weg hinweg. Langsam geht es &mdash; o Gott, wie
+langsam! &mdash; Das Eis knirscht, als fletscht es ihr
+tausend grimmige Zähne entgegen, und der
+<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a>
+Alte tanzt hin und her und droht, er wird die
+Axt holen und sie erschlagen; aber sie lacht nur
+und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft dicht
+vor ihr liegt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar! Nachbar Witkuhn!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr
+lebendig. Nur die Katze sitzt auf dem Dachfirst
+und knaut. Und das Wasser spült über das zersplitterte
+Eis weg rund um den Giebel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar Witkuhn!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da &mdash; was schiebt sich aus der schwarzen
+Luke langsam ins Helle? Ein Bett kommt gekrochen,
+und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt
+die tote Frau, und der Nachbar geht
+hinterher und schiebt.
+</p>
+
+<p>
+Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar
+schwimmt hinterher. Und schließlich kommt
+auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten
+festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen
+herein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie fandst du sie?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß
+ich nicht. Als ich sie auf den Boden hob, war sie
+längst tot.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Weiterfahren!
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar
+die Hand. Und der nimmt sie auch und hält
+sie ganz gierig, als hätte <em>er</em> die Rettung vollbracht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a>
+Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht,
+an keiner Wirtschaft vorbeizufahren, aus
+der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten
+Geschmack gefunden, seitdem eine Menschenhand
+in der seinigen lag.
+</p>
+
+<p>
+Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar
+Witkuhn, denn er ist naß und darf nicht erklammen.
+Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen.
+Die beiden Marjellen sitzen zusammengekrochen
+im Winkel, und der Jons stöhnt oben im Rohrdach.
+</p>
+
+<p>
+Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger
+als ein Ziegenverschlag. Der Fußboden
+besteht aus langen Rudern, den Putschinen,
+mit denen die Flößer ihre Holztriften
+lenken. Die hat er dicht neben einander gelegt
+und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und
+verteert. Ein Bett und ein eiserner Ofen &mdash;
+viel mehr steht nicht drin. Und da kein Herd
+da ist, der einen Untergrund braucht, so kann
+das Ganze vom steigenden Wasser sich hochheben
+lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm.
+</p>
+
+<p>
+Noch aus drei Häusern holen sie die nassen
+und steifgefrorenen Bewohner. Die dürfen ins
+Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen
+zum Heizen sind auch da.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Raubmörder geht immer von einem
+zum andern und kriegt nicht genug Hände zu
+schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a>
+So kommen sie näher und näher an den
+Chausseedamm, an dessen Höhe dem Wasser kaum
+noch ein Zoll fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall
+und nach Fütterung, und auf den Wagen weinen
+die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum
+mit Eimern voll dampfendem Kaffee.
+</p>
+
+<p>
+Und überall die Stimme des Moorvogts.
+Vorne und hinten, in Streit und in Jammer &mdash;
+überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft
+und schiebt die Achsen und halftert das Vieh
+und ordnet die allmähliche Abfahrt.
+</p>
+
+<p>
+Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen
+sieht und den Bootshaken streckt,
+an dem man sich festhält.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also das war dein Kunststück,&ldquo; sagt er zu dem
+aussteigenden Alten. Und der nicht faul, verlangt
+sofort seine Pension.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Erst geht in mein Haus und wärmt euch,&ldquo;
+sagt der Moorvogt. Da gewahrt er das Bett
+mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt.
+Sein Gesicht, das von dem zweinächtigen
+Tagewerk wild gedunsen und rot ist,
+wird lang und grau. Er schlägt sich mit den
+Fäusten vor die Stirn, und wie einer, den beim
+letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt,
+sagt er leis&rsquo; vor sich hin:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a>
+Aber in demselben Augenblick hat er sich schon
+einen Ruck gegeben und ist obenauf. Niemand
+als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei
+gehört.
+</p>
+
+<p>
+Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm
+herangefischt. Und während es langsam
+dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die
+Mützen vom Kopf. Einer stimmt an, und alle
+bis weit in die Ferne hinein, auch jene, die
+noch nicht wissen können, was los ist, singen das
+alte Begräbnislied:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Jau su Diewu gywenkite</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Jus mylimi, ne werkite,</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Kunelí manó dekite</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">I zemé ir pakaskite.</span></p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Das heißt auf deutsch:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,</p>
+ <p class="verse">Weint nicht, nun ich selig werde,</p>
+ <p class="verse">Und den Leib, der hier geblieben,</p>
+ <p class="verse">Senket in die dunkle Erde.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Laut und andächtig singen sie, denn wenn
+es, Gott sei gedankt, auch nur wenig Tote gab,
+jeder hat ja eine Hoffnung begraben.
+</p>
+
+<p>
+Bloß einem geht es so gut wie noch nie.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der alte Raubmörder.
+</p>
+
+<p>
+Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts
+mitten auf dem gestreiften Sofa, hat die Hände
+um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift,
+speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die
+<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a>
+ihn voll Achtung umstehen, wie klug vorausschauend
+er einst sein Haus umgebaut hat und
+wie vielen durch seine Guttat heute das Leben
+erhalten blieb. Darum und aus noch vielen anderen
+Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine
+Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage
+beschließen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wie kann der Frühling so unbarmherzig
+sein!
+</p>
+
+<p>
+Je wärmer die Tage werden, desto frostigere
+Nebel haucht das durchkältete Moor; je heller
+die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt sie
+zutage.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist von seiner Lungenentzündung
+aufgestanden und schleicht am Stock wie ein
+nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er
+gelegen, und Erdme mitsamt den Marjellen ist
+derweilen bei Fremden in Pflege gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Nun sich das Wasser verläuft, können die
+Moorleute endlich wieder zurück.
+</p>
+
+<p>
+Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da
+finden!
+</p>
+
+<p>
+Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor
+fünfzehn Jahren erbauten, das steht zwar noch &mdash;
+aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer
+stark schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen.
+Tritt man ein, so stinkt es nach Moder und
+<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a>
+Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der
+Herd auseinandergespellt, und was von dem
+Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein mächtiger
+Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es
+mit Lehm und mit Ziegeln bis in die Tischecke
+hin.
+</p>
+
+<p>
+Ein Wohnen darin ist unmöglich.
+</p>
+
+<p>
+Darum beschließt die Erdme, mit dem noch
+krankenden Mann und den Töchtern zum Stall
+hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren
+geholt worden, die an jenem Tage
+im Extrazug aus Königsberg kamen. Und das
+Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm.
+Die müssen sich alle mit der linken
+Seite behelfen, die rechte, wo früher die
+Schweine hausten, wird Wohnung.
+</p>
+
+<p>
+Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen
+wollen nicht &rsquo;ran. In einem Schweinestall
+zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig.
+Das sei eine Entwürdigung. Besonders wenn
+man dicht vor der Fräuleinschaft steht.
+</p>
+
+<p>
+Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der
+trostlose Zustand dauert nicht ewig. Denn dort,
+wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten,
+um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen
+und vier Dutzend Schwarten ein Haus zu errichten,
+rücken eines Tages die Zimmerleute an,
+und langgestreckte Gefährte bringen Balken und
+Bretter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a>
+Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als
+damals! &mdash; Der Raiffeisenverein hilft, und was
+noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank.
+</p>
+
+<p>
+Der Meister hat einen Grundriß gemacht für
+eine Große und eine Kleine Stube, für Kammern
+und Klete, und statt des lehmbeschmierten Ziegelgestells
+wird ein glitzernder Kachelofen herrlich
+erstehen.
+</p>
+
+<p>
+In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das
+den Stolz der Familie noch weiter in die Höhe
+hebt.
+</p>
+
+<p>
+Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist
+in der weiten Welt nicht unbemerkt geblieben.
+Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange Schilderungen
+gebracht, und sowohl die rettende Arche
+Noah als auch die Frauenleiche im schwimmenden
+Bett sind beschrieben und abgebildet
+gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die
+auf Erden so lange und so still gelitten hat, vom
+Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu
+ihrem Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert.
+</p>
+
+<p>
+In den großen Städten haben die schönen
+jungen Damen zugunsten der Überschwemmten
+getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt.
+Haben Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln,
+Schaumwein und Küsse verkauft und sind, wenn
+das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt
+<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a>
+und dabei vielerlei Sachen gefunden, die
+den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem
+Werte sein mußten: Festkleider von vor
+sechs Jahren, durchgescheuerte Unterröcke, zerpliesertes
+Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern,
+vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe,
+gespenstische Bademäntel und zu alledem Hüte
+für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult,
+verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der
+Inbegriff aller irdischen Pracht.
+</p>
+
+<p>
+Auch die feinen Herren haben das ihre getan.
+Die einen haben alte Hochgebirgskostüme geliefert,
+weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich
+war. Die anderen haben weißen Flanell
+bevorzugt, weil so ein Moor doch nahe am
+Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen
+Wesen der Notleidenden entsprechend
+ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische
+gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise
+ihr altes Ballzeug loswerden zu können.
+</p>
+
+<p>
+Kisten und Kisten wurden verfrachtet und
+gingen per Eilzug an den Heydekrüger Frauenverein.
+Endlich, endlich werden die armen, nackten
+Moorleute was anzuziehen kriegen!
+</p>
+
+<p>
+Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand
+vor sich liegen sehen, schlagen sie voll Entsetzen
+die Arme über dem Kopf zusammen und meinen,
+ihn ihren Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten
+zu dürfen. Sie kramen alles heraus,
+<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a>
+was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen
+das andere verstecken. Aber da kennen sie
+unsere Moorleute schlecht.
+</p>
+
+<p>
+Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten
+für sie ins Land geflogen sind, da
+stürmen sie den Schmidtschen Speicher und
+suchen mit List und Gewalt das Feinste des
+Feinen für sich zu erraffen. Wunder auch! Wer,
+der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt
+den schwarzen Erdenschlamm knetet, wird es sich
+nehmen lassen, des Abglanzes fernher leuchtender
+Paradiese teilhaftig zu werden?
+</p>
+
+<p>
+Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden
+flittrigen Fetzen. Wer was Warmes und Dunkles
+in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen.
+Schandworte fliegen herum, und draußen kommen
+Tauschgeschäfte zustande, die wohl zehnmal
+zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer
+Tracht Prügel ein Ende nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Heimwege ziehen viele schon an,
+was das Glück ihnen zuschanzte, und haben ein
+Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus.
+Manche spiegeln sich nach jedem hundertsten
+Schritte im Wasser der Gräben, und alle
+fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher,
+ob ihm in der Dämmerung nicht was weggegrapscht
+wird. Den alten Raubmörder will
+einer gesehen haben, wie er, gegen einen
+Chausseebaum gelehnt, barhäuptig dastand und
+<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a>
+einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der
+Brust plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen
+ließ.
+</p>
+
+<p>
+Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen
+reich beladen nach Hause. Sie haben die
+lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich
+mehr an das Schwere und Feierliche gehalten,
+denn Erdme war ihres alten Schwures gedenk,
+daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide
+einhergehen sollen.
+</p>
+
+<p>
+Und das können sie fortan wirklich.
+</p>
+
+<p>
+Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem
+Samt, tiefausgeschnitten und mit glitzernden
+Perlen bestickt.
+</p>
+
+<p>
+Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen
+und damit selbst die vornehmsten Töchter der
+Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des
+Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar
+herumstehen.
+</p>
+
+<p>
+Da die frühere Eigentümerin von mächtigem
+Leibesumfang gewesen sein muß, so können beim
+Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen
+werden, daß sich auch für die Urte ein
+Staatskleid ergibt. Und als das fertig ist, bleiben
+noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme
+die eigene Bluse reichlich damit besetzen kann.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie also am Einsegnungstage alle
+drei in himmelblauem Samt zur Kirche. Und
+die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a>
+Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin.
+</p>
+
+<p>
+Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die
+lichterziehend und wie ein Paradiesvogel bunt
+in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht,
+da packt sie sie an dem Samtschlafittchen und
+schiebt sie ins Pfarrhaus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie hat deine Mutter sich unterstehen können,
+Marjell, dich in solchem Aufzug vor den Altar
+Gottes treten zu lassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie die Katrike bittet und weint, da
+fühlt sie ein menschliches Rühren, holt aus dem
+Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft
+es ihr um die Schultern.
+</p>
+
+<p>
+Und so kann sie denn eingesegnet werden.
+</p>
+
+<p>
+Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen
+die Baltruschats, von neidischem Staunen umgeben.
+Nur des Jons muß man sich etwas schämen,
+weil er nicht fein genug ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht,
+wie sie den Stolz der Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit
+verdammt hinter dem Pfarrer herkommen
+sieht, aber sie tröstet sich bald.
+</p>
+
+<p>
+Steckt auch der Glanz noch in schlichtem
+Futteral, er ist doch schon da. Und das ganze
+kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu
+entfalten.
+</p>
+
+<p>
+Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch
+<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a>
+blauer sind als der Samt, den sie anhat, und
+denkt beim Singen und Beten an die künftigen
+Bräutigams.
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons denkt beim Singen und Beten
+an das wachsende Haus, dessen glatt behobelte
+Wände schon über das Moor hinleuchten.
+</p>
+
+<p>
+Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht
+zu denken gewagt?
+</p>
+
+<p>
+Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus
+dem Moorschlamm herausgeholt, der zäh und
+unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser
+lagert, bereit zu verschlingen, was sich ihm anvertraut.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons
+seine zerarbeitete Hand und denkt: Hat es zwischen
+uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer
+hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich
+überstanden, &mdash; wo sollte er herkommen,
+nun es leichter und leichter wird?
+</p>
+
+<p>
+Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag
+nah ist.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-15">
+15
+</h3>
+
+<p class="first">
+So! Nun mach&rsquo; ich einen langen Atemzug &mdash;
+der dauert volle zehn Jahre lang &mdash;, und dann
+erzähl&rsquo; ich, was aus dem Jons und der Erdme
+und den zwei hoch hinaus wollenden Töchtern
+weiter noch wird.
+</p>
+
+<p>
+Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand
+<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a>
+nicht viel zu berichten. Als sie mit
+siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als
+Kellnerin einzutreten &mdash; denn das sollte die
+Schwelle sein zu dem künftigen Glück &mdash;, da
+war sie ein appetitliches Marjellchen mit kornblumenblauen
+Augen und einem süßen Schnauzchen,
+rund und feucht wie eine betaute und
+gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr,
+die sie inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie
+schlank und hoch geworden ist und überhaupt
+wie eine von den schönen Damen, die in dem
+früheren Hause an den Wänden klebten. Sie
+schreibt bald von der Pariser Weltausstellung,
+bald aus dem schönen Italien, sogar von der
+Spitze des Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte
+geschickt, obgleich einem dort von der großen
+Kälte die Finger erklammen.
+</p>
+
+<p>
+Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern
+Ortrud, und auch Baltruschat heißt sie nicht
+mehr &mdash; so ein litauischer Name ist viel zu gemein
+für sie &mdash;, sondern einmal schreibt sie sich
+Balté, ein andermal Baldamus und ein drittes
+Mal sogar wie der katholische heilige Balthasar.
+</p>
+
+<p>
+Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen,
+wenn man ihrer gedenkt.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike allerdings &mdash; die ist noch etwas
+im Rückstand. Sie hat keine Lust gehabt, sich
+ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch
+daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer
+<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a>
+hat sie immer noch nicht. Woran das
+liegt, ist schwer zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang
+ist sie geraten &mdash; das wissen wir schon &mdash;, und die
+Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter ihr
+her: &bdquo;Kiek &mdash; die lange Latte!&ldquo; Dafür ruft man
+sie zu Hause auch &bdquo;Pusze, Pusze&ldquo;, das heißt
+&bdquo;Miesekatzchen&ldquo;, und dieser liebliche Name macht
+viel wieder gut.
+</p>
+
+<p>
+An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie
+spricht ein sehr feines Deutsch und spitzt den
+Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum
+Beispiel: &bdquo;Üch bün eune reuche Besützerstochter.&ldquo;
+Und das soll ihr mal einer nachmachen!
+</p>
+
+<p>
+Viel tun &mdash; tut sie nicht. Hat sie auch nicht
+nötig. Dafür ist jetzt die Jette da, die Dienstmagd.
+Eine niederträchtige Kröt&rsquo; übrigens. Die spottet
+der Katrike doch immer nach. Wenn sie über
+den Hof geht, faßt sie den Unterrock mit zwei
+Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und dreht
+den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann
+ihr nichts nachweisen.
+</p>
+
+<p>
+Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu
+schade. Eine Stelle als Stütze oder Gesellschafterin
+müßte es sein. Aber sie will nicht.
+Sie will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen
+und sich mit der Brennschere &mdash; die hat ihr einmal
+die Urte geschickt &mdash; die Haare in Wickel drehen.
+Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so
+<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a>
+graugelb wie bei einem Mutterschaf auf der
+Scherbank.
+</p>
+
+<p>
+Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen.
+Sie liebt die Traumbücher und die Zaubersprüche
+und liest darin morgens und abends.
+</p>
+
+<p>
+Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und
+die bespricht sie fortwährend. An einem Ostermorgen
+ist sie sogar früh aufgestanden, hat splitterfasernackt
+das Haus ausgefegt und das Gemüll
+ebenso nackt über die Grenze getragen. Aber
+geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die
+Jette meint, sie solle es machen wie sie und die
+Flöhe mit einem Spirituslappen betupfen, so
+daß sie nicht hoch können. Aber diese Fangart
+ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es
+lieber mit Zaubern.
+</p>
+
+<p>
+Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike
+sehr wenig. Aber was soll er machen? Die
+Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß
+gehen darf sie nicht, und die Hände zerreißen
+darf sie sich auch nicht, denn wenn der reiche
+Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein,
+dann zieht er sofort wieder ab.
+</p>
+
+<p>
+Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der
+Allerweltsfreiwerber, schon zweimal im Hause
+gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner
+Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock
+die Zunge ausstrecken lassen und was er
+sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams,
+<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a>
+die er anbot, waren bloß Kroppzeug.
+Nicht <em>ein</em> richtiger deutscher Besitzer ist darunter
+gewesen. Aber die Erdme hat&rsquo;s ihm auch vergolten.
+Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt,
+um sich die Nase zu begießen.
+</p>
+
+<p>
+Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons
+schon an die fünfundzwanzig Jahr. Sehr schön
+ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch nachgelassen.
+Jetzt würde sich kein Nachbar mehr
+in sie verlieben. Hart und knochig ist sie geworden,
+und einen bösen Blick hat sie gekriegt
+von dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen.
+</p>
+
+<p>
+Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele
+ihnen ihr bißchen Wohlstand beneiden und ihnen
+jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen.
+Schon manches liebe Mal hat sie einen
+Zauberbesen in den Quitschen hängen gefunden,
+und wie oft der weiße Hexenspeichel an den
+Zaunlatten hing, ist gar nicht zu zählen. Einer
+hat sogar bei dem katholischen Pfarrer in Szibben
+für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat
+ihm aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer
+daß er das Reißen bekam.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden.
+Sein Haar ist grau, und sein Gesicht sieht
+aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost.
+</p>
+
+<p>
+Was hat der Mann aber nicht alles in seinem
+Kopfe! Allein das viele Geld zu verwalten!
+Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank.
+<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a>
+Und die Wirtschaft wird staatsmäßiger
+Jahr für Jahr.
+</p>
+
+<p>
+Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden
+glänzt in der Sonne wie Silber, und der
+massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht,
+was der Moorgrund schon aushalten kann. Auch
+drinnen ist alles aufs beste. Der Herd steht
+noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in
+dem er den Platz hat, ist hoch und weit und voll
+von bemalten Türen.
+</p>
+
+<p>
+Links geht&rsquo;s in die Große und in die Kleine
+Stube und rechts in die Kammern. In keinem
+litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte
+ich erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder
+in goldenen Rahmen und den glasierten, doppelten
+Ofen, &mdash; von der Tapete mit ihren blanken
+Sternchen gar nicht zu reden, &mdash; weiß Gott, ich
+würde kein Ende finden! Winklig zum Stall
+ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit
+Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des
+Torfes. Der Garten hat einen richtigen Staketenzaun,
+und nicht bloß Raute und Riechblatt
+wachsen darin und was man an Buntem wohl
+liebhat, sondern auch Möhren, Salat und mannshohe
+Schoten, wovon man essen kann, soviel
+man nur will, selbst wenn man Dienstags Körbe
+voll auf den Markt bringt.
+</p>
+
+<p>
+So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und
+keiner der Nachbarn kann sich mit ihnen vergleichen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a>
+Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die
+Taruttene auch. Beide starben am gleichen
+Tage, und als man ihnen die Leichenhemden
+anzog, hat der Flachs in der Leinwand noch einmal
+zu blühen begonnen. Überall saßen die
+blauen Sternchen. So fromm sind sie beide
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension
+gekriegt, und als er zu Grabe getragen wurde,
+sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt.
+Ob aus Hochachtung oder zur besseren
+Bewachung, hat niemand zu sagen gewußt.
+</p>
+
+<p>
+Der lange Smailus ist nun auch schon alt.
+Seine Vierte, von der niemand was Gutes weiß,
+soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben,
+und wenn das Glück es will, kommt er dazu und
+nimmt sich noch eine Fünfte. Die Ulele schreibt
+ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie
+schickt, riecht immer noch schöner. Sie hat längst
+ihren Oberbuchhalter geheiratet. Der ist Teilhaber
+an der Fabrik, und die beiden Besitzer
+vertragen sich prächtig. &mdash; Da sieht man, was
+ein tüchtiges Mädchen kann!
+</p>
+
+<p>
+Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen,
+wie ist der zusammengefallen! Eine Dienstmagd
+besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet
+von früh bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen
+Armen und sucht aus dem Boden herauszuschlagen,
+daß er gerade zu leben hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a>
+Aber raten und helfen, das tut er noch immer,
+und sieht an der Erdme noch immer vorbei, und
+das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und
+gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl
+so bleiben, bis auch das andere stille steht.
+</p>
+
+<p>
+Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich
+über den Weg hin aufpaßt, und wenn er gleich
+fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt,
+ob ihn selber friert oder schläfert.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-16">
+16
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Jons und die Erdme sitzen im Garten
+zwischen den eingefaßten Beeten und haben sich
+lieb &mdash; denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag.
+</p>
+
+<p>
+Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel,
+aber außer der Katrike weiß keiner, weshalb.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz
+aus Silberpapier schenken wollen, hat auch schon
+Maß genommen und so, aber dann ist es doch
+unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war.
+</p>
+
+<p>
+Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede
+geben unter den Leuten.
+</p>
+
+<p>
+Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die
+dünnbehaarten Köpfe. Jons nimmt die Mütze,
+die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt
+sie ihr auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch
+einen Scherz hat er in all den fünfundzwanzig
+<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a>
+Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht
+im innersten Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat.
+</p>
+
+<p>
+Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig
+und glücklich nebeneinander hergegangen, und
+nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken
+hat er sich nie &mdash; außer bei Hochzeiten
+natürlich und ab und zu wohl am Markttag,
+aber das gehört ja zum Leben, &mdash; und geschlagen
+hat er sie auch nicht.
+</p>
+
+<p>
+Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür
+dankt sie ihm mit Tränen. Und auch er weint
+ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder.
+</p>
+
+<p>
+Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit
+den Traumdeuteraugen und der zwei Trauzeugen,
+die auch am Sonntag nach Mist rochen.
+Und der Abendstunde im Matzicker Chausseegraben
+gedenken sie auch und sehen sich um, ob
+niemand sie hört.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Denkst du daran,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;was wir
+uns damals alles gelobt haben? Leicht war es
+nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch
+getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden
+gestört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Das ist dein Verdienst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Deins ist es auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun,
+denen ein guter Streich geglückt ist wider Erwarten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott sei gelobt!&ldquo; sagt die Erdme; &bdquo;jetzt sind
+<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a>
+wir über den Berg, denn was kann uns nun noch
+Böses geschehen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Ein Dreck kann uns geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen
+im blanken Sonnenschein und denken:
+&bdquo;Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr
+kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber es kommt doch noch schöner! Viel
+schöner kommt es.
+</p>
+
+<p>
+Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen
+wollen wie alle Tage, da bemerkt die Erdme,
+daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt,
+ein Herrschaftswagen, wie er hier selten
+zu sehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der
+&bdquo;Germania&ldquo; und denkt natürlich, es sind Herren
+von der Regierung, die im Moor nach dem
+Rechten sehen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie der Wagen immer noch näher
+kommt, erkennen sie beide, daß keine Herren darin
+sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich
+sitzt sie auch nicht, sondern steht und hält
+einen weißen Sonnenschirm in der Hand &mdash; mit
+dem winkt sie und winkt sie und winkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Jezau!&ldquo; sagt die Erdme und fällt wie
+leblos auf die Bank zurück.
+</p>
+
+<p>
+Da biegt der Wagen auch schon nach dem
+Zufahrtsweg ein und hält vor dem Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt,
+<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a>
+Brennschere und Seidenpapier noch in der Hand,
+und rings um die Stirn sitzen die gewickelten
+Knötchen.
+</p>
+
+<p>
+Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud
+heißt. In einem feinen graukarierten Wollenkleide
+springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr
+her springt ein Hund, wie ihn noch nie eines
+Menschen Auge sah. Mit schneeweißen Locken,
+größer noch als ein Wolf und magerer als ein
+Schmalreh.
+</p>
+
+<p>
+Doch daß die Urte mager ist, kann man
+nicht sagen. Einen Busen hat sie &mdash; der ist
+kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im
+dritten Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel.
+Und die blauen Kornblumenaugen hat sie noch
+immer, aber goldene Haare hat sie inzwischen
+gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da
+kniet sie vor ihr und befühlt das Kleid und betastet
+die Schuhe, und wie sie das Kleid ein
+wenig hebt, was kommt da zum Vorschein? Ein
+Unterrock von lauter &mdash; du wagst es gar nicht auszusprechen,
+nicht auszudenken wagst du es! &mdash;
+ein Unterrock von lauter Seide, von resedagrüner,
+ruschelnder, klingender Seide.
+</p>
+
+<p>
+Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht,
+so klingt bei jeder Bewegung die Seide.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor
+und Zaun und traut sich an die hochgeborene
+<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a>
+Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei
+der Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen.
+Und sie küßt auch ihn, aber man sieht:
+sehr gerne tut sie es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen,
+sich die gebrannten Wickel auszukämmen,
+und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte
+an und möchte auch für sich was
+Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut
+keiner.
+</p>
+
+<p>
+Der weißgelockte Hund, von dem man glauben
+könnte, man zerbricht ihn, wenn man ihn anfaßt,
+steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten
+Menschenaugen um sich und streckt den
+witternden Schlangenkopf bald nach rechts und
+bald nach links, als kann er sich nicht erklären,
+wie er plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft
+geraten ist. Den belfernden Köter,
+der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude
+springt, würdigt er keines Blickes. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender
+Lederkoffer, hoch wie ein Haus und
+wohlriechend wie russische Gurten.
+</p>
+
+<p>
+Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen
+Anmutigkeit und ihrer rundhüftigen
+Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer
+führen kann, wie man die Lämmer zu Markte
+führt.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der
+<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a>
+ist von poliertem Holz und hat silberne Einlagen.
+Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll
+noch viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht
+aus wie schwarze, runde Graupenkörner und
+schmeckt nach gesalzenen Fischen.
+</p>
+
+<p>
+Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid
+zum Vorschein mit einem Spitzeneinsatz
+und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und
+auch die Katrike kriegt ein Kleid, ein hellblaues
+Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse und einem
+hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und
+federt, wenn man ihn anrührt.
+</p>
+
+<p>
+Und das Allerschönste hab&rsquo; ich noch gar nicht
+genannt: das ist der Silberkranz. Kein Silberkranz
+aus Papierblättern, wie ihn die Katrike
+beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem
+schweren, klirrenden Silber, und ein gleiches
+Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins
+Knopfloch zu stecken.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an ist&rsquo;s mit den Heimlichkeiten
+vorbei. Die Erdme muß das seidene Kleid anziehen
+und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen,
+Jons bekommt das Sträußchen wirklich
+ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen sie beide
+im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein
+und lassen sich&rsquo;s gut sein.
+</p>
+
+<p>
+Die Töchter sind um sie herum, und sogar
+die Jette, die abscheuliche Kröt&rsquo;, tut sich lieblich,
+wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne
+<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a>
+Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe,
+damit sie des Morgens nicht klappert.
+</p>
+
+<p>
+Nur einer ist nicht zufrieden &mdash; das ist der
+große, magere, weißlockige Hund. Der schnüffelt
+und schnobert, und wenn man ihn &rsquo;reinzieht,
+läuft er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte
+Fressen rührt er nicht an. Die Urte muß ihm
+von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben,
+sonst würde er am Ende verhungern.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte erklärt: &bdquo;Das ist ein sibirischer Windhund,
+Barsoi genannt, aus einer ganz alten vornehmen
+Zucht mit einem Stammbaum, der reicht
+wohl hundert Jahre zurück.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat ihn von einem russischen Grafen
+bekommen, der mit ihrem Freunde befreundet
+war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka,
+und alle lachen sehr, als sie ihn hören,
+denn Petruschka heißt &bdquo;Petersilie&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als
+die nach Hause gekommene Tochter ansehen und
+ansehen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt &mdash;
+einen besseren gibt es ja nicht &mdash; und mit den
+dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen
+Haare geben Feuerstrahlen um sie herum, dann
+ist der Erdme, als muß sie in einen finsteren
+Winkel kriechen und weinen und beten, daß
+Gott sie nicht strafen wolle für dieses allzu
+große Glück.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-17">
+<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a>
+17
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Urte &mdash; die jetzt Ortrud heißt &mdash; ist in
+der Kleinen Stube ein Lager bereitet, und Jons
+und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich
+zu rühren &mdash; aus Angst, sie möchten die Tochter
+erwecken.
+</p>
+
+<p>
+Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in
+Frieden bis in den blanken Vormittag. Eine
+Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater
+zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem
+erst fertig.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund
+zu zwei Mark, und läuft zwischen Herd und Stubentür
+hin und her, um zu horchen, wann die
+Zeit zum Frühstück gekommen ist. Dann trägt
+sie ihr alles ans Bett und sieht mit Sorgen,
+ob die Urte sich&rsquo;s wohl schmecken läßt.
+</p>
+
+<p>
+Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen
+Spitzenhemd, mit dem ruscheligen Goldhaar und
+den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe,
+die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote
+und blaue Sonnen auf der gewürfelten Decke.
+</p>
+
+<p>
+Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen
+pflegt. Aber viel ist es nicht. Und lange Zeiten
+übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in
+der Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme
+schon aus den Briefen, aber was sie da überall
+getan hat, läßt sie im Dunkeln.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a>
+Viele Männer haben sie heiraten wollen,
+aber es ist nie etwas daraus geworden. Bei den
+Reichen und Hochgestellten haben die Eltern
+es nicht erlaubt, und den anderen hat sie selber
+den Laufpaß gegeben. Als sie in Königsberg
+Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr
+hergelaufen. Viele haben sich duelliert, und
+einige haben sich totgeschossen. Schließlich hat
+sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen
+können und ist nach Berlin ausgerückt.
+Und dort hat das Leben erst recht begonnen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft
+zu machen gedenkt, lächelt sie mit ihren Blauaugen
+bloß so verschwommen ins Weite und
+sagt: &bdquo;Mach dir keine Sorgen, Mamusze. Für
+eine wie mich liegt der Reichtum nur auf der
+Straße. Aber erst möcht&rsquo; ich mich hier noch ein
+bißchen ausruhen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das tut sie auch gründlich. Niemals
+faßt sie mit an oder kümmert sich um was. Sie
+sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen
+auf der Gartenbank, blickt nach dem Himmel und
+lächelt. Nur ihre Kleider hält sie in Ordnung,
+steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und
+bügelt, und ihre Finger, die rund und lecker aussehen
+wie marzipanene Würstchen, führen die
+Nadel schnell und mit Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme ist noch immer wie von einem
+Zauber befallen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a>
+Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an
+das heimgekommene Kind, macht sich in ihrer
+Nähe zu schaffen und schleicht um sie &rsquo;rum, bloß
+um sie still und andächtig zu betrachten. Oft
+ist ihr bange vor lauter Stolz, so daß sie sagen
+möchte: &bdquo;Sei doch einmal wieder wie früher.&ldquo;
+Aber sie weiß, das kann die Urte nicht mehr,
+dazu ist sie zu lange weggewesen und hat zu
+viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie
+Schönschreiben kann und Französisch, das hat
+die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie gehabt.
+Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist,
+aber es muß wohl das Feinste sein, was auf der
+Welt gelehrt werden kann.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand
+und sagt: &bdquo;Ach, freu dich doch! Freu dich doch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich,
+mit der Tochter zusammenzusein, und er schämt
+sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr reden
+und wie er den Löffel halten soll, und das Brot
+schneidet er heimlich unter dem Tisch.
+</p>
+
+<p>
+Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht,
+hat ihn &bdquo;lieb Väterchen&ldquo; genannt und so. Wie
+er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch
+sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut.
+Es liegt noch nicht Übles zwischen ihnen,
+bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder
+Tag für Tag.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz
+<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a>
+will ihr zerbrechen bei seinem stillschweigenden
+Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht
+zwingen, daß er sie lieb hat.
+</p>
+
+<p>
+Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der
+Schwester alles nachmachen und versteht es doch
+nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen
+und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die
+Nägel werden bloß noch dreckiger, der Mund
+sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab
+wie vertrocknetes Krummstroh.
+</p>
+
+<p>
+Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne
+Beschwerde.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und
+macht sich ihre Gedanken. Nicht daß sie die Katrike
+nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist
+wie ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt
+dasitzt und sich in rein gar nichts mit der
+Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn
+sie das Hellblaue angezogen und den großen
+Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch immer wie
+Tag und Nacht.
+</p>
+
+<p>
+Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander.
+Die Urte unterweist die Katrike in allem,
+was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme
+und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug,
+so daß der Neid in ihr nicht hochwachsen kann.
+</p>
+
+<p>
+Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht
+länger so mit ihr geht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a>
+&bdquo;Wenn du die Ulele wärst,&ldquo; sagt die Mutter,
+&bdquo;dann würdest du jetzt einen Mann für sie suchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich kann ebensoviel wie die Ulele,&ldquo; sagt
+die Urte.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie&rsquo;s verlangt, wird eines Tages,
+als der Jons in die Wiesen gefahren ist, der kleine
+Tuleweit bestellt, der schon für hundert Vermittlungen
+seine Prozente gekriegt hat.
+</p>
+
+<p>
+Der in seinem langen Pfarrersrock und den
+knallengen Hosen kommt forsch herein und denkt,
+er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel
+spielen; wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die
+ihn in ihrer rosenfarbenen Fleischlichkeit ankuckt,
+da wird ihm schon ganz anders.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus was für &rsquo;nem Himmel ist denn <em>das</em>
+hierher geflogen?&ldquo; fragt er.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte sagt: &bdquo;Nehmen Sie Platz, Herr
+Tuleweit.&ldquo; Und sie, die Erdme, bringt von
+dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer
+was da ist.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte sagt weiter: &bdquo;Sie sehen es mir
+vielleicht nicht an, Herr Tuleweit, daß ich aus
+diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das
+macht nichts.&ldquo; Und dann lobt sie ihn, weil ihr
+bekannt ist, daß er bei seinen Vorschlägen immer
+das Richtige trifft.
+</p>
+
+<p>
+Er bedankt sich und dienert.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun bin ich aber drauf und dran,&ldquo; sagt sie
+weiter, &bdquo;eine große Partie zu machen. Eine
+<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a>
+wirklich große Partie. Und da wär&rsquo; es mir natürlich
+angenehm, wenn ich durch meine Schwester
+nicht in Verlegenheit käme. Ein Deutscher
+müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben,
+so daß man sagen könnte: &sbquo;Meine Schwester ist
+an einen Gutsbesitzer verheiratet.&lsquo; Das würde
+dann schon den richtigen Eindruck machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt: &bdquo;Sie ist noch klüger als die
+Ulele.&ldquo; Und der ganze Herr Tuleweit schwimmt
+wie Öl auf Zuckerwasser.
+</p>
+
+<p>
+Was an seinen bescheidenen Kräften liege,
+das werde sicher geschehen, aber letzten Endes
+sei es ja leider Sache der Mitgift.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Natürlich, natürlich,&ldquo; sagt die Urte. Und
+wäre sie schon verheiratet, so würde es ihr auch
+nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich
+auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon
+mit etwas Bescheidenem vorlieb nehmen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was heißt bei Ihnen &sbquo;bescheiden&lsquo;?&ldquo; fragt der
+kleine Herr Tuleweit und dienert nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird
+sie sagen?
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Nun, etwa fünftausend Mark.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Fünftausend Mark hat der Jons auf der
+Sparbank. Die hat er mit ihr in zwanzig Jahren
+zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht
+meinen. Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht
+sein für das kommende Alter. Gewiß will sie
+aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es
+<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a>
+fehlt womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit
+macht eine hängende Nase und sagt, bei
+einem so kleinen Anerbieten werde man leicht
+behandelt wie ein nichtsnutziger Schwätzer, aber
+er wolle schon sehen, er wolle schon Rat schaffen
+und hoffe auf spätere reiche Belohnung.
+</p>
+
+<p>
+Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht,
+in acht Tagen wiederzukommen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du die Fünftausend wirklich aus
+Eigenem geben?&ldquo; fragt die Erdme voll Dankbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sehr gern wollt&rsquo; ich sie geben,&ldquo; sagt die
+Urte und lächelt; &bdquo;nur, wenn ich sie hätte, dann
+braucht&rsquo; ich sie selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo sollen sie denn aber herkommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,&ldquo;
+erwidert die Urte. &bdquo;Ist es nicht schon genug,
+daß ich auf meine Hälfte verzichte?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr
+ein Klumpen Heede im Schlund.
+</p>
+
+<p>
+Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit
+die Katrike ein Nest kriegt.
+</p>
+
+<p>
+Und die, die solange in der Kammer gelauert
+hat, kommt begierig gelaufen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen
+hat er? Wieviel Pferde stehen im Stalle? Wieviel
+Rindvieh weidet am Ufer?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kriegt die Erdme die Sprache wieder.
+&bdquo;Wenn es um <em>den</em> Preis geht, dann schlag
+<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a>
+dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein
+Gespartes gibt der Vater dir nie.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Katrike heult und wälzt sich am
+Boden. Ihren Besitzer will sie nicht lassen. Der
+ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der
+kommt ihr zu. Der gehört ihr zu eigen.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um.
+Ihr Kind ist im Recht. Nie ist von was Anderem
+die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders
+gedacht.
+</p>
+
+<p>
+Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie
+und verspricht ihr das Blaue vom Himmel.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die
+dickgeweinten Gesichter und wundert sich. Aber
+fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon
+abgewöhnt.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste
+ist, geht ihm aus dem Wege, so viel sie nur kann,
+aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich
+versucht sie&rsquo;s mit Vorwürfen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast kein Herz für deine Töchter,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;und du achtest sie wie einen Strick um den Hals.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fragt: &bdquo;Wer hat dir das zu wissen getan?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Das ersieht man aus deinem
+Benehmen. Schon die Katrike hast du nicht
+leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist,
+ist es noch schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis&ldquo;
+&mdash; ein gemeiner Mann &mdash; &bdquo;und bleibst ein
+Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a>
+Er sagt: &bdquo;Ich habe nie erfahren, daß du von
+besserer Herkunft wärest als ich. Als wir anfingen,
+Pracher waren wir da alle beide.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe doch wenigstens meine Betten
+gehabt,&ldquo; entgegnet sie drauf, &bdquo;und sechsundsechzig
+Mark hatt&rsquo; ich auch, aber du hattest so
+gut wie gar nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Zu meinem bißchen habe ich
+zwei Jahre Arbeit gebraucht, aber wo du deine
+Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts
+Rechtes.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor
+die Stirn. &bdquo;Ich habe dir vorgerechnet auf Heller
+und Pfennig,&ldquo; sagt sie, wie mit Blut übergossen,
+und wendet sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Sie ist nun so wütend auf ihn &mdash; sie könnt&rsquo; ihn
+beinahe vergiften.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-18">
+18
+</h3>
+
+<p class="first">
+Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder
+da. Er hat einen, der wäre nicht abgeneigt.
+Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit
+dem Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat
+eine verschuldete Wirtschaft nicht weit von Mineiken,
+und er ist der Dritte von Fünfen, hat
+eben gedient und hält bereits Umschau unter
+den Töchtern der Gegend. Ob man nach
+deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf
+<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a>
+dem Markt oder auf dem Gericht oder sonst
+irgendwo, als käm&rsquo; es durch Zufall.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts,
+aber ihre Tochter, die Urte, will alles schön in
+die Hand nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen.
+Dort wird der junge Herr Schmidt einen Schimmel
+seines Vaters am Halfter führen, und die
+Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern.
+Und was dann folgt, wird Herr Tuleweit
+bestens besorgen.
+</p>
+
+<p>
+Das wird von nun durch und durch geredet,
+stundenlang, tagelang. Für die drei Frauensleute
+gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt.
+Kaum daß die Hausarbeit notdürftig besorgt
+wird zwischen all dem Getuschel.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder.
+Wenn er nicht einen neuen Freund bekommen
+hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer
+Hund. Du glaubst es nicht, wie sich das
+langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem
+Hof gestanden und ist still zur Seite gewichen,
+wenn ihn einer hat anrühren wollen. Keinen
+hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer
+ihn zu streicheln meinte, der griff in die Luft.
+Ins Haus hat ihn keiner &rsquo;reinholen können,
+selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie
+<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a>
+ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl
+mit ihr gegangen, aber beim nächsten Wupp war
+er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich
+ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die
+Arbeitswagen stehen und etwas Heu immer verstreut
+liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein
+Fressen gebracht, und da lag er und blickte still
+um sich.
+</p>
+
+<p>
+Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit
+Locken und mit Betatschen zu nahe zu kommen,
+war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu
+fein und zu herrschaftlich. Aber siehe da! Eines
+Frühmorgens, wie der Jons als erster aus dem
+Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen,
+wer ist da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen
+und hat sich zukuckend auf die
+Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend
+geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück,
+bis der Jons zum Mittagessen nach Hause ging?
+Und wer ist allmählich näher gekommen und hat
+sich mit leisem, langem Bisse das Brot aus den
+Fingern geholt? Und wer ist schließlich sogar,
+wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden
+Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat
+bei ihm Wache gehalten stundenlang, bis er beladen
+zurückkehrte?
+</p>
+
+<p>
+Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde
+sollen ja immer untreu sein, sagen die
+Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater;
+<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a>
+nur wenn sie spazieren geht auf der Chaussee
+nach Heydekrug oder nach Ruß hin, dann nimmt
+sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas
+zum Staunen haben.
+</p>
+
+<p>
+Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber
+das macht nichts. Denn dort sieht man doch
+Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt hinterherraten,
+weil sie das plötzliche Wunder nicht
+zu fassen vermögen. Und Urte fühlt sich als
+Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst
+mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die
+alle sehnsüchtig hinstarren, denen im Hinterwalde
+zu hausen bestimmt ist.
+</p>
+
+<p>
+Bisweilen trifft man auch junge Männer mit
+Schmissen, die sicherlich in Königsberg studiert
+haben und denen man vielleicht einmal auf
+dem Schoße gesessen hat.
+</p>
+
+<p>
+Denen wirft man gelegentlich einen lockenden
+Blick zu und bringt sie zum Rasen. Denn irgend
+eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben
+in der torfschwarzen Öde.
+</p>
+
+<p>
+Nur an dem Hause des Moorvogts geht man
+ungern vorbei. Man weiß es nicht, aber man
+spürt&rsquo;s in den Gliedern, daß dort hinter den
+Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich
+sie und ihr Leben durchmustern. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt
+heran, auf dem die Besitzer von weit und breit zu
+Kauf und Trunk sich treffen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a>
+Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh
+hingebracht, die demnächst stehen soll und die
+darum eingetauscht werden muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwestern melden sich erst, als er weg
+ist, denn mit dem Vater zusammen einzuziehen,
+hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr gefördert.
+Wenn alles gut geht, gleitet man im
+Gedränge an ihm vorbei und braucht ihn nicht
+einmal anzureden.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike wird heute von der Urte extra
+zurechtgemacht. Sie darf die Haare nicht brennen
+und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen
+faucht, die Schwester sei nichts weiter
+als neidisch. Aber die lächelt nur und ist nicht
+einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen
+Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen.
+</p>
+
+<p>
+Dann ziehen sie los, und die Erdme weint
+und betet hinter ihnen her.
+</p>
+
+<p>
+Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen.
+</p>
+
+<p>
+Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er
+hat einen guten Handel gemacht. Die neue
+Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und
+kaum einmal zuzahlen hat er dürfen.
+</p>
+
+<p>
+Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht.
+Er schlingt finster sein Mittagbrot und fragt mit
+keinem Wort nach den Töchtern.
+</p>
+
+<p>
+Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die
+heute früh hat angebunden werden müssen, weil
+<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a>
+sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein
+wollte.
+</p>
+
+<p>
+Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf
+in seine Arme nimmt und leise zu ihm herniederredet.
+</p>
+
+<p>
+Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht
+hinter ihm her und sagt: &bdquo;Mit dem unvernünftigen
+Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau,
+gönnst du kein gutes Wort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Ich habe die beiden Marjellen
+getroffen, ausgeputzt und mit fremden Männern.
+Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite
+gedreht. Ist das nicht etwa genug?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz.
+&bdquo;Wer kann seine Augen überall haben?&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten
+sie sich, ob er nicht endlich schon weg sei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und <em>wenn</em> auch,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Was kann
+<em>ich</em> dafür?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da läuft ihm die Galle über, und alles, was
+er in sich verborgen hat seit Jahren, kommt ans
+Tageslicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du dafür kannst?&ldquo; schreit er. &bdquo;Du hast
+zwei Faulenzerinnen erzogen, zwei Rumtreibersche
+hast du erzogen, die kein Verlangen tragen
+nach Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen
+und sich den Rücken wundschlafen bis Mittag &mdash;
+die es mit den Deutschen halten und ihren Vater
+achten, als wär&rsquo; er ein Schnodder. Soviel kannst
+<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a>
+du dafür, wie die Stute kann, daß ein Fohlen
+aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt an das, was sie neulich
+heruntergeschluckt hat. Eine so zornige Rede
+darf sie nicht ohne Antwort lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,&ldquo;
+sagt sie, &bdquo;aber da kommst du gerad&rsquo; an
+die Rechte.&ldquo; Und dann wirft sie ihm vor, daß
+sie es war, die den ganzen Wohlstand geschaffen
+hat, daß er nichts Anderes gewesen ist als ihr
+Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet
+hat fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder
+andere Knecht ersetzen kann, wenn es ihr paßt,
+ihn zu mieten.
+</p>
+
+<p>
+Die Augen schwellen ihm zu und glupen
+nach rechts und glupen nach links, als sucht er
+was und kann es nicht finden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du sagst, mag wohl so sein,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;nur in einem könnt&rsquo; er mich nicht ersetzen, nämlich
+dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu
+geben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den
+Pfahl aus der Erde, an dem die Petruschka angebunden
+ist, und schlägt damit die Erdme über
+den Rücken.
+</p>
+
+<p>
+Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt
+die flachen Hände als Stütze. Die Jette, die
+grienend zugehört hat, schreit auch und springt
+auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn
+<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a>
+der Pfahl ist zu dick, als daß menschliche Glieder
+unter ihm ganz bleiben könnten.
+</p>
+
+<p>
+Darum wirft er ihn auch weg und holt aus
+dem Stalle die Peitsche. Die Petruschka läuft
+winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend
+die Hände, aber er achtet ihrer nicht, schlingt die
+hanfene Schnur um den Stiel und läßt ihn im
+Bogen durch die Luft hinpfeifen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme
+noch kniet.
+</p>
+
+<p>
+Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn
+vor ihm da &mdash; bleich und zusammengefallen
+wie immer &mdash; umpusten könnte man ihn &mdash;, aber in
+seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem
+er sich sonst die Spatzen vom Kirschbaume schießt.
+</p>
+
+<p>
+Ihm das Gewehr zu entreißen, wär&rsquo; leicht,
+aber was dann? Wie kann man sein Weib noch
+bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen?
+</p>
+
+<p>
+Drum bleibt er ruhig und sagt: &bdquo;Nachbar,
+hast du mal was von Hausfriedensbruch gehört
+und Bedrohung mit tödlichen Waffen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und
+stellt sich so vor die Erdme, daß er sie mit dem
+Leibe deckt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich fordere dich also auf, meinen Grund
+und Boden zu verlassen &mdash; zum ersten, zum
+zweiten und zum dritten Male.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein
+rechter Zeigefinger liegt dicht vor dem Abzug.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a>
+&bdquo;Gut,&ldquo; sagt der Jons, &bdquo;ich geh&rsquo; jetzt zum
+Rechtsanwalt, der wird die Anzeige erstatten.
+Aber die Peitsche nehm&rsquo; ich mit, und treff&rsquo; ich
+unterwegs die beiden Marjellen, dann werden
+sie die Prügel kriegen, die ihrer Mutter noch zustehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann
+völlig zu Boden. Er aber kehrt sich nicht daran
+und geht seiner Wege ...
+</p>
+
+<p>
+Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und
+die beiden Marjellen hat er auch nicht getroffen.
+Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen
+geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit
+zu Hause angelangt ist, da hat er
+das Nest leer gefunden. &mdash; Keine Frau, keine
+Töchter, keine Magd.
+</p>
+
+<p>
+Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man
+kann ihre Stimmen hören über den Weg hin.
+</p>
+
+<p>
+Und das Sparkassenbuch ist auch weg.
+</p>
+
+<p>
+Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist
+bloß der fremde Hund da, der aus traurigen
+Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er
+die Übeltat gutmachen, die man ihm angetan
+hat und die im Grunde genommen seine eigene
+Übeltat ist.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-19">
+19
+</h3>
+
+<p class="first">
+Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn
+auf die Erdme gewartet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a>
+Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann.
+</p>
+
+<p>
+Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder
+und wieder an. Sie ist die Schönste, die Jüngste,
+die Kräftigste geblieben, aber er ist ein alter Mann.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und
+schwatzen, wie sie nur mögen, und achtet ihrer
+nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die
+die Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach
+geben muß, weil sie nun einmal zu ihr gehören.
+Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner
+Magd.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte und die Katrike haben gestern Großes
+erlebt, und das erzählen sie immer von neuem:
+Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen
+hat, da ist er gleich ganz hingenommen gewesen.
+Zuerst hat er freilich gedacht, die Urte sei ihm als
+Zukünftige bestimmt, und da hat er sich zurückziehen
+wollen, denn er ist sich nicht gut genug
+erschienen für sie; wie er aber gehört hat, daß
+die Katrike es ist, da hat er um so freudiger zugegriffen
+und hat mit ihnen beiden und dem
+Herrn Tuleweit in der &bdquo;Germania&ldquo; gesessen
+bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit
+weiß auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit
+Fünftausend Anzahlung wohl zu haben wäre,
+nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn
+sein Vater gibt ihm rein gar nichts.
+</p>
+
+<p>
+Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht
+die Erdme hoch auf, denn von ihrem Eigenen
+<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a>
+her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die
+nicht gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind
+in der Frühe.
+</p>
+
+<p>
+Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem
+Eimer hinübergehen. Die wehrt sich erst, denn
+sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich tut
+sie&rsquo;s doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie,
+der Wirt habe auf der Häckselbank gesessen, den
+Kopf in die Hände gestützt, und die Petruschka
+vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr
+umgesehen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte erzählt weiter: Um drei
+nachmittags habe der junge Herr Schmidt
+weggemußt, aber am Nebentisch &mdash; da hätten
+ein paar vornehme junge Herren gesessen mit
+Schmissen und goldenen Kneifern, die wären
+schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt
+zu machen, und hätten ihr zugeprostet
+und so. Und schließlich wären sie alle zueinander
+gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den
+Abend. Den kleinen Herrn Tuleweit hätten die
+fremden Herren erst für den Vater gehalten;
+als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler
+sei, da wäre des Neckens kein Ende gewesen,
+so daß er nichts Besseres zu tun gewußt
+habe, als bald zu verschwinden. Und von nun
+an sei es erst recht hoch hergegangen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen
+mit Heimlichtun nicht zu Ende.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a>
+Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den
+Haushalt besorgen, aber das Kreuz ist ihr wie
+gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum
+redet die Urte ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest
+zu beschaffen wegen der künftigen Scheidung.
+</p>
+
+<p>
+Um vier Uhr nachmittags wird drüben der
+gute Wagen angespannt, und Jons fährt weg,
+ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen.
+</p>
+
+<p>
+Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was
+gestern zur Nacht nicht mitgebracht werden konnte.
+</p>
+
+<p>
+Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme
+bei sich trägt, hat der Jons zum Schutze vor Einbruch
+ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern
+kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig
+zum Lachen.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen,
+und auch sie selber gibt an, was sie für Sonntags
+wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug
+haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel
+Gäste versorgen?
+</p>
+
+<p>
+Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt!
+Die Federbetten gehen mit, und so noch vieles
+andere, so daß der Handwagen des Nachbars
+viermal hochbeladen den Knüppelweg überquert.
+</p>
+
+<p>
+Schwer wird der Abschied von den Kühen,
+die die Erdme nicht einmal melken kann, so weh
+tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und
+wirft ihnen Heu hin und denkt: &bdquo;Wie gut wär&rsquo;s,
+wenn ich sie drüben hätte!&ldquo; Auch die Neue ist
+<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a>
+ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat
+sie sie kaum schon gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter,
+und dann geht es heim.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause
+des Nachbars ein furchtbarer Lärm. Schwere
+Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons
+betrunkene Stimme schreit: &bdquo;Ihr Diebe! Ihr
+Räuber! Kommt &rsquo;raus! Ich schlag&rsquo; euch tot,
+ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und
+dann ihren&ldquo; &mdash; &bdquo;Liebhaber&ldquo; sagt er nicht, es
+ist ein viel schlimmeres Wort, das er sagt. Und
+ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd
+und droht, sie alle zu erschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte und die Katrike knien im Hemd an
+der Mutter Bett und kreischen bei jedem Schlage,
+der das Ladenholz zersplittern will. Und vor
+der Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und
+ruft durchs Schlüsselloch, sie möchten ganz ruhig
+sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn
+der draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich entfernt sich der Wüterich,
+und auch das Winseln und Heulen Petruschkas
+verstummt nach und nach.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch
+zwischen dem Nachbar Witkuhn und der
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,&ldquo;
+<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a>
+sagt der Nachbar, &bdquo;aber heute seh&rsquo; ich
+ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was
+du für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu
+Diensten sein, was dein Wunsch ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß nicht aus, nicht ein,&ldquo; sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Und der Nachbar sagt: &bdquo;Ich habe es mein
+Lebenlang für das größte Glück auf Erden gehalten,
+daß du einmal meine Frau würdest.
+Aber nun mir plötzlich die Möglichkeit gegeben
+ist, daß es so werden könnte, da seh&rsquo; ich ein,
+ich bring&rsquo; es nicht übers Herz. Denn jeder wird
+sagen, wie Er es ausschrie heute nacht, daß wir
+in Buhlschaft gelebt haben alle die Jahre.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Beinahe wär&rsquo; es ja so gewesen,&ldquo; sagt die
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn es so gewesen wäre,&ldquo; erwidert der
+Nachbar, &bdquo;dann hätten wir längst kein Gewissen
+mehr und keine Scham und würden lachen, wenn
+die Leute mit Fingern auf uns zeigen. Aber
+nun schreck&rsquo; ich schon zurück bei dem Gedanken,
+Ihm auf dem Weg zu begegnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich dränge mich niemandem auf,&ldquo; sagt die
+Erdme gekränkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ich bin ein alter Mann,&ldquo; sagt der Nachbar.
+&bdquo;Ich möchte nicht, daß du mir fluchst,
+wenn du mich auf den Kirchhof trägst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So bleibt mir als einziges,&ldquo; sagt die Erdme,
+&bdquo;daß ich in Ausgedinge zu der Katrike zieh&rsquo;, wenn
+die jetzt heiratet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a>
+&bdquo;Ist es denn schon so weit?&ldquo; fragt der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich alles hergebe,&ldquo; sagt die Erdme
+und drückt die Hand gegen das Sparkassenbuch,
+das sie auf nackigem Leibe trägt, &bdquo;dann ist es
+so weit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird das Geld schon gesperrt haben,&ldquo;
+sagt der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Vielleicht auch nicht,&ldquo; sagt die Erdme, und
+weil sie sowieso nach Heydekrug muß wegen
+des Doktorattestes, wird sie auch gleich die Fünftausend
+abheben, die ihr nicht weniger gehören
+als ihm.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn
+er selber hat immer noch keins, und wie sie aufsteigen
+will, muß sie von zweien gehoben werden,
+so verschwollen ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Als der Doktor sie untersucht hat, macht er
+ein ernstes Gesicht und sagt: &bdquo;Schlimm genug
+sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich
+schreiben muß, aber ich rat&rsquo; euch trotzdem: Vertragt
+euch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie
+ein ängstlicher Traum, und oft hat sie gedacht:
+&bdquo;Wenn er jetzt käme und sagte: &sbquo;Laß gut sein&lsquo; &mdash;
+weiß Gott, ich ginge zurück.&ldquo; Wie der Doktor
+aber sagt: &bdquo;Es sieht schlimm aus,&ldquo; da wird ihr
+Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß
+sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den
+Menschen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a>
+Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem
+und zahlt ihr das Geld ohne Bedenken.
+&bdquo;Ja ja,&ldquo; sagt er, &bdquo;wenn man Töchter verheiraten
+will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da hat sie&rsquo;s auch schon in den Händen.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie
+selber kann sich nicht an- und nicht ausziehen,
+weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt
+sie &bdquo;Mamusze&ldquo; und &bdquo;Mammelyte&ldquo;, was sonst
+nur die Urte sagt, und &bdquo;Mane Baltgalwele&ldquo; &mdash;
+mein Weißköpfchen &mdash; nennt sie sie, wie die alten
+Mütter in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar
+noch fast braun ist.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu,
+jetzt wird sie dem Jons begegnen, aber sie begegnet
+ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl
+fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite
+der Chaussee gelegen ist, sieht sie was Helles.
+Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn,
+denn er ist wohl wieder betrunken.
+</p>
+
+<p>
+Von weitem schon hört man das Brüllen
+der Kühe. Die müssen verkommen, wenn man
+sie da läßt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast du Platz im Stalle für sie?&ldquo; fragt die
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe Platz für alles, was dein ist,&ldquo; sagt
+der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+Darum schickt sie auch gleich die Jette und die
+Witkuhnsche Magd hinüber, die Kühe zu holen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a>
+Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene.
+&mdash; Das Geld und das Vieh &mdash; alles ist
+da. Nun kann geheiratet werden.
+</p>
+
+<p>
+Und noch am selben Abend macht sie sich auf,
+zum kleinen Tuleweit zu gehen, damit er so rasch
+wie möglich alles in Ordnung bringt.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher
+nach Heydekrug zu machen, wo irgendwo am
+Spazierweg die jungen Herren von gestern schon
+warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka
+nicht bei ihr ist &mdash; dann wäre ihr Anblick zehnmal
+so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie
+schließlich zu Hause.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß
+der Spektakel von voriger Nacht heut wegen der
+Kühe noch einmal losgehen wird.
+</p>
+
+<p>
+Aber nichts regt sich fortan.
+</p>
+
+<p>
+Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche
+lang, und wenn sie sich aufrichten will, kriegt
+sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich hochzieht.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen
+herüber, was für die Aussteuer irgend von Wert
+ist &mdash; den großen Ecktisch und den buntblumigen
+Schrank und noch vieles andere.
+</p>
+
+<p>
+Niemand hindert sie dran, denn morgens
+fährt er weg, und mit der Dunkelheit kommt er
+wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was
+er macht und wo er sich aufhält, weiß keiner.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a>
+Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit
+tritt ein junger Mensch in die Kammer. Der
+hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche
+Augen. Und hinterher schiebt sich mit
+heißem Gesicht und frisch gebranntem Strohhaar
+die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer
+als er und sieht aus, als möcht&rsquo; sie ihn auf den
+Arm nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter
+künftiger Bräutigam.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch
+an, und sie richtet sich auf und sagt auf Deutsch:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir
+reden das Deutsche genau so wie Sie. Und im
+Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen
+habe. Gewöhnlich arbeit&rsquo; ich wie sonst nur die
+Jüngste.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike und der junge Mensch sehen sich
+verstohlen an, woraus sie schließen muß, daß
+ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und
+noch etwas Anderes will sie daraus schließen,
+aber das drängt sie sofort von sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Er möchte am liebsten das Geld gleich mit
+sich nehmen, aber sie weiß, daß es ihr wohlgeborgen
+unter dem Leibe liegt, und erst müßte
+man sie totschlagen, ehe sie es hergäbe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In dem Kontrakt soll stehen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;daß
+ich eine Altsitzerstelle bekomme mit so und so
+viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner
+<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a>
+zu halten, und noch anderen Rechten, die ich
+alle bezeichnen werde. Sonst wird aus dem
+Kaufe nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike fängt sofort an zu weinen und
+klagt sie an, sie steh&rsquo; ihrem Glücke entgegen. Der
+junge Herr Schmidt aber sagt: &bdquo;Es <em>wird</em> auch
+alles in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein
+ganz anderer Kontrakt als der, den ich mit dem
+Besitzer abschließen werde. Denn den geht es
+nichts an, was wir miteinander ausmachen
+wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche
+klüger ist als sie selbst, und schickt sich in das,
+was verlangt wird.
+</p>
+
+<p>
+Aber erst will sie gesund sein und mit aufs
+Gericht gehen und alles bewachen können bis
+in das kleinste.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike und der junge Herr Schmidt
+sehen sich schon wieder an. Dann aber geben
+sie sich die Hand und knien am Bette nieder und
+bitten um ihren Segen.
+</p>
+
+<p>
+Sie weint und küßt und segnet die beiden,
+aber in ihrem Innern denkt sie dabei: &bdquo;Ich will
+doch erst den Rechtsanwalt fragen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-20">
+20
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien,
+und wenn einer am Chausseehaus vorübergeht,
+<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a>
+sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine Art,
+über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins
+klare zu kommen. Aus ihrem Aussehen, ihrem
+Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen,
+und den Lasten, die sie tragen, kann er genau
+erkennen, wie er mit ihnen dran ist, ob sie vorwärts
+kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling
+mehr, und die dreißig Jahre, die er dem Moor
+geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen.
+Aber sein Auge sieht noch so scharf wie je, und
+noch immer hält er zweitausend Schicksale straff
+an der Leine.
+</p>
+
+<p>
+Eines schönen Sommerabends sieht er den
+Jons Baltruschat zu Fuß nach Hause gehen, und
+doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren.
+Der Jons Baltruschat ist ihm
+schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. Morgens
+macht er sich auf nach der Wiese, und abends
+fährt er betrunken zurück. Und der fremde
+weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter
+gehört, läuft nebenher.
+</p>
+
+<p>
+Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken
+tut er. Aber seine Gangart ist mehr wie
+die eines Kranken als die eines Betrunkenen.
+</p>
+
+<p>
+Darum macht der Moorvogt das kleine
+Fensterchen auf, durch das früher die Stange
+mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft
+ihm nach: &bdquo;Jons, komm doch mal &rsquo;rein!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a>
+Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts
+gehört, doch wie der Moorvogt nicht nachläßt,
+da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und
+tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm.
+Sie läuft sofort zu dem Moorvogt, steckt die
+Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt
+die nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen:
+&bdquo;Wenn <em>du</em> nicht hilfst!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt braucht nur <em>einen</em> Blick,
+um zu sehen: Der Jons ist so gut wie ein verlorener
+Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken
+bloß und verschüchtern, darum sagt er
+gleichsam so nebenher: &bdquo;Mir war doch, als bist
+du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du
+das irgendwo stehen gelassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja,&ldquo; sagt der Jons, &bdquo;das hab&rsquo; ich stehen
+gelassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, wo denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auf &mdash; der &mdash; Chaussee.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber warum denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja &mdash; na.&ldquo; Mehr ist nicht aus ihm &rsquo;rauszukriegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann wollen wir&rsquo;s doch gleich einmal holen
+gehen,&ldquo; sagt der Moorvogt und greift nach der
+Mütze.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons will nicht. &bdquo;Wenn es &rsquo;n
+Zweck hätt&rsquo;,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hat&rsquo;s keinen Zweck?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil das Pferd gar nich mehr da is.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a>
+&bdquo;Wo ist es denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer kann wissen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach so,&ldquo; sagt der Moorvogt. &bdquo;Du bist betrunken
+gewesen, hast dich in&rsquo;n Chausseegraben
+gelegt, und unterdessen hat&rsquo;s dir einer ausgespannt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer kann wissen?&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und da gehst du hier vorbei und machst
+keine Anzeige? Möchtest du den hübschen Braunen
+gar nicht mehr wiederhaben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da waren auch noch die Kühe da.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die denn <em>nicht</em> mehr da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nichts is mehr da. Die Schweine werden
+sie heute auch wohl geholt haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, die Erdme und die Marjellen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und das läßt du dir ruhig gefallen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal.&ldquo; Und dabei bleibt er.
+</p>
+
+<p>
+Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt
+auf, wie der Mensch zum rettenden Herrgott.
+Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell
+verfilzt ist und verschorft von Wunden und
+schwarzgrau. Und er sagt: &bdquo;Wie kommt&rsquo;s, daß
+der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das is so gekommen,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weißt du, was deine Tochter für eine ist?&ldquo;
+fragt der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a>
+&bdquo;Ich will es auch gar nicht wissen,&ldquo; sagt der
+Jons.
+</p>
+
+<p>
+Damit geht er.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher
+wegen des Braunen und hat dann eine
+schlaflose Nacht.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus
+kommen. Der bibbert am Krückstock, und seine
+Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das
+kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein
+Schnurrbart wölbt sich forsch, als will er den
+Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen.
+</p>
+
+<p>
+Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür
+hat seine Vierte reichlich gesorgt. Wenn es
+Gott will und sie stirbt, die ist imstande und
+verleidet ihm vorher die Fünfte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist also mit den Baltruschats los?&ldquo;
+fragt der Moorvogt. Und nun erfährt er das
+Nötige.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen
+und hast es erzählt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau hat es nicht gewollt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Warum</em> hat deine Frau es nicht gewollt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet,
+und dafür muß sie sich rächen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und was hat sie ihm gepfändet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Smailus lacht schadenfroh. &bdquo;Das ist gar
+nicht zu zählen,&ldquo; sagt er. Überhaupt <em>das</em> Weib!
+Aber davon will der Moorvogt nichts wissen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a>
+&bdquo;Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn
+mal was vorgehabt hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine
+eigenen vier Weiber ihm treu gewesen sind, das
+weiß er, bei den anderen kann man niemals
+drauf schwören.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber bemerkt hast du nichts?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum
+wird er entlassen. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll
+er die Erdme in dem Witkuhnschen Hause besuchen
+oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht
+er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch,
+und Kreuz und Kopf trägt sie bewickelt, aber
+kriechen kann sie doch schon.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du &mdash; komm mal &rsquo;rein!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie steht da und sieht ihn böse an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schöne Geschichten hör&rsquo; ich von dir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie schweigt und sieht ihn böse an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach fünfundzwanzigjährigem Leben &mdash;
+schämst du dich nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er
+sie geschlagen &mdash; beinahe das Rückgrat hat er
+ihr gebrochen &mdash; mit Schmutznamen hat er sie
+belegt &mdash; ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt &mdash;
+die ehr- und tugendsamen Töchter hat er mißhandeln
+wollen, und was das Schlimmste ist, das
+Vieh hat er verhungern lassen, so daß sie es nur
+durch Rüberholen mit knapper Not errettet hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a>
+Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt
+schlimm für den Jons, und <em>sie</em> ist eine Furie
+geworden. Mit gut Zureden wird der nicht
+beizukommen sein. So versucht er es also mit
+böse: &bdquo;Weißt du, was ich jetzt tun werde? Ich
+werd&rsquo; dich durch den Gendarm in die Kaluse
+bringen lassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie lacht ihn nur aus. &bdquo;Das können
+Sie ja. Bloß morgen werd&rsquo; ich schon wieder bei
+Ihnen vorbeigehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du dich nur nicht irrst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen
+Antrag gestellt. Und er wird auch gar keinen
+stellen. Denn hier unter der Wiste hab&rsquo; ich das
+Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie
+schlimm es gewesen ist und daß ich nur durch
+ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die
+Kalus&rsquo; fliegt, dann ist er es. Und ich zieh&rsquo; jetzt
+zu meiner älteren Tochter. Die wird eine reiche
+Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot
+bestellen kommen. Und wenn ich erst
+hier &rsquo;raus bin, dann kann man mir sonst was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung.
+Im Laufe der Jahre haben nur
+wenige ihm so entgegenzutreten gewagt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat,
+das will ich nicht verstanden haben. Aber eins
+prophezei&rsquo; ich dir: der Tag wird kommen, und
+er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich
+<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a>
+preisen, bei dem Jons noch einmal unterkriechen
+zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann
+auch aufnimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie beißt die Zähne zusammen und schwört
+bei Gott dem Allmächtigen: &bdquo;Eher geh&rsquo; ich und
+ertränk&rsquo; mich im Torfloch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und damit humpelt sie wieder hinaus nach
+Heydekrug zu, wo der Rechtsanwalt ihr raten
+soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und Schwiegersohn,
+denen sie alles opfert, sie übervorteilen
+wollen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-21">
+21
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das Geld muß hergegeben werden. Da ist
+nichts zu machen. Denn ohne Anzahlung kommt
+das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird
+aus Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben,
+damit der junge Herr Schmidt vor der Hochzeit
+nicht etwa noch abschnappt.
+</p>
+
+<p>
+Die Kühe und die Schweine und alles, was
+vom Hausrat herübergetragen ist, sollen mit in
+die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht
+weniger als alles.
+</p>
+
+<p>
+Der Kontrakt wird unterschrieben, und das
+Geld ist weg &mdash; so schnell, wie man eine Fliege
+in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert
+die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der
+bisherige Besitzer behauptet, er hätte sein Hab
+und Gut wegwerfen müssen, und der junge Herr
+<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a>
+Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises
+wäre auch noch reichlich gewesen. Daß es zum
+Prügeln nicht kommt, daran ist nur die Urte
+schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen
+macht und dadurch das Schlimmste verhindert.
+</p>
+
+<p>
+Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach
+noch ein bißchen spazieren geht, wobei sie alsbald
+die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die
+ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren
+Chaussee freundschaftlich einigen kann.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike will mit dem jungen Herrn
+Schmidt über Nacht zu den Schwiegereltern fahren,
+was ihr nicht zu verdenken ist, und darum
+geht die Erdme allein nach Hause.
+</p>
+
+<p>
+Nach Hause? &mdash; Als ob sie ein &bdquo;Zuhause&ldquo;
+hätte &mdash; das soll erst morgen kommen. Denn
+für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag
+bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste
+geschrieben, was ihr bis zu ihrem seligen
+Tode zukommen wird &mdash; ja sogar für die Zeit
+<em>nach</em> dem Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger
+als zehn Fladen und sechs Achtel Bier müssen
+den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das
+Kreuz auf ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein.
+</p>
+
+<p>
+So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl
+ist ihr doch nicht zumut. Wenn jetzt zum Beispiel
+der Jons des Weges käme, wie könnte sie
+ohne ein Wort an ihm vorübergehen?
+</p>
+
+<p>
+Da ist nun die lange Brücke, die über die
+<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a>
+Sumpfniederung führt! Und sie muß des Frühlingstages
+gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig
+Jahren mit Jons zum Moor hinauszog.
+Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus
+dem blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm:
+&bdquo;Wie die Blumchen da vorwärts kommen, ohne
+zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber was hilft das Vorwärtskommen,&ldquo;
+denkt sie, &bdquo;wenn einem zuguterletzt alles wieder
+zunichte wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie
+seien längst über den Berg, und Hader könnt&rsquo;s
+gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da
+gewesen wie der Dieb in der Nacht und hat
+alles &mdash; aber auch alles &mdash; zunichte gemacht.
+</p>
+
+<p>
+Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike,
+die ihr das Geld aus den Händen riß! Kaum
+einmal warten konnte die Kröt&rsquo;, bis sie die
+Wiste aufgehakt hatte!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber morgen,&ldquo; denkt sie, &bdquo;morgen wird
+alles festgemacht werden.&ldquo; Aus dem Hause
+wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der
+Rechtsanwalt schon gesorgt, und das Brautpaar
+hat wohl oder übel seine Zustimmung geben
+müssen.
+</p>
+
+<p>
+Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen
+<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a>
+um elf werden sie sich wieder in Heydekrug
+treffen, und übernächsten Sonntag kann dann
+die Hochzeit sein.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut,
+als muß sie sich wieder krank hinlegen, so zerschlagen
+fühlt sie sich. Aber das kommt nicht
+vom Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie
+alles hergeben muß.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl
+und redet ihr Trost zu. Aber was kann er viel
+sagen?
+</p>
+
+<p>
+Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte.
+Sie hat heiße Backen und sieht verjucht und verjachert
+aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet,
+und der unverschämte Kerl hat sie angehalten
+und verlangt, sie soll ein Führungsattest beibringen.
+Was der sich wohl denkt?
+</p>
+
+<p>
+Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen,
+aber zu der ermatteten Mutter ist sie voll Zärtlichkeit
+und besteht darauf, daß der Nachbar einen
+Wagen besorgt und sie morgen selber nach
+Heydekrug fährt. Denn der weite Gang zwei
+Tage gleich nach einander könnte zu viel für
+sie sein.
+</p>
+
+<p>
+Spät abends kniet sie noch vor der Mutter
+Bett und streichelt und küßt ihr die Hände und
+bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat
+und weiter noch tun muß. Die Erdme weiß
+zwar nicht, was sie meint, aber von solcher
+<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a>
+Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug
+ganz naß weint.
+</p>
+
+<p>
+Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt,
+fängt die Urte von neuem an, gerade
+so, als wär&rsquo; es ein Abschied für immer.
+</p>
+
+<p>
+Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur
+Augen für drüben. Ob nicht der Jons sich irgendwo
+sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und
+still. Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf.
+Freilich, blitzen tut die nicht mehr, denn die ist
+jetzt dreckig, wer weiß wie.
+</p>
+
+<p>
+Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem
+Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, die Brautleute
+schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch
+um halb zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig.
+</p>
+
+<p>
+Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte
+Termin und sagt im Vorbeigehen, jetzt müßte sie
+warten bis zwei, denn früher käm&rsquo; er nicht wieder.
+</p>
+
+<p>
+Und wie er um zwei wiederkommt, sind
+die Brautleute noch immer nicht da.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,&ldquo; sagt
+er. &bdquo;Inzwischen können sie immer noch kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut
+seit langem das Kreuz weh, und der Nachbar
+redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen.
+Dort kann sie sich wenigstens ausstrecken. Aber
+sie will nicht. Sie könnte das Brautpaar am
+Ende verfehlen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a>
+Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps,
+und dann geht es ja wieder.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher
+heraus und sagt, für heute sei es nun
+leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da
+und der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder
+auch sonst wann zur Beglaubigung gerne bereit
+sein.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie wieder zurück. Die Erdme
+hat das Kopftuch um Mund und Backen gebunden
+und redet kein Wort. Was soll sie auch reden?
+Man muß sich ja fürchten zu denken &mdash; um wieviel
+mehr noch zu reden!
+</p>
+
+<p>
+Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren.
+Und so kommen sie an.
+</p>
+
+<p>
+Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann
+es euch zehnmal erzählen, ihr glaubt es mir doch
+nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Kühe sind weg. Die Schweine sind
+weg, die Betten sind weg. Auch der andere
+Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso
+weg. Und selbst die kröt&rsquo;sche Marjell, die Jette,
+ist weg.
+</p>
+
+<p>
+Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches
+Mädchen ist, sieht die erschreckten Gesichter
+und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt,
+es geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte
+sie den Nachbar Smailus gerufen oder sonst wen
+&mdash; und sie schielt hinüber nach Baltruschats Haus.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a>
+Was bei Jesu Namen <em>ist</em> also geschehen?
+</p>
+
+<p>
+Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren.
+Darauf haben die Brautleute gesessen
+und haben erklärt, sie wollten jetzt alles
+überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört.
+Und die Mutter wäre schon dort, um einzurichten,
+und käme nur später noch einmal, die
+eigenen Sachen zu holen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann haben sie vorne das Hausgerät
+aufgeladen und hinten die Schweine. Und die
+Kühe haben sie angebunden, und so sind sie davongefahren.
+Und die Urte hat ihr noch fünf Mark
+geschenkt für die gute Bedienung.
+</p>
+
+<p>
+Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den
+Tisch gelegt. An wen die sind, weiß sie nicht,
+denn Aufschrift hat keiner.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und
+gefühllos. Der Nachbar und die Magd müssen
+sie in die Stube tragen.
+</p>
+
+<p>
+Da liegen die Briefe.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike schreibt so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Mein geliebtes Mütterlein!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich
+von Dir zu trennen. Mein Bräutigam, der junge
+Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber
+so. Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht
+Sitte, daß gleich die Mutter als Altsitzerin in die
+Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie
+wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit
+<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a>
+wird in kleinstem Kreise gefeiert werden, und
+darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was
+mir auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet.
+Das Vieh und die anderen Sachen
+habe ich gleich mitgenommen, denn mein
+Bräutigam, der junge Herr Schmidt, hat es
+schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen.
+Ich bedanke mich auch sehr für alles, womit
+Du mich beschenkt hast, und werde Dich lieben
+in Ewigkeit.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Deine treue Tochter Katrike.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und die Urte schreibt so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Meine Mamusze!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt,
+aber die Katrike bestand darauf. Darum habe
+ich Dich gestern und heute auch immerfort um
+Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich
+nicht, sondern fahre von Jugnaten aus gleich
+nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen
+Kleider nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus,
+noch weit ärmer, als die Ulele einst war, dann
+würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so
+würden wir uns beide gegenseitig nur hinderlich
+sein. Darum rate ich Dir, laß Dich rasch scheiden
+und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja
+immer geliebt hat. Wenn man daran denkt,
+scheint es einem wie ein trauriges Buch, und
+das muß doch wenigstens einen befriedigenden
+Schluß haben. Zu dem bösen Vater kannst Du
+<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a>
+ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka mag
+bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe
+wohl, meine Mamusze, und sei mir nicht böse.
+Ich schicke Dir bald etwas Schönes.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Deine Urte.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+So lauten die Abschiedsbriefe der beiden
+Töchter.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-22">
+22
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Erdme will sich ins Bett legen, denn
+die Beine tragen sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die
+Kammer. Er hat seinen Mantel auf dem Arme
+und sagt: &bdquo;Bis heute waren die Töchter da. Ich
+könnte ja jetzt die Magd bei dir schlafen lassen,
+aber vor Gericht glauben sie ihr am Ende nicht,
+weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn
+ich auch ein alter Mann bin, da ich nun einmal
+mit dir im Verdacht stehe, so möchte ich dir das
+künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit
+dir zur Nacht allein unter einem Dache verweile.
+Oder doch so gut wie allein. Ich werde darum
+den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit
+bitten und darin fortfahren, solange dein
+Ruf es verlangt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach
+mehr über dem Kopfe hat, denn den Nachbar
+aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung
+<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a>
+nicht abzubringen sein wird, so willigt sie
+zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung
+mit auf den Weg und sagt, sie wird
+gleich zur Ruhe gehn.
+</p>
+
+<p>
+Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock,
+auf den sie sich stützen muß, &mdash; und siehe da!
+jetzt tragen die Beine sie wieder.
+</p>
+
+<p>
+Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft,
+und damit verläßt sie den Hof.
+</p>
+
+<p>
+Es ist ein lieblicher Abend, nur &mdash; Gott sei&rsquo;s
+geklagt &mdash; sie weiß nicht, wohin.
+</p>
+
+<p>
+Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch.
+So ein Schwur ist leicht gegeben, will
+man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht
+schwer.
+</p>
+
+<p>
+Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein
+müssen, denn was bleibt ihr sonst übrig?
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt
+noch einmal nach ihrem Eigenen hinüber.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist merkwürdig,&ldquo; denkt sie, &bdquo;daß man
+nie etwas von ihm sieht oder hört.&ldquo; Seit sie
+ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht
+mehr wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch
+nicht vorbei. Selbst die Petruschka ist wie in
+die Erde gesunken.
+</p>
+
+<p>
+Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume,
+deren Beeren schon halb und halb rot sind, und
+auch den Garten besieht sie von ferne. Viel
+erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist
+<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a>
+schon im Fallen, aber daß die Sonnenblumen
+im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen
+der Zuckerschoten umgeschmissen hat, das
+bemerkt man auch von dem Weg her.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;so würd&rsquo; ich nachher über den Zaun klettern
+und sie noch aufrichten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann macht sie sich auf &mdash; nach dem
+Torfloch.
+</p>
+
+<p>
+Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett
+übergossen an seinem Rande stehen, hat sie noch
+selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie
+einst in den Jahren der Jugend. Mit der Magd
+waren sie drei, so wie es die Regel verlangt.
+Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz.
+</p>
+
+<p>
+Der Abendschein liegt feuerrot auf dem
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich jetzt hier &rsquo;reinspringe,&ldquo; denkt sie,
+&bdquo;dann wird er sein Lebtag glauben, ich sei mit
+dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig
+gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will
+der Nachbar ihn anreden, so schlägt er ihn tot.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden
+gar nicht so schlimm ist. Hier &rsquo;reinzuspringen
+ist schlimmer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wär&rsquo;s,&ldquo; denkt sie weiter, &bdquo;wenn ich vorher
+noch mit ihm spreche und alles ins klare
+bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja
+auch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a>
+Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn
+das noch ein Segen wär&rsquo;. Bloß hier nicht &rsquo;reinspringen
+müssen!
+</p>
+
+<p>
+Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg.
+</p>
+
+<p>
+Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon
+gar nicht mehr, nur daß das Vieh weg ist, erfüllt
+sie mit Kummer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hätt&rsquo; ich bloß eine einzige Kuh an die Leine
+zu nehmen,&ldquo; denkt sie, &bdquo;dann könnte ich mich
+schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als
+Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch
+recht schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch.
+&mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie sie von neuem am Quitschenweg steht,
+ist es schon Nacht, aber richtig Nacht wird es im
+Juli ja doch nicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Find&rsquo; ich ihn nicht zu Hause,&ldquo; denkt sie, &bdquo;so
+setz&rsquo; ich mich an die Feuerstelle und warte, bis
+er zurückkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg
+hinauf und bis an das Hoftor. Der Kettenhund
+rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet,
+weil er sich losgemacht und die Petruschka
+zerbissen hat. So hat es der Magd die Smailene
+erzählt.
+</p>
+
+<p>
+Das Tor steht offen. Warum auch nicht?
+Das Vieh ist längst fort, das hat sie ja selber gestohlen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a>
+Ob er wenigstens die Haustür verschlossen
+hat?
+</p>
+
+<p>
+Aber wie kann er? Sie selber hat ja den
+Schlüssel.
+</p>
+
+<p>
+So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur.
+</p>
+
+<p>
+Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen
+und riecht an ihr hoch und riecht und
+riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt
+zu heulen an, wie ein Mensch heult.
+</p>
+
+<p>
+Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer?
+Wer kann es wissen?
+</p>
+
+<p>
+Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel
+gewöhnt, und wie der Jons in seinen Kleidern
+aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich.
+Sie sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß
+verschlafen scheint er zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht
+erst Antwort, sondern fällt vor der Feuerstelle
+zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel
+nehmen oder die Axt.
+</p>
+
+<p>
+Aber was tut er?
+</p>
+
+<p>
+Er macht die Haustür weit auf, damit er sie
+besser besehen kann, und dann stellt er sich neben
+sie hin und fragt: &bdquo;Ist es noch immer das Kreuz,
+daß du nicht aufkannst?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die
+Angst ist es nicht mehr, jetzt sind es die Tränen,
+daß sie nicht aufkann.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die
+<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a>
+Stirn auf die Kante und weint und weint, weil
+sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder
+die Schaufel.
+</p>
+
+<p>
+Wie wird sie&rsquo;s ihm aber bloß beibringen von
+dem Sparkassenbuch und dem Vieh? Und dann
+auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden
+hat, treu nach der Wahrheit?
+</p>
+
+<p>
+Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll,
+liegt sie da und weint.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt der Jons: &bdquo;Die Marjellens sind ja,
+Gott sei Dank, auch weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das weißt du?&ldquo; sagt sie und richtet sich auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; ja alles aufladen sehen heute
+mittag,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; schon eine zuschanden geprügelt,&ldquo;
+sagt er und setzt sich neben sie auf den Herd.
+</p>
+
+<p>
+Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm
+zwischen die Knie, und er legt die Hand auf ihr
+Haar, und so sitzen sie lange.
+</p>
+
+<p>
+Aber endlich muß sie es ihm doch sagen &mdash;
+das mit dem Nachbar zuerst.
+</p>
+
+<p>
+Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht
+losgehen. &bdquo;Der Nachbar &mdash;&ldquo; sagt sie, &bdquo;der Nachbar
+&mdash;&ldquo; und dabei bleibt es.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal mit dem Nachbar,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;wenn du bloß da bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat,
+wenn es auch noch so schlimm wäre. Aber sie
+<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a>
+will es nicht auf sich sitzen lassen &mdash; nicht eine
+Stunde mehr.
+</p>
+
+<p>
+Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die
+Höhe und setzt sich neben ihn und erzählt ihm
+von dem Gesangbuch &mdash; wie wundertätig sich
+das in der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun
+aber sind sie längst angejahrt und drüber hinweg.
+Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum
+Nachbar Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm
+auch.
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Wenn du bloß da bist.&ldquo; Und sonst
+sagt er nichts. &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind
+keine Betten da.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich lieg&rsquo; sonst auf dem Stroh,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;und bedecken tu&rsquo; ich mich mit dem Woilach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient
+weiter.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wir anfingen,&ldquo; sagt sie und schämt sich,
+&bdquo;da hatten wir wenigstens Bettzeug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach Gott,&ldquo; sagt er, &bdquo;das Vieh ist ja weg und
+viel von dem Hausrat und alles Gesparte&ldquo; &mdash;
+wie er sagt &bdquo;alles Gesparte&ldquo;, da schluckt er doch,
+und ihr zerreißt es das Herz &mdash;, &bdquo;aber die schönen
+Gebäude sind da, und die Wiese haben wir auch,
+und die Kartoffeln gedeihen &mdash; und der Moorvogt
+sagt: &sbquo;Das Pferd wird sich finden,&lsquo; und fürs
+übrige leiht er. Wir fangen eben noch einmal
+von vorne an, das ist alles.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a>
+Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich
+wieder ganz jung vor.
+</p>
+
+<p>
+Und dann kriechen sie still in das kahle
+Bett und decken sich zu, so viel die kurze Pferdedecke
+nur hergibt. Und sie frieren auch nicht,
+denn die Nacht ist ja mild, und sie können sich
+gegenseitig erwärmen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Erdme da liegt, denkt sie: &bdquo;O Gott,
+o Gott, wie liegt es sich schön hier!&ldquo; Und ihr
+Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie
+arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird
+kommen, wie er das erstemal kam. Nein, er <em>ist</em>
+schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei
+ihr und sagt halb im Schlaf: &bdquo;Wenn du bloß
+da bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Petruschka hat den Kopf zwischen die
+Pfoten gesteckt und träumt von einer Wanne
+mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen
+Schrubber.
+</p>
+
+<p>
+Und wie ich die Erdme kenne, wird der
+Traum sich morgen erfüllen. &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+&mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-5">
+<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a>
+Die Magd
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-5-1">
+<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Es war am ersten Juli und schon Feierabend,
+als die Marinke Tamoszus im Dorfe einfuhr.
+Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht.
+Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause.
+Sie kam von dem Gute des Herrn Westphal,
+wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient
+und dann zwei Jahre lang die Meierei verwaltet
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen
+in die Augen gefallen. Er hatte beim Milchabliefern
+die fleißige Wirtin in ihr erkannt und
+erst seine Frau und dann auch seinen Sohn, den
+Jurris, auf sie aufmerksam gemacht. Hierauf, als
+beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem
+Vater verständigt, und das Ende vom Liede
+war, daß sie dem Herrn Westphal kündigte und
+vom alten Enskys den Mietstaler nahm.
+</p>
+
+<p>
+Aber nein doch, das Ende war es nicht!
+Es sollte vielmehr ein glücklicher Anfang sein.
+</p>
+
+<p>
+Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so
+konnte nach den letzten Kartoffeln, um Mitte
+Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden.
+<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a>
+Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht
+worden. Und sie, die Marinke, hatte sich nicht
+gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht,
+weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und
+ewig auf dem großen Gute zu scharwerken, hatte
+erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich
+bloß ins Gerede.
+</p>
+
+<p>
+Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen
+Zöpfen und brauner Taftschürze,
+blond und rund und schüchtern neben dem dürrgearbeiteten
+Vater, der auf seine Gäule losprügelte,
+denn er wollte forsch vorgefahren
+kommen.
+</p>
+
+<p>
+Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon,
+sie hingegen war noch niemals dort gewesen
+und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs
+Meer hinausfährt.
+</p>
+
+<p>
+Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die
+Runde, und von freudiger Erwartung stand
+wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte
+auch nicht: &bdquo;Ist es hier? Ist es dort?&ldquo; Aber
+wenn der Wagen an einem neuen Zugangswege
+vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil
+ihr noch eine Galgenfrist blieb.
+</p>
+
+<p>
+Endlich bog er doch um die Ecke, und im
+Abendschein lag die künftige Heimat vor ihr.
+Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten.
+Daß die tüchtige Milchgeberinnen waren, das
+wußte sie schon von der Meierei her. Der
+<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a>
+Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert.
+Der Stumpf einer Dreschmaschine
+vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen
+fiel ihr sonst nicht viel auf. Nur die
+braunen Netze, die zum Trocknen über den
+Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen,
+denn noch nie war sie in einer Fischergegend
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem
+Jurris. Auch ein Knecht war da und eine Taglöhnerfrau.
+Um derentwillen durfte der Willkomm
+nicht allzu herzlich sein. Aber sie dachten
+sich doch ihr Teil, denn sie grieflachten heimlich
+zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die
+Magd kommt zweispännig angefahren, und der
+eigene Vater kutschiert!
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie.
+Man hätte es nicht von ihm glauben sollen, denn
+er war unlängst von den Kürassieren nach Hause
+gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm
+noch auf dem linken Ohr. Aber als er ihr kaum
+die Hand gegeben hatte, machte er sich schon
+eifrig an dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe
+des Knechts über die Sprossen hob. Nur um
+nicht mit ihr reden zu müssen.
+</p>
+
+<p>
+Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht
+aus. Nach seiner Gestalt hätte man ihn eher bei
+den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von
+<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a>
+sinkendem Schulterbau. Die Augen blau und
+still. Viel von Bart noch nicht auf den Lippen.
+</p>
+
+<p>
+Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus.
+Denn bis nach Piktaten, wo seine Wirtschaft
+lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte
+nachts schon zu Hause sein. Aber einen Bissen
+geräucherten Aal aß er doch und trank den
+Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte.
+Er fühlte es mit Zufriedenheit: die Marinke kam
+in ein gutes Haus, und die fünfhundert Taler,
+die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt
+sein.
+</p>
+
+<p>
+So fuhr er also von dannen, und die Marinke
+saß in der Kammer und weinte.
+</p>
+
+<p>
+Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans
+Lachen als ans Weinen denkt, so war sie am
+nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich.
+Die Kühe standen über dem Melkeimer so still,
+als hätte sie sie schon seit Wochen geliebkost, und
+der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen
+gerade unter die hungernden Rüssel.
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und
+Tritt, aber so, daß sie von ihr nicht gesehen werden
+konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte
+sie leise zu ihrem Mann: &bdquo;Wir haben gut gewählt.
+Sie ist eine Gesegnete.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys faltete die rissigen Hände
+und sagte noch zweifelnd: &bdquo;Geb&rsquo; Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und beide dachten daran, wie sie nun im
+<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a>
+Herbste sich zur Ruhe setzen könnten, waren dabei
+aber erst um die Funfzig.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke tat, als merke sie nichts von
+dem Beobachtetwerden und dem Getuschel, und
+machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten
+liebt und nicht nach rechts und nach links sieht.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem
+und gütigen Herzens und nicht gewillt, sie ihre
+Herrschaft fühlen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Aus dem Schwiegervater war vorderhand
+noch nicht klug zu werden. Bescheiden im Wesen,
+als wär&rsquo; er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks
+und im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte
+sie zwei-, dreimal an etwas, was sie noch gar
+nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft
+sein.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach
+sie nicht an. Und so blieb es Tage und Tage lang,
+so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren
+Verdacht bald wieder fahren ließen.
+</p>
+
+<p>
+Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken
+weilten ganz, ganz wo anders als bei
+dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und
+wollte wissen, wie er es anfangen würde. Aber
+er fing es lieber gar nicht an. Und mit der Zeit
+begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt
+werden. Und noch etwas Schlimmeres
+fürchtete sie, doch daran ging das Denken gerne
+vorüber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-2">
+<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a>
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten
+die fünf größten Wirte des Dorfes mit Herrn
+Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und
+lieferten ihm so und so viel Liter täglich für
+seine Meierei. Im Hinfahren wechselten sie sich
+allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke
+sie alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen
+und Kinder, denn die Besitzer spielten den Kutscher
+meistens nur dann, wenn sie in Augustenhof sonst
+noch zu tun hatten.
+</p>
+
+<p>
+In der Woche nach Marinkes Ankunft war
+der Jozup an der Reihe. Der Jozup Wilkat,
+der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte.
+Ein dunkler junger Mensch von Dreiviertelgröße
+mit buschigem Schnurrbart und zusammengewachsenen
+Brauen, die ihm ein finsteres und
+fremdartiges Aussehen gaben. Den Hof, der
+übrigens wohlhabend und gutgehalten war,
+nannte man in der Gegend die &bdquo;Wilkija&ldquo;, das
+Wolfsnest. Zuerst natürlich des Namens wegen,
+denn Wilkat heißt im Deutschen der &bdquo;Werwolf&ldquo;.
+Dann aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos
+herangewachsen waren, sich von früher Jugend
+an in den Haaren gelegen hatten, bis die
+Mutter, deren Liebling der Jozup war, die beiden
+Älteren herausbiß, so daß sie nun in Berlin auf
+Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete
+<a id="page-357" class="pagenum" title="357"></a>
+nur auf eine passende Frau, um dann die Wirtschaft
+zu übernehmen.
+</p>
+
+<p>
+In Augustenhof waren alle Mägde hinter
+ihm her, aber er kümmerte sich wenig um sie.
+Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm
+angeglupt, hatte seine Milch aufschreiben lassen &mdash;
+und weg war er.
+</p>
+
+<p>
+Man sagte von ihm, er sei ein &bdquo;Bedraugis&ldquo;,
+das ist einer, der keinen Freund hat, und das
+mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn
+er jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte
+er sich lange im Stall bei dem Jurris zu schaffen,
+rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte
+womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof
+sind es im Schritt immerhin doch anderthalb
+Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde
+immer gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Am vierten Abend mochte es sein, da trat er
+zu der Marinke, die eben die Milchkannen auflud,
+und redete sie mit den Worten an: &bdquo;Gestern
+hat mich der Herr Westphal halten lassen und
+hat gesagt, ich möchte dir sagen, du möchtest
+doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof
+kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke wurde rot und sagte: &bdquo;Was
+soll ich in Augustenhof? Ich bin nicht mehr in
+Dienst dort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jozup entgegnete: &bdquo;Es ist noch etwas
+abzurechnen, hat er gesagt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-358" class="pagenum" title="358"></a>
+Die Marinke antwortete: &bdquo;Ich <em>habe</em> abgerechnet,&ldquo;
+und ging ihrer Wege.
+</p>
+
+<p>
+Aber am Sonnabend kam er noch einmal
+und sagte: &bdquo;Der Herr Westphal ist gestern auf
+der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde
+aus einem Posten nicht klug und er müsse durchaus
+mit dir reden. Morgen am Sonntag ist mein
+letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das
+Vertrauen und fährst mit mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Marinke gab es einen Stoß gegen das
+Herz. Sie sah den Jurris an, der still nebenbei
+stand, und sagte: &bdquo;Wenn ich durchaus fahren
+muß, so fahr&rsquo; ich doch lieber, wenn <em>wir</em> an der
+Reihe sind. Die acht Tage wird der Herr Westphal
+sich wohl noch gedulden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer
+zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofe herunter.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stand da und sah ihm nach, und
+die Marinke grämte sich, daß er noch immer nicht
+zu ihr sprach. Schließlich war sie doch &bdquo;auf
+Prob&rsquo;&ldquo; hier. Was sollte werden, wenn es so
+blieb?
+</p>
+
+<p>
+Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen
+Sinne ganz zuwider war und wozu sie bisher
+den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte
+sich neben ihn und sagte: &bdquo;Vielleicht bist <em>du</em>
+so gut und nimmst mich dann einmal mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort
+gegeben oder ihr sonst sein Mißfallen gezeigt,
+<a id="page-359" class="pagenum" title="359"></a>
+dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten
+bald würde packen müssen. Aber was tat er?
+</p>
+
+<p>
+Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man
+konnte sagen, ein glückliches Lächeln ging
+über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete:
+&bdquo;Wirst du dann auch einmal mit mir fischen
+kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war
+und daß sie mit ihrem Kasten würde hierbleiben
+können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten
+wäre sie gleich davongelaufen und hätte
+im Winkel geweint, aber sie bezwang sich und
+lächelte nur und sagte: &bdquo;Du <em>hast</em> ja bisher noch
+gar nicht gefischt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe immer auf dich gewartet,&ldquo; entgegnete
+er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte
+sie mich wohl freigelassen,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, das hätte ich eigentlich tun können,&ldquo;
+entgegnete er, &bdquo;aber ich dachte immer, du hättest
+zu viel zu tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zu tun habe ich wohl genug,&ldquo; war ihre Antwort,
+&bdquo;aber wie man fischt, das sähe ich gar zu
+gerne.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da führte er sie vor die braunen, nach Teer
+riechenden Netze, die über die Stakete gehängt
+waren, und erklärte ihr alles.
+</p>
+
+<p>
+Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor
+lauter Glück hörte sie nichts. Das Schwere, das
+<a id="page-360" class="pagenum" title="360"></a>
+Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet war,
+löste sich auf.
+</p>
+
+<p>
+Nichts war um sie und in ihr als ein milder
+Sommerabend mit braunen Netzen und grünen
+Staketen und vielen Blumen dahinter, und
+Vögelchen, die sie ansangen, und einem Hofhund,
+der sie anwedelte, und einem lieben, guten
+Menschen, der fortan der Ihre war.
+</p>
+
+<p>
+Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist,
+und hätte er ihre Hand gefaßt und wäre mit ihr
+in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im
+geringsten gewundert.
+</p>
+
+<p>
+Daß sie nun auch gemeinsam den Garten
+besuchten, geschah wie von selbst. Er zeigte ihr
+den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie
+zeigte ihm den Ehrenpreis und die Studentennelke,
+und nur an dem Rautenbeet gingen sie
+schweigend vorüber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Zwei Tage später am frühen Morgen sagte
+der Jurris zur Marinke: &bdquo;Die Mutter hat erlaubt,
+daß wir zusammen fischen dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie fragte: &bdquo;Wer wird die Kühe melken?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er erwiderte: &bdquo;Sie wird es selber tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen
+lud, schämte sie sich sehr vor den Blicken, die sie
+auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch nichts
+<a id="page-361" class="pagenum" title="361"></a>
+zu essen mit und sagte zu keinem: &bdquo;Ich geh&rsquo; nun.&ldquo;
+Wie eine Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam.
+</p>
+
+<p>
+Er zog den Handwagen, und sie schob nach.
+Aber zu schieben war eigentlich nichts, denn die
+Räder drehten sich wie von selber.
+</p>
+
+<p>
+Bis zum Haff geht man quer durch die Felder
+mehr als eine halbe Stunde. Zuerst war nichts
+davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er
+morgens wohl auf den Wiesen liegt, dann aber
+brach das blaue Wasser durch, hoch über dem
+Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser
+und Himmel blänkerten in der Ferne die Sandberge
+der Nehrung, anzusehen wie ein Gürtelband
+von weißgelber Seide.
+</p>
+
+<p>
+Marinke dachte: &bdquo;Wie schön wird meine Heimat
+sein!&ldquo; Sie wollte was sagen, aber sie traute
+sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte sich
+nie nach ihr um.
+</p>
+
+<p>
+Und so kamen sie dem Ufer immer näher.
+</p>
+
+<p>
+Dort standen Schuppen errichtet, um die
+Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit der Stürme
+drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter,
+waren sie nicht einmal auf den Strand gezogen
+und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, zwischen
+Grasbank und Röhricht.
+</p>
+
+<p>
+Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit
+haben, war am Ufer zu sehen. Denn
+jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf
+den Feldern zu tun.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-362" class="pagenum" title="362"></a>
+Und Marinke fühlte in beklommener Seele,
+daß auch <em>seine</em> Ausfahrt nur ihr zuliebe geschah.
+</p>
+
+<p>
+Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und
+sie half ihm dabei, obgleich es auch hier nichts zu
+helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren,
+weit draußen im Blauen, wo nur die Ruder
+klatschten und die Kielwellen schälten, da forderte
+er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu
+gehen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie verstand auch gleich, was zu tun war,
+so daß alsbald die &bdquo;Pluden&ldquo; &mdash; das sind die leichten
+Hölzer, die das Netz obenhalten &mdash; in schönem
+Bogen rings um sie herschwammen.
+</p>
+
+<p>
+Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die
+Sonne fing etwas zu stechen an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast kein Tuch,&ldquo; sagte er, &bdquo;du wirst
+Kopfschmerzen kriegen.&ldquo; Und er holte eine Ölkappe
+hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie
+wollte nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr
+Aussehen lachen müssen. Und das sagte sie ihm
+auch.
+</p>
+
+<p>
+Aber da begann er schon im voraus zu lachen
+und rief: &bdquo;Hundertmal reichen nicht, daß ich dich
+in der Ölkappe sehen werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ohne sich zu besinnen, <em>was</em> sie da sagte,
+entgegnete sie: &bdquo;Aber dann werden wir auch
+verheiratet sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Noch wie das Wort kaum heraus war, da
+schämte sie sich schon so sehr, daß sie sich am liebsten
+<a id="page-363" class="pagenum" title="363"></a>
+ins Wasser gestürzt hätte. &bdquo;O Gott, o Gott,&ldquo;
+dachte sie, &bdquo;jetzt wird er mich für dreist und für
+zudringlich halten.&ldquo; Und weil sie fühlte, daß
+sie ganz glutrot geworden war und immer noch
+röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und
+machte sich klein.
+</p>
+
+<p>
+Er &mdash; vom Steuer her &mdash; sagte: &bdquo;Marinke,
+dreh dich doch um.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich
+stieg der Gedanke in ihr auf: &bdquo;Es wird nicht sein
+&mdash; es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich &mdash;
+und ich bin es nicht wert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß
+sie bitterlich zu weinen begann.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stand von seinem Platze auf und
+setzte sich neben sie, so dicht, daß ihr Rücken an
+seine Brust stieß.
+</p>
+
+<p>
+Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich
+nicht wolle, da sonst ja die Heirat kein Grund
+zu solchen Tränen sei.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie weinte nur um so heftiger.
+</p>
+
+<p>
+Da schlang er von hinten her die Arme um
+ihren Hals, so daß ihr Kopf auf seine Schulter
+zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach
+ihm um, damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem
+hellen Tage preiszugeben brauchte, und so lag sie
+an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz still.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach wenn er mich doch küssen möchte!&ldquo;
+dachte sie.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-364" class="pagenum" title="364"></a>
+Aber er küßte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu
+sehen. Viel brachte der Fang nicht. Ein paar
+Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber
+sie kümmerten sich nicht darum, und schließlich
+lachten sie gar darüber.
+</p>
+
+<p>
+Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob
+sie nicht mehr wie in der Frühe, sondern schritt
+an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es
+beim besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen
+gab, legte er seinen freien Arm um ihre Hüfte,
+so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte.
+Und darum gab es des Lachens kein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst,
+und als die künftige Schwiegermutter ihnen das
+Frühstück auftischte, wollte sie es nicht dulden
+und küßte ihr Ärmel und Rocksaum.
+</p>
+
+<p>
+Da sagte die Enskene mit einem freundlichen
+Lächeln: &bdquo;Was ihr gefischt habt, ist ja nicht viel,
+und doch hat mein Jurris einen guten Fang
+gemacht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen
+und ängstlichen Blicken um beide herum, so daß
+auch der Marinke wieder ganz angst ward.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob er was weiß?&ldquo; dachte sie.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß
+sie &bdquo;auf Prob&rsquo;&ldquo; ins Haus kam.
+</p>
+
+<p>
+Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre
+Arbeit.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-4">
+<a id="page-365" class="pagenum" title="365"></a>
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat
+eigentlich nichts mehr auf dem Hofe zu tun, denn
+das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber
+trotzdem sah man ihn morgens und abends.
+Einmal hatte er sich einen Bohrer geborgt, den
+er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm
+die Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich
+kam er ganz ohne Grund, setzte sich neben den
+Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal
+drei Pfeifen aus.
+</p>
+
+<p>
+Daß man den jemals einen &bdquo;Bedraugis&ldquo;
+genannt hatte, war zum Verwundern.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der
+neuen Freundschaft gekommen war, die eigentlich
+schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen,
+aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ
+er es sich gefallen. Der Jozup, den alle für
+störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar
+nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und
+Lieder die Menge, und wenn man die Auflösungen
+seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich
+vor Lachen den Bauch halten.
+</p>
+
+<p>
+Darum kamen auch die beiden Alten häufig
+dazu, und nur die Marinke machte sich ungern
+in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen
+Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn
+kommen und gehen sah mit seinen strammen
+<a id="page-366" class="pagenum" title="366"></a>
+Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel
+er ihr immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit,
+die sie schon in Augustenhof manchmal befallen
+hatte, wenn er auf dem Milchwagen
+vorfuhr, verließ sie auch jetzt nicht.
+</p>
+
+<p>
+Zuweilen dachte sie: &bdquo;Der wird mir gewiß
+einmal ein Leid antun.&ldquo; Aber ein bißchen
+Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer,
+seitdem sie erfahren hatte, wie wenig ein armes
+Mädchen vor ihrem starken Willen vermag.
+</p>
+
+<p>
+Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris
+hinüberzublicken, um zu wissen, wie gut geborgen
+sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah
+kommen können.
+</p>
+
+<p>
+Eines Spätabends beim Weggehen blieb
+der Jozup am Gartenzaun stehen und rief zu
+ihr herein: &bdquo;Du, richt dich mal auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade
+Mohrrüben aus der Erde für morgen Mittag,
+aber sie mußte es doch tun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hältst du dich so weit ab von mir?&ldquo;
+war seine Frage. &bdquo;Ich beiß&rsquo; dich nicht. Ich beiß&rsquo;
+bloß in Rindfleisch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin die Magd hier,&ldquo; gab sie zur Antwort,
+&bdquo;und ich habe zu tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du von Magd sprichst,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;dann lachen die Hühner. Ich weiß am besten,
+wie bald du hier Herrin sein wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du das weißt,&ldquo; entgegnete sie, &bdquo;dann
+<a id="page-367" class="pagenum" title="367"></a>
+wart hübsch, bis ich das Recht hab&rsquo;, mit dir zu
+reden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt
+ist,&ldquo; sagte er, &bdquo;und ich habe auch eine Bestellung
+an dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen.
+&bdquo;Wenn es wieder von Herrn Westphal ist,&ldquo; entgegnete
+sie, &bdquo;dann sag ihm nur, sobald die Reihe
+an uns ist, würde ich kommen &mdash; und früher
+nicht!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber diesmal war es was Anderes.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,&ldquo;
+sagte er. &bdquo;Sie hat gehört, daß du eine
+heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr
+einmal aufzulegen. Bei <em>der</em> Gelegenheit könntest
+du dir gleich unsere Wirtschaft besehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihr wurde ganz heiß von dem allen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer das gesagt hat von meiner Hand,&ldquo;
+entgegnete sie, &bdquo;der erfindet sich Lügen, denn
+ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer
+Wirtschaft zu sehen hätte, das weiß ich noch weniger.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet
+hinunter und sah ihn nicht mehr an.
+</p>
+
+<p>
+Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war,
+als fühle sie seine Blicke auf ihrer Haut; dann
+wünschte er &bdquo;Guten Abend&ldquo; und ging von
+hinnen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Gott, mein Gott!&ldquo; dachte sie. &bdquo;Trachtet
+<a id="page-368" class="pagenum" title="368"></a>
+der auch nach mir?&ldquo; Aber das konnte nicht
+sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum
+Freunde ausgesucht haben?
+</p>
+
+<p>
+Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte
+den Mittelsteg herabkommen, und ihr Herz flog
+ihm entgegen. Sie dachte: &bdquo;Wie kann man
+einen bloß so rasch liebhaben!&ldquo; Aber sie blickte
+nicht auf und beklopfte die Möhren nur um so
+fleißiger.
+</p>
+
+<p>
+Er blieb hinter ihr stehen und sagte: &bdquo;Kannst
+du dir denn gar nicht genug tun? Es ist halbdunkel
+und Schlafenszeit, und du arbeitest noch
+immer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie stand auf und wischte das Schrapmesser
+an ihrer Schürze ab. &bdquo;Du mußt nicht glauben,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;daß ich mich zeigen will vor dir oder
+den Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es
+vielleicht auch bald <em>meine</em> Erde ist, auf der ich
+da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen
+und die Arbeit zum Spiel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Wir haben uns immer noch nicht
+richtig miteinander versprochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagte sie, &bdquo;das haben wir noch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie schickte sich an, den Korb mit den
+Gelbrüben ins Haus zu tragen.
+</p>
+
+<p>
+Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und
+führte sie den Mittelsteg weiter zu dem Eschenbaum,
+unter dem die Bank stand für Mittagsruh&rsquo;
+und für Feierabend.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-369" class="pagenum" title="369"></a>
+Dort unter den hängenden Zweigen war es
+fast Nacht, und wer einen auffinden wollte, den
+sah man schon lang&rsquo; auf dem helleren Stege
+daherkommen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stellte den Korb auf die Erde
+und setzte sich neben sie. Ihre Hand ließ er nicht
+los und nahm auch die andere dazu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?&ldquo;
+begann er das Gespräch. &bdquo;Wenn wir Hochzeit
+machen, möcht&rsquo; er Brautführer sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie
+Angst vor dem Jozup hatte, denn ihr war ja
+nichts Böses von ihm geschehen, und darum
+meinte sie nur: &bdquo;So weit ist es ja noch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Warum nicht? Wenn <em>du</em>
+mich willst, <em>ich</em> will dich. Ich hab&rsquo; dich schon
+immer gewollt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Ich will dich gern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie
+lehnte den Kopf an seine Schulter, und er lehnte
+die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte:
+&bdquo;Warum küßt er mich immer noch nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder
+ihn für linkisch gehalten hätte, aber sie hatte so
+große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie
+auch den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter
+nach hinten, so daß erst ihre Backe auf seiner
+Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem
+Munde lag.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-370" class="pagenum" title="370"></a>
+Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein
+Schaudern und wie ein Schlag. Und wie eine
+ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine
+neue Angst.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann kam um so stärker die Seligkeit.
+Sie wußte nicht mehr, wieviel von ihrer Seele
+und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte
+ihm immer noch mehr von sich schenken und
+immer noch mehr die Seinige sein.
+</p>
+
+<p>
+Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo
+rings ein Geräusch, und es war doch niemand
+den Steg heruntergekommen.
+</p>
+
+<p>
+Darum sprang sie auf und sagte: &bdquo;Komm.
+Es ist nicht mehr sicher hier.&ldquo; Und wünschte ihm
+rasch &bdquo;Gute Nacht&ldquo; und lief stracks nach der Klete,
+wo ihre Kammer gelegen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte,
+es würde nicht lange mehr dauern, dann würde
+er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum
+schnarchte die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte
+er es ruhig auf sich nehmen können.
+</p>
+
+<p>
+Sie horchte und horchte nach der Türklinke
+hin, aber die rührte sich nicht. Statt dessen war
+es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise
+Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus
+und Klete unaufhörlich hin und her liefen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Arme!&ldquo; dachte sie. &bdquo;Er traut sich nicht.
+Ich muß es ihm leichter machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und darum stand sie auf und öffnete sacht
+<a id="page-371" class="pagenum" title="371"></a>
+den oberen Teil der Tür nur eine Handbreit
+weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer
+geriet! Denn als sie den Kopf für einen Augenblick
+durchgesteckt hatte, wurde ihr gleich offenbar,
+daß der, der da draußen im Sommernachtschein
+ruhelos umging, nicht etwa der Jurris,
+sondern sein Vater war, der wider Recht und
+Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht
+zueinanderkam.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß.
+Denn wenn eine Braut, die &bdquo;auf Prob&rsquo;&ldquo; ist,
+sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann
+ziehen sie womöglich in eine Kammer, und
+keiner kümmert sich drum.
+</p>
+
+<p>
+Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten
+Vormittag der Jurris vom Felde kam, um kaltes
+Braunbier zum Trinken zu holen &mdash; denn draußen
+beim Mähen und Binden starben sie alle vor
+Durst &mdash;, da fand er, als er den Rückweg antreten
+wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe
+gönnte, wartend im Hausflur stehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Komm doch mal &rsquo;rein,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stellte den Topf in den Schatten,
+und als er in die Stube trat, was sah er da?
+</p>
+
+<p>
+Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch
+bedeckt. Darauf standen zwei brennende
+Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-372" class="pagenum" title="372"></a>
+Der Alte war barhaupt und hatte die
+Schlorren nicht an und sah furchtsam und
+heimlich aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nimm deine Mütze ab,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen
+war.
+</p>
+
+<p>
+Und der Vater fuhr fort: &bdquo;Als die Marinke
+ins Haus kommen sollte, sagte ich zu dir: kennen
+lernen müssen sich die Menschen, die beieinander
+bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte
+ich von dir das Versprechen, daß du ihr
+nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand
+des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat.
+Und das gabst du mir auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,&ldquo; fiel
+ihm der Jurris ins Wort, &bdquo;wenn die Braut
+einem so dicht nebenbei wohnt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und die Herren vom Gericht wissen es noch
+viel weniger,&ldquo; gab der Vater zur Antwort, &bdquo;denn
+es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von
+Gott eine andere Vernunft bekommen als wir.
+So hat es sich vor etlicher Zeit auf dem Tilsiter
+Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer
+Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite
+vom Pfade der Tugend gewichen war,
+ein Jahr Zuchthaus &mdash; nicht Gefängnis, mein
+Sohn, sondern Zuchthaus &mdash; gekriegt hat, weil
+sein Sohn und die Braut, die auch auf Prob&rsquo;
+war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache
+<a id="page-373" class="pagenum" title="373"></a>
+zusammen geschlafen haben. Er hat geweint
+und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen,
+denn im Herbst sollt&rsquo; ja die Hochzeit sein, und zu
+der Aust könnt&rsquo; man zwei fleißige Händ&rsquo; nicht
+entbehren; aber unbarmherzig, wie die Deutschen
+sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen
+und haben ihn eingesperrt zusammen
+mit Räubern und Mördern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das kann nicht sein!&ldquo; rief der Jurris voll
+Empörung. &bdquo;Das wär&rsquo; ja die schlimmste Gewalttat!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Deutschen nennen&rsquo;s Gerechtigkeit,&ldquo; sagte
+der Vater, &bdquo;und unter einander strafen sie sich
+genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten
+Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen,
+denn Aufpasser gibt es ja überall. Und weil ich
+gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit
+euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst
+und Unglück zu retten: entweder ich schick&rsquo; sie
+solang&rsquo; zu den Eltern zurück &mdash;&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht ja nicht, Vater,&ldquo; rief der Jurris
+entsetzt, &bdquo;das würde aussehen, als wollten wir
+sie nicht haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;&mdash; oder du schwörst mir hier auf das heilige
+Gotteswort, daß du dich ihrem Leibe fernhalten
+wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand,
+selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das kam <a id="corr-8"></a>den Jurris hart an, aber was sollte
+er machen? Und er schwor zwischen den Lichtern,
+<a id="page-374" class="pagenum" title="374"></a>
+die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der
+Vater verlangte. Und daß, wenn er den Eid
+verletze, Gott ihn mit Drangsal und Tod heimsuchen
+wolle, das schwor er auch, genau wie der
+Vater es vorsprach.
+</p>
+
+<p>
+Und dann brachte er das warm gewordene
+Braunbier aufs Feld hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer
+atmend dastand, griff nach dem Krug, als ob er
+ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war,
+als tränke sie Trübsal daraus.
+</p>
+
+<p>
+Nachher zur Mittagspause, als die Mäher
+alle im kargen Schatten zweier Weidenstümpfe
+lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich
+erstaunt nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es
+der Leute wegen geschehe, und darum beruhigte
+sie sich wieder.
+</p>
+
+<p>
+Auch beim Nachhausegang schritt er nicht
+etwa an ihrer Seite, sondern machte sich mit den
+kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren
+lagen.
+</p>
+
+<p>
+Und immer und immer wich er ihr aus, so
+daß sie schließlich ganz krank war.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen.
+Darum zweifelte sie auch nicht an
+seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große
+Sehnsucht nach ihm war es, die sie krank machte.
+</p>
+
+<p>
+So kam der Montagabend heran, an dem
+der Enskyssche Wagen zum ersten Male wieder
+<a id="page-375" class="pagenum" title="375"></a>
+die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu
+bringen hatte. Seit langem war ausgemacht
+worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren
+solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn
+nicht länger entgegenzustehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte
+sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter, denn
+sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und
+nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger
+war, könne schuld daran sein, daß etwas
+nicht stimmte.
+</p>
+
+<p>
+Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer &mdash;
+wenn auch nicht wegen der Bücher.
+</p>
+
+<p>
+Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte
+Bänder durch die Zöpfe und legte ein seidenes
+Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt
+hatte. Und wenn sie daran dachte, daß
+sie nun zwei Stunden lang in der roten Dämmerung
+mit dem Jurris allein durch die Welt fahren
+sollte, so verschwand alles andere, wovor ihr
+wohl bangte.
+</p>
+
+<p>
+Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns
+kam, war der Jurris nirgends zu finden.
+Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen,
+und auch die der anderen Wirte warteten
+sicher schon lange, aber alles Rufen nach ihm
+blieb vergeblich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann wirst du wohl allein fahren müssen,
+mein Täubchen,&ldquo; sagte die Schwiegermutter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-376" class="pagenum" title="376"></a>
+Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und
+viel mehr Tränen weinte sie, als die kleine Fahrt
+wert war.
+</p>
+
+<p>
+Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun
+einmal war, fing er sogleich zu quengeln an.
+&bdquo;Was machst du für ein Wesen?&ldquo; sagte er. &bdquo;Es
+scheint, daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden
+nicht umzugehen verstehst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das kränkte die Marinke natürlich aufs
+tiefste, denn den Litauer oder die Litauerin
+möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre
+Gespielen <a id="corr-9"></a>betrachten. Das Reiten und Fahren
+können sie alle womöglich noch früher, als sie
+das Gehen gelernt haben.
+</p>
+
+<p>
+Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein
+Wort, sondern biß nur die Lippen zusammen,
+stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter.
+</p>
+
+<p>
+Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr
+Mann so häßliche Reden geführt hatte, und deshalb
+ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es
+sich machte, der Marinke was Tröstliches mit auf
+den Weg zu geben.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur
+von weitem konnte sie sehen, daß, als der
+Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz
+ihrer gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse
+stieg und die Marinke abbutschte, wer weiß
+wie sehr.
+</p>
+
+<p>
+Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte:
+<a id="page-377" class="pagenum" title="377"></a>
+&bdquo;Was hat die alte Wölfin ihr Maul an der
+Marinke abzuwischen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder
+zum Vorschein kommen. Er sei auf dem Haff
+gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu
+seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe
+machte und weiter in ihn drang, erwiderte
+er nur noch: &bdquo;Frage den Vater.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber der wußte von gar nichts. Und beide
+Männer gingen zur Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die
+künftige Tochter wieder zu Hause war.
+</p>
+
+<p>
+Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte
+sich unter den Lindenbaum, ließ auch die Lampe
+brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen
+die Mücken.
+</p>
+
+<p>
+Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte
+sie gleichwie ihr Slinka, der alte Kater. Sie
+wartete und wartete, aber die Marinke kam nicht.
+</p>
+
+<p>
+Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen
+Wagen langsam, langsam näher knarren. Die
+Räder mahlten, und die <a id="corr-10"></a>Achsen schlackerten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie wird eingeschlafen sein,&ldquo; dachte sie,
+&bdquo;und die Pferde machen es sich zunutze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit
+großen Augen nach dem Mond hinstarren, und
+dann absteigen ohne &bdquo;Wie geht&rsquo;s?&ldquo; und &bdquo;Guten
+Abend&ldquo;, da wußte sie, sie hatte nicht geschlafen,
+sondern ihr war etwas geschehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-378" class="pagenum" title="378"></a>
+Sie liebkoste sie und sagte: &bdquo;Du bist müde,
+mein Tochterchen, darum iß einen Bissen und
+lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen
+statt deiner.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke ließ es auch zu.
+</p>
+
+<p>
+Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde
+und kaute. Aber es war, als täte sie&rsquo;s nur,
+weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das
+Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß
+sie von Gesicht ganz weiß war, bloß daß unter
+den Augen zwei Flecken brannten.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter umarmte sie und sagte: &bdquo;Gestehe,
+was dir begegnet ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus:
+&bdquo;Es hat nicht gestimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um wieviel hat es nicht gestimmt?&ldquo; fragte
+die Mutter.
+</p>
+
+<p>
+Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte
+dann: &bdquo;Mehr als funfzig Mark sind es,
+die fehlen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lachte die Mutter und sagte: &bdquo;Die schick&rsquo;
+ich noch in der Frühe und lege funfzig als Zinsen
+dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer kochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke entgegnete heftig: &bdquo;Um
+das Geld ist es nicht. Das hat er mir gleich
+geschenkt. Der Verdacht ist es &mdash; die Schande
+ist es, daß der Schweizer nun sagen wird: &sbquo;Eine
+lüderliche Kröt&rsquo; ist vor mir im Amte gewesen.&lsquo;
+Oder er sagt gar noch Schlimmeres.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-379" class="pagenum" title="379"></a>
+Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen
+Sorgen abgab, aber in ihrem Innern
+freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem
+Jurris eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte: &bdquo;Morgen fahr&rsquo; <em>ich</em> mit der
+Milch, und wenn ich deinen Herrn Westphal seh&rsquo;,
+dann sag&rsquo; ich ihm ordentlich die Meinung, weil
+er ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht
+hat. Ja, das werd&rsquo; ich tun und fürcht&rsquo;
+mich nicht im geringsten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst
+ein sehr erschrockenes Gesicht gemacht. Dann
+aber lächelte sie ein weniges, wie man zu Kinderworten
+wohl lächelt. Dem Herrn Westphal
+trat kein Mann und keine Frau mit Vorwürfen
+unter die Augen. Dem nahte man höchstens
+mit einer Bitte im Munde.
+</p>
+
+<p>
+Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn
+weit und breit den &bdquo;Wieszpatis&ldquo;. Das heißt
+auf deutsch &bdquo;König und Herrscher&ldquo;. Und der
+liebe Herrgott heißt auch so.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke
+fast wieder so wie gewöhnlich.
+</p>
+
+<p>
+Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab
+dem Jurris die Hand. Aber warum er sich
+<a id="page-380" class="pagenum" title="380"></a>
+gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht.
+Sie fragte überhaupt nichts mehr, sondern ging
+still an die Arbeit.
+</p>
+
+<p>
+Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken
+herein, und Erbsen und Gerste nicht minder.
+Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind.
+Keine Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes
+und nichts Enthülstes.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Laumen meinen es gut mit uns,&ldquo;
+sagte die Mutter, &bdquo;seit das Kind bei uns
+wohnt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Vater sagte: &bdquo;Wenn nur nicht &mdash;&ldquo;
+Aber das weitere verschwieg er.
+</p>
+
+<p>
+Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde
+es nie mehr so, wie es gewesen war. Sie gingen
+wohl freundlich nebeneinander her und sprachen
+auch, was der Augenblick brachte, aber zusammen
+allein zu sein, das suchte der eine nicht und auch
+nicht der andere.
+</p>
+
+<p>
+Und jeder grämte sich auf seine Art.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte,
+dann hing sie mit fragenden und ängstlichen
+Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging
+um sie &rsquo;rum wie ein Dieb und scheute sich, sie
+zu berühren.
+</p>
+
+<p>
+Auch von der kommenden Hochzeit war nie
+mehr die Rede. Höchstens daß die Mutter einmal
+von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte,
+was das Elternhaus ihr wohl mitgab.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-381" class="pagenum" title="381"></a>
+Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend
+nahte, dann war er da. Und beide
+Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten
+oder aßen unreife Äpfel.
+</p>
+
+<p>
+Einmal, als die Marinke das Rindvieh von
+der Weide heimtrieb, tauchte der Jozup neben
+ihr auf und begann ein Gespräch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast du auch schon den Schwiegereltern
+das Stück Brautleinwand geschenkt,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;und Rautenblüte hineingelegt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum sollt&rsquo; ich das?&ldquo; fragte sie. &bdquo;Ich
+bin die Magd hier und sonst nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das hast du mir schon einmal gesagt,&ldquo; erwiderte
+er. &bdquo;Es ist Zeit, daß du freundlicher
+zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir
+die Hochzeitsgäste zusammenzubitten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von keiner Hochzeit,&ldquo; erwiderte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er stieß ein Gelächter aus. &bdquo;Aber im Leibe
+sitzt sie uns schon, als hätten wir Tollwasser gesoffen.
+Ich lieg&rsquo; bis zum Morgen und denk&rsquo; an
+die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß
+der Brautführer sein. Vom Jurris red&rsquo; ich nicht,
+der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran denkt,
+die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du,
+mein Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach
+aus, als ob dir sehr davor graute, über ein
+Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es
+nicht, der ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt
+er sich einen Vertreter.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-382" class="pagenum" title="382"></a>
+Der Weg war schmal, darum mußte sie das
+lästerliche Gerede anhören, und als sie es ihm
+gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der
+Gedanke: &bdquo;Vielleicht weiß er mehr von mir,
+als mir gut ist; sonst könnte er gar nicht so dreist
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß
+sie nur den Kopf senkte und ihn reden ließ, was
+er wollte.
+</p>
+
+<p>
+Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl
+sie innerlich wünschte, er möchte ihn mit der
+Peitsche vom Hof hinunterjagen.
+</p>
+
+<p>
+Und bald darauf kamen Tage voll neuer
+Herzensangst. Die drückten noch härter als alles,
+was vordem gewesen war.
+</p>
+
+<p>
+Sie lief von der Arbeit weg und versteckte
+sich in der Scheune, um in den Garben nach
+Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher,
+ob nicht irgendwo ein Sadebaum sich über
+den Zaun hinstreckte, und ihre Füße waren verbrüht
+von kochendem Wasser.
+</p>
+
+<p>
+Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber
+bei Tage machte sie freundliche Augen. Mit
+denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter
+täuschte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die legte eines Tages die Arme um ihren
+Hals und sagte: &bdquo;Mein Täubchen, du bist nun
+bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe
+dich wohl geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem
+<a id="page-383" class="pagenum" title="383"></a>
+Jurris nichts Besseres wünsche als dich, so weißt
+du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten
+spielen die Männer oft so schlimme Streiche,
+daß wir ins Unglück kommen und wissen nicht
+wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen,
+nimm deinen Mut zusammen und suche gutzumachen,
+was sich noch gutmachen läßt. Auf
+etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur
+muß man den Knaben liebhaben, wenn man
+ihn täuscht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte,
+vermochte Marinke nicht zu ergründen, aber gute
+Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie
+auf, in Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann
+darüber nach, wie sie dem Jurris wieder nahkommen
+könne. Leicht war das nicht, denn in
+den Garten ging er zum Feierabend nie mehr,
+und nie mehr wollte er einen Gang mit ihr
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde,
+hörte sie, wie er zum Alten sagte: &bdquo;Ich
+bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen,
+ich muß einmal nach dem Kahn und dem Schuppen
+sehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher,
+so hätte er jetzt zu ihr gesagt: &bdquo;Komm mit!&ldquo;
+und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen.
+Aber statt dessen schlich er sich um die
+Scheune herum und kroch durch die Zäune und
+<a id="page-384" class="pagenum" title="384"></a>
+blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand
+bemerke.
+</p>
+
+<p>
+Da sagte sie sich: &bdquo;Ich tu&rsquo;s.&ldquo; Und ging ihm
+nach. Aber sie ließ eine weite Entfernung, so
+daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen
+konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen
+Rückweg genommen.
+</p>
+
+<p>
+Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war,
+setzte sie sich auf den Grabenrand und wartete.
+</p>
+
+<p>
+Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie
+sangen die Heimchen.
+</p>
+
+<p>
+Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen
+Gedanken im Kopfe hinter ihm herlief. Wäre
+es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen,
+so hätte sie sich kein Gewissen gemacht,
+aber nun die Not sie zwang, kam sie sich als eine
+Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre
+Liebe zu ihm nur noch größer und reiner war.
+Aber es hätte ihr keiner geglaubt. Und auch sie
+selber glaubte es kaum.
+</p>
+
+<p>
+So verging eine geraume Zeit, da hörte sie
+seine Schritte näherkommen. Beinahe wäre
+sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr,
+daß sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden
+konnte.
+</p>
+
+<p>
+Er blieb vor ihr stehen und fragte: &bdquo;Wer ist
+da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie fragte: &bdquo;Wie kommst <em>du</em> hierher?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da erkannte er sie und sagte: &bdquo;Es wird dir
+<a id="page-385" class="pagenum" title="385"></a>
+zwar keiner was tun, aber Sitte ist es nicht, daß
+die Mädchen am Sonntagabend allein in den
+Wiesen herumlaufen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie erwiderte: &bdquo;Was soll ich machen? Eine
+Freundin habe ich nicht, und der, der sich um
+mich kümmern sollte, der unterläßt es.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fragte: &bdquo;Meinst du mich?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Nein, ich meine den
+Jozup.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da setzte er sich neben sie und sagte: &bdquo;Du hast
+Recht, Marinke, daß du mir Vorwürfe machst.
+Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt,
+aber was sollte ich tun? Der Vater verlangt es
+so und hat mir einen schweren Eid abgenommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie zuckte die Achseln und sagte: &bdquo;Was ist
+ein Eid? Für dich schwör&rsquo; ich fünftausend, und
+wenn sie zufällig falsch sind, dann lach&rsquo; ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Dies war kein gewöhnlicher
+Eid, wie man ihn etwa vor Gericht schwört.
+Der ging um <em>meinen</em> Tod und um <em>deinen</em>
+Tod, und zwei Lichter brannten rechts und links
+vom Gesangbuch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagte: &bdquo;Dein Vater könnte auch was
+Besseres tun, als zwei Liebesleute zu ängstigen.&ldquo;
+Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen
+war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof
+vor ihr versteckt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Ja&ldquo;, und sie legte den Kopf auf
+seine Kniee und schluchzte. Sie dachte nicht mehr
+<a id="page-386" class="pagenum" title="386"></a>
+an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen
+wollte sie sich.
+</p>
+
+<p>
+Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder
+in die Höhe zu kriegen, und dann küßte er ihr
+die Tränen von den Backen und weinte mit ihr.
+</p>
+
+<p>
+Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte:
+&bdquo;Ich taug&rsquo; ja nichts mehr,&ldquo; aber sie war so glücklich,
+wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut
+dazu nicht fand.
+</p>
+
+<p>
+Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm
+um des anderen Hüfte gelegt, und der Jurris
+sagte: &bdquo;Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir,
+denn ich weiß, es <em>kann</em> nichts Böses geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab ihr einen Stich durch die Brust,
+denn es <em>mußte</em> ja was Böses geschehen.
+Heut&rsquo; oder nächstens. Und ob es auf Tod oder
+Leben ging &mdash; gleichviel.
+</p>
+
+<p>
+Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche
+zu ziehen. Diesmal aber tat sie&rsquo;s mit guter
+Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und
+wieder und merkte mit Freuden, daß er schwindlig
+wurde und wankte.
+</p>
+
+<p>
+Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon
+dunkel und still.
+</p>
+
+<p>
+Er konnte sich nicht von ihr trennen, und
+sie dachte bereits, er würde bitten, ihn mit sich
+zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da
+riß er sich los und floh ins Haus, als säße der
+Böse ihm auf den Hacken.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-387" class="pagenum" title="387"></a>
+Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie
+schon manche Nacht gekniet hatte. Und betete
+und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die
+Klinke sich nicht bewegte.
+</p>
+
+<p>
+Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst
+wenn die sie hörte, was tat ihr das noch?
+</p>
+
+<p>
+Und dann stand sie auf. Und da er noch
+immer nicht kam, trat sie den schweren Gang
+an nach seiner Kammer.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-7">
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf
+kam der Jurris zu dem Alten in die Stube
+und sagte: &bdquo;Ich möchte dich in Gehorsam bitten,
+Vater, daß die Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden
+kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er
+las, und sagte: &bdquo;Du hast wohl deinen Eid gebrochen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jurris erwiderte: &bdquo;Ja, ich habe
+meinen Eid gebrochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da geriet der Alte in großen Zorn und rief:
+&bdquo;Dafür strafe dich Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris senkte den Kopf und sagte: &bdquo;Gott
+wird mir vielleicht vergeben, denn es war gar
+zu schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte aber schrie: &bdquo;Nein, Gott wird dir
+<em>nicht</em> vergeben. Ebenso wenig, wie <em>ich</em> dir vergebe,
+<a id="page-388" class="pagenum" title="388"></a>
+daß du mich in so große Ungelegenheit gebracht
+hast.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er lief auf seinen Schlorren umher wie
+ein Rasender.
+</p>
+
+<p>
+Nach einer Weile sagte er weiter: &bdquo;Natürlich
+muß die Hochzeit früher stattfinden. So
+früh als möglich muß sie stattfinden, damit
+nicht vielleicht hinterher ein Stein auf mich
+geworfen wird. Aber das sage ich dir:
+Kummer und Drangsal werden mit euch zu
+Tische sitzen, und der Tod wird hinter euch
+stehen, weil du den Willen Gottes so wenig
+geachtet hast, und den Willen deines Vaters
+noch weniger.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach
+mit keinem ein Wort, nur daß er zur Marinke,
+die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte:
+&bdquo;Er hat es erlaubt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und alsbald erhob sich im Hause ein großes
+Rumoren, denn die Vorbereitungen zur Hochzeit
+sollten sogleich beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt
+sowohl wie beim Pfarrer, und der Jozup erschien
+am hellen Vormittag auf einem mit Bändern
+geschmückten Pferde und selber mit Bändern
+geschmückt an Achseln und Hutrand. Dem reichte
+die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel
+von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu
+laden waren.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-389" class="pagenum" title="389"></a>
+Und die Marinke wurde geschickt, ihm den
+Festtrunk zu zapfen.
+</p>
+
+<p>
+Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er
+es so gierig mit seinen Händen, daß sie die ihren
+nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest und
+sagte: &bdquo;Wenn ich nun losreite, dann mußt du
+mit und kommst nicht mehr frei bis ans Ende
+der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte erschrocken: &bdquo;Dann wärst du
+ein schlechter Hochzeitsbitter.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er trank und sprengte lachend davon, sie
+aber fühlte seine Hände brennen bis gegen
+Abend.
+</p>
+
+<p>
+Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr
+und des ersten Pflügens, aber beides mußte
+hintangestellt werden, weil es im Hause soviel
+zu tun gab.
+</p>
+
+<p>
+Und die Leute im Dorf wunderten sich und
+sagten: &bdquo;Die Marinke ist doch erst so kurze Zeit
+hier; sollten die beiden schon vorher miteinander
+gekramt haben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen
+erfuhr, daß er gerade das Gegenteil davon erreichte,
+was seine Absicht gewesen war; er hätte
+sich sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert.
+Der Jurris aber erfuhr&rsquo;s. Dem steckte
+es der Jozup nur allzubald.
+</p>
+
+<p>
+Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war,
+so grämte er sich doch immer noch mehr und
+<a id="page-390" class="pagenum" title="390"></a>
+dachte in seinem Herzen: &bdquo;Sollte so das Unglück
+bereits beginnen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf
+immer neue Kohlen ins Feuer.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hingegen tröstete ihn und
+sagte: &bdquo;Wenn zweie sich liebhaben, für die
+gibt es kein Unglück und kein Verschulden,
+denen steht Gott zur Seite und nimmt den
+Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn
+sie ihn heimlich im Arm hielt, vergaß sie alles,
+auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt
+hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und
+Töpfe und Eimer und Garben und was sie zu
+fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre
+dankbaren Hände.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris aber hielt&rsquo;s mit dem Müßiggang.
+Sie mochte ihm noch so viel zureden, seine Arbeit
+wurde nur halb getan, und wäre nicht glücklicherweise
+ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer
+weiß, ob der Hafer nicht ins Faulen gekommen
+wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf dem
+Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der
+Landwirtschaft hat, ans Fischen nur denken
+kann, machte er sich morgens und abends draußen
+zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam
+er naß bis auf die Knochen vom Ufer nach Hause.
+<a id="page-391" class="pagenum" title="391"></a>
+Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das
+Draußensein kam es ihm an.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke küßte ihm beide Hände und
+sagte: &bdquo;Jurris, Jurris, es tut dir ja keiner was.&ldquo;
+Aber auch das half nicht viel.
+</p>
+
+<p>
+Eines Morgens wehte stark der &bdquo;Aulaukis&ldquo;,
+der Südwest, den die Fischer nicht mögen, besonders
+wenn Regen als Zugabe kommt.
+</p>
+
+<p>
+Als die Marinke hinaussah, dachte sie: &bdquo;Nun,
+heute wird er wohl nicht gefahren sein,&ldquo; aber
+wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder
+im Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris.
+</p>
+
+<p>
+Die Vormittagsstunden vergingen, und sie
+dachte: &bdquo;Um Gottes willen, wo bleibt der
+Jurris?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und als er zum Mittagbrot noch nicht da
+war und auch die Mutter das Fürchten bekam,
+da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von
+der Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem
+Strande zu.
+</p>
+
+<p>
+Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte
+sie: das war kein Wind mehr, das war ein
+Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken.
+</p>
+
+<p>
+Die Tür des Schuppens schlug auf und zu,
+und der Handkahn war weg.
+</p>
+
+<p>
+Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen,
+denn die Regenwolken strichen ganz niedrig darüber
+hin, aber die Strandwellen gingen so hoch,
+als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah
+<a id="page-392" class="pagenum" title="392"></a>
+kam, und das Rohr schrie, als hätte es eine Menschenstimme
+bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben,
+so weit, daß die Wellen sie nicht erreichen
+konnten, und die Marinke dachte bei sich:
+&bdquo;Jetzt muß ich hinausfahren &mdash; muß ihm entgegenfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser
+herangebracht hatte, dann schlugen die Wellen
+ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben
+lag.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft
+war und daß sie davon nur den Tod haben würde.
+</p>
+
+<p>
+Und sie warf sich im nassen Sande auf die
+Kniee, wie sie es jüngst vor ihrem Bette oft getan
+hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen.
+</p>
+
+<p>
+Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken
+gekrochen, und keine Menschenstimme rief: &bdquo;Da
+bin ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, <em>eine</em> Menschenstimme war da. Ganz
+plötzlich schallte sie ihr in die Ohren und sagte:
+&bdquo;Was machst du?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und diese Stimme gehörte dem Jozup.
+</p>
+
+<p>
+Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf
+dem Herzen gehabt hatte, und hob die gefalteten
+Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte
+mit ihr hinausfahren. Für sie allein sei es zu
+schwer. Aber zusammen würden sie ihn schon
+finden.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-393" class="pagenum" title="393"></a>
+Der Jozup fragte: &bdquo;Seit wann ist er fort?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Seit in der Frühe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lachte er bloß und sagte: &bdquo;Dann ist er
+längst wieder an Land und sitzt verschlagen wer
+weiß wo.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr
+fort: &bdquo;Denkst du denn, daß Menschen sich acht
+Stunden lang in so &rsquo;nem Wetter draußen herumtreiben
+können? Oder sich erst den Platz aussuchen
+zum Landen? Da ist es jedem egal, wo
+ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber
+komm ins Trockene, denn dir klappern ja alle
+Glieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er führte sie in den Schuppen und schlug
+die Tür hinter sich zu, so daß sie fortan im Halbdunkel
+waren.
+</p>
+
+<p>
+An den Wänden hingen die Netze, und über
+das Heu, das im Winkel lag, war der Mantel des
+Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters
+versteckt, wenn alle ihn suchten.
+</p>
+
+<p>
+Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten
+Fingern und küßte den Saum und
+sagte: &bdquo;Komm doch wieder! Komm doch wieder!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie
+hatte schon all ihre Tränen verschüttet.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup stand daneben und biß sich die
+Lippen. Und dann sagte er: &bdquo;<em>Warum</em> soll er
+eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug
+da, die bloß auf dich warten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-394" class="pagenum" title="394"></a>
+Da drehte sie sich um und spie nach ihm.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum speist du mich an,&ldquo; sagte er, &bdquo;da ich
+doch einstmals dein Mann sein werde?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte: &bdquo;Laß mich hinaus. Ich habe
+schon lange gewußt, was du für einer bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er drückte sie auf den Mantel zurück,
+und indem er ihre Hände hielt wie in Klammern
+geschroben, sagte er folgendes: &bdquo;Du betest da
+immerzu, er möchte doch wiederkommen, aber
+wenn ich jetzt als sein Freund mein Gebet mit
+dem deinen vereinigen wollte, dann würde es
+lauten: er soll <em>nicht</em> wiederkommen. Und er
+<em>wird</em> auch nicht wiederkommen. Wenigstens
+als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du
+schon mir, und das will ich dir gleich beweisen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie rang mit ihm und schrie: &bdquo;Vergreife dich
+nicht an mir, denn ich trage ein Kind von ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er lachte sie aus: &bdquo;Du willst ein Kind
+von ihm tragen? Hat er mir doch oft genug von
+dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen
+müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide!
+Ich aber kehr&rsquo; mich an nichts und will tausend
+Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie rang weiter mit ihm und schrie: &bdquo;Ich
+trage ein Kind von ihm!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagte mitten im Ringen: &bdquo;Wenn es
+die Wahrheit wäre, daß du ein Kind trägst, dann
+ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen,
+von wem es ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-395" class="pagenum" title="395"></a>
+Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei,
+und sie fiel hintenüber und wußte von nichts
+mehr.
+</p>
+
+<p>
+Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür
+offen, und niemand war da außer ihr.
+</p>
+
+<p>
+Unter ihr lag noch immer der Mantel des
+Jurris. Den streichelte sie von neuem und küßte
+den Saum, aber sie dachte dabei: &bdquo;Mir ist
+ganz recht geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte
+wiederkommen. Hätte sie ein Gebet gehabt,
+so würde es gelautet haben wie das von dem
+Jozup: &bdquo;Er soll <em>nicht</em> wiederkommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ohne Mut und so voll Scham war ihre
+Seele.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-8">
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Im nächsten Frühling bekam die Marinke
+einen Knaben. Der sollte einmal die Enskyssche
+Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft
+war keiner als Erbe da.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben
+und durfte um den Ertrunkenen trauern,
+als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und
+niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn
+die Hochzeit war ja bestellt gewesen. &mdash; Bloß
+daß nun ein Begräbnis daraus wurde.
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter
+geworden wäre, ehrte sie wie ihres
+<a id="page-396" class="pagenum" title="396"></a>
+Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war
+immer gut zu ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes
+willen, den er von ihr erwartete.
+</p>
+
+<p>
+Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr,
+denn er fühlte sich durch den Eid, den er dem
+Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert
+auch über dessen Tod hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup war während des ganzen Winters
+nur dann im Hause zu sehen gewesen, wenn er
+die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl
+gehütet, ihm zu begegnen.
+</p>
+
+<p>
+Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade
+vom Melken, da stand er breit in der Stalltür.
+Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd.
+Um derentwillen mußte sie tun, als ob nichts
+vorgefallen war.
+</p>
+
+<p>
+Er bot ihr die Hand und sagte: &bdquo;Ich halte
+mich fern von dir, aber wenn die Zeit gekommen
+ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber,
+denn daß sie ihm verfallen war, daran
+zweifelte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken
+gewöhnt, daß sie die alte Wilkene, die das Haus
+bisweilen besuchte, bereits als zukünftige Schwiegermutter
+betrachtete.
+</p>
+
+<p>
+Aber freundlich war die durchaus nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie an ihrem klappernden Stock über
+den Hof gehumpelt kam, gab es der Marinke
+<a id="page-397" class="pagenum" title="397"></a>
+stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte
+in ihrem Innern: &bdquo;Bin ich erst in dem Wolfsnest
+drin, dann werde auch ich das Hemd auf den
+Schultern mit meinen Tränen waschen.&ldquo; Denn
+so heißt es in dem alten Liede.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich
+nach der Entbindung ins Elternhaus zurückzubegeben;
+aber wie man sie aufnehmen würde,
+wenn sie mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft
+bat, daran gab&rsquo;s nicht den mindesten
+Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens
+gewesen. Der Jozup hätte sie auch von dorther
+geholt.
+</p>
+
+<p>
+So neigte sie sich also in Demut vor dem
+kommenden Schicksal, und nur die bösen Augen
+der Alten machten ihr Angst.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: &bdquo;Was
+will die alte Wölfin immer von dir? Du willst
+ja nichts von ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber was der Jozup wollte, davon ahnte
+sie nichts.
+</p>
+
+<p>
+Und eines späteren Tages &mdash; der kleine
+Jurris mochte acht Wochen gewesen sein &mdash; da
+kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter
+Stunde und setzte sich neben die Wiege, die
+gerade ohne Aufsicht neben der Haustür
+stand.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr,
+denn beim ersten Blicke hatte sie den Mann, der
+<a id="page-398" class="pagenum" title="398"></a>
+sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar
+nicht erkannt.
+</p>
+
+<p>
+Er richtete sich auf und sagte: &bdquo;Der Tote
+ist mein Freund gewesen, und ich habe sein Kind
+bis heute noch nicht gesehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter sagte: &bdquo;So sieh es dir
+ordentlich an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte
+sogleich: &bdquo;Habt ihr auch schon daran gedacht,
+ihm einen Vater zu geben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sein Vater liegt im Grabe,&ldquo; sagte die Enskene,
+&bdquo;und einen anderen braucht es nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch
+ein Wort mitzusprechen haben,&ldquo; entgegnete er,
+&bdquo;oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als
+Magd bei euch behalten könnt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Kind in der Wiege,&ldquo; sagte sie, &bdquo;wird
+künftig einmal Herr auf diesem Hofe sein, und
+die du meinst, halt&rsquo; ich wie meine Tochter. Im
+übrigen glaube ich nicht, daß dich dies alles was
+angeht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dies geht mich nur insoweit was an,&ldquo; erwiderte
+er, &bdquo;als die Marinke demnächst meine
+Frau werden soll.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig
+Macht ihr über die einstige Braut ihres Sohnes
+gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen,
+und darum sagte sie: &bdquo;Deine Werbung ist mir
+so willkommen, daß ich Lust hätte, meinen
+<a id="page-399" class="pagenum" title="399"></a>
+Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe
+weist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich <em>habe</em> gar nicht geworben,&ldquo; entgegnete
+er, &bdquo;denn ihr Vater wohnt ja wo anders.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber
+und weinte.
+</p>
+
+<p>
+Und er wartete schweigend, bis die Marinke
+vom Felde kam.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter ging ihr entgegen und sagte:
+&bdquo;Schick ihn fort, so daß er nie wiederkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken,
+wünschte ihm kaum &bdquo;Guten Tag&ldquo; und nahm
+dann das Kind aus der Wiege, um es zu
+stillen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da hast du ja ein schönes Kind,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;und ich will hinfort sein Vater sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie neigte den Kopf und entgegnete leise:
+&bdquo;Kannst du nicht wenigstens warten, bis die
+Trauerzeit um ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da rang die Mutter die Hände und schrie:
+&bdquo;Du ermunterst ihn ja!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste
+auf und reichte dem Kinde die Brust.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Pfleg es mir gut,&ldquo; sagte er mit einem Lachen
+und schritt nach dem Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an gab es trübe Tage im Hause.
+Die Mutter weinte, der Alte schalt, und beide
+verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier hast du&rsquo;s wie eine Prinzessin, aber
+<a id="page-400" class="pagenum" title="400"></a>
+dort in dem Wolfsnest werden die Wölfe dich
+fressen mit Haut und mit Haar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ging das Lied immerzu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen,
+daß das Kind dem Jurris sein Kind ist?
+Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich anglupt,
+als schlepptest du ein ganzes Gehetz von
+Bankerts mit dir herum.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ging eine andere Weise.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke sagte nur immer: &bdquo;Habt Geduld,
+bis die Trauerzeit um ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr
+zum Rechtsanwalt zweimal in der Woche, denn
+er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten.
+</p>
+
+<p>
+Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt
+hatte und sein Grab von frischen Blumen
+noch voll war, erschien der Jozup von neuem
+auf dem Hofe.
+</p>
+
+<p>
+Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt,
+daß er die Marinke allein sprach.
+</p>
+
+<p>
+Sie kam mit einem Wäschekorb von der
+Bleiche und lief ihm gerade in die Arme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,&ldquo;
+sagte er, &bdquo;und Geduld bewiesen ein
+Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum
+frage ich dich: Wann wirst du mir das Jawort
+geben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen
+könne, aber niemand war weit und breit.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-401" class="pagenum" title="401"></a>
+&bdquo;Deine Mutter ist mir böse gesinnt,&ldquo; sagte sie.
+&bdquo;Und du wirst zu ihr stehen gegen mich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Mutter ist dir böse gesinnt,&ldquo; entgegnete
+er, &bdquo;weil sie sich ärgert, daß du ein
+fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß
+es mein eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst
+würde sie&rsquo;s ausschreien bis hinter Prökuls.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es <em>ist</em> auch nicht dein eigenes!&ldquo; rief sie.
+&bdquo;Das weißt du, und wenn du es nicht weißt,
+dann schwör&rsquo; ich es dir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er lachte sie aus. &bdquo;Der gute Jurris
+ist tot,&ldquo; sagte er. &bdquo;Darum will ich so tun, als
+hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde
+zu ihr stehn gegen dich, dann kennst du mich
+falsch. Ich bin nach dir ausgewesen wie ein
+Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die
+erste Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit
+meiner Mutter die Sache beredet bei Tag und
+bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind
+fixer gewesen als ich. Ich hab&rsquo; ihnen den Hof
+anzünden wollen über dem Kopf, &mdash; ich habe
+den Jurris &mdash; na, nun ist egal, was ich wollte
+mit deinem Jurris. Aber hast du dir nie gedacht,
+warum ich da saß Abend für Abend neben ihm
+auf der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein
+Augenschmeißer bin und weiter sonst nichts?
+Ich hab&rsquo; kein Wort von meinem Zustand zu dir
+geredet, denn schaliges Bier lieb&rsquo; ich nicht, und
+den Bettler beißen die Hunde. Aber das hättest
+<a id="page-402" class="pagenum" title="402"></a>
+du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden
+kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch
+nicht den Finger heben gegen dich. <em>Ich</em> sollte zur
+Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was
+dachtest du von mir?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male,
+daß sie ihm recht in die Augen sah. Und es war,
+als spritze Feuer daraus, und es war, als sei
+eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene
+Wege.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte
+seinem Willen doch nicht entweichen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Eltern werden es nicht zugeben,&ldquo; sagte
+sie, um doch etwas zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Welche Eltern? Deine oder dem Jurris
+seine?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine sind froh, wenn sie mich los sind,&ldquo;
+entgegnete sie, &bdquo;aber diese hier lassen mich nicht
+mehr weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die
+Krähe vom Neste, und um zwei solche Grasmücken
+sollt&rsquo; ich mich kümmern?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie haben das Kind zum Erben bestimmt.
+So ein Glück kommt nicht wieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben,
+wenn ich das will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier geht es nicht nach deinem Willen, das
+weißt du sehr gut. Denn eigene Kinder kommen
+zuerst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-403" class="pagenum" title="403"></a>
+Der Jozup war rasch von Begriffen. Er
+sah gleich ein: wenn er nicht drohte, kam er zu
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, gut,&ldquo; sagte er, &bdquo;dann muß ich doch wohl
+meiner Mutter erzählen, was zwischen uns passiert
+ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein
+Kahn koppheister schoß. Was weiter geschieht,
+dafür wird <em>sie</em> dann schon sorgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach
+und Beschmutzung. Und auch des Jurris&rsquo; Andenken
+würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit.
+Darum wurde sie stark in ihrer Schwäche und
+sagte: &bdquo;Ein Eid gilt dir nichts,&ldquo; &mdash; daß er auch
+ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte
+sie nicht &mdash; &bdquo;und so schwör&rsquo; ich erst gar nicht.
+Aber was ich jetzt sage, das ist so wahr, wie
+daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du
+mich heiraten willst, so werd&rsquo; ich nicht widerstehen
+und werd&rsquo; auch das Kind bei mir behalten,
+bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es
+zu denen zurück, die es beerben wird. Sagst
+du aber deiner Mutter oder sonst einem auf der
+Welt, was du mir angetan hast, dann nehm&rsquo; ich
+mir am selbigen Tage den ersten besten Kahn
+von denen, die am Ufer stehen, und fahre hinaus
+und komme nicht anders wieder, als einstmals
+der Jurris kam. Nun weißt du&rsquo;s.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt
+an ihm vorüber dem Hofraum zu.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-404" class="pagenum" title="404"></a>
+Er aber hatte seinen Willen. Und was heute
+noch daran fehlte, das mußte die Zukunft ihm
+bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner
+Gewalt war.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Vormittag kam die Alte auf
+Freischaft.
+</p>
+
+<p>
+Sie sah noch böser, noch verdrossener aus,
+und als sie die Marinke küßte, war&rsquo;s ihr, als gösse
+der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie widerstand nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mochte die gute Mutter ihr auch weinend
+Rücken und Hände streicheln, mochte der gnitschige
+Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen
+versprechen, &mdash; sie blieb fest. Und auch was mit
+dem Kinde werden sollte, bestimmte sie nach
+ihrem Willen.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys hatte schon alles besorgt,
+was nötig war, um den Enkel an eigener Kindesstatt
+anzunehmen, aber das durfte nun erst in
+Kraft treten, wenn Marinkes Leib von neuem
+gesegnet war. Bis dahin sollte der Kleine bei
+seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die
+Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat.
+</p>
+
+<p>
+So wurde es festgemacht, und niemand sagte
+mehr Nein.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest
+gefeiert. Die alten Enskys hatten sie
+<a id="page-405" class="pagenum" title="405"></a>
+ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke
+ihres Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer
+einen Stein auf ihre Sittsamkeit hatte werfen
+wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und
+nur die alte Wölfin grollte und kicherte höhnisch
+in sich hinein.
+</p>
+
+<p>
+Am Morgen des ersten Tages &mdash; lange vor
+Sonnenaufgang &mdash; war Marinke auf den Kirchhof
+gegangen, um von dem Grabe des Jurris
+Abschied zu nehmen, denn daß ihre Gänge hierher
+von nun an nicht gern gesehen sein würden,
+das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich
+für das schwere Leben, das vor ihr lag. Auch
+bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie
+ihm im geheimen angetan hatte und wodurch
+er auch schließlich zu Tode gekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl
+nichts wie eine große Buße sein würde, und
+die nahm sie auf sich mit Freuden.
+</p>
+
+<p>
+Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern
+angefahren. Auch die zwei erwachsenen Brüder
+fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Obgleich alle vier sie oftmals herzten und
+küßten, erschienen sie ihr nur wie weitläufige
+Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren
+kaum noch gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst
+von hinnen getrieben hatte, schämte sich ein
+<a id="page-406" class="pagenum" title="406"></a>
+wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause ausgerichtet
+worden war, und erzählte jedem, mit
+dem sie bekannt wurde, es wäre nur der weiten
+Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem,
+weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams
+durchaus darauf bestanden hätten, das Fest an
+Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder
+vier sonstige Gründe führte sie an.
+</p>
+
+<p>
+Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht
+und trug den Beutel mit den vielen
+Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei
+jeder Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber,
+und man erkannte wohl, daß er keinen anderen
+Willen besaß als den, den sie ihm eingab.
+</p>
+
+<p>
+Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke
+in diesem Hause wie eine Tochter geehrt wurde
+und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals
+hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat
+sie an sie heran, umarmte sie und sagte, so laut,
+daß die Enskene es hörte: &bdquo;Du wirst hoffentlich
+dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in
+deinem Elternhause eine Zuflucht hast und keine
+Fremden brauchst, dich zu beschützen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene erwiderte darauf: &bdquo;Ebenso
+wirst du hoffentlich dessen gedenk sein, meine
+Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede
+gedemütigt wurde, schwieg sie ganz still,
+denn sie hatte erreicht, was sie wollte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-407" class="pagenum" title="407"></a>
+Das Kind begehrte keiner von der Familie
+zu sehen, und es wurde ihnen auch nicht gezeigt.
+</p>
+
+<p>
+In der Kirche sah die Marinke den Jozup
+an diesem Tage zum ersten Male, denn es war
+damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut
+und Bräutigam &mdash; jeder mit seinem Anhang &mdash;
+gesondert zur Kirche fahren und nicht früher
+zueinandertreten, als bis der fromme Gesang
+zu Ende ist und der Pfarrer vor dem Altare steht,
+den Segen über sie zu sprechen.
+</p>
+
+<p>
+Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste,
+und die auf der linken, die zu dem Bräutigam
+gehörten, sahen feindlich herüber.
+</p>
+
+<p>
+Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil
+die Marinke keinen Rautenkranz trug, sondern
+bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte,
+das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte.
+</p>
+
+<p>
+Und das kam daher, daß sie eine Entweihte
+war, wie die alte Wölfin jedem zuraunte, der
+es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte,
+bis die Verachtung so in ihm wach wurde.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup sah und hörte nichts von dem
+allen. Er starrte bloß immer mit einem wilden
+und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke
+herüber, als wollte er ihr zurufen: &bdquo;Hab&rsquo;
+ich dich endlich?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als
+müßte sie ihm erwidern: &bdquo;Ja, nun hast du mich
+ganz.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-408" class="pagenum" title="408"></a>
+Und als der Pfarrer hernach das Jawort
+von ihr verlangte, sprach sie es so hell und deutlich,
+als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer
+Seite gestanden.
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch
+sie gedachte dessen, der in der Erde lag.
+</p>
+
+<p>
+Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut
+und Bräutigam vom Kruge aus, wo die Trauung
+begossen wird, ein jeder gesondert nach
+Hause fahren, um erst am zweiten Tage der
+Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen;
+aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug,
+wie es jetzt immer üblicher wurde, gemeinsam
+den Weg zur Brautwohnung ein.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup saß neben seiner jungen Frau.
+Er sprach nicht zu ihr und sah sie nicht an, aber
+wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine
+schlug, zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr
+angst und bange wurde. Und noch bänger wurde
+ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten
+Wagen die Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen
+hatte und deren Blick sie durch und durch
+stach.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird mich mit seiner Liebe fressen,&ldquo;
+dachte sie, &bdquo;und die Alte mit ihrem Haß.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste
+gerichtet. Die Türrahmen mit Gewinden umgeben
+und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die
+Tische konnten all die guten Gerichte nicht fassen.
+<a id="page-409" class="pagenum" title="409"></a>
+Da gab es Rindfleisch mit Reis und Pflaumen
+mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und
+Neunaugen, gewürzt und gesäuert. Und noch
+vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar
+nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier
+und Alaus und Kirschen- und Kornschnaps &mdash;
+alles sehr reichlich.
+</p>
+
+<p>
+Im Brautwinkel, wo neben dem jungen
+Paare die vornehmsten Gäste sitzen, stand sogar
+in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein;
+der war aus Memel extra verschrieben.
+</p>
+
+<p>
+Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz
+wollte eine behagliche oder gar freudige Stimmung
+nicht aufkommen. Die Verwandten des
+Bräutigams hielten sich abseits von den Verwandten
+der Braut, giftige Blicke flogen hin
+und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt
+war, der sah mit Sorge, daß, wenn das
+Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden
+nachfolgen würden.
+</p>
+
+<p>
+Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch
+immer. Ihr Sohn habe was Besseres verdient,
+als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem
+könne es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen
+zu sein, bei der die Brauteltern, anstatt
+sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst,
+den drohenden Sturm zu verscheuchen. Die gute
+Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre
+<a id="page-410" class="pagenum" title="410"></a>
+sie die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch
+der Alte auch sonst die Schätze seiner
+Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit
+und verteilte Handschuhe und Handtücher in
+Menge, selbst seidengewebte Jostbänder verteilte
+er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem
+Verstecke.
+</p>
+
+<p>
+Aber nichts wollte helfen. Die Magila,
+die Göttin des Zornes, saß schon im Rauchfang,
+und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche,
+dann wehe!
+</p>
+
+<p>
+Die arme Marinke traute sich nicht mehr
+zu reden, zu lächeln, und der Jozup saß da mit
+eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten
+nach rechts und nach links, als wolle er bald
+dem, bald jenem stracks an den Hals.
+</p>
+
+<p>
+Und immerzu ging das Getuschel der Alten.
+Wie ein Messerstich hierhin und dorthin flog schon
+ab und zu ein häßliches Wort durch die eintretende
+Stille.
+</p>
+
+<p>
+Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann
+hätte sich wohl alles anders gestaltet. Er war
+ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich
+abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb.
+</p>
+
+<p>
+Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter
+den Gästen, aber der war noch sehr jung und besaß
+nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig
+zu machen.
+</p>
+
+<p>
+So konnte das Unheil weiter gedeihen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-411" class="pagenum" title="411"></a>
+Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher
+Mann, der harmlos gekommen war, sich zu vergnügen,
+hob mit einemmal sein Glas und rief
+zu dem Brautvater hinüber: &bdquo;Du &mdash; prost auf
+die billige Hochzeit!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter.
+Der alte Tamoszus sprang auf und
+wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf
+werfen, andere fielen ihm in den Arm, ein
+großes Lärmen hub an, &mdash; das Schlimmste
+schien nun gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Da geschah etwas, was niemand geahnt oder
+für möglich gehalten hätte. Wäre der Herrgott
+vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu
+stiften, keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt.
+</p>
+
+<p>
+Und es war ja auch eine Art von Herrgott,
+ein &bdquo;Wieszpatis&ldquo; war es, der sich selber bemühte.
+</p>
+
+<p>
+Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner,
+die plötzlich herangebraust kamen? Wer kannte
+nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze
+und der rotsamtnen Troddel? Wer kannte
+nicht das Lacklederverdeck mit den silbernen
+Bügeln?
+</p>
+
+<p>
+Und wer kannte nicht den Mann, der fünf
+Fuß zehn Zoll hoch mit blitzendem Auge unter
+buschigen Brauen und auseinandergestrichenem
+dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen
+Polstern entstieg, um sich dann umzuwenden
+<a id="page-412" class="pagenum" title="412"></a>
+und einer Dame im seidenen Schleier
+und seidenen Mantel aus dem Innern zu helfen?
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn <em>der</em> zur Hochzeit kam! Der und
+die Frau, die alle liebten, wie man einstmals
+die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß
+schön war, sondern in ihrem Gutsein sich auch
+zu den Demütigen neigte!
+</p>
+
+<p>
+Wenn <em>das</em> geschah, dann gab es nicht Hadern
+mehr und nicht Hochmut. Dann gab es keine
+Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da
+wo der Rautenkranz und die silberne Krone hingehört
+hätten. Dann gab es nur Frieden und
+Glück und Geehrtsein.
+</p>
+
+<p>
+Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten,
+erhoben sich stumm von den Sitzen, und
+so betraten beide suchend die Stube, in der sein
+Kopf die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz
+hätte aufrichten wollen. Auf den Brautwinkel
+gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich
+die Hand, die blutübergossen und stumm den
+Blick auf die Dielen geheftet hielt. Und auch
+den Jozup begrüßten sie &mdash; glückwünschend, daß
+er solch eine Frau, deren Wert sie ja kannten,
+sich zu eigen genommen. Und dann begrüßten
+sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die
+Herrin, wechselte einen ernsten Blick mit der
+Mutter, den nur sie beide verstanden, und die
+Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und
+<a id="page-413" class="pagenum" title="413"></a>
+immer noch hübsche Frau war, drängte sich vor,
+um auch einen Gruß zu bekommen, aber die
+Herrschaften achteten ihrer nicht mehr, als ob sie
+ein Unkraut gewesen wäre.
+</p>
+
+<p>
+Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht,
+oder vielleicht wußten sie gar nicht, daß eine
+Bräutigamsmutter noch da war.
+</p>
+
+<p>
+Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar
+gegenüber, und er, der Wieszpatis, zog einen
+Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin.
+Der war innen mit Seide gefüttert, und auf
+der hellblauen Seide lagen silberne Messer und
+Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler
+und mehr. Das war sicher.
+</p>
+
+<p>
+Noch niemals hatte man jemand gekannt,
+dem zur Hochzeit solch eine Gabe beschert worden
+war.
+</p>
+
+<p>
+Und der Herr sagte: &bdquo;Ihr alle sollt daraus
+erfahren, wie treu die Marinke mir einstmals
+gedient hat und wie hoch meine Frau und ich
+ihre Dienste heute noch schätzen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn
+Litauisch konnte sie nicht: &bdquo;Es muß ein besonderes
+Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie dem
+Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen
+dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn
+des Kindes war heute noch niemals von einem
+gedacht worden.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-414" class="pagenum" title="414"></a>
+Und die Herrin fragte: &bdquo;Kann man es sehen,
+Marinke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer,
+wo die Wiege versteckt war, und brachte
+es angetragen in seinen rotbunten Kissen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und
+schaukelte es und sagte: &bdquo;Ein hübsches Jungchen.
+Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn
+erinnere. Findest du nicht auch, John?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen,
+da gewahrte er, daß die Augen der Marinke
+sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller
+Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde,
+und darum nickte er nur bedächtig und nachsinnend
+vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein
+auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten,
+nahmen die Herrschaften freundlichen Abschied
+und fuhren von dannen.
+</p>
+
+<p>
+Das Kind und das Silberbesteck aber gingen
+noch lange Zeit bei den Gästen von einem Schoß
+auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt
+und bewundert.
+</p>
+
+<p>
+Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und
+kichernd draußen herumlief, wollte von beiden
+nichts wissen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das Gehöft, das die Leute das &bdquo;Wolfsnest&ldquo;
+nannten, lag ein wenig abseits vom Dorfe und
+<a id="page-415" class="pagenum" title="415"></a>
+war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den
+fünfen, denen man Hochachtung schuldete. Aber
+man sah nicht viel davon, denn es war auf drei
+Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben,
+daß man höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern
+sah.
+</p>
+
+<p>
+Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn
+verborgen. Und nur wer von der Landseite
+herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer,
+die als Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall
+und Scheune bedeckten.
+</p>
+
+<p>
+Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst
+recht überrascht durch die schönen Maschinen,
+die auf dem Hofe der Reihe nach standen.
+</p>
+
+<p>
+Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem
+Stolze erfüllen, die auf Arbeit hielt
+und auf Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke fand sich rasch in das neue
+Leben, und war sie von Kindesbeinen an fleißig
+und tüchtig gewesen, wie hätte sie&rsquo;s hier nicht
+sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand?
+</p>
+
+<p>
+Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter
+an, wenn sie vom Fenster der Altsitzerstube
+aus, bereit zu Tadel und Zank, das
+Wirken der Hausfrau verfolgte. Und sie hütete
+sich wohl, sich an ihr zu vergreifen oder den Sohn
+gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich
+auf günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit
+erschien und ohne Gruß aus und ein ging.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-416" class="pagenum" title="416"></a>
+Die Marinke kümmerte sich nicht viel um
+ihr feindseliges Benehmen, denn sie hatte ja
+Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen
+würde, wenn es zwischen ihr und der Alten zu
+offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. Ob
+er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der
+Mutter würde er doch wohl nicht Unrecht geben,
+denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil
+sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen
+hatte. Der eine war Schutzmann in
+Berlin, und der andere stand kurz vor dem Versorgungsschein.
+Schreiben taten sie beide nicht
+mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Jozup war&rsquo;s eine eigene Sache.
+Manchmal, wenn er dasaß und sie ansah halbe
+Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein
+Wort zu reden, und sie gleichsam aufzehrte mit
+seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann dachte
+sie innerlich schaudernd: &bdquo;Das ist zu viel, das
+darf nicht sein, das geht wider Gottes Macht
+und Willen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor
+allzugroßer Liebe und ihr nicht nahe zu kommen
+wagte, dann dachte sie wieder: &bdquo;Das ist die
+Strafe, weil er sich an dem Jurris vergangen
+hat.&ldquo; Bis er sich dann auf sie stürzte wie ein
+wildes Tier, so daß <em>sie</em> nun zitterte vor seiner
+allzugroßen Liebe. Und manchmal dachte sie
+dabei: &bdquo;Vielleicht ist er wirklich ein Werwolf und
+<a id="page-417" class="pagenum" title="417"></a>
+heißt nicht bloß so.&ldquo; Aber dann warf sie die
+Furcht wieder ab und tröstete sich: &bdquo;Das kommt
+bloß daher, daß er zu lange nach mir begehrt hat
+und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun
+kann er&rsquo;s noch immer nicht fassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann war es ihr manchmal, als könnte
+sie ihn mit der Zeit auch wiederlieben. Aber ihr
+Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort,
+wo der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab
+und zu an das Grab zu gehen, ihr wäre manches
+leichter geworden.
+</p>
+
+<p>
+Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine
+wilde Liebe. Ob es sein eigenes war oder nicht,
+darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und
+Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen
+Glauben zu lassen, denn sie wußte, wenn&rsquo;s anders
+käme, würd&rsquo; es ihr schlecht gehn.
+</p>
+
+<p>
+Er nannte den Kleinen auch nicht &bdquo;Jurris&ldquo;,
+wie er getauft war, sondern &bdquo;Wilkiutis&ldquo; oder
+&bdquo;Wilkytis&ldquo;, was gar kein christlicher Vorname ist,
+sondern das &bdquo;Wölfchen&ldquo; bedeutet. Und er war
+ganz zornig, wenn die Dienstboten nicht taten
+wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen
+Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich
+brachte sie&rsquo;s auch nicht mehr übers Herz und
+nannte ihn immer bloß &bdquo;Kindchen&ldquo; oder auch
+&bdquo;Liebling&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Der Kleine wuchs rasch heran und konnte
+gehen und sprechen, noch ehe das erste Ehejahr
+<a id="page-418" class="pagenum" title="418"></a>
+um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie
+der Wolf mit seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein.
+Lag lang auf der Erde und ließ ihn
+klettern über sich her und hob ihn hoch in die
+Luft, und dann mußte er sehen, wie er von den
+Handflächen wieder herabkam.
+</p>
+
+<p>
+Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der
+Dämmerung zwei alte Leute und kuckten sich die
+Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und
+kuckten nicht minder nach der Marinke, ob ihr
+Leib noch immer nicht Spuren zeige von kommendem
+Segen, damit alsbald der Vertrag in
+Kraft treten könne, der ihnen den Enkel zurückgab.
+</p>
+
+<p>
+Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten,
+obwohl der Alte die Vormundschaft hatte, und
+ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen.
+Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der
+Mutter gelegt und sich streicheln lassen von
+ihren verständigen Händen, aber um des lieben
+Friedens willen entbehrte sie auch das.
+</p>
+
+<p>
+Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde
+zu haben, hatten die Alten es auf sich genommen,
+den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen
+bei den Besitzern immer reihum fuhr, selbst
+zu kutschieren, wenn ihre Woche gekommen war.
+Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher
+an den Rand des großen Weges bringen, wo sie
+herrenlos standen, bis der Wagen sie auflud, und
+<a id="page-419" class="pagenum" title="419"></a>
+als die Alten sich dumm stellten und unter diesem
+oder jenem Vorwand doch aufs Gehöft fuhren,
+da machte er kurzen Prozeß und trat aus der
+Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber,
+als er selber nicht gerne mehr nach Augustenhof
+hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und vielleicht
+besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis
+nannte er nur noch &bdquo;den Deutschen&ldquo;, und das
+schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf
+dem Grunde des Schrankes und zehn Schichten
+Kleider darübergefliehen.
+</p>
+
+<p>
+Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen
+tot, und der Tag seines Sterbens kam heran.
+</p>
+
+<p>
+Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch
+nicht, kurz, um die Stunde, in der damals das
+alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle
+aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht
+Fische zu fangen. Er tat das sehr selten, denn
+den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und wie
+er die Marinke zum Abschied küßte, da war
+Triumph in seinem Auge, so daß sie sich dachte:
+&bdquo;Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an
+seiner Gewalttat.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und weiter dachte sie: &bdquo;Soll der arme Jurris
+nun ganz allein da liegen und denken, ich hab&rsquo;
+ihn vergessen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf
+den Kirchhof, und der Vorwurf in ihr sprach
+lauter und lauter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-420" class="pagenum" title="420"></a>
+Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg
+bei der Hand, denn es mußte ja aussehen
+wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie
+aber hinter den Erlen war und die Alte ihr nicht
+mehr nachblicken konnte, hob sie ihn auf den
+Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof
+zu, der wohl eine halbe Stunde entfernt lag.
+</p>
+
+<p>
+Das Grab war ziemlich verfallen. Frische
+Blumen lagen nicht darauf, und auch sie hatte
+ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie
+Blätter von den Ahornbäumen, und weil sie
+zufällig ein Knäulchen Zwirn in der Tasche hatte,
+machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu
+winden, die den Grabhügel der Länge und Breite
+nach festlich umrahmen sollte. Zeit hatte sie
+genug, und der Kleine grub artig im Sande.
+</p>
+
+<p>
+Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied,
+und auch weil ihr hier an dem Grabe so wohl war.
+</p>
+
+<p>
+Sie sang:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Dort unter den Linden</p>
+ <p class="verse">In jenem Grabe,</p>
+ <p class="verse">Da liegt und schlummert</p>
+ <p class="verse">Mein lieber Knabe.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Auf seinem Denkmal</p>
+ <p class="verse">Stehet zu lesen,</p>
+ <p class="verse">Wie schön und tapfer</p>
+ <p class="verse">Er einst gewesen.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Mit Blumen schmück&rsquo; ich&rsquo;s</p>
+ <p class="verse">In jedem Lenze,</p>
+<a id="page-421" class="pagenum" title="421"></a>
+ <p class="verse">Sitz&rsquo; auf dem Grabe</p>
+ <p class="verse">Und flecht&rsquo; ihm Kränze.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und ranke Grünes</p>
+ <p class="verse">Rings um die Kanten</p>
+ <p class="verse">Und pflanze Goldlack</p>
+ <p class="verse">Und Amaranten.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und klag&rsquo; und weine,</p>
+ <p class="verse">Weil sie den Knaben</p>
+ <p class="verse">Mir aus dem Brautbett</p>
+ <p class="verse">Gerissen haben.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Doch aus dem Herzen</p>
+ <p class="verse">Stiehlt ihn mir keine,</p>
+ <p class="verse">Und jeden Abend</p>
+ <p class="verse">Komm&rsquo; ich und weine.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+&bdquo;Wenn <em>ich</em> hier mit meinem Kinde an jedem
+Abend ein Stündchen sitzen könnte,&ldquo; dachte sie,
+&bdquo;ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern
+immer vergnügt sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit
+freute, da wurden mit einemmal vom Kirchhoftor
+Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und
+ein Klappern dabei &mdash; das kannte sie wohl.
+</p>
+
+<p>
+Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind
+auf den Arm und ging der Schwiegermutter
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Die schwang die Krücke und schrie: &bdquo;So also
+bist du dem Jozup treu, du Allerweltsfrauenzimmer,
+daß du selbst mit den Gräbern buhlen
+gehst? Ohne Jungfernschaft bist du ins Haus
+gekommen, den Muturis&ldquo; &mdash; das Frauenkopftuch
+<a id="page-422" class="pagenum" title="422"></a>
+&mdash; &bdquo;hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht
+ich. Aus der Mistpfütze bist du gekrochen, und
+nicht eher werde ich ruhen, als bis ich dich dahin
+zurückgeprügelt habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie schlug mit dem Krückstock auf die
+Marinke los.
+</p>
+
+<p>
+Die dachte nur daran, den kleinen Jurris
+zu schützen, der bitterlich zu weinen begann,
+weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte,
+und ging davon ohne ein Wort der Erwiderung.
+</p>
+
+<p>
+Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich
+vor das Hoftor, um dem Jozup aufzupassen.
+</p>
+
+<p>
+Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe
+zurückkam, erzählte sie ihm alles. &bdquo;So hat sie
+dich beseift,&ldquo; sagte sie. &bdquo;Nun strafe sie, wie sich&rsquo;s
+gebührt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen
+und kämpfte lange mit sich. &bdquo;Warum soll
+ich sie strafen?&ldquo; sagte er dann. &bdquo;Es ist besser, ihr
+Zeit zu lassen, damit das Andenken an jenen
+aussauern kann aus ihrem Gemüte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?&ldquo; fragte
+höhnisch die Alte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil ich ein Mann bin,&ldquo; entgegnete er,
+&bdquo;weiß ich, was ich zu tun habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie ließ ihm keine Ruhe. &bdquo;Weiche Äpfel
+faulen bald,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und wer bloß Krumen
+essen will, bricht sich am ehesten die Zähne entzwei.
+Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-423" class="pagenum" title="423"></a>
+Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu
+schelten. Nur fernhalten tat er sich von ihr, und
+auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche
+lang.
+</p>
+
+<p>
+Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem
+Begegnen, denn jetzt hatte sie einen Grund.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter
+schon einmal gehoben hatte, ohne daß
+ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es alsbald
+von neuem und fiel über sie her, allemal,
+wenn sie ihr nicht entweichen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen
+und war auf nichts weiter bedacht, als den
+Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger
+angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr
+setzen. Und eines Tages &mdash; nicht weit vom Herde
+&mdash; riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand
+und warf sie gegen den hängenden Kessel, so
+daß ein wenig von dem kochenden Wasser herausspritzte.
+</p>
+
+<p>
+Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an.
+Die Schwiegertochter habe sie geschlagen und
+verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die
+Blasen an Hals und an Händen. Und als der
+Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie auch ihm
+und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens
+nicht sicher.
+</p>
+
+<p>
+Da geschah es zum ersten Male, daß er sich
+an seinem Weibe vergriff. Er schlug sie nicht,
+<a id="page-424" class="pagenum" title="424"></a>
+wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat,
+sondern warf sie schweigend über den Tisch und
+schüttelte und würgte sie, wie man mit einem
+bissigen Hunde tut.
+</p>
+
+<p>
+Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den
+kleinen Jurris auf den Arm und rannte in ihrer
+Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja
+jeder Verkehr verboten war.
+</p>
+
+<p>
+Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot
+und rief dann den Alten herbei. Der tat desgleichen,
+und als Marinke ihnen alles erzählt
+hatte, wollten sie sie sogleich bei sich behalten.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Marinke willigte nicht darein. &bdquo;Von
+hier holt er mich schon morgen vormittag,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;und wenn ich mich wehre, schleppt er
+mich womöglich an den Haaren zurück. Aber
+ich weiß jetzt, was ich ihm sagen werde, wenn
+ich auch nicht danach tun kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus,
+ihr den Kleinen noch eine Strecke zu tragen,
+und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen
+Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren
+Armen Eiapopeia.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen wollte der Jozup
+schweigend von dannen gehen, aber sie hielt ihn
+zurück und sagte: &bdquo;Ich habe es satt, mich schlecht
+behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der
+Himmel bisher nicht geschenkt, es hält uns also
+auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse
+<a id="page-425" class="pagenum" title="425"></a>
+Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd&rsquo;
+ich dort nicht, und darum ist es das Beste, ich
+gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst
+du behalten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand
+und entgegnete drauf: &bdquo;Das Einzige ist, ich teile
+ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen
+fließt. Dann wird sie&rsquo;s vielleicht weitererzählen,
+aber im Hause wird Ruhe sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sagte die Marinke: &bdquo;Gestern vor vierzehn
+Tagen war des Jurris&rsquo; Todestag, und heute wird
+<em>mein</em> Todestag, wenn du das tust, so wahr ich
+dein Weib bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache
+ihr Sinn unveränderlich war und daß er nie
+und nimmermehr daran würde rühren dürfen.
+Darum sagte er: &bdquo;Ich werde nachsinnen, ob es
+ein anderes Mittel gibt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke sagte: &bdquo;Du kannst nachsinnen,
+soviel du willst. Ein anderes Mittel, als
+daß <em>sie</em> aus dem Hause geht oder ich, wirst du
+nicht finden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup lief in der Stube umher und schrie:
+&bdquo;Sie hat mich vorgezogen, seit ich im Kinderkleid
+war &mdash; sie hat die Brüder hinausgejagt, damit
+ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel
+von mir!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke erwiderte: &bdquo;Ich verlange
+ja nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-426" class="pagenum" title="426"></a>
+An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube
+und blieb dort länger als eine Stunde.
+Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte
+herauskam, das Gesicht wie behonigt, und zu der
+Marinke sagte: &bdquo;Setze meinen Teller auch auf
+den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird,
+will ich fortan mit euch zusammen essen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die
+Alte den Kleinen ihren &bdquo;Putytis&ldquo;, ihr Hähnchen,
+nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte,
+zog sie ihn rasch auf die Seite.
+</p>
+
+<p>
+Von diesem Tage an war die Wilkene wie
+umgewandelt, und niemand konnte wissen, wodurch
+es geschehen war.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend
+im Erlengebüsch auf Marinke lauerte &mdash;
+&mdash; denn so war es jüngst ausgemacht worden &mdash;,
+sagte zu ihr: &bdquo;Paß gut auf, daß sie nicht an den
+Herd kommt. Ich will mich rösten lassen wie
+Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das
+Kind zu vergiften.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Alte aber saß allabendlich am Rande
+des Sumpfteichs hinter dem Roßgarten, um
+Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln,
+die nächstens ausgelegt werden sollten, und in der
+Dunkelheit kam sie mit Kräutern beladen nach
+Hause, die sie niemandem zeigte.
+</p>
+
+<p>
+Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei
+und dem Kalmus auch Wasserschierling
+<a id="page-427" class="pagenum" title="427"></a>
+in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten
+können, so viel Schierlingsstauden standen dort
+mit ihren weißlichen Schirmchen.
+</p>
+
+<p>
+Ja, die Marinke paßte gut auf.
+</p>
+
+<p>
+Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben
+gegen die Gicht, das hatte nichts auf sich, aber
+daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem
+Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische
+aß, das gab schon mehr zu bedenken. Und
+stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder
+zu wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich
+war.
+</p>
+
+<p>
+Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit
+wich die Marinke nicht von der Stelle. Kaum
+den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich
+wurd&rsquo; ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn.
+</p>
+
+<p>
+Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit
+Zucker und Rosinen, da fiel ihr ein fremder Geruch
+auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der
+Jozup mochte wie viele den Kürbis nicht und
+kriegte was Anderes, die Alte aber bekam mit
+einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich
+Melissentee kochen, so daß nur sie selbst und das
+Kind noch übrigblieben, davon zu essen, denn
+den Leuten war schon vorher zugeteilt worden.
+</p>
+
+<p>
+Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab
+auch dem Kinde nichts, füllte aber, soviel sie
+konnte, in eine breithalsige Flasche und lief
+<a id="page-428" class="pagenum" title="428"></a>
+heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit
+sie nun tue, was not war.
+</p>
+
+<p>
+Und als der Freitagabend herankam, da
+sagte die Mutter: &bdquo;Ich bin in Heydekrug gewesen
+beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht
+und gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn
+man&rsquo;s dem anzeigen wollte, wär&rsquo; mit der Hälfte
+zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke nahm den Zettel und ging zum
+Jozup. &bdquo;Deine Mutter ist mir die rechte,&ldquo;
+sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragte er und ließ die Halsbinde
+los, denn er zog sich eben die Kleider vom Leibe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil sie mich hat vergeben wollen &mdash; mich
+und das Kind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten
+ersticken, und riß sich das Hemd am Halse entzwei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe das Versprechen getan, dich niemals
+zu schlagen,&ldquo; sagte er, &bdquo;aber du machst es
+einem recht schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier ist der Zettel,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er las den Namen des alten Settegast, den
+jeder ehrte weit und breit, und so rot, wie er gewesen
+war, so blaß wurde er nun. Und dann
+ließ er sich alles von ihr erzählen. Auch daß die
+Mutter Enskys die Probe zur Apotheke getragen
+hatte, verschwieg sie ihm nicht. &bdquo;Straf mich,
+wenn du willst,&ldquo; sagte sie, &bdquo;aber das Kind mußt&rsquo;
+ich am Leben erhalten, gleichviel, wer sein Vater
+<a id="page-429" class="pagenum" title="429"></a>
+ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich jetzt
+gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du und das Kind bleiben hier,&ldquo; erwiderte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gut,&ldquo; sagte sie, &bdquo;dann muß deine Mutter
+fort, oder ich zeige sie an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du zeigst sie an?&ldquo; fragte er, als ob er nicht
+recht gehört hätte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und
+kam die ganze Nacht nicht mehr wieder. Auch
+am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen,
+erst gegen Mittag trat er mit einemmal aus der
+Altsitzerstube. Er zitterte am ganzen Leibe und
+sagte: &bdquo;Ich habe mit der Mutter gesprochen.
+Was sie jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals
+prophezeit und habe für alle Fälle mit den
+Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die
+Hälfte aller Einkünfte bekommen und sie dafür
+in Pflege nehmen, solange sie lebt. Siehst du
+nun wohl, wie lieb du mir bist &mdash; du und das
+Kind?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte
+kaum einen Widerspruch zu leisten gewagt, denn
+sie wußte, die Anzeige drohte.
+</p>
+
+<p>
+Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der
+Jozup sie zur Bahn brachte, reckte sie noch einmal
+den Krückstock nach der Marinke und schrie
+ihr den schwersten Fluch an den Hals: &bdquo;Mag der
+Perkuhns dich treffen nach Bartholomä!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-430" class="pagenum" title="430"></a>
+Und da es bis zum nächsten Bartholomä
+noch lange hin war, verbesserte sie sich: &bdquo;Nein,
+noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich
+treffen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in
+die Weite, dorthin, wo kein Litauergott mehr
+donnert.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man
+glückliche nennen.
+</p>
+
+<p>
+In Marinkes Herzen wurde das Bild des
+Jurris allmählich blasser und blasser. Da eine
+Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte
+sie manches liebe Mal nach seinem Grabe sehen
+können, aber es drängte sie nichts mehr dorthin.
+</p>
+
+<p>
+Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler
+heran, der sich die Butter vom Brote nicht
+nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen
+bis zum Abend in die Welt hinauskrähte.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn
+darin zu bestärken, und wenn der Junge recht
+unartig war, sagte der Vater: &bdquo;So ist&rsquo;s gut,
+mein Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe
+zur Weide führen und setzte ihn jedem Tier
+auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit
+vier Jahren ritt er bereits auf der bockigen
+<a id="page-431" class="pagenum" title="431"></a>
+Schimmelstute, und die war auch sonst nicht die
+frömmste.
+</p>
+
+<p>
+Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger
+zwischen den beiden, und als der fünfte
+Frühling herankam und die künftige Schulzeit
+schon drohte, da nahm der Jozup ihn morgens
+sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die Lenkstange
+der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen
+Zipfel des Säelakens zu tragen und meinte:
+&bdquo;Das muß das Erste sein, was ein Wirtssohn
+erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und
+Rechnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ein Glück war&rsquo;s &mdash; ein unaussprechliches und
+nie besprochenes &mdash;, daß noch immer kein Zeichen
+sich meldete, der kleine Jurris werde ein Brüderchen
+oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade
+so, als ob der Himmel selbst darüber wachte,
+daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand und
+Ruhe allmählich einkehrte.
+</p>
+
+<p>
+Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich
+zwei alte Leute auf ihren Knieen und flehten
+zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam
+in die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn
+und Erben zurückgeben.
+</p>
+
+<p>
+Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört.
+Die Marinke mochte sich noch so sorgsam verstecken,
+die Dienstleute trugen es doch hinaus, und bald
+wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes
+war.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-432" class="pagenum" title="432"></a>
+Der Jozup ging umher wie ein Wüterich
+und erklärte, wer ihm den Knaben nehmen wolle,
+den schieße er nieder.
+</p>
+
+<p>
+Aber als die beiden Enskys von seinen
+Reden hörten, da lachten sie nur, denn sie
+hatten es schriftlich.
+</p>
+
+<p>
+Und eines Tages waren sie dreist genug und
+erschienen beide im Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke, die im achten Monat war und
+nur noch leichte Gartenarbeit verrichten konnte,
+saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten
+unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die
+aber hatten sie wohl gesehen und wollten gerade
+in den Garten einbiegen, da stießen sie auf
+den Jozup, der eben aus dem Hause trat.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?&ldquo;
+sagte er ihnen zum Gruße.
+</p>
+
+<p>
+Die Großelternliebe war stärker in ihnen
+als jegliche Angst, und obwohl der Alte sich ein
+wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit
+hatte er doch, um zu sagen: &bdquo;Ich würde an deiner
+Stelle versuchen, dich mit uns zu verständigen,
+denn vor den Behörden bist du ja machtlos.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da dachte er nicht anders, als sie würden
+wohl mit sich handeln lassen, und lud sie ein, in
+die Stube zu treten.
+</p>
+
+<p>
+Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine
+bestanden und nur Gewißheit haben wollten,
+wann sie das Kind heimholen könnten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-433" class="pagenum" title="433"></a>
+Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke:
+wie sich den Sohn erhalten, an dem seine Seele
+hing. Für einen Augenblick stieg wohl der
+Wunsch in ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren,
+das ihn mit dessen Leben verband, aber er warf
+ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen
+wohl erkannt, daß, wenn die Marinke,
+mochte sie sonst noch so weich sein, zu einer Sache
+entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon
+abbringen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen &mdash;
+das wollte er doch nicht.
+</p>
+
+<p>
+In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin
+und her, ob nicht ein einziger Grund sich finden
+ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich für
+immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein
+anderer ein als der, mit dem er sein Weib
+nun schändete.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jurris habt ihr ihn ja genannt,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;aber was wißt ihr, ob er wirklich dem Jurris
+sein Kind ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände
+zu ihm auf, als wollte sie ihn anflehen, den Schlag
+<em>nicht</em> zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte.
+Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und
+schrie immerzu: &bdquo;Wer ist es? Wer ist es? Wer
+ist es?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er &mdash; mehr aufs Geratewohl, als weil
+er sich eines bestimmten Verdachtes bewußt war
+<a id="page-434" class="pagenum" title="434"></a>
+&mdash; entgegnete dieses: &bdquo;Nun &mdash; es kann ja zum
+Beispiel &mdash; der &mdash; Wieszpatis gewesen sein.
+Nicht umsonst hat er Kinder sitzen weit und
+breit &mdash; und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf
+dem Hofe gewesen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom
+Blitze getroffen, der Alte aber rannte spornstreichs
+hinaus und in den Garten &mdash; dorthin,
+wo die Marinke vorhin gearbeitet hatte.
+</p>
+
+<p>
+Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn
+sie dachte, der Jozup wolle dem Alten zu Leibe,
+da schrie er auch schon: &bdquo;Nun ist es heraus, du
+Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen.
+Und das Kind ist von ihm. Gesteh,
+daß das Kind von ihm ist!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht
+anders, als es sei durch ein Unglück alles ruchbar
+geworden, was sie sich selber kaum eingestand,
+und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete
+sie: &bdquo;Wenn du es weißt, warum fragst
+du mich erst?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da rannte er spornstreichs zurück und schrie
+es durch Garten und Hof: &bdquo;Sie hat gestanden,
+daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es
+eben gestanden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde
+so gelb wie die Asche im Eimer. Er nahm den
+Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor.
+Dort gab er ihm noch einen Stoß mit dem
+<a id="page-435" class="pagenum" title="435"></a>
+Absatz und überließ ihn seinem weinenden Weibe.
+Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem
+Leibe mühsam aus dem Garten kam.
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei
+er der Henker. Aber da sie wußte, daß nichts auf
+der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte,
+so gab sie sich drein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Geh ins Haus,&ldquo; sagte er und blieb ihr dicht
+auf den Hacken.
+</p>
+
+<p>
+Dann peitschte er die Mägde hinaus, die
+ängstlich um die Feuerstätte standen, und folgte
+ihr in die Stube.
+</p>
+
+<p>
+Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach
+war sie geworden, und seine Augen stachen nach
+ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also wie war das mit dem Wieszpatis?&ldquo;
+fragte er ganz freundlich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wird&rsquo;s gewesen sein?&ldquo; sagte sie. &bdquo;Er
+war doch der Herr, und ich war die Magd. Und
+wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam,
+dann hat er gesagt, ich gefall&rsquo; ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und das ging so die ganzen Jahre lang?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Solang&rsquo; ich die Meierei unter mir hatte,
+wird&rsquo;s wohl gegangen sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und als du merktest, daß du ein Kind von
+ihm trugst, da suchtest du dir den Jurris als Vater
+dazu?&ldquo; fragte er immer noch freundlicher.
+</p>
+
+<p>
+Sie schüttelte den Kopf. &bdquo;Nein, das war
+anders.&ldquo; Und nun berichtete sie ihm der Wahrheit
+<a id="page-436" class="pagenum" title="436"></a>
+nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal
+nach Augustenhof hatte hinkommen lassen &mdash;
+der Jozup selber war ja Vermittler gewesen &mdash;
+und wie sie allein hatte fahren müssen, weil
+der Jurris nicht war zu finden gewesen. Da
+hatte der Herr gesagt: &bdquo;Wir wollen nun Abschied
+feiern, Marinke.&ldquo; Und sie hatte gebeten und gefleht:
+&bdquo;Ach lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.&ldquo;
+Aber er war ja der Herr, und sie hatte ihm schon
+so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm
+auch diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von
+daher war alles Unglück gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Ich habe das Gelöbnis getan,
+dich nicht zu schlagen. Und das ist dein Glück,
+sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser
+Stube kommen. Auch sollst du mir zuerst einen
+Sohn zur Welt bringen, denn das bist du mir
+jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen
+werde, das weiß ich noch nicht. Aber ich rate
+dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt hast,
+den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn
+ist Hurensohn. Und kommt er mir in den
+Weg, so schmeiß&rsquo; ich nach ihm mit allem, was ich
+grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hob die Arme nach ihrem
+Manne auf und weinte und bat: &bdquo;Wo soll ich hin
+mit ihm in meinem Zustand?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht bloß dich an,&ldquo; entgegnete er und
+schritt aus der Türe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-437" class="pagenum" title="437"></a>
+Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm
+drein, um den Kleinen vor ihm zu sichern, der
+wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß.
+Und sie fand ihn auch glücklich und wartete ab,
+bis der Weg frei war, dann zog sie ihn rasch
+in die Klete.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hole mir Betten für mich und das Kind,&ldquo;
+sagte sie zu der Hausmagd, &bdquo;denn hier werd&rsquo;
+ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Kleine schrie nach dem Vater, er
+wolle hinaus und mit ihm spielen, wie er&rsquo;s gewohnt
+war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus
+Furcht, der Jozup möchte eindringen und mit
+ihm tun, was er gedroht hatte.
+</p>
+
+<p>
+In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen
+Jurris wohl vierzehn Tage auf und traute sich
+nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten
+gut für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche
+Herrin gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er
+an der Klete vorbeiging, schüttelte er die Faust
+nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus,
+wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört.
+</p>
+
+<p>
+Er nannte sein Weib eine &bdquo;Klorke&ldquo;. Und
+&bdquo;Szunjôda&ldquo; und &bdquo;Pajudêle&ldquo; nannte er sie. Das
+sind Namen, die man am besten ins Deutsche
+nicht überträgt.
+</p>
+
+<p>
+Und drohen tat er ihr auch und immer aufs
+neue. Sie konnte das Fenster noch so fest schließen,
+<a id="page-438" class="pagenum" title="438"></a>
+sie hörte und verstand ihn in allem. &bdquo;Denke
+nur nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein
+Täubchen, weil ich das Gelöbnis getan habe,
+dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand
+kommen lassen, der wird das alles statt meiner
+besorgen. Der wird dir mit der Bratpfanne den
+Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten
+streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben
+wirst, heute feiern wir Ostern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und
+dachte: &bdquo;Wer mag es nur sein, den er meint?&ldquo;
+Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben
+konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Am allermeisten hatte sie Angst um den
+Knaben, dem der Jozup Tag für Tag ans Leben
+gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit
+sich verkürzte, wurde die Unruhe größer in ihr,
+daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn aufpassen
+konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Eines Nachmittags &mdash; es war zu Ende August,
+und die Leute arbeiteten draußen im Grummet &mdash;,
+da sah die Marinke durch das Fenster der Klete,
+daß der Jozup den Spazierwagen anspannte,
+sich einen Korb mit Essen und Trinken aufladen
+ließ und davon fuhr.
+</p>
+
+<p>
+Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen
+<a id="page-439" class="pagenum" title="439"></a>
+die Sonntagskleider an und schmückte sich selber,
+so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte
+sie sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war
+die einzige, die auf dem Hofe geblieben war.
+Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben
+habe, sondern sagte nur im Vorbeigehn: &bdquo;Ich
+will jetzt den Kleinen wegbringen. Erzähle dem
+Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht
+nicht zu Haus bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch
+fortgehen wollte, so wußte sie doch nicht, wohin.
+Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach.
+</p>
+
+<p>
+Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben,
+wenn Leute ihr entgegenkamen, denn das Geschehene
+war ja längst allen bekannt; aber jeder
+grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr
+sprach.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen
+wollte, in dem sie so glückliche Tage verlebt hatte,
+da überfiel sie der Jammer, so daß sie sich weinend
+auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme
+sprach in ihr: &bdquo;Kehre an! Vielleicht daß die
+Mutter dich nicht fortweist und einen Rat für
+dich hat!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß
+der Alte auch auf dem Felde war und die gute
+Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte.
+</p>
+
+<p>
+Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß
+und sagte: &bdquo;Da ist er nun, um den wir Jahre
+<a id="page-440" class="pagenum" title="440"></a>
+und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen,
+so hübsch wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch
+zu uns gehören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie küßte ihn und sagte weiter: &bdquo;Wenn
+der Jurris noch lebte, der würde es nie erfahren
+haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes.
+Weiß Gott, mir wär&rsquo; es gleich! Ich würd&rsquo; ihn
+auch weiter liebhaben, schon weil er von dem
+Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will
+nicht. Der spuckt aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und
+bat: &bdquo;Sag, Mutter, was soll ich tun?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene erwiderte: &bdquo;Es ist doch ein
+Vater da. Der muß sich jetzt kümmern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie
+hatte sie daran gedacht, daß sie dem Wieszpatis
+mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter Enskys fuhr fort: &bdquo;Wenn
+er erfährt, daß sein Fleisch und Blut ganz und
+gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so
+wird er es zu sich nehmen. Denn nicht umsonst
+sagen alle, daß er ein guter Mann ist und ein
+gerechter Mann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit
+kam über sie. Beinahe wäre sie von der
+Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die
+Mutter Enskys hielt sie fest und sagte: &bdquo;Daß
+es dir schwer fällt, kann man sich denken. Es
+trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben,
+<a id="page-441" class="pagenum" title="441"></a>
+darum kannst du gleich mit dem Milchfuhrwerk
+mitfahren, das der Hütejunge kutschiert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber bei den andern anhalten, wenn er die
+Kannen einsammelt, das bring&rsquo; ich nicht übers
+Herz,&ldquo; sagte die Marinke.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig
+sein würde, der Junge könne ja erst die Runde
+machen und sie dann abholen kommen.
+</p>
+
+<p>
+Und so geschah es.
+</p>
+
+<p>
+Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen
+auf Augustenhof eintraf. Der Schweizer in
+der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie
+kümmerte sich nicht um ihn, sondern nahm den
+kleinen Jurris bei der Hand und schlug den Weg
+zum Herrenhause ein.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich
+in den Garten läuft, schlug ihr das Herz so sehr,
+daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen
+zu müssen, und als sie gar lachende Stimmen
+auf der Veranda hörte und milchfarbene Windlichter
+sah, da war es vollends mit ihren Kräften
+zu Ende.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer ist da?&ldquo; hörte sie die Stimme des Herrn.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie nicht zu antworten vermochte,
+sagte er weiter: &bdquo;Sieh doch einmal nach, Agnes,
+wer da ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen
+herab &mdash; sollte das wirklich die Agnes sein? &mdash;
+und fragte: &bdquo;Was wünschen Sie?&ldquo; Und da sie
+<a id="page-442" class="pagenum" title="442"></a>
+noch immer nicht antwortete, rief das Mädchen
+hinauf: &bdquo;Eine Frau ist da mit einem Kinde,
+aber sie spricht nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kam er, der Herr, selber die Treppe
+herab. Und sie neigte sich vor ihm und küßte
+ihm den Ärmel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich kann nicht recht sehen,&ldquo; sagte er. &bdquo;Bist
+du etwa die Marinke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da bekam sie die Sprache wieder und sagte:
+&bdquo;Die bin ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Komm herein,&ldquo; befahl er und schritt ihr und
+dem Kinde voran die Stufen empor, an lauter
+Herrenleuten vorbei &mdash; jungen und alten &mdash;, es
+waren deren mindestens sechs oder sieben. Sie
+erkannte die gnädige Frau, der küßte sie rasch
+noch die Hand, und dann ging sie durch die
+Sommerstube und den Saal und den mittleren
+Korridor immer hinter ihm her, und der Kleine
+war tapfer und quarrte nicht im geringsten.
+</p>
+
+<p>
+Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer,
+das am Giebelende gelegen war und drei
+Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und
+eine zum Korridor hin, durch die sie nun eintraten.
+</p>
+
+<p>
+Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch
+nie gesehen hatte, denn damals war es Petroleum
+gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an
+dem sie Sonnabends immer Rechnung gelegt
+hatte, und das Ruhebett in der linken Fensterecke
+<a id="page-443" class="pagenum" title="443"></a>
+stand auch noch da. Und alles war überhaupt,
+als sei sie nie weg gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt
+und betrachtete sie lange, aber von dem Kinde,
+das sie erwartete, und auch von dem, das sie an
+der Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann
+so: &bdquo;Es hat mir leid getan, Marinke, daß dein
+Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt
+hat. So sind wir ganz außer Verkehr
+gekommen, und ich weiß nichts mehr von dir. Du
+hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich
+gewandt, und das passiert mir in ähnlichen Fällen
+eigentlich niemals. Ich will nicht sagen, daß ich
+dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich
+kann, helf&rsquo; ich gerne. Aber nun setz dich hin,
+denn du wirst müde sein, und sage, was führt dich
+her?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte bloß immer: &bdquo;Und sein Kind
+sieht er nicht an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante
+des Ruhebetts setzte und das Kind zwischen die
+Kniee nahm, da sah er es doch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,&ldquo;
+sagte er und streckte von seinem Schreibstuhl
+her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen
+lockt.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich
+nur um so enger an sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie werd&rsquo; ich&rsquo;s ihm bloß sagen?&ldquo; dachte
+<a id="page-444" class="pagenum" title="444"></a>
+sie. &bdquo;Das Beste wird sein, ich geh&rsquo; wieder weg,
+wie ich gekommen bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun also, Marinke, erzähle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; nichts zu erzählen, Ponusze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es
+schwer fällt, nicht einen so weiten Weg. Also
+sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder
+möcht&rsquo; er bauen oder sonst was? Ich geb&rsquo;, was
+er will, denn ihr seid mir sicher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Mann braucht keine Hypothek,&ldquo; sagte
+sie, &bdquo;und bauen möcht&rsquo; er auch nicht, aber es ist
+&rsquo;rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen
+ist, Herrchen, und mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz
+nach ihr um, so daß es knarrte, und machte sich
+ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf
+ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel
+hart auf ihn herab.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er ist ganz grau geworden,&ldquo; dachte sie.
+Und nun sah er vollkommen so aus, als wär&rsquo; er
+der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger
+Herrgott sah er aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nur du und ich haben&rsquo;s gewußt,&ldquo; herrschte
+er sie an, &bdquo;und von mir hat&rsquo;s keiner erfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hätte nun sagen müssen: &bdquo;Von mir auch
+nicht,&ldquo; aber ihre Angst vor ihm war so groß, daß
+sie sich keine Antwort getraute.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; denn man gehen,&ldquo; sagte sie und
+<a id="page-445" class="pagenum" title="445"></a>
+versuchte aufzustehen. Aber sie war so schwach,
+daß sie wieder zurückfiel.
+</p>
+
+<p>
+Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen
+war. Die geschliffene Karaffe stand immer
+noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr
+ein Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade,
+aus dem sie manches liebe Mal hatte
+naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der
+wollte erst nicht, aber was ihm in die hohlen
+Händchen geschüttet wurde, das nahm er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun laß uns vernünftig reden,&ldquo; sagte der
+Herr, &bdquo;und erzähl alles.&ldquo; Aber sie konnte nicht.
+Sie saß bloß so da und sah vor sich hin.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Marinke,&ldquo; sagte der Herr, &bdquo;du bist einmal
+die Freude meiner Feierabende gewesen, und
+ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen
+großen Stein bei mir im Brett. Denk daran
+und faß dir ein Herz.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg:
+&bdquo;Das Kind hier ist <em>Ihr</em> Kind, Ponusze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ei der Deiwel,&ldquo; sagte er und lachte hellauf,
+&bdquo;das ist ja ganz was Neues.&ldquo; Dann nahm er
+den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die
+Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten.
+&bdquo;Wie gesagt, stramm ist er. Wenn er sich auswächst,
+kann er mir schon ähneln. Denn das
+weißt du ja, sie ähneln mir alle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten
+fünf oder sechs auf dem Hof. Wenn
+<a id="page-446" class="pagenum" title="446"></a>
+man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie
+der andere.
+</p>
+
+<p>
+Und er fuhr fort: &bdquo;An sich wär&rsquo;s also schon
+möglich. Aber ich denk&rsquo;, es ist deinem ertrunkenen
+Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich
+weiß, hat er ja auch den Namen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist richtig,&ldquo; entgegnete sie, &bdquo;aber von
+dem ist er nicht. Und von meinem jetzigen Mann
+ist er auch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;War der denn auch dabei?&ldquo; fragte er, und
+sie konnte nicht anders als Ja sagen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du &mdash; das ist aber ein bißchen reichlich,&ldquo;
+rief da der Herr und wußte vor Lachen sich nicht
+zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh!
+</p>
+
+<p>
+Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen.
+Aber die Marinke sah ein, daß sie in der
+fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde,
+wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das
+mußte sie jetzt tun, denn er allein konnte sie
+verstehen, und es drückte ihr längst schon das
+Herz ab.
+</p>
+
+<p>
+Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen,
+wie alles gekommen war. Er hörte ihr aufmerksam
+zu und wurde ernster und immer noch
+ernster.
+</p>
+
+<p>
+Mitten darin griff er mit der Hand nach dem
+Kleinen und hob ihn sich auf das Knie. Und
+der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und
+lutschte still weiter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-447" class="pagenum" title="447"></a>
+Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den
+Wuschelkopf und setzte ihn sacht auf die Erde.
+Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er
+mußte die Beine freikriegen zum Rumgehen,
+denn das tat er immer, wenn ihm das Herz von
+irgend was voll war.
+</p>
+
+<p>
+Er ging und ging, und dann klingelte er
+und sagte dem eintretenden Mädchen: &bdquo;Man
+soll nicht auf mich warten &mdash; ich habe zu tun.&ldquo;
+Einst war sie selbst dieses Mädchen gewesen,
+und oft hatte er dasselbe zu ihr gesagt. Und
+dann ging er immer noch länger.
+</p>
+
+<p>
+Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte:
+&bdquo;Wie wirst du nach Hause kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Enskyssche Milchwagen wartet auf
+mich,&ldquo; entgegnete sie.
+</p>
+
+<p>
+Der große Augenblick war nun da. In ihm
+mußte das Schicksal des Kindes sich entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Enskene hat gemeint,&ldquo; stotterte sie,
+&bdquo;weil es doch dein Fleisch und Blut ist, Herrchen,
+und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest
+du es vielleicht in Pflegschaft nehmen und es
+großziehen lassen auf deinem Hofe. Von Instleuten
+wohnen ja bei dir so viele.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm
+erbitten wollen, aber jetzt, da sie das vornehme
+Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte
+sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen
+war.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-448" class="pagenum" title="448"></a>
+&bdquo;Du vergißt, Marinke,&ldquo; sagte er, &bdquo;daß da
+draußen die gnädige Frau sitzt, der ich Rechenschaft
+schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald
+auch ihr zu Ohren kommen, und dann gäbe
+es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem
+Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu
+kommen, war schon zu viel, aber ich mochte es
+ihr nicht abschlagen &mdash; auch um deinetwillen
+nicht, Kind, weil du so außer jedem Verdacht
+bliebst. Kommt&rsquo;s nun aber heraus, dann ist
+jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie
+wieder gutmachen kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke verstand nicht recht, was er
+meinte, aber daß ihr Verlangen eine Vermessenheit
+war, das wußte sie nun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; denn man gehn,&ldquo; sagte sie zum
+zweiten Male. Diesmal fiel sie nicht von selbst
+zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter
+gefaßt und festgehalten, so daß sie das Aufstehen
+vergaß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier
+bin,&ldquo; sagte er, &bdquo;ist kein Fremder ohne Trost aus
+dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr
+gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht
+hinausschicken? Das geht nicht, Marinke, wenn
+ich dir auch leider was Anderes als Geld nicht
+zu bieten hab&rsquo;.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will kein Geld!&ldquo; stieß sie hervor.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Verachte das Geld nicht,&ldquo; ermahnte er sie.
+<a id="page-449" class="pagenum" title="449"></a>
+&bdquo;Denn es macht die Bösen gut und die Harten
+gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von
+mir hat oder wenigstens sagt, daß es von mir ist,
+tausend Taler mit auf den Weg. Und noch keine
+hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine
+Mitgift geben, dreimal so groß, so daß er als ein
+wohlhabender Erbe gelten kann, und du wirst
+sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit setzte er sich an den Schreibtisch und
+schrieb einen Schenkungsbrief über zehntausend
+Mark, und noch vieles andere schrieb er dazu,
+wie die Zinsen zu erheben seien und wie das
+Kapital einst ausgezahlt werden sollte. Das
+unterstempelte er mit dem Stempel des Amtsvorstehers,
+dessen Dienst er selber versah, und
+reichte es der Marinke.
+</p>
+
+<p>
+Die dachte bloß immer das eine: &bdquo;Aus mir
+kann nun werden, was will. Das Kind ist fürs
+Leben geborgen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen
+auf dem Enskysschen Hofe einfuhr, saß die
+Mutter gerade so wartend im Mondschein wie
+an jenem Abend vor sechs Jahren, von dem alles
+Unglück seinen Ursprung hatte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Vater ist schon lange zur Ruhe,&ldquo; sagte
+sie, &bdquo;drum komm herein und stärke dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle
+<a id="page-450" class="pagenum" title="450"></a>
+genau so wie damals und aß und wußte nicht,
+was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen.
+</p>
+
+<p>
+Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche
+und reichte ihn ihr.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht
+und ließ sich die Summe immer wieder von
+neuem sagen, bevor sie sie glaubte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber dann ist ja alles gut,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und
+dann will ich erst mal den Vater wecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hatte Angst, der Alte würde
+sie und das Kind sofort zur Tür hinausweisen,
+aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und
+ging damit nach der Stube.
+</p>
+
+<p>
+Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder
+da war, und hinter ihr in Hosen und Hemd, die
+Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen
+&mdash; wie ein Wiesel kam er gesprungen
+&mdash; und bot der Marinke den Willkomm und
+klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte
+ihn selber ins Bettchen tragen, denn Kinder
+müßten mit den Hühnern zur Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah.
+&bdquo;In was für ein Bettchen?&ldquo; fragte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, das für ihn bereit steht schon seit
+Jahren.&ldquo; Und er habe immer gesagt, das mit
+dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel.
+Das habe der Jozup sich ausgedacht, um ihn
+und die Mutter zu täuschen. Und nun sei es
+<a id="page-451" class="pagenum" title="451"></a>
+offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr
+Westphal so viel bares Geld nicht aus, sonst
+wäre er längst schon ein Bettler.
+</p>
+
+<p>
+Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden
+wollte, stieß die Mutter sie an und sagte ihr
+leise: &bdquo;Laß ihn nur immer. Er redet sich&rsquo;s ein
+und wird&rsquo;s auch den andern einreden &mdash; und so
+ist&rsquo;s am besten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da gedachte die Marinke der Worte, die der
+Herr zu ihr gesprochen hatte, ehe er die Schenkung
+niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine
+nun wirklich die Heimat gefunden hatte noch am
+heutigen Abend.
+</p>
+
+<p>
+Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn,
+denn sie wußte wohl, daß es zum letzten
+Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über
+ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen
+des Kreuzes und ging vor die Haustür.
+</p>
+
+<p>
+Dort standen die beiden und warteten ihrer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, möchten sie mich doch einladen, bei
+ihnen zu bleiben!&ldquo; dachte die Marinke. Aber
+sie taten es nicht. Wie konnten sie auch!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,&ldquo;
+sagte der Alte, &bdquo;denn ich bin der Vormund.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke
+ins Dunkel hinein und sagte zum Abschied: &bdquo;Ich
+bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig
+Jahr&rsquo; hab&rsquo; ich gewiß noch. Und so lange wird
+es ihm gut gehn, das weißt du.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-452" class="pagenum" title="452"></a>
+Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr
+mit Tränen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird aber mit dir werden?&ldquo; fragte die
+Mutter.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,&ldquo;
+sagte die Marinke und ging von ihr fort ...
+</p>
+
+<p>
+Der Mond stand hoch &mdash; es war schon ein
+Herbstmond &mdash;, aber die Luft wehte warm wie
+im Juni.
+</p>
+
+<p>
+Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte,
+überkam sie ein Schaudern. Der Hofhund würde
+bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf
+würde der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte,
+hinausrufen: &bdquo;Wer ist da?&ldquo; Und wenn sie dann
+sagte: &bdquo;Ich bin es &mdash; ich, die Marinke,&ldquo; dann
+würde das Schimpfen losgehen &mdash; Klorke und
+Szunjôda und Pajudêle und alles, womit er
+sie sonst noch traktierte.
+</p>
+
+<p>
+Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug.
+Niemand paßte ihr auf. Sie konnte die Nachtstunden
+nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo
+sollte sie sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat
+hatte sie nicht. Da fiel der Kirchhof ihr ein,
+auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war.
+Wie eine Erleuchtung kam es da über sie.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an
+den Morgen, das war es, was ihr jetzt fehlte. Da
+sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie
+keiner anschreien und schimpfen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-453" class="pagenum" title="453"></a>
+So schlug sie also den Weg zum Kirchhof
+ein, den sie beinahe vergessen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht
+zu finden, denn ringsherum hatte manch neuer
+Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren
+auch höher geworden. Aber schließlich unterschied
+sie es doch und setzte sich auf den Hügel,
+dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich
+begrünte.
+</p>
+
+<p>
+Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die
+Eltern errichtet. Der war inzwischen schon
+wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der
+Tafel schien blaß und von Regen verwaschen,
+soviel man im Mondschein erkannte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bald werden sie ihn alle vergessen haben,&ldquo;
+dachte sie, und ihr schien&rsquo;s, als sei sie ihm doppelt
+und dreifach untreu gewesen. Oft hätte sie Zeit
+gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte
+danach gefragt. Trotzdem fand sie erst heute den
+Weg hierher, wie man verlassene Freunde nicht
+früher aufsucht, als wenn man nicht aus und
+nicht ein weiß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach wenn ich doch ein bißchen weinen
+könnte!&ldquo; dachte sie, aber sie hatte heute schon
+zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar
+nicht so schmerzhaft zumute. Nur müde war
+sie. Darum lehnte sie das abgerackerte Kreuz
+gegen den Pfosten und dachte: &bdquo;Hier möcht&rsquo;
+ich einschlafen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-454" class="pagenum" title="454"></a>
+Und das tat sie auch wirklich. Aber bald
+weckte der Nachtwind sie wieder. Sie lag nun
+mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht
+mehr aufstehen.
+</p>
+
+<p>
+Es war eine große Stille ringsum, nur die
+harten Baumblätter rieben sich ab und zu aneinander,
+und in dem Grase raschelte es, wenn
+irgend ein Getier sich bewegte.
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte an alle die Geister, die auf so
+einem Kirchhof zur Nachtzeit ihr Wesen treiben,
+aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn
+unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen,
+und der hätte sie schon beschützt.
+</p>
+
+<p>
+Über diesem Gedanken schlief sie von neuem
+ein, und ihr war im Traume fortwährend, als
+stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe.
+Aber wie sie wieder einmal erwachte, merkte
+sie, daß es nur der Wind gewesen war, und da
+tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,&ldquo; dachte
+sie. Da kam das Schaudern wieder, das sie auf
+dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll ich eigentlich dort?&ldquo; dachte sie
+weiter. &bdquo;Sobald er mich sieht, wird er mich
+quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen,
+ob ich ihnen noch was zu befehlen hab&rsquo;. Hier
+gehör&rsquo; ich her. Zu meinem Jurrischen. Hierher
+auf den Kirchhof.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-455" class="pagenum" title="455"></a>
+Und sie beugte sich zur Seite und küßte das
+Grab, aber ihr kam davon nur Sand zwischen
+die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender
+Zeiten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,&ldquo;
+dachte sie. &bdquo;Denn ich bin für ihn gar
+nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die
+Gimdywe &mdash; die Gebärerin &mdash; bin ich ihm noch.
+Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen anstatt des
+anderen, das er verstoßen hat, und dann kann
+ich abgehen. Er wird schon dafür sorgen, daß sie
+mich bald hierher auf den Kirchhof fahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten
+gleich hier.
+</p>
+
+<p>
+Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen,
+die er ihr zugefügt hatte seit jenem
+Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an
+alle die, die er ihr noch zufügen würde &mdash; er und
+der Helfer, mit dem er drohte.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte zu sich: &bdquo;Nun hab&rsquo; ich ihm umsonst
+prophezeit, daß ich ins Haff gehen werde,
+wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn
+was er jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist
+ebenso schlimm wie das, was sie damals zu erzählen
+gehabt hätte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig
+wurde, überfiel sie plötzlich ein Erschrecken, so
+furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe sprang
+und wie eine Unvernünftige drum herumlief.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-456" class="pagenum" title="456"></a>
+Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich
+kommen lassen wollte, niemand sonst als die
+Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin
+dann?
+</p>
+
+<p>
+Sie rannte nach rechts und rannte nach
+links, als wollte sie ihr entrinnen, und wußte
+doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es
+gewiß zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut
+mehr. Wenn das noch zu fürchten gewesen
+wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt.
+</p>
+
+<p>
+Da war es ihr, als sagte eine Stimme: &bdquo;Er
+<em>hat</em> sie ja gar nicht zurückgeholt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das war natürlich dem Jurris seine Stimme.
+Entweder er schwebte um sie herum, oder sie
+hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von
+seinem Sarge aus zu ihr redete.
+</p>
+
+<p>
+Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf
+die Knie, wühlte die Stirn in den Sand, um ihm
+näher zu sein, und bat und flehte: &bdquo;Ach hilf mir
+doch, Jurrischen, hilf mir doch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Stimme sprach weiter: &bdquo;Gewiß hat
+er dir nur Angst machen wollen, wie man kleine
+Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist
+sonst gar nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt
+schon über fünf Jahr, und du bist so zufrieden
+mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen
+hattest. Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse
+bin. Nein, ich bin dir nicht im mindesten böse.
+<a id="page-457" class="pagenum" title="457"></a>
+Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab&rsquo;
+ich hier stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen
+kommst, das tut mir weh. Nun aber gehe getrost
+wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit,
+die Gott der Herr dir gesetzt hat.
+Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen,
+und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen
+lassen. Und wenn er sieht, wie treu du ihm
+dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum
+Guten wandeln, und alles wird werden, wie es
+noch jüngstens war.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So sprach der Jurris aus seinem Grabe,
+und sie hörte begierig darauf.
+</p>
+
+<p>
+Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte
+sich bereit, nach Hause zu gehen. Diesmal wandelte
+kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war
+wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen
+zu können. Wenn nur das eine nicht kam,
+wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin,
+nicht kam, dann war alles gut! Von ihm
+selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie
+kränkte.
+</p>
+
+<p>
+Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender
+Körper zur Seite gedrückt hatte, zog die
+Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar
+ein Vaterunser.
+</p>
+
+<p>
+Dann machte sie sich auf den Heimweg.
+</p>
+
+<p>
+Über dem schwarzen Forst, der den Osten
+begrenzte, erhob sich bereits ein gelblicher Streif.
+<a id="page-458" class="pagenum" title="458"></a>
+Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen
+zwitscherten schon.
+</p>
+
+<p>
+Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell.
+Darum bellte der Hund auch nicht, der sie
+von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem
+Schweife gegen die Hüttenwand.
+</p>
+
+<p>
+Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen
+wollte, gewahrte sie, daß in der Kleinen
+Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und
+drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke,
+wo er mit dem Giebel zusammenstößt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie dort stand, wartend und lauschend,
+da hörte sie aus dem Innern zwei Stimmen.
+</p>
+
+<p>
+Die eine gehörte dem Jozup, die andere
+aber &mdash; vier Jahre hatte sie sie nicht mehr gehört,
+und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu
+müssen.
+</p>
+
+<p>
+Sie war also <em>doch</em> gekommen, die Wölfin!
+Für sie hatte er heute den Spazierwagen angespannt,
+sie von der Bahn abzuholen, und die
+Magd hatte geschwiegen &mdash; aus Mitleid.
+</p>
+
+<p>
+Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie
+nicht, das Elternhaus wollte sie nicht, der Wieszpatis
+wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe
+wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit
+List und mit Täuschung.
+</p>
+
+<p>
+Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und
+rannte und rannte &mdash; ohne Sinn und Verstand
+&mdash; so rasch ihr Körper es zuließ.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-459" class="pagenum" title="459"></a>
+Bloß weg! &mdash; Weg aus dem Hause! Weg
+aus dem Leben! Weg &mdash; weg &mdash; weg!
+</p>
+
+<p>
+Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue
+Wasser und die schaukelnden Kähne. Und
+der Schuppen des Jurris war auch da.
+</p>
+
+<p>
+Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs
+Haff hinaus &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+&mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Am Morgen desselben Tages segelte in drei
+Mittelbooten eine Trauergesellschaft aus der Richtung
+von Karkeln her nordwestlich nach der Nehrung
+hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Es waren Männer und Frauen aus dem
+Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer Niddnerin,
+die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett
+hatte dran glauben müssen, das Geleite gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Da der junge Witwer, um die Heimgegangene
+zu ehren, ein großes Begräbnis ausgerichtet
+hatte, so war die Nacht hindurch getanzt
+und getrunken worden, und alle befanden
+sich noch in der heitersten Stimmung.
+</p>
+
+<p>
+In dem ersten der Boote saßen die Eltern der
+Toten. Die freilich verhielten sich ruhig, aber
+sie freuten sich doch, daß die anderen so lustig
+waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man
+ihres Kindes lange und gern gedenken würde.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem
+<a id="page-460" class="pagenum" title="460"></a>
+länglichen Bündel, das die Alte vorsichtig in
+den Armen wog, während ihr Mann achtgab,
+daß die untere Kante des schlagenden Segels
+in guter Entfernung darüber hinstrich.
+</p>
+
+<p>
+In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft
+ihres Kindes, der Säugling, den sie mit
+sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn
+aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch
+nirgends zu finden gewesen, aber ob sie
+sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr
+zu bezweifeln.
+</p>
+
+<p>
+Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an
+dem Lutschpfropfen, in dem gekaute Semmelkrume
+mit geriebenem Zucker gemischt war, und
+wenn es zu schreien begann, bekam es Fenchelwasser
+zu trinken, wovon man auch nicht sehr
+satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht
+vertrug, so lag die Gefahr nicht sehr fern, daß es
+kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen würde,
+aus der es eben gekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber die andern scherten sich wenig um solche
+Großmuttersorgen. Sie lachten und sangen, und
+wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung
+die Flasche.
+</p>
+
+<p>
+Da bemerkte einer, daß von Nordosten her
+mit der Richtung des Windes ein leerer Kahn
+auf sie zutrieb.
+</p>
+
+<p>
+Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und
+darum wollte der Steuerer im vordersten Boote
+<a id="page-461" class="pagenum" title="461"></a>
+halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern.
+Aber die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen
+ihm zu, er möge das lassen; der Kahn würde in
+einer halben Stunde von selber am Ufer der
+Nehrung erscheinen und wäre dann leichter zu
+bergen als jetzt.
+</p>
+
+<p>
+So blieb er also auf seinem Wege, und die
+anderen folgten ihm nach.
+</p>
+
+<p>
+Da &mdash; als sie gerade die Windlinie durchstrichen,
+die von dem leeren Kahn auf sie zulief,
+vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines
+kleinen Kindes klang.
+</p>
+
+<p>
+Die in den hinteren Booten glaubten natürlich,
+es käme von dem Bündelchen her, das die
+Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten sofort,
+daß es damit eine andere Bewandtnis
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten
+und fuhr in kurzem Bogen dem leeren Kahne
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle
+zu ihrer Verwunderung erkannten, lag auf dem
+Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und
+zu ihren Füßen ein Neugeborenes.
+</p>
+
+<p>
+Die Weiber drängten die Männer zurück,
+damit deren Augen die Scham der Geburt nicht
+entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen
+sacht in den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten
+Dienste zu leisten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-462" class="pagenum" title="462"></a>
+Dort aber, wo das Bündelchen unter dem
+Segelrand lag, sagte der alte Mann leise zu
+seiner Frau: &bdquo;Laß uns dem Herrn ein Dankgebet
+sprechen, denn mir scheint, er hat uns vom
+Himmel Nahrung geschickt für das Kleine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Großmutter sprach: &bdquo;Frohlocke nicht
+zu früh. Das dort ist kein Jungfernkind. Sie
+sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und
+wird uns bald wieder verlassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde
+Wöchnerin in Pflege zu nehmen, und die andern
+waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten.
+</p>
+
+<p>
+So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren
+war, sich in den Wellen die ewige Ruhstatt
+zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett
+wieder erwachte und statt des einen Kindes,
+dem sie das Leben gegeben hatte, deren zwei
+in der Wiege neben sich vorfand.
+</p>
+
+<p>
+Und ob sie auch zum Verwundern und zum
+Fragen zu schwach war, so nahm sie sie doch
+gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung
+für beide.
+</p>
+
+<p>
+Dann, als man zu wissen begehrte, woher
+sie sei und wie sie sich nenne, da weinte sie nur
+und wollte nicht reden.
+</p>
+
+<p>
+Es mußte aber die Meldung an das Standesamt
+gehen, und da sie auch am zweiten und
+dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen,
+so wußten die beiden sich kaum einen Rat mehr.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-463" class="pagenum" title="463"></a>
+Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden
+der Pfarrer Hoffheinz Seelsorger war, der
+jüngere Bruder des Superintendenten, den die
+Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich
+diesem ein lebensfroher und gottgefälliger Mann,
+der die Litauer liebte, als wäre er einer von
+ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften,
+Ratschlag und Zuflucht bot, soweit sein Arm sich
+erstreckte.
+</p>
+
+<p>
+Der sagte: &bdquo;Sie scheint großes Leid erfahren
+zu haben. Darum laßt sie in Ruhe bis an den
+neunten Tag. Die Behörden werd&rsquo; ich solange
+auf mich nehmen. Und ist sie erst wieder bei
+Kräften, dann will ich sie selber befragen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das war das Richtige. Am neunten Tage
+trat er zu ihr an das Bett, schloß die Stubentür
+ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei
+Stunden.
+</p>
+
+<p>
+Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche
+Mann die Augen voll Wasser und sagte:
+&bdquo;Hier hat Gott ein Wunder getan.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An uns auch,&ldquo; sagte die Alte, &bdquo;denn ohne
+sie wäre das Kind der Anikke schon unter der
+Erde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Von nun an dauerte es keine zweite Nacht
+mehr, da erfuhr der Jozup Wilkat, wo sein Weib
+geblieben war &mdash; und mit ihr das Kind, das sie
+nach seinem Glauben ihm schuldete. Und weil
+er sich schämte, sie in den Tod getrieben zu haben,
+<a id="page-464" class="pagenum" title="464"></a>
+war er sehr froh und machte sich auf, sie heimzuholen
+&mdash; sie und das Kleine.
+</p>
+
+<p>
+Das aber war es gerade, wovor die Marinke
+zitterte bei Tag und bei Nacht und das zu verhüten
+der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte.
+</p>
+
+<p>
+Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl
+gegeben, daß, wenn ein Mann im Dorfe herumfragte,
+wo die Kiekutis wohnten, bei denen die
+Fremde sich aufhielt, kein einziger es wissen
+dürfe &mdash; nicht einmal der Schulze &mdash; und daß
+man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab,
+ins Pfarrhaus weise; da könne er&rsquo;s wahrscheinlich
+erfahren.
+</p>
+
+<p>
+So kam es, daß der Jozup, der wütend von
+einem zum andern lief und alsbald erkannte,
+daß man ihn narre, schließlich einem Manne
+ins Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht
+umspringen ließ wie mit einem schutzlosen
+Weibe.
+</p>
+
+<p>
+Ja, das Weib &mdash; das sei ihm egal, das könne
+seinetwegen gehen, Filzschuhe wichsen, aber das
+Kind &mdash; das Kind, das müsse er haben, tot oder
+lebendig.
+</p>
+
+<p>
+Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein
+guter Freund vom alten Settegast &mdash; er hat ja
+später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet
+&mdash;, das sagte er dem Jozup so nebenbei.
+Und daß, wenn auf diese Weise die Kürbisgeschichte
+ruchbar würde, von einem Verschulden
+<a id="page-465" class="pagenum" title="465"></a>
+der Frau nicht mehr die Rede sein könne, das
+sagte er auch.
+</p>
+
+<p>
+Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich,
+ließ seine Ansprüche fahren und setzte für
+die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld
+aus, so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt.
+</p>
+
+<p>
+Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen
+zu haben, fuhr er zurück übers Haff &mdash; zurück
+zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr
+hat er einen solchen Angriff gewagt.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die
+ihr fast so zugetan waren wie einst die Mutter
+Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen
+Kinde das fremde rosig und blank.
+</p>
+
+<p>
+Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt
+kam, nach ihm zu sehen, da fand er es
+nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte.
+</p>
+
+<p>
+So geschah es fast von selber, daß die beiden
+sich miteinander versprachen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem
+Jurris, und das gefiel der Marinke am meisten.
+</p>
+
+<p>
+Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille
+begangen. Und still und friedlich leben die beiden
+noch heute.
+</p>
+
+<p class="printer">
+<a id="page-466" class="pagenum" title="466"></a>
+Druck der<br />
+Union Deutsche Verlagsgesellschaft<br />
+in Stuttgart
+</p>
+
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+<a id="page-467" class="pagenum" title="467"></a>
+Anzeigen des<br />
+Cotta&rsquo;schen Verlages
+</p>
+
+</div>
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+<p class="h2 adh">
+<a id="page-468" class="pagenum" title="468"></a>
+<span class="line1">Hermann Sudermann:</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads468" summary="Table-1">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Im Zwielicht</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Frau Sorge</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Geschwister</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Zwei Novellen. 35.-37. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Katzensteg</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 106.-115. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Jolanthes Hochzeit</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Erzählung. 31.-33. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Es war</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 59.-63. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Hohe Lied</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 61.-65. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die indische Lilie</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Sieben Novellen. 21.-25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Litauische Geschichten</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Vier Geschichten. 1.-25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Ehre</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Sodoms Ende</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Heimat</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Schmetterlingsschlacht</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Glück im Winkel</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Morituri</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drei Einakter: <em>Teja</em>. Drama &mdash; <em>Fritzchen</em>. Drama &mdash; <em>Das Ewig-Männliche</em>. Spiel. 21. u. 22. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1"><a id="page-469" class="pagenum" title="469"></a>Johannes</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die drei Reiherfedern</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Johannisfeuer</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Es lebe das Leben</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Sturmgeselle Sokrates</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Komödie in vier Akten. 15. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Stein unter Steinen</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Blumenboot</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Rosen</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Vier Einakter: <em>Die Lichtbänder.</em> Drama &mdash; <em>Margot.</em> Schauspiel &mdash; <em>Der letzte Besuch.</em> Schauspiel &mdash; <em>Die ferne Prinzessin.</em> Lustspiel. 2.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Strandkinder</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Bettler von Syrakus</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der gute Ruf</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Lobgesänge des Claudian</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die entgötterte Welt</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: <em>Die Freundin.</em> Schauspiel in vier Akten. &mdash; <em>Die gutgeschnittene Ecke.</em> Tragikomödie in fünf Akten. &mdash; <em>Das höhere Leben.</em> Lustspiel in vier Akten. 7. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h2 adh">
+<a id="page-470" class="pagenum" title="470"></a>
+<span class="cottasche"><img src="images/cottasche.jpg" alt="" /></span>
+<span class="line1">Cotta&rsquo;sche Gelbe Bibliothek</span><br />
+<span class="line2">Romane und Novellen</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads470" summary="Table-2">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Althof, Paul</em> (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das verlorene Wort. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Andreas-Salomé, Lou</em>, Fenitschka &mdash; Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ruth. Erzählung. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Anzengruber, Ludwig</em>, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wolken und Sunn&rsquo;schein. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Arminius, W.</em>, Der Weg zur Erkenntnis. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Bertsch, Hugo</em>, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Birt, Th.</em>, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Böhlau, Helene</em>, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Um Helena. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. u. 19. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Bülow, Frieda v.</em>, Kara. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Burckhard, Max</em>, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Dove, A.</em>, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">10.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie v.</em>, Bo&#382;ena. Erzählung. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erzählungen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Margarete. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Moritz v.</em>, <span class="antiqua">Hypnosis perennis</span> &mdash; Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Eckstein, Ernst</em>, Nero. Roman. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>El-Correï</em>. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Enderling, Paul</em>, Der Hungerhaufen und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Zwischen Tat und Traum. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Engel, Eduard</em>, Paraskewúla und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Fontane, Theodor</em>, Ellernklipp. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Grete Minde. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Quitt. Roman. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Franzos, K. E.</em>, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">8.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-471" class="pagenum" title="471"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">9.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Frei, Leonore</em>, Das leuchtende Reich. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Frey, Adolf</em>, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Fulda, L.</em>, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Gleichen-Rußwurm, A. v.</em>, Vergeltung. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Grimm, Herman</em>, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">11.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. 2.-8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hartmann, Alfred Georg</em>, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein Künstlerroman aus Holland</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Haushofer, Max</em>, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heer, J. C.</em>, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Da träumen sie von Lieb&rsquo; und Glück! Drei Schweizer Novellen. 28.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. 21.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heilborn, Ernst</em>, Kleefeld. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L&rsquo;Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben &mdash; Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-472" class="pagenum" title="472"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Märchen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Martha&rsquo;s Briefe an Maria. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.30</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Meraner Novellen. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Novellen. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vroni und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Xaverl und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hillern, W. v.</em>, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; &rsquo;s Reis am Weg. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hirschfeld, Georg</em>, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Höcker, Paul Oskar</em>, Väterchen. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hofe, Ernst von</em>, Sehnsucht. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hofer, Klara</em>, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich Hebbels. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hopfen, Hans</em>, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Huch, Ricarda</em>, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Junghans, Sophie</em>, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kaiser, Isabelle</em>, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Knudsen, J.</em>, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Krauel, Wilhelm</em>, Von der andern Art. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Hermann</em> (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Italienische Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Langmann, Philipp</em>, Leben und Musik. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-473" class="pagenum" title="473"></a><em>Lilienfein, Heinrich</em>, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die große Stille. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Lindau, Paul</em>, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">8.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Mahn, Paul</em>, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Mauthner, Fritz</em>, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von &bdquo;<em>Lügenohr</em>&ldquo;</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Meyer-Förster, Wilh.</em>, Eldena. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Meyerhof-Hildeck, Leonie</em>, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Töchter der Zeit. Münchner Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Moreck, Curt</em>, Büßer des Gefühls. Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Moersberger, Felicitas Rose</em>, Pastor Verden. Ein Heideroman. 2.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Muellenbach, E.</em> (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aphrodite und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vom heißen Stein. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Niessen-Deiters, Leonore</em>, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em>. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Liebesfalle. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Mitmenschen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Pietsch, Otto</em>, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Prel, Karl du</em>, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neues Novellenbuch. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rittberg, Gräfin Charlotte</em>, Der Weg zur Höhe. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rommel-Hohrath, Clara</em>, Im Banne Roms. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rosner, Karl</em>, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausg.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, H. Wolfgang</em>, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-474" class="pagenum" title="474"></a><em>Skowronnek, R.</em>, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Speidel, Felix</em>, Hindurch mit Freuden. Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Stegemann, Hermann</em>, Der Gebieter. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stille Wasser. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Steinhart, Armin</em> (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Stratz, Rudolph</em>, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman einer Studentin. 18.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du bist die Ruh&rsquo;. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ich harr&rsquo; des Glücks. Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Montblanc. Roman. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der deutschen Armee. 46.-50. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Sudermann, Hermann</em>, Es war. Roman. 59.-63. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Telmann, Konrad</em>, Trinacria. Sizilische Geschichten</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Trojan, Johannes</em>, Das Wustrower Königsschießen und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Uxkull, Gräfin Lucy</em>, Rote Nelken. Ein sozialer Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vockeradt, Emma</em>, Wanderer im Dunkeln. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vogt, Martha</em>, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vollert, Konrad</em>, Sonja. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Voß, Richard</em>, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Watzdorf-Bachoff, E. v.</em>, Maria und Yvonne. Geschichte einer Freundschaft. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-475" class="pagenum" title="475"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Meister Amor. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erika &mdash; Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Fesseln. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Franz. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Irma. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Familie Roland. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Sänger. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Villa Maria. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wildenbruch, E. v.</em>, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wohlbrück, Olga</em>, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Worms, C.</em>, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erdkinder. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. u. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h2 adh">
+<a id="page-476" class="pagenum" title="476"></a>
+<span class="line1">Ferner werden empfohlen:</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads476" summary="Table-3">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Auerbach, Berthold</em>, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl.</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Auf der Höhe. Roman. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Spinoza. Ein Denkerleben</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">1.70</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.10</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Baumbach, Rudolf</em>, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aus der Jugendzeit. 10. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Märchen. 9. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie</em> v., Die erste Beichte. Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Grisebach. Ed.</em>, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der Krieg und die Frauen. Novellen. Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">1.80</td>
+ </tr>
+ <tr class="r">
+ <td class="col1" colspan="1">In Geschenkband</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L&rsquo;Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.40</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">10.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hoffmann, Hans</em>, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ostseemärchen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Keller, Gottfried</em>, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. 86.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">13.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">9.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Züricher Novellen. 88.-92. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Sinngedicht. Novellen &mdash; Sieben Legenden. 71.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kügelgen, Wilhelm</em> v., Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Unsere Carlotta. Erzählung</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Frutti di Mare. Zwei Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Genesung &mdash; Sein Todfeind &mdash; Gedankenschuld. Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Phantasieen und Märchen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Müller, Hans</em>, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Olfers, Marie v.</em>, Neue Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Vernunftheirat und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausgegeben von <em>H. W. Seidel</em>. 2. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="trnote chapter">
+<p class="transnote">
+Anmerkungen zur Transkription
+</p>
+
+<p>
+Der Zensurstempel &bdquo;A. g. XIII.&ldquo; wurde von der Titelseite entfernt.
+</p>
+
+<p>
+Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: futtern,
+Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a.
+</p>
+
+<p>
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
+Weitere Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen,
+sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
+</p>
+
+
+
+<ul>
+
+<li>
+... sich des guten Gewissens erfreuen, <span class="underline">den</span> solch ein ...<br />
+... sich des guten Gewissens erfreuen, <a href="#corr-2"><span class="underline">das</span></a> solch ein ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... mit <span class="underline">einen</span> Male einen feierlichen Gesang. ...<br />
+... mit <a href="#corr-5"><span class="underline">einem</span></a> Male einen feierlichen Gesang. ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Das kam <span class="underline">dem</span> Jurris hart an, aber was sollte ...<br />
+... Das kam <a href="#corr-8"><span class="underline">den</span></a> Jurris hart an, aber was sollte ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Gespielen <span class="underline">betrachtet</span>. Das Reiten und Fahren ...<br />
+... Gespielen <a href="#corr-9"><span class="underline">betrachten</span></a>. Das Reiten und Fahren ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Räder mahlten, und die <span class="underline">Achseln</span> schlackerten. ...<br />
+... Räder mahlten, und die <a href="#corr-10"><span class="underline">Achsen</span></a> schlackerten. ...<br />
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
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+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #63946 (https://www.gutenberg.org/ebooks/63946)
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+The Project Gutenberg EBook of Litauische Geschichten, by Hermann Sudermann
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
+most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
+of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
+will have to check the laws of the country where you are located before
+using this ebook.
+
+Title: Litauische Geschichten
+
+Author: Hermann Sudermann
+
+Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
+ https://www.pgdp.net
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+
+ Litauische Geschichten
+
+
+
+
+ Litauische Geschichten
+
+
+ Von
+ Hermann Sudermann
+
+ 2.-25. Auflage
+
+
+ Stuttgart und Berlin 1917
+ J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
+
+
+ Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
+
+ Für die Vereinigten Staaten von Amerika:
+ Für die nachstehenden Erzählungen »Die Reise nach Tilsit« und
+ »Miks Bumbullis«
+ Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin
+
+
+ Seinem lieben und verehrten Freunde
+ Ökonomierat Scheu
+ auf Adl. Heydekrug
+ zugeeignet
+
+
+
+
+ Inhalt
+
+
+ Seite
+ Die Reise nach Tilsit 9
+ Miks Bumbullis 69
+ Jons und Erdme 141
+ Die Magd 349
+
+
+
+
+ Die Reise nach Tilsit
+
+
+Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am Haff liegt Wilwischken. Und
+wenn man von dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen will, muß
+man so nah an den Häusern vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn
+aus mit ein paar Zwiebeln -- es können auch Gelbrüben sein -- die
+Fenster einzuschmeißen.
+
+Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich schade. Denn
+Wilwischken ist ein sauberes Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner
+betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei einträgliche Acker- und
+Gartenwirtschaft, und die Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt.
+
+Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die, die an der Mündung der
+Parwe gleichsam die scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas
+Balczus.
+
+Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher Fischer, der bei jedem
+Raubfang sein Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der am
+Montagabend seine Barsche in Heydekrug unterm Preis ausbietet und am
+Dienstagnachmittag betrunken heimfährt; der Ansas Balczus ist beinahe
+schon ein Herr, der mit den Deutschen deutsch spricht wie ein Deutscher,
+der sich sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der sich bei seinen
+Prozessen so gut zu verteidigen weiß, daß er die Anwaltskosten sparen
+kann.
+
+Er hat sich auch eine feine Frau genommen, der Ansas Balczus. Sie stammt
+aus Minge und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat, dem die großen
+Haffwiesen gehören. Daß er die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte
+keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und sie ging so blaß und
+sanft an ihnen vorbei, als ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre.
+
+Nun _hat_ er sie aber und kann stolz auf sie sein. Sie hat ihm drei
+hübsche Kinder geboren, und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie
+mit der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde. Ihre Butter wird ihr
+von den Händlern schon weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt,
+ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und breit, und im
+Brautwinkel stehen seit vorigen Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man
+erzählt sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie sieben Jahre alt
+sein wird, ein Klavier kaufen will.
+
+Und dabei geht sie noch ebenso sanft und blaß ihres Wegs, wie sie es als
+Mädchen getan hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn man sie
+anspricht.
+
+So ist die Indre Balczus. Und wenn _ich_ der Ansas wäre, ich würde meine
+Hände zum Himmel heben, morgens und abends, daß _sie_ meine Frau ist und
+keine andere.
+
+Und so war es auch früher, aber seit die Busze als Magd ins Haus
+gekommen ist, hat es sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die
+Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken, wenn von dem Hof
+des Balczus Schimpfen und Weinen herüberschallt.
+
+Das Schimpfen kommt von dem Ansas. _Die_ Stimme kennt ein jeder. Aber
+weinen tut nicht die Indre -- _wenn_ sie's tut, so nur ganz leis und in
+der Nacht --, es sind die drei Kinder, die da weinen über all das Üble,
+das ihre Mutter erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein Lachen
+darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart wie Glas und schadenfroh wie
+Hähergeschrei.
+
+Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht. Wenn sie nicht selbst eine
+Besitzerstochter wäre und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes,
+hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten können. Warum muß die
+überhaupt dienen gehen mit ihren blinkernden Achataugen und dem Fleisch
+wie von Apfelblüten? Wer weiß, wie vielen die schon die Köpfe verdreht
+hat! Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn sie irgendwo einen
+ganz verrückt gemacht hat, dann lacht sie und geht in einen anderen
+Dienst.
+
+Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun als das leibhaftige
+Gegenteil der stillen und sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und
+rumort vom Morgenstern an bis in die späte Nacht, schafft für dreie und
+wird schon aufgebracht, wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen.
+
+Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer gewesen ist, kennt sie
+überhaupt keinen Spaß mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie die
+Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und er ist schwach und tut, was
+sie will.
+
+Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor, wo die Frau arm eingezogen ist
+oder aber kränklichen Leibes und darum die Dinge gehen läßt, wie sie
+gehen. Aber der Indre gegenüber, dem reichen Jaksztat seiner schönen
+Tochter, die bloß zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so einem
+Biest auflegen zu können, da versteht man die Welt nicht mehr.
+
+Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen ist und sie geschlagen hat,
+kommt die Nachbarin, die Ane Doczys, zu ihr und sagt: »Indre, wir können
+das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum. Wir haben beschlossen, ich
+schreib's deinem Vater.«
+
+Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist, und sagt: »Tut's nicht,
+sonst nimmt er mich mit, und was wird dann aus den Kindern?«
+
+»Wir tun's doch,« sagt die Doczene, »denn solch ein Frevel darf nicht
+sein auf der Welt.«
+
+Und die Indre bittet auch noch für ihren Mann und sagt: »Spricht es sich
+immer weiter herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück. Heiraten darf
+er sie nicht wegen des Ehebruchs. Auf den müßt' ich klagen, denn nur so
+kann ich die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt betrinkt er sich
+immer häufiger. Was dann erst wird, das überlegt sich ein jeder.«
+
+»Aber soll denn das immer so fortgehen?« fragt die Doczene.
+
+»Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen, wenn sie genug gehabt
+hat,« sagt die Indre, »und mit ihm wird sie's nicht anders machen.«
+
+Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens, wie Nachbarinnen sind, denen
+es morgen ebenso gehen kann, warnt sie wieder und wieder.
+
+»Wir haben uns auch erkundigt,« sagt sie, »das sind dann immer
+Saufbengels gewesen und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann läßt die
+nicht los.«
+
+Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte, was für einen
+vortrefflichen Mann sie gehabt hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie
+weint und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie wendet nur ein
+wenig das eingefallene Gesicht und sagt: »Wie Gott will.«
+
+Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will.
+
+Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem Mann, der auf der Ofenbank liegt
+und schläft: »Doczys,« sagt sie, »hier sind die Wasserstiefel. Setz die
+Segel ins Mittelboot, wir fahren nach Minge.«
+
+»Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?« fragt er ungehalten; denn wer
+schläft, will Ruhe haben.
+
+Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken, daß es ihr morgen ebenso
+gehen kann, fackelt nicht viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch
+noch die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe Stunde später fahren
+die beiden nach Minge.
+
+Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat in Wilwischken an. Er ist nicht
+zu Kahn gekommen, das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen, sondern hat
+den Umweg über Land nicht gescheut, um seinem Schwiegersohn mit dem
+Verdeckwagen und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die Nase zu
+reiben, welcherart das Haus ist, aus dem seine Frau herstammt.
+
+Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch alle. Der o-beinige, kleine
+Mann mit dem lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen
+war ja bekannt genug. Als er starb, ist er schließlich gar nicht so
+reich gewesen. Aber das tut nichts zur Sache.
+
+Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht als erste das Fuhrwerk
+vorfahren und tritt aus dem Hause.
+
+Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend, und funkelt ihn an.
+
+Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die Peitsche aus der Hand und
+reißt ihr eins über. Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm
+herunter flammt die Strieme.
+
+Und was tut sie? Sie packt den alten Mann, zieht ihn vom Wagen und fängt
+ihn mit den Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt vom Bock, der
+Ansas Balczus kommt aus dem Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen
+gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson zu entreißen. Weiß Gott,
+sie hätte ihn sonst vielleicht umgebracht.
+
+So schlimm dies Vorkommnis an und für sich sein mag, in der nun
+folgenden Unterredung gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit vom
+Wege abgekommen ist der Ansas Balczus doch noch nicht durch seine
+Kebserei, daß er nicht wüßte, welche Schande ein solcher Empfang dem
+Hause weit und breit bereiten muß.
+
+Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem hinter die Ohren
+gestrichenen gelben Flachshaar und dem braunen Sommersprossengesicht vor
+dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen lassen soll.
+
+Der schnauft immerzu vor Zorn und weil ihm noch vom Herumrangen die Luft
+fehlt.
+
+»Wo ist deine Frau?«
+
+Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine Frau ist? Die läuft in ihrer
+Ratlosigkeit oft genug aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf und
+Schlägen sicher ist.
+
+»Ich bin der reiche Jaksztat!« schimpft der Alte. »Mir soll so was
+passieren!«
+
+Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall, so gut es geht. Aber was
+kann er viel sagen?
+
+»Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort aus dem Hause!«
+
+»Na, na,« brummt der Ansas. Wäre das nicht eben geschehen, so hätte er
+wahrscheinlich die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei _seine_
+Wirtschaft, hier hab' er allein was zu sagen, aber jetzt brummt er bloß:
+»Na, na.«
+
+Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht, und nun legt er los. Es
+gibt nicht viel Schimpfwörter im Litauischen, die der Ansas für sich und
+sein Frauenzimmer _nicht_ zu hören gekriegt hat in dieser Stunde.
+
+Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt auf der Ofenbank und
+weint.
+
+Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden Ältesten aus der Schule
+geholt und geht über den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm, schlank
+und rank, geradeso wie die katholische heilige Jungfrau.
+
+Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt sie zusammen, setzt das
+Kindchen auf die Erde und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am
+raschesten verstecken.
+
+Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür hinaus -- und sie packen -- und
+sie hereinziehen -- hast du nicht gesehen!
+
+»Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,« fährt er den Schwiegersohn an,
+»und küssest den Saum ihres Gewandes!«
+
+So ohne Willen, wie der auch ist, das will er doch nicht. Aber der Alte
+hilft kräftig nach, und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem
+Schluchzer: »Ich weiß, ich bin ein Sünder vor dem Herrn.«
+
+»Steh auf, Ansas,« sagt sie in ihrer milden Weise und legt die Hand auf
+seinen Kopf. »Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt du es mir
+nachher nicht, und es bleibt alles beim alten.«
+
+Ach, wie gut hat sie ihn gekannt!
+
+Aber vorläufig geht er auf alles ein und verspricht dem Alten, daß die
+Busze mit seinem Willen den Hof nicht mehr betreten soll und daß sie
+jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll.
+
+Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht zu verlangen. Aber er besteht
+darauf. Er hätte es lieber nicht sollen.
+
+»Die Busze! Wo ist die Busze?«
+
+Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht mit einem Taschentuch verbunden
+wie eine mit Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat sie eine nasse
+Schürze gewickelt. Zum Kühlen.
+
+Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei ganz freundlich an.
+
+»Na also, was ist?« sagt sie. »Ich hab' zu tun.«
+
+»Du hast hier nichts mehr zu tun,« sagt der Alte, »und das wird dir dein
+Brotherr gleich klarmachen.«
+
+»Da bin ich doch neugierig,« trumpft sie als eine, die ihrer Sache
+sicher ist.
+
+Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen und wo aufhören. Aber weil sie
+mit ihrem verbundenen Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht, wird es
+ihm leichter. Er stottert was von »Hausfrieden« und »man muß Opfer
+bringen« und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus.
+
+Sie lacht laut auf und lacht und lacht. »Haben sie dich richtig
+kleingekriegt, du Dreckfresser?« sagt sie. »Ums übrige wirst du ja bald
+wissen, wo du mich finden kannst.«
+
+Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür hinter sich zu. -- -- --
+
+Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen. Und anfangs scheint es auch
+so. Der Ansas tut freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen auf
+den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt er ihr aus dem Hofmannschen
+Laden sogar ein Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen Blick, und
+wenn er kann, geht er ihr aus dem Wege.
+
+Die Indre schreibt nach Hause: »Es ist alles wieder gut.« Aber auf das
+Papier sind ihre Tränen gefallen.
+
+Denn die Busze ist immer noch da. Sie hat sich bei den Pilkuhns
+eingemietet, die hinten am Abzugsgraben wohnen, und was das für Gesindel
+ist, das weiß in Wilwischken ein jeder. Sie tut so, als arbeitet sie in
+den Wiesen, aber man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man sie
+irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit, den beiden Kindern, wenn sie
+aus der Schule kommen, Gerstenzucker zu schenken.
+
+Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel wird? Kein Mensch weiß. Er geht
+an der Parwe entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen, daß sich
+kein Abendrot zum Wasser hinfindet. Und die Leute, die vor den Türen
+sitzen, reden leise hinter ihm drein: »Jetzt trifft er sich mit der
+Busze.«
+
+Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich wirklich mit der Busze.
+
+Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet, sitzen sie bis in die
+Nacht hinein und schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was sie auch
+übersinnen, -- die Frau, die Indre, steht immer dazwischen.
+
+»Laß dich scheiden!«
+
+Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die Kinder! Der Endrik, der
+Älteste, soll einmal das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm selbst
+aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst gar Klavier spielen.
+Solche Kinder stößt man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar nicht
+zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater, der reiche Jaksztat, die
+zweite Hypothek hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er kündigt?
+
+Aber die Indre muß fort! Die Indre muß aus dem Wege! Die Indre mit ihrem
+Buttergesicht. Die Indre, die ihm nachspioniert. Die Indre, die
+allabendlich von Tür zu Tür läuft, um ihn schlecht zu machen vor den
+Leuten. Die Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches gibt, was sie
+nicht erzählt von ihm. Sogar daß er einen Bruchschaden hat, hat sie
+erzählt. Woher sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht ist
+sie bei all ihrer Scheinheiligkeit.
+
+Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene Sache. Es fragt sich bloß,
+wie.
+
+Er natürlich will nichts davon hören, aber es muß ja doch sein.
+
+Manche Frauen sterben im Kindbett -- man braucht kaum einmal
+nachzuhelfen, aber das kann lange dauern und bleibt eine unsichere
+Sache.
+
+Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei mal zwei vier ist. Und wer's
+dann getan hat, weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken? Aber die
+Indre geht nicht aufs Wasser. Das ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal
+auf dem Wasser gewesen.
+
+Sie wird schon gehen -- man muß ihr nur zureden.
+
+Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig 'reinspringen? Ja, selbst _wenn_
+sie's täte, wer würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück, sitzt man
+auch schon in Untersuchung.
+
+Gift oder Ertrinken -- es ist ein und dasselbe.
+
+Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die Busze weiß Rat.
+
+Ob er schwimmen kann.
+
+Er kann schon schwimmen. Aber in den schweren Stiefeln nutzt das nichts.
+Da wird man auf den Grund gezogen wie die »Kulschen« -- die kleinen
+Steine im Staknetz.
+
+Dann muß man barfuß 'raus. Jetzt im Sommer fährt jeder barfuß 'raus.
+
+Er, der Ansas, hat das nie getan, und das wissen die Leute.
+
+Ob die Indre schwimmen kann.
+
+Wie die bleiernen Entchen -- so kann die Indre schwimmen.
+
+»Also, es wird gehen,« meint nachdenklich die Busze.
+
+»_Was_ wird gehen?«
+
+Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen Sommer, an der Windenburger
+Ecke, wobei die zwei Fischer ums Leben gekommen sind?
+
+Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der eine der Toten ist ja sein
+Vetter gewesen.
+
+Ob er auch weiß, wie es geschehen ist.
+
+Genau weiß es niemand, aber man nimmt an, daß sie betrunken gewesen sind
+und die gefährliche Stelle verschlafen haben, die Stelle hinter dem
+Leuchtturm, wo der Wind plötzlich einsetzt und wo man scharf aufpassen
+muß, will man nicht kentern wie ein zu hoch geladener Heukahn.
+
+Ob man das Kentern nicht auch künstlich machen kann!
+
+Ja, wenn man durchaus ersaufen will.
+
+Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten kann!
+
+Bis an Land schwimmt keiner.
+
+Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen kann mit Binsen oder
+Schweinsblasen, die einen stundenlang über Wasser halten!
+
+Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich und würde bemerkt werden.
+
+Dann müßte man sie nach dem Gebrauch aus der Welt schaffen.
+
+»Ja, aber wie?«
+
+Die Busze wird nachdenken.
+
+So reden und beraten sie Stunden und Stunden lang, Nacht für Nacht. Die
+Busze fragt, und er antwortet. Und aus dem Fragen und dem Antworten
+backen sie bei langsamem Feuer den Kuchen gar, an dem die Indre sich den
+Tod essen muß.
+
+Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie sie am besten zu dem Ausflug
+zu bringen ist. Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen, ehe der
+Schlag geführt werden kann. Wo aber die Gründe hernehmen, um die
+häufigen Fahrten zu rechtfertigen? -- Und wie selten auch weht der Süd
+oder der Südwest, bei dem allein das Unternehmen gelingen kann, und noch
+dazu in der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas Besonderes gefunden
+werden, ein Grund wie kein anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig
+macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt.
+
+Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer wieder ans Herz, heißt es
+freundlich zu der Indre sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird und
+auch die Nachbarn glauben können, es sei nun alles wieder in Ordnung.
+
+Und er ist freundlich zu der Indre -- so freundlich, wie's einer
+versteht, der sich nie im Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz
+klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen, er bessert den
+Stöpsel im Rauchfang, er küßt sie beim »Guten Tag« und »Gute Nacht«, und
+er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt sie nicht an.
+
+Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn er um Mitternacht
+heimkommt, um den Dunst der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor an
+sich herumträgt.
+
+Und schließlich -- die Busze hat es so verlangt -- bringt er auch das
+schwerste Opfer und geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht.
+Von nun an verkehren sie nur durch den Briefträger. Die Aufschriften
+sind von einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er weisgemacht hat,
+er könne nicht schreiben, auf Vorrat gefertigt, und drinnen stehen
+Zeichen, die nur sie beide verstehen.
+
+So muß auch die Indre glauben, der heimliche Verkehr habe aufgehört.
+Aber täuschen läßt sie sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe
+sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn er sich vor ihr wunder
+wie niedlich macht, denkt sie bei sich: »Wie seh' ich ihn doch durch und
+durch!«
+
+Eines Tages kommt er besonders liebselig auf sie zu und sagt: »Mein
+Täubchen, mein Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich möchte dir
+gern etwas Gutes bereiten, such es dir aus.«
+
+Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er Hinterhältiges im Sinne
+führt. Und sie sagt: »Ich brauche nichts Gutes. Ich hab' ja die Kinder.«
+
+»Nein, nein,« sagt er, »es muß sein. Schon wegen der Nachbarn. Auch
+deinem Vater will ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben. Weißt du
+nichts, so denke nach, und auch ich werde mir den Kopf zerbrechen.«
+
+Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber sie weiß noch immer nichts.
+
+Da sagt er: »Nun, dann weiß ich es. Du hast noch nie die Eisenbahn
+gesehen. Laß uns nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn
+siehst.«
+
+Sie sagt darauf: »Die Leute erzählen sich, daß die Eisenbahn nächstens
+bis nach Memel geführt werden soll, und Heydekrug wird dann eine Station
+werden. Wenn es so weit ist, kann ich ja einmal zum Wochenmarkt
+mitfahren.«
+
+Aber er gibt sich nicht zufrieden.
+
+»Tilsit ist eine schöne Stadt,« sagt er, »wenn du nicht hinfahren
+willst, so weiß ich, daß du einen bösen Willen hast und an Versöhnung
+nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne habe, als dir zu
+Gefallen zu leben.«
+
+Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte mit der Magd wirklich
+aufgegeben hat, und sie beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden.
+
+Und sie sagt: »Ach Ansas, ich weiß ja, daß du es nicht aufrichtig
+meinst, aber ich werde dir wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind wir
+ja alle in Gottes Hand.«
+
+Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot werden kann wie irgend ein
+junges Ding. Und weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und schämt
+sich draußen. Aber ihm ist zumut, als _muß_ er es tun und ein Zurück
+gebe es nicht. Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel vorwärts
+schuppst, so ist ihm zumut. Und darum fängt er an demselben Tage noch
+einmal an.
+
+»In Tilsit ist ein Kirchturm,« sagt er, »der ruht auf acht Kugeln, und
+darum hat ihn der Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen wollen. Er
+ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine so merkwürdige Sache muß man doch
+sehen.«
+
+Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber nichts.
+
+»Außerdem,« fährt er fort, »gibt es ja ein Lied, das geht so:
+
+ Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!
+ Ich liebe dich heute wie einst,
+ Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch,
+ Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.
+
+Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne Stadt Tilsit ist.«
+
+Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch einmal an, und er wird
+wieder rot und redet rasch von anderen Dingen.
+
+Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin: »Nun, wann werden wir
+fahren?« Als ob es längst eine abgemachte Sache wäre.
+
+Sie denkt: »Will er mich los sein, so kann er es auf tausend Arten. Es
+ist das Beste, ich füge mich.«
+
+Und zu ihm sagt sie: »Wann du wirst wollen.«
+
+»Nun, dann je eher, je besser,« sagt er.
+
+Es wird also der nächste Morgen bestimmt.
+
+Und wie die Busze es ihm eingegeben hat, läuft er am Nachmittag von
+Wirtschaft zu Wirtschaft und sagt: »Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß ich
+mich schlecht aufgeführt habe. Aber von nun an soll alles anders werden.
+Zum Zeichen dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt nach
+Tilsit machen. Damit will ich sozusagen die Versöhnung festlich
+begehen.«
+
+Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch noch. Genau, wie die Busze es
+vorhergesagt hat.
+
+Was aber tut die Indre inzwischen?
+
+Sie legt die Sachen der Kinder zurecht, schreibt auf ein Papier, was sie
+am Alltag und am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke Leinwand,
+die sie selber gewebt hat, künftig einmal zu verschneiden sind. Auch
+ihre Kleider verteilt sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys, und
+die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt sie noch ihr Leichenhemde
+bereit und was ihr sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann ist
+sie fertig.
+
+Draußen auf dem Hof spielen die Kinder. Sie denkt: »Ihr Armen werdet
+schlechte Tage haben, wenn die Busze erst da ist.«
+
+Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz nachdem der Ansas dagewesen
+ist, und sagt: »Dem Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß, daß
+ich von dieser Reise nicht wiederkommen werde.«
+
+Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: »Warum sollst du nicht
+wiederkommen? Nach Tilsit ist bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch
+ein Versöhnungsfest sein.«
+
+Die Indre lächelt bloß und sagt: »Wir werden ja sehn. Darum versprich
+mir, daß du auf die Kinder achtgeben wirst und dem Großvater schreibst,
+wenn es ihnen nicht gut geht.«
+
+Die Ane weint und verspricht alles, und die Indre geht heim. Sie bringt
+die Kinder zu Bett und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ...
+
+In der Frühe, lang' vor der Sonne, fahren sie ab.
+
+Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider an, und auch sie hat sich
+geschmückt, denn es soll ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die
+rote, grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock, in dem sie vor
+neun Jahren mit ihm zur Versprechung nach der Kirche gefahren ist, und
+ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen.
+
+Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen und in dem vorderen
+Abschlag verstaut.
+
+Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten Wichsstiefel in der Hand. Im
+letzten Augenblick bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand
+gepackt, das wirft er neben sich vor das Steuer und sieht sie verstohlen
+dabei an, als ob er eine Frage erwartet.
+
+Aber sie fragt nichts.
+
+Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß ihm die Hände zittern. Er
+will sich nichts merken lassen und sagt: »Es ist ein hübsches kleines
+Windchen, wir können zu Mittag in Tilsit sein.«
+
+Sie sagt: »Mir ist es gleich.«
+
+Und er meint: »Ob es hin auch noch so rasch geht, zurück muß man
+kreuzen.«
+
+Dann wirft er das Schwert aus und setzt auch den Raginnis, das kleine
+Vorsegel. Er sitzt nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so daß sie
+ihn kaum sehen kann.
+
+Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings in dem Wasser glucksen die
+Fischchen.
+
+Über das weite Haff hin ist es nach Westen wie eine blaugraue Decke
+gebreitet, nur drüben die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein.
+
+Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen, dort, wo die Landzunge
+sich spitz in das Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine
+und wirft dann mit raschem Griff das Steuer um, denn von nun an geht es
+mit vollem Wind geradeswegs nach Osten.
+
+So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor dieser Stelle hat sie schon
+immer Angst gehabt, denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen ist,
+dann war es nur hier.
+
+Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das liebe Minge, das in der
+Ferne ganz deutlich zu sehen ist, und denkt bei sich: »Ach Vater, wenn
+du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die Indre fährt.«
+
+Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche Stelle macht ihr das
+Herz eng.
+
+Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung zu, die mit ihren
+Grasbändern rechts und links schon lang' auf sie zu warten scheint.
+
+Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom, breit wie die Memel selber,
+von der er ein Arm ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf dem
+Wasser ein Reibeisen.
+
+»Zwei Mundvoll mehr wären gut,« sagt der Ansas halb abgewandt zu ihr
+herüber, »denn wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn merkt ihn
+doch.«
+
+Sie denkt bloß: »Ich möchte nach Minge.« Aber Minge liegt längst weit im
+Rücken. Denn drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen
+Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die Leute sagen, daß, wer
+darauf wohnen will, sich Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er
+nicht vor und nicht zurück.
+
+»Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,« denkt sie, »und muß
+stillhalten, wie er es bestimmt.«
+
+Nun macht der Strom den großen Ellbogen nach Süden hin, und die Segel
+schlagen zur Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper sehen kann.
+Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag vorn an der Spitze, und er
+hinten am Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen.
+
+Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken. Er rückt nach
+rechts, er rückt nach links, aber es hilft ihm nichts.
+
+»Du armer Mann,« denkt sie, »ich möchte nicht an deiner Stelle sein.«
+Und sie lächelt ihn traurig an, so leid tut er ihr.
+
+Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der große Herrenort, in dem so viel
+getrunken wird wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner Wasserpunsch
+fürchten sich ja selbst die Herren von der Regierung.
+
+Zuerst mit den vielen Flößen davor der Anckersche Holzplatz und eine
+Sägemühle und dann noch eine und noch eine.
+
+Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern stromab aus Rußland kommen,
+sitzen in ihren langen, grauen Hemden auf der Floßkante und baden sich
+die Füße. Hinter ihnen rauchen die Kessel zum Frühstücksbrot.
+
+»Er wird mir wohl Gift 'reintun,« denkt sie. Aber noch hat sie das
+mitgebrachte Essen in ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu sich
+nehmen.
+
+Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen Sägemühle. Auch hier liegen
+Holztriften fest, und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik machen
+müssen, fangen schon an, die Kehlen zu stimmen.
+
+Eins von den Liedern kennt sie:
+
+ _Lytus lynòju, rasà rasòju,_
+ _O mùdu abùdu lovò gulèju._
+
+Sie denkt: »Wenn alles so wäre wie einst, dann würden wir jetzt
+mitsingen.«
+
+Die Dzimken winken ihnen auch einladend mit den Händen, aber keines von
+ihnen beiden grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen während der
+Fahrt noch zugewinkt, aber niemals haben sie Antwort gegeben.
+
+Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine traurige Gegend. Links das
+Medszokel-Moor, wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das Bredszuller
+Moor, das auch nicht viel wert ist. Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln
+und Höhen der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem die wilden Elche
+hausen.
+
+Und sie muß an jenen Frühlingstag denken, vor sieben Jahren. Sie trug
+damals die Elske im sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon wenig
+mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu ihr: »Wir wollen nach Ibenhorst
+fahren, vielleicht daß wir die Elche sehen.« Aber er nahm nicht wie
+heute die Waltelle -- das Mittelboot --, denn damit kommt man in den
+kleinen Seitenflüssen nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem
+fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch das Gewirr der fließenden
+Gräben, durch Rohr und Binsen, stunden- und stundenlang. Und sie hatte
+den Kopf auf seinem Schoß liegen und sagte ein Mal über das andere:
+»Ach, was brauchen wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz
+wunderschön.« Und schließlich sahen sie doch einen. Es war ein mächtiger
+Bulle mit einem Geweih rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz nahe
+im Röhricht und kaute und sah sie an. Ansas sagte: »Sehr wild scheint
+der nicht zu sein, ich fahr' einfach auf ihn los.« Aber die Elske in
+ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte einen heftigen Sprung. Und
+als sie ihm das sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren sollte.
+
+An jenen Frühlingstag also muß sie denken, und dabei kommt mitten aus
+ihrer Ergebung der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten
+Hände vor die Stirn legt und dreimal weinend sagt: »O Gott, o Gott, o
+Gott!«
+
+Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht und über die Großmastbank zu
+ihr herübersteigt.
+
+»Worüber klagst du eigentlich?« hört sie ihn sagen.
+
+Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt: »Ach Ansas, Ansas, weißt du
+nicht besser als ich, warum ich klage?«
+
+Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht stumm zum Hinterende
+zurück.
+
+Auf einer der entgegenfahrenden Triften spielt ein Dzimke die Harmonika.
+
+Sie denkt: »Nun wird die Elske wohl nie mehr Klavier spielen lernen ...
+und der Willus wird auch niemals ein Pfarrer werden.« Denn das hat sie
+sich in ihrem Sinne vorgenommen, weil es ein gottgefälliges Werk ist.
+
+Sie denkt weiter: »Ich werde es mir noch vorher von ihm versprechen
+lassen.« Aber wie kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen wird, so
+daß sie noch Zeit behält zum Bitten? Jeden Augenblick kann es kommen,
+denn oft ist alles menschenleer -- auch an den Ufern weit und breit.
+
+»Was mag er nur in der Sackleinwand haben?« denkt sie weiter. »Da drin
+muß es sein, womit er das Schreckliche ausüben will. Aber was kann es
+sein?« Das Paket ist rund und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer
+so stark. Als er es vor der Abfahrt auf den Boden warf, ist kein Schall
+zu hören gewesen. Es muß also leicht sein von Gewicht.
+
+»Das Beste ist,« denkt sie, »ich lasse es kommen, wie es kommt, und
+nutze die Zeit, um Frieden zu machen mit dem Herrn.«
+
+Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt. Sie weiß kaum einmal,
+um was sie beten soll. Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht. Da
+braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein Floß kommt. Und so betet
+sie für die Kinder. Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne.
+
+Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht sagen. Aber die Sonne
+steht schon ganz hoch, da hört sie von drüben seine Stimme: »Bring mir
+zu essen, ich hab' Hunger!«
+
+Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse. »Jetzt wird es geschehen,«
+denkt sie. Aber wie sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst
+hinüberträgt und Brot und Butter dazu, da zittert sie nicht, denn jetzt
+denkt sie wieder: »Nein, so kann es _nicht_ geschehen, er wird sich eine
+andere Art und Weise suchen.«
+
+Und dann, wie er fragt: »Ißt du denn nichts?«, kommt ihr plötzlich der
+Gedanke: »Es wird _gar_ nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn malt
+es mir aus.«
+
+Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er dasitzt, in sich
+zusammengekrochen und die Blicke irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser
+gerichtet, bloß nicht auf sie, dann weiß sie: »Es wird _doch_
+geschehen.«
+
+Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt: »Was hast du da in der
+Sackleinwand?«
+
+Er zieht finster den Mund in die Höhe und antwortet: »Meine
+Wasserstiefel.« Aber sie weiß, daß das nicht wahr sein kann, denn deren
+Absätze sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen geklappert.
+
+Dann packt sie die Speisen zusammen und geht nach dem Vorderende zurück.
+
+Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr Kopftuch tief in die Augen
+ziehen.
+
+Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen, auch der schwarze Rand
+des Ibenhorstes ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt sich die
+fruchtbare Niederung, wo der Morgen tausend Mark kostet und die Bauern
+Rotwein auf dem Tische haben.
+
+Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen liegt, der große, reiche
+Marktort, in dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus und ein
+gehen dürfen. »Wenn der Willus Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus
+und ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja nie Pfarrer sein. Wird
+etwa die Busze ihn auf die hohe Schule gehen lassen?«
+
+Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann kommt die Stelle, an der die
+Gilge sich abzweigt. Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin im
+Grünen verschwinden, fragt aber nichts.
+
+Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache wieder und sagt: »Du, Indre,
+von nun an heißt es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die Memel.«
+
+Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann wird es wieder still. So
+lange still, bis Ansas plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach
+vorne zeigt.
+
+Sie wendet sich um und fragt: »Was ist?«
+
+»Was wird sein?« sagt er. »Tilsit wird sein.«
+
+Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß nach ihm. Er lacht übers
+ganze Gesicht, weil sie nun bald da sind.
+
+»Es wird _nicht_ geschehen,« denkt sie. »_Der_ Mensch kann sich nicht
+freuen, der so Schreckliches mit sich herumträgt.«
+
+Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so gar keine Neugier zeigt.
+
+»Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,« sagt er, »und hinten
+steht auch Napoleons Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.«
+
+Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären. Und so kommen sie
+immer näher.
+
+Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen, und die Eisengerüste hoch
+oben, die in der Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen -- so was
+hat sie wirklich noch nie gesehen.
+
+»Alles war Unsinn,« denkt sie. »Es wird _nicht_ geschehen.«
+
+Und dann kommen Holzplätze, so groß wie der Anckersche in Ruß, und
+Schornstein nach Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit
+Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in Memel. Denn Memel kennt sie.
+Dorthin ist sie früher manchmal zum Markt mitgefahren und um die See zu
+sehen.
+
+Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer vorgestellt. Die acht
+Kugeln sind wirklich da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es gar
+nicht anders sein könnte.
+
+Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem steinernen Ufer zu. Dort, wo er
+festmacht, liegen schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren
+Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus Tawe und Inse, die ihren
+Fang am Morgen verkauft haben.
+
+»Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,« sagt einer neidisch,
+»und verderbt uns die Preise?«
+
+Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht, antwortet ihm gar
+nicht. Für solche Gespräche ist er zu stolz.
+
+Indre breitet das weiße Reisetuch über den vorderen Abschlag und setzt
+die Speisen darauf. Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat sie auch
+Soleier und selbstgeräucherten Lachs mit eingepackt. Und da sie seit
+halb vier in der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie jetzt, daß
+ihr schon längst vor Hunger ganz schwach ist.
+
+Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes einander nahe gegenüber
+und essen das Mitgenommene als Mittagbrot. Geld, um in ein vornehmes
+Gasthaus zu gehen und sich auftafeln zu lassen vom Besten, hat Ansas
+wohl übergenug. Aber das ist nicht Fischergewohnheit.
+
+Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche, aber das Herz liegt
+ihr von all dem Fürchten noch wie ein Stein in der Brust.
+
+Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen kann, denn die Erwartung,
+ihr alles zu zeigen, läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt: »Nun
+kann es losgehen.« Aber vorher kehrt er noch nach hinten zurück, das
+Hängeschloß zu holen, damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet.
+
+Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter den runden Sack, der vor dem
+Steuersitz liegt. Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und
+sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei erschrickt und zu ihr
+herüberglupt, ob sie's auch nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer
+Brust wird schwerer.
+
+Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und er ihr alles erklärt, denkt sie
+wieder: »Es kann nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis haben.«
+
+Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein, die breit ist wie ein Strom
+und an ihren Rändern lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern kann
+man sich kaufen, was man will, und alles ist viel schöner und prächtiger
+als in Memel.
+
+Der Ansas sagt: »Hier aber ist das Schönste,« und weist auf ein Schild,
+das die Aufschrift trägt: »Konditorei von Dekomin«.
+
+Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt macht, so beschließen sie
+auch sogleich hineinzugehen und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen.
+
+Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die Indre da! In einer langen,
+schmalen Stube, in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit von
+der Wand ein Tisch, der von einem Ende bis zum andern reicht und der
+ganz bedeckt ist mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten aller
+Art.
+
+»Da wollen wir nun schwelgen,« sagt der Ansas und reckt sich.
+
+Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr die Stücke einzeln auf
+den Teller legen. Auch einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist süß
+wie der Himmel und klebt an den Fingern, so daß man immerzu nachlecken
+muß.
+
+»Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?« fragt sie.
+
+»Nun, das versteht sich,« sagt er und lacht.
+
+Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz, daß sie die Kinder
+vielleicht niemals mehr sehen wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an
+-- und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert. Der Mund steht
+ihm offen, ganz hohl sind die Backen, und die Augen schielen an ihr
+vorbei.
+
+»Es wird _doch_ geschehen,« denkt sie und legt den Teelöffel hin, ißt
+auch nicht einen Bissen mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller
+verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie mit den Fingerspitzen
+auf und denkt dabei -- -- ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch
+er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet kein Wort.
+
+Also wird es _doch_ geschehen!
+
+Dann, wie er aufsteht, sagt er: »Nun laß dir einpacken.« Aber sie kann
+nicht. »Bring _du_ es ihnen,« sagt sie, und er tritt an den Tisch und
+sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht, denn seine Augen gehen
+immer nach ihr zurück, als will er was sagen und traut sich nicht.
+
+Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten, die von der
+Nachmittagssonne geheizt ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck
+und fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies ist das und jenes ist das.
+Aber sie hört kaum mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer Angst. Die
+kommt und geht, wie die Haffwellen ans Ufer schlagen.
+
+Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen, in dessen Schaufenster auch
+Kindersachen ausliegen. »Wir wollen 'reingehen,« sagt sie. »Du kannst
+den Kindern ein Andenken mitbringen.«
+
+»Andenken? An wen?« fragt er und stottert dabei.
+
+»An mich,« sagt sie und sieht ihn fest an.
+
+Da wird er wieder rot, wendet die Augen ab und fragt nichts weiter.
+
+Es wird also ganz sicher geschehen.
+
+Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze mit roten Rändern, damit
+er sich nicht schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für die Elske
+eine blaue Kappe gegen die Sonne und für den kleinen Willus -- was kann
+es viel sein? -- ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn zu binden.
+»Vielleicht werden doch noch einmal Pfarrerbäffchen daraus,« denkt sie
+und verbeißt ihre Tränen.
+
+Der junge Mann, der die Sachen einwickelt, sagt zu Ansas gewandt:
+»Vielleicht haben Sie auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.«
+
+Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man die Indre eine »Frau
+Gemahlin« nennt, was von einer litauischen Fischersfrau wohl nicht
+häufig gesagt wird.
+
+Und der junge Mann fährt fort: »Vielleicht darf ich auf unsere echten
+Schleiertücher aufmerksam machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung
+erlauben darf, das, welches die Frau Gemahlin augenblicklich trägt, ist
+etwas -- durchgeschwitzt.«
+
+Indre erschrickt und sucht einen Spiegel, denn noch hat sie nicht den
+Mut gehabt, sich irgendwo zu besehen. Und der junge Mann breitet eilig
+seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus Spinnweben gemacht und haben
+Muster wie die schönsten Mullgardinen.
+
+Ansas wählt das teuerste von allen -- er getraut sich gar nicht, ihr zu
+sagen, _wie_ teuer es ist --, und der junge Mann führt sie vor eine
+Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie sie das Tuch am Halse
+geknotet hat, so daß es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet, da
+weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu lassen.
+
+»Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!« ruft er ein Mal über das
+andere. »Nie hat dieser Spiegel etwas Schöneres gesehen!«
+
+Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der Ansas sich freut.
+
+Im Rausgehen wendet er sich noch einmal um und fragt den jungen Mann, ob
+er wohl weiß, wie die Züge gehen.
+
+»Zur Ankunft oder zur Abfahrt?« fragt der junge Mann.
+
+Und Ansas meint, das wäre ganz gleich.
+
+Da lächelt der junge Mann und sagt, bald nach viere komme einer an, und
+gegen sechse fahre einer ab. Man habe also die Auswahl.
+
+Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen sind: »Wir wollen lieber
+die Abfahrt nehmen, denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.«
+
+Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann man da machen?
+
+Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß: »Wenn es _doch_ geschehen
+soll, warum hat er dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?«
+
+Und in ihr Herz kommt wieder einmal die Hoffnung zurück.
+
+Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben, auf der ein Zettel klebt:
+
+ _Jakobsruh_
+ heute vier Uhr
+ _Großes Militärkonzert_
+ ausgeführt von der Kapelle
+ des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht.
+
+Und darunter steht alles gedruckt, was sie spielen werden.
+
+Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht geworden; kaum zu fühlen
+ist er. Aber sie hat Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das
+augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist, auch Litauer zugegen
+sein dürfen -- und dazu noch in ihrer Landestracht.
+
+Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld bezahlt, ist
+eingeladen, gleichgültig ob er »_wokiszkai_« spricht oder
+»_lietuwiszkai_«.
+
+Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke, daß es ja ein
+_litauisches_ Dragonerregiment ist, welches die Musiker hergibt, macht
+ihre Schamhaftigkeit etwas geringer.
+
+So fahren sie also in einer Droschke nach Jakobsruh, jenem Lustort, der
+bekanntlich so schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so hoch und
+schattengebend wie diese hat Indre noch nie gesehen, auch nicht in
+Heydekrug und nicht in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden gibt und
+dünne Erlen, könnte man sich von einer solchen Blätterkirche erst recht
+keinen Begriff machen.
+
+Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden Orte noch bange genug,
+denn ringsum sitzen an rotgedeckten Tischen lauter städtische
+Herrenleute, und als Ansas vorangeht, einen Platz zu suchen, recken alle
+die Hälse und sehen hinter ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken.
+
+Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten. Er findet auch gleich
+einen leeren Tisch, wischt mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen
+und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm und ihr Kaffee und Kuchen
+zu bringen. Genau so, wie es die anderen machen.
+
+So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man fühlt sich gut geborgen bei ihm,
+und alle die Angst war ein Unsinn.
+
+Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut mit dünnen
+Eisenständern und einem runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit
+hellblauen Soldaten. O Gott, so vielen und blanken Soldaten! Während es
+doch sonst nur drei oder vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik
+machen.
+
+Zuerst kommt ein Stück, das heißt »Der Rosenwalzer«. So steht auf einem
+Blatt zu lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat. Wie das
+gespielt wird, ist es, als flöge man gleich in den Himmel. Dicht vor den
+Musikern haben sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib gefaßt und
+drehen sich im Tanze. Da möchte man gleich mittanzen.
+
+Und hat sich doch vor einer Stunde noch in Todesnöten gewunden!
+
+Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und auch die Indre klatscht.
+
+Rings wird es still, und die Kaffeetassen klappern.
+
+Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie ihn etwas fragen will -- so
+gut ist sie schon wieder mit ihm --, da macht er ihr ein heimliches
+Zeichen nach links hin: sie soll horchen.
+
+Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame von ihr.
+
+»Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel hübscher als wir deutschen
+Frauen,« sagt die Dame.
+
+Und der Herr sagt: »In ihrer blassen Lieblichkeit sieht sie aus wie eine
+Madonna von -- --«
+
+Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht. Auch was das ist:
+»Madonna«, weiß sie nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas
+gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich.
+
+Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit dem er gleichsam zu ihr in
+die Höhe schaut, und nun weiß sie, was sie schon im Laden geahnt hat: er
+ist stolz auf sie, und sie braucht nie mehr Angst zu haben.
+
+Dann hört die Pause auf, und es kommt ein neues Stück. Das heißt »Zar
+und Zimmermann«. Der Zar ist der russische Kaiser. Daß man von _dem_
+Musik macht, läßt sich begreifen. Warum aber ein Zimmermann zu solchen
+Ehren kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen trägt und immerzu
+Balken abmißt, bleibt ein Rätsel.
+
+Dann kommt ein drittes Stück, das wenig hübsch ist und bloß den Kopf
+müde macht. Das hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht.
+
+Aber dann kommt etwas! Daß es so was Schönes auf Erden gibt, hat man
+selbst im Traum nicht für möglich gehalten. Es heißt: »Die Post im
+Walde«. Ein Trompeter ist vorher weggegangen und spielt die Melodie ganz
+leise und sehnsüchtig von weit, weit her, während die andern ihn ebenso
+leise begleiten. Man bleibt gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und
+weil die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen dürfen, wie sie
+sich hat, springt sie rasch auf und eilt durch den Haufen, der die
+Kapelle umgibt, und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es einsam ist
+und wo hinter den Bäumen versteckt noch leere Bänke stehen.
+
+Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch aus den Augen, damit
+es nicht naß wird, und weint, und weint sich all die -- ach, all die
+ausgestandene Angst von der Seele.
+
+Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt ihre Hand. Sie weiß
+natürlich, daß es der Ansas ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie
+lehnt den Kopf an seine Schulter und sagt immer schluchzend: »Mein
+Ansuttis, mein Ansaschen, bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.«
+
+Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun wird, aber sie kann nicht
+anders -- sie muß immerzu bitten.
+
+Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand fest und sagt ein Mal über
+das andere: »Was redest du da nur? Was redest du da nur?«
+
+Sie sagt: »Noch ist es nicht gut. Ehe du es nicht gestehst, ist es noch
+nicht ganz gut.«
+
+Er sagt: »Ich habe nichts zu gestehen.«
+
+Und sie streichelt seinen Arm und sagt: »Du wirst es schon noch
+gestehen. Ich weiß, daß du es gestehen wirst.«
+
+Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu gestehen hat, und sie gibt
+sich zufrieden. Nur wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die Busze
+sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu kalt über den Rücken.
+
+Mit ineinandergelegten Händen gehen sie zu ihrem Tische zurück und
+kümmern sich nicht mehr um die Leute, die nicht satt werden können,
+ihnen nachzusehen.
+
+Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden sind und statt ihrer
+Biergläser stehen, bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen Herrn --
+aber kein Bier bestellt er, sondern eine Flasche süßen Muskatwein, wie
+ihn die Litauer lieben.
+
+Und beide trinken und sehen sich an, bis Indre sich ein Herz faßt und
+ihn fragt: »Mein Ansaschen, was heißt das -- eine Madonna?«
+
+»So nennt man die katholische heilige Jungfrau,« sagt er.
+
+Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich: »Wenn's weiter nichts
+ist.« Denn die Neidischen, die sie ärgern wollten, haben sie schon als
+Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine fromme Lutheranerin
+gewesen.
+
+Und sie trinken immer noch mehr, und Indre fühlt, daß sie rote Backen
+bekommt, und weiß sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen.
+
+Da plötzlich fällt dem Ansas ein: »O Gott -- die Eisenbahn! Und die Uhr
+ist gleich sechse!«
+
+Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt mit zwei harten Talern. Dann
+fragt er noch nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber wie sie nun
+eilends dorthin laufen wollen, ergibt es sich, daß sie nicht mehr ganz
+gerade stehen können.
+
+Die Leute lachen hinter ihnen her, und die Dame am Nebentisch sagt
+bedauernd: »Daß diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.«
+
+Hätte sie gewußt, _was_ hier gefeiert wird, so hätte sie's wohl nicht
+gesagt.
+
+Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah an den Schienen entlang. Sie
+laufen und lachen und laufen.
+
+Da mit einmal macht es irgendwo: »Puff, puff, puff.«
+
+O Gott -- was für ein Ungeheuer kommt dort an! Und geradeswegs auf sie
+zu.
+
+Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen und fragt: »Ist sie das?«
+
+Ja, das ist sie.
+
+Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben! Der Pukys mit dem
+feurigen Schweif und der andere Drache, der Atwars, sind gar nichts
+dagegen. Sie schreit und hält sich die Augen zu und weiß nicht, ob sie
+weiterlachen oder noch einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie
+beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und nimmt die Schürze vom
+Gesicht und macht: »Puff, Puff.« Genau so kindisch, wie die Elske machen
+würde, wenn sie den Drachen sähe, mit dem die Leute spazieren fahren.
+
+»Wohin fahren sie?« fragt sie dann, als die letzten Wagen vorbei sind.
+
+Und Ansas belehrt sie: »Zuerst nach Insterburg und dann nach Königsberg
+und dann immer weiter bis nach Berlin.«
+
+»Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?« bittet sie.
+
+»Wenn alles geordnet ist,« sagt er, »dann wollen wir nach Berlin fahren
+und den Kaiser sehen.« Dabei wird er mit einmal steinernst, als ob er
+ein Gelübde tut.
+
+O Gott, wie ist das Leben schön!
+
+Und das Leben wird immer noch schöner.
+
+Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt an dem »Anger« vorbeikommen,
+jenem großen, häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh- und
+Pferdemärkte abgehalten werden, da hören sie aus dem Gebüsch, das den
+einrahmenden Spazierweg umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel und
+sehen den Glanz von Purpur und von Flittern durch die Zweige schimmern.
+
+Nun möchte ich den Litauer kennen lernen, der an einem Karussell
+vorbeigeht, ohne begierig stehen zu bleiben.
+
+Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern, und morgen früh will Ansas
+beim Kuhfuttern sein, aber was kann der kleine Umweg viel schaden, da
+man ja so wie so an vierzehn Stunden kreuzen muß.
+
+Und wie sie das runde, sammetbehangene Tempelchen vor sich sehen, dessen
+Prunksessel und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen, da weist
+Ansas mit einmal fast erschrocken nach dem Leinwanddache, auf dessen
+Spitze ein goldener Wimpel weht.
+
+Sie weiß nicht, was sie da kucken soll.
+
+Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen rings auf den Dächern. Es
+stimmt! Der Wind ist nach Süden umgeschlagen -- und das Kreuzen unnötig
+geworden. In sieben Stunden kann der Kahn zu Hause sein.
+
+Also 'rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt sich wohl ein bißchen -- eine
+Mutter von drei Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt sie
+ja keiner. Also, fix, fix 'rauf auf die Pferde, sonst geht's am Ende
+noch los ohne sie beide.
+
+Und sie reiten und fahren und reiten wieder, und dann fahren sie noch
+einmal und noch einmal, weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig
+sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe geworden, und der
+Himmel jagt rückwärts als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie
+fahren noch immer und singen dazu:
+
+ »Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!
+ Ich liebe dich heute wie einst!
+ Die Sonne wär' nichts wie ein finsteres Loch,
+ Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.«
+
+Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal Freifahrt gehabt haben,
+singen dankbar mit, obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können.
+
+Aber schließlich wird der Indre übel. Sie _muß_ ein Ende machen, ob sie
+will oder nicht. Und nun stehen sie beide lachend und betäubt unter den
+johlenden Kindern und streuen in die ausgestreckten Hände die Krümel der
+Konditorkuchen, die sie aus Versehen längst plattgesessen haben.
+
+Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man sich liebt und Karussell dazu
+fährt!
+
+Dann nehmen sie Abschied von den Kindern und den Kindermädchen, von
+denen etliche sie noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg zu zeigen,
+sagen sie, aber in Wahrheit wollen sie bei Gelegenheit noch ein Stück
+Kuchen erraffen. Und sie hätten auch richtig was gekriegt, wenn sie bis
+zur Dekominschen Konditorei ausgehalten hätten. Aber die liegt ja, wie
+wir wissen, am andern Ende der Stadt.
+
+Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein schönes Paketchen
+zurechtmachen, aber diesmal sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt
+derweilen noch zwei Gläschen von dem klebrigen Rosenlikör und nimmt zur
+Sicherheit für vorkommende Fälle gleich die ganze Flasche mit.
+
+Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die Sonne längst untergegangen.
+Aber das macht nichts, denn der Südwind hält fest, und der Mond steht
+schon bereit, um ihnen zu leuchten.
+
+Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt ein Kinderspiel.
+
+Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus, damit die Bodenbretter
+hübsch trocken sind, wenn die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie
+will nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn auf die Paragge,
+damit sie dem Ansas zusehen und sich im stillen an ihm freuen kann.
+
+Und dann geht es los.
+
+Die Ufer werden dunkler, und eine große Stille breitet sich aus. Sie muß
+immerzu daran denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz sie drückte,
+als sie vor acht Stunden desselben Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt
+Atem holen kann.
+
+Sie möchte am liebsten ein Dankgebet sprechen, aber sie will es nicht
+allein tun, denn er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er es
+auch.
+
+Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und Steuer, denn die
+Brückenpfeiler sind da und viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker
+liegen.
+
+Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist alles.
+
+Alsdann breitet sich der Strom, und der Mond fängt zu scheinen an. Die
+Wellchen sind ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und setzen sich
+und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen.
+
+Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber nicht, denn der Mond steht
+hinter ihr. Darum sagt er auch plötzlich: »Warum sitzt du so weit von
+mir weg?«
+
+»Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen hab',« sagt sie.
+
+»Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden wie Tag und Nacht,« sagt er.
+
+Und sie denkt: »Bloß daß jetzt Tag ist und damals Nacht war.«
+
+»Darum komm herüber und setz dich neben mich,« sagt er.
+
+Ach, wie gerne sie das tut!
+
+Aber als sie ihm näher kommt, da fällt ihr Blick auf die Sackleinwand,
+die zwischen seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt hat.
+
+Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht. Sie sinkt auf die
+Mittelbank nieder und lehnt ihren Rücken gegen den Mast.
+
+»Warum kommst du nicht?« fragt er fast unwirsch.
+
+Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll sie ihn fragen, soll sie's
+mit Stillschweigen übergehen? Aber das weiß sie: dorthin, wo prall und
+rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er sie belügt, dorthin kann sie
+die Füße nicht setzen. Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen zu
+treten.
+
+Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit zu schaffen über das, was gewesen
+ist. Jetzt gleich im Augenblick. Denn später kommt sie vielleicht nie.
+
+Sie faßt sich also ein Herz.
+
+»Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen, was du in der Sackleinwand
+hast?«
+
+Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem Schlangennest in den Fuß
+gebissen, aber er schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann sehen, wie
+er zittert.
+
+Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine Schulter, aber sie hütet
+sich wohl, der Sackleinwand zu nahe zu kommen.
+
+»Mein Ansaschen,« sagt sie, »es ist ja jetzt wieder ganz gut zwischen
+uns, aber ehe du nicht alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse
+nicht weg.«
+
+Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn schüttelt.
+
+»Und dann, mein Ansaschen,« sagt sie weiter, »geht es auch wegen des
+lieben Gottes nicht anders. Ich hab' vorhin beten wollen, aber die Worte
+blieben mir im Halse. Denn du standest mir nicht bei. Darum sag es
+schon, und dann beten wir beide zusammen.«
+
+Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt die Arme um ihre Kniee und
+gesteht alles.
+
+»Mein armes Ansaschen,« sagt sie, als er zu Ende ist, und streichelt
+seinen Kopf. »Da müssen wir aber _tüchtig_ beten, damit der liebe Gott
+uns verzeiht.«
+
+Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee nieder, faltet ihre Hände mit
+den seinen zusammen, und so beten sie lange. Nur manchmal muß er nach
+dem Steuer sehen, und dann wartet sie, bis er fertig ist.
+
+Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie, und dann stehen sie wieder
+auf und sind guter Dinge.
+
+Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen zu sagen.
+
+Sie zeigt darauf hin und will es wissen.
+
+Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu sehr.
+
+Da sagt sie: »Ich werde selber öffnen.« Und er wehrt ihr nicht.
+
+Und wie sie den Sack aufreißt, was findet sie da? Zwei Bündel grüne
+Binsen findet sie, mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter nichts.
+
+Sie lacht und sagt: »Ist das die ganze Zauberei?«
+
+Aber er schämt sich noch immer.
+
+Da errät sie langsam, daß er damit nach dem Umschlagen des Kahnes hat
+davonschwimmen wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im tiefen
+Wasser paddeln.
+
+»Solch ein Lunterus bin ich geworden!« sagt er und schlägt sich mit den
+Fäusten vor die Brust.
+
+Aber sie lächelt und sagt: »Pfui doch, Ansaschen, der Mensch soll sich
+nicht _zu_ hart schimpfen, sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.«
+
+Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern richtet auch seine Seele
+wieder auf. -- -- --
+
+Wie sie sich neben ihn setzt -- denn er will sie nun ganz nahe haben --,
+da merkt sie, daß sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert,
+darum breitet sie zu seinen Füßen das weiße Reisetuch aus, das sie im
+vorderen Abschlag verwahrt hat, und legt sich darauf -- doch so, daß ihr
+Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und nun ist es genau so wie damals
+in Ibenhorst, als die Elske noch unterwegs war.
+
+Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück nicht, was sie zueinander
+reden sollen.
+
+Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras -- man kann den Thymian
+unterscheiden und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran und das
+Timotheegras -- und was sonst noch starken Duft an sich hat ... Der
+Stromdamm zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband. Nur wo zufällig
+der Rasen den Abhang hinuntergeglitten ist, da leuchtet er wie ein
+Schneeberg. Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß man immer ein
+wenig aufpassen muß.
+
+Außer den plumpsenden Fischchen, die nach den Mücken jagen, ist nicht
+viel zu hören. Nur die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt ein Gehölz
+oder ein Garten, dann ist auch die Nachtigall da und singt ihr: »Jurgut
+-- jurgut -- jurgut -- wazok, wazok, wazok« ... Und der Wachtelmann
+betet sein Liebesgebet: »Garbink Diewa«. Sogar ein Kiebitz läßt sich
+noch ab und zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte.
+
+Und dann kommt mit einemmal Musik. Das sind die Dzimken, die ihre
+Triften während der Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber Gott
+weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern sie und singen, und bei Nacht
+singen sie auch.
+
+Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie ringsum. Einer spielt die
+Harmonika, und sie singen.
+
+Da hört man auch schon das hübsche Liedchen »Meine Tochter Symonene,«
+das jeder kennt, in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja, die
+Symonene! Die zu einem Knaben kam und wußte nicht wie! Das kann wohl
+mancher so gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman geworden,
+wenigstens hat die Symonene es so geträumt.
+
+»Der Willus muß ein Pfarrer werden,« bittet die Indre schmeichelnd zu
+Ansas empor.
+
+»Der Willus wird ein Pfarrer werden,« sagt er ganz feierlich, und die
+Indre freut sich. Denn was in solcher Stunde versprochen wird, das
+erfüllt sich gleichsam von selber.
+
+So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald kommt ein nächstes. Darauf
+spielt einer gar die Geige. Und die andern singen:
+
+ »Unterm Ahorn rinnt die Quelle,
+ Wo die Gottessöhne tanzen
+ Nächtlich in der Mondenhelle
+ Mit den Gottestöchtern.«
+
+Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken erkennen die Frauenstimme und
+rufen ihnen ein »_Labs wakars!_« zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß will
+Ansas ihnen was Freundliches antun und läßt sich die Mühe nicht
+verdrießen, das Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen.
+
+Nun kommen sie alle heran -- es sind ihrer fünfe --, und der Jude, dem
+die Trift gehört, kommt auch.
+
+Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör ein, und sie erklären, so
+was Schönes noch nie im Leben getrunken zu haben.
+
+Und dann singen sie alle zusammen noch einmal das Lied von den
+Gottestöchtern, von dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei
+Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen.
+
+Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand, und die Indre auch. Und der
+Jude wünscht ihnen »noch hundert Johr«!
+
+Wären's bloß hundert Stunden gewesen, der Ansas hätt' sie brauchen
+können.
+
+Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal hervorgeholt ist, wäre es
+unklug gewesen, sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und zu
+einen Tropfen und werden immer glücklicher.
+
+Noch an mancher Trift kommen sie vorbei und singen mit, was sie nur
+singen können, aber halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör
+ihnen zu schade.
+
+Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, aber sie wehren sich tapfer.
+Denn sonst -- weiß Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben!
+
+Nur eins darf der Ansas sich gönnen -- nämlich von dem Abschlag
+hernieder auf die Bodenbretter zu gleiten. So kann er die Indre in
+seinem linken Arm halten und mit dem rechten das Steuer versehen.
+
+Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner Brust und denkt selig: »Der
+Endrik -- und die Elske -- und der Willus -- und nun sind wir alle fünfe
+wieder eins.«
+
+Mit einmal -- sie wissen nicht wie -- ist Ruß da. Sie erkennen es an dem
+Brionischker Schornstein, der wie ein warnender Finger zu ihnen sagt:
+»Paßt auf!«
+
+Die Dzimken, die dort mit ihren Triften liegen, sind nun richtig
+schlafen gegangen. Auch ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die
+tausendmal stilleschweigen, was macht es aus? Von Ruß gibt es ein
+hübsches Liedchen:
+
+ »Zwei Fischer waren,
+ Zwei schöne Knaben,
+ Aus Ruß gen Westen
+ Zum Haff gefahren.«
+
+Das singen sie aus voller Kehle, und um hernach die Kehle anzufeuchten,
+wollen sie noch einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, aber siehe
+da, -- die Flasche ist leer.
+
+Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird immer zärtlicher.
+
+»Ach, liebes Ansaschen,« bittet die Indre, »gleich kommt der große
+Ellbogen, und dann geht es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig
+sein.«
+
+Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist auch schon der blanke
+Szieszefluß, da wo die Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine mehr an
+und steuert nach links. Es geht zwar schwer, aber es geht doch noch
+immer.
+
+Bis nach Windenburg hin, die anderthalb Meilen, läuft der Strom nun so
+schnurgerade, wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man hinter der
+Mündung der Mole ein wenig auszuweichen braucht.
+
+Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche Stelle ist, dort, wo gerade
+bei Südwind der Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff seitlich stark
+einsetzt, dort muß man die Sinne doppelt beisammen halten -- aber bis
+dahin ist noch lange, lange -- -- ach, wie lange Zeit!
+
+»Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich vergeben hast, dann mußt du's
+mir auch beweisen.«
+
+»Ansaschen, du mußt aufpassen.«
+
+»Ach was, aufpassen!« Wenn man so lange blind und verhext neben der
+Besten, der Schönsten, neben einer Gottestochter dahergegangen ist und
+die Augen sind wieder aufgetan, was heißt da aufpassen?
+
+»_Meine_ Indre!«
+
+»_Mein_ Ansaschen!« -- -- --
+
+Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder nebeneinander, und der
+Kahn fährt dahin, als säße die Laime selber am Steuer.
+
+»Ansaschen -- aber nicht einschlafen!«
+
+»Ach, wo werd' ich einschlafen.« -- --
+
+»Ansaschen -- wer einschläft, den muß der andere wecken.«
+
+»Jawohl -- den -- muß -- der andere wecken.« -- -- --
+
+»Ansaschen, du schläfst!«
+
+»Wer so was -- sagen kann, -- der schläft -- selber.«
+
+»Ansaschen, wach auf!«
+
+»Ich wach'. Wachst du?«
+
+Und so schlafen sie ein.
+
+ * * * * *
+
+Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. Sie weckt also ihren Mann
+und sagt: »Doczys, steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.«
+
+»Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?« fragt der Doczys, sich den
+Schlaf aus den Augen reibend. »Fischen tu' ich erst morgen.«
+
+»Die Indre hat solche Reden geführt,« sagt die Doczene, »es ist besser,
+wir fahren ihnen entgegen.«
+
+Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und setzt die Segel.
+
+Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es schon Tag, und der Frühnebel
+liegt so dicht, daß sie keine Handbreit vorauf sehen können.
+
+»Wohin soll ich fahren?« fragt der Doczys.
+
+»Nach Windenburg zu,« bestimmt die Doczene.
+
+Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen entgegen, und sie müssen
+kreuzen.
+
+Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf.
+
+Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel gedrungen -- eine
+Frauenstimme.
+
+»Gerade drauf zu!« schreit die Doczene. Aber er muß ja kreuzen.
+
+Und sie kommen schließlich doch näher -- ganz nahe kommen sie.
+
+Da finden sie die Indre auf dem Wasser liegen, wie die Wellen sie auf
+und nieder schaukeln.
+
+Wie hat es zugehen können, daß sie _nicht_ ertrunken ist?
+
+Rechts und links von ihrer Brust ragen halb aus dem Wasser zwei Bündel
+von grünen Binsen, die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken
+zusammengebunden.
+
+Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit immerzu: »Rettet den Ansas!
+Rettet den Ansas!«
+
+Ja -- wo ist der Ansas?
+
+Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder hochgekommen ist, da hat
+sie seine Hände gefühlt, wie er wassertretend die Binsen an ihr
+befestigte. Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm.
+
+Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie finden ihn nicht. Nur den
+umgeschlagenen Kahn finden sie. An dem hätte er sich wohl halten können,
+aber er ist ihm sicher davongeschwommen, dieweil er die Binsen an Indres
+Leibe befestigte.
+
+Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre liegt auf den Knieen und
+betet um ein Wunder.
+
+Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei Tage später lag er oberwärts
+friedlich am Strande.
+
+ * * * * *
+
+Neun Monate nach dem Tode des Ansas gebar ihm die Indre einen Sohn. Er
+wurde nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, das heißt
+»Abschluß« benannt. Doch weil der Name ungebräuchlich ist, hat man ihn
+meistens nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein ansehnlicher Mann.
+
+Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft in gutem Stande, die Elske hat
+einen wohlhabenden Besitzer geheiratet, und der Willus ist richtig ein
+Pfarrer geworden. Seine Gemeinde sieht in ihm einen Abgesandten des
+Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm.
+
+Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt im Ausgedinge bei dem ältesten
+Sohn. Wenn sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie weiß, daß
+sie nun bald im Himmel mit Ansas vereint sein wird, denn Gott ist den
+Sündern gnädig.
+
+Und also gnädig sei er auch uns!
+
+
+
+
+ Miks Bumbullis
+
+
+ 1
+
+Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer gegangen, hatten sich
+dann beim Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, wie das junger
+Menschenkinder gutes Recht ist, und als sie sich dem Försterhause
+näherten, verschämt und verstohlen, da war es fast schon heller Tag.
+
+Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe im Wohnzimmer des Herrn
+noch brannte. Er winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins Haus zu
+schleichen, und tat so, als sei er schon bei der Arbeit. Er machte sich
+an dem Holzlager zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche
+Erlenkloben zwecklos übereinander.
+
+Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des alten Hegemeisters auf sich zu
+lenken und der Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern.
+
+Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den er erwartet hatte, blieb aus.
+
+»Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,« dachte er und setzte
+erleichtert die Pfeife in Brand.
+
+Aber da sah er, wie vom Giebelende her die Eve mit heftigen Gebärden
+nach ihm zu rufen schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und
+erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie beim Nachsehen das
+Bettchen der kleinen Anikke leer gefunden habe.
+
+Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen Neffen, das der Alte
+zu sich genommen hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter aus
+Gram darüber dem Lungenhusten erlegen war. Als erster Gedanke stieg dem
+Grigas auf, daß nur eine der Laumen die Anikke entführt haben könne.
+Denn daß diese Feen sich mit dem Wegnehmen und Auswechseln von Kindern
+befassen, auch lange nachdem sie getauft sind, das weiß ja selbst der
+Dümmste.
+
+Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung war, wollte ihm nicht Recht
+geben. Die brennende Lampe -- und die Stille im Haus -- und dazu kam
+noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen bemerkt haben wollte: Das
+Fenster war geschlossen gewesen, aber in einer der Rauten hatten die
+Scherben gehangen.
+
+So faßte er sich denn ein Herz und machte sich dicht vor der
+erleuchteten Stube zu schaffen.
+
+Und beim Hineinschielen -- was sah er da? Der alte Wickelbart lag auf
+dem Boden in seinem Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme
+schlief das Kind.
+
+Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen wieder lebendig. Sie
+wußten auch gleich, wer's getan hatte: »Miks Bumbullis« sagten sie fast
+in einem Atemzuge.
+
+Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei Tagen von dem alten Hegemeister
+abgefaßt worden, wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm und dazu
+ein »_Tewe musso_« betete. Denn das Vaterunser ist immer gut gegen das
+Abgefaßtwerden. Aber diesmal hatte es dem Miks nichts geholfen. Er hatte
+sogar noch seine Flinte hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht
+gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, weil er genau wußte,
+daß sein Gefangener ihn während des Weges trotz seiner Schußwaffe
+überwältigen würde.
+
+Und nun hatte er doch daran glauben müssen. Denn mit dem Miks Bumbullis
+war nicht zu spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze ging, wo dem
+Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt wurde, wo man dem Juden den Schnaps
+auf die Straße goß, -- der Miks war überall dabei. Nun gar das verdammte
+Wilddieben!
+
+Und er hätte es so gut haben können! Die Wirtstöchter weit und breit
+waren nach ihm aus. Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für eine! Mit
+einem Hof von hundertzwanzig Morgen. -- Die hatte schon zweimal den
+Vermittler zu ihm geschickt.
+
+Aber er? Nun, da sah man's ja.
+
+Der Grigas und die Eve hoben das Kind aus dem starr gewordenen Arm, und
+als sie ihm das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe zogen, da
+wachte es nicht einmal auf.
+
+Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen und lächelte wie so ein
+Engelchen.
+
+Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den Leichnam abzuwaschen und auf
+die Totenbahre zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit noch ein,
+daß man jeden, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist, liegen
+lassen muß, wie er gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht dagewesen
+sind. Und so geschah es auch.
+
+
+ 2
+
+Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er trieb sich in den Krügen umher
+und erklärte in seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, er sei
+von dem Hegemeister beklappt worden. Darum müsse er jetzt auf ein paar
+Jahr in die Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts.
+
+Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, streckte er die Zunge aus und
+bestand darauf, daß der Krüger sich das Geld für die Zeche selber aus
+der Hosentasche hole, denn er müsse die kostbaren Armbänder schonen, die
+der Staat ihm geschenkt habe.
+
+Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit einem blonden
+Unschuldsgesicht. Trug das Haar noch von der Soldatenzeit her glatt an
+der Seite gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten Augen gelassen in
+die Runde.
+
+Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, als der
+Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der alte Hegemeister habe es zwar
+schon lange auf ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen Mann würde er
+auch sicherlich auf ihn abgedrückt haben, das hätte die Ehre von ihm
+gefordert; den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer getan.
+
+Soweit war alles in Ordnung.
+
+Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten habe?
+
+Und nun kam die merkwürdige Wendung.
+
+Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue Flinte zu beschaffen. Wo,
+sage er nicht.
+
+Was er denn mit der Flinte habe anfangen wollen, da er doch sicher
+gewesen sei, alsbald verhaftet zu werden?
+
+Er habe über die Grenze gehen wollen, und da drüben müsse man immer was
+in der Hand haben.
+
+Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, daß, wenn er nicht angeben
+wolle, _wo_ er den Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als
+abgetan betrachten könne. Aber auch das half nichts.
+
+Noch an demselben Tage wurde er zwischen zwei Gendarmen auf einen
+Bretterwagen gesetzt und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren.
+Das Publikum in Heydekrug sammelte sich am Wege und starrte ihn an. Das
+schien ihm großen Spaß zu machen.
+
+Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission mit der dienstfertigen
+Würde des guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, als
+ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen Heimkunft abgefragt
+wurden.
+
+Der Tatbestand war klar. Der Bruch der Fensterscheibe schien auf einen
+Schrotschuß hinzuweisen, obwohl nur _eine_ Wunde -- dicht über dem
+Herzen -- sich vorfand. Genaueres festzustellen blieb der Leichenöffnung
+vorbehalten. Fußspuren ließen sich nicht entdecken.
+
+Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt wurde, tasteten ein halbes
+Dutzend Augenpaare gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick,
+der so manches Geständnis aus der Seele reißt, verging ungenutzt.
+Ruhevoll -- ein wenig neugierig fast -- blickte Miks auf den liegenden
+Körper nieder und sah sich dann, als suche er irgend etwas, in der Stube
+um.
+
+Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, ein kluger, kleiner Mann,
+der in der Seele des fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch
+eindrucksvoller übersetzte, verhallten ungehört.
+
+»Ich weiß von rein gar nuscht,« blieb die einzige Antwort.
+
+Nur als hierauf die kleine Anikke weinend hereingeführt wurde, flog ein
+Schein wie von plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge -- einen
+Augenblick nur --, dann war er wieder der alte.
+
+Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor den fremden Männern nichts
+herausbringen. Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im
+Zwiegespräch ausgeplaudert hatte.
+
+Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor Angst nicht einschlafen
+können und immerzu geweint. Da sei der Großvater gekommen, habe sie aus
+dem Bettchen genommen und zu sich aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es
+draußen geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und dann habe er sich
+auf die Erde gelegt und sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie
+eingeschlafen.
+
+Der Untersuchungsrichter wandte sich an Miks.
+
+»Als Sie auf den Hegemeister anlegten und das Kind auf seinem Schoß
+sitzen sahen, schlug Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner
+das unschuldige Wesen treffen könnten?«
+
+»Ich weiß von rein gar nuscht,« war wie immer die Antwort. Aber etwas
+wie ein Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als das Kind
+hinausgeführt wurde, sah er ihm mit einem Blick nach, wie der Hund nach
+der Wurst.
+
+Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem Geständnis, wo er in der
+Johannisnacht eingebrochen war. Sonderbarerweise hatte er sich den Hof
+jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb Jahren auf ihn Jagd
+machte. Er habe gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz einer Flinte
+gewesen sei, und die habe er sich holen wollen. Es sei aber nichts zu
+finden gewesen.
+
+Woher er das Haus so genau kenne, daß er den Einbruch mit Aussicht auf
+Erfolg habe unternehmen können?
+
+Darauf blieb er die Antwort schuldig.
+
+
+ 3
+
+Nun trat -- vorgeladen -- Frau Alute Lampsatis in die Erscheinung. Eine
+hübsche Dreißigerin mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig
+weggeschnürten Busen. In dem roten, fleischigen Gesicht saß ein Paar
+unruhig sinnlicher Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche
+glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, obwohl das reiche rotblonde
+Haar keines Schmuckes bedurfte.
+
+In gebrochenem Deutsch, doch mit großem Wortschwall versicherte sie, sie
+sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+
+Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte sie der Richter. Sie habe
+nur zu bezeugen, ob sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von
+einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe.
+
+Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand
+könne ihr etwas Schlechtes nachsagen.
+
+Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Dolmetsch
+holen ließ, der sie in ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr
+die Lust zu Ausflüchten verging.
+
+Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre Nichte -- die Madlyne --, als
+die vom Johannisfeuer gekommen sei, da habe sie einen Mann aus dem
+Fenster der Klete steigen sehen, der in der Richtung nach dem Walde
+verschwunden sei.
+
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich an. Sie glaubten den
+Schlüssel zu den Aussagen der ehrbaren Witwe gefunden zu haben.
+
+Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte gleich mitgebracht hatte.
+Sie wurde heraufgeholt und stellte sich als ein achtzehnjähriges
+Püppchen dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. Sie war im
+Sonntagsstaat, trug eine grünseidene Schürze über der selbstgewebten
+Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus dem reichgestickten Mieder
+hervorquollen. Ein Bauernmädchen wie aus der Operette.
+
+Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn sie sprach ein
+ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, klare Antworten und konnte auf der
+Stelle vereidigt werden.
+
+Sie war -- gleich Grigas und Eve -- gegen Morgen vom Johannisfeuer
+gekommen --
+
+»Allein?«
+
+Sie senkte schämig die langwimprigen Lider.
+
+»Ganz allein.«
+
+-- da habe sie schon von weitem den Hund bellen hören und sich darum
+hinter dem Zaun versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein Mann aus
+dem Fenster der »Kleinen Stube« gestiegen.
+
+»Ich denke, der Mann kam aus der Klete?« fragte der Richter.
+
+Die Klete -- der Raum, in dem die haltbaren Vorräte aufbewahrt werden --
+pflegt sich in älteren Wirtschaften unter einem gesonderten Dache zu
+befinden.
+
+»Ak nei, ak nei,« versicherte Madlyne, und vor lauter Bekenntniseifer
+schoß ihr das Blut in das Wachspuppengesicht. »Akkrat aus der Stubele is
+er gekommen, das kann ich beschwören.«
+
+»Und wo schläft deine Tante, Madlyne?«
+
+»Die schläft in der Stuba -- der Großen Stube -- das kann ich
+beschwören.«
+
+Die Große und die Kleine Stube liegen stets auf derselben Seite des
+Hausflurs und sind durch eine Tür verbunden.
+
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich abermals an.
+
+Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer Frau Alute wieder
+hereingerufen.
+
+Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch die schwerwiegenden Folgen
+eines etwaigen Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den
+Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage Madlynens und dem,
+was sie von ihr erfahren haben wollte, bestand.
+
+Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine anständige Besitzerin, und
+niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt auch
+der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, der ihr sämtliche
+Höllenstrafen der Reihe nach vorführte.
+
+Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall fürchtete, auf eine
+Gegenüberstellung der beiden Verwandten verzichten zu sollen, und
+beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen Einbruchs der Klärung
+näherzubringen.
+
+Ob sie eine Flinte im Hause habe.
+
+Sie verneinte heftig.
+
+Oder gehabt habe.
+
+Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes sei wohl ein Schießgewehr
+dagewesen, womit der Selige die Karekles -- die jungen Krähen -- von den
+Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann krank geworden sei, habe
+er es eines Tages an den Juden verkauft.
+
+»An welchen Juden?«
+
+Das konnte sie natürlich nicht wissen. »Der Jude ist der Jude, und einer
+sieht aus wie der andere.«
+
+Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit sorgsam umgangen
+hatte, hielt den Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten
+ins Treffen zu führen.
+
+Ob sie den Miks Bumbullis kenne.
+
+Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt oder auch nur befangen.
+
+Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht kennen. Er war ja mit ihrem
+seligen Mann immer zusammen über die Grenze gegangen.
+
+Der Dolmetsch sah den Richter verstehend an. Schmuggeln taten sie in den
+Grenzdörfern alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. Der Miks
+konnte sich also wohl der Flinte erinnert haben, die sein ehemaliger
+Kumpan mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem Verkauf nichts wußte,
+durfte er mit etlichem Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt
+herumstand.
+
+Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem Hause gewesen sei.
+
+Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal den seligen Mann des Abends
+abgeholt.
+
+»Wozu abgeholt?«
+
+»Nun, über die Grenze zu gehen.«
+
+Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals die Flinte aufbewahrt habe.
+
+Sie stutzte und besann sich, als wittere sie den heimlichen Zusammenhang
+der scheinbar ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen.
+
+Und dann fing sie an zu wehklagen und zog sich auf die Plattform der
+anständigen Besitzerin zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen
+könne.
+
+Von diesem Augenblick an war nichts mehr aus ihr herauszuholen. Auf ihre
+Vereidigung wurde verzichtet.
+
+
+ 4
+
+Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam heran. Eine große Zeugenschar
+war aufgeboten. Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte sich
+als das eines rücksichtslos strengen Verfolgers, dem schon viele Rache
+geschworen hatten und dem es nie in den Sinn gekommen war, selbst
+harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen. So war zum Beispiel, wie
+sich zufällig herausstellte, auch der selige Mann der Frau Lampsatis
+durch ihn ins Gefängnis geraten. Der hatte also, wie es schien, seine
+Flinte nicht bloß zum Krähenschießen benutzt.
+
+Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht übersehen, daß, wenn
+Miks ein leidliches Alibi beibringen konnte, statt seiner ein anderer
+als Täter in Frage kam.
+
+Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam und häufig teilnahmlos auf der
+Armsünderbank. Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als in den blaß
+hinstarrenden Augen malte sich die geistige Übermüdung, die diese des
+scharfen Denkens ungewohnten Naturkinder oft überfällt, wenn sie ihr
+Schicksal dem Spiel und Widerspiel der Zeugenschaften anheimgegeben
+sehen.
+
+Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute keine Schuhschnalle
+hervorschob, war wieder ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende
+Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges Schmunzeln selbst bei den
+Greisen der Geschworenenbank.
+
+Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute ließ sich auch heute keine
+Einigung erzielen. Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre
+Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt hatte, der Mann, den sie
+gesehen habe, sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete, daß
+sie so etwas nie gesagt haben könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit
+gewesen.
+
+Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg, den er genommen haben
+wollte. Er habe die unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die
+Große Stube hineingetastet --
+
+In der _Großen_ Stube schlief Frau Alute! Sie hätte bei seinem Kommen
+erwachen müssen!
+
+Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er sich in die Kleine Stube
+geschlichen, habe Wände und Winkel abgetastet und sei schließlich, als
+das Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster hinausgeklettert.
+
+Warum er nicht den bequemeren Rückweg durch Große Stube und Hausflur
+gewählt habe.
+
+Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt.
+
+Das klang einigermaßen glaubhaft und stimmte mit Madlynens Aussage
+überein. Aber der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer Tante erzählt
+haben sollte und ihrer beschworenen Aussage klaffte noch immer. Und dann
+war auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte, daß er in Frau
+Alutes Auftrag zweimal bei Miks gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten.
+
+Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte vereidigt werden. Sie wurde
+noch einmal ausdrücklich ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger
+in die Höhe, da geschah das Unerwartete, daß Miks in die Eidesworte
+hineinzusprechen anfing.
+
+Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach weiter. Schwerfällig,
+tropfenweise fielen die litauischen Worte aus seinem Munde.
+
+Frau Alute horchte hoch auf und -- brach dann weinend zusammen.
+
+Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht und lautete: »Ich habe dir
+zwar bei Gott und bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht nichts
+davon zu sagen, aber es ist doch besser, daß du deine Seele nicht mit
+einem Meineide beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt. Drum sage
+doch lieber die Wahrheit.«
+
+Unter Schreien und Händeringen kam, was geschehen war, nunmehr ans
+Tageslicht.
+
+Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen in ihrem Bette. Da wurde
+sie plötzlich durch Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur
+näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts helfen würde, denn Madlyne
+und die Magd und der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen. Da fing
+sie zu beten an und erwartete ihr Ende. Aber dann hörte sie plötzlich
+ihren Namen nennen und erkannte Miksens Stimme. »Geh weg,« sagte sie,
+»wenn ich auch nach dir geschickt habe, ich bin eine anständige
+Besitzerin, und niemand soll mir was Schlechtes nachsagen können.« --
+»Ich will gar nicht bei dir schlafen,« antwortete er, »ich will bloß,
+daß du mir das Gewehr gibst, das deinem Mann gehört hat, denn der
+Hegemeister hat mir meines weggenommen.« -- »Das Gewehr ist nicht mehr
+da,« sagte sie, »und wenn es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn
+du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.« Das bestritt er, aber
+sie glaubte ihm nicht. Und als er sich daraufhin wieder entfernen
+wollte, sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und verlegte ihm den
+Weg. Da fühlte er, daß sie im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den
+Morgen.
+
+Die große Spannung löste sich. Die Unschuld Miksens schien erwiesen. Und
+auch die Frage, warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau da war,
+statt einfach durch die Haustür zu gehen, durch das Kleinestubenfenster
+geklettert war, wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden
+hinreichend aufgeklärt. Man war des Glaubens gewesen, Madlyne sei
+inzwischen heimgekommen, und da ihre Kammer auf der anderen Seite des
+Hauses lag, hätten die Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen
+können.
+
+»Das hättet ihr gleich sagen können,« meinte der Vorsitzende. Und da auf
+weitere Zeugenvernehmungen verzichtet wurde, begann der Staatsanwalt
+gleich seine Rede.
+
+Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle wie von selber dem
+Richterspruche zu. Der Losmann Miks Bumbullis wurde von der Anklage des
+Mordes freigesprochen und wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis
+verurteilt.
+
+Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch als Frau Alute, die sich
+inzwischen von ihren Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf ihn
+zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht. Sein Blick hing wie
+erstarrt an einem Platze der Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd,
+schmutzig und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen Äpfeln
+nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt hatte. Sie war der
+Vollständigkeit halber mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie
+ausgesagt.
+
+Als Miks abgeführt werden sollte -- an Haftentlassung war natürlich
+nicht zu denken --, wandte er sich noch einmal nach dem Kinde um, als
+wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen. Aber der Gerichtsdiener
+stieß ihn hinaus.
+
+
+ 5
+
+Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann zu verfallen, denn niemand
+war da, der sein Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen Anikke
+entspann sich ein Prozeß zwischen dem Forstfiskus und der Gemeinde, der
+ihr verschollener Vater angehört hatte. Beide wollten die
+Erziehungspflicht einander in die Schuhe schieben. Und da der Fiskus an
+allzuviel Gemüt nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft
+zwischen dem Toten und dessen verwaistem Pflegling ihm als ausreichender
+Grund zustatten kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener Gast
+an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits froh war, sie für ein kleines
+Entgelt an den Ort abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit über
+gehaust hatte.
+
+So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen öffentlich versteigert und
+kam an den Mindestfordernden, den Häusler Kibelka, einen wenig
+vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar Groschen brauchte, um
+sie in Branntwein anzulegen.
+
+Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem Gott und Menschheit die
+sorgenden Augen abgewandt haben, in seinem stummen Jammer leidet, das
+hat noch niemand erkannt und beschrieben, und niemand wird es je
+erkennen und beschreiben können. Was Hunger und Schmutz, was Prügel und
+Kälte, was vor allem das Fehlen jedes streichelnden Wortes in der noch
+nicht erschlossenen Seele ersticken und zerfressen, bis aus dem in
+unbewußter Zuversicht aufjauchzenden jungen Leben ein scheu zitterndes,
+in sich verkrochenes, kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein geworden
+ist, das verliert sich in Dunkel und Schweigen. Alljährlich wird ein
+unermeßlicher Haufe von solchem Menschenkehricht ins Grab geschaufelt,
+wo es zu seinem Besten hingehört. Und nur wie durch ein Wunder senkt
+sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder und hebt eins oder das
+andere der schon fast abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor.
+
+Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der Hofhund allenfalls!
+
+Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie er von einem gutgesinnten
+Mittagssonnenschein sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das
+einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes. -- -- --
+
+Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren, sprang anschlagend auf und
+fegte mit schleppender Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches.
+
+Anikke, die allein zu Hause war, sah einen Menschen durch das Hoftor
+kommen, der sich vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte zuschritt,
+an der sie sich schutzsuchend festhielt.
+
+Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er halt und sagte: »Ist der Wirt
+zu Hause?«
+
+Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln gruben, aber um nichts in
+der Welt hätte sie antworten können.
+
+»Wie heißt du?« fragte er weiter.
+
+In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen vergessen.
+
+Der Hund belferte dazwischen, und erst, als der fremde Mensch ihm mit
+seinem Stock eins überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte zurück.
+
+Dann kam der Fremde näher an sie heran, immer den Stock vorhaltend, in
+den der Hund sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt werden sollte,
+und fing furchtbar zu weinen an.
+
+Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und mit jähem Rucke fortgezogen,
+während der Hund, von einem neuen Schlage getroffen, sich um und um
+kugelte.
+
+»Wein nicht, wein nicht, ich tu' dir nichts,« hörte sie seine Stimme.
+Denn vor lauter Tränen sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang
+irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie hörte zu weinen auf.
+
+»Bist du die Anikke?«
+
+»Ja--a.«
+
+»Willst du ein Lakritzenholz haben?«
+
+Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen die großen Kinder manchmal,
+wenn die Schule aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab.
+
+Und dann gab der fremde Mensch ihr aus einer Tüte eine schöne gelbe
+Stange, in die sie auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum noch
+Angst vor ihm.
+
+Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse sah er nicht aus. Viel guter
+als der Wirt. Und er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges Haar
+hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart. Und sie wußte jetzt auch, wo
+sie ihn schon gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen wie in der
+Kirche. Aber statt _eines_ Pfarrers im Talar hatte gleich ein ganzer
+Tisch voll dagesessen.
+
+»Wie alt bist du, Anikke?«
+
+»Ich werd' sieben.«
+
+»Gehst du schon in die Schule?«
+
+»Nein.«
+
+»Warum nicht?«
+
+»Ich hab' nichts anzuziehen, sagt die Frau.«
+
+Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete lange das Lumpengezottel,
+in das sie notdürftig gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt wohl
+finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung des Feldes und geleitete ihn
+auch ein Stück, denn sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen.
+
+Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er ihr die ganze Tüte, die er
+solange in der Hand gehalten hatte, und sagte: »Versteck's, daß die
+anderen es dir nicht wegessen.«
+
+Damit schickte er sie zurück und schritt in der Kartoffelfurche weiter,
+bis er auf den Wirt stieß, der mit Weib und drei Kindern kniend nach
+Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte und stöhnte auf seine
+Art.
+
+Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz von den Hosen abschüttelnd
+stand er auf, ihm die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht der Mörder
+war, so hätte er doch immer der Mörder sein können. Sich mit ihm gut zu
+stellen, war geraten.
+
+»Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,« sagte er, »denn wen der
+Staat ernährt, der ist geborgen.« Dabei lachte er höhnisch und
+einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige Maul ging ihm bis an
+die Ohren.
+
+»Ihr habt es hier um so schwerer,« sagte Miks Bumbullis, die Fläche
+überblickend, die in ihrem dürren Kraut unausgegraben dalag.
+
+Auch das Weib war aufgestanden und wischte sich die Hand an dem
+sacktuchenen Schurzfell. Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit
+scharfen, mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen gafften.
+
+Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an. Der nasse September -- und
+schon alles im Faulen -- und fremde Hilfe zu teuer.
+
+»Wenn Ihr billige Hilfe braucht,« sagte Miks, »ich wüßte wohl eine.«
+
+»Wer wird so dumm sein!« lachte der Wirt. »Selbst der Henker läßt sich
+bezahlen.«
+
+»Ich hab' mir einiges gespart,« sagte Miks, »und wenn man mir sonst
+freie Hand läßt, bring' ich noch ab und zu was in die Wirtschaft.«
+
+Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie rasch und gierig ein und
+fragten nicht weiter.
+
+So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem Pfleger Anikkes.
+
+Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu kümmern, und es vergingen
+drei Tage, ehe er sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer
+sei, das da immer im Hause herumkrieche.
+
+Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit der Sprache heraus, denn der
+Mordverdacht saß ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten
+sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen waren und daß sie es eigentlich
+bloß um Gottes Barmherzigkeit willen bei sich behielten.
+
+Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf und sagte nur: »Der Vater
+soll in Amerika sein. Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er jeden
+belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.«
+
+Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten Mittag durfte das kleine,
+bleiche Lumpenbündelchen, das sonst von dem Ofenwinkel her stumm wartend
+herübersah, mit den Kindern zu Tische sitzen.
+
+Als der Sonnabendabend kam, verschwand Miks Bumbullis und kam am
+Sonntagvormittag mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet und in den
+Spalten mit Erde verklebt war.
+
+Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt hatte, und alle standen
+ringsum und sahen voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel
+die Teile auseinandernahm und jeden einzelnen putzte und ölte, bis die
+Waffe blitzblank und schußbereit wiedererstand.
+
+Und wiederum am Sonntag gab es bei den Kibelkas ein Rehstück zu Mittag,
+was nicht passiert war, solange die Welt stand. Alle schwelgten, und
+selbst der Hofhund bekam seinen Knochen.
+
+Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten Kleidchen da, das der
+Miks ihr mitgebracht hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen
+Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr geschah.
+
+»Ich verstehe ja deine Meinung,« sagte der Wirt, »aber wenn der Vater
+_nicht_ aus Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.«
+
+»Dann tu' ich's wie ihr um Gottes Lohn,« erwiderte Miks, »man muß sich
+immer ein Beispiel nehmen.«
+
+Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem Knecht zu, denn die
+Schnapsbuddel saß ihm allzeit locker.
+
+»Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule schicken,« meinte Miks
+Bumbullis so nebenbei.
+
+Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an. Der Gendarm sei schon zweimal
+dagewesen, und sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man könne
+schließlich noch Strafe zahlen.
+
+Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als Anikke am Montag morgen die
+Kinder zur Schule begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar
+eine Schiefertafel.
+
+
+ 6
+
+Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun höchst angesehen im Hause. Er
+pflegte das Pferd blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die
+Dreschflegel gingen: »Ubags, ubags, ubags«, -- sein Schlag war immer
+herauszuhören.
+
+Lohn forderte er nicht, und er hätte auch keinen bekommen, denn der Wirt
+vertrank jeden Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich ab und zu
+in der Morgen- oder der Abenddämmerung hinter der Scheune zu schaffen
+machte und vorläufig nicht mehr wiederkam.
+
+Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt, so daß sie nun ebenso
+fein aussahen wie Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er mit, dem
+einer nach dem anderen standhalten mußte. Kibelka meinte zwar, es sei
+sündhaft, es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber schließlich
+lieh auch er sich den Kamm aus.
+
+Die kleine Anikke ging umher wie im Traum. Die warme Schule -- und das
+reichliche Essen -- und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam sie hie
+und da noch einen Stirnicksel, aber der tat kaum einmal weh, denn sie
+fühlte in seliger Geborgenheit, daß einer da war, der sie vor
+Schlimmerem beschützte.
+
+Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen, aber ihm ganz nahe zu
+kommen wagte sie nicht, denn er ermunterte sie nie.
+
+Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an seinem Gesicht, und als sie
+die Geschichte vom lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß
+der ebenso ausgesehen hatte wie er.
+
+Eines Abends, als der Kienspan brannte, war er besonders vergnügt und
+sagte zum Ältesten, dem Jons: »Willst du reiten?« Der wollte natürlich
+gern, und er nahm ihn auf sein Knie und sang dazu: »Apappa, upappa.«
+Dann kam die Katrike an die Reihe und dann der Jendrys. Und sie stand im
+Winkelchen und dachte, die Tränen verbeißend: »Ich bin ja nur das
+Ziehkind, und darum will er mich nicht.«
+
+Aber da sagte er auch schon: »Die Anikke muß auch.«
+
+Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie traute sich nicht. Dann,
+als er sie hochhob, war es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken.
+So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz schwindlig wurde, bis
+der Jons, abgünstig geworden, einmal über das andere schrie: »Ich will
+auch solange!«
+
+Diese Augenblicke waren das Schönste, was sie je erlebt hatte, denn daß
+schon einmal einer dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten hatte,
+das war ihr inzwischen aus dem Sinne verschwunden. Nur eines langen
+weißen Bartes erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei der
+Weihnachtsmann gewesen, von dem der Lehrer erzählte.
+
+Es war nun inzwischen sehr kalt geworden, und wenn man gegen den
+Schneesturm laufend bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete das
+manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe gekauft und eine
+wollengefütterte Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden
+sind. Die drei Hauskinder bekamen die gleichen, so daß ein Neid nicht
+entstehen konnte.
+
+Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X für ein U machen und sagte
+mit süßsaurem Lächeln: »Meine Kinder haben es ja sehr gut bei dir, aber
+der liebe Gott wird schon wissen, was du damit verhehlen willst.«
+
+Miks sagte darauf: »Wenn einer Kinder liebhat, was braucht er da zu
+verhehlen?« und wandte sich ab.
+
+Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen in der Kleinen Stube, die
+gut geheizt wurde, sondern auf der anderen Seite des Hausflurs, wo es
+jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich aus den Zeiten ihrer
+Zurücksetzung so erhalten, und sie wünschte es sich gar nicht anders,
+denn in der Kammer nebenbei schlief der Miks.
+
+Aber nun der Winterfrost gekommen war, konnte sie gar nicht recht
+einschlafen und lag in ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke
+frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen Morgen.
+
+Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von der Knechtskammer her ein
+leises Knirschen und Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare
+Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich wenden soll.
+
+Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten in ihrem Frieren die Decke
+vom Leibe, ging in die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch mehr
+als vor Kälte: »Miks, tut dir was weh?«
+
+Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei. Und dann griffen
+zwei Arme nach ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und wärmte
+sich auf und schlief auch bald ein.
+
+Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und war da wie in Abrahams Schoß.
+
+Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß niemand etwas davon merken
+konnte. Auch beachtete er sie bei Tage nicht häufiger als früher. Aber
+nun grämte sie sich nicht mehr darüber, denn sie wußte ja zu allen
+Zeiten, wie gut er's mit ihr meinte.
+
+Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören. Manchmal schlief er sogar
+noch früher ein als sie selber.
+
+
+ 7
+
+Es war eines Abends um die Weihnachtszeit, da wurde Miks Bumbullis auf
+einem seiner Wege zum Walde von einer Frauensperson angerufen, die bis
+zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande im Schnee saß.
+
+Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme gleich erkannt.
+
+»Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,« sagte er. »Ich habe schon
+immer einmal zu dir kommen wollen.«
+
+»Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,« erwiderte sie, »und hätte ich
+dir nicht aufgelauert, so wären auch noch drei weitere verstrichen.«
+
+»Das ist wohl möglich,« meinte er. »Was man nicht gern tut, verschiebt
+man immer wieder.«
+
+»Sagst du mir das ins Gesicht?« knirschte sie, und ihre Augen blitzten
+ihn an.
+
+»Ich sage, was wahr ist,« erwiderte er.
+
+»Dann will ich dir _auch_ sagen, was wahr ist!« schrie sie. »Daß _du_
+den Hegemeister erschossen hast -- daß deine Flinte da, mit der du's
+getan hast, _meine_ Flinte ist -- und daß ich meine Seele dem ewigen
+Verderben verkauft habe -- und Madlynens Seele dazu, die meine
+Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur, was ich wollte. _Das_
+ist die Wahrheit.«
+
+»Und dann ist die Wahrheit,« fuhr er fort, »daß du mir die Flinte in die
+Hand gegeben hast und zu mir gesagt hast: >Mein Seliger hat es schon tun
+wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert. Nun tu du es, sonst hast du
+keine Ehre im Leibe.< _Das_ ist die Wahrheit.«
+
+»Und ferner ist die Wahrheit,« nahm sie ihm die Rede aus dem Munde, »daß
+ich einen Tag und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich dich am
+besten vor der Leibesstrafe bewahren konnte, denn wenn ich einfach
+ausgesagt hätte: >Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,< dann hätte mir
+keiner geglaubt. Darum hab' ich der Madlyne eingegeben, sie habe dich
+aus dem Stubenfenster steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum
+habe ich dir zehnmal vorgesprochen -- alles -- auch was du zu sagen
+hast, wenn ich die Schwurfinger erhebe. Denn du bist ja so dumm wie ein
+Deutscher.«
+
+»Und du bist so klug wie der Teufel,« erwiderte er.
+
+»Es ist gut,« sagte sie, in die Runde schauend, »daß uns hier niemand
+hören kann außer den Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen.
+Aber man weiß nie, was noch werden kann, wenn sich einer im Zorn
+vergißt. Darum frage ich dich zum ersten und zum letzten Male: Willst du
+dein Versprechen halten?«
+
+»Ich weiß von keinem Versprechen,« stöhnte er.
+
+»Natürlich weißt du von keinem Versprechen, aber _ich_ weiß, daß seit
+zwei Jahren die Menschen mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein
+Freiwerber mehr bei mir sehen läßt -- nicht für mich und auch nicht für
+die Madlyne, und seit Michaeli treffe ich keinen, der nicht speilzahnig
+fragt: >Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas den Knecht spielt?<
+Darum frage ich dich zum überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken,
+der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?«
+
+Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer.
+
+»Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,« bat er.
+
+»Jawohl,« höhnte sie, »erst bis nach Fastnacht -- und dann bis zum
+Palmsonntag -- und dann immer so weiter. -- Aber es soll gut sein. Bis
+nach Fastnacht werd' ich warten. Schickst du dann keinen, dann weiß ich,
+woran ich mit dir bin.«
+
+Und es klang noch fast wie ein Schöndank, was er da stammelte.
+
+Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal um und sagte: »Die Leute
+erzählen sich, daß du das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist,
+hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein. Deine Seele kaufst du
+doch nicht los, und der Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.«
+
+Damit schritt sie von dannen.
+
+Miks Bumbullis war von dem allen zumute, als hätte er mit der Axt eins
+vor den Kopf bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still, dann
+taumelte er in den Wald hinein. Aber er schoß nichts, und er sah auch
+nichts. Er dachte bloß immer das eine: »Ich bin bis heute sehr glücklich
+gewesen und habe es nicht gewußt.«
+
+Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das Kind in der Nähe zu haben. Er
+sicherte die Flinte und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen
+konnte.
+
+Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag und die leisen, kleinen
+Schritte nähertappten und das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm
+hineinschob, da war er wieder wie im Himmel. Er fing so bitterlich zu
+weinen an, wie ein Mann sonst nur in der Kirche tut.
+
+Da weinte auch das Kind und wußte doch gar nicht, warum. Er tröstete
+sie, und sie streichelte ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er es nicht
+getan.
+
+
+ 8
+
+Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu keinem Handeln entschließen.
+Den Freiwerber zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich, denn
+jedermann wußte, wie die Dinge standen. Er mußte also den Gang schon
+selber machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er zu sich: »Also nächsten
+Sonntag.« Und dabei blieb es.
+
+Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn dort hätte er ihr ja
+begegnen können.
+
+So war also richtig der Stillfreitag herangekommen. Er saß am Vormittag
+in seiner Kammer und schnitzelte für Anikke an einem Springbock. Da kam
+der Älteste, der Jons, eilfertig zu ihm herein und sagte: »Es ist eine
+draußen, die will dich sprechen -- eine Feine.«
+
+Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte die Arbeit hin und ging.
+
+Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen Kopftuch und einer
+seidenen Schürze die Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte sie an,
+obgleich es noch ziemlich rauh war, und alles an ihr sah rund aus und
+quoll und wippte.
+
+Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und fragte, ob er wohl einen
+kleinen Spaziergang mit ihr machen wolle.
+
+»Ich will nicht, aber ich muß wohl,« sagte er.
+
+Und dann gingen sie zusammen zum Walde, dorthin, wo er vor einem
+Vierteljahr die Alute getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort.
+
+»Du wunderst dich wohl, warum ich noch nicht verheiratet bin,« begann
+sie endlich. »Ich kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich will
+nicht.«
+
+»Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,« erwiderte er, »und ich
+soll daran schuld sein.«
+
+»Schuld magst du schon sein,« erwiderte sie und lächelte, »aber anders,
+als sie denkt. Wenn du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit
+durchfüttern müssen.«
+
+»Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,« sagte er.
+
+»Nach menschlichem Willen geht es meistens nicht,« erwiderte sie. »Und
+wenn du einen guten Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange. Meiner
+Mutter Schwester macht falsche Redensarten. Es könnte sein, daß es eines
+Tages zu spät ist.«
+
+»Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch sich selber an,« warf er
+ein.
+
+»Und mich genau ebenso,« erwiderte sie, immer in der gleichen lächelnden
+Weise. »Aber seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht
+allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß des Hegemeisters gesessen
+hat, als das Unglück geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße
+sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt sie dazu. Und keiner
+weiß. Aber ein bedenkliches Gesicht macht ein jeder.«
+
+Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den dieses rachsüchtige
+Geschwätz gehen würde. Und sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst
+so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm und sich selber die
+Grube.
+
+»Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,« sagte Madlyne mit ihrem
+lieblichen und verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder
+Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch Schlimmerem gar. »Denn
+ich war ja noch sehr jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber du,
+Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin ich der Meinung, du läßt keinen
+Tag mehr verstreichen und kommst heute nachmittag zu uns auf den Hof.
+Dann wird sie schon Ruhe geben.«
+
+»Wirt bei euch,« sagte er, »kann ich nur sein unter einer Bedingung: daß
+Alute gut zu dem Kinde ist.«
+
+»Das willst du mitbringen?« fragte sie, und in ihrem Erschrecken
+verschwand zum ersten Male das Lächeln von ihrem Angesicht.
+
+»Das will ich mitbringen,« erwiderte er beinahe feierlich, »sonst komm'
+ich nie und nimmermehr.«
+
+Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und sah stumm in die Höhe. Und
+ihre wasserhellen Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel. Dann
+sagte sie: »Zurzeit ist sie freilich dem Kinde noch bös gesinnt, denn
+sie meint, daß du es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den Willen
+tust und die Scham von ihr nimmst, wird sie sich wohl mit ihm versöhnen.
+Außerdem bin ich ja auch noch da, und ich hab' Kinder sehr lieb.«
+
+»Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,« entgegnete er finster.
+
+»Wann hast du schon das Farnkraut blühen gesehen, daß du so allwissend
+tust?« fragte sie und sah ihn neckend von unten auf an.
+
+In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal und das des Kindes
+nicht gar so drohend mehr, und er sagte: »Ich werd' also kommen.«
+
+
+ 9
+
+So geschah's, daß am Himmelfahrtstage Miks Bumbullis und Alute Lampsatis
+im Brautwinkel saßen und die Hochzeitsgäste in hellen Haufen um sie her.
+Auf dem Tische standen leckere Speisen in Menge, und über ihm hing von
+der Decke herab die künstlich geflochtene Krone, in der silberglänzende
+Vögel sich wiegten.
+
+Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und Spruchbändern reichlich
+beschenkt worden, und das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe
+geworfen wird -- denn niemand soll wissen, wieviel ein jeder gegeben --,
+dieser unwillkommene Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die
+meisten ihren guten Taler nicht loswerden konnten.
+
+Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung, die, was einst geschehen
+war, mit dem Mantel der Nächstenliebe bedeckte.
+
+Die Kibelkas waren auch geladen, und der Ehemann lag schon längst in
+seligem Schlaf hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten sie
+nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute so bestimmt. Und sie erwies
+sich damit wieder einmal als die klügste von allen. Denn wenn die
+ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des Hauses unter den Gästen
+herumbewegt hätte, so wären Befremden und Verdacht alsbald am Werke
+gewesen, den verständnislosen Klatsch noch mehr ins Böse zu wenden.
+
+Als nun aber die Brautsuppe kam, deren Branntwein Alute mit Kirschsaft
+und Honig üppig gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst unter
+den Frauen immer kühner aufflackerten, da wurde auch lächelnd des armen
+Kindes gedacht, das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen war.
+
+»Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was Lebendiges mit in die Ehe,«
+sagte eine der Nachbarinnen. »Hier tut es der Bräutigam, obwohl er noch
+Junggesell' ist.«
+
+Und eine andere sagte: »Ihr braucht euch gar nicht erst selbst zu
+bemühen. Euch fliegen die Kinder nur so vom Himmel.«
+
+Und eine dritte: »Kauft's den Kibelkas ab. Für eine Buddel Schnaps gibt
+er euch auch die drei eigenen dazu.«
+
+Alute, die heute das rotblonde Haar würdig unter dem Frauentuch
+versteckt hielt und auf deren Wiste eine goldene Brosche strahlte, so
+groß wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles mit nachsichtigem
+Lächeln an und sagte dann gleichsam überlegend: »Ihr habt eigentlich
+Recht. Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten, aber ich glaube,
+er wird es nicht zugeben, weil es gar zu sonderbar aussieht.«
+
+Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal ganz harmlos und
+aufrichtig war. Was denn dabei sei! Und »wenn er das Kind doch nun
+einmal gern hat?«
+
+Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen zu lassen und die
+kleine Anikke sofort aus Wiszellen zum Feste zu holen.
+
+Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller Freude schweigend dasaß, stieg
+das Herz hoch, aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch später
+noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu Dank die Stunden des Festes
+verkürzen.
+
+Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen den Gästen herumhuschte
+und wegen ihrer niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke von den
+Burschen »Melinoji kielele« -- das Bachstelzchen -- gerufen wurde, war,
+als sie in dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte, lauschend stehen
+geblieben und sagte nun mit einem Lachen hinüber: »Wenn ihr es alle
+durchaus begehrt, dann bin ich die erste, die sich den Dank der Wirtin
+verdienen muß, und das werde ich morgen auch tun.«
+
+Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem von Dank nicht viel zu lesen
+stand, aber sie war schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich gegen
+drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich gelassen hatten, um sich mit
+ihr ein bißchen herumzureißen.
+
+Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel genug auf dem Hofe und am
+dritten auch. Als aber alles still geworden war und die jungen Eheleute
+nicht zum Vorschein kamen, da machte sich Madlyne auf den Weg und kam
+zwei Stunden später mit der kleinen Anikke wieder, die ein neues,
+grüngesticktes Miederchen anhatte und mit großen, sehnsüchtig
+ängstlichen Augen der künftigen Heimat entgegensah.
+
+Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit einem Bündel, in dem die
+Siebensachen des Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor in Sicht
+kam, mußte er Schuhchen und Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie
+nicht etwa barfuß ankam.
+
+Es war nun wirklich so, als ob eine kleine Prinzessin ihren Einzug
+hielt.
+
+Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar und aß dicke Milch mit
+Zucker, denn es war Vesperzeit.
+
+Anikke löste sich von Madlynens Hand und wollte auf Miks zueilen, da sah
+sie ein Paar Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren machte;
+sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts oder zurück.
+
+Aber da kam auch schon die lustige Madlyne ihr nach und sagte: »Warum
+hast du Angst vor deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat
+versprochen, sie tut dir nichts.«
+
+Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie ihn in der Schule gelernt
+hatte, und wartete auf ein Willkommen.
+
+Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute noch darauf warten.
+
+
+ 10
+
+Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine Anikke es schlecht gehabt
+hätte, der würde sehr im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu kluge
+Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch ein sichtbares Hervorkehren
+ihrer Abneigung dem Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt
+teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein verderben mußte. Sie tat
+darum so, als ob sie das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete, und
+ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit durch doppelte Liebesdienste
+von ihm bezahlen.
+
+Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt und ein treuer Verwalter. Er
+arbeitete von früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln
+gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen, und als die Roggenaust begann,
+wurde beim Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen war eine große
+Veränderung vor sich gegangen. Er trieb sich nicht mehr in den Krügen
+herum und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach Hause. Auch das
+Wilddieben hatte er aufgegeben, und wenn die Versuchung an ihn
+herantrat, nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er, seine Frau
+wünsche es nicht.
+
+Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil, was der Alute einst an ihm
+gefallen hatte, war sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen.
+Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten und Forschesten von allen zu
+eigen zu haben, und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend ein
+Kopfhänger neben ihr herging.
+
+Daß er auch spaßen und lustig sein konnte, blieb ihr freilich verborgen,
+denn das geschah nur, wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte er
+mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als zweie nicht nötig sind, und
+ersann sich täglich neue dazu.
+
+Da war eines, das hieß »die Katzenfalle«. Dabei muß einer durch die
+hohlen Arme des anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich für ihre
+Kinderärmchen viel zu dick war, so gab das des Lachens kein Ende. Und
+ein anderes »die Windmühle«. Wenn man die darstellen will, muß man sich
+zwei Hopfenstangen kreuzweis am Leibe festbinden lassen und sich nun
+ganz rasch um sich selber drehen. Kann der andere eine der Stangen
+ergreifen und so die Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er
+gewonnen.
+
+So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die Dämmerung hinein, aber
+beileibe nicht auf dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr Lachen
+nirgends zu hören war. Denn sie hatten immer ein Gefühl, als sei dies
+nicht wohlgelitten.
+
+Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja, die durfte sogar die dritte
+im Bunde sein. Und dann ging es erst recht hoch her.
+
+Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens wo anders heftig beschäftigt.
+Denn hinter dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit und breit, und
+immer war ein Gejacher um sie herum und ein Gegluckse, das nahm kein
+Ende.
+
+Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte und der Freiwerber die Stube
+betrat, dann konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß er noch den
+Kirschschnaps austrank, so sehr lachte Madlyne. Hinterher machte Alute
+ihr stets die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht im
+mindesten daran.
+
+»Was willst du von mir?« sagte sie. »Arbeite ich nicht ebenso fleißig
+wie eine Magd? Und weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft steckt,
+so arbeite ich auch für mich selber.«
+
+Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war alles die Wahrheit.
+
+Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in der Klete geschlafen, denn sie
+meinte, die jungen Eheleute möchten im Hause am liebsten allein sein.
+Aber weil die Burschen ihr dort bis in den Morgen keine Ruhe ließen und
+der Hofhund aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte sie wieder
+in die Kammer jenseits des Hausflurs über. Und Miks war neidisch auf
+sie, denn in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem nahm er an, daß
+die Burschen ihr selbst hierhin folgten, und er wollte nicht, daß Anikke
+erwachte, wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch hatte er
+freilich keinen ertappt, aber wie sollte es anders sein.
+
+Und so verliebter Natur war Madlyne, daß sie es nicht unterlassen
+konnte, selbst ihm von ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu
+geben. Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin. Wie ihr ganzes
+Wesen, so war auch dies von einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so
+daß man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man nicht darauf eingehen
+wollte.
+
+Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach eine einzige große
+Liebkosung, die um so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie ernst
+zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit der sie sich an ihn
+heranschmeichelte, machte jeden Gedanken an künftige Buhlschaft
+zuschanden.
+
+Dann einmal, als er unbemerkt dazukam, hörte er sie eine Daina singen,
+die lautete umgedeutscht etwa so:
+
+ Liegt mir ein Lämmlein
+ Im reißenden Strome,
+ Frag' ich nicht lange,
+ Ob ich's errette,
+ Nein doch, ich springe ihm nach.
+
+ Liegt der Geliebte
+ Im Arme der Muhme,
+ Frag' ich mich täglich,
+ Ob ihn erretten,
+ Und ich weiß doch nicht wie.
+
+ Gönn' ich den Lieben
+ Der bösen Muhme,
+ Die ihm mit Tränkchen,
+ Aus Giftkraut bereitet,
+ Zankend den Schlummer verdirbt?
+
+ Oder ich sage:
+ »Komm, lieber Schwager,
+ In meiner Kammer
+ Steht eine Bettstatt
+ -- Ach, so schmal ist das Bett! --
+
+ Aber zur Mauer,
+ Der eiskalten Mauer,
+ Rück' ich geschwinde,
+ Daß du es warm hast
+ Und mich im Arm hast und schläfst.«
+
+ Soll ich's ihm sagen,
+ Oder verschweig' ich's,
+ Bis einst der Kummer
+ Vom Lager der Muhme
+ Nach dem Strome ihn treibt?
+
+ Und hätt' ich tausend
+ Der Lämmlein errettet,
+ Ihn, den ich liebe,
+ Ließ ich verderben,
+ Und ich sprang ihm nicht nach.
+
+Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn er wollte sie nicht wissen
+lassen, daß sie von ihm belauscht worden war. Und als er sie wiedersah
+und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete, konnte er es nicht
+fassen, daß sie ein so finsteres und hitziges Lied gesungen hatte.
+
+Und ein anderes Mal, als sie die kleine Anikke auf dem Schoße hielt,
+sang sie folgendes:
+
+ Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,
+ Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,
+
+ Ich schenkte dir Betten von Seide so weich
+ Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.
+
+ Auch einen Liebsten schenkt' ich dir wohl,
+ Der dich zur Kirche hinführen soll.
+
+ Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?
+ Ich lieg' alleine und bang' mich und frier',
+
+ Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,
+ Der siehet mich nicht und höret mich nicht.
+
+ Wenn der mich wollte und ließe von ihr,
+ Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.
+
+Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob er sie nicht einmal in die Arme
+nehmen sollte. Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an all die
+jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft hatten, erschien es ihm
+nicht gut genug, ein »Kuszbendris« -- ein Weibsteilhaber -- zu sein;
+auch mochte er um des Kindes willen das Haus nicht mit Verdacht und
+Unfrieden erfüllen.
+
+Aber der Unfriede kam auch ohne dies.
+
+Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit dem Kinde von der anderen Seite
+des Hauses her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren Zwischentür
+kein Schloß und keine Klinke hatte und darum immer ein wenig offen
+stand.
+
+Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau zu liegen, und machte
+allerlei Ausflüchte, um sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da ihm
+nichts Besseres einfiel, fing er das Leben wieder an, das er einst
+geführt hatte, als das große Unglück noch nicht geschehen war. Denn nur
+so konnte er die Nacht zum Tage machen.
+
+Er suchte die Krüge auf, von wo aus im Schutze der Dunkelheit der
+Schmuggel über die Grenze ging, und da es nicht immer was zu tragen gab,
+nahm er auf alle Fälle die Flinte mit, um das Frühmorgenlicht für einen
+Rehbock auszunutzen.
+
+So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder in schlechten Ruf kam, und
+Alute, die deswegen gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und ihn
+noch kurz vorher einen »Schwanzeinkneifer« genannt hatte, schalt ihn nun
+heftig aus, weil ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle
+würde.
+
+Aber er kehrte sich nicht daran.
+
+Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und sagte: »Es tut nicht gut,
+Miks, daß du so oft unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause
+halten.«
+
+»Aus welchem Grunde wünschst du mir das?« fragte er.
+
+»Sieh dir das Kind an,« erwiderte sie und wandte sich ab.
+
+Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich genommen,
+daß es der kleinen Anikke gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die
+Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte seine Frau noch nie etwas
+Feindseliges gegen sie unternommen. Höchstens daß sie sie nicht
+beachtete.
+
+Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt, fiel ihm auf, daß es
+ungerufen nicht mehr an ihn herankam, sondern sich zaghaft in den
+Winkeln herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich aus und hatte
+doch während des Sommers geblüht wie ein Tausendschönchen.
+
+Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen, aber es wollte nicht mit der
+Sprache heraus. Nur weinen tat es bitterlich.
+
+Da legte er sich eines Abends auf die Lauer und mußte erleben, daß Alute
+das Kind mit einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen
+Schnallen steckten.
+
+Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß der Armen Kleider und Hemde
+herunter und fand das Körperchen von oben bis unten mit Striemen und
+blauen Flecken bedeckt.
+
+Da hob er den Zaum auf, den das wütende Weib von sich geworfen hatte,
+und prügelte es so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte. Auch
+gegen Madlyne wandte er sich in seinem Zorn, und von nun an saß der
+Teufel im Hause.
+
+Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte er oft, wenn der Kummer ihn
+zur Nacht aus dem Hause trieb.
+
+
+ 11
+
+So geschah es eines Novembermorgens kurz vor dem roten Sonnenaufgang,
+als er durchfroren im jungen Schnee saß und gerade auf einen schönen
+Bock anlegen wollte, daß er rückschauend eine Flintenmündung auf sich
+gerichtet sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den er wohl kannte.
+
+Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, aber er wußte: es war zu
+spät. Darum stand er ganz gemächlich auf und sagte: »Na, wieviel Jahr'
+wird es kosten?«
+
+»Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet hast, Miks,« erwiderte
+der stämmige Förster, der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war,
+und er fügte hinzu: »Die Flinte laß liegen. Die hol' ich mir später.
+Sonst könnte es passieren, daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst
+und meine dazu.«
+
+»Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute es machen,« lachte Miks und
+schlug, ohne erst viel zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er ja
+doch abgeliefert werden mußte. Der Förster ging zehn Schritt weit
+hinterdrein und hielt die Flinte schußbereit.
+
+»Dreh dich lieber nicht um,« sagte er ganz freundlich, als Miks das
+Gespräch fortsetzen wollte, »sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im
+Genick.«
+
+Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über das Geschehene nachzudenken.
+Daß er von der Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber dann
+plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis in die Kniekehlen hinein. Das
+Kind! Was wird nun aus dem Kinde?
+
+»Ich Dummerjan,« dachte er, »schon wegen des Kindes allein hätt' ich es
+nicht dürfen.«
+
+Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, wie er von der
+Untersuchungshaft aus die kleine Anikke in andre Pflegschaft bringen
+könnte. Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit der
+Behörden auf das Kind zurücklenkte und in den Verhören irgend ein
+Widerspruch laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, das Alute
+damals aufgebaut hatte, davon zusammenfallen wie eine Haferhocke.
+
+Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb mitleidig, halb schadenfroh
+den Zug begleiteten. Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat sich
+der Förster. So gingen sie in halblauten Gesprächen neben dem Miks
+daher, und weil sie wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand,
+erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch den Mord auf dem Gewissen
+habe.
+
+Miks Bumbullis hörte das alles. Es war ein rechter Leidensweg.
+
+Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem Schritte, und als er vor dem
+Hause des Gendarmen ankam, hatte er ein Gefolge wie ein König. -- --
+
+Miks bestritt natürlich alles. Von dem Bock wisse er nichts. Er habe nur
+ein paar Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes
+Verbrechen sein.
+
+Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden zu machen, fragte der
+Richter.
+
+O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja bei dem Kinde bleiben.
+
+In der Hauptverhandlung kam er mit seinem Weibe und Madlyne wieder
+zusammen. Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, das Kind möchte
+nicht geladen sein, denn es war nun schon groß genug, um zu verstehen,
+welche Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich nicht da war, tat ihm
+das Herz weh. Er hätte es so gern einmal wiedergesehen.
+
+Madlyne gab sich lange nicht so adrett und fixniedlich wie dazumal, und
+ihre Augen waren klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen auch
+diesmal wie aus der Pistole geschossen.
+
+Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in Gebrauch genommen. Ja
+richtig! Einmal habe er eine Eule geschossen. Das war alles.
+
+Alute schien ihm die schlechte Behandlung längst wieder vergessen zu
+haben. Nie sei er zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, nie
+habe er die Flinte vom Nagel geholt, nie habe er ein Stück Wild oder das
+Geld dafür von seinen Wegen nach Hause gebracht.
+
+Schade, daß die Frauensleute nicht schwören durften!
+
+Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von ihrem Eidesrechte Gebrauch zu
+machen, aber der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, ebenso wie
+bei Madlyne, die ihm als Hehlerin verdächtig schien, und so blieben
+beider Aussagen wirkungslos.
+
+Doch auch die andern, die vereidigt wurden, hielten sich wacker. Selbst
+diejenigen, die ihn so und so viele Male wegen seiner Schießereien
+geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je davon gehört, geschweige
+denn eine Flinte an ihm gesehen zu haben.
+
+Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung richtete sich drohend
+hinter ihm auf, und der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln
+über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt mit argwöhnischer Anspielung
+darauf Bezug nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse
+verborgen lagen, die nur eines rächenden Anlasses bedurften, um gegen
+ihn loszubrechen.
+
+Als der Richterspruch verkündet wurde, der ihm drei Jahre Gefängnis
+zuerkannte, erhob sich Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem Auge
+zu begegnen, langsam von der Zeugenbank und nickte, den Kopf feierlich
+wiegend, eine ganze Weile lang zu ihm herüber.
+
+Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er dran dachte.
+
+Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, bevor er in die
+Strafanstalt überführt wurde, die Seinen ihn besuchten, denn er wußte,
+daß dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke noch einmal zu
+sehen.
+
+Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn als die Zellentür sich öffnete
+und hinter der Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das Kind
+an der Hand.
+
+Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, sonst wäre er vor dem
+Kinde niedergekniet und hätte geweint und geweint.
+
+Nun aber sagte er bloß: »Da seid ihr ja alle,« und begrüßte sie
+freundlich der Reihe nach.
+
+Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz trug und auch sonst sehr
+unternehmend aussah, sagte zu ihm: »Ich könnte mich jetzt von dir
+scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht
+tun.«
+
+Er antwortete: »Tu, was du für recht hältst. Wenn du nur gut zu dem
+Kinde sein willst.«
+
+»Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,« erwiderte sie, »aber da hast du
+alles verdorben.«
+
+Er demütigte sich vor ihr und sagte: »Ich werde meine Fehler bereuen und
+ablegen, wenn du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde sein
+willst.«
+
+Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: »Ich verspreche es.«
+Dann reichte sie ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, er möge
+sie hinauslassen.
+
+Der Aufseher tat es und wollte auch die andern auffordern fortzugehen,
+da bemerkte er, daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und weinte und
+weinte. Und weil er ein guter und aufrichtiger Mann war, so schloß er
+die Tür noch einmal und ließ ihn gewähren.
+
+Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: »Erbarm dich des Kindes!«
+
+Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: »Ich schwöre dir, daß ich
+auf das Kind achtgeben werde.«
+
+»Und wenn du heiratest und weggehst, -- schwöre mir, daß du das Kind
+mitnehmen wirst.«
+
+Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und sagte: »Ich werde nicht
+heiraten.«
+
+Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das Kind und küßte auch Madlyne.
+
+Und dann war die Besuchszeit um.
+
+
+ 12
+
+Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis die Nachricht, daß das Kind
+gestorben war.
+
+Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon einige Male im Traume
+erschienen.
+
+Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück Mitteilung machte, lautete
+so:
+
+»Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die kleine Anikke ein seliges
+Hinscheiden erlitten hat. Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es
+unsre Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht zu vertreiben, habe
+ich Madlyne zu einer weisen Frau geschickt, die sie nach den Regeln
+besprochen hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht und ihr den Saft
+mit getrockneten Quitschen zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts
+versäumt worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet wie meinem
+eigenen Kinde. Die Festlichkeiten haben zwei Tage gedauert, und es sind
+dabei drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein ausgetrunken worden.
+Nicht zu rechnen, was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen Sarg habe
+ich ihr machen lassen, in dem sie sich ordentlich ausstrecken kann. Auch
+ist sie in ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden. Du siehst
+also, daß ich mein Versprechen gehalten habe, und wenn du die Madlyne
+fragen wirst, so kann sie es nicht anders sagen.«
+
+Von nun an erschien die kleine Anikke dem Miks Bumbullis in jeder Nacht.
+Er brauchte nur die Augen zuzumachen, und sie war da. Und in vielerlei
+Gestalt erschien sie ihm -- manchmal im Sarge liegend, manchmal als eine
+Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal als ein Engelchen mit
+gläsernen Flügeln, manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit einem
+Strick um den Hals. Und immer wieder in neuen Gestalten.
+
+Als ein großes Glück empfand er es, daß Alute nun doch gut zu dem Kinde
+gewesen war. Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn wenn sie das
+Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte, würde sie die Tote so heimlich
+wie möglich eingescharrt haben. Aber vor allem war ja Madlyne dagewesen,
+auf die er sich ganz verlassen konnte.
+
+Und doch mußte etwas versäumt worden sein, sonst würde die kleine Anikke
+Ruhe im Grabe gehabt haben und ihm nicht immer von neuem erschienen
+sein.
+
+Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages der Anstaltsarzt zu ihm
+trat und ihn fragte, was ihm eigentlich fehle.
+
+»Was soll mir fehlen?« erwiderte Miks. »Ich habe satt zu essen, und
+keiner ist schlecht zu mir.«
+
+Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen. Miks tat es, aber der Arzt
+fand eine Krankheit nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer
+zugestoßen sei, fragte er dann.
+
+»Ich habe ein Kind verloren,« antwortete Miks. Aber von den
+Erscheinungen sagte er nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich
+immer in acht nehmen.
+
+Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer, derselbe, der am Sonntag
+gewöhnlich predigte.
+
+Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten an, aber er hatte sich
+nicht einmal die Mühe genommen, die Akten durchzusehen, sonst würde er
+gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind gar nicht besaß.
+
+Miks beließ ihn in seinem Irrtum und küßte ihm die Hand, um ihn glauben
+zu machen, daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so weit, daß er
+sich schon den ganzen Tag über auf die Erscheinung freute. Aber dann
+machte er sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen, denn wenn es der
+Anikke im Grabe an gar nichts fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen
+sein. Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man hatte ihr etwas
+Erstickendes auf den Mund gelegt. Vielleicht gar auch war die Giltinne
+-- die Todesgöttin -- nicht versöhnt worden, wie es nach dem Glauben
+Vieler geschehen muß, so daß sie aus Rache die arme Tote allnächtlich
+aus ihrem Frieden scheuchte.
+
+Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber er schämte sich vor den
+Deutschen, die den Brief durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn
+lachen würden.
+
+Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor ihn eines Tages
+rufen ließ und ihm eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig
+erlassen, und wenn er sich ordentlich führe, brauche er sie auch später
+nicht mehr abzusitzen.
+
+Er dachte: »Da kann ich nun selber nach dem Grabe sehen,« und machte
+sich auf den Heimweg.
+
+
+ 13
+
+Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und alle arbeiteten auf den
+Feldern. Kaum einer sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet bis
+nach Haus.
+
+Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen, und er streichelte ihn, denn
+das Kind hatte ihn lieb gehabt.
+
+Das Haus war leer und alles offen. Ihn hungerte, aber er wagte nicht,
+sich ein Stück Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf seinem
+eigenen Besitz. Er sah sich erst in der Kleinen Stube um, wo das
+Bettchen zuletzt gestanden hatte. Aber nichts mehr war davon zu
+bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der Welt. Aber dann fand er
+auf Madlynens Brett ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit
+Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie ihr einmal gemacht hatte.
+
+Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre er auf den Kirchhof
+gegangen. Und so setzte er sich vor das Haus auf die Milcheimerbank,
+dort, wo die Sonne schien, und wartete. Dabei schlief er ein und wachte
+erst auf, als die Stimmen der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden.
+
+Die Alute war die erste, die ihn bemerkte. Sie richtete sich hoch auf
+und schritt in ihren Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu,
+während sie ihm ganz starr in die Augen sah. Sie freute sich nicht, aber
+sie hatte auch keine Furcht.
+
+»Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,« sagte sie, ihm die Hand
+reichend, »der Wirt ist gerade sehr nötig im Hause.«
+
+»Ich werde schon arbeiten,« entgegnete er.
+
+Dann ging sie, das Abendbrot machen.
+
+Madlyne war hinter ihr gekommen. Er bemerkte, daß sie ganz schmal
+geworden war und daß um ihren Mund herum allerhand kleine Falten
+standen.
+
+Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann rasch fort.
+
+Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann, mit dem die Alute sicher
+nichts vorgehabt hatte -- »drum werd' ich ihn ruhig behalten können,«
+dachte er --, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil sie nicht wußte,
+was sie aus ihm machen sollte.
+
+Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen Hahn geschlachtet. »Damit alle
+erfahren, daß der Herr wieder da ist,« sagte sie.
+
+Sie war nun ganz freundlich und sah ihn immer von unten auf an, wie eine
+Bittende.
+
+Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber das Fleisch auf dem Rande
+liegen.
+
+»Warum ißt du nicht?« fragte die Madlyne, der immer die Augen voll
+Wasser standen.
+
+»Ich will's mir bis nachher verwahren,« erwiderte er, »denn ich hab' so
+was Gutes lang' nicht gehabt.«
+
+Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte es aber nicht an.
+
+Nach dem Essen trug er beides in die Kammer hinüber, wo er sich still
+hinsetzte, bis es dunkel wurde. Dann holte er sich einen Topf von der
+Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und Trinken hinein und
+verbarg es unter seinem Rocke.
+
+»Ich will nur noch einen kleinen Gang machen,« sagte er, und die beiden
+Frauen fragten ihn nicht, wohin.
+
+Das kleine Grab hatte er bald gefunden. Ein neues Holzkreuz stand zu
+Kopfenden mit einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich
+Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen an den schrägen Enden.
+Die hatte sicherlich die Madlyne angebracht als Spielzeug für die Tote
+in der langen Ewigkeit.
+
+Er wühlte in dem Sande des Grabhügels eine kleine Kaule aus und stellte
+Topf und Flasche hinein. Dann glättete er den Sand wieder, so daß nicht
+das mindeste zu bemerken war.
+
+Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung für den Geist der Toten
+gut ist, andere aber -- und die sind wohl in der Wahrheit -- meinen, daß
+die böse Giltinne damit besänftigt wird, so daß sie der abgeschiedenen
+Seele die Ruhe nicht fortnimmt.
+
+Und dann saß er noch eine Weile und dachte bei sich: »Hier ist gut
+sein.« Und ihm war, als sei er erst jetzt in die Heimat gekommen.
+
+Als er wieder im Hause war und alle sich zum Schlafengehen bereiteten,
+sann er darüber nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte genau,
+daß, wenn er sich absonderte, der Hader von neuem losgehen würde. Darum
+kroch er in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie
+weggewesen.
+
+Nun fing sie auch aus freien Stücken von dem Kinde zu reden an. Gegen
+Gottes allmächtigen Willen sei Menschenkraft ohnmächtig; man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe.
+
+Und sie weinte.
+
+Er sagte nur: »Erzähle mir nichts.« Denn er wußte, daß er es nicht
+ertragen würde.
+
+In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes ihm nicht. Er freute sich,
+daß er mit der Gabe an die Giltinne das Rechte getroffen hatte.
+
+Als er am nächsten Morgen den Spaten schulterte, um mit den andern in
+die Kartoffeln zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: »Ruh dich erst aus,
+du bist noch zu schwach.«
+
+Und er wunderte sich, daß sie so wenig von seinen Kräften hielt.
+
+Aber als er eine Weile vorgegraben hatte, mußte er sich setzen, denn der
+Atem fing an, ihm zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die Mutter
+ihr krankes Kind. -- -- --
+
+Auch die Alute war von nun an immer gut zu ihm. Sie brachte ihm
+Paradieskörner in Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte:
+»Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt für gute Tage haben!«
+
+Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen, und er begann schon,
+der Giltinne mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken.
+
+Und so vertraut war er inzwischen mit der Alute geworden, daß er sich
+eines Abends ein Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen sprach.
+Auch von dem Mittel, das sich dagegen bewährt hatte.
+
+Sie lachte und sagte: »Wenn das so leicht ist, will ich dir Hähne
+schlachten, so viel du willst.«
+
+Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und er fragte sich manches Mal,
+warum er sich früher eigentlich vor ihr gefürchtet hatte.
+
+Auch von der Krankheit des Kindes wollte er jetzt Näheres wissen. Nicht
+daß sein Kummer geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht, nur hielt
+er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie würde die richtige Teilnahme
+haben.
+
+Aber Alute erwiderte: »Du Armer würdest es auch heute noch nicht
+ertragen, drum warte noch eine kleine Weile.« Und so sagte sie immer
+aufs neue.
+
+Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne zu fragen. Aber die Madlyne war
+jetzt wie umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege, wo sie nur konnte,
+sprach bei Tisch kein Wort und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz.
+
+Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte sie: »Die Madlyne muß aus
+dem Hause, und schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich ihr
+aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack und Kasten vors Hoftor.«
+
+Er erschrak, daß er an einem so bösen Ende die Schuld tragen sollte, und
+beschloß, das Seine zu tun, um alles zum bessern zu wenden.
+
+Darum ging er der Madlyne eines Morgens zum Melken nach und sagte: »Du
+mußt nicht denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des Kindes etwas
+nachtrage.«
+
+Sie stand von der Hocke auf und sagte: »Aber ich trage es mir nach.«
+
+Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend, daß gegen Gottes
+allmächtigen Willen Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen habe.
+
+Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine Schultern, sah ihn lange
+mit den bohrenden Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte dann:
+»Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann werd' ich dir etwas erzählen, was
+zu wissen dir nottut.«
+
+Er fühlte eine große Unruhe und antwortete: »Mir ist nach lockeren
+Streichen nicht zumut. Erzähl es mir auch so.«
+
+»Nein,« sagte sie, »anders tu' ich es nicht.«
+
+»Ich werd' es mir überlegen,« antwortete er und ging aus dem Stalle.
+
+In derselben Nacht kam die Erscheinung wieder. Sie war in ihrem
+Hemdchen, hatte auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug einen
+Stengel in der Hand, aber das war ein Schierlingstengel.
+
+Er sagte der Alute nichts davon. Und als der Abend kam, sparte er wieder
+sein Essen auf, holte sich heimlich einen Topf und trug es darin zum
+Kirchhof hinaus.
+
+Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt geschehen, aber hinter dem
+Hofzaun stand Alute und sah ihm nach.
+
+Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht zufrieden, denn das Kind
+erschien ihm auch in der nächsten Nacht.
+
+»Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,« dachte er, aber ein
+unbestimmtes Gefühl hielt ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn
+schlachte.
+
+Die Erscheinung kam immer wieder, und die Unruhe verließ ihn nicht mehr.
+
+Da faßte er sich ein Herz, und während die Frau noch auf dem Felde war,
+ging er der Madlyne nach in die Kammer. Als sie ihn kommen sah, stieß
+sie einen Seufzer aus und faltete die Hände wie eine, die sich bereit
+macht, selig zu sterben.
+
+So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an seiner Schulter lag, da
+kam es ihm zur Klarheit, daß er immer und immer nur nach ihr verlangt
+hatte.
+
+Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm beide Hände.
+
+Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr Versprechen erfüllen solle.
+
+Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte: »Verlange es nicht! Verlange
+es nicht!«
+
+Aber er verlangte es immer wieder.
+
+Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab, und erzählte ihm, auf welche
+Art Alute das Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und nimmer zu
+überführen sein.
+
+In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens Halse, um sie zu erwürgen,
+weil sie die Tat nicht verhindert hatte.
+
+Sie sagte: »Drück nur zu! Drück nur zu! Oben am Hühnerbalken kannst du
+die Schlinge sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und wärst du
+nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es auch getan.«
+
+Da sprang er aus dem Bette und lief nach dem Schleifstein. -- -- --
+
+Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah sie einen Menschen auf
+sich zustürmen, der halb angezogen war und eine Axt schwang.
+
+Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte sie sofort, was geschehen war
+und daß es ihr nun ans Leben ging.
+
+Sie rannte schreiend nach der Richtung des Dorfes hin, und er mit der
+erhobenen Axt hinter ihr drein.
+
+Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten Höfe einzubiegen, denn
+sie wußte, daß kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern würde,
+die Tat zu begehen.
+
+So lief sie weiter, und der Raum zwischen ihr und ihm verkürzte sich
+immer mehr.
+
+Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen und erkannte gleich, daß
+sie sich für heute und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles
+gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand nachweisen, und der Meineid
+war bald gebüßt.
+
+Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte, da ließ er von ihr ab,
+denn des Wachtmeisters Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in seinen
+Fußtapfen um, und die Leute, die ihm gefolgt waren, gingen in großem
+Bogen um ihn herum.
+
+Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei seiner Heimkehr gefunden
+hatte. Auch nach Madlyne rief er umsonst.
+
+Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld in die Tasche, holte ein
+altes Gewehr hinter den Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit
+dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche von Graben zu Graben.
+
+Als es finster geworden war, floh er über die Grenze. Rußland ist groß.
+
+
+ 14
+
+Der Gendarm erstattete die Anzeige.
+
+Die Herren vom Gericht nahmen sich der Sache mit großem Eifer an. Ein
+Steckbrief wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen hüben und
+drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen angebahnt, damit, wenn
+man ihn faßte, kein Aufschub entstand.
+
+Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch immer frei herumlief,
+lachte zu alledem und sagte: »Was gebt ihr euch für Müh'! Das Kind wird
+ihn schon holen gehn.« Sie hütete sich wohl, in ihrem Hause zu bleiben,
+und selbst für kurze Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn sie
+fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde.
+
+Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen und ein paar Männern,
+die dazu aufgeboten waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt. Die
+Männer wechselten ab, denn keiner konnte für die Dauer die Nachtwachen
+vertragen. Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage streifte sie herum
+wie ein wildernder Jagdhund. Wo und wann sie schlief, wußte keiner.
+
+Wenn einer von den fremden Gendarmen, die den hiesigen jede zweite Nacht
+ablösen kamen, gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte: »Ich denke,
+wir stellen die vergebliche Arbeit ein, denn er müßte schön dumm sein,
+uns freiwillig in die Arme zu laufen,« dann wehklagte sie und flehte mit
+erhobenen Armen: »Erbarmen, Pons Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird
+ihn schon holen gehn, -- wird ihn schon holen gehn.«
+
+Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher Zeit und gar nicht weit
+vom Kirchhof Madlyne im Graben lag -- dicht an dem Wege, der von der
+Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich heimlich in dem Hause
+eines früheren Bewerbers auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn
+nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn es dunkel wurde, schlich
+sie sich hinaus auf Wache für den Fall, daß er vorbeikommen sollte.
+
+Manchmal war es noch kalt, und manchmal regnete es, aber sie fror nicht
+und ließ sich ruhig durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen fiel
+ihr schwer. Darum legte sie sich gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf
+den Kopf, die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend nach
+vorn überneigte. Und von dem Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach.
+
+Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises Stimmengeräusch oder ein
+Säbelklirren sich hören; ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch
+ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie höhnisch und schüttelte
+die Fäuste in das Dunkel hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr.
+
+Aber in einer Nacht -- es mag die vierzehnte oder fünfzehnte ihres
+Dienstes gewesen sein --, da muß der Schlaf sie doch überwältigt haben,
+oder aber er war nicht auf dem Wege, sondern quer über die Felder
+gegangen, denn plötzlich hörte sie auffahrend vom Kirchhof her Knallen
+und Männergeschrei. Und die Stimme Alutens mischte sich keifend darein.
+
+Da wußte sie: sie hatten ihn.
+
+Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der plötzlich aufgeflammt war.
+
+Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei Männer brachten ihn geführt,
+und Alute tanzte um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte und die
+Zunge ausstreckte.
+
+In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen Flasche, die wohl
+beim Kampfe mitten durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für die
+Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch einmal die ewige Ruhe hatte
+erkaufen wollen.
+
+Madlyne warf sich ihm in den Weg und küßte die eisernen Ringe, in die
+sie seine blutigen Hände gesteckt hatten.
+
+Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch und schritt weiter -- seinem
+Schicksal entgegen.
+
+
+
+
+ Jons und Erdme
+
+
+ 1
+
+Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben nicht weit vom Matzicker
+Walde zwei Liebesleute -- der Jons Baltruschat und die Erdme Maurus.
+
+Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben will auf Erden! Selbst
+die Aller-, Allerärmsten, die kaum das nackte Leben haben, möchten ein
+Nest bauen.
+
+Der Jons ist das, was der Litauer einen »Antrininkas« nennt, der »Knecht
+eines Knechtes«. Das sagt wohl genug.
+
+Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr Glück machen wollen. Vorläufig
+dient sie als Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus nicht weit
+vom Bahnhof, das die Leute in Heydekrug meistens das »Hotel
+Lausequetsch« nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten Zeit hat
+es sich sehr gehoben. Sogar die besseren Viehverlader verkehren
+bisweilen darin.
+
+Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat seine blanken Kirchgangsstiefel
+an und die schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch. Und die Erdme
+-- die ist nun gar eine Feine! Litauisch trägt sich die doch nicht mehr!
+Sie hat ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft und eine
+halbseidene Bluse an, die hinten zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die
+Kellnerin geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen hinderlich war.
+
+Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber das ist auch alles. Eltern
+mit Haus und Hof haben sie nicht. Überhaupt -- wo sie herstammen, davon
+reden sie lieber gar nicht.
+
+Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um acht kommen die
+Handwerksburschen, die bringen Feiertagsfladen von der Walze mit und
+wollen reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr üppig zu. In der
+Küche werden jetzt sogar Ölsardinen gehalten, und das Öl darf man
+hinterher austrinken.
+
+Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt. Wie wird eine Frau, die an so
+vornehme Lebensart gewöhnt ist, später neben ihm aushalten wollen?
+
+Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was hat das alles zu sagen gegen
+einen eigenen Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das Leben doch
+erst eigentlich an.
+
+Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl -- aber wie? Die Vögel, die
+ringsum Halme suchen, die haben's leicht. Denen liegt der Baustoff frei
+auf der Straße, und für ihren Nestplatz brauchen sie auch nichts zu
+zahlen.
+
+Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet ihm Mut zu. Und so ganz ohne
+Vermögen sind sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch ihre
+Beutelchen vor und breiten die Schätze neben sich aus, geben aber
+sorgfältig acht, daß beide nicht untereinander geraten. Denn das kann
+erst nach der Trauung geschehen, wenn die Gütergemeinschaft erklärt ist.
+
+Das Häufchen der Erdme ist viel größer als seines, so groß, daß er
+beinahe argwöhnisch wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig
+Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen.
+
+Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie kann doch Auskunft geben.
+Das goldne Zwanzigmarkstück, das den Hauptstock bildet, hat ihr einmal
+ein Betrunkener geschenkt, der hernach verhaftet wurde. Doch das macht
+ja nichts, wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und auch das übrige
+ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten, wie sie Bräutigams nicht
+gerne sehen, sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die höchstens
+einmal in die Küche kommen, um ein ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es
+sich kneifen läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler durchaus
+an Kindesstatt annehmen wollen und sich erst nach vielem Zureden damit
+begnügt, ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr hat er gerade
+nicht bei sich gehabt.
+
+Das alles ist also in guter Ordnung, aber die lumpigen fünfundzwanzig
+Mark, die er sich in zwei Jahren -- und mit was für Opfern! -- von
+seinem Lohne erspart hat, können sich daneben nicht sehen lassen.
+
+»Ach was,« sagt die Erdme, »zusammen sind das einundneunzig. Und für
+hundert kann man sich schon ein Haus bauen.«
+
+»Ja wo?« fragt er. »Etwa im Monde?«
+
+»Durchaus nicht im Monde, sondern sogar ganz nah' von hier. Auf der
+anderen Seite von Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor die
+Kolonie Bismarck liegt.«
+
+»Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe und die Mörder hausen,« meint
+er, denn in gutem Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck.
+
+Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es Diebe und Mörder überall, und
+zweitens kommt es zunächst darauf an, daß man ein Haus über dem Kopfe
+hat. Dort ist man sozusagen beim preußischen Staat zu Gaste, der Grund
+und Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn kann sich keiner
+erdenken.
+
+Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist, für hundert Mark ein Haus zu
+erbauen, aber sie weiß es genau.
+
+»Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,« sagt sie und lacht ihm
+verstohlen zu. »Nachhelfen tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo
+es herkommt.«
+
+Nun lacht auch er, und der Entschluß wird besiegelt.
+
+Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft haben, betrachten sie
+einander und finden, daß sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann.
+
+Er -- straff, breit, knorrig, mit wagerechten Trageschultern und zwei
+Fäusten, die nicht mehr loslassen, wo sie einmal zugepackt haben.
+
+Sie -- eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig mit federnden Armen
+und Schenkeln von Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen, in denen
+zwei Augen listig und lustig Nähe und Ferne nach Beute durchmustern.
+
+Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem Schwersten Stand zu halten und
+das Widrigste mit Schlauheit zu umgehen.
+
+
+ 2
+
+Zuerst der Moorvogt.
+
+Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher der Kolonie, der
+zweitausend Lebensschicksale sorgsam und strenge an obrigkeitlicher
+Leine führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission; doch wer und
+was das eigentlich ist, ahnen nur wenige.
+
+Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt.
+
+Mit List und Gewalt haben sie sich beide aus ihren Dienststellungen
+freigemacht. Die Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste an
+den Kopf werfen lassen und hierauf mit einer Anzeige wegen
+Körperverletzung gedroht, so daß sie schließlich mit dem Zeugnis auch
+noch ein Schmerzensgeld bekommen hat, und der Jons, der weniger gerissen
+ist, hat seinem Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag in Aussicht
+gestellt, falls er ihn nicht auf der Stelle abziehen lasse. Manchmal
+hilft das, manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal hat es
+geholfen.
+
+So wandern sie also wohlgemut auf der Rußner Chaussee zur Kolonie
+Bismarck hinaus, die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt und sich
+so weit ins Moor hinausstreckt, daß man ihr Ende nirgends absehen kann.
+
+Als sie an der langen Brücke sind, die über die Sumpfniederung führt,
+bleibt die Erdme an dem schwarz-weißen Geländer stehen und zeigt auf die
+Kuhblumen hinunter, die ihre buttergelben Köpfe aus dem
+Überschwemmungswasser stecken, und sie sagt: »Wie die Blumchen da
+vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden wir auch vorwärts kommen.«
+
+Und der Jons meint dasselbe.
+
+Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause stehen, in dem jetzt der
+Moorvogt wohnt, da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe.
+
+Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen die Vierzig, mit ernsten Augen
+und einem Munde, der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart sieht er
+nicht aus, aber seine Rede ist scharf und gemessen. Angst muß man schon
+darum vor ihm haben, weil er so mächtig ist.
+
+»Also anbauen wollt ihr euch?«
+
+»Jawohl.«
+
+»Seid ihr verheiratet?«
+
+Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das Aufgebot kann jeden
+Augenblick bestellt werden. Jetzt gleich, wenn er will.
+
+»Sind die Papiere in Ordnung?«
+
+Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an.
+
+»Sind die nötigen Mittel da?«
+
+Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze ziehen sie ihre Beutelchen. Das
+Goldstück, das bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen Eindruck
+zu machen, denn zum ersten Male geht ein Lächeln über sein Gesicht.
+
+Und er greift nach Mütze und Hakenstock und sagt: »Kommt mit.«
+
+Dann geht er ihnen voran auf einer Straße aus Knüppeln und Lehm, die
+geradeswegs von der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt. Das sieht
+nun freilich fürs erste nach allem aus, nur nicht nach einem Moor.
+Rechts und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen bis in den
+grauen Dunst hinein. _Die_ Häuser haben etwas mehr als hundert Mark
+gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und ringsum Ställe und
+Schuppen! Und Gärten sogar -- die Zäune mit Ölfarbe gestrichen! Und
+jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee, aus Quitschen und Birken --
+weiß wie Schnee und schnurgerade.
+
+Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber zu reden wagen sie nicht. Sonst
+wären sie vielleicht noch umgekehrt. Denn wie kann man je daran denken,
+solche Herrlichkeiten sein eigen zu nennen?
+
+So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang. Eine Wirtschaft folgt der
+anderen, ein Ackerfeld dem anderen. Nur hie und da auf höherem Boden,
+wie aus Versehen stehen geblieben, ein Gebüsch von krüppeligen Fichten,
+die kaum einmal die Kraft haben, Nadeln zu tragen.
+
+Dann allmählich verändert sich das Bild. Die Wohnhäuser werden ärmlicher
+-- demütiger, möchte man sagen --, die Wirtschaftsgebäude hören auf, und
+statt der beackerten Felder breiten sich kahle Moorheiden aus bis ins
+Endlose hin, von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen, die vom
+Torfstechen übriggeblieben sind. Auf denen sprießt ein junges Sumpfgrün.
+Sonst ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist alles.
+
+Der Moorvogt hat den ganzen Weg über kein Wort zu ihnen gesprochen.
+Jetzt wendet er sich um und sagt: »Hier könnt ihr euch nun eine
+Baustelle aussuchen.«
+
+Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den Moorboden hinaus, der unter
+ihren Füßen quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt den Stock
+einstößt, bleibt ein wasserglänzendes Löchelchen übrig.
+
+Da endlich macht der Jons seinem bedrückten Herzen Luft und fragt
+beinahe schreiend: »Kann man denn hier überhaupt bauen?«
+
+Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück und in die Runde: »Die haben
+alle einmal so gebaut,« sagt er. »Das Trockenmachen ist eure Sache.«
+
+Jons und Erdme sehen sich an und denken: »Was die anderen gekonnt haben,
+müssen wir auch können.« Und so suchen sie sich aufs Geratewohl einen
+Platz für Haus und Ackerland und sind dabei immer dem Weinen nahe.
+
+Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden Schritten die ungefähr in Betracht
+kommende Fläche. »Diese Parzelle,« sagt er dann stehen bleibend, »gibt
+euch der Staat zur Bewirtschaftung. Sie wird natürlich genau ausgemessen
+werden und ist dann einen Hektar groß. Geht es euch gut, so dürft ihr
+später noch drei weitere dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei mir an
+und gebt eure Unterschrift. Bis dahin überlegt es euch. Braucht ihr
+einen Rat, so bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!«
+
+Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er.
+
+Nun stehen sie da und sehen sich wieder an.
+
+Ja oder nein?
+
+Nein -- dann müssen sie zurück in Dienst -- in einen härteren
+vielleicht, vielleicht auch niedrigeren, obgleich das kaum noch möglich
+ist, und die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für Jahre. Wozu sind
+sie jung und übervoll von unverbrauchten Kräften, die sich sonst für
+Fremde erschöpfen müssen? Also ja -- dreimal und tausendmal ja.
+
+»Was die anderen gekonnt haben, müssen wir auch können,« wiederholt der
+Jons noch einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch. Und damit sind
+sie fertig.
+
+Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist, sich für die nächsten Monate
+ein Obdach zu besorgen.
+
+Sie gehen also an die ersten zwei Leute heran, die sie auf dem Acker
+arbeiten sehen, und sagen: »Wir wollen uns in der Nähe anbauen. Könnt
+ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?«
+
+Der Mann, der sanftblickende Augen hat und dem um das magere, bartlose
+Gesicht langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt, sieht sie lange
+an und fragt dann: »Seid ihr verheiratet?«
+
+Erdme lügt rasch »ja«, denn sie überlegt sich, daß ihr wahrhafter Stand,
+mag er noch so kurze Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten
+Hindernisse bereiten würde.
+
+Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist und die so aussieht, als muß
+sie immer Senf aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die sagt: »Wir
+sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht nach den Geboten des Herrn lebt, den
+nehmen wir nicht auf.«
+
+Erdme sagt: »Auch wir wollen uns den Erleuchteten zuwenden,« denn sie
+weiß sofort, daß sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen erlangen
+werden.
+
+Betten wird sie mitbringen, und so ist für Unterschlupf gesorgt.
+
+Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an.
+
+Er hat einen großen Bogen ausgefertigt, sieht noch einmal ihre Papiere
+durch, und dann gibt Jons die Unterschrift.
+
+Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte und trägt sie als
+Brautleute in die Register ein.
+
+Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme vorhin ausgesprochen hat, und
+fragt: »Die Zeit ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon einziehen
+dürfen?«
+
+Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan hat, als er ihr Vermögen
+besah, und sagt: »Die Aushängebogen liest keiner.«
+
+Damit sind sie entlassen.
+
+Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das wichtigste von allem -- außer
+dem Pfarrer natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden muß. Das ist
+für Jons, sich eine regelrechte Arbeit zu beschaffen, damit durch den
+Tagelohn für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und ab und zu noch ein
+paar Groschen in die Baukasse kommen.
+
+Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik und der Sägemühle, die
+beide jetzt zum Frühling Leute brauchen. Jons wählt die Sägemühle, weil
+er hoffen kann, dort am ehesten Gelegenheit zu billigem oder -- wenn das
+Glück es will -- auch kostenlosem Holzerwerb zu finden.
+
+Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug zurück, -- und siehe da!
+kaum nachgefragt, da hat er auch schon die Zusage in der Tasche, daß er
+am nächsten Morgen antreten kann.
+
+Zwei Mark pro Tag -- so viel hat er in seinem ganzen Leben noch nicht
+verdient.
+
+Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen sie sich, daß noch nie ein
+Tag da war, der sie ein so großes Stück im Leben weiterführte. Aber er
+hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und da sie beileibe kein Geld
+ausgeben wollen und zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen, so
+scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen Zuhause ein paar
+Saatkartoffeln aus einer Miete, was gewiß eine große Sünde ist, aber der
+Besitzer hat noch genug, und so geschieht niemandem ein Schade.
+
+Die Taschen voll kommen sie heim, und als sie beim Abkochen ein
+andächtiges Abendlied singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar noch
+ein Stückchen Speck dazu.
+
+
+ 3
+
+Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne den geht nichts.
+
+Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn wenn Jons auch um drei aufsteht,
+um fünf muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein, und abends ist sein
+Helfen auch nicht viel wert. Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke am
+Leibe.
+
+Aber Erdme -- die schafft es. Sie steht bis zu den Knieen im eiskalten
+Wasser und sticht und gräbt und gräbt und sticht -- quer durch das
+widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch keine Menschenkraft
+bezwingbar scheint.
+
+Der fromme Taruttis -- so heißt der Wirt -- sieht von weitem ihr
+maßloses Mühen, und da sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt
+er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr über die schwersten
+Stellen hinwegzuhelfen.
+
+Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren Ärger genötigt, die
+kostbaren Freistunden des Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden.
+Frommsein ist gewiß eine schöne und notwendige Sache, aber man muß Zeit
+dazu haben. Sonst wird es zur Landplag'.
+
+Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle hat sich übrigens als ein
+Glücksfall erwiesen. Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten kann man
+auf unauffällige Weise tagtäglich erfahren, in welchem Walde und an
+welcher Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung bereit liegt.
+
+Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit gebundenen Händen irgend
+einem Aufseher auszuliefern, dem es beliebt, ihn anzuhalten.
+
+Die erste der kräftigen vier Kieferstangen, die als Eckpfeiler eines zu
+erbauenden Hauses nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für
+blankes Geld von einem Besitzer, der wegen leidiger Hypothekenzinsen ein
+schönes Eckchen seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er einen
+regelrechten Kaufschein, den er fortan als Schirm und Schutz in seiner
+Tasche mit sich führt. Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht
+einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der nicht ganz so rechtsgültig
+erworben ist, da kann er sich des guten Gewissens erfreuen, das solch
+ein Stückchen Papier seinem Träger verleiht.
+
+Den Handwagen borgt der fromme Taruttis, der natürlich nichts Böses
+ahnt, und legt sogar noch einen goldumränderten Spruch hinein. Ob der
+nun hilft oder was Anderes, kurz, auch der dritte Stamm gelangt
+unangehalten nach Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist, da kommt
+als ein unaufschiebbares Hindernis die Hochzeit dazwischen.
+
+Die muß wegen der Wirtsleute in strengster Heimlichkeit vollzogen werden
+und kostet beim Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für die
+fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße mitgebracht hat. Ein
+Glück ist, daß die sich bereit erklären, auch bei der Trauung am
+nächsten Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt, daß sie
+hernach drei süße Schnäpse bekommen.
+
+Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten feierlich, er hat nicht
+einmal die Lichter angesteckt, so gering achtet er sie. Zum Schlusse
+reicht er ihnen die Hand und sagt: »Von nun an könnt ihr in Ehren
+beieinander wohnen.«
+
+Als ob das ohne den Pfarrer so ginge!
+
+Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut, als er am Sonntag das junge
+Paar im besten Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint die
+Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand; aber da sie schon halbwegs
+zu den Erleuchteten gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet
+bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt es ihnen weiter nicht
+nach.
+
+Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar jungsprossende
+Rautenblättchen, die sie als Merkmal ihrer Brautschaft nicht entbehren
+wollen, und treten dann den langen Weg zum Gotteshause an.
+
+Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle, sie aber schämen sich, auf
+einer der vordersten Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute
+sitzen, und verkriechen sich hinter einem der rückwärtigen Pfeiler.
+Nicht einmal die Rautensträußchen legen sie an, sondern bekneifen sie
+mit den heißen Fingern.
+
+Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt kommt erst eine große
+Hochzeitsgesellschaft, die mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben
+Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner laufen umher, und die
+Brautführer umgeben wie eine Königsgarde den Marschall.
+
+Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen, und ihre Zeugen riechen
+nach Mist.
+
+Als der letzte von der großen Hochzeit den Kirchenraum verlassen hat,
+fassen sie sich ein Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang.
+
+Der Pfarrer -- ein junger Mann, mit einem Traumdeutergesicht -- blickt
+ihnen freundlich entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht vor den
+Altar zu treten wagen, öffnet er die rotgepolsterten Schranken und
+schreitet auf sie zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin zu führen.
+
+Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im Buche stehen, sondern hält
+ihnen eine genau so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt hätten.
+
+Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft und Hoffnung,
+die gemeinsame Reise durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt
+ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn sie fleißig und
+beharrlich an ihrem Glücke arbeiten und vor allem -- vor allem, vor
+allem! -- den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen wollen.
+
+Jons und Erdme weinen sehr, und jeder von ihnen schwört sich zu, die
+Ermahnungen des Pfarrers nicht zu vergessen.
+
+Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten haben und es dunkel zu
+werden beginnt, da müssen sie doch daran gehen, den vierten der Stämme
+aus dem Walde zu holen, denn jeder Tag Aufschub kann von Nachteil sein.
+
+Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon gestern in sicherem
+Gewahrsam untergestellt haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem
+Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen, ziehen sie beschämt und
+beklommen auf Raub aus.
+
+»Wenn man so arm ist wie wir, dann kann das unmöglich eine Sünde sein,«
+tröstet die Erdme sich und ihn.
+
+»Eine Sünde ist es schon,« antwortet der Jons, »das hat ja noch heute
+der Pfarrer gesagt. Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben, dann wollen
+wir alles wieder gut machen, worin wir uns jetzt vergehen müssen.«
+
+Und das geloben sie einander, während sie im Chausseegraben die
+Nachtstille abwarten.
+
+Und noch manches geloben sie. Keinen Hader wollen sie aufkommen lassen
+und keine giftigen Worte in den Mund nehmen und in allem den Kindern ein
+gutes Beispiel geben.
+
+»Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut haben,« meint der Jons.
+
+Und die Erdme gerät ins Schwärmen: »Wenn ich Töchter kriege, dann sollen
+sie in Samt und Seide gehen -- und ihre Hochzeiten sollen acht Tage
+dauern -- und der Bräutigamsvater soll nichts Geringeres sein als ein
+Gendarm.«
+
+Doch der Gedanke an den Gendarmen ist ihnen unbehaglich, darum spinnen
+sie ihn nicht weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker Waldes zu
+verschwinden, wo der vierte Pfosten ihres künftigen Glückes als
+frischgefällte Kiefer mattschimmernd am Boden liegt.
+
+
+ 4
+
+Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für den Winter noch nichts zu essen
+hat! Die Tage werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat geschafft sein.
+
+Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten Frühjahr allenfalls in
+Arbeit genommen werden kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und
+nachdem die Quergräben gezogen sind, die die weitere Trockenlegung
+verlangt, kann das Urbarmachen beginnen.
+
+Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai -- wenn man das Morgen nennen kann,
+denn noch stehen die Sterne am Himmel --, da schultern sie Hacke und
+Spaten und ziehen hinaus auf das kahle Moor, dorthin, wo die vier
+Kiefernstangen lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt auf Vorrat
+schlafen.
+
+Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen die Grenzen des Ackers,
+der nun werden soll.
+
+Den beiden ist bang und feierlich zumut. Gemeinsam zu beten getrauen sie
+sich nicht, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum spricht
+jeder von ihnen sein Vaterunser ganz im geheimen, als ob er Wunder was
+Unrechtes täte.
+
+Und dann geht es los.
+
+Die oberste Schicht des Moores, die aus lebendigen Pflanzenstoffen
+besteht, muß zerkleinert und heruntergeschält werden -- »abplacken«
+nennt man es --, weil der drunter liegende Boden erst dann, wenn sie mit
+ihm gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält, die eine Aussicht
+auf künftige -- wenn auch spärliche -- Ernten eröffnet.
+
+Die paar Stunden der Frühe vergehen im Fluge. Dann muß er ja weg, um mit
+dem Taglohn Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo soll der Stoff zum
+Hausbau sonst herkommen?
+
+Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt. Zuerst die Latten oder
+Schwarten, mittels deren die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das
+Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses bilden soll. Dann die
+Sparrbalken -- die Sparren selbst -- die Ziegel für die Feuerstätte und
+so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden kann.
+
+Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will hinter dem andern
+zurückstehn. Von einem, dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und um
+acht Uhr abends endet, kann niemand auf Erden sagen, er habe es sich zu
+knapp bemessen.
+
+So kommt der Acker rasch voran.
+
+Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet, um sich den rieselnden
+Schweiß aus den Augen zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter sich
+stehen.
+
+Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark Pacht, die für das erste Jahr
+gezahlt werden sollen -- später werden es dreißig --, sind noch nicht
+abgeliefert.
+
+Er sagt: »Es ist spät im Jahr. Werdet ihr mit der Aussaat
+zurechtkommen?«
+
+Und sie antwortet: »Wie Gott will.«
+
+»Gott will, wie der Mensch will,« sagt er. »Wenn er erst weiß, daß ihr
+tüchtig seid, wird er euch nichts in den Weg legen.«
+
+Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die, schon geschält, wie Silber in
+der Sonne funkeln.
+
+»Schöne Stangen habt ihr da,« sagt er und sieht Erdme dabei mit schiefem
+Munde halb von der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen
+Gänge verborgen geblieben.
+
+In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den Sohlen den schwarzen
+Schlamm von den Beinen, denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung
+fragen werde; aber die Frage bleibt aus.
+
+Auch ein Haufen Schwarten liegt schon da, die Jons sich für billiges
+Geld unter den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen dürfen.
+
+Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die untauglichen zeichnet er
+mit der Spitze seines Hakenstocks.
+
+»Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben sind,« sagt er und
+wendet sich ohne Gruß wieder dem Wege zu.
+
+»Da geht er hin wie der liebe Gott,« denkt Erdme und ist sehr froh, mit
+heiler Haut davongekommen zu sein. Vieles an ihm begreift sie nicht,
+aber beim lieben Gott geht es einem ja ebenso. --
+
+Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel Saatkartoffeln gekauft,
+glasblank und dünnschalig, wie sie für den Moorboden gut sind. Die
+werden in Hälften geschnitten und in die flachen Rücke gleichsam obenauf
+gelegt, denn nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende
+Wasser.
+
+»Auch die sind redlich erworben,« sagt Erdme mit Stolz. Und darum
+brauchen sie sich nicht zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet
+zu tun.
+
+Aber noch muß viel zusammengegrapscht werden!
+
+Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken zurechthackt, mit blankem
+Gelde zu bezahlen, während sie freundlich in den Wäldern herumliegen,
+wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber vorsichtig muß man schon sein, darum
+wird Jons auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln käuflich
+erstehen und ärgert sich bloß, daß er den Schein dafür nicht gleich vor
+den Mützenschirm stecken kann. Jetzt und auch bei den nächsten Fahrten
+hernach, wenn alles an Ort und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens
+der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der fragt ja nicht, wie man
+weiß.
+
+Eine Nacht um die andere ziehen sie los, denn ab und zu schlafen muß
+doch der Mensch.
+
+Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts. Ihm hat der Kaufschein die
+Augen verblendet. Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht
+nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum betet er fleißig für sie,
+während sie auf seinem Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und Hopp
+nach Hause fahren.
+
+Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn sie ihn nicht übertrumpfen
+kann, steht sogar im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes
+bereitzuhalten.
+
+So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf, und die Baukasse wird kaum
+einmal magerer.
+
+Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die Aufrichtung des Hauses
+vonstattengehen kann. Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen nun
+freilich nicht, und darum entschließt sich Erdme auf des Taruttis Rat,
+bei den Nachbarn herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten.
+
+»Talka« heißt auf deutsch »Arbeitsgesellschaft«, und auf solchen
+gemeinsamen Hilfeleistungen beruht vieles, was unter diesen armen
+Menschen, die gemietete Hände niemals bezahlen könnten, an Tüchtigem
+zustandekommt. Dafür erweist man sich dann später dankbar, wenn der Ruf
+an einen selber ergeht, und alles schließt mit einer fröhlichen
+Bewirtung, so viel oder so wenig der Bittende zu geben vermag.
+
+Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand die Häuser, in denen sie
+vorsprechen kann, und die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt
+einer, der hilft _nicht_, aber dort wohnt einer, der hilft, weil man ihm
+selber geholfen hat.
+
+Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf der anderen Seite des Weges
+sein kleines Anwesen hat, geht Erdme zuerst.
+
+Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen und ist weit in der Welt
+herumgewesen. Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm bekannt sein,
+so daß er schon manchem der Langeingesessenen einen guten Ratschlag hat
+geben können.
+
+Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu Mitte der Dreißig, der die
+Gewohnheit hat, beim Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und dabei
+zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie er die Erdme daherkommen sieht,
+die frisch von der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und
+aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet, macht er große Augen
+vor ihrer Glieder Pracht, um dann erst -- gleichsam erschrocken -- den
+Blick von ihr wegzuwenden.
+
+Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes Litauisch, etwa wie die
+Pfarrer sprechen, die es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt
+aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist gut und höflich zu ihr --
+nur, daß er sie nicht ansehen kann.
+
+Seine Frau kommt später zum Vorschein. -- Eine Halblitauerin ist auch
+sie, klein und kümmerlich -- ach Gott, wie sehr! --, mit grauer
+Gesichtsfarbe und abgemüdeten Augen. Sie wirft einen neidischen Blick
+auf Erdmes kräftige Gestalt, begrüßt sie dann aber ganz freundlich.
+
+»Wenn wir nun Nachbarn werden,« sagt sie, »möge Gott geben, daß Frieden
+zwischen uns bleibt.« Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern ihren
+Mann an, der auch vor ihr den Blick zur Seite wendet.
+
+»An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,« sagt Erdme und verabschiedet
+sich. Sie fühlt sich zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man ja
+sehen kann, das Unglück im Hause sitzt.
+
+Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen ist, hat sein Eigentum
+dicht neben dem kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase sitzt und so
+niedrig ist, daß man bloß auf eine Fußbank zu steigen braucht, um
+darüber hinwegzublicken. Diese Wirtschaft sieht schon etwas
+vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an den grünen Simsenbüscheln
+rupfen zwei magere Kühe.
+
+Der Besitzer heißt Smailus und hat vor kurzem schon die zweite Frau
+begraben. Er ist ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an die
+Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht und langhängendem
+Hetmansschnurrbart, aber seine Augen haben einen stumpfen und
+schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn nichts anginge.
+
+Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins Leben, das sich dicht hinter
+ihm aus dem Hause drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens
+dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt, aber unter dem Halse hat
+sie eine goldene Brosche sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins
+Gespräch und sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem ganz kleinen
+Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei sie immerhin, und was sie tun
+könne, um Frischzugezogenen das Leben zu erleichtern, das solle gewiß
+geschehen.
+
+Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine Ding, das mit dem Maulwerk
+vorneweg ist wie eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht anders
+sein kann, und sagt bloß: »Ja, ja, das Bauen und das Begraben muß man
+schon immer gemeinsam verrichten.«
+
+»In dem Begraben hat er wohl Übung,« denkt die Erdme, sich bedankend,
+und die Kleine begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich.
+
+Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt sie, und dann wird sie in die
+Stadt gehen und ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein,
+wie es in der Kolonie schon viele getan haben. Vorerst aber muß sie dem
+Vater noch eine Frau besorgen. So eine schöne und starke wie Erdme wäre
+ihr schon recht -- aber Geld muß sie haben --; die zweite, von der sie
+die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt -- bloß nicht genug --, und ob
+Erdme nicht eine weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann.
+
+Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der Kleinen schlägt ihr aufs Herz
+wie ein starker Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen Lebens
+vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch ihr Schicksal liegt nun bereits
+so steinern fest, daß keiner auf der Welt mehr daran rühren kann. Wie
+eingesunken in diesen Moorschlamm liegt es, der keinen Grund und Boden
+hat und nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen Wurzelfäden
+umwindet.
+
+Die Kleine heißt Ulele. »Das ist ein altertümlicher Name,« sagt sie,
+»den ich natürlich nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen
+sein wird.«
+
+Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht ihr traurig und bewundernd
+nach, wie sie mit ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich
+flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und die Lumpen flattern an ihr
+wie zwei Fledermausflügel.
+
+»Für mich ist es nun schon zu spät,« denkt Erdme. »Ich muß warten, bis
+ich Töchter kriege.« -- -- --
+
+Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn es auch schon älter scheint,
+doch noch zur Nachbarschaft gehört. Es macht aus der Ferne gesehen einen
+recht kläglichen Eindruck, und gerade darum möchte Erdme es kennen
+lernen, denn sie will wissen, wie man sich hier behelfen muß, wenn man
+ganz arm bleibt. Gleichsam als abschreckendes Beispiel will sie es
+kennen lernen.
+
+Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei gezeigt, und als sie ihn am
+Mittag noch einmal fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit dem
+Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier nichts zu mähen gibt.
+
+So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt er: »Über meine Nächsten rede
+ich nichts Böses, und wenn ich Böses reden müßte, so schweige ich
+lieber.«
+
+Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen, aber als sie gegen den Abend
+desselben Tages wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom Wege aus
+angerufen.
+
+Sie sieht einen kleinen, alten Mann im Graben sitzen, der einen Arm voll
+Weidenruten neben sich liegen hat und einer gerade mit dem Taschenmesser
+die Haut abzieht.
+
+»Was willst du von mir?« fragt sie, ohne sich stören zu lassen.
+
+»Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?« ruft er herüber.
+
+»Das kann schon sein,« sagt sie. »Arme zum Helfen kann man immer
+brauchen.«
+
+»Zwei Arme hab' ich auch,« sagt er.
+
+»Gehörst du zur Nachbarschaft?« fragt sie.
+
+»Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,« sagt er, »daß du heute schon
+zweimal an meinem Haus vorbeigegangen bist.«
+
+Und er weist mit seinem Messer gerade auf das Anwesen hin, von dem der
+Taruttis durchaus nicht reden will.
+
+Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder, mit dem sie die Rücke
+glättet, und tritt näher auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus
+zusammengebettelten Kleidern sich streckend ein zahnloses, plieräugiges
+Greisengesicht, dem die Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen
+Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem Aussatz klebt.
+
+Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er aus.
+
+Sie fragt: »Wer bist du denn?«
+
+»Ich bin ein verdienter Mann,« sagt er und fährt fort, seine Ruten zu
+schälen. »Durch fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat tätig
+gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm, da er mir keine
+Altersversorgung zahlen will. Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß
+Ruten flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt werden, die ich
+ganz ohne Lohn vollbracht habe ... Übrigens bin ich noch stark bei
+Kräften, und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten willst, so
+werde ich dir die Balken heben wie ein Spielzeug.«
+
+Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt sie sich auf die abweisenden
+Worte des milden Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu, der sie
+beim Näherkommen befallen hat, und darum antwortet sie: »Ich danke dir,
+Nachbar, für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat schon ihre volle
+Zahl.«
+
+Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt vom Grabenrand auf und speit
+ihr seine wilde Bosheit sozusagen ins Gesicht.
+
+»Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?« schreit er. »Haben
+die Ohrenbläser dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner will
+mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses von mir nehmen! Aber ich
+werd' es euch antun! Wenn das Unglück kommen wird, die große Not, die
+Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen werden zu Brei und euer Herd
+sinken wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt sitzen werdet im
+Schornstein und schreien um Gnade, dann werde ich lachend anspannen
+lassen die Arche Noah und vorüberfahren und lachen über das Todesquieken
+eurer Schweine und das Todesgebrüll eurer Kuh -- am meisten aber werde
+ich lachen über euch selber, wenn der Schornstein zusammenfällt und das
+schwimmende Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es sein. Amen.«
+
+Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten auf, zieht die zerlumpten
+Beinlinge über den Hintern und geht seines Weges, aber immer noch kehrt
+er sich um und schüttelt die Faust und speilt die roten Gaumen.
+
+Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen von dem höllischen Feuer auf
+sie niedergefallen. Wenn das das Ende sein soll, warum bauen sie dann
+erst? Und warum haben die anderen gebaut? Doch deren Häuser stehen ja
+noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln in der Abendsonne. Es
+ist also wohl der böse Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat
+abschnüren wollen.
+
+Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als Jons von der Arbeit kommt
+und ihr mit Stolz zeigt, was er alles mitgebracht hat.
+
+Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen Drahtnägeln, denn
+ohne die geht's nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen Kornschnaps
+aus der Schmidtschen Destillation und alle die Zutaten zu einem süßen
+Fladen, der heute noch gebacken werden muß.
+
+Die Taruttene liefert das Mehl und viele erbauliche Sprüche dazu, und
+als die Hähne krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste dampfende
+Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus, wo er die Nacht über Balken behauen
+hat wie ein gelernter Zimmermann.
+
+Aber von dem bösen alten Mann sagt sie ihm nichts.
+
+
+ 5
+
+Und nun ist es wieder Nacht geworden, und das Haus steht gerichtet. Die
+vier Kiefernstämme sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß rund
+um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel hochschoß wie ein Quell, und
+sind dann durch die aufgenagelten Latten verbunden. Oben darauf haben
+sich Sparren und Sparrbalken zum Dachgerüst zusammengefügt, und die
+künftige Zimmerdecke ist genagelt.
+
+Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die viereckigen Stücke der obersten
+Moorschicht, die für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger aber,
+um später von außen her an die Latten geklatscht zu werden und so eine
+mauerähnliche Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und Wärme gibt.
+
+Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft und ruht sich aus. Der
+fromme Taruttis natürlich und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der
+halbdeutsche Fremdling, und der lange Smailus mit seiner kleinen Ulele,
+die ihm meistens das Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat sie wie
+ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen, und wo keiner die Schlinge
+befestigen konnte zum Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand hat
+sie viel klettern gesehen. Fixes Ding!
+
+Müde sind sie und warten voll Freuden des kleinen Festes, das der
+Besitzer ihnen zu bieten hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem
+Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal reihum.
+
+Nur die Frau des Witkuhn fehlt. »Sie ist immer elend,« sagt er, »und muß
+mit den Hühnern zu Bette.«
+
+»Da werd' ich mich dir wohl bald erkenntlich zeigen können, Nachbar,«
+meint die Erdme. Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes Gesicht
+geht rot eine Flamme wie von verbotener Freude.
+
+Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja immer, und zum Überfluß steht
+der Mond ziemlich hoch.
+
+Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu singen, damit die bösen
+Geister das unfertige Bauwerk nicht umschmeißen können, und das
+geschieht denn auch.
+
+Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme, daß auf dem Wege, der wohl
+hundert Schritte abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und her
+bewegt.
+
+Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den bösen alten Mann von
+gestern. Die Stimme zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den
+heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie, bis sie zu Ende sind,
+dann weist sie mit der Hand auf den Schatten hin, der in dem ungewissen
+Mondlicht zu tanzen scheint.
+
+Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht ein Wort. Es scheint, sie
+fürchten sich alle.
+
+Selbst der Jons braucht eine ganze Weile, bis er fragt, was da los ist.
+
+»Scht« macht die Taruttene.
+
+Der lange Smailus grunzt etwas vom »Kipszas«, dem Satan, und seine
+Tochter, die Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise: »Es
+müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich nicht gebeten hätte, heute
+zur Talka zu kommen, denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.«
+
+Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern mit ihm begegnet ist.
+
+»So versucht er es immer aufs neue,« sagt Taruttis, »denn der Arme kann
+es nicht verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu schaffen macht.«
+
+Jons fragt: »Warum tut man es nicht?« Und Erdme meint, abscheulich genug
+sehe er ja aus, aber das könne unmöglich allein die Schuld daran tragen.
+
+Und da erfahren sie beide seine furchtbare Geschichte. Sie ist weit
+furchtbarer, als Menschen sich ausdenken können.
+
+Als ein überführter und geständiger Raubmörder hat er fast sein ganzes
+Leben im Zuchthaus zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode geschleift,
+mit dem er zusammen nächtlicherweile auf einem Wagen gefahren war, und
+zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit dem einen Ende um die
+Radfelge, mit dem anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann, als er
+nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen ist, hat er dasselbe
+Kunststück noch einmal probiert -- an einem Fuhrmann, den er auf
+stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden hatte. Aber diesmal
+ist es ihm mißglückt, denn dabei war ihm die eigene Hand ins Rad
+hineingeraten. Darum hat er auch den Dusel gehabt, trotz der
+Wiederholung solch einer Untat noch einmal herauszukommen. Und nun haust
+er wie ein Dachs in seiner Kate, die er sich als junger Mensch gebaut
+und in der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen
+Vorrichtungen gegen die Überschwemmung versehen hat. Worin sie bestehen,
+weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm hinein; von außen aber liegt
+an der Wand eine schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis zum
+Fenster hinauf alles verbirgt.
+
+Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und doch läuft es ihr einmal
+nach dem anderen kalt über den Leib. Und während der alte Raubmörder in
+seiner Sehnsucht nach Menschen dort auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie
+so leise wie die anderen, mit was für fürchterlichen Worten er ihr die
+künftige Wassersnot ausgemalt hat.
+
+Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe Frage, die ihr seit gestern
+wie ein Mühlrad im Kopfe herumgeht: »Wenn die wirklich einmal kommen
+wird, warum bauen wir uns erst hier an?«
+
+Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit her ist, das Wort und sagt
+beinahe feierlich: »Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute sind und
+eine Zuflucht nötig haben. Wo anders gibt man uns keine, sondern hetzt
+uns herum.«
+
+Und dann erzählt er, wie schon zweimal das Hochwasser unermeßlichen
+Schaden verursacht hat und daß es für die Zukunft immer häufiger zu
+befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme: durch die Urbarmachung
+sterbe das Torfmoos ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr zu
+Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber zu einer Gefahr, die mit
+Vernichtung bedrohe, was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich
+geschaffen hat. »Aber darum arbeiten wir doch ruhig weiter,« sagt er zum
+Schluß und zieht den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen
+fühlt, »denn wir lieben dieses Stückchen Erde, das für die anderen zu
+schlecht ist und wo uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben auch die,
+die das gleiche mit uns tun und erdulden.«
+
+»Und wir lieben auch den lieben Gott,« sagt der fromme Taruttis, »der
+Gutes und Böses über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der Mensch
+sogar ein Mörder wird.«
+
+Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin, denn er hat lauter gesprochen
+als die anderen, aber da ist das graue Gespenst schon fort.
+
+
+ 6
+
+Wie macht man einen Herd? Wie baut man einen Ofen? Der Boden trägt ja
+nichts. Willst du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er nach und
+schluckt es langsam unter.
+
+Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle Nücken und Tücken des Moores.
+Und er ist immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber nicht etwa von
+selber kommt er. Wie ein furchtsamer Hund schleicht er sich um die
+Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft. Und ruft man ihn nicht,
+so geht er von dannen.
+
+Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer von den Deutschen benimmt
+er sich nicht, die immer eine große Schnauze haben und die Litauer als
+Vieh ansehen. Und er verkehrt auch nicht mit ihnen, soviel ihrer auch
+auf der Kolonie herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem eine Heimat
+fehlt.
+
+Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs. Schleppt sich 'rum und tut
+ihre Arbeit mit Wehklag'. Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre das
+nötigste oft nicht getan.
+
+Und nun ist ja auch die Erdme da. Die knapst sich manche Viertelstunde
+ab, um für sie Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen auf dem Felde
+ist.
+
+»Wenn mein Kindchen noch lebte,« sagt sie, »dann könnte es mir schon in
+manchem behilflich sein.«
+
+Aber das war ja schon in der Geburt gestorben und hatte dabei der Mutter
+den Leib zerrissen, so daß er nie mehr ganz heil ward.
+
+Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau mehr sein und ihrem Haus keine
+Wirtin.
+
+Und dann ist noch das Unglück da, von dem _sie_ nicht spricht und _er_
+nicht spricht und das man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof nur in
+die Nähe kommt.
+
+»Ja also,« sagt der Witkuhn eines Tages, »den Herd baut man so: Man
+kauft sich« -- er sagt »kauft«, »holen« sagt er nicht -- »man kauft sich
+den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine Kiefer darf es nicht sein, denn
+deren Wurzel ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter, als wäre
+er nicht gewesen. Eine Tanne muß es sein -- deren Wurzel hat Querläufer
+nach allen Seiten -- die legen sich wie Riegel vor, wenn der Stubben
+einsinken will. So trägt er vielleicht den Herd, und ein anderer trägt
+auch den Ofen.«
+
+Der Jons streift also nachts durch die Wälder und sucht die Stellen, wo
+Tannen gerodet werden. Solche Stellen sind selten, denn die Tanne ist
+ein kostbarer Baum, nicht so gemein wie die Kiefer.
+
+Er sucht, und er findet. Und wieder leiht der Taruttis den Handwagen,
+und beide ziehen aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei Meilen
+weit. Der preußische Staat ist reich. Ob der einen Stubben mehr oder
+weniger hat, was macht ihm das? Und auch den zweiten kann er noch
+leidlich entbehren.
+
+Aber noch mehrere müssen daran glauben, denn die Schlammschicht ist
+tief. Einer muß über den anderen gelegt werden, und dann erst hält der
+Grund so fest, daß man mit Ziegeln und Lehm darauf arbeiten kann.
+
+Aber die Ziegel kann man leider nicht »holen«, denn der Herr
+Ökonomierat, dem der große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter und
+hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute.
+
+Vielleicht versucht man es also mit Betteln. Denn weit und breit weiß
+jeder, welch ein guter und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat ist.
+
+Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in dem großen Saal, der mit
+Bücherregalen gefüllt ist von einem Ende bis zum anderen. Man kann sich
+nicht vorstellen, daß es so viele Bücher gibt auf der Welt. Aber es ist
+kein »Bagoszius« -- kein Geldprotz --, der zu ihnen spricht, sondern er
+ist freundlich und leutselig und wischt sich mit der Zunge über die
+Zähne und schmunzelt sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen. Die
+sehen einen durch und durch.
+
+»Schenken werd' ich euch die Ziegel nicht,« sagt er, als sie ihre Bitte
+vorgebracht haben, »denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher.
+Aber verkaufen werd' ich sie euch.«
+
+Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten sie ja einfach aufs Kontor gehen
+können.
+
+»Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis sagen.«
+
+Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt: Vielleicht probiert man es
+doch mit dem »Holen«.
+
+Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl er litauisch spricht,
+beinahe so gut wie sie selber. Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst
+lachen sie hell auf.
+
+_Ob_ sie singen können!
+
+»Könnt ihr auch Märchen erzählen?«
+
+Fünfhundert können sie erzählen. Tag und Nacht und noch einmal Tag und
+Nacht lang können sie erzählen.
+
+»So viel will ich gar nicht wissen,« sagt er. »Singt mir zehn Lieder und
+erzählt mir zehn Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter finde.
+Und dann könnt ihr euch Ziegel auf die Karre laden, soviel ihr braucht.«
+
+Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein, damit sie den nötigen Mut
+bekommen, und dann geht's los.
+
+Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich wieder abbrechen. Aber
+das vierte ist ihm neu, das schreibt er sich auf. Und von den Märchen,
+die die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf.
+
+Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen Ziegelmeister, und damit
+haben sie sich Feuerstatt und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige Lehm
+muß ja freilich doch noch gemaust werden, aber den liefert zur Nachtzeit
+die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen, und das Strauchwerk, das
+als Halt in die Brandmauer gepackt werden muß, kann man sich ringsum von
+den Weidenbüschen schneiden.
+
+So steigt die Mauer bald bis zur Decke.
+
+Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle daran, auf der anderen
+der Ofen. Sehr schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten Kacheln
+würde sich sicher weit besser machen, und gerade steht er ja auch nicht,
+aber wärmen wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin prasseln.
+
+Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt man im Rauch.
+
+Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon geschnitten. Wenn man nur
+weiter wüßte!
+
+»Bei Schmidt auf dem Hofe,« sagt der Witkuhn, »liegt ein Haufen von
+rostigen Kannen. In denen ist früher Petroleum gewesen. Da kostet jede
+zehn Pfennig. Davon kauft euch ein Dutzend.«
+
+Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei noch mit durch.
+
+Aber nun weiter!
+
+Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus Latten eine vierseitige Röhre
+macht und sie mit dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch die
+Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird durch das Deckenloch geschoben
+und so hoch geführt, daß sie die Sparren noch überragt. Dann wird unten
+von Latten ein Mantel schräg darangenagelt, -- und siehe da! der
+Schornstein ist fertig.
+
+Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach, wie qualmt das -- und stinken
+tut es nicht weniger -- vor allem nach Leim und Petroleum, aber das wird
+sich schon legen.
+
+Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen hat, findet er schließlich
+den richtigen Weg und entfernt sich gefälligst dorthin, wo es
+schnurgerade in den Himmel geht. Wenn er es im Winter ebenso macht, ist
+die Stubenwärme gesichert.
+
+Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und Dach das ihrige tun. Die
+Hauswand -- das ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der kluge
+Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie niemals fertig.
+
+Aber wie können kluge Leute so ängstlich sein? Er wartet ja bloß darauf,
+daß die Erdme ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch.
+
+Die viereckigen Moorfladen, die man an die Bretterwand preßt, halten
+wohl fest, solange sie feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab,
+wie Sandbrocken fallen.
+
+Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der schlechtesten Latten noch eine
+zweite Wand -- fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die ist ganz
+luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun. In dem Raum zwischen den beiden
+sackt sich die Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich selber
+beruhen.
+
+Nach ein paar Wochen kann man die Latten wieder entfernen. Nur zur
+besseren Sicherung läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde
+geklemmt, denn es werden die Winterstürme kommen, und der Sturzregen
+wird wühlen und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen.
+
+So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß und alles kennt, und sieht an
+Erdme vorbei, und das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren.
+
+Wenn sie mit ihm allein ist -- und das geschieht fast alltäglich --,
+dann hat sie stets ein Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu dem
+noch was Anderes hinzukommt, das ihr das Herz beklemmt. Es ist, als
+hätte sie Angst vor _seiner_ Angst, denn Angst hat er immer, das ist
+ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. --
+
+Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich den guten Nachbar erhalten.
+
+Nach der Hauswand das Dach!
+
+»Jons, bring Rohr!« Es können auch Binsen sein -- oder beides zusammen.
+-- An Rohr und Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn auch das
+Moor selbst sie nicht liebt -- oder sie nicht das Moor, was auf dasselbe
+herauskommt. Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen, und alle sind sie
+mit Röhricht umstanden.
+
+Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat leichte Last, wenn er
+hochgetürmt vom Rußufer daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel,
+denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man es findet, versteht sich von
+selber.
+
+In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht, so daß man bald ans
+Dachdecken gehen kann. Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen
+werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für Tag hoch auf den Sprossen
+und legt ein Bündel dicht neben das andere und preßt es zusammen und
+besichelt die Enden. Und unten lauert die kleine Ulele und reicht ihr
+zu, denn eine Mannsperson kann man dazu nicht brauchen, es sei denn der
+eigene.
+
+O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun sieht es schon bald aus wie ein
+Haus. Aber noch fehlen die Türen, die Fenster -- kein Mensch kann sich
+ausdenken, was alles noch fehlt.
+
+Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt, der irrt sich. Eines Tages bringt
+er zwei Fenster an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin, nur daß
+die Rauten gebrochen und die Rahmen angekohlt sind. Vorige Nacht hat es
+nämlich in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer gegangen
+und hat gesagt: »Verkauf mir den Kram für zwei Stof Schnaps. Dem
+Versicherungsinspektor erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden,
+und dann kriegst du neues dafür.«
+
+Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag ein, er hilft sogar dem Jons in
+der Nacht darauf die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und auf den
+Handwagen laden.
+
+Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig Schritt nach Feuersbrunst,
+und wer ihm begegnet, der lacht ihn an, denn er denkt, er habe es aus
+dem Brandschutt gestohlen.
+
+So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel in schweren Verdacht
+kommen.
+
+
+ 7
+
+Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer durch das Moor die
+Lynckerstraße heruntergeht und dann links um die Ecke biegt, so fragt er
+wohl seinen Begleiter: »Wer hat sich das hübsche kleine Hauschen
+gebaut?«
+
+Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet er: »Das ist der Losmann
+Jons Baltruschat, der mit seiner jungen Frau im Frühling zugezogen ist.«
+
+Und der Fremde sagt wohl: »Das müssen fleißige Leute sein.«
+
+Aber durch die himmelblaue Tür darf er bei Jesu Leibe nicht eintreten,
+denn drin sieht es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar nichts.
+Nicht einmal die Ritzen, die zwischen den Schwarten klaffen, und die
+Astaugen darin sind richtig verschmiert, und überall hängen die Fasern
+der Moorschicht.
+
+Doch lange darf die Schande nicht dauern.
+
+Vor allem der Fußboden! Viele wohnen ja auf dem nackten Moor, und das
+soll sogar trocken halten und im Winter gar nicht so kalt sein. Aber da
+kennt ihr die Erdme schlecht! Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein
+Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte zu Fastnacht. Dann werden die
+Wände verklebt, und dann kommt das feinste: der Bildschmuck. Überall in
+den Heydekrüger Läden sind wunderschöne, bunte Bilder ausgehängt. Die
+preisen Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt und
+Hühneraugenringe in der Uhr und tausend andere nützliche Sachen. Und
+immer kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf dem Speicher
+herumliegen, die bettelt man sich zusammen. Und die jungen Gehilfen
+lachen und holen sie gern. Außerdem war doch -- Erdme besinnt sich genau
+-- in der Rumpelkammer der Frau Schlopsnies ein Haufen alter Blätter
+aufgestapelt mit Ansichten aus allen fünf Erdteilen. Der Niagarafall und
+die Pariser Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa und so noch
+manches andere.
+
+»_Liebe_ Frau Schlopsnies, _gute_ Frau Schlopsnies, ich hab' mich so
+sehr nach Ihnen gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege, möcht' ich's
+fürs Leben gern nach Ihnen benennen.«
+
+Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau Schlopsnies mit Vornamen
+eigentlich heißt. Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar die
+Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind dabei, die Frau Schlopsnies
+sich einst gesammelt hat, als sie noch keine alte Schachtel war und als
+Kellnerin hochkommen wollte.
+
+Die sind noch so gut wie neu. Und wenn die Erdme wirklich einmal Töchter
+kriegt, dann müssen sie genau so angezogen gehen wie alle diese schönen
+Damen, die einem das Herz vor Neid im Leibe umdrehen.
+
+Und nun wird die Stube geschmückt! Bild neben Bild geklebt, und die
+buntesten kriegen die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer so
+viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen muß, und die Spitze des
+Monte Rosa schon deshalb, weil es da oben so kalt ist.
+
+So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl nirgends. Der Taruttis hat
+ja auch Bilder geklebt, aber die sind bloß griesgrau und stammen aus
+Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und bei Witkuhn hängt nur das
+Kaiserpaar mit dem Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des Moorvogts.
+
+Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt. Die Tage werden kürzer, und
+darum getraut sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber wie die
+Zimmerdecke gedichtet werden muß, da braucht sie ihn doch. Denn wenn der
+Jons heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel.
+
+Erst will er gar nicht hereinkommen -- gewiß hat er wieder mal Angst --,
+aber als er die Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln -- ein
+Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön ist -- über sein stilles
+Gesicht.
+
+Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit.
+
+»Ohne dich, Nachbar,« sagt sie, »hätten wir's nie so weit gebracht.« Und
+sie legt ihm die Hände auf beide Schultern.
+
+Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie ein Taschenmesser, sinkt auf
+den Bock, wo der Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht und
+weint.
+
+»Was ist? Was ist?« fragt sie erschrocken.
+
+Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich zu ihm nieder und
+streichelt ihn.
+
+Und -- was tut er? Er umschlingt ihre Hüften und küßt ihr den Rock und
+küßt ihr die wehrenden Hände und will sie gar zu sich niederziehen.
+
+»Nicht doch, Nachbar,« sagt sie mit einem Blick auf den Kleistertopf,
+»so was mußt du nicht tun.«
+
+Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen, sonst muß er ins Torfloch.
+
+»Schade, Nachbar,« sagt sie und lacht, wie sie immer gelacht hat, wenn
+sie einer hat haben wollen, »schade, daß du nicht früher gekommen bist.
+Als Mädchen nahm ich's nicht so genau. Da hat mich bald der geliebt und
+bald jener. Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der Jons und ich,
+da würde ich mich vor ihm schämen, wenn er des Abends nach Haus kommt.
+Außerdem, wenn du's wissen willst, in anderen Umständen bin ich wohl
+auch.«
+
+Da steht er langsam auf, greift nach der Wand, sich festzuhalten, und
+geht hinaus wie betrunken.
+
+Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts, denn innerlich hat sie den
+Nachbar gern. Und um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr hängt.
+Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm gutzumachen, so hält sie es
+mit der Frau und hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes Tagwerk
+kommt zwar dabei oftmals in Rückstand, aber über das Schwerste ist sie
+ja weg. Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen, wenn sie vom
+Melken kommt. Zur Dienstmagd aber reicht es auch dort nicht.
+
+Und die Frau sieht sie immer mit großen, bittenden Augen an, als will
+sie was sagen. Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch nachhilft.
+
+Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal denkt die Erdme: »Jetzt
+weiß ich's.« Aber das geht wider Natur und Religion, und darum wirft sie
+es weit von sich weg.
+
+Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht mehr in die Nähe, und wenn er
+vom Felde kommt und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er lieber noch
+einmal um. Sie möchte ihm manchmal entgegengehen, aber das sähe ja aus,
+als ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber.
+
+Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen werden kann, aber alles Geräte
+fehlt. Nur die Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen Hause
+steht, ist gleich beim Bauen festgemacht worden.
+
+Und der Jons kommt immer später. Er sagt, er habe Überstunden, aber das
+glaubt sie ihm nicht.
+
+Der Winter steht vor der Tür, und noch ist die Bettstatt nicht da und
+auch kein Tisch und kein Kasten.
+
+Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern, aber er schüttelt bloß
+immer den Kopf.
+
+»Mein Gott, mein Gott,« denkt sie, denn sie geht mit der Katrike -- so
+wird es heißen, wenn es ein Mädchen ist -- nun schon im vierten Monat.
+
+Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen. Wie andere heimlich
+nach einem vergrabenen Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie
+wohl dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst um, ob niemand am Weg
+ist, und dann kniet sie rasch nieder und scharrt an _der_ Stelle und
+jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem Vorderfuß klaut, -- und
+siehe da! überall sagt ihr ein junges Knollchen: »Labsriets« und »da bin
+ich«. -- Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß und nach vierzehn Tagen
+schon, wie Katrikes künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen sie
+immer noch weiter.
+
+Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht das mindeste an. Für nichts hat
+er Sinn und Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn liefert er ab. Er
+kommt und geht -- das ist alles.
+
+Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht weit vom Wege was Liebes
+angekramt -- und da sitzt er nun wohl die Abende über und wird sie zum
+Winter verlassen.
+
+»Dann steck' ich das Haus in Brand,« denkt sie, »und zieh' hinüber zum
+Nachbar.«
+
+Aber eines Abends so um die Michaeliszeit -- da kommt nach
+Sonnenuntergang ein Einspänner den Weg entlang -- beladen mit allerhand
+Zeug -- man weiß nicht recht was. Und neben dem Fuhrmann sitzt einer --
+der hat so breite Schultern wie Jons -- und sieht auch sonst aus wie
+Jons -- und schließlich ist es auch Jons.
+
+Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg und tut, als will er aufs Moor
+einbiegen. Aber das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine Schuhe an
+und würde versinken bis an den Leibgurt.
+
+Und wie sie herzuläuft -- um Gotteswillen, was sieht sie da? Hoch auf
+dem Wagen steht ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten und gelben
+Blumchen, und eine Bettstatt ebenso grün, und ein Tisch mit kreuzweisen
+Füßen, und sogar -- man kann es nicht fassen, ob auch das Abendrot draus
+in die Augen sticht wie mit feurigen Nadeln -- ein Spiegel ist da! --
+Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel!
+
+Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken, und das wäre auf dem Moor
+auch gar nicht so schwierig.
+
+»Ist das für uns?« schreit sie ihn an.
+
+Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht hat, und reicht ihr den
+Spiegel herunter. Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar
+zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe, die Rágana selber.
+
+Und sie kuckt in den Spiegel -- der spiegelt zwar nicht -- aber es ist
+doch ein Spiegel.
+
+Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt, aber die Bettstatt muß
+auseinandergenommen werden, denn die Tür ist zu schmal, und der Tisch
+geht erst recht nicht hindurch. Aber schließlich steht alles an seinem
+Platz, und der Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk.
+
+Nur schade! Stockfinster ist es geworden. Selbst die Blumchen der
+Schranktür sind nirgends mehr zu erkennen.
+
+Da sagt der Jons: »Was du wohl denkst! Das Schönste ist immer noch
+draußen.«
+
+Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im Leben hat sie gedacht, daß man
+so klein dastehen könne neben dem eigenen Mann.
+
+Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und was bringt er getragen? Eine
+Lampe. Eine richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und Glocke, wie sie
+im Hoffmannschen Laden im Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube
+der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben. Dort hatten sie alle
+bloß blecherne Schilder.
+
+Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht da und läßt sich bewundern.
+
+Wie hat das zugehen können?
+
+Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter sind aus der Sägemühle, das
+ist klar. Aber weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem Holzplatz
+seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn gefragt, wie man wohl am besten zu
+einer Einrichtung kommen könne. Da hat der Tischler sich erst umgesehen
+und dann gesagt: »Wer mir beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht
+etwa zu kurz komme, dem werd' ich nach Feierabend zur Hand gehen und ihm
+zeigen, wie er es macht.« Nun, der Tischler Kuntze ist _nicht_ zu kurz
+gekommen. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür hat der Jons sechs Wochen
+lang in seiner Werkstatt arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein. Dann
+hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen für Licht und für Ölfarbe, und
+noch heute können sie 'rüberziehen und im eigenen Heim wohnen wie jeder
+Besitzer.
+
+So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es müßte wirklich mit unrechten
+Dingen zugehen, wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen.
+
+Und sie kommen vorwärts.
+
+Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel. Davon kann neben ihnen noch
+ein Ferkelchen satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos ist,
+erhebt sich alsbald ein Abschlag mit Schwarten als Dach und
+rohrgeflochtenen Wänden. Darin hat das Schweinchen Platz und später wohl
+auch eine Ziege, deren Milch man als Wöchnerin ungern entbehrt. Im
+Sommer nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter aber muß
+vorgesorgt werden.
+
+Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher Finsternis hinter den
+Fudern daherläuft, die auf der Chaussee von den Wiesen kommen und Gott
+sei Dank bloß in kurzem Trab fahren -- sonst würde die Erdme in ihrem
+Zustand ihnen nicht folgen können. Das Verstreute sammelt man auf dem
+hinterher fahrenden Handwagen, so rasch es nur geht, denn unverschämte
+Diebe gibt es genug, die einem das sauer Erworbene vor der Nase
+wegschnappen wollen. Manchmal findet man die Plätze hinter den Fudern
+bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen prügelt man sich herum,
+oder man einigt sich besser in Güte.
+
+So wird allmählich der Bodenraum voll. Nur für die Heizung muß Platz
+bleiben. Um die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das Randstück eines
+Torflochs gepachtet und ist auch diese Pacht schuldig geblieben -- genau
+so wie jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt ja nicht. Warum soll man
+ihm also entgegenkommen?
+
+»Er wird schon mahnen,« lacht die kleine Ulele. »Er hat ein dickes Buch.
+Darin steht alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen Richters. Was
+ehrlich erworben ist und was nicht. Es steht alles darin.«
+
+Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie eine Maus und sinkt nach
+hinten zurück. Aber das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen. Und so
+entschuldigt sie's auch bei der kleinen Ulele.
+
+
+ 8
+
+Der Winter kommt wie alles Schlimme früher, als man sich's denkt.
+
+Eines Morgens zu Anfang November ist das Moor gefroren wie ein Brett.
+Bis dahin hat man im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr.
+
+Der Handwagen des frommen Taruttis, der so viel Unfrommes mit angesehen
+hat, ist ihm zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre, die Jons
+vom Markte gebracht hat.
+
+Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt sich und klingt, wenn man
+auf dem Moore daherkommt. Die Torfziegel, die Erdme alle selber
+gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet. Obwohl sie sie
+mit Rohr bedeckt hat gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer
+nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet, brennen werden sie doch, und der
+Qualm geht zum Schornstein hinaus.
+
+Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach Haus kommt, findet er die Stube
+so voller Rauch, daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und auf dem
+Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet.
+
+Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei ist, lacht und sagt: »An
+den Rauch gewöhnt man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken wir,
+unten versinken wir und sind ganz lustig dabei.«
+
+Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man kaum mehr, ob es raucht oder
+nicht, wenn man's nur warm hat. Und das ist die Hauptsache.
+
+Denn Tage brechen herein, so naß und so kalt, daß einem das Herz im
+Leibe erklammt, wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer ist,
+der suppende Nebel oder der rotklare Frost, die fegenden Schneestürme
+oder der windstille Rauhreif, -- man weiß es wahrhaftig kaum; nirgends
+friert man so wie hier auf dem Moor. Die Kälte auf der Spitze des Monte
+Rosa muß dagegen ein Kinderspiel sein.
+
+Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee kam, der Zufahrtssteg
+angelegt und mit kleinen Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde
+der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt, nicht wissen, wo er
+abbiegen muß, so verstiemt ist alles in Weite und Breite. -- Selbst das
+Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee und muß am Morgen
+ausgeschaufelt werden, damit man weiß, daß es Tag ist.
+
+Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie. Nur das Ferkelchen muß sie
+versehen, das prächtig gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte, könnte
+man pökeln für Jahre. Aber so üppig leben wir nicht. Wir sind froh, wenn
+wir ab und zu einen Hering haben. Das Schwein wird, wenn es fett ist, an
+den Schlachter verkauft, und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital
+für die künftige Kuh. Aber das sind noch Zukunftsträume. Fürs erste
+wollen wir mit der Ziege zufrieden sein.
+
+Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud, frißt mit aus dem
+Schweinetrog und stößt, wenn man sie melken will.
+
+Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt ihre Milch so großmütig her,
+wie nur eine kann, deren Haltung nichts kostet. --
+
+Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist das Gefangensein. Man kuckt
+nach rechts -- man kuckt nach links -- alles ist weiß, alles ist weit,
+und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem Wege, um zu zeigen, daß es noch
+Dinge gibt auf der Welt, die anders aussehen als weiß. Die Häuser der
+Nachbarn stehen ja da, aber sie sind fast ganz in Schneefluchten
+versunken, und nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt's auf dem Dach
+einen graulichen Flecken.
+
+Man kann sich kaum vorstellen, daß dort überall Menschen wohnen, denn
+niemals sieht man einen, und man geht auch nicht gerne hinüber.
+
+Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber kaum mehr, wie eine
+fremde Menschenstimme sich anhört.
+
+Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie geht auf Freiersfüßen. Wenn
+sie zum Frühling eingesegnet wird, muß der Vater schon seine Frau haben.
+Denn dann will sie in die große Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine,
+die hat dreihundert Taler, und eine andere, die hat noch mehr. Aber an
+der hängen zwei Kinder, deren Vater sie manchmal besucht. Und die Ulele
+meint mit Recht, das werde Streitigkeiten geben, wenn sie selbst als
+Vermittlerin nicht mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die erste
+wählen, aber der muß noch viel zugeredet werden, denn sie fürchtet, der
+Weg der Vorgängerinnen werde alsbald auch der ihrige sein.
+
+So hat man seine Sorgen, auch wenn man noch Kind ist.
+
+Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit Monaten nichts mehr gesehen, und
+die Hilfeleistung bei seiner Frau muß die kleine Ulele für sie mit
+übernehmen.
+
+Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an den man sich halten kann. An
+jedem Sonntagabend gibt's eine Versammlung bei ihm. Zu der kommen die
+Gebetsleute weit und breit, und manchmal sind Stube und Vorflur so voll,
+daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht der eisige Wind wie mit
+Peitschenhieben über die Köpfe.
+
+Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder werden gesungen,
+Sündenbekenntnisse abgegeben, und meistens kriegt der heilige Geist
+einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht und mit Zungen
+redet, während die anderen horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes
+Sonntagsvergnügen.
+
+Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme noch nicht, denn das Abtun des
+Irdischen ist wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden als Gäste
+geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung auch ihnen nicht ausbleiben
+kann.
+
+Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen und Weststurm. Dann hat der
+Schnee sich gelöst, und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann
+riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und doch sind gar wenige
+Pferde ringsum. Nur der Wohlhabende kann sich eins halten.
+
+Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr
+Pferdchen nicht fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern, aber kommen
+wird es gewiß, genau wie das Fettschwein gekommen ist, um das der
+Schlachter schon lange herumstreicht.
+
+Aber vorerst wird was Anderes kommen -- etwas, das einst in Samt und
+Seide gehen wird und wofür der Sohn eines Gendarmen schon längst nicht
+mehr gut genug ist. Ein großer Besitzer muß es sein, wie die reichen
+Herren der Niederung, die hundert Kühe halten und deren Käsereien mit
+Dampf betrieben werden. Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst
+der Jons mit sich handeln läßt.
+
+Um Mitte März kann das Kleine schon da sein. Und der März steht vor der
+Tür. Die Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee, und wenn mittags
+die Eiszapfen tropfen, klingt es wie Frühlingsmusik.
+
+Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn. Mühselig schleppt sie sich ins
+Haus. Die Erdme ist noch ein Wiesel dagegen.
+
+»Nachbarin,« sagt sie. »Ich weiß, deine Stunde wird bald kommen. Ich
+hab' eine Bitte an dich.«
+
+»Was für eine Bitte?« fragt die Erdme.
+
+»Sieh mich an,« sagt sie darauf. »So quiem' ich nun schon an die zehn
+Jahr. Und die Wirtschaft kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott ein
+Einsehen, so würd' er mich zu sich nehmen, damit der Witkuhn sich nach
+etwas Besserem umsehen kann. Aber so werd' ich ihm zur Last liegen, wer
+weiß wie lange.«
+
+Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was man so sagen kann.
+
+»Darum sollst du mir das Versprechen geben,« fährt sie fort, »daß du es
+bei der Hebamme nicht bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor
+bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.«
+
+»Um Gotteswillen!« schreit die Erdme ganz erschrocken. »Das kostet zehn
+Mark!«
+
+»Das haben wir auch schon überlegt,« meint die Nachbarin, »und der
+Witkuhn hat gesagt, wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt er
+mit Freuden.«
+
+Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an das, was im Frühherbst
+passiert ist. Und sie sagt: »Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel
+haben wir selber. Nur sollt' es für die Kuh gespart bleiben.«
+
+»Die Kuh kann krepieren,« sagt die Witkuhn, »und dann spart man sich
+eine neue. Aber wenn man selbst zuschanden ist, dann spart man sich
+keine mehr.«
+
+_Die_ Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und sie gibt das Versprechen. Sie
+kann es ruhig tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem Fuhrwerk werden
+wird, weiß sie noch nicht. Denn wenn der Doktor sich selbst eins
+bestellt, so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat auch dafür
+schon Rat geschafft. Er hat mit einem der besseren Besitzer gesprochen,
+und der wird sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so weit ist.
+
+Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und schreit wie ein Tier. Seit
+Stunden folgt eine Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm aus
+dem Leibe reißen.
+
+Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett, anzusehen wie ein rotbärtiger
+Riese -- Perkuhn, der Donnergott, muß so ausgesehen haben --, und blickt
+aus großen, rollenden Gottesaugen auf sie herab und sagt mit einer
+Stimme, bullrig und gut wie abziehendes Ungewitter: »Na--a? Kommt es
+denn immer noch nicht?«
+
+Nein, es kommt immer noch nicht. Und kommt auch die ganze Nacht hindurch
+nicht. Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine Knie zu fassen
+und kneift sich darin fest, daß er lachend schreit: »Wirst du wohl
+loslassen!« Aber sie kneift nur noch fester.
+
+Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher gewesen als die Decke
+des Zimmers; nur ganz gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und
+auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke sitzt, erscheint er noch
+immer so groß wie etwa ein Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er
+langsam kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird er kleiner. --
+
+Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie mit einmal: »Für zehn Mark wird
+er das gar nicht machen.« Und sie fängt vor Angst und Ungeduld zu weinen
+an, weil es so teuer wird.
+
+Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen Schmerzen sind, die ihr die
+Tränen zum Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die Hand beklopft,
+da ist er schon ganz klein.
+
+Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht und kippt mit seinem
+mächtigen Schmerbauch nach hinten zurück, so daß die Beine hoch in der
+Luft herumrudern.
+
+Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht und der Moorboden haben dem
+mächtigen Körper nicht standhalten können, und die vier Beine der Hocke
+sind unter ihm in die Tiefe gesunken.
+
+Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht und lacht, und aus dem Lachen
+heraus kreischt sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke
+geschnitten, und -- wupp! -- ist die Katrike da!
+
+Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons demütig die Mütze in der Hand
+und fragt ihn, was es wohl kostet.
+
+Da sieht er sich in der Stube um, besieht den grünbunten Schrank und den
+goldrahmigen Spiegel und sagt: »Nun, nun, ihr scheint ja ganz
+wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also« -- der Erdme steht das Herz
+still vor Angst -- »gebt mir also -- drei Mark.«
+
+Und die Erdme denkt jubelnd: »Wenn das so billig ist, krieg' ich
+nächsten Frühling ein zweites.«
+
+
+ 9
+
+Man müßte lügen, wollte man sagen, daß das nun folgende Jahr für den
+Jons und die Erdme kein gesegnetes gewesen sei.
+
+Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh zieht ein. -- Sie ist die
+klügste, die schönstgefärbte, die milchreichste Kuh, die es auf Erden je
+gegeben hat. Die Milch muß morgens und abends zur Sammelstelle getragen
+werden und bringt manchen nützlichen Groschen. Das Schlimme ist nur, daß
+es an Futter fehlt, denn auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst,
+wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine Bewohner helfen sich
+dadurch, daß sie im Umkreis -- bis über den großen Strom hin -- jedes
+Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist.
+
+So geht auch Jons auf die Suche, findet aber nichts, was nahe genug
+gelegen wäre, daß man das Heu auf der Karre heimschaffen könnte.
+
+In all den Sorgen muß also wohl oder übel der Moorvogt heran, der ja am
+besten Bescheid weiß.
+
+Sie tun also so, als hätten sie _kein_ schlechtes Gewissen, stecken für
+alle Fälle die schuldig gebliebene Pacht in die Tasche und gehen zu ihm.
+
+Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt dann ein großes Buch auf
+-- das Buch gewiß, in dem all ihre Sünden stehen -- und sieht sie darauf
+wieder an.
+
+Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß, und er denkt: »In Gottes
+Namen.« Damit zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt sie auf
+den Tisch. »Schad' um das schöne Geld,« denkt die Erdme. Aber wenn man
+so angesehen wird, was kann man da machen?
+
+»Es war Zeit,« sagt der Moorvogt -- weiter nichts -- und schreibt ein
+Zeichen in das Buch.
+
+Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen Bewußtsein seiner
+Rechtlichkeit und sagt mit Würde: »Die Pacht fürs zweite Jahr wird auch
+bald da sein.«
+
+»_Das_ wär' nun nicht nötig gewesen,« denkt die Erdme, aber weil es doch
+mal heraus ist, will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt hinzu:
+»Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen erfüllen wir
+pünktlich.«
+
+Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als will er ein Prusten verstecken,
+und der Erdme wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit dem Manne nie,
+wie man dran ist.
+
+Er breitet eine große Plankarte aus und fragt dann: »Wieviel
+Kartoffelland nehmt ihr dieses Jahr in Arbeit?«
+
+»Wenn's Glück gut ist,« sagt die Erdme, »wird die Hälfte von dem
+Gepachteten fertig.«
+
+Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder eine Weile an und sagt dann:
+»Für ordentliche Leute hab' ich immer noch ein Stückchen Wiese bereit,
+das nicht zu weit liegt.«
+
+»O Gott, o Gott,« denkt die Erdme. »Wie erträgt der Mensch so viel
+Glück? Erst die Wiese und dann auch noch gelobt werden.«
+
+»Außerdem,« fährt der Moorvogt fort, »ist der Fiskus bereit, Ansiedlern,
+die sich bewähren, zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel
+unter die Arme zu greifen. Das gibt dann die doppelte Ernte.«
+
+Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt das Heulen, rennt hinaus und
+rennt schnurstracks nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt. Dann
+wirft sie sich über die Wiege der kleinen Katrike und erzählt ihr die
+ganze Geschichte. Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher einmal in
+Samt und Seide gehen wird, erzählt sie ihr auch.
+
+Wie der Jons nachkommt, der inzwischen alles festgemacht hat, fällt ihr
+ein, daß der Moorvogt, wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen
+Fahrten unmöglich was wissen kann. Die kleine Ulele hat sie gewiß
+umsonst in Angst gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine Grenzen.
+
+Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß angelegt werden, sonst wird's für
+den Sommer zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht da, Weidenruten
+tun's auch. Wenn die bloß nicht immer von neuem losgrünen wollten. Tag
+für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden, sogar die Brandmauer
+zwischen Kochherd und Ofen schlägt noch einmal aus, weil die Ruten, die
+ihr den Halt geben sollen, sich in dem Glauben befinden, sie seien zu
+neuem Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt.
+
+So will alles leben und gedeihen, selbst wenn es längst tot ist. Und der
+Jons und die Erdme sollten _nicht_ gedeihen, in denen doch Leben steckt
+für zehne?
+
+Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch und Fenchel werden gesät, vor
+allem aber die Raute, die Mädchenblume, die Brautblume. Denn wenn die
+Katrike heiratet, muß sie sich ihren Kranz aus dem eigenen Garten
+winden. Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht anders. -- --
+
+Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles zum dritten Mal Hochzeit. Die
+Kleine hat viel Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die sie der
+künftigen Stiefmutter beibrachte, daß sie selbst einmal etwas sehr
+Reiches werden wird, hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben.
+
+Sie ist eine hübsche Person zu Ende der Zwanzig mit einem gutherzigen
+und gekränkten Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen deutschen
+Kleide und einer Jettbrosche unter dem Halse, sieht sie aus, als ob sie
+gekommen wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber die kleine Ulele
+weicht ihr nicht von der Seite und erzählt ihr immer aufs neue, wie
+herrlich hier alles bestellt ist und was für vornehme Gäste die Stube
+erfüllen und daß es für ihre dreihundert Taler eine bessere Verwertung
+nicht gebe.
+
+Der große Smailus dagegen streicht seinen rundbogigen Schnurrbart, sieht
+kühn in die Weite und berichtet jedem, der es längst weiß, dies sei nun
+schon seine Dritte. Und hernach, wie er betrunken ist, setzt er hinzu,
+wenn daraus eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es ganz recht. Aber
+da hat ihn die Ulele bald beiseite geschafft.
+
+Abends spät, wie viele der Gäste schon weg sind und die verlassene junge
+Frau aus dem Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht, als möchte sie
+rasch wieder anspannen lassen, da nimmt die kleine Ulele die Erdme
+beiseite und sagt: »Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach der Stadt,
+um das Nähen und die Putzmacherei zu erlernen, denn das muß immer das
+erste sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen kann. Aber ich
+seh' ein, ich kann die Stiefmutter, bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz
+allein lassen. Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben. Von dort
+wutsch' ich des Abends manchmal herüber und red' ihr gut zu. Dich,
+Erdme, aber bitt' ich, daß du oft um sie bist. Der Vater meint es nicht
+schlecht, aber sein Wesen könnt' sie verschrecken.«
+
+Und die Erdme verspricht es und denkt: »Zusammen mit der kranken Witkuhn
+sind es schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.«
+
+Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge Frau und erzählt, wie
+verzagt sie einmal gewesen ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen
+sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte.
+
+Und die junge Frau meint traurig: »Aber deiner war jung und war auch
+kein Witmann.«
+
+Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt sie sie bloß und hält ihr die
+Hände. Und langsam beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten
+Fladen.
+
+Der Witkuhn ist auch da -- ohne die Frau --, aber er spricht die Erdme
+nicht an. Sie muß selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten
+erinnern.
+
+»Es war doch so hübsch, Nachbar,« sagt sie, »darum komm nur immer
+herüber. Was nicht sein soll, das hab' ich vergessen.«
+
+Er sagt: »Du bist gut gegen die kranke Frau und darum auch gut gegen
+mich. Ich bete für dich am Morgen und Abend, aber kommen -- das kann ich
+nicht.«
+
+Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen gehen soll, und nimmt
+sich vor, ihn nächstens kirre zu kriegen.
+
+Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie -- sie führt ihn natürlich,
+denn hätt' er sich nüchtern gehalten, so wär's eine schlechte Hochzeit
+gewesen --, da sieht sie auf dem Weg den grauen Schatten herumlaufen,
+der voriges Jahr, als sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich
+ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen gefahren war.
+
+Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis und denkt auch an die
+Wassersnot, vor der sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz
+ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht, wie es geschieht --, sie
+hätt' es auch nicht für möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen
+hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt hat, und es ihm hinreichen.
+Und sagt: »Da nimm, Nachbar, und wenn _du_ Hochzeit machst, gibst du mir
+auch was.«
+
+Er greift zu wie ein Verhungernder und prustet und faucht und läuft
+rasch davon, als muß er den Raub in Sicherheit bringen.
+
+Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen. Denn sie denkt, er werde nun
+ein Recht an sie haben und verlangen, daß sie mit ihm redet, wenn er des
+Wegs kommt. Und es redet doch sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme
+Taruttis tut es nicht.
+
+Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat er sie anzuhalten versucht,
+und manchmal ist er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. -- -- --
+
+Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und Kuh verlangen Wartung, eines so
+viel wie das andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da.
+
+Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr schwer, und die junge Frau
+Smailus muß eingewöhnt werden, sonst läuft sie womöglich wieder davon.
+
+Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der kleinen Ulele gehabt hat.
+Aber klein ist die schon lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch
+kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid und einen Strohhut mit Blumen.
+Sie nimmt die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich mit ihr in das
+Kieferngestrüpp, das nicht höher ist als der Vater und dessen Nadeln
+büschelweis stehen wie Haare auf Warzen.
+
+»Ach, wie ist es schön, so in einem grünen Walde zu sitzen,« sagt sie
+dann, »und die gesegnete Flur zu erblicken!« Und dabei zeigt sie nach
+den struppigen Kartoffeln und auf das brandige Moor, auf dem nichts
+weiter wächst als Torf in kohlschwarzen Haufen.
+
+Und alsbald hat sie die junge Frau für acht Tage wieder getröstet.
+
+Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: »Gott sei Dank, jetzt wird sie's
+leichter haben, denn es ist zugesät bei ihr.«
+
+Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich. Oft muß die Erdme heran,
+der traurigen Frau den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht
+und immer nach Hause will.
+
+Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit. Da heißt es, sich dreifach
+zusammennehmen und sich nichts merken lassen, sonst geht die Wirtschaft
+den Krebsgang.
+
+Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt auch für die Wiese zu
+sorgen. Die Karre nimmt er des Morgens meist mit und schiebt sie des
+Abends mit Grünfutter beladen nach Hause. Dazu kommt noch die Heuaust,
+das Mähen, das Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen, wenn
+der Regen alles durchweicht hat.
+
+Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul wird und kaum Antwort gibt,
+wenn man ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb's wenig
+Unterhaltung im Hause. Aber die lacht schon, macht Brummchen und
+zappelt, solange man Zeit hat zum Spielen.
+
+Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig Scheffel. Davon darf man
+sogar verkaufen. Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines kommen dazu.
+Man kann fürs nächste Jahr an eine weitere Pachtung denken.
+
+Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur daß die Erdme ein Spielzeug
+hat und daß die Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt.
+
+Im April kommt die kleine Urte zugereist. Ganz leicht und plötzlich ist
+sie gekommen. Der Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen.
+
+Nun sind es schon zweie, und darum wird Schluß gemacht. Das Nötige hat
+die Erdme als Mädchen gelernt.
+
+Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig gewesen. Noch bleibt Zeit
+genug für die Frühjahrsbestellung. Am neunten Tage nach der Geburt hat
+die Erdme schon wieder bis an die Knie im eiskalten Schlamm gestanden.
+So ein Kerl ist die Erdme.
+
+Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus gehabt, aber daran ist ihr
+Herzweh wohl schuld. Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit einem
+Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste getan, hat das Kind gewartet
+so gut wie die Mutter und hat dabei noch in den Büchern gelesen.
+
+Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt: »Nun wird es wohl gehen, daß
+ich weg kann. Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts auf der
+Welt.«
+
+Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will.
+
+Und sie sagt: »Zuerst nach Königsberg und dann nach Berlin. Denn diese
+kleinen Nester sind nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer
+Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des Abends die Schreibmaschine
+erlernen sowie die Schnellschrift, die man Stenographie nennt. Dann muß
+ich noch einmal aufs Land, das heißt auf ein Rittergut, um die
+Wirtschaft zu lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich
+verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft und mach' mich dort
+unentbehrlich. Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet, weil er
+einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr los ist. Aber im Grunde glaub'
+ich es nicht. Denn die Männer sehen mich nicht an.«
+
+»Du bist ja noch so jung,« sagt die Erdme.
+
+»Das ist wahr,« sagt sie, »Busen hab' ich noch gar nicht. Vielleicht
+werd' ich auch nie einen kriegen. Ich hab' immer gedacht, ich werd'
+durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber das muß ich mir wohl aus
+dem Kopf schlagen. Und es wird ja auch so gehen.«
+
+Und die Erdme lacht und sagt: »Du mit deinen fünfzehn -- was kannst du
+da Großes verlangen?«
+
+»Um mich herum liebt sich schon alles,« gibt sie zur Antwort, »bloß mich
+wollen sie nicht.«
+
+Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist, sieht auf die Wiege, in
+der Kopf an Kopf die Urte und die Katrike liegen, beide mit
+Lutschpfropfen im Munde, und denkt: »Euch wird es nicht so gehen, denn
+ihr habt von meinem Blut in den Adern.«
+
+Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken erriete, denn sie sagt
+seufzend: »Ja, wenn man so eine wäre wie du!«
+
+»Was willst du damit sagen?« fragt die Erdme argwöhnisch. »Weißt du
+etwas von mir?«
+
+»Das gerade nicht,« sagt sie, »aber -- aber --« Und sie druckst und
+druckst und kommt nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will, dreht
+sie sich noch einmal um und sagt: »Eine Bestellung ist es eigentlich
+nicht, das würde sie sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß,
+daß du es erfährst.«
+
+»Wer? Was?« fragt die Erdme ganz erstaunt.
+
+Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen wie zu einer Alten. Das
+Elend mit ihrem Manne reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht da
+ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid antun. Und ob es keine
+Möglichkeit gebe, daß die Erdme sich seiner erbarme.
+
+Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau sich wirklich so an der Natur
+und der Religion versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen.
+
+»Warum hängt er sich gerade an mich?« fragt sie. »Mädchen, die ihm gern
+einen Gefallen täten, laufen genug herum auf dem Moor.«
+
+Die Ulele macht eine pfiffige Nase. »Das ist es gerade,« sagt sie.
+»Ursprünglich wäre ihm wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine ihm
+nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als ich noch dümmer war und nicht
+wußte, warum, da hab' ich mich ihm manchmal auf den Schoß setzen wollen,
+aber da hat er mich von sich gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber
+hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich verstehe ja nicht viel
+davon, aber ich meine, wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm
+wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich, ich tät's, aber ich bin
+ihm wohl noch zu klein.«
+
+Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf bis zu Füßen. »Du verstehst
+wirklich noch nichts davon,« sagt sie und schiebt die Ulele hinaus und
+nimmt auch keinen Abschied von ihr.
+
+Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt
+der Jons ihr gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit ist,
+dann sieht sie ihn immerzu an und denkt: »Soll ich -- soll ich nicht?«
+Und ihr Entschluß ist dann stets: »Nein, ich soll nicht.«
+
+Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht fernab auf dem Feld und sich
+sein feines, stilles Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen,
+dann denkt sie doch wieder: »Ich soll.«
+
+Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts von ihm träumt und bei Tage
+auf dem Grabenrand sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich die
+Arbeit.
+
+Schließlich denkt sie: »Komm's, wie es will, geschehen muß was.«
+
+Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz und geht zu ihm 'rüber.
+
+Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke aus der Hand. Er steht da
+und sieht sie an wie eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie doch
+immer vor Augen.
+
+»Nachbar,« sagt sie, als hätte sie noch gestern mit ihm gesprochen,
+»willst du nicht einmal nach unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.«
+
+Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße und kommt. Er befühlt der
+Kuh den Leib, legt ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die Augenhaut
+um. »Die Kuh ist gesund,« sagt er. Weiter nichts.
+
+Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie zittert. Aber sie weiß, so ein
+Augenblick kommt nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch ein wenig
+in die Stube zu treten.
+
+»Was soll ich da drin?« fragt er.
+
+»Ich hab' schon lange einmal mit dir reden wollen,« sagt sie.
+
+Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein. Die Wiege hat sie vorher
+auf den Hof gestellt, damit die Kinder nicht zusehen.
+
+Und jetzt stehen sie da und zittern beide.
+
+»Nachbar,« sagt sie, »ich muß immer an die Stunde denken vor zwei
+Jahren, und mir ist, als habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es
+gutmachen kann, will ich es gerne.«
+
+»Es ist nichts gutzumachen,« sagt er und bekuckt sich die Bilder.
+
+»Setz dich auf die Bank, Nachbar,« sagt sie.
+
+Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr kann sie wahrhaftig
+nicht tun.
+
+»Nachbar,« sagt sie, »du hast ein seltsames Wesen. Nicht bloß gegen
+mich. Dir muß irgend was geschehen sein. Das Beste wär' schon, du
+sprichst dich aus.«
+
+»Jawohl,« sagt er, »das will ich.«
+
+Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie es ihm in der Jugend
+ergangen ist. Er ist ein froher Bursch gewesen, Besitzerssohn,
+ansehnlich und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern gewollt zum
+Heiraten sowohl wie zu dem anderen. Und eine -- die war wild und
+heimlich zugleich. Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war ihr
+heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern trafen sie sich unter dem
+Kadigbusch auf der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt. Da wollte
+sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich sind ringsum Lichter aufgetaucht
+von Jägern, die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben. Da hat sie
+zu schreien angefangen, daß er ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer
+stak, so hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück gekommen. Das hat
+ihn verfolgt von Ort zu Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er ein
+Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge vor Gericht hat stehen
+müssen. Schließlich hat er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher
+bestraft ist und keinem viel Schaden daraus erwächst. Der Moorvogt weiß
+es und seine Frau. Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung gesucht,
+aber die ist ja schon lang' keine Frau mehr. Und sobald eine andere ihm
+zugelächelt hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen: »Sie wird
+schreien.« Immer hört er das Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht,
+wie es ihm damals gezittert hat, als er sich stumm und ohne Verteidigung
+hat abführen lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist er noch
+heute.
+
+»Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen können?« fragt sie und
+lächelt ihn an.
+
+»Das weiß ich selber nicht,« sagt er und streicht sich übers Gesicht.
+
+»Nun, ich hab' doch _nicht_ geschrieen,« sagt sie und lächelt ihn
+immerzu auffordernd an.
+
+»Aber -- abgewiesen hast du mich, und seitdem ist es schlimmer als je!«
+
+Soll sie nun sagen: »Heute würd' ich dich _nicht_ abweisen?« Das kann
+sie nicht. Das bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen Arm
+streichelt sie und sagt: »Armer Nachbar.«
+
+Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber was tut er? Er zittert und
+rückt von ihr weg und stöhnt: »Laß man, mir hilft keiner mehr.«
+
+»Gott wird helfen!« sagt sie, wie man sagt: »Guten Tag« und »Guten Weg«.
+
+»Auch Gott hilft mir nicht,« schluchzt er und ringt die Hände. »Ich hab'
+zu ihm gebetet bei Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung von
+mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.«
+
+»_Ich_ werd' für dich beten,« sagt sie. Sündigen möcht' sie viel lieber,
+aber man muß doch so tun.
+
+Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie der Hungernde den Knochen,
+den man zum Fenster hinauswirft.
+
+»Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn du mir eine große Gnade antun
+willst, dann laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott mich dann
+hört.«
+
+Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor und das von Jons, und jeder
+schlägt auf, und sie beten und beten.
+
+Und siehe da! Immer frömmer wird ihr zumute. Sie denkt an die
+schlafenden Kinderchen draußen und an den Mann, der sich abschindet von
+früh bis spät, und bald begreift sie gar nicht mehr, daß sie eine so
+große Sünde hat begehen wollen.
+
+Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben, sagt sie: »Nun, Nachbar, fühlst
+du, daß es dir hilft?«
+
+Er schüttelt bloß den Kopf.
+
+Sie denkt: »Aber mir hat es geholfen.« Und nun -- ganz aufrichtig
+gesonnen -- redet sie ihm gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den
+Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die Kinderchen sind noch so
+klein, und der Jons hat sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht
+recht ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später einmal anders
+werden, so daß sie sich dann wegen des Unrechts nicht mehr so zu schämen
+braucht. Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken anfängt und sie
+schlägt oder so. Dann würd' sie sich kein Gewissen draus machen.
+
+Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner Mütze und sagt im Gehen: »Ich
+werd' also warten.«
+
+Und sie denkt: »Schade! Aber wer weiß, wozu es gut ist?«
+
+
+ 10
+
+Wenn _das_ Überschwemmung ist, das läßt sich ertragen!
+
+Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter Wasser, auch ist der
+Knüppelweg zur Chaussee an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich in
+der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von neuem kneten lassen.
+Aber schließlich -- zu seinem Vergnügen lebt man nicht im Moor, und
+alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über Hof und Gräben legt man
+Bretter, und der Estrich wird wieder glatt gewalzt.
+
+So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal gewesen, und die Erdme denkt
+nicht mehr mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit denen der alte
+Raubmörder einst ihre Hoffnungen vergiftete.
+
+Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die scheinen ungern davon zu
+sprechen, und darum unterläßt sie es. -- -- --
+
+Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man stark genug ist, noch
+weitere Sprünge zu machen. Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite
+Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall gebaut werden. Der Abschlag
+am Giebelende reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn die
+Mastferkel an den Pfosten herumwühlen, so daß an manchem Morgen das
+ganze Dach der Kuh auf dem Rücken liegt.
+
+Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird, ist zu bezweifeln. Und da
+zu gleicher Zeit wegen der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem
+Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man vielleicht aus dem
+Raiffeisenverein ein Darlehen von ihm erlangen.
+
+Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April stellen sie die Lampe hoch,
+verstecken die Streichhölzer, schließen die Kinder ein, und dann gehen
+sie zum Moorvogt.
+
+Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf sein großes Buch auf.
+Ach, dieses fürchterliche Buch! Je länger er darin liest, desto
+zittriger werden der Erdme die Beine, denn die Ulele hat ja einmal
+gesagt -- -- man wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt hat.
+
+Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie damals, und endlich macht er
+den Mund auf.
+
+»Also alles in allem geht es euch gut?« fragt er.
+
+Nun möchte ich den Landmann sehen -- ob litauisch oder deutsch, ob Bauer
+oder Graf --, der auf eine solche Frage mit einem schlichten Ja
+geantwortet hätte.
+
+Sie fangen also alle beide fürchterlich zu klagen an. Die Nachtfröste im
+vorigen Herbst -- und die verschorften Kartoffeln -- und die
+wartungsbedürftigen Kinder -- und die Überschwemmung noch jüngst!
+
+»Was wißt ihr von Überschwemmung!« sagt er, und ein bitteres, ein fast
+verzagtes Lächeln fliegt über sein starkes Gesicht.
+
+»Jedenfalls geht es euch so gut,« fährt er fort, »daß ihr eine
+erhebliche Vergrößerung eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es
+kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe euch natürlich im Auge
+behalten. Das zweite Hektar ist euch bewilligt, und auch für das
+Darlehen werde ich eintreten. Nur -- nur --« er stockt und sieht sie
+wieder an, »nur scheint mir, daß ihr noch von der Bauzeit her dies und
+jenes in Ordnung zu bringen habt.«
+
+Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen Blick zu. Was kann er nur
+meinen?
+
+Und er sieht sie immer weiter an mit starren, bohrenden Augen, als ob
+sie splinterfasernackig vor ihm stünden.
+
+»O Gott, o Gott!« denkt die Erdme. Denn _was_ hat die Ulele gesagt?
+
+Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich am Abend ihrer Trauung
+im Matzicker Chausseegraben gegeben haben. Ach, wie bald ist das
+vergessen gewesen!
+
+»Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,« fährt der Moorvogt fort.
+»Geht also nach Hause und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß ich
+Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht früher.«
+
+Damit sind sie entlassen.
+
+In stolzer Hoffnung waren sie gekommen. Stillschweigend, mit gesenkten
+Köpfen gehen sie wieder heim.
+
+»Allwissend ist Gott allein,« denkt die Erdme.
+
+»Hier hilft bloß eines,« sagt schließlich der Jons, »daß wir nun doch
+noch unter die Gebetsleute gehen.«
+
+»Warum?« fragt die Erdme. »Wir sind ja fromm genug.«
+
+»Wenn man unter die Gebetsleute geht,« sagt der Jons, »kann man seine
+Sünden bekennen und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein Schade
+erwächst.«
+
+»Gutmachen kann man auch so,« sagt die Erdme. »Wozu noch erst viel
+bekennen?«
+
+»Das ist nicht das Richtige,« sagt der Jons.
+
+Sie beschließen also, den frommen Taruttis zu besuchen und zu sehen, ob
+es lohnt, sich in die Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen.
+
+Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden.
+
+»Ich habe schon oft gebetet,« sagt er, »daß ihr den Weg zum Heile finden
+möget, und nun ist mein Gebet erhört.«
+
+So mager und so sanft sieht er aus wie ein Sendbote des Herrn. Und seine
+Augen leuchten wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die Taruttene, die
+ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt. Sie ist nun ganz hutzlig geworden und
+will gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon gar nicht mehr aus.
+Aber er beruhigt sie. Damit habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit.
+Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt werden. Und bei dem
+öffentlichen Bekenntnis werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen um
+Vergebung anflehen. Das habe noch immer geholfen.
+
+Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben es zwar oft schon mitgemacht,
+aber nun sie selbst daran glauben müssen, wird es ihnen doch
+fürchterlich sauer.
+
+Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier auf den Tisch, macht eine
+römische Eins und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt die Erdme das
+Wort und sagt: »Damit das Bekenntnis ganz vollständig wird, wollen wir
+uns vorerst im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen. Sonst könnte es
+geschehen, daß etwas fehlt, und das würden wir uns niemals verzeihen.«
+
+Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer Bestrebungen und ladet sie zu
+der nächsten Versammlung. Und dann gehen sie heim.
+
+»Nein,« sagt die Erdme entschieden, »damit die Leute hernach mit Fingern
+auf uns weisen: >Da seht das verstohlene Pack<. Das könnte mir passen.«
+
+Der Jons meint zwar schüchtern, man könne das Bekenntnis so undeutlich
+sprechen -- besonders wenn man zu zweit ist --, daß niemand was Rechtes
+versteht. Aber die Erdme bleibt fest. »Unsere Kinder sollen einmal in
+Samt und Seide gehen,« sagt sie, »für die muß vorgesorgt werden.«
+
+Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis. Der Mann, dem sie die
+Saatkartoffeln ausbuddelten, bekommt die erste Nummer. Und dann folgt
+eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten. Wem zum
+Beispiel sollen sie das Heu für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel
+der Nacht aus den fahrenden Fudern zupften? Oder: Wem hat der Jons
+Schaden getan, als er mit dem Abgebrannten wegen der Türen und Fenster
+den heimlichen Handel abschloß? Denn was eine Versicherungsgesellschaft
+ist, wer kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste: die
+Veruntreuungen auf dem Holzplatz, auf dem der Jons ja heute noch
+arbeitet! Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen. Gar manchem,
+der eine offene Hand hatte, ist beim Verladen eine oder die andere
+Planke mehr auf den Wagen geschmissen worden. Und der Aufseher hat dann
+den Rüffel gekriegt.
+
+Schlimme Sache! Schlimme Sache!
+
+Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons bringt Postanweisungen und
+Linienpapier, und nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen, gerade
+so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten eintreten wollten ... Und
+das tun sie aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse
+werden von den Deutschen mit Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht
+aufgenommen und niemals weiter verfolgt. Aber in zweifelhaften Fällen
+vermeiden sie der Sicherheit halber, ihre Namen anzugeben.
+
+Einer der Briefe lautet so:
+
+»Wehrter Herr Hahn!
+
+Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich eretet hat aus allen meinen
+Sünden. Bezeugt mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um mit Gott
+und Menschen ins reine zu komen, soll ich mihr reinigen wie auch der
+Herr Jesus rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch Ihnen währent
+meinem Hausbau beschädigt habe indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich
+biete um Vergebung der Schuld, das sie mir nicht vor dem Throne Gottes
+verklagen wirde. Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten
+Matirials. Der liebe Gott ist selber Richter und weis am bästen den Weg.
+Er hat meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete nochmals um
+Verzeihung und vergebung der Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und
+mein Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr Jesus hat mir schon
+vergäben, als er am Kreuze auf Golgatha das Wort ausrief Es ist
+volbracht.
+
+ Achtungsvol
+ J. Baltruschat.«
+
+Und ein anderer lautete so:
+
+»Hochgerter Herr!
+
+Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens mich mit meinem Gott
+versähnen wolte, fand ich unter den verbannten Gegenstenden, das ich
+mich auch an Ihnen vergangen habe. Zwar glaubte ich früher das wen man
+von einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine Sünde ist. Komme
+daher ihnen dankbar um Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind. Ich
+befand mich vor langer Zeit bei meinem bauen in großer Verlegenheit und
+da ging ich hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm gleichwie es Gott
+gefiel. Daher sände Sie gefälligst 10 Mark. Biete wenn möglich um
+Sündenvergebung.
+
+ Hochachtend
+ ein Nachbar.«
+
+Diese beiden Briefe, den frömmeren und den weltlicheren, nehmen sie sich
+zum Muster und richten danach die übrigen ein.
+
+So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen genau die Beträge, die
+sie den Empfängern schuldig sind.
+
+Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht, um zu erfahren, an wen er sich
+wegen des Ersatzes zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen Hause.
+Dessen Türen und Fenster sind tausendmal schöner als die, die er damals
+beiseite geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich, als er aber hört,
+daß Jons zu den Gebetsleuten gehen will, sieht er gleich ein, daß es
+sein muß, und gibt ihm genaueste Auskunft.
+
+So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig, denn das Ziegenheu kann
+auch von selber gefallen sein. Aber das Holzgeschäft!
+
+»Das deutsche Schwein kann Wind auf dich kriegen und zeigt dich am Ende
+noch an,« warnt die Erdme. »Selbst ohne Unterschrift kann es dir
+schlecht gehen.«
+
+Das sieht er auch ein und schreibt darum zur Sicherheit den Namen eines
+anderen Arbeiters, der vor kurzem nach Rußland zu den Holzfällern
+gegangen ist und der ebenso gemaust hat wie er. So reinigt er zugleich
+auch dessen Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen werden muß.
+
+Als die Briefe und die Postanweisungen weg sind, wird ihnen beiden sehr
+wohl zumut. Die Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert, aber
+statt dessen hilft ja der Moorvogt.
+
+Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der nächsten Versammlung der
+Gebetsleute das Sündenbekenntnis ablegen sollen.
+
+So kommt der Sonntagnachmittag heran. Sie sitzen vergnügt vor der Tür.
+Er raucht seine Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die Kinder
+spielen um sie herum. Da hören sie mit einem Male einen feierlichen
+Gesang.
+
+»Es wird ein Begräbnis sein,« meint die Erdme.
+
+Aber der Gesang kommt immer näher, und was sehen sie? Der fromme
+Taruttis und zwei andere fromme Männer gehen zwischen den Kartoffeln
+geradeswegs auf sie zu, und jeder hält sein Gesangbuch in der einen Hand
+und sein Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze hat keiner auf.
+
+O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen können sie nicht, und Ausreden
+haben sie auch nicht.
+
+Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie willkommen und fragt, ob er
+den werten Gästen vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er doch
+wissen muß, daß die Erleuchteten geistige Getränke nicht zu sich nehmen.
+
+Der fromme Taruttis tut, als hat er die Frage gar nicht gehört, und
+sagt: »Teurer Bruder und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens ist
+da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan! Folget uns nach
+Jerusalem, wo ihr alsbald in weißen Kleidern dastehen werdet zur rechten
+Seite des Herrn.«
+
+Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen ist, will richtig schon gehen,
+aber die Erdme hält ihn gerad' noch am Ärmel.
+
+»Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten Gäste,« sagt sie und macht ein
+scheinheiliges Gesicht, »seit wir unseren Entschluß kundgetan haben,
+prüfen wir uns unaufhörlich, aber es will uns gar keine Sünde einfallen.
+Nun müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht vor euch zu
+erscheinen, wo doch ein jeder sonst sein Bündelchen auspackt. Darum
+lasset uns Zeit, ein Monatchen oder ein Jahrchen -- oder noch mehr,
+damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen. Vielleicht sündigen
+wir inzwischen auch noch was Neues, und das ist dann gleich ein
+Abwaschen.«
+
+So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis auch sein mag, -- daß diese
+freche Person sich lustig macht, das sieht er doch ein.
+
+»Warum seid ihr denn zu mir gekommen?« fragt er sie ganz verdutzt.
+
+»Ihr seid ja auch zu uns gekommen,« gibt sie zur Antwort.
+
+Darauf wissen die frommen Männer nichts zu erwidern und heben sich
+wieder von hinnen. Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben,
+dorthin, wo das Brett 'rüberführt.
+
+Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die beiden Kleinen im Arm hat
+und liebkost.
+
+Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste hinter den Weggehenden her
+und ruft ganz laut:
+
+»Meinen Töchtern die Heirat verderben, das wär' euer ganzer Segen, ihr
+Schufte!«
+
+Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte er gedacht, daß sein Weib so
+böse sein kann.
+
+
+ 11
+
+Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas wie Frieden gekommen. Er weicht
+der Erdme nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie der kranken
+Frau beispringt, und kommt herüber, so oft es nottut. Ohne ihn wäre der
+Stall gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel prächtiger als das
+Wohnhaus und bietet Platz für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar --
+der Himmel bewahr' uns vor Hochmut! -- sogar für ein künftiges Pferd.
+
+Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es nie so weit bringen wird. Um
+so eifriger ist er darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen.
+
+Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein Werk. Eine Holländerin ist sie,
+wollstirnig mit einem schwarzen und einem weißen Auge. Und Milch gibt
+sie -- man schämt sich zu sagen, wieviel Milch sie gibt, aber die an der
+Ablieferungsstelle, die wissen's.
+
+Jetzt kommt des Abends schon manchmal Butter auf den Tisch, und die
+Kleinen trinken frische Milch, soviel sie nur mögen.
+
+Im Frühling des fünften Jahres geschieht das Große, daß Jons seine
+ständige Arbeitsstelle aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht mehr,
+selbst wenn er die Freistunden noch so sehr ausnutzt.
+
+Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied zehn Mark und eine Kiste
+Zigarren wegen der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im Gegensatz
+zu anderen, die sich jetzt in Rußland herumtreiben.
+
+Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff genommen werden, zumal der
+am frühesten urbar gemachte Boden für Roggen bald reif ist.
+
+Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück Wiese dazu und verspricht sogar,
+den Jons bei der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab und zu in der
+Wirtschaft zu still wird.
+
+So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt da wie ein blühendes
+Kleefeld.
+
+Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten Beine hebt und senkt,
+daß der federnde Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das schwarze
+Wurzelwerk unter den Streichen der Hacke zerblättert, als wäre es
+Torfgrus, dann ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen, um
+ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt in lauter Wohlsein die starke
+Brust dem Gelingen entgegen.
+
+Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber ringsum sitzt Kummer genug. Von
+der hinfälligen Frau des Witkuhn gar nicht zu reden. Die wird sich
+vielleicht noch Jahre so schleppen, ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben
+ihr lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig von Gliedern und schafft
+auch, aber in ihrem Innern scheint sie noch kränker als jene.
+
+Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche Antwort, wenn man sie fragt,
+und ihre Brust hat nicht Milch für die Kinder.
+
+»Was ihr fehlt, weiß ich lange,« sagt der Nachbar Witkuhn. »Die
+Moorkrankheit hat sie.«
+
+Die Erdme fragt, was das ist.
+
+Und er sagt: »Die Moorkrankheit kommt wie durch ein Gift, das aus dem
+Boden aufsteigt. Niemand weiß, wie es aussieht, und kein Doktor hat es
+gefunden. Es ist da und ist auch nicht da. Wie man will. Den einen wirft
+es nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für den, der daran krankt,
+gibt es nur eine Rettung: 'raus aus dem Moor, rasch 'raus, ohne sich
+umzusehen. Aber für die meisten ist es zu spät.«
+
+Was die Erdme einst der Ulele versprochen hat, das hält sie getreulich.
+Sie steht der gemütskranken Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht bei
+der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des Sonntags oder zum Feierabend
+-- denn Feierabend gibt es schon manchmal -- geht sie hinüber zu ihr,
+legt den Arm um ihre Schulter und sagt: »Komm, Nachbarin, wir wollen uns
+was erzählen.« Und sie führt sie die Sandnase hoch und in das
+Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke Frau am liebsten, denn es gemahnt
+sie an die verlorene Heide, von der sie herstammt.
+
+Und dann seufzt sie und weint: »Ach, meine Heide, meine Heide!«
+
+Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht machen. »Ich bin ja auch
+von der Heide zu Hause,« sagt sie, »und weiß: schinden tut man sich dort
+nicht weniger als hier. Auf dem Sand gedeiht nicht einmal Roggen, und
+der Hafer sieht aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten -- na ja
+-- die stehen ja dort höher. Aber Schatten geben sie auch nicht. Und
+vorwärts kommt man hier besser als dort.«
+
+»Aber wenn dort das Heidekraut blüht,« sagt die Frau und starrt
+sehnsüchtig ins Weite, »und alles ist rot von lauter Blumchen, und die
+Hummeln singen drum 'rum, und die Luft ist warm, und unter dem Kadig
+liegt man geborgen so wie im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im
+August und ist stets am Versinken. Vier Wochen sind's her, da ist mir
+mit einmal der Herd eingesunken -- vor meinen sehenden Augen ist er
+gesunken.«
+
+»Dann ist er eben zu schwer gewesen,« tröstet die Erdme, »man muß ihm
+einen besseren Untergrund schaffen.« Und um die Frau aufzuheitern,
+erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen, rotbärtigen Doktor, der
+immer kleiner und kleiner wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem
+Leibe versanken.
+
+Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit anrichtet, sie hätte es
+lieber _nicht_ getan. Als sie das nächste Mal mit der Frau
+zusammenkommt, da krallt die sich an ihr fest und sagt: »Stell dir vor,
+Nachbarin, jetzt kann ich des Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich
+muß immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir wegsinken, und das ganze
+Bett versinkt, und ich versink' mit.«
+
+In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel ein, das der Nachbar Witkuhn
+die einzige Rettung genannt hat, und sie entschließt sich, die
+verängstigte Frau langsam an den Gedanken des Weggehens zu gewöhnen.
+
+Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist.
+
+Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie keine, trinken tut er auch
+nicht, aber -- und nun legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr --
+»aber er wartet schon«.
+
+»Worauf wartet er denn?« fragt die Erdme.
+
+Da macht die Frau die Augen weit auf -- die richtigen Unglücksaugen
+macht sie -- und sagt ganz leise ihr großes Geheimnis: »Er wartet schon
+auf die Vierte.«
+
+»Woher weißt du das?«
+
+Sie weiß es nicht, aber das fühlt man.
+
+Die Erdme wird dreister. »Da kannst du ihm aber behilflich sein,« sagt
+sie.
+
+»Womit?«
+
+»Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich 'raustragen. Dann bist du
+das Moor los und gehst auf die Heide.«
+
+»Und die Kinder?«
+
+Natürlich die Kinder! Als ob es für alles, was Mutter ist, einen anderen
+Gedanken gäbe.
+
+»Die nimmst du mit.«
+
+»Und dann?«
+
+Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie mitgekriegt hat, die stecken
+hier in der Wirtschaft. Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie
+nun wiederkommt -- ohne einen Groschen und ein Kind an jeder Hand, --
+wer wird sie aufnehmen? Betteln kann sie gehen.
+
+Die Erdme denkt: »Wenn das Herz ihr nicht längst gebrochen wär', würd'
+sie schon durchkommen.«
+
+Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt! Auch die gehört zu den
+meisten, für die es zu spät ist.
+
+Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und denkt: »Dann werd' ich sie
+also zu Tode trösten.«
+
+Und das hat sie auch redlich getan. Ein Lungenhusten ist gekommen, und
+die Frau ist schwächer und schwächer geworden. Und erst, als gar
+nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken war als der, der auf den
+Kirchhof führt, da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne gemacht. Der
+Smailus werde verkaufen, ihr zuliebe werd' er verkaufen -- genau so ist
+der Smailus! --, dann werden sie auf die Heide ziehen, und sie wird sich
+unter den Kadigbusch legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist -- und
+dann wird sie schlafen und schlafen -- alle Angst und alle Müdigkeit
+wird sie ausschlafen.
+
+Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber es hat doch noch zwei Jahre
+gedauert. -- --
+
+In der Nacht nach dem Tode, so gegen Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an
+Baltruschats Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus ist da und
+weint dicke Tränen. Es ist ihm so graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht
+behalten möchten bis gegen den Morgen.
+
+»Da hast du's, Nachbar,« sagt die Erdme. »Erst konntest du's nicht
+erwarten, und jetzt tut es dir weh.«
+
+»Es ist nicht ums Wehtun,« sagt er, »aber ohne Frau kann man nicht sein.
+Wer wird mir jetzt die Schweine futtern und die Kuh?«
+
+»Ich denk', die hast du schon lange gefuttert,« sagt die Erdme.
+
+»Das ist richtig,« sagt er, »aber sie war doch da.«
+
+Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps nach dem anderen. Und
+langsam wird er beredt. Was man beim Nachbar Smailus so nennen kann.
+
+»Ich darf mich ja nicht beklagen,« sagt er, »denn das Sprichwort heißt:
+>_Der_ Bauer hat Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen sterben.<
+Pferde hab' ich ja keine, aber von Frauen ist mir nun schon die dritte
+gestorben. Also hab' ich doch Glück. Aber so was ist leicht gesagt. Denn
+wo krieg' ich nun gleich die Vierte her?«
+
+»Damit hat's ja noch Zeit,« tröstet die Erdme. »Laß sie doch erst unter
+der Erde sein.«
+
+»Nein, damit hat's keine Zeit,« entgegnet er. »Die Trauerfrist werd' ich
+schon abwarten. Das versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen. Und
+so eine, wie meine Dritte war, die findet sich nicht leicht. So sanft
+von Gemüt, und dreihundert Taler. Die hat mir auch noch die Ulele
+besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?«
+
+»Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,« sagt die Erdme. »Die hat ja
+noch unlängst Wein geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.«
+
+Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt, die Ulele, aber die
+Ölsardinen haben der Erdme den stärksten Eindruck gemacht -- in
+Erinnerung an den Glanz ihrer Mädchenzeit.
+
+Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten Tage eine Depesche zu
+schicken. Berlin ist ja weit, aber denkbar wär's immerhin, daß sie käme.
+
+»Wieviel kostet so eine Depesche?« fragt der Smailus. Und ob er
+womöglich auch noch die Reise bezahlen muß.
+
+Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die Depesche werde sie auslegen und
+sich später von der Ulele entrichten lassen. Was aber die Reise belangt,
+so sei die ohnehin viel, viel zu teuer für ihn.
+
+Da willigt er ein und gibt auch gleich den Umschlag mit ihrer Adresse.
+
+Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele.
+
+Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof zu Heydekrug ankommt, da
+steigt sie aus einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt eine
+Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht so eine Dame! Ganz in Schwarz mit
+langem Schleier und noch einem Schleier und noch einem Schleier. Nie im
+Leben hat die Erdme so viele schwarze Schleier gesehen.
+
+Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich sie den Wagen selber
+kutschiert, der die Nachbarstochter heimfahren soll. Die muß erst kommen
+und sie in die Arme schließen. Und das tut sie vor allen den Leuten und
+schämt sich nicht im geringsten.
+
+Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt nicht mehr an die tote
+Nachbarsfrau, nicht an den Sarg, nicht ans Begräbnis -- wo sie doch
+selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist wie ein hilfloses
+Kind, -- sie sieht bloß die Ulele.
+
+Der Inbegriff von allem, was sie hat werden wollen und nicht geworden
+ist, das Abbild, das Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der
+Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben, das Feinste, das Höchste
+auf und über der Erde, Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin
+des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter, keine Kellnerin kann
+so schön sein wie die Ulele.
+
+Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man solch eine Dame Litauisch
+sprechen gehört. Es geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch
+Litauisch.
+
+Sie fragt gleich nach allem: »Wo ist der Vater? Wer macht den Sarg? Wer
+trägt mir Koffer und Kranz auf den Wagen?«
+
+Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig Lilien, und es ist doch noch
+Winter.
+
+Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann zu fahren, um den Sarg
+zu besehen. Und zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation
+wegen des Leichenschmauses.
+
+Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und alles ist da.
+
+Das ist die Ulele.
+
+Aber stolz ist sie eigentlich nicht.
+
+Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat sie all ihre Schleier abgetan
+und sieht nun in dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel anders aus
+als eine Deutsche auf dem Szibbener Kirchhof.
+
+Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das tut, da sagt sie: »Ich bin
+ein dummes Kalb gewesen. Ich hab' mich von euch bewundern lassen wollen,
+und darum hab' ich mir all das Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm' ich
+mich recht vor eurem bißchen Armut.«
+
+Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die gelben, knöchernen Hände
+und sagt: »Die hab' ich allein auf dem Gewissen.«
+
+»Wieso?« fragt die Erdme.
+
+»Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und nur auf mein Zureden ist sie
+gekommen.«
+
+Während der Leichenfeier hält sie die Kinder auf dem Schoß und wischt
+ihnen die Näschen, aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in seinem
+Kummer nicht nach hinten geht und zu viel trinkt. Und jedem der Gäste
+schenkt sie ein Stückchen Seife.
+
+Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch weitere acht Tage, ist
+aber selten zu sehen. Und wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich
+immer steckt, da gibt sie zur Antwort: »Ich muß doch den Kindern eine
+Mutter besorgen.«
+
+Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und setzt sich mit der Erdme an den
+Feuerherd.
+
+»Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich weiter gehen,« sagt sie. »Sie
+ist aus Pagrienen und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas Geld
+hat sie, und das übrige leg' ich zu. Aber das darf der Vater nicht
+wissen. Damit er sie richtig in Ehren hält.«
+
+»Du bist wohl sehr reich?« fragt die Erdme bewundernd.
+
+Sie lächelt und sagt: »Eigentlich bin ich ärmer als ihr, nur bei euch
+hat das Geld einen anderen Wert.«
+
+Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze Geschichte.
+
+Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es einmal in ihrem Kopf
+entstanden war. Hat die Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die
+Verwaltung und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren Geschäftsleiterin in
+einer Seifenfabrik. Daß es kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen
+war, sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied.
+
+»Und wird Er dich heiraten?« fragt die Erdme begierig, denn sie hat
+jedes Wort im Gedächtnis behalten.
+
+Die Ulele macht den Zeigefinger naß und streicht sich über die
+Augenbrauen. Das tut sie oft, wenn sie nachdenkt.
+
+»Das geht nicht so leicht, wie man sich's vorgestellt hat,« sagt sie und
+lächelt. »Denn meistens ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar
+noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann begnügt man sich gerne
+damit, daß Er manchmal abends zu einem kommt und bis Mitternacht bleibt.
+Dann muß man Ihn heimschicken, damit die Frau nicht Verdacht schöpft.«
+
+»Aber Er gibt dir doch, was du willst?« fragt die Erdme mit blitzenden
+Augen.
+
+»Was ich will, gibt Er mir schon,« sagt die Ulele. »Aber viel darf es
+nicht sein, damit die anderen nicht denken, daß man sich 'rumtreibt.«
+
+Das begreift die Erdme nicht recht. Sie würde gegrapscht haben ohne
+Unterlaß, ohne Bedenken. So was versteht sich von selber.
+
+»Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter da,« fährt die Ulele fort,
+»der mich durchaus heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen und
+niemand. Darum muß man immer hübsch einfach sein. Nun ist die Frage:
+soll ich darauf hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt, oder
+mach' ich mit diesem ein Seifengeschäft auf? Das erstere wäre mir
+lieber, denn dann bliebe ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an
+zwei Männer -- das ist mir zuviel. Und schließlich kommt's einmal 'raus,
+und die ganze Blase platzt auseinander. Ich werd's aber trotzdem wohl
+tun, denn ich lieb' die Fabrik wie mein Kind.«
+
+»So hast du also doch durch das Mannsvolk dein Glück gemacht,« sagt die
+Erdme mit Stolz.
+
+Die Ulele schüttelt den Kopf. »Dann sieht die Geschichte ganz anders
+aus,« sagt sie. »Stöckrig bin ich geblieben, und Busen hab' ich richtig
+auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist, reden wir vom Geschäft
+viel mehr als von Liebe. Durch Tätigkeit hab ich's gemacht und durch
+Nachdenken, -- aber natürlich: das Mannsvolk muß mithelfen, sonst bleibt
+man im Mustopf.«
+
+Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt auch die Kinder. Und jedem
+schenkt sie ein Stückchen Seife, die riecht noch schöner als die beim
+Begräbnis.
+
+An demselben Abend, nachdem Erdme die Kinder zur Ruhe gebracht hat,
+kniet sie an ihren Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem
+Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso fein und ebenso vornehm
+werden sollen wie die Ulele, die jetzt Adele heißt.
+
+Und die sollen _gerade_ durch das Mannsvolk ihr Glück machen.
+
+
+ 12
+
+Von der Katrike und der Urte hab' ich noch gar nichts erzählt.
+
+Die sind nun schon längst zwei große Mädchen, gehen in die Schule und
+lernen ein vornehmes Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch
+Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite Welt hinaus, dorthin,
+wo die Menschen nicht einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist
+unerbittlich, wenn sie das »h« nicht aussprechen können, und wie sie's
+endlich gelernt haben, da verwechseln sie »Ecke« und »Hecke« und sagen
+»der Uhn at Heier gelegt«. Und manchmal weiß die Erdme es selbst nicht.
+
+Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was Besserem geschaffen sind,
+als sich hier von dem Moorschlamm die Beine verderben zu lassen, denn
+das Moor beizt und macht Schrunden und Risse. Darum sollen sie in den
+Kartoffeln nur arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt. Am
+liebsten schickt sie sie in die Wiese. Dort dürfen sie auf den Heuhaufen
+liegen und den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt. So wie die
+Schwalbchen werden sie auch einmal in andere Gegenden ziehen, aber
+heimkehren zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür sind sie zu schade.
+
+Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit nach Kräften. Sie treiben
+sich weit und breit im Moore herum und entdecken allsommerlich neue
+Gebiete.
+
+Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert, wird nicht leicht glauben,
+wieviel es darin zu entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein
+Birkengebüsch -- von fern sah es nach gar nichts aus, aber steckt man
+die Nase hinein, dann ist es voll von heimlichen Wundern. Rauschbeeren
+wachsen darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man sie gern, denn
+sie schmecken noch schöner als die Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie
+machen die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt und einschläft. Und
+der ledrige Porst treibt Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch
+besser als in dem kitzelnden Heu.
+
+Und manchmal findet man Blänken und Teiche -- nicht die viereckigen mit
+dem kohlschwarzen Steilrand, die durch Torfstechen künstlich gemacht
+sind -- o nein doch -- diese hier stehen seit Erschaffung der Welt und
+stechen von weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die einer im
+Sonnenlicht hin und her dreht.
+
+Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel zu Humpel muß man springen,
+sonst versinkt man womöglich im Schlamm, und wer einen dann noch
+herausholt, wie kann man das wissen? Aber ist man erst da, dann hat man
+Freude genug. Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp, wie Knäuel von
+Schlangen durcheinandergewunden. Darin klettert man 'rum und genießt das
+eigene Fürchten. Und noch was weit, weit Schöneres gibt es. Das ist der
+Rasen, der in das Wasser hineinwächst und auf dem man sich schaukeln
+kann, noch lustiger als zwischen zwei Birken. Aber fix muß man sein und
+das Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben auf, und will man
+verweilen, dann sinkt er schwer in die Tiefe. Auch sind seine Ränder
+sehr böse gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit er hält. Mit einem
+Male kann das Wasser an einem hochspritzen, und wie man dann 'rauskommt,
+das weiß man noch weniger.
+
+Aber das macht nichts. Bisher hat man sich immer gerettet. Zwei so'nen
+Moorkröten wird das Moor doch nichts tun. Das wär' ja noch besser.
+
+Im Winter freilich ist's schlimm -- wenn man zur Schule muß und der
+Frost durch die Handschuhe durchbeißt, als wären sie leinene Lappen. Und
+in den Schlorren erfrieren die Füße. Da muß die Mutter zur Nacht
+Terpentin auflegen. Das brennt wie das höllische Feuer.
+
+Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn man die Hand vor den Augen
+nicht sieht und vom Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und plötzlich
+im Schnee steckt bis über die Achseln.
+
+Dann möchte man wohl gerne zu Hause bleiben wie die anderen, deren
+Eltern ein solcher Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig
+die Mutter sonst wohl auch ist, hierin kennt sie kein Mitleid.
+
+»Die Schule _muß_ sein,« sagt sie, »denn wenn sie nicht lernen, können
+Besitzerstöchter niemals ihr Glück machen.«
+
+Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens und abends und bei
+jeder Gelegenheit. Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug ihrer
+Geburt erinnert werden als sie. Auch daß sie einmal in Samt und Seide
+gehen werden, wissen sie längst und putzen zunächst an den Lumpen herum,
+die zum Schulgang immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke sind fein
+-- bunter Kattun aus dem Hoffmannschen Laden, mit weißen Spitzen besetzt
+-- dreißig Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben sie auch und
+Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter selber bestickt.
+
+Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur wenn sie mithelfen sollen und
+die Mutter meint, sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich
+auf. Und dann muß sie klein beigeben. Wer weiß, ob er ihr sonst nicht
+eins überrisse.
+
+Vom Vater wissen sie wenig. Meistens hockt er des Abends stumm auf der
+Ofenbank, oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann nimmt er ein
+Blatt Papier vor und rechnet.
+
+Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun.
+
+Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und damit der Höchststand
+erreicht. Das Pferd ist auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und
+bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist eine braune, struppige
+Kragge mit Spatbeinen und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin
+achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen. Darum läuft es trotz
+seiner vierzehn Jahre noch immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem
+Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen mit einem
+Lehnensitz, man könnte sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen.
+
+Aber solche Sprünge machen wir lange noch nicht. Wir sammeln Pfennig für
+Pfennig und tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß das Pracherhaus
+heruntergerissen und statt seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es
+die Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete, mit Kachelofen und Dielen
+unter den Füßen.
+
+Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie es geht, und steckte das
+Gekrassel dann an. Aber zwischen Versicherung und Brand müßten
+anstandshalber zwei Jahrchen liegen oder auch drei, sonst steigt einem
+womöglich der Staatsanwalt auf den Puckel. Versichern kann man ja
+immerhin schon des Stalls und des Viehzeugs wegen, das immer besser
+gedeiht und das auf dem Markte Preise kriegt, wie man sie niemals
+geträumt hat.
+
+Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin vorwärts kommt und der liebe
+Gott seine Hände sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu hüten!
+
+Dann ist auch das Frommsein leicht, und die Kirchfahrt wird ein
+Vergnügen. Schon weil einen die Leute ansehen und sagen: »Das ist der
+Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei Töchtern. Der fing einmal ganz
+klein an und hat unlängst eine Belobigung bekommen für Mastvieh.«
+
+Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht mehr, und keiner geht
+jemals zu ihm.
+
+Bis endlich die Erdme sagt: »Ich muß ihm die Kinder bringen, damit er
+sieht, wer wir sind.«
+
+Und sie putzt die Urte und die Katrike aus, steckt ihnen Kämme ins Haar
+und Schleifen unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber.
+
+Er ist nun ein Greis, und die Taruttene pappelt wer weiß was.
+
+»Nachbar,« sagt die Erdme, »du hast uns einmal Obdach gegeben, als wir
+jung waren und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum kommen die Mädchen
+schön Dank sagen.«
+
+Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm die Hand, und die Katrike
+will nicht, aber sie muß.
+
+Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz übersinnig geworden. Er muß
+erst nachdenken, wer sie wohl sind, dann sagt er: »Ja ja -- ja ja. Der
+Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen Trachtens voll. Und keine Reue
+hilft und keine Demütigung und kein Gebet. Darum soll er sich züchtigen
+mit Geißeln und den Kopf im Staube bergen vor seinem Gott.«
+
+Die Erdme sagt gekränkt: »Wenn ich gewußt hätte, daß du so nachtragend
+bist, Nachbar, dann wär' ich nicht zu dir gekommen.«
+
+Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von neuem. Dann sagt er: »Es
+will mir scheinen, Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich, während
+ich doch nur mich selber im Sinne habe.«
+
+»Wieso?« fragt die Erdme verwundert.
+
+»Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr mich und meine gottgefälligen
+Freunde mit Kränkung von dannen gehen heißen. Da habe ich Lieblosigkeit
+gegen euch aufgesammelt in meinem Herzen und habe euch Übles antun
+wollen. Ich habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt hätte,
+hätte ich es auch nicht gekonnt, aber daß ich bösem Willen eine Herberge
+geben konnte in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde. Die bitte ich
+Gott ab, indem ich sie dir abbitte, Nachbarin.«
+
+Und da geschieht das Wunderbare: der arme alte Mann kniet mühsam vor ihr
+nieder und hebt die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat, ihn
+wieder hochzuziehen.
+
+Die beiden Marjellen aber lachen sich eins und machen, daß sie
+hinauskommen. Und wenn Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack
+spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß sie niederkniet und
+Abbitte leistet, sonst sei sie kein gottgefälliges Mädchen.
+
+Und dann vertragen sie sich und lachen immer aufs neue.
+
+Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht als der Baubau -- »der
+Baboszius«, wie die Litauer sagen -- durch ihre ganze Kinderzeit. Vor
+dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken.
+
+Das ist der alte Raubmörder drüben in der baufälligen Kate, der
+korbflechtend am Wege sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn sie,
+aus der Schule kommend, vorbeimüssen. Dann nehmen sie die Röcke zwischen
+die Beine, und heidi! jagen sie quer übers Moor -- über Kartoffeläcker
+und Gräben der schützenden Heimat entgegen.
+
+Und doch hat er ihnen nie was getan.
+
+Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein gütiger Onkel, bringt
+Gerstenzucker und Walnüsse mit und schenkt ihnen deutsche Bücher. Darin
+stehen Geschichten von Königstöchtern und Prinzen und anderen vornehmen
+Leuten, zu denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt immer noch
+und läßt sich von der Mutter betreuen. Aber ihnen sollte es einfallen,
+für fremde Leute Magddienste zu tun!
+
+Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike ließ' es nicht zu, denn
+warum so was Unnützes überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung.
+
+Die Frau des Smailus -- die vierte -- ist ihnen nicht grün und will kaum
+einmal, daß die Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze Person,
+die ihren Mann hält, als wär' er ihr Knecht.
+
+Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der Smailus bisweilen und klagt:
+»Was können die Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen, und die
+gestorbenen Frauen? Denn ich bang' mich so sehr nach der Dritten.«
+
+Und dann sagt die Mutter bloß: »Siehst du, Nachbar, da hast du's.« -- --
+--
+
+Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen Kopf und soll drum in der
+Fremde ihr Glück machen.
+
+Die Katrike wird nächstens zum Unterricht gehn. Sie wächst und wächst
+dem lieben Gott ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie »das
+Katzchen« genannt. Faul ist sie wie die Pest. Sie muß daher ein
+Rittergut haben. Und so ist alles aufs beste bestellt.
+
+
+ 13
+
+Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot! Wassersnot!
+
+Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser wird man doch noch aushalten
+können. Das ist doch fast in jedem Frühling so gewesen.
+
+Aber man hat erzählt, die Leute, die vom großen Strom herkommen, haben
+Vieh angebunden und Betten aufgeladen. In langer Reihe stehen die Wagen
+auf dem Rußner Chausseedamm, und vor der langen Brücke sollen sie
+aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter können. Der Heydekrüger
+Markt sei übervoll, und nirgends mehr geb' es ein Obdach.
+
+Die Erdme sagt zum Jons: »Sieh doch mal nach, was dran wahr ist.«
+
+Der zieht die langen Stiefel an und planscht drauf los.
+
+Der Hof steht unter Wasser. Das will am Ende nicht viel sagen. Der
+Knüppelweg steht auch unter Wasser, aber der Boden darunter ist noch
+steif gefroren. Man kann vom Fenster aus sehen, daß er fest hält. Wie
+der Jons marschiert, macht das Wasser spielende Wellchen über dem
+Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde es spritzen.
+
+Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen Nebel und scheinen so weit
+weg, daß man meinen könnte, sie seien aus einer anderen Welt.
+
+Alles ist still, und kein Windchen rührt sich, und die Dächer tropfen.
+
+Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen an. Die Kühe haben heute früh
+noch kein Heu gekriegt, und die Schweine quaksen.
+
+Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen: »Wir müssen abfuttern gehen.«
+Aber die wollen nicht 'ran, denn das Wasser ist naß.
+
+So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt die Röcke hoch und geht
+auf Klotzkorken nach dem Hof.
+
+Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind, schwimmen schon, und wenn
+man von einem zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur so in die
+Höhe.
+
+Aber man kommt doch noch hin.
+
+Den Schweinen geht das Wasser schon an die Läufe. Sie sind unruhig und
+fressen nicht. Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die kommt aus der
+Niederung und kennt den Dienst. Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die
+will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen, obwohl ihm die
+nasse Streu kein Vergnügen bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann,
+aber sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher legen, und dazu gehört
+eine Sommerarbeit von vierzehn Tagen.
+
+Sie will sich von den Tieren nicht trennen, läuft von einem zum anderen
+und klopft ihnen beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun.
+
+Da hört sie vom Wohnhaus her schreien: »Mamma! Mamma!«
+
+»Was ist?«
+
+»Das Wasser ist in der Stube!«
+
+Also zurück.
+
+Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr halten. Tritt man darauf, so
+gleiten sie seitwärts, und man sieht sich im Wasser bis über die Waden.
+Aber man kommt doch noch immer zurück.
+
+Richtig! Das Wasser steht in der Stube. Gar nicht wie ein Gast, der
+nicht hingehört. Hat sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann sich
+drin spiegeln.
+
+Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und sagen: »Wo sollen wir nun
+sitzen?«
+
+»Setzt euch auf den Tisch,« sagt die Erdme. Ihr sind die Beine wie Eis.
+Sie sucht einen Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den Kasten.
+Da ist das Wasser schon an den Kleidern hochgeklettert und hat alles
+verfeuchtet. So setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine an
+der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt ist noch worden. Das wärmt sie
+wieder ein bißchen.
+
+Die Marjellen haben sich richtig auf den Tisch gehuckt, wo das Frühstück
+noch 'rumsteht. Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie in die
+Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie zu träge ...
+
+Die Erdme will die Füße zur Erde sinken lassen, aber erschrocken zieht
+sie sie wieder zurück, denn das Wasser reicht auch hier schon bis über
+die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen Kartoffeln geschwommen
+und der Schmandtopf zum Buttern.
+
+Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da nun doch nicht gebuttert
+wird, so trinken sie ihn umzech aus, und jede freut sich an dem weißen
+Schnurrbart der anderen.
+
+»Mamma,« sagt die Katrike, »wenn wir hier 'raus müssen, wer wird uns
+dann abholen kommen?«
+
+»Der König wird einen Prinzen schicken,« sagt die Erdme, die sich zu
+ärgern anfängt.
+
+Und sie wollen sich schief lachen.
+
+Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe in dem Kleiderschrank auf
+dem Boden stehen und notwendig naß werden müssen.
+
+»Ach, Mamma,« sagt die Katrike, »du hast ja schon sowieso kalte Füße.
+Sei so gut und hol uns die Schuhe.«
+
+»Holt sie euch selber,« sagt die Erdme, die immer noch zittert.
+
+Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da die Katrike am Mittwoch zum
+Unterricht muß, so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß einen
+Stuhl bis in die Gegend des Schrankes. Auf dem Sitz kniet sie nieder und
+öffnet die Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst, und einer ist
+umgekippt, so daß beim Hochheben das Wasser im Bogen herausläuft.
+
+Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt erst ein Unglück geschehen
+ist. Wenn _die_ eine Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht!
+
+Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden.
+
+»Paßt auf, ob der Vater kommt,« sagt sie zu den Marjellen.
+
+Die kucken zum Fenster 'raus und sagen nach einer Weile: »Der Nachbar
+Witkuhn will das Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.«
+
+»Ist es schon so weit?« denkt die Erdme, und das Herz steigt ihr hoch.
+Doch dann gibt sie sich einen Stoß und springt von der Ofenbank 'runter.
+Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden, stundenlang -- sie
+wird auch das aushalten können.
+
+»Kommt mit in den Stall,« sagt sie.
+
+Die beiden glauben nicht recht gehört zu haben. Quer durch die
+Überschwemmung -- o pfui doch!
+
+»Dann ersauft meinetwegen hier,« sagt sie.
+
+Da leuchtet es ihnen schon eher ein.
+
+Draußen reicht das Wasser bereits bis an die Knie, und den Marjellen
+noch höher. Sie heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie doch.
+
+Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine drehen sich quiekend im
+Kreise, und die Kühe reißen ihr mit den Halftern die Hände wund. Nur das
+Pferdchen steht voll Ergebung und zittert.
+
+Mein Gott, und der Vater kommt immer noch nicht!
+
+Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter ihr -- naß bis gegen den
+Nabel.
+
+»Ich hab' mein Vieh dem Smailus mitgegeben,« sagt er. »Die Schweine sind
+in den Graben geraten und werden ertrinken. Eure kriegt ihr schon nicht
+mehr heraus.«
+
+»Was wird werden, Nachbar?« Sie ringt die Hände.
+
+»Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste, ihr schafft die Kühe hinauf.«
+
+Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben. Seit wann kann eine Kuh
+die Leiter hochklettern?
+
+»Bringt Säge und Schaufeln,« sagt er. »Auch Mistgabeln bringt, ich
+werd's euch zeigen. Dann muß ich 'rüber, meine Frau auf den Boden
+tragen. Die liegt im Bett und kann sich nicht rühren.«
+
+Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei Mistgabeln.
+
+»Draußen liegen Ziegel vom Bau her,« sagt er weiter, »die klaut aus dem
+Wasser und schafft sie herein.«
+
+Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt er jeder einen Stoß gegen
+den Hintern. Das hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die Ziegel, und
+die Katrike schimpft, sie wird sich erkälten.
+
+Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht auf dem Estrich aus, gerade
+unter der Luke, und dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte, die
+ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist zu staken an, der Kuh immer
+unter die Hufe, so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht.
+
+»So macht's weiter,« sagt er und schwingt sich hinauf durch die Luke.
+Deren Bretter sägt er ringsum entzwei und macht das Loch so groß, daß
+eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann.
+
+Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon gegen die Decke, aber unten
+weicht das Wasser die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will.
+
+»Stemmt Bretter gegen!« sagt er. Die Marjellen tun's. Nun sie naß sind
+bis gegen den Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das einzige,
+was sie vor dem Erstarren bewahrt.
+
+Die Schweine stehen auf den Hinterläufen und trippeln an der Wand
+entlang wie große Ratten im Käfig.
+
+Wer wird sie heben können? Denn um stille zu halten, sind sie zu dumm.
+
+»Manneskraft fehlt,« sagt der Nachbar. Dann, sich vor die Stirn fassend,
+stöhnt er leise: »Und sie liegt und kann sich nicht rühren.«
+
+Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber er bleibt. Es ist ja die
+Erdme, die ihn braucht.
+
+Und wie die Rotbunte eben schon oben ist, da steht der Jons mit einem
+Male da -- naß wie eine ertränkte Katze.
+
+»Ich hatt' einen Kahn beschafft für euch,« sagt er, »da haben die
+anderen mich 'rausgeschmissen. Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen, und
+ein Kind ist ertrunken. Von nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den
+Chausseedamm.«
+
+Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind starr. Nur ein Rucken zeigt,
+daß noch Leben in ihnen ist.
+
+»Nachbar,« sagt der Witkuhn, »die eine Kuh ist oben. Versuch's mit der
+anderen. Die Erdme weiß, wie. Das Pferd laß 'raus, das schwimmt zum Damm
+von alleine. Aber die Schweine müssen ersaufen.«
+
+»Vielleicht krieg' ich sie auch noch 'rauf,« sagt der Jons.
+
+»Unmöglich ist nichts,« sagt der Nachbar und planscht zur Tür.
+
+»Wo willst du hin?« fragt der Jons.
+
+»Meine Frau liegt im Bett und kann sich nicht rühren!«
+
+»Dann bet ein Vaterunser für sie,« sagt der Jons. »Jenseits des Wegs ist
+jetzt Strömung. Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen tust du
+auch.«
+
+»Ich muß!« sagt der Nachbar und geht. --
+
+Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen Stücke schwimmen nun 'rum. Auch die
+Schwarzweiße folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch der Mist will
+unter dem Wasser jetzt nicht mehr halten. Der Jons bricht die Raufen
+entzwei und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So kommt Festigkeit in
+den Bau.
+
+Die Schweine in ihrer Todesangst klettern jetzt an den Menschen hoch --
+man muß sie mit Mühe abwehren --, und auch das Pferdchen wird unruhig.
+
+Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem es eine Weile lang in den
+Stall zurückgewollt hat, begibt es sich klug auf die Reise.
+
+Sie schaufeln und staken und staken und schaufeln und nutzen jeden Eimer
+und jede Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen.
+
+Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben, da liegt schon das eine der
+Schweine regungslos auf dem Wasser. Das andere, das immer noch quiekt,
+schieben sie den Mistberg hoch, so daß es halb erwürgt oben ankommt.
+
+Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen.
+
+Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu und hat Krämpfe.
+
+»Ich geh' ins Haus und hole, was nötig ist,« sagt die Erdme.
+
+Die Marjellen schreien: »Du wirst ertrinken!« Aber sie macht sich nichts
+draus.
+
+Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die Brust. Es steht nicht mehr
+still wie zuvor. Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich, dicker
+als Torfziegel. Die kommen sicher vom Strome. Es muß also ein Dammbruch
+geschehen sein.
+
+Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren zu wollen über Nacht. Aus
+der Gegend der Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von Menschen und
+Tieren. Ab und zu ein Schrei wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles
+still. Wie längst gestorben ist alles.
+
+Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen die Tischplatte. Die Stühle
+schwimmen. Die im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch trocken.
+Nur das unterste Stück hängt ins Wasser.
+
+Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück ist's, daß dem Jons sein
+Schafpelz zum Trocknen noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird Wärme
+haben.
+
+Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und her, die Arme hochhaltend, und
+immer schwieriger werden die Wirbel.
+
+Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu die Glieder warm und wühlt
+sich nackt in den Haufen. Und während die Marjellen kreischen und Jons
+im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein und schläft die ganze Nacht
+durch wie ein Sack. --
+
+ * * * * *
+
+Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser glänzt eine dünne, blaßblaue
+Eisschicht, in die schneegraue Blöcke eingefroren sind.
+
+Sie denkt an die Prophezeiung des alten Raubmörders. Wer jetzt noch
+gegen das Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe Eis mit tausend
+Messern das Fleisch zerschneiden.
+
+Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte ihr einstmals drohte. Nur daß
+sie nicht im Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben im Hause
+geblieben, weiß Gott, wie es dann aussähe! Das, was dort Dach heißt,
+hätte sie niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief, das Haus
+sieht aus wie eine Roggenhocke kurz vor dem Umfall. --
+
+Sie steht auf und zieht sich an. -- Die Röcke von gestern sind noch
+patschnaß, aber die mitgebrachten scheinen fast trocken.
+
+Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem Fieber redet Dummzeug. Die
+Kühe haben sich eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück.
+
+Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch der Stall nicht mehr
+festhält. Und der war doch wie für die Ewigkeit gebaut.
+
+Wie geht's denn mit den Häusern ringsum? Heute ist klare Luft. Man sieht
+sie, als wäre man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft das Wasser zur
+Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen sein mag? Ob die Frau wohl noch
+lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein das Dach durchschlagen,
+denn der bestand bis hoch oben aus Ziegeln.
+
+Und dicht daneben? Was ist das? Da steht ja ein anderes Haus, das
+gestern nicht da war! -- Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des
+alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden.
+
+Um Himmelswillen -- das fremde Haus dicht neben dem Hofe des Smailus,
+das ist sie ja!
+
+Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam, langsam treibt sie der
+Wasserdrang vor sich her. In jedem Augenblick verschiebt sich die
+Richtung gegen den Hof hin.
+
+Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser, das sie weiter bewegt? So viel
+Kraft kann das kaum haben, denn dann gäb' es ja keine Eisschicht. Und
+was bedeutet die Stange, die sich am hinteren Ende hebt und senkt?
+
+Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein Kahn. -- Ein Kahn, der sich
+fortbewegt, ein Kahn, der gelenkt wird.
+
+Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst von einer Arche Noah
+gesprochen?
+
+Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam kommt sie, aber sie kommt.
+Kommt sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie vorbei?
+
+Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und schreit: »Hierher! Hierher!«
+
+Die beiden Marjellen fahren hoch: »Mamma, was ist?«
+
+»Schreit, schreit, schreit!«
+
+Und alle drei schreien: »Hierher! Hierher! Hierher!«
+
+Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg, dort, wo die Birken bis an
+die Kronen im Eise stehen.
+
+Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit hochstehenden Rändern. Die
+hat er all die Jahre mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts
+ahnen.
+
+»Hierher! Hierher!«
+
+Und jetzt hört man schon das Zerspellen des Eises, das sich am Holze
+hochschiebt und klingende Risse voraufwirft.
+
+Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die Lumpen eines Schafpelzes
+hängen an ihm herum. Er schwingt die Stange und lacht -- lacht -- lacht.
+
+»Nachbar, hierher!«
+
+»Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar -- hä? -- Der geliebte Nachbar!
+Der wertvolle Nachbar -- hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen wollten,
+dann wär' ich euch nicht zu schlecht -- hä?«
+
+»Nachbar -- vergiß und hilf!«
+
+»Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung! Und kein Abseitsrücken!
+Jetzt wird spazierengefahren an allen vorbei, die ertrinken, und gelacht
+wird wie bei einer Hochzeit.«
+
+»Nachbar -- erbarm dich!«
+
+»Hast _du_ dich erbarmt? Ja, du _hast_ dich erbarmt! Du hast mir einmal
+ein Stück Hochzeitsfladen hingeworfen. Hast es wohl längst vergessen.
+Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen, Hochzeit zu feiern bei mir. --
+Du und was mit dir da drin ist.«
+
+»Jons, steh auf!«
+
+Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt von Sommerwiesen und Heuaust. Und
+die Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen lieber ertrinken
+als zu dem Raubmörder ins Haus.
+
+Aber die Erdme fackelt nicht lang'. Sie kriegt die Urte zu packen und
+wirft sie dem Alten aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe
+entzweiknallt. Und mit der Katrike macht sie's nicht anders.
+
+Aber der Jons! Der Jons! »Jons, steh auf, wir müssen in die Wiesen!«
+
+Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er läßt sich auch den Pelz
+anziehen, mit dem er über Nacht bedeckt war.
+
+Aber nun 'runter. Wie schafft man ihn 'runter? Denn auch ihn aufs Dach
+werfen -- das geht nicht. Er würde abrutschen und ins Wasser stürzen.
+
+»Jons, spring! Nimm Vernunft an und spring!«
+
+Aber das tut er nicht. Er muß ja in die Wiesen.
+
+Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch die Luft zu werfen, so daß es
+das Rohrdach in Haufen bedeckt.
+
+»Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring 'rauf, sonst fahren wir ohne
+dich nach Haus.«
+
+Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und -- Gott sei gesegnet! Er springt.
+Bleibt in dem Rohrloch stecken, und da ist er geborgen!
+
+Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt werden. Die Kühe haben Futter,
+aber das Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht von dem Miste
+ernährt.
+
+Also los!
+
+Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm entgegen.
+
+»Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?«
+
+»Wer hat mir geholfen -- hä?«
+
+»Der Taruttis hat für dich gebetet.«
+
+»Aber gesprochen hat er nicht mit mir -- und der Taruttis ist auch schon
+weg.«
+
+»Aber der Witkuhn ist noch da und seine todkranke Frau.«
+
+»Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen sie alle.«
+
+»Der Witkuhn wird _nicht_ ersaufen. Und wenn du mir nicht gehorchst --
+ich bin stärker als du und schmeiß' dich ins Wasser.«
+
+»Ist das der Dank, du Bestije?«
+
+»Ob Dank oder nicht -- ich schmeiß' dich ins Wasser.«
+
+Sie hat Fäuste wie Eisen -- das merkt er sofort und läßt schimpfend die
+Stake in ihrer Hand.
+
+Und sie lenkt hinüber zum Weg -- an den eingefrorenen Birken entlang und
+über den Weg hinweg. Langsam geht es -- o Gott, wie langsam! -- Das Eis
+knirscht, als fletscht es ihr tausend grimmige Zähne entgegen, und der
+Alte tanzt hin und her und droht, er wird die Axt holen und sie
+erschlagen; aber sie lacht nur und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft
+dicht vor ihr liegt.
+
+»Nachbar! Nachbar Witkuhn!«
+
+Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr lebendig. Nur die Katze
+sitzt auf dem Dachfirst und knaut. Und das Wasser spült über das
+zersplitterte Eis weg rund um den Giebel.
+
+»Nachbar Witkuhn!«
+
+Da -- was schiebt sich aus der schwarzen Luke langsam ins Helle? Ein
+Bett kommt gekrochen, und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt die
+tote Frau, und der Nachbar geht hinterher und schiebt.
+
+Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar schwimmt hinterher. Und
+schließlich kommt auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten
+festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen herein.
+
+»Wie fandst du sie?«
+
+»Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß ich nicht. Als ich sie auf
+den Boden hob, war sie längst tot.«
+
+Weiterfahren!
+
+Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar die Hand. Und der nimmt sie
+auch und hält sie ganz gierig, als hätte _er_ die Rettung vollbracht.
+
+Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht, an keiner Wirtschaft
+vorbeizufahren, aus der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten Geschmack
+gefunden, seitdem eine Menschenhand in der seinigen lag.
+
+Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar Witkuhn, denn er ist naß und darf
+nicht erklammen. Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen. Die beiden
+Marjellen sitzen zusammengekrochen im Winkel, und der Jons stöhnt oben
+im Rohrdach.
+
+Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger als ein
+Ziegenverschlag. Der Fußboden besteht aus langen Rudern, den Putschinen,
+mit denen die Flößer ihre Holztriften lenken. Die hat er dicht neben
+einander gelegt und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und verteert. Ein
+Bett und ein eiserner Ofen -- viel mehr steht nicht drin. Und da kein
+Herd da ist, der einen Untergrund braucht, so kann das Ganze vom
+steigenden Wasser sich hochheben lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm.
+
+Noch aus drei Häusern holen sie die nassen und steifgefrorenen Bewohner.
+Die dürfen ins Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen zum Heizen
+sind auch da.
+
+Der alte Raubmörder geht immer von einem zum andern und kriegt nicht
+genug Hände zu schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er.
+
+So kommen sie näher und näher an den Chausseedamm, an dessen Höhe dem
+Wasser kaum noch ein Zoll fehlt.
+
+Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall und nach Fütterung, und auf
+den Wagen weinen die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum mit
+Eimern voll dampfendem Kaffee.
+
+Und überall die Stimme des Moorvogts. Vorne und hinten, in Streit und in
+Jammer -- überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft und schiebt
+die Achsen und halftert das Vieh und ordnet die allmähliche Abfahrt.
+
+Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen sieht und den
+Bootshaken streckt, an dem man sich festhält.
+
+»Also das war dein Kunststück,« sagt er zu dem aussteigenden Alten. Und
+der nicht faul, verlangt sofort seine Pension.
+
+»Erst geht in mein Haus und wärmt euch,« sagt der Moorvogt. Da gewahrt
+er das Bett mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt. Sein
+Gesicht, das von dem zweinächtigen Tagewerk wild gedunsen und rot ist,
+wird lang und grau. Er schlägt sich mit den Fäusten vor die Stirn, und
+wie einer, den beim letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt, sagt
+er leis' vor sich hin:
+
+»Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.«
+
+Aber in demselben Augenblick hat er sich schon einen Ruck gegeben und
+ist obenauf. Niemand als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei gehört.
+
+Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm herangefischt. Und
+während es langsam dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die Mützen
+vom Kopf. Einer stimmt an, und alle bis weit in die Ferne hinein, auch
+jene, die noch nicht wissen können, was los ist, singen das alte
+Begräbnislied:
+
+ _Jau su Diewu gywenkite_
+ _Jus mylimi, ne werkite,_
+ _Kunelí manó dekite_
+ _I zemé ir pakaskite._
+
+Das heißt auf deutsch:
+
+ »Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,
+ Weint nicht, nun ich selig werde,
+ Und den Leib, der hier geblieben,
+ Senket in die dunkle Erde.«
+
+Laut und andächtig singen sie, denn wenn es, Gott sei gedankt, auch nur
+wenig Tote gab, jeder hat ja eine Hoffnung begraben.
+
+Bloß einem geht es so gut wie noch nie.
+
+Das ist der alte Raubmörder.
+
+Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts mitten auf dem gestreiften
+Sofa, hat die Hände um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift,
+speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die ihn voll Achtung
+umstehen, wie klug vorausschauend er einst sein Haus umgebaut hat und
+wie vielen durch seine Guttat heute das Leben erhalten blieb. Darum und
+aus noch vielen anderen Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine
+Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage beschließen.
+
+
+ 14
+
+Wie kann der Frühling so unbarmherzig sein!
+
+Je wärmer die Tage werden, desto frostigere Nebel haucht das
+durchkältete Moor; je heller die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt
+sie zutage.
+
+Der Jons ist von seiner Lungenentzündung aufgestanden und schleicht am
+Stock wie ein nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er gelegen, und
+Erdme mitsamt den Marjellen ist derweilen bei Fremden in Pflege gewesen.
+
+Nun sich das Wasser verläuft, können die Moorleute endlich wieder
+zurück.
+
+Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da finden!
+
+Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor fünfzehn Jahren erbauten, das steht
+zwar noch -- aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer stark
+schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen. Tritt man ein, so stinkt es
+nach Moder und Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der Herd
+auseinandergespellt, und was von dem Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein
+mächtiger Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es mit Lehm und mit
+Ziegeln bis in die Tischecke hin.
+
+Ein Wohnen darin ist unmöglich.
+
+Darum beschließt die Erdme, mit dem noch krankenden Mann und den
+Töchtern zum Stall hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren
+geholt worden, die an jenem Tage im Extrazug aus Königsberg kamen. Und
+das Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm. Die müssen sich
+alle mit der linken Seite behelfen, die rechte, wo früher die Schweine
+hausten, wird Wohnung.
+
+Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen wollen nicht 'ran. In
+einem Schweinestall zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig. Das
+sei eine Entwürdigung. Besonders wenn man dicht vor der Fräuleinschaft
+steht.
+
+Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der trostlose Zustand dauert
+nicht ewig. Denn dort, wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten,
+um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen und vier Dutzend
+Schwarten ein Haus zu errichten, rücken eines Tages die Zimmerleute an,
+und langgestreckte Gefährte bringen Balken und Bretter.
+
+Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als damals! -- Der
+Raiffeisenverein hilft, und was noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank.
+
+Der Meister hat einen Grundriß gemacht für eine Große und eine Kleine
+Stube, für Kammern und Klete, und statt des lehmbeschmierten
+Ziegelgestells wird ein glitzernder Kachelofen herrlich erstehen.
+
+In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das den Stolz der Familie noch
+weiter in die Höhe hebt.
+
+Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist in der weiten Welt nicht
+unbemerkt geblieben. Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange
+Schilderungen gebracht, und sowohl die rettende Arche Noah als auch die
+Frauenleiche im schwimmenden Bett sind beschrieben und abgebildet
+gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die auf Erden so lange und so still
+gelitten hat, vom Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu ihrem
+Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert.
+
+In den großen Städten haben die schönen jungen Damen zugunsten der
+Überschwemmten getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt. Haben
+Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln, Schaumwein und Küsse verkauft und
+sind, wenn das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen.
+
+Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt und dabei vielerlei
+Sachen gefunden, die den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem
+Werte sein mußten: Festkleider von vor sechs Jahren, durchgescheuerte
+Unterröcke, zerpliesertes Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern,
+vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe, gespenstische Bademäntel und
+zu alledem Hüte für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult,
+verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der Inbegriff aller irdischen
+Pracht.
+
+Auch die feinen Herren haben das ihre getan. Die einen haben alte
+Hochgebirgskostüme geliefert, weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich
+war. Die anderen haben weißen Flanell bevorzugt, weil so ein Moor doch
+nahe am Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen Wesen der
+Notleidenden entsprechend ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische
+gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise ihr altes Ballzeug
+loswerden zu können.
+
+Kisten und Kisten wurden verfrachtet und gingen per Eilzug an den
+Heydekrüger Frauenverein. Endlich, endlich werden die armen, nackten
+Moorleute was anzuziehen kriegen!
+
+Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand vor sich liegen sehen, schlagen
+sie voll Entsetzen die Arme über dem Kopf zusammen und meinen, ihn ihren
+Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten zu dürfen. Sie kramen alles
+heraus, was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen das andere
+verstecken. Aber da kennen sie unsere Moorleute schlecht.
+
+Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten für sie ins Land
+geflogen sind, da stürmen sie den Schmidtschen Speicher und suchen mit
+List und Gewalt das Feinste des Feinen für sich zu erraffen. Wunder
+auch! Wer, der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt den schwarzen
+Erdenschlamm knetet, wird es sich nehmen lassen, des Abglanzes fernher
+leuchtender Paradiese teilhaftig zu werden?
+
+Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden flittrigen Fetzen. Wer was
+Warmes und Dunkles in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen.
+Schandworte fliegen herum, und draußen kommen Tauschgeschäfte zustande,
+die wohl zehnmal zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer
+Tracht Prügel ein Ende nehmen.
+
+Auf dem Heimwege ziehen viele schon an, was das Glück ihnen zuschanzte,
+und haben ein Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus. Manche
+spiegeln sich nach jedem hundertsten Schritte im Wasser der Gräben, und
+alle fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher, ob ihm in der
+Dämmerung nicht was weggegrapscht wird. Den alten Raubmörder will einer
+gesehen haben, wie er, gegen einen Chausseebaum gelehnt, barhäuptig
+dastand und einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der Brust
+plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen ließ.
+
+Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen reich beladen nach Hause.
+Sie haben die lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich mehr an
+das Schwere und Feierliche gehalten, denn Erdme war ihres alten Schwures
+gedenk, daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide einhergehen sollen.
+
+Und das können sie fortan wirklich.
+
+Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem Samt, tiefausgeschnitten
+und mit glitzernden Perlen bestickt.
+
+Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen und damit selbst die
+vornehmsten Töchter der Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des
+Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar herumstehen.
+
+Da die frühere Eigentümerin von mächtigem Leibesumfang gewesen sein muß,
+so können beim Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen werden,
+daß sich auch für die Urte ein Staatskleid ergibt. Und als das fertig
+ist, bleiben noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme die eigene
+Bluse reichlich damit besetzen kann.
+
+So fahren sie also am Einsegnungstage alle drei in himmelblauem Samt zur
+Kirche. Und die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher.
+
+Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin.
+
+Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die lichterziehend und wie ein
+Paradiesvogel bunt in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht, da
+packt sie sie an dem Samtschlafittchen und schiebt sie ins Pfarrhaus.
+
+»Wie hat deine Mutter sich unterstehen können, Marjell, dich in solchem
+Aufzug vor den Altar Gottes treten zu lassen?«
+
+Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken.
+
+Aber wie die Katrike bittet und weint, da fühlt sie ein menschliches
+Rühren, holt aus dem Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft es ihr
+um die Schultern.
+
+Und so kann sie denn eingesegnet werden.
+
+Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen die Baltruschats, von
+neidischem Staunen umgeben. Nur des Jons muß man sich etwas schämen,
+weil er nicht fein genug ist.
+
+Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht, wie sie den Stolz der
+Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit verdammt hinter dem Pfarrer
+herkommen sieht, aber sie tröstet sich bald.
+
+Steckt auch der Glanz noch in schlichtem Futteral, er ist doch schon da.
+Und das ganze kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu entfalten.
+
+Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch blauer sind als der Samt, den sie
+anhat, und denkt beim Singen und Beten an die künftigen Bräutigams.
+
+Und der Jons denkt beim Singen und Beten an das wachsende Haus, dessen
+glatt behobelte Wände schon über das Moor hinleuchten.
+
+Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht zu denken gewagt?
+
+Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus dem Moorschlamm herausgeholt,
+der zäh und unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser lagert, bereit zu
+verschlingen, was sich ihm anvertraut.
+
+Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons seine zerarbeitete Hand und
+denkt: Hat es zwischen uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer
+hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich überstanden, --
+wo sollte er herkommen, nun es leichter und leichter wird?
+
+Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag nah ist.
+
+
+ 15
+
+So! Nun mach' ich einen langen Atemzug -- der dauert volle zehn Jahre
+lang --, und dann erzähl' ich, was aus dem Jons und der Erdme und den
+zwei hoch hinaus wollenden Töchtern weiter noch wird.
+
+Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand nicht viel zu
+berichten. Als sie mit siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als
+Kellnerin einzutreten -- denn das sollte die Schwelle sein zu dem
+künftigen Glück --, da war sie ein appetitliches Marjellchen mit
+kornblumenblauen Augen und einem süßen Schnauzchen, rund und feucht wie
+eine betaute und gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, die sie
+inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie schlank und hoch geworden ist
+und überhaupt wie eine von den schönen Damen, die in dem früheren Hause
+an den Wänden klebten. Sie schreibt bald von der Pariser
+Weltausstellung, bald aus dem schönen Italien, sogar von der Spitze des
+Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte geschickt, obgleich einem dort von
+der großen Kälte die Finger erklammen.
+
+Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern Ortrud, und auch
+Baltruschat heißt sie nicht mehr -- so ein litauischer Name ist viel zu
+gemein für sie --, sondern einmal schreibt sie sich Balté, ein andermal
+Baldamus und ein drittes Mal sogar wie der katholische heilige
+Balthasar.
+
+Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, wenn man ihrer gedenkt.
+
+Die Katrike allerdings -- die ist noch etwas im Rückstand. Sie hat keine
+Lust gehabt, sich ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch
+daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer hat sie immer noch
+nicht. Woran das liegt, ist schwer zu sagen.
+
+An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang ist sie geraten -- das
+wissen wir schon --, und die Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter
+ihr her: »Kiek -- die lange Latte!« Dafür ruft man sie zu Hause auch
+»Pusze, Pusze«, das heißt »Miesekatzchen«, und dieser liebliche Name
+macht viel wieder gut.
+
+An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie spricht ein sehr feines Deutsch
+und spitzt den Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum Beispiel:
+»Üch bün eune reuche Besützerstochter.« Und das soll ihr mal einer
+nachmachen!
+
+Viel tun -- tut sie nicht. Hat sie auch nicht nötig. Dafür ist jetzt die
+Jette da, die Dienstmagd. Eine niederträchtige Kröt' übrigens. Die
+spottet der Katrike doch immer nach. Wenn sie über den Hof geht, faßt
+sie den Unterrock mit zwei Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und
+dreht den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann ihr nichts nachweisen.
+
+Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu schade. Eine Stelle als
+Stütze oder Gesellschafterin müßte es sein. Aber sie will nicht. Sie
+will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen und sich mit der
+Brennschere -- die hat ihr einmal die Urte geschickt -- die Haare in
+Wickel drehen. Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so graugelb
+wie bei einem Mutterschaf auf der Scherbank.
+
+Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. Sie liebt die Traumbücher
+und die Zaubersprüche und liest darin morgens und abends.
+
+Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und die bespricht sie
+fortwährend. An einem Ostermorgen ist sie sogar früh aufgestanden, hat
+splitterfasernackt das Haus ausgefegt und das Gemüll ebenso nackt über
+die Grenze getragen. Aber geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die
+Jette meint, sie solle es machen wie sie und die Flöhe mit einem
+Spirituslappen betupfen, so daß sie nicht hoch können. Aber diese
+Fangart ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es lieber mit
+Zaubern.
+
+Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike sehr wenig. Aber was soll er
+machen? Die Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß gehen
+darf sie nicht, und die Hände zerreißen darf sie sich auch nicht, denn
+wenn der reiche Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, dann
+zieht er sofort wieder ab.
+
+Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der Allerweltsfreiwerber,
+schon zweimal im Hause gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner
+Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock die Zunge ausstrecken
+lassen und was er sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams,
+die er anbot, waren bloß Kroppzeug. Nicht _ein_ richtiger deutscher
+Besitzer ist darunter gewesen. Aber die Erdme hat's ihm auch vergolten.
+Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, um sich die Nase zu begießen.
+
+Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons schon an die fünfundzwanzig
+Jahr. Sehr schön ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch
+nachgelassen. Jetzt würde sich kein Nachbar mehr in sie verlieben. Hart
+und knochig ist sie geworden, und einen bösen Blick hat sie gekriegt von
+dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen.
+
+Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele ihnen ihr bißchen Wohlstand
+beneiden und ihnen jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen.
+Schon manches liebe Mal hat sie einen Zauberbesen in den Quitschen
+hängen gefunden, und wie oft der weiße Hexenspeichel an den Zaunlatten
+hing, ist gar nicht zu zählen. Einer hat sogar bei dem katholischen
+Pfarrer in Szibben für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat ihm
+aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer daß er das Reißen bekam.
+
+Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. Sein Haar ist grau, und
+sein Gesicht sieht aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost.
+
+Was hat der Mann aber nicht alles in seinem Kopfe! Allein das viele Geld
+zu verwalten! Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. Und die
+Wirtschaft wird staatsmäßiger Jahr für Jahr.
+
+Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden glänzt in der Sonne wie
+Silber, und der massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, was
+der Moorgrund schon aushalten kann. Auch drinnen ist alles aufs beste.
+Der Herd steht noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in dem er
+den Platz hat, ist hoch und weit und voll von bemalten Türen.
+
+Links geht's in die Große und in die Kleine Stube und rechts in die
+Kammern. In keinem litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte ich
+erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder in goldenen Rahmen und den
+glasierten, doppelten Ofen, -- von der Tapete mit ihren blanken
+Sternchen gar nicht zu reden, -- weiß Gott, ich würde kein Ende finden!
+Winklig zum Stall ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit
+Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des Torfes. Der Garten hat einen
+richtigen Staketenzaun, und nicht bloß Raute und Riechblatt wachsen
+darin und was man an Buntem wohl liebhat, sondern auch Möhren, Salat und
+mannshohe Schoten, wovon man essen kann, soviel man nur will, selbst
+wenn man Dienstags Körbe voll auf den Markt bringt.
+
+So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und keiner der Nachbarn kann
+sich mit ihnen vergleichen.
+
+Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die Taruttene auch. Beide starben
+am gleichen Tage, und als man ihnen die Leichenhemden anzog, hat der
+Flachs in der Leinwand noch einmal zu blühen begonnen. Überall saßen die
+blauen Sternchen. So fromm sind sie beide gewesen.
+
+Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension gekriegt, und als er zu
+Grabe getragen wurde, sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt.
+Ob aus Hochachtung oder zur besseren Bewachung, hat niemand zu sagen
+gewußt.
+
+Der lange Smailus ist nun auch schon alt. Seine Vierte, von der niemand
+was Gutes weiß, soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, und
+wenn das Glück es will, kommt er dazu und nimmt sich noch eine Fünfte.
+Die Ulele schreibt ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie schickt,
+riecht immer noch schöner. Sie hat längst ihren Oberbuchhalter
+geheiratet. Der ist Teilhaber an der Fabrik, und die beiden Besitzer
+vertragen sich prächtig. -- Da sieht man, was ein tüchtiges Mädchen
+kann!
+
+Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, wie ist der zusammengefallen!
+Eine Dienstmagd besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet von früh
+bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen Armen und sucht aus dem
+Boden herauszuschlagen, daß er gerade zu leben hat.
+
+Aber raten und helfen, das tut er noch immer, und sieht an der Erdme
+noch immer vorbei, und das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und
+gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl so bleiben, bis auch das
+andere stille steht.
+
+Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich über den Weg hin aufpaßt,
+und wenn er gleich fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, ob ihn
+selber friert oder schläfert.
+
+
+ 16
+
+Der Jons und die Erdme sitzen im Garten zwischen den eingefaßten Beeten
+und haben sich lieb -- denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag.
+
+Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel, aber außer der Katrike
+weiß keiner, weshalb.
+
+Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz aus Silberpapier schenken
+wollen, hat auch schon Maß genommen und so, aber dann ist es doch
+unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war.
+
+Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede geben unter den Leuten.
+
+Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die dünnbehaarten Köpfe. Jons
+nimmt die Mütze, die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt sie ihr
+auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch einen Scherz hat er in all den
+fünfundzwanzig Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht im innersten
+Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat.
+
+Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig und glücklich nebeneinander
+hergegangen, und nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken hat
+er sich nie -- außer bei Hochzeiten natürlich und ab und zu wohl am
+Markttag, aber das gehört ja zum Leben, -- und geschlagen hat er sie
+auch nicht.
+
+Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür dankt sie ihm mit Tränen. Und
+auch er weint ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder.
+
+Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit den Traumdeuteraugen und der
+zwei Trauzeugen, die auch am Sonntag nach Mist rochen. Und der
+Abendstunde im Matzicker Chausseegraben gedenken sie auch und sehen sich
+um, ob niemand sie hört.
+
+»Denkst du daran,« sagt die Erdme, »was wir uns damals alles gelobt
+haben? Leicht war es nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch
+getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden gestört.«
+
+Und er sagt: »Das ist dein Verdienst.«
+
+Sie sagt: »Deins ist es auch.«
+
+Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun, denen ein guter Streich
+geglückt ist wider Erwarten.
+
+»Gott sei gelobt!« sagt die Erdme; »jetzt sind wir über den Berg, denn
+was kann uns nun noch Böses geschehen?«
+
+Und er sagt: »Ein Dreck kann uns geschehen.«
+
+Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen im blanken Sonnenschein
+und denken: »Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.«
+
+Aber es kommt doch noch schöner! Viel schöner kommt es.
+
+Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen wollen wie alle Tage, da
+bemerkt die Erdme, daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt, ein
+Herrschaftswagen, wie er hier selten zu sehen ist.
+
+Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der »Germania« und denkt
+natürlich, es sind Herren von der Regierung, die im Moor nach dem
+Rechten sehen wollen.
+
+Aber wie der Wagen immer noch näher kommt, erkennen sie beide, daß keine
+Herren darin sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich sitzt sie
+auch nicht, sondern steht und hält einen weißen Sonnenschirm in der Hand
+-- mit dem winkt sie und winkt sie und winkt.
+
+»O Jezau!« sagt die Erdme und fällt wie leblos auf die Bank zurück.
+
+Da biegt der Wagen auch schon nach dem Zufahrtsweg ein und hält vor dem
+Hoftor.
+
+Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt, Brennschere und Seidenpapier
+noch in der Hand, und rings um die Stirn sitzen die gewickelten
+Knötchen.
+
+Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud heißt. In einem feinen
+graukarierten Wollenkleide springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr her
+springt ein Hund, wie ihn noch nie eines Menschen Auge sah. Mit
+schneeweißen Locken, größer noch als ein Wolf und magerer als ein
+Schmalreh.
+
+Doch daß die Urte mager ist, kann man nicht sagen. Einen Busen hat sie
+-- der ist kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im dritten
+Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel. Und die blauen
+Kornblumenaugen hat sie noch immer, aber goldene Haare hat sie
+inzwischen gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft.
+
+Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da kniet sie vor ihr und befühlt das
+Kleid und betastet die Schuhe, und wie sie das Kleid ein wenig hebt, was
+kommt da zum Vorschein? Ein Unterrock von lauter -- du wagst es gar
+nicht auszusprechen, nicht auszudenken wagst du es! -- ein Unterrock von
+lauter Seide, von resedagrüner, ruschelnder, klingender Seide.
+
+Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht, so klingt bei jeder Bewegung
+die Seide.
+
+Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor und Zaun und traut sich an
+die hochgeborene Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei der
+Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen. Und sie küßt auch ihn, aber
+man sieht: sehr gerne tut sie es nicht.
+
+Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen, sich die gebrannten
+Wickel auszukämmen, und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte an
+und möchte auch für sich was Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut
+keiner.
+
+Der weißgelockte Hund, von dem man glauben könnte, man zerbricht ihn,
+wenn man ihn anfaßt, steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten
+Menschenaugen um sich und streckt den witternden Schlangenkopf bald nach
+rechts und bald nach links, als kann er sich nicht erklären, wie er
+plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft geraten ist. Den
+belfernden Köter, der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude
+springt, würdigt er keines Blickes. --
+
+Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender Lederkoffer, hoch
+wie ein Haus und wohlriechend wie russische Gurten.
+
+Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen Anmutigkeit und
+ihrer rundhüftigen Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer führen kann,
+wie man die Lämmer zu Markte führt.
+
+Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der ist von poliertem Holz und hat
+silberne Einlagen. Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll noch
+viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht aus wie schwarze, runde
+Graupenkörner und schmeckt nach gesalzenen Fischen.
+
+Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid zum Vorschein mit einem
+Spitzeneinsatz und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und auch die Katrike
+kriegt ein Kleid, ein hellblaues Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse
+und einem hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und federt, wenn man
+ihn anrührt.
+
+Und das Allerschönste hab' ich noch gar nicht genannt: das ist der
+Silberkranz. Kein Silberkranz aus Papierblättern, wie ihn die Katrike
+beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem schweren, klirrenden
+Silber, und ein gleiches Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins
+Knopfloch zu stecken.
+
+Von nun an ist's mit den Heimlichkeiten vorbei. Die Erdme muß das
+seidene Kleid anziehen und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen, Jons
+bekommt das Sträußchen wirklich ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen
+sie beide im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein und lassen sich's
+gut sein.
+
+Die Töchter sind um sie herum, und sogar die Jette, die abscheuliche
+Kröt', tut sich lieblich, wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne
+Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe, damit sie des Morgens nicht
+klappert.
+
+Nur einer ist nicht zufrieden -- das ist der große, magere, weißlockige
+Hund. Der schnüffelt und schnobert, und wenn man ihn 'reinzieht, läuft
+er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte Fressen rührt er nicht an. Die
+Urte muß ihm von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben, sonst würde er
+am Ende verhungern.
+
+Die Urte erklärt: »Das ist ein sibirischer Windhund, Barsoi genannt, aus
+einer ganz alten vornehmen Zucht mit einem Stammbaum, der reicht wohl
+hundert Jahre zurück.«
+
+Sie hat ihn von einem russischen Grafen bekommen, der mit ihrem Freunde
+befreundet war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka, und alle
+lachen sehr, als sie ihn hören, denn Petruschka heißt »Petersilie«.
+
+Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als die nach Hause gekommene
+Tochter ansehen und ansehen.
+
+Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt -- einen besseren gibt es ja
+nicht -- und mit den dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen Haare
+geben Feuerstrahlen um sie herum, dann ist der Erdme, als muß sie in
+einen finsteren Winkel kriechen und weinen und beten, daß Gott sie nicht
+strafen wolle für dieses allzu große Glück.
+
+
+ 17
+
+Der Urte -- die jetzt Ortrud heißt -- ist in der Kleinen Stube ein Lager
+bereitet, und Jons und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich zu rühren
+-- aus Angst, sie möchten die Tochter erwecken.
+
+Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in Frieden bis in den
+blanken Vormittag. Eine Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater
+zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem erst fertig.
+
+Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund zu zwei Mark, und läuft zwischen
+Herd und Stubentür hin und her, um zu horchen, wann die Zeit zum
+Frühstück gekommen ist. Dann trägt sie ihr alles ans Bett und sieht mit
+Sorgen, ob die Urte sich's wohl schmecken läßt.
+
+Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen Spitzenhemd, mit dem
+ruscheligen Goldhaar und den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe,
+die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote und blaue Sonnen auf
+der gewürfelten Decke.
+
+Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen pflegt. Aber viel ist es
+nicht. Und lange Zeiten übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in der
+Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme schon aus den Briefen, aber was
+sie da überall getan hat, läßt sie im Dunkeln.
+
+Viele Männer haben sie heiraten wollen, aber es ist nie etwas daraus
+geworden. Bei den Reichen und Hochgestellten haben die Eltern es nicht
+erlaubt, und den anderen hat sie selber den Laufpaß gegeben. Als sie in
+Königsberg Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr hergelaufen.
+Viele haben sich duelliert, und einige haben sich totgeschossen.
+Schließlich hat sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen
+können und ist nach Berlin ausgerückt. Und dort hat das Leben erst recht
+begonnen.
+
+Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft zu machen gedenkt, lächelt
+sie mit ihren Blauaugen bloß so verschwommen ins Weite und sagt: »Mach
+dir keine Sorgen, Mamusze. Für eine wie mich liegt der Reichtum nur auf
+der Straße. Aber erst möcht' ich mich hier noch ein bißchen ausruhen.«
+
+Und das tut sie auch gründlich. Niemals faßt sie mit an oder kümmert
+sich um was. Sie sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen auf der
+Gartenbank, blickt nach dem Himmel und lächelt. Nur ihre Kleider hält
+sie in Ordnung, steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und bügelt,
+und ihre Finger, die rund und lecker aussehen wie marzipanene Würstchen,
+führen die Nadel schnell und mit Ruhe.
+
+Die Erdme ist noch immer wie von einem Zauber befallen.
+
+Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an das heimgekommene Kind, macht
+sich in ihrer Nähe zu schaffen und schleicht um sie 'rum, bloß um sie
+still und andächtig zu betrachten. Oft ist ihr bange vor lauter Stolz,
+so daß sie sagen möchte: »Sei doch einmal wieder wie früher.« Aber sie
+weiß, das kann die Urte nicht mehr, dazu ist sie zu lange weggewesen und
+hat zu viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie Schönschreiben kann und
+Französisch, das hat die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie
+gehabt. Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist, aber es muß wohl das
+Feinste sein, was auf der Welt gelehrt werden kann.
+
+Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand und sagt: »Ach, freu dich doch!
+Freu dich doch!«
+
+Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich, mit der Tochter
+zusammenzusein, und er schämt sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr
+reden und wie er den Löffel halten soll, und das Brot schneidet er
+heimlich unter dem Tisch.
+
+Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht, hat ihn »lieb Väterchen«
+genannt und so. Wie er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch
+sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut. Es liegt noch nicht
+Übles zwischen ihnen, bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder
+Tag für Tag.
+
+Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz will ihr zerbrechen bei seinem
+stillschweigenden Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht zwingen,
+daß er sie lieb hat.
+
+Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der Schwester alles nachmachen
+und versteht es doch nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen
+und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die Nägel werden bloß noch
+dreckiger, der Mund sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab
+wie vertrocknetes Krummstroh.
+
+Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne Beschwerde.
+
+Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und macht sich ihre Gedanken.
+Nicht daß sie die Katrike nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist wie
+ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt dasitzt und sich in rein
+gar nichts mit der Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn sie das
+Hellblaue angezogen und den großen Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch
+immer wie Tag und Nacht.
+
+Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist.
+
+Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander. Die Urte unterweist
+die Katrike in allem, was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme
+und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug, so daß der Neid in ihr
+nicht hochwachsen kann.
+
+Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht länger so mit ihr geht.
+
+»Wenn du die Ulele wärst,« sagt die Mutter, »dann würdest du jetzt einen
+Mann für sie suchen.«
+
+»Ich kann ebensoviel wie die Ulele,« sagt die Urte.
+
+Und da sie's verlangt, wird eines Tages, als der Jons in die Wiesen
+gefahren ist, der kleine Tuleweit bestellt, der schon für hundert
+Vermittlungen seine Prozente gekriegt hat.
+
+Der in seinem langen Pfarrersrock und den knallengen Hosen kommt forsch
+herein und denkt, er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel spielen;
+wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die ihn in ihrer rosenfarbenen
+Fleischlichkeit ankuckt, da wird ihm schon ganz anders.
+
+»Aus was für 'nem Himmel ist denn _das_ hierher geflogen?« fragt er.
+
+Und die Urte sagt: »Nehmen Sie Platz, Herr Tuleweit.« Und sie, die
+Erdme, bringt von dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer was da
+ist.
+
+Und die Urte sagt weiter: »Sie sehen es mir vielleicht nicht an, Herr
+Tuleweit, daß ich aus diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das
+macht nichts.« Und dann lobt sie ihn, weil ihr bekannt ist, daß er bei
+seinen Vorschlägen immer das Richtige trifft.
+
+Er bedankt sich und dienert.
+
+»Nun bin ich aber drauf und dran,« sagt sie weiter, »eine große Partie
+zu machen. Eine wirklich große Partie. Und da wär' es mir natürlich
+angenehm, wenn ich durch meine Schwester nicht in Verlegenheit käme. Ein
+Deutscher müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben, so daß man
+sagen könnte: >Meine Schwester ist an einen Gutsbesitzer verheiratet.<
+Das würde dann schon den richtigen Eindruck machen.«
+
+Die Erdme denkt: »Sie ist noch klüger als die Ulele.« Und der ganze Herr
+Tuleweit schwimmt wie Öl auf Zuckerwasser.
+
+Was an seinen bescheidenen Kräften liege, das werde sicher geschehen,
+aber letzten Endes sei es ja leider Sache der Mitgift.
+
+»Natürlich, natürlich,« sagt die Urte. Und wäre sie schon verheiratet,
+so würde es ihr auch nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich
+auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon mit etwas Bescheidenem
+vorlieb nehmen.
+
+»Was heißt bei Ihnen >bescheiden<?« fragt der kleine Herr Tuleweit und
+dienert nicht mehr.
+
+Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird sie sagen?
+
+Und sie sagt: »Nun, etwa fünftausend Mark.«
+
+Fünftausend Mark hat der Jons auf der Sparbank. Die hat er mit ihr in
+zwanzig Jahren zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht meinen.
+Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht sein für das kommende Alter.
+Gewiß will sie aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es fehlt
+womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit macht eine hängende Nase und
+sagt, bei einem so kleinen Anerbieten werde man leicht behandelt wie ein
+nichtsnutziger Schwätzer, aber er wolle schon sehen, er wolle schon Rat
+schaffen und hoffe auf spätere reiche Belohnung.
+
+Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht, in acht Tagen
+wiederzukommen.
+
+»Willst du die Fünftausend wirklich aus Eigenem geben?« fragt die Erdme
+voll Dankbarkeit.
+
+»Sehr gern wollt' ich sie geben,« sagt die Urte und lächelt; »nur, wenn
+ich sie hätte, dann braucht' ich sie selber.«
+
+»Wo sollen sie denn aber herkommen?«
+
+»Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,« erwidert die Urte. »Ist es
+nicht schon genug, daß ich auf meine Hälfte verzichte?«
+
+Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr ein Klumpen Heede im
+Schlund.
+
+Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit die Katrike ein Nest kriegt.
+
+Und die, die solange in der Kammer gelauert hat, kommt begierig
+gelaufen.
+
+»Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen hat er? Wieviel Pferde stehen im
+Stalle? Wieviel Rindvieh weidet am Ufer?«
+
+Da kriegt die Erdme die Sprache wieder. »Wenn es um _den_ Preis geht,
+dann schlag dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein Gespartes gibt der
+Vater dir nie.«
+
+Und die Katrike heult und wälzt sich am Boden. Ihren Besitzer will sie
+nicht lassen. Der ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der kommt
+ihr zu. Der gehört ihr zu eigen.
+
+Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um. Ihr Kind ist im Recht. Nie ist
+von was Anderem die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders
+gedacht.
+
+Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie und verspricht ihr das Blaue
+vom Himmel.
+
+Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die dickgeweinten Gesichter und
+wundert sich. Aber fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon
+abgewöhnt.
+
+Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste ist, geht ihm aus dem Wege,
+so viel sie nur kann, aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich
+versucht sie's mit Vorwürfen.
+
+»Du hast kein Herz für deine Töchter,« sagt sie, »und du achtest sie wie
+einen Strick um den Hals.«
+
+Er fragt: »Wer hat dir das zu wissen getan?«
+
+Und sie sagt: »Das ersieht man aus deinem Benehmen. Schon die Katrike
+hast du nicht leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist, ist es noch
+schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis« -- ein gemeiner Mann -- »und
+bleibst ein Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.«
+
+Er sagt: »Ich habe nie erfahren, daß du von besserer Herkunft wärest als
+ich. Als wir anfingen, Pracher waren wir da alle beide.«
+
+»Ich habe doch wenigstens meine Betten gehabt,« entgegnet sie drauf,
+»und sechsundsechzig Mark hatt' ich auch, aber du hattest so gut wie gar
+nichts.«
+
+Und er sagt: »Zu meinem bißchen habe ich zwei Jahre Arbeit gebraucht,
+aber wo du deine Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts
+Rechtes.«
+
+Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor die Stirn. »Ich habe dir
+vorgerechnet auf Heller und Pfennig,« sagt sie, wie mit Blut übergossen,
+und wendet sich ab.
+
+Sie ist nun so wütend auf ihn -- sie könnt' ihn beinahe vergiften.
+
+
+ 18
+
+Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder da. Er hat einen, der
+wäre nicht abgeneigt. Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit dem
+Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat eine verschuldete Wirtschaft nicht
+weit von Mineiken, und er ist der Dritte von Fünfen, hat eben gedient
+und hält bereits Umschau unter den Töchtern der Gegend. Ob man nach
+deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf dem Markt oder auf dem
+Gericht oder sonst irgendwo, als käm' es durch Zufall.
+
+Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts, aber ihre Tochter, die
+Urte, will alles schön in die Hand nehmen.
+
+Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen. Dort wird der junge Herr
+Schmidt einen Schimmel seines Vaters am Halfter führen, und die
+Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern. Und was dann folgt,
+wird Herr Tuleweit bestens besorgen.
+
+Das wird von nun durch und durch geredet, stundenlang, tagelang. Für die
+drei Frauensleute gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt. Kaum daß
+die Hausarbeit notdürftig besorgt wird zwischen all dem Getuschel.
+
+Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder. Wenn er nicht einen neuen
+Freund bekommen hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein
+gewesen.
+
+Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer Hund. Du glaubst es nicht,
+wie sich das langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem Hof gestanden
+und ist still zur Seite gewichen, wenn ihn einer hat anrühren wollen.
+Keinen hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer ihn zu
+streicheln meinte, der griff in die Luft. Ins Haus hat ihn keiner
+'reinholen können, selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie
+ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl mit ihr gegangen, aber beim
+nächsten Wupp war er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich
+ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die Arbeitswagen stehen und
+etwas Heu immer verstreut liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein
+Fressen gebracht, und da lag er und blickte still um sich.
+
+Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit Locken und mit Betatschen
+zu nahe zu kommen, war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu fein und zu
+herrschaftlich. Aber siehe da! Eines Frühmorgens, wie der Jons als
+erster aus dem Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen, wer ist
+da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen und hat sich
+zukuckend auf die Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend
+geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück, bis der Jons zum Mittagessen
+nach Hause ging? Und wer ist allmählich näher gekommen und hat sich mit
+leisem, langem Bisse das Brot aus den Fingern geholt? Und wer ist
+schließlich sogar, wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden
+Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat bei ihm Wache gehalten
+stundenlang, bis er beladen zurückkehrte?
+
+Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde sollen ja immer untreu
+sein, sagen die Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater; nur wenn
+sie spazieren geht auf der Chaussee nach Heydekrug oder nach Ruß hin,
+dann nimmt sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas zum Staunen
+haben.
+
+Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber das macht nichts. Denn dort
+sieht man doch Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt
+hinterherraten, weil sie das plötzliche Wunder nicht zu fassen vermögen.
+Und Urte fühlt sich als Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst
+mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die alle sehnsüchtig hinstarren,
+denen im Hinterwalde zu hausen bestimmt ist.
+
+Bisweilen trifft man auch junge Männer mit Schmissen, die sicherlich in
+Königsberg studiert haben und denen man vielleicht einmal auf dem Schoße
+gesessen hat.
+
+Denen wirft man gelegentlich einen lockenden Blick zu und bringt sie zum
+Rasen. Denn irgend eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben in der
+torfschwarzen Öde.
+
+Nur an dem Hause des Moorvogts geht man ungern vorbei. Man weiß es
+nicht, aber man spürt's in den Gliedern, daß dort hinter den
+Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich sie und ihr Leben
+durchmustern. -- --
+
+So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt heran, auf dem die Besitzer von
+weit und breit zu Kauf und Trunk sich treffen.
+
+Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh hingebracht, die demnächst
+stehen soll und die darum eingetauscht werden muß.
+
+Die Schwestern melden sich erst, als er weg ist, denn mit dem Vater
+zusammen einzuziehen, hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr
+gefördert. Wenn alles gut geht, gleitet man im Gedränge an ihm vorbei
+und braucht ihn nicht einmal anzureden.
+
+Die Katrike wird heute von der Urte extra zurechtgemacht. Sie darf die
+Haare nicht brennen und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen
+faucht, die Schwester sei nichts weiter als neidisch. Aber die lächelt
+nur und ist nicht einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen
+Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen.
+
+Dann ziehen sie los, und die Erdme weint und betet hinter ihnen her.
+
+Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen.
+
+Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er hat einen guten Handel gemacht. Die
+neue Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und kaum einmal zuzahlen
+hat er dürfen.
+
+Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht. Er schlingt finster sein
+Mittagbrot und fragt mit keinem Wort nach den Töchtern.
+
+Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die heute früh hat angebunden
+werden müssen, weil sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein wollte.
+
+Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf in seine Arme nimmt und
+leise zu ihm herniederredet.
+
+Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht hinter ihm her und sagt: »Mit
+dem unvernünftigen Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau, gönnst du
+kein gutes Wort.«
+
+Und er sagt: »Ich habe die beiden Marjellen getroffen, ausgeputzt und
+mit fremden Männern. Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite
+gedreht. Ist das nicht etwa genug?«
+
+Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz. »Wer kann seine Augen überall
+haben?« sagt sie.
+
+Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten sie sich, ob er nicht
+endlich schon weg sei.
+
+»Und _wenn_ auch,« sagt sie. »Was kann _ich_ dafür?«
+
+Da läuft ihm die Galle über, und alles, was er in sich verborgen hat
+seit Jahren, kommt ans Tageslicht.
+
+»Was du dafür kannst?« schreit er. »Du hast zwei Faulenzerinnen erzogen,
+zwei Rumtreibersche hast du erzogen, die kein Verlangen tragen nach
+Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen und sich den Rücken wundschlafen
+bis Mittag -- die es mit den Deutschen halten und ihren Vater achten,
+als wär' er ein Schnodder. Soviel kannst du dafür, wie die Stute kann,
+daß ein Fohlen aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!«
+
+Die Erdme denkt an das, was sie neulich heruntergeschluckt hat. Eine so
+zornige Rede darf sie nicht ohne Antwort lassen.
+
+»Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,« sagt sie, »aber da kommst
+du gerad' an die Rechte.« Und dann wirft sie ihm vor, daß sie es war,
+die den ganzen Wohlstand geschaffen hat, daß er nichts Anderes gewesen
+ist als ihr Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet hat
+fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder andere Knecht ersetzen kann,
+wenn es ihr paßt, ihn zu mieten.
+
+Die Augen schwellen ihm zu und glupen nach rechts und glupen nach links,
+als sucht er was und kann es nicht finden.
+
+»Was du sagst, mag wohl so sein,« sagt er, »nur in einem könnt' er mich
+nicht ersetzen, nämlich dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu geben.«
+
+Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den Pfahl aus der Erde, an dem
+die Petruschka angebunden ist, und schlägt damit die Erdme über den
+Rücken.
+
+Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt die flachen Hände als
+Stütze. Die Jette, die grienend zugehört hat, schreit auch und springt
+auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn der Pfahl ist zu dick, als
+daß menschliche Glieder unter ihm ganz bleiben könnten.
+
+Darum wirft er ihn auch weg und holt aus dem Stalle die Peitsche. Die
+Petruschka läuft winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend die Hände,
+aber er achtet ihrer nicht, schlingt die hanfene Schnur um den Stiel und
+läßt ihn im Bogen durch die Luft hinpfeifen.
+
+So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme noch kniet.
+
+Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn vor ihm da -- bleich
+und zusammengefallen wie immer -- umpusten könnte man ihn --, aber in
+seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem er sich sonst die
+Spatzen vom Kirschbaume schießt.
+
+Ihm das Gewehr zu entreißen, wär' leicht, aber was dann? Wie kann man
+sein Weib noch bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen?
+
+Drum bleibt er ruhig und sagt: »Nachbar, hast du mal was von
+Hausfriedensbruch gehört und Bedrohung mit tödlichen Waffen?«
+
+Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und stellt sich so vor die Erdme,
+daß er sie mit dem Leibe deckt.
+
+»Ich fordere dich also auf, meinen Grund und Boden zu verlassen -- zum
+ersten, zum zweiten und zum dritten Male.«
+
+Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein rechter Zeigefinger liegt
+dicht vor dem Abzug.
+
+»Gut,« sagt der Jons, »ich geh' jetzt zum Rechtsanwalt, der wird die
+Anzeige erstatten. Aber die Peitsche nehm' ich mit, und treff' ich
+unterwegs die beiden Marjellen, dann werden sie die Prügel kriegen, die
+ihrer Mutter noch zustehen.«
+
+Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann völlig zu Boden. Er aber
+kehrt sich nicht daran und geht seiner Wege ...
+
+Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und die beiden Marjellen hat er
+auch nicht getroffen. Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen
+geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit zu Hause
+angelangt ist, da hat er das Nest leer gefunden. -- Keine Frau, keine
+Töchter, keine Magd.
+
+Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man kann ihre Stimmen hören über
+den Weg hin.
+
+Und das Sparkassenbuch ist auch weg.
+
+Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist bloß der fremde Hund da, der
+aus traurigen Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er die Übeltat
+gutmachen, die man ihm angetan hat und die im Grunde genommen seine
+eigene Übeltat ist.
+
+
+ 19
+
+Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn auf die Erdme gewartet.
+
+Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann.
+
+Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder und wieder an. Sie ist
+die Schönste, die Jüngste, die Kräftigste geblieben, aber er ist ein
+alter Mann.
+
+Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und schwatzen, wie sie nur mögen,
+und achtet ihrer nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die die
+Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach geben muß, weil sie nun einmal
+zu ihr gehören. Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner Magd.
+
+Die Urte und die Katrike haben gestern Großes erlebt, und das erzählen
+sie immer von neuem: Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen hat, da
+ist er gleich ganz hingenommen gewesen. Zuerst hat er freilich gedacht,
+die Urte sei ihm als Zukünftige bestimmt, und da hat er sich
+zurückziehen wollen, denn er ist sich nicht gut genug erschienen für
+sie; wie er aber gehört hat, daß die Katrike es ist, da hat er um so
+freudiger zugegriffen und hat mit ihnen beiden und dem Herrn Tuleweit in
+der »Germania« gesessen bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit weiß
+auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit Fünftausend Anzahlung wohl
+zu haben wäre, nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn sein Vater
+gibt ihm rein gar nichts.
+
+Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht die Erdme hoch auf, denn von
+ihrem Eigenen her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die nicht
+gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind in der Frühe.
+
+Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem Eimer hinübergehen. Die
+wehrt sich erst, denn sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich
+tut sie's doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie, der Wirt habe auf
+der Häckselbank gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, und die
+Petruschka vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr umgesehen.
+
+Und die Urte erzählt weiter: Um drei nachmittags habe der junge Herr
+Schmidt weggemußt, aber am Nebentisch -- da hätten ein paar vornehme
+junge Herren gesessen mit Schmissen und goldenen Kneifern, die wären
+schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt zu machen, und hätten
+ihr zugeprostet und so. Und schließlich wären sie alle zueinander
+gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den Abend. Den kleinen
+Herrn Tuleweit hätten die fremden Herren erst für den Vater gehalten;
+als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler sei, da wäre des
+Neckens kein Ende gewesen, so daß er nichts Besseres zu tun gewußt habe,
+als bald zu verschwinden. Und von nun an sei es erst recht hoch
+hergegangen.
+
+Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen mit Heimlichtun nicht zu
+Ende.
+
+Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den Haushalt besorgen, aber das Kreuz
+ist ihr wie gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum redet die Urte
+ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest zu beschaffen wegen der künftigen
+Scheidung.
+
+Um vier Uhr nachmittags wird drüben der gute Wagen angespannt, und Jons
+fährt weg, ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen.
+
+Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was gestern zur Nacht nicht
+mitgebracht werden konnte.
+
+Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme bei sich trägt, hat der Jons
+zum Schutze vor Einbruch ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern
+kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig zum Lachen.
+
+Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen, und auch sie selber gibt
+an, was sie für Sonntags wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug
+haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel Gäste versorgen?
+
+Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt! Die Federbetten gehen mit,
+und so noch vieles andere, so daß der Handwagen des Nachbars viermal
+hochbeladen den Knüppelweg überquert.
+
+Schwer wird der Abschied von den Kühen, die die Erdme nicht einmal
+melken kann, so weh tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und wirft
+ihnen Heu hin und denkt: »Wie gut wär's, wenn ich sie drüben hätte!«
+Auch die Neue ist ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat sie sie
+kaum schon gesehen.
+
+Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter, und dann geht es heim.
+
+ * * * * *
+
+Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause des Nachbars ein furchtbarer
+Lärm. Schwere Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons betrunkene
+Stimme schreit: »Ihr Diebe! Ihr Räuber! Kommt 'raus! Ich schlag' euch
+tot, ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und dann ihren« --
+»Liebhaber« sagt er nicht, es ist ein viel schlimmeres Wort, das er
+sagt. Und ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd und droht, sie
+alle zu erschlagen.
+
+Die Urte und die Katrike knien im Hemd an der Mutter Bett und kreischen
+bei jedem Schlage, der das Ladenholz zersplittern will. Und vor der
+Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und ruft durchs Schlüsselloch, sie
+möchten ganz ruhig sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn der
+draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen.
+
+Aber schließlich entfernt sich der Wüterich, und auch das Winseln und
+Heulen Petruschkas verstummt nach und nach.
+
+Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch zwischen dem Nachbar
+Witkuhn und der Erdme.
+
+»Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,« sagt der Nachbar,
+»aber heute seh' ich ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was du
+für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu Diensten sein, was dein
+Wunsch ist.«
+
+»Ich weiß nicht aus, nicht ein,« sagt die Erdme.
+
+Und der Nachbar sagt: »Ich habe es mein Lebenlang für das größte Glück
+auf Erden gehalten, daß du einmal meine Frau würdest. Aber nun mir
+plötzlich die Möglichkeit gegeben ist, daß es so werden könnte, da seh'
+ich ein, ich bring' es nicht übers Herz. Denn jeder wird sagen, wie Er
+es ausschrie heute nacht, daß wir in Buhlschaft gelebt haben alle die
+Jahre.«
+
+»Beinahe wär' es ja so gewesen,« sagt die Erdme.
+
+»Wenn es so gewesen wäre,« erwidert der Nachbar, »dann hätten wir längst
+kein Gewissen mehr und keine Scham und würden lachen, wenn die Leute mit
+Fingern auf uns zeigen. Aber nun schreck' ich schon zurück bei dem
+Gedanken, Ihm auf dem Weg zu begegnen.«
+
+»Ich dränge mich niemandem auf,« sagt die Erdme gekränkt.
+
+»Und ich bin ein alter Mann,« sagt der Nachbar. »Ich möchte nicht, daß
+du mir fluchst, wenn du mich auf den Kirchhof trägst.«
+
+»So bleibt mir als einziges,« sagt die Erdme, »daß ich in Ausgedinge zu
+der Katrike zieh', wenn die jetzt heiratet.«
+
+»Ist es denn schon so weit?« fragt der Nachbar.
+
+»Wenn ich alles hergebe,« sagt die Erdme und drückt die Hand gegen das
+Sparkassenbuch, das sie auf nackigem Leibe trägt, »dann ist es so weit.«
+
+»Er wird das Geld schon gesperrt haben,« sagt der Nachbar.
+
+»Vielleicht auch nicht,« sagt die Erdme, und weil sie sowieso nach
+Heydekrug muß wegen des Doktorattestes, wird sie auch gleich die
+Fünftausend abheben, die ihr nicht weniger gehören als ihm.
+
+Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn er selber hat immer noch keins,
+und wie sie aufsteigen will, muß sie von zweien gehoben werden, so
+verschwollen ist alles.
+
+Als der Doktor sie untersucht hat, macht er ein ernstes Gesicht und
+sagt: »Schlimm genug sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich
+schreiben muß, aber ich rat' euch trotzdem: Vertragt euch!«
+
+Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie ein ängstlicher Traum, und
+oft hat sie gedacht: »Wenn er jetzt käme und sagte: >Laß gut sein< --
+weiß Gott, ich ginge zurück.« Wie der Doktor aber sagt: »Es sieht
+schlimm aus,« da wird ihr Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß
+sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den Menschen.
+
+Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem und zahlt ihr das Geld
+ohne Bedenken. »Ja ja,« sagt er, »wenn man Töchter verheiraten will.«
+
+Und da hat sie's auch schon in den Händen.
+
+Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie selber kann sich nicht an-
+und nicht ausziehen, weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt
+sie »Mamusze« und »Mammelyte«, was sonst nur die Urte sagt, und »Mane
+Baltgalwele« -- mein Weißköpfchen -- nennt sie sie, wie die alten Mütter
+in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar noch fast braun ist.
+
+Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu, jetzt wird sie dem Jons
+begegnen, aber sie begegnet ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl
+fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite der Chaussee gelegen ist,
+sieht sie was Helles. Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn,
+denn er ist wohl wieder betrunken.
+
+Von weitem schon hört man das Brüllen der Kühe. Die müssen verkommen,
+wenn man sie da läßt.
+
+»Hast du Platz im Stalle für sie?« fragt die Erdme.
+
+»Ich habe Platz für alles, was dein ist,« sagt der Nachbar.
+
+Darum schickt sie auch gleich die Jette und die Witkuhnsche Magd
+hinüber, die Kühe zu holen.
+
+Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene. -- Das Geld und das Vieh
+-- alles ist da. Nun kann geheiratet werden.
+
+Und noch am selben Abend macht sie sich auf, zum kleinen Tuleweit zu
+gehen, damit er so rasch wie möglich alles in Ordnung bringt.
+
+Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher nach Heydekrug zu
+machen, wo irgendwo am Spazierweg die jungen Herren von gestern schon
+warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka nicht bei ihr ist --
+dann wäre ihr Anblick zehnmal so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie
+schließlich zu Hause.
+
+Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß der Spektakel von voriger
+Nacht heut wegen der Kühe noch einmal losgehen wird.
+
+Aber nichts regt sich fortan.
+
+Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche lang, und wenn sie sich
+aufrichten will, kriegt sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich
+hochzieht.
+
+Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen herüber, was für die
+Aussteuer irgend von Wert ist -- den großen Ecktisch und den
+buntblumigen Schrank und noch vieles andere.
+
+Niemand hindert sie dran, denn morgens fährt er weg, und mit der
+Dunkelheit kommt er wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was er
+macht und wo er sich aufhält, weiß keiner.
+
+Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit tritt ein junger Mensch in
+die Kammer. Der hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche
+Augen. Und hinterher schiebt sich mit heißem Gesicht und frisch
+gebranntem Strohhaar die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer als er
+und sieht aus, als möcht' sie ihn auf den Arm nehmen.
+
+Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter künftiger Bräutigam.
+
+Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch an, und sie richtet sich
+auf und sagt auf Deutsch:
+
+»Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir reden das Deutsche genau so wie
+Sie. Und im Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen habe.
+Gewöhnlich arbeit' ich wie sonst nur die Jüngste.«
+
+Die Katrike und der junge Mensch sehen sich verstohlen an, woraus sie
+schließen muß, daß ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und noch
+etwas Anderes will sie daraus schließen, aber das drängt sie sofort von
+sich ab.
+
+Er möchte am liebsten das Geld gleich mit sich nehmen, aber sie weiß,
+daß es ihr wohlgeborgen unter dem Leibe liegt, und erst müßte man sie
+totschlagen, ehe sie es hergäbe.
+
+»In dem Kontrakt soll stehen,« sagt sie, »daß ich eine Altsitzerstelle
+bekomme mit so und so viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner zu
+halten, und noch anderen Rechten, die ich alle bezeichnen werde. Sonst
+wird aus dem Kaufe nichts.«
+
+Die Katrike fängt sofort an zu weinen und klagt sie an, sie steh' ihrem
+Glücke entgegen. Der junge Herr Schmidt aber sagt: »Es _wird_ auch alles
+in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein ganz anderer Kontrakt als der,
+den ich mit dem Besitzer abschließen werde. Denn den geht es nichts an,
+was wir miteinander ausmachen wollen.«
+
+Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche klüger ist als sie selbst, und
+schickt sich in das, was verlangt wird.
+
+Aber erst will sie gesund sein und mit aufs Gericht gehen und alles
+bewachen können bis in das kleinste.
+
+Die Katrike und der junge Herr Schmidt sehen sich schon wieder an. Dann
+aber geben sie sich die Hand und knien am Bette nieder und bitten um
+ihren Segen.
+
+Sie weint und küßt und segnet die beiden, aber in ihrem Innern denkt sie
+dabei: »Ich will doch erst den Rechtsanwalt fragen.«
+
+
+ 20
+
+Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien, und wenn einer am
+Chausseehaus vorübergeht, sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine
+Art, über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins klare zu kommen. Aus
+ihrem Aussehen, ihrem Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen, und
+den Lasten, die sie tragen, kann er genau erkennen, wie er mit ihnen
+dran ist, ob sie vorwärts kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind.
+
+Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling mehr, und die dreißig Jahre, die
+er dem Moor geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen. Aber sein
+Auge sieht noch so scharf wie je, und noch immer hält er zweitausend
+Schicksale straff an der Leine.
+
+Eines schönen Sommerabends sieht er den Jons Baltruschat zu Fuß nach
+Hause gehen, und doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren.
+Der Jons Baltruschat ist ihm schon seit einiger Zeit auffällig gewesen.
+Morgens macht er sich auf nach der Wiese, und abends fährt er betrunken
+zurück. Und der fremde weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter gehört,
+läuft nebenher.
+
+Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken tut er. Aber seine Gangart
+ist mehr wie die eines Kranken als die eines Betrunkenen.
+
+Darum macht der Moorvogt das kleine Fensterchen auf, durch das früher
+die Stange mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft ihm nach:
+»Jons, komm doch mal 'rein!«
+
+Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts gehört, doch wie der
+Moorvogt nicht nachläßt, da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und
+tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm. Sie läuft sofort zu dem
+Moorvogt, steckt die Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt die
+nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen: »Wenn _du_ nicht hilfst!«
+
+Der Moorvogt braucht nur _einen_ Blick, um zu sehen: Der Jons ist so gut
+wie ein verlorener Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken bloß und
+verschüchtern, darum sagt er gleichsam so nebenher: »Mir war doch, als
+bist du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du das irgendwo stehen
+gelassen?«
+
+»Ja,« sagt der Jons, »das hab' ich stehen gelassen.«
+
+»Na, wo denn?«
+
+»Auf -- der -- Chaussee.«
+
+»Aber warum denn?«
+
+»Ja -- na.« Mehr ist nicht aus ihm 'rauszukriegen.
+
+»Dann wollen wir's doch gleich einmal holen gehen,« sagt der Moorvogt
+und greift nach der Mütze.
+
+Aber der Jons will nicht. »Wenn es 'n Zweck hätt',« sagt er.
+
+»Warum hat's keinen Zweck?«
+
+»Weil das Pferd gar nich mehr da is.«
+
+»Wo ist es denn?«
+
+»Wer kann wissen?«
+
+»Ach so,« sagt der Moorvogt. »Du bist betrunken gewesen, hast dich in'n
+Chausseegraben gelegt, und unterdessen hat's dir einer ausgespannt.«
+
+»Wer kann wissen?« sagt der Jons.
+
+»Und da gehst du hier vorbei und machst keine Anzeige? Möchtest du den
+hübschen Braunen gar nicht mehr wiederhaben?«
+
+»Is ja alles egal,« sagt der Jons.
+
+»Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.«
+
+»Da waren auch noch die Kühe da.«
+
+»Sind die denn _nicht_ mehr da?«
+
+»Nichts is mehr da. Die Schweine werden sie heute auch wohl geholt
+haben.«
+
+»Wer denn?«
+
+»Na, die Erdme und die Marjellen.«
+
+»Und das läßt du dir ruhig gefallen?«
+
+»Is ja alles egal.« Und dabei bleibt er.
+
+Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt auf, wie der Mensch zum
+rettenden Herrgott. Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell
+verfilzt ist und verschorft von Wunden und schwarzgrau. Und er sagt:
+»Wie kommt's, daß der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?«
+
+»Das is so gekommen,« sagt der Jons.
+
+»Weißt du, was deine Tochter für eine ist?« fragt der Moorvogt.
+
+»Ich will es auch gar nicht wissen,« sagt der Jons.
+
+Damit geht er.
+
+Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher wegen des Braunen und
+hat dann eine schlaflose Nacht.
+
+Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus kommen. Der bibbert am
+Krückstock, und seine Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das
+kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein Schnurrbart wölbt sich
+forsch, als will er den Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen.
+
+Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür hat seine Vierte reichlich
+gesorgt. Wenn es Gott will und sie stirbt, die ist imstande und
+verleidet ihm vorher die Fünfte.
+
+»Was ist also mit den Baltruschats los?« fragt der Moorvogt. Und nun
+erfährt er das Nötige.
+
+»Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen und hast es erzählt?«
+
+Seine Frau hat es nicht gewollt.
+
+»_Warum_ hat deine Frau es nicht gewollt?«
+
+Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet, und dafür muß sie sich
+rächen.
+
+»Und was hat sie ihm gepfändet?«
+
+Der Smailus lacht schadenfroh. »Das ist gar nicht zu zählen,« sagt er.
+Überhaupt _das_ Weib! Aber davon will der Moorvogt nichts wissen.
+
+»Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn mal was vorgehabt hat?«
+
+Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine eigenen vier Weiber ihm treu
+gewesen sind, das weiß er, bei den anderen kann man niemals drauf
+schwören.
+
+»Aber bemerkt hast du nichts?«
+
+Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum wird er entlassen. -- -- --
+
+Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll er die Erdme in dem
+Witkuhnschen Hause besuchen oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht
+er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch, und Kreuz und Kopf trägt
+sie bewickelt, aber kriechen kann sie doch schon.
+
+»Du -- komm mal 'rein!«
+
+Sie steht da und sieht ihn böse an.
+
+»Schöne Geschichten hör' ich von dir.«
+
+Sie schweigt und sieht ihn böse an.
+
+»Nach fünfundzwanzigjährigem Leben -- schämst du dich nicht?«
+
+Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er sie geschlagen -- beinahe das
+Rückgrat hat er ihr gebrochen -- mit Schmutznamen hat er sie belegt --
+ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt -- die ehr- und tugendsamen
+Töchter hat er mißhandeln wollen, und was das Schlimmste ist, das Vieh
+hat er verhungern lassen, so daß sie es nur durch Rüberholen mit knapper
+Not errettet hat.
+
+Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt schlimm für den Jons, und
+_sie_ ist eine Furie geworden. Mit gut Zureden wird der nicht
+beizukommen sein. So versucht er es also mit böse: »Weißt du, was ich
+jetzt tun werde? Ich werd' dich durch den Gendarm in die Kaluse bringen
+lassen.«
+
+Aber sie lacht ihn nur aus. »Das können Sie ja. Bloß morgen werd' ich
+schon wieder bei Ihnen vorbeigehen.«
+
+»Wenn du dich nur nicht irrst.«
+
+»Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen Antrag gestellt. Und er
+wird auch gar keinen stellen. Denn hier unter der Wiste hab' ich das
+Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie schlimm es gewesen ist und
+daß ich nur durch ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die Kalus'
+fliegt, dann ist er es. Und ich zieh' jetzt zu meiner älteren Tochter.
+Die wird eine reiche Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot
+bestellen kommen. Und wenn ich erst hier 'raus bin, dann kann man mir
+sonst was.«
+
+Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung. Im Laufe der Jahre
+haben nur wenige ihm so entgegenzutreten gewagt.
+
+»Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat, das will ich nicht
+verstanden haben. Aber eins prophezei' ich dir: der Tag wird kommen, und
+er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich preisen, bei dem Jons
+noch einmal unterkriechen zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann
+auch aufnimmt.«
+
+Sie beißt die Zähne zusammen und schwört bei Gott dem Allmächtigen:
+»Eher geh' ich und ertränk' mich im Torfloch.«
+
+Und damit humpelt sie wieder hinaus nach Heydekrug zu, wo der
+Rechtsanwalt ihr raten soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und
+Schwiegersohn, denen sie alles opfert, sie übervorteilen wollen.
+
+
+ 21
+
+Das Geld muß hergegeben werden. Da ist nichts zu machen. Denn ohne
+Anzahlung kommt das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird aus
+Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben, damit der junge Herr
+Schmidt vor der Hochzeit nicht etwa noch abschnappt.
+
+Die Kühe und die Schweine und alles, was vom Hausrat herübergetragen
+ist, sollen mit in die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht weniger
+als alles.
+
+Der Kontrakt wird unterschrieben, und das Geld ist weg -- so schnell,
+wie man eine Fliege in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert
+die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der bisherige Besitzer
+behauptet, er hätte sein Hab und Gut wegwerfen müssen, und der junge
+Herr Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises wäre auch noch
+reichlich gewesen. Daß es zum Prügeln nicht kommt, daran ist nur die
+Urte schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen macht und dadurch das
+Schlimmste verhindert.
+
+Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach noch ein bißchen spazieren
+geht, wobei sie alsbald die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die
+ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren Chaussee
+freundschaftlich einigen kann.
+
+Die Katrike will mit dem jungen Herrn Schmidt über Nacht zu den
+Schwiegereltern fahren, was ihr nicht zu verdenken ist, und darum geht
+die Erdme allein nach Hause.
+
+Nach Hause? -- Als ob sie ein »Zuhause« hätte -- das soll erst morgen
+kommen. Denn für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag
+bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste geschrieben, was ihr bis zu
+ihrem seligen Tode zukommen wird -- ja sogar für die Zeit _nach_ dem
+Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger als zehn Fladen und sechs Achtel
+Bier müssen den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das Kreuz auf
+ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein.
+
+So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl ist ihr doch nicht zumut.
+Wenn jetzt zum Beispiel der Jons des Weges käme, wie könnte sie ohne ein
+Wort an ihm vorübergehen?
+
+Da ist nun die lange Brücke, die über die Sumpfniederung führt! Und sie
+muß des Frühlingstages gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig Jahren
+mit Jons zum Moor hinauszog. Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus dem
+blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm: »Wie die Blumchen da vorwärts
+kommen, ohne zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.«
+
+Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern gewesen.
+
+»Aber was hilft das Vorwärtskommen,« denkt sie, »wenn einem zuguterletzt
+alles wieder zunichte wird.«
+
+In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie seien längst über den Berg,
+und Hader könnt's gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da gewesen
+wie der Dieb in der Nacht und hat alles -- aber auch alles -- zunichte
+gemacht.
+
+Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike, die ihr das Geld aus den
+Händen riß! Kaum einmal warten konnte die Kröt', bis sie die Wiste
+aufgehakt hatte!
+
+»Aber morgen,« denkt sie, »morgen wird alles festgemacht werden.« Aus
+dem Hause wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der Rechtsanwalt
+schon gesorgt, und das Brautpaar hat wohl oder übel seine Zustimmung
+geben müssen.
+
+Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen um elf werden sie sich wieder in
+Heydekrug treffen, und übernächsten Sonntag kann dann die Hochzeit sein.
+
+Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut, als muß sie sich wieder
+krank hinlegen, so zerschlagen fühlt sie sich. Aber das kommt nicht vom
+Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie alles hergeben muß.
+
+Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl und redet ihr Trost zu. Aber was
+kann er viel sagen?
+
+Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte. Sie hat heiße Backen und sieht
+verjucht und verjachert aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet, und der
+unverschämte Kerl hat sie angehalten und verlangt, sie soll ein
+Führungsattest beibringen. Was der sich wohl denkt?
+
+Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen, aber zu der ermatteten
+Mutter ist sie voll Zärtlichkeit und besteht darauf, daß der Nachbar
+einen Wagen besorgt und sie morgen selber nach Heydekrug fährt. Denn der
+weite Gang zwei Tage gleich nach einander könnte zu viel für sie sein.
+
+Spät abends kniet sie noch vor der Mutter Bett und streichelt und küßt
+ihr die Hände und bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat und
+weiter noch tun muß. Die Erdme weiß zwar nicht, was sie meint, aber von
+solcher Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug ganz naß
+weint.
+
+Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt, fängt die Urte von
+neuem an, gerade so, als wär' es ein Abschied für immer.
+
+Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur Augen für drüben. Ob nicht der
+Jons sich irgendwo sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und still.
+Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf. Freilich, blitzen tut die
+nicht mehr, denn die ist jetzt dreckig, wer weiß wie.
+
+Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem Rechtsanwaltshaus. Sie denkt,
+die Brautleute schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch um halb
+zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig.
+
+Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte Termin und sagt im Vorbeigehen,
+jetzt müßte sie warten bis zwei, denn früher käm' er nicht wieder.
+
+Und wie er um zwei wiederkommt, sind die Brautleute noch immer nicht da.
+
+»Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,« sagt er. »Inzwischen können sie
+immer noch kommen.«
+
+Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut seit langem das Kreuz weh,
+und der Nachbar redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen. Dort kann
+sie sich wenigstens ausstrecken. Aber sie will nicht. Sie könnte das
+Brautpaar am Ende verfehlen.
+
+Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps, und dann geht es ja wieder.
+
+Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher heraus und sagt, für
+heute sei es nun leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da und
+der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder auch sonst wann zur Beglaubigung
+gerne bereit sein.
+
+So fahren sie wieder zurück. Die Erdme hat das Kopftuch um Mund und
+Backen gebunden und redet kein Wort. Was soll sie auch reden? Man muß
+sich ja fürchten zu denken -- um wieviel mehr noch zu reden!
+
+Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren. Und so kommen sie an.
+
+Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann es euch zehnmal erzählen, ihr
+glaubt es mir doch nicht.
+
+Die Kühe sind weg. Die Schweine sind weg, die Betten sind weg. Auch der
+andere Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso weg. Und selbst
+die kröt'sche Marjell, die Jette, ist weg.
+
+Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches Mädchen ist, sieht die
+erschreckten Gesichter und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt, es
+geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte sie den Nachbar Smailus
+gerufen oder sonst wen -- und sie schielt hinüber nach Baltruschats
+Haus.
+
+Was bei Jesu Namen _ist_ also geschehen?
+
+Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren. Darauf haben die
+Brautleute gesessen und haben erklärt, sie wollten jetzt alles
+überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört. Und die Mutter wäre
+schon dort, um einzurichten, und käme nur später noch einmal, die
+eigenen Sachen zu holen.
+
+Und dann haben sie vorne das Hausgerät aufgeladen und hinten die
+Schweine. Und die Kühe haben sie angebunden, und so sind sie
+davongefahren. Und die Urte hat ihr noch fünf Mark geschenkt für die
+gute Bedienung.
+
+Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den Tisch gelegt. An wen die sind,
+weiß sie nicht, denn Aufschrift hat keiner.
+
+Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und gefühllos. Der Nachbar und die
+Magd müssen sie in die Stube tragen.
+
+Da liegen die Briefe.
+
+Die Katrike schreibt so:
+
+»Mein geliebtes Mütterlein!
+
+Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich von Dir zu trennen. Mein
+Bräutigam, der junge Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber so.
+Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht Sitte, daß gleich die Mutter
+als Altsitzerin in die Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie
+wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit wird in kleinstem Kreise
+gefeiert werden, und darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was mir
+auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet. Das Vieh und die anderen
+Sachen habe ich gleich mitgenommen, denn mein Bräutigam, der junge Herr
+Schmidt, hat es schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen. Ich
+bedanke mich auch sehr für alles, womit Du mich beschenkt hast, und
+werde Dich lieben in Ewigkeit.
+
+ Deine treue Tochter Katrike.«
+
+Und die Urte schreibt so:
+
+»Meine Mamusze!
+
+Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt, aber die Katrike bestand
+darauf. Darum habe ich Dich gestern und heute auch immerfort um
+Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich nicht, sondern fahre von
+Jugnaten aus gleich nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen Kleider
+nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus, noch weit ärmer, als die Ulele
+einst war, dann würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so würden wir
+uns beide gegenseitig nur hinderlich sein. Darum rate ich Dir, laß Dich
+rasch scheiden und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja immer
+geliebt hat. Wenn man daran denkt, scheint es einem wie ein trauriges
+Buch, und das muß doch wenigstens einen befriedigenden Schluß haben. Zu
+dem bösen Vater kannst Du ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka
+mag bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe wohl, meine Mamusze,
+und sei mir nicht böse. Ich schicke Dir bald etwas Schönes.
+
+ Deine Urte.«
+
+So lauten die Abschiedsbriefe der beiden Töchter.
+
+
+ 22
+
+Die Erdme will sich ins Bett legen, denn die Beine tragen sie nicht.
+
+Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die Kammer. Er hat seinen Mantel
+auf dem Arme und sagt: »Bis heute waren die Töchter da. Ich könnte ja
+jetzt die Magd bei dir schlafen lassen, aber vor Gericht glauben sie ihr
+am Ende nicht, weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn ich auch ein
+alter Mann bin, da ich nun einmal mit dir im Verdacht stehe, so möchte
+ich dir das künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit dir zur Nacht
+allein unter einem Dache verweile. Oder doch so gut wie allein. Ich
+werde darum den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit bitten und
+darin fortfahren, solange dein Ruf es verlangt.«
+
+Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach mehr über dem Kopfe hat, denn
+den Nachbar aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht.
+
+Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung nicht abzubringen sein
+wird, so willigt sie zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung
+mit auf den Weg und sagt, sie wird gleich zur Ruhe gehn.
+
+Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock, auf den sie sich stützen
+muß, -- und siehe da! jetzt tragen die Beine sie wieder.
+
+Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft, und damit verläßt sie
+den Hof.
+
+Es ist ein lieblicher Abend, nur -- Gott sei's geklagt -- sie weiß
+nicht, wohin.
+
+Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch. So ein Schwur ist leicht
+gegeben, will man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht schwer.
+
+Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein müssen, denn was bleibt ihr
+sonst übrig?
+
+Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt noch einmal nach ihrem Eigenen
+hinüber.
+
+»Es ist merkwürdig,« denkt sie, »daß man nie etwas von ihm sieht oder
+hört.« Seit sie ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht mehr
+wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch nicht vorbei. Selbst die Petruschka
+ist wie in die Erde gesunken.
+
+Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume, deren Beeren schon halb
+und halb rot sind, und auch den Garten besieht sie von ferne. Viel
+erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist schon im Fallen, aber
+daß die Sonnenblumen im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen der
+Zuckerschoten umgeschmissen hat, das bemerkt man auch von dem Weg her.
+
+»Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,« denkt sie, »so würd' ich nachher
+über den Zaun klettern und sie noch aufrichten.«
+
+Und dann macht sie sich auf -- nach dem Torfloch.
+
+Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett übergossen an seinem Rande
+stehen, hat sie noch selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie einst
+in den Jahren der Jugend. Mit der Magd waren sie drei, so wie es die
+Regel verlangt. Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz.
+
+Der Abendschein liegt feuerrot auf dem Wasser.
+
+»Wenn ich jetzt hier 'reinspringe,« denkt sie, »dann wird er sein Lebtag
+glauben, ich sei mit dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig
+gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will der Nachbar ihn anreden, so
+schlägt er ihn tot.«
+
+Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden gar nicht so
+schlimm ist. Hier 'reinzuspringen ist schlimmer.
+
+»Wie wär's,« denkt sie weiter, »wenn ich vorher noch mit ihm spreche und
+alles ins klare bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja auch
+nicht.«
+
+Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn das noch ein Segen wär'. Bloß
+hier nicht 'reinspringen müssen!
+
+Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg.
+
+Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon gar nicht mehr, nur daß das
+Vieh weg ist, erfüllt sie mit Kummer.
+
+»Hätt' ich bloß eine einzige Kuh an die Leine zu nehmen,« denkt sie,
+»dann könnte ich mich schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als
+Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch recht schwer.«
+
+Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch. -- -- --
+
+Wie sie von neuem am Quitschenweg steht, ist es schon Nacht, aber
+richtig Nacht wird es im Juli ja doch nicht.
+
+»Find' ich ihn nicht zu Hause,« denkt sie, »so setz' ich mich an die
+Feuerstelle und warte, bis er zurückkommt.«
+
+Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg hinauf und bis an das Hoftor.
+Der Kettenhund rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet, weil
+er sich losgemacht und die Petruschka zerbissen hat. So hat es der Magd
+die Smailene erzählt.
+
+Das Tor steht offen. Warum auch nicht? Das Vieh ist längst fort, das hat
+sie ja selber gestohlen.
+
+Ob er wenigstens die Haustür verschlossen hat?
+
+Aber wie kann er? Sie selber hat ja den Schlüssel.
+
+So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur.
+
+Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen und riecht an ihr hoch
+und riecht und riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt zu
+heulen an, wie ein Mensch heult.
+
+Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer? Wer kann es wissen?
+
+Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel gewöhnt, und wie der Jons in
+seinen Kleidern aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich. Sie
+sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß verschlafen scheint er zu
+sein.
+
+Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht erst Antwort, sondern
+fällt vor der Feuerstelle zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel
+nehmen oder die Axt.
+
+Aber was tut er?
+
+Er macht die Haustür weit auf, damit er sie besser besehen kann, und
+dann stellt er sich neben sie hin und fragt: »Ist es noch immer das
+Kreuz, daß du nicht aufkannst?«
+
+Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die Angst ist es nicht mehr,
+jetzt sind es die Tränen, daß sie nicht aufkann.
+
+Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die Stirn auf die Kante und
+weint und weint, weil sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder
+die Schaufel.
+
+Wie wird sie's ihm aber bloß beibringen von dem Sparkassenbuch und dem
+Vieh? Und dann auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden hat,
+treu nach der Wahrheit?
+
+Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll, liegt sie da und weint.
+
+Da sagt der Jons: »Die Marjellens sind ja, Gott sei Dank, auch weg.«
+
+»Das weißt du?« sagt sie und richtet sich auf.
+
+»Ich hab' ja alles aufladen sehen heute mittag,« sagt er.
+
+»Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?«
+
+»Ich hab' schon eine zuschanden geprügelt,« sagt er und setzt sich neben
+sie auf den Herd.
+
+Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm zwischen die Knie, und er legt die
+Hand auf ihr Haar, und so sitzen sie lange.
+
+Aber endlich muß sie es ihm doch sagen -- das mit dem Nachbar zuerst.
+
+Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht losgehen. »Der Nachbar
+--« sagt sie, »der Nachbar --« und dabei bleibt es.
+
+»Is ja alles egal mit dem Nachbar,« sagt er, »wenn du bloß da bist.«
+
+Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat, wenn es auch noch so
+schlimm wäre. Aber sie will es nicht auf sich sitzen lassen -- nicht
+eine Stunde mehr.
+
+Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die Höhe und setzt sich neben
+ihn und erzählt ihm von dem Gesangbuch -- wie wundertätig sich das in
+der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun aber sind sie längst angejahrt und
+drüber hinweg. Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum Nachbar
+Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm auch.
+
+Er sagt: »Wenn du bloß da bist.« Und sonst sagt er nichts. -- -- -- --
+--
+
+Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind keine Betten da.
+
+»Ich lieg' sonst auf dem Stroh,« sagt er, »und bedecken tu' ich mich mit
+dem Woilach.«
+
+Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient weiter.
+
+»Wie wir anfingen,« sagt sie und schämt sich, »da hatten wir wenigstens
+Bettzeug.«
+
+»Ach Gott,« sagt er, »das Vieh ist ja weg und viel von dem Hausrat und
+alles Gesparte« -- wie er sagt »alles Gesparte«, da schluckt er doch,
+und ihr zerreißt es das Herz --, »aber die schönen Gebäude sind da, und
+die Wiese haben wir auch, und die Kartoffeln gedeihen -- und der
+Moorvogt sagt: >Das Pferd wird sich finden,< und fürs übrige leiht er.
+Wir fangen eben noch einmal von vorne an, das ist alles.«
+
+Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich wieder ganz jung vor.
+
+Und dann kriechen sie still in das kahle Bett und decken sich zu, so
+viel die kurze Pferdedecke nur hergibt. Und sie frieren auch nicht, denn
+die Nacht ist ja mild, und sie können sich gegenseitig erwärmen.
+
+Wie die Erdme da liegt, denkt sie: »O Gott, o Gott, wie liegt es sich
+schön hier!« Und ihr Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie
+arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird kommen, wie er das
+erstemal kam. Nein, er _ist_ schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei
+ihr und sagt halb im Schlaf: »Wenn du bloß da bist.«
+
+Die Petruschka hat den Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und träumt von
+einer Wanne mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen Schrubber.
+
+Und wie ich die Erdme kenne, wird der Traum sich morgen erfüllen. -- --
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+
+
+
+ Die Magd
+
+
+ 1
+
+Es war am ersten Juli und schon Feierabend, als die Marinke Tamoszus im
+Dorfe einfuhr. Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht.
+Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause. Sie kam von dem Gute des
+Herrn Westphal, wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient und dann zwei
+Jahre lang die Meierei verwaltet hatte.
+
+Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen in die Augen gefallen. Er
+hatte beim Milchabliefern die fleißige Wirtin in ihr erkannt und erst
+seine Frau und dann auch seinen Sohn, den Jurris, auf sie aufmerksam
+gemacht. Hierauf, als beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem
+Vater verständigt, und das Ende vom Liede war, daß sie dem Herrn
+Westphal kündigte und vom alten Enskys den Mietstaler nahm.
+
+Aber nein doch, das Ende war es nicht! Es sollte vielmehr ein
+glücklicher Anfang sein.
+
+Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so konnte nach den letzten
+Kartoffeln, um Mitte Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden.
+Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht worden. Und sie, die
+Marinke, hatte sich nicht gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht,
+weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und ewig auf dem großen Gute
+zu scharwerken, hatte erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich bloß
+ins Gerede.
+
+Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen Zöpfen und
+brauner Taftschürze, blond und rund und schüchtern neben dem
+dürrgearbeiteten Vater, der auf seine Gäule losprügelte, denn er wollte
+forsch vorgefahren kommen.
+
+Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, sie hingegen war noch niemals
+dort gewesen und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs Meer
+hinausfährt.
+
+Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die Runde, und von freudiger
+Erwartung stand wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte auch
+nicht: »Ist es hier? Ist es dort?« Aber wenn der Wagen an einem neuen
+Zugangswege vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil ihr noch eine
+Galgenfrist blieb.
+
+Endlich bog er doch um die Ecke, und im Abendschein lag die künftige
+Heimat vor ihr. Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. Daß die
+tüchtige Milchgeberinnen waren, das wußte sie schon von der Meierei her.
+Der Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. Der Stumpf einer
+Dreschmaschine vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen fiel ihr
+sonst nicht viel auf. Nur die braunen Netze, die zum Trocknen über den
+Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, denn noch nie war
+sie in einer Fischergegend gewesen.
+
+Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem Jurris. Auch ein Knecht war da
+und eine Taglöhnerfrau. Um derentwillen durfte der Willkomm nicht allzu
+herzlich sein. Aber sie dachten sich doch ihr Teil, denn sie
+grieflachten heimlich zusammen.
+
+Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die Magd kommt zweispännig
+angefahren, und der eigene Vater kutschiert!
+
+Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. Man hätte es nicht von ihm
+glauben sollen, denn er war unlängst von den Kürassieren nach Hause
+gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm noch auf dem linken Ohr. Aber
+als er ihr kaum die Hand gegeben hatte, machte er sich schon eifrig an
+dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe des Knechts über die Sprossen
+hob. Nur um nicht mit ihr reden zu müssen.
+
+Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht aus. Nach seiner Gestalt hätte
+man ihn eher bei den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von sinkendem
+Schulterbau. Die Augen blau und still. Viel von Bart noch nicht auf den
+Lippen.
+
+Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. Denn bis nach Piktaten, wo
+seine Wirtschaft lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte nachts
+schon zu Hause sein. Aber einen Bissen geräucherten Aal aß er doch und
+trank den Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. Er fühlte es mit
+Zufriedenheit: die Marinke kam in ein gutes Haus, und die fünfhundert
+Taler, die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt sein.
+
+So fuhr er also von dannen, und die Marinke saß in der Kammer und
+weinte.
+
+Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans Lachen als ans Weinen denkt,
+so war sie am nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. Die Kühe
+standen über dem Melkeimer so still, als hätte sie sie schon seit Wochen
+geliebkost, und der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen gerade unter
+die hungernden Rüssel.
+
+Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und Tritt, aber so, daß sie von
+ihr nicht gesehen werden konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte
+sie leise zu ihrem Mann: »Wir haben gut gewählt. Sie ist eine
+Gesegnete.«
+
+Der alte Enskys faltete die rissigen Hände und sagte noch zweifelnd:
+»Geb' Gott!«
+
+Und beide dachten daran, wie sie nun im Herbste sich zur Ruhe setzen
+könnten, waren dabei aber erst um die Funfzig.
+
+Die Marinke tat, als merke sie nichts von dem Beobachtetwerden und dem
+Getuschel, und machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten liebt und
+nicht nach rechts und nach links sieht.
+
+Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem und gütigen Herzens und nicht
+gewillt, sie ihre Herrschaft fühlen zu lassen.
+
+Aus dem Schwiegervater war vorderhand noch nicht klug zu werden.
+Bescheiden im Wesen, als wär' er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks und
+im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte sie zwei-, dreimal an etwas,
+was sie noch gar nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft
+sein.
+
+Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach sie nicht an. Und so blieb
+es Tage und Tage lang, so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren
+Verdacht bald wieder fahren ließen.
+
+Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken weilten ganz, ganz wo
+anders als bei dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und wollte
+wissen, wie er es anfangen würde. Aber er fing es lieber gar nicht an.
+Und mit der Zeit begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt
+werden. Und noch etwas Schlimmeres fürchtete sie, doch daran ging das
+Denken gerne vorüber.
+
+
+ 2
+
+Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten die fünf größten Wirte des
+Dorfes mit Herrn Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und lieferten
+ihm so und so viel Liter täglich für seine Meierei. Im Hinfahren
+wechselten sie sich allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke sie
+alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen und Kinder, denn die
+Besitzer spielten den Kutscher meistens nur dann, wenn sie in
+Augustenhof sonst noch zu tun hatten.
+
+In der Woche nach Marinkes Ankunft war der Jozup an der Reihe. Der Jozup
+Wilkat, der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte. Ein dunkler junger
+Mensch von Dreiviertelgröße mit buschigem Schnurrbart und
+zusammengewachsenen Brauen, die ihm ein finsteres und fremdartiges
+Aussehen gaben. Den Hof, der übrigens wohlhabend und gutgehalten war,
+nannte man in der Gegend die »Wilkija«, das Wolfsnest. Zuerst natürlich
+des Namens wegen, denn Wilkat heißt im Deutschen der »Werwolf«. Dann
+aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos herangewachsen waren, sich
+von früher Jugend an in den Haaren gelegen hatten, bis die Mutter, deren
+Liebling der Jozup war, die beiden Älteren herausbiß, so daß sie nun in
+Berlin auf Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete nur auf eine
+passende Frau, um dann die Wirtschaft zu übernehmen.
+
+In Augustenhof waren alle Mägde hinter ihm her, aber er kümmerte sich
+wenig um sie. Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm angeglupt,
+hatte seine Milch aufschreiben lassen -- und weg war er.
+
+Man sagte von ihm, er sei ein »Bedraugis«, das ist einer, der keinen
+Freund hat, und das mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn er
+jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte er sich lange im Stall
+bei dem Jurris zu schaffen, rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte
+womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof sind es im Schritt immerhin
+doch anderthalb Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde immer
+gewesen.
+
+Am vierten Abend mochte es sein, da trat er zu der Marinke, die eben die
+Milchkannen auflud, und redete sie mit den Worten an: »Gestern hat mich
+der Herr Westphal halten lassen und hat gesagt, ich möchte dir sagen, du
+möchtest doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof kommen.«
+
+Die Marinke wurde rot und sagte: »Was soll ich in Augustenhof? Ich bin
+nicht mehr in Dienst dort.«
+
+Und der Jozup entgegnete: »Es ist noch etwas abzurechnen, hat er
+gesagt.«
+
+Die Marinke antwortete: »Ich _habe_ abgerechnet,« und ging ihrer Wege.
+
+Aber am Sonnabend kam er noch einmal und sagte: »Der Herr Westphal ist
+gestern auf der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde aus einem
+Posten nicht klug und er müsse durchaus mit dir reden. Morgen am Sonntag
+ist mein letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das Vertrauen und
+fährst mit mir.«
+
+Der Marinke gab es einen Stoß gegen das Herz. Sie sah den Jurris an, der
+still nebenbei stand, und sagte: »Wenn ich durchaus fahren muß, so fahr'
+ich doch lieber, wenn _wir_ an der Reihe sind. Die acht Tage wird der
+Herr Westphal sich wohl noch gedulden.«
+
+Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer zusammen, stieg auf und
+fuhr vom Hofe herunter.
+
+Der Jurris stand da und sah ihm nach, und die Marinke grämte sich, daß
+er noch immer nicht zu ihr sprach. Schließlich war sie doch »auf Prob'«
+hier. Was sollte werden, wenn es so blieb?
+
+Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen Sinne ganz zuwider war und
+wozu sie bisher den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte sich neben
+ihn und sagte: »Vielleicht bist _du_ so gut und nimmst mich dann einmal
+mit.«
+
+Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort gegeben oder ihr sonst
+sein Mißfallen gezeigt, dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten bald
+würde packen müssen. Aber was tat er?
+
+Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man konnte sagen, ein glückliches
+Lächeln ging über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete: »Wirst du dann
+auch einmal mit mir fischen kommen?«
+
+Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war und daß sie mit ihrem Kasten
+würde hierbleiben können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten wäre sie
+gleich davongelaufen und hätte im Winkel geweint, aber sie bezwang sich
+und lächelte nur und sagte: »Du _hast_ ja bisher noch gar nicht
+gefischt.«
+
+»Ich habe immer auf dich gewartet,« entgegnete er.
+
+»Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte sie mich wohl freigelassen,«
+sagte sie.
+
+»Ja, das hätte ich eigentlich tun können,« entgegnete er, »aber ich
+dachte immer, du hättest zu viel zu tun.«
+
+»Zu tun habe ich wohl genug,« war ihre Antwort, »aber wie man fischt,
+das sähe ich gar zu gerne.«
+
+Da führte er sie vor die braunen, nach Teer riechenden Netze, die über
+die Stakete gehängt waren, und erklärte ihr alles.
+
+Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor lauter Glück hörte sie
+nichts. Das Schwere, das Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet
+war, löste sich auf.
+
+Nichts war um sie und in ihr als ein milder Sommerabend mit braunen
+Netzen und grünen Staketen und vielen Blumen dahinter, und Vögelchen,
+die sie ansangen, und einem Hofhund, der sie anwedelte, und einem
+lieben, guten Menschen, der fortan der Ihre war.
+
+Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist, und hätte er ihre Hand
+gefaßt und wäre mit ihr in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im
+geringsten gewundert.
+
+Daß sie nun auch gemeinsam den Garten besuchten, geschah wie von selbst.
+Er zeigte ihr den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie zeigte ihm
+den Ehrenpreis und die Studentennelke, und nur an dem Rautenbeet gingen
+sie schweigend vorüber.
+
+
+ 3
+
+Zwei Tage später am frühen Morgen sagte der Jurris zur Marinke: »Die
+Mutter hat erlaubt, daß wir zusammen fischen dürfen.«
+
+Sie fragte: »Wer wird die Kühe melken?«
+
+Und er erwiderte: »Sie wird es selber tun.«
+
+Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen lud, schämte sie sich sehr
+vor den Blicken, die sie auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch
+nichts zu essen mit und sagte zu keinem: »Ich geh' nun.« Wie eine
+Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam.
+
+Er zog den Handwagen, und sie schob nach. Aber zu schieben war
+eigentlich nichts, denn die Räder drehten sich wie von selber.
+
+Bis zum Haff geht man quer durch die Felder mehr als eine halbe Stunde.
+Zuerst war nichts davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er morgens
+wohl auf den Wiesen liegt, dann aber brach das blaue Wasser durch, hoch
+über dem Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser und Himmel
+blänkerten in der Ferne die Sandberge der Nehrung, anzusehen wie ein
+Gürtelband von weißgelber Seide.
+
+Marinke dachte: »Wie schön wird meine Heimat sein!« Sie wollte was
+sagen, aber sie traute sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte
+sich nie nach ihr um.
+
+Und so kamen sie dem Ufer immer näher.
+
+Dort standen Schuppen errichtet, um die Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit
+der Stürme drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, waren sie nicht
+einmal auf den Strand gezogen und schaukelten sich, an Pfähle gebunden,
+zwischen Grasbank und Röhricht.
+
+Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit haben, war am Ufer zu
+sehen. Denn jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf den Feldern
+zu tun.
+
+Und Marinke fühlte in beklommener Seele, daß auch _seine_ Ausfahrt nur
+ihr zuliebe geschah.
+
+Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und sie half ihm dabei, obgleich es
+auch hier nichts zu helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, weit
+draußen im Blauen, wo nur die Ruder klatschten und die Kielwellen
+schälten, da forderte er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu gehen.
+
+Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, so daß alsbald die
+»Pluden« -- das sind die leichten Hölzer, die das Netz obenhalten -- in
+schönem Bogen rings um sie herschwammen.
+
+Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die Sonne fing etwas zu stechen an.
+
+»Du hast kein Tuch,« sagte er, »du wirst Kopfschmerzen kriegen.« Und er
+holte eine Ölkappe hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie wollte
+nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr Aussehen lachen müssen. Und
+das sagte sie ihm auch.
+
+Aber da begann er schon im voraus zu lachen und rief: »Hundertmal
+reichen nicht, daß ich dich in der Ölkappe sehen werde.«
+
+Und ohne sich zu besinnen, _was_ sie da sagte, entgegnete sie: »Aber
+dann werden wir auch verheiratet sein.«
+
+Noch wie das Wort kaum heraus war, da schämte sie sich schon so sehr,
+daß sie sich am liebsten ins Wasser gestürzt hätte. »O Gott, o Gott,«
+dachte sie, »jetzt wird er mich für dreist und für zudringlich halten.«
+Und weil sie fühlte, daß sie ganz glutrot geworden war und immer noch
+röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und machte sich klein.
+
+Er -- vom Steuer her -- sagte: »Marinke, dreh dich doch um.«
+
+Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich stieg der Gedanke in ihr
+auf: »Es wird nicht sein -- es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich
+-- und ich bin es nicht wert.«
+
+Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß sie bitterlich zu weinen
+begann.
+
+Der Jurris stand von seinem Platze auf und setzte sich neben sie, so
+dicht, daß ihr Rücken an seine Brust stieß.
+
+Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich nicht wolle, da sonst ja die
+Heirat kein Grund zu solchen Tränen sei.
+
+Aber sie weinte nur um so heftiger.
+
+Da schlang er von hinten her die Arme um ihren Hals, so daß ihr Kopf auf
+seine Schulter zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach ihm um,
+damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem hellen Tage preiszugeben
+brauchte, und so lag sie an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz
+still.
+
+»Ach wenn er mich doch küssen möchte!« dachte sie.
+
+Aber er küßte sie nicht.
+
+Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu sehen. Viel brachte der Fang
+nicht. Ein paar Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber sie
+kümmerten sich nicht darum, und schließlich lachten sie gar darüber.
+
+Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob sie nicht mehr wie in der
+Frühe, sondern schritt an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es beim
+besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen gab, legte er seinen freien
+Arm um ihre Hüfte, so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. Und
+darum gab es des Lachens kein Ende.
+
+Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, und als die künftige
+Schwiegermutter ihnen das Frühstück auftischte, wollte sie es nicht
+dulden und küßte ihr Ärmel und Rocksaum.
+
+Da sagte die Enskene mit einem freundlichen Lächeln: »Was ihr gefischt
+habt, ist ja nicht viel, und doch hat mein Jurris einen guten Fang
+gemacht.«
+
+Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen und ängstlichen Blicken um
+beide herum, so daß auch der Marinke wieder ganz angst ward.
+
+»Ob er was weiß?« dachte sie.
+
+Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß sie »auf Prob'« ins Haus kam.
+
+Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre Arbeit.
+
+
+ 4
+
+In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat eigentlich nichts mehr auf dem
+Hofe zu tun, denn das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber trotzdem
+sah man ihn morgens und abends. Einmal hatte er sich einen Bohrer
+geborgt, den er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm die
+Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich kam er ganz ohne Grund,
+setzte sich neben den Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal drei
+Pfeifen aus.
+
+Daß man den jemals einen »Bedraugis« genannt hatte, war zum Verwundern.
+
+Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der neuen Freundschaft gekommen
+war, die eigentlich schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen,
+aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ er es sich gefallen. Der
+Jozup, den alle für störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar
+nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und Lieder die Menge, und wenn
+man die Auflösungen seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich vor Lachen den
+Bauch halten.
+
+Darum kamen auch die beiden Alten häufig dazu, und nur die Marinke
+machte sich ungern in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen
+Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn kommen und gehen sah mit
+seinen strammen Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel er ihr
+immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit, die sie schon in Augustenhof
+manchmal befallen hatte, wenn er auf dem Milchwagen vorfuhr, verließ sie
+auch jetzt nicht.
+
+Zuweilen dachte sie: »Der wird mir gewiß einmal ein Leid antun.« Aber
+ein bißchen Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer, seitdem sie
+erfahren hatte, wie wenig ein armes Mädchen vor ihrem starken Willen
+vermag.
+
+Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris hinüberzublicken, um zu
+wissen, wie gut geborgen sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah
+kommen können.
+
+Eines Spätabends beim Weggehen blieb der Jozup am Gartenzaun stehen und
+rief zu ihr herein: »Du, richt dich mal auf!«
+
+Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade Mohrrüben aus der Erde für
+morgen Mittag, aber sie mußte es doch tun.
+
+»Warum hältst du dich so weit ab von mir?« war seine Frage. »Ich beiß'
+dich nicht. Ich beiß' bloß in Rindfleisch.«
+
+»Ich bin die Magd hier,« gab sie zur Antwort, »und ich habe zu tun.«
+
+»Wenn du von Magd sprichst,« sagte er, »dann lachen die Hühner. Ich weiß
+am besten, wie bald du hier Herrin sein wirst.«
+
+»Wenn du das weißt,« entgegnete sie, »dann wart hübsch, bis ich das
+Recht hab', mit dir zu reden.«
+
+»Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt ist,« sagte er, »und ich
+habe auch eine Bestellung an dich.«
+
+Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen. »Wenn es wieder von Herrn
+Westphal ist,« entgegnete sie, »dann sag ihm nur, sobald die Reihe an
+uns ist, würde ich kommen -- und früher nicht!«
+
+Aber diesmal war es was Anderes.
+
+»Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,« sagte er. »Sie hat
+gehört, daß du eine heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr
+einmal aufzulegen. Bei _der_ Gelegenheit könntest du dir gleich unsere
+Wirtschaft besehn.«
+
+Ihr wurde ganz heiß von dem allen.
+
+»Wer das gesagt hat von meiner Hand,« entgegnete sie, »der erfindet sich
+Lügen, denn ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer Wirtschaft zu
+sehen hätte, das weiß ich noch weniger.«
+
+Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet hinunter und sah ihn nicht
+mehr an.
+
+Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war, als fühle sie seine Blicke
+auf ihrer Haut; dann wünschte er »Guten Abend« und ging von hinnen.
+
+»Mein Gott, mein Gott!« dachte sie. »Trachtet der auch nach mir?« Aber
+das konnte nicht sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum Freunde
+ausgesucht haben?
+
+Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte den Mittelsteg herabkommen,
+und ihr Herz flog ihm entgegen. Sie dachte: »Wie kann man einen bloß so
+rasch liebhaben!« Aber sie blickte nicht auf und beklopfte die Möhren
+nur um so fleißiger.
+
+Er blieb hinter ihr stehen und sagte: »Kannst du dir denn gar nicht
+genug tun? Es ist halbdunkel und Schlafenszeit, und du arbeitest noch
+immer.«
+
+Sie stand auf und wischte das Schrapmesser an ihrer Schürze ab. »Du mußt
+nicht glauben,« sagte sie, »daß ich mich zeigen will vor dir oder den
+Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es vielleicht auch bald _meine_
+Erde ist, auf der ich da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen und
+die Arbeit zum Spiel.«
+
+Er sagte: »Wir haben uns immer noch nicht richtig miteinander
+versprochen.«
+
+»Nein,« sagte sie, »das haben wir noch nicht.«
+
+Und sie schickte sich an, den Korb mit den Gelbrüben ins Haus zu tragen.
+
+Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und führte sie den Mittelsteg weiter
+zu dem Eschenbaum, unter dem die Bank stand für Mittagsruh' und für
+Feierabend.
+
+Dort unter den hängenden Zweigen war es fast Nacht, und wer einen
+auffinden wollte, den sah man schon lang' auf dem helleren Stege
+daherkommen.
+
+Der Jurris stellte den Korb auf die Erde und setzte sich neben sie. Ihre
+Hand ließ er nicht los und nahm auch die andere dazu.
+
+»Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?« begann er das Gespräch.
+»Wenn wir Hochzeit machen, möcht' er Brautführer sein.«
+
+Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie Angst vor dem Jozup hatte, denn
+ihr war ja nichts Böses von ihm geschehen, und darum meinte sie nur: »So
+weit ist es ja noch nicht.«
+
+Er antwortete: »Warum nicht? Wenn _du_ mich willst, _ich_ will dich. Ich
+hab' dich schon immer gewollt.«
+
+Und sie erwiderte: »Ich will dich gern.«
+
+Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie lehnte den Kopf an seine
+Schulter, und er lehnte die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte: »Warum
+küßt er mich immer noch nicht?«
+
+Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder ihn für linkisch gehalten
+hätte, aber sie hatte so große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie auch
+den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter nach hinten, so daß erst ihre
+Backe auf seiner Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem Munde lag.
+
+Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein Schaudern und wie ein
+Schlag. Und wie eine ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine neue
+Angst.
+
+Aber dann kam um so stärker die Seligkeit. Sie wußte nicht mehr, wieviel
+von ihrer Seele und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte ihm
+immer noch mehr von sich schenken und immer noch mehr die Seinige sein.
+
+Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo rings ein Geräusch, und es
+war doch niemand den Steg heruntergekommen.
+
+Darum sprang sie auf und sagte: »Komm. Es ist nicht mehr sicher hier.«
+Und wünschte ihm rasch »Gute Nacht« und lief stracks nach der Klete, wo
+ihre Kammer gelegen war.
+
+Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte, es würde nicht lange
+mehr dauern, dann würde er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum schnarchte
+die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte er es ruhig auf sich nehmen können.
+
+Sie horchte und horchte nach der Türklinke hin, aber die rührte sich
+nicht. Statt dessen war es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise
+Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus und Klete unaufhörlich hin
+und her liefen.
+
+»Der Arme!« dachte sie. »Er traut sich nicht. Ich muß es ihm leichter
+machen.«
+
+Und darum stand sie auf und öffnete sacht den oberen Teil der Tür nur
+eine Handbreit weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer geriet!
+Denn als sie den Kopf für einen Augenblick durchgesteckt hatte, wurde
+ihr gleich offenbar, daß der, der da draußen im Sommernachtschein
+ruhelos umging, nicht etwa der Jurris, sondern sein Vater war, der wider
+Recht und Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht
+zueinanderkam.
+
+
+ 5
+
+Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß. Denn wenn eine Braut, die »auf Prob'«
+ist, sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann ziehen sie
+womöglich in eine Kammer, und keiner kümmert sich drum.
+
+Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten Vormittag der Jurris vom
+Felde kam, um kaltes Braunbier zum Trinken zu holen -- denn draußen beim
+Mähen und Binden starben sie alle vor Durst --, da fand er, als er den
+Rückweg antreten wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe gönnte,
+wartend im Hausflur stehen.
+
+»Komm doch mal 'rein,« sagte er.
+
+Der Jurris stellte den Topf in den Schatten, und als er in die Stube
+trat, was sah er da?
+
+Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch bedeckt. Darauf standen
+zwei brennende Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch.
+
+Der Alte war barhaupt und hatte die Schlorren nicht an und sah furchtsam
+und heimlich aus.
+
+»Nimm deine Mütze ab,« sagte er.
+
+Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen war.
+
+Und der Vater fuhr fort: »Als die Marinke ins Haus kommen sollte, sagte
+ich zu dir: kennen lernen müssen sich die Menschen, die beieinander
+bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte ich von dir das
+Versprechen, daß du ihr nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand
+des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat. Und das gabst du mir
+auch.«
+
+»Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,« fiel ihm der Jurris ins Wort,
+»wenn die Braut einem so dicht nebenbei wohnt.«
+
+»Und die Herren vom Gericht wissen es noch viel weniger,« gab der Vater
+zur Antwort, »denn es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von Gott
+eine andere Vernunft bekommen als wir. So hat es sich vor etlicher Zeit
+auf dem Tilsiter Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer
+Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite vom Pfade der Tugend
+gewichen war, ein Jahr Zuchthaus -- nicht Gefängnis, mein Sohn, sondern
+Zuchthaus -- gekriegt hat, weil sein Sohn und die Braut, die auch auf
+Prob' war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache zusammen geschlafen
+haben. Er hat geweint und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen,
+denn im Herbst sollt' ja die Hochzeit sein, und zu der Aust könnt' man
+zwei fleißige Händ' nicht entbehren; aber unbarmherzig, wie die
+Deutschen sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen und haben ihn
+eingesperrt zusammen mit Räubern und Mördern.«
+
+»Das kann nicht sein!« rief der Jurris voll Empörung. »Das wär' ja die
+schlimmste Gewalttat!«
+
+»Die Deutschen nennen's Gerechtigkeit,« sagte der Vater, »und unter
+einander strafen sie sich genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten
+Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen, denn Aufpasser gibt es ja
+überall. Und weil ich gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit
+euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst und Unglück zu retten:
+entweder ich schick' sie solang' zu den Eltern zurück --«
+
+»Das geht ja nicht, Vater,« rief der Jurris entsetzt, »das würde
+aussehen, als wollten wir sie nicht haben.«
+
+»-- oder du schwörst mir hier auf das heilige Gotteswort, daß du dich
+ihrem Leibe fernhalten wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand,
+selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.«
+
+Das kam den Jurris hart an, aber was sollte er machen? Und er schwor
+zwischen den Lichtern, die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der Vater
+verlangte. Und daß, wenn er den Eid verletze, Gott ihn mit Drangsal und
+Tod heimsuchen wolle, das schwor er auch, genau wie der Vater es
+vorsprach.
+
+Und dann brachte er das warm gewordene Braunbier aufs Feld hinaus.
+
+Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer atmend dastand, griff nach dem
+Krug, als ob er ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war, als tränke
+sie Trübsal daraus.
+
+Nachher zur Mittagspause, als die Mäher alle im kargen Schatten zweier
+Weidenstümpfe lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich erstaunt
+nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es der Leute wegen geschehe, und
+darum beruhigte sie sich wieder.
+
+Auch beim Nachhausegang schritt er nicht etwa an ihrer Seite, sondern
+machte sich mit den kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren
+lagen.
+
+Und immer und immer wich er ihr aus, so daß sie schließlich ganz krank
+war.
+
+Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen. Darum zweifelte sie
+auch nicht an seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große Sehnsucht
+nach ihm war es, die sie krank machte.
+
+So kam der Montagabend heran, an dem der Enskyssche Wagen zum ersten
+Male wieder die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu bringen hatte.
+Seit langem war ausgemacht worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren
+solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn nicht länger
+entgegenzustehen.
+
+Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte sie zu ihrer künftigen
+Schwiegermutter, denn sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und
+nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger war, könne schuld
+daran sein, daß etwas nicht stimmte.
+
+Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer -- wenn auch nicht wegen der
+Bücher.
+
+Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte Bänder durch die Zöpfe und
+legte ein seidenes Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt
+hatte. Und wenn sie daran dachte, daß sie nun zwei Stunden lang in der
+roten Dämmerung mit dem Jurris allein durch die Welt fahren sollte, so
+verschwand alles andere, wovor ihr wohl bangte.
+
+Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns kam, war der Jurris
+nirgends zu finden. Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen,
+und auch die der anderen Wirte warteten sicher schon lange, aber alles
+Rufen nach ihm blieb vergeblich.
+
+»Dann wirst du wohl allein fahren müssen, mein Täubchen,« sagte die
+Schwiegermutter.
+
+Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und viel mehr Tränen weinte sie,
+als die kleine Fahrt wert war.
+
+Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun einmal war, fing er sogleich
+zu quengeln an. »Was machst du für ein Wesen?« sagte er. »Es scheint,
+daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden nicht umzugehen verstehst.«
+
+Das kränkte die Marinke natürlich aufs tiefste, denn den Litauer oder
+die Litauerin möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre Gespielen
+betrachten. Das Reiten und Fahren können sie alle womöglich noch früher,
+als sie das Gehen gelernt haben.
+
+Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein Wort, sondern biß nur die
+Lippen zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter.
+
+Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr Mann so häßliche Reden geführt
+hatte, und deshalb ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es sich
+machte, der Marinke was Tröstliches mit auf den Weg zu geben.
+
+Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur von weitem konnte sie sehen,
+daß, als der Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz ihrer
+gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse stieg und die Marinke
+abbutschte, wer weiß wie sehr.
+
+Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte: »Was hat die alte Wölfin ihr
+Maul an der Marinke abzuwischen?«
+
+Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder zum Vorschein kommen. Er
+sei auf dem Haff gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu
+seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe machte und weiter in ihn
+drang, erwiderte er nur noch: »Frage den Vater.«
+
+Aber der wußte von gar nichts. Und beide Männer gingen zur Ruhe.
+
+Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die künftige Tochter wieder zu
+Hause war.
+
+Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte sich unter den Lindenbaum,
+ließ auch die Lampe brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen die
+Mücken.
+
+Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte sie gleichwie ihr
+Slinka, der alte Kater. Sie wartete und wartete, aber die Marinke kam
+nicht.
+
+Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen Wagen langsam, langsam näher
+knarren. Die Räder mahlten, und die Achsen schlackerten.
+
+»Sie wird eingeschlafen sein,« dachte sie, »und die Pferde machen es
+sich zunutze.«
+
+Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit großen Augen nach dem Mond
+hinstarren, und dann absteigen ohne »Wie geht's?« und »Guten Abend«, da
+wußte sie, sie hatte nicht geschlafen, sondern ihr war etwas geschehen.
+
+Sie liebkoste sie und sagte: »Du bist müde, mein Tochterchen, darum iß
+einen Bissen und lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen statt
+deiner.«
+
+Und die Marinke ließ es auch zu.
+
+Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde und kaute. Aber es war, als
+täte sie's nur, weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das
+Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß sie von Gesicht ganz
+weiß war, bloß daß unter den Augen zwei Flecken brannten.
+
+Die Mutter umarmte sie und sagte: »Gestehe, was dir begegnet ist.«
+
+Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus: »Es hat nicht gestimmt.«
+
+»Um wieviel hat es nicht gestimmt?« fragte die Mutter.
+
+Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte dann: »Mehr als funfzig
+Mark sind es, die fehlen.«
+
+Da lachte die Mutter und sagte: »Die schick' ich noch in der Frühe und
+lege funfzig als Zinsen dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer
+kochen.«
+
+Und die Marinke entgegnete heftig: »Um das Geld ist es nicht. Das hat er
+mir gleich geschenkt. Der Verdacht ist es -- die Schande ist es, daß der
+Schweizer nun sagen wird: >Eine lüderliche Kröt' ist vor mir im Amte
+gewesen.< Oder er sagt gar noch Schlimmeres.«
+
+Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen Sorgen abgab, aber
+in ihrem Innern freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem Jurris
+eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren wollen.
+
+Und sie sagte: »Morgen fahr' _ich_ mit der Milch, und wenn ich deinen
+Herrn Westphal seh', dann sag' ich ihm ordentlich die Meinung, weil er
+ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht hat. Ja, das werd'
+ich tun und fürcht' mich nicht im geringsten.«
+
+Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst ein sehr erschrockenes
+Gesicht gemacht. Dann aber lächelte sie ein weniges, wie man zu
+Kinderworten wohl lächelt. Dem Herrn Westphal trat kein Mann und keine
+Frau mit Vorwürfen unter die Augen. Dem nahte man höchstens mit einer
+Bitte im Munde.
+
+Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn weit und breit den »Wieszpatis«.
+Das heißt auf deutsch »König und Herrscher«. Und der liebe Herrgott
+heißt auch so.
+
+
+ 6
+
+Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke fast wieder so wie
+gewöhnlich.
+
+Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab dem Jurris die Hand. Aber warum
+er sich gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. Sie fragte
+überhaupt nichts mehr, sondern ging still an die Arbeit.
+
+Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken herein, und Erbsen und
+Gerste nicht minder. Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. Keine
+Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes und nichts Enthülstes.
+
+»Die Laumen meinen es gut mit uns,« sagte die Mutter, »seit das Kind bei
+uns wohnt.«
+
+Und der Vater sagte: »Wenn nur nicht --« Aber das weitere verschwieg er.
+
+Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde es nie mehr so, wie es gewesen
+war. Sie gingen wohl freundlich nebeneinander her und sprachen auch, was
+der Augenblick brachte, aber zusammen allein zu sein, das suchte der
+eine nicht und auch nicht der andere.
+
+Und jeder grämte sich auf seine Art.
+
+Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, dann hing sie mit fragenden
+und ängstlichen Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging um sie
+'rum wie ein Dieb und scheute sich, sie zu berühren.
+
+Auch von der kommenden Hochzeit war nie mehr die Rede. Höchstens daß die
+Mutter einmal von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, was das
+Elternhaus ihr wohl mitgab.
+
+Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend nahte, dann war er da.
+Und beide Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten oder aßen unreife
+Äpfel.
+
+Einmal, als die Marinke das Rindvieh von der Weide heimtrieb, tauchte
+der Jozup neben ihr auf und begann ein Gespräch.
+
+»Hast du auch schon den Schwiegereltern das Stück Brautleinwand
+geschenkt,« sagte er, »und Rautenblüte hineingelegt?«
+
+»Warum sollt' ich das?« fragte sie. »Ich bin die Magd hier und sonst
+nichts.«
+
+»Das hast du mir schon einmal gesagt,« erwiderte er. »Es ist Zeit, daß
+du freundlicher zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir die
+Hochzeitsgäste zusammenzubitten.«
+
+»Ich weiß von keiner Hochzeit,« erwiderte sie.
+
+Er stieß ein Gelächter aus. »Aber im Leibe sitzt sie uns schon, als
+hätten wir Tollwasser gesoffen. Ich lieg' bis zum Morgen und denk' an
+die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß der Brautführer sein.
+Vom Jurris red' ich nicht, der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran
+denkt, die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, mein
+Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach aus, als ob dir sehr davor
+graute, über ein Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es nicht, der
+ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt er sich einen Vertreter.«
+
+Der Weg war schmal, darum mußte sie das lästerliche Gerede anhören, und
+als sie es ihm gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der Gedanke:
+»Vielleicht weiß er mehr von mir, als mir gut ist; sonst könnte er gar
+nicht so dreist sein.«
+
+Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß sie nur den Kopf senkte und
+ihn reden ließ, was er wollte.
+
+Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl sie innerlich wünschte, er
+möchte ihn mit der Peitsche vom Hof hinunterjagen.
+
+Und bald darauf kamen Tage voll neuer Herzensangst. Die drückten noch
+härter als alles, was vordem gewesen war.
+
+Sie lief von der Arbeit weg und versteckte sich in der Scheune, um in
+den Garben nach Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher, ob
+nicht irgendwo ein Sadebaum sich über den Zaun hinstreckte, und ihre
+Füße waren verbrüht von kochendem Wasser.
+
+Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber bei Tage machte sie
+freundliche Augen. Mit denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter
+täuschte sie nicht.
+
+Die legte eines Tages die Arme um ihren Hals und sagte: »Mein Täubchen,
+du bist nun bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe dich wohl
+geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem Jurris nichts Besseres wünsche
+als dich, so weißt du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten
+spielen die Männer oft so schlimme Streiche, daß wir ins Unglück kommen
+und wissen nicht wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen, nimm
+deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt.
+Auf etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur muß man den Knaben
+liebhaben, wenn man ihn täuscht.«
+
+Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, vermochte Marinke nicht zu
+ergründen, aber gute Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie auf, in
+Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann darüber nach, wie sie dem
+Jurris wieder nahkommen könne. Leicht war das nicht, denn in den Garten
+ging er zum Feierabend nie mehr, und nie mehr wollte er einen Gang mit
+ihr machen.
+
+Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, hörte sie, wie er zum Alten
+sagte: »Ich bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, ich muß einmal
+nach dem Kahn und dem Schuppen sehn.«
+
+Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, so hätte er jetzt zu ihr
+gesagt: »Komm mit!« und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen.
+Aber statt dessen schlich er sich um die Scheune herum und kroch durch
+die Zäune und blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand bemerke.
+
+Da sagte sie sich: »Ich tu's.« Und ging ihm nach. Aber sie ließ eine
+weite Entfernung, so daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen
+konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen Rückweg genommen.
+
+Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, setzte sie sich auf den
+Grabenrand und wartete.
+
+Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie sangen die Heimchen.
+
+Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen Gedanken im Kopfe hinter
+ihm herlief. Wäre es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen,
+so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, aber nun die Not sie zwang, kam
+sie sich als eine Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre Liebe
+zu ihm nur noch größer und reiner war. Aber es hätte ihr keiner
+geglaubt. Und auch sie selber glaubte es kaum.
+
+So verging eine geraume Zeit, da hörte sie seine Schritte näherkommen.
+Beinahe wäre sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, daß
+sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden konnte.
+
+Er blieb vor ihr stehen und fragte: »Wer ist da?«
+
+Und sie fragte: »Wie kommst _du_ hierher?«
+
+Da erkannte er sie und sagte: »Es wird dir zwar keiner was tun, aber
+Sitte ist es nicht, daß die Mädchen am Sonntagabend allein in den Wiesen
+herumlaufen.«
+
+Sie erwiderte: »Was soll ich machen? Eine Freundin habe ich nicht, und
+der, der sich um mich kümmern sollte, der unterläßt es.«
+
+Er fragte: »Meinst du mich?«
+
+Und sie erwiderte: »Nein, ich meine den Jozup.«
+
+Da setzte er sich neben sie und sagte: »Du hast Recht, Marinke, daß du
+mir Vorwürfe machst. Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, aber
+was sollte ich tun? Der Vater verlangt es so und hat mir einen schweren
+Eid abgenommen.«
+
+Sie zuckte die Achseln und sagte: »Was ist ein Eid? Für dich schwör' ich
+fünftausend, und wenn sie zufällig falsch sind, dann lach' ich.«
+
+Er antwortete: »Dies war kein gewöhnlicher Eid, wie man ihn etwa vor
+Gericht schwört. Der ging um _meinen_ Tod und um _deinen_ Tod, und zwei
+Lichter brannten rechts und links vom Gesangbuch.«
+
+Sie sagte: »Dein Vater könnte auch was Besseres tun, als zwei
+Liebesleute zu ängstigen.« Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen
+war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof vor ihr versteckt
+hatte.
+
+Er sagte: »Ja«, und sie legte den Kopf auf seine Kniee und schluchzte.
+Sie dachte nicht mehr an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen
+wollte sie sich.
+
+Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder in die Höhe zu kriegen, und
+dann küßte er ihr die Tränen von den Backen und weinte mit ihr.
+
+Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: »Ich taug' ja nichts mehr,« aber
+sie war so glücklich, wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut dazu nicht
+fand.
+
+Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm um des anderen Hüfte gelegt, und
+der Jurris sagte: »Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, denn ich
+weiß, es _kann_ nichts Böses geschehen.«
+
+Das gab ihr einen Stich durch die Brust, denn es _mußte_ ja was Böses
+geschehen. Heut' oder nächstens. Und ob es auf Tod oder Leben ging --
+gleichviel.
+
+Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche zu ziehen. Diesmal aber
+tat sie's mit guter Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und wieder und
+merkte mit Freuden, daß er schwindlig wurde und wankte.
+
+Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon dunkel und still.
+
+Er konnte sich nicht von ihr trennen, und sie dachte bereits, er würde
+bitten, ihn mit sich zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da riß
+er sich los und floh ins Haus, als säße der Böse ihm auf den Hacken.
+
+Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie schon manche Nacht gekniet
+hatte. Und betete und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die Klinke
+sich nicht bewegte.
+
+Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst wenn die sie hörte, was tat
+ihr das noch?
+
+Und dann stand sie auf. Und da er noch immer nicht kam, trat sie den
+schweren Gang an nach seiner Kammer.
+
+
+ 7
+
+Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf kam der Jurris zu dem Alten in
+die Stube und sagte: »Ich möchte dich in Gehorsam bitten, Vater, daß die
+Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden kann.«
+
+Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er las, und sagte: »Du hast
+wohl deinen Eid gebrochen?«
+
+Und der Jurris erwiderte: »Ja, ich habe meinen Eid gebrochen.«
+
+Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: »Dafür strafe dich Gott!«
+
+Der Jurris senkte den Kopf und sagte: »Gott wird mir vielleicht
+vergeben, denn es war gar zu schwer.«
+
+Der Alte aber schrie: »Nein, Gott wird dir _nicht_ vergeben. Ebenso
+wenig, wie _ich_ dir vergebe, daß du mich in so große Ungelegenheit
+gebracht hast.«
+
+Und er lief auf seinen Schlorren umher wie ein Rasender.
+
+Nach einer Weile sagte er weiter: »Natürlich muß die Hochzeit früher
+stattfinden. So früh als möglich muß sie stattfinden, damit nicht
+vielleicht hinterher ein Stein auf mich geworfen wird. Aber das sage ich
+dir: Kummer und Drangsal werden mit euch zu Tische sitzen, und der Tod
+wird hinter euch stehen, weil du den Willen Gottes so wenig geachtet
+hast, und den Willen deines Vaters noch weniger.«
+
+Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach mit keinem ein Wort, nur
+daß er zur Marinke, die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: »Er hat
+es erlaubt.«
+
+Und alsbald erhob sich im Hause ein großes Rumoren, denn die
+Vorbereitungen zur Hochzeit sollten sogleich beginnen.
+
+Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt sowohl wie beim Pfarrer, und
+der Jozup erschien am hellen Vormittag auf einem mit Bändern
+geschmückten Pferde und selber mit Bändern geschmückt an Achseln und
+Hutrand. Dem reichte die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel
+von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu laden waren.
+
+Und die Marinke wurde geschickt, ihm den Festtrunk zu zapfen.
+
+Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er es so gierig mit seinen
+Händen, daß sie die ihren nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest
+und sagte: »Wenn ich nun losreite, dann mußt du mit und kommst nicht
+mehr frei bis ans Ende der Welt.«
+
+Und sie sagte erschrocken: »Dann wärst du ein schlechter
+Hochzeitsbitter.«
+
+Er trank und sprengte lachend davon, sie aber fühlte seine Hände brennen
+bis gegen Abend.
+
+Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr und des ersten Pflügens, aber
+beides mußte hintangestellt werden, weil es im Hause soviel zu tun gab.
+
+Und die Leute im Dorf wunderten sich und sagten: »Die Marinke ist doch
+erst so kurze Zeit hier; sollten die beiden schon vorher miteinander
+gekramt haben?«
+
+Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen erfuhr, daß er gerade das
+Gegenteil davon erreichte, was seine Absicht gewesen war; er hätte sich
+sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. Der Jurris aber
+erfuhr's. Dem steckte es der Jozup nur allzubald.
+
+Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, so grämte er sich doch immer
+noch mehr und dachte in seinem Herzen: »Sollte so das Unglück bereits
+beginnen?«
+
+Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf immer neue Kohlen ins Feuer.
+
+Die Marinke hingegen tröstete ihn und sagte: »Wenn zweie sich liebhaben,
+für die gibt es kein Unglück und kein Verschulden, denen steht Gott zur
+Seite und nimmt den Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.«
+
+Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn sie ihn heimlich im Arm hielt,
+vergaß sie alles, auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt
+hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und Töpfe und Eimer und Garben und
+was sie zu fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre dankbaren Hände.
+
+Der Jurris aber hielt's mit dem Müßiggang. Sie mochte ihm noch so viel
+zureden, seine Arbeit wurde nur halb getan, und wäre nicht
+glücklicherweise ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer weiß, ob der
+Hafer nicht ins Faulen gekommen wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf
+dem Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der Landwirtschaft hat,
+ans Fischen nur denken kann, machte er sich morgens und abends draußen
+zu schaffen.
+
+Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam er naß bis auf die Knochen
+vom Ufer nach Hause. Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das
+Draußensein kam es ihm an.
+
+Die Marinke küßte ihm beide Hände und sagte: »Jurris, Jurris, es tut dir
+ja keiner was.« Aber auch das half nicht viel.
+
+Eines Morgens wehte stark der »Aulaukis«, der Südwest, den die Fischer
+nicht mögen, besonders wenn Regen als Zugabe kommt.
+
+Als die Marinke hinaussah, dachte sie: »Nun, heute wird er wohl nicht
+gefahren sein,« aber wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder im
+Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris.
+
+Die Vormittagsstunden vergingen, und sie dachte: »Um Gottes willen, wo
+bleibt der Jurris?«
+
+Und als er zum Mittagbrot noch nicht da war und auch die Mutter das
+Fürchten bekam, da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von der
+Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem Strande zu.
+
+Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte sie: das war kein
+Wind mehr, das war ein Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken.
+
+Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, und der Handkahn war weg.
+
+Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, denn die Regenwolken
+strichen ganz niedrig darüber hin, aber die Strandwellen gingen so hoch,
+als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah kam, und das Rohr
+schrie, als hätte es eine Menschenstimme bekommen.
+
+Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, so weit, daß die Wellen
+sie nicht erreichen konnten, und die Marinke dachte bei sich: »Jetzt muß
+ich hinausfahren -- muß ihm entgegenfahren.«
+
+Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser herangebracht hatte, dann
+schlugen die Wellen ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben
+lag.
+
+Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft war und daß sie davon nur
+den Tod haben würde.
+
+Und sie warf sich im nassen Sande auf die Kniee, wie sie es jüngst vor
+ihrem Bette oft getan hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen.
+
+Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken gekrochen, und keine
+Menschenstimme rief: »Da bin ich.«
+
+Ja, _eine_ Menschenstimme war da. Ganz plötzlich schallte sie ihr in die
+Ohren und sagte: »Was machst du?«
+
+Und diese Stimme gehörte dem Jozup.
+
+Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf dem Herzen gehabt hatte, und
+hob die gefalteten Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte mit ihr
+hinausfahren. Für sie allein sei es zu schwer. Aber zusammen würden sie
+ihn schon finden.
+
+Der Jozup fragte: »Seit wann ist er fort?«
+
+Und sie erwiderte: »Seit in der Frühe.«
+
+Da lachte er bloß und sagte: »Dann ist er längst wieder an Land und
+sitzt verschlagen wer weiß wo.«
+
+Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr fort: »Denkst du denn, daß
+Menschen sich acht Stunden lang in so 'nem Wetter draußen herumtreiben
+können? Oder sich erst den Platz aussuchen zum Landen? Da ist es jedem
+egal, wo ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber komm ins Trockene,
+denn dir klappern ja alle Glieder.«
+
+Und er führte sie in den Schuppen und schlug die Tür hinter sich zu, so
+daß sie fortan im Halbdunkel waren.
+
+An den Wänden hingen die Netze, und über das Heu, das im Winkel lag, war
+der Mantel des Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters versteckt,
+wenn alle ihn suchten.
+
+Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten Fingern und küßte
+den Saum und sagte: »Komm doch wieder! Komm doch wieder!«
+
+Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie hatte schon all ihre Tränen
+verschüttet.
+
+Der Jozup stand daneben und biß sich die Lippen. Und dann sagte er:
+»_Warum_ soll er eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug da, die
+bloß auf dich warten.«
+
+Da drehte sie sich um und spie nach ihm.
+
+»Warum speist du mich an,« sagte er, »da ich doch einstmals dein Mann
+sein werde?«
+
+Und sie sagte: »Laß mich hinaus. Ich habe schon lange gewußt, was du für
+einer bist.«
+
+Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, und indem er ihre Hände hielt
+wie in Klammern geschroben, sagte er folgendes: »Du betest da immerzu,
+er möchte doch wiederkommen, aber wenn ich jetzt als sein Freund mein
+Gebet mit dem deinen vereinigen wollte, dann würde es lauten: er soll
+_nicht_ wiederkommen. Und er _wird_ auch nicht wiederkommen. Wenigstens
+als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du schon mir, und das will ich
+dir gleich beweisen.«
+
+Sie rang mit ihm und schrie: »Vergreife dich nicht an mir, denn ich
+trage ein Kind von ihm.«
+
+Aber er lachte sie aus: »Du willst ein Kind von ihm tragen? Hat er mir
+doch oft genug von dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen
+müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! Ich aber kehr' mich an
+nichts und will tausend Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.«
+
+Und sie rang weiter mit ihm und schrie: »Ich trage ein Kind von ihm!«
+
+Und er sagte mitten im Ringen: »Wenn es die Wahrheit wäre, daß du ein
+Kind trägst, dann ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, von wem
+es ist.«
+
+Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, und sie fiel hintenüber und
+wußte von nichts mehr.
+
+Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür offen, und niemand war da
+außer ihr.
+
+Unter ihr lag noch immer der Mantel des Jurris. Den streichelte sie von
+neuem und küßte den Saum, aber sie dachte dabei: »Mir ist ganz recht
+geschehen.«
+
+Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte wiederkommen. Hätte sie
+ein Gebet gehabt, so würde es gelautet haben wie das von dem Jozup: »Er
+soll _nicht_ wiederkommen.«
+
+So ohne Mut und so voll Scham war ihre Seele.
+
+
+ 8
+
+Im nächsten Frühling bekam die Marinke einen Knaben. Der sollte einmal
+die Enskyssche Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft
+war keiner als Erbe da.
+
+Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben und durfte um den
+Ertrunkenen trauern, als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und
+niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn die Hochzeit war ja
+bestellt gewesen. -- Bloß daß nun ein Begräbnis daraus wurde.
+
+Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, ehrte
+sie wie ihres Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war immer gut zu
+ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes willen, den er von ihr
+erwartete.
+
+Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, denn er fühlte sich durch
+den Eid, den er dem Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert auch
+über dessen Tod hinaus.
+
+Der Jozup war während des ganzen Winters nur dann im Hause zu sehen
+gewesen, wenn er die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl gehütet,
+ihm zu begegnen.
+
+Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade vom Melken, da stand er
+breit in der Stalltür. Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. Um
+derentwillen mußte sie tun, als ob nichts vorgefallen war.
+
+Er bot ihr die Hand und sagte: »Ich halte mich fern von dir, aber wenn
+die Zeit gekommen ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.«
+
+Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, denn daß sie ihm verfallen
+war, daran zweifelte sie nicht.
+
+Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, daß sie die alte
+Wilkene, die das Haus bisweilen besuchte, bereits als zukünftige
+Schwiegermutter betrachtete.
+
+Aber freundlich war die durchaus nicht mehr.
+
+Wenn sie an ihrem klappernden Stock über den Hof gehumpelt kam, gab es
+der Marinke stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte in ihrem
+Innern: »Bin ich erst in dem Wolfsnest drin, dann werde auch ich das
+Hemd auf den Schultern mit meinen Tränen waschen.« Denn so heißt es in
+dem alten Liede.
+
+Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich nach der Entbindung ins
+Elternhaus zurückzubegeben; aber wie man sie aufnehmen würde, wenn sie
+mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft bat, daran gab's nicht den
+mindesten Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens gewesen. Der Jozup
+hätte sie auch von dorther geholt.
+
+So neigte sie sich also in Demut vor dem kommenden Schicksal, und nur
+die bösen Augen der Alten machten ihr Angst.
+
+Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: »Was will die alte Wölfin immer von
+dir? Du willst ja nichts von ihr.«
+
+Aber was der Jozup wollte, davon ahnte sie nichts.
+
+Und eines späteren Tages -- der kleine Jurris mochte acht Wochen gewesen
+sein -- da kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter Stunde und setzte
+sich neben die Wiege, die gerade ohne Aufsicht neben der Haustür stand.
+
+Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, denn beim ersten Blicke hatte
+sie den Mann, der sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar nicht
+erkannt.
+
+Er richtete sich auf und sagte: »Der Tote ist mein Freund gewesen, und
+ich habe sein Kind bis heute noch nicht gesehen.«
+
+Und die Mutter sagte: »So sieh es dir ordentlich an.«
+
+Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte sogleich: »Habt ihr auch
+schon daran gedacht, ihm einen Vater zu geben?«
+
+»Sein Vater liegt im Grabe,« sagte die Enskene, »und einen anderen
+braucht es nicht.«
+
+»Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch ein Wort mitzusprechen haben,«
+entgegnete er, »oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als Magd bei
+euch behalten könnt?«
+
+»Das Kind in der Wiege,« sagte sie, »wird künftig einmal Herr auf diesem
+Hofe sein, und die du meinst, halt' ich wie meine Tochter. Im übrigen
+glaube ich nicht, daß dich dies alles was angeht.«
+
+»Dies geht mich nur insoweit was an,« erwiderte er, »als die Marinke
+demnächst meine Frau werden soll.«
+
+Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig Macht ihr über die einstige
+Braut ihres Sohnes gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, und
+darum sagte sie: »Deine Werbung ist mir so willkommen, daß ich Lust
+hätte, meinen Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe weist.«
+
+»Ich _habe_ gar nicht geworben,« entgegnete er, »denn ihr Vater wohnt ja
+wo anders.«
+
+Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber und weinte.
+
+Und er wartete schweigend, bis die Marinke vom Felde kam.
+
+Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: »Schick ihn fort, so daß er nie
+wiederkommt.«
+
+Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, wünschte ihm kaum »Guten Tag«
+und nahm dann das Kind aus der Wiege, um es zu stillen.
+
+»Da hast du ja ein schönes Kind,« sagte er, »und ich will hinfort sein
+Vater sein.«
+
+Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: »Kannst du nicht wenigstens
+warten, bis die Trauerzeit um ist?«
+
+Da rang die Mutter die Hände und schrie: »Du ermunterst ihn ja!«
+
+Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste auf und reichte dem Kinde
+die Brust.
+
+»Pfleg es mir gut,« sagte er mit einem Lachen und schritt nach dem
+Hoftor.
+
+Von nun an gab es trübe Tage im Hause. Die Mutter weinte, der Alte
+schalt, und beide verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen.
+
+»Hier hast du's wie eine Prinzessin, aber dort in dem Wolfsnest werden
+die Wölfe dich fressen mit Haut und mit Haar.«
+
+So ging das Lied immerzu.
+
+»Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, daß das Kind dem
+Jurris sein Kind ist? Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich
+anglupt, als schlepptest du ein ganzes Gehetz von Bankerts mit dir
+herum.«
+
+So ging eine andere Weise.
+
+Die Marinke sagte nur immer: »Habt Geduld, bis die Trauerzeit um ist.«
+
+Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr zum Rechtsanwalt zweimal in
+der Woche, denn er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten.
+
+Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt hatte und sein Grab von
+frischen Blumen noch voll war, erschien der Jozup von neuem auf dem
+Hofe.
+
+Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, daß er die Marinke allein
+sprach.
+
+Sie kam mit einem Wäschekorb von der Bleiche und lief ihm gerade in die
+Arme.
+
+»Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,« sagte er, »und Geduld
+bewiesen ein Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum frage ich
+dich: Wann wirst du mir das Jawort geben?«
+
+Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen könne, aber niemand
+war weit und breit.
+
+»Deine Mutter ist mir böse gesinnt,« sagte sie. »Und du wirst zu ihr
+stehen gegen mich.«
+
+»Meine Mutter ist dir böse gesinnt,« entgegnete er, »weil sie sich
+ärgert, daß du ein fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß es mein
+eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst würde sie's ausschreien bis
+hinter Prökuls.«
+
+»Es _ist_ auch nicht dein eigenes!« rief sie. »Das weißt du, und wenn du
+es nicht weißt, dann schwör' ich es dir.«
+
+Aber er lachte sie aus. »Der gute Jurris ist tot,« sagte er. »Darum will
+ich so tun, als hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde zu ihr
+stehn gegen dich, dann kennst du mich falsch. Ich bin nach dir
+ausgewesen wie ein Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die erste
+Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit meiner Mutter die Sache beredet bei
+Tag und bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind fixer gewesen als
+ich. Ich hab' ihnen den Hof anzünden wollen über dem Kopf, -- ich habe
+den Jurris -- na, nun ist egal, was ich wollte mit deinem Jurris. Aber
+hast du dir nie gedacht, warum ich da saß Abend für Abend neben ihm auf
+der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein Augenschmeißer bin und
+weiter sonst nichts? Ich hab' kein Wort von meinem Zustand zu dir
+geredet, denn schaliges Bier lieb' ich nicht, und den Bettler beißen die
+Hunde. Aber das hättest du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden
+kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch nicht den Finger heben
+gegen dich. _Ich_ sollte zur Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was
+dachtest du von mir?«
+
+Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, daß sie ihm recht in die
+Augen sah. Und es war, als spritze Feuer daraus, und es war, als sei
+eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene Wege.
+
+Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte seinem Willen doch nicht
+entweichen.
+
+»Die Eltern werden es nicht zugeben,« sagte sie, um doch etwas zu sagen.
+
+»Welche Eltern? Deine oder dem Jurris seine?«
+
+»Meine sind froh, wenn sie mich los sind,« entgegnete sie, »aber diese
+hier lassen mich nicht mehr weg.«
+
+»Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die Krähe vom Neste, und um zwei
+solche Grasmücken sollt' ich mich kümmern?«
+
+»Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. So ein Glück kommt nicht
+wieder.«
+
+»Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, wenn ich das will.«
+
+»Hier geht es nicht nach deinem Willen, das weißt du sehr gut. Denn
+eigene Kinder kommen zuerst.«
+
+Der Jozup war rasch von Begriffen. Er sah gleich ein: wenn er nicht
+drohte, kam er zu nichts.
+
+»Na, gut,« sagte er, »dann muß ich doch wohl meiner Mutter erzählen, was
+zwischen uns passiert ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein Kahn
+koppheister schoß. Was weiter geschieht, dafür wird _sie_ dann schon
+sorgen.«
+
+Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach und Beschmutzung. Und auch
+des Jurris' Andenken würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. Darum
+wurde sie stark in ihrer Schwäche und sagte: »Ein Eid gilt dir nichts,«
+-- daß er auch ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte sie nicht
+-- »und so schwör' ich erst gar nicht. Aber was ich jetzt sage, das ist
+so wahr, wie daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du mich heiraten
+willst, so werd' ich nicht widerstehen und werd' auch das Kind bei mir
+behalten, bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es zu denen
+zurück, die es beerben wird. Sagst du aber deiner Mutter oder sonst
+einem auf der Welt, was du mir angetan hast, dann nehm' ich mir am
+selbigen Tage den ersten besten Kahn von denen, die am Ufer stehen, und
+fahre hinaus und komme nicht anders wieder, als einstmals der Jurris
+kam. Nun weißt du's.«
+
+Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt an ihm vorüber dem Hofraum
+zu.
+
+Er aber hatte seinen Willen. Und was heute noch daran fehlte, das mußte
+die Zukunft ihm bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner Gewalt
+war.
+
+Am nächsten Vormittag kam die Alte auf Freischaft.
+
+Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, und als sie die Marinke
+küßte, war's ihr, als gösse der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus.
+
+Aber sie widerstand nicht mehr.
+
+Mochte die gute Mutter ihr auch weinend Rücken und Hände streicheln,
+mochte der gnitschige Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen
+versprechen, -- sie blieb fest. Und auch was mit dem Kinde werden
+sollte, bestimmte sie nach ihrem Willen.
+
+Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, was nötig war, um den Enkel
+an eigener Kindesstatt anzunehmen, aber das durfte nun erst in Kraft
+treten, wenn Marinkes Leib von neuem gesegnet war. Bis dahin sollte der
+Kleine bei seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die
+Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat.
+
+So wurde es festgemacht, und niemand sagte mehr Nein.
+
+
+ 9
+
+Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest gefeiert. Die alten
+Enskys hatten sie ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke ihres
+Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer einen Stein auf ihre Sittsamkeit
+hatte werfen wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und nur die alte
+Wölfin grollte und kicherte höhnisch in sich hinein.
+
+Am Morgen des ersten Tages -- lange vor Sonnenaufgang -- war Marinke auf
+den Kirchhof gegangen, um von dem Grabe des Jurris Abschied zu nehmen,
+denn daß ihre Gänge hierher von nun an nicht gern gesehen sein würden,
+das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich für das schwere Leben,
+das vor ihr lag. Auch bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie
+ihm im geheimen angetan hatte und wodurch er auch schließlich zu Tode
+gekommen war.
+
+Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl nichts wie eine große Buße sein
+würde, und die nahm sie auf sich mit Freuden.
+
+Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern angefahren. Auch die zwei
+erwachsenen Brüder fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen.
+
+Obgleich alle vier sie oftmals herzten und küßten, erschienen sie ihr
+nur wie weitläufige Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren kaum
+noch gesehen.
+
+Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst von hinnen getrieben hatte,
+schämte sich ein wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause
+ausgerichtet worden war, und erzählte jedem, mit dem sie bekannt wurde,
+es wäre nur der weiten Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem,
+weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams durchaus darauf bestanden
+hätten, das Fest an Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder vier
+sonstige Gründe führte sie an.
+
+Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht und trug den Beutel
+mit den vielen Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei jeder
+Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber, und man erkannte wohl, daß er
+keinen anderen Willen besaß als den, den sie ihm eingab.
+
+Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke in diesem Hause wie eine
+Tochter geehrt wurde und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals
+hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat sie an sie heran,
+umarmte sie und sagte, so laut, daß die Enskene es hörte: »Du wirst
+hoffentlich dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in deinem
+Elternhause eine Zuflucht hast und keine Fremden brauchst, dich zu
+beschützen.«
+
+Und die Enskene erwiderte darauf: »Ebenso wirst du hoffentlich dessen
+gedenk sein, meine Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.«
+
+Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede gedemütigt wurde, schwieg
+sie ganz still, denn sie hatte erreicht, was sie wollte.
+
+Das Kind begehrte keiner von der Familie zu sehen, und es wurde ihnen
+auch nicht gezeigt.
+
+In der Kirche sah die Marinke den Jozup an diesem Tage zum ersten Male,
+denn es war damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut und Bräutigam
+-- jeder mit seinem Anhang -- gesondert zur Kirche fahren und nicht
+früher zueinandertreten, als bis der fromme Gesang zu Ende ist und der
+Pfarrer vor dem Altare steht, den Segen über sie zu sprechen.
+
+Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste, und die auf der linken, die
+zu dem Bräutigam gehörten, sahen feindlich herüber.
+
+Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil die Marinke keinen
+Rautenkranz trug, sondern bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte,
+das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte.
+
+Und das kam daher, daß sie eine Entweihte war, wie die alte Wölfin jedem
+zuraunte, der es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte, bis die
+Verachtung so in ihm wach wurde.
+
+Der Jozup sah und hörte nichts von dem allen. Er starrte bloß immer mit
+einem wilden und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke herüber,
+als wollte er ihr zurufen: »Hab' ich dich endlich?«
+
+Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als müßte sie ihm erwidern: »Ja,
+nun hast du mich ganz.«
+
+Und als der Pfarrer hernach das Jawort von ihr verlangte, sprach sie es
+so hell und deutlich, als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer
+Seite gestanden.
+
+Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch sie gedachte dessen, der in
+der Erde lag.
+
+Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut und Bräutigam vom Kruge aus,
+wo die Trauung begossen wird, ein jeder gesondert nach Hause fahren, um
+erst am zweiten Tage der Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen;
+aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug, wie es jetzt immer
+üblicher wurde, gemeinsam den Weg zur Brautwohnung ein.
+
+Der Jozup saß neben seiner jungen Frau. Er sprach nicht zu ihr und sah
+sie nicht an, aber wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine schlug,
+zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr angst und bange wurde. Und noch
+bänger wurde ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten Wagen die
+Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen hatte und deren Blick sie
+durch und durch stach.
+
+»Er wird mich mit seiner Liebe fressen,« dachte sie, »und die Alte mit
+ihrem Haß.«
+
+In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste gerichtet. Die Türrahmen mit
+Gewinden umgeben und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die Tische konnten
+all die guten Gerichte nicht fassen. Da gab es Rindfleisch mit Reis und
+Pflaumen mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und Neunaugen, gewürzt
+und gesäuert. Und noch vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar
+nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier und Alaus und Kirschen-
+und Kornschnaps -- alles sehr reichlich.
+
+Im Brautwinkel, wo neben dem jungen Paare die vornehmsten Gäste sitzen,
+stand sogar in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein; der war aus
+Memel extra verschrieben.
+
+Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz wollte eine behagliche oder
+gar freudige Stimmung nicht aufkommen. Die Verwandten des Bräutigams
+hielten sich abseits von den Verwandten der Braut, giftige Blicke flogen
+hin und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt war, der sah mit
+Sorge, daß, wenn das Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden
+nachfolgen würden.
+
+Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch immer. Ihr Sohn habe was
+Besseres verdient, als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem könne
+es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen zu sein, bei der die
+Brauteltern, anstatt sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen.
+
+Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst, den drohenden Sturm zu
+verscheuchen. Die gute Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre sie
+die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch der Alte auch sonst
+die Schätze seiner Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit und
+verteilte Handschuhe und Handtücher in Menge, selbst seidengewebte
+Jostbänder verteilte er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem
+Verstecke.
+
+Aber nichts wollte helfen. Die Magila, die Göttin des Zornes, saß schon
+im Rauchfang, und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche, dann wehe!
+
+Die arme Marinke traute sich nicht mehr zu reden, zu lächeln, und der
+Jozup saß da mit eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten nach
+rechts und nach links, als wolle er bald dem, bald jenem stracks an den
+Hals.
+
+Und immerzu ging das Getuschel der Alten. Wie ein Messerstich hierhin
+und dorthin flog schon ab und zu ein häßliches Wort durch die
+eintretende Stille.
+
+Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann hätte sich wohl alles anders
+gestaltet. Er war ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich
+abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb.
+
+Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter den Gästen, aber der war
+noch sehr jung und besaß nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig
+zu machen.
+
+So konnte das Unheil weiter gedeihen.
+
+Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher Mann, der harmlos gekommen
+war, sich zu vergnügen, hob mit einemmal sein Glas und rief zu dem
+Brautvater hinüber: »Du -- prost auf die billige Hochzeit!«
+
+Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter. Der alte Tamoszus
+sprang auf und wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf werfen, andere
+fielen ihm in den Arm, ein großes Lärmen hub an, -- das Schlimmste
+schien nun gekommen.
+
+Da geschah etwas, was niemand geahnt oder für möglich gehalten hätte.
+Wäre der Herrgott vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu stiften,
+keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt.
+
+Und es war ja auch eine Art von Herrgott, ein »Wieszpatis« war es, der
+sich selber bemühte.
+
+Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner, die plötzlich herangebraust
+kamen? Wer kannte nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze und
+der rotsamtnen Troddel? Wer kannte nicht das Lacklederverdeck mit den
+silbernen Bügeln?
+
+Und wer kannte nicht den Mann, der fünf Fuß zehn Zoll hoch mit
+blitzendem Auge unter buschigen Brauen und auseinandergestrichenem
+dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen Polstern entstieg, um
+sich dann umzuwenden und einer Dame im seidenen Schleier und seidenen
+Mantel aus dem Innern zu helfen?
+
+Ja, wenn _der_ zur Hochzeit kam! Der und die Frau, die alle liebten, wie
+man einstmals die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß schön
+war, sondern in ihrem Gutsein sich auch zu den Demütigen neigte!
+
+Wenn _das_ geschah, dann gab es nicht Hadern mehr und nicht Hochmut.
+Dann gab es keine Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da wo der
+Rautenkranz und die silberne Krone hingehört hätten. Dann gab es nur
+Frieden und Glück und Geehrtsein.
+
+Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten, erhoben sich stumm von
+den Sitzen, und so betraten beide suchend die Stube, in der sein Kopf
+die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz hätte aufrichten wollen.
+Auf den Brautwinkel gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich die
+Hand, die blutübergossen und stumm den Blick auf die Dielen geheftet
+hielt. Und auch den Jozup begrüßten sie -- glückwünschend, daß er solch
+eine Frau, deren Wert sie ja kannten, sich zu eigen genommen. Und dann
+begrüßten sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die Herrin,
+wechselte einen ernsten Blick mit der Mutter, den nur sie beide
+verstanden, und die Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte.
+
+Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und immer noch hübsche Frau war,
+drängte sich vor, um auch einen Gruß zu bekommen, aber die Herrschaften
+achteten ihrer nicht mehr, als ob sie ein Unkraut gewesen wäre.
+
+Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht, oder vielleicht wußten
+sie gar nicht, daß eine Bräutigamsmutter noch da war.
+
+Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar gegenüber, und er, der
+Wieszpatis, zog einen Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin. Der
+war innen mit Seide gefüttert, und auf der hellblauen Seide lagen
+silberne Messer und Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler und
+mehr. Das war sicher.
+
+Noch niemals hatte man jemand gekannt, dem zur Hochzeit solch eine Gabe
+beschert worden war.
+
+Und der Herr sagte: »Ihr alle sollt daraus erfahren, wie treu die
+Marinke mir einstmals gedient hat und wie hoch meine Frau und ich ihre
+Dienste heute noch schätzen.«
+
+Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn Litauisch konnte sie
+nicht: »Es muß ein besonderes Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie
+dem Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen dürfen.«
+
+Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn des Kindes war heute noch
+niemals von einem gedacht worden.
+
+Und die Herrin fragte: »Kann man es sehen, Marinke?«
+
+Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer, wo die Wiege versteckt
+war, und brachte es angetragen in seinen rotbunten Kissen.
+
+Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und schaukelte es und sagte: »Ein
+hübsches Jungchen. Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn erinnere.
+Findest du nicht auch, John?«
+
+Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen, da gewahrte er, daß die
+Augen der Marinke sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller
+Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde, und darum nickte er nur
+bedächtig und nachsinnend vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein
+auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten, nahmen die Herrschaften
+freundlichen Abschied und fuhren von dannen.
+
+Das Kind und das Silberbesteck aber gingen noch lange Zeit bei den
+Gästen von einem Schoß auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt und
+bewundert.
+
+Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und kichernd draußen herumlief,
+wollte von beiden nichts wissen.
+
+
+ 10
+
+Das Gehöft, das die Leute das »Wolfsnest« nannten, lag ein wenig abseits
+vom Dorfe und war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den fünfen,
+denen man Hochachtung schuldete. Aber man sah nicht viel davon, denn es
+war auf drei Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben, daß man
+höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern sah.
+
+Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn verborgen. Und nur wer von
+der Landseite herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer, die als
+Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall und Scheune bedeckten.
+
+Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst recht überrascht durch die
+schönen Maschinen, die auf dem Hofe der Reihe nach standen.
+
+Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem Stolze erfüllen,
+die auf Arbeit hielt und auf Ordnung.
+
+Die Marinke fand sich rasch in das neue Leben, und war sie von
+Kindesbeinen an fleißig und tüchtig gewesen, wie hätte sie's hier nicht
+sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand?
+
+Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter an, wenn sie vom
+Fenster der Altsitzerstube aus, bereit zu Tadel und Zank, das Wirken der
+Hausfrau verfolgte. Und sie hütete sich wohl, sich an ihr zu vergreifen
+oder den Sohn gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich auf
+günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit erschien und ohne Gruß
+aus und ein ging.
+
+Die Marinke kümmerte sich nicht viel um ihr feindseliges Benehmen, denn
+sie hatte ja Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen würde, wenn es
+zwischen ihr und der Alten zu offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht.
+Ob er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der Mutter würde er doch
+wohl nicht Unrecht geben, denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil
+sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen hatte. Der eine
+war Schutzmann in Berlin, und der andere stand kurz vor dem
+Versorgungsschein. Schreiben taten sie beide nicht mehr.
+
+Mit dem Jozup war's eine eigene Sache. Manchmal, wenn er dasaß und sie
+ansah halbe Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein Wort zu reden,
+und sie gleichsam aufzehrte mit seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann
+dachte sie innerlich schaudernd: »Das ist zu viel, das darf nicht sein,
+das geht wider Gottes Macht und Willen.«
+
+Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor allzugroßer Liebe und ihr nicht
+nahe zu kommen wagte, dann dachte sie wieder: »Das ist die Strafe, weil
+er sich an dem Jurris vergangen hat.« Bis er sich dann auf sie stürzte
+wie ein wildes Tier, so daß _sie_ nun zitterte vor seiner allzugroßen
+Liebe. Und manchmal dachte sie dabei: »Vielleicht ist er wirklich ein
+Werwolf und heißt nicht bloß so.« Aber dann warf sie die Furcht wieder
+ab und tröstete sich: »Das kommt bloß daher, daß er zu lange nach mir
+begehrt hat und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun kann er's noch
+immer nicht fassen.«
+
+Und dann war es ihr manchmal, als könnte sie ihn mit der Zeit auch
+wiederlieben. Aber ihr Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort, wo
+der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab und zu an das Grab zu
+gehen, ihr wäre manches leichter geworden.
+
+Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine wilde Liebe. Ob es sein
+eigenes war oder nicht, darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und
+Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen Glauben zu lassen, denn sie
+wußte, wenn's anders käme, würd' es ihr schlecht gehn.
+
+Er nannte den Kleinen auch nicht »Jurris«, wie er getauft war, sondern
+»Wilkiutis« oder »Wilkytis«, was gar kein christlicher Vorname ist,
+sondern das »Wölfchen« bedeutet. Und er war ganz zornig, wenn die
+Dienstboten nicht taten wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen
+Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich brachte sie's auch nicht
+mehr übers Herz und nannte ihn immer bloß »Kindchen« oder auch
+»Liebling«.
+
+Der Kleine wuchs rasch heran und konnte gehen und sprechen, noch ehe das
+erste Ehejahr um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie der Wolf mit
+seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein. Lag lang auf der Erde und
+ließ ihn klettern über sich her und hob ihn hoch in die Luft, und dann
+mußte er sehen, wie er von den Handflächen wieder herabkam.
+
+Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der Dämmerung zwei alte Leute
+und kuckten sich die Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und kuckten
+nicht minder nach der Marinke, ob ihr Leib noch immer nicht Spuren zeige
+von kommendem Segen, damit alsbald der Vertrag in Kraft treten könne,
+der ihnen den Enkel zurückgab.
+
+Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten, obwohl der Alte die
+Vormundschaft hatte, und ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen.
+Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der Mutter gelegt und sich
+streicheln lassen von ihren verständigen Händen, aber um des lieben
+Friedens willen entbehrte sie auch das.
+
+Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde zu haben, hatten die Alten es
+auf sich genommen, den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen bei
+den Besitzern immer reihum fuhr, selbst zu kutschieren, wenn ihre Woche
+gekommen war. Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher an den Rand
+des großen Weges bringen, wo sie herrenlos standen, bis der Wagen sie
+auflud, und als die Alten sich dumm stellten und unter diesem oder jenem
+Vorwand doch aufs Gehöft fuhren, da machte er kurzen Prozeß und trat aus
+der Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber, als er selber nicht
+gerne mehr nach Augustenhof hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und
+vielleicht besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis nannte er nur noch
+»den Deutschen«, und das schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf dem
+Grunde des Schrankes und zehn Schichten Kleider darübergefliehen.
+
+Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen tot, und der Tag seines
+Sterbens kam heran.
+
+Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch nicht, kurz, um die Stunde,
+in der damals das alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle
+aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht Fische zu fangen. Er
+tat das sehr selten, denn den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und
+wie er die Marinke zum Abschied küßte, da war Triumph in seinem Auge, so
+daß sie sich dachte: »Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an
+seiner Gewalttat.«
+
+Und weiter dachte sie: »Soll der arme Jurris nun ganz allein da liegen
+und denken, ich hab' ihn vergessen?«
+
+Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf den Kirchhof, und der
+Vorwurf in ihr sprach lauter und lauter.
+
+Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg bei der Hand, denn es mußte ja
+aussehen wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie aber hinter den
+Erlen war und die Alte ihr nicht mehr nachblicken konnte, hob sie ihn
+auf den Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof zu, der wohl
+eine halbe Stunde entfernt lag.
+
+Das Grab war ziemlich verfallen. Frische Blumen lagen nicht darauf, und
+auch sie hatte ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie Blätter
+von den Ahornbäumen, und weil sie zufällig ein Knäulchen Zwirn in der
+Tasche hatte, machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu winden, die
+den Grabhügel der Länge und Breite nach festlich umrahmen sollte. Zeit
+hatte sie genug, und der Kleine grub artig im Sande.
+
+Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied, und auch weil ihr hier an
+dem Grabe so wohl war.
+
+Sie sang:
+
+ »Dort unter den Linden
+ In jenem Grabe,
+ Da liegt und schlummert
+ Mein lieber Knabe.
+
+ Auf seinem Denkmal
+ Stehet zu lesen,
+ Wie schön und tapfer
+ Er einst gewesen.
+
+ Mit Blumen schmück' ich's
+ In jedem Lenze,
+ Sitz' auf dem Grabe
+ Und flecht' ihm Kränze.
+
+ Und ranke Grünes
+ Rings um die Kanten
+ Und pflanze Goldlack
+ Und Amaranten.
+
+ Und klag' und weine,
+ Weil sie den Knaben
+ Mir aus dem Brautbett
+ Gerissen haben.
+
+ Doch aus dem Herzen
+ Stiehlt ihn mir keine,
+ Und jeden Abend
+ Komm' ich und weine.«
+
+»Wenn _ich_ hier mit meinem Kinde an jedem Abend ein Stündchen sitzen
+könnte,« dachte sie, »ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern immer
+vergnügt sein.«
+
+Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit freute, da wurden mit
+einemmal vom Kirchhoftor Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und
+ein Klappern dabei -- das kannte sie wohl.
+
+Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind auf den Arm und ging der
+Schwiegermutter entgegen.
+
+Die schwang die Krücke und schrie: »So also bist du dem Jozup treu, du
+Allerweltsfrauenzimmer, daß du selbst mit den Gräbern buhlen gehst? Ohne
+Jungfernschaft bist du ins Haus gekommen, den Muturis« -- das
+Frauenkopftuch -- »hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht ich. Aus
+der Mistpfütze bist du gekrochen, und nicht eher werde ich ruhen, als
+bis ich dich dahin zurückgeprügelt habe.«
+
+Und sie schlug mit dem Krückstock auf die Marinke los.
+
+Die dachte nur daran, den kleinen Jurris zu schützen, der bitterlich zu
+weinen begann, weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte, und ging
+davon ohne ein Wort der Erwiderung.
+
+Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich vor das Hoftor, um dem Jozup
+aufzupassen.
+
+Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe zurückkam, erzählte sie ihm
+alles. »So hat sie dich beseift,« sagte sie. »Nun strafe sie, wie sich's
+gebührt.«
+
+Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen und kämpfte lange mit sich.
+»Warum soll ich sie strafen?« sagte er dann. »Es ist besser, ihr Zeit zu
+lassen, damit das Andenken an jenen aussauern kann aus ihrem Gemüte.«
+
+»Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?« fragte höhnisch die Alte.
+
+»Weil ich ein Mann bin,« entgegnete er, »weiß ich, was ich zu tun habe.«
+
+Aber sie ließ ihm keine Ruhe. »Weiche Äpfel faulen bald,« sagte sie,
+»und wer bloß Krumen essen will, bricht sich am ehesten die Zähne
+entzwei. Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.«
+
+Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu schelten. Nur fernhalten
+tat er sich von ihr, und auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche
+lang.
+
+Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem Begegnen, denn jetzt hatte sie
+einen Grund.
+
+Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter schon einmal
+gehoben hatte, ohne daß ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es
+alsbald von neuem und fiel über sie her, allemal, wenn sie ihr nicht
+entweichen konnte.
+
+Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen und war auf nichts weiter
+bedacht, als den Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger
+angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr setzen. Und eines Tages
+-- nicht weit vom Herde -- riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand
+und warf sie gegen den hängenden Kessel, so daß ein wenig von dem
+kochenden Wasser herausspritzte.
+
+Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an. Die Schwiegertochter habe
+sie geschlagen und verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die Blasen
+an Hals und an Händen. Und als der Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie
+auch ihm und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens nicht
+sicher.
+
+Da geschah es zum ersten Male, daß er sich an seinem Weibe vergriff. Er
+schlug sie nicht, wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat, sondern
+warf sie schweigend über den Tisch und schüttelte und würgte sie, wie
+man mit einem bissigen Hunde tut.
+
+Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den kleinen Jurris auf den Arm
+und rannte in ihrer Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja jeder
+Verkehr verboten war.
+
+Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot und rief dann den Alten
+herbei. Der tat desgleichen, und als Marinke ihnen alles erzählt hatte,
+wollten sie sie sogleich bei sich behalten.
+
+Aber die Marinke willigte nicht darein. »Von hier holt er mich schon
+morgen vormittag,« sagte sie, »und wenn ich mich wehre, schleppt er mich
+womöglich an den Haaren zurück. Aber ich weiß jetzt, was ich ihm sagen
+werde, wenn ich auch nicht danach tun kann.«
+
+Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus, ihr den Kleinen noch eine
+Strecke zu tragen, und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen
+Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren Armen Eiapopeia.
+
+Am nächsten Morgen wollte der Jozup schweigend von dannen gehen, aber
+sie hielt ihn zurück und sagte: »Ich habe es satt, mich schlecht
+behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der Himmel bisher nicht geschenkt,
+es hält uns also auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse
+Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd' ich dort nicht, und darum
+ist es das Beste, ich gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst du
+behalten.«
+
+Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand und entgegnete drauf: »Das
+Einzige ist, ich teile ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen
+fließt. Dann wird sie's vielleicht weitererzählen, aber im Hause wird
+Ruhe sein.«
+
+Da sagte die Marinke: »Gestern vor vierzehn Tagen war des Jurris'
+Todestag, und heute wird _mein_ Todestag, wenn du das tust, so wahr ich
+dein Weib bin.«
+
+Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache ihr Sinn unveränderlich war und
+daß er nie und nimmermehr daran würde rühren dürfen. Darum sagte er:
+»Ich werde nachsinnen, ob es ein anderes Mittel gibt.«
+
+Und die Marinke sagte: »Du kannst nachsinnen, soviel du willst. Ein
+anderes Mittel, als daß _sie_ aus dem Hause geht oder ich, wirst du
+nicht finden.«
+
+Der Jozup lief in der Stube umher und schrie: »Sie hat mich vorgezogen,
+seit ich im Kinderkleid war -- sie hat die Brüder hinausgejagt, damit
+ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel von mir!«
+
+Und die Marinke erwiderte: »Ich verlange ja nichts.«
+
+An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube und blieb dort länger
+als eine Stunde. Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte herauskam,
+das Gesicht wie behonigt, und zu der Marinke sagte: »Setze meinen Teller
+auch auf den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird, will ich fortan
+mit euch zusammen essen.«
+
+Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die Alte den Kleinen ihren
+»Putytis«, ihr Hähnchen, nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte,
+zog sie ihn rasch auf die Seite.
+
+Von diesem Tage an war die Wilkene wie umgewandelt, und niemand konnte
+wissen, wodurch es geschehen war.
+
+Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend im Erlengebüsch auf
+Marinke lauerte -- -- denn so war es jüngst ausgemacht worden --, sagte
+zu ihr: »Paß gut auf, daß sie nicht an den Herd kommt. Ich will mich
+rösten lassen wie Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das Kind
+zu vergiften.«
+
+Die Alte aber saß allabendlich am Rande des Sumpfteichs hinter dem
+Roßgarten, um Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln, die
+nächstens ausgelegt werden sollten, und in der Dunkelheit kam sie mit
+Kräutern beladen nach Hause, die sie niemandem zeigte.
+
+Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei und dem Kalmus auch
+Wasserschierling in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten können, so
+viel Schierlingsstauden standen dort mit ihren weißlichen Schirmchen.
+
+Ja, die Marinke paßte gut auf.
+
+Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben gegen die Gicht, das hatte
+nichts auf sich, aber daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem
+Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische aß, das gab schon mehr zu
+bedenken. Und stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder zu
+wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich war.
+
+Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit wich die Marinke nicht von
+der Stelle. Kaum den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich
+wurd' ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn.
+
+Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit Zucker und Rosinen, da fiel
+ihr ein fremder Geruch auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der Jozup
+mochte wie viele den Kürbis nicht und kriegte was Anderes, die Alte aber
+bekam mit einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich Melissentee
+kochen, so daß nur sie selbst und das Kind noch übrigblieben, davon zu
+essen, denn den Leuten war schon vorher zugeteilt worden.
+
+Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab auch dem Kinde nichts,
+füllte aber, soviel sie konnte, in eine breithalsige Flasche und lief
+heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit sie nun tue, was not war.
+
+Und als der Freitagabend herankam, da sagte die Mutter: »Ich bin in
+Heydekrug gewesen beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht und
+gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn man's dem anzeigen wollte, wär' mit
+der Hälfte zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.«
+
+Die Marinke nahm den Zettel und ging zum Jozup. »Deine Mutter ist mir
+die rechte,« sagte sie.
+
+»Wieso?« fragte er und ließ die Halsbinde los, denn er zog sich eben die
+Kleider vom Leibe.
+
+»Weil sie mich hat vergeben wollen -- mich und das Kind.«
+
+Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten ersticken, und riß sich
+das Hemd am Halse entzwei.
+
+»Ich habe das Versprechen getan, dich niemals zu schlagen,« sagte er,
+»aber du machst es einem recht schwer.«
+
+»Hier ist der Zettel,« sagte sie.
+
+Er las den Namen des alten Settegast, den jeder ehrte weit und breit,
+und so rot, wie er gewesen war, so blaß wurde er nun. Und dann ließ er
+sich alles von ihr erzählen. Auch daß die Mutter Enskys die Probe zur
+Apotheke getragen hatte, verschwieg sie ihm nicht. »Straf mich, wenn du
+willst,« sagte sie, »aber das Kind mußt' ich am Leben erhalten,
+gleichviel, wer sein Vater ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich
+jetzt gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.«
+
+»Du und das Kind bleiben hier,« erwiderte er.
+
+»Gut,« sagte sie, »dann muß deine Mutter fort, oder ich zeige sie an.«
+
+»Du zeigst sie an?« fragte er, als ob er nicht recht gehört hätte.
+
+»So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.«
+
+Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und kam die ganze Nacht nicht
+mehr wieder. Auch am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen, erst
+gegen Mittag trat er mit einemmal aus der Altsitzerstube. Er zitterte am
+ganzen Leibe und sagte: »Ich habe mit der Mutter gesprochen. Was sie
+jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals prophezeit und habe für
+alle Fälle mit den Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die Hälfte
+aller Einkünfte bekommen und sie dafür in Pflege nehmen, solange sie
+lebt. Siehst du nun wohl, wie lieb du mir bist -- du und das Kind?«
+
+Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte kaum einen Widerspruch zu
+leisten gewagt, denn sie wußte, die Anzeige drohte.
+
+Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der Jozup sie zur Bahn brachte,
+reckte sie noch einmal den Krückstock nach der Marinke und schrie ihr
+den schwersten Fluch an den Hals: »Mag der Perkuhns dich treffen nach
+Bartholomä!«
+
+Und da es bis zum nächsten Bartholomä noch lange hin war, verbesserte
+sie sich: »Nein, noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich
+treffen.«
+
+Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in die Weite, dorthin, wo kein
+Litauergott mehr donnert.
+
+
+ 11
+
+Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man glückliche nennen.
+
+In Marinkes Herzen wurde das Bild des Jurris allmählich blasser und
+blasser. Da eine Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte sie manches
+liebe Mal nach seinem Grabe sehen können, aber es drängte sie nichts
+mehr dorthin.
+
+Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler heran, der sich die Butter
+vom Brote nicht nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen bis zum Abend
+in die Welt hinauskrähte.
+
+Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn darin zu bestärken, und wenn der
+Junge recht unartig war, sagte der Vater: »So ist's gut, mein
+Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.«
+
+Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe zur Weide führen und setzte
+ihn jedem Tier auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit vier Jahren
+ritt er bereits auf der bockigen Schimmelstute, und die war auch sonst
+nicht die frömmste.
+
+Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger zwischen den beiden, und als
+der fünfte Frühling herankam und die künftige Schulzeit schon drohte, da
+nahm der Jozup ihn morgens sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die
+Lenkstange der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen Zipfel des
+Säelakens zu tragen und meinte: »Das muß das Erste sein, was ein
+Wirtssohn erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und Rechnen.«
+
+Ein Glück war's -- ein unaussprechliches und nie besprochenes --, daß
+noch immer kein Zeichen sich meldete, der kleine Jurris werde ein
+Brüderchen oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade so, als ob der
+Himmel selbst darüber wachte, daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand
+und Ruhe allmählich einkehrte.
+
+Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich zwei alte Leute auf ihren
+Knieen und flehten zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam in
+die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn und Erben zurückgeben.
+
+Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. Die Marinke mochte sich
+noch so sorgsam verstecken, die Dienstleute trugen es doch hinaus, und
+bald wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes war.
+
+Der Jozup ging umher wie ein Wüterich und erklärte, wer ihm den Knaben
+nehmen wolle, den schieße er nieder.
+
+Aber als die beiden Enskys von seinen Reden hörten, da lachten sie nur,
+denn sie hatten es schriftlich.
+
+Und eines Tages waren sie dreist genug und erschienen beide im Hoftor.
+
+Die Marinke, die im achten Monat war und nur noch leichte Gartenarbeit
+verrichten konnte, saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten
+unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die aber hatten sie wohl gesehen
+und wollten gerade in den Garten einbiegen, da stießen sie auf den
+Jozup, der eben aus dem Hause trat.
+
+»Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?« sagte er ihnen zum Gruße.
+
+Die Großelternliebe war stärker in ihnen als jegliche Angst, und obwohl
+der Alte sich ein wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit
+hatte er doch, um zu sagen: »Ich würde an deiner Stelle versuchen, dich
+mit uns zu verständigen, denn vor den Behörden bist du ja machtlos.«
+
+Da dachte er nicht anders, als sie würden wohl mit sich handeln lassen,
+und lud sie ein, in die Stube zu treten.
+
+Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine bestanden und nur
+Gewißheit haben wollten, wann sie das Kind heimholen könnten.
+
+Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: wie sich den Sohn erhalten,
+an dem seine Seele hing. Für einen Augenblick stieg wohl der Wunsch in
+ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, das ihn mit dessen Leben verband,
+aber er warf ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen wohl
+erkannt, daß, wenn die Marinke, mochte sie sonst noch so weich sein, zu
+einer Sache entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon abbringen
+konnte.
+
+Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen -- das wollte er doch nicht.
+
+In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin und her, ob nicht ein
+einziger Grund sich finden ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich
+für immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein anderer ein als der, mit
+dem er sein Weib nun schändete.
+
+»Jurris habt ihr ihn ja genannt,« sagte er, »aber was wißt ihr, ob er
+wirklich dem Jurris sein Kind ist?«
+
+Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände zu ihm auf, als wollte sie
+ihn anflehen, den Schlag _nicht_ zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte.
+Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und schrie immerzu: »Wer ist es?
+Wer ist es? Wer ist es?«
+
+Und er -- mehr aufs Geratewohl, als weil er sich eines bestimmten
+Verdachtes bewußt war -- entgegnete dieses: »Nun -- es kann ja zum
+Beispiel -- der -- Wieszpatis gewesen sein. Nicht umsonst hat er Kinder
+sitzen weit und breit -- und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf dem
+Hofe gewesen.«
+
+Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom Blitze getroffen, der Alte aber
+rannte spornstreichs hinaus und in den Garten -- dorthin, wo die Marinke
+vorhin gearbeitet hatte.
+
+Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn sie dachte, der Jozup
+wolle dem Alten zu Leibe, da schrie er auch schon: »Nun ist es heraus,
+du Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen. Und das Kind ist von
+ihm. Gesteh, daß das Kind von ihm ist!«
+
+In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht anders, als es sei durch
+ein Unglück alles ruchbar geworden, was sie sich selber kaum eingestand,
+und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete sie: »Wenn du es
+weißt, warum fragst du mich erst?«
+
+Da rannte er spornstreichs zurück und schrie es durch Garten und Hof:
+»Sie hat gestanden, daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es eben
+gestanden.«
+
+Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde so gelb wie die Asche im Eimer.
+Er nahm den Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. Dort gab
+er ihm noch einen Stoß mit dem Absatz und überließ ihn seinem weinenden
+Weibe. Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem Leibe
+mühsam aus dem Garten kam.
+
+Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei er der Henker. Aber da sie
+wußte, daß nichts auf der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, so
+gab sie sich drein.
+
+»Geh ins Haus,« sagte er und blieb ihr dicht auf den Hacken.
+
+Dann peitschte er die Mägde hinaus, die ängstlich um die Feuerstätte
+standen, und folgte ihr in die Stube.
+
+Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach war sie geworden, und seine
+Augen stachen nach ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit.
+
+»Also wie war das mit dem Wieszpatis?« fragte er ganz freundlich.
+
+»Wie wird's gewesen sein?« sagte sie. »Er war doch der Herr, und ich war
+die Magd. Und wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam, dann hat er
+gesagt, ich gefall' ihm.«
+
+»Und das ging so die ganzen Jahre lang?«
+
+»Solang' ich die Meierei unter mir hatte, wird's wohl gegangen sein.«
+
+»Und als du merktest, daß du ein Kind von ihm trugst, da suchtest du dir
+den Jurris als Vater dazu?« fragte er immer noch freundlicher.
+
+Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das war anders.« Und nun berichtete sie
+ihm der Wahrheit nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal nach
+Augustenhof hatte hinkommen lassen -- der Jozup selber war ja Vermittler
+gewesen -- und wie sie allein hatte fahren müssen, weil der Jurris nicht
+war zu finden gewesen. Da hatte der Herr gesagt: »Wir wollen nun
+Abschied feiern, Marinke.« Und sie hatte gebeten und gefleht: »Ach
+lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.« Aber er war ja der Herr, und sie
+hatte ihm schon so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm auch
+diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von daher war alles Unglück
+gekommen.
+
+Er sagte: »Ich habe das Gelöbnis getan, dich nicht zu schlagen. Und das
+ist dein Glück, sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser Stube
+kommen. Auch sollst du mir zuerst einen Sohn zur Welt bringen, denn das
+bist du mir jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen werde, das weiß
+ich noch nicht. Aber ich rate dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt
+hast, den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn ist Hurensohn. Und
+kommt er mir in den Weg, so schmeiß' ich nach ihm mit allem, was ich
+grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.«
+
+Die Marinke hob die Arme nach ihrem Manne auf und weinte und bat: »Wo
+soll ich hin mit ihm in meinem Zustand?«
+
+»Das geht bloß dich an,« entgegnete er und schritt aus der Türe.
+
+Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm drein, um den Kleinen vor
+ihm zu sichern, der wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. Und sie
+fand ihn auch glücklich und wartete ab, bis der Weg frei war, dann zog
+sie ihn rasch in die Klete.
+
+»Hole mir Betten für mich und das Kind,« sagte sie zu der Hausmagd,
+»denn hier werd' ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.«
+
+Und der Kleine schrie nach dem Vater, er wolle hinaus und mit ihm
+spielen, wie er's gewohnt war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus Furcht,
+der Jozup möchte eindringen und mit ihm tun, was er gedroht hatte.
+
+In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen Jurris wohl vierzehn Tage
+auf und traute sich nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten gut
+für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche Herrin gewesen.
+
+Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er an der Klete vorbeiging,
+schüttelte er die Faust nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus,
+wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört.
+
+Er nannte sein Weib eine »Klorke«. Und »Szunjôda« und »Pajudêle« nannte
+er sie. Das sind Namen, die man am besten ins Deutsche nicht überträgt.
+
+Und drohen tat er ihr auch und immer aufs neue. Sie konnte das Fenster
+noch so fest schließen, sie hörte und verstand ihn in allem. »Denke nur
+nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein Täubchen, weil ich das
+Gelöbnis getan habe, dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand
+kommen lassen, der wird das alles statt meiner besorgen. Der wird dir
+mit der Bratpfanne den Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten
+streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben wirst, heute feiern wir
+Ostern.«
+
+Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und dachte: »Wer mag es nur
+sein, den er meint?« Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben
+konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden.
+
+Am allermeisten hatte sie Angst um den Knaben, dem der Jozup Tag für Tag
+ans Leben gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit sich verkürzte,
+wurde die Unruhe größer in ihr, daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn
+aufpassen konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war.
+
+
+ 12
+
+Eines Nachmittags -- es war zu Ende August, und die Leute arbeiteten
+draußen im Grummet --, da sah die Marinke durch das Fenster der Klete,
+daß der Jozup den Spazierwagen anspannte, sich einen Korb mit Essen und
+Trinken aufladen ließ und davon fuhr.
+
+Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen die Sonntagskleider an und
+schmückte sich selber, so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte sie
+sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war die einzige, die auf dem Hofe
+geblieben war. Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben habe,
+sondern sagte nur im Vorbeigehn: »Ich will jetzt den Kleinen wegbringen.
+Erzähle dem Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht nicht zu Haus
+bin.«
+
+Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch fortgehen wollte, so
+wußte sie doch nicht, wohin. Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach.
+
+Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben, wenn Leute ihr
+entgegenkamen, denn das Geschehene war ja längst allen bekannt; aber
+jeder grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr sprach.
+
+Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen wollte, in dem sie so
+glückliche Tage verlebt hatte, da überfiel sie der Jammer, so daß sie
+sich weinend auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme sprach in ihr:
+»Kehre an! Vielleicht daß die Mutter dich nicht fortweist und einen Rat
+für dich hat!«
+
+Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß der Alte auch auf dem Felde
+war und die gute Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte.
+
+Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß und sagte: »Da ist er nun, um
+den wir Jahre und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen, so hübsch
+wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch zu uns gehören.«
+
+Und sie küßte ihn und sagte weiter: »Wenn der Jurris noch lebte, der
+würde es nie erfahren haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes.
+Weiß Gott, mir wär' es gleich! Ich würd' ihn auch weiter liebhaben,
+schon weil er von dem Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will
+nicht. Der spuckt aus.«
+
+Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und bat: »Sag, Mutter, was soll
+ich tun?«
+
+Und die Enskene erwiderte: »Es ist doch ein Vater da. Der muß sich jetzt
+kümmern.«
+
+Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie hatte sie daran gedacht,
+daß sie dem Wieszpatis mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe.
+
+Und die Mutter Enskys fuhr fort: »Wenn er erfährt, daß sein Fleisch und
+Blut ganz und gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so wird er es zu
+sich nehmen. Denn nicht umsonst sagen alle, daß er ein guter Mann ist
+und ein gerechter Mann.«
+
+Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit kam über sie. Beinahe wäre
+sie von der Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die Mutter Enskys
+hielt sie fest und sagte: »Daß es dir schwer fällt, kann man sich
+denken. Es trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben, darum kannst
+du gleich mit dem Milchfuhrwerk mitfahren, das der Hütejunge
+kutschiert.«
+
+»Aber bei den andern anhalten, wenn er die Kannen einsammelt, das bring'
+ich nicht übers Herz,« sagte die Marinke.
+
+Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig sein würde, der Junge könne
+ja erst die Runde machen und sie dann abholen kommen.
+
+Und so geschah es.
+
+Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen auf Augustenhof eintraf.
+Der Schweizer in der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie kümmerte
+sich nicht um ihn, sondern nahm den kleinen Jurris bei der Hand und
+schlug den Weg zum Herrenhause ein.
+
+Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich in den Garten läuft, schlug
+ihr das Herz so sehr, daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen zu
+müssen, und als sie gar lachende Stimmen auf der Veranda hörte und
+milchfarbene Windlichter sah, da war es vollends mit ihren Kräften zu
+Ende.
+
+»Wer ist da?« hörte sie die Stimme des Herrn.
+
+Und da sie nicht zu antworten vermochte, sagte er weiter: »Sieh doch
+einmal nach, Agnes, wer da ist.«
+
+Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen herab -- sollte das wirklich
+die Agnes sein? -- und fragte: »Was wünschen Sie?« Und da sie noch immer
+nicht antwortete, rief das Mädchen hinauf: »Eine Frau ist da mit einem
+Kinde, aber sie spricht nichts.«
+
+Da kam er, der Herr, selber die Treppe herab. Und sie neigte sich vor
+ihm und küßte ihm den Ärmel.
+
+»Ich kann nicht recht sehen,« sagte er. »Bist du etwa die Marinke?«
+
+Da bekam sie die Sprache wieder und sagte: »Die bin ich.«
+
+»Komm herein,« befahl er und schritt ihr und dem Kinde voran die Stufen
+empor, an lauter Herrenleuten vorbei -- jungen und alten --, es waren
+deren mindestens sechs oder sieben. Sie erkannte die gnädige Frau, der
+küßte sie rasch noch die Hand, und dann ging sie durch die Sommerstube
+und den Saal und den mittleren Korridor immer hinter ihm her, und der
+Kleine war tapfer und quarrte nicht im geringsten.
+
+Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer, das am Giebelende gelegen war
+und drei Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und eine zum
+Korridor hin, durch die sie nun eintraten.
+
+Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch nie gesehen hatte, denn
+damals war es Petroleum gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an dem
+sie Sonnabends immer Rechnung gelegt hatte, und das Ruhebett in der
+linken Fensterecke stand auch noch da. Und alles war überhaupt, als sei
+sie nie weg gewesen.
+
+Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt und betrachtete sie lange,
+aber von dem Kinde, das sie erwartete, und auch von dem, das sie an der
+Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann so: »Es hat mir leid getan,
+Marinke, daß dein Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt hat.
+So sind wir ganz außer Verkehr gekommen, und ich weiß nichts mehr von
+dir. Du hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich gewandt, und
+das passiert mir in ähnlichen Fällen eigentlich niemals. Ich will nicht
+sagen, daß ich dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich kann,
+helf' ich gerne. Aber nun setz dich hin, denn du wirst müde sein, und
+sage, was führt dich her?«
+
+Sie dachte bloß immer: »Und sein Kind sieht er nicht an.«
+
+Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante des Ruhebetts setzte und
+das Kind zwischen die Kniee nahm, da sah er es doch.
+
+»Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,« sagte er und streckte von
+seinem Schreibstuhl her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen
+lockt.
+
+Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich nur um so enger an sie.
+
+»Wie werd' ich's ihm bloß sagen?« dachte sie. »Das Beste wird sein, ich
+geh' wieder weg, wie ich gekommen bin.«
+
+»Nun also, Marinke, erzähle.«
+
+»Ich hab' nichts zu erzählen, Ponusze.«
+
+»Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es schwer fällt, nicht einen so
+weiten Weg. Also sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder möcht' er
+bauen oder sonst was? Ich geb', was er will, denn ihr seid mir sicher.«
+
+»Mein Mann braucht keine Hypothek,« sagte sie, »und bauen möcht' er auch
+nicht, aber es ist 'rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen ist,
+Herrchen, und mir.«
+
+Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz nach ihr um, so daß es
+knarrte, und machte sich ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf
+ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel hart auf ihn herab.
+
+»Er ist ganz grau geworden,« dachte sie. Und nun sah er vollkommen so
+aus, als wär' er der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger
+Herrgott sah er aus.
+
+»Nur du und ich haben's gewußt,« herrschte er sie an, »und von mir hat's
+keiner erfahren.«
+
+Sie hätte nun sagen müssen: »Von mir auch nicht,« aber ihre Angst vor
+ihm war so groß, daß sie sich keine Antwort getraute.
+
+»Ich werd' denn man gehen,« sagte sie und versuchte aufzustehen. Aber
+sie war so schwach, daß sie wieder zurückfiel.
+
+Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen war. Die geschliffene
+Karaffe stand immer noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr ein
+Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade, aus dem sie manches liebe
+Mal hatte naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der wollte erst
+nicht, aber was ihm in die hohlen Händchen geschüttet wurde, das nahm
+er.
+
+»Nun laß uns vernünftig reden,« sagte der Herr, »und erzähl alles.« Aber
+sie konnte nicht. Sie saß bloß so da und sah vor sich hin.
+
+»Marinke,« sagte der Herr, »du bist einmal die Freude meiner Feierabende
+gewesen, und ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen großen Stein
+bei mir im Brett. Denk daran und faß dir ein Herz.«
+
+Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg: »Das Kind hier ist _Ihr_
+Kind, Ponusze.«
+
+»Ei der Deiwel,« sagte er und lachte hellauf, »das ist ja ganz was
+Neues.« Dann nahm er den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die
+Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten. »Wie gesagt, stramm ist
+er. Wenn er sich auswächst, kann er mir schon ähneln. Denn das weißt du
+ja, sie ähneln mir alle.«
+
+Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten fünf oder sechs auf dem Hof.
+Wenn man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie der andere.
+
+Und er fuhr fort: »An sich wär's also schon möglich. Aber ich denk', es
+ist deinem ertrunkenen Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich weiß, hat
+er ja auch den Namen.«
+
+»Das ist richtig,« entgegnete sie, »aber von dem ist er nicht. Und von
+meinem jetzigen Mann ist er auch nicht.«
+
+»War der denn auch dabei?« fragte er, und sie konnte nicht anders als Ja
+sagen.
+
+»Du -- das ist aber ein bißchen reichlich,« rief da der Herr und wußte
+vor Lachen sich nicht zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh!
+
+Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen. Aber die Marinke
+sah ein, daß sie in der fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde,
+wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das mußte sie jetzt tun, denn er
+allein konnte sie verstehen, und es drückte ihr längst schon das Herz
+ab.
+
+Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen, wie alles gekommen war. Er
+hörte ihr aufmerksam zu und wurde ernster und immer noch ernster.
+
+Mitten darin griff er mit der Hand nach dem Kleinen und hob ihn sich auf
+das Knie. Und der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und lutschte
+still weiter.
+
+Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den Wuschelkopf und setzte ihn
+sacht auf die Erde. Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er mußte die
+Beine freikriegen zum Rumgehen, denn das tat er immer, wenn ihm das Herz
+von irgend was voll war.
+
+Er ging und ging, und dann klingelte er und sagte dem eintretenden
+Mädchen: »Man soll nicht auf mich warten -- ich habe zu tun.« Einst war
+sie selbst dieses Mädchen gewesen, und oft hatte er dasselbe zu ihr
+gesagt. Und dann ging er immer noch länger.
+
+Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte: »Wie wirst du nach Hause
+kommen?«
+
+»Der Enskyssche Milchwagen wartet auf mich,« entgegnete sie.
+
+Der große Augenblick war nun da. In ihm mußte das Schicksal des Kindes
+sich entscheiden.
+
+»Die Enskene hat gemeint,« stotterte sie, »weil es doch dein Fleisch und
+Blut ist, Herrchen, und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest du es
+vielleicht in Pflegschaft nehmen und es großziehen lassen auf deinem
+Hofe. Von Instleuten wohnen ja bei dir so viele.«
+
+Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm erbitten wollen, aber
+jetzt, da sie das vornehme Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte
+sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen war.
+
+»Du vergißt, Marinke,« sagte er, »daß da draußen die gnädige Frau sitzt,
+der ich Rechenschaft schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald auch ihr
+zu Ohren kommen, und dann gäbe es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem
+Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu kommen, war schon zu viel,
+aber ich mochte es ihr nicht abschlagen -- auch um deinetwillen nicht,
+Kind, weil du so außer jedem Verdacht bliebst. Kommt's nun aber heraus,
+dann ist jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie wieder gutmachen
+kann.«
+
+Die Marinke verstand nicht recht, was er meinte, aber daß ihr Verlangen
+eine Vermessenheit war, das wußte sie nun.
+
+»Ich werd' denn man gehn,« sagte sie zum zweiten Male. Diesmal fiel sie
+nicht von selbst zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter gefaßt
+und festgehalten, so daß sie das Aufstehen vergaß.
+
+»In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier bin,« sagte er, »ist kein
+Fremder ohne Trost aus dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr
+gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht hinausschicken?
+Das geht nicht, Marinke, wenn ich dir auch leider was Anderes als Geld
+nicht zu bieten hab'.«
+
+»Ich will kein Geld!« stieß sie hervor.
+
+»Verachte das Geld nicht,« ermahnte er sie. »Denn es macht die Bösen gut
+und die Harten gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von mir hat
+oder wenigstens sagt, daß es von mir ist, tausend Taler mit auf den Weg.
+Und noch keine hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine Mitgift
+geben, dreimal so groß, so daß er als ein wohlhabender Erbe gelten kann,
+und du wirst sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.«
+
+Damit setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb einen
+Schenkungsbrief über zehntausend Mark, und noch vieles andere schrieb er
+dazu, wie die Zinsen zu erheben seien und wie das Kapital einst
+ausgezahlt werden sollte. Das unterstempelte er mit dem Stempel des
+Amtsvorstehers, dessen Dienst er selber versah, und reichte es der
+Marinke.
+
+Die dachte bloß immer das eine: »Aus mir kann nun werden, was will. Das
+Kind ist fürs Leben geborgen.«
+
+
+ 13
+
+Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen auf dem Enskysschen Hofe
+einfuhr, saß die Mutter gerade so wartend im Mondschein wie an jenem
+Abend vor sechs Jahren, von dem alles Unglück seinen Ursprung hatte.
+
+»Der Vater ist schon lange zur Ruhe,« sagte sie, »drum komm herein und
+stärke dich.«
+
+Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle genau so wie damals und aß
+und wußte nicht, was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter.
+
+Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen.
+
+Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche und reichte ihn ihr.
+
+Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht und ließ sich die Summe
+immer wieder von neuem sagen, bevor sie sie glaubte.
+
+»Aber dann ist ja alles gut,« sagte sie, »und dann will ich erst mal den
+Vater wecken.«
+
+Die Marinke hatte Angst, der Alte würde sie und das Kind sofort zur Tür
+hinausweisen, aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und ging damit
+nach der Stube.
+
+Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder da war, und hinter ihr in
+Hosen und Hemd, die Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen
+-- wie ein Wiesel kam er gesprungen -- und bot der Marinke den Willkomm
+und klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte ihn selber ins
+Bettchen tragen, denn Kinder müßten mit den Hühnern zur Ruhe.
+
+Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah. »In was für ein Bettchen?«
+fragte sie.
+
+»Nun, das für ihn bereit steht schon seit Jahren.« Und er habe immer
+gesagt, das mit dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel. Das habe
+der Jozup sich ausgedacht, um ihn und die Mutter zu täuschen. Und nun
+sei es offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr Westphal so viel
+bares Geld nicht aus, sonst wäre er längst schon ein Bettler.
+
+Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden wollte, stieß die Mutter
+sie an und sagte ihr leise: »Laß ihn nur immer. Er redet sich's ein und
+wird's auch den andern einreden -- und so ist's am besten.«
+
+Da gedachte die Marinke der Worte, die der Herr zu ihr gesprochen hatte,
+ehe er die Schenkung niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine nun
+wirklich die Heimat gefunden hatte noch am heutigen Abend.
+
+Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn, denn sie wußte
+wohl, daß es zum letzten Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über
+ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen des Kreuzes und ging vor die
+Haustür.
+
+Dort standen die beiden und warteten ihrer.
+
+»Ach, möchten sie mich doch einladen, bei ihnen zu bleiben!« dachte die
+Marinke. Aber sie taten es nicht. Wie konnten sie auch!
+
+»Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,« sagte der Alte, »denn ich bin
+der Vormund.«
+
+Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke ins Dunkel hinein und
+sagte zum Abschied: »Ich bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig
+Jahr' hab' ich gewiß noch. Und so lange wird es ihm gut gehn, das weißt
+du.«
+
+Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr mit Tränen.
+
+»Was wird aber mit dir werden?« fragte die Mutter.
+
+»Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,« sagte die Marinke und ging
+von ihr fort ...
+
+Der Mond stand hoch -- es war schon ein Herbstmond --, aber die Luft
+wehte warm wie im Juni.
+
+Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte, überkam sie ein Schaudern.
+Der Hofhund würde bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf würde
+der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte, hinausrufen: »Wer ist da?« Und
+wenn sie dann sagte: »Ich bin es -- ich, die Marinke,« dann würde das
+Schimpfen losgehen -- Klorke und Szunjôda und Pajudêle und alles, womit
+er sie sonst noch traktierte.
+
+Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug. Niemand paßte ihr auf. Sie
+konnte die Nachtstunden nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo sollte sie
+sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat hatte sie nicht. Da fiel der
+Kirchhof ihr ein, auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war. Wie eine
+Erleuchtung kam es da über sie.
+
+Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an den Morgen, das war es, was
+ihr jetzt fehlte. Da sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie
+keiner anschreien und schimpfen.
+
+So schlug sie also den Weg zum Kirchhof ein, den sie beinahe vergessen
+hatte.
+
+Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht zu finden, denn ringsherum
+hatte manch neuer Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren auch
+höher geworden. Aber schließlich unterschied sie es doch und setzte sich
+auf den Hügel, dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich
+begrünte.
+
+Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die Eltern errichtet. Der war
+inzwischen schon wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der Tafel
+schien blaß und von Regen verwaschen, soviel man im Mondschein erkannte.
+
+»Bald werden sie ihn alle vergessen haben,« dachte sie, und ihr
+schien's, als sei sie ihm doppelt und dreifach untreu gewesen. Oft hätte
+sie Zeit gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte danach gefragt.
+Trotzdem fand sie erst heute den Weg hierher, wie man verlassene Freunde
+nicht früher aufsucht, als wenn man nicht aus und nicht ein weiß.
+
+»Ach wenn ich doch ein bißchen weinen könnte!« dachte sie, aber sie
+hatte heute schon zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar nicht so
+schmerzhaft zumute. Nur müde war sie. Darum lehnte sie das abgerackerte
+Kreuz gegen den Pfosten und dachte: »Hier möcht' ich einschlafen.«
+
+Und das tat sie auch wirklich. Aber bald weckte der Nachtwind sie
+wieder. Sie lag nun mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht mehr
+aufstehen.
+
+Es war eine große Stille ringsum, nur die harten Baumblätter rieben sich
+ab und zu aneinander, und in dem Grase raschelte es, wenn irgend ein
+Getier sich bewegte.
+
+Sie dachte an alle die Geister, die auf so einem Kirchhof zur Nachtzeit
+ihr Wesen treiben, aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn
+unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen, und der hätte sie schon
+beschützt.
+
+Über diesem Gedanken schlief sie von neuem ein, und ihr war im Traume
+fortwährend, als stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe. Aber
+wie sie wieder einmal erwachte, merkte sie, daß es nur der Wind gewesen
+war, und da tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief.
+
+»Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,« dachte sie. Da kam das Schaudern
+wieder, das sie auf dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt
+hatte.
+
+»Was soll ich eigentlich dort?« dachte sie weiter. »Sobald er mich
+sieht, wird er mich quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen, ob
+ich ihnen noch was zu befehlen hab'. Hier gehör' ich her. Zu meinem
+Jurrischen. Hierher auf den Kirchhof.«
+
+Und sie beugte sich zur Seite und küßte das Grab, aber ihr kam davon nur
+Sand zwischen die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender Zeiten.
+
+»Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,« dachte sie. »Denn ich bin
+für ihn gar nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die Gimdywe -- die
+Gebärerin -- bin ich ihm noch. Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen
+anstatt des anderen, das er verstoßen hat, und dann kann ich abgehen. Er
+wird schon dafür sorgen, daß sie mich bald hierher auf den Kirchhof
+fahren.«
+
+Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten gleich hier.
+
+Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen, die er ihr zugefügt
+hatte seit jenem Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an alle die,
+die er ihr noch zufügen würde -- er und der Helfer, mit dem er drohte.
+
+Und sie sagte zu sich: »Nun hab' ich ihm umsonst prophezeit, daß ich ins
+Haff gehen werde, wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn was er
+jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist ebenso schlimm wie das, was
+sie damals zu erzählen gehabt hätte.«
+
+Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig wurde, überfiel sie
+plötzlich ein Erschrecken, so furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe
+sprang und wie eine Unvernünftige drum herumlief.
+
+Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich kommen lassen wollte, niemand
+sonst als die Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin dann?
+
+Sie rannte nach rechts und rannte nach links, als wollte sie ihr
+entrinnen, und wußte doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es gewiß
+zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut mehr. Wenn das noch zu
+fürchten gewesen wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt.
+
+Da war es ihr, als sagte eine Stimme: »Er _hat_ sie ja gar nicht
+zurückgeholt.«
+
+Das war natürlich dem Jurris seine Stimme. Entweder er schwebte um sie
+herum, oder sie hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von seinem
+Sarge aus zu ihr redete.
+
+Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf die Knie, wühlte die Stirn in
+den Sand, um ihm näher zu sein, und bat und flehte: »Ach hilf mir doch,
+Jurrischen, hilf mir doch!«
+
+Und die Stimme sprach weiter: »Gewiß hat er dir nur Angst machen wollen,
+wie man kleine Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist sonst gar
+nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt schon über fünf Jahr, und du
+bist so zufrieden mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen hattest.
+Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse bin. Nein, ich bin dir nicht im
+mindesten böse. Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab' ich hier
+stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen kommst, das tut mir weh. Nun aber
+gehe getrost wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit, die Gott
+der Herr dir gesetzt hat. Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen,
+und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen lassen. Und wenn er sieht,
+wie treu du ihm dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum Guten
+wandeln, und alles wird werden, wie es noch jüngstens war.«
+
+So sprach der Jurris aus seinem Grabe, und sie hörte begierig darauf.
+
+Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte sich bereit, nach Hause
+zu gehen. Diesmal wandelte kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war
+wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen zu können. Wenn nur das eine
+nicht kam, wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin, nicht kam, dann war
+alles gut! Von ihm selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie
+kränkte.
+
+Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender Körper zur Seite
+gedrückt hatte, zog die Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar
+ein Vaterunser.
+
+Dann machte sie sich auf den Heimweg.
+
+Über dem schwarzen Forst, der den Osten begrenzte, erhob sich bereits
+ein gelblicher Streif. Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen
+zwitscherten schon.
+
+Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell. Darum bellte der Hund
+auch nicht, der sie von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem
+Schweife gegen die Hüttenwand.
+
+Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen wollte, gewahrte sie,
+daß in der Kleinen Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und
+drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke, wo er mit dem Giebel
+zusammenstößt.
+
+Und wie sie dort stand, wartend und lauschend, da hörte sie aus dem
+Innern zwei Stimmen.
+
+Die eine gehörte dem Jozup, die andere aber -- vier Jahre hatte sie sie
+nicht mehr gehört, und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu
+müssen.
+
+Sie war also _doch_ gekommen, die Wölfin! Für sie hatte er heute den
+Spazierwagen angespannt, sie von der Bahn abzuholen, und die Magd hatte
+geschwiegen -- aus Mitleid.
+
+Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie nicht, das Elternhaus wollte sie
+nicht, der Wieszpatis wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe
+wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit List und mit
+Täuschung.
+
+Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und rannte und rannte -- ohne Sinn
+und Verstand -- so rasch ihr Körper es zuließ.
+
+Bloß weg! -- Weg aus dem Hause! Weg aus dem Leben! Weg -- weg -- weg!
+
+Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue Wasser und die
+schaukelnden Kähne. Und der Schuppen des Jurris war auch da.
+
+Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs Haff hinaus -- -- -- -- -- --
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+
+ 14
+
+Am Morgen desselben Tages segelte in drei Mittelbooten eine
+Trauergesellschaft aus der Richtung von Karkeln her nordwestlich nach
+der Nehrung hinüber.
+
+Es waren Männer und Frauen aus dem Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer
+Niddnerin, die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett hatte dran
+glauben müssen, das Geleite gegeben.
+
+Da der junge Witwer, um die Heimgegangene zu ehren, ein großes Begräbnis
+ausgerichtet hatte, so war die Nacht hindurch getanzt und getrunken
+worden, und alle befanden sich noch in der heitersten Stimmung.
+
+In dem ersten der Boote saßen die Eltern der Toten. Die freilich
+verhielten sich ruhig, aber sie freuten sich doch, daß die anderen so
+lustig waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man ihres Kindes
+lange und gern gedenken würde.
+
+Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem länglichen Bündel, das die Alte
+vorsichtig in den Armen wog, während ihr Mann achtgab, daß die untere
+Kante des schlagenden Segels in guter Entfernung darüber hinstrich.
+
+In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft ihres Kindes, der
+Säugling, den sie mit sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn
+aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch nirgends zu finden gewesen,
+aber ob sie sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr zu
+bezweifeln.
+
+Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an dem Lutschpfropfen, in dem
+gekaute Semmelkrume mit geriebenem Zucker gemischt war, und wenn es zu
+schreien begann, bekam es Fenchelwasser zu trinken, wovon man auch nicht
+sehr satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht vertrug, so lag die
+Gefahr nicht sehr fern, daß es kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen
+würde, aus der es eben gekommen war.
+
+Aber die andern scherten sich wenig um solche Großmuttersorgen. Sie
+lachten und sangen, und wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung
+die Flasche.
+
+Da bemerkte einer, daß von Nordosten her mit der Richtung des Windes ein
+leerer Kahn auf sie zutrieb.
+
+Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und darum wollte der Steuerer im
+vordersten Boote halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern. Aber
+die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen ihm zu, er möge das lassen;
+der Kahn würde in einer halben Stunde von selber am Ufer der Nehrung
+erscheinen und wäre dann leichter zu bergen als jetzt.
+
+So blieb er also auf seinem Wege, und die anderen folgten ihm nach.
+
+Da -- als sie gerade die Windlinie durchstrichen, die von dem leeren
+Kahn auf sie zulief, vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines
+kleinen Kindes klang.
+
+Die in den hinteren Booten glaubten natürlich, es käme von dem
+Bündelchen her, das die Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten
+sofort, daß es damit eine andere Bewandtnis hatte.
+
+Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten und fuhr in kurzem Bogen
+dem leeren Kahne entgegen.
+
+Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle zu ihrer Verwunderung
+erkannten, lag auf dem Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und zu
+ihren Füßen ein Neugeborenes.
+
+Die Weiber drängten die Männer zurück, damit deren Augen die Scham der
+Geburt nicht entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen sacht in
+den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten Dienste zu leisten.
+
+Dort aber, wo das Bündelchen unter dem Segelrand lag, sagte der alte
+Mann leise zu seiner Frau: »Laß uns dem Herrn ein Dankgebet sprechen,
+denn mir scheint, er hat uns vom Himmel Nahrung geschickt für das
+Kleine.«
+
+Und die Großmutter sprach: »Frohlocke nicht zu früh. Das dort ist kein
+Jungfernkind. Sie sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und wird uns
+bald wieder verlassen.«
+
+Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde Wöchnerin in Pflege zu
+nehmen, und die andern waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten.
+
+So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren war, sich in den
+Wellen die ewige Ruhstatt zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett
+wieder erwachte und statt des einen Kindes, dem sie das Leben gegeben
+hatte, deren zwei in der Wiege neben sich vorfand.
+
+Und ob sie auch zum Verwundern und zum Fragen zu schwach war, so nahm
+sie sie doch gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung für beide.
+
+Dann, als man zu wissen begehrte, woher sie sei und wie sie sich nenne,
+da weinte sie nur und wollte nicht reden.
+
+Es mußte aber die Meldung an das Standesamt gehen, und da sie auch am
+zweiten und dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen, so wußten
+die beiden sich kaum einen Rat mehr.
+
+Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden der Pfarrer Hoffheinz
+Seelsorger war, der jüngere Bruder des Superintendenten, den die
+Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich diesem ein lebensfroher und
+gottgefälliger Mann, der die Litauer liebte, als wäre er einer von
+ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften, Ratschlag und Zuflucht
+bot, soweit sein Arm sich erstreckte.
+
+Der sagte: »Sie scheint großes Leid erfahren zu haben. Darum laßt sie in
+Ruhe bis an den neunten Tag. Die Behörden werd' ich solange auf mich
+nehmen. Und ist sie erst wieder bei Kräften, dann will ich sie selber
+befragen.«
+
+Das war das Richtige. Am neunten Tage trat er zu ihr an das Bett, schloß
+die Stubentür ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei Stunden.
+
+Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche Mann die Augen voll
+Wasser und sagte: »Hier hat Gott ein Wunder getan.«
+
+»An uns auch,« sagte die Alte, »denn ohne sie wäre das Kind der Anikke
+schon unter der Erde.«
+
+Von nun an dauerte es keine zweite Nacht mehr, da erfuhr der Jozup
+Wilkat, wo sein Weib geblieben war -- und mit ihr das Kind, das sie nach
+seinem Glauben ihm schuldete. Und weil er sich schämte, sie in den Tod
+getrieben zu haben, war er sehr froh und machte sich auf, sie
+heimzuholen -- sie und das Kleine.
+
+Das aber war es gerade, wovor die Marinke zitterte bei Tag und bei Nacht
+und das zu verhüten der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte.
+
+Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl gegeben, daß, wenn ein Mann
+im Dorfe herumfragte, wo die Kiekutis wohnten, bei denen die Fremde sich
+aufhielt, kein einziger es wissen dürfe -- nicht einmal der Schulze --
+und daß man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab, ins Pfarrhaus weise;
+da könne er's wahrscheinlich erfahren.
+
+So kam es, daß der Jozup, der wütend von einem zum andern lief und
+alsbald erkannte, daß man ihn narre, schließlich einem Manne ins
+Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht umspringen ließ wie mit
+einem schutzlosen Weibe.
+
+Ja, das Weib -- das sei ihm egal, das könne seinetwegen gehen,
+Filzschuhe wichsen, aber das Kind -- das Kind, das müsse er haben, tot
+oder lebendig.
+
+Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein guter Freund vom alten Settegast
+-- er hat ja später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet --,
+das sagte er dem Jozup so nebenbei. Und daß, wenn auf diese Weise die
+Kürbisgeschichte ruchbar würde, von einem Verschulden der Frau nicht
+mehr die Rede sein könne, das sagte er auch.
+
+Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich, ließ seine Ansprüche fahren
+und setzte für die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld aus,
+so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt.
+
+Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen zu haben, fuhr er zurück übers
+Haff -- zurück zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr hat er einen
+solchen Angriff gewagt.
+
+Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die ihr fast so zugetan waren
+wie einst die Mutter Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen Kinde
+das fremde rosig und blank.
+
+Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt kam, nach ihm zu
+sehen, da fand er es nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte.
+
+So geschah es fast von selber, daß die beiden sich miteinander
+versprachen.
+
+Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem Jurris, und das gefiel der
+Marinke am meisten.
+
+Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille begangen. Und still und
+friedlich leben die beiden noch heute.
+
+
+ Druck der
+ Union Deutsche Verlagsgesellschaft
+ in Stuttgart
+
+
+ Anzeigen des
+ Cotta'schen Verlages
+
+
+ Hermann Sudermann:
+
+ Gebunden
+ Im Zwielicht
+ Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage M. 3.50
+ Frau Sorge
+ Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.--
+ Geschwister
+ Zwei Novellen. 35.-37. Auflage » 5.--
+ Der Katzensteg
+ Roman. 106.-115. Auflage » 5.--
+ Jolanthes Hochzeit
+ Erzählung. 31.-33. Auflage » 3.50
+ Es war
+ Roman. 59.-63. Auflage » 6.50
+ Das Hohe Lied
+ Roman. 61.-65. Auflage » 6.50
+ Die indische Lilie
+ Sieben Novellen. 21.-25. Auflage » 4.50
+ Litauische Geschichten
+ Vier Geschichten. 1.-25. Auflage » 5.--
+ Die Ehre
+ Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage » 3.50
+ Sodoms Ende
+ Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage » 3.50
+ Heimat
+ Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage » 4.50
+ Die Schmetterlingsschlacht
+ Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage » 3.50
+ Das Glück im Winkel
+ Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage » 3.50
+ Morituri
+ Drei Einakter: _Teja_. Drama -- _Fritzchen_. Drama -- » 3.50
+ _Das Ewig-Männliche_. Spiel. 21. u. 22. Auflage
+ Johannes
+ Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage » 4.50
+ Die drei Reiherfedern
+ Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl. » 4.50
+ Johannisfeuer
+ Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage » 3.50
+ Es lebe das Leben
+ Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage » 4.50
+ Der Sturmgeselle Sokrates
+ Komödie in vier Akten. 15. Auflage » 3.50
+ Stein unter Steinen
+ Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage » 3.50
+ Das Blumenboot
+ Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. » 4.50
+ Auflage
+ Rosen
+ Vier Einakter: _Die Lichtbänder._ Drama -- _Margot._ » 4.50
+ Schauspiel -- _Der letzte Besuch._ Schauspiel --
+ _Die ferne Prinzessin._ Lustspiel. 2.-10. Auflage
+ Strandkinder
+ Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50
+ Der Bettler von Syrakus
+ Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. » 4.50
+ Auflage
+ Der gute Ruf
+ Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage » 3.50
+ Die Lobgesänge des Claudian
+ Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage » 4.50
+ Die entgötterte Welt
+ Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: _Die » 5.--
+ Freundin._ Schauspiel in vier Akten. -- _Die
+ gutgeschnittene Ecke._ Tragikomödie in fünf Akten.
+ -- _Das höhere Leben._ Lustspiel in vier Akten. 7.
+ Auflage
+
+
+ Cotta'sche Gelbe Bibliothek
+ Romane und Novellen
+
+ Gebunden
+ _Althof, Paul_ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke M. 4.50
+ und andere Geschichten
+ --»-- Das verlorene Wort. Roman » 4.50
+ _Andreas-Salomé, Lou_, Fenitschka -- Eine Ausschweifung. » 4.--
+ Zwei Erzählungen
+ --»-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl. » 5.50
+ _Anzengruber, Ludwig_, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Wolken und Sunn'schein. 6. Aufl. » 4.--
+ _Arminius, W._, Der Weg zur Erkenntnis. Roman » 4.50
+ --»-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl. » 5.50
+ _Bertsch, Hugo_, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. » 4.50
+ Aufl.
+ --»-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. » 4.--
+ 12. Aufl.
+ _Birt, Th._, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen » 5.50
+ _Böhlau, Helene_, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl. » 4.50
+ _Boy-Ed, Ida_, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl. » 5.--
+ --»-- Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.50
+ --»-- Um Helena. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. » 5.50
+ u. 19. Aufl.
+ --»-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. » 5.--
+ Aufl.
+ --»-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl. » 3.50
+ _Bülow, Frieda v._, Kara. Roman » 5.50
+ _Burckhard, Max_, Simon Thums. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Dove, A._, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. » 10.--
+ Aufl.
+ _Ebner-Eschenbach, Marie v._, Bozena. Erzählung. 12. Aufl. » 4.50
+ --»-- Erzählungen. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Margarete. 8. Aufl. » 3.50
+ _Ebner-Eschenbach, Moritz v._, _Hypnosis perennis_ -- Ein » 3.50
+ Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten
+ _Eckstein, Ernst_, Nero. Roman. 9. Aufl. » 6.50
+ _El-Correï_. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl. » 5.50
+ _Enderling, Paul_, Der Hungerhaufen und andere Novellen » 3.50
+ --»-- Zwischen Tat und Traum. Roman » 5.50
+ _Engel, Eduard_, Paraskewúla und andere Novellen » 5.--
+ _Fontane, Theodor_, Ellernklipp. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Grete Minde. 8. Aufl. » 4.--
+ --»-- Quitt. Roman. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl. » 5.50
+ --»-- Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl. » 5.--
+ _Franzos, K. E._, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. » 3.50
+ 2. Aufl.
+ --»-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl. » 4.50
+ --»-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl. » 8.--
+ --»-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl. » 4.--
+ --»-- Neue Novellen. 2. Aufl. » 3.50
+ --»-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. » 6.--
+ Aufl.
+ --»-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl. » 3.50
+ --»-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl. » 9.--
+ --»-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. » 4.--
+ Aufl.
+ _Frei, Leonore_, Das leuchtende Reich. Roman » 5.50
+ _Frey, Adolf_, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer » 6.50
+ Schweizerroman. 5. Aufl.
+ _Fulda, L._, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl. » 3.50
+ _Gleichen-Rußwurm, A. v._, Vergeltung. Roman » 5.--
+ _Grimm, Herman_, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. » 11.--
+ Aufl.
+ _Harbou, Thea v._, Der unsterbliche Acker. Ein » 4.--
+ Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.
+ --»-- Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. » 4.--
+ 2.-8. Aufl.
+ _Hartmann, Alfred Georg_, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein » 4.--
+ Künstlerroman aus Holland
+ _Haushofer, Max_, Geschichten zwischen Diesseits und » 5.--
+ Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.
+ --»-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman » 5.--
+ _Heer, J. C._, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. » 3.50
+ Aufl.
+ --»-- Da träumen sie von Lieb' und Glück! Drei Schweizer » 5.--
+ Novellen. 28.-30. Aufl.
+ --»-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl. » 5.--
+ --»-- Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.--
+ --»-- Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl. » 5.--
+ --»-- Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. » 4.--
+ 21.-25. Aufl.
+ --»-- An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl. » 5.--
+ _Heilborn, Ernst_, Kleefeld. Roman » 3.50
+ _Herzog, Rudolf_, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. » 5.50
+ Aufl.
+ --»-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl. » 5.50
+ --»-- Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl. » 6.50
+ --»-- Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl. » 5.50
+ --»-- Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl. » 5.50
+ --»-- Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 4.--
+ _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl. » 3.90
+ --»-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem » 5.50
+ Alltagsleben -- Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.
+ --»-- Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen » 5.--
+ --»-- Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 » 7.80
+ Bände
+ --»-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl. » 7.80
+ --»-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. » 5.--
+ 2. Aufl.
+ --»-- Neue Märchen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Martha's Briefe an Maria. 2. Aufl. » 2.50
+ --»-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. » 5.50
+ Aufl.
+ --»-- Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band » 6.30
+ --»-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. » 4.--
+ 2.-4. Aufl.
+ --»-- Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl. » 3.90
+ --»-- Meraner Novellen. 12. Aufl. » 5.--
+ --»-- Neue Novellen. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl. » 7.80
+ --»-- Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl. » 3.90
+ --»-- Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 3.90
+ --»-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. » 3.90
+ 7. Aufl.
+ --»-- Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. » 6.--
+ Aufl.
+ --»-- Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Vroni und andere Novellen » 5.--
+ --»-- Xaverl und andere Novellen » 5.--
+ _Hillern, W. v._, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- 's Reis am Weg. 3. Aufl. » 3.--
+ --»-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl. » 6.50
+ --»-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ _Hirschfeld, Georg_, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. » 5.50
+ u. 5. Aufl.
+ _Höcker, Paul Oskar_, Väterchen. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Hofe, Ernst von_, Sehnsucht. Roman » 4.50
+ _Hofer, Klara_, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich » 6.50
+ Hebbels. 3. Aufl.
+ --»-- Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl. » 3.50
+ _Hopfen, Hans_, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. » 4.--
+ 6. Aufl.
+ _Huch, Ricarda_, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem » 5.50
+ Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.
+ _Junghans, Sophie_, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl. » 5.50
+ _Kaiser, Isabelle_, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl. » 4.--
+ _Knudsen, J._, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte » 5.50
+ Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.
+ _Krauel, Wilhelm_, Von der andern Art. Roman » 4.50
+ --»-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht » 5.--
+ _Kurz, Hermann_ (Der Schweizer), Sie tanzen » 5.50
+ Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.
+ _Kurz, Isolde_, Italienische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.--
+ --»-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl. » 4.50
+ --»-- Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl. » 5.--
+ _Langmann, Philipp_, Leben und Musik. Roman » 5.--
+ _Lilienfein, Heinrich_, Von den Frauen und einer Frau. » 3.50
+ Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.
+ --»-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die große Stille. Roman. 4. Aufl. » 6.--
+ _Lindau, Paul_, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 » 8.--
+ Bände. 7. Aufl.
+ --»-- Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl. » 5.50
+ --»-- Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.50
+ --»-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl. » 5.50
+ _Mahn, Paul_, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Mauthner, Fritz_, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. » 4.50
+ Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von
+ »_Lügenohr_«
+ _Meyer-Förster, Wilh._, Eldena. Roman. 2. Aufl. » 4.50
+ _Meyerhof-Hildeck, Leonie_, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Töchter der Zeit. Münchner Roman » 4.50
+ _Moreck, Curt_, Büßer des Gefühls. Novellen » 5.--
+ _Moersberger, Felicitas Rose_, Pastor Verden. Ein » 5.--
+ Heideroman. 2.-5. Aufl.
+ _Muellenbach, E._ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen » 4.50
+ --»-- Aphrodite und andere Novellen » 4.50
+ --»-- Vom heißen Stein. Roman » 4.50
+ _Niessen-Deiters, Leonore_, Leute mit und ohne Frack. » 4.50
+ Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von _Hans
+ Deiters_. 2. Aufl.
+ --»-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50
+ --»-- Mitmenschen. Buchschmuck von _Hans Deiters_ » 4.50
+ _Pietsch, Otto_, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. » 6.50
+ Aufl.
+ --»-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl. » 4.--
+ _Prel, Karl du_, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl. » 6.50
+ _Riehl, W. H._, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl. » 5.50
+ --»-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl. » 5.50
+ _Rittberg, Gräfin Charlotte_, Der Weg zur Höhe. Roman » 4.50
+ _Rommel-Hohrath, Clara_, Im Banne Roms. Roman » 5.50
+ _Rosner, Karl_, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus » 6.--
+ der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.
+ _Seidel, Heinrich_, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. » 5.50
+ 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)
+ --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. » 5.50
+ Aufl. (4. u. 5. Tsd.)
+ --»-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. » 5.50
+ Tsd.)
+ --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. » 5.50
+ (3. Tsd.)
+ --»-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. » 5.50
+ (3. Tsd.)
+ --»-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. » 5.50
+ Gesamt-Ausg.
+ --»-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe » 5.50
+ _Seidel, H. Wolfgang_, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. » 5.50
+ Aufl.
+ _Skowronnek, R._, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl. » 4.50
+ _Speidel, Felix_, Hindurch mit Freuden. Novellen » 4.50
+ _Stegemann, Hermann_, Der Gebieter. Roman » 4.--
+ --»-- Stille Wasser. Roman » 4.50
+ _Steinhart, Armin_ (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine » 4.--
+ Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.
+ _Stratz, Rudolph_, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman » 5.50
+ einer Studentin. 18.-20. Aufl.
+ --»-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl. » 4.--
+ --»-- Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl. » 5.--
+ --»-- Du bist die Ruh'. Roman. 11. u. 12. Aufl. » 5.--
+ --»-- Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl. » 5.--
+ --»-- Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl. » 6.--
+ --»-- Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl. » 5.50
+ --»-- Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl. » 5.50
+ --»-- Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl. » 5.50
+ --»-- Ich harr' des Glücks. Novellen. 7. Aufl. » 5.--
+ --»-- Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 5.--
+ --»-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl. » 5.50
+ --»-- Montblanc. Roman. 10. Aufl. » 4.50
+ --»-- Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der » 6.--
+ deutschen Armee. 46.-50. Aufl.
+ --»-- Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd. » 3.50
+ --»-- Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl. » 5.50
+ _Sudermann, Hermann_, Es war. Roman. 59.-63. Aufl. » 6.50
+ --»-- Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl. » 5.--
+ --»-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl. » 3.50
+ --»-- Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl. » 6.50
+ --»-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl. » 4.50
+ --»-- Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl. » 5.--
+ --»-- Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis » 5.--
+ --»-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. » 3.50
+ Aufl.
+ _Telmann, Konrad_, Trinacria. Sizilische Geschichten » 5.50
+ _Trojan, Johannes_, Das Wustrower Königsschießen und » 3.50
+ andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.
+ _Uxkull, Gräfin Lucy_, Rote Nelken. Ein sozialer Roman » 5.50
+ _Vockeradt, Emma_, Wanderer im Dunkeln. Roman » 4.50
+ _Vogt, Martha_, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen » 4.--
+ _Vollert, Konrad_, Sonja. Roman » 6.--
+ _Voß, Richard_, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl. » 6.--
+ --»-- Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl. » 5.--
+ --»-- Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl. » 4.--
+ --»-- Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. » 6.--
+ 3. Aufl.
+ --»-- Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl. » 5.50
+ --»-- Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. » 6.50
+ Aufl.
+ _Watzdorf-Bachoff, E. v._, Maria und Yvonne. Geschichte » 5.--
+ einer Freundschaft. 2. Aufl.
+ _Wilbrandt, Adolf_, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl. » 6.--
+ --»-- Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Fesseln. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Franz. Roman. 3. Aufl. » 5.--
+ --»-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl. » 4.50
+ --»-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl. » 4.--
+ --»-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl. » 5.50
+ --»-- Irma. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl. » 5.--
+ --»-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl. » 5.50
+ --»-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl. » 4.50
+ --»-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl. » 5.50
+ --»-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl. » 4.50
+ --»-- Villa Maria. Roman. 3. Aufl. » 4.50
+ --»-- Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl. » 4.50
+ _Wildenbruch, E. v._, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. » 5.50
+ Aufl.
+ _Wohlbrück, Olga_, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl. » 6.50
+ _Worms, C._, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. » 4.--
+ Aufl.
+ --»-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl. » 5.50
+ --»-- Erdkinder. Roman. 4. Aufl. » 5.--
+ --»-- Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. » 4.--
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+ _Auerbach, Berthold_, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl. M. 2.50
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+ --»-- Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd. » 3.80
+ --»-- Aus der Jugendzeit. 10. Tsd. » 6.20
+ --»-- Neue Märchen. 9. Tsd. » 4.--
+ --»-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd. » 4.20
+ _Boy-Ed, Ida_, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. » 3.--
+ Aufl.
+ _Ebner-Eschenbach, Marie_ v., Die erste Beichte. » 2.--
+ Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl.
+ _Grisebach. Ed._, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches » 4.--
+ Novellenbuch
+ _Harbou, Thea v._, Der Krieg und die Frauen. Novellen. » 1.80
+ Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden
+ In Geschenkband » 3.--
+ _Herzog, Rudolf_, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl. » 2.50
+ _Heyse, Paul_, L'Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl. » 2.40
+ --»-- In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. » 4.--
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+ --»-- Melusine und andere Novellen. 5. Aufl. » 5.50
+ --»-- Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. » 10.--
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+ --»-- Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. » 6.50
+ Aufl.
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+ _Hoffmann, Hans_, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl. » 3.50
+ --»-- Ostseemärchen. 3. Aufl. » 4.--
+ _Keller, Gottfried_, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. » 13.50
+ 86.-90. Aufl.
+ --»-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl. » 9.--
+ --»-- Züricher Novellen. 88.-92. Aufl. » 4.50
+ --»-- Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl. » 4.50
+ --»-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden. » 4.50
+ 71.-75. Aufl.
+ --»-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl. » 3.--
+ --»-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. » 3.--
+ Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.
+ _Kügelgen, Wilhelm_ v., Jugenderinnerungen eines alten » 3.--
+ Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.
+ _Kurz, Isolde_, Unsere Carlotta. Erzählung » 3.--
+ --»-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen » 3.--
+ --»-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld. » 5.--
+ Erzählungen
+ --»-- Phantasieen und Märchen » 3.--
+ --»-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der » 6.50
+ Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.
+ _Müller, Hans_, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, » 6.--
+ Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.
+ _Olfers, Marie v._, Neue Novellen » 4.50
+ --»-- Die Vernunftheirat und andere Novellen » 4.--
+ _Riehl, W. H._, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl. » 7.--
+ _Seidel, Heinrich_, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser » 4.--
+ und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je
+ --»-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je » 4.--
+ --»-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse » 4.--
+ herausgegeben von _H. W. Seidel_. 2. Tsd.
+ _Wilbrandt, Adolf_, Novellen » 4.50
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+Der Zensurstempel »A. g. XIII.« wurde von der Titelseite entfernt.
+
+Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original:
+futtern, Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a.
+
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
+Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier
+aufgeführt (vorher/nachher):
+
+ [S. 157]:
+ ... sich des guten Gewissens erfreuen, den solch ein ...
+ ... sich des guten Gewissens erfreuen, das solch ein ...
+
+ [S. 234]:
+ ... mit einen Male einen feierlichen Gesang. ...
+ ... mit einem Male einen feierlichen Gesang. ...
+
+ [S. 373]:
+ ... Das kam dem Jurris hart an, aber was sollte ...
+ ... Das kam den Jurris hart an, aber was sollte ...
+
+ [S. 376]:
+ ... Gespielen betrachtet. Das Reiten und Fahren ...
+ ... Gespielen betrachten. Das Reiten und Fahren ...
+
+ [S. 377]:
+ ... Räder mahlten, und die Achseln schlackerten. ...
+ ... Räder mahlten, und die Achsen schlackerten. ...
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+
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+computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
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+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
+generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
+Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
+www.gutenberg.org
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+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
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+number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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+Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
+date contact information can be found at the Foundation's web site and
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+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
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+Literary Archive Foundation
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+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
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+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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+/* Transcriber's note */
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+<pre style='margin-bottom:6em;'>The Project Gutenberg EBook of Litauische Geschichten, by Hermann Sudermann
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
+most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
+of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
+will have to check the laws of the country where you are located before
+using this ebook.
+
+Title: Litauische Geschichten
+
+Author: Hermann Sudermann
+
+Release Date: December 03, 2020 [EBook #63946]
+
+Language: German
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+Character set encoding: UTF-8
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+Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
+ https://www.pgdp.net
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK LITAUISCHE GESCHICHTEN ***
+</pre>
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="halftitle">
+Litauische Geschichten
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<h1 class="title">
+Litauische Geschichten
+</h1>
+
+<p class="aut">
+<span class="line1">Von</span><br />
+<span class="line2">Hermann Sudermann</span>
+</p>
+
+<p class="run">
+2.-25. Auflage
+</p>
+
+<div class="centerpic logo">
+<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div>
+
+<p class="pub">
+<span class="line1">Stuttgart und Berlin 1917</span><br />
+<span class="line2">J. G. Cotta&rsquo;sche Buchhandlung Nachfolger</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="cop">
+Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
+</p>
+
+<p class="copus">
+Für die Vereinigten Staaten von Amerika:<br />
+Für die nachstehenden Erzählungen &bdquo;Die Reise nach Tilsit&ldquo; und &bdquo;Miks Bumbullis&ldquo;<br />
+Copyright, 1917, by Hermann Sudermann, Berlin
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="frontmatter chapter">
+<p class="ded">
+<span class="line1">Seinem lieben und verehrten Freunde</span><br />
+<span class="line2">Ökonomierat Scheu</span><br />
+<span class="line3">auf Adl. Heydekrug</span><br />
+<span class="line4">zugeeignet</span>
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="toc" id="part-1">
+<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a>
+Inhalt
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="table">
+<table class="toc" summary="TOC">
+<tbody>
+ <tr>
+ <td class="col1">&nbsp;</td>
+ <td class="col_page">Seite</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Die Reise nach Tilsit</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-9">9</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Miks Bumbullis</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-69">69</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Jons und Erdme</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-141">141</a></td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">Die Magd</td>
+ <td class="col_page"><a href="#page-349">349</a></td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-2">
+<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a>
+Die Reise nach Tilsit
+</h2>
+
+</div>
+
+<p class="section1 first">
+<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a>
+Wilwischken liegt am Haff. Ganz dicht am
+Haff liegt Wilwischken. Und wenn man von
+dem großen Wasser her in den Parwefluß einbiegen
+will, muß man so nah an den Häusern
+vorbei, daß man Lust bekommt, ihnen vom Kahn
+aus mit ein paar Zwiebeln &mdash; es können auch
+Gelbrüben sein &mdash; die Fenster einzuschmeißen.
+</p>
+
+<p>
+Um die schönen, blanken Fenster wäre es freilich
+schade. Denn Wilwischken ist ein sauberes
+Dorf und ein reiches Dorf. Seine Einwohner
+betreiben neben der Haff- und der Flußfischerei
+einträgliche Acker- und Gartenwirtschaft, und die
+Zwiebeln von Wilwischken sind berühmt.
+</p>
+
+<p>
+Die stattlichste Wirtschaft von allen ist die,
+die an der Mündung der Parwe gleichsam die
+scharfe Ecke bildet, und sie gehört dem Ansas
+Balczus.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus ist nicht etwa ein gewöhnlicher
+Fischer, der bei jedem Raubfang sein
+Teil einscharren muß und nie genug kriegt, der
+am Montagabend seine Barsche in Heydekrug
+unterm Preis ausbietet und am Dienstagnachmittag
+betrunken heimfährt; der Ansas Balczus
+<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a>
+ist beinahe schon ein Herr, der mit den Deutschen
+deutsch spricht wie ein Deutscher, der sich
+sein Glas Grog süßt wie ein Deutscher und der
+sich bei seinen Prozessen so gut zu verteidigen
+weiß, daß er die Anwaltskosten sparen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er hat sich auch eine feine Frau genommen,
+der Ansas Balczus. Sie stammt aus Minge
+und ist die Tochter von dem reichen Jaksztat,
+dem die großen Haffwiesen gehören. Daß er
+die Indre Jaksztat bekommen würde, hätte
+keiner geglaubt, denn um die rissen sich alle, und
+sie ging so blaß und sanft an ihnen vorbei, als
+ob sie eine Sonnentochter gewesen wäre.
+</p>
+
+<p>
+Nun <em>hat</em> er sie aber und kann stolz auf sie
+sein. Sie hat ihm drei hübsche Kinder geboren,
+und sie sorgt für die Wirtschaft, als wäre sie mit
+der Laime, der freundlichen Göttin, im Bunde.
+Ihre Butter wird ihr von den Händlern schon
+weggerissen, wenn sie noch in der Milch steckt,
+ihr Johannisbeerwein ist der kräftigste weit und
+breit, und im Brautwinkel stehen seit vorigen
+Weihnachten zwei rote Plüschsessel. Man erzählt
+sich sogar, daß sie der kleinen Elske, wenn sie
+sieben Jahre alt sein wird, ein Klavier kaufen
+will.
+</p>
+
+<p>
+Und dabei geht sie noch ebenso sanft und
+blaß ihres Wegs, wie sie es als Mädchen getan
+hat, und wird so rot wie ein Nelkenbeet, wenn
+man sie anspricht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a>
+So ist die Indre Balczus. Und wenn <em>ich</em> der
+Ansas wäre, ich würde meine Hände zum Himmel
+heben, morgens und abends, daß <em>sie</em> meine
+Frau ist und keine andere.
+</p>
+
+<p>
+Und so war es auch früher, aber seit die
+Busze als Magd ins Haus gekommen ist, hat es
+sich sehr verändert. So sehr verändert, daß die
+Nachbarfrauen schon lange die Köpfe zusammenstecken,
+wenn von dem Hof des Balczus Schimpfen
+und Weinen herüberschallt.
+</p>
+
+<p>
+Das Schimpfen kommt von dem Ansas. <em>Die</em>
+Stimme kennt ein jeder. Aber weinen tut nicht
+die Indre &mdash; <em>wenn</em> sie&rsquo;s tut, so nur ganz leis
+und in der Nacht &mdash;, es sind die drei Kinder, die
+da weinen über all das Üble, das ihre Mutter
+erleiden muß. Und manchmal mischt sich auch ein
+Lachen darein, ein gar nicht gutes Lachen, hart
+wie Glas und schadenfroh wie Hähergeschrei.
+</p>
+
+<p>
+Der Teufel hat diese Busze ins Haus gebracht.
+Wenn sie nicht selbst eine Besitzerstochter wäre
+und als solche stolzen und hoffärtigen Sinnes,
+hätte sie so viel Schaden gar nicht anrichten
+können. Warum muß die überhaupt dienen
+gehen mit ihren blinkernden Achataugen und
+dem Fleisch wie von Apfelblüten? Wer weiß,
+wie vielen die schon die Köpfe verdreht hat!
+Aber sie nimmt sie und läßt sie laufen, und wenn
+sie irgendwo einen ganz verrückt gemacht hat,
+dann lacht sie und geht in einen anderen Dienst.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a>
+Hier in dem Hause des Balczus sitzt sie nun
+als das leibhaftige Gegenteil der stillen und
+sanftmütigen Frau. Singt und schmeißt und
+rumort vom Morgenstern an bis in die späte
+Nacht, schafft für dreie und wird schon aufgebracht,
+wenn man ihr nur sagt, sie möchte sich schonen.
+</p>
+
+<p>
+Seit nun gar der Wirt bei ihr in der Kammer
+gewesen ist, kennt sie überhaupt keinen Spaß
+mehr. Es ist ein Elend mitanzusehen, wie sie
+die Herrschaft mehr und mehr an sich reißt, und
+er ist schwach und tut, was sie will.
+</p>
+
+<p>
+Sonst kommt das wohl in Wirtschaften vor,
+wo die Frau arm eingezogen ist oder aber kränklichen
+Leibes und darum die Dinge gehen läßt,
+wie sie gehen. Aber der Indre gegenüber, dem
+reichen Jaksztat seiner schönen Tochter, die bloß
+zu fein und zu hochgeboren ist, um sich mit so
+einem Biest auflegen zu können, da versteht man
+die Welt nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages, als er wieder betrunken gewesen
+ist und sie geschlagen hat, kommt die Nachbarin,
+die Ane Doczys, zu ihr und sagt: &bdquo;Indre, wir
+können das nicht mehr mit ansehen, wir ringsum.
+Wir haben beschlossen, ich schreib&rsquo;s deinem Vater.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre wird noch blasser, als sie schon ist,
+und sagt: &bdquo;Tut&rsquo;s nicht, sonst nimmt er mich mit,
+und was wird dann aus den Kindern?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wir tun&rsquo;s doch,&ldquo; sagt die Doczene, &bdquo;denn
+solch ein Frevel darf nicht sein auf der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a>
+Und die Indre bittet auch noch für ihren
+Mann und sagt: &bdquo;Spricht es sich immer weiter
+herum, so kommt er ganz sicher ins Unglück.
+Heiraten darf er sie nicht wegen des Ehebruchs.
+Auf den müßt&rsquo; ich klagen, denn nur so kann ich
+die Kinder zugesprochen kriegen. Schon jetzt
+betrinkt er sich immer häufiger. Was dann erst
+wird, das überlegt sich ein jeder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber soll denn das immer so fortgehen?&ldquo;
+fragt die Doczene.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie ist schon aus fünf Brotstellen weggelaufen,
+wenn sie genug gehabt hat,&ldquo; sagt die
+Indre, &bdquo;und mit ihm wird sie&rsquo;s nicht anders
+machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber die Ane Doczys, mitleidigen Herzens,
+wie Nachbarinnen sind, denen es morgen ebenso
+gehen kann, warnt sie wieder und wieder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wir haben uns auch erkundigt,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;das sind dann immer Saufbengels gewesen
+und Duselköpfe. So einen wie deinen Mann
+läßt die nicht los.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dies Wort führt der Indre so recht zu Gemüte,
+was für einen vortrefflichen Mann sie gehabt
+hat, ehe die Busze ins Haus kam. Aber sie weint
+und klagt nicht, denn es ist nicht ihre Art. Sie
+wendet nur ein wenig das eingefallene Gesicht
+und sagt: &bdquo;Wie Gott will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun, vorerst geht es so, wie die Doczene will.
+</p>
+
+<p>
+Die kommt nach Hause und sagt zu ihrem
+<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a>
+Mann, der auf der Ofenbank liegt und schläft:
+&bdquo;Doczys,&ldquo; sagt sie, &bdquo;hier sind die Wasserstiefel.
+Setz die Segel ins Mittelboot, wir fahren nach
+Minge.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus welchem Grund fahren wir nach Minge?&ldquo;
+fragt er ungehalten; denn wer schläft, will
+Ruhe haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Doczene, in Wut bei dem Gedanken,
+daß es ihr morgen ebenso gehen kann, fackelt nicht
+viel und stößt ihn herunter. Er bekommt auch noch
+die schweren Stiefel angezogen, und eine halbe
+Stunde später fahren die beiden nach Minge.
+</p>
+
+<p>
+Am Tage darauf kommt der alte Jaksztat
+in Wilwischken an. Er ist nicht zu Kahn gekommen,
+das hätte zu armemannsmäßig ausgesehen,
+sondern hat den Umweg über Land nicht gescheut,
+um seinem Schwiegersohn mit dem Verdeckwagen
+und dem neusilbernen Kummetgeschirr unter die
+Nase zu reiben, welcherart das Haus ist, aus
+dem seine Frau herstammt.
+</p>
+
+<p>
+Des reichen Jaksztat erinnern wir uns noch
+alle. Der o-beinige, kleine Mann mit dem
+lappigen Knochengesicht und den ewigen Rasiermesserkratzen
+war ja bekannt genug. Als er
+starb, ist er schließlich gar nicht so reich gewesen.
+Aber das tut nichts zur Sache.
+</p>
+
+<p>
+Die Busze, die ihre Augen überall hat, sieht
+als erste das Fuhrwerk vorfahren und tritt aus
+dem Hause.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a>
+Was er wünsche, fragt sie, die Arme einstemmend,
+und funkelt ihn an.
+</p>
+
+<p>
+Er, nicht faul, nimmt seinem Kutscher die
+Peitsche aus der Hand und reißt ihr eins über.
+Lang übers Gesicht und den nackten rechten Arm
+herunter flammt die Strieme.
+</p>
+
+<p>
+Und was tut sie? Sie packt den alten Mann,
+zieht ihn vom Wagen und fängt ihn mit den
+Fäusten zu verprügeln an. Der Kutscher springt
+vom Bock, der Ansas Balczus kommt aus dem
+Hause gestürzt, und beiden Männern zusammen
+gelingt es erst, ihn der wütenden Frauensperson
+zu entreißen. Weiß Gott, sie hätte ihn sonst
+vielleicht umgebracht.
+</p>
+
+<p>
+So schlimm dies Vorkommnis an und für
+sich sein mag, in der nun folgenden Unterredung
+gibt es dem Alten Oberwasser. Denn so weit
+vom Wege abgekommen ist der Ansas Balczus
+doch noch nicht durch seine Kebserei, daß er nicht
+wüßte, welche Schande ein solcher Empfang
+dem Hause weit und breit bereiten muß.
+</p>
+
+<p>
+Nun steht er in seiner ganzen Länge mit dem
+hinter die Ohren gestrichenen gelben Flachshaar
+und dem braunen Sommersprossengesicht vor
+dem Alten und weiß nicht, wo er die Augen
+lassen soll.
+</p>
+
+<p>
+Der schnauft immerzu vor Zorn und weil
+ihm noch vom Herumrangen die Luft fehlt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo ist deine Frau?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a>
+Wie soll der Ansas Balczus wissen, wo seine
+Frau ist? Die läuft in ihrer Ratlosigkeit oft genug
+aus dem Hause, dorthin, wo sie vor Schimpf
+und Schlägen sicher ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin der reiche Jaksztat!&ldquo; schimpft der
+Alte. &bdquo;Mir soll so was passieren!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus entschuldigt den Überfall,
+so gut es geht. Aber was kann er viel sagen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Diese Bestije, diese Patartschke muß sofort
+aus dem Hause!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, na,&ldquo; brummt der Ansas. Wäre das
+nicht eben geschehen, so hätte er wahrscheinlich
+die Brust ausgestemmt und geschrien, das sei
+<em>seine</em> Wirtschaft, hier hab&rsquo; er allein was zu
+sagen, aber jetzt brummt er bloß: &bdquo;Na, na.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte merkt sofort, daß sein Weizen blüht,
+und nun legt er los. Es gibt nicht viel Schimpfwörter
+im Litauischen, die der Ansas für sich und
+sein Frauenzimmer <em>nicht</em> zu hören gekriegt
+hat in dieser Stunde.
+</p>
+
+<p>
+Und schließlich ist er ganz windelweich, sitzt
+auf der Ofenbank und weint.
+</p>
+
+<p>
+Indre kommt nach Hause. Sie hat die beiden
+Ältesten aus der Schule geholt und geht über
+den Hof, den kleinen Willus auf dem Arm,
+schlank und rank, geradeso wie die katholische
+heilige Jungfrau.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie das väterliche Fuhrwerk sieht, schrickt
+sie zusammen, setzt das Kindchen auf die Erde
+<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a>
+und sieht sich um, als weiß sie nicht, wo sich am
+raschesten verstecken.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch rascher ist der Alte. Zur Tür
+hinaus &mdash; und sie packen &mdash; und sie hereinziehen
+&mdash; hast du nicht gesehen!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt fällst du vor ihr auf die Knie,&ldquo; fährt
+er den Schwiegersohn an, &bdquo;und küssest den Saum
+ihres Gewandes!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ohne Willen, wie der auch ist, das will
+er doch nicht. Aber der Alte hilft kräftig nach,
+und richtig, da liegt er vor ihr und sagt mit einem
+Schluchzer: &bdquo;Ich weiß, ich bin ein Sünder vor
+dem Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Steh auf, Ansas,&ldquo; sagt sie in ihrer milden
+Weise und legt die Hand auf seinen Kopf.
+&bdquo;Wenn du dich jetzt zu sehr demütigst, vergißt
+du es mir nachher nicht, und es bleibt alles beim
+alten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie gut hat sie ihn gekannt!
+</p>
+
+<p>
+Aber vorläufig geht er auf alles ein und
+verspricht dem Alten, daß die Busze mit seinem
+Willen den Hof nicht mehr betreten soll und
+daß sie jetzt auf der Stelle abgelohnt werden soll.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre warnt den Vater, so Hartes nicht
+zu verlangen. Aber er besteht darauf. Er hätte
+es lieber nicht sollen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Busze! Wo ist die Busze?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kommt die Busze. Sie hat das Gesicht
+mit einem Taschentuch verbunden wie eine mit
+<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a>
+Zahnschmerzen, und um den rechten Arm hat
+sie eine nasse Schürze gewickelt. Zum Kühlen.
+</p>
+
+<p>
+Sie stellt sich in die Tür und sieht die drei
+ganz freundlich an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na also, was ist?&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ich hab&rsquo; zu
+tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast hier nichts mehr zu tun,&ldquo; sagt der
+Alte, &bdquo;und das wird dir dein Brotherr gleich
+klarmachen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da bin ich doch neugierig,&ldquo; trumpft sie als
+eine, die ihrer Sache sicher ist.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas Balczus weiß nicht, wo anfangen
+und wo aufhören. Aber weil sie mit ihrem verbundenen
+Gesicht nicht gerade sehr hübsch aussieht,
+wird es ihm leichter. Er stottert was von
+&bdquo;Hausfrieden&ldquo; und &bdquo;man muß Opfer bringen&ldquo;
+und so. Sehr würdereich sieht er nicht aus.
+</p>
+
+<p>
+Sie lacht laut auf und lacht und lacht. &bdquo;Haben
+sie dich richtig kleingekriegt, du Dreckfresser?&ldquo;
+sagt sie. &bdquo;Ums übrige wirst du ja bald wissen,
+wo du mich finden kannst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit dreht sie sich um und schlägt die Tür
+hinter sich zu. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt könnte der Friede wohl wiederkommen.
+Und anfangs scheint es auch so. Der Ansas tut
+freundlich zu seiner Frau, und als er mit Fischen
+auf den Heydekrüger Markt gefahren ist, bringt
+er ihr aus dem Hofmannschen Laden sogar ein
+Seidenkleid mit. Aber er hat einen schiefen
+<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a>
+Blick, und wenn er kann, geht er ihr aus dem
+Wege.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre schreibt nach Hause: &bdquo;Es ist alles
+wieder gut.&ldquo; Aber auf das Papier sind ihre
+Tränen gefallen.
+</p>
+
+<p>
+Denn die Busze ist immer noch da. Sie
+hat sich bei den Pilkuhns eingemietet, die hinten
+am Abzugsgraben wohnen, und was das für
+Gesindel ist, das weiß in Wilwischken ein jeder.
+Sie tut so, als arbeitet sie in den Wiesen, aber
+man kann kaum ins Dorf gehen, dann trifft man
+sie irgendwo. Sie hat sogar die Dreistigkeit,
+den beiden Kindern, wenn sie aus der Schule
+kommen, Gerstenzucker zu schenken.
+</p>
+
+<p>
+Und wohin geht der Ansas, wenn es dunkel
+wird? Kein Mensch weiß. Er geht an der Parwe
+entlang, wo die Weidensträucher so dicht stehen,
+daß sich kein Abendrot zum Wasser hinfindet.
+Und die Leute, die vor den Türen sitzen, reden
+leise hinter ihm drein: &bdquo;Jetzt trifft er sich mit
+der Busze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Es ist eine Schande zu sagen: Er trifft sich
+wirklich mit der Busze.
+</p>
+
+<p>
+Dort, wo sich kein Abendrot zum Wasser
+hinfindet, sitzen sie bis in die Nacht hinein und
+schmieden Pläne, wie es werden soll. Aber was
+sie auch übersinnen, &mdash; die Frau, die Indre,
+steht immer dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Laß dich scheiden!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a>
+Laß dich scheiden! Leicht gesagt. Aber die
+Kinder! Der Endrik, der Älteste, soll einmal
+das Grundstück erben. Und die Elske, die ihm
+selbst aus den Augen geschnitten ist, wird demnächst
+gar Klavier spielen. Solche Kinder stößt
+man nicht von sich. Von dem kleinen Willus gar
+nicht zu reden. Außerdem hat der Schwiegervater,
+der reiche Jaksztat, die zweite Hypothek
+hergegeben. Wo kriegt man die her, wenn er
+kündigt?
+</p>
+
+<p>
+Aber die Indre muß fort! Die Indre muß
+aus dem Wege! Die Indre mit ihrem Buttergesicht.
+Die Indre, die ihm nachspioniert. Die
+Indre, die allabendlich von Tür zu Tür läuft,
+um ihn schlecht zu machen vor den Leuten. Die
+Pilkuhns wissen, daß es nichts Abscheuliches
+gibt, was sie nicht erzählt von ihm. Sogar daß er
+einen Bruchschaden hat, hat sie erzählt. Woher
+sollen es die Pilkuhns sonst wissen? Ja, so schlecht
+ist sie bei all ihrer Scheinheiligkeit.
+</p>
+
+<p>
+Also die Indre muß fort. Das ist beschlossene
+Sache. Es fragt sich bloß, wie.
+</p>
+
+<p>
+Er natürlich will nichts davon hören, aber
+es muß ja doch sein.
+</p>
+
+<p>
+Manche Frauen sterben im Kindbett &mdash; man
+braucht kaum einmal nachzuhelfen, aber das kann
+lange dauern und bleibt eine unsichere Sache.
+</p>
+
+<p>
+Gift? Das kommt aus. So sicher, wie zwei
+mal zwei vier ist. Und wer&rsquo;s dann getan hat,
+<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a>
+weiß heute schon das ganze Dorf. Ertrinken?
+Aber die Indre geht nicht aufs Wasser. Das
+ganze vorige Jahr ist sie nicht einmal auf dem
+Wasser gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Sie wird schon gehen &mdash; man muß ihr nur
+zureden.
+</p>
+
+<p>
+Na, und dann? Wird sie etwa freiwillig &rsquo;reinspringen?
+Ja, selbst <em>wenn</em> sie&rsquo;s täte, wer
+würde es glauben? Kommt man ohne sie zurück,
+sitzt man auch schon in Untersuchung.
+</p>
+
+<p>
+Gift oder Ertrinken &mdash; es ist ein und dasselbe.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Busze hat einen klugen Kopf, die
+Busze weiß Rat.
+</p>
+
+<p>
+Ob er schwimmen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er kann schon schwimmen. Aber in den
+schweren Stiefeln nutzt das nichts. Da wird
+man auf den Grund gezogen wie die &bdquo;Kulschen&ldquo;
+&mdash; die kleinen Steine im Staknetz.
+</p>
+
+<p>
+Dann muß man barfuß &rsquo;raus. Jetzt im
+Sommer fährt jeder barfuß &rsquo;raus.
+</p>
+
+<p>
+Er, der Ansas, hat das nie getan, und das
+wissen die Leute.
+</p>
+
+<p>
+Ob die Indre schwimmen kann.
+</p>
+
+<p>
+Wie die bleiernen Entchen &mdash; so kann die
+Indre schwimmen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also, es wird gehen,&ldquo; meint nachdenklich die
+Busze.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Was</em> wird gehen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob er sich des Unglücks erinnert, im vorigen
+<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a>
+Sommer, an der Windenburger Ecke, wobei die
+zwei Fischer ums Leben gekommen sind?
+</p>
+
+<p>
+Wie soll er sich dessen nicht erinnern. Der
+eine der Toten ist ja sein Vetter gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Ob er auch weiß, wie es geschehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Genau weiß es niemand, aber man nimmt
+an, daß sie betrunken gewesen sind und die gefährliche
+Stelle verschlafen haben, die Stelle
+hinter dem Leuchtturm, wo der Wind plötzlich
+einsetzt und wo man scharf aufpassen muß, will
+man nicht kentern wie ein zu hoch geladener
+Heukahn.
+</p>
+
+<p>
+Ob man das Kentern nicht auch künstlich
+machen kann!
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn man durchaus ersaufen will.
+</p>
+
+<p>
+Ob man sich nicht aufs Schwimmen einrichten
+kann!
+</p>
+
+<p>
+Bis an Land schwimmt keiner.
+</p>
+
+<p>
+Ob man es nicht den Schuljungens nachmachen
+kann mit Binsen oder Schweinsblasen,
+die einen stundenlang über Wasser halten!
+</p>
+
+<p>
+Man kann schon. Aber es ist ungebräuchlich
+und würde bemerkt werden.
+</p>
+
+<p>
+Dann müßte man sie nach dem Gebrauch
+aus der Welt schaffen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, aber wie?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Busze wird nachdenken.
+</p>
+
+<p>
+So reden und beraten sie Stunden und Stunden
+lang, Nacht für Nacht. Die Busze fragt,
+<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a>
+und er antwortet. Und aus dem Fragen und
+dem Antworten backen sie bei langsamem Feuer
+den Kuchen gar, an dem die Indre sich den Tod
+essen muß.
+</p>
+
+<p>
+Eins bleibt immer noch das Schwerste: wie
+sie am besten zu dem Ausflug zu bringen ist.
+Mehrere müssen es sein, die glücklich verlaufen,
+ehe der Schlag geführt werden kann. Wo aber
+die Gründe hernehmen, um die häufigen Fahrten
+zu rechtfertigen? &mdash; Und wie selten auch weht
+der Süd oder der Südwest, bei dem allein das
+Unternehmen gelingen kann, und noch dazu in
+der gehörigen Stärke. Darum muß noch etwas
+Besonderes gefunden werden, ein Grund wie kein
+anderer. Einer, der jede Vorbereitung unnötig
+macht und gegen den es keinen Widerspruch gibt.
+</p>
+
+<p>
+Bis dahin aber, das legt ihm Busze immer
+wieder ans Herz, heißt es freundlich zu der Indre
+sein, damit ihr jeder Verdacht genommen wird
+und auch die Nachbarn glauben können, es sei
+nun alles wieder in Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Und er ist freundlich zu der Indre &mdash; so
+freundlich, wie&rsquo;s einer versteht, der sich nie im
+Leben verstellt hat. Er schlägt das Herdholz
+klein und trägt es ihr zu, er hilft ihr beim Garnkochen,
+er bessert den Stöpsel im Rauchfang, er
+küßt sie beim &bdquo;Guten Tag&ldquo; und &bdquo;Gute Nacht&ldquo;,
+und er schläft sogar an ihrer Seite, aber er rührt
+sie nicht an.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a>
+Die Indre drückt sich still an die Wand, wenn
+er um Mitternacht heimkommt, um den Dunst
+der Magd nicht zu atmen, den er nach wie vor
+an sich herumträgt.
+</p>
+
+<p>
+Und schließlich &mdash; die Busze hat es so verlangt
+&mdash; bringt er auch das schwerste Opfer und
+geht des Abends nicht mehr ins Sumpfweidendickicht.
+Von nun an verkehren sie nur durch
+den Briefträger. Die Aufschriften sind von
+einem jungen Kanzlisten in Heydekrug, dem er
+weisgemacht hat, er könne nicht schreiben, auf
+Vorrat gefertigt, und drinnen stehen Zeichen,
+die nur sie beide verstehen.
+</p>
+
+<p>
+So muß auch die Indre glauben, der heimliche
+Verkehr habe aufgehört. Aber täuschen läßt sie
+sich darum doch nicht. Ihr ist manchmal, als habe
+sie die Gabe des zweiten Gesichts, und oft, wenn
+er sich vor ihr wunder wie niedlich macht, denkt
+sie bei sich: &bdquo;Wie seh&rsquo; ich ihn doch durch und
+durch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt er besonders liebselig
+auf sie zu und sagt: &bdquo;Mein Täubchen, mein
+Schwälbchen, du hast böse Tage gehabt, ich
+möchte dir gern etwas Gutes bereiten, such es
+dir aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht ihn nur an und weiß schon, daß er
+Hinterhältiges im Sinne führt. Und sie sagt:
+&bdquo;Ich brauche nichts Gutes. Ich hab&rsquo; ja die
+Kinder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a>
+&bdquo;Nein, nein,&ldquo; sagt er, &bdquo;es muß sein. Schon
+wegen der Nachbarn. Auch deinem Vater will
+ich einen Beweis meiner Sinnesänderung geben.
+Weißt du nichts, so denke nach, und auch ich werde
+mir den Kopf zerbrechen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tage kommt er wieder. Aber
+sie weiß noch immer nichts.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt er: &bdquo;Nun, dann weiß ich es. Du
+hast noch nie die Eisenbahn gesehen. Laß uns
+nach Tilsit fahren, damit du einmal die Eisenbahn
+siehst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt darauf: &bdquo;Die Leute erzählen sich,
+daß die Eisenbahn nächstens bis nach Memel geführt
+werden soll, und Heydekrug wird dann
+eine Station werden. Wenn es so weit ist, kann
+ich ja einmal zum Wochenmarkt mitfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er gibt sich nicht zufrieden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Tilsit ist eine schöne Stadt,&ldquo; sagt er, &bdquo;wenn
+du nicht hinfahren willst, so weiß ich, daß du
+einen bösen Willen hast und an Versöhnung
+nicht denkst, während ich nichts Anderes im Sinne
+habe, als dir zu Gefallen zu leben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fällt ihr ein, daß er die Zusammenkünfte
+mit der Magd wirklich aufgegeben hat, und sie
+beginnt in ihrer Meinung wankend zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Ach Ansas, ich weiß ja, daß du
+es nicht aufrichtig meinst, aber ich werde dir
+wohl den Willen tun müssen. Außerdem sind
+wir ja alle in Gottes Hand.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a>
+Der Ansas hat die Gewohnheit, daß er rot
+werden kann wie irgend ein junges Ding. Und
+weil er das weiß, geht er rasch vor die Tür und
+schämt sich draußen. Aber ihm ist zumut, als
+<em>muß</em> er es tun und ein Zurück gebe es nicht.
+Als wenn ihn der Drache mit feuriger Gabel
+vorwärts schuppst, so ist ihm zumut. Und darum
+fängt er an demselben Tage noch einmal an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In Tilsit ist ein Kirchturm,&ldquo; sagt er, &bdquo;der
+ruht auf acht Kugeln, und darum hat ihn der
+Napoleon immer nach Frankreich mitnehmen
+wollen. Er ist ihm aber zu schwer gewesen. Eine
+so merkwürdige Sache muß man doch sehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre lächelt ihn bloß so an, sagt aber
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Außerdem,&ldquo; fährt er fort, &bdquo;gibt es ja ein
+Lied, das geht so:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p>
+ <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst,</p>
+ <p class="verse">Die Sonne wär&rsquo; nichts wie ein finsteres Loch,</p>
+ <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Nun weißt du hoffentlich, was für eine schöne
+Stadt Tilsit ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie er sich so zereifert, lächelt ihn Indre noch
+einmal an, und er wird wieder rot und redet
+rasch von anderen Dingen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen aber sagt er ganz obenhin:
+&bdquo;Nun, wann werden wir fahren?&ldquo; Als ob
+es längst eine abgemachte Sache wäre.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a>
+Sie denkt: &bdquo;Will er mich los sein, so kann
+er es auf tausend Arten. Es ist das Beste, ich
+füge mich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und zu ihm sagt sie: &bdquo;Wann du wirst wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, dann je eher, je besser,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Es wird also der nächste Morgen bestimmt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Busze es ihm eingegeben hat,
+läuft er am Nachmittag von Wirtschaft zu Wirtschaft
+und sagt: &bdquo;Ihr wißt, liebe Nachbarn, daß
+ich mich schlecht aufgeführt habe. Aber von
+nun an soll alles anders werden. Zum Zeichen
+dessen werde ich mit der Indre eine Vergnügungsfahrt
+nach Tilsit machen. Damit will ich sozusagen
+die Versöhnung festlich begehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Nachbarn beglückwünschen ihn auch
+noch. Genau, wie die Busze es vorhergesagt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Was aber tut die Indre inzwischen?
+</p>
+
+<p>
+Sie legt die Sachen der Kinder zurecht,
+schreibt auf ein Papier, was sie am Alltag und
+am Sonntag anziehen sollen und wie die Stücke
+Leinwand, die sie selber gewebt hat, künftig einmal
+zu verschneiden sind. Auch ihre Kleider verteilt
+sie. Das neue seidene kriegt die Ane Doczys,
+und die Erbstücke kommen an Elske. Dann legt
+sie noch ihr Leichenhemde bereit und was ihr
+sonst im Sarge angezogen werden soll. Und dann
+ist sie fertig.
+</p>
+
+<p>
+Draußen auf dem Hof spielen die Kinder.
+<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a>
+Sie denkt: &bdquo;Ihr Armen werdet schlechte Tage
+haben, wenn die Busze erst da ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann geht sie hinüber zur Ane Doczys, kurz
+nachdem der Ansas dagewesen ist, und sagt: &bdquo;Dem
+Menschen kann leicht etwas zustoßen. Ich weiß,
+daß ich von dieser Reise nicht wiederkommen
+werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ane ist sehr erschrocken und sagt: &bdquo;Warum
+sollst du nicht wiederkommen? Nach Tilsit ist
+bloß ein Katzensprung. Und es soll ja auch ein
+Versöhnungsfest sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Indre lächelt bloß und sagt: &bdquo;Wir werden
+ja sehn. Darum versprich mir, daß du auf die
+Kinder achtgeben wirst und dem Großvater
+schreibst, wenn es ihnen nicht gut geht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ane weint und verspricht alles, und die
+Indre geht heim. Sie bringt die Kinder zu Bett
+und betet mit ihnen und stärkt sich in dem Herrn ...
+</p>
+
+<p>
+In der Frühe, lang&rsquo; vor der Sonne, fahren
+sie ab.
+</p>
+
+<p>
+Er, der Ansas, hat seine Sonntagskleider
+an, und auch sie hat sich geschmückt, denn es soll
+ja ein Versöhnungsfest sein. Sie trägt die rote,
+grüngestreifte Marginne, den selbstgewebten Rock,
+in dem sie vor neun Jahren mit ihm zur Versprechung
+nach der Kirche gefahren ist, und
+ein klares Mädchenkopftuch gegen die Sonnenstrahlen.
+</p>
+
+<p>
+Auch zu essen und zu trinken hat sie mitgenommen
+<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a>
+und in dem vorderen Abschlag verstaut.
+</p>
+
+<p>
+Er ist auf Klotzkorken und hat die leichten
+Wichsstiefel in der Hand. Im letzten Augenblick
+bringt er noch etwas angetragen, in Sackleinwand
+gepackt, das wirft er neben sich vor das
+Steuer und sieht sie verstohlen dabei an, als ob
+er eine Frage erwartet.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie fragt nichts.
+</p>
+
+<p>
+Wie er das Großsegel setzt, gewahrt sie, daß
+ihm die Hände zittern. Er will sich nichts merken
+lassen und sagt: &bdquo;Es ist ein hübsches kleines Windchen,
+wir können zu Mittag in Tilsit sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Mir ist es gleich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er meint: &bdquo;Ob es hin auch noch so rasch
+geht, zurück muß man kreuzen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann wirft er das Schwert aus und setzt
+auch den Raginnis, das kleine Vorsegel. Er sitzt
+nun halb zugedeckt von all der Leinwand, so
+daß sie ihn kaum sehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Der Kahn fährt wie an der Leine, und rings
+in dem Wasser glucksen die Fischchen.
+</p>
+
+<p>
+Über das weite Haff hin ist es nach Westen
+wie eine blaugraue Decke gebreitet, nur drüben
+die Nehrung steht dunkelrot im Morgenschein.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie um die Windenburger Ecke herumkommen,
+dort, wo die Landzunge sich spitz in das
+Wasser hineinstreckt, lockert er erst die Segelleine
+und wirft dann mit raschem Griff das
+<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a>
+Steuer um, denn von nun an geht es mit vollem
+Wind geradeswegs nach Osten.
+</p>
+
+<p>
+So oft sie zum Vater nach Minge fuhr, vor
+dieser Stelle hat sie schon immer Angst gehabt,
+denn wenn irgend einmal ein Unglück geschehen
+ist, dann war es nur hier.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sucht in ihrer ungewissen Angst das
+liebe Minge, das in der Ferne ganz deutlich zu
+sehen ist, und denkt bei sich: &bdquo;Ach Vater, wenn
+du wüßtest, was für einen schlimmen Weg die
+Indre fährt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie ist still im Herrn. Nur die gefährliche
+Stelle macht ihr das Herz eng.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fährt der Kahn glatt auf die Mündung
+zu, die mit ihren Grasbändern rechts und
+links schon lang&rsquo; auf sie zu warten scheint.
+</p>
+
+<p>
+Da liegt nun vor ihr der breite Atmathstrom,
+breit wie die Memel selber, von der er ein Arm
+ist, und das hübsche kleine Windchen macht auf
+dem Wasser ein Reibeisen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zwei Mundvoll mehr wären gut,&ldquo; sagt der
+Ansas halb abgewandt zu ihr herüber, &bdquo;denn
+wenn der Gegenstrom auch schwach ist, der Kahn
+merkt ihn doch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt bloß: &bdquo;Ich möchte nach Minge.&ldquo;
+Aber Minge liegt längst weit im Rücken. Denn
+drüben ist schon Kuwertshof, das einsam zwischen
+Wasserläufen gelegene Wiesengut, von dem die
+Leute sagen, daß, wer darauf wohnen will, sich
+<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a>
+Schwimmhäute anschaffen muß, sonst kann er
+nicht vor und nicht zurück.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch ich kann nicht vor und nicht zurück,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;und muß stillhalten, wie er es bestimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun macht der Strom den großen Ellbogen
+nach Süden hin, und die Segel schlagen zur
+Seite, so daß sie ihn mit seinem ganzen Körper
+sehen kann. Sie sitzt auf der Paragge, dem Abschlag
+vorn an der Spitze, und er hinten am
+Steuer. Der Mast steht zwischen ihnen.
+</p>
+
+<p>
+Ihr ist, als will er sich vor ihren Blicken verstecken.
+Er rückt nach rechts, er rückt nach links,
+aber es hilft ihm nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du armer Mann,&ldquo; denkt sie, &bdquo;ich möchte
+nicht an deiner Stelle sein.&ldquo; Und sie lächelt ihn
+traurig an, so leid tut er ihr.
+</p>
+
+<p>
+Auf der rechten Seite kommt nun Ruß, der
+große Herrenort, in dem so viel getrunken wird
+wie nirgends auf der Welt. Vor dem Rußner
+Wasserpunsch fürchten sich ja selbst die Herren
+von der Regierung.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst mit den vielen Flößen davor der
+Anckersche Holzplatz und eine Sägemühle und
+dann noch eine und noch eine.
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken, die Flößer, die mit den Hölzern
+stromab aus Rußland kommen, sitzen in ihren
+langen, grauen Hemden auf der Floßkante und
+baden sich die Füße. Hinter ihnen rauchen die
+Kessel zum Frühstücksbrot.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a>
+&bdquo;Er wird mir wohl Gift &rsquo;reintun,&ldquo; denkt sie.
+Aber noch hat sie das mitgebrachte Essen in
+ihrer Hand, und was Anderes wird sie nicht zu
+sich nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Die Insel Brionischken kommt mit ihrer neuen
+Sägemühle. Auch hier liegen Holztriften fest,
+und die Dzimken, die Tag und Nacht Musik
+machen müssen, fangen schon an, die Kehlen zu
+stimmen.
+</p>
+
+<p>
+Eins von den Liedern kennt sie:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Lytus lynòju, rasà rasòju,</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">O mùdu abùdu lovò gulèju.</span></p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Sie denkt: &bdquo;Wenn alles so wäre wie einst,
+dann würden wir jetzt mitsingen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken winken ihnen auch einladend
+mit den Händen, aber keines von ihnen beiden
+grüßt wieder. Und viele andere haben ihnen
+während der Fahrt noch zugewinkt, aber niemals
+haben sie Antwort gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Hinter Ruß kommt, wie wir ja wissen, eine
+traurige Gegend. Links das Medszokel-Moor,
+wo die Ärmsten der Armen wohnen, rechts das
+Bredszuller Moor, das auch nicht viel wert ist.
+Aber dahinter erhebt sich auf Hügeln und Höhen
+der Ibenhorst, der weitberühmte Wald, in dem
+die wilden Elche hausen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie muß an jenen Frühlingstag denken,
+vor sieben Jahren. Sie trug damals die Elske im
+sechsten Monat und war in der Wirtschaft schon
+<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a>
+wenig mehr nütze. Da sagte er eines Tages zu
+ihr: &bdquo;Wir wollen nach Ibenhorst fahren, vielleicht
+daß wir die Elche sehen.&ldquo; Aber er nahm nicht
+wie heute die Waltelle &mdash; das Mittelboot &mdash;, denn
+damit kommt man in den kleinen Seitenflüssen
+nicht vorwärts, sondern den Handkahn. In dem
+fuhren sie nun eng aneinander gedrückt durch
+das Gewirr der fließenden Gräben, durch Rohr
+und Binsen, stunden- und stundenlang. Und
+sie hatte den Kopf auf seinem Schoß liegen und
+sagte ein Mal über das andere: &bdquo;Ach, was brauchen
+wir Elche zu sehen, es ist ja auch so ganz wunderschön.&ldquo;
+Und schließlich sahen sie doch einen.
+Es war ein mächtiger Bulle mit einem Geweih
+rein wie zwei Mühlenflügel. Der stand ganz
+nahe im Röhricht und kaute und sah sie an.
+Ansas sagte: &bdquo;Sehr wild scheint der nicht zu sein,
+ich fahr&rsquo; einfach auf ihn los.&ldquo; Aber die Elske
+in ihrem Leibe, die wollte das nicht und machte
+einen heftigen Sprung. Und als sie ihm das
+sagte, da wußte er nicht, wie rasch er umkehren
+sollte.
+</p>
+
+<p>
+An jenen Frühlingstag also muß sie denken,
+und dabei kommt mitten aus ihrer Ergebung
+der Jammer plötzlich über sie, so daß sie die gefalteten
+Hände vor die Stirn legt und dreimal
+weinend sagt: &bdquo;O Gott, o Gott, o Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann sieht sie, daß er das Ruder festmacht
+und über die Großmastbank zu ihr herübersteigt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a>
+&bdquo;Worüber klagst du eigentlich?&ldquo; hört sie ihn
+sagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie hebt die Augen zu ihm auf und sagt:
+&bdquo;Ach Ansas, Ansas, weißt du nicht besser als ich,
+warum ich klage?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da dreht er sich auf seinen Hacken um und geht
+stumm zum Hinterende zurück.
+</p>
+
+<p>
+Auf einer der entgegenfahrenden Triften
+spielt ein Dzimke die Harmonika.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt: &bdquo;Nun wird die Elske wohl nie
+mehr Klavier spielen lernen ... und der Willus
+wird auch niemals ein Pfarrer werden.&ldquo; Denn
+das hat sie sich in ihrem Sinne vorgenommen,
+weil es ein gottgefälliges Werk ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt weiter: &bdquo;Ich werde es mir noch
+vorher von ihm versprechen lassen.&ldquo; Aber wie
+kann sie wissen, wann das Schreckliche kommen
+wird, so daß sie noch Zeit behält zum Bitten?
+Jeden Augenblick kann es kommen, denn oft
+ist alles menschenleer &mdash; auch an den Ufern weit
+und breit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was mag er nur in der Sackleinwand
+haben?&ldquo; denkt sie weiter. &bdquo;Da drin muß es
+sein, womit er das Schreckliche ausüben will.
+Aber was kann es sein?&ldquo; Das Paket ist rund
+und halbmannslang und etwa wie ein Milcheimer
+so stark. Als er es vor der Abfahrt auf
+den Boden warf, ist kein Schall zu hören gewesen.
+Es muß also leicht sein von Gewicht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a>
+&bdquo;Das Beste ist,&ldquo; denkt sie, &bdquo;ich lasse es kommen,
+wie es kommt, und nutze die Zeit, um Frieden
+zu machen mit dem Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber der Herr hat ihr den Frieden längst gesandt.
+Sie weiß kaum einmal, um was sie beten soll.
+Denn um die Rettung zu beten, ziemt ihr nicht.
+Da braucht sie ja nur zu schreien, wenn irgendein
+Floß kommt. Und so betet sie für die Kinder.
+Immer der Reihe nach und dann wieder von vorne.
+</p>
+
+<p>
+Wie lange Zeit so verflossen ist, kann sie nicht
+sagen. Aber die Sonne steht schon ganz hoch,
+da hört sie von drüben seine Stimme: &bdquo;Bring
+mir zu essen, ich hab&rsquo; Hunger!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das Herz schlägt ihr plötzlich oben im Halse.
+&bdquo;Jetzt wird es geschehen,&ldquo; denkt sie. Aber wie
+sie ihm die Neunaugen und die Rauchwurst hinüberträgt
+und Brot und Butter dazu, da zittert
+sie nicht, denn jetzt denkt sie wieder: &bdquo;Nein, so
+kann es <em>nicht</em> geschehen, er wird sich eine andere
+Art und Weise suchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann, wie er fragt: &bdquo;Ißt du denn nichts?&ldquo;,
+kommt ihr plötzlich der Gedanke: &bdquo;Es wird <em>gar</em>
+nicht geschehen. Und nur mein trüber Sinn
+malt es mir aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie braucht ihn nur anzusehen, wie er
+dasitzt, in sich zusammengekrochen und die Blicke
+irgendwohin ins Weite oder aufs Wasser gerichtet,
+bloß nicht auf sie, dann weiß sie: &bdquo;Es wird
+<em>doch</em> geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-38" class="pagenum" title="38"></a>
+Mit einmal faßt sie sich ein Herz und fragt:
+&bdquo;Was hast du da in der Sackleinwand?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zieht finster den Mund in die Höhe und
+antwortet: &bdquo;Meine Wasserstiefel.&ldquo; Aber sie weiß,
+daß das nicht wahr sein kann, denn deren Absätze
+sind eisenbeschlagen und hätten beim Hinschmeißen
+geklappert.
+</p>
+
+<p>
+Dann packt sie die Speisen zusammen und
+geht nach dem Vorderende zurück.
+</p>
+
+<p>
+Die Sonne sticht nun sehr, und sie muß ihr
+Kopftuch tief in die Augen ziehen.
+</p>
+
+<p>
+Längst haben sie die arme Moorgegend verlassen,
+auch der schwarze Rand des Ibenhorstes
+ist untergesunken, und hinter dem Damm dehnt
+sich die fruchtbare Niederung, wo der Morgen
+tausend Mark kostet und die Bauern Rotwein
+auf dem Tische haben.
+</p>
+
+<p>
+Die Klokener Fähre kommt, hinter der Kaukehmen
+liegt, der große, reiche Marktort, in
+dessen bestem Gasthaus nur studierte Leute aus
+und ein gehen dürfen. &bdquo;Wenn der Willus
+Pfarrer sein wird, wird er dort auch aus und
+ein gehen dürfen. Aber der Willus wird ja
+nie Pfarrer sein. Wird etwa die Busze ihn auf
+die hohe Schule gehen lassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun dauert es noch etwa eine Stunde, dann
+kommt die Stelle, an der die Gilge sich abzweigt.
+Sie sieht das blanke Gewässer nach rechts hin
+im Grünen verschwinden, fragt aber nichts.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a>
+Da kriegt der Ansas mit einmal die Sprache
+wieder und sagt: &bdquo;Du, Indre, von nun an heißt
+es nicht mehr der Rußstrom, jetzt ist es die
+Memel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie bedankt sich für die Belehrung, und dann
+wird es wieder still. So lange still, bis Ansas
+plötzlich den Arm hebt und ganz erfreut nach
+vorne zeigt.
+</p>
+
+<p>
+Sie wendet sich um und fragt: &bdquo;Was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird sein?&ldquo; sagt er. &bdquo;Tilsit wird sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht nicht nach Tilsit. Sie sieht bloß
+nach ihm. Er lacht übers ganze Gesicht, weil sie
+nun bald da sind.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird <em>nicht</em> geschehen,&ldquo; denkt sie. &bdquo;<em>Der</em>
+Mensch kann sich nicht freuen, der so Schreckliches
+mit sich herumträgt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann wird er ganz ärgerlich, weil sie so
+gar keine Neugier zeigt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da vorne bauen sie die große Eisenbahnbrücke,&ldquo;
+sagt er, &bdquo;und hinten steht auch Napoleons
+Kirchturm, aber du siehst dich nicht einmal um.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie entschuldigt sich und läßt sich alles erklären.
+Und so kommen sie immer näher.
+</p>
+
+<p>
+Die Mauerpfeiler, die aus dem Wasser wachsen,
+und die Eisengerüste hoch oben, die in der
+Luft hängen wie der Netzstiel beim Fischen &mdash;
+so was hat sie wirklich noch nie gesehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Alles war Unsinn,&ldquo; denkt sie. &bdquo;Es wird
+<em>nicht</em> geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-40" class="pagenum" title="40"></a>
+Und dann kommen Holzplätze, so groß wie
+der Anckersche in Ruß, und Schornstein nach
+Schornstein, und dann die Stadt selber. Mit
+Wohnhäusern, noch höher als die Speicher in
+Memel. Denn Memel kennt sie. Dorthin ist
+sie früher manchmal zum Markt mitgefahren
+und um die See zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+Napoleons Kirchturm hätte sie sich wunderbarer
+vorgestellt. Die acht Kugeln sind wirklich
+da, aber das Mauerwerk steht darauf, als ob es
+gar nicht anders sein könnte.
+</p>
+
+<p>
+Ansas zieht die Segel ein und lenkt dem
+steinernen Ufer zu. Dort, wo er festmacht, liegen
+schon ein paar andere Fischerkähne, mit deren
+Besitzern er sich begrüßt. Es sind Leute aus
+Tawe und Inse, die ihren Fang am Morgen verkauft
+haben.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Kommt ihr Wilwischker jetzt auch schon hierher,&ldquo;
+sagt einer neidisch, &bdquo;und verderbt uns die
+Preise?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ansas, der sich gerade die Wichsstiefel anzieht,
+antwortet ihm gar nicht. Für solche Gespräche
+ist er zu stolz.
+</p>
+
+<p>
+Indre breitet das weiße Reisetuch über den
+vorderen Abschlag und setzt die Speisen darauf.
+Neben den Neunaugen und der Rauchwurst hat
+sie auch Soleier und selbstgeräucherten Lachs
+mit eingepackt. Und da sie seit halb vier in
+der Frühe nichts mehr gegessen hat, merkt sie
+<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a>
+jetzt, daß ihr schon längst vor Hunger ganz
+schwach ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie sitzen nun beide auf den Kanten des Bootes
+einander nahe gegenüber und essen das Mitgenommene
+als Mittagbrot. Geld, um in ein
+vornehmes Gasthaus zu gehen und sich auftafeln
+zu lassen vom Besten, hat Ansas wohl übergenug.
+Aber das ist nicht Fischergewohnheit.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt nun gar nicht mehr an das Schreckliche,
+aber das Herz liegt ihr von all dem Fürchten
+noch wie ein Stein in der Brust.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt ist es der Ansas, der nicht viel essen
+kann, denn die Erwartung, ihr alles zu zeigen,
+läßt ihm keine Geduld. Er steht auf und sagt:
+&bdquo;Nun kann es losgehen.&ldquo; Aber vorher kehrt er
+noch nach hinten zurück, das Hängeschloß zu holen,
+damit der Kahn nicht etwa inzwischen verschwindet.
+</p>
+
+<p>
+Dabei kommt er mit einem Fuß zufällig unter
+den runden Sack, der vor dem Steuersitz liegt.
+Der fliegt wie von selber hoch, so leicht ist er, und
+sinkt dann wieder zurück. Sie sieht, wie er dabei
+erschrickt und zu ihr herüberglupt, ob sie&rsquo;s auch
+nicht bemerkt hat. Und der Stein in ihrer Brust
+wird schwerer.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie sie das Ufer hinanschreiten und
+er ihr alles erklärt, denkt sie wieder: &bdquo;Es kann
+nicht sein, es muß eine andere Bewandtnis
+haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a>
+Dann biegen sie in die Deutsche Straße ein,
+die breit ist wie ein Strom und an ihren Rändern
+lauter Schlösser stehen hat. In den Schlössern
+kann man sich kaufen, was man will, und alles
+ist viel schöner und prächtiger als in Memel.
+</p>
+
+<p>
+Der Ansas sagt: &bdquo;Hier aber ist das Schönste,&ldquo;
+und weist auf ein Schild, das die Aufschrift trägt:
+&bdquo;Konditorei von Dekomin&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Und da ein kaltes Mittagbrot nie ganz satt
+macht, so beschließen sie auch sogleich hineinzugehen
+und die leeren Stellen im Magen aufzufüllen.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie eintreten, o Gott, was sieht die
+Indre da! In einer langen, schmalen Stube,
+in der es kühl und halbdunkel ist, steht nicht weit
+von der Wand ein Tisch, der von einem Ende
+bis zum andern reicht und der ganz bedeckt ist
+mit Kuchen und Torten und sonstigen Süßigkeiten
+aller Art.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da wollen wir nun schwelgen,&ldquo; sagt der
+Ansas und reckt sich.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie traut sich noch nicht, und er muß ihr
+die Stücke einzeln auf den Teller legen. Auch
+einen schönen Rosenlikör bestellt er. Der ist
+süß wie der Himmel und klebt an den Fingern,
+so daß man immerzu nachlecken muß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darf ich nicht auch den Kindern was mitbringen?&ldquo;
+fragt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, das versteht sich,&ldquo; sagt er und lacht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a>
+Da sticht ihr plötzlich der Gedanke ins Herz,
+daß sie die Kinder vielleicht niemals mehr sehen
+wird. Ganz abgeängstigt blickt sie ihn an &mdash;
+und siehe da! auch sein Gesicht hat sich verändert.
+Der Mund steht ihm offen, ganz hohl sind die
+Backen, und die Augen schielen an ihr vorbei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird <em>doch</em> geschehen,&ldquo; denkt sie und
+legt den Teelöffel hin, ißt auch nicht einen Bissen
+mehr; nur die Krumen, die rings um den Teller
+verstreut auf dem Steintisch liegen, wischt sie
+mit den Fingerspitzen auf und denkt dabei &mdash; &mdash;
+ja, was denkt sie? Nichts denkt sie. Und auch
+er sitzt da wie vor den Kopf geschlagen und redet
+kein Wort.
+</p>
+
+<p>
+Also wird es <em>doch</em> geschehen!
+</p>
+
+<p>
+Dann, wie er aufsteht, sagt er: &bdquo;Nun laß dir
+einpacken.&ldquo; Aber sie kann nicht. &bdquo;Bring <em>du</em> es
+ihnen,&ldquo; sagt sie, und er tritt an den Tisch und
+sucht aus. Aber er weiß nicht, was er aussucht,
+denn seine Augen gehen immer nach ihr zurück,
+als will er was sagen und traut sich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Dann, wie sie wieder auf die Straße hinaustreten,
+die von der Nachmittagssonne geheizt
+ist wie ein Backofen, gibt er sich einen Ruck und
+fängt von neuem mit dem Erklären an. Dies
+ist das und jenes ist das. Aber sie hört kaum
+mehr hin. Ganz benommen ist sie von neuer
+Angst. Die kommt und geht, wie die Haffwellen
+ans Ufer schlagen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a>
+Dann stehen sie vor einem Kurzwarenladen,
+in dessen Schaufenster auch Kindersachen ausliegen.
+&bdquo;Wir wollen &rsquo;reingehen,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Du
+kannst den Kindern ein Andenken mitbringen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Andenken? An wen?&ldquo; fragt er und stottert
+dabei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An mich,&ldquo; sagt sie und sieht ihn fest an.
+</p>
+
+<p>
+Da wird er wieder rot, wendet die Augen
+ab und fragt nichts weiter.
+</p>
+
+<p>
+Es wird also ganz sicher geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie sucht für den Endrik eine Wachstuchschürze
+mit roten Rändern, damit er sich nicht
+schmutzig macht, wenn er im Sand spielt; für
+die Elske eine blaue Kappe gegen die Sonne
+und für den kleinen Willus &mdash; was kann es viel
+sein? &mdash; ein Sabberschlabbchen, unter das Kinn
+zu binden. &bdquo;Vielleicht werden doch noch einmal
+Pfarrerbäffchen daraus,&ldquo; denkt sie und verbeißt
+ihre Tränen.
+</p>
+
+<p>
+Der junge Mann, der die Sachen einwickelt,
+sagt zu Ansas gewandt: &bdquo;Vielleicht haben Sie
+auch für die Frau Gemahlin einen Wunsch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er steht verlegen und geschmeichelt, weil man
+die Indre eine &bdquo;Frau Gemahlin&ldquo; nennt, was von
+einer litauischen Fischersfrau wohl nicht häufig
+gesagt wird.
+</p>
+
+<p>
+Und der junge Mann fährt fort: &bdquo;Vielleicht
+darf ich auf unsere echten Schleiertücher aufmerksam
+machen, denn, wenn ich mir die Bemerkung
+<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a>
+erlauben darf, das, welches die Frau
+Gemahlin augenblicklich trägt, ist etwas &mdash; durchgeschwitzt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Indre erschrickt und sucht einen Spiegel,
+denn noch hat sie nicht den Mut gehabt, sich irgendwo
+zu besehen. Und der junge Mann breitet
+eilig seine Gewebe aus. Die sind rein wie aus
+Spinnweben gemacht und haben Muster wie
+die schönsten Mullgardinen.
+</p>
+
+<p>
+Ansas wählt das teuerste von allen &mdash; er getraut
+sich gar nicht, ihr zu sagen, <em>wie</em> teuer es
+ist &mdash;, und der junge Mann führt sie vor eine
+Wand, die ganz und gar ein Spiegel ist. Wie
+sie das Tuch am Halse geknotet hat, so daß
+es die Ohren bedeckt und die Augen verschattet,
+da weiß er sich vor Entzücken gar nicht zu
+lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein, wie schön die Frau Gemahlin ist!&ldquo; ruft
+er ein Mal über das andere. &bdquo;Nie hat dieser
+Spiegel etwas Schöneres gesehen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie bemerkt fast erschrocken, wie der
+Ansas sich freut.
+</p>
+
+<p>
+Im Rausgehen wendet er sich noch einmal
+um und fragt den jungen Mann, ob er wohl
+weiß, wie die Züge gehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zur Ankunft oder zur Abfahrt?&ldquo; fragt der
+junge Mann.
+</p>
+
+<p>
+Und Ansas meint, das wäre ganz gleich.
+</p>
+
+<p>
+Da lächelt der junge Mann und sagt, bald
+<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a>
+nach viere komme einer an, und gegen sechse
+fahre einer ab. Man habe also die Auswahl.
+</p>
+
+<p>
+Ansas bedankt sich und sagt, als sie draußen
+sind: &bdquo;Wir wollen lieber die Abfahrt nehmen,
+denn da sieht man ihn in der Ferne verschwinden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber bis sechs ist noch viel Zeit. Was kann
+man da machen?
+</p>
+
+<p>
+Der Indre ist alles egal. Sie denkt bloß:
+&bdquo;Wenn es <em>doch</em> geschehen soll, warum hat er
+dann noch so viel Geld für mich ausgegeben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und in ihr Herz kommt wieder einmal die
+Hoffnung zurück.
+</p>
+
+<p>
+Ansas ist vor einer Mauer stehen geblieben,
+auf der ein Zettel klebt:
+</p>
+
+<p class="center">
+<em>Jakobsruh</em><br />
+heute vier Uhr<br />
+<em>Großes Militärkonzert</em><br />
+ausgeführt von der Kapelle<br />
+des litauischen Dragonerregiments Prinz Albrecht.
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und darunter steht alles gedruckt, was sie
+spielen werden.
+</p>
+
+<p>
+Der Stein in Indres Brust ist nun ganz leicht
+geworden; kaum zu fühlen ist er. Aber sie hat
+Zweifel, ob bei einem solchen Vergnügen, das
+augenscheinlich für die Deutschen bestimmt ist,
+auch Litauer zugegen sein dürfen &mdash; und dazu
+noch in ihrer Landestracht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a>
+Aber Ansas lacht sie aus. Wer sein Eintrittsgeld
+bezahlt, ist eingeladen, gleichgültig ob er
+&bdquo;<span class="antiqua">wokiszkai</span>&ldquo; spricht oder &bdquo;<span class="antiqua">lietuwiszkai</span>&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Indre zweifelt noch immer, und nur der Gedanke,
+daß es ja ein <em>litauisches</em> Dragonerregiment
+ist, welches die Musiker hergibt, macht
+ihre Schamhaftigkeit etwas geringer.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie also in einer Droschke nach
+Jakobsruh, jenem Lustort, der bekanntlich so
+schön ist wie nichts auf der Welt. Bäume so
+hoch und schattengebend wie diese hat Indre noch
+nie gesehen, auch nicht in Heydekrug und nicht
+in Memel. Am Haff, wo es nur kurze Weiden
+gibt und dünne Erlen, könnte man sich von einer
+solchen Blätterkirche erst recht keinen Begriff
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Aber trotz ihrer Freude ist ihr vor dem fremden
+Orte noch bange genug, denn ringsum sitzen an
+rotgedeckten Tischen lauter städtische Herrenleute,
+und als Ansas vorangeht, einen Platz zu
+suchen, recken alle die Hälse und sehen hinter
+ihnen her. Es ist, um in die Erde zu sinken.
+</p>
+
+<p>
+Ansas dagegen fürchtet sich nicht im mindesten.
+Er findet auch gleich einen leeren Tisch, wischt
+mit dem Schnupftuch den Staub von den Stühlen
+und befiehlt einem feinen deutschen Herrn, ihm
+und ihr Kaffee und Kuchen zu bringen. Genau
+so, wie es die anderen machen.
+</p>
+
+<p>
+So ein mutiger Mann ist der Ansas. Man
+<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a>
+fühlt sich gut geborgen bei ihm, und alle die Angst
+war ein Unsinn.
+</p>
+
+<p>
+Nicht weit von ihnen ist eine kleine Halle aufgebaut
+mit dünnen Eisenständern und einem
+runden Dachchen darauf. Die füllt sich mit hellblauen
+Soldaten. O Gott, so vielen und blanken
+Soldaten! Während es doch sonst nur drei oder
+vier schmutzige Vagabunden sind, die Musik
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst kommt ein Stück, das heißt &bdquo;Der
+Rosenwalzer&ldquo;. So steht auf einem Blatt zu
+lesen, das Ansas von dem Kassierer gekauft hat.
+Wie das gespielt wird, ist es, als flöge man gleich
+in den Himmel. Dicht vor den Musikern haben
+sich zwei Kinderchen gegenseitig um den Leib
+gefaßt und drehen sich im Tanze. Da möchte
+man gleich mittanzen.
+</p>
+
+<p>
+Und hat sich doch vor einer Stunde noch in
+Todesnöten gewunden!
+</p>
+
+<p>
+Wie das Stück zu Ende ist, klatschen alle, und
+auch die Indre klatscht.
+</p>
+
+<p>
+Rings wird es still, und die Kaffeetassen
+klappern.
+</p>
+
+<p>
+Ansas sitzt da und rührt sich nicht. Wie sie
+ihn etwas fragen will &mdash; so gut ist sie schon wieder
+mit ihm &mdash;, da macht er ihr ein heimliches
+Zeichen nach links hin: sie soll horchen.
+</p>
+
+<p>
+Am Nebentisch sprechen ein Herr und Dame
+von ihr.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a>
+&bdquo;Wenn eine Litauerin hübsch ist, ist sie viel
+hübscher als wir deutschen Frauen,&ldquo; sagt die
+Dame.
+</p>
+
+<p>
+Und der Herr sagt: &bdquo;In ihrer blassen Lieblichkeit
+sieht sie aus wie eine Madonna von &mdash; &mdash;&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun kommt ein Name, den sie nicht versteht.
+Auch was das ist: &bdquo;Madonna&ldquo;, weiß sie
+nicht. Für ihr Leben gern hätte sie den Ansas
+gefragt, der alles weiß, aber sie schämt sich.
+</p>
+
+<p>
+Da fängt sie einen Blick des Ansas auf, mit
+dem er gleichsam zu ihr in die Höhe schaut,
+und nun weiß sie, was sie schon im Laden
+geahnt hat: er ist stolz auf sie, und sie braucht
+nie mehr Angst zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Dann hört die Pause auf, und es kommt ein
+neues Stück. Das heißt &bdquo;Zar und Zimmermann&ldquo;.
+Der Zar ist der russische Kaiser. Daß
+man von <em>dem</em> Musik macht, läßt sich begreifen.
+Warum aber ein Zimmermann zu solchen Ehren
+kommt, ein Mensch, der schmutzige Pluderhosen
+trägt und immerzu Balken abmißt, bleibt ein
+Rätsel.
+</p>
+
+<p>
+Dann kommt ein drittes Stück, das wenig
+hübsch ist und bloß den Kopf müde macht. Das
+hat sich ein gewisser Beethoven ausgedacht.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann kommt etwas! Daß es so was
+Schönes auf Erden gibt, hat man selbst im Traum
+nicht für möglich gehalten. Es heißt: &bdquo;Die Post
+im Walde&ldquo;. Ein Trompeter ist vorher weggegangen
+<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a>
+und spielt die Melodie ganz leise und
+sehnsüchtig von weit, weit her, während die
+andern ihn ebenso leise begleiten. Man bleibt
+gar nicht Mensch, wenn man das hört! Und weil
+die Fremden, die Deutschen, ringsum nicht sehen
+dürfen, wie sie sich hat, springt sie rasch auf und
+eilt durch den Haufen, der die Kapelle umgibt,
+und an vielen Tischen vorbei dorthin, wo es
+einsam ist und wo hinter den Bäumen versteckt
+noch leere Bänke stehen.
+</p>
+
+<p>
+Dort setzt sie sich hin, schiebt das neue Kopftuch
+aus den Augen, damit es nicht naß wird,
+und weint, und weint sich all die &mdash; ach, all die
+ausgestandene Angst von der Seele.
+</p>
+
+<p>
+Und dann setzt sich einer neben sie und nimmt
+ihre Hand. Sie weiß natürlich, daß es der Ansas
+ist, aber sie ist vor Tränen ganz blind. Sie lehnt
+den Kopf an seine Schulter und sagt immer
+schluchzend: &bdquo;Mein Ansuttis, mein Ansaschen,
+bitte, bitte, tu mir nichts, tu mir nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß, daß er ihr nun nichts mehr tun
+wird, aber sie kann nicht anders &mdash; sie muß immerzu
+bitten.
+</p>
+
+<p>
+Er zittert am ganzen Leibe, hält ihre Hand
+fest und sagt ein Mal über das andere: &bdquo;Was
+redest du da nur? Was redest du da nur?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Noch ist es nicht gut. Ehe du es
+nicht gestehst, ist es noch nicht ganz gut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Ich habe nichts zu gestehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a>
+Und sie streichelt seinen Arm und sagt: &bdquo;Du
+wirst es schon noch gestehen. Ich weiß, daß du
+es gestehen wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er bleibt immer noch dabei, daß er nichts zu
+gestehen hat, und sie gibt sich zufrieden. Nur
+wenn sie daran denkt, daß daheim im Dorf die
+Busze sitzt und lauert, läuft es ihr ab und zu
+kalt über den Rücken.
+</p>
+
+<p>
+Mit ineinandergelegten Händen gehen sie
+zu ihrem Tische zurück und kümmern sich nicht
+mehr um die Leute, die nicht satt werden können,
+ihnen nachzusehen.
+</p>
+
+<p>
+Und weil nun ringsum die Kaffeetassen verschwunden
+sind und statt ihrer Biergläser stehen,
+bestellt sich Ansas auch was bei dem feinen
+Herrn &mdash; aber kein Bier bestellt er, sondern
+eine Flasche süßen Muskatwein, wie ihn die
+Litauer lieben.
+</p>
+
+<p>
+Und beide trinken und sehen sich an, bis
+Indre sich ein Herz faßt und ihn fragt: &bdquo;Mein
+Ansaschen, was heißt das &mdash; eine Madonna?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So nennt man die katholische heilige Jungfrau,&ldquo;
+sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Sie zieht die Lippen hoch und sagt verächtlich:
+&bdquo;Wenn&rsquo;s weiter nichts ist.&ldquo; Denn die Neidischen,
+die sie ärgern wollten, haben sie schon als
+Mädchen so genannt, und sie ist doch stets eine
+fromme Lutheranerin gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie trinken immer noch mehr, und Indre
+<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a>
+fühlt, daß sie rote Backen bekommt, und weiß
+sich vor Fröhlichkeit gar nicht zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich fällt dem Ansas ein: &bdquo;O Gott &mdash;
+die Eisenbahn! Und die Uhr ist gleich sechse!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er ruft den feinen Herrn herbei und bezahlt
+mit zwei harten Talern. Dann fragt er noch
+nach dem kürzesten Wege zum Bahnhof. Aber
+wie sie nun eilends dorthin laufen wollen, ergibt
+es sich, daß sie nicht mehr ganz gerade stehen
+können.
+</p>
+
+<p>
+Die Leute lachen hinter ihnen her, und die
+Dame am Nebentisch sagt bedauernd: &bdquo;Daß
+diese Litauer sich doch immer betrinken müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Hätte sie gewußt, <em>was</em> hier gefeiert wird,
+so hätte sie&rsquo;s wohl nicht gesagt.
+</p>
+
+<p>
+Die Straße zum Bahnhof führt ziemlich nah
+an den Schienen entlang. Sie laufen und lachen
+und laufen.
+</p>
+
+<p>
+Da mit einmal macht es irgendwo: &bdquo;Puff,
+puff, puff.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+O Gott &mdash; was für ein Ungeheuer kommt
+dort an! Und geradeswegs auf sie zu.
+</p>
+
+<p>
+Indre kriegt den Ansas am Ärmel zu packen
+und fragt: &bdquo;Ist sie das?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, das ist sie.
+</p>
+
+<p>
+Wie kann es bloß so viel Scheußlichkeit geben!
+Der Pukys mit dem feurigen Schweif und der
+andere Drache, der Atwars, sind gar nichts dagegen.
+Sie schreit und hält sich die Augen zu
+<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a>
+und weiß nicht, ob sie weiterlachen oder noch
+einmal losweinen soll. Aber da der Ansas sie
+beschützt, entscheidet sie sich fürs Lachen und
+nimmt die Schürze vom Gesicht und macht:
+&bdquo;Puff, Puff.&ldquo; Genau so kindisch, wie die Elske
+machen würde, wenn sie den Drachen sähe, mit
+dem die Leute spazieren fahren.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wohin fahren sie?&ldquo; fragt sie dann, als die
+letzten Wagen vorbei sind.
+</p>
+
+<p>
+Und Ansas belehrt sie: &bdquo;Zuerst nach Insterburg
+und dann nach Königsberg und dann immer
+weiter bis nach Berlin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wollen wir nicht auch nach Berlin fahren?&ldquo;
+bittet sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn alles geordnet ist,&ldquo; sagt er, &bdquo;dann
+wollen wir nach Berlin fahren und den Kaiser
+sehen.&ldquo; Dabei wird er mit einmal steinernst, als
+ob er ein Gelübde tut.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, wie ist das Leben schön!
+</p>
+
+<p>
+Und das Leben wird immer noch schöner.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie auf dem Wege zur inneren Stadt
+an dem &bdquo;Anger&ldquo; vorbeikommen, jenem großen,
+häuserbestandenen Sandplatz, auf dem die Vieh-
+und Pferdemärkte abgehalten werden, da hören
+sie aus dem Gebüsch, das den einrahmenden Spazierweg
+umgibt, ein lustiges Leierkastengedudel
+und sehen den Glanz von Purpur und von Flittern
+durch die Zweige schimmern.
+</p>
+
+<p>
+Nun möchte ich den Litauer kennen lernen,
+<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a>
+der an einem Karussell vorbeigeht, ohne begierig
+stehen zu bleiben.
+</p>
+
+<p>
+Die Sonne ist zwar bald hinter den Häusern,
+und morgen früh will Ansas beim Kuhfuttern
+sein, aber was kann der kleine Umweg viel
+schaden, da man ja so wie so an vierzehn Stunden
+kreuzen muß.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie das runde, sammetbehangene
+Tempelchen vor sich sehen, dessen Prunksessel
+und Schlittensitze nur auf sie zu warten scheinen,
+da weist Ansas mit einmal fast erschrocken nach
+dem Leinwanddache, auf dessen Spitze ein goldener
+Wimpel weht.
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß nicht, was sie da kucken soll.
+</p>
+
+<p>
+Er vergleicht den Wimpel mit den Wetterfahnen
+rings auf den Dächern. Es stimmt! Der
+Wind ist nach Süden umgeschlagen &mdash; und das
+Kreuzen unnötig geworden. In sieben Stunden
+kann der Kahn zu Hause sein.
+</p>
+
+<p>
+Also &rsquo;rauf auf die Pferde! Die Indre wehrt
+sich wohl ein bißchen &mdash; eine Mutter von drei
+Kindern, wo schickt sich das? Aber in Tilsit kennt
+sie ja keiner. Also, fix, fix &rsquo;rauf auf die Pferde,
+sonst geht&rsquo;s am Ende noch los ohne sie beide.
+</p>
+
+<p>
+Und sie reiten und fahren und reiten wieder,
+und dann fahren sie noch einmal und noch einmal,
+weil sie zum Reiten schon lange zu schwindlig
+sind. Die ganze Welt ist längst eine große Drehscheibe
+geworden, und der Himmel jagt rückwärts
+<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a>
+als ein feuriger Kreisel um sie herum. Aber sie
+fahren noch immer und singen dazu:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Tilschen, mein Tilschen, wie schön bist du doch!</p>
+ <p class="verse">Ich liebe dich heute wie einst!</p>
+ <p class="verse">Die Sonne wär&rsquo; nichts wie ein finsteres Loch,</p>
+ <p class="verse">Wenn du sie nicht manchmal bescheinst.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Und die umstehenden Kinder, die schon dreimal
+Freifahrt gehabt haben, singen dankbar mit,
+obwohl sie Text und Weise nicht begreifen können.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich wird der Indre übel. Sie
+<em>muß</em> ein Ende machen, ob sie will oder nicht.
+Und nun stehen sie beide lachend und betäubt
+unter den johlenden Kindern und streuen in die
+ausgestreckten Hände die Krümel der Konditorkuchen,
+die sie aus Versehen längst plattgesessen
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Ja, so schön kann das Leben sein, wenn man
+sich liebt und Karussell dazu fährt!
+</p>
+
+<p>
+Dann nehmen sie Abschied von den Kindern
+und den Kindermädchen, von denen etliche sie
+noch ein Ende begleiten. Um ihnen den Weg
+zu zeigen, sagen sie, aber in Wahrheit wollen
+sie bei Gelegenheit noch ein Stück Kuchen erraffen.
+Und sie hätten auch richtig was gekriegt,
+wenn sie bis zur Dekominschen Konditorei ausgehalten
+hätten. Aber die liegt ja, wie wir wissen,
+am andern Ende der Stadt.
+</p>
+
+<p>
+Daselbst lassen sie beide sich noch einmal ein
+schönes Paketchen zurechtmachen, aber diesmal
+<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a>
+sucht die Indre aus. Der Ansas bestellt derweilen
+noch zwei Gläschen von dem klebrigen
+Rosenlikör und nimmt zur Sicherheit für vorkommende
+Fälle gleich die ganze Flasche mit.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie zu ihrem Kahn hinabsteigen, ist die
+Sonne längst untergegangen. Aber das macht
+nichts, denn der Südwind hält fest, und der
+Mond steht schon bereit, um ihnen zu leuchten.
+</p>
+
+<p>
+Unter solchen Umständen ist ja die Fahrt
+ein Kinderspiel.
+</p>
+
+<p>
+Ansas schöpft mit der Pilte das Wasser aus,
+damit die Bodenbretter hübsch trocken sind, wenn
+die Indre sich etwa langlegen will. Aber sie will
+nicht. Sie setzt sich auf ihren alten Platz vorn
+auf die Paragge, damit sie dem Ansas zusehen
+und sich im stillen an ihm freuen kann.
+</p>
+
+<p>
+Und dann geht es los.
+</p>
+
+<p>
+Die Ufer werden dunkler, und eine große
+Stille breitet sich aus. Sie muß immerzu daran
+denken, in welcher Angsthaftigkeit das Herz
+sie drückte, als sie vor acht Stunden desselben
+Weges fuhr, und wie leicht sie jetzt Atem holen
+kann.
+</p>
+
+<p>
+Sie möchte am liebsten ein Dankgebet
+sprechen, aber sie will es nicht allein tun, denn
+er gehört ja wieder zu ihr ... und nötig hat er
+es auch.
+</p>
+
+<p>
+Aber er hat jetzt nur Blick für Segel und
+Steuer, denn die Brückenpfeiler sind da und
+<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a>
+viele Kähne, die auf beiden Seiten vor Anker
+liegen.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal nickt er ihr freundlich zu. Das ist
+alles.
+</p>
+
+<p>
+Alsdann breitet sich der Strom, und der
+Mond fängt zu scheinen an. Die Wellchen sind
+ganz silbern in der Richtung auf ihn zu und
+setzen sich und fliegen auf wie kleine weiße Vögelchen.
+</p>
+
+<p>
+Sie kann den Ansas gut erkennen, er sie aber
+nicht, denn der Mond steht hinter ihr. Darum
+sagt er auch plötzlich: &bdquo;Warum sitzt du so weit
+von mir weg?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich sitze da, wo ich bei der Hinfahrt gesessen
+hab&rsquo;,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hinfahrt und Rückfahrt sind so verschieden
+wie Tag und Nacht,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Und sie denkt: &bdquo;Bloß daß jetzt Tag ist und
+damals Nacht war.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darum komm herüber und setz dich neben
+mich,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie gerne sie das tut!
+</p>
+
+<p>
+Aber als sie ihm näher kommt, da fällt
+ihr Blick auf die Sackleinwand, die zwischen
+seinen Füßen liegt und die sie bisher nicht bemerkt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie die wiedersieht, wird ihr ganz schlecht.
+Sie sinkt auf die Mittelbank nieder und lehnt
+ihren Rücken gegen den Mast.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a>
+&bdquo;Warum kommst du nicht?&ldquo; fragt er fast
+unwirsch.
+</p>
+
+<p>
+Nun weiß sie nicht, was sie tun soll. Soll
+sie ihn fragen, soll sie&rsquo;s mit Stillschweigen übergehen?
+Aber das weiß sie: dorthin, wo prall
+und rund der Sack liegt, um dessen Inhalt er
+sie belügt, dorthin kann sie die Füße nicht setzen.
+Sie würde glauben, auf ein Nest von Schlangen
+zu treten.
+</p>
+
+<p>
+Und da kommt ihr der Gedanke, Klarheit
+zu schaffen über das, was gewesen ist. Jetzt
+gleich im Augenblick. Denn später kommt sie
+vielleicht nie.
+</p>
+
+<p>
+Sie faßt sich also ein Herz.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du mir nicht sagen, mein Ansaschen,
+was du in der Sackleinwand hast?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fährt hoch, als hätte ihn eine aus dem
+Schlangennest in den Fuß gebissen, aber er
+schweigt und wendet den Kopf weg. Sie kann
+sehen, wie er zittert.
+</p>
+
+<p>
+Da erhebt sie sich und legt die Hand auf seine
+Schulter, aber sie hütet sich wohl, der Sackleinwand
+zu nahe zu kommen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Ansaschen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;es ist ja jetzt
+wieder ganz gut zwischen uns, aber ehe du nicht
+alles gestehst, geht die Erinnerung an das Böse
+nicht weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er bleibt ganz still, aber sie fühlt, wie es ihn
+schüttelt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a>
+&bdquo;Und dann, mein Ansaschen,&ldquo; sagt sie weiter,
+&bdquo;geht es auch wegen des lieben Gottes nicht
+anders. Ich hab&rsquo; vorhin beten wollen, aber die
+Worte blieben mir im Halse. Denn du standest
+mir nicht bei. Darum sag es schon, und dann
+beten wir beide zusammen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fällt er vor ihr auf seine Kniee, schlingt
+die Arme um ihre Kniee und gesteht alles.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein armes Ansaschen,&ldquo; sagt sie, als er zu
+Ende ist, und streichelt seinen Kopf. &bdquo;Da müssen
+wir aber <em>tüchtig</em> beten, damit der liebe Gott
+uns verzeiht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie läßt sich neben ihm auf die Kniee
+nieder, faltet ihre Hände mit den seinen zusammen,
+und so beten sie lange. Nur manchmal
+muß er nach dem Steuer sehen, und dann wartet
+sie, bis er fertig ist.
+</p>
+
+<p>
+Zum Schluß segnet sie ihn, und er segnet sie,
+und dann stehen sie wieder auf und sind guter
+Dinge.
+</p>
+
+<p>
+Nur was in der Sackleinwand ist, hat er vergessen
+zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie zeigt darauf hin und will es wissen.
+</p>
+
+<p>
+Aber er wendet sich ab. Er schämt sich zu
+sehr.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt sie: &bdquo;Ich werde selber öffnen.&ldquo;
+Und er wehrt ihr nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie den Sack aufreißt, was findet
+sie da? Zwei Bündel grüne Binsen findet sie,
+<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a>
+mit Bindfaden aneinander gebunden. Weiter
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+Sie lacht und sagt: &bdquo;Ist das die ganze Zauberei?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er schämt sich noch immer.
+</p>
+
+<p>
+Da errät sie langsam, daß er damit nach dem
+Umschlagen des Kahnes hat davonschwimmen
+wollen, wie die Schuljungens tun, wenn sie im
+tiefen Wasser paddeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Solch ein Lunterus bin ich geworden!&ldquo; sagt
+er und schlägt sich mit den Fäusten vor die Brust.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie lächelt und sagt: &bdquo;Pfui doch, Ansaschen,
+der Mensch soll sich nicht <em>zu</em> hart schimpfen,
+sonst macht er sich selber zum Hundsdreck.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so hat sie ihm nicht nur verziehen, sondern
+richtet auch seine Seele wieder auf. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie sie sich neben ihn setzt &mdash; denn er will
+sie nun ganz nahe haben &mdash;, da merkt sie, daß
+sie mit ihrem Leibe den Gang des Steuers behindert,
+darum breitet sie zu seinen Füßen das
+weiße Reisetuch aus, das sie im vorderen Abschlag
+verwahrt hat, und legt sich darauf &mdash; doch so, daß
+ihr Kopf auf seine Knie zu liegen kommt. Und
+nun ist es genau so wie damals in Ibenhorst,
+als die Elske noch unterwegs war.
+</p>
+
+<p>
+Und so fahren sie dahin und wissen vor Glück
+nicht, was sie zueinander reden sollen.
+</p>
+
+<p>
+Von den Uferwiesen her riecht das Schnittgras
+&mdash; man kann den Thymian unterscheiden
+<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a>
+und das Melissenkraut, auch den wilden Majoran
+und das Timotheegras &mdash; und was sonst noch
+starken Duft an sich hat ... Der Stromdamm
+zieht vorüber wie ein grünblaues Seidenband.
+Nur wo zufällig der Rasen den Abhang hinuntergeglitten
+ist, da leuchtet er wie ein Schneeberg.
+Und der Mondnebel liegt auf dem Wasser, so daß
+man immer ein wenig aufpassen muß.
+</p>
+
+<p>
+Außer den plumpsenden Fischchen, die nach
+den Mücken jagen, ist nicht viel zu hören. Nur
+die Nachtvögel sind immer noch wach. Kommt
+ein Gehölz oder ein Garten, dann ist auch die
+Nachtigall da und singt ihr: &bdquo;Jurgut &mdash; jurgut &mdash;
+jurgut &mdash; wa&#382;ok, wa&#382;ok, wa&#382;ok&ldquo; ... Und der
+Wachtelmann betet sein Liebesgebet: &bdquo;Garbink
+Diewa&ldquo;. Sogar ein Kiebitz läßt sich noch ab und
+zu hören, obgleich der doch längst schlafen müßte.
+</p>
+
+<p>
+Und dann kommt mit einemmal Musik. Das
+sind die Dzimken, die ihre Triften während der
+Nacht am Ternpfahl festbinden müssen. Aber
+Gott weiß, wann die schlafen! Bei Tage rudern
+sie und singen, und bei Nacht singen sie auch.
+</p>
+
+<p>
+Ihr Feuerchen brennt, und dann liegen sie
+ringsum. Einer spielt die Harmonika, und sie
+singen.
+</p>
+
+<p>
+Da hört man auch schon das hübsche Liedchen
+&bdquo;Meine Tochter Symonene,&ldquo; das jeder kennt,
+in Preußen wie im Russischen drüben. Ja, ja,
+die Symonene! Die zu einem Knaben kam und
+<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a>
+wußte nicht wie! Das kann wohl mancher so
+gehen. Aber der Knabe ist schließlich ein Hetman
+geworden, wenigstens hat die Symonene
+es so geträumt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Willus muß ein Pfarrer werden,&ldquo;
+bittet die Indre schmeichelnd zu Ansas empor.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Willus wird ein Pfarrer werden,&ldquo; sagt
+er ganz feierlich, und die Indre freut sich. Denn
+was in solcher Stunde versprochen wird, das erfüllt
+sich gleichsam von selber.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie an dem Floß vorbei, und bald
+kommt ein nächstes. Darauf spielt einer gar die
+Geige. Und die andern singen:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Unterm Ahorn rinnt die Quelle,</p>
+ <p class="verse">Wo die Gottessöhne tanzen</p>
+ <p class="verse">Nächtlich in der Mondenhelle</p>
+ <p class="verse">Mit den Gottestöchtern.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Ansas und Indre singen mit. Die Dzimken
+erkennen die Frauenstimme und rufen ihnen
+ein &bdquo;<span class="antiqua">Labs wakars!</span>&ldquo; zu. Zum Dank für den Gutenachtgruß
+will Ansas ihnen was Freundliches
+antun und läßt sich die Mühe nicht verdrießen, das
+Segel einzuziehen und an dem Floß anzulegen.
+</p>
+
+<p>
+Nun kommen sie alle heran &mdash; es sind ihrer
+fünfe &mdash;, und der Jude, dem die Trift gehört,
+kommt auch.
+</p>
+
+<p>
+Ansas schenkt jedem etwas von dem Rosenlikör
+ein, und sie erklären, so was Schönes noch
+nie im Leben getrunken zu haben.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a>
+Und dann singen sie alle zusammen noch
+einmal das Lied von den Gottestöchtern, von
+dem Ring, der in die Tiefe fiel, und den zwei
+Schwänen, die das Wasser getrübt haben sollen.
+</p>
+
+<p>
+Zum Abschied reicht Ansas allen die Hand,
+und die Indre auch. Und der Jude wünscht
+ihnen &bdquo;noch hundert Johr&ldquo;!
+</p>
+
+<p>
+Wären&rsquo;s bloß hundert Stunden gewesen,
+der Ansas hätt&rsquo; sie brauchen können.
+</p>
+
+<p>
+Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal
+hervorgeholt ist, wäre es unklug gewesen,
+sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und
+zu einen Tropfen und werden immer glücklicher.
+</p>
+
+<p>
+Noch an mancher Trift kommen sie vorbei
+und singen mit, was sie nur singen können, aber
+halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör
+ihnen zu schade.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal will auch der Schlaf sie befallen,
+aber sie wehren sich tapfer. Denn sonst &mdash; weiß
+Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben!
+</p>
+
+<p>
+Nur eins darf der Ansas sich gönnen &mdash; nämlich
+von dem Abschlag hernieder auf die Bodenbretter
+zu gleiten. So kann er die Indre in
+seinem linken Arm halten und mit dem rechten
+das Steuer versehen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner
+Brust und denkt selig: &bdquo;Der Endrik &mdash; und die
+Elske &mdash; und der Willus &mdash; und nun sind wir
+alle fünfe wieder eins.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a>
+Mit einmal &mdash; sie wissen nicht wie &mdash; ist Ruß
+da. Sie erkennen es an dem Brionischker Schornstein,
+der wie ein warnender Finger zu ihnen
+sagt: &bdquo;Paßt auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Dzimken, die dort mit ihren Triften
+liegen, sind nun richtig schlafen gegangen. Auch
+ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die
+tausendmal stilleschweigen, was macht es aus?
+Von Ruß gibt es ein hübsches Liedchen:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Zwei Fischer waren,</p>
+ <p class="verse">Zwei schöne Knaben,</p>
+ <p class="verse">Aus Ruß gen Westen</p>
+ <p class="verse">Zum Haff gefahren.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Das singen sie aus voller Kehle, und um
+hernach die Kehle anzufeuchten, wollen sie noch
+einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen,
+aber siehe da, &mdash; die Flasche ist leer.
+</p>
+
+<p>
+Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird
+immer zärtlicher.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, liebes Ansaschen,&ldquo; bittet die Indre,
+&bdquo;gleich kommt der große Ellbogen, und dann geht
+es westwärts, bis dahin mußt du hübsch artig sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist
+auch schon der blanke Szieszefluß, da wo die
+Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine
+mehr an und steuert nach links. Es geht zwar
+schwer, aber es geht doch noch immer.
+</p>
+
+<p>
+Bis nach Windenburg hin, die anderthalb
+Meilen, läuft der Strom nun so schnurgerade,
+<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a>
+wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man
+hinter der Mündung der Mole ein wenig auszuweichen
+braucht.
+</p>
+
+<p>
+Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche
+Stelle ist, dort, wo gerade bei Südwind der
+Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff
+seitlich stark einsetzt, dort muß man die Sinne
+doppelt beisammen halten &mdash; aber bis dahin
+ist noch lange, lange &mdash; &mdash; ach, wie lange Zeit!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich
+vergeben hast, dann mußt du&rsquo;s mir auch
+beweisen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen, du mußt aufpassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach was, aufpassen!&ldquo; Wenn man so lange
+blind und verhext neben der Besten, der Schönsten,
+neben einer Gottestochter dahergegangen ist
+und die Augen sind wieder aufgetan, was heißt
+da aufpassen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Meine</em> Indre!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Mein</em> Ansaschen!&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit wieder
+nebeneinander, und der Kahn fährt dahin, als
+säße die Laime selber am Steuer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen &mdash; aber nicht einschlafen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, wo werd&rsquo; ich einschlafen.&ldquo; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen &mdash; wer einschläft, den muß der
+andere wecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl &mdash; den &mdash; muß &mdash; der andere
+wecken.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a>
+&bdquo;Ansaschen, du schläfst!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer so was &mdash; sagen kann, &mdash; der schläft &mdash;
+selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ansaschen, wach auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich wach&rsquo;. Wachst du?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so schlafen sie ein.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett.
+Sie weckt also ihren Mann und sagt: &bdquo;Doczys,
+steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?&ldquo;
+fragt der Doczys, sich den Schlaf aus den Augen
+reibend. &bdquo;Fischen tu&rsquo; ich erst morgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Indre hat solche Reden geführt,&ldquo; sagt
+die Doczene, &bdquo;es ist besser, wir fahren ihnen
+entgegen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und
+setzt die Segel.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es
+schon Tag, und der Frühnebel liegt so dicht,
+daß sie keine Handbreit vorauf sehen können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wohin soll ich fahren?&ldquo; fragt der Doczys.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach Windenburg zu,&ldquo; bestimmt die Doczene.
+</p>
+
+<p>
+Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen
+entgegen, und sie müssen kreuzen.
+</p>
+
+<p>
+Da, mit einmal horcht die Doczene hoch auf.
+</p>
+
+<p>
+Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel
+gedrungen &mdash; eine Frauenstimme.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a>
+&bdquo;Gerade drauf zu!&ldquo; schreit die Doczene.
+Aber er muß ja kreuzen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kommen schließlich doch näher &mdash; ganz
+nahe kommen sie.
+</p>
+
+<p>
+Da finden sie die Indre auf dem Wasser
+liegen, wie die Wellen sie auf und nieder schaukeln.
+</p>
+
+<p>
+Wie hat es zugehen können, daß sie <em>nicht</em>
+ertrunken ist?
+</p>
+
+<p>
+Rechts und links von ihrer Brust ragen halb
+aus dem Wasser zwei Bündel von grünen Binsen,
+die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken
+zusammengebunden.
+</p>
+
+<p>
+Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit
+immerzu: &bdquo;Rettet den Ansas! Rettet den
+Ansas!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja &mdash; wo ist der Ansas?
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder
+hochgekommen ist, da hat sie seine Hände gefühlt,
+wie er wassertretend die Binsen an ihr befestigte.
+Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm.
+</p>
+
+<p>
+Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie
+finden ihn nicht. Nur den umgeschlagenen Kahn
+finden sie. An dem hätte er sich wohl halten
+können, aber er ist ihm sicher davongeschwommen,
+dieweil er die Binsen an Indres Leibe
+befestigte.
+</p>
+
+<p>
+Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre
+liegt auf den Knieen und betet um ein Wunder.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a>
+Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei
+Tage später lag er oberwärts friedlich am
+Strande.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Neun Monate nach dem Tode des Ansas
+gebar ihm die Indre einen Sohn. Er wurde
+nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas,
+das heißt &bdquo;Abschluß&ldquo; benannt. Doch weil der
+Name ungebräuchlich ist, hat man ihn meistens
+nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein
+ansehnlicher Mann.
+</p>
+
+<p>
+Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft
+in gutem Stande, die Elske hat einen wohlhabenden
+Besitzer geheiratet, und der Willus
+ist richtig ein Pfarrer geworden. Seine Gemeinde
+sieht in ihm einen Abgesandten des
+Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt
+im Ausgedinge bei dem ältesten Sohn. Wenn
+sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie
+weiß, daß sie nun bald im Himmel mit Ansas
+vereint sein wird, denn Gott ist den Sündern
+gnädig.
+</p>
+
+<p>
+Und also gnädig sei er auch uns!
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-3">
+<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a>
+Miks Bumbullis
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-3-1">
+<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer
+gegangen, hatten sich dann beim
+Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten,
+wie das junger Menschenkinder gutes Recht ist,
+und als sie sich dem Försterhause näherten, verschämt
+und verstohlen, da war es fast schon heller
+Tag.
+</p>
+
+<p>
+Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe
+im Wohnzimmer des Herrn noch brannte. Er
+winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins
+Haus zu schleichen, und tat so, als sei er schon
+bei der Arbeit. Er machte sich an dem Holzlager
+zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche
+Erlenkloben zwecklos übereinander.
+</p>
+
+<p>
+Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des
+alten Hegemeisters auf sich zu lenken und der
+Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den
+er erwartet hatte, blieb aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,&ldquo;
+dachte er und setzte erleichtert die Pfeife in
+Brand.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a>
+Aber da sah er, wie vom Giebelende her die
+Eve mit heftigen Gebärden nach ihm zu rufen
+schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und
+erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie
+beim Nachsehen das Bettchen der kleinen Anikke
+leer gefunden habe.
+</p>
+
+<p>
+Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen
+Neffen, das der Alte zu sich genommen
+hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter
+aus Gram darüber dem Lungenhusten erlegen
+war. Als erster Gedanke stieg dem Grigas auf,
+daß nur eine der Laumen die Anikke entführt
+haben könne. Denn daß diese Feen sich mit dem
+Wegnehmen und Auswechseln von Kindern befassen,
+auch lange nachdem sie getauft sind, das
+weiß ja selbst der Dümmste.
+</p>
+
+<p>
+Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung
+war, wollte ihm nicht Recht geben. Die brennende
+Lampe &mdash; und die Stille im Haus &mdash; und dazu
+kam noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen
+bemerkt haben wollte: Das Fenster war geschlossen
+gewesen, aber in einer der Rauten hatten
+die Scherben gehangen.
+</p>
+
+<p>
+So faßte er sich denn ein Herz und machte
+sich dicht vor der erleuchteten Stube zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+Und beim Hineinschielen &mdash; was sah er da?
+Der alte Wickelbart lag auf dem Boden in seinem
+Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arme
+schlief das Kind.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a>
+Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen
+wieder lebendig. Sie wußten auch
+gleich, wer&rsquo;s getan hatte: &bdquo;Miks Bumbullis&ldquo;
+sagten sie fast in einem Atemzuge.
+</p>
+
+<p>
+Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei
+Tagen von dem alten Hegemeister abgefaßt worden,
+wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm
+und dazu ein &bdquo;<span class="antiqua">Tewe musso</span>&ldquo; betete. Denn
+das Vaterunser ist immer gut gegen das Abgefaßtwerden.
+Aber diesmal hatte es dem Miks
+nichts geholfen. Er hatte sogar noch seine Flinte
+hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht
+gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum,
+weil er genau wußte, daß sein Gefangener ihn
+während des Weges trotz seiner Schußwaffe überwältigen
+würde.
+</p>
+
+<p>
+Und nun hatte er doch daran glauben müssen.
+Denn mit dem Miks Bumbullis war nicht zu
+spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze
+ging, wo dem Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt
+wurde, wo man dem Juden den Schnaps
+auf die Straße goß, &mdash; der Miks war überall
+dabei. Nun gar das verdammte Wilddieben!
+</p>
+
+<p>
+Und er hätte es so gut haben können! Die
+Wirtstöchter weit und breit waren nach ihm aus.
+Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für
+eine! Mit einem Hof von hundertzwanzig Morgen.
+&mdash; Die hatte schon zweimal den Vermittler
+zu ihm geschickt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a>
+Aber er? Nun, da sah man&rsquo;s ja.
+</p>
+
+<p>
+Der Grigas und die Eve hoben das Kind
+aus dem starr gewordenen Arm, und als sie ihm
+das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe
+zogen, da wachte es nicht einmal auf.
+</p>
+
+<p>
+Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen
+und lächelte wie so ein Engelchen.
+</p>
+
+<p>
+Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den
+Leichnam abzuwaschen und auf die Totenbahre
+zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit
+noch ein, daß man jeden, der eines unnatürlichen
+Todes gestorben ist, liegen lassen muß, wie er
+gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht
+dagewesen sind. Und so geschah es auch.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-2">
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er
+trieb sich in den Krügen umher und erklärte in
+seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte,
+er sei von dem Hegemeister beklappt worden.
+Darum müsse er jetzt auf ein paar Jahr in die
+Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts.
+</p>
+
+<p>
+Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte,
+streckte er die Zunge aus und bestand darauf,
+daß der Krüger sich das Geld für die Zeche
+selber aus der Hosentasche hole, denn er müsse
+die kostbaren Armbänder schonen, die der Staat
+ihm geschenkt habe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a>
+Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit
+einem blonden Unschuldsgesicht. Trug das Haar
+noch von der Soldatenzeit her glatt an der Seite
+gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten
+Augen gelassen in die Runde.
+</p>
+
+<p>
+Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders,
+als der Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der
+alte Hegemeister habe es zwar schon lange auf
+ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen
+Mann würde er auch sicherlich auf ihn abgedrückt
+haben, das hätte die Ehre von ihm gefordert;
+den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer
+getan.
+</p>
+
+<p>
+Soweit war alles in Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten
+habe?
+</p>
+
+<p>
+Und nun kam die merkwürdige Wendung.
+</p>
+
+<p>
+Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue
+Flinte zu beschaffen. Wo, sage er nicht.
+</p>
+
+<p>
+Was er denn mit der Flinte habe anfangen
+wollen, da er doch sicher gewesen sei, alsbald
+verhaftet zu werden?
+</p>
+
+<p>
+Er habe über die Grenze gehen wollen, und
+da drüben müsse man immer was in der Hand
+haben.
+</p>
+
+<p>
+Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz,
+daß, wenn er nicht angeben wolle, <em>wo</em> er den
+Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als abgetan
+betrachten könne. Aber auch das half nichts.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a>
+Noch an demselben Tage wurde er zwischen
+zwei Gendarmen auf einen Bretterwagen gesetzt
+und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren.
+Das Publikum in Heydekrug sammelte
+sich am Wege und starrte ihn an. Das schien
+ihm großen Spaß zu machen.
+</p>
+
+<p>
+Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission
+mit der dienstfertigen Würde des
+guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug,
+als ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen
+Heimkunft abgefragt wurden.
+</p>
+
+<p>
+Der Tatbestand war klar. Der Bruch der
+Fensterscheibe schien auf einen Schrotschuß hinzuweisen,
+obwohl nur <em>eine</em> Wunde &mdash; dicht
+über dem Herzen &mdash; sich vorfand. Genaueres
+festzustellen blieb der Leichenöffnung vorbehalten.
+Fußspuren ließen sich nicht entdecken.
+</p>
+
+<p>
+Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt
+wurde, tasteten ein halbes Dutzend Augenpaare
+gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick,
+der so manches Geständnis aus der Seele
+reißt, verging ungenutzt. Ruhevoll &mdash; ein wenig
+neugierig fast &mdash; blickte Miks auf den liegenden
+Körper nieder und sah sich dann, als suche er
+irgend etwas, in der Stube um.
+</p>
+
+<p>
+Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch,
+ein kluger, kleiner Mann, der in der Seele des
+fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch eindrucksvoller
+übersetzte, verhallten ungehört.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a>
+&bdquo;Ich weiß von rein gar nuscht,&ldquo; blieb die
+einzige Antwort.
+</p>
+
+<p>
+Nur als hierauf die kleine Anikke weinend
+hereingeführt wurde, flog ein Schein wie von
+plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge
+&mdash; einen Augenblick nur &mdash;, dann war er wieder
+der alte.
+</p>
+
+<p>
+Aus dem Kinde ließ sich, wie natürlich, vor
+den fremden Männern nichts herausbringen.
+Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im
+Zwiegespräch ausgeplaudert hatte.
+</p>
+
+<p>
+Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor
+Angst nicht einschlafen können und immerzu geweint.
+Da sei der Großvater gekommen, habe
+sie aus dem Bettchen genommen und zu sich
+aufs Knie gesetzt. Mit einmal habe es draußen
+geknallt, der Großvater sei aufgesprungen, und
+dann habe er sich auf die Erde gelegt und
+sei eingeschlafen. Und dann sei auch sie eingeschlafen.
+</p>
+
+<p>
+Der Untersuchungsrichter wandte sich an
+Miks.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Als Sie auf den Hegemeister anlegten und
+das Kind auf seinem Schoß sitzen sahen, schlug
+Ihnen da nicht das Gewissen, daß Sie statt seiner
+das unschuldige Wesen treffen könnten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von rein gar nuscht,&ldquo; war wie
+immer die Antwort. Aber etwas wie ein
+Schlucken oder Schluchzen lag darin. Und als
+<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a>
+das Kind hinausgeführt wurde, sah er ihm mit
+einem Blick nach, wie der Hund nach der Wurst.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tag bequemte sich Miks zu dem
+Geständnis, wo er in der Johannisnacht eingebrochen
+war. Sonderbarerweise hatte er sich
+den Hof jener Witfrau ausgesucht, die seit eineinhalb
+Jahren auf ihn Jagd machte. Er habe
+gehört, daß ihr verstorbener Mann im Besitz
+einer Flinte gewesen sei, und die habe er sich
+holen wollen. Es sei aber nichts zu finden gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Woher er das Haus so genau kenne, daß er
+den Einbruch mit Aussicht auf Erfolg habe unternehmen
+können?
+</p>
+
+<p>
+Darauf blieb er die Antwort schuldig.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nun trat &mdash; vorgeladen &mdash; Frau Alute Lampsatis
+in die Erscheinung. Eine hübsche Dreißigerin
+mit breit ausladenden Hüften und einem sorgfältig
+weggeschnürten Busen. In dem roten,
+fleischigen Gesicht saß ein Paar unruhig sinnlicher
+Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuche
+glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor,
+obwohl das reiche rotblonde Haar keines
+Schmuckes bedurfte.
+</p>
+
+<p>
+In gebrochenem Deutsch, doch mit großem
+Wortschwall versicherte sie, sie sei eine anständige
+<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a>
+Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+</p>
+
+<p>
+Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte
+sie der Richter. Sie habe nur zu bezeugen, ob
+sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von
+einem bei ihr verübten Einbruche bemerkt habe.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige
+Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes
+nachsagen.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen,
+als daß er den Dolmetsch holen ließ, der sie in
+ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr
+die Lust zu Ausflüchten verging.
+</p>
+
+<p>
+Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre
+Nichte &mdash; die Madlyne &mdash;, als die vom Johannisfeuer
+gekommen sei, da habe sie einen Mann
+aus dem Fenster der Klete steigen sehen, der
+in der Richtung nach dem Walde verschwunden
+sei.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich
+an. Sie glaubten den Schlüssel zu den Aussagen
+der ehrbaren Witwe gefunden zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte
+gleich mitgebracht hatte. Sie wurde heraufgeholt
+und stellte sich als ein achtzehnjähriges Püppchen
+dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund.
+Sie war im Sonntagsstaat, trug eine
+grünseidene Schürze über der selbstgewebten
+Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus
+<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a>
+dem reichgestickten Mieder hervorquollen. Ein
+Bauernmädchen wie aus der Operette.
+</p>
+
+<p>
+Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn
+sie sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze,
+klare Antworten und konnte auf der Stelle vereidigt
+werden.
+</p>
+
+<p>
+Sie war &mdash; gleich Grigas und Eve &mdash; gegen
+Morgen vom Johannisfeuer gekommen &mdash;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Allein?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie senkte schämig die langwimprigen Lider.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ganz allein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&mdash; da habe sie schon von weitem den Hund
+bellen hören und sich darum hinter dem Zaun
+versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein
+Mann aus dem Fenster der &bdquo;Kleinen Stube&ldquo;
+gestiegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich denke, der Mann kam aus der Klete?&ldquo;
+fragte der Richter.
+</p>
+
+<p>
+Die Klete &mdash; der Raum, in dem die haltbaren
+Vorräte aufbewahrt werden &mdash; pflegt sich in
+älteren Wirtschaften unter einem gesonderten
+Dache zu befinden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ak nei, ak nei,&ldquo; versicherte Madlyne, und
+vor lauter Bekenntniseifer schoß ihr das Blut in
+das Wachspuppengesicht. &bdquo;Akkrat aus der Stubele
+is er gekommen, das kann ich beschwören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wo schläft deine Tante, Madlyne?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die schläft in der Stuba &mdash; der Großen
+Stube &mdash; das kann ich beschwören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a>
+Die Große und die Kleine Stube liegen stets
+auf derselben Seite des Hausflurs und sind durch
+eine Tür verbunden.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter und der Dolmetsch lächelten sich
+abermals an.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer
+Frau Alute wieder hereingerufen.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch
+die schwerwiegenden Folgen eines etwaigen
+Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den
+Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage
+Madlynens und dem, was sie von ihr erfahren
+haben wollte, bestand.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine
+anständige Besitzerin, und niemand könne ihr
+etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt
+auch der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber,
+der ihr sämtliche Höllenstrafen der Reihe nach
+vorführte.
+</p>
+
+<p>
+Der Richter glaubte, weil er Madlynens Umfall
+fürchtete, auf eine Gegenüberstellung der
+beiden Verwandten verzichten zu sollen, und
+beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen
+Einbruchs der Klärung näherzubringen.
+</p>
+
+<p>
+Ob sie eine Flinte im Hause habe.
+</p>
+
+<p>
+Sie verneinte heftig.
+</p>
+
+<p>
+Oder gehabt habe.
+</p>
+
+<p>
+Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes
+sei wohl ein Schießgewehr dagewesen, womit der
+<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a>
+Selige die Karekles &mdash; die jungen Krähen &mdash; von
+den Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann
+krank geworden sei, habe er es eines Tages an
+den Juden verkauft.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An welchen Juden?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das konnte sie natürlich nicht wissen. &bdquo;Der
+Jude ist der Jude, und einer sieht aus wie der
+andere.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit
+sorgsam umgangen hatte, hielt den
+Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten
+ins Treffen zu führen.
+</p>
+
+<p>
+Ob sie den Miks Bumbullis kenne.
+</p>
+
+<p>
+Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt
+oder auch nur befangen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht
+kennen. Er war ja mit ihrem seligen Mann immer
+zusammen über die Grenze gegangen.
+</p>
+
+<p>
+Der Dolmetsch sah den Richter verstehend
+an. Schmuggeln taten sie in den Grenzdörfern
+alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch.
+Der Miks konnte sich also wohl der Flinte
+erinnert haben, die sein ehemaliger Kumpan
+mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem
+Verkauf nichts wußte, durfte er mit etlichem
+Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt herumstand.
+</p>
+
+<p>
+Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem
+Hause gewesen sei.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a>
+Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal
+den seligen Mann des Abends abgeholt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wozu abgeholt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, über die Grenze zu gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals
+die Flinte aufbewahrt habe.
+</p>
+
+<p>
+Sie stutzte und besann sich, als wittere sie
+den heimlichen Zusammenhang der scheinbar
+ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fing sie an zu wehklagen und zog
+sich auf die Plattform der anständigen Besitzerin
+zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen
+könne.
+</p>
+
+<p>
+Von diesem Augenblick an war nichts mehr
+aus ihr herauszuholen. Auf ihre Vereidigung
+wurde verzichtet.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-4">
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Verhandlung vor dem Schwurgericht kam
+heran. Eine große Zeugenschar war aufgeboten.
+Das Bild des erschossenen Hegemeisters entwickelte
+sich als das eines rücksichtslos strengen
+Verfolgers, dem schon viele Rache geschworen
+hatten und dem es nie in den Sinn gekommen
+war, selbst harmlose Gelegenheitswilderer zu verschonen.
+So war zum Beispiel, wie sich zufällig
+herausstellte, auch der selige Mann der Frau
+Lampsatis durch ihn ins Gefängnis geraten. Der
+<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a>
+hatte also, wie es schien, seine Flinte nicht bloß
+zum Krähenschießen benutzt.
+</p>
+
+<p>
+Jedenfalls ließ die Wahrscheinlichkeit sich nicht
+übersehen, daß, wenn Miks ein leidliches Alibi
+beibringen konnte, statt seiner ein anderer als
+Täter in Frage kam.
+</p>
+
+<p>
+Er saß in seinem Sonntagsstaat schweigsam
+und häufig teilnahmlos auf der Armsünderbank.
+Weniger in seinen rosig gebliebenen Zügen als
+in den blaß hinstarrenden Augen malte sich die
+geistige Übermüdung, die diese des scharfen Denkens
+ungewohnten Naturkinder oft überfällt,
+wenn sie ihr Schicksal dem Spiel und Widerspiel
+der Zeugenschaften anheimgegeben sehen.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute, unter deren Kopftuch sich heute
+keine Schuhschnalle hervorschob, war wieder
+ganz gekränkte Unschuld, und Madlynens wippende
+Appetitlichkeit erregte ein wohlgefälliges
+Schmunzeln selbst bei den Greisen der Geschworenenbank.
+</p>
+
+<p>
+Zwischen den Aussagen der beiden Frauensleute
+ließ sich auch heute keine Einigung erzielen.
+Alute erinnerte sich aufs bestimmteste, daß ihre
+Nichte ihr am Morgen nach dem Einbruch erzählt
+hatte, der Mann, den sie gesehen habe,
+sei aus der Klete gekommen, und Madlyne behauptete,
+daß sie so etwas nie gesagt haben
+könne, denn es wäre ja nicht die Wahrheit
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a>
+Miks Bumbullis beschrieb nun selber den Weg,
+den er genommen haben wollte. Er habe die
+unverschlossene Haustür geöffnet, habe sich in die
+Große Stube hineingetastet &mdash;
+</p>
+
+<p>
+In der <em>Großen</em> Stube schlief Frau Alute!
+Sie hätte bei seinem Kommen erwachen müssen!
+</p>
+
+<p>
+Sie sei eben nicht erwacht. Dann habe er
+sich in die Kleine Stube geschlichen, habe Wände
+und Winkel abgetastet und sei schließlich, als das
+Gewehr nirgends zu finden gewesen, zum Fenster
+hinausgeklettert.
+</p>
+
+<p>
+Warum er nicht den bequemeren Rückweg
+durch Große Stube und Hausflur gewählt habe.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute habe sich in ihrem Bette gerührt.
+</p>
+
+<p>
+Das klang einigermaßen glaubhaft und
+stimmte mit Madlynens Aussage überein. Aber
+der Widerspruch zwischen dem, was sie ihrer
+Tante erzählt haben sollte und ihrer beschworenen
+Aussage klaffte noch immer. Und dann war
+auch noch der Vermittler da, der bezeugt hatte,
+daß er in Frau Alutes Auftrag zweimal bei Miks
+gewesen war, ihm ihre Hand anzubieten.
+</p>
+
+<p>
+Wie dem auch sein mochte, Frau Alute mußte
+vereidigt werden. Sie wurde noch einmal ausdrücklich
+ermahnt und streckte bereits die Schwurfinger
+in die Höhe, da geschah das Unerwartete,
+daß Miks in die Eidesworte hineinzusprechen
+anfing.
+</p>
+
+<p>
+Der Präsident herrschte ihn an, aber er sprach
+<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a>
+weiter. Schwerfällig, tropfenweise fielen die
+litauischen Worte aus seinem Munde.
+</p>
+
+<p>
+Frau Alute horchte hoch auf und &mdash; brach
+dann weinend zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Was er ihr gesagt hatte, wurde verdolmetscht
+und lautete: &bdquo;Ich habe dir zwar bei Gott und
+bei deinem Mann geschworen, auch vor Gericht
+nichts davon zu sagen, aber es ist doch besser,
+daß du deine Seele nicht mit einem Meineide
+beschwerst und mich aufs Schafott bringen läßt.
+Drum sage doch lieber die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Unter Schreien und Händeringen kam, was
+geschehen war, nunmehr ans Tageslicht.
+</p>
+
+<p>
+Alute Lampsatis lag abends halb eingeschlafen
+in ihrem Bette. Da wurde sie plötzlich durch
+Männerschritte aufgeschreckt, die im Hausflur
+näherkamen. Sie wußte, daß Schreien nichts
+helfen würde, denn Madlyne und die Magd und
+der Knecht waren zum Johannisfeuer gegangen.
+Da fing sie zu beten an und erwartete ihr Ende.
+Aber dann hörte sie plötzlich ihren Namen nennen
+und erkannte Miksens Stimme. &bdquo;Geh weg,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;wenn ich auch nach dir geschickt habe,
+ich bin eine anständige Besitzerin, und niemand
+soll mir was Schlechtes nachsagen können.&ldquo; &mdash; &bdquo;Ich
+will gar nicht bei dir schlafen,&ldquo; antwortete er,
+&bdquo;ich will bloß, daß du mir das Gewehr gibst,
+das deinem Mann gehört hat, denn der Hegemeister
+hat mir meines weggenommen.&ldquo; &mdash; &bdquo;Das
+<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a>
+Gewehr ist nicht mehr da,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und wenn
+es da wäre, würde ich es dir nicht geben, denn
+du willst damit bloß den Hegemeister umbringen.&ldquo;
+Das bestritt er, aber sie glaubte ihm nicht. Und
+als er sich daraufhin wieder entfernen wollte,
+sprang sie in ihrer Angst aus dem Bette und
+verlegte ihm den Weg. Da fühlte er, daß sie
+im Hemd war, und blieb bei ihr bis an den
+Morgen.
+</p>
+
+<p>
+Die große Spannung löste sich. Die Unschuld
+Miksens schien erwiesen. Und auch die Frage,
+warum er, da er doch mit Wissen der Wirtsfrau
+da war, statt einfach durch die Haustür zu gehen,
+durch das Kleinestubenfenster geklettert war,
+wurde nach einigem Zaudern und Drumherumreden
+hinreichend aufgeklärt. Man war des
+Glaubens gewesen, Madlyne sei inzwischen
+heimgekommen, und da ihre Kammer auf
+der anderen Seite des Hauses lag, hätten die
+Männerschritte im Hausflur ihr nicht entgehen
+können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das hättet ihr gleich sagen können,&ldquo; meinte
+der Vorsitzende. Und da auf weitere Zeugenvernehmungen
+verzichtet wurde, begann der
+Staatsanwalt gleich seine Rede.
+</p>
+
+<p>
+Alles übrige rollte ohne Kampf und Zwischenfälle
+wie von selber dem Richterspruche zu.
+Der Losmann Miks Bumbullis wurde von
+der Anklage des Mordes freigesprochen und
+<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a>
+wegen Wilderns zu zwei Jahren Gefängnis
+verurteilt.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis verzog keine Miene. Auch
+als Frau Alute, die sich inzwischen von ihren
+Schreikrämpfen erholt hatte, glückwünschend auf
+ihn zutrat, ging kein Lächeln über sein Gesicht.
+Sein Blick hing wie erstarrt an einem Platze der
+Zeugenbank, wo neben Eve, der Magd, schmutzig
+und abgerissen die kleine Anikke saß, an den grünen
+Äpfeln nagend, die eine der Dorffrauen ihr geschenkt
+hatte. Sie war der Vollständigkeit halber
+mit vorgeladen worden, und Eve hatte für sie
+ausgesagt.
+</p>
+
+<p>
+Als Miks abgeführt werden sollte &mdash; an Haftentlassung
+war natürlich nicht zu denken &mdash;,
+wandte er sich noch einmal nach dem Kinde
+um, als wollte er irgend etwas zu ihm hinübersagen.
+Aber der Gerichtsdiener stieß ihn hinaus.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Grabhügel des alten Hegemeisters begann
+zu verfallen, denn niemand war da, der sein
+Andenken hochhielt. Um das Schicksal der kleinen
+Anikke entspann sich ein Prozeß zwischen dem
+Forstfiskus und der Gemeinde, der ihr verschollener
+Vater angehört hatte. Beide wollten
+die Erziehungspflicht einander in die Schuhe
+schieben. Und da der Fiskus an allzuviel Gemüt
+<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a>
+nicht krankt und die Weitläufigkeit der Verwandtschaft
+zwischen dem Toten und dessen verwaistem
+Pflegling ihm als ausreichender Grund zustatten
+kam, so blieb die kleine Anikke als unwillkommener
+Gast an jener Gemeinde hängen, die ihrerseits
+froh war, sie für ein kleines Entgelt an den Ort
+abschieben zu können, an dem sie die letzte Zeit
+über gehaust hatte.
+</p>
+
+<p>
+So wurde sie eines Tages beim Ortsschulzen
+öffentlich versteigert und kam an den Mindestfordernden,
+den Häusler Kibelka, einen wenig
+vertrauenerweckenden Zeitgenossen, der die paar
+Groschen brauchte, um sie in Branntwein anzulegen.
+</p>
+
+<p>
+Wie so ein armes kleines Tierchen, von dem
+Gott und Menschheit die sorgenden Augen abgewandt
+haben, in seinem stummen Jammer
+leidet, das hat noch niemand erkannt und beschrieben,
+und niemand wird es je erkennen und
+beschreiben können. Was Hunger und Schmutz,
+was Prügel und Kälte, was vor allem das Fehlen
+jedes streichelnden Wortes in der noch nicht erschlossenen
+Seele ersticken und zerfressen, bis aus
+dem in unbewußter Zuversicht aufjauchzenden
+jungen Leben ein scheu zitterndes, in sich verkrochenes,
+kaum noch des Atmens fähiges Halbdasein
+geworden ist, das verliert sich in Dunkel
+und Schweigen. Alljährlich wird ein unermeßlicher
+Haufe von solchem Menschenkehricht ins
+<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a>
+Grab geschaufelt, wo es zu seinem Besten hingehört.
+Und nur wie durch ein Wunder senkt
+sich bisweilen von der Sonne eine Hand hernieder
+und hebt eins oder das andere der schon fast
+abgestorbenen Kümmerlinge zum Licht empor.
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn die Sonne nicht wäre! Und der
+Hofhund allenfalls!
+</p>
+
+<p>
+Neben dem Hofhund zu liegen und sich wie
+er von einem gutgesinnten Mittagssonnenschein
+sanft anwärmen zu lassen, bleibt schließlich das
+einzige Glück so eines glücklosen Schattengeschöpfes.
+&mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Und plötzlich spitzte der Hofhund die Ohren,
+sprang anschlagend auf und fegte mit schleppender
+Kette den Kreis des ihm zugewiesenen Reiches.
+</p>
+
+<p>
+Anikke, die allein zu Hause war, sah einen
+Menschen durch das Hoftor kommen, der sich
+vorsichtig umsah und dann auf die Hundehütte
+zuschritt, an der sie sich schutzsuchend festhielt.
+</p>
+
+<p>
+Dicht vor den Zähnen des Hundes machte er
+halt und sagte: &bdquo;Ist der Wirt zu Hause?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Anikke wußte wohl, daß alle draußen Kartoffeln
+gruben, aber um nichts in der Welt hätte
+sie antworten können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie heißt du?&ldquo; fragte er weiter.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Angst hatte sie den eigenen Namen
+vergessen.
+</p>
+
+<p>
+Der Hund belferte dazwischen, und erst, als
+der fremde Mensch ihm mit seinem Stock eins
+<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a>
+überriß, zog er sich heulend gegen die Hütte
+zurück.
+</p>
+
+<p>
+Dann kam der Fremde näher an sie heran,
+immer den Stock vorhaltend, in den der Hund
+sich verbiß. Sie wußte nun, daß sie geraubt
+werden sollte, und fing furchtbar zu weinen an.
+</p>
+
+<p>
+Und dann fühlte sie sich am Arm erfaßt und
+mit jähem Rucke fortgezogen, während der Hund,
+von einem neuen Schlage getroffen, sich um
+und um kugelte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wein nicht, wein nicht, ich tu&rsquo; dir nichts,&ldquo;
+hörte sie seine Stimme. Denn vor lauter Tränen
+sah sie nichts mehr. Aber in dieser Stimme klang
+irgend etwas, dessen sie nicht gewohnt war. Sie
+hörte zu weinen auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bist du die Anikke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja&mdash;a.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du ein Lakritzenholz haben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Lakritzenholz wollte sie gern, denn das aßen
+die großen Kinder manchmal, wenn die Schule
+aus war, aber sie bekam natürlich nichts davon ab.
+</p>
+
+<p>
+Und dann gab der fremde Mensch ihr aus
+einer Tüte eine schöne gelbe Stange, in die sie
+auch gleich hineinbiß, denn sie hatte jetzt kaum
+noch Angst vor ihm.
+</p>
+
+<p>
+Und nun wagte sie ihn sogar anzusehen. Böse
+sah er nicht aus. Viel guter als der Wirt. Und
+er roch auch nicht nach Schnaps. Sandfarbiges
+Haar hatte er und einen ebensolchen Schnurrbart.
+<a id="page-92" class="pagenum" title="92"></a>
+Und sie wußte jetzt auch, wo sie ihn schon
+gesehen hatte. Ein großer Saal war es gewesen
+wie in der Kirche. Aber statt <em>eines</em> Pfarrers
+im Talar hatte gleich ein ganzer Tisch voll dagesessen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie alt bist du, Anikke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; sieben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gehst du schon in die Schule?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; nichts anzuziehen, sagt die Frau.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun blickte er an ihr nieder und betrachtete
+lange das Lumpengezottel, in das sie notdürftig
+gehüllt war. Dann fragte er, wo er den Wirt
+wohl finden könne. Sie zeigte ihm die Richtung
+des Feldes und geleitete ihn auch ein Stück, denn
+sie mochte nun gar nicht mehr von ihm gehen.
+</p>
+
+<p>
+Als er die Arbeitenden gewahrte, schenkte er
+ihr die ganze Tüte, die er solange in der Hand
+gehalten hatte, und sagte: &bdquo;Versteck&rsquo;s, daß die
+anderen es dir nicht wegessen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit schickte er sie zurück und schritt in der
+Kartoffelfurche weiter, bis er auf den Wirt stieß,
+der mit Weib und drei Kindern kniend nach
+Kartoffeln wühlte. Und jedes von ihnen schimpfte
+und stöhnte auf seine Art.
+</p>
+
+<p>
+Kibelka erkannte ihn gleich, und den Schmutz
+von den Hosen abschüttelnd stand er auf, ihm
+die Hand zu bieten. Denn wenn er auch nicht
+<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a>
+der Mörder war, so hätte er doch immer der Mörder
+sein können. Sich mit ihm gut zu stellen,
+war geraten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast es natürlich immer sehr leicht gehabt,&ldquo;
+sagte er, &bdquo;denn wen der Staat ernährt,
+der ist geborgen.&ldquo; Dabei lachte er höhnisch und
+einschmeichelnd zugleich, und das schwarzstoppelige
+Maul ging ihm bis an die Ohren.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr habt es hier um so schwerer,&ldquo; sagte Miks
+Bumbullis, die Fläche überblickend, die in ihrem
+dürren Kraut unausgegraben dalag.
+</p>
+
+<p>
+Auch das Weib war aufgestanden und wischte
+sich die Hand an dem sacktuchenen Schurzfell.
+Sie war eine vermickerte, gelbe Ziege mit scharfen,
+mitleidlosen Augen. Und die drei Rotznasen
+gafften.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Kibelkas hoben ein Klagelied an.
+Der nasse September &mdash; und schon alles im
+Faulen &mdash; und fremde Hilfe zu teuer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn Ihr billige Hilfe braucht,&ldquo; sagte Miks,
+&bdquo;ich wüßte wohl eine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer wird so dumm sein!&ldquo; lachte der Wirt.
+&bdquo;Selbst der Henker läßt sich bezahlen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; mir einiges gespart,&ldquo; sagte
+Miks, &bdquo;und wenn man mir sonst freie Hand
+läßt, bring&rsquo; ich noch ab und zu was in die
+Wirtschaft.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die beiden sahen sich an. Dann schlugen sie
+rasch und gierig ein und fragten nicht weiter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-94" class="pagenum" title="94"></a>
+So wurde Miks Bumbullis Knecht bei dem
+Pfleger Anikkes.
+</p>
+
+<p>
+Anfangs schien er sich nicht viel um sie zu
+kümmern, und es vergingen drei Tage, ehe er
+sich erkundigte, was das für ein kleines Ungeziefer
+sei, das da immer im Hause herumkrieche.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Kibelkas wollten nicht recht mit
+der Sprache heraus, denn der Mordverdacht saß
+ihnen stets in den Gliedern. Aber schließlich erzählten
+sie doch, wie sie zu dem Kinde gekommen
+waren und daß sie es eigentlich bloß um Gottes
+Barmherzigkeit willen bei sich behielten.
+</p>
+
+<p>
+Er nahm die Nachricht sehr gleichmütig auf
+und sagte nur: &bdquo;Der Vater soll in Amerika sein.
+Wenn der einmal reich zurückkommt, wird er
+jeden belohnen, der gut zu dem Kinde gewesen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab den Kibelkas zu denken. Am nächsten
+Mittag durfte das kleine, bleiche Lumpenbündelchen,
+das sonst von dem Ofenwinkel her
+stumm wartend herübersah, mit den Kindern zu
+Tische sitzen.
+</p>
+
+<p>
+Als der Sonnabendabend kam, verschwand
+Miks Bumbullis und kam am Sonntagvormittag
+mit einer Flinte wieder, die sehr verrostet
+und in den Spalten mit Erde verklebt war.
+</p>
+
+<p>
+Die Kibelkas fragten nicht, wo er sie hergeholt
+hatte, und alle standen ringsum und sahen
+voll Hochachtung zu, wie er mit dem Schraubenschlüssel
+die Teile auseinandernahm und jeden
+<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a>
+einzelnen putzte und ölte, bis die Waffe blitzblank
+und schußbereit wiedererstand.
+</p>
+
+<p>
+Und wiederum am Sonntag gab es bei den
+Kibelkas ein Rehstück zu Mittag, was nicht
+passiert war, solange die Welt stand. Alle
+schwelgten, und selbst der Hofhund bekam seinen
+Knochen.
+</p>
+
+<p>
+Die kleine Anikke saß in einem neuen, rotbunten
+Kleidchen da, das der Miks ihr mitgebracht
+hatte, wurde von den Hauskindern mit neidischen
+Liebkosungen versehen und wußte nicht, wie ihr
+geschah.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich verstehe ja deine Meinung,&ldquo; sagte
+der Wirt, &bdquo;aber wenn der Vater <em>nicht</em> aus
+Amerika kommt, dann hast du dich sehr verrechnet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann tu&rsquo; ich&rsquo;s wie ihr um Gottes Lohn,&ldquo;
+erwiderte Miks, &bdquo;man muß sich immer ein Beispiel
+nehmen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Kibelka lachte geschmeichelt und prostete seinem
+Knecht zu, denn die Schnapsbuddel saß ihm
+allzeit locker.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun solltet ihr sie aber auch zur Schule
+schicken,&ldquo; meinte Miks Bumbullis so nebenbei.
+</p>
+
+<p>
+Die Frau hub wie gewöhnlich zu klagen an.
+Der Gendarm sei schon zweimal dagewesen, und
+sie schlafe nicht mehr bei dem Gedanken, man
+könne schließlich noch Strafe zahlen.
+</p>
+
+<p>
+Diese Angst wurde nun überflüssig. Und als
+<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a>
+Anikke am Montag morgen die Kinder zur Schule
+begleiten sollte, fand sich an ihrer Lagerstatt sogar
+eine Schiefertafel.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Winter kam. Miks Bumbullis war nun
+höchst angesehen im Hause. Er pflegte das Pferd
+blank, er fütterte die Kühe rund, und wenn die
+Dreschflegel gingen: &bdquo;Ubags, ubags, ubags&ldquo;, &mdash;
+sein Schlag war immer herauszuhören.
+</p>
+
+<p>
+Lohn forderte er nicht, und er hätte auch
+keinen bekommen, denn der Wirt vertrank jeden
+Groschen. Dafür sah keiner hin, wenn Miks sich
+ab und zu in der Morgen- oder der Abenddämmerung
+hinter der Scheune zu schaffen machte und
+vorläufig nicht mehr wiederkam.
+</p>
+
+<p>
+Den drei Rangen hatte er neue Anzüge geschenkt,
+so daß sie nun ebenso fein aussahen wie
+Anikke, und sogar einen Lausekamm brachte er
+mit, dem einer nach dem anderen standhalten
+mußte. Kibelka meinte zwar, es sei sündhaft,
+es den Herrenkindern gleichtun zu wollen, aber
+schließlich lieh auch er sich den Kamm aus.
+</p>
+
+<p>
+Die kleine Anikke ging umher wie im Traum.
+Die warme Schule &mdash; und das reichliche Essen &mdash;
+und fast gar keine Schläge mehr! Wohl bekam
+sie hie und da noch einen Stirnicksel, aber der tat
+kaum einmal weh, denn sie fühlte in seliger Geborgenheit,
+<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a>
+daß einer da war, der sie vor Schlimmerem
+beschützte.
+</p>
+
+<p>
+Hinter dem Miks lief sie her wie ein Hündchen,
+aber ihm ganz nahe zu kommen wagte sie nicht,
+denn er ermunterte sie nie.
+</p>
+
+<p>
+Bei den Mahlzeiten hing ihr Blick immer an
+seinem Gesicht, und als sie die Geschichte vom
+lieben Herrn Jesus lernte, wußte sie sogleich, daß
+der ebenso ausgesehen hatte wie er.
+</p>
+
+<p>
+Eines Abends, als der Kienspan brannte, war
+er besonders vergnügt und sagte zum Ältesten,
+dem Jons: &bdquo;Willst du reiten?&ldquo; Der wollte natürlich
+gern, und er nahm ihn auf sein Knie und
+sang dazu: &bdquo;Apappa, upappa.&ldquo; Dann kam die
+Katrike an die Reihe und dann der Jendrys.
+Und sie stand im Winkelchen und dachte, die
+Tränen verbeißend: &bdquo;Ich bin ja nur das Ziehkind,
+und darum will er mich nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber da sagte er auch schon: &bdquo;Die Anikke
+muß auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kam sie ganz langsam auf ihn zu, denn sie
+traute sich nicht. Dann, als er sie hochhob, war
+es ihr, als flöge sie geradeswegs in die Wolken.
+So gründlich durfte sie nun reiten, daß ihr ganz
+schwindlig wurde, bis der Jons, abgünstig geworden,
+einmal über das andere schrie: &bdquo;Ich will
+auch solange!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Diese Augenblicke waren das Schönste, was
+sie je erlebt hatte, denn daß schon einmal einer
+<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a>
+dagewesen war, der sie auf dem Schoß gehalten
+hatte, das war ihr inzwischen aus dem Sinne
+verschwunden. Nur eines langen weißen Bartes
+erinnerte sie sich noch, aber sie glaubte, das sei
+der Weihnachtsmann gewesen, von dem der
+Lehrer erzählte.
+</p>
+
+<p>
+Es war nun inzwischen sehr kalt geworden,
+und wenn man gegen den Schneesturm laufend
+bis zu der weitabgelegenen Schule mußte, kostete
+das manche Träne. Aber der gute Miks hatte Fausthandschuhe
+gekauft und eine wollengefütterte
+Mütze mit Ohrenklappen, die unter dem Kinn festzubinden
+sind. Die drei Hauskinder bekamen die
+gleichen, so daß ein Neid nicht entstehen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Nur die scharfblickende Frau ließ sich kein X
+für ein U machen und sagte mit süßsaurem
+Lächeln: &bdquo;Meine Kinder haben es ja sehr gut
+bei dir, aber der liebe Gott wird schon wissen,
+was du damit verhehlen willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Miks sagte darauf: &bdquo;Wenn einer Kinder liebhat,
+was braucht er da zu verhehlen?&ldquo; und
+wandte sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Anikke schlief nicht mit den dreien zusammen
+in der Kleinen Stube, die gut geheizt wurde,
+sondern auf der anderen Seite des Hausflurs,
+wo es jetzt fürchterlich kalt war. Das hatte sich
+aus den Zeiten ihrer Zurücksetzung so erhalten,
+und sie wünschte es sich gar nicht anders, denn
+in der Kammer nebenbei schlief der Miks.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a>
+Aber nun der Winterfrost gekommen war,
+konnte sie gar nicht recht einschlafen und lag in
+ihren Kleidern unter der harten Pferdedecke
+frostbebend und halbwach zuweilen bis gegen
+Morgen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Nachts, wie sie so dalag, hörte sie von
+der Knechtskammer her ein leises Knirschen und
+Stöhnen. Es war, als wenn einer furchtbare
+Schmerzen hat und nicht weiß, wie er sich
+wenden soll.
+</p>
+
+<p>
+Da faßte sie sich ein Herz. Sie schob mitten
+in ihrem Frieren die Decke vom Leibe, ging in
+die Kammer und sagte zitternd vor Furcht noch
+mehr als vor Kälte: &bdquo;Miks, tut dir was weh?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aus der Finsternis kam etwas wie ein Freudenschrei.
+Und dann griffen zwei Arme nach
+ihr. In denen lag sie nun still und glücklich und
+wärmte sich auf und schlief auch bald ein.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an kroch sie jede Nacht zu ihm und
+war da wie in Abrahams Schoß.
+</p>
+
+<p>
+Des Morgens weckte er sie zeitig, so daß
+niemand etwas davon merken konnte. Auch beachtete
+er sie bei Tage nicht häufiger als früher.
+Aber nun grämte sie sich nicht mehr darüber,
+denn sie wußte ja zu allen Zeiten, wie gut er&rsquo;s
+mit ihr meinte.
+</p>
+
+<p>
+Und niemals mehr hatte sie ihn stöhnen hören.
+Manchmal schlief er sogar noch früher ein als
+sie selber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-7">
+<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a>
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Es war eines Abends um die Weihnachtszeit,
+da wurde Miks Bumbullis auf einem seiner Wege
+zum Walde von einer Frauensperson angerufen,
+die bis zur Nase eingemummelt auf dem Grabenrande
+im Schnee saß.
+</p>
+
+<p>
+Er schrak hoch auf. Er hatte die Stimme
+gleich erkannt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist gut, daß du da bist, Alute Lampsatis,&ldquo;
+sagte er. &bdquo;Ich habe schon immer einmal zu dir
+kommen wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast dir drei Monate Zeit gelassen,&ldquo; erwiderte
+sie, &bdquo;und hätte ich dir nicht aufgelauert,
+so wären auch noch drei weitere verstrichen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist wohl möglich,&ldquo; meinte er. &bdquo;Was
+man nicht gern tut, verschiebt man immer wieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sagst du mir das ins Gesicht?&ldquo; knirschte sie,
+und ihre Augen blitzten ihn an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich sage, was wahr ist,&ldquo; erwiderte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann will ich dir <em>auch</em> sagen, was wahr
+ist!&ldquo; schrie sie. &bdquo;Daß <em>du</em> den Hegemeister erschossen
+hast &mdash; daß deine Flinte da, mit der du&rsquo;s
+getan hast, <em>meine</em> Flinte ist &mdash; und daß ich
+meine Seele dem ewigen Verderben verkauft
+habe &mdash; und Madlynens Seele dazu, die meine
+Schwestertochter ist und die mir zuliebe schwur,
+was ich wollte. <em>Das</em> ist die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a>
+&bdquo;Und dann ist die Wahrheit,&ldquo; fuhr er fort,
+&bdquo;daß du mir die Flinte in die Hand gegeben hast
+und zu mir gesagt hast: &sbquo;Mein Seliger hat es
+schon tun wollen, da hat ihn die Krankheit gehindert.
+Nun tu du es, sonst hast du keine Ehre
+im Leibe.&lsquo; <em>Das</em> ist die Wahrheit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ferner ist die Wahrheit,&ldquo; nahm sie ihm
+die Rede aus dem Munde, &bdquo;daß ich einen Tag
+und eine Nacht lang nachgesonnen habe, wie ich
+dich am besten vor der Leibesstrafe bewahren
+konnte, denn wenn ich einfach ausgesagt hätte:
+&sbquo;Er ist zu der Zeit bei mir gewesen,&lsquo; dann hätte
+mir keiner geglaubt. Darum hab&rsquo; ich der Madlyne
+eingegeben, sie habe dich aus dem Stubenfenster
+steigen sehen, während ich alles bestritt. Darum
+habe ich dir zehnmal vorgesprochen &mdash; alles &mdash;
+auch was du zu sagen hast, wenn ich die Schwurfinger
+erhebe. Denn du bist ja so dumm wie
+ein Deutscher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und du bist so klug wie der Teufel,&ldquo; erwiderte
+er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist gut,&ldquo; sagte sie, in die Runde schauend,
+&bdquo;daß uns hier niemand hören kann außer den
+Krähen, sonst wäre es um uns alle dreie geschehen.
+Aber man weiß nie, was noch werden
+kann, wenn sich einer im Zorn vergißt. Darum
+frage ich dich zum ersten und zum letzten Male:
+Willst du dein Versprechen halten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von keinem Versprechen,&ldquo; stöhnte er.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-102" class="pagenum" title="102"></a>
+&bdquo;Natürlich weißt du von keinem Versprechen,
+aber <em>ich</em> weiß, daß seit zwei Jahren die Menschen
+mit Fingern nach mir zeigen und daß sich kein Freiwerber
+mehr bei mir sehen läßt &mdash; nicht für mich
+und auch nicht für die Madlyne, und seit Michaeli
+treffe ich keinen, der nicht speilzahnig fragt:
+&sbquo;Weißt du, wer in Wiszellen bei den Kibelkas
+den Knecht spielt?&lsquo; Darum frage ich dich zum
+überletzten Mal: Wann wirst du einen schicken,
+der die Heirat zwischen uns in Ordnung bringt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wand sich wie ein Aal unter dem Messer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Laß mir Zeit bis nach Fastnacht,&ldquo; bat er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl,&ldquo; höhnte sie, &bdquo;erst bis nach Fastnacht
+&mdash; und dann bis zum Palmsonntag &mdash;
+und dann immer so weiter. &mdash; Aber es soll gut
+sein. Bis nach Fastnacht werd&rsquo; ich warten.
+Schickst du dann keinen, dann weiß ich, woran
+ich mit dir bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und es klang noch fast wie ein Schöndank,
+was er da stammelte.
+</p>
+
+<p>
+Schon im Gehen, kehrte sie sich noch einmal
+um und sagte: &bdquo;Die Leute erzählen sich, daß du
+das Kind, das bei den Kibelkas in Pflege ist,
+hältst wie eine Prinzessin. Laß das lieber sein.
+Deine Seele kaufst du doch nicht los, und der
+Gendarm wird aufmerksam, wenn er es hört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit schritt sie von dannen.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis war von dem allen zumute,
+als hätte er mit der Axt eins vor den Kopf
+<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a>
+bekommen. Er stand erst eine Weile ganz still,
+dann taumelte er in den Wald hinein. Aber er
+schoß nichts, und er sah auch nichts. Er dachte
+bloß immer das eine: &bdquo;Ich bin bis heute sehr
+glücklich gewesen und habe es nicht gewußt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann packte ihn ein heißes Verlangen, das
+Kind in der Nähe zu haben. Er sicherte die Flinte
+und wußte nicht, wie rasch er nach Hause kommen
+konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und als er auf seiner kalten Schlafstatt lag
+und die leisen, kleinen Schritte nähertappten und
+das weiche Gesichtchen sich in seinen Arm hineinschob,
+da war er wieder wie im Himmel. Er
+fing so bitterlich zu weinen an, wie ein Mann
+sonst nur in der Kirche tut.
+</p>
+
+<p>
+Da weinte auch das Kind und wußte doch
+gar nicht, warum. Er tröstete sie, und sie streichelte
+ihn. Und ihm war beinahe, als hätte er
+es nicht getan.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-8">
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Fastnacht kam heran. Aber er konnte sich zu
+keinem Handeln entschließen. Den Freiwerber
+zu schicken, wie es Sitte war, schämte er sich,
+denn jedermann wußte, wie die Dinge standen.
+Er mußte also den Gang schon selber
+machen. Wenn ein Sonntag da war, sagte er
+zu sich: &bdquo;Also nächsten Sonntag.&ldquo; Und dabei
+blieb es.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a>
+Er ging auch nicht einmal in die Kirche, denn
+dort hätte er ihr ja begegnen können.
+</p>
+
+<p>
+So war also richtig der Stillfreitag herangekommen.
+Er saß am Vormittag in seiner
+Kammer und schnitzelte für Anikke an einem
+Springbock. Da kam der Älteste, der Jons, eilfertig
+zu ihm herein und sagte: &bdquo;Es ist eine
+draußen, die will dich sprechen &mdash; eine Feine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihm ahnte gleich nichts Gutes, aber er legte
+die Arbeit hin und ging.
+</p>
+
+<p>
+Da stand vor dem Hofzaun mit einem schneeweißen
+Kopftuch und einer seidenen Schürze die
+Madlyne. Auch weiße, dünne Strümpfe hatte
+sie an, obgleich es noch ziemlich rauh war, und
+alles an ihr sah rund aus und quoll und wippte.
+</p>
+
+<p>
+Sie lächelte ihn auch ganz freundlich an und
+fragte, ob er wohl einen kleinen Spaziergang
+mit ihr machen wolle.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will nicht, aber ich muß wohl,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Und dann gingen sie zusammen zum Walde,
+dorthin, wo er vor einem Vierteljahr die Alute
+getroffen hatte, und keiner sprach ein Wort.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du wunderst dich wohl, warum ich noch
+nicht verheiratet bin,&ldquo; begann sie endlich. &bdquo;Ich
+kann soviel Männer haben, wie ich will, aber ich
+will nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Deine Mutterschwester sagt, es kommt keiner,&ldquo;
+erwiderte er, &bdquo;und ich soll daran schuld
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a>
+&bdquo;Schuld magst du schon sein,&ldquo; erwiderte sie
+und lächelte, &bdquo;aber anders, als sie denkt. Wenn
+du Wirt bei uns bist, wirst du mich schon mit
+durchfüttern müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will gar nicht Wirt bei euch sein,&ldquo;
+sagte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach menschlichem Willen geht es meistens
+nicht,&ldquo; erwiderte sie. &bdquo;Und wenn du einen guten
+Rat annimmst, dann warte nicht mehr lange.
+Meiner Mutter Schwester macht falsche Redensarten.
+Es könnte sein, daß es eines Tages zu
+spät ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn sie mich angibt, gibt sie zugleich auch
+sich selber an,&ldquo; warf er ein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und mich genau ebenso,&ldquo; erwiderte sie,
+immer in der gleichen lächelnden Weise. &bdquo;Aber
+seit Fastnacht sitzt der Böse in ihr, und sie spricht
+allerhand von dem Kinde, das auf dem Schoß
+des Hegemeisters gesessen hat, als das Unglück
+geschah, und das jetzt immer auf deinem Schoße
+sitzt. Und wie das wohl zu erklären ist, fragt
+sie dazu. Und keiner weiß. Aber ein bedenkliches
+Gesicht macht ein jeder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sah plötzlich in Tageshelle den Weg, den
+dieses rachsüchtige Geschwätz gehen würde. Und
+sah auch das Ende. Alute Lampsatis, die sonst
+so klug war, grub in ihrem sinnlosen Zorne ihm
+und sich selber die Grube.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werde ja noch am leichtesten wegkommen,&ldquo;
+<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a>
+sagte Madlyne mit ihrem lieblichen und
+verschämten Lächeln, als ob sie von Blumen oder
+Singvögeln spräche statt vom Zuchthaus oder noch
+Schlimmerem gar. &bdquo;Denn ich war ja noch sehr
+jung und bin auch dazu angestiftet worden. Aber
+du, Miks Bumbullis, tust mir leid. Darum bin
+ich der Meinung, du läßt keinen Tag mehr verstreichen
+und kommst heute nachmittag zu uns
+auf den Hof. Dann wird sie schon Ruhe geben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wirt bei euch,&ldquo; sagte er, &bdquo;kann ich nur sein
+unter einer Bedingung: daß Alute gut zu dem
+Kinde ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das willst du mitbringen?&ldquo; fragte sie, und
+in ihrem Erschrecken verschwand zum ersten Male
+das Lächeln von ihrem Angesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das will ich mitbringen,&ldquo; erwiderte er beinahe
+feierlich, &bdquo;sonst komm&rsquo; ich nie und nimmermehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie lehnte sich gegen einen Baumstamm und
+sah stumm in die Höhe. Und ihre wasserhellen
+Augen waren jetzt so blau wie der Osterhimmel.
+Dann sagte sie: &bdquo;Zurzeit ist sie freilich dem
+Kinde noch bös gesinnt, denn sie meint, daß du
+es lieber hast als sie. Aber wenn du ihr den
+Willen tust und die Scham von ihr nimmst, wird
+sie sich wohl mit ihm versöhnen. Außerdem bin
+ich ja auch noch da, und ich hab&rsquo; Kinder sehr lieb.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du wirst einen Mann nehmen und weggehen,&ldquo;
+entgegnete er finster.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a>
+&bdquo;Wann hast du schon das Farnkraut blühen
+gesehen, daß du so allwissend tust?&ldquo; fragte sie
+und sah ihn neckend von unten auf an.
+</p>
+
+<p>
+In diesem Augenblick erschien ihm sein Schicksal
+und das des Kindes nicht gar so drohend
+mehr, und er sagte: &bdquo;Ich werd&rsquo; also kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+So geschah&rsquo;s, daß am Himmelfahrtstage
+Miks Bumbullis und Alute Lampsatis im Brautwinkel
+saßen und die Hochzeitsgäste in hellen
+Haufen um sie her. Auf dem Tische standen
+leckere Speisen in Menge, und über ihm hing
+von der Decke herab die künstlich geflochtene
+Krone, in der silberglänzende Vögel sich wiegten.
+</p>
+
+<p>
+Die Ehrengäste waren mit Handtüchern und
+Spruchbändern reichlich beschenkt worden, und
+das biergefüllte Glas, in das die Gastgabe geworfen
+wird &mdash; denn niemand soll wissen, wieviel
+ein jeder gegeben &mdash;, dieser unwillkommene
+Mahner, machte so flüchtig die Runde, daß die
+meisten ihren guten Taler nicht loswerden
+konnten.
+</p>
+
+<p>
+Das schuf natürlich eine wohlbehäbige Stimmung,
+die, was einst geschehen war, mit dem
+Mantel der Nächstenliebe bedeckte.
+</p>
+
+<p>
+Die Kibelkas waren auch geladen, und
+der Ehemann lag schon längst in seligem Schlaf
+<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a>
+hinter der Scheune. Aber die kleine Anikke hatten
+sie nicht mitbringen dürfen. Das hatte Alute
+so bestimmt. Und sie erwies sich damit wieder
+einmal als die klügste von allen. Denn wenn
+die ortsarme Waise sich gleich wie ein Kind des
+Hauses unter den Gästen herumbewegt hätte,
+so wären Befremden und Verdacht alsbald am
+Werke gewesen, den verständnislosen Klatsch noch
+mehr ins Böse zu wenden.
+</p>
+
+<p>
+Als nun aber die Brautsuppe kam, deren
+Branntwein Alute mit Kirschsaft und Honig üppig
+gesüßt hatte, und hierauf die Neckereien selbst
+unter den Frauen immer kühner aufflackerten,
+da wurde auch lächelnd des armen Kindes gedacht,
+das gestern noch ein Stein des Anstoßes gewesen
+war.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sonst bringt wohl eine Witfrau immer was
+Lebendiges mit in die Ehe,&ldquo; sagte eine der Nachbarinnen.
+&bdquo;Hier tut es der Bräutigam, obwohl
+er noch Junggesell&rsquo; ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und eine andere sagte: &bdquo;Ihr braucht euch gar
+nicht erst selbst zu bemühen. Euch fliegen die
+Kinder nur so vom Himmel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und eine dritte: &bdquo;Kauft&rsquo;s den Kibelkas ab.
+Für eine Buddel Schnaps gibt er euch auch die
+drei eigenen dazu.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alute, die heute das rotblonde Haar würdig
+unter dem Frauentuch versteckt hielt und auf deren
+Wiste eine goldene Brosche strahlte, so groß
+<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a>
+wie auf der Brust einer Königin, hörte das alles
+mit nachsichtigem Lächeln an und sagte dann
+gleichsam überlegend: &bdquo;Ihr habt eigentlich Recht.
+Ich wollte es meinem Mann schon selber anbieten,
+aber ich glaube, er wird es nicht zugeben,
+weil es gar zu sonderbar aussieht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Darauf erhob sich ein Widerspruch, der diesmal
+ganz harmlos und aufrichtig war. Was denn
+dabei sei! Und &bdquo;wenn er das Kind doch nun einmal
+gern hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eine besonders Eifrige erbot sich sogar, anspannen
+zu lassen und die kleine Anikke sofort
+aus Wiszellen zum Feste zu holen.
+</p>
+
+<p>
+Dem Miks Bumbullis, der in angstvoller
+Freude schweigend dasaß, stieg das Herz hoch,
+aber Alute winkte beruhigend ab. Dazu sei auch
+später noch Zeit, und niemand dürfe sich ihr zu
+Dank die Stunden des Festes verkürzen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne, die als die oberste Ordnerin zwischen
+den Gästen herumhuschte und wegen ihrer
+niedlichen Fixigkeit und ihrer wippenden Röcke
+von den Burschen &bdquo;Melinoji kielele&ldquo; &mdash; das
+Bachstelzchen &mdash; gerufen wurde, war, als sie in
+dem Brautwinkel von dem Kinde reden hörte,
+lauschend stehen geblieben und sagte nun mit
+einem Lachen hinüber: &bdquo;Wenn ihr es alle durchaus
+begehrt, dann bin ich die erste, die sich den
+Dank der Wirtin verdienen muß, und das werde
+ich morgen auch tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a>
+Frau Alute warf ihr einen Blick zu, in dem
+von Dank nicht viel zu lesen stand, aber sie war
+schon weiter gelaufen und wehrte sich fröhlich
+gegen drei Burschen, die ihre Mädchen im Stich
+gelassen hatten, um sich mit ihr ein bißchen
+herumzureißen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tage gab es noch Hochzeitstrubel
+genug auf dem Hofe und am dritten auch.
+Als aber alles still geworden war und die jungen
+Eheleute nicht zum Vorschein kamen, da machte
+sich Madlyne auf den Weg und kam zwei Stunden
+später mit der kleinen Anikke wieder, die ein
+neues, grüngesticktes Miederchen anhatte und
+mit großen, sehnsüchtig ängstlichen Augen der
+künftigen Heimat entgegensah.
+</p>
+
+<p>
+Hinterher ging der zwölfjährige Jons mit
+einem Bündel, in dem die Siebensachen des
+Ziehkindes eingebunden waren. Als das Hoftor
+in Sicht kam, mußte er Schuhchen und
+Strümpfchen daraus hervorholen, damit sie nicht
+etwa barfuß ankam.
+</p>
+
+<p>
+Es war nun wirklich so, als ob eine kleine
+Prinzessin ihren Einzug hielt.
+</p>
+
+<p>
+Unter der Ulme vor der Tür saß das Ehepaar
+und aß dicke Milch mit Zucker, denn es war
+Vesperzeit.
+</p>
+
+<p>
+Anikke löste sich von Madlynens Hand und
+wollte auf Miks zueilen, da sah sie ein Paar
+Augen, deren Blick sie mitten im Laufe erstarren
+<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a>
+machte; sie wußte nicht mehr, sollte sie vorwärts
+oder zurück.
+</p>
+
+<p>
+Aber da kam auch schon die lustige Madlyne
+ihr nach und sagte: &bdquo;Warum hast du Angst vor
+deiner Pflegemutter, mein Vögelchen? Die hat
+versprochen, sie tut dir nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Anikke machte einen schönen Knicks, wie sie
+ihn in der Schule gelernt hatte, und wartete auf
+ein Willkommen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie noch lebte, würde sie auch heute
+noch darauf warten.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wer aber nun glauben wollte, daß die kleine
+Anikke es schlecht gehabt hätte, der würde sehr
+im Irrtum sein. Frau Alute war eine viel zu
+kluge Frau, um nicht zu wissen, daß sie durch
+ein sichtbares Hervorkehren ihrer Abneigung dem
+Manne, mit dem sie nun einmal Tisch und Bettstatt
+teilte, die Lust an ihr selbst von vornherein
+verderben mußte. Sie tat darum so, als ob sie
+das Kind um seinetwillen nicht ungern duldete,
+und ließ sich jede Brosame ihrer Gutwilligkeit
+durch doppelte Liebesdienste von ihm bezahlen.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis war ein umsichtiger Wirt
+und ein treuer Verwalter. Er arbeitete von
+früh bis spät und dachte an alles. Die Kartoffeln
+gediehen, das Heu kam trocken in Käpsen,
+<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a>
+und als die Roggenaust begann, wurde beim
+Mähen sein Kreuz nicht müde. In seinem Wesen
+war eine große Veränderung vor sich gegangen.
+Er trieb sich nicht mehr in den Krügen herum
+und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach
+Hause. Auch das Wilddieben hatte er aufgegeben,
+und wenn die Versuchung an ihn herantrat,
+nachts über die Grenze zu gehen, so sagte er,
+seine Frau wünsche es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Das war aber keineswegs so. Im Gegenteil,
+was der Alute einst an ihm gefallen hatte, war
+sein ungebärdiges und zügelloses Treiben gewesen.
+Sie hatte gedacht, in ihm den Hitzigsten
+und Forschesten von allen zu eigen zu haben,
+und war nun bitter enttäuscht, daß er wie irgend
+ein Kopfhänger neben ihr herging.
+</p>
+
+<p>
+Daß er auch spaßen und lustig sein konnte,
+blieb ihr freilich verborgen, denn das geschah nur,
+wenn er mit dem Kinde allein war. Dann spielte
+er mit ihm alle die Spiele, zu denen mehr als
+zweie nicht nötig sind, und ersann sich täglich
+neue dazu.
+</p>
+
+<p>
+Da war eines, das hieß &bdquo;die Katzenfalle&ldquo;.
+Dabei muß einer durch die hohlen Arme des
+anderen hindurchkriechen, und weil er natürlich
+für ihre Kinderärmchen viel zu dick war, so gab
+das des Lachens kein Ende. Und ein anderes
+&bdquo;die Windmühle&ldquo;. Wenn man die darstellen
+will, muß man sich zwei Hopfenstangen kreuzweis
+<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a>
+am Leibe festbinden lassen und sich nun
+ganz rasch um sich selber drehen. Kann der
+andere eine der Stangen ergreifen und so die
+Mühle zum Stillstehen bringen, dann hat er gewonnen.
+</p>
+
+<p>
+So trieben sie ihre Kurzweil oft bis in die
+Dämmerung hinein, aber beileibe nicht auf
+dem Hofe, sondern weit draußen, damit ihr
+Lachen nirgends zu hören war. Denn sie hatten
+immer ein Gefühl, als sei dies nicht wohlgelitten.
+</p>
+
+<p>
+Nur vor Madlyne schämten sie sich nicht. Ja,
+die durfte sogar die dritte im Bunde sein. Und
+dann ging es erst recht hoch her.
+</p>
+
+<p>
+Aber Madlyne war um die Abendzeit meistens
+wo anders heftig beschäftigt. Denn hinter
+dem Gartenzaun lauerten die Burschen von weit
+und breit, und immer war ein Gejacher um sie
+herum und ein Gegluckse, das nahm kein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn es zum Heiraten kommen sollte
+und der Freiwerber die Stube betrat, dann
+konnte er auch bald wieder gehen. Kaum daß
+er noch den Kirschschnaps austrank, so sehr
+lachte Madlyne. Hinterher machte Alute ihr stets
+die heftigsten Vorwürfe, aber sie kehrte sich nicht
+im mindesten daran.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du von mir?&ldquo; sagte sie. &bdquo;Arbeite
+ich nicht ebenso fleißig wie eine Magd? Und
+weil mein Mütterliches mit in der Wirtschaft
+steckt, so arbeite ich auch für mich selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-114" class="pagenum" title="114"></a>
+Davon ließ sich nichts abdrehen, denn es war
+alles die Wahrheit.
+</p>
+
+<p>
+Seit der Hochzeit hatte Madlyne drüben in
+der Klete geschlafen, denn sie meinte, die jungen
+Eheleute möchten im Hause am liebsten allein
+sein. Aber weil die Burschen ihr dort bis in den
+Morgen keine Ruhe ließen und der Hofhund
+aus dem Bellen nicht mehr herauskam, so siedelte
+sie wieder in die Kammer jenseits des Hausflurs
+über. Und Miks war neidisch auf sie, denn
+in dem Raume daneben schlief das Kind. Zudem
+nahm er an, daß die Burschen ihr selbst hierhin
+folgten, und er wollte nicht, daß Anikke erwachte,
+wenn ein Begünstigter zu ihr hereinstieg. Noch
+hatte er freilich keinen ertappt, aber wie sollte
+es anders sein.
+</p>
+
+<p>
+Und so verliebter Natur war Madlyne, daß
+sie es nicht unterlassen konnte, selbst ihm von
+ihrer Zärtlichkeit hie und da ein Zeichen zu geben.
+Es lag nie etwas Grobes oder Dreistes darin.
+Wie ihr ganzes Wesen, so war auch dies von
+einer zarten und behutsamen Zierlichkeit, so daß
+man es sich gern gefallen ließ, auch wenn man
+nicht darauf eingehen wollte.
+</p>
+
+<p>
+Ihr Lächeln und ihr Umihnsein wurde allgemach
+eine einzige große Liebkosung, die um
+so wohler tat, als man nicht nötig hatte, sie
+ernst zu nehmen. Denn die Lustigkeit, mit
+der sie sich an ihn heranschmeichelte, machte
+<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a>
+jeden Gedanken an künftige Buhlschaft zuschanden.
+</p>
+
+<p>
+Dann einmal, als er unbemerkt dazukam,
+hörte er sie eine Daina singen, die lautete umgedeutscht
+etwa so:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Liegt mir ein Lämmlein</p>
+ <p class="verse">Im reißenden Strome,</p>
+ <p class="verse">Frag&rsquo; ich nicht lange,</p>
+ <p class="verse">Ob ich&rsquo;s errette,</p>
+ <p class="verse">Nein doch, ich springe ihm nach.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Liegt der Geliebte</p>
+ <p class="verse">Im Arme der Muhme,</p>
+ <p class="verse">Frag&rsquo; ich mich täglich,</p>
+ <p class="verse">Ob ihn erretten,</p>
+ <p class="verse">Und ich weiß doch nicht wie.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Gönn&rsquo; ich den Lieben</p>
+ <p class="verse">Der bösen Muhme,</p>
+ <p class="verse">Die ihm mit Tränkchen,</p>
+ <p class="verse">Aus Giftkraut bereitet,</p>
+ <p class="verse">Zankend den Schlummer verdirbt?</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Oder ich sage:</p>
+ <p class="verse">&bdquo;Komm, lieber Schwager,</p>
+ <p class="verse">In meiner Kammer</p>
+ <p class="verse">Steht eine Bettstatt</p>
+ <p class="verse">&mdash; Ach, so schmal ist das Bett! &mdash;</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Aber zur Mauer,</p>
+ <p class="verse">Der eiskalten Mauer,</p>
+ <p class="verse">Rück&rsquo; ich geschwinde,</p>
+ <p class="verse">Daß du es warm hast</p>
+ <p class="verse">Und mich im Arm hast und schläfst.&ldquo;</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+<a id="page-116" class="pagenum" title="116"></a>
+ <p class="verse">Soll ich&rsquo;s ihm sagen,</p>
+ <p class="verse">Oder verschweig&rsquo; ich&rsquo;s,</p>
+ <p class="verse">Bis einst der Kummer</p>
+ <p class="verse">Vom Lager der Muhme</p>
+ <p class="verse">Nach dem Strome ihn treibt?</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und hätt&rsquo; ich tausend</p>
+ <p class="verse">Der Lämmlein errettet,</p>
+ <p class="verse">Ihn, den ich liebe,</p>
+ <p class="verse">Ließ ich verderben,</p>
+ <p class="verse">Und ich sprang ihm nicht nach.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Sachte schlich Miks sich aus ihrer Nähe, denn
+er wollte sie nicht wissen lassen, daß sie von ihm
+belauscht worden war. Und als er sie wiedersah
+und ihr lachendes, glattes Gesichtchen betrachtete,
+konnte er es nicht fassen, daß sie ein so finsteres
+und hitziges Lied gesungen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Und ein anderes Mal, als sie die kleine
+Anikke auf dem Schoße hielt, sang sie folgendes:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir,</p>
+ <p class="verse">Ich schenkte dir Kleider und goldene Zier,</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Ich schenkte dir Betten von Seide so weich</p>
+ <p class="verse">Und schenkte dir Gott und das Himmelreich.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Auch einen Liebsten schenkt&rsquo; ich dir wohl,</p>
+ <p class="verse">Der dich zur Kirche hinführen soll.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Du aber, Kindchen, was schenktest du mir?</p>
+ <p class="verse">Ich lieg&rsquo; alleine und bang&rsquo; mich und frier&rsquo;,</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und der, der dich liebt wie sein Augenlicht,</p>
+ <p class="verse">Der siehet mich nicht und höret mich nicht.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Wenn der mich wollte und ließe von ihr,</p>
+ <p class="verse">Dann, Kindchen, mein Kindchen, gehörtest du mir.</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a>
+Von nun an fing Miks an zu überlegen, ob
+er sie nicht einmal in die Arme nehmen sollte.
+Aber er bezwang sein Gelüste, denn wenn er an
+all die jungen Leute dachte, die bei ihr angeklopft
+hatten, erschien es ihm nicht gut genug, ein
+&bdquo;Kuszbendris&ldquo; &mdash; ein Weibsteilhaber &mdash; zu sein;
+auch mochte er um des Kindes willen das Haus
+nicht mit Verdacht und Unfrieden erfüllen.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Unfriede kam auch ohne dies.
+</p>
+
+<p>
+Als es kalt wurde, siedelte Madlyne mit
+dem Kinde von der anderen Seite des Hauses
+her in die gutgeheizte Kleine Stube über, deren
+Zwischentür kein Schloß und keine Klinke hatte
+und darum immer ein wenig offen stand.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an schämte er sich, bei seiner Frau
+zu liegen, und machte allerlei Ausflüchte, um
+sich irgendwo anders einzuquartieren. Und da
+ihm nichts Besseres einfiel, fing er das Leben
+wieder an, das er einst geführt hatte, als
+das große Unglück noch nicht geschehen war.
+Denn nur so konnte er die Nacht zum Tage
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Er suchte die Krüge auf, von wo aus im
+Schutze der Dunkelheit der Schmuggel über die
+Grenze ging, und da es nicht immer was zu
+tragen gab, nahm er auf alle Fälle die Flinte
+mit, um das Frühmorgenlicht für einen Rehbock
+auszunutzen.
+</p>
+
+<p>
+So konnte es nicht ausbleiben, daß er wieder
+<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a>
+in schlechten Ruf kam, und Alute, die deswegen
+gerade einstmals ihr Herz an ihn gehängt und
+ihn noch kurz vorher einen &bdquo;Schwanzeinkneifer&ldquo;
+genannt hatte, schalt ihn nun heftig aus, weil
+ihre ehrliche Wirtschaft durch ihn zu einer Räuberhöhle
+würde.
+</p>
+
+<p>
+Aber er kehrte sich nicht daran.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages nahm ihn Madlyne beiseite und
+sagte: &bdquo;Es tut nicht gut, Miks, daß du so oft
+unterwegs bist, du solltest dich mehr zum Hause
+halten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus welchem Grunde wünschst du mir das?&ldquo;
+fragte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sieh dir das Kind an,&ldquo; erwiderte sie und
+wandte sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Er erschrak, denn er hatte es bisher für selbstverständlich
+genommen, daß es der kleinen Anikke
+gut ging. Tagsüber war sie in der Schule, die
+Nacht schlief Madlyne mit ihr. Zudem hatte
+seine Frau noch nie etwas Feindseliges gegen sie
+unternommen. Höchstens daß sie sie nicht beachtete.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt aber, da er das Kind im Auge behielt,
+fiel ihm auf, daß es ungerufen nicht mehr an
+ihn herankam, sondern sich zaghaft in den Winkeln
+herumdrückte. Auch sah es blaß und schwächlich
+aus und hatte doch während des Sommers geblüht
+wie ein Tausendschönchen.
+</p>
+
+<p>
+Er versuchte, es ins Gebet zu nehmen,
+<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a>
+aber es wollte nicht mit der Sprache heraus.
+Nur weinen tat es bitterlich.
+</p>
+
+<p>
+Da legte er sich eines Abends auf die Lauer
+und mußte erleben, daß Alute das Kind mit
+einem Lederzaum schlug, in dem noch die messingnen
+Schnallen steckten.
+</p>
+
+<p>
+Er stürzte aus seinem Versteck hervor, riß
+der Armen Kleider und Hemde herunter und
+fand das Körperchen von oben bis unten mit
+Striemen und blauen Flecken bedeckt.
+</p>
+
+<p>
+Da hob er den Zaum auf, den das wütende
+Weib von sich geworfen hatte, und prügelte es
+so lange, bis es sich winselnd am Boden krümmte.
+Auch gegen Madlyne wandte er sich in seinem
+Zorn, und von nun an saß der Teufel im Hause.
+</p>
+
+<p>
+Madlynens Lied wird Recht behalten, dachte
+er oft, wenn der Kummer ihn zur Nacht aus
+dem Hause trieb.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+So geschah es eines Novembermorgens kurz
+vor dem roten Sonnenaufgang, als er durchfroren
+im jungen Schnee saß und gerade auf
+einen schönen Bock anlegen wollte, daß er rückschauend
+eine Flintenmündung auf sich gerichtet
+sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den
+er wohl kannte.
+</p>
+
+<p>
+Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen,
+aber er wußte: es war zu spät. Darum stand
+<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a>
+er ganz gemächlich auf und sagte: &bdquo;Na, wieviel
+Jahr&rsquo; wird es kosten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet
+hast, Miks,&ldquo; erwiderte der stämmige Förster,
+der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war,
+und er fügte hinzu: &bdquo;Die Flinte laß liegen.
+Die hol&rsquo; ich mir später. Sonst könnte es passieren,
+daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst
+und meine dazu.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute
+es machen,&ldquo; lachte Miks und schlug, ohne erst viel
+zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er
+ja doch abgeliefert werden mußte. Der Förster
+ging zehn Schritt weit hinterdrein und hielt die
+Flinte schußbereit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dreh dich lieber nicht um,&ldquo; sagte er ganz
+freundlich, als Miks das Gespräch fortsetzen
+wollte, &bdquo;sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im
+Genick.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über
+das Geschehene nachzudenken. Daß er von der
+Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber
+dann plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis
+in die Kniekehlen hinein. Das Kind! Was wird
+nun aus dem Kinde?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich Dummerjan,&ldquo; dachte er, &bdquo;schon wegen
+des Kindes allein hätt&rsquo; ich es nicht dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er fing tausend Pläne zu schmieden an,
+wie er von der Untersuchungshaft aus die kleine
+<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a>
+Anikke in andre Pflegschaft bringen könnte.
+Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit
+der Behörden auf das Kind zurücklenkte
+und in den Verhören irgend ein Widerspruch
+laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk,
+das Alute damals aufgebaut hatte, davon
+zusammenfallen wie eine Haferhocke.
+</p>
+
+<p>
+Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb
+mitleidig, halb schadenfroh den Zug begleiteten.
+Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat
+sich der Förster. So gingen sie in halblauten
+Gesprächen neben dem Miks daher, und weil sie
+wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand,
+erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch
+den Mord auf dem Gewissen habe.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis hörte das alles. Es war
+ein rechter Leidensweg.
+</p>
+
+<p>
+Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem
+Schritte, und als er vor dem Hause des Gendarmen
+ankam, hatte er ein Gefolge wie ein
+König. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Miks bestritt natürlich alles. Von dem
+Bock wisse er nichts. Er habe nur ein paar
+Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich
+ein großes Verbrechen sein.
+</p>
+
+<p>
+Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden
+zu machen, fragte der Richter.
+</p>
+
+<p>
+O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja
+bei dem Kinde bleiben.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a>
+In der Hauptverhandlung kam er mit seinem
+Weibe und Madlyne wieder zusammen.
+Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht,
+das Kind möchte nicht geladen sein, denn es war
+nun schon groß genug, um zu verstehen, welche
+Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich
+nicht da war, tat ihm das Herz weh. Er hätte
+es so gern einmal wiedergesehen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne gab sich lange nicht so adrett und
+fixniedlich wie dazumal, und ihre Augen waren
+klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen
+auch diesmal wie aus der Pistole geschossen.
+</p>
+
+<p>
+Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in
+Gebrauch genommen. Ja richtig! Einmal habe
+er eine Eule geschossen. Das war alles.
+</p>
+
+<p>
+Alute schien ihm die schlechte Behandlung
+längst wieder vergessen zu haben. Nie sei er
+zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen,
+nie habe er die Flinte vom Nagel geholt,
+nie habe er ein Stück Wild oder das Geld dafür
+von seinen Wegen nach Hause gebracht.
+</p>
+
+<p>
+Schade, daß die Frauensleute nicht schwören
+durften!
+</p>
+
+<p>
+Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von
+ihrem Eidesrechte Gebrauch zu machen, aber
+der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern,
+ebenso wie bei Madlyne, die ihm als Hehlerin
+verdächtig schien, und so blieben beider Aussagen
+wirkungslos.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a>
+Doch auch die andern, die vereidigt wurden,
+hielten sich wacker. Selbst diejenigen, die ihn
+so und so viele Male wegen seiner Schießereien
+geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je
+davon gehört, geschweige denn eine Flinte an
+ihm gesehen zu haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung
+richtete sich drohend hinter ihm auf, und
+der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln
+über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt
+mit argwöhnischer Anspielung darauf Bezug
+nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse
+verborgen lagen, die nur eines rächenden
+Anlasses bedurften, um gegen ihn loszubrechen.
+</p>
+
+<p>
+Als der Richterspruch verkündet wurde, der
+ihm drei Jahre Gefängnis zuerkannte, erhob sich
+Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem
+Auge zu begegnen, langsam von der Zeugenbank
+und nickte, den Kopf feierlich wiegend, eine
+ganze Weile lang zu ihm herüber.
+</p>
+
+<p>
+Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er
+dran dachte.
+</p>
+
+<p>
+Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß,
+bevor er in die Strafanstalt überführt wurde,
+die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, daß
+dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke
+noch einmal zu sehen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn
+als die Zellentür sich öffnete und hinter der
+<a id="page-124" class="pagenum" title="124"></a>
+Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das
+Kind an der Hand.
+</p>
+
+<p>
+Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen,
+sonst wäre er vor dem Kinde niedergekniet
+und hätte geweint und geweint.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber sagte er bloß: &bdquo;Da seid ihr ja
+alle,&ldquo; und begrüßte sie freundlich der Reihe
+nach.
+</p>
+
+<p>
+Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz
+trug und auch sonst sehr unternehmend aussah,
+sagte zu ihm: &bdquo;Ich könnte mich jetzt von dir
+scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun.
+Nein, das werde ich nicht tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Tu, was du für recht hältst.
+Wenn du nur gut zu dem Kinde sein willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin gut zu dem Kinde gewesen,&ldquo; erwiderte
+sie, &bdquo;aber da hast du alles verdorben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er demütigte sich vor ihr und sagte: &bdquo;Ich
+werde meine Fehler bereuen und ablegen, wenn
+du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde
+sein willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete:
+&bdquo;Ich verspreche es.&ldquo; Dann reichte sie
+ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher,
+er möge sie hinauslassen.
+</p>
+
+<p>
+Der Aufseher tat es und wollte auch die
+andern auffordern fortzugehen, da bemerkte er,
+daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und
+weinte und weinte. Und weil er ein guter und
+<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a>
+aufrichtiger Mann war, so schloß er die Tür noch
+einmal und ließ ihn gewähren.
+</p>
+
+<p>
+Miks streichelte Madlynens Rock und sagte:
+&bdquo;Erbarm dich des Kindes!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte:
+&bdquo;Ich schwöre dir, daß ich auf das Kind achtgeben
+werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wenn du heiratest und weggehst, &mdash;
+schwöre mir, daß du das Kind mitnehmen wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Madlyne beugte sich noch tiefer zu ihm und
+sagte: &bdquo;Ich werde nicht heiraten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das
+Kind und küßte auch Madlyne.
+</p>
+
+<p>
+Und dann war die Besuchszeit um.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nach zwei Jahren erhielt Miks Bumbullis
+die Nachricht, daß das Kind gestorben war.
+</p>
+
+<p>
+Er wunderte sich nicht, denn es war ihm schon
+einige Male im Traume erschienen.
+</p>
+
+<p>
+Der Brief, in dem Alute ihm von dem Unglück
+Mitteilung machte, lautete so:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nunmehr will ich Dich wissen lassen, daß die
+kleine Anikke ein seliges Hinscheiden erlitten hat.
+Ich und Madlyne haben sie gepflegt, wie es unsre
+Schuldigkeit war. Um ihr die fallende Sucht
+zu vertreiben, habe ich Madlyne zu einer weisen
+Frau geschickt, die sie nach den Regeln besprochen
+<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a>
+hat. Auch eine Kreuzotter habe ich abgekocht
+und ihr den Saft mit getrockneten Quitschen
+zu trinken gegeben. Kurz, es ist nichts versäumt
+worden. Ein Begräbnis habe ich ihr ausgerichtet
+wie meinem eigenen Kinde. Die Festlichkeiten
+haben zwei Tage gedauert, und es sind dabei
+drei Fässer Alaus und zwanzig Stof Branntwein
+ausgetrunken worden. Nicht zu rechnen,
+was die Gäste alles aufgegessen haben. Einen
+Sarg habe ich ihr machen lassen, in dem sie
+sich ordentlich ausstrecken kann. Auch ist sie in
+ihren besten Sonntagskleidern beerdigt worden.
+Du siehst also, daß ich mein Versprechen gehalten
+habe, und wenn du die Madlyne fragen
+wirst, so kann sie es nicht anders sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Von nun an erschien die kleine Anikke dem
+Miks Bumbullis in jeder Nacht. Er brauchte
+nur die Augen zuzumachen, und sie war da.
+Und in vielerlei Gestalt erschien sie ihm &mdash; manchmal
+im Sarge liegend, manchmal als eine
+Braut mit dem Rautenkranz im Haar, manchmal
+als ein Engelchen mit gläsernen Flügeln,
+manchmal auch im Hemdchen blutend oder mit
+einem Strick um den Hals. Und immer wieder
+in neuen Gestalten.
+</p>
+
+<p>
+Als ein großes Glück empfand er es, daß
+Alute nun doch gut zu dem Kinde gewesen war.
+Auch das große Begräbnis sprach dafür. Denn
+wenn sie das Licht der Welt zu scheuen gehabt hätte,
+<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a>
+würde sie die Tote so heimlich wie möglich eingescharrt
+haben. Aber vor allem war ja Madlyne
+dagewesen, auf die er sich ganz verlassen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und doch mußte etwas versäumt worden
+sein, sonst würde die kleine Anikke Ruhe im Grabe
+gehabt haben und ihm nicht immer von neuem
+erschienen sein.
+</p>
+
+<p>
+Das ging so Nacht für Nacht, bis eines Tages
+der Anstaltsarzt zu ihm trat und ihn fragte,
+was ihm eigentlich fehle.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll mir fehlen?&ldquo; erwiderte Miks. &bdquo;Ich
+habe satt zu essen, und keiner ist schlecht zu mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Arzt befahl ihm darauf, sich auszuziehen.
+Miks tat es, aber der Arzt fand eine Krankheit
+nicht an ihm. Ob ihm vielleicht ein Kummer
+zugestoßen sei, fragte er dann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe ein Kind verloren,&ldquo; antwortete
+Miks. Aber von den Erscheinungen sagte er
+nichts, denn vor diesen Deutschen muß man sich
+immer in acht nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Einige Tage später besuchte ihn der Pfarrer,
+derselbe, der am Sonntag gewöhnlich predigte.
+</p>
+
+<p>
+Der fing ihm eine schöne Trostrede zu halten
+an, aber er hatte sich nicht einmal die Mühe genommen,
+die Akten durchzusehen, sonst würde
+er gewußt haben, daß Miks ein eigenes Kind
+gar nicht besaß.
+</p>
+
+<p>
+Miks beließ ihn in seinem Irrtum und
+küßte ihm die Hand, um ihn glauben zu machen,
+<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a>
+daß er nun ganz getröstet sei. Er war nun so
+weit, daß er sich schon den ganzen Tag über auf
+die Erscheinung freute. Aber dann machte er
+sich wieder Vorwürfe um dieser Freude willen,
+denn wenn es der Anikke im Grabe an gar nichts
+fehlte, so würde sie ihm nicht erschienen sein.
+Entweder drückte sie der Sargdeckel, oder man
+hatte ihr etwas Erstickendes auf den Mund gelegt.
+Vielleicht gar auch war die Giltinne &mdash; die Todesgöttin
+&mdash; nicht versöhnt worden, wie es nach
+dem Glauben Vieler geschehen muß, so daß sie
+aus Rache die arme Tote allnächtlich aus ihrem
+Frieden scheuchte.
+</p>
+
+<p>
+Er wollte der Alute deswegen schreiben, aber
+er schämte sich vor den Deutschen, die den Brief
+durchlesen und in ihrer Dummheit über ihn
+lachen würden.
+</p>
+
+<p>
+Darum war es ihm ganz recht, daß der Anstaltsdirektor
+ihn eines Tages rufen ließ und ihm
+eröffnete, der Rest seiner Strafe sei ihm vorläufig
+erlassen, und wenn er sich ordentlich führe,
+brauche er sie auch später nicht mehr abzusitzen.
+</p>
+
+<p>
+Er dachte: &bdquo;Da kann ich nun selber nach dem
+Grabe sehen,&ldquo; und machte sich auf den Heimweg.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Kartoffeln wurden gerade gesetzt, und
+alle arbeiteten auf den Feldern. Kaum einer
+<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a>
+sah sich nach ihm um, und so kam er unbeachtet
+bis nach Haus.
+</p>
+
+<p>
+Der Hofhund bellte ihm freudig entgegen,
+und er streichelte ihn, denn das Kind hatte ihn
+lieb gehabt.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus war leer und alles offen. Ihn
+hungerte, aber er wagte nicht, sich ein Stück
+Brot zu schneiden, so fremd kam er sich vor auf
+seinem eigenen Besitz. Er sah sich erst in der
+Kleinen Stube um, wo das Bettchen zuletzt gestanden
+hatte. Aber nichts mehr war davon
+zu bemerken. Sie schien ganz ausgelöscht aus der
+Welt. Aber dann fand er auf Madlynens Brett
+ihre Schiefertafel stehen und eine Schnur mit
+Griffen daran zum Drüberspringen, wie er sie
+ihr einmal gemacht hatte.
+</p>
+
+<p>
+Wenn er nicht so müde gewesen wäre, so wäre
+er auf den Kirchhof gegangen. Und so setzte er
+sich vor das Haus auf die Milcheimerbank, dort,
+wo die Sonne schien, und wartete. Dabei
+schlief er ein und wachte erst auf, als die Stimmen
+der Heimkehrenden im Hoftor laut wurden.
+</p>
+
+<p>
+Die Alute war die erste, die ihn bemerkte.
+Sie richtete sich hoch auf und schritt in ihren
+Klotzkorken mit geraden Schritten auf ihn zu,
+während sie ihm ganz starr in die Augen sah.
+Sie freute sich nicht, aber sie hatte auch keine
+Furcht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie haben dich zur rechten Zeit freigelassen,&ldquo;
+<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a>
+sagte sie, ihm die Hand reichend, &bdquo;der Wirt ist
+gerade sehr nötig im Hause.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werde schon arbeiten,&ldquo; entgegnete er.
+</p>
+
+<p>
+Dann ging sie, das Abendbrot machen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne war hinter ihr gekommen. Er
+bemerkte, daß sie ganz schmal geworden war
+und daß um ihren Mund herum allerhand kleine
+Falten standen.
+</p>
+
+<p>
+Sie reichte ihm auch die Hand und lief dann
+rasch fort.
+</p>
+
+<p>
+Ein fremder Knecht war da, ein ältlicher Mann,
+mit dem die Alute sicher nichts vorgehabt hatte &mdash;
+&bdquo;drum werd&rsquo; ich ihn ruhig behalten können,&ldquo; dachte
+er &mdash;, und eine Magd, die ihn schief ansah, weil
+sie nicht wußte, was sie aus ihm machen sollte.
+</p>
+
+<p>
+Zum Abendbrot hatte die Alute rasch einen
+Hahn geschlachtet. &bdquo;Damit alle erfahren, daß
+der Herr wieder da ist,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Sie war nun ganz freundlich und sah ihn
+immer von unten auf an, wie eine Bittende.
+</p>
+
+<p>
+Er tunkte die Kartoffeln ins Fett, ließ aber
+das Fleisch auf dem Rande liegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum ißt du nicht?&ldquo; fragte die Madlyne,
+der immer die Augen voll Wasser standen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will&rsquo;s mir bis nachher verwahren,&ldquo; erwiderte
+er, &bdquo;denn ich hab&rsquo; so was Gutes lang&rsquo;
+nicht gehabt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Auch ein Glas Alaus bat er sich aus, rührte
+es aber nicht an.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a>
+Nach dem Essen trug er beides in die Kammer
+hinüber, wo er sich still hinsetzte, bis es dunkel
+wurde. Dann holte er sich einen Topf von der
+Herdwand und eine leere Flasche, tat Essen und
+Trinken hinein und verbarg es unter seinem Rocke.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will nur noch einen kleinen Gang
+machen,&ldquo; sagte er, und die beiden Frauen fragten
+ihn nicht, wohin.
+</p>
+
+<p>
+Das kleine Grab hatte er bald gefunden.
+Ein neues Holzkreuz stand zu Kopfenden mit
+einem Dachchen darauf, wie es die jungfräulich
+Entschlafenen haben sollen, und zwei Vögelchen
+an den schrägen Enden. Die hatte sicherlich
+die Madlyne angebracht als Spielzeug für die
+Tote in der langen Ewigkeit.
+</p>
+
+<p>
+Er wühlte in dem Sande des Grabhügels
+eine kleine Kaule aus und stellte Topf und
+Flasche hinein. Dann glättete er den Sand
+wieder, so daß nicht das mindeste zu bemerken
+war.
+</p>
+
+<p>
+Manche sind der Meinung, daß dies zur Nahrung
+für den Geist der Toten gut ist, andere
+aber &mdash; und die sind wohl in der Wahrheit &mdash;
+meinen, daß die böse Giltinne damit besänftigt
+wird, so daß sie der abgeschiedenen Seele
+die Ruhe nicht fortnimmt.
+</p>
+
+<p>
+Und dann saß er noch eine Weile und dachte
+bei sich: &bdquo;Hier ist gut sein.&ldquo; Und ihm war, als
+sei er erst jetzt in die Heimat gekommen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a>
+Als er wieder im Hause war und alle sich
+zum Schlafengehen bereiteten, sann er darüber
+nach, wohin er sich wohl legen sollte. Er wußte
+genau, daß, wenn er sich absonderte, der Hader
+von neuem losgehen würde. Darum kroch er
+in seines Weibes Bett, und sie tat so, als sei er nie
+weggewesen.
+</p>
+
+<p>
+Nun fing sie auch aus freien Stücken von
+dem Kinde zu reden an. Gegen Gottes allmächtigen
+Willen sei Menschenkraft ohnmächtig;
+man müsse zufrieden sein, wenn man sich nichts
+vorzuwerfen habe.
+</p>
+
+<p>
+Und sie weinte.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte nur: &bdquo;Erzähle mir nichts.&ldquo; Denn
+er wußte, daß er es nicht ertragen würde.
+</p>
+
+<p>
+In dieser Nacht erschien der Geist des Kindes
+ihm nicht. Er freute sich, daß er mit der Gabe
+an die Giltinne das Rechte getroffen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Als er am nächsten Morgen den Spaten
+schulterte, um mit den andern in die Kartoffeln
+zu gehen, sagte die Madlyne zu ihm: &bdquo;Ruh dich
+erst aus, du bist noch zu schwach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er wunderte sich, daß sie so wenig von
+seinen Kräften hielt.
+</p>
+
+<p>
+Aber als er eine Weile vorgegraben hatte,
+mußte er sich setzen, denn der Atem fing an, ihm
+zu fehlen, und die Madlyne sah ihn an wie die
+Mutter ihr krankes Kind. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auch die Alute war von nun an immer gut
+<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a>
+zu ihm. Sie brachte ihm Paradieskörner in
+Essig und andere stärkende Sachen, und er dachte:
+&bdquo;Wenn das Kind noch lebte, was würde es jetzt
+für gute Tage haben!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erscheinung war nun nicht mehr wiedergekommen,
+und er begann schon, der Giltinne
+mit geringerer Ehrerbietung zu gedenken.
+</p>
+
+<p>
+Und so vertraut war er inzwischen mit der
+Alute geworden, daß er sich eines Abends ein
+Herz faßte und zu ihr von den Erscheinungen
+sprach. Auch von dem Mittel, das sich dagegen
+bewährt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie lachte und sagte: &bdquo;Wenn das so leicht ist,
+will ich dir Hähne schlachten, so viel du willst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, so gut war sie jetzt immer zu ihm. Und
+er fragte sich manches Mal, warum er sich früher
+eigentlich vor ihr gefürchtet hatte.
+</p>
+
+<p>
+Auch von der Krankheit des Kindes wollte
+er jetzt Näheres wissen. Nicht daß sein Kummer
+geringer gewesen wäre als in der ersten Nacht,
+nur hielt er sie jetzt so wert, daß er glaubte, sie
+würde die richtige Teilnahme haben.
+</p>
+
+<p>
+Aber Alute erwiderte: &bdquo;Du Armer würdest
+es auch heute noch nicht ertragen, drum warte
+noch eine kleine Weile.&ldquo; Und so sagte sie immer
+aufs neue.
+</p>
+
+<p>
+Da kam er auf den Gedanken, die Madlyne
+zu fragen. Aber die Madlyne war jetzt wie
+umgewandelt. Sie ging ihm aus dem Wege,
+<a id="page-134" class="pagenum" title="134"></a>
+wo sie nur konnte, sprach bei Tisch kein Wort
+und bohrte mit den Augen Löcher ins Holz.
+</p>
+
+<p>
+Auch der Alute fiel das auf, und einmal sagte
+sie: &bdquo;Die Madlyne muß aus dem Hause, und
+schickt sie auch die nächsten Freier zurück, die ich
+ihr aussuche, so setze ich ihr eines Tages Bettsack
+und Kasten vors Hoftor.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er erschrak, daß er an einem so bösen
+Ende die Schuld tragen sollte, und beschloß,
+das Seine zu tun, um alles zum bessern zu
+wenden.
+</p>
+
+<p>
+Darum ging er der Madlyne eines Morgens
+zum Melken nach und sagte: &bdquo;Du mußt nicht
+denken, Madlyne, daß ich dir vom Tode des
+Kindes etwas nachtrage.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie stand von der Hocke auf und sagte:
+&bdquo;Aber ich trage es mir nach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete, die Rede Alutens nachsprechend,
+daß gegen Gottes allmächtigen Willen
+Menschenkraft ohnmächtig sei, und man müsse
+zufrieden sein, wenn man sich nichts vorzuwerfen
+habe.
+</p>
+
+<p>
+Da legte sie plötzlich beide Hände auf seine
+Schultern, sah ihn lange mit den bohrenden
+Augen an, die sie jetzt immer machte, und sagte
+dann: &bdquo;Schlaf bei mir, Miks Bumbullis! Dann
+werd&rsquo; ich dir etwas erzählen, was zu wissen dir
+nottut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fühlte eine große Unruhe und antwortete:
+<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a>
+&bdquo;Mir ist nach lockeren Streichen nicht zumut.
+Erzähl es mir auch so.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagte sie, &bdquo;anders tu&rsquo; ich es nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; es mir überlegen,&ldquo; antwortete
+er und ging aus dem Stalle.
+</p>
+
+<p>
+In derselben Nacht kam die Erscheinung
+wieder. Sie war in ihrem Hemdchen, hatte
+auf jeder Achsel einen Vogel sitzen und trug
+einen Stengel in der Hand, aber das war ein
+Schierlingstengel.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte der Alute nichts davon. Und als
+der Abend kam, sparte er wieder sein Essen auf,
+holte sich heimlich einen Topf und trug es darin
+zum Kirchhof hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Er war des Glaubens, das alles sei unbemerkt
+geschehen, aber hinter dem Hofzaun stand Alute
+und sah ihm nach.
+</p>
+
+<p>
+Diesmal gab die Giltinne sich nicht so leicht
+zufrieden, denn das Kind erschien ihm auch in
+der nächsten Nacht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird wohl wieder ein Hahn sein müssen,&ldquo;
+dachte er, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt
+ihn ab, Alute zu bitten, daß sie ihn schlachte.
+</p>
+
+<p>
+Die Erscheinung kam immer wieder, und die
+Unruhe verließ ihn nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Da faßte er sich ein Herz, und während die
+Frau noch auf dem Felde war, ging er der Madlyne
+nach in die Kammer. Als sie ihn kommen
+sah, stieß sie einen Seufzer aus und faltete die
+<a id="page-136" class="pagenum" title="136"></a>
+Hände wie eine, die sich bereit macht, selig zu
+sterben.
+</p>
+
+<p>
+So schlief er also bei ihr, und als ihr Kopf an
+seiner Schulter lag, da kam es ihm zur Klarheit, daß
+er immer und immer nur nach ihr verlangt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie weinte ohne Aufhören und küßte ihm
+beide Hände.
+</p>
+
+<p>
+Und dann ermahnte er sie, daß sie nun ihr
+Versprechen erfüllen solle.
+</p>
+
+<p>
+Sie kniete vor dem Bette nieder und flehte:
+&bdquo;Verlange es nicht! Verlange es nicht!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er verlangte es immer wieder.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie, daß es kein Entrinnen mehr gab,
+und erzählte ihm, auf welche Art Alute das
+Kind umgebracht hatte. Und sie würde nie und
+nimmer zu überführen sein.
+</p>
+
+<p>
+In seinem ersten Zorn griff er nach Madlynens
+Halse, um sie zu erwürgen, weil sie die
+Tat nicht verhindert hatte.
+</p>
+
+<p>
+Sie sagte: &bdquo;Drück nur zu! Drück nur zu!
+Oben am Hühnerbalken kannst du die Schlinge
+sehen, mit der ich mich aufhängen wollte. Und
+wärst du nicht so plötzlich gekommen, hätte ich es
+auch getan.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sprang er aus dem Bette und lief nach
+dem Schleifstein. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Alute arbeitete noch in den Kartoffeln, da sah
+sie einen Menschen auf sich zustürmen, der halb
+angezogen war und eine Axt schwang.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a>
+Und als sie ihren Mann erkannte, da wußte
+sie sofort, was geschehen war und daß es ihr
+nun ans Leben ging.
+</p>
+
+<p>
+Sie rannte schreiend nach der Richtung des
+Dorfes hin, und er mit der erhobenen Axt hinter
+ihr drein.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie wagte nicht, nach einem der verstreuten
+Höfe einzubiegen, denn sie wußte, daß
+kein Türschloß und keine Menschenhand ihn hindern
+würde, die Tat zu begehen.
+</p>
+
+<p>
+So lief sie weiter, und der Raum zwischen
+ihr und ihm verkürzte sich immer mehr.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie nicht fern das Haus des Gendarmen
+und erkannte gleich, daß sie sich für heute
+und künftig nur retten konnte, wenn sie dem alles
+gestand. Die Anstiftung würde ihr niemand
+nachweisen, und der Meineid war bald gebüßt.
+</p>
+
+<p>
+Als ihr Verfolger einsah, wohin sie steuerte,
+da ließ er von ihr ab, denn des Wachtmeisters
+Pistolen waren immer geladen. Er kehrte in
+seinen Fußtapfen um, und die Leute, die ihm
+gefolgt waren, gingen in großem Bogen um
+ihn herum.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus war jetzt so leer, wie er es bei
+seiner Heimkehr gefunden hatte. Auch nach
+Madlyne rief er umsonst.
+</p>
+
+<p>
+Er zog sich einen warmen Rock an, steckte Geld
+in die Tasche, holte ein altes Gewehr hinter den
+Sparren hervor, das seit seiner Wilddiebszeit
+<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a>
+dort noch versteckt lag, und kroch auf dem Bauche
+von Graben zu Graben.
+</p>
+
+<p>
+Als es finster geworden war, floh er über
+die Grenze. Rußland ist groß.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-3-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Gendarm erstattete die Anzeige.
+</p>
+
+<p>
+Die Herren vom Gericht nahmen sich der
+Sache mit großem Eifer an. Ein Steckbrief
+wurde erlassen, Polizisten hielten Nachforschungen
+hüben und drüben, auch wurden Auslieferungsverhandlungen
+angebahnt, damit, wenn
+man ihn faßte, kein Aufschub entstand.
+</p>
+
+<p>
+Alute, die trotz ihrer Selbstbezichtigung noch
+immer frei herumlief, lachte zu alledem und sagte:
+&bdquo;Was gebt ihr euch für Müh&rsquo;! Das Kind wird
+ihn schon holen gehn.&ldquo; Sie hütete sich wohl, in
+ihrem Hause zu bleiben, und selbst für kurze
+Zeit ging sie nur in Begleitung hinein, denn
+sie fürchtete, daß Miks ihr dort auflauern würde.
+</p>
+
+<p>
+Nacht für Nacht hielt sie sich mit dem Gendarmen
+und ein paar Männern, die dazu aufgeboten
+waren, hinter dem Kirchhofzaune versteckt.
+Die Männer wechselten ab, denn keiner
+konnte für die Dauer die Nachtwachen vertragen.
+Sie aber war immer zur Stelle. Bei Tage
+streifte sie herum wie ein wildernder Jagdhund.
+Wo und wann sie schlief, wußte keiner.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a>
+Wenn einer von den fremden Gendarmen,
+die den hiesigen jede zweite Nacht ablösen kamen,
+gegen Morgen hin frierend und mißmutig sagte:
+&bdquo;Ich denke, wir stellen die vergebliche Arbeit ein,
+denn er müßte schön dumm sein, uns freiwillig
+in die Arme zu laufen,&ldquo; dann wehklagte sie und
+flehte mit erhobenen Armen: &bdquo;Erbarmen, Pons
+Wackmeisteris! Ich weiß, das Kind wird ihn
+schon holen gehn, &mdash; wird ihn schon holen gehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Was sie aber nicht wußte, war, daß zu gleicher
+Zeit und gar nicht weit vom Kirchhof Madlyne
+im Graben lag &mdash; dicht an dem Wege, der von der
+Grenze her auf das Dorf zuführte. Sie hielt sich
+heimlich in dem Hause eines früheren Bewerbers
+auf, dessen Frau ihr dankbar war, weil sie ihn
+nicht genommen hatte. Und allabendlich, wenn
+es dunkel wurde, schlich sie sich hinaus auf Wache
+für den Fall, daß er vorbeikommen sollte.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal war es noch kalt, und manchmal
+regnete es, aber sie fror nicht und ließ sich ruhig
+durchweichen. Nur gegen den Schlaf anzukämpfen
+fiel ihr schwer. Darum legte sie sich
+gewöhnlich eine ihrer Klotzkorken auf den Kopf,
+die ihr gegen die Kniee fiel, wenn sie ihn einschlafend
+nach vorn überneigte. Und von dem
+Schmerze wurde sie dann wieder ganz wach.
+</p>
+
+<p>
+Ab und zu ließ vom Kirchhof her ein leises
+Stimmengeräusch oder ein Säbelklirren sich hören;
+ab und zu, wenn der Wind danach stand, zog auch
+<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a>
+ein Tabaksgeruch über sie hin. Dann lachte sie
+höhnisch und schüttelte die Fäuste in das Dunkel
+hinein. Solange sie wachte, war keine Gefahr.
+</p>
+
+<p>
+Aber in einer Nacht &mdash; es mag die vierzehnte
+oder fünfzehnte ihres Dienstes gewesen
+sein &mdash;, da muß der Schlaf sie doch überwältigt
+haben, oder aber er war nicht auf
+dem Wege, sondern quer über die Felder gegangen,
+denn plötzlich hörte sie auffahrend vom
+Kirchhof her Knallen und Männergeschrei. Und
+die Stimme Alutens mischte sich keifend darein.
+</p>
+
+<p>
+Da wußte sie: sie hatten ihn.
+</p>
+
+<p>
+Weinend lief sie auf den Lichtschein los, der
+plötzlich aufgeflammt war.
+</p>
+
+<p>
+Und da sah sie ihn auch schon kommen. Zwei
+Männer brachten ihn geführt, und Alute tanzte
+um ihn herum, indem sie ihm die Zähne zeigte
+und die Zunge ausstreckte.
+</p>
+
+<p>
+In seinem Gürtel hing der Oberteil einer breithalsigen
+Flasche, die wohl beim Kampfe mitten
+durchgeschlagen war. Darin war das Opfer für
+die Giltinne gewesen, mit dem er dem Kinde noch
+einmal die ewige Ruhe hatte erkaufen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Madlyne warf sich ihm in den Weg und
+küßte die eisernen Ringe, in die sie seine blutigen
+Hände gesteckt hatten.
+</p>
+
+<p>
+Er sah gleichsam mitten durch sie hindurch
+und schritt weiter &mdash; seinem Schicksal entgegen.
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-4">
+<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a>
+Jons und Erdme
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-4-1">
+<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Am Osternachmittag sitzen im Chausseegraben
+nicht weit vom Matzicker Walde zwei
+Liebesleute &mdash; der Jons Baltruschat und die
+Erdme Maurus.
+</p>
+
+<p>
+Ach du gütiger Gott, was sich nicht alles lieben
+will auf Erden! Selbst die Aller-, Allerärmsten,
+die kaum das nackte Leben haben, möchten ein
+Nest bauen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist das, was der Litauer einen
+&bdquo;Antrininkas&ldquo; nennt, der &bdquo;Knecht eines Knechtes&ldquo;.
+Das sagt wohl genug.
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme hat unter den Deutschen ihr
+Glück machen wollen. Vorläufig dient sie als
+Abwaschmädchen in dem Schlopsniesschen Gasthaus
+nicht weit vom Bahnhof, das die Leute
+in Heydekrug meistens das &bdquo;Hotel Lausequetsch&ldquo;
+nennen. Mit Unrecht übrigens, denn in der letzten
+Zeit hat es sich sehr gehoben. Sogar die
+besseren Viehverlader verkehren bisweilen darin.
+</p>
+
+<p>
+Ausgeputzt sind sie beide. Der Jons hat
+seine blanken Kirchgangsstiefel an und die
+schwarze Tuchjacke mit dem türkischen Halstuch.
+<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a>
+Und die Erdme &mdash; die ist nun gar eine Feine!
+Litauisch trägt sich die doch nicht mehr! Sie hat
+ein weißes Zephirwollentuch um den Kopf geknüpft
+und eine halbseidene Bluse an, die hinten
+zuzuhaken ist. Die hat ihr einmal die Kellnerin
+geschenkt, weil sie ihr in ihrem Fortkommen
+hinderlich war.
+</p>
+
+<p>
+Jung, stark und hübsch sind sie beide. Aber
+das ist auch alles. Eltern mit Haus und Hof
+haben sie nicht. Überhaupt &mdash; wo sie herstammen,
+davon reden sie lieber gar nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat nicht viel Zeit. Denn um
+acht kommen die Handwerksburschen, die bringen
+Feiertagsfladen von der Walze mit und wollen
+reine Teller haben. Es geht da auch sonst sehr
+üppig zu. In der Küche werden jetzt sogar Ölsardinen
+gehalten, und das Öl darf man hinterher
+austrinken.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons fühlt sich dadurch gedemütigt.
+Wie wird eine Frau, die an so vornehme Lebensart
+gewöhnt ist, später neben ihm aushalten
+wollen?
+</p>
+
+<p>
+Aber die Erdme beruhigt ihn gleich. Was
+hat das alles zu sagen gegen einen eigenen
+Besitz? Denn mit dem Besitzersein fängt das
+Leben doch erst eigentlich an.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ganz ihrer Meinung. Jawohl &mdash;
+aber wie? Die Vögel, die ringsum Halme suchen,
+die haben&rsquo;s leicht. Denen liegt der Baustoff
+<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a>
+frei auf der Straße, und für ihren Nestplatz
+brauchen sie auch nichts zu zahlen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme, die einen fixen Geist hat, redet
+ihm Mut zu. Und so ganz ohne Vermögen sind
+sie ja beide nicht mehr. Nun holen sie rasch
+ihre Beutelchen vor und breiten die Schätze
+neben sich aus, geben aber sorgfältig acht, daß
+beide nicht untereinander geraten. Denn das
+kann erst nach der Trauung geschehen, wenn die
+Gütergemeinschaft erklärt ist.
+</p>
+
+<p>
+Das Häufchen der Erdme ist viel größer
+als seines, so groß, daß er beinahe argwöhnisch
+wird und nach dem Ursprung fragt. Sechsundsechzig
+Mark, die kriegt man nicht leicht zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird zwar etwas verlegen, aber sie
+kann doch Auskunft geben. Das goldne Zwanzigmarkstück,
+das den Hauptstock bildet, hat ihr
+einmal ein Betrunkener geschenkt, der hernach
+verhaftet wurde. Doch das macht ja nichts,
+wieder abgefordert hat es ihr niemand. Und
+auch das übrige ist nicht etwa der Lohn für Gefälligkeiten,
+wie sie Bräutigams nicht gerne sehen,
+sondern redlich verdient von ehrbaren Gästen, die
+höchstens einmal in die Küche kommen, um ein
+ehrbares Mädchen zu kneifen, wo es sich kneifen
+läßt. Zuguterletzt hat sie ein reicher Viehhändler
+durchaus an Kindesstatt annehmen wollen und
+sich erst nach vielem Zureden damit begnügt,
+<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a>
+ihr neun Mark funfzig zu schenken, denn mehr
+hat er gerade nicht bei sich gehabt.
+</p>
+
+<p>
+Das alles ist also in guter Ordnung, aber
+die lumpigen fünfundzwanzig Mark, die er sich
+in zwei Jahren &mdash; und mit was für Opfern! &mdash;
+von seinem Lohne erspart hat, können sich daneben
+nicht sehen lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach was,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;zusammen sind
+das einundneunzig. Und für hundert kann man
+sich schon ein Haus bauen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja wo?&ldquo; fragt er. &bdquo;Etwa im Monde?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Durchaus nicht im Monde, sondern sogar
+ganz nah&rsquo; von hier. Auf der anderen Seite von
+Heydekrug, nach Ruß zu, wo im Rupkalwer Moor
+die Kolonie Bismarck liegt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach so, in Kolonie Bismarck, wo die Diebe
+und die Mörder hausen,&ldquo; meint er, denn in gutem
+Ruf steht sie nicht, die Kolonie Bismarck.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird ärgerlich. Erstens gibt es
+Diebe und Mörder überall, und zweitens kommt
+es zunächst darauf an, daß man ein Haus über
+dem Kopfe hat. Dort ist man sozusagen beim
+preußischen Staat zu Gaste, der Grund und
+Boden vergibt, und einen vornehmeren Herrn
+kann sich keiner erdenken.
+</p>
+
+<p>
+Er zweifelt noch immer, daß es möglich ist,
+für hundert Mark ein Haus zu erbauen, aber sie
+weiß es genau.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Natürlich, nachhelfen muß man ein bißchen,&ldquo;
+<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a>
+sagt sie und lacht ihm verstohlen zu. &bdquo;Nachhelfen
+tut ein jeder, und der Moorvogt weiß viel, wo
+es herkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun lacht auch er, und der Entschluß wird
+besiegelt.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie aufstehen und die Kleider abgeklopft
+haben, betrachten sie einander und finden, daß
+sie ein Paar sind, das sich sehen lassen kann.
+</p>
+
+<p>
+Er &mdash; straff, breit, knorrig, mit wagerechten
+Trageschultern und zwei Fäusten, die nicht mehr
+loslassen, wo sie einmal zugepackt haben.
+</p>
+
+<p>
+Sie &mdash; eine richtige Scharwerksmarjell, hochbusig
+mit federnden Armen und Schenkeln von
+Eisen, mit flinkem Halse und blanken Backen,
+in denen zwei Augen listig und lustig Nähe und
+Ferne nach Beute durchmustern.
+</p>
+
+<p>
+Zwei richtige Lebenskämpfer, bereit, dem
+Schwersten Stand zu halten und das Widrigste
+mit Schlauheit zu umgehen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-2">
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Zuerst der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist der unumschränkte Herrscher
+der Kolonie, der zweitausend Lebensschicksale
+sorgsam und strenge an obrigkeitlicher Leine
+führt. Über ihm steht nur noch die Generalkommission;
+doch wer und was das eigentlich ist,
+ahnen nur wenige.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a>
+Drei Tage später gehen sie also zum Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Mit List und Gewalt haben sie sich beide
+aus ihren Dienststellungen freigemacht. Die
+Erdme hat sich von ihrer Herrin eine Scheuerbürste
+an den Kopf werfen lassen und hierauf
+mit einer Anzeige wegen Körperverletzung gedroht,
+so daß sie schließlich mit dem Zeugnis
+auch noch ein Schmerzensgeld bekommen hat,
+und der Jons, der weniger gerissen ist, hat seinem
+Brotherrn bloß einen etwaigen Totschlag
+in Aussicht gestellt, falls er ihn nicht auf der
+Stelle abziehen lasse. Manchmal hilft das,
+manchmal geht es auch schlimm aus. Aber diesmal
+hat es geholfen.
+</p>
+
+<p>
+So wandern sie also wohlgemut auf der
+Rußner Chaussee zur Kolonie Bismarck hinaus,
+die bald hinter dem Szlaszner Kirchhof beginnt
+und sich so weit ins Moor hinausstreckt, daß man
+ihr Ende nirgends absehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an der langen Brücke sind, die über
+die Sumpfniederung führt, bleibt die Erdme
+an dem schwarz-weißen Geländer stehen und
+zeigt auf die Kuhblumen hinunter, die ihre
+buttergelben Köpfe aus dem Überschwemmungswasser
+stecken, und sie sagt: &bdquo;Wie die Blumchen
+da vorwärts kommen, ohne zu ertrinken, so werden
+wir auch vorwärts kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons meint dasselbe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a>
+Als sie aber vor dem ehemaligen Chausseehause
+stehen, in dem jetzt der Moorvogt wohnt,
+da fällt ihnen doch das Herz in die Schuhe.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist ein starker Mann gegen
+die Vierzig, mit ernsten Augen und einem Munde,
+der ungern zu lächeln scheint. Eigentlich hart
+sieht er nicht aus, aber seine Rede ist scharf und
+gemessen. Angst muß man schon darum vor
+ihm haben, weil er so mächtig ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also anbauen wollt ihr euch?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Seid ihr verheiratet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das sind sie nun eigentlich nicht, aber das
+Aufgebot kann jeden Augenblick bestellt werden.
+Jetzt gleich, wenn er will.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die Papiere in Ordnung?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alles tragen sie bei sich, vom Taufschein an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die nötigen Mittel da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ob die da sind! Und mit zaghaftem Stolze
+ziehen sie ihre Beutelchen. Das Goldstück, das
+bei ihr obenauf liegt, scheint ihm einen großen
+Eindruck zu machen, denn zum ersten Male geht
+ein Lächeln über sein Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+Und er greift nach Mütze und Hakenstock
+und sagt: &bdquo;Kommt mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann geht er ihnen voran auf einer Straße
+aus Knüppeln und Lehm, die geradeswegs von
+der hohen Chaussee weg ins Moor hinunterführt.
+Das sieht nun freilich fürs erste nach
+<a id="page-150" class="pagenum" title="150"></a>
+allem aus, nur nicht nach einem Moor. Rechts
+und links nichts wie Kartoffeläcker und Siedlungen
+bis in den grauen Dunst hinein. <em>Die</em>
+Häuser haben etwas mehr als hundert Mark
+gekostet! Da reichen selbst tausend nicht! Und
+ringsum Ställe und Schuppen! Und Gärten
+sogar &mdash; die Zäune mit Ölfarbe gestrichen!
+Und jeder Zufahrtsweg hat seine kleine Allee,
+aus Quitschen und Birken &mdash; weiß wie Schnee
+und schnurgerade.
+</p>
+
+<p>
+Das Herz wird ihnen immer schwerer, aber
+zu reden wagen sie nicht. Sonst wären sie vielleicht
+noch umgekehrt. Denn wie kann man je
+daran denken, solche Herrlichkeiten sein eigen
+zu nennen?
+</p>
+
+<p>
+So gehen sie wohl eine halbe Stunde lang.
+Eine Wirtschaft folgt der anderen, ein Ackerfeld
+dem anderen. Nur hie und da auf höherem
+Boden, wie aus Versehen stehen geblieben, ein
+Gebüsch von krüppeligen Fichten, die kaum einmal
+die Kraft haben, Nadeln zu tragen.
+</p>
+
+<p>
+Dann allmählich verändert sich das Bild.
+Die Wohnhäuser werden ärmlicher &mdash; demütiger,
+möchte man sagen &mdash;, die Wirtschaftsgebäude
+hören auf, und statt der beackerten Felder breiten
+sich kahle Moorheiden aus bis ins Endlose hin,
+von viereckigen schwarzen Teichen unterbrochen,
+die vom Torfstechen übriggeblieben sind. Auf
+denen sprießt ein junges Sumpfgrün. Sonst
+<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a>
+ist alles braun vor ihnen her. Wie beschorft ist
+alles.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt hat den ganzen Weg über
+kein Wort zu ihnen gesprochen. Jetzt wendet
+er sich um und sagt: &bdquo;Hier könnt ihr euch nun
+eine Baustelle aussuchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er geht ihnen voran, seitwärts auf den
+Moorboden hinaus, der unter ihren Füßen
+quatscht und einsinkt. Und wo der Moorvogt
+den Stock einstößt, bleibt ein wasserglänzendes
+Löchelchen übrig.
+</p>
+
+<p>
+Da endlich macht der Jons seinem bedrückten
+Herzen Luft und fragt beinahe schreiend:
+&bdquo;Kann man denn hier überhaupt bauen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt weist mit seinem Stocke zurück
+und in die Runde: &bdquo;Die haben alle einmal
+so gebaut,&ldquo; sagt er. &bdquo;Das Trockenmachen ist
+eure Sache.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme sehen sich an und denken:
+&bdquo;Was die anderen gekonnt haben, müssen wir
+auch können.&ldquo; Und so suchen sie sich aufs Geratewohl
+einen Platz für Haus und Ackerland und
+sind dabei immer dem Weinen nahe.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt umgeht mit ausgreifenden
+Schritten die ungefähr in Betracht kommende
+Fläche. &bdquo;Diese Parzelle,&ldquo; sagt er dann stehen
+bleibend, &bdquo;gibt euch der Staat zur Bewirtschaftung.
+Sie wird natürlich genau ausgemessen
+werden und ist dann einen Hektar groß. Geht
+<a id="page-152" class="pagenum" title="152"></a>
+es euch gut, so dürft ihr später noch drei weitere
+dazu pachten. Auf dem Rückwege kommt bei
+mir an und gebt eure Unterschrift. Bis dahin
+überlegt es euch. Braucht ihr einen Rat, so
+bin ich dazu da. Viel Glück und guten Morgen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit gibt er ihnen die Hand, und weg ist er.
+</p>
+
+<p>
+Nun stehen sie da und sehen sich wieder an.
+</p>
+
+<p>
+Ja oder nein?
+</p>
+
+<p>
+Nein &mdash; dann müssen sie zurück in Dienst &mdash;
+in einen härteren vielleicht, vielleicht auch niedrigeren,
+obgleich das kaum noch möglich ist, und
+die Hoffnung auf Haus und Herd versinkt für
+Jahre. Wozu sind sie jung und übervoll von
+unverbrauchten Kräften, die sich sonst für Fremde
+erschöpfen müssen? Also ja &mdash; dreimal und
+tausendmal ja.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was die anderen gekonnt haben, müssen
+wir auch können,&ldquo; wiederholt der Jons noch
+einmal laut, und die Erdme wiederholt es auch.
+Und damit sind sie fertig.
+</p>
+
+<p>
+Das Nötigste, woran sie denken müssen, ist,
+sich für die nächsten Monate ein Obdach zu
+besorgen.
+</p>
+
+<p>
+Sie gehen also an die ersten zwei Leute
+heran, die sie auf dem Acker arbeiten sehen, und
+sagen: &bdquo;Wir wollen uns in der Nähe anbauen.
+Könnt ihr uns wohl so lange eine Kammer vermieten?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Mann, der sanftblickende Augen hat
+<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a>
+und dem um das magere, bartlose Gesicht
+langes, graues Haar bis auf die Schultern fällt,
+sieht sie lange an und fragt dann: &bdquo;Seid ihr
+verheiratet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Erdme lügt rasch &bdquo;ja&ldquo;, denn sie überlegt sich,
+daß ihr wahrhafter Stand, mag er noch so kurze
+Zeit andauern, ihnen bei allen Gutgesinnten
+Hindernisse bereiten würde.
+</p>
+
+<p>
+Und die Frau, die auch nicht mehr jung ist
+und die so aussieht, als muß sie immer Senf
+aufschmieren, hat aber keinen Senftopf, die
+sagt: &bdquo;Wir sind nämlich Gebetsleute. Wer nicht
+nach den Geboten des Herrn lebt, den nehmen
+wir nicht auf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Erdme sagt: &bdquo;Auch wir wollen uns den Erleuchteten
+zuwenden,&ldquo; denn sie weiß sofort, daß
+sie beide durch dieses Bekenntnis Freiwohnen
+erlangen werden.
+</p>
+
+<p>
+Betten wird sie mitbringen, und so ist für
+Unterschlupf gesorgt.
+</p>
+
+<p>
+Dann kehren sie wieder beim Moorvogt an.
+</p>
+
+<p>
+Er hat einen großen Bogen ausgefertigt,
+sieht noch einmal ihre Papiere durch, und dann
+gibt Jons die Unterschrift.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist zugleich auch der Standesbeamte
+und trägt sie als Brautleute in die Register
+ein.
+</p>
+
+<p>
+Jons denkt an die Unwahrheit, die Erdme
+vorhin ausgesprochen hat, und fragt: &bdquo;Die Zeit
+<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a>
+ist knapp. Werden wir als ledige Leute schon
+einziehen dürfen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt lächelt, wie er damals getan
+hat, als er ihr Vermögen besah, und sagt: &bdquo;Die
+Aushängebogen liest keiner.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit sind sie entlassen.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber bleibt noch eins zu ordnen, das
+wichtigste von allem &mdash; außer dem Pfarrer
+natürlich, bei dem das Aufgebot bestellt werden
+muß. Das ist für Jons, sich eine regelrechte
+Arbeit zu beschaffen, damit durch den Tagelohn
+für den künftigen Unterhalt gesorgt wird und
+ab und zu noch ein paar Groschen in die Baukasse
+kommen.
+</p>
+
+<p>
+Man hat die Wahl zwischen der Torfstreufabrik
+und der Sägemühle, die beide jetzt zum
+Frühling Leute brauchen. Jons wählt die
+Sägemühle, weil er hoffen kann, dort am ehesten
+Gelegenheit zu billigem oder &mdash; wenn das
+Glück es will &mdash; auch kostenlosem Holzerwerb zu
+finden.
+</p>
+
+<p>
+Sie gehen also den langen Weg nach Heydekrug
+zurück, &mdash; und siehe da! kaum nachgefragt,
+da hat er auch schon die Zusage in der Tasche,
+daß er am nächsten Morgen antreten kann.
+</p>
+
+<p>
+Zwei Mark pro Tag &mdash; so viel hat er in
+seinem ganzen Leben noch nicht verdient.
+</p>
+
+<p>
+Als die Dunkelheit gekommen ist, überlegen
+sie sich, daß noch nie ein Tag da war, der sie
+<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a>
+ein so großes Stück im Leben weiterführte.
+Aber er hat sie auch sehr hungrig gemacht. Und
+da sie beileibe kein Geld ausgeben wollen und
+zum Betteln zu jung und zu anständig aussehen,
+so scharren sie sich auf dem Weg nach dem neuen
+Zuhause ein paar Saatkartoffeln aus einer Miete,
+was gewiß eine große Sünde ist, aber der Besitzer
+hat noch genug, und so geschieht niemandem
+ein Schade.
+</p>
+
+<p>
+Die Taschen voll kommen sie heim, und als
+sie beim Abkochen ein andächtiges Abendlied
+singen, schenkt ihnen der fromme Wirt sogar
+noch ein Stückchen Speck dazu.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Entwässerungsgraben ist das erste. Ohne
+den geht nichts.
+</p>
+
+<p>
+Erdme hat ihn fast allein gezogen. Denn
+wenn Jons auch um drei aufsteht, um fünf
+muß er ja auf dem Weg zur Sägemühle sein,
+und abends ist sein Helfen auch nicht viel wert.
+Dann hängen ihm die Arme immer wie Säcke
+am Leibe.
+</p>
+
+<p>
+Aber Erdme &mdash; die schafft es. Sie steht bis
+zu den Knieen im eiskalten Wasser und sticht
+und gräbt und gräbt und sticht &mdash; quer durch das
+widerspenstige Wurzelwerk, das manchmal durch
+keine Menschenkraft bezwingbar scheint.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a>
+Der fromme Taruttis &mdash; so heißt der Wirt &mdash;
+sieht von weitem ihr maßloses Mühen, und da
+sein mitleidiges Gemüt es ihm befiehlt, so läßt
+er oft die eigene Arbeit im Stich und kommt, ihr
+über die schwersten Stellen hinwegzuhelfen.
+</p>
+
+<p>
+Dafür aber sieht sich Jons zu seinem bitteren
+Ärger genötigt, die kostbaren Freistunden des
+Sonntags mit Singen und Beten zu verschwenden.
+Frommsein ist gewiß eine schöne und
+notwendige Sache, aber man muß Zeit dazu
+haben. Sonst wird es zur Landplag&rsquo;.
+</p>
+
+<p>
+Die Arbeitsgelegenheit in der Sägemühle
+hat sich übrigens als ein Glücksfall erwiesen.
+Denn aus den Gesprächen mit den Fuhrleuten
+kann man auf unauffällige Weise tagtäglich
+erfahren, in welchem Walde und an welcher
+Stelle geeignetes Holz zu nächtlicher Abholung
+bereit liegt.
+</p>
+
+<p>
+Aber Jons ist nicht der Mann dazu, sich mit
+gebundenen Händen irgend einem Aufseher auszuliefern,
+dem es beliebt, ihn anzuhalten.
+</p>
+
+<p>
+Die erste der kräftigen vier Kieferstangen,
+die als Eckpfeiler eines zu erbauenden Hauses
+nun einmal unentbehrlich sind, kauft er sich für
+blankes Geld von einem Besitzer, der wegen
+leidiger Hypothekenzinsen ein schönes Eckchen
+seines Waldes niederlegt. Dabei bekommt er
+einen regelrechten Kaufschein, den er fortan als
+Schirm und Schutz in seiner Tasche mit sich führt.
+<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a>
+Und als er mit Erdme in der übernächsten Nacht
+einen zweiten Stamm nach Hause bringt, der
+nicht ganz so rechtsgültig erworben ist, da kann er
+sich des guten Gewissens erfreuen, <a id="corr-2"></a>das solch ein
+Stückchen Papier seinem Träger verleiht.
+</p>
+
+<p>
+Den Handwagen borgt der fromme Taruttis,
+der natürlich nichts Böses ahnt, und legt sogar
+noch einen goldumränderten Spruch hinein.
+Ob der nun hilft oder was Anderes, kurz, auch
+der dritte Stamm gelangt unangehalten nach
+Hause. Als aber der vierte an der Reihe ist,
+da kommt als ein unaufschiebbares Hindernis
+die Hochzeit dazwischen.
+</p>
+
+<p>
+Die muß wegen der Wirtsleute in strengster
+Heimlichkeit vollzogen werden und kostet beim
+Standesamt allein zwei Funfzigpfennigstücke für
+die fremden Zeugen, die sich Jons von der Landstraße
+mitgebracht hat. Ein Glück ist, daß die sich
+bereit erklären, auch bei der Trauung am nächsten
+Sonntag das Zeugenamt zu versehen, vorausgesetzt,
+daß sie hernach drei süße Schnäpse bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt verhält sich nicht im mindesten
+feierlich, er hat nicht einmal die Lichter angesteckt,
+so gering achtet er sie. Zum Schlusse reicht er
+ihnen die Hand und sagt: &bdquo;Von nun an könnt
+ihr in Ehren beieinander wohnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als ob das ohne den Pfarrer so ginge!
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis ist zwar wenig erfreut,
+<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a>
+als er am Sonntag das junge Paar im besten
+Staate zur Kirche gehen sieht, denn ihm erscheint
+die Kanzelpredigt nur als ein heidnischer Tand;
+aber da sie schon halbwegs zu den Erleuchteten
+gehören, so hofft er, sie durch inbrünstiges Gebet
+bald ganz und gar bekehrt zu haben, und trägt
+es ihnen weiter nicht nach.
+</p>
+
+<p>
+Heimlich pflücken sie sich im Garten ein paar
+jungsprossende Rautenblättchen, die sie als Merkmal
+ihrer Brautschaft nicht entbehren wollen,
+und treten dann den langen Weg zum Gotteshause
+an.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Zeugen sind richtig zur Stelle,
+sie aber schämen sich, auf einer der vordersten
+Bänke Platz zu nehmen, wo immer die Hochzeitsleute
+sitzen, und verkriechen sich hinter
+einem der rückwärtigen Pfeiler. Nicht einmal
+die Rautensträußchen legen sie an, sondern
+bekneifen sie mit den heißen Fingern.
+</p>
+
+<p>
+Der Gottesdienst ist zu Ende. Aber jetzt
+kommt erst eine große Hochzeitsgesellschaft, die
+mit ihren blumengeschmückten Wagen den halben
+Vorplatz erfüllt hat. Bebänderte Ordner
+laufen umher, und die Brautführer umgeben
+wie eine Königsgarde den Marschall.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden aber sitzen geduckt im Winkelchen,
+und ihre Zeugen riechen nach Mist.
+</p>
+
+<p>
+Als der letzte von der großen Hochzeit den
+Kirchenraum verlassen hat, fassen sie sich ein
+<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a>
+Herz und schieben sich bis nach dem Mittelgang.
+</p>
+
+<p>
+Der Pfarrer &mdash; ein junger Mann, mit einem
+Traumdeutergesicht &mdash; blickt ihnen freundlich
+entgegen, und da sie wegen ihrer Armut nicht
+vor den Altar zu treten wagen, öffnet er die
+rotgepolsterten Schranken und schreitet auf sie
+zu, um sie an seinen eigenen Händen dorthin
+zu führen.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht auch nicht bloß die Worte, die im
+Buche stehen, sondern hält ihnen eine genau
+so schöne Rede, als ob sie vorher dafür bezahlt
+hätten.
+</p>
+
+<p>
+Er preist sie glücklich, daß sie, erfüllt von Jugendkraft
+und Hoffnung, die gemeinsame Reise
+durchs Leben anzutreten entschlossen sind, malt
+ihnen aus, was sie alles erreichen können, wenn
+sie fleißig und beharrlich an ihrem Glücke arbeiten
+und vor allem &mdash; vor allem, vor allem! &mdash;
+den schmalen Weg der Redlichkeit niemals verlassen
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme weinen sehr, und jeder
+von ihnen schwört sich zu, die Ermahnungen des
+Pfarrers nicht zu vergessen.
+</p>
+
+<p>
+Als aber die Zeugen ihre drei Schnäpse erhalten
+haben und es dunkel zu werden beginnt,
+da müssen sie doch daran gehen, den vierten der
+Stämme aus dem Walde zu holen, denn jeder
+Tag Aufschub kann von Nachteil sein.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-160" class="pagenum" title="160"></a>
+Sie suchen sich den Handwagen, den sie schon
+gestern in sicherem Gewahrsam untergestellt
+haben, und anstatt wie andere bei fröhlichem
+Tanz und Gelage das neue Leben einzuweihen,
+ziehen sie beschämt und beklommen auf Raub aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn man so arm ist wie wir, dann kann
+das unmöglich eine Sünde sein,&ldquo; tröstet die
+Erdme sich und ihn.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Eine Sünde ist es schon,&ldquo; antwortet der
+Jons, &bdquo;das hat ja noch heute der Pfarrer gesagt.
+Aber wenn wir es nicht mehr nötig haben,
+dann wollen wir alles wieder gut machen, worin
+wir uns jetzt vergehen müssen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das geloben sie einander, während
+sie im Chausseegraben die Nachtstille abwarten.
+</p>
+
+<p>
+Und noch manches geloben sie. Keinen Hader
+wollen sie aufkommen lassen und keine giftigen
+Worte in den Mund nehmen und in allem
+den Kindern ein gutes Beispiel geben.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, unsere Kinder sollen es einmal gut
+haben,&ldquo; meint der Jons.
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme gerät ins Schwärmen:
+&bdquo;Wenn ich Töchter kriege, dann sollen sie in
+Samt und Seide gehen &mdash; und ihre Hochzeiten
+sollen acht Tage dauern &mdash; und der Bräutigamsvater
+soll nichts Geringeres sein als ein
+Gendarm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Doch der Gedanke an den Gendarmen ist
+ihnen unbehaglich, darum spinnen sie ihn nicht
+<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a>
+weiter, sondern eilen, im Dunkel des Matzicker
+Waldes zu verschwinden, wo der vierte Pfosten
+ihres künftigen Glückes als frischgefällte Kiefer
+mattschimmernd am Boden liegt.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-4">
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+Hausbauen! Leicht gesagt, wenn man für
+den Winter noch nichts zu essen hat! Die Tage
+werden heiß. Erst muß die Kartoffelaussaat
+geschafft sein.
+</p>
+
+<p>
+Jons berechnet die Bodenfläche, die im ersten
+Frühjahr allenfalls in Arbeit genommen werden
+kann, Erdme leiht sich eine Moorhacke aus, und
+nachdem die Quergräben gezogen sind, die die
+weitere Trockenlegung verlangt, kann das Urbarmachen
+beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Ein Freitagmorgen ist es zu Ende Mai &mdash;
+wenn man das Morgen nennen kann, denn noch
+stehen die Sterne am Himmel &mdash;, da schultern
+sie Hacke und Spaten und ziehen hinaus auf
+das kahle Moor, dorthin, wo die vier Kiefernstangen
+lang ausgestreckt für ihr künftiges Amt
+auf Vorrat schlafen.
+</p>
+
+<p>
+Rohrhalme, gestern noch eingesteckt, bezeichnen
+die Grenzen des Ackers, der nun werden
+soll.
+</p>
+
+<p>
+Den beiden ist bang und feierlich zumut.
+Gemeinsam zu beten getrauen sie sich nicht, weil
+<a id="page-162" class="pagenum" title="162"></a>
+sie ein schlechtes Gewissen haben, und darum
+spricht jeder von ihnen sein Vaterunser ganz
+im geheimen, als ob er Wunder was Unrechtes
+täte.
+</p>
+
+<p>
+Und dann geht es los.
+</p>
+
+<p>
+Die oberste Schicht des Moores, die aus
+lebendigen Pflanzenstoffen besteht, muß zerkleinert
+und heruntergeschält werden &mdash; &bdquo;abplacken&ldquo;
+nennt man es &mdash;, weil der drunter
+liegende Boden erst dann, wenn sie mit ihm
+gemischt ist, die natürliche Fruchtbarkeit erhält,
+die eine Aussicht auf künftige &mdash; wenn auch
+spärliche &mdash; Ernten eröffnet.
+</p>
+
+<p>
+Die paar Stunden der Frühe vergehen im
+Fluge. Dann muß er ja weg, um mit dem Taglohn
+Bargeld nach Hause zu bringen. Denn wo
+soll der Stoff zum Hausbau sonst herkommen?
+</p>
+
+<p>
+Es ist gar nicht auszudenken, was alles fehlt.
+Zuerst die Latten oder Schwarten, mittels deren
+die Eckpfeiler verbunden werden, damit so das
+Viereck entsteht, das den Grundriß des Hauses
+bilden soll. Dann die Sparrbalken &mdash; die Sparren
+selbst &mdash; die Ziegel für die Feuerstätte und
+so noch vieles, was nur zum Teil gemaust werden
+kann.
+</p>
+
+<p>
+Ein jeder sorgt auf seine Art, und keiner will
+hinter dem andern zurückstehn. Von einem,
+dessen Tagwerk um drei Uhr früh beginnt und
+um acht Uhr abends endet, kann niemand
+<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a>
+auf Erden sagen, er habe es sich zu knapp bemessen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt der Acker rasch voran.
+</p>
+
+<p>
+Eines Vormittags, als Erdme sich aufrichtet,
+um sich den rieselnden Schweiß aus den Augen
+zu wischen, sieht sie den Moorvogt hinter
+sich stehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie erschrickt sehr, denn die zwölf Mark
+Pacht, die für das erste Jahr gezahlt werden
+sollen &mdash; später werden es dreißig &mdash;, sind noch
+nicht abgeliefert.
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Es ist spät im Jahr. Werdet ihr
+mit der Aussaat zurechtkommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie antwortet: &bdquo;Wie Gott will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott will, wie der Mensch will,&ldquo; sagt er.
+&bdquo;Wenn er erst weiß, daß ihr tüchtig seid, wird
+er euch nichts in den Weg legen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dann prüft er die vier Kiefernstämme, die,
+schon geschält, wie Silber in der Sonne funkeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schöne Stangen habt ihr da,&ldquo; sagt er und
+sieht Erdme dabei mit schiefem Munde halb von
+der Seite an, als sei ihm nicht einer ihrer nächtlichen
+Gänge verborgen geblieben.
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Verlegenheit streicht sie sich mit den
+Sohlen den schwarzen Schlamm von den Beinen,
+denn sie wartet, daß er nun nach dem Ursprung
+fragen werde; aber die Frage bleibt aus.
+</p>
+
+<p>
+Auch ein Haufen Schwarten liegt schon
+da, die Jons sich für billiges Geld unter
+<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a>
+den Abfällen des Holzplatzes hat aussuchen
+dürfen.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt betrachtet sie einzeln, und die
+untauglichen zeichnet er mit der Spitze seines
+Hakenstocks.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Denen sieht man es an, daß sie redlich erworben
+sind,&ldquo; sagt er und wendet sich ohne
+Gruß wieder dem Wege zu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da geht er hin wie der liebe Gott,&ldquo; denkt
+Erdme und ist sehr froh, mit heiler Haut davongekommen
+zu sein. Vieles an ihm begreift sie
+nicht, aber beim lieben Gott geht es einem ja
+ebenso. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Wochenmarkt hat Jons drei Scheffel
+Saatkartoffeln gekauft, glasblank und dünnschalig,
+wie sie für den Moorboden gut sind.
+Die werden in Hälften geschnitten und in die
+flachen Rücke gleichsam obenauf gelegt, denn
+nicht weit darunter sitzt immer noch das quatschende
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch die sind redlich erworben,&ldquo; sagt Erdme
+mit Stolz. Und darum brauchen sie sich nicht
+zu schämen, über der frischen Saat ein Bittgebet
+zu tun.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch muß viel zusammengegrapscht
+werden!
+</p>
+
+<p>
+Denn die Hölzer, aus denen man die Sparrbalken
+zurechthackt, mit blankem Gelde zu bezahlen,
+während sie freundlich in den Wäldern
+<a id="page-165" class="pagenum" title="165"></a>
+herumliegen, wäre ein Wahnsinn gewesen. Aber
+vorsichtig muß man schon sein, darum wird Jons
+auch diesmal die erste Ladung nach allen Regeln
+käuflich erstehen und ärgert sich bloß, daß er
+den Schein dafür nicht gleich vor den Mützenschirm
+stecken kann. Jetzt und auch bei den
+nächsten Fahrten hernach, wenn alles an Ort
+und Stelle ist, fragt niemand mehr. Höchstens
+der Moorvogt hätte ein Recht dazu, aber der
+fragt ja nicht, wie man weiß.
+</p>
+
+<p>
+Eine Nacht um die andere ziehen sie los,
+denn ab und zu schlafen muß doch der Mensch.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis ahnt immer noch nichts.
+Ihm hat der Kaufschein die Augen verblendet.
+Nur daß sie sich die nötige Zeit zum Beten nicht
+nehmen, quält sein mildes Gemüt, und darum
+betet er fleißig für sie, während sie auf seinem
+Handwagen das gestohlene Gut mit Hupp und
+Hopp nach Hause fahren.
+</p>
+
+<p>
+Und die Taruttene, die unzufrieden ist, wenn
+sie ihn nicht übertrumpfen kann, steht sogar
+im Finstern schon auf, um ihnen was Warmes
+bereitzuhalten.
+</p>
+
+<p>
+So nehmen die Dinge ihren guten Verlauf,
+und die Baukasse wird kaum einmal magerer.
+</p>
+
+<p>
+Endlich ist auch der Tag nahe, an dem die
+Aufrichtung des Hauses vonstattengehen kann.
+Hierzu genügen die Kräfte zweier Menschen
+nun freilich nicht, und darum entschließt sich
+<a id="page-166" class="pagenum" title="166"></a>
+Erdme auf des Taruttis Rat, bei den Nachbarn
+herumzugehen und sich eine Talka zusammenzubitten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Talka&ldquo; heißt auf deutsch &bdquo;Arbeitsgesellschaft&ldquo;,
+und auf solchen gemeinsamen Hilfeleistungen
+beruht vieles, was unter diesen armen Menschen,
+die gemietete Hände niemals bezahlen könnten,
+an Tüchtigem zustandekommt. Dafür erweist
+man sich dann später dankbar, wenn der Ruf an
+einen selber ergeht, und alles schließt mit einer
+fröhlichen Bewirtung, so viel oder so wenig der
+Bittende zu geben vermag.
+</p>
+
+<p>
+Taruttis bezeichnet der Erdme mit der Hand
+die Häuser, in denen sie vorsprechen kann, und
+die, an denen sie vorbeigehen muß. Dort wohnt
+einer, der hilft <em>nicht</em>, aber dort wohnt einer,
+der hilft, weil man ihm selber geholfen hat.
+</p>
+
+<p>
+Zu dem, der wohl hundert Schritt weit auf
+der anderen Seite des Weges sein kleines Anwesen
+hat, geht Erdme zuerst.
+</p>
+
+<p>
+Er heißt Witkuhn, stammt aus dem Goldapschen
+und ist weit in der Welt herumgewesen.
+Sogar die Moorwirtschaft im Westen soll ihm
+bekannt sein, so daß er schon manchem der Langeingesessenen
+einen guten Ratschlag hat geben
+können.
+</p>
+
+<p>
+Erdme findet einen blonden, scheuen Mann zu
+Mitte der Dreißig, der die Gewohnheit hat, beim
+Reden irgendwohin ins Leere zu blicken, und
+<a id="page-167" class="pagenum" title="167"></a>
+dabei zittert ihm immer der Unterkiefer. Wie
+er die Erdme daherkommen sieht, die frisch von
+der Arbeit weg, mit hochgebundenem Rock und
+aufgeschlagenen Ärmeln, über die Äcker schreitet,
+macht er große Augen vor ihrer Glieder Pracht,
+um dann erst &mdash; gleichsam erschrocken &mdash; den Blick
+von ihr wegzuwenden.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht ein richtiges, aber fremdklingendes
+Litauisch, etwa wie die Pfarrer sprechen, die
+es erst später gelernt haben, und sieht überhaupt
+aus wie ein verkappter Deutscher. Aber er ist
+gut und höflich zu ihr &mdash; nur, daß er sie nicht
+ansehen kann.
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau kommt später zum Vorschein. &mdash;
+Eine Halblitauerin ist auch sie, klein und kümmerlich
+&mdash; ach Gott, wie sehr! &mdash;, mit grauer Gesichtsfarbe
+und abgemüdeten Augen. Sie wirft
+einen neidischen Blick auf Erdmes kräftige Gestalt,
+begrüßt sie dann aber ganz freundlich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn wir nun Nachbarn werden,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;möge Gott geben, daß Frieden zwischen uns
+bleibt.&ldquo; Und dabei sieht sie nicht Erdme, sondern
+ihren Mann an, der auch vor ihr den Blick zur
+Seite wendet.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An uns soll es wahrhaftig nicht liegen,&ldquo;
+sagt Erdme und verabschiedet sich. Sie fühlt sich
+zu den Leuten hingezogen, obgleich, wie man
+ja sehen kann, das Unglück im Hause sitzt.
+</p>
+
+<p>
+Ein anderer, an den sie durch Taruttis gewiesen
+<a id="page-168" class="pagenum" title="168"></a>
+ist, hat sein Eigentum dicht neben dem
+kleinen Moorwalde, der auf einer Sandnase
+sitzt und so niedrig ist, daß man bloß auf eine
+Fußbank zu steigen braucht, um darüber hinwegzublicken.
+Diese Wirtschaft sieht schon etwas
+vorgeschrittener aus. Ein Stall ist da, und an
+den grünen Simsenbüscheln rupfen zwei magere
+Kühe.
+</p>
+
+<p>
+Der Besitzer heißt Smailus und hat vor
+kurzem schon die zweite Frau begraben. Er ist
+ein großer, starker Mann, dem die Tür bis an
+die Schultern reicht, mit einem kühnen Polengesicht
+und langhängendem Hetmansschnurrbart,
+aber seine Augen haben einen stumpfen
+und schläfrigen Blick, als ob die ganze Welt ihn
+nichts anginge.
+</p>
+
+<p>
+Um so luchterner kuckt das Marjellchen ins
+Leben, das sich dicht hinter ihm aus dem Hause
+drängt. Etwa zwölf Jahr kann sie sein, höchstens
+dreizehn, geht barfuß und ziemlich zerlumpt,
+aber unter dem Halse hat sie eine goldene Brosche
+sitzen. Sie mischt sich auch gleich ins Gespräch und
+sagt, sie sei zwar nur die Tochter von einem
+ganz kleinen Besitzer, aber eine Besitzerstochter sei
+sie immerhin, und was sie tun könne, um Frischzugezogenen
+das Leben zu erleichtern, das solle
+gewiß geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Erdme sieht ganz verblüfft auf das kleine
+Ding, das mit dem Maulwerk vorneweg ist wie
+<a id="page-169" class="pagenum" title="169"></a>
+eine Alte. Aber der Vater tut, als ob das nicht
+anders sein kann, und sagt bloß: &bdquo;Ja, ja, das
+Bauen und das Begraben muß man schon immer
+gemeinsam verrichten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In dem Begraben hat er wohl Übung,&ldquo;
+denkt die Erdme, sich bedankend, und die Kleine
+begleitet sie noch ein Stück und schwatzt unaufhörlich.
+</p>
+
+<p>
+Sie wird nun bald eingesegnet sein, sagt
+sie, und dann wird sie in die Stadt gehen und
+ihr Glück machen als Kellnerin oder als Ladenfräulein,
+wie es in der Kolonie schon viele
+getan haben. Vorerst aber muß sie dem Vater
+noch eine Frau besorgen. So eine schöne und
+starke wie Erdme wäre ihr schon recht &mdash; aber
+Geld muß sie haben &mdash;; die zweite, von der sie
+die Brosche trägt, hat auch Geld gehabt &mdash;
+bloß nicht genug &mdash;, und ob Erdme nicht eine
+weiß, damit sie selber bald auf die Reise kann.
+</p>
+
+<p>
+Erdme weiß zwar keine, aber die Rede der
+Kleinen schlägt ihr aufs Herz wie ein starker
+Wein. Alles, was ihr einst als Ziel des eigenen
+Lebens vorgeschwebt hat, steckt ja darin. Doch
+ihr Schicksal liegt nun bereits so steinern fest,
+daß keiner auf der Welt mehr daran rühren
+kann. Wie eingesunken in diesen Moorschlamm
+liegt es, der keinen Grund und Boden hat und
+nichts mehr hergibt, was er einmal mit seinen
+Wurzelfäden umwindet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-170" class="pagenum" title="170"></a>
+Die Kleine heißt Ulele. &bdquo;Das ist ein altertümlicher
+Name,&ldquo; sagt sie, &bdquo;den ich natürlich
+nicht beibehalten werde, wenn meine Zeit gekommen
+sein wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit verabschiedet sie sich, und Erdme sieht
+ihr traurig und bewundernd nach, wie sie mit
+ihren nackten, dünnen Beinchen über das Erdreich
+flitzt, als ob sie es gar nicht berühre. Und
+die Lumpen flattern an ihr wie zwei Fledermausflügel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Für mich ist es nun schon zu spät,&ldquo; denkt
+Erdme. &bdquo;Ich muß warten, bis ich Töchter
+kriege.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Weiter links liegt ein Anwesen, das, wenn
+es auch schon älter scheint, doch noch zur Nachbarschaft
+gehört. Es macht aus der Ferne gesehen
+einen recht kläglichen Eindruck, und gerade
+darum möchte Erdme es kennen lernen, denn
+sie will wissen, wie man sich hier behelfen
+muß, wenn man ganz arm bleibt. Gleichsam
+als abschreckendes Beispiel will sie es kennen
+lernen.
+</p>
+
+<p>
+Aber der fromme Taruttis hat daran vorbei
+gezeigt, und als sie ihn am Mittag noch einmal
+fragt, da wendet er sich ab und macht sich mit
+dem Sensenschärfer zu schaffen, obwohl es hier
+nichts zu mähen gibt.
+</p>
+
+<p>
+So fragt sie also zum drittenmal. Da sagt
+er: &bdquo;Über meine Nächsten rede ich nichts Böses,
+<a id="page-171" class="pagenum" title="171"></a>
+und wenn ich Böses reden müßte, so schweige
+ich lieber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie nimmt sich vor, die Ulele zu fragen,
+aber als sie gegen den Abend desselben Tages
+wieder in den Kartoffeln kniet, wird sie vom
+Wege aus angerufen.
+</p>
+
+<p>
+Sie sieht einen kleinen, alten Mann im
+Graben sitzen, der einen Arm voll Weidenruten
+neben sich liegen hat und einer gerade mit dem
+Taschenmesser die Haut abzieht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du von mir?&ldquo; fragt sie, ohne
+sich stören zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bittest dir wohl heut eine Talka zusammen?&ldquo;
+ruft er herüber.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das kann schon sein,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Arme zum
+Helfen kann man immer brauchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zwei Arme hab&rsquo; ich auch,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gehörst du zur Nachbarschaft?&ldquo; fragt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich gehöre so sehr zur Nachbarschaft,&ldquo; sagt
+er, &bdquo;daß du heute schon zweimal an meinem
+Haus vorbeigegangen bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er weist mit seinem Messer gerade auf
+das Anwesen hin, von dem der Taruttis durchaus
+nicht reden will.
+</p>
+
+<p>
+Da legt sie neugierig das Schleifbrett nieder,
+mit dem sie die Rücke glättet, und tritt näher
+auf ihn zu. Und was sie da sieht, ist aus zusammengebettelten
+Kleidern sich streckend ein
+zahnloses, plieräugiges Greisengesicht, dem die
+<a id="page-172" class="pagenum" title="172"></a>
+Brauen sowie die Wimpern fehlen und in dessen
+Furchen und Gruben eine Art von rotrandigem
+Aussatz klebt.
+</p>
+
+<p>
+Man kann sich schütteln vor ihm, so sieht er
+aus.
+</p>
+
+<p>
+Sie fragt: &bdquo;Wer bist du denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin ein verdienter Mann,&ldquo; sagt er und
+fährt fort, seine Ruten zu schälen. &bdquo;Durch
+fünfunddreißig Jahre bin ich für den Staat
+tätig gewesen, und nun prozessiere ich mit ihm,
+da er mir keine Altersversorgung zahlen will.
+Andere mästen ihre Ferkel, ich aber muß Ruten
+flechten, weil meine Leistungen nicht anerkannt
+werden, die ich ganz ohne Lohn vollbracht
+habe ... Übrigens bin ich noch stark bei Kräften,
+und wenn du mich mit zu der Gesellschaft bitten
+willst, so werde ich dir die Balken heben wie
+ein Spielzeug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Schon will die Erdme Ja sagen, da besinnt
+sie sich auf die abweisenden Worte des milden
+Taruttis, wie auch auf den eigenen Abscheu,
+der sie beim Näherkommen befallen hat, und
+darum antwortet sie: &bdquo;Ich danke dir, Nachbar,
+für guten Willen, aber unsere Gesellschaft hat
+schon ihre volle Zahl.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kriegt ihn die Wut zu packen; er springt
+vom Grabenrand auf und speit ihr seine wilde
+Bosheit sozusagen ins Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also auch du willst mich nicht, du Giftschnauze?&ldquo;
+<a id="page-173" class="pagenum" title="173"></a>
+schreit er. &bdquo;Haben die Ohrenbläser
+dir schon den Kopf mit Ekel gefüllt? ... Keiner
+will mich! Keiner will das Grauen des Scheuchhauses
+von mir nehmen! Aber ich werd&rsquo; es euch
+antun! Wenn das Unglück kommen wird, die
+große Not, die Wassersnot, daß eure Häuser zerfließen
+werden zu Brei und euer Herd sinken
+wird in den Abgrund, wenn ihr eingeklemmt
+sitzen werdet im Schornstein und schreien um
+Gnade, dann werde ich lachend anspannen lassen
+die Arche Noah und vorüberfahren und lachen
+über das Todesquieken eurer Schweine und das
+Todesgebrüll eurer Kuh &mdash; am meisten aber
+werde ich lachen über euch selber, wenn der
+Schornstein zusammenfällt und das schwimmende
+Eis euch die Gurgel zerschneidet. So soll es
+sein. Amen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit nimmt er sein Bündel Weidenruten
+auf, zieht die zerlumpten Beinlinge über den
+Hintern und geht seines Weges, aber immer
+noch kehrt er sich um und schüttelt die Faust und
+speilt die roten Gaumen.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme ist zumut, als wäre ein Klumpen
+von dem höllischen Feuer auf sie niedergefallen.
+Wenn das das Ende sein soll, warum bauen
+sie dann erst? Und warum haben die anderen
+gebaut? Doch deren Häuser stehen ja
+noch weit und breit, und die Fenster karfunkeln
+in der Abendsonne. Es ist also wohl der böse
+<a id="page-174" class="pagenum" title="174"></a>
+Feind selber gewesen, der ihr das Herz hat abschnüren
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie bleibt still und bedrückt, auch als
+Jons von der Arbeit kommt und ihr mit Stolz
+zeigt, was er alles mitgebracht hat.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst sind da soundsoviel Pakete mit vierzölligen
+Drahtnägeln, denn ohne die geht&rsquo;s
+nicht. Dann aber zur Bewirtung zwei Flaschen
+Kornschnaps aus der Schmidtschen Destillation
+und alle die Zutaten zu einem
+süßen Fladen, der heute noch gebacken werden
+muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Taruttene liefert das Mehl und viele
+erbauliche Sprüche dazu, und als die Hähne
+krähen, bringt Erdme ihrem Mann das erste
+dampfende Abbruchsel auf den Bauplatz hinaus,
+wo er die Nacht über Balken behauen hat wie
+ein gelernter Zimmermann.
+</p>
+
+<p>
+Aber von dem bösen alten Mann sagt sie
+ihm nichts.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Und nun ist es wieder Nacht geworden, und
+das Haus steht gerichtet. Die vier Kiefernstämme
+sind in den Boden hineingeschlagen, so tief, daß
+rund um sie das Wasser in schwarzem Gestrudel
+hochschoß wie ein Quell, und sind dann durch
+die aufgenagelten Latten verbunden. Oben
+darauf haben sich Sparren und Sparrbalken zum
+<a id="page-175" class="pagenum" title="175"></a>
+Dachgerüst zusammengefügt, und die künftige
+Zimmerdecke ist genagelt.
+</p>
+
+<p>
+Ringsum aber liegen wie Rasenbänke die
+viereckigen Stücke der obersten Moorschicht, die
+für den Hofplatz nicht nötig ist, um so nötiger
+aber, um später von außen her an die Latten
+geklatscht zu werden und so eine mauerähnliche
+Wand zu bilden, die für den Winter Abhalt und
+Wärme gibt.
+</p>
+
+<p>
+Darauf sitzt nun die ganze Arbeitsgesellschaft
+und ruht sich aus. Der fromme Taruttis natürlich
+und die noch frömmere Frau, Witkuhn, der halbdeutsche
+Fremdling, und der lange Smailus
+mit seiner kleinen Ulele, die ihm meistens das
+Wort aus dem Munde nimmt. Vorhin aber hat
+sie wie ein Vogel hoch auf den Sparren gesessen,
+und wo keiner die Schlinge befestigen konnte zum
+Hochziehen, da war sie schon oben. Und niemand
+hat sie viel klettern gesehen. Fixes Ding!
+</p>
+
+<p>
+Müde sind sie und warten voll Freuden des
+kleinen Festes, das der Besitzer ihnen zu bieten
+hat. Jedem liegt ein Fladenstück auf dem
+Schoße, und die spiegelnde Flasche geht manchmal
+reihum.
+</p>
+
+<p>
+Nur die Frau des Witkuhn fehlt. &bdquo;Sie ist
+immer elend,&ldquo; sagt er, &bdquo;und muß mit den Hühnern
+zu Bette.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da werd&rsquo; ich mich dir wohl bald erkenntlich
+zeigen können, Nachbar,&ldquo; meint die Erdme.
+<a id="page-176" class="pagenum" title="176"></a>
+Er antwortet nichts, aber über sein abgehärmtes
+Gesicht geht rot eine Flamme wie von verbotener
+Freude.
+</p>
+
+<p>
+Die Nacht ist hell, wie im frühen Juni ja
+immer, und zum Überfluß steht der Mond ziemlich
+hoch.
+</p>
+
+<p>
+Taruttis schlägt vor, ein geistliches Lied zu
+singen, damit die bösen Geister das unfertige
+Bauwerk nicht umschmeißen können, und das
+geschieht denn auch.
+</p>
+
+<p>
+Noch sind sie mitten darin, da bemerkt Erdme,
+daß auf dem Wege, der wohl hundert Schritte
+abseits liegt, eine Gestalt sich unruhig hin und
+her bewegt.
+</p>
+
+<p>
+Und sie erschrickt sehr, denn sie erkennt den
+bösen alten Mann von gestern. Die Stimme
+zum Singen verschlägt ihr, aber sie will den
+heiligen Gesang nicht stören, darum wartet sie,
+bis sie zu Ende sind, dann weist sie mit der Hand
+auf den Schatten hin, der in dem ungewissen
+Mondlicht zu tanzen scheint.
+</p>
+
+<p>
+Alle wenden die Gesichter, aber keiner spricht
+ein Wort. Es scheint, sie fürchten sich alle.
+</p>
+
+<p>
+Selbst der Jons braucht eine ganze Weile,
+bis er fragt, was da los ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Scht&ldquo; macht die Taruttene.
+</p>
+
+<p>
+Der lange Smailus grunzt etwas vom
+&bdquo;Kipszas&ldquo;, dem Satan, und seine Tochter, die
+Ulele, beugt sich zu Erdme hinüber und sagt leise:
+<a id="page-177" class="pagenum" title="177"></a>
+&bdquo;Es müßte doch sonderbar zugehen, wenn er dich
+nicht gebeten hätte, heute zur Talka zu kommen,
+denn die Zugezogenen wissen ja nichts von ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da erzählt Erdme ebenso leise, was ihr gestern
+mit ihm begegnet ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So versucht er es immer aufs neue,&ldquo;
+sagt Taruttis, &bdquo;denn der Arme kann es nicht
+verschmerzen, daß man sich nichts mit ihm zu
+schaffen macht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons fragt: &bdquo;Warum tut man es nicht?&ldquo;
+Und Erdme meint, abscheulich genug sehe er
+ja aus, aber das könne unmöglich allein die
+Schuld daran tragen.
+</p>
+
+<p>
+Und da erfahren sie beide seine furchtbare
+Geschichte. Sie ist weit furchtbarer, als Menschen
+sich ausdenken können.
+</p>
+
+<p>
+Als ein überführter und geständiger Raubmörder
+hat er fast sein ganzes Leben im Zuchthaus
+zugebracht. Zuerst hat er einen zu Tode
+geschleift, mit dem er zusammen nächtlicherweile
+auf einem Wagen gefahren war, und
+zwar, indem er heimlich einen Lederriemen mit
+dem einen Ende um die Radfelge, mit dem
+anderen um dessen Arm geschlungen hatte. Dann,
+als er nach mehr als zwanzig Jahren freigekommen
+ist, hat er dasselbe Kunststück noch einmal
+probiert &mdash; an einem Fuhrmann, den er auf
+stillstehendem Wagen betrunken im Walde vorgefunden
+hatte. Aber diesmal ist es ihm mißglückt,
+<a id="page-178" class="pagenum" title="178"></a>
+denn dabei war ihm die eigene Hand
+ins Rad hineingeraten. Darum hat er auch
+den Dusel gehabt, trotz der Wiederholung solch
+einer Untat noch einmal herauszukommen.
+Und nun haust er wie ein Dachs in seiner Kate,
+die er sich als junger Mensch gebaut und in
+der Zeit nach den Strafen mit allerhand geheimnisvollen
+Vorrichtungen gegen die Überschwemmung
+versehen hat. Worin sie bestehen,
+weiß keiner, denn niemals geht einer zu ihm
+hinein; von außen aber liegt an der Wand eine
+schräg dagegen geschaufelte Mistschicht, die bis
+zum Fenster hinauf alles verbirgt.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fürchtet sich nicht so leicht, und
+doch läuft es ihr einmal nach dem anderen kalt
+über den Leib. Und während der alte Raubmörder
+in seiner Sehnsucht nach Menschen dort
+auf dem Wege herumtanzt, erzählt sie so leise wie
+die anderen, mit was für fürchterlichen Worten
+er ihr die künftige Wassersnot ausgemalt hat.
+</p>
+
+<p>
+Jons horcht hoch auf und tut dann dieselbe
+Frage, die ihr seit gestern wie ein Mühlrad im
+Kopfe herumgeht: &bdquo;Wenn die wirklich einmal
+kommen wird, warum bauen wir uns erst hier an?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da nimmt der Witkuhn, der doch von weit
+her ist, das Wort und sagt beinahe feierlich:
+&bdquo;Wir bauen uns hier an, weil wir arme Leute
+sind und eine Zuflucht nötig haben. Wo anders
+gibt man uns keine, sondern hetzt uns herum.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-179" class="pagenum" title="179"></a>
+Und dann erzählt er, wie schon zweimal das
+Hochwasser unermeßlichen Schaden verursacht
+hat und daß es für die Zukunft immer häufiger
+zu befürchten ist; denn das sei eben das Schlimme:
+durch die Urbarmachung sterbe das Torfmoos
+ab, und dann senke sich das Erdreich von Jahr
+zu Jahr. So werde der Segen der Arbeit selber
+zu einer Gefahr, die mit Vernichtung bedrohe,
+was im Schweiße seines Angesichts ein jeder sich
+geschaffen hat. &bdquo;Aber darum arbeiten wir doch
+ruhig weiter,&ldquo; sagt er zum Schluß und zieht
+den Rock enger, wie einer, der sich endlich geborgen
+fühlt, &bdquo;denn wir lieben dieses Stückchen
+Erde, das für die anderen zu schlecht ist und wo
+uns darum keiner verfolgt. Und wir lieben
+auch die, die das gleiche mit uns tun und erdulden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wir lieben auch den lieben Gott,&ldquo; sagt
+der fromme Taruttis, &bdquo;der Gutes und Böses
+über uns verhängt und nach dessen Ratschluß der
+Mensch sogar ein Mörder wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Alle sehen erschrocken nach dem Wege hin,
+denn er hat lauter gesprochen als die anderen,
+aber da ist das graue Gespenst schon fort.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wie macht man einen Herd? Wie baut man
+einen Ofen? Der Boden trägt ja nichts. Willst
+<a id="page-180" class="pagenum" title="180"></a>
+du ihm was Schweres anvertrauen, so gibt er
+nach und schluckt es langsam unter.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Witkuhn weiß Rat. Er kennt alle
+Nücken und Tücken des Moores. Und er ist
+immer da, wenn man ihn brauchen kann. Aber
+nicht etwa von selber kommt er. Wie ein
+furchtsamer Hund schleicht er sich um die
+Baustatt herum und wartet, daß man ihn herruft.
+Und ruft man ihn nicht, so geht er von
+dannen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn er auch ganz verdeutscht ist, wie einer
+von den Deutschen benimmt er sich nicht, die
+immer eine große Schnauze haben und die Litauer
+als Vieh ansehen. Und er verkehrt auch
+nicht mit ihnen, soviel ihrer auch auf der Kolonie
+herumwohnen, denn die nimmt jeden auf, dem
+eine Heimat fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau ist wirklich ein Kummergewächs.
+Schleppt sich &rsquo;rum und tut ihre Arbeit mit Wehklag&rsquo;.
+Wenn die flinke Ulele nicht hülfe, wäre
+das nötigste oft nicht getan.
+</p>
+
+<p>
+Und nun ist ja auch die Erdme da. Die
+knapst sich manche Viertelstunde ab, um für sie
+Hausarbeit zu tun, während der Mann draußen
+auf dem Felde ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn mein Kindchen noch lebte,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;dann könnte es mir schon in manchem behilflich
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber das war ja schon in der Geburt gestorben
+<a id="page-181" class="pagenum" title="181"></a>
+und hatte dabei der Mutter den Leib zerrissen,
+so daß er nie mehr ganz heil ward.
+</p>
+
+<p>
+Und nun kann sie ihrem Mann keine Frau
+mehr sein und ihrem Haus keine Wirtin.
+</p>
+
+<p>
+Und dann ist noch das Unglück da, von dem
+<em>sie</em> nicht spricht und <em>er</em> nicht spricht und das
+man doch gleichsam riecht, wenn man dem Hof
+nur in die Nähe kommt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja also,&ldquo; sagt der Witkuhn eines Tages, &bdquo;den
+Herd baut man so: Man kauft sich&ldquo; &mdash; er sagt
+&bdquo;kauft&ldquo;, &bdquo;holen&ldquo; sagt er nicht &mdash; &bdquo;man kauft sich
+den Wurzelstubben von einer Tanne. Eine
+Kiefer darf es nicht sein, denn deren Wurzel
+ist geformt wie ein spitzer Pfahl und sinkt unter,
+als wäre er nicht gewesen. Eine Tanne muß es
+sein &mdash; deren Wurzel hat Querläufer nach allen
+Seiten &mdash; die legen sich wie Riegel vor, wenn
+der Stubben einsinken will. So trägt er vielleicht
+den Herd, und ein anderer trägt auch den Ofen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons streift also nachts durch die Wälder
+und sucht die Stellen, wo Tannen gerodet
+werden. Solche Stellen sind selten, denn die
+Tanne ist ein kostbarer Baum, nicht so gemein
+wie die Kiefer.
+</p>
+
+<p>
+Er sucht, und er findet. Und wieder leiht
+der Taruttis den Handwagen, und beide ziehen
+aus bis nach dem Norkaiter Forst, wohl zwei
+Meilen weit. Der preußische Staat ist reich.
+Ob der einen Stubben mehr oder weniger hat,
+<a id="page-182" class="pagenum" title="182"></a>
+was macht ihm das? Und auch den zweiten
+kann er noch leidlich entbehren.
+</p>
+
+<p>
+Aber noch mehrere müssen daran glauben,
+denn die Schlammschicht ist tief. Einer muß
+über den anderen gelegt werden, und dann erst
+hält der Grund so fest, daß man mit Ziegeln und
+Lehm darauf arbeiten kann.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Ziegel kann man leider nicht
+&bdquo;holen&ldquo;, denn der Herr Ökonomierat, dem der
+große Ringofen gehört, hält sich einen Wächter
+und hält sich auch Hunde. Ja, der kennt seine Leute.
+</p>
+
+<p>
+Vielleicht versucht man es also mit Betteln.
+Denn weit und breit weiß jeder, welch ein guter
+und wohlmeinender Herr der Herr Ökonomierat
+ist.
+</p>
+
+<p>
+Mit Zittern und Zagen stehen sie vor ihm in
+dem großen Saal, der mit Bücherregalen gefüllt
+ist von einem Ende bis zum anderen. Man
+kann sich nicht vorstellen, daß es so viele Bücher
+gibt auf der Welt. Aber es ist kein &bdquo;Bagoszius&ldquo;
+&mdash; kein Geldprotz &mdash;, der zu ihnen spricht,
+sondern er ist freundlich und leutselig und wischt
+sich mit der Zunge über die Zähne und schmunzelt
+sie an. Aber seinen Augen ist nicht zu trauen.
+Die sehen einen durch und durch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schenken werd&rsquo; ich euch die Ziegel nicht,&ldquo;
+sagt er, als sie ihre Bitte vorgebracht haben,
+&bdquo;denn wer sich Häuser baut, der ist kein Pracher.
+Aber verkaufen werd&rsquo; ich sie euch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-183" class="pagenum" title="183"></a>
+Sie machen lange Gesichter. Dazu hätten
+sie ja einfach aufs Kontor gehen können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ich werde euch auch gleich den Kaufpreis
+sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hält sein Beutelchen fest und denkt:
+Vielleicht probiert man es doch mit dem &bdquo;Holen&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Sie verstehen seine Frage erst nicht, obwohl
+er litauisch spricht, beinahe so gut wie sie selber.
+Zweimal muß er sie wiederholen. Da erst lachen
+sie hell auf.
+</p>
+
+<p>
+<em>Ob</em> sie singen können!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Könnt ihr auch Märchen erzählen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Fünfhundert können sie erzählen. Tag und
+Nacht und noch einmal Tag und Nacht lang
+können sie erzählen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So viel will ich gar nicht wissen,&ldquo; sagt er.
+&bdquo;Singt mir zehn Lieder und erzählt mir zehn
+Märchen. Vielleicht daß ich was Fremdes darunter
+finde. Und dann könnt ihr euch Ziegel
+auf die Karre laden, soviel ihr braucht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er gießt ihnen auch noch einen Schnaps ein,
+damit sie den nötigen Mut bekommen, und dann
+geht&rsquo;s los.
+</p>
+
+<p>
+Die ersten drei kennt er, die dürfen sie gleich
+wieder abbrechen. Aber das vierte ist ihm neu,
+das schreibt er sich auf. Und von den Märchen, die
+die Erdme erzählt, schreibt er sich sogar zweie auf.
+</p>
+
+<p>
+Dann gibt er ihnen einen Zettel für seinen
+Ziegelmeister, und damit haben sie sich Feuerstatt
+<a id="page-184" class="pagenum" title="184"></a>
+und Ofen ehrlich erworben. Der zugehörige
+Lehm muß ja freilich doch noch gemaust
+werden, aber den liefert zur Nachtzeit
+die Grube des Ökonomierats ohne viel Fragen,
+und das Strauchwerk, das als Halt in die Brandmauer
+gepackt werden muß, kann man sich ringsum
+von den Weidenbüschen schneiden.
+</p>
+
+<p>
+So steigt die Mauer bald bis zur Decke.
+</p>
+
+<p>
+Auf der einen Seite lehnt sich die Feuerstelle
+daran, auf der anderen der Ofen. Sehr
+schön sieht er nicht aus. Einer aus glasierten
+Kacheln würde sich sicher weit besser machen,
+und gerade steht er ja auch nicht, aber wärmen
+wird er vielleicht, wenn erst die Torfstücke drin
+prasseln.
+</p>
+
+<p>
+Nun aber der Schornstein! Denn sonst erstickt
+man im Rauch.
+</p>
+
+<p>
+Das Loch in der Zimmerdecke ist längst schon
+geschnitten. Wenn man nur weiter wüßte!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bei Schmidt auf dem Hofe,&ldquo; sagt der Witkuhn,
+&bdquo;liegt ein Haufen von rostigen Kannen.
+In denen ist früher Petroleum gewesen. Da
+kostet jede zehn Pfennig. Davon kauft euch ein
+Dutzend.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie kaufen sich zehn und schmuggeln zwei
+noch mit durch.
+</p>
+
+<p>
+Aber nun weiter!
+</p>
+
+<p>
+Und der Witkuhn zeigt ihnen, wie man aus
+Latten eine vierseitige Röhre macht und sie mit
+<a id="page-185" class="pagenum" title="185"></a>
+dem Blech so dicht beschlägt, daß der Rauch durch
+die Ritzen nicht durchkann. Diese Röhre wird
+durch das Deckenloch geschoben und so hoch geführt,
+daß sie die Sparren noch überragt. Dann
+wird unten von Latten ein Mantel schräg darangenagelt,
+&mdash; und siehe da! der Schornstein ist
+fertig.
+</p>
+
+<p>
+Das Anheizen will ausprobiert werden. Ach,
+wie qualmt das &mdash; und stinken tut es nicht weniger
+&mdash; vor allem nach Leim und Petroleum,
+aber das wird sich schon legen.
+</p>
+
+<p>
+Und als der Rauch sich einige Zeit besonnen
+hat, findet er schließlich den richtigen Weg und
+entfernt sich gefälligst dorthin, wo es schnurgerade
+in den Himmel geht. Wenn er es im
+Winter ebenso macht, ist die Stubenwärme gesichert.
+</p>
+
+<p>
+Vorausgesetzt natürlich, daß Hauswand und
+Dach das ihrige tun. Die Hauswand &mdash; das
+ist nun gar ein schwieriges Stück, und wäre der
+kluge Witkuhn nicht zur Stelle, man brächte sie
+niemals fertig.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie können kluge Leute so ängstlich
+sein? Er wartet ja bloß darauf, daß die Erdme
+ihn ruft. Aber bitten läßt er sich doch.
+</p>
+
+<p>
+Die viereckigen Moorfladen, die man an die
+Bretterwand preßt, halten wohl fest, solange sie
+feucht sind; trocknen sie aber, so fallen sie ab,
+wie Sandbrocken fallen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-186" class="pagenum" title="186"></a>
+Da baut der Witkuhn aus dem Abfall der
+schlechtesten Latten noch eine zweite Wand &mdash;
+fünf bis sechs Zoll von der ersten entfernt. Die
+ist ganz luftig, nicht dichter als etwa ein Zaun.
+In dem Raum zwischen den beiden sackt sich die
+Moorschicht und kriegt Halt und lernt auf sich
+selber beruhen.
+</p>
+
+<p>
+Nach ein paar Wochen kann man die Latten
+wieder entfernen. Nur zur besseren Sicherung
+läßt man ein paar zwischen Dachwand und Erde
+geklemmt, denn es werden die Winterstürme
+kommen, und der Sturzregen wird wühlen
+und der Rauhfrost klaffende Spalten hindurchziehen.
+</p>
+
+<p>
+So warnt der kluge Witkuhn, der alles weiß
+und alles kennt, und sieht an Erdme vorbei, und
+das Kinn zittert ihm so, daß die Zähne oft klirren.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie mit ihm allein ist &mdash; und das geschieht
+fast alltäglich &mdash;, dann hat sie stets ein
+Gefühl aus Mitleid und Neugier gemischt, zu
+dem noch was Anderes hinzukommt, das ihr das
+Herz beklemmt. Es ist, als hätte sie Angst vor
+<em>seiner</em> Angst, denn Angst hat er immer, das
+ist ganz klar. Wenn man nur wüßte, wovor. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Aber dem Jons sagt sie nichts. Sie will sich
+den guten Nachbar erhalten.
+</p>
+
+<p>
+Nach der Hauswand das Dach!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, bring Rohr!&ldquo; Es können auch Binsen
+sein &mdash; oder beides zusammen. &mdash; An Rohr und
+<a id="page-187" class="pagenum" title="187"></a>
+Binsen ist die Gegend wahrhaftig nicht arm, wenn
+auch das Moor selbst sie nicht liebt &mdash; oder sie
+nicht das Moor, was auf dasselbe herauskommt.
+Ein Strom wächst ringsum aus dem anderen,
+und alle sind sie mit Röhricht umstanden.
+</p>
+
+<p>
+Dem Taruttis sein kleiner Handwagen hat
+leichte Last, wenn er hochgetürmt vom Rußufer
+daherkommt, und der Gendarm fragt nicht viel,
+denn daß man sich dergleichen nimmt, wo man
+es findet, versteht sich von selber.
+</p>
+
+<p>
+In der Julihitze trocknet das Rohr auch leicht,
+so daß man bald ans Dachdecken gehen kann.
+Der Taruttis borgt seine Leiter, die Querstangen
+werden genagelt, und nun steht Erdme Tag für
+Tag hoch auf den Sprossen und legt ein Bündel
+dicht neben das andere und preßt es zusammen
+und besichelt die Enden. Und unten lauert die
+kleine Ulele und reicht ihr zu, denn eine Mannsperson
+kann man dazu nicht brauchen, es sei
+denn der eigene.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, o Gott, du glaubst es nicht! Nun
+sieht es schon bald aus wie ein Haus. Aber
+noch fehlen die Türen, die Fenster &mdash; kein Mensch
+kann sich ausdenken, was alles noch fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Doch wer den Jons etwa für dumm nimmt,
+der irrt sich. Eines Tages bringt er zwei Fenster
+an, hellblau gestrichen und sogar mit Glas drin,
+nur daß die Rauten gebrochen und die Rahmen
+angekohlt sind. Vorige Nacht hat es nämlich
+<a id="page-188" class="pagenum" title="188"></a>
+in Trackseden gebrannt. Darauf ist er zu dem Besitzer
+gegangen und hat gesagt: &bdquo;Verkauf mir den
+Kram für zwei Stof Schnaps. Dem Versicherungsinspektor
+erzählst du, es ist dir beim Retten verschwunden,
+und dann kriegst du neues dafür.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dem Abgebrannten leuchtet der Vorschlag
+ein, er hilft sogar dem Jons in der Nacht darauf
+die noch stehenden Türgerüste ausbrechen und
+auf den Handwagen laden.
+</p>
+
+<p>
+Das Schlimme ist nur, sie riechen auf zwanzig
+Schritt nach Feuersbrunst, und wer ihm begegnet,
+der lacht ihn an, denn er denkt, er habe
+es aus dem Brandschutt gestohlen.
+</p>
+
+<p>
+So kann man selbst bei dem ehrlichsten Handel
+in schweren Verdacht kommen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-7">
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wenn gegen Mitte August ein Fremder quer
+durch das Moor die Lynckerstraße heruntergeht
+und dann links um die Ecke biegt, so fragt er wohl
+seinen Begleiter: &bdquo;Wer hat sich das hübsche
+kleine Hauschen gebaut?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn der Ortskenntnis hat, so antwortet
+er: &bdquo;Das ist der Losmann Jons Baltruschat,
+der mit seiner jungen Frau im Frühling
+zugezogen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Fremde sagt wohl: &bdquo;Das müssen
+fleißige Leute sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-189" class="pagenum" title="189"></a>
+Aber durch die himmelblaue Tür darf er
+bei Jesu Leibe nicht eintreten, denn drin sieht
+es fürchterlich aus. Nichts ist getan, rein gar
+nichts. Nicht einmal die Ritzen, die zwischen
+den Schwarten klaffen, und die Astaugen darin
+sind richtig verschmiert, und überall hängen die
+Fasern der Moorschicht.
+</p>
+
+<p>
+Doch lange darf die Schande nicht dauern.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem der Fußboden! Viele wohnen
+ja auf dem nackten Moor, und das soll sogar
+trocken halten und im Winter gar nicht so kalt
+sein. Aber da kennt ihr die Erdme schlecht!
+Neuer Lehm wird im Finstern geholt und ein
+Estrich gewalzt, auf dem man tanzen könnte
+zu Fastnacht. Dann werden die Wände verklebt,
+und dann kommt das feinste: der Bildschmuck.
+Überall in den Heydekrüger Läden sind wunderschöne,
+bunte Bilder ausgehängt. Die preisen
+Zichorienpulver und Chinawein und Malzextrakt
+und Hühneraugenringe in der Uhr und tausend
+andere nützliche Sachen. Und immer
+kommen neue Plakate. Die alten aber, die auf
+dem Speicher herumliegen, die bettelt man sich
+zusammen. Und die jungen Gehilfen lachen
+und holen sie gern. Außerdem war doch &mdash;
+Erdme besinnt sich genau &mdash; in der Rumpelkammer
+der Frau Schlopsnies ein Haufen alter
+Blätter aufgestapelt mit Ansichten aus allen
+fünf Erdteilen. Der Niagarafall und die Pariser
+<a id="page-190" class="pagenum" title="190"></a>
+Weltausstellung und die Spitze des Monte Rosa
+und so noch manches andere.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Liebe</em> Frau Schlopsnies, <em>gute</em> Frau
+Schlopsnies, ich hab&rsquo; mich so sehr nach Ihnen
+gebangt! Und wenn ich ein Mädchen kriege,
+möcht&rsquo; ich&rsquo;s fürs Leben gern nach Ihnen benennen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dabei weiß sie gar nicht, wie die Frau
+Schlopsnies mit Vornamen eigentlich heißt.
+Aber die Blätter bekommt sie geschenkt, sogar
+die Kupferstiche aus einer Modenzeitung sind
+dabei, die Frau Schlopsnies sich einst gesammelt
+hat, als sie noch keine alte Schachtel war und
+als Kellnerin hochkommen wollte.
+</p>
+
+<p>
+Die sind noch so gut wie neu. Und wenn
+die Erdme wirklich einmal Töchter kriegt, dann
+müssen sie genau so angezogen gehen wie alle
+diese schönen Damen, die einem das Herz vor
+Neid im Leibe umdrehen.
+</p>
+
+<p>
+Und nun wird die Stube geschmückt! Bild
+neben Bild geklebt, und die buntesten kriegen
+die vornehmsten Plätze. Schließlich sind ihrer
+so viele, daß man den Niagarafall wegschmeißen
+muß, und die Spitze des Monte Rosa schon deshalb,
+weil es da oben so kalt ist.
+</p>
+
+<p>
+So schön wie bei den Baltruschats ist es wohl
+nirgends. Der Taruttis hat ja auch Bilder geklebt,
+aber die sind bloß griesgrau und stammen
+aus Kindergeschichten und heiligen Büchern. Und
+<a id="page-191" class="pagenum" title="191"></a>
+bei Witkuhn hängt nur das Kaiserpaar mit dem
+Bismarck darunter, genau wie im Zimmer des
+Moorvogts.
+</p>
+
+<p>
+Dem Witkuhn hat sie noch nichts gezeigt.
+Die Tage werden kürzer, und darum getraut
+sie sich nicht, ihn zum Helfen zu holen. Aber
+wie die Zimmerdecke gedichtet werden muß, da
+braucht sie ihn doch. Denn wenn der Jons
+heimkommt, dann ist es schon immer fast dunkel.
+</p>
+
+<p>
+Erst will er gar nicht hereinkommen &mdash; gewiß
+hat er wieder mal Angst &mdash;, aber als er die
+Farbenpracht sieht, da geht doch ein Lächeln &mdash;
+ein Lächeln der Freude natürlich, daß es so schön
+ist &mdash; über sein stilles Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+Und der Erdme wird das Herz voll von Dankbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ohne dich, Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;hätten wir&rsquo;s
+nie so weit gebracht.&ldquo; Und sie legt ihm die
+Hände auf beide Schultern.
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich klappt er vor ihr zusammen wie
+ein Taschenmesser, sinkt auf den Bock, wo der
+Kleistertopf steht, schlägt die Hände vors Gesicht
+und weint.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist? Was ist?&ldquo; fragt sie erschrocken.
+</p>
+
+<p>
+Und weil sie ihn trösten will, beugt sie sich
+zu ihm nieder und streichelt ihn.
+</p>
+
+<p>
+Und &mdash; was tut er? Er umschlingt ihre Hüften
+und küßt ihr den Rock und küßt ihr die wehrenden
+Hände und will sie gar zu sich niederziehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-192" class="pagenum" title="192"></a>
+&bdquo;Nicht doch, Nachbar,&ldquo; sagt sie mit einem Blick
+auf den Kleistertopf, &bdquo;so was mußt du nicht tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt, sie solle sich seiner erbarmen,
+sonst muß er ins Torfloch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schade, Nachbar,&ldquo; sagt sie und lacht, wie
+sie immer gelacht hat, wenn sie einer hat haben
+wollen, &bdquo;schade, daß du nicht früher gekommen
+bist. Als Mädchen nahm ich&rsquo;s nicht so genau.
+Da hat mich bald der geliebt und bald jener.
+Aber jetzt, wo wir uns so quälen müssen, der
+Jons und ich, da würde ich mich vor ihm schämen,
+wenn er des Abends nach Haus kommt. Außerdem,
+wenn du&rsquo;s wissen willst, in anderen Umständen
+bin ich wohl auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da steht er langsam auf, greift nach der Wand,
+sich festzuhalten, und geht hinaus wie betrunken.
+</p>
+
+<p>
+Dem Jons sagt sie auch hiervon nichts,
+denn innerlich hat sie den Nachbar gern. Und
+um so gerner, seit sie weiß, daß er so an ihr
+hängt. Und weil ihr ist, als habe sie was an ihm
+gutzumachen, so hält sie es mit der Frau und
+hilft ihr, wo sie nur irgend kann. Ihr eigenes
+Tagwerk kommt zwar dabei oftmals in Rückstand,
+aber über das Schwerste ist sie ja weg.
+Und die Frau kann kaum noch den Eimer tragen,
+wenn sie vom Melken kommt. Zur Dienstmagd
+aber reicht es auch dort nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und die Frau sieht sie immer mit großen,
+bittenden Augen an, als will sie was sagen.
+<a id="page-193" class="pagenum" title="193"></a>
+Aber sie sagt es nicht, soviel die Erdme auch
+nachhilft.
+</p>
+
+<p>
+Was kann es nur sein, was sie will? Manchmal
+denkt die Erdme: &bdquo;Jetzt weiß ich&rsquo;s.&ldquo; Aber
+das geht wider Natur und Religion, und darum
+wirft sie es weit von sich weg.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar wagt sich ihr nun gar nicht
+mehr in die Nähe, und wenn er vom Felde kommt
+und hört auf dem Hof ihre Stimme, kehrt er
+lieber noch einmal um. Sie möchte ihm manchmal
+entgegengehen, aber das sähe ja aus, als
+ermuntere sie ihn, und darum läßt sie es lieber.
+</p>
+
+<p>
+Das Haus ist nun so weit, daß es bezogen
+werden kann, aber alles Geräte fehlt. Nur die
+Bank an der Giebelwand, die in jedem litauischen
+Hause steht, ist gleich beim Bauen festgemacht
+worden.
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons kommt immer später. Er
+sagt, er habe Überstunden, aber das glaubt sie
+ihm nicht.
+</p>
+
+<p>
+Der Winter steht vor der Tür, und noch ist
+die Bettstatt nicht da und auch kein Tisch und
+kein Kasten.
+</p>
+
+<p>
+Sie mahnt ihn tagtäglich, er solle nun zimmern,
+aber er schüttelt bloß immer den Kopf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Gott, mein Gott,&ldquo; denkt sie, denn
+sie geht mit der Katrike &mdash; so wird es heißen,
+wenn es ein Mädchen ist &mdash; nun schon im vierten
+Monat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-194" class="pagenum" title="194"></a>
+Ein Glück ist noch, daß die Kartoffeln gedeihen.
+Wie andere heimlich nach einem vergrabenen
+Schatze sehen, ob er noch da ist, so geht sie wohl
+dreimal am Tage zum Acker und kuckt sich erst
+um, ob niemand am Weg ist, und dann kniet
+sie rasch nieder und scharrt an <em>der</em> Stelle und
+jener, nicht mehr, als ein Hündchen mit dem
+Vorderfuß klaut, &mdash; und siehe da! überall sagt
+ihr ein junges Knollchen: &bdquo;Labsriets&ldquo; und &bdquo;da
+bin ich&ldquo;. &mdash; Jetzt sind sie wie Walnüsse so groß
+und nach vierzehn Tagen schon, wie Katrikes
+künftige Fäustchen sein werden, und so wachsen
+sie immer noch weiter.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons tut, als gehe es ihn nicht
+das mindeste an. Für nichts hat er Sinn und
+Verstand, und nicht einmal den Wochenlohn
+liefert er ab. Er kommt und geht &mdash; das ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Da fängt sie an zu glauben, er habe sich nicht
+weit vom Wege was Liebes angekramt &mdash; und
+da sitzt er nun wohl die Abende über und wird
+sie zum Winter verlassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann steck&rsquo; ich das Haus in Brand,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;und zieh&rsquo; hinüber zum Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber eines Abends so um die Michaeliszeit
+&mdash; da kommt nach Sonnenuntergang ein
+Einspänner den Weg entlang &mdash; beladen mit
+allerhand Zeug &mdash; man weiß nicht recht was.
+Und neben dem Fuhrmann sitzt einer &mdash; der
+hat so breite Schultern wie Jons &mdash; und sieht
+<a id="page-195" class="pagenum" title="195"></a>
+auch sonst aus wie Jons &mdash; und schließlich ist es
+auch Jons.
+</p>
+
+<p>
+Und der Wagen hält vor dem Zufahrtssteg
+und tut, als will er aufs Moor einbiegen. Aber
+das trägt ja noch nicht. Das Pferd hat keine
+Schuhe an und würde versinken bis an den
+Leibgurt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie herzuläuft &mdash; um Gotteswillen,
+was sieht sie da? Hoch auf dem Wagen steht
+ein Schrank, schön grün gestrichen mit roten
+und gelben Blumchen, und eine Bettstatt ebenso
+grün, und ein Tisch mit kreuzweisen Füßen,
+und sogar &mdash; man kann es nicht fassen, ob auch
+das Abendrot draus in die Augen sticht wie mit
+feurigen Nadeln &mdash; ein Spiegel ist da! &mdash;
+Wahrhaftig, in goldblanker Leiste ein Spiegel!
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt, sie muß in die Erde sinken,
+und das wäre auf dem Moor auch gar nicht so
+schwierig.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist das für uns?&ldquo; schreit sie ihn an.
+</p>
+
+<p>
+Er lacht, wie er seit Wochen nicht mehr gelacht
+hat, und reicht ihr den Spiegel herunter.
+Sie solle ins Haus gehen, sich rasch das Haar
+zurechtmachen, sie sehe ja aus wie die Hexe,
+die Rágana selber.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kuckt in den Spiegel &mdash; der spiegelt
+zwar nicht &mdash; aber es ist doch ein Spiegel.
+</p>
+
+<p>
+Der Schrank wird gleich in die Stube gestellt,
+aber die Bettstatt muß auseinandergenommen
+<a id="page-196" class="pagenum" title="196"></a>
+werden, denn die Tür ist zu schmal,
+und der Tisch geht erst recht nicht hindurch. Aber
+schließlich steht alles an seinem Platz, und der
+Fuhrmann kriegt seinen Freitrunk.
+</p>
+
+<p>
+Nur schade! Stockfinster ist es geworden.
+Selbst die Blumchen der Schranktür sind nirgends
+mehr zu erkennen.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt der Jons: &bdquo;Was du wohl denkst!
+Das Schönste ist immer noch draußen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er geht, und sie wartet gehorsam. Nie im
+Leben hat sie gedacht, daß man so klein dastehen
+könne neben dem eigenen Mann.
+</p>
+
+<p>
+Da läuft ein Lichtschein über sie her. Und
+was bringt er getragen? Eine Lampe. Eine
+richtige Petroleumlampe mit Glasbehälter und
+Glocke, wie sie im Hoffmannschen Laden im
+Schaufenster stehen. Selbst in der Wirtsstube
+der Frau Schlopsnies hat es das niemals gegeben.
+Dort hatten sie alle bloß blecherne
+Schilder.
+</p>
+
+<p>
+Der Fuhrmann fährt ab, und der Jons steht
+da und läßt sich bewundern.
+</p>
+
+<p>
+Wie hat das zugehen können?
+</p>
+
+<p>
+Ja, wie hat das zugehen können? Die Bretter
+sind aus der Sägemühle, das ist klar. Aber
+weiter? Als der Tischler Kuntze sich auf dem
+Holzplatz seinen Bedarf aussuchte, hat Jons ihn
+gefragt, wie man wohl am besten zu einer Einrichtung
+kommen könne. Da hat der Tischler
+<a id="page-197" class="pagenum" title="197"></a>
+sich erst umgesehen und dann gesagt: &bdquo;Wer mir
+beim Aufladen behilflich ist, so daß ich nicht etwa
+zu kurz komme, dem werd&rsquo; ich nach Feierabend
+zur Hand gehen und ihm zeigen, wie er es macht.&ldquo;
+Nun, der Tischler Kuntze ist <em>nicht</em> zu kurz gekommen.
+Im Gegenteil. Und zum Dank dafür
+hat der Jons sechs Wochen lang in seiner Werkstatt
+arbeiten dürfen bis in die Nacht hinein.
+Dann hat er noch zwanzig Mark zuzahlen müssen
+für Licht und für Ölfarbe, und noch heute können
+sie &rsquo;rüberziehen und im eigenen Heim wohnen
+wie jeder Besitzer.
+</p>
+
+<p>
+So tüchtig ist der Jons und so gescheit. Es
+müßte wirklich mit unrechten Dingen zugehen,
+wenn zwei solche Eheleute nicht vorwärts kämen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kommen vorwärts.
+</p>
+
+<p>
+Die Kartoffelernte bringt zwanzig Scheffel.
+Davon kann neben ihnen noch ein Ferkelchen
+satt werden. An dem Giebelende, das fensterlos
+ist, erhebt sich alsbald ein Abschlag mit
+Schwarten als Dach und rohrgeflochtenen Wänden.
+Darin hat das Schweinchen Platz und
+später wohl auch eine Ziege, deren Milch man
+als Wöchnerin ungern entbehrt. Im Sommer
+nährt die sich selber am Wegrand, für den Winter
+aber muß vorgesorgt werden.
+</p>
+
+<p>
+Das Heu rupft man sich, indem man in nächtlicher
+Finsternis hinter den Fudern daherläuft,
+die auf der Chaussee von den Wiesen kommen
+<a id="page-198" class="pagenum" title="198"></a>
+und Gott sei Dank bloß in kurzem Trab fahren &mdash;
+sonst würde die Erdme in ihrem Zustand ihnen
+nicht folgen können. Das Verstreute sammelt
+man auf dem hinterher fahrenden Handwagen,
+so rasch es nur geht, denn unverschämte Diebe
+gibt es genug, die einem das sauer Erworbene
+vor der Nase wegschnappen wollen. Manchmal
+findet man die Plätze hinter den Fudern
+bereits von anderen Schatten besetzt; mit denen
+prügelt man sich herum, oder man einigt sich
+besser in Güte.
+</p>
+
+<p>
+So wird allmählich der Bodenraum voll.
+Nur für die Heizung muß Platz bleiben. Um
+die zu beschaffen, hat man vom Moorvogt das
+Randstück eines Torflochs gepachtet und ist auch
+diese Pacht schuldig geblieben &mdash; genau so wie
+jene. Denn der merkwürdige Mensch mahnt
+ja nicht. Warum soll man ihm also entgegenkommen?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird schon mahnen,&ldquo; lacht die kleine
+Ulele. &bdquo;Er hat ein dickes Buch. Darin steht
+alles geschrieben wie in dem Buch des ewigen
+Richters. Was ehrlich erworben ist und was
+nicht. Es steht alles darin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme zittern die Knie, sie quiekt wie
+eine Maus und sinkt nach hinten zurück. Aber
+das hängt ja mit ihrem Zustand zusammen.
+Und so entschuldigt sie&rsquo;s auch bei der kleinen
+Ulele.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-8">
+<a id="page-199" class="pagenum" title="199"></a>
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Winter kommt wie alles Schlimme
+früher, als man sich&rsquo;s denkt.
+</p>
+
+<p>
+Eines Morgens zu Anfang November ist das
+Moor gefroren wie ein Brett. Bis dahin hat man
+im Kalten gelebt, aber nun geht es nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Der Handwagen des frommen Taruttis, der
+so viel Unfrommes mit angesehen hat, ist ihm
+zurückgegeben. Statt dessen dient nun die Karre,
+die Jons vom Markte gebracht hat.
+</p>
+
+<p>
+Das Torfloch trägt eine Eisdecke. Die wiegt
+sich und klingt, wenn man auf dem Moore daherkommt.
+Die Torfziegel, die Erdme alle selber
+gestochen hat, stehen in viereckigen Haufen geschichtet.
+Obwohl sie sie mit Rohr bedeckt hat
+gegen den Herbstregen, trocken sind sie noch immer
+nicht. Aber wenn man ihnen gut zuredet,
+brennen werden sie doch, und der Qualm geht
+zum Schornstein hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Ja, Kuchen! Wie der Jons des Abends nach
+Haus kommt, findet er die Stube so voller Rauch,
+daß von der Lampe gar nichts zu sehen ist. Und
+auf dem Bett liegt die Erdme kraftlos und hustet.
+</p>
+
+<p>
+Aber die kleine Ulele, die jetzt immer dabei
+ist, lacht und sagt: &bdquo;An den Rauch gewöhnt
+man sich wie ans Grundwasser. Oben ersticken
+wir, unten versinken wir und sind ganz lustig
+dabei.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-200" class="pagenum" title="200"></a>
+Und sie hat Recht gehabt. Bald weiß man
+kaum mehr, ob es raucht oder nicht, wenn man&rsquo;s
+nur warm hat. Und das ist die Hauptsache.
+</p>
+
+<p>
+Denn Tage brechen herein, so naß und so
+kalt, daß einem das Herz im Leibe erklammt,
+wenn man die Nase ins Freie steckt. Was schlimmer
+ist, der suppende Nebel oder der rotklare
+Frost, die fegenden Schneestürme oder der windstille
+Rauhreif, &mdash; man weiß es wahrhaftig kaum;
+nirgends friert man so wie hier auf dem Moor.
+Die Kälte auf der Spitze des Monte Rosa muß
+dagegen ein Kinderspiel sein.
+</p>
+
+<p>
+Ein Glück ist, daß, noch ehe der erste Schnee
+kam, der Zufahrtssteg angelegt und mit kleinen
+Birken und Quitschen bepflanzt ist, sonst würde
+der Jons, wenn er in der Finsternis heimkehrt,
+nicht wissen, wo er abbiegen muß, so verstiemt
+ist alles in Weite und Breite. &mdash; Selbst das
+Fensterchen steckt manchmal tief unterm Schnee
+und muß am Morgen ausgeschaufelt werden,
+damit man weiß, daß es Tag ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme geht nicht viel mehr ins Freie.
+Nur das Ferkelchen muß sie versehen, das prächtig
+gedeiht. Wenn man das schlachten dürfte,
+könnte man pökeln für Jahre. Aber so üppig
+leben wir nicht. Wir sind froh, wenn wir ab und
+zu einen Hering haben. Das Schwein wird,
+wenn es fett ist, an den Schlachter verkauft,
+und was dafür einkommt, bildet das Grundkapital
+<a id="page-201" class="pagenum" title="201"></a>
+für die künftige Kuh. Aber das sind
+noch Zukunftsträume. Fürs erste wollen wir
+mit der Ziege zufrieden sein.
+</p>
+
+<p>
+Im Januar rückt sie an. Sie heißt Gertrud,
+frißt mit aus dem Schweinetrog und stößt, wenn
+man sie melken will.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich gewöhnt sie sich und gibt
+ihre Milch so großmütig her, wie nur eine kann,
+deren Haltung nichts kostet. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Am schlimmsten in dieser schlimmen Zeit ist
+das Gefangensein. Man kuckt nach rechts &mdash;
+man kuckt nach links &mdash; alles ist weiß, alles ist
+weit, und nicht ein Fuhrwerk fährt auf dem
+Wege, um zu zeigen, daß es noch Dinge gibt
+auf der Welt, die anders aussehen als weiß.
+Die Häuser der Nachbarn stehen ja da, aber sie
+sind fast ganz in Schneefluchten versunken, und
+nur wo der Rauch sich niederschlägt, gibt&rsquo;s auf
+dem Dach einen graulichen Flecken.
+</p>
+
+<p>
+Man kann sich kaum vorstellen, daß dort
+überall Menschen wohnen, denn niemals sieht
+man einen, und man geht auch nicht gerne
+hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Wäre die kleine Ulele nicht, man wüßte tagsüber
+kaum mehr, wie eine fremde Menschenstimme
+sich anhört.
+</p>
+
+<p>
+Aber die kleine Ulele hat viel zu tun. Sie
+geht auf Freiersfüßen. Wenn sie zum Frühling
+eingesegnet wird, muß der Vater schon seine
+<a id="page-202" class="pagenum" title="202"></a>
+Frau haben. Denn dann will sie in die große
+Welt, ihr Glück machen. Sie weiß eine, die
+hat dreihundert Taler, und eine andere, die
+hat noch mehr. Aber an der hängen zwei Kinder,
+deren Vater sie manchmal besucht. Und die
+Ulele meint mit Recht, das werde Streitigkeiten
+geben, wenn sie selbst als Vermittlerin nicht
+mehr im Lande ist. Sie wird also wohl die
+erste wählen, aber der muß noch viel zugeredet
+werden, denn sie fürchtet, der Weg der Vorgängerinnen
+werde alsbald auch der ihrige sein.
+</p>
+
+<p>
+So hat man seine Sorgen, auch wenn man
+noch Kind ist.
+</p>
+
+<p>
+Von dem Nachbar Witkuhn hat Erdme seit
+Monaten nichts mehr gesehen, und die Hilfeleistung
+bei seiner Frau muß die kleine Ulele für
+sie mit übernehmen.
+</p>
+
+<p>
+Es bleibt also nur der fromme Taruttis, an
+den man sich halten kann. An jedem Sonntagabend
+gibt&rsquo;s eine Versammlung bei ihm. Zu
+der kommen die Gebetsleute weit und breit,
+und manchmal sind Stube und Vorflur so voll,
+daß die Haustür offen stehen muß, und dann zieht
+der eisige Wind wie mit Peitschenhieben über
+die Köpfe.
+</p>
+
+<p>
+Aber schön ist es trotzdem. Andächtige Lieder
+werden gesungen, Sündenbekenntnisse abgegeben,
+und meistens kriegt der heilige Geist
+einen oder den anderen zu packen, so daß er aufsteht
+<a id="page-203" class="pagenum" title="203"></a>
+und mit Zungen redet, während die anderen
+horchen und weinen. Das ist dann ein rechtes
+Sonntagsvergnügen.
+</p>
+
+<p>
+Zu der Gemeinde gehören Jons und Erdme
+noch nicht, denn das Abtun des Irdischen ist
+wenig nach ihrem Geschmack. Aber sie werden
+als Gäste geduldet, zumal der Tag der Erleuchtung
+auch ihnen nicht ausbleiben kann.
+</p>
+
+<p>
+Zweimal hat es Tauzeit gegeben und Regen
+und Weststurm. Dann hat der Schnee sich gelöst,
+und die Welt ist zu Torfschmutz geworden. Dann
+riecht es nach Rauch und nach Pferdeurin, und
+doch sind gar wenige Pferde ringsum. Nur der
+Wohlhabende kann sich eins halten.
+</p>
+
+<p>
+Aber Jons und Erdme wissen, daß, wenn
+die Zeit erfüllt ist, ihnen ihr Pferdchen nicht
+fehlen wird. Jahre und Jahre kann es dauern,
+aber kommen wird es gewiß, genau wie das
+Fettschwein gekommen ist, um das der Schlachter
+schon lange herumstreicht.
+</p>
+
+<p>
+Aber vorerst wird was Anderes kommen &mdash;
+etwas, das einst in Samt und Seide gehen
+wird und wofür der Sohn eines Gendarmen
+schon längst nicht mehr gut genug ist. Ein großer
+Besitzer muß es sein, wie die reichen Herren
+der Niederung, die hundert Kühe halten und
+deren Käsereien mit Dampf betrieben werden.
+Billiger macht die Erdme es nicht, wenn selbst
+der Jons mit sich handeln läßt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-204" class="pagenum" title="204"></a>
+Um Mitte März kann das Kleine schon da
+sein. Und der März steht vor der Tür. Die
+Sonne bohrt Pockennarben tief in den Schnee,
+und wenn mittags die Eiszapfen tropfen, klingt
+es wie Frühlingsmusik.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt die Frau des Witkuhn.
+Mühselig schleppt sie sich ins Haus. Die Erdme
+ist noch ein Wiesel dagegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbarin,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ich weiß, deine
+Stunde wird bald kommen. Ich hab&rsquo; eine Bitte
+an dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was für eine Bitte?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sieh mich an,&ldquo; sagt sie darauf. &bdquo;So quiem&rsquo;
+ich nun schon an die zehn Jahr. Und die Wirtschaft
+kann nicht gedeihen. Hätte der liebe Gott
+ein Einsehen, so würd&rsquo; er mich zu sich nehmen,
+damit der Witkuhn sich nach etwas Besserem
+umsehen kann. Aber so werd&rsquo; ich ihm zur Last
+liegen, wer weiß wie lange.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weint, und die Erdme sagt zu ihr, was
+man so sagen kann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Darum sollst du mir das Versprechen geben,&ldquo;
+fährt sie fort, &bdquo;daß du es bei der Hebamme nicht
+bewenden läßt, sondern dir auch den Doktor
+bestellst aus Heydekrug oder aus Ruß.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um Gotteswillen!&ldquo; schreit die Erdme ganz
+erschrocken. &bdquo;Das kostet zehn Mark!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das haben wir auch schon überlegt,&ldquo; meint
+die Nachbarin, &bdquo;und der Witkuhn hat gesagt,
+<a id="page-205" class="pagenum" title="205"></a>
+wenn ihr es noch knapp habt, die zehn Mark gibt
+er mit Freuden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird heißrot, denn sie denkt an
+das, was im Frühherbst passiert ist. Und sie
+sagt: &bdquo;Dank deinem Mann, Nachbarin, aber soviel
+haben wir selber. Nur sollt&rsquo; es für die Kuh
+gespart bleiben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Kuh kann krepieren,&ldquo; sagt die Witkuhn,
+&bdquo;und dann spart man sich eine neue. Aber wenn
+man selbst zuschanden ist, dann spart man sich
+keine mehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<em>Die</em> Wahrheit leuchtet der Erdme ein, und
+sie gibt das Versprechen. Sie kann es ruhig
+tun, auch für den Jons. Nur wie es mit dem
+Fuhrwerk werden wird, weiß sie noch nicht.
+Denn wenn der Doktor sich selbst eins bestellt,
+so kostet es weitere zehn Mark. Aber Witkuhn hat
+auch dafür schon Rat geschafft. Er hat mit einem
+der besseren Besitzer gesprochen, und der wird
+sein Pferdchen gerne hergeben, wenn es erst so
+weit ist.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt ist es so weit. Die Erdme liegt und
+schreit wie ein Tier. Seit Stunden folgt eine
+Wehenwelle der anderen und will ihr das Gedärm
+aus dem Leibe reißen.
+</p>
+
+<p>
+Da tritt ein deutscher Mann an ihr Bett,
+anzusehen wie ein rotbärtiger Riese &mdash; Perkuhn,
+der Donnergott, muß so ausgesehen haben &mdash;,
+und blickt aus großen, rollenden Gottesaugen
+<a id="page-206" class="pagenum" title="206"></a>
+auf sie herab und sagt mit einer Stimme, bullrig
+und gut wie abziehendes Ungewitter: &bdquo;Na&mdash;a?
+Kommt es denn immer noch nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, es kommt immer noch nicht. Und
+kommt auch die ganze Nacht hindurch nicht.
+Wenn eine Wehe heranjagt, dann kriegt sie seine
+Knie zu fassen und kneift sich darin fest, daß er
+lachend schreit: &bdquo;Wirst du wohl loslassen!&ldquo;
+Aber sie kneift nur noch fester.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst, wie er gestanden hat, ist er weit höher
+gewesen als die Decke des Zimmers; nur ganz
+gebückt hat sein Kopf darunter Platz gehabt, und
+auch jetzt, wie er neben dem Bett auf der Hocke
+sitzt, erscheint er noch immer so groß wie etwa ein
+Pferd. Aber dann ist es ihr, als wird er langsam
+kleiner und kleiner. Mit jeder Nachtstunde wird
+er kleiner. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie es gegen den Morgen geht, denkt sie
+mit einmal: &bdquo;Für zehn Mark wird er das gar
+nicht machen.&ldquo; Und sie fängt vor Angst und Ungeduld
+zu weinen an, weil es so teuer wird.
+</p>
+
+<p>
+Er wiederum denkt, daß es die ausgestandenen
+Schmerzen sind, die ihr die Tränen zum
+Fließen bringen. Und wie er ihr tröstend die
+Hand beklopft, da ist er schon ganz klein.
+</p>
+
+<p>
+Und mit einem Male kriegt er das Übergewicht
+und kippt mit seinem mächtigen Schmerbauch
+nach hinten zurück, so daß die Beine hoch
+in der Luft herumrudern.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-207" class="pagenum" title="207"></a>
+Da weiß sie, was es ist. Die Lehmschicht
+und der Moorboden haben dem mächtigen Körper
+nicht standhalten können, und die vier
+Beine der Hocke sind unter ihm in die Tiefe
+gesunken.
+</p>
+
+<p>
+Und da befällt sie ein Lachen. Sie lacht
+und lacht, und aus dem Lachen heraus kreischt
+sie hell auf, denn ihr Leib wird plötzlich in Stücke
+geschnitten, und &mdash; wupp! &mdash; ist die Katrike da!
+</p>
+
+<p>
+Nachher, wie er gehen will, dreht der Jons
+demütig die Mütze in der Hand und fragt ihn,
+was es wohl kostet.
+</p>
+
+<p>
+Da sieht er sich in der Stube um, besieht den
+grünbunten Schrank und den goldrahmigen
+Spiegel und sagt: &bdquo;Nun, nun, ihr scheint ja ganz
+wohlhabende Leute zu sein. Gebt mir also&ldquo;
+&mdash; der Erdme steht das Herz still vor Angst &mdash;
+&bdquo;gebt mir also &mdash; drei Mark.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme denkt jubelnd: &bdquo;Wenn das
+so billig ist, krieg&rsquo; ich nächsten Frühling ein
+zweites.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+Man müßte lügen, wollte man sagen, daß
+das nun folgende Jahr für den Jons und die
+Erdme kein gesegnetes gewesen sei.
+</p>
+
+<p>
+Das Schwein wird gut verkauft, und die Kuh
+zieht ein. &mdash; Sie ist die klügste, die schönstgefärbte,
+die milchreichste Kuh, die es auf Erden
+<a id="page-208" class="pagenum" title="208"></a>
+je gegeben hat. Die Milch muß morgens und
+abends zur Sammelstelle getragen werden und
+bringt manchen nützlichen Groschen. Das
+Schlimme ist nur, daß es an Futter fehlt, denn
+auf dem kalklosen Moor kommen die Wiesen erst,
+wenn es Jahre und Jahre bebaut ist, und seine
+Bewohner helfen sich dadurch, daß sie im Umkreis
+&mdash; bis über den großen Strom hin &mdash; jedes
+Rasenstück pachten, das irgend zu pachten ist.
+</p>
+
+<p>
+So geht auch Jons auf die Suche, findet
+aber nichts, was nahe genug gelegen wäre,
+daß man das Heu auf der Karre heimschaffen
+könnte.
+</p>
+
+<p>
+In all den Sorgen muß also wohl oder übel
+der Moorvogt heran, der ja am besten Bescheid
+weiß.
+</p>
+
+<p>
+Sie tun also so, als hätten sie <em>kein</em> schlechtes
+Gewissen, stecken für alle Fälle die schuldig gebliebene
+Pacht in die Tasche und gehen zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Er sieht sie lange und nachdenklich an, schlägt
+dann ein großes Buch auf &mdash; das Buch gewiß,
+in dem all ihre Sünden stehen &mdash; und sieht
+sie darauf wieder an.
+</p>
+
+<p>
+Erdme gibt dem Jons einen heimlichen Stoß,
+und er denkt: &bdquo;In Gottes Namen.&ldquo; Damit
+zieht er die Pachtschuld aus der Tasche und legt
+sie auf den Tisch. &bdquo;Schad&rsquo; um das schöne Geld,&ldquo;
+denkt die Erdme. Aber wenn man so angesehen
+wird, was kann man da machen?
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-209" class="pagenum" title="209"></a>
+&bdquo;Es war Zeit,&ldquo; sagt der Moorvogt &mdash; weiter
+nichts &mdash; und schreibt ein Zeichen in das Buch.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ganz geschwollen von dem plötzlichen
+Bewußtsein seiner Rechtlichkeit und sagt
+mit Würde: &bdquo;Die Pacht fürs zweite Jahr wird
+auch bald da sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Das</em> wär&rsquo; nun nicht nötig gewesen,&ldquo; denkt
+die Erdme, aber weil es doch mal heraus ist,
+will sie sich auch nicht lumpen lassen und setzt
+hinzu: &bdquo;Es fällt uns ja schwer, aber unsere Verpflichtungen
+erfüllen wir pünktlich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt kneift die Lippen ein, als
+will er ein Prusten verstecken, und der Erdme
+wird sehr verdrießlich zumut. Man weiß mit
+dem Manne nie, wie man dran ist.
+</p>
+
+<p>
+Er breitet eine große Plankarte aus und fragt
+dann: &bdquo;Wieviel Kartoffelland nehmt ihr dieses
+Jahr in Arbeit?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn&rsquo;s Glück gut ist,&ldquo; sagt die Erdme,
+&bdquo;wird die Hälfte von dem Gepachteten fertig.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wiegt langsam den Kopf, sieht sie wieder
+eine Weile an und sagt dann: &bdquo;Für ordentliche
+Leute hab&rsquo; ich immer noch ein Stückchen Wiese
+bereit, das nicht zu weit liegt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Gott, o Gott,&ldquo; denkt die Erdme. &bdquo;Wie
+erträgt der Mensch so viel Glück? Erst die
+Wiese und dann auch noch gelobt werden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Außerdem,&ldquo; fährt der Moorvogt fort, &bdquo;ist
+der Fiskus bereit, Ansiedlern, die sich bewähren,
+<a id="page-210" class="pagenum" title="210"></a>
+zur Verbesserung des Bodens mit einigem Kalkmergel
+unter die Arme zu greifen. Das gibt
+dann die doppelte Ernte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das wird der Erdme zu viel. Sie kriegt
+das Heulen, rennt hinaus und rennt schnurstracks
+nach Hause. Der Jons kann sehen, wo er bleibt.
+Dann wirft sie sich über die Wiege der kleinen
+Katrike und erzählt ihr die ganze Geschichte.
+Und daß das Fräulein Tochter nun ganz sicher
+einmal in Samt und Seide gehen wird, erzählt
+sie ihr auch.
+</p>
+
+<p>
+Wie der Jons nachkommt, der inzwischen
+alles festgemacht hat, fällt ihr ein, daß der Moorvogt,
+wenn er sie so sehr belobt, von ihren nächtlichen
+Fahrten unmöglich was wissen kann.
+Die kleine Ulele hat sie gewiß umsonst in Angst
+gejagt. Und ihr gutes Gewissen kennt keine
+Grenzen.
+</p>
+
+<p>
+Unschuld liebt Blumen. Der Garten muß
+angelegt werden, sonst wird&rsquo;s für den Sommer
+zu spät. Zu Staketen ist das Geld noch nicht
+da, Weidenruten tun&rsquo;s auch. Wenn die bloß
+nicht immer von neuem losgrünen wollten.
+Tag für Tag muß man die jungen Triebe abschneiden,
+sogar die Brandmauer zwischen Kochherd
+und Ofen schlägt noch einmal aus, weil
+die Ruten, die ihr den Halt geben sollen, sich in
+dem Glauben befinden, sie seien zu neuem
+Wachstum in den fetten Lehm hineingepackt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-211" class="pagenum" title="211"></a>
+So will alles leben und gedeihen, selbst
+wenn es längst tot ist. Und der Jons und die
+Erdme sollten <em>nicht</em> gedeihen, in denen doch
+Leben steckt für zehne?
+</p>
+
+<p>
+Sonnenblumen, Krauseminze, Schnittlauch
+und Fenchel werden gesät, vor allem aber die
+Raute, die Mädchenblume, die Brautblume.
+Denn wenn die Katrike heiratet, muß sie sich
+ihren Kranz aus dem eigenen Garten winden.
+Das schickt sich für eine Besitzerstochter nicht
+anders. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Um dieselbe Zeit macht der Vater Uleles
+zum dritten Mal Hochzeit. Die Kleine hat viel
+Plage gehabt, und erst die Überzeugung, die
+sie der künftigen Stiefmutter beibrachte, daß
+sie selbst einmal etwas sehr Reiches werden wird,
+hat, als sie noch zögerte, den Ausschlag gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Sie ist eine hübsche Person zu Ende der
+Zwanzig mit einem gutherzigen und gekränkten
+Gesicht. Und wie sie dasitzt in ihrem schwarzen
+deutschen Kleide und einer Jettbrosche unter
+dem Halse, sieht sie aus, als ob sie gekommen
+wäre, ihr eigenes Begräbnis zu feiern. Aber
+die kleine Ulele weicht ihr nicht von der Seite
+und erzählt ihr immer aufs neue, wie herrlich
+hier alles bestellt ist und was für vornehme
+Gäste die Stube erfüllen und daß es für ihre
+dreihundert Taler eine bessere Verwertung nicht
+gebe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-212" class="pagenum" title="212"></a>
+Der große Smailus dagegen streicht seinen
+rundbogigen Schnurrbart, sieht kühn in die
+Weite und berichtet jedem, der es längst weiß,
+dies sei nun schon seine Dritte. Und hernach,
+wie er betrunken ist, setzt er hinzu, wenn daraus
+eine Vierte und Fünfte würde, ihm wäre es
+ganz recht. Aber da hat ihn die Ulele bald
+beiseite geschafft.
+</p>
+
+<p>
+Abends spät, wie viele der Gäste schon weg
+sind und die verlassene junge Frau aus dem
+Brautwinkel mit großen Augen zur Tür sieht,
+als möchte sie rasch wieder anspannen lassen,
+da nimmt die kleine Ulele die Erdme beiseite
+und sagt: &bdquo;Ich wollte eigentlich jetzt gleich nach
+der Stadt, um das Nähen und die Putzmacherei
+zu erlernen, denn das muß immer das erste
+sein, weil man zugleich die Abendschule besuchen
+kann. Aber ich seh&rsquo; ein, ich kann die Stiefmutter,
+bis sie ein Kindchen hat, nicht ganz allein lassen.
+Darum will ich fürs erste in Heydekrug bleiben.
+Von dort wutsch&rsquo; ich des Abends manchmal herüber
+und red&rsquo; ihr gut zu. Dich, Erdme, aber
+bitt&rsquo; ich, daß du oft um sie bist. Der Vater
+meint es nicht schlecht, aber sein Wesen könnt&rsquo;
+sie verschrecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme verspricht es und denkt:
+&bdquo;Zusammen mit der kranken Witkuhn sind es
+schon zwei. Die Katrike noch gar nicht gerechnet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-213" class="pagenum" title="213"></a>
+Dann setzt sie sich auch gleich neben die junge
+Frau und erzählt, wie verzagt sie einmal gewesen
+ist, als sie aufs Moor hat hinausziehen
+sollen, und wie sie jetzt gar nicht mehr weg möchte.
+</p>
+
+<p>
+Und die junge Frau meint traurig: &bdquo;Aber
+deiner war jung und war auch kein Witmann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Dagegen läßt sich nichts sagen. Darum küßt
+sie sie bloß und hält ihr die Hände. Und langsam
+beruhigt sie sich und ißt von dem dickbezuckerten
+Fladen.
+</p>
+
+<p>
+Der Witkuhn ist auch da &mdash; ohne die Frau &mdash;,
+aber er spricht die Erdme nicht an. Sie muß
+selbst auf ihn zugehen und ihn an frühere Zeiten
+erinnern.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es war doch so hübsch, Nachbar,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;darum komm nur immer herüber. Was nicht
+sein soll, das hab&rsquo; ich vergessen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Du bist gut gegen die kranke Frau
+und darum auch gut gegen mich. Ich bete für
+dich am Morgen und Abend, aber kommen &mdash;
+das kann ich nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie ärgert sich, daß es nicht nach ihrem Willen
+gehen soll, und nimmt sich vor, ihn nächstens
+kirre zu kriegen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie nach Hause gehen, der Jons und sie
+&mdash; sie führt ihn natürlich, denn hätt&rsquo; er sich nüchtern
+gehalten, so wär&rsquo;s eine schlechte Hochzeit
+gewesen &mdash;, da sieht sie auf dem Weg den grauen
+Schatten herumlaufen, der voriges Jahr, als
+<a id="page-214" class="pagenum" title="214"></a>
+sie das Haus gerichtet hatten und nun gemütlich
+ausruhen wollten, mit seinem Getanze dazwischen
+gefahren war.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt an die Worte des frommen Taruttis
+und denkt auch an die Wassersnot, vor der
+sie manch liebes Mal zittert, wenn sie voll Stolz
+ihr wachsendes Eigen besieht. Sie weiß nicht,
+wie es geschieht &mdash;, sie hätt&rsquo; es auch nicht für
+möglich gehalten, aber sie muß das Stück Fladen
+hervorziehen, das sie heimlich eingesteckt
+hat, und es ihm hinreichen. Und sagt: &bdquo;Da
+nimm, Nachbar, und wenn <em>du</em> Hochzeit machst,
+gibst du mir auch was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er greift zu wie ein Verhungernder und
+prustet und faucht und läuft rasch davon, als
+muß er den Raub in Sicherheit bringen.
+</p>
+
+<p>
+Doch sie kann sich der Guttat nicht freuen.
+Denn sie denkt, er werde nun ein Recht an sie
+haben und verlangen, daß sie mit ihm redet,
+wenn er des Wegs kommt. Und es redet doch
+sonst niemand mit ihm. Selbst der fromme
+Taruttis tut es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Doch ihre Sorge ist unnütz gewesen. Nie hat
+er sie anzuhalten versucht, und manchmal ist
+er vor ihr sogar auf die Seite gegangen. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat mächtig zu tun. Kind und
+Kuh verlangen Wartung, eines so viel wie das
+andere. Und ein Ferkel ist auch wieder da.
+</p>
+
+<p>
+Der Frau des Witkuhn fällt das Melken sehr
+<a id="page-215" class="pagenum" title="215"></a>
+schwer, und die junge Frau Smailus muß eingewöhnt
+werden, sonst läuft sie womöglich wieder
+davon.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt sieht die Erdme erst, was sie an der
+kleinen Ulele gehabt hat. Aber klein ist die schon
+lange nicht mehr. Wenn sie zum Sonntagsbesuch
+kommt, dann trägt sie ein Fräuleinskleid
+und einen Strohhut mit Blumen. Sie nimmt
+die Stiefmutter unter den Arm und setzt sich
+mit ihr in das Kieferngestrüpp, das nicht höher
+ist als der Vater und dessen Nadeln büschelweis
+stehen wie Haare auf Warzen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, wie ist es schön, so in einem grünen
+Walde zu sitzen,&ldquo; sagt sie dann, &bdquo;und die gesegnete
+Flur zu erblicken!&ldquo; Und dabei zeigt sie nach den
+struppigen Kartoffeln und auf das brandige
+Moor, auf dem nichts weiter wächst als Torf in
+kohlschwarzen Haufen.
+</p>
+
+<p>
+Und alsbald hat sie die junge Frau für acht
+Tage wieder getröstet.
+</p>
+
+<p>
+Eines Sonntags sagt sie zur Erdme: &bdquo;Gott
+sei Dank, jetzt wird sie&rsquo;s leichter haben, denn es
+ist zugesät bei ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Leichterhaben irrt sie sich freilich.
+Oft muß die Erdme heran, der traurigen Frau
+den Kopf zu halten, wenn sie sich weinend erbricht
+und immer nach Hause will.
+</p>
+
+<p>
+Und auch bei der Erdme ist es wieder so weit.
+Da heißt es, sich dreifach zusammennehmen
+<a id="page-216" class="pagenum" title="216"></a>
+und sich nichts merken lassen, sonst geht die
+Wirtschaft den Krebsgang.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hat neben der Taglöhnerarbeit jetzt
+auch für die Wiese zu sorgen. Die Karre nimmt
+er des Morgens meist mit und schiebt sie des
+Abends mit Grünfutter beladen nach Hause.
+Dazu kommt noch die Heuaust, das Mähen, das
+Wenden, das Inhaufenbringen und Wiederausstreuen,
+wenn der Regen alles durchweicht hat.
+</p>
+
+<p>
+Man kann es wohl verstehen, daß er maulfaul
+wird und kaum Antwort gibt, wenn man
+ihn fragt. Wäre die kleine Katrike nicht da, gäb&rsquo;s
+wenig Unterhaltung im Hause. Aber die lacht
+schon, macht Brummchen und zappelt, solange
+man Zeit hat zum Spielen.
+</p>
+
+<p>
+Die Kartoffeln bringen in diesem Jahr funfzig
+Scheffel. Davon darf man sogar verkaufen.
+Milchgeld, Taglohn, Ertrag des Schweines
+kommen dazu. Man kann fürs nächste Jahr
+an eine weitere Pachtung denken.
+</p>
+
+<p>
+Der zweite Winter vergeht wie der erste. Nur
+daß die Erdme ein Spielzeug hat und daß die
+Ulele den Kopf nicht mehr zur Tür hereinsteckt.
+</p>
+
+<p>
+Im April kommt die kleine Urte zugereist.
+Ganz leicht und plötzlich ist sie gekommen. Der
+Doktor hat gar nicht geholt werden brauchen.
+</p>
+
+<p>
+Nun sind es schon zweie, und darum wird
+Schluß gemacht. Das Nötige hat die Erdme als
+Mädchen gelernt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-217" class="pagenum" title="217"></a>
+Die Jahreszeit ist für die Entbindung günstig
+gewesen. Noch bleibt Zeit genug für die Frühjahrsbestellung.
+Am neunten Tage nach der
+Geburt hat die Erdme schon wieder bis an die
+Knie im eiskalten Schlamm gestanden. So ein
+Kerl ist die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Nicht so leicht hat es die junge Frau Smailus
+gehabt, aber daran ist ihr Herzweh wohl schuld.
+Was wäre erst ohne die Ulele geworden! Mit
+einem Male ist sie dagewesen, hat Hebammendienste
+getan, hat das Kind gewartet so gut wie
+die Mutter und hat dabei noch in den Büchern
+gelesen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages kommt sie zur Erdme und sagt:
+&bdquo;Nun wird es wohl gehen, daß ich weg kann.
+Wenn ihr das Kleine nicht hilft, hilft ihr nichts
+auf der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fragt sie, wo sie eigentlich hin will.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Zuerst nach Königsberg und
+dann nach Berlin. Denn diese kleinen Nester sind
+nichts für mich. Nicht einmal, was ein kleidsamer
+Hut ist, versteht man da. Auch muß ich des
+Abends die Schreibmaschine erlernen sowie die
+Schnellschrift, die man Stenographie nennt.
+Dann muß ich noch einmal aufs Land, das
+heißt auf ein Rittergut, um die Wirtschaft zu
+lernen und die Verwaltung. Wenn ich das ordentlich
+verstehe, gehe ich in ein großes Getreidegeschäft
+und mach&rsquo; mich dort unentbehrlich.
+<a id="page-218" class="pagenum" title="218"></a>
+Vielleicht, daß der Prinzipal mich dann heiratet,
+weil er einsieht, daß ohne mich doch nichts mehr
+los ist. Aber im Grunde glaub&rsquo; ich es nicht.
+Denn die Männer sehen mich nicht an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bist ja noch so jung,&ldquo; sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist wahr,&ldquo; sagt sie, &bdquo;Busen hab&rsquo; ich
+noch gar nicht. Vielleicht werd&rsquo; ich auch nie
+einen kriegen. Ich hab&rsquo; immer gedacht, ich werd&rsquo;
+durch das Mannsvolk in die Höhe kommen, aber
+das muß ich mir wohl aus dem Kopf schlagen.
+Und es wird ja auch so gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Erdme lacht und sagt: &bdquo;Du mit
+deinen fünfzehn &mdash; was kannst du da Großes
+verlangen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um mich herum liebt sich schon alles,&ldquo; gibt
+sie zur Antwort, &bdquo;bloß mich wollen sie nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und Erdme, die erst sehr neidisch gewesen ist,
+sieht auf die Wiege, in der Kopf an Kopf die
+Urte und die Katrike liegen, beide mit Lutschpfropfen
+im Munde, und denkt: &bdquo;Euch wird es
+nicht so gehen, denn ihr habt von meinem Blut
+in den Adern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und es ist, als ob die Ulele ihren Gedanken
+erriete, denn sie sagt seufzend: &bdquo;Ja, wenn man
+so eine wäre wie du!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was willst du damit sagen?&ldquo; fragt die Erdme
+argwöhnisch. &bdquo;Weißt du etwas von mir?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das gerade nicht,&ldquo; sagt sie, &bdquo;aber &mdash;
+aber &mdash;&ldquo; Und sie druckst und druckst und kommt
+<a id="page-219" class="pagenum" title="219"></a>
+nicht zu Rande. Schließlich, wie sie gehen will,
+dreht sie sich noch einmal um und sagt: &bdquo;Eine
+Bestellung ist es eigentlich nicht, das würde sie
+sich nicht getrauen. Aber wünschen tut sie gewiß,
+daß du es erfährst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer? Was?&ldquo; fragt die Erdme ganz erstaunt.
+</p>
+
+<p>
+Also: die Frau Witkuhn hat zu ihr gesprochen
+wie zu einer Alten. Das Elend mit ihrem Manne
+reißt ihr das Herz aus dem Leibe. Wenn er nicht
+da ist, sitzt sie in Angst, er könne sich ein Leid
+antun. Und ob es keine Möglichkeit gebe, daß
+die Erdme sich seiner erbarme.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme erschrickt. Wenn die eigene Frau
+sich wirklich so an der Natur und der Religion
+versündigt, dann muß es wohl schlimm stehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hängt er sich gerade an mich?&ldquo;
+fragt sie. &bdquo;Mädchen, die ihm gern einen Gefallen
+täten, laufen genug herum auf dem Moor.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele macht eine pfiffige Nase. &bdquo;Das
+ist es gerade,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Ursprünglich wäre ihm
+wohl jede die Rechte gewesen, aber wenn eine
+ihm nah kommt, schrickt er zurück. Früher, als
+ich noch dümmer war und nicht wußte, warum,
+da hab&rsquo; ich mich ihm manchmal auf den Schoß
+setzen wollen, aber da hat er mich von sich
+gewiesen wie das höllische Feuer. Nun aber
+hat er seine Sinne auf dich allein gesetzt. Ich
+verstehe ja nicht viel davon, aber ich meine,
+wenn der Jons nichts erfährt, könntest du ihm
+<a id="page-220" class="pagenum" title="220"></a>
+wohl einmal Mitleid erweisen. Wollte er mich,
+ich tät&rsquo;s, aber ich bin ihm wohl noch zu klein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt, daß sie heiß wird von Kopf
+bis zu Füßen. &bdquo;Du verstehst wirklich noch nichts
+davon,&ldquo; sagt sie und schiebt die Ulele hinaus
+und nimmt auch keinen Abschied von ihr.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Gedanke an den Nachbar geht ihr
+nicht mehr aus dem Kopf. Sitzt der Jons ihr
+gegenüber, stumm und schwer, wie es seine Gewohnheit
+ist, dann sieht sie ihn immerzu an
+und denkt: &bdquo;Soll ich &mdash; soll ich nicht?&ldquo; Und ihr
+Entschluß ist dann stets: &bdquo;Nein, ich soll nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn sie den Nachbar arbeiten sieht
+fernab auf dem Feld und sich sein feines, stilles
+Gesicht vorstellt und die zitternden Backenknochen,
+dann denkt sie doch wieder: &bdquo;Ich soll.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ihr Mitleid wird so groß, daß sie nachts
+von ihm träumt und bei Tage auf dem Grabenrand
+sitzt und ihm nachsieht. Dabei leidet natürlich
+die Arbeit.
+</p>
+
+<p>
+Schließlich denkt sie: &bdquo;Komm&rsquo;s, wie es will,
+geschehen muß was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Darum faßt sie sich eines Tages ein Herz
+und geht zu ihm &rsquo;rüber.
+</p>
+
+<p>
+Als er sie kommen sieht, fällt ihm die Hacke
+aus der Hand. Er steht da und sieht sie an wie
+eine Himmelserscheinung, und dabei hat er sie
+doch immer vor Augen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, als hätte sie noch gestern
+<a id="page-221" class="pagenum" title="221"></a>
+mit ihm gesprochen, &bdquo;willst du nicht einmal nach
+unserer Kuh sehen? Die frißt nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zieht die Klotzkorken über die nackten Füße
+und kommt. Er befühlt der Kuh den Leib, legt
+ihr die Hand auf die Schnauze und dreht die
+Augenhaut um. &bdquo;Die Kuh ist gesund,&ldquo; sagt er.
+Weiter nichts.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme schämt sich und fühlt, wie sie
+zittert. Aber sie weiß, so ein Augenblick kommt
+nicht wieder. Darum ladet sie ihn ein, noch
+ein wenig in die Stube zu treten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll ich da drin?&ldquo; fragt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; schon lange einmal mit dir reden
+wollen,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Er streift die Klotzkorken ab und tritt ein.
+Die Wiege hat sie vorher auf den Hof gestellt,
+damit die Kinder nicht zusehen.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt stehen sie da und zittern beide.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;ich muß immer an die
+Stunde denken vor zwei Jahren, und mir ist, als
+habe ich dir ein Unrecht getan. Wenn ich es
+gutmachen kann, will ich es gerne.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist nichts gutzumachen,&ldquo; sagt er und bekuckt
+sich die Bilder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Setz dich auf die Bank, Nachbar,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Er gehorcht, und sie setzt sich neben ihn. Mehr
+kann sie wahrhaftig nicht tun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt sie, &bdquo;du hast ein seltsames
+Wesen. Nicht bloß gegen mich. Dir muß irgend
+<a id="page-222" class="pagenum" title="222"></a>
+was geschehen sein. Das Beste wär&rsquo; schon, du
+sprichst dich aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jawohl,&ldquo; sagt er, &bdquo;das will ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann erzählt er ihr eine Geschichte, wie
+es ihm in der Jugend ergangen ist. Er ist ein
+froher Bursch gewesen, Besitzerssohn, ansehnlich
+und beliebt. Und die Mädchen haben ihn gern
+gewollt zum Heiraten sowohl wie zu dem anderen.
+Und eine &mdash; die war wild und heimlich zugleich.
+Wie wohl die wildesten sind. Und nichts war
+ihr heimlich genug. Und eines Nachts im Finstern
+trafen sie sich unter dem Kadigbusch auf
+der Heide, wo sonst kein Menschenfuß hintritt.
+Da wollte sie ihm zu Willen sein. Aber plötzlich
+sind ringsum Lichter aufgetaucht von Jägern,
+die sich schon im Finstern auf eine Jagd begaben.
+Da hat sie zu schreien angefangen, daß er
+ihr Gewalt antue. Als ob sie am Speer stak, so
+hat sie geschrieen. Und so ist er ins Unglück
+gekommen. Das hat ihn verfolgt von Ort zu
+Ort und ist stets offenbar geworden, wenn er
+ein Führungsattest gebraucht hat oder als Zeuge
+vor Gericht hat stehen müssen. Schließlich hat
+er im Moor eine Zuflucht gefunden, wo mancher
+bestraft ist und keinem viel Schaden daraus
+erwächst. Der Moorvogt weiß es und seine Frau.
+Sonst niemand. Bei der Frau hat er Rettung
+gesucht, aber die ist ja schon lang&rsquo; keine Frau
+mehr. Und sobald eine andere ihm zugelächelt
+<a id="page-223" class="pagenum" title="223"></a>
+hat, ist ihm sofort der Gedanke gekommen:
+&bdquo;Sie wird schreien.&ldquo; Immer hört er das
+Schreien. Und dann zittert ihm das Gesicht,
+wie es ihm damals gezittert hat, als er sich
+stumm und ohne Verteidigung hat abführen
+lassen. So vertattert ist er gewesen, und so ist
+er noch heute.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie hast du dich dann aber an mir vergreifen
+können?&ldquo; fragt sie und lächelt ihn an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das weiß ich selber nicht,&ldquo; sagt er und streicht
+sich übers Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, ich hab&rsquo; doch <em>nicht</em> geschrieen,&ldquo; sagt
+sie und lächelt ihn immerzu auffordernd an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber &mdash; abgewiesen hast du mich, und seitdem
+ist es schlimmer als je!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Soll sie nun sagen: &bdquo;Heute würd&rsquo; ich dich
+<em>nicht</em> abweisen?&ldquo; Das kann sie nicht. Das
+bringt keine Frau über die Lippen. Bloß seinen
+Arm streichelt sie und sagt: &bdquo;Armer Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt, er wird sie nun umfassen, aber
+was tut er? Er zittert und rückt von ihr
+weg und stöhnt: &bdquo;Laß man, mir hilft keiner
+mehr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott wird helfen!&ldquo; sagt sie, wie man sagt:
+&bdquo;Guten Tag&ldquo; und &bdquo;Guten Weg&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auch Gott hilft mir nicht,&ldquo; schluchzt er und
+ringt die Hände. &bdquo;Ich hab&rsquo; zu ihm gebetet bei
+Tag und bei Nacht, er soll die große Zuneigung
+von mir nehmen, aber geholfen hat er mir nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-224" class="pagenum" title="224"></a>
+&bdquo;<em>Ich</em> werd&rsquo; für dich beten,&ldquo; sagt sie. Sündigen
+möcht&rsquo; sie viel lieber, aber man muß doch
+so tun.
+</p>
+
+<p>
+Er in seiner Not greift den Gedanken auf wie
+der Hungernde den Knochen, den man zum Fenster
+hinauswirft.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, bet für mich, bet für mich, oder wenn
+du mir eine große Gnade antun willst, dann
+laß uns zusammen beten. Vielleicht daß Gott
+mich dann hört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und richtig! Sie holt ihr Gesangbuch hervor
+und das von Jons, und jeder schlägt auf,
+und sie beten und beten.
+</p>
+
+<p>
+Und siehe da! Immer frömmer wird ihr
+zumute. Sie denkt an die schlafenden Kinderchen
+draußen und an den Mann, der sich abschindet
+von früh bis spät, und bald begreift sie
+gar nicht mehr, daß sie eine so große Sünde hat
+begehen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie eine halbe Stunde gebetet haben,
+sagt sie: &bdquo;Nun, Nachbar, fühlst du, daß es dir
+hilft?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er schüttelt bloß den Kopf.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt: &bdquo;Aber mir hat es geholfen.&ldquo; Und
+nun &mdash; ganz aufrichtig gesonnen &mdash; redet sie ihm
+gut zu und meint, sie möchte ihm ja gerne den
+Wunsch erfüllen, aber es gehe nicht an. Die
+Kinderchen sind noch so klein, und der Jons hat
+sie alle dreie so lieb, wenn er es auch nicht recht
+<a id="page-225" class="pagenum" title="225"></a>
+ausdrücken kann. Aber vielleicht wird es später
+einmal anders werden, so daß sie sich dann wegen
+des Unrechts nicht mehr so zu schämen braucht.
+Es könnte ja sein, daß Jons einmal zu trinken
+anfängt und sie schlägt oder so. Dann würd&rsquo;
+sie sich kein Gewissen draus machen.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar steht auf, tastet nach seiner
+Mütze und sagt im Gehen: &bdquo;Ich werd&rsquo; also
+warten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie denkt: &bdquo;Schade! Aber wer weiß,
+wozu es gut ist?&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wenn <em>das</em> Überschwemmung ist, das läßt
+sich ertragen!
+</p>
+
+<p>
+Wohl stehen Hof und Garten zollhoch unter
+Wasser, auch ist der Knüppelweg zur Chaussee
+an vielen Stellen unbegehbar. Und der Estrich
+in der Stube fühlt sich an, als möchte er sich von
+neuem kneten lassen. Aber schließlich &mdash; zu seinem
+Vergnügen lebt man nicht im Moor, und
+alles geht vorüber. Die Wege trocknen, über
+Hof und Gräben legt man Bretter, und der Estrich
+wird wieder glatt gewalzt.
+</p>
+
+<p>
+So ist es nun im Märzenmonat schon zweimal
+gewesen, und die Erdme denkt nicht mehr
+mit Angst an die finsteren Prophezeiungen, mit
+denen der alte Raubmörder einst ihre Hoffnungen
+vergiftete.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-226" class="pagenum" title="226"></a>
+Manchmal fragt sie die Nachbarn, aber die
+scheinen ungern davon zu sprechen, und darum
+unterläßt sie es. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt im vierten Jahre zeigt es sich, daß man
+stark genug ist, noch weitere Sprünge zu machen.
+Die Wiese liefert Heu genug, um eine zweite
+Kuh zu ernähren, und deshalb muß ein Stall
+gebaut werden. Der Abschlag am Giebelende
+reicht schon für die eine nicht aus, besonders wenn
+die Mastferkel an den Pfosten herumwühlen,
+so daß an manchem Morgen das ganze Dach der
+Kuh auf dem Rücken liegt.
+</p>
+
+<p>
+Gespart ist ja, aber ob man ausreichen wird,
+ist zu bezweifeln. Und da zu gleicher Zeit wegen
+der Pachtung eines zweiten Hektars mit dem
+Moorvogt gesprochen werden muß, könnte man
+vielleicht aus dem Raiffeisenverein ein Darlehen
+von ihm erlangen.
+</p>
+
+<p>
+Eines Sonntagnachmittags zu Anfang April
+stellen sie die Lampe hoch, verstecken die Streichhölzer,
+schließen die Kinder ein, und dann gehen
+sie zum Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Er hört ihnen schweigend zu und schlägt darauf
+sein großes Buch auf. Ach, dieses fürchterliche
+Buch! Je länger er darin liest, desto
+zittriger werden der Erdme die Beine, denn
+die Ulele hat ja einmal gesagt &mdash; &mdash; man
+wagt gar nicht auszudenken, was die Ulele gesagt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-227" class="pagenum" title="227"></a>
+Dann sieht er sie eine Weile an, gerade wie
+damals, und endlich macht er den Mund auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also alles in allem geht es euch gut?&ldquo;
+fragt er.
+</p>
+
+<p>
+Nun möchte ich den Landmann sehen &mdash; ob
+litauisch oder deutsch, ob Bauer oder Graf &mdash;,
+der auf eine solche Frage mit einem schlichten
+Ja geantwortet hätte.
+</p>
+
+<p>
+Sie fangen also alle beide fürchterlich zu
+klagen an. Die Nachtfröste im vorigen Herbst &mdash;
+und die verschorften Kartoffeln &mdash; und die wartungsbedürftigen
+Kinder &mdash; und die Überschwemmung
+noch jüngst!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wißt ihr von Überschwemmung!&ldquo; sagt
+er, und ein bitteres, ein fast verzagtes Lächeln
+fliegt über sein starkes Gesicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jedenfalls geht es euch so gut,&ldquo; fährt er
+fort, &bdquo;daß ihr eine erhebliche Vergrößerung
+eurer Wirtschaft in Angriff nehmen könnt. Es
+kommt mir das nicht unerwartet, denn ich habe
+euch natürlich im Auge behalten. Das zweite
+Hektar ist euch bewilligt, und auch für das Darlehen
+werde ich eintreten. Nur &mdash; nur &mdash;&ldquo;
+er stockt und sieht sie wieder an, &bdquo;nur scheint mir,
+daß ihr noch von der Bauzeit her dies und jenes
+in Ordnung zu bringen habt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme werfen sich einen heimlichen
+Blick zu. Was kann er nur meinen?
+</p>
+
+<p>
+Und er sieht sie immer weiter an mit starren,
+<a id="page-228" class="pagenum" title="228"></a>
+bohrenden Augen, als ob sie splinterfasernackig
+vor ihm stünden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Gott, o Gott!&ldquo; denkt die Erdme. Denn
+<em>was</em> hat die Ulele gesagt?
+</p>
+
+<p>
+Und das Versprechen fällt ihr ein, das sie sich
+am Abend ihrer Trauung im Matzicker Chausseegraben
+gegeben haben. Ach, wie bald ist das
+vergessen gewesen!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es scheint, ihr wißt nicht, was ich meine,&ldquo;
+fährt der Moorvogt fort. &bdquo;Geht also nach Hause
+und denkt darüber nach. Wenn ihr findet, daß
+ich Unrecht habe, dann kommt wieder, aber nicht
+früher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit sind sie entlassen.
+</p>
+
+<p>
+In stolzer Hoffnung waren sie gekommen.
+Stillschweigend, mit gesenkten Köpfen gehen sie
+wieder heim.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Allwissend ist Gott allein,&ldquo; denkt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier hilft bloß eines,&ldquo; sagt schließlich der
+Jons, &bdquo;daß wir nun doch noch unter die Gebetsleute
+gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum?&ldquo; fragt die Erdme. &bdquo;Wir sind ja
+fromm genug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn man unter die Gebetsleute geht,&ldquo;
+sagt der Jons, &bdquo;kann man seine Sünden bekennen
+und alles gutmachen, ohne daß einem daraus ein
+Schade erwächst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gutmachen kann man auch so,&ldquo; sagt die
+Erdme. &bdquo;Wozu noch erst viel bekennen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-229" class="pagenum" title="229"></a>
+&bdquo;Das ist nicht das Richtige,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+Sie beschließen also, den frommen Taruttis
+zu besuchen und zu sehen, ob es lohnt, sich in die
+Gemeinde der Erleuchteten aufnehmen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis empfängt sie mit Freuden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe schon oft gebetet,&ldquo; sagt er, &bdquo;daß ihr
+den Weg zum Heile finden möget, und nun ist
+mein Gebet erhört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So mager und so sanft sieht er aus wie ein
+Sendbote des Herrn. Und seine Augen leuchten
+wie zwei weinende Sonnen. Er ruft auch die
+Taruttene, die ihnen Schmand mit Glumse vorsetzt.
+Sie ist nun ganz hutzlig geworden und will
+gleich zu singen anfangen. Sie hält es schon
+gar nicht mehr aus. Aber er beruhigt sie. Damit
+habe es bis zur nächsten Versammlung Zeit.
+Erst müsse ein Sündenverzeichnis hergestellt
+werden. Und bei dem öffentlichen Bekenntnis
+werde die ganze Gemeinde Gott auf den Knieen
+um Vergebung anflehen. Das habe noch immer
+geholfen.
+</p>
+
+<p>
+Jons und Erdme sehen sich an. Sie haben
+es zwar oft schon mitgemacht, aber nun sie selbst
+daran glauben müssen, wird es ihnen doch fürchterlich
+sauer.
+</p>
+
+<p>
+Der Taruttis legt auch gleich ein Blatt Papier
+auf den Tisch, macht eine römische Eins
+und sieht sie erwartungsvoll an. Da nimmt
+<a id="page-230" class="pagenum" title="230"></a>
+die Erdme das Wort und sagt: &bdquo;Damit das Bekenntnis
+ganz vollständig wird, wollen wir uns vorerst
+im einsamen Kämmerlein gehörig kräftigen.
+Sonst könnte es geschehen, daß etwas fehlt, und
+das würden wir uns niemals verzeihen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis lobt den Ernst ihrer
+Bestrebungen und ladet sie zu der nächsten Versammlung.
+Und dann gehen sie heim.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagt die Erdme entschieden, &bdquo;damit
+die Leute hernach mit Fingern auf uns weisen:
+&sbquo;Da seht das verstohlene Pack&lsquo;. Das könnte mir
+passen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons meint zwar schüchtern, man könne
+das Bekenntnis so undeutlich sprechen &mdash; besonders
+wenn man zu zweit ist &mdash;, daß niemand
+was Rechtes versteht. Aber die Erdme bleibt
+fest. &bdquo;Unsere Kinder sollen einmal in Samt
+und Seide gehen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;für die muß vorgesorgt
+werden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Auf alle Fälle machen sie jetzt das Verzeichnis.
+Der Mann, dem sie die Saatkartoffeln ausbuddelten,
+bekommt die erste Nummer. Und dann folgt
+eine sehr lange Reihe. Einzelnes bietet Schwierigkeiten.
+Wem zum Beispiel sollen sie das Heu
+für die Ziege ersetzen, das sie im Dunkel der
+Nacht aus den fahrenden Fudern zupften?
+Oder: Wem hat der Jons Schaden getan, als
+er mit dem Abgebrannten wegen der Türen
+und Fenster den heimlichen Handel abschloß?
+<a id="page-231" class="pagenum" title="231"></a>
+Denn was eine Versicherungsgesellschaft ist, wer
+kann sich das vorstellen? Und dann das Allerschlimmste:
+die Veruntreuungen auf dem Holzplatz,
+auf dem der Jons ja heute noch arbeitet!
+Der Möbeltischler ist nicht der Einzige gewesen.
+Gar manchem, der eine offene Hand hatte, ist
+beim Verladen eine oder die andere Planke mehr
+auf den Wagen geschmissen worden. Und der
+Aufseher hat dann den Rüffel gekriegt.
+</p>
+
+<p>
+Schlimme Sache! Schlimme Sache!
+</p>
+
+<p>
+Trotz alledem gehen sie ans Werk. Der Jons
+bringt Postanweisungen und Linienpapier, und
+nun schreiben sie einen Brief nach dem anderen,
+gerade so, als ob sie wirklich bei den Gebetsleuten
+eintreten wollten ... Und das tun sie
+aus Klugheit, denn sie wissen, deren Sündenbekenntnisse
+werden von den Deutschen mit
+Lustigkeit, von den Litauern mit Andacht aufgenommen
+und niemals weiter verfolgt. Aber
+in zweifelhaften Fällen vermeiden sie der Sicherheit
+halber, ihre Namen anzugeben.
+</p>
+
+<p>
+Einer der Briefe lautet so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Wehrter Herr Hahn!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Da ich den Herrn Jesus gefunden und er mich
+eretet hat aus allen meinen Sünden. Bezeugt
+mir der Heilige Geist Gottes mein Ibelthat. Um
+mit Gott und Menschen ins reine zu komen,
+soll ich mihr reinigen wie auch der Herr Jesus
+rein war. Der Herr zeiget mir, daß ich auch
+<a id="page-232" class="pagenum" title="232"></a>
+Ihnen währent meinem Hausbau beschädigt habe
+indem ich aus Ihrem Walde Holz stahl. Ich
+biete um Vergebung der Schuld, das sie mir
+nicht vor dem Throne Gottes verklagen wirde.
+Darum läge die 30 Mark für den Wert des Entwändeten
+Matirials. Der liebe Gott ist selber
+Richter und weis am bästen den Weg. Er hat
+meinem Gewissen soviel geurteilt. Ich biete
+nochmals um Verzeihung und vergebung der
+Schuld, das ich Frieden mit Gott häbe und mein
+Gewissen mich nicht verklagen wirde. Der Herr
+Jesus hat mir schon vergäben, als er am Kreuze
+auf Golgatha das Wort ausrief Es ist volbracht.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Achtungsvol<br />
+J. Baltruschat.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und ein anderer lautete so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Hochgerter Herr!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Als ich in einen neien Abschnit meines Lebens
+mich mit meinem Gott versähnen wolte,
+fand ich unter den verbannten Gegenstenden,
+das ich mich auch an Ihnen vergangen habe.
+Zwar glaubte ich früher das wen man von
+einen reichen Herrn Kleinigkeit stiehlt, keine
+Sünde ist. Komme daher ihnen dankbar um
+Vergebung zu bieten, wenn Sie so gütig sind.
+Ich befand mich vor langer Zeit bei meinem
+bauen in großer Verlegenheit und da ging ich
+hin und holte mir aus ihre Grube den Lähm
+gleichwie es Gott gefiel. Daher sände Sie gefälligst
+<a id="page-233" class="pagenum" title="233"></a>
+10 Mark. Biete wenn möglich um
+Sündenvergebung.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Hochachtend<br />
+ein Nachbar.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Diese beiden Briefe, den frömmeren und
+den weltlicheren, nehmen sie sich zum Muster
+und richten danach die übrigen ein.
+</p>
+
+<p>
+So schreiben sie noch manchen Brief und berechnen
+genau die Beträge, die sie den Empfängern
+schuldig sind.
+</p>
+
+<p>
+Der Abgebrannte, zu dem der Jons geht,
+um zu erfahren, an wen er sich wegen des Ersatzes
+zu wenden habe, wohnt in einem nagelneuen
+Hause. Dessen Türen und Fenster sind
+tausendmal schöner als die, die er damals beiseite
+geschafft hat. Er lacht zuerst fürchterlich,
+als er aber hört, daß Jons zu den Gebetsleuten
+gehen will, sieht er gleich ein, daß es sein muß,
+und gibt ihm genaueste Auskunft.
+</p>
+
+<p>
+So bliebe also nur noch das Holzgeschäft übrig,
+denn das Ziegenheu kann auch von selber gefallen
+sein. Aber das Holzgeschäft!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das deutsche Schwein kann Wind auf dich
+kriegen und zeigt dich am Ende noch an,&ldquo; warnt
+die Erdme. &bdquo;Selbst ohne Unterschrift kann es
+dir schlecht gehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das sieht er auch ein und schreibt darum
+zur Sicherheit den Namen eines anderen Arbeiters,
+der vor kurzem nach Rußland zu den
+<a id="page-234" class="pagenum" title="234"></a>
+Holzfällern gegangen ist und der ebenso gemaust
+hat wie er. So reinigt er zugleich auch dessen
+Gedenken, was als eine doppelte Guttat angesehen
+werden muß.
+</p>
+
+<p>
+Als die Briefe und die Postanweisungen weg
+sind, wird ihnen beiden sehr wohl zumut. Die
+Ersparnisse haben sich zwar erheblich vermindert,
+aber statt dessen hilft ja der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+Darüber vergessen sie ganz, daß sie auf der
+nächsten Versammlung der Gebetsleute das Sündenbekenntnis
+ablegen sollen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt der Sonntagnachmittag heran.
+Sie sitzen vergnügt vor der Tür. Er raucht seine
+Pfeife, sie riecht an einem Marienblatt, und die
+Kinder spielen um sie herum. Da hören sie
+mit <a id="corr-5"></a>einem Male einen feierlichen Gesang.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es wird ein Begräbnis sein,&ldquo; meint die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Gesang kommt immer näher, und
+was sehen sie? Der fromme Taruttis und zwei
+andere fromme Männer gehen zwischen den
+Kartoffeln geradeswegs auf sie zu, und jeder hält
+sein Gesangbuch in der einen Hand und sein
+Schnupftuch in der anderen, und eine Mütze
+hat keiner auf.
+</p>
+
+<p>
+O Gott, wie wird ihnen da! Weglaufen
+können sie nicht, und Ausreden haben sie auch
+nicht.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons in seiner Verlegenheit heißt sie
+willkommen und fragt, ob er den werten Gästen
+<a id="page-235" class="pagenum" title="235"></a>
+vielleicht einen Schnaps anbieten kann. Wo er
+doch wissen muß, daß die Erleuchteten geistige
+Getränke nicht zu sich nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis tut, als hat er die
+Frage gar nicht gehört, und sagt: &bdquo;Teurer Bruder
+und geliebte Schwester. Die Stunde des Segens
+ist da. Die Pforten der Himmelsstadt sind aufgetan!
+Folget uns nach Jerusalem, wo ihr alsbald
+in weißen Kleidern dastehen werdet zur
+rechten Seite des Herrn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons, der wie vor den Kopf geschlagen
+ist, will richtig schon gehen, aber die Erdme hält
+ihn gerad&rsquo; noch am Ärmel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Lieber Nachbar und ihr anderen geehrten
+Gäste,&ldquo; sagt sie und macht ein scheinheiliges Gesicht,
+&bdquo;seit wir unseren Entschluß kundgetan
+haben, prüfen wir uns unaufhörlich, aber es
+will uns gar keine Sünde einfallen. Nun
+müßten wir uns jedoch schämen, so selbstgerecht
+vor euch zu erscheinen, wo doch ein jeder sonst
+sein Bündelchen auspackt. Darum lasset uns Zeit,
+ein Monatchen oder ein Jahrchen &mdash; oder noch
+mehr, damit wir ein gehöriges Bekenntnis zusammenkriegen.
+Vielleicht sündigen wir inzwischen
+auch noch was Neues, und das ist dann gleich
+ein Abwaschen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So einfältigen Glaubens der fromme Taruttis
+auch sein mag, &mdash; daß diese freche Person
+sich lustig macht, das sieht er doch ein.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-236" class="pagenum" title="236"></a>
+&bdquo;Warum seid ihr denn zu mir gekommen?&ldquo;
+fragt er sie ganz verdutzt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr seid ja auch zu uns gekommen,&ldquo; gibt
+sie zur Antwort.
+</p>
+
+<p>
+Darauf wissen die frommen Männer nichts
+zu erwidern und heben sich wieder von hinnen.
+Und Jons geleitet sie bis an den Grenzgraben,
+dorthin, wo das Brett &rsquo;rüberführt.
+</p>
+
+<p>
+Wie er zurückkommt, sieht er, daß Erdme die
+beiden Kleinen im Arm hat und liebkost.
+</p>
+
+<p>
+Dann läßt sie sie fallen, hebt beide Fäuste
+hinter den Weggehenden her und ruft ganz laut:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meinen Töchtern die Heirat verderben, das
+wär&rsquo; euer ganzer Segen, ihr Schufte!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist beinahe erschrocken. Nie hätte
+er gedacht, daß sein Weib so böse sein kann.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+Über den Nachbar Witkuhn scheint etwas
+wie Frieden gekommen. Er weicht der Erdme
+nicht mehr aus, bleibt ruhig zu Hause, wenn sie
+der kranken Frau beispringt, und kommt herüber,
+so oft es nottut. Ohne ihn wäre der Stall
+gar nicht zustande gekommen. Der ist nun viel
+prächtiger als das Wohnhaus und bietet Platz
+für zwei Kühe und zwei Schweine und sogar &mdash;
+der Himmel bewahr&rsquo; uns vor Hochmut! &mdash; sogar
+für ein künftiges Pferd.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-237" class="pagenum" title="237"></a>
+Der Nachbar Witkuhn weiß, daß er selber es
+nie so weit bringen wird. Um so eifriger ist er
+darauf bedacht, daß Jons und Erdme dahin gelangen.
+</p>
+
+<p>
+Der Ankauf der zweiten Kuh ist auch sein
+Werk. Eine Holländerin ist sie, wollstirnig mit
+einem schwarzen und einem weißen Auge. Und
+Milch gibt sie &mdash; man schämt sich zu sagen, wieviel
+Milch sie gibt, aber die an der Ablieferungsstelle,
+die wissen&rsquo;s.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt kommt des Abends schon manchmal
+Butter auf den Tisch, und die Kleinen trinken
+frische Milch, soviel sie nur mögen.
+</p>
+
+<p>
+Im Frühling des fünften Jahres geschieht
+das Große, daß Jons seine ständige Arbeitsstelle
+aufgeben muß, denn Erdme schafft es nicht
+mehr, selbst wenn er die Freistunden noch so sehr
+ausnutzt.
+</p>
+
+<p>
+Der Sägemühlenbesitzer schenkt ihm zum Abschied
+zehn Mark und eine Kiste Zigarren wegen
+der Ehrlichkeit, die er immer bewiesen hat, im
+Gegensatz zu anderen, die sich jetzt in Rußland
+herumtreiben.
+</p>
+
+<p>
+Nun kann sogar das dritte Hektar in Angriff
+genommen werden, zumal der am frühesten
+urbar gemachte Boden für Roggen bald
+reif ist.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt gibt noch ein neues Stück
+Wiese dazu und verspricht sogar, den Jons bei
+<a id="page-238" class="pagenum" title="238"></a>
+der Entwässerung zu beschäftigen, wenn es ab
+und zu in der Wirtschaft zu still wird.
+</p>
+
+<p>
+So ist für alles gesorgt, und die Zukunft liegt
+da wie ein blühendes Kleefeld.
+</p>
+
+<p>
+Wenn Erdme bei ihrer Arbeit die schlammbespritzten
+Beine hebt und senkt, daß der federnde
+Grund schaukelt wie eine Wiege, und wenn das
+schwarze Wurzelwerk unter den Streichen der
+Hacke zerblättert, als wäre es Torfgrus, dann
+ist ihr zumut, als sei das ganze Moor nur geschaffen,
+um ihrem Glücke zu dienen. Und sie dehnt
+in lauter Wohlsein die starke Brust dem Gelingen
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn es nur allen so ginge wie ihr! Aber
+ringsum sitzt Kummer genug. Von der hinfälligen
+Frau des Witkuhn gar nicht zu reden.
+Die wird sich vielleicht noch Jahre so schleppen,
+ohne daß Hoffnung kommt. Aber neben ihr
+lebt die junge Frau Smailus. Die ist sehnig
+von Gliedern und schafft auch, aber in ihrem
+Innern scheint sie noch kränker als jene.
+</p>
+
+<p>
+Sie geht umher wie im Traum, gibt falsche
+Antwort, wenn man sie fragt, und ihre Brust
+hat nicht Milch für die Kinder.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ihr fehlt, weiß ich lange,&ldquo; sagt der Nachbar
+Witkuhn. &bdquo;Die Moorkrankheit hat sie.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fragt, was das ist.
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Die Moorkrankheit kommt wie
+durch ein Gift, das aus dem Boden aufsteigt.
+<a id="page-239" class="pagenum" title="239"></a>
+Niemand weiß, wie es aussieht, und kein
+Doktor hat es gefunden. Es ist da und ist auch
+nicht da. Wie man will. Den einen wirft es
+nieder, dem anderen ist es Arznei. Und für
+den, der daran krankt, gibt es nur eine Rettung:
+&rsquo;raus aus dem Moor, rasch &rsquo;raus, ohne
+sich umzusehen. Aber für die meisten ist es zu
+spät.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Was die Erdme einst der Ulele versprochen
+hat, das hält sie getreulich. Sie steht der gemütskranken
+Frau zur Seite, wo sie nur kann. Nicht
+bei der Arbeit. Die macht sie allein. Aber des
+Sonntags oder zum Feierabend &mdash; denn Feierabend
+gibt es schon manchmal &mdash; geht sie hinüber
+zu ihr, legt den Arm um ihre Schulter und sagt:
+&bdquo;Komm, Nachbarin, wir wollen uns was erzählen.&ldquo;
+Und sie führt sie die Sandnase hoch
+und in das Fichtengestrüpp. Da sitzt die kranke
+Frau am liebsten, denn es gemahnt sie an die
+verlorene Heide, von der sie herstammt.
+</p>
+
+<p>
+Und dann seufzt sie und weint: &bdquo;Ach, meine
+Heide, meine Heide!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme kann ihr die Heide noch so schlecht
+machen. &bdquo;Ich bin ja auch von der Heide zu
+Hause,&ldquo; sagt sie, &bdquo;und weiß: schinden tut man
+sich dort nicht weniger als hier. Auf dem Sand
+gedeiht nicht einmal Roggen, und der Hafer sieht
+aus, als hat er die Schwindsucht. Und Fichten
+&mdash; na ja &mdash; die stehen ja dort höher. Aber Schatten
+<a id="page-240" class="pagenum" title="240"></a>
+geben sie auch nicht. Und vorwärts kommt
+man hier besser als dort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber wenn dort das Heidekraut blüht,&ldquo; sagt
+die Frau und starrt sehnsüchtig ins Weite, &bdquo;und
+alles ist rot von lauter Blumchen, und die Hummeln
+singen drum &rsquo;rum, und die Luft ist warm,
+und unter dem Kadig liegt man geborgen so wie
+im Himmel! Aber hier friert man ja selbst im
+August und ist stets am Versinken. Vier Wochen
+sind&rsquo;s her, da ist mir mit einmal der Herd eingesunken
+&mdash; vor meinen sehenden Augen ist er
+gesunken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann ist er eben zu schwer gewesen,&ldquo; tröstet
+die Erdme, &bdquo;man muß ihm einen besseren Untergrund
+schaffen.&ldquo; Und um die Frau aufzuheitern,
+erzählt sie ihr die Geschichte von dem großen,
+rotbärtigen Doktor, der immer kleiner und kleiner
+wurde, weil die Schemelbeine ihm unter dem
+Leibe versanken.
+</p>
+
+<p>
+Hätte sie gewußt, was für ein Unheil sie damit
+anrichtet, sie hätte es lieber <em>nicht</em> getan.
+Als sie das nächste Mal mit der Frau zusammenkommt,
+da krallt die sich an ihr fest und sagt:
+&bdquo;Stell dir vor, Nachbarin, jetzt kann ich des
+Nachts gar nicht mehr schlafen, denn ich muß
+immerzu denken, daß die Bettfüße unter mir
+wegsinken, und das ganze Bett versinkt, und ich
+versink&rsquo; mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrem Mitleid fällt der Erdme das Mittel
+<a id="page-241" class="pagenum" title="241"></a>
+ein, das der Nachbar Witkuhn die einzige Rettung
+genannt hat, und sie entschließt sich, die verängstigte
+Frau langsam an den Gedanken des
+Weggehens zu gewöhnen.
+</p>
+
+<p>
+Ob ihr Mann, der Smailus, gut zu ihr ist.
+</p>
+
+<p>
+Sie kann nicht klagen. Schläge kriegt sie
+keine, trinken tut er auch nicht, aber &mdash; und nun
+legt sie den Mund ganz dicht an Erdmes Ohr &mdash;
+&bdquo;aber er wartet schon&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Worauf wartet er denn?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Da macht die Frau die Augen weit auf &mdash;
+die richtigen Unglücksaugen macht sie &mdash; und sagt
+ganz leise ihr großes Geheimnis: &bdquo;Er wartet
+schon auf die Vierte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Woher weißt du das?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie weiß es nicht, aber das fühlt man.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme wird dreister. &bdquo;Da kannst du ihm
+aber behilflich sein,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Womit?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Indem du gar nicht erst wartest, bis sie dich
+&rsquo;raustragen. Dann bist du das Moor los und
+gehst auf die Heide.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und die Kinder?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Natürlich die Kinder! Als ob es für alles,
+was Mutter ist, einen anderen Gedanken gäbe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die nimmst du mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und dann?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja dann! Die dreihundert Taler, die sie
+mitgekriegt hat, die stecken hier in der Wirtschaft.
+<a id="page-242" class="pagenum" title="242"></a>
+Das Väterliche hat längst der Bruder. Wenn sie
+nun wiederkommt &mdash; ohne einen Groschen und
+ein Kind an jeder Hand, &mdash; wer wird sie aufnehmen?
+Betteln kann sie gehen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt: &bdquo;Wenn das Herz ihr nicht
+längst gebrochen wär&rsquo;, würd&rsquo; sie schon durchkommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber so! Wie Recht hat der Witkuhn gehabt!
+Auch die gehört zu den meisten, für die es zu
+spät ist.
+</p>
+
+<p>
+Da hört die Erdme auf, in sie zu dringen, und
+denkt: &bdquo;Dann werd&rsquo; ich sie also zu Tode trösten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das hat sie auch redlich getan. Ein
+Lungenhusten ist gekommen, und die Frau ist
+schwächer und schwächer geworden. Und erst,
+als gar nirgends mehr ein anderer Weg zu erblicken
+war als der, der auf den Kirchhof führt,
+da hat sie zu hoffen begonnen und hat Pläne
+gemacht. Der Smailus werde verkaufen, ihr
+zuliebe werd&rsquo; er verkaufen &mdash; genau so ist der
+Smailus! &mdash;, dann werden sie auf die Heide
+ziehen, und sie wird sich unter den Kadigbusch
+legen, wo es ganz warm und ganz trocken ist
+&mdash; und dann wird sie schlafen und schlafen &mdash;
+alle Angst und alle Müdigkeit wird sie ausschlafen.
+</p>
+
+<p>
+Und darüber ist sie auch eingeschlafen. Aber
+es hat doch noch zwei Jahre gedauert. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+In der Nacht nach dem Tode, so gegen
+<a id="page-243" class="pagenum" title="243"></a>
+Zwölfe, da gibt es ein Klopfen an Baltruschats
+Haus. Sie ziehen sich an. Der Nachbar Smailus
+ist da und weint dicke Tränen. Es ist ihm so
+graulich zu Haus, und ob sie ihn nicht behalten
+möchten bis gegen den Morgen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da hast du&rsquo;s, Nachbar,&ldquo; sagt die Erdme.
+&bdquo;Erst konntest du&rsquo;s nicht erwarten, und jetzt tut
+es dir weh.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist nicht ums Wehtun,&ldquo; sagt er, &bdquo;aber
+ohne Frau kann man nicht sein. Wer wird mir
+jetzt die Schweine futtern und die Kuh?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich denk&rsquo;, die hast du schon lange gefuttert,&ldquo;
+sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist richtig,&ldquo; sagt er, &bdquo;aber sie war doch
+da.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sitzt und sitzt und trinkt einen Schnaps
+nach dem anderen. Und langsam wird er beredt.
+Was man beim Nachbar Smailus so nennen
+kann.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich darf mich ja nicht beklagen,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;denn das Sprichwort heißt: &sbquo;<em>Der</em> Bauer hat
+Glück, dem die Pferde stehen und die Frauen
+sterben.&lsquo; Pferde hab&rsquo; ich ja keine, aber von
+Frauen ist mir nun schon die dritte gestorben.
+Also hab&rsquo; ich doch Glück. Aber so was ist leicht
+gesagt. Denn wo krieg&rsquo; ich nun gleich die Vierte
+her?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Damit hat&rsquo;s ja noch Zeit,&ldquo; tröstet die Erdme.
+&bdquo;Laß sie doch erst unter der Erde sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-244" class="pagenum" title="244"></a>
+&bdquo;Nein, damit hat&rsquo;s keine Zeit,&ldquo; entgegnet er.
+&bdquo;Die Trauerfrist werd&rsquo; ich schon abwarten. Das
+versteht sich. Aber man muß sich doch umsehen.
+Und so eine, wie meine Dritte war, die findet
+sich nicht leicht. So sanft von Gemüt, und dreihundert
+Taler. Die hat mir auch noch die Ulele
+besorgt. Aber wo ist jetzt die Ulele?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Ulele ist doch leicht zu erreichen,&ldquo; sagt
+die Erdme. &bdquo;Die hat ja noch unlängst Wein
+geschickt zur Stärkung und Ölsardinen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat noch viel andere gute Sachen geschickt,
+die Ulele, aber die Ölsardinen haben der
+Erdme den stärksten Eindruck gemacht &mdash; in Erinnerung
+an den Glanz ihrer Mädchenzeit.
+</p>
+
+<p>
+Und sie schlägt vor, der Ulele am nächsten
+Tage eine Depesche zu schicken. Berlin ist ja
+weit, aber denkbar wär&rsquo;s immerhin, daß sie käme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieviel kostet so eine Depesche?&ldquo; fragt der
+Smailus. Und ob er womöglich auch noch die
+Reise bezahlen muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme beruhigt ihn. Das Geld für die
+Depesche werde sie auslegen und sich später
+von der Ulele entrichten lassen. Was aber die
+Reise belangt, so sei die ohnehin viel, viel zu
+teuer für ihn.
+</p>
+
+<p>
+Da willigt er ein und gibt auch gleich den
+Umschlag mit ihrer Adresse.
+</p>
+
+<p>
+Ulele heißt sie nicht mehr. Sie heißt Adele.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie zwei Tage später auf dem Bahnhof
+<a id="page-245" class="pagenum" title="245"></a>
+zu Heydekrug ankommt, da steigt sie aus
+einem Abteil mit roten Polstern und ist überhaupt
+eine Dame. In ganz Heydekrug gibt es nicht
+so eine Dame! Ganz in Schwarz mit langem
+Schleier und noch einem Schleier und noch
+einem Schleier. Nie im Leben hat die Erdme
+so viele schwarze Schleier gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie traut sich gar nicht an sie heran, obgleich
+sie den Wagen selber kutschiert, der die Nachbarstochter
+heimfahren soll. Die muß erst kommen
+und sie in die Arme schließen. Und das tut sie
+vor allen den Leuten und schämt sich nicht im
+geringsten.
+</p>
+
+<p>
+Von nun ist der Erdme alles egal. Sie denkt
+nicht mehr an die tote Nachbarsfrau, nicht an
+den Sarg, nicht ans Begräbnis &mdash; wo sie doch
+selber alles herrichten soll, denn der Smailus ist
+wie ein hilfloses Kind, &mdash; sie sieht bloß die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Der Inbegriff von allem, was sie hat werden
+wollen und nicht geworden ist, das Abbild, das
+Vorbild von sämtlichen schönen Mädchen der
+Modebilder, die bei ihr an den Wänden kleben,
+das Feinste, das Höchste auf und über der Erde,
+Milda, die Göttin der Liebe, Laime, die Göttin
+des Glücks: das ist die Ulele. Keine Königstochter,
+keine Kellnerin kann so schön sein wie
+die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Und sie spricht sogar Litauisch. Nie hat man
+solch eine Dame Litauisch sprechen gehört. Es
+<a id="page-246" class="pagenum" title="246"></a>
+geht zwar etwas humplig, aber es ist doch noch
+Litauisch.
+</p>
+
+<p>
+Sie fragt gleich nach allem: &bdquo;Wo ist der
+Vater? Wer macht den Sarg? Wer trägt mir
+Koffer und Kranz auf den Wagen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Einen Kranz hat sie mitgebracht mit dreißig
+Lilien, und es ist doch noch Winter.
+</p>
+
+<p>
+Dann wünscht sie sofort zum Tischler Werdermann
+zu fahren, um den Sarg zu besehen. Und
+zum Fleischer Steil und zur Schmidtschen Destillation
+wegen des Leichenschmauses.
+</p>
+
+<p>
+Sie befiehlt und wirft das Geld hin, und
+alles ist da.
+</p>
+
+<p>
+Das ist die Ulele.
+</p>
+
+<p>
+Aber stolz ist sie eigentlich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Noch ehe die Begräbnisgäste kommen, hat
+sie all ihre Schleier abgetan und sieht nun in
+dem langen, schwarzen Kleide gar nicht viel
+anders aus als eine Deutsche auf dem Szibbener
+Kirchhof.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Erdme sie fragt, warum sie das
+tut, da sagt sie: &bdquo;Ich bin ein dummes Kalb gewesen.
+Ich hab&rsquo; mich von euch bewundern
+lassen wollen, und darum hab&rsquo; ich mir all das
+Gefunzel gekauft. Aber jetzt schäm&rsquo; ich mich
+recht vor eurem bißchen Armut.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie streichelt der, die im Sarge liegt, die
+gelben, knöchernen Hände und sagt: &bdquo;Die hab&rsquo;
+ich allein auf dem Gewissen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-247" class="pagenum" title="247"></a>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie hat ja niemals zum Vater gewollt, und
+nur auf mein Zureden ist sie gekommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Während der Leichenfeier hält sie die Kinder
+auf dem Schoß und wischt ihnen die Näschen,
+aber sie sorgt auch für den Vater, daß der in
+seinem Kummer nicht nach hinten geht und zu
+viel trinkt. Und jedem der Gäste schenkt sie ein
+Stückchen Seife.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem nun alles vorbei ist, bleibt sie noch
+weitere acht Tage, ist aber selten zu sehen. Und
+wie die Erdme sie fragt, wo sie eigentlich immer
+steckt, da gibt sie zur Antwort: &bdquo;Ich muß doch
+den Kindern eine Mutter besorgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Am Abend vor ihrer Abfahrt kommt sie und
+setzt sich mit der Erdme an den Feuerherd.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich glaube, jetzt wird es auch ohne mich
+weiter gehen,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Sie ist aus Pagrienen
+und kennt die Moorwirtschaft schon. Auch etwas
+Geld hat sie, und das übrige leg&rsquo; ich zu. Aber
+das darf der Vater nicht wissen. Damit er sie
+richtig in Ehren hält.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du bist wohl sehr reich?&ldquo; fragt die Erdme
+bewundernd.
+</p>
+
+<p>
+Sie lächelt und sagt: &bdquo;Eigentlich bin ich ärmer
+als ihr, nur bei euch hat das Geld einen anderen
+Wert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann erzählt sie der Erdme ihre ganze
+Geschichte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-248" class="pagenum" title="248"></a>
+Sie hat alles genau so durchgeführt, wie es
+einmal in ihrem Kopf entstanden war. Hat die
+Wirtschaft gelernt, die Buchführung und die Verwaltung
+und ist jetzt mit ihren zwanzig Jahren
+Geschäftsleiterin in einer Seifenfabrik. Daß es
+kein Getreide ist, wie es einst ihr Vornehmen war,
+sondern bloß Seife, macht kaum einen Unterschied.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und wird Er dich heiraten?&ldquo; fragt die Erdme
+begierig, denn sie hat jedes Wort im Gedächtnis
+behalten.
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele macht den Zeigefinger naß und
+streicht sich über die Augenbrauen. Das tut sie
+oft, wenn sie nachdenkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht nicht so leicht, wie man sich&rsquo;s vorgestellt
+hat,&ldquo; sagt sie und lächelt. &bdquo;Denn meistens
+ist schon eine Frau da, und wenn die einen gar
+noch ins Haus zieht und auch sonst gut ist, dann
+begnügt man sich gerne damit, daß Er manchmal
+abends zu einem kommt und bis Mitternacht
+bleibt. Dann muß man Ihn heimschicken, damit
+die Frau nicht Verdacht schöpft.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber Er gibt dir doch, was du willst?&ldquo; fragt
+die Erdme mit blitzenden Augen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ich will, gibt Er mir schon,&ldquo; sagt die
+Ulele. &bdquo;Aber viel darf es nicht sein, damit die
+anderen nicht denken, daß man sich &rsquo;rumtreibt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das begreift die Erdme nicht recht. Sie
+würde gegrapscht haben ohne Unterlaß, ohne Bedenken.
+So was versteht sich von selber.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-249" class="pagenum" title="249"></a>
+&bdquo;Und dann ist auch noch der Oberbuchhalter
+da,&ldquo; fährt die Ulele fort, &bdquo;der mich durchaus
+heiraten will. Der darf natürlich nichts ahnen
+und niemand. Darum muß man immer hübsch
+einfach sein. Nun ist die Frage: soll ich darauf
+hinarbeiten, daß Er ihn als Teilhaber annimmt,
+oder mach&rsquo; ich mit diesem ein Seifengeschäft auf?
+Das erstere wäre mir lieber, denn dann bliebe
+ich in der Fabrik. Aber gleich von Anfang an
+zwei Männer &mdash; das ist mir zuviel. Und schließlich
+kommt&rsquo;s einmal &rsquo;raus, und die ganze Blase
+platzt auseinander. Ich werd&rsquo;s aber trotzdem
+wohl tun, denn ich lieb&rsquo; die Fabrik wie mein
+Kind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So hast du also doch durch das Mannsvolk
+dein Glück gemacht,&ldquo; sagt die Erdme mit Stolz.
+</p>
+
+<p>
+Die Ulele schüttelt den Kopf. &bdquo;Dann sieht die
+Geschichte ganz anders aus,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Stöckrig
+bin ich geblieben, und Busen hab&rsquo; ich richtig
+auch heute noch nicht. Und wenn Er bei mir ist,
+reden wir vom Geschäft viel mehr als von Liebe.
+Durch Tätigkeit hab ich&rsquo;s gemacht und durch
+Nachdenken, &mdash; aber natürlich: das Mannsvolk
+muß mithelfen, sonst bleibt man im Mustopf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Zum Abschied küßt sie die Erdme und küßt
+auch die Kinder. Und jedem schenkt sie ein Stückchen
+Seife, die riecht noch schöner als die beim
+Begräbnis.
+</p>
+
+<p>
+An demselben Abend, nachdem Erdme die
+<a id="page-250" class="pagenum" title="250"></a>
+Kinder zur Ruhe gebracht hat, kniet sie an ihren
+Betten nieder und schwört bei Gott und bei dem
+Erlöser und dem Heiligen Geist, daß die ebenso
+fein und ebenso vornehm werden sollen wie die
+Ulele, die jetzt Adele heißt.
+</p>
+
+<p>
+Und die sollen <em>gerade</em> durch das Mannsvolk
+ihr Glück machen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Von der Katrike und der Urte hab&rsquo; ich noch
+gar nichts erzählt.
+</p>
+
+<p>
+Die sind nun schon längst zwei große Mädchen,
+gehen in die Schule und lernen ein vornehmes
+Deutsch. Und die Erdme spricht auch nur noch
+Deutsch mit ihnen, denn sie sollen ja in die weite
+Welt hinaus, dorthin, wo die Menschen nicht
+einmal wissen, daß es Litauer gibt. Sie ist
+unerbittlich, wenn sie das &bdquo;h&ldquo; nicht aussprechen
+können, und wie sie&rsquo;s endlich gelernt haben,
+da verwechseln sie &bdquo;Ecke&ldquo; und &bdquo;Hecke&ldquo; und sagen
+&bdquo;der Uhn at Heier gelegt&ldquo;. Und manchmal
+weiß die Erdme es selbst nicht.
+</p>
+
+<p>
+Tagtäglich hält sie ihnen vor, daß sie zu was
+Besserem geschaffen sind, als sich hier von dem
+Moorschlamm die Beine verderben zu lassen,
+denn das Moor beizt und macht Schrunden und
+Risse. Darum sollen sie in den Kartoffeln nur
+arbeiten, wenn die knappe Zeit es dringend verlangt.
+<a id="page-251" class="pagenum" title="251"></a>
+Am liebsten schickt sie sie in die Wiese.
+Dort dürfen sie auf den Heuhaufen liegen und
+den Schwalben nachgucken, soviel es ihnen gefällt.
+So wie die Schwalbchen werden sie auch
+einmal in andere Gegenden ziehen, aber heimkehren
+zum Nestbau, das werden sie nicht. Dafür
+sind sie zu schade.
+</p>
+
+<p>
+Und die beiden Marjellen nutzen die Freizeit
+nach Kräften. Sie treiben sich weit und breit
+im Moore herum und entdecken allsommerlich
+neue Gebiete.
+</p>
+
+<p>
+Der Fremde, der solch eine Öde durchwandert,
+wird nicht leicht glauben, wieviel es darin zu
+entdecken gibt. Da steht mit einem Male ein Birkengebüsch
+&mdash; von fern sah es nach gar nichts aus,
+aber steckt man die Nase hinein, dann ist es voll
+von heimlichen Wundern. Rauschbeeren wachsen
+darin, die sind giftig, aber gerade darum ißt man
+sie gern, denn sie schmecken noch schöner als die
+Blaubeeren, denen sie ähneln, und sie machen
+die Sinne wirr und heiß, so daß man taumelt
+und einschläft. Und der ledrige Porst treibt
+Büsche, in denen man sich verstecken kann, noch
+besser als in dem kitzelnden Heu.
+</p>
+
+<p>
+Und manchmal findet man Blänken und
+Teiche &mdash; nicht die viereckigen mit dem kohlschwarzen
+Steilrand, die durch Torfstechen künstlich
+gemacht sind &mdash; o nein doch &mdash; diese hier
+stehen seit Erschaffung der Welt und stechen von
+<a id="page-252" class="pagenum" title="252"></a>
+weitem ins Auge wie verborgene Spiegel, die
+einer im Sonnenlicht hin und her dreht.
+</p>
+
+<p>
+Aber hinzukommen ist schwer. Von Humpel
+zu Humpel muß man springen, sonst versinkt
+man womöglich im Schlamm, und wer einen
+dann noch herausholt, wie kann man das wissen?
+Aber ist man erst da, dann hat man Freude genug.
+Ringsherum kriecht wohl Nadelgestrüpp,
+wie Knäuel von Schlangen durcheinandergewunden.
+Darin klettert man &rsquo;rum und genießt
+das eigene Fürchten. Und noch was weit,
+weit Schöneres gibt es. Das ist der Rasen,
+der in das Wasser hineinwächst und auf dem
+man sich schaukeln kann, noch lustiger als zwischen
+zwei Birken. Aber fix muß man sein und das
+Fliegen verstehen, denn der Rasen schwimmt oben
+auf, und will man verweilen, dann sinkt er schwer
+in die Tiefe. Auch sind seine Ränder sehr böse
+gesinnt. Denn nie kann man wissen, wie weit
+er hält. Mit einem Male kann das Wasser an
+einem hochspritzen, und wie man dann &rsquo;rauskommt,
+das weiß man noch weniger.
+</p>
+
+<p>
+Aber das macht nichts. Bisher hat man sich
+immer gerettet. Zwei so&rsquo;nen Moorkröten wird
+das Moor doch nichts tun. Das wär&rsquo; ja noch
+besser.
+</p>
+
+<p>
+Im Winter freilich ist&rsquo;s schlimm &mdash; wenn man
+zur Schule muß und der Frost durch die Handschuhe
+durchbeißt, als wären sie leinene Lappen.
+<a id="page-253" class="pagenum" title="253"></a>
+Und in den Schlorren erfrieren die Füße. Da
+muß die Mutter zur Nacht Terpentin auflegen.
+Das brennt wie das höllische Feuer.
+</p>
+
+<p>
+Und schlimmer noch ist der Schneesturm, wenn
+man die Hand vor den Augen nicht sieht und vom
+Wege abkommt, ohne daß man es merkt, und
+plötzlich im Schnee steckt bis über die Achseln.
+</p>
+
+<p>
+Dann möchte man wohl gerne zu Hause
+bleiben wie die anderen, deren Eltern ein solcher
+Gang zu gefährlich erscheint. Aber wie nachsichtig
+die Mutter sonst wohl auch ist, hierin
+kennt sie kein Mitleid.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Schule <em>muß</em> sein,&ldquo; sagt sie, &bdquo;denn
+wenn sie nicht lernen, können Besitzerstöchter
+niemals ihr Glück machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Daß sie Besitzerstöchter sind, hören sie morgens
+und abends und bei jeder Gelegenheit.
+Keine Prinzessin kann öfter an den Vorzug
+ihrer Geburt erinnert werden als sie. Auch
+daß sie einmal in Samt und Seide gehen
+werden, wissen sie längst und putzen zunächst
+an den Lumpen herum, die zum Schulgang
+immer noch taugen. Aber ihre Sonntagsröcke
+sind fein &mdash; bunter Kattun aus dem Hoffmannschen
+Laden, mit weißen Spitzen besetzt &mdash; dreißig
+Pfennig das Meter. Und blanke Schuhe haben
+sie auch und Zwickelstrümpfe, die hat die Mutter
+selber bestickt.
+</p>
+
+<p>
+Der Vater läßt es gehen, wie es geht; nur
+<a id="page-254" class="pagenum" title="254"></a>
+wenn sie mithelfen sollen und die Mutter meint,
+sie brauchen es nicht, dann trumpft er gelegentlich
+auf. Und dann muß sie klein beigeben.
+Wer weiß, ob er ihr sonst nicht eins überrisse.
+</p>
+
+<p>
+Vom Vater wissen sie wenig. Meistens
+hockt er des Abends stumm auf der Ofenbank,
+oder, wenn er sich mit an den Tisch setzt, dann
+nimmt er ein Blatt Papier vor und rechnet.
+</p>
+
+<p>
+Viel hat er zu rechnen, und viel hat er zu tun.
+</p>
+
+<p>
+Das vierte Hektar ist nun schon gepachtet und
+damit der Höchststand erreicht. Das Pferd ist
+auch angeschafft, fährt Kartoffeln zu Markte und
+bringt von der Wiese Grünfutter mit. Es ist
+eine braune, struppige Kragge mit Spatbeinen
+und einem hohlen Kreuz, aber es hat immerhin
+achtzig Taler gekostet, und die will es verdienen.
+Darum läuft es trotz seiner vierzehn Jahre noch
+immer mit Ehrgeiz, und wenn man neben dem
+Leiterwagen einen Spazierwagen hätte, grüngestrichen
+mit einem Lehnensitz, man könnte
+sich unter den Herrenleuten schon sehen lassen.
+</p>
+
+<p>
+Aber solche Sprünge machen wir lange noch
+nicht. Wir sammeln Pfennig für Pfennig und
+tragen das Geld auf die Sparkasse. Erst muß
+das Pracherhaus heruntergerissen und statt
+seiner ein anderes aufgebaut werden, wie es die
+Großbesitzer haben, mit Kammer und Klete,
+mit Kachelofen und Dielen unter den Füßen.
+</p>
+
+<p>
+Das Beste wäre, man versicherte so hoch, wie
+<a id="page-255" class="pagenum" title="255"></a>
+es geht, und steckte das Gekrassel dann an. Aber
+zwischen Versicherung und Brand müßten anstandshalber
+zwei Jahrchen liegen oder auch drei,
+sonst steigt einem womöglich der Staatsanwalt
+auf den Puckel. Versichern kann man ja immerhin
+schon des Stalls und des Viehzeugs wegen,
+das immer besser gedeiht und das auf dem
+Markte Preise kriegt, wie man sie niemals geträumt
+hat.
+</p>
+
+<p>
+Ach, wie schön ist die Welt, wenn man darin
+vorwärts kommt und der liebe Gott seine Hände
+sichtbarlich ausstreckt, um Haus und Familie zu
+hüten!
+</p>
+
+<p>
+Dann ist auch das Frommsein leicht, und die
+Kirchfahrt wird ein Vergnügen. Schon weil
+einen die Leute ansehen und sagen: &bdquo;Das ist
+der Jons Baltruschat mit seiner Frau und zwei
+Töchtern. Der fing einmal ganz klein an und
+hat unlängst eine Belobigung bekommen für
+Mastvieh.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Taruttis freilich ist böse. Er kommt nicht
+mehr, und keiner geht jemals zu ihm.
+</p>
+
+<p>
+Bis endlich die Erdme sagt: &bdquo;Ich muß ihm
+die Kinder bringen, damit er sieht, wer wir sind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie putzt die Urte und die Katrike aus,
+steckt ihnen Kämme ins Haar und Schleifen
+unter den Halsrand und geht mit ihnen hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Er ist nun ein Greis, und die Taruttene
+pappelt wer weiß was.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-256" class="pagenum" title="256"></a>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;du hast uns
+einmal Obdach gegeben, als wir jung waren
+und arm. Jetzt geht es uns gut, und darum
+kommen die Mädchen schön Dank sagen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Urte, die auch schon zwölfe ist, küßt ihm
+die Hand, und die Katrike will nicht, aber sie
+muß.
+</p>
+
+<p>
+Der fromme Taruttis scheint inzwischen ganz
+übersinnig geworden. Er muß erst nachdenken,
+wer sie wohl sind, dann sagt er: &bdquo;Ja ja &mdash; ja ja.
+Der Mensch ist boshaft von Anbeginn und bösen
+Trachtens voll. Und keine Reue hilft und keine
+Demütigung und kein Gebet. Darum soll er
+sich züchtigen mit Geißeln und den Kopf im
+Staube bergen vor seinem Gott.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt gekränkt: &bdquo;Wenn ich gewußt
+hätte, daß du so nachtragend bist, Nachbar, dann
+wär&rsquo; ich nicht zu dir gekommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er versteht sie erst nicht und besinnt sich von
+neuem. Dann sagt er: &bdquo;Es will mir scheinen,
+Nachbarin, du beziehst meine Worte auf dich,
+während ich doch nur mich selber im Sinne habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragt die Erdme verwundert.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es gab einmal einen Tag, an dem habt ihr
+mich und meine gottgefälligen Freunde mit Kränkung
+von dannen gehen heißen. Da habe ich
+Lieblosigkeit gegen euch aufgesammelt in meinem
+Herzen und habe euch Übles antun wollen. Ich
+habe zwar nie gewußt, wie, und wenn ich es gewußt
+<a id="page-257" class="pagenum" title="257"></a>
+hätte, hätte ich es auch nicht gekonnt, aber
+daß ich bösem Willen eine Herberge geben konnte
+in meiner Seele, das ist eine schwere Sünde.
+Die bitte ich Gott ab, indem ich sie dir abbitte,
+Nachbarin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da geschieht das Wunderbare: der arme
+alte Mann kniet mühsam vor ihr nieder und hebt
+die Arme zu ihr auf, so daß sie Arbeit genug hat,
+ihn wieder hochzuziehen.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Marjellen aber lachen sich eins
+und machen, daß sie hinauskommen. Und wenn
+Jahre nachher eine der anderen einen Schabernack
+spielt, dann verlangt sie von ihr noch dazu, daß
+sie niederkniet und Abbitte leistet, sonst sei sie
+kein gottgefälliges Mädchen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann vertragen sie sich und lachen immer
+aufs neue.
+</p>
+
+<p>
+Aber über Einen lachen sie nicht. Der geht
+als der Baubau &mdash; &bdquo;der Baboszius&ldquo;, wie die Litauer
+sagen &mdash; durch ihre ganze Kinderzeit. Vor
+dem zittern sie, wenn sie nur an ihn denken.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der alte Raubmörder drüben in der
+baufälligen Kate, der korbflechtend am Wege
+sitzt und sie mit rotem Gaumen angrinst, wenn
+sie, aus der Schule kommend, vorbeimüssen.
+Dann nehmen sie die Röcke zwischen die Beine,
+und heidi! jagen sie quer übers Moor &mdash; über
+Kartoffeläcker und Gräben der schützenden Heimat
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-258" class="pagenum" title="258"></a>
+Und doch hat er ihnen nie was getan.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn hingegen ist ihnen ein
+gütiger Onkel, bringt Gerstenzucker und Walnüsse
+mit und schenkt ihnen deutsche Bücher.
+Darin stehen Geschichten von Königstöchtern und
+Prinzen und anderen vornehmen Leuten, zu
+denen sie hingehören. Seine siechende Frau lebt
+immer noch und läßt sich von der Mutter betreuen.
+Aber ihnen sollte es einfallen, für fremde
+Leute Magddienste zu tun!
+</p>
+
+<p>
+Und möchte die Urte noch allenfalls, die Katrike
+ließ&rsquo; es nicht zu, denn warum so was Unnützes
+überhaupt lebt, dafür gibt es keine Erklärung.
+</p>
+
+<p>
+Die Frau des Smailus &mdash; die vierte &mdash; ist
+ihnen nicht grün und will kaum einmal, daß die
+Kinder mit ihnen spielen. Sie ist eine spitze
+Person, die ihren Mann hält, als wär&rsquo; er ihr
+Knecht.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Wirtschaft gedeiht. Nur kommt der
+Smailus bisweilen und klagt: &bdquo;Was können die
+Pferde mir helfen, die jetzt im Stalle stehen,
+und die gestorbenen Frauen? Denn ich bang&rsquo;
+mich so sehr nach der Dritten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann sagt die Mutter bloß: &bdquo;Siehst du,
+Nachbar, da hast du&rsquo;s.&ldquo; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Urte hat weiße Glieder und einen anschlägigen
+Kopf und soll drum in der Fremde
+ihr Glück machen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-259" class="pagenum" title="259"></a>
+Die Katrike wird nächstens zum Unterricht
+gehn. Sie wächst und wächst dem lieben Gott
+ein Loch in den Himmel. Und darum wird sie
+&bdquo;das Katzchen&ldquo; genannt. Faul ist sie wie die
+Pest. Sie muß daher ein Rittergut haben. Und
+so ist alles aufs beste bestellt.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Joijoi! Wassersnot! Joijoi! Wassersnot!
+Wassersnot!
+</p>
+
+<p>
+Was heißt Wassersnot? Das bißchen Wasser
+wird man doch noch aushalten können. Das
+ist doch fast in jedem Frühling so gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Aber man hat erzählt, die Leute, die vom
+großen Strom herkommen, haben Vieh angebunden
+und Betten aufgeladen. In langer
+Reihe stehen die Wagen auf dem Rußner Chausseedamm,
+und vor der langen Brücke sollen sie
+aufeinandergefahren sein und nicht mehr weiter
+können. Der Heydekrüger Markt sei übervoll,
+und nirgends mehr geb&rsquo; es ein Obdach.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt zum Jons: &bdquo;Sieh doch mal
+nach, was dran wahr ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der zieht die langen Stiefel an und planscht
+drauf los.
+</p>
+
+<p>
+Der Hof steht unter Wasser. Das will am
+Ende nicht viel sagen. Der Knüppelweg steht
+auch unter Wasser, aber der Boden darunter
+<a id="page-260" class="pagenum" title="260"></a>
+ist noch steif gefroren. Man kann vom Fenster
+aus sehen, daß er fest hält. Wie der Jons marschiert,
+macht das Wasser spielende Wellchen
+über dem Fußgelenk. Sänke er ein, dann würde
+es spritzen.
+</p>
+
+<p>
+Die Nachbarhäuser drüben stehen im grauen
+Nebel und scheinen so weit weg, daß man meinen
+könnte, sie seien aus einer anderen Welt.
+</p>
+
+<p>
+Alles ist still, und kein Windchen rührt sich,
+und die Dächer tropfen.
+</p>
+
+<p>
+Dann hebt im Stall die Rotbunte zu brüllen
+an. Die Kühe haben heute früh noch kein Heu
+gekriegt, und die Schweine quaksen.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sagt zu den beiden Marjellen:
+&bdquo;Wir müssen abfuttern gehen.&ldquo; Aber die wollen
+nicht &rsquo;ran, denn das Wasser ist naß.
+</p>
+
+<p>
+So zieht sie sich also die Strümpfe aus, schnürt
+die Röcke hoch und geht auf Klotzkorken nach
+dem Hof.
+</p>
+
+<p>
+Die Bretter, die bis zum Stall gelegt sind,
+schwimmen schon, und wenn man von einem
+zum anderen springt, dann knallt das Wasser nur
+so in die Höhe.
+</p>
+
+<p>
+Aber man kommt doch noch hin.
+</p>
+
+<p>
+Den Schweinen geht das Wasser schon an
+die Läufe. Sie sind unruhig und fressen nicht.
+Die Schwarzweiße hingegen hat Hunger. Die
+kommt aus der Niederung und kennt den Dienst.
+Aber die Rotbunte macht Sperenzchen. Die
+<a id="page-261" class="pagenum" title="261"></a>
+will trocken stehen. Brav ist natürlich das Pferdchen,
+obwohl ihm die nasse Streu kein Vergnügen
+bereitet. Die Erdme hilft, so gut sie kann, aber
+sie müßte den Stallboden um einen Fuß höher
+legen, und dazu gehört eine Sommerarbeit von
+vierzehn Tagen.
+</p>
+
+<p>
+Sie will sich von den Tieren nicht trennen,
+läuft von einem zum anderen und klopft ihnen
+beruhigend die Hälse. Mehr kann sie nicht tun.
+</p>
+
+<p>
+Da hört sie vom Wohnhaus her schreien:
+&bdquo;Mamma! Mamma!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Wasser ist in der Stube!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Also zurück.
+</p>
+
+<p>
+Jetzt wollen die Bretter schon nicht mehr
+halten. Tritt man darauf, so gleiten sie seitwärts,
+und man sieht sich im Wasser bis über die
+Waden. Aber man kommt doch noch immer
+zurück.
+</p>
+
+<p>
+Richtig! Das Wasser steht in der Stube.
+Gar nicht wie ein Gast, der nicht hingehört. Hat
+sich ganz häuslich eingerichtet. Und man kann
+sich drin spiegeln.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen sehen sie vorwurfsvoll an und
+sagen: &bdquo;Wo sollen wir nun sitzen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Setzt euch auf den Tisch,&ldquo; sagt die Erdme.
+Ihr sind die Beine wie Eis. Sie sucht einen
+Wollenlappen, um sie zu reiben, und öffnet den
+Kasten. Da ist das Wasser schon an den Kleidern
+<a id="page-262" class="pagenum" title="262"></a>
+hochgeklettert und hat alles verfeuchtet. So
+setzt sie sich auf die Ofenbank und hebt die Beine
+an der heißen Ziegelwand hoch, denn geheizt
+ist noch worden. Das wärmt sie wieder ein
+bißchen.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen haben sich richtig auf den
+Tisch gehuckt, wo das Frühstück noch &rsquo;rumsteht.
+Sie brechen sich Brotkampen ab und stupsen sie
+in die Schmalzschüssel. Zum Schmieren sind sie
+zu träge ...
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme will die Füße zur Erde sinken
+lassen, aber erschrocken zieht sie sie wieder zurück,
+denn das Wasser reicht auch hier schon bis über
+die Knöchel. Und von unter dem Bett her kommen
+Kartoffeln geschwommen und der Schmandtopf
+zum Buttern.
+</p>
+
+<p>
+Den fischt sich die Urte glücklich auf, und da
+nun doch nicht gebuttert wird, so trinken sie ihn
+umzech aus, und jede freut sich an dem weißen
+Schnurrbart der anderen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mamma,&ldquo; sagt die Katrike, &bdquo;wenn wir hier
+&rsquo;raus müssen, wer wird uns dann abholen kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der König wird einen Prinzen schicken,&ldquo;
+sagt die Erdme, die sich zu ärgern anfängt.
+</p>
+
+<p>
+Und sie wollen sich schief lachen.
+</p>
+
+<p>
+Aber da fällt ihnen ein, daß ihre Wichsschuhe
+in dem Kleiderschrank auf dem Boden stehen
+und notwendig naß werden müssen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-263" class="pagenum" title="263"></a>
+&bdquo;Ach, Mamma,&ldquo; sagt die Katrike, &bdquo;du hast ja
+schon sowieso kalte Füße. Sei so gut und hol
+uns die Schuhe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Holt sie euch selber,&ldquo; sagt die Erdme, die
+immer noch zittert.
+</p>
+
+<p>
+Darüber sind sie sehr ungehalten, aber da
+die Katrike am Mittwoch zum Unterricht muß,
+so gibt sie sich drein und schiebt mit dem Fuß
+einen Stuhl bis in die Gegend des Schrankes.
+Auf dem Sitz kniet sie nieder und öffnet die
+Schranktür. Die Schuhe schwimmen schon längst,
+und einer ist umgekippt, so daß beim Hochheben
+das Wasser im Bogen herausläuft.
+</p>
+
+<p>
+Nun fangen sie an zu heulen, als ob jetzt
+erst ein Unglück geschehen ist. Wenn <em>die</em> eine
+Ahnung hätten, was ihnen bevorsteht!
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt sich immer ratloser werden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Paßt auf, ob der Vater kommt,&ldquo; sagt sie
+zu den Marjellen.
+</p>
+
+<p>
+Die kucken zum Fenster &rsquo;raus und sagen nach
+einer Weile: &bdquo;Der Nachbar Witkuhn will das
+Vieh auf den Weg treiben, aber sie gehen nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist es schon so weit?&ldquo; denkt die Erdme, und
+das Herz steigt ihr hoch. Doch dann gibt sie sich
+einen Stoß und springt von der Ofenbank &rsquo;runter.
+Wie oft hat sie im eiskalten Grabenwasser gestanden,
+stundenlang &mdash; sie wird auch das aushalten
+können.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Kommt mit in den Stall,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-264" class="pagenum" title="264"></a>
+Die beiden glauben nicht recht gehört zu
+haben. Quer durch die Überschwemmung &mdash;
+o pfui doch!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann ersauft meinetwegen hier,&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Da leuchtet es ihnen schon eher ein.
+</p>
+
+<p>
+Draußen reicht das Wasser bereits bis an
+die Knie, und den Marjellen noch höher. Sie
+heulen und schimpfen, aber hinterher laufen sie
+doch.
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh ist ganz wie verrückt. Die Schweine
+drehen sich quiekend im Kreise, und die Kühe
+reißen ihr mit den Halftern die Hände wund.
+Nur das Pferdchen steht voll Ergebung und
+zittert.
+</p>
+
+<p>
+Mein Gott, und der Vater kommt immer noch
+nicht!
+</p>
+
+<p>
+Da plötzlich steht der Nachbar Witkuhn hinter
+ihr &mdash; naß bis gegen den Nabel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; mein Vieh dem Smailus mitgegeben,&ldquo;
+sagt er. &bdquo;Die Schweine sind in den
+Graben geraten und werden ertrinken. Eure
+kriegt ihr schon nicht mehr heraus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird werden, Nachbar?&ldquo; Sie ringt
+die Hände.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Euer Heuboden hat Raum. Es ist das Beste,
+ihr schafft die Kühe hinauf.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme glaubt nicht recht gehört zu haben.
+Seit wann kann eine Kuh die Leiter hochklettern?
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bringt Säge und Schaufeln,&ldquo; sagt er.
+<a id="page-265" class="pagenum" title="265"></a>
+&bdquo;Auch Mistgabeln bringt, ich werd&rsquo;s euch zeigen.
+Dann muß ich &rsquo;rüber, meine Frau auf den
+Boden tragen. Die liegt im Bett und kann sich
+nicht rühren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Säge und Schaufeln sind da. Auch zwei
+Mistgabeln.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Draußen liegen Ziegel vom Bau her,&ldquo; sagt
+er weiter, &bdquo;die klaut aus dem Wasser und schafft
+sie herein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Marjellen nicht wollen, da gibt
+er jeder einen Stoß gegen den Hintern. Das
+hilft. Nun bringen sie auf nassen Armen die
+Ziegel, und die Katrike schimpft, sie wird sich
+erkälten.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn breitet eine Schicht
+auf dem Estrich aus, gerade unter der Luke, und
+dann noch eine. Darauf stellt er die Rotbunte,
+die ihm willig folgt. Und dann fängt er Mist
+zu staken an, der Kuh immer unter die Hufe,
+so daß sie höher steigt, ob sie will oder nicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So macht&rsquo;s weiter,&ldquo; sagt er und schwingt
+sich hinauf durch die Luke. Deren Bretter sägt
+er ringsum entzwei und macht das Loch so groß,
+daß eine Kuh ohne Beschwerde hindurch kann.
+</p>
+
+<p>
+Die Rotbunte reicht mit dem Kopf schon
+gegen die Decke, aber unten weicht das Wasser
+die Mistschicht auf, so daß sie wegfließen will.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Stemmt Bretter gegen!&ldquo; sagt er. Die Marjellen
+tun&rsquo;s. Nun sie naß sind bis gegen den
+<a id="page-266" class="pagenum" title="266"></a>
+Hals hin, arbeiten sie kräftig. Denn das ist das
+einzige, was sie vor dem Erstarren bewahrt.
+</p>
+
+<p>
+Die Schweine stehen auf den Hinterläufen
+und trippeln an der Wand entlang wie große
+Ratten im Käfig.
+</p>
+
+<p>
+Wer wird sie heben können? Denn um stille
+zu halten, sind sie zu dumm.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Manneskraft fehlt,&ldquo; sagt der Nachbar. Dann,
+sich vor die Stirn fassend, stöhnt er leise: &bdquo;Und
+sie liegt und kann sich nicht rühren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Man sieht, ihm schlägt das Gewissen, aber
+er bleibt. Es ist ja die Erdme, die ihn braucht.
+</p>
+
+<p>
+Und wie die Rotbunte eben schon oben ist,
+da steht der Jons mit einem Male da &mdash; naß wie
+eine ertränkte Katze.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hatt&rsquo; einen Kahn beschafft für euch,&ldquo;
+sagt er, &bdquo;da haben die anderen mich &rsquo;rausgeschmissen.
+Im Kampf ist der Kahn umgeschlagen,
+und ein Kind ist ertrunken. Von
+nun kommt keiner mehr zu Fuß bis an den
+Chausseedamm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme befühlt ihn. Seine Glieder sind
+starr. Nur ein Rucken zeigt, daß noch Leben
+in ihnen ist.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar,&ldquo; sagt der Witkuhn, &bdquo;die eine Kuh
+ist oben. Versuch&rsquo;s mit der anderen. Die Erdme
+weiß, wie. Das Pferd laß &rsquo;raus, das schwimmt
+zum Damm von alleine. Aber die Schweine
+müssen ersaufen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-267" class="pagenum" title="267"></a>
+&bdquo;Vielleicht krieg&rsquo; ich sie auch noch &rsquo;rauf,&ldquo; sagt
+der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Unmöglich ist nichts,&ldquo; sagt der Nachbar und
+planscht zur Tür.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo willst du hin?&ldquo; fragt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Frau liegt im Bett und kann sich
+nicht rühren!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann bet ein Vaterunser für sie,&ldquo; sagt der
+Jons. &bdquo;Jenseits des Wegs ist jetzt Strömung.
+Durch die kannst du nicht durch. Und erklammen
+tust du auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich muß!&ldquo; sagt der Nachbar und geht. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Sie tragen den Misthaufen ab. Dessen
+Stücke schwimmen nun &rsquo;rum. Auch die Schwarzweiße
+folgt willig auf die Ziegelerhöhung, doch
+der Mist will unter dem Wasser jetzt nicht mehr
+halten. Der Jons bricht die Raufen entzwei
+und nimmt den Schweinen die Tröge weg. So
+kommt Festigkeit in den Bau.
+</p>
+
+<p>
+Die Schweine in ihrer Todesangst klettern
+jetzt an den Menschen hoch &mdash; man muß sie mit
+Mühe abwehren &mdash;, und auch das Pferdchen
+wird unruhig.
+</p>
+
+<p>
+Jons führt es hinaus, und richtig! Nachdem
+es eine Weile lang in den Stall zurückgewollt
+hat, begibt es sich klug auf die Reise.
+</p>
+
+<p>
+Sie schaufeln und staken und staken und
+schaufeln und nutzen jeden Eimer und jede
+Tonne, um selber so hoch wie möglich zu stehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-268" class="pagenum" title="268"></a>
+Wie sie auch die Schwarzweiße oben haben,
+da liegt schon das eine der Schweine regungslos
+auf dem Wasser. Das andere, das immer noch
+quiekt, schieben sie den Mistberg hoch, so daß es
+halb erwürgt oben ankommt.
+</p>
+
+<p>
+Essen fehlt. Trockene Kleider fehlen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons kann nicht mehr. Er liegt im Heu
+und hat Krämpfe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich geh&rsquo; ins Haus und hole, was nötig ist,&ldquo;
+sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen schreien: &bdquo;Du wirst ertrinken!&ldquo;
+Aber sie macht sich nichts draus.
+</p>
+
+<p>
+Das Wasser auf dem Hofe geht ihr bis an die
+Brust. Es steht nicht mehr still wie zuvor.
+Wirbel kreisen und führen Eisstücke mit sich,
+dicker als Torfziegel. Die kommen sicher vom
+Strome. Es muß also ein Dammbruch geschehen
+sein.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Luft ist ruhig. Es scheint frieren
+zu wollen über Nacht. Aus der Gegend der
+Chaussee kommt ein dumpfes Gebrause von
+Menschen und Tieren. Ab und zu ein Schrei
+wie aus Todesnot. Aber ringsum ist alles still.
+Wie längst gestorben ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Im Hause reicht das Wasser schon bis gegen
+die Tischplatte. Die Stühle schwimmen. Die
+im Schranke verwahrten Kleider sind oben noch
+trocken. Nur das unterste Stück hängt ins
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-269" class="pagenum" title="269"></a>
+Sie rafft, was sie raffen kann. Ein Glück
+ist&rsquo;s, daß dem Jons sein Schafpelz zum Trocknen
+noch auf dem Ofen liegt. Er wenigstens wird
+Wärme haben.
+</p>
+
+<p>
+Zwei-, dreimal geht sie beladen hin und
+her, die Arme hochhaltend, und immer schwieriger
+werden die Wirbel.
+</p>
+
+<p>
+Dann zieht sie sich aus, reibt sich mit Heu
+die Glieder warm und wühlt sich nackt in den
+Haufen. Und während die Marjellen kreischen
+und Jons im Fieber sich schüttelt, schläft sie ein
+und schläft die ganze Nacht durch wie ein Sack. &mdash;
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Die Dämmerung ist rot, und auf dem Wasser
+glänzt eine dünne, blaßblaue Eisschicht, in die
+schneegraue Blöcke eingefroren sind.
+</p>
+
+<p>
+Sie denkt an die Prophezeiung des alten
+Raubmörders. Wer jetzt noch gegen das
+Wasser an wollte, dem würde das haarscharfe
+Eis mit tausend Messern das Fleisch zerschneiden.
+</p>
+
+<p>
+Nun hat sich alles erfüllt, womit der Alte
+ihr einstmals drohte. Nur daß sie nicht im
+Schornstein stecken. Freilich wären sie drüben
+im Hause geblieben, weiß Gott, wie es dann
+aussähe! Das, was dort Dach heißt, hätte sie
+niemals getragen. Die Pfosten stehen windschief,
+das Haus sieht aus wie eine Roggenhocke
+kurz vor dem Umfall. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-270" class="pagenum" title="270"></a>
+Sie steht auf und zieht sich an. &mdash; Die Röcke
+von gestern sind noch patschnaß, aber die mitgebrachten
+scheinen fast trocken.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen schlafen, und Jons in seinem
+Fieber redet Dummzeug. Die Kühe haben sich
+eingerichtet, und das Schwein will sein Frühstück.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie ordentlich auftritt, merkt sie, daß auch
+der Stall nicht mehr festhält. Und der war doch
+wie für die Ewigkeit gebaut.
+</p>
+
+<p>
+Wie geht&rsquo;s denn mit den Häusern ringsum?
+Heute ist klare Luft. Man sieht sie, als wäre
+man dicht davor. Beim Nachbar Witkuhn läuft
+das Wasser zur Bodenluke heraus. Ob er heimgekommen
+sein mag? Ob die Frau wohl noch
+lebt? Beim Nachbar Smailus hat der Schornstein
+das Dach durchschlagen, denn der bestand
+bis hoch oben aus Ziegeln.
+</p>
+
+<p>
+Und dicht daneben? Was ist das? Da steht
+ja ein anderes Haus, das gestern nicht da war! &mdash;
+Wie kommt das dahin? Dafür ist die Kate des
+alten Raubmörders von ihrem Platze verschwunden.
+</p>
+
+<p>
+Um Himmelswillen &mdash; das fremde Haus
+dicht neben dem Hofe des Smailus, das ist sie ja!
+</p>
+
+<p>
+Und sie steht auch da nicht einmal fest. Langsam,
+langsam treibt sie der Wasserdrang vor sich
+her. In jedem Augenblick verschiebt sich die
+Richtung gegen den Hof hin.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-271" class="pagenum" title="271"></a>
+Oder ist es am Ende gar nicht das Wasser,
+das sie weiter bewegt? So viel Kraft kann das
+kaum haben, denn dann gäb&rsquo; es ja keine Eisschicht.
+Und was bedeutet die Stange, die sich am hinteren
+Ende hebt und senkt?
+</p>
+
+<p>
+Das ist gar keine Kate mehr, das ist ein
+Kahn. &mdash; Ein Kahn, der sich fortbewegt, ein
+Kahn, der gelenkt wird.
+</p>
+
+<p>
+Und hat das alte Schreckgespenst nicht einst
+von einer Arche Noah gesprochen?
+</p>
+
+<p>
+Das ist sie ja. Da kommt sie ja. Langsam
+kommt sie, aber sie kommt. Kommt
+sie nicht gar auf ihr Haus zu, oder fährt sie
+vorbei?
+</p>
+
+<p>
+Erdme streckt die Arme zur Luke hinaus und
+schreit: &bdquo;Hierher! Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Marjellen fahren hoch: &bdquo;Mamma,
+was ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schreit, schreit, schreit!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und alle drei schreien: &bdquo;Hierher! Hierher!
+Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Jetzt ist sie schon nah an dem Zufahrtsweg,
+dort, wo die Birken bis an die Kronen im
+Eise stehen.
+</p>
+
+<p>
+Wahrhaftig, es ist ein richtiger Prahm mit
+hochstehenden Rändern. Die hat er all die Jahre
+mit Mist zugedeckt, damit die Nachbarn nichts
+ahnen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hierher! Hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-272" class="pagenum" title="272"></a>
+Und jetzt hört man schon das Zerspellen des
+Eises, das sich am Holze hochschiebt und klingende
+Risse voraufwirft.
+</p>
+
+<p>
+Und jetzt wird der Alte selber sichtbar. Die
+Lumpen eines Schafpelzes hängen an ihm herum.
+Er schwingt die Stange und lacht &mdash; lacht &mdash;
+lacht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar, hierher!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt bin ich mit einmal der Nachbar &mdash; hä?
+&mdash; Der geliebte Nachbar! Der wertvolle Nachbar
+&mdash; hä? Wenn wir jetzt eine Talka machen
+wollten, dann wär&rsquo; ich euch nicht zu schlecht &mdash;
+hä?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar &mdash; vergiß und hilf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nichts wird vergessen! Keine Ehrenkränkung!
+Und kein Abseitsrücken! Jetzt wird spazierengefahren
+an allen vorbei, die ertrinken,
+und gelacht wird wie bei einer Hochzeit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar &mdash; erbarm dich!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast <em>du</em> dich erbarmt? Ja, du <em>hast</em> dich
+erbarmt! Du hast mir einmal ein Stück Hochzeitsfladen
+hingeworfen. Hast es wohl längst
+vergessen. Aber ich nicht. Darum bist du eingeladen,
+Hochzeit zu feiern bei mir. &mdash; Du und
+was mit dir da drin ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, steh auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist wer weiß wo. Der träumt
+von Sommerwiesen und Heuaust. Und die
+Marjellen schreien, sie wollen nicht. Sie wollen
+<a id="page-273" class="pagenum" title="273"></a>
+lieber ertrinken als zu dem Raubmörder ins
+Haus.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Erdme fackelt nicht lang&rsquo;. Sie
+kriegt die Urte zu packen und wirft sie dem Alten
+aufs Dach, so daß die Rohrschicht beinahe entzweiknallt.
+Und mit der Katrike macht sie&rsquo;s
+nicht anders.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons! Der Jons! &bdquo;Jons, steh auf,
+wir müssen in die Wiesen!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wahrhaftigen Gott, er steht auf. Er
+läßt sich auch den Pelz anziehen, mit dem er
+über Nacht bedeckt war.
+</p>
+
+<p>
+Aber nun &rsquo;runter. Wie schafft man ihn
+&rsquo;runter? Denn auch ihn aufs Dach werfen &mdash;
+das geht nicht. Er würde abrutschen und ins
+Wasser stürzen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, spring! Nimm Vernunft an und
+spring!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber das tut er nicht. Er muß ja in die
+Wiesen.
+</p>
+
+<p>
+Da kommt sie auf den Gedanken, Heu durch
+die Luft zu werfen, so daß es das Rohrdach in
+Haufen bedeckt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jons, sieh, da steht das Fuder! Spring
+&rsquo;rauf, sonst fahren wir ohne dich nach Haus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Heufuder! Das leuchtet ihm ein. Und &mdash;
+Gott sei gesegnet! Er springt. Bleibt in dem
+Rohrloch stecken, und da ist er geborgen!
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh kann natürlich nicht mitgeführt
+<a id="page-274" class="pagenum" title="274"></a>
+werden. Die Kühe haben Futter, aber das
+Schwein muß verhungern, wenn es sich nicht
+von dem Miste ernährt.
+</p>
+
+<p>
+Also los!
+</p>
+
+<p>
+Und der Alte wendet und stakt dem Chausseedamm
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du denn keinem sonst helfen, Nachbar?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer hat mir geholfen &mdash; hä?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Taruttis hat für dich gebetet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber gesprochen hat er nicht mit mir &mdash; und
+der Taruttis ist auch schon weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber der Witkuhn ist noch da und seine
+todkranke Frau.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Witkuhn soll ersaufen. Ersaufen sollen
+sie alle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Witkuhn wird <em>nicht</em> ersaufen. Und
+wenn du mir nicht gehorchst &mdash; ich bin stärker als
+du und schmeiß&rsquo; dich ins Wasser.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ist das der Dank, du Bestije?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob Dank oder nicht &mdash; ich schmeiß&rsquo; dich ins
+Wasser.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat Fäuste wie Eisen &mdash; das merkt er
+sofort und läßt schimpfend die Stake in ihrer
+Hand.
+</p>
+
+<p>
+Und sie lenkt hinüber zum Weg &mdash; an den
+eingefrorenen Birken entlang und über den
+Weg hinweg. Langsam geht es &mdash; o Gott, wie
+langsam! &mdash; Das Eis knirscht, als fletscht es ihr
+tausend grimmige Zähne entgegen, und der
+<a id="page-275" class="pagenum" title="275"></a>
+Alte tanzt hin und her und droht, er wird die
+Axt holen und sie erschlagen; aber sie lacht nur
+und stakt, bis die Witkuhnsche Wirtschaft dicht
+vor ihr liegt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar! Nachbar Witkuhn!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nichts rührt sich. Keine Seele scheint mehr
+lebendig. Nur die Katze sitzt auf dem Dachfirst
+und knaut. Und das Wasser spült über das zersplitterte
+Eis weg rund um den Giebel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nachbar Witkuhn!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da &mdash; was schiebt sich aus der schwarzen
+Luke langsam ins Helle? Ein Bett kommt gekrochen,
+und in dem Bett liegt mit Stricken beschnürt
+die tote Frau, und der Nachbar geht
+hinterher und schiebt.
+</p>
+
+<p>
+Das Bett planscht ins Wasser, und der Nachbar
+schwimmt hinterher. Und schließlich kommt
+auch die Katze gesprungen. Wie das Bett hinten
+festgebunden ist, klettert der Nachbar zu ihnen
+herein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie fandst du sie?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob sie ertrunken ist oder erfroren, das weiß
+ich nicht. Als ich sie auf den Boden hob, war sie
+längst tot.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Weiterfahren!
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn reicht dem Alten dankbar
+die Hand. Und der nimmt sie auch und hält
+sie ganz gierig, als hätte <em>er</em> die Rettung vollbracht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-276" class="pagenum" title="276"></a>
+Und nun will er auch wieder staken. Er verspricht,
+an keiner Wirtschaft vorbeizufahren, aus
+der noch Rufe erschallen. Er hat am Retten
+Geschmack gefunden, seitdem eine Menschenhand
+in der seinigen lag.
+</p>
+
+<p>
+Aber Erdme gibt die Stange dem Nachbar
+Witkuhn, denn er ist naß und darf nicht erklammen.
+Jetzt erst hat sie Zeit, sich umzusehen.
+Die beiden Marjellen sitzen zusammengekrochen
+im Winkel, und der Jons stöhnt oben im Rohrdach.
+</p>
+
+<p>
+Komisch ist die Behausung. Nicht viel geräumiger
+als ein Ziegenverschlag. Der Fußboden
+besteht aus langen Rudern, den Putschinen,
+mit denen die Flößer ihre Holztriften
+lenken. Die hat er dicht neben einander gelegt
+und die Ritzen mit Sorgfalt verstopft und
+verteert. Ein Bett und ein eiserner Ofen &mdash;
+viel mehr steht nicht drin. Und da kein Herd
+da ist, der einen Untergrund braucht, so kann
+das Ganze vom steigenden Wasser sich hochheben
+lassen, wie irgend ein Floß oder Prahm.
+</p>
+
+<p>
+Noch aus drei Häusern holen sie die nassen
+und steifgefrorenen Bewohner. Die dürfen ins
+Innere kriechen und sich erwärmen, denn Kohlen
+zum Heizen sind auch da.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Raubmörder geht immer von einem
+zum andern und kriegt nicht genug Hände zu
+schütteln. Wer es nicht will, den beschimpft er.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-277" class="pagenum" title="277"></a>
+So kommen sie näher und näher an den
+Chausseedamm, an dessen Höhe dem Wasser kaum
+noch ein Zoll fehlt.
+</p>
+
+<p>
+Das Vieh steht dort und brüllt nach Stall
+und nach Fütterung, und auf den Wagen weinen
+die frierenden Kinder, und Frauen rennen herum
+mit Eimern voll dampfendem Kaffee.
+</p>
+
+<p>
+Und überall die Stimme des Moorvogts.
+Vorne und hinten, in Streit und in Jammer &mdash;
+überall ist der Moorvogt und schlichtet und hilft
+und schiebt die Achsen und halftert das Vieh
+und ordnet die allmähliche Abfahrt.
+</p>
+
+<p>
+Er ist auch der erste, der das Haus heranschwimmen
+sieht und den Bootshaken streckt,
+an dem man sich festhält.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also das war dein Kunststück,&ldquo; sagt er zu dem
+aussteigenden Alten. Und der nicht faul, verlangt
+sofort seine Pension.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Erst geht in mein Haus und wärmt euch,&ldquo;
+sagt der Moorvogt. Da gewahrt er das Bett
+mit der toten Frau, das immer noch hinterherschwimmt.
+Sein Gesicht, das von dem zweinächtigen
+Tagewerk wild gedunsen und rot ist,
+wird lang und grau. Er schlägt sich mit den
+Fäusten vor die Stirn, und wie einer, den beim
+letzten kleinen Anlaß Verzweiflung überkommt,
+sagt er leis&rsquo; vor sich hin:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Alles umsonst. Zwanzig Jahre Arbeit umsonst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-278" class="pagenum" title="278"></a>
+Aber in demselben Augenblick hat er sich schon
+einen Ruck gegeben und ist obenauf. Niemand
+als die Erdme hat den heimlichen Aufschrei
+gehört.
+</p>
+
+<p>
+Das Bett wird losgemacht und an den Chausseedamm
+herangefischt. Und während es langsam
+dem Wasser entsteigt, ziehen die Männer die
+Mützen vom Kopf. Einer stimmt an, und alle
+bis weit in die Ferne hinein, auch jene, die
+noch nicht wissen können, was los ist, singen das
+alte Begräbnislied:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Jau su Diewu gywenkite</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Jus mylimi, ne werkite,</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">Kunelí manó dekite</span></p>
+ <p class="verse"><span class="antiqua">I zemé ir pakaskite.</span></p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Das heißt auf deutsch:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Lebt in Gottes Schutz, ihr Lieben,</p>
+ <p class="verse">Weint nicht, nun ich selig werde,</p>
+ <p class="verse">Und den Leib, der hier geblieben,</p>
+ <p class="verse">Senket in die dunkle Erde.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+Laut und andächtig singen sie, denn wenn
+es, Gott sei gedankt, auch nur wenig Tote gab,
+jeder hat ja eine Hoffnung begraben.
+</p>
+
+<p>
+Bloß einem geht es so gut wie noch nie.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der alte Raubmörder.
+</p>
+
+<p>
+Der sitzt in der guten Stube des Moorvogts
+mitten auf dem gestreiften Sofa, hat die Hände
+um einen Topf mit heißem Kaffee gelegt, keift,
+speit, zeigt die Gaumen und erzählt allen, die
+<a id="page-279" class="pagenum" title="279"></a>
+ihn voll Achtung umstehen, wie klug vorausschauend
+er einst sein Haus umgebaut hat und
+wie vielen durch seine Guttat heute das Leben
+erhalten blieb. Darum und aus noch vielen anderen
+Gründen wird er jetzt auch vom Staat eine
+Pension bekommen und hochgeehrt seine Tage
+beschließen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wie kann der Frühling so unbarmherzig
+sein!
+</p>
+
+<p>
+Je wärmer die Tage werden, desto frostigere
+Nebel haucht das durchkältete Moor; je heller
+die Sonne scheint, desto mehr Elend bringt sie
+zutage.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist von seiner Lungenentzündung
+aufgestanden und schleicht am Stock wie ein
+nichtsnutziger Greis. Im Kreislazarett hat er
+gelegen, und Erdme mitsamt den Marjellen ist
+derweilen bei Fremden in Pflege gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Nun sich das Wasser verläuft, können die
+Moorleute endlich wieder zurück.
+</p>
+
+<p>
+Aber Gott behüte uns vor dem, was sie da
+finden!
+</p>
+
+<p>
+Das Wohnhaus, das Jons und Erdme vor
+fünfzehn Jahren erbauten, das steht zwar noch &mdash;
+aber nur dem Scheine nach steht es. Wenn einer
+stark schüttelt, dann fällt die Kabache zusammen.
+Tritt man ein, so stinkt es nach Moder und
+<a id="page-280" class="pagenum" title="280"></a>
+Verwesung. Der Estrich ist aufgequollen, der
+Herd auseinandergespellt, und was von dem
+Ofen übrig blieb, sieht aus wie ein mächtiger
+Maulwurfshaufen. Die ganze Stube füllt es
+mit Lehm und mit Ziegeln bis in die Tischecke
+hin.
+</p>
+
+<p>
+Ein Wohnen darin ist unmöglich.
+</p>
+
+<p>
+Darum beschließt die Erdme, mit dem noch
+krankenden Mann und den Töchtern zum Stall
+hin überzusiedeln. Das Vieh ist von den Pionieren
+geholt worden, die an jenem Tage
+im Extrazug aus Königsberg kamen. Und das
+Pferdchen fand sich richtig auf dem Chausseedamm.
+Die müssen sich alle mit der linken
+Seite behelfen, die rechte, wo früher die
+Schweine hausten, wird Wohnung.
+</p>
+
+<p>
+Jons ist mit allem zufrieden, aber die Marjellen
+wollen nicht &rsquo;ran. In einem Schweinestall
+zu wohnen, hätten Besitzerstöchter nicht nötig.
+Das sei eine Entwürdigung. Besonders wenn
+man dicht vor der Fräuleinschaft steht.
+</p>
+
+<p>
+Doch das Bösesein hilft ihnen nichts, und der
+trostlose Zustand dauert nicht ewig. Denn dort,
+wo vor jenen Zeiten Jons und Erdme sich mühten,
+um mit Hilfe der Nachbarn aus vier Kieferstangen
+und vier Dutzend Schwarten ein Haus zu errichten,
+rücken eines Tages die Zimmerleute an,
+und langgestreckte Gefährte bringen Balken und
+Bretter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-281" class="pagenum" title="281"></a>
+Das ist nun freilich ein anderer Hausbau als
+damals! &mdash; Der Raiffeisenverein hilft, und was
+noch fehlen mag, liegt auf der Sparbank.
+</p>
+
+<p>
+Der Meister hat einen Grundriß gemacht für
+eine Große und eine Kleine Stube, für Kammern
+und Klete, und statt des lehmbeschmierten Ziegelgestells
+wird ein glitzernder Kachelofen herrlich
+erstehen.
+</p>
+
+<p>
+In die gleiche Zeit fällt ein Ereignis, das
+den Stolz der Familie noch weiter in die Höhe
+hebt.
+</p>
+
+<p>
+Das Unglück, das dem Moor widerfuhr, ist
+in der weiten Welt nicht unbemerkt geblieben.
+Die Zeitungen der Hauptstadt haben lange Schilderungen
+gebracht, und sowohl die rettende Arche
+Noah als auch die Frauenleiche im schwimmenden
+Bett sind beschrieben und abgebildet
+gewesen. Wenn die arme Frau Witkuhn, die
+auf Erden so lange und so still gelitten hat, vom
+Himmel herabschauen könnte, so sähe sie sich zu
+ihrem Erstaunen als eine Berühmtheit gefeiert.
+</p>
+
+<p>
+In den großen Städten haben die schönen
+jungen Damen zugunsten der Überschwemmten
+getanzt, gegessen, gesungen und Theater gespielt.
+Haben Bonbons, Ansichtskarten, Hutnadeln,
+Schaumwein und Küsse verkauft und sind, wenn
+das Glück gut war, dabei zu einem Gatten gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Vor allem aber hat man seine Schränke durchwühlt
+<a id="page-282" class="pagenum" title="282"></a>
+und dabei vielerlei Sachen gefunden, die
+den ihrer Habe beraubten Moorleuten von höchstem
+Werte sein mußten: Festkleider von vor
+sechs Jahren, durchgescheuerte Unterröcke, zerpliesertes
+Pelzwerk, Sportjacken mit Mottenlöchern,
+vertanzte Seiden-, vertretene Lackschuhe,
+gespenstische Bademäntel und zu alledem Hüte
+für jede Jahreszeit, verblaßt, verbogen, verbeult,
+verregnet, aber jenen Hinterwäldlern gewiß der
+Inbegriff aller irdischen Pracht.
+</p>
+
+<p>
+Auch die feinen Herren haben das ihre getan.
+Die einen haben alte Hochgebirgskostüme geliefert,
+weil ihnen etwas vom Hochmoor erinnerlich
+war. Die anderen haben weißen Flanell
+bevorzugt, weil so ein Moor doch nahe am
+Seestrand liegt. Aber fast alle haben dem ländlichen
+Wesen der Notleidenden entsprechend
+ihren Gaben den Charakter der Sommerfrische
+gegeben. Nur einzelne meinten, so auf gute Weise
+ihr altes Ballzeug loswerden zu können.
+</p>
+
+<p>
+Kisten und Kisten wurden verfrachtet und
+gingen per Eilzug an den Heydekrüger Frauenverein.
+Endlich, endlich werden die armen, nackten
+Moorleute was anzuziehen kriegen!
+</p>
+
+<p>
+Wie die Vorstandsdamen den bunten Tand
+vor sich liegen sehen, schlagen sie voll Entsetzen
+die Arme über dem Kopf zusammen und meinen,
+ihn ihren Pflegebefohlenen gar nicht erst anbieten
+zu dürfen. Sie kramen alles heraus,
+<a id="page-283" class="pagenum" title="283"></a>
+was sich allenfalls brauchen läßt, und wollen
+das andere verstecken. Aber da kennen sie
+unsere Moorleute schlecht.
+</p>
+
+<p>
+Kaum haben die erfahren, was für Herrlichkeiten
+für sie ins Land geflogen sind, da
+stürmen sie den Schmidtschen Speicher und
+suchen mit List und Gewalt das Feinste des
+Feinen für sich zu erraffen. Wunder auch! Wer,
+der sein Lebtag mit schmutzigen Lumpen behängt
+den schwarzen Erdenschlamm knetet, wird es sich
+nehmen lassen, des Abglanzes fernher leuchtender
+Paradiese teilhaftig zu werden?
+</p>
+
+<p>
+Ein neidisches Hadern erhebt sich um jeden
+flittrigen Fetzen. Wer was Warmes und Dunkles
+in Händen hält, fühlt sich verachtet, betrogen.
+Schandworte fliegen herum, und draußen kommen
+Tauschgeschäfte zustande, die wohl zehnmal
+zurückgehen und erst mit sinkender Nacht in einer
+Tracht Prügel ein Ende nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Heimwege ziehen viele schon an,
+was das Glück ihnen zuschanzte, und haben ein
+Aussehen, als kämen sie stracks aus dem Tollhaus.
+Manche spiegeln sich nach jedem hundertsten
+Schritte im Wasser der Gräben, und alle
+fürchten sich voreinander, denn keiner ist sicher,
+ob ihm in der Dämmerung nicht was weggegrapscht
+wird. Den alten Raubmörder will
+einer gesehen haben, wie er, gegen einen
+Chausseebaum gelehnt, barhäuptig dastand und
+<a id="page-284" class="pagenum" title="284"></a>
+einen geheimnisvollen Zylinderhut bald auf der
+Brust plattdrückte, bald wieder nachdenklich hochknallen
+ließ.
+</p>
+
+<p>
+Auch die Erdme und ihre zwei Töchter kommen
+reich beladen nach Hause. Sie haben die
+lichten und leichten Gewebe verschmäht und sich
+mehr an das Schwere und Feierliche gehalten,
+denn Erdme war ihres alten Schwures gedenk,
+daß ihre Kinder dereinst in Samt und Seide
+einhergehen sollen.
+</p>
+
+<p>
+Und das können sie fortan wirklich.
+</p>
+
+<p>
+Da ist unter anderem ein Kleid von himmelblauem
+Samt, tiefausgeschnitten und mit glitzernden
+Perlen bestickt.
+</p>
+
+<p>
+Das soll die Katrike zur Einsegnung tragen
+und damit selbst die vornehmsten Töchter der
+Deutschen ausstechen, die immer zum Ärger des
+Volkes in weißen Mullkleidern um den Altar
+herumstehen.
+</p>
+
+<p>
+Da die frühere Eigentümerin von mächtigem
+Leibesumfang gewesen sein muß, so können beim
+Zurechtschneiden so viele Breiten herausgenommen
+werden, daß sich auch für die Urte ein
+Staatskleid ergibt. Und als das fertig ist, bleiben
+noch immer Streifen und Flicken genug, daß Erdme
+die eigene Bluse reichlich damit besetzen kann.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie also am Einsegnungstage alle
+drei in himmelblauem Samt zur Kirche. Und
+die Heydekrüger sind neidisch und lachen hinterher.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-285" class="pagenum" title="285"></a>
+Aber wer nicht lacht, das ist die Frau Pfarrerin.
+</p>
+
+<p>
+Kaum kriegt sie die Katrike zu sehen, die
+lichterziehend und wie ein Paradiesvogel bunt
+in dem Haufen der Einsegnungskinder auftaucht,
+da packt sie sie an dem Samtschlafittchen und
+schiebt sie ins Pfarrhaus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie hat deine Mutter sich unterstehen können,
+Marjell, dich in solchem Aufzug vor den Altar
+Gottes treten zu lassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie will sie wahrhaftig nach Hause schicken.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie die Katrike bittet und weint, da
+fühlt sie ein menschliches Rühren, holt aus dem
+Schranke ein schwarzwollenes Tuch und wirft
+es ihr um die Schultern.
+</p>
+
+<p>
+Und so kann sie denn eingesegnet werden.
+</p>
+
+<p>
+Gleich auf einer der vordersten Bänke sitzen
+die Baltruschats, von neidischem Staunen umgeben.
+Nur des Jons muß man sich etwas schämen,
+weil er nicht fein genug ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme fühlt sich wohl bitter enttäuscht,
+wie sie den Stolz der Familie zu schwarzer Unscheinbarkeit
+verdammt hinter dem Pfarrer herkommen
+sieht, aber sie tröstet sich bald.
+</p>
+
+<p>
+Steckt auch der Glanz noch in schlichtem
+Futteral, er ist doch schon da. Und das ganze
+kommende Leben soll nur dazu dienen, ihn zu
+entfalten.
+</p>
+
+<p>
+Sie umfaßt die Urte, deren Augen noch
+<a id="page-286" class="pagenum" title="286"></a>
+blauer sind als der Samt, den sie anhat, und
+denkt beim Singen und Beten an die künftigen
+Bräutigams.
+</p>
+
+<p>
+Und der Jons denkt beim Singen und Beten
+an das wachsende Haus, dessen glatt behobelte
+Wände schon über das Moor hinleuchten.
+</p>
+
+<p>
+Wer hätte vor jenen Jahren an so viel Pracht
+zu denken gewagt?
+</p>
+
+<p>
+Und alles durch fleißiger Hände Arbeit aus
+dem Moorschlamm herausgeholt, der zäh und
+unfruchtbar über dem schwarzen Grundwasser
+lagert, bereit zu verschlingen, was sich ihm anvertraut.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme faßt unter dem Tisch dem Jons
+seine zerarbeitete Hand und denkt: Hat es zwischen
+uns keinen Hader gegeben, als wir es schwer
+hatten, haben wir selbst die große Not einträchtiglich
+überstanden, &mdash; wo sollte er herkommen,
+nun es leichter und leichter wird?
+</p>
+
+<p>
+Und beide fühlen in Seligkeit, daß ihr Erntetag
+nah ist.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-15">
+15
+</h3>
+
+<p class="first">
+So! Nun mach&rsquo; ich einen langen Atemzug &mdash;
+der dauert volle zehn Jahre lang &mdash;, und dann
+erzähl&rsquo; ich, was aus dem Jons und der Erdme
+und den zwei hoch hinaus wollenden Töchtern
+weiter noch wird.
+</p>
+
+<p>
+Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand
+<a id="page-287" class="pagenum" title="287"></a>
+nicht viel zu berichten. Als sie mit
+siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als
+Kellnerin einzutreten &mdash; denn das sollte die
+Schwelle sein zu dem künftigen Glück &mdash;, da
+war sie ein appetitliches Marjellchen mit kornblumenblauen
+Augen und einem süßen Schnauzchen,
+rund und feucht wie eine betaute und
+gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr,
+die sie inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie
+schlank und hoch geworden ist und überhaupt
+wie eine von den schönen Damen, die in dem
+früheren Hause an den Wänden klebten. Sie
+schreibt bald von der Pariser Weltausstellung,
+bald aus dem schönen Italien, sogar von der
+Spitze des Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte
+geschickt, obgleich einem dort von der großen
+Kälte die Finger erklammen.
+</p>
+
+<p>
+Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern
+Ortrud, und auch Baltruschat heißt sie nicht
+mehr &mdash; so ein litauischer Name ist viel zu gemein
+für sie &mdash;, sondern einmal schreibt sie sich
+Balté, ein andermal Baldamus und ein drittes
+Mal sogar wie der katholische heilige Balthasar.
+</p>
+
+<p>
+Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen,
+wenn man ihrer gedenkt.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike allerdings &mdash; die ist noch etwas
+im Rückstand. Sie hat keine Lust gehabt, sich
+ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch
+daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer
+<a id="page-288" class="pagenum" title="288"></a>
+hat sie immer noch nicht. Woran das
+liegt, ist schwer zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang
+ist sie geraten &mdash; das wissen wir schon &mdash;, und die
+Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter ihr
+her: &bdquo;Kiek &mdash; die lange Latte!&ldquo; Dafür ruft man
+sie zu Hause auch &bdquo;Pusze, Pusze&ldquo;, das heißt
+&bdquo;Miesekatzchen&ldquo;, und dieser liebliche Name macht
+viel wieder gut.
+</p>
+
+<p>
+An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie
+spricht ein sehr feines Deutsch und spitzt den
+Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum
+Beispiel: &bdquo;Üch bün eune reuche Besützerstochter.&ldquo;
+Und das soll ihr mal einer nachmachen!
+</p>
+
+<p>
+Viel tun &mdash; tut sie nicht. Hat sie auch nicht
+nötig. Dafür ist jetzt die Jette da, die Dienstmagd.
+Eine niederträchtige Kröt&rsquo; übrigens. Die spottet
+der Katrike doch immer nach. Wenn sie über
+den Hof geht, faßt sie den Unterrock mit zwei
+Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und dreht
+den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann
+ihr nichts nachweisen.
+</p>
+
+<p>
+Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu
+schade. Eine Stelle als Stütze oder Gesellschafterin
+müßte es sein. Aber sie will nicht.
+Sie will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen
+und sich mit der Brennschere &mdash; die hat ihr einmal
+die Urte geschickt &mdash; die Haare in Wickel drehen.
+Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so
+<a id="page-289" class="pagenum" title="289"></a>
+graugelb wie bei einem Mutterschaf auf der
+Scherbank.
+</p>
+
+<p>
+Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen.
+Sie liebt die Traumbücher und die Zaubersprüche
+und liest darin morgens und abends.
+</p>
+
+<p>
+Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und
+die bespricht sie fortwährend. An einem Ostermorgen
+ist sie sogar früh aufgestanden, hat splitterfasernackt
+das Haus ausgefegt und das Gemüll
+ebenso nackt über die Grenze getragen. Aber
+geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die
+Jette meint, sie solle es machen wie sie und die
+Flöhe mit einem Spirituslappen betupfen, so
+daß sie nicht hoch können. Aber diese Fangart
+ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es
+lieber mit Zaubern.
+</p>
+
+<p>
+Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike
+sehr wenig. Aber was soll er machen? Die
+Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß
+gehen darf sie nicht, und die Hände zerreißen
+darf sie sich auch nicht, denn wenn der reiche
+Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein,
+dann zieht er sofort wieder ab.
+</p>
+
+<p>
+Inzwischen ist der dicke kleine Tuleweit, der
+Allerweltsfreiwerber, schon zweimal im Hause
+gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner
+Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock
+die Zunge ausstrecken lassen und was er
+sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams,
+<a id="page-290" class="pagenum" title="290"></a>
+die er anbot, waren bloß Kroppzeug.
+Nicht <em>ein</em> richtiger deutscher Besitzer ist darunter
+gewesen. Aber die Erdme hat&rsquo;s ihm auch vergolten.
+Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt,
+um sich die Nase zu begießen.
+</p>
+
+<p>
+Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons
+schon an die fünfundzwanzig Jahr. Sehr schön
+ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch nachgelassen.
+Jetzt würde sich kein Nachbar mehr
+in sie verlieben. Hart und knochig ist sie geworden,
+und einen bösen Blick hat sie gekriegt
+von dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen.
+</p>
+
+<p>
+Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele
+ihnen ihr bißchen Wohlstand beneiden und ihnen
+jede erdenkliche Heimsuchung an den Hals wünschen.
+Schon manches liebe Mal hat sie einen
+Zauberbesen in den Quitschen hängen gefunden,
+und wie oft der weiße Hexenspeichel an den
+Zaunlatten hing, ist gar nicht zu zählen. Einer
+hat sogar bei dem katholischen Pfarrer in Szibben
+für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat
+ihm aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer
+daß er das Reißen bekam.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden.
+Sein Haar ist grau, und sein Gesicht sieht
+aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost.
+</p>
+
+<p>
+Was hat der Mann aber nicht alles in seinem
+Kopfe! Allein das viele Geld zu verwalten!
+Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank.
+<a id="page-291" class="pagenum" title="291"></a>
+Und die Wirtschaft wird staatsmäßiger
+Jahr für Jahr.
+</p>
+
+<p>
+Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden
+glänzt in der Sonne wie Silber, und der
+massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht,
+was der Moorgrund schon aushalten kann. Auch
+drinnen ist alles aufs beste. Der Herd steht
+noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in
+dem er den Platz hat, ist hoch und weit und voll
+von bemalten Türen.
+</p>
+
+<p>
+Links geht&rsquo;s in die Große und in die Kleine
+Stube und rechts in die Kammern. In keinem
+litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte
+ich erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder
+in goldenen Rahmen und den glasierten, doppelten
+Ofen, &mdash; von der Tapete mit ihren blanken
+Sternchen gar nicht zu reden, &mdash; weiß Gott, ich
+würde kein Ende finden! Winklig zum Stall
+ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit
+Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des
+Torfes. Der Garten hat einen richtigen Staketenzaun,
+und nicht bloß Raute und Riechblatt
+wachsen darin und was man an Buntem wohl
+liebhat, sondern auch Möhren, Salat und mannshohe
+Schoten, wovon man essen kann, soviel
+man nur will, selbst wenn man Dienstags Körbe
+voll auf den Markt bringt.
+</p>
+
+<p>
+So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und
+keiner der Nachbarn kann sich mit ihnen vergleichen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-292" class="pagenum" title="292"></a>
+Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die
+Taruttene auch. Beide starben am gleichen
+Tage, und als man ihnen die Leichenhemden
+anzog, hat der Flachs in der Leinwand noch einmal
+zu blühen begonnen. Überall saßen die
+blauen Sternchen. So fromm sind sie beide
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension
+gekriegt, und als er zu Grabe getragen wurde,
+sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt.
+Ob aus Hochachtung oder zur besseren
+Bewachung, hat niemand zu sagen gewußt.
+</p>
+
+<p>
+Der lange Smailus ist nun auch schon alt.
+Seine Vierte, von der niemand was Gutes weiß,
+soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben,
+und wenn das Glück es will, kommt er dazu und
+nimmt sich noch eine Fünfte. Die Ulele schreibt
+ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie
+schickt, riecht immer noch schöner. Sie hat längst
+ihren Oberbuchhalter geheiratet. Der ist Teilhaber
+an der Fabrik, und die beiden Besitzer
+vertragen sich prächtig. &mdash; Da sieht man, was
+ein tüchtiges Mädchen kann!
+</p>
+
+<p>
+Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen,
+wie ist der zusammengefallen! Eine Dienstmagd
+besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet
+von früh bis spät mit krummem Puckel und unkräftigen
+Armen und sucht aus dem Boden herauszuschlagen,
+daß er gerade zu leben hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-293" class="pagenum" title="293"></a>
+Aber raten und helfen, das tut er noch immer,
+und sieht an der Erdme noch immer vorbei, und
+das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und
+gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl
+so bleiben, bis auch das andere stille steht.
+</p>
+
+<p>
+Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich
+über den Weg hin aufpaßt, und wenn er gleich
+fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt,
+ob ihn selber friert oder schläfert.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-16">
+16
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Jons und die Erdme sitzen im Garten
+zwischen den eingefaßten Beeten und haben sich
+lieb &mdash; denn es ist ihr Silberner Hochzeitstag.
+</p>
+
+<p>
+Fladen ist gebacken worden und ein Mohnstriezel,
+aber außer der Katrike weiß keiner, weshalb.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike hat ihnen einen Myrtenkranz
+aus Silberpapier schenken wollen, hat auch schon
+Maß genommen und so, aber dann ist es doch
+unterblieben, weil das Besorgen zu schwer war.
+</p>
+
+<p>
+Und es ist gut so, denn nun kann es kein Gerede
+geben unter den Leuten.
+</p>
+
+<p>
+Die liebe Frühlingssonne sticht ihnen auf die
+dünnbehaarten Köpfe. Jons nimmt die Mütze,
+die neben ihm auf der Bank liegt, und setzt
+sie ihr auf. Sie muß furchtbar lachen, denn solch
+einen Scherz hat er in all den fünfundzwanzig
+<a id="page-294" class="pagenum" title="294"></a>
+Jahren nicht gemacht. Und sie fühlt so recht
+im innersten Herzen, wie sehr sie ihn lieb hat.
+</p>
+
+<p>
+Fünfundzwanzig Jahre sind sie nun fleißig
+und glücklich nebeneinander hergegangen, und
+nie hat ein Zank ihren Frieden gestört. Betrunken
+hat er sich nie &mdash; außer bei Hochzeiten
+natürlich und ab und zu wohl am Markttag,
+aber das gehört ja zum Leben, &mdash; und geschlagen
+hat er sie auch nicht.
+</p>
+
+<p>
+Sie hat einen guten Mann gehabt, und dafür
+dankt sie ihm mit Tränen. Und auch er weint
+ein bißchen, denn so ein Tag kommt nicht wieder.
+</p>
+
+<p>
+Und sie gedenken des jungen Pfarrers mit
+den Traumdeuteraugen und der zwei Trauzeugen,
+die auch am Sonntag nach Mist rochen.
+Und der Abendstunde im Matzicker Chausseegraben
+gedenken sie auch und sehen sich um, ob
+niemand sie hört.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Denkst du daran,&ldquo; sagt die Erdme, &bdquo;was wir
+uns damals alles gelobt haben? Leicht war es
+nicht, es zu halten, aber nun haben wir es doch
+getan, denn nie hat ein Hader unseren Frieden
+gestört.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Das ist dein Verdienst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagt: &bdquo;Deins ist es auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie freuen sich, wie zweie wohl tun,
+denen ein guter Streich geglückt ist wider Erwarten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gott sei gelobt!&ldquo; sagt die Erdme; &bdquo;jetzt sind
+<a id="page-295" class="pagenum" title="295"></a>
+wir über den Berg, denn was kann uns nun noch
+Böses geschehen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Ein Dreck kann uns geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Bei der Hand gefaßt sitzen sie noch ein Weilchen
+im blanken Sonnenschein und denken:
+&bdquo;Schöner kann es eigentlich gar nicht mehr
+kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber es kommt doch noch schöner! Viel
+schöner kommt es.
+</p>
+
+<p>
+Als sie gerade wieder an die Arbeit gehen
+wollen wie alle Tage, da bemerkt die Erdme,
+daß ein Wagen auf der Knüppelstraße daherfährt,
+ein Herrschaftswagen, wie er hier selten
+zu sehen ist.
+</p>
+
+<p>
+Und Jons erkennt die zwei Braunen aus der
+&bdquo;Germania&ldquo; und denkt natürlich, es sind Herren
+von der Regierung, die im Moor nach dem
+Rechten sehen wollen.
+</p>
+
+<p>
+Aber wie der Wagen immer noch näher
+kommt, erkennen sie beide, daß keine Herren darin
+sitzen, sondern bloß eine Dame. Und eigentlich
+sitzt sie auch nicht, sondern steht und hält
+einen weißen Sonnenschirm in der Hand &mdash; mit
+dem winkt sie und winkt sie und winkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;O Jezau!&ldquo; sagt die Erdme und fällt wie
+leblos auf die Bank zurück.
+</p>
+
+<p>
+Da biegt der Wagen auch schon nach dem
+Zufahrtsweg ein und hält vor dem Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike kommt aus dem Hause gestürzt,
+<a id="page-296" class="pagenum" title="296"></a>
+Brennschere und Seidenpapier noch in der Hand,
+und rings um die Stirn sitzen die gewickelten
+Knötchen.
+</p>
+
+<p>
+Also wirklich: es ist die Urte, die jetzt Ortrud
+heißt. In einem feinen graukarierten Wollenkleide
+springt sie aus dem Wagen, und hinter ihr
+her springt ein Hund, wie ihn noch nie eines
+Menschen Auge sah. Mit schneeweißen Locken,
+größer noch als ein Wolf und magerer als ein
+Schmalreh.
+</p>
+
+<p>
+Doch daß die Urte mager ist, kann man
+nicht sagen. Einen Busen hat sie &mdash; der ist
+kein Leichenbrett! Und der Veilchenstrauß im
+dritten Knopfloch wiegt sich wie auf der Schaukel.
+Und die blauen Kornblumenaugen hat sie noch
+immer, aber goldene Haare hat sie inzwischen
+gekriegt und Lippen so rot wie Rübensaft.
+</p>
+
+<p>
+Nachdem die Erdme sie abgeküßt hat, da
+kniet sie vor ihr und befühlt das Kleid und betastet
+die Schuhe, und wie sie das Kleid ein
+wenig hebt, was kommt da zum Vorschein? Ein
+Unterrock von lauter &mdash; du wagst es gar nicht auszusprechen,
+nicht auszudenken wagst du es! &mdash;
+ein Unterrock von lauter Seide, von resedagrüner,
+ruschelnder, klingender Seide.
+</p>
+
+<p>
+Wie wenn der Wind durch die Quitschen geht,
+so klingt bei jeder Bewegung die Seide.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons steht eingeklemmt zwischen Hoftor
+und Zaun und traut sich an die hochgeborene
+<a id="page-297" class="pagenum" title="297"></a>
+Tochter gar nicht heran. Sie muß ihn selber bei
+der Hand nehmen und aus dem Winkel hervorziehen.
+Und sie küßt auch ihn, aber man sieht:
+sehr gerne tut sie es nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike ist rasch einmal ins Haus gelaufen,
+sich die gebrannten Wickel auszukämmen,
+und wie sie wiederkommt, hat sie das Rotgeblümte
+an und möchte auch für sich was
+Bewunderndes hören, doch das sagt ihr heut
+keiner.
+</p>
+
+<p>
+Der weißgelockte Hund, von dem man glauben
+könnte, man zerbricht ihn, wenn man ihn anfaßt,
+steht in der Mitte des Hofes, sieht mit erstaunten
+Menschenaugen um sich und streckt den
+witternden Schlangenkopf bald nach rechts und
+bald nach links, als kann er sich nicht erklären,
+wie er plötzlich in eine so schlecht riechende Gesellschaft
+geraten ist. Den belfernden Köter,
+der mit seiner Kette wie verrückt über die Bude
+springt, würdigt er keines Blickes. &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Koffer wird ausgepackt. Es ist ein lackglänzender
+Lederkoffer, hoch wie ein Haus und
+wohlriechend wie russische Gurten.
+</p>
+
+<p>
+Und wenn die Urte sich bückt in ihrer vollbrüstigen
+Anmutigkeit und ihrer rundhüftigen
+Ruhe, dann weiß man, daß sie die Männer
+führen kann, wie man die Lämmer zu Markte
+führt.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons bekommt einen Tabakskasten, der
+<a id="page-298" class="pagenum" title="298"></a>
+ist von poliertem Holz und hat silberne Einlagen.
+Auch etwas zum Essen bekommt er, und das soll
+noch viel feiner sein als Ölsardinen. Es sieht
+aus wie schwarze, runde Graupenkörner und
+schmeckt nach gesalzenen Fischen.
+</p>
+
+<p>
+Für die Erdme kommt ein dunkles Seidenkleid
+zum Vorschein mit einem Spitzeneinsatz
+und Rüschen am Hals und an Ärmeln. Und
+auch die Katrike kriegt ein Kleid, ein hellblaues
+Jungmädchenkleid mit einer Tüllbluse und einem
+hellgelben Strohhut dazu, der biegt sich und
+federt, wenn man ihn anrührt.
+</p>
+
+<p>
+Und das Allerschönste hab&rsquo; ich noch gar nicht
+genannt: das ist der Silberkranz. Kein Silberkranz
+aus Papierblättern, wie ihn die Katrike
+beinahe geschenkt hätte, sondern aus wirklichem
+schweren, klirrenden Silber, und ein gleiches
+Sträußchen noch außerdem, dem Jons ins
+Knopfloch zu stecken.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an ist&rsquo;s mit den Heimlichkeiten
+vorbei. Die Erdme muß das seidene Kleid anziehen
+und den silbernen Myrtenkranz aufsetzen,
+Jons bekommt das Sträußchen wirklich
+ins Knopfloch gesteckt, und nun sitzen sie beide
+im Brautwinkel, trinken fremden, süßen Wein
+und lassen sich&rsquo;s gut sein.
+</p>
+
+<p>
+Die Töchter sind um sie herum, und sogar
+die Jette, die abscheuliche Kröt&rsquo;, tut sich lieblich,
+wer weiß wie. Sie hat aber auch eine grüne
+<a id="page-299" class="pagenum" title="299"></a>
+Schürze geschenkt gekriegt und Wollenschuhe,
+damit sie des Morgens nicht klappert.
+</p>
+
+<p>
+Nur einer ist nicht zufrieden &mdash; das ist der
+große, magere, weißlockige Hund. Der schnüffelt
+und schnobert, und wenn man ihn &rsquo;reinzieht,
+läuft er wieder hinaus. Auch das vorgesetzte
+Fressen rührt er nicht an. Die Urte muß ihm
+von dem mitgebrachten Hundekuchen was geben,
+sonst würde er am Ende verhungern.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte erklärt: &bdquo;Das ist ein sibirischer Windhund,
+Barsoi genannt, aus einer ganz alten vornehmen
+Zucht mit einem Stammbaum, der reicht
+wohl hundert Jahre zurück.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hat ihn von einem russischen Grafen
+bekommen, der mit ihrem Freunde befreundet
+war und auch mit ihr. Er hat den Namen Petruschka,
+und alle lachen sehr, als sie ihn hören,
+denn Petruschka heißt &bdquo;Petersilie&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Erdme kann nichts den ganzen Tag lang, als
+die nach Hause gekommene Tochter ansehen und
+ansehen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die auf dem harten Bretterstuhle sitzt &mdash;
+einen besseren gibt es ja nicht &mdash; und mit den
+dunkelroten Lippen lächelt und die goldenen
+Haare geben Feuerstrahlen um sie herum, dann
+ist der Erdme, als muß sie in einen finsteren
+Winkel kriechen und weinen und beten, daß
+Gott sie nicht strafen wolle für dieses allzu
+große Glück.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-17">
+<a id="page-300" class="pagenum" title="300"></a>
+17
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Urte &mdash; die jetzt Ortrud heißt &mdash; ist in
+der Kleinen Stube ein Lager bereitet, und Jons
+und Erdme wagen beim Aufstehen kaum, sich
+zu rühren &mdash; aus Angst, sie möchten die Tochter
+erwecken.
+</p>
+
+<p>
+Aber die läßt sich nicht stören. Die schläft in
+Frieden bis in den blanken Vormittag. Eine
+Stunde dauert ihr Anziehen, und wenn der Vater
+zum Essen vom Felde kommt, ist sie seit kurzem
+erst fertig.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme hat Kaffee gekauft, das Pfund
+zu zwei Mark, und läuft zwischen Herd und Stubentür
+hin und her, um zu horchen, wann die
+Zeit zum Frühstück gekommen ist. Dann trägt
+sie ihr alles ans Bett und sieht mit Sorgen,
+ob die Urte sich&rsquo;s wohl schmecken läßt.
+</p>
+
+<p>
+Wie ein Engelchen liegt sie da in ihrem weißen
+Spitzenhemd, mit dem ruscheligen Goldhaar und
+den Grübchen unter dem Halse, und die Ringe,
+die sie bloß zum Waschen abnimmt, blitzen wie rote
+und blaue Sonnen auf der gewürfelten Decke.
+</p>
+
+<p>
+Dies ist die Stunde, in der sie was zu erzählen
+pflegt. Aber viel ist es nicht. Und lange Zeiten
+übergeht sie mit Schweigen. Daß sie weit in
+der Welt herumgekommen ist, weiß die Erdme
+schon aus den Briefen, aber was sie da überall
+getan hat, läßt sie im Dunkeln.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-301" class="pagenum" title="301"></a>
+Viele Männer haben sie heiraten wollen,
+aber es ist nie etwas daraus geworden. Bei den
+Reichen und Hochgestellten haben die Eltern
+es nicht erlaubt, und den anderen hat sie selber
+den Laufpaß gegeben. Als sie in Königsberg
+Kellnerin war, sind alle Studenten hinter ihr
+hergelaufen. Viele haben sich duelliert, und
+einige haben sich totgeschossen. Schließlich hat
+sie das große Blutvergießen nicht mehr mit ansehen
+können und ist nach Berlin ausgerückt.
+Und dort hat das Leben erst recht begonnen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Erdme sie fragt, was sie in Zukunft
+zu machen gedenkt, lächelt sie mit ihren Blauaugen
+bloß so verschwommen ins Weite und
+sagt: &bdquo;Mach dir keine Sorgen, Mamusze. Für
+eine wie mich liegt der Reichtum nur auf der
+Straße. Aber erst möcht&rsquo; ich mich hier noch ein
+bißchen ausruhen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das tut sie auch gründlich. Niemals
+faßt sie mit an oder kümmert sich um was. Sie
+sitzt bald drin im Fensterwinkel, bald draußen
+auf der Gartenbank, blickt nach dem Himmel und
+lächelt. Nur ihre Kleider hält sie in Ordnung,
+steckt die Schuhe auf Leisten und bürstet und
+bügelt, und ihre Finger, die rund und lecker aussehen
+wie marzipanene Würstchen, führen die
+Nadel schnell und mit Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme ist noch immer wie von einem
+Zauber befallen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-302" class="pagenum" title="302"></a>
+Was sie auch arbeitet, immer denkt sie an
+das heimgekommene Kind, macht sich in ihrer
+Nähe zu schaffen und schleicht um sie &rsquo;rum, bloß
+um sie still und andächtig zu betrachten. Oft
+ist ihr bange vor lauter Stolz, so daß sie sagen
+möchte: &bdquo;Sei doch einmal wieder wie früher.&ldquo;
+Aber sie weiß, das kann die Urte nicht mehr,
+dazu ist sie zu lange weggewesen und hat zu
+viel deutsche Lehrer gehabt. Denn daß sie
+Schönschreiben kann und Französisch, das hat
+die Urte erzählt, sogar Ballettstunden hat sie gehabt.
+Erdme weiß zwar nicht recht, was das ist,
+aber es muß wohl das Feinste sein, was auf der
+Welt gelehrt werden kann.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal nimmt sie den Jons bei der Hand
+und sagt: &bdquo;Ach, freu dich doch! Freu dich doch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er freut sich nicht. Ihm ist es ängstlich,
+mit der Tochter zusammenzusein, und er schämt
+sich vor ihr. Weiß nicht, was er mit ihr reden
+und wie er den Löffel halten soll, und das Brot
+schneidet er heimlich unter dem Tisch.
+</p>
+
+<p>
+Anfangs hat sie ihn zu umschmeicheln gesucht,
+hat ihn &bdquo;lieb Väterchen&ldquo; genannt und so. Wie
+er aber nicht darauf einging und wegsah, ist auch
+sie ängstlich geworden und spricht bloß, was nottut.
+Es liegt noch nicht Übles zwischen ihnen,
+bloß fremd sind sie sich und werden sich fremder
+Tag für Tag.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme sieht es mit Kummer. Das Herz
+<a id="page-303" class="pagenum" title="303"></a>
+will ihr zerbrechen bei seinem stillschweigenden
+Abseitsstehen, aber man kann ihn doch nicht
+zwingen, daß er sie lieb hat.
+</p>
+
+<p>
+Ganz verrückt ist die Katrike. Die will der
+Schwester alles nachmachen und versteht es doch
+nicht. Putzt an den Nägeln, bepinselt die Lippen
+und wäscht das Haar mit Kamillen. Aber die
+Nägel werden bloß noch dreckiger, der Mund
+sieht aus wie ein Blutfleck, und das Haar steht ab
+wie vertrocknetes Krummstroh.
+</p>
+
+<p>
+Nur das lange Bettliegen gelingt ihr ohne
+Beschwerde.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme erkennt den Unterschied wohl und
+macht sich ihre Gedanken. Nicht daß sie die Katrike
+nun weniger liebte. Im Gegenteil, es ist
+wie ein Vorwurf für sie, daß die so vernachlässigt
+dasitzt und sich in rein gar nichts mit der
+Schwester vergleichen kann. Denn auch, wenn
+sie das Hellblaue angezogen und den großen
+Strohhut aufgesetzt hat, ist es noch immer wie
+Tag und Nacht.
+</p>
+
+<p>
+Und sie zerquält sich, wie ihr zu helfen ist.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwestern stehen nicht schlecht miteinander.
+Die Urte unterweist die Katrike in allem,
+was sie wohl wissen will, und schenkt ihr Kämme
+und Rüschen und sonst alles mögliche Kleinzeug,
+so daß der Neid in ihr nicht hochwachsen kann.
+</p>
+
+<p>
+Aber auch die Urte sieht ein, daß es nicht
+länger so mit ihr geht.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-304" class="pagenum" title="304"></a>
+&bdquo;Wenn du die Ulele wärst,&ldquo; sagt die Mutter,
+&bdquo;dann würdest du jetzt einen Mann für sie suchen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich kann ebensoviel wie die Ulele,&ldquo; sagt
+die Urte.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie&rsquo;s verlangt, wird eines Tages,
+als der Jons in die Wiesen gefahren ist, der kleine
+Tuleweit bestellt, der schon für hundert Vermittlungen
+seine Prozente gekriegt hat.
+</p>
+
+<p>
+Der in seinem langen Pfarrersrock und den
+knallengen Hosen kommt forsch herein und denkt,
+er wird hier wieder einmal den spaßigen Onkel
+spielen; wie er aber die Urte zu sehen kriegt, die
+ihn in ihrer rosenfarbenen Fleischlichkeit ankuckt,
+da wird ihm schon ganz anders.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aus was für &rsquo;nem Himmel ist denn <em>das</em>
+hierher geflogen?&ldquo; fragt er.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte sagt: &bdquo;Nehmen Sie Platz, Herr
+Tuleweit.&ldquo; Und sie, die Erdme, bringt von
+dem fremden, süßen Wein, von dem noch immer
+was da ist.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte sagt weiter: &bdquo;Sie sehen es mir
+vielleicht nicht an, Herr Tuleweit, daß ich aus
+diesen kleinen Verhältnissen stamme, aber das
+macht nichts.&ldquo; Und dann lobt sie ihn, weil ihr
+bekannt ist, daß er bei seinen Vorschlägen immer
+das Richtige trifft.
+</p>
+
+<p>
+Er bedankt sich und dienert.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun bin ich aber drauf und dran,&ldquo; sagt sie
+weiter, &bdquo;eine große Partie zu machen. Eine
+<a id="page-305" class="pagenum" title="305"></a>
+wirklich große Partie. Und da wär&rsquo; es mir natürlich
+angenehm, wenn ich durch meine Schwester
+nicht in Verlegenheit käme. Ein Deutscher
+müßte es sein, und sein Eigenes müßte er haben,
+so daß man sagen könnte: &sbquo;Meine Schwester ist
+an einen Gutsbesitzer verheiratet.&lsquo; Das würde
+dann schon den richtigen Eindruck machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt: &bdquo;Sie ist noch klüger als die
+Ulele.&ldquo; Und der ganze Herr Tuleweit schwimmt
+wie Öl auf Zuckerwasser.
+</p>
+
+<p>
+Was an seinen bescheidenen Kräften liege,
+das werde sicher geschehen, aber letzten Endes
+sei es ja leider Sache der Mitgift.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Natürlich, natürlich,&ldquo; sagt die Urte. Und
+wäre sie schon verheiratet, so würde es ihr auch
+nicht darauf ankommen, die Schwester reichlich
+auszustatten. Aber für jetzt müßte man schon
+mit etwas Bescheidenem vorlieb nehmen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was heißt bei Ihnen &sbquo;bescheiden&lsquo;?&ldquo; fragt der
+kleine Herr Tuleweit und dienert nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme schlägt das Herz hoch. Was wird
+sie sagen?
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Nun, etwa fünftausend Mark.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Fünftausend Mark hat der Jons auf der
+Sparbank. Die hat er mit ihr in zwanzig Jahren
+zusammengekratzt. Aber die kann die Urte nicht
+meinen. Die sollen ihnen ja Stütze und Zuflucht
+sein für das kommende Alter. Gewiß will sie
+aus eigener Tasche geben, was fehlt. Und es
+<a id="page-306" class="pagenum" title="306"></a>
+fehlt womöglich noch mehr, denn der Herr Tuleweit
+macht eine hängende Nase und sagt, bei
+einem so kleinen Anerbieten werde man leicht
+behandelt wie ein nichtsnutziger Schwätzer, aber
+er wolle schon sehen, er wolle schon Rat schaffen
+und hoffe auf spätere reiche Belohnung.
+</p>
+
+<p>
+Damit trinkt er sein Weinglas leer und verspricht,
+in acht Tagen wiederzukommen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Willst du die Fünftausend wirklich aus
+Eigenem geben?&ldquo; fragt die Erdme voll Dankbarkeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sehr gern wollt&rsquo; ich sie geben,&ldquo; sagt die
+Urte und lächelt; &bdquo;nur, wenn ich sie hätte, dann
+braucht&rsquo; ich sie selber.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wo sollen sie denn aber herkommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Von da, wo der Vater sie hingetragen hat,&ldquo;
+erwidert die Urte. &bdquo;Ist es nicht schon genug,
+daß ich auf meine Hälfte verzichte?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme will reden, aber ihr ist, als sitzt ihr
+ein Klumpen Heede im Schlund.
+</p>
+
+<p>
+Alles soll hin! Alles soll weg! Bloß damit
+die Katrike ein Nest kriegt.
+</p>
+
+<p>
+Und die, die solange in der Kammer gelauert
+hat, kommt begierig gelaufen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer wird es? Wer ist es? Wieviel Hufen
+hat er? Wieviel Pferde stehen im Stalle? Wieviel
+Rindvieh weidet am Ufer?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kriegt die Erdme die Sprache wieder.
+&bdquo;Wenn es um <em>den</em> Preis geht, dann schlag
+<a id="page-307" class="pagenum" title="307"></a>
+dir die Heirat nur aus dem Kopf. All sein
+Gespartes gibt der Vater dir nie.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Katrike heult und wälzt sich am
+Boden. Ihren Besitzer will sie nicht lassen. Der
+ist ihr versprochen, seit sie ein Kind war. Der
+kommt ihr zu. Der gehört ihr zu eigen.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme dreht sich das Herz im Leib um.
+Ihr Kind ist im Recht. Nie ist von was Anderem
+die Rede gewesen. Nie hat sie selbst es sich anders
+gedacht.
+</p>
+
+<p>
+Sie hebt die Katrike auf und liebkost sie
+und verspricht ihr das Blaue vom Himmel.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons kommt aus den Wiesen, sieht die
+dickgeweinten Gesichter und wundert sich. Aber
+fragen tut er nichts. Das hat er sich lange schon
+abgewöhnt.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme, deren Gewissen nicht das reinste
+ist, geht ihm aus dem Wege, so viel sie nur kann,
+aber begegnen muß sie ihm doch, und schließlich
+versucht sie&rsquo;s mit Vorwürfen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast kein Herz für deine Töchter,&ldquo; sagt sie,
+&bdquo;und du achtest sie wie einen Strick um den Hals.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fragt: &bdquo;Wer hat dir das zu wissen getan?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagt: &bdquo;Das ersieht man aus deinem
+Benehmen. Schon die Katrike hast du nicht
+leiden mögen, und seit die Urte wieder da ist,
+ist es noch schlimmer. Du bist eben ein Kúmetis&ldquo;
+&mdash; ein gemeiner Mann &mdash; &bdquo;und bleibst ein
+Kúmetis, und alles Hochgeborene ist dir zuwider.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-308" class="pagenum" title="308"></a>
+Er sagt: &bdquo;Ich habe nie erfahren, daß du von
+besserer Herkunft wärest als ich. Als wir anfingen,
+Pracher waren wir da alle beide.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe doch wenigstens meine Betten
+gehabt,&ldquo; entgegnet sie drauf, &bdquo;und sechsundsechzig
+Mark hatt&rsquo; ich auch, aber du hattest so
+gut wie gar nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Zu meinem bißchen habe ich
+zwei Jahre Arbeit gebraucht, aber wo du deine
+Reichtümer herhattest, darüber weiß man nichts
+Rechtes.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihr ist, als schlägt ihr einer mit der Axt vor
+die Stirn. &bdquo;Ich habe dir vorgerechnet auf Heller
+und Pfennig,&ldquo; sagt sie, wie mit Blut übergossen,
+und wendet sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Sie ist nun so wütend auf ihn &mdash; sie könnt&rsquo; ihn
+beinahe vergiften.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-18">
+18
+</h3>
+
+<p class="first">
+Acht Tage später ist der kleine Tuleweit wieder
+da. Er hat einen, der wäre nicht abgeneigt.
+Schmidt heißt er, ist aber nicht verwandt mit
+dem Kaufmann in Heydekrug. Sein Vater hat
+eine verschuldete Wirtschaft nicht weit von Mineiken,
+und er ist der Dritte von Fünfen, hat
+eben gedient und hält bereits Umschau unter
+den Töchtern der Gegend. Ob man nach
+deutscher Art sich mit ihm treffen wolle. Auf
+<a id="page-309" class="pagenum" title="309"></a>
+dem Markt oder auf dem Gericht oder sonst
+irgendwo, als käm&rsquo; es durch Zufall.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme versteht von diesen Sachen nichts,
+aber ihre Tochter, die Urte, will alles schön in
+die Hand nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Beim nächsten Pferdemarkt soll es geschehen.
+Dort wird der junge Herr Schmidt einen Schimmel
+seines Vaters am Halfter führen, und die
+Schwestern sollen herzutreten und ihn bewundern.
+Und was dann folgt, wird Herr Tuleweit
+bestens besorgen.
+</p>
+
+<p>
+Das wird von nun durch und durch geredet,
+stundenlang, tagelang. Für die drei Frauensleute
+gibt es rein nichts mehr sonst auf der Welt.
+Kaum daß die Hausarbeit notdürftig besorgt
+wird zwischen all dem Getuschel.
+</p>
+
+<p>
+Der Jons geht still nebenher wie ein Fremder.
+Wenn er nicht einen neuen Freund bekommen
+hätte, wäre er im Leben noch nie so mutterseelenallein
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Und dieser Freund ist Urtes weißer, vornehmer
+Hund. Du glaubst es nicht, wie sich das
+langsam gemacht hat. Zuerst hat er auf dem
+Hof gestanden und ist still zur Seite gewichen,
+wenn ihn einer hat anrühren wollen. Keinen
+hat er angeknurrt oder gar angefletscht, aber wer
+ihn zu streicheln meinte, der griff in die Luft.
+Ins Haus hat ihn keiner &rsquo;reinholen können,
+selbst seine Herrin, die Urte, nicht, und wenn sie
+<a id="page-310" class="pagenum" title="310"></a>
+ihn am Halsband hereinzog, dann ist er wohl
+mit ihr gegangen, aber beim nächsten Wupp war
+er schon draußen. Einen Schlafplatz hat er sich
+ausgesucht dort, wo in dem offenen Abschlag die
+Arbeitswagen stehen und etwas Heu immer verstreut
+liegt. Dorthin hat die Urte ihm auch sein
+Fressen gebracht, und da lag er und blickte still
+um sich.
+</p>
+
+<p>
+Der einzige, der nie versucht hatte, ihm mit
+Locken und mit Betatschen zu nahe zu kommen,
+war der Jons. Dazu schien ihm der Hund zu
+fein und zu herrschaftlich. Aber siehe da! Eines
+Frühmorgens, wie der Jons als erster aus dem
+Hause trat, um zur Arbeit auf das Moor zu gehen,
+wer ist da in etlicher Entfernung vorsichtig hinterhergeschlichen
+und hat sich zukuckend auf die
+Grabenkante gelegt? Und wer ist da stillschweigend
+geblieben ohne Trunk und ohne Frühstück,
+bis der Jons zum Mittagessen nach Hause ging?
+Und wer ist allmählich näher gekommen und hat
+sich mit leisem, langem Bisse das Brot aus den
+Fingern geholt? Und wer ist schließlich sogar,
+wenn der Jons in die Wiesen fuhr, mit kugelnden
+Sprüngen dem Wagen vorausgetollt und hat
+bei ihm Wache gehalten stundenlang, bis er beladen
+zurückkehrte?
+</p>
+
+<p>
+Die Urte wundert sich des Todes, aber Windhunde
+sollen ja immer untreu sein, sagen die
+Leute. Und darum läßt sie ihn ruhig dem Vater;
+<a id="page-311" class="pagenum" title="311"></a>
+nur wenn sie spazieren geht auf der Chaussee
+nach Heydekrug oder nach Ruß hin, dann nimmt
+sie ihn mit sich, damit die Begegnenden etwas
+zum Staunen haben.
+</p>
+
+<p>
+Bis Heydekrug ist es fast eine Stunde, aber
+das macht nichts. Denn dort sieht man doch
+Menschen, die stehen bleiben und aufgeregt hinterherraten,
+weil sie das plötzliche Wunder nicht
+zu fassen vermögen. Und Urte fühlt sich als
+Ortrud und als Botin der größeren Welt, die erst
+mit Berlin ihren Anfang nimmt und auf die
+alle sehnsüchtig hinstarren, denen im Hinterwalde
+zu hausen bestimmt ist.
+</p>
+
+<p>
+Bisweilen trifft man auch junge Männer mit
+Schmissen, die sicherlich in Königsberg studiert
+haben und denen man vielleicht einmal auf
+dem Schoße gesessen hat.
+</p>
+
+<p>
+Denen wirft man gelegentlich einen lockenden
+Blick zu und bringt sie zum Rasen. Denn irgend
+eine Kleinigkeit fürs Herz muß man doch haben
+in der torfschwarzen Öde.
+</p>
+
+<p>
+Nur an dem Hause des Moorvogts geht man
+ungern vorbei. Man weiß es nicht, aber man
+spürt&rsquo;s in den Gliedern, daß dort hinter den
+Fensterscheiben zwei Augen forschend und unbestechlich
+sie und ihr Leben durchmustern. &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+So kommt der große Vieh- und Pferdemarkt
+heran, auf dem die Besitzer von weit und breit zu
+Kauf und Trunk sich treffen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-312" class="pagenum" title="312"></a>
+Der Jons hat in der ersten Frühe eine Kuh
+hingebracht, die demnächst stehen soll und die
+darum eingetauscht werden muß.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwestern melden sich erst, als er weg
+ist, denn mit dem Vater zusammen einzuziehen,
+hätte die Hochachtung der anderen nicht sehr gefördert.
+Wenn alles gut geht, gleitet man im
+Gedränge an ihm vorbei und braucht ihn nicht
+einmal anzureden.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike wird heute von der Urte extra
+zurechtgemacht. Sie darf die Haare nicht brennen
+und die Lippen nicht färben, und das Miesekatzchen
+faucht, die Schwester sei nichts weiter
+als neidisch. Aber die lächelt nur und ist nicht
+einmal böse, wie zwei Paar ihrer schneeweißen
+Handschuhe auf den Pranken der Schwester zerplatzen.
+</p>
+
+<p>
+Dann ziehen sie los, und die Erdme weint
+und betet hinter ihnen her.
+</p>
+
+<p>
+Der Vormittag vergeht in Arbeit und Bangen.
+</p>
+
+<p>
+Gegen zwei kommt der Jons zurück. Er
+hat einen guten Handel gemacht. Die neue
+Kuh gibt laut Bescheinigung zehn Liter, und
+kaum einmal zuzahlen hat er dürfen.
+</p>
+
+<p>
+Aber in freundlicher Stimmung ist er nicht.
+Er schlingt finster sein Mittagbrot und fragt mit
+keinem Wort nach den Töchtern.
+</p>
+
+<p>
+Dann geht er hinaus zu der Petruschka, die
+heute früh hat angebunden werden müssen, weil
+<a id="page-313" class="pagenum" title="313"></a>
+sie bei dem Kuhhandel durchaus zugegen sein
+wollte.
+</p>
+
+<p>
+Erdme sieht, wie er den langen, spitzen Kopf
+in seine Arme nimmt und leise zu ihm herniederredet.
+</p>
+
+<p>
+Das will ihr das Herz abdrücken. Sie geht
+hinter ihm her und sagt: &bdquo;Mit dem unvernünftigen
+Tier sprichst du, aber mir, deiner Frau,
+gönnst du kein gutes Wort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagt: &bdquo;Ich habe die beiden Marjellen
+getroffen, ausgeputzt und mit fremden Männern.
+Als sie mich sahen, haben sie den Kopf zur Seite
+gedreht. Ist das nicht etwa genug?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie nimmt natürlich die Töchter in Schutz.
+&bdquo;Wer kann seine Augen überall haben?&ldquo; sagt sie.
+</p>
+
+<p>
+Aber er bleibt dabei. Sogar umgekehrt hätten
+sie sich, ob er nicht endlich schon weg sei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und <em>wenn</em> auch,&ldquo; sagt sie. &bdquo;Was kann
+<em>ich</em> dafür?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da läuft ihm die Galle über, und alles, was
+er in sich verborgen hat seit Jahren, kommt ans
+Tageslicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du dafür kannst?&ldquo; schreit er. &bdquo;Du hast
+zwei Faulenzerinnen erzogen, zwei Rumtreibersche
+hast du erzogen, die kein Verlangen tragen
+nach Arbeit, die bloß Pyragge essen wollen
+und sich den Rücken wundschlafen bis Mittag &mdash;
+die es mit den Deutschen halten und ihren Vater
+achten, als wär&rsquo; er ein Schnodder. Soviel kannst
+<a id="page-314" class="pagenum" title="314"></a>
+du dafür, wie die Stute kann, daß ein Fohlen
+aus ihrem Leibe kommt und nicht eine Ziege!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme denkt an das, was sie neulich
+heruntergeschluckt hat. Eine so zornige Rede
+darf sie nicht ohne Antwort lassen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schon einmal hast du mit mir Hader gesucht,&ldquo;
+sagt sie, &bdquo;aber da kommst du gerad&rsquo; an
+die Rechte.&ldquo; Und dann wirft sie ihm vor, daß
+sie es war, die den ganzen Wohlstand geschaffen
+hat, daß er nichts Anderes gewesen ist als ihr
+Knecht, der nach ihren Anordnungen gearbeitet
+hat fünfundzwanzig Jahre lang und den jeder
+andere Knecht ersetzen kann, wenn es ihr paßt,
+ihn zu mieten.
+</p>
+
+<p>
+Die Augen schwellen ihm zu und glupen
+nach rechts und glupen nach links, als sucht er
+was und kann es nicht finden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du sagst, mag wohl so sein,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;nur in einem könnt&rsquo; er mich nicht ersetzen, nämlich
+dir jetzt eine gehörige Tracht Prügel zu
+geben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da er nichts Anderes sieht, reißt er den
+Pfahl aus der Erde, an dem die Petruschka angebunden
+ist, und schlägt damit die Erdme über
+den Rücken.
+</p>
+
+<p>
+Sie schreit und fällt in die Knie und nimmt
+die flachen Hände als Stütze. Die Jette, die
+grienend zugehört hat, schreit auch und springt
+auf ihn zu, ihm den Arm hochzuhalten, denn
+<a id="page-315" class="pagenum" title="315"></a>
+der Pfahl ist zu dick, als daß menschliche Glieder
+unter ihm ganz bleiben könnten.
+</p>
+
+<p>
+Darum wirft er ihn auch weg und holt aus
+dem Stalle die Peitsche. Die Petruschka läuft
+winselnd neben ihm her und leckt ihm bittend
+die Hände, aber er achtet ihrer nicht, schlingt die
+hanfene Schnur um den Stiel und läßt ihn im
+Bogen durch die Luft hinpfeifen.
+</p>
+
+<p>
+So kommt er zurück; dorthin, wo die Erdme
+noch kniet.
+</p>
+
+<p>
+Aber da steht mit einem Male der Nachbar Witkuhn
+vor ihm da &mdash; bleich und zusammengefallen
+wie immer &mdash; umpusten könnte man ihn &mdash;, aber in
+seiner rechten Hand hält er das Teschin, mit dem
+er sich sonst die Spatzen vom Kirschbaume schießt.
+</p>
+
+<p>
+Ihm das Gewehr zu entreißen, wär&rsquo; leicht,
+aber was dann? Wie kann man sein Weib noch
+bestrafen, wenn zweie dazwischenstehen?
+</p>
+
+<p>
+Drum bleibt er ruhig und sagt: &bdquo;Nachbar,
+hast du mal was von Hausfriedensbruch gehört
+und Bedrohung mit tödlichen Waffen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn antwortet nicht und
+stellt sich so vor die Erdme, daß er sie mit dem
+Leibe deckt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich fordere dich also auf, meinen Grund
+und Boden zu verlassen &mdash; zum ersten, zum
+zweiten und zum dritten Male.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar Witkuhn rührt sich nicht. Sein
+rechter Zeigefinger liegt dicht vor dem Abzug.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-316" class="pagenum" title="316"></a>
+&bdquo;Gut,&ldquo; sagt der Jons, &bdquo;ich geh&rsquo; jetzt zum
+Rechtsanwalt, der wird die Anzeige erstatten.
+Aber die Peitsche nehm&rsquo; ich mit, und treff&rsquo; ich
+unterwegs die beiden Marjellen, dann werden
+sie die Prügel kriegen, die ihrer Mutter noch zustehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme schluchzt hell auf und sinkt dann
+völlig zu Boden. Er aber kehrt sich nicht daran
+und geht seiner Wege ...
+</p>
+
+<p>
+Er ist bei keinem Rechtsanwalt gewesen, und
+die beiden Marjellen hat er auch nicht getroffen.
+Er hat mit der Petruschka auf einem Heuhaufen
+geschlafen, und wie er morgens um die Abfutterungszeit
+zu Hause angelangt ist, da hat er
+das Nest leer gefunden. &mdash; Keine Frau, keine
+Töchter, keine Magd.
+</p>
+
+<p>
+Die sitzen alle drüben beim Nachbar. Man
+kann ihre Stimmen hören über den Weg hin.
+</p>
+
+<p>
+Und das Sparkassenbuch ist auch weg.
+</p>
+
+<p>
+Von allem, was gestern zu ihm gehörte, ist
+bloß der fremde Hund da, der aus traurigen
+Menschenaugen zu ihm aufblickt, als wolle er
+die Übeltat gutmachen, die man ihm angetan
+hat und die im Grunde genommen seine eigene
+Übeltat ist.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-19">
+19
+</h3>
+
+<p class="first">
+Dreiundzwanzig Jahre hat der Nachbar Witkuhn
+auf die Erdme gewartet.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-317" class="pagenum" title="317"></a>
+Und nun sie da ist, ist er ein alter Mann.
+</p>
+
+<p>
+Er sitzt und sieht sie an und sieht sie wieder
+und wieder an. Sie ist die Schönste, die Jüngste,
+die Kräftigste geblieben, aber er ist ein alter Mann.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Töchter läßt er lachen und laufen und
+schwatzen, wie sie nur mögen, und achtet ihrer
+nicht. Sie sind ihm wie zwei fremde Tiere, die
+die Erdme mitgebracht hat und denen er Obdach
+geben muß, weil sie nun einmal zu ihr gehören.
+Und die Jette wirtschaftet draußen mit seiner
+Magd.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte und die Katrike haben gestern Großes
+erlebt, und das erzählen sie immer von neuem:
+Kaum daß der junge Herr Schmidt sie gesehen
+hat, da ist er gleich ganz hingenommen gewesen.
+Zuerst hat er freilich gedacht, die Urte sei ihm als
+Zukünftige bestimmt, und da hat er sich zurückziehen
+wollen, denn er ist sich nicht gut genug
+erschienen für sie; wie er aber gehört hat, daß
+die Katrike es ist, da hat er um so freudiger zugegriffen
+und hat mit ihnen beiden und dem
+Herrn Tuleweit in der &bdquo;Germania&ldquo; gesessen
+bis in den späten Nachmittag. Herr Tuleweit
+weiß auch schon eine Wirtschaft für ihn, die mit
+Fünftausend Anzahlung wohl zu haben wäre,
+nur das Viehzeug müßte beschafft werden, denn
+sein Vater gibt ihm rein gar nichts.
+</p>
+
+<p>
+Wie vom Viehzeug die Rede ist, da horcht
+die Erdme hoch auf, denn von ihrem Eigenen
+<a id="page-318" class="pagenum" title="318"></a>
+her kommt kläglich das Brüllen der Kühe, die
+nicht gemolken, vielleicht auch nicht gefuttert sind
+in der Frühe.
+</p>
+
+<p>
+Darum sagt sie der Jette, sie soll mit einem
+Eimer hinübergehen. Die wehrt sich erst, denn
+sie glaubt, sie kriegt Prügel, aber schließlich tut
+sie&rsquo;s doch, und wie sie zurückkommt, erzählt sie,
+der Wirt habe auf der Häckselbank gesessen, den
+Kopf in die Hände gestützt, und die Petruschka
+vor ihm, und keines habe sich auch nur nach ihr
+umgesehen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Urte erzählt weiter: Um drei
+nachmittags habe der junge Herr Schmidt
+weggemußt, aber am Nebentisch &mdash; da hätten
+ein paar vornehme junge Herren gesessen mit
+Schmissen und goldenen Kneifern, die wären
+schon lange bemüht gewesen, sich mit ihnen bekannt
+zu machen, und hätten ihr zugeprostet
+und so. Und schließlich wären sie alle zueinander
+gerückt und hätten fröhlich getrunken bis an den
+Abend. Den kleinen Herrn Tuleweit hätten die
+fremden Herren erst für den Vater gehalten;
+als sie aber hörten, daß er bloß ein Heiratsvermittler
+sei, da wäre des Neckens kein Ende gewesen,
+so daß er nichts Besseres zu tun gewußt
+habe, als bald zu verschwinden. Und von nun
+an sei es erst recht hoch hergegangen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kichern und blinzen sich zu und kommen
+mit Heimlichtun nicht zu Ende.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-319" class="pagenum" title="319"></a>
+Die Erdme will dem Nachbar Witkuhn den
+Haushalt besorgen, aber das Kreuz ist ihr wie
+gebrochen von dem Streiche des Pfahls. Darum
+redet die Urte ihr auch zu, sich beizeiten ein Attest
+zu beschaffen wegen der künftigen Scheidung.
+</p>
+
+<p>
+Um vier Uhr nachmittags wird drüben der
+gute Wagen angespannt, und Jons fährt weg,
+ohne das Gesicht nach ihr hinzudrehen.
+</p>
+
+<p>
+Nun ist die Zeit da, herüberzuholen, was
+gestern zur Nacht nicht mitgebracht werden konnte.
+</p>
+
+<p>
+Vor die Haustür, deren Schlüssel die Erdme
+bei sich trägt, hat der Jons zum Schutze vor Einbruch
+ein paar Bretter genagelt. Mit zwei Fingern
+kann man die losreißen. Es ist wahrhaftig
+zum Lachen.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte, die Katrike packen rasch ihre Sachen,
+und auch sie selber gibt an, was sie für Sonntags
+wohl braucht. Ebenso muß jeder sein Bettzeug
+haben, denn wie kann der Nachbar Witkuhn soviel
+Gäste versorgen?
+</p>
+
+<p>
+Mag der Jons sehen, womit er sich zudeckt!
+Die Federbetten gehen mit, und so noch vieles
+andere, so daß der Handwagen des Nachbars
+viermal hochbeladen den Knüppelweg überquert.
+</p>
+
+<p>
+Schwer wird der Abschied von den Kühen,
+die die Erdme nicht einmal melken kann, so weh
+tut ihr das Kreuz. Sie streichelt sie nur und
+wirft ihnen Heu hin und denkt: &bdquo;Wie gut wär&rsquo;s,
+wenn ich sie drüben hätte!&ldquo; Auch die Neue ist
+<a id="page-320" class="pagenum" title="320"></a>
+ihr bereits ans Herz gewachsen, und doch hat
+sie sie kaum schon gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Dann kriegen noch die Schweine ihr Futter,
+und dann geht es heim.
+</p>
+
+<hr class="tb" />
+
+<p class="noindent">
+Gegen Mitternacht erhebt sich vor dem Hause
+des Nachbars ein furchtbarer Lärm. Schwere
+Schläge fallen gegen die Läden, und des Jons
+betrunkene Stimme schreit: &bdquo;Ihr Diebe! Ihr
+Räuber! Kommt &rsquo;raus! Ich schlag&rsquo; euch tot,
+ihr Räuber! Das verhurte Weib zuerst! Und
+dann ihren&ldquo; &mdash; &bdquo;Liebhaber&ldquo; sagt er nicht, es
+ist ein viel schlimmeres Wort, das er sagt. Und
+ebenso beschimpft er die Töchter und die Magd
+und droht, sie alle zu erschlagen.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte und die Katrike knien im Hemd an
+der Mutter Bett und kreischen bei jedem Schlage,
+der das Ladenholz zersplittern will. Und vor
+der Stubentür steht der Nachbar Witkuhn und
+ruft durchs Schlüsselloch, sie möchten ganz ruhig
+sein, er halte das Teschin in der Hand, und wenn
+der draußen einbräche, so sei es um ihn geschehen.
+</p>
+
+<p>
+Aber schließlich entfernt sich der Wüterich,
+und auch das Winseln und Heulen Petruschkas
+verstummt nach und nach.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen gibt es ein langes Gespräch
+zwischen dem Nachbar Witkuhn und der
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gestern dachte ich noch, du würdest zurückkönnen,&ldquo;
+<a id="page-321" class="pagenum" title="321"></a>
+sagt der Nachbar, &bdquo;aber heute seh&rsquo; ich
+ein, daß die Brücke zerbrochen ist. Nun tu, was
+du für richtig hältst. Ich werde dir in allem zu
+Diensten sein, was dein Wunsch ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß nicht aus, nicht ein,&ldquo; sagt die Erdme.
+</p>
+
+<p>
+Und der Nachbar sagt: &bdquo;Ich habe es mein
+Lebenlang für das größte Glück auf Erden gehalten,
+daß du einmal meine Frau würdest.
+Aber nun mir plötzlich die Möglichkeit gegeben
+ist, daß es so werden könnte, da seh&rsquo; ich ein,
+ich bring&rsquo; es nicht übers Herz. Denn jeder wird
+sagen, wie Er es ausschrie heute nacht, daß wir
+in Buhlschaft gelebt haben alle die Jahre.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Beinahe wär&rsquo; es ja so gewesen,&ldquo; sagt die
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn es so gewesen wäre,&ldquo; erwidert der
+Nachbar, &bdquo;dann hätten wir längst kein Gewissen
+mehr und keine Scham und würden lachen, wenn
+die Leute mit Fingern auf uns zeigen. Aber
+nun schreck&rsquo; ich schon zurück bei dem Gedanken,
+Ihm auf dem Weg zu begegnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich dränge mich niemandem auf,&ldquo; sagt die
+Erdme gekränkt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und ich bin ein alter Mann,&ldquo; sagt der Nachbar.
+&bdquo;Ich möchte nicht, daß du mir fluchst,
+wenn du mich auf den Kirchhof trägst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So bleibt mir als einziges,&ldquo; sagt die Erdme,
+&bdquo;daß ich in Ausgedinge zu der Katrike zieh&rsquo;, wenn
+die jetzt heiratet.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-322" class="pagenum" title="322"></a>
+&bdquo;Ist es denn schon so weit?&ldquo; fragt der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich alles hergebe,&ldquo; sagt die Erdme
+und drückt die Hand gegen das Sparkassenbuch,
+das sie auf nackigem Leibe trägt, &bdquo;dann ist es
+so weit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird das Geld schon gesperrt haben,&ldquo;
+sagt der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Vielleicht auch nicht,&ldquo; sagt die Erdme, und
+weil sie sowieso nach Heydekrug muß wegen
+des Doktorattestes, wird sie auch gleich die Fünftausend
+abheben, die ihr nicht weniger gehören
+als ihm.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar beschafft ein Fuhrwerk, denn
+er selber hat immer noch keins, und wie sie aufsteigen
+will, muß sie von zweien gehoben werden,
+so verschwollen ist alles.
+</p>
+
+<p>
+Als der Doktor sie untersucht hat, macht er
+ein ernstes Gesicht und sagt: &bdquo;Schlimm genug
+sieht es aus, und schlimm wird auch, was ich
+schreiben muß, aber ich rat&rsquo; euch trotzdem: Vertragt
+euch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Bisher ist der Erdme noch alles gewesen wie
+ein ängstlicher Traum, und oft hat sie gedacht:
+&bdquo;Wenn er jetzt käme und sagte: &sbquo;Laß gut sein&lsquo; &mdash;
+weiß Gott, ich ginge zurück.&ldquo; Wie der Doktor
+aber sagt: &bdquo;Es sieht schlimm aus,&ldquo; da wird ihr
+Sinn wie von Stein, und sie denkt bloß, daß
+sie sich Recht verschaffen muß vor Gott und den
+Menschen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-323" class="pagenum" title="323"></a>
+Der Beamte der Sparkasse kennt sie seit langem
+und zahlt ihr das Geld ohne Bedenken.
+&bdquo;Ja ja,&ldquo; sagt er, &bdquo;wenn man Töchter verheiraten
+will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und da hat sie&rsquo;s auch schon in den Händen.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike, die mitgefahren ist, denn sie
+selber kann sich nicht an- und nicht ausziehen,
+weiß sich vor Liebe gar nicht zu lassen. Sie nennt
+sie &bdquo;Mamusze&ldquo; und &bdquo;Mammelyte&ldquo;, was sonst
+nur die Urte sagt, und &bdquo;Mane Baltgalwele&ldquo; &mdash;
+mein Weißköpfchen &mdash; nennt sie sie, wie die alten
+Mütter in den Liedern heißen, ob auch ihr Haar
+noch fast braun ist.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Heimweg denkt die Erdme immerzu,
+jetzt wird sie dem Jons begegnen, aber sie begegnet
+ihm nicht. Doch auf ihrer Wiese, die wohl
+fünfhundert Schritt weit auf der anderen Seite
+der Chaussee gelegen ist, sieht sie was Helles.
+Das ist die Petruschka. Die sitzt und bewacht ihn,
+denn er ist wohl wieder betrunken.
+</p>
+
+<p>
+Von weitem schon hört man das Brüllen
+der Kühe. Die müssen verkommen, wenn man
+sie da läßt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast du Platz im Stalle für sie?&ldquo; fragt die
+Erdme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe Platz für alles, was dein ist,&ldquo; sagt
+der Nachbar.
+</p>
+
+<p>
+Darum schickt sie auch gleich die Jette und die
+Witkuhnsche Magd hinüber, die Kühe zu holen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-324" class="pagenum" title="324"></a>
+Und die Katrike tanzt herum wie eine Besessene.
+&mdash; Das Geld und das Vieh &mdash; alles ist
+da. Nun kann geheiratet werden.
+</p>
+
+<p>
+Und noch am selben Abend macht sie sich auf,
+zum kleinen Tuleweit zu gehen, damit er so rasch
+wie möglich alles in Ordnung bringt.
+</p>
+
+<p>
+Die Urte will sie begleiten, um einen Abstecher
+nach Heydekrug zu machen, wo irgendwo am
+Spazierweg die jungen Herren von gestern schon
+warten. Sie ärgert sich bloß, daß die Petruschka
+nicht bei ihr ist &mdash; dann wäre ihr Anblick zehnmal
+so vornehm gewesen. Und darum bleibt sie
+schließlich zu Hause.
+</p>
+
+<p>
+Die Erdme liegt und zittert vor Angst, daß
+der Spektakel von voriger Nacht heut wegen der
+Kühe noch einmal losgehen wird.
+</p>
+
+<p>
+Aber nichts regt sich fortan.
+</p>
+
+<p>
+Sie muß im Bette bleiben wohl eine Woche
+lang, und wenn sie sich aufrichten will, kriegt
+sie ein Handtuch anzufassen, woran sie sich hochzieht.
+</p>
+
+<p>
+Die Marjellen aber nützen die Zeit und holen
+herüber, was für die Aussteuer irgend von Wert
+ist &mdash; den großen Ecktisch und den buntblumigen
+Schrank und noch vieles andere.
+</p>
+
+<p>
+Niemand hindert sie dran, denn morgens
+fährt er weg, und mit der Dunkelheit kommt er
+wieder, und die Petruschka läuft nebenher. Was
+er macht und wo er sich aufhält, weiß keiner.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-325" class="pagenum" title="325"></a>
+Am fünften Tage von Erdmes Bettlägerigkeit
+tritt ein junger Mensch in die Kammer. Der
+hat einen deutschen Backenbart und schiefe, ängstliche
+Augen. Und hinterher schiebt sich mit
+heißem Gesicht und frisch gebranntem Strohhaar
+die Katrike. Sie ist fast einen Kopf größer
+als er und sieht aus, als möcht&rsquo; sie ihn auf den
+Arm nehmen.
+</p>
+
+<p>
+Das ist der junge Herr Schmidt, ihrer Tochter
+künftiger Bräutigam.
+</p>
+
+<p>
+Er spricht die Erdme in stolprigem Litauisch
+an, und sie richtet sich auf und sagt auf Deutsch:
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was Sie sich wohl denken, Ponusze! Wir
+reden das Deutsche genau so wie Sie. Und im
+Bett liege ich nur, weil ich das Gliederreißen
+habe. Gewöhnlich arbeit&rsquo; ich wie sonst nur die
+Jüngste.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike und der junge Mensch sehen sich
+verstohlen an, woraus sie schließen muß, daß
+ihm die Tochter schon alles gesagt hat. Und
+noch etwas Anderes will sie daraus schließen,
+aber das drängt sie sofort von sich ab.
+</p>
+
+<p>
+Er möchte am liebsten das Geld gleich mit
+sich nehmen, aber sie weiß, daß es ihr wohlgeborgen
+unter dem Leibe liegt, und erst müßte
+man sie totschlagen, ehe sie es hergäbe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In dem Kontrakt soll stehen,&ldquo; sagt sie, &bdquo;daß
+ich eine Altsitzerstelle bekomme mit so und so
+viel Korn und Kartoffeln und dem Recht, Hühner
+<a id="page-326" class="pagenum" title="326"></a>
+zu halten, und noch anderen Rechten, die ich
+alle bezeichnen werde. Sonst wird aus dem
+Kaufe nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike fängt sofort an zu weinen und
+klagt sie an, sie steh&rsquo; ihrem Glücke entgegen. Der
+junge Herr Schmidt aber sagt: &bdquo;Es <em>wird</em> auch
+alles in dem Kontrakte stehen, aber das ist ein
+ganz anderer Kontrakt als der, den ich mit dem
+Besitzer abschließen werde. Denn den geht es
+nichts an, was wir miteinander ausmachen
+wollen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sieht sie ein, daß der dumme Deutsche
+klüger ist als sie selbst, und schickt sich in das,
+was verlangt wird.
+</p>
+
+<p>
+Aber erst will sie gesund sein und mit aufs
+Gericht gehen und alles bewachen können bis
+in das kleinste.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike und der junge Herr Schmidt
+sehen sich schon wieder an. Dann aber geben
+sie sich die Hand und knien am Bette nieder und
+bitten um ihren Segen.
+</p>
+
+<p>
+Sie weint und küßt und segnet die beiden,
+aber in ihrem Innern denkt sie dabei: &bdquo;Ich will
+doch erst den Rechtsanwalt fragen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-20">
+20
+</h3>
+
+<p class="first">
+Der Moorvogt sitzt über seinen Schreibereien,
+und wenn einer am Chausseehaus vorübergeht,
+<a id="page-327" class="pagenum" title="327"></a>
+sieht er zum Fenster hinaus. Das ist seine Art,
+über die Leute, die ihm anvertraut sind, ins
+klare zu kommen. Aus ihrem Aussehen, ihrem
+Gang und der Stunde, die sie sich aussuchen,
+und den Lasten, die sie tragen, kann er genau
+erkennen, wie er mit ihnen dran ist, ob sie vorwärts
+kommen oder ob sie ins Lüdern geraten sind.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist nun auch kein Jüngling
+mehr, und die dreißig Jahre, die er dem Moor
+geopfert hat, fangen an, seine Haare zu bleichen.
+Aber sein Auge sieht noch so scharf wie je, und
+noch immer hält er zweitausend Schicksale straff
+an der Leine.
+</p>
+
+<p>
+Eines schönen Sommerabends sieht er den
+Jons Baltruschat zu Fuß nach Hause gehen, und
+doch ist er des Morgens im Leiterwagen vorübergefahren.
+Der Jons Baltruschat ist ihm
+schon seit einiger Zeit auffällig gewesen. Morgens
+macht er sich auf nach der Wiese, und abends
+fährt er betrunken zurück. Und der fremde
+weiße Hund, der dem Weibsbild von Tochter
+gehört, läuft nebenher.
+</p>
+
+<p>
+Aber heute kommt er zu Fuß. Auch schwanken
+tut er. Aber seine Gangart ist mehr wie
+die eines Kranken als die eines Betrunkenen.
+</p>
+
+<p>
+Darum macht der Moorvogt das kleine
+Fensterchen auf, durch das früher die Stange
+mit dem Lederbeutel geschoben wurde, und ruft
+ihm nach: &bdquo;Jons, komm doch mal &rsquo;rein!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-328" class="pagenum" title="328"></a>
+Der Jons erschrickt und tut, als hat er nichts
+gehört, doch wie der Moorvogt nicht nachläßt,
+da muß er sich wohl bequemen, kehrt um und
+tritt in das Zimmer. Die Petruschka mit ihm.
+Sie läuft sofort zu dem Moorvogt, steckt die
+Schlangenschnauze in seine Hand und schlägt
+die nassen Augen zu ihm auf, als will sie sagen:
+&bdquo;Wenn <em>du</em> nicht hilfst!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt braucht nur <em>einen</em> Blick,
+um zu sehen: Der Jons ist so gut wie ein verlorener
+Mann; aber er weiß, große Worte verschrecken
+bloß und verschüchtern, darum sagt er
+gleichsam so nebenher: &bdquo;Mir war doch, als bist
+du heut früh mit Fuhrwerk gewesen. Hast du
+das irgendwo stehen gelassen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja,&ldquo; sagt der Jons, &bdquo;das hab&rsquo; ich stehen
+gelassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, wo denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Auf &mdash; der &mdash; Chaussee.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber warum denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja &mdash; na.&ldquo; Mehr ist nicht aus ihm &rsquo;rauszukriegen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann wollen wir&rsquo;s doch gleich einmal holen
+gehen,&ldquo; sagt der Moorvogt und greift nach der
+Mütze.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Jons will nicht. &bdquo;Wenn es &rsquo;n
+Zweck hätt&rsquo;,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hat&rsquo;s keinen Zweck?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil das Pferd gar nich mehr da is.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-329" class="pagenum" title="329"></a>
+&bdquo;Wo ist es denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer kann wissen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach so,&ldquo; sagt der Moorvogt. &bdquo;Du bist betrunken
+gewesen, hast dich in&rsquo;n Chausseegraben
+gelegt, und unterdessen hat&rsquo;s dir einer ausgespannt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer kann wissen?&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und da gehst du hier vorbei und machst
+keine Anzeige? Möchtest du den hübschen Braunen
+gar nicht mehr wiederhaben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sonst war dir sowas durchaus nicht egal.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da waren auch noch die Kühe da.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sind die denn <em>nicht</em> mehr da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nichts is mehr da. Die Schweine werden
+sie heute auch wohl geholt haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer denn?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, die Erdme und die Marjellen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und das läßt du dir ruhig gefallen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal.&ldquo; Und dabei bleibt er.
+</p>
+
+<p>
+Die Petruschka sieht immer zum Moorvogt
+auf, wie der Mensch zum rettenden Herrgott.
+Der streichelt ihr den hohlen Rücken, dessen Fell
+verfilzt ist und verschorft von Wunden und
+schwarzgrau. Und er sagt: &bdquo;Wie kommt&rsquo;s, daß
+der fremde Hund sich an dich gewöhnt hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das is so gekommen,&ldquo; sagt der Jons.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weißt du, was deine Tochter für eine ist?&ldquo;
+fragt der Moorvogt.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-330" class="pagenum" title="330"></a>
+&bdquo;Ich will es auch gar nicht wissen,&ldquo; sagt der
+Jons.
+</p>
+
+<p>
+Damit geht er.
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt telephoniert an alle Amtsvorsteher
+wegen des Braunen und hat dann eine
+schlaflose Nacht.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen läßt er sich den Smailus
+kommen. Der bibbert am Krückstock, und seine
+Augen sind ganz und gar wie verglast, aber das
+kühne Polengesicht hat er noch immer, und sein
+Schnurrbart wölbt sich forsch, als will er den
+Moskauern demnächst eine Schlacht ansagen.
+</p>
+
+<p>
+Doch Schlachten schlägt der nicht mehr. Dafür
+hat seine Vierte reichlich gesorgt. Wenn es
+Gott will und sie stirbt, die ist imstande und
+verleidet ihm vorher die Fünfte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was ist also mit den Baltruschats los?&ldquo;
+fragt der Moorvogt. Und nun erfährt er das
+Nötige.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum bist du nicht freiwillig zu mir gekommen
+und hast es erzählt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Seine Frau hat es nicht gewollt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;<em>Warum</em> hat deine Frau es nicht gewollt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jons hat ihr einmal eine Ziege gepfändet,
+und dafür muß sie sich rächen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und was hat sie ihm gepfändet?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Smailus lacht schadenfroh. &bdquo;Das ist gar
+nicht zu zählen,&ldquo; sagt er. Überhaupt <em>das</em> Weib!
+Aber davon will der Moorvogt nichts wissen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-331" class="pagenum" title="331"></a>
+&bdquo;Glaubst du, daß die Erdme mit dem Witkuhn
+mal was vorgehabt hat?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Diese Frage ist ihm zu schwer. Daß seine
+eigenen vier Weiber ihm treu gewesen sind, das
+weiß er, bei den anderen kann man niemals
+drauf schwören.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber bemerkt hast du nichts?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, bemerkt hat er nichts. Und darum
+wird er entlassen. &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Der Moorvogt ist sich noch ungewiß. Soll
+er die Erdme in dem Witkuhnschen Hause besuchen
+oder soll er sie zu sich bestellen? Da sieht
+er sie eben vorbeigehen. Sie lahmt zwar noch,
+und Kreuz und Kopf trägt sie bewickelt, aber
+kriechen kann sie doch schon.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du &mdash; komm mal &rsquo;rein!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie steht da und sieht ihn böse an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Schöne Geschichten hör&rsquo; ich von dir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie schweigt und sieht ihn böse an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nach fünfundzwanzigjährigem Leben &mdash;
+schämst du dich nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da legt sie los: mit dem Zaunspfahl hat er
+sie geschlagen &mdash; beinahe das Rückgrat hat er
+ihr gebrochen &mdash; mit Schmutznamen hat er sie
+belegt &mdash; ihren ehelichen Wandel hat er bekotzt &mdash;
+die ehr- und tugendsamen Töchter hat er mißhandeln
+wollen, und was das Schlimmste ist, das
+Vieh hat er verhungern lassen, so daß sie es nur
+durch Rüberholen mit knapper Not errettet hat.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-332" class="pagenum" title="332"></a>
+Der Moorvogt sieht sofort: die Sache liegt
+schlimm für den Jons, und <em>sie</em> ist eine Furie
+geworden. Mit gut Zureden wird der nicht
+beizukommen sein. So versucht er es also mit
+böse: &bdquo;Weißt du, was ich jetzt tun werde? Ich
+werd&rsquo; dich durch den Gendarm in die Kaluse
+bringen lassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie lacht ihn nur aus. &bdquo;Das können
+Sie ja. Bloß morgen werd&rsquo; ich schon wieder bei
+Ihnen vorbeigehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du dich nur nicht irrst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum soll ich mich irren? Er hat ja keinen
+Antrag gestellt. Und er wird auch gar keinen
+stellen. Denn hier unter der Wiste hab&rsquo; ich das
+Doktorattest. Darin steht geschrieben, wie
+schlimm es gewesen ist und daß ich nur durch
+ein Wunder am Leben bin. Wenn einer in die
+Kalus&rsquo; fliegt, dann ist er es. Und ich zieh&rsquo; jetzt
+zu meiner älteren Tochter. Die wird eine reiche
+Besitzersfrau. Und morgen wird sie das Aufgebot
+bestellen kommen. Und wenn ich erst
+hier &rsquo;raus bin, dann kann man mir sonst was.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das ist nicht Trotz mehr, das ist offene Auflehnung.
+Im Laufe der Jahre haben nur
+wenige ihm so entgegenzutreten gewagt.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was du eben gesagt hast, Erdme Baltruschat,
+das will ich nicht verstanden haben. Aber eins
+prophezei&rsquo; ich dir: der Tag wird kommen, und
+er ist gar nicht weit, da wirst du dich glücklich
+<a id="page-333" class="pagenum" title="333"></a>
+preisen, bei dem Jons noch einmal unterkriechen
+zu können. Wir wollen hoffen, daß er dich dann
+auch aufnimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie beißt die Zähne zusammen und schwört
+bei Gott dem Allmächtigen: &bdquo;Eher geh&rsquo; ich und
+ertränk&rsquo; mich im Torfloch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und damit humpelt sie wieder hinaus nach
+Heydekrug zu, wo der Rechtsanwalt ihr raten
+soll, wie sie sich sichert, wenn Tochter und Schwiegersohn,
+denen sie alles opfert, sie übervorteilen
+wollen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-21">
+21
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das Geld muß hergegeben werden. Da ist
+nichts zu machen. Denn ohne Anzahlung kommt
+das Grundstück nicht in ihren Besitz. Es wird
+aus Vorsicht auf den Namen der Tochter geschrieben,
+damit der junge Herr Schmidt vor der Hochzeit
+nicht etwa noch abschnappt.
+</p>
+
+<p>
+Die Kühe und die Schweine und alles, was
+vom Hausrat herübergetragen ist, sollen mit in
+die Wirtschaft kommen, denn es fehlt ja nicht
+weniger als alles.
+</p>
+
+<p>
+Der Kontrakt wird unterschrieben, und das
+Geld ist weg &mdash; so schnell, wie man eine Fliege
+in der Hand sterben läßt. Den Kauftrunk spendiert
+die Erdme, aber gemütlich ist er nicht. Der
+bisherige Besitzer behauptet, er hätte sein Hab
+und Gut wegwerfen müssen, und der junge Herr
+<a id="page-334" class="pagenum" title="334"></a>
+Schmidt ist der Ansicht, die Hälfte des Preises
+wäre auch noch reichlich gewesen. Daß es zum
+Prügeln nicht kommt, daran ist nur die Urte
+schuld, die nach beiden Seiten schöne Augen
+macht und dadurch das Schlimmste verhindert.
+</p>
+
+<p>
+Hierfür belohnt sie sich, indem sie hernach
+noch ein bißchen spazieren geht, wobei sie alsbald
+die jungen Herren mit den Schmissen trifft, die
+ihr vorsichtig folgen, bis man sich auf der leeren
+Chaussee freundschaftlich einigen kann.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike will mit dem jungen Herrn
+Schmidt über Nacht zu den Schwiegereltern fahren,
+was ihr nicht zu verdenken ist, und darum
+geht die Erdme allein nach Hause.
+</p>
+
+<p>
+Nach Hause? &mdash; Als ob sie ein &bdquo;Zuhause&ldquo;
+hätte &mdash; das soll erst morgen kommen. Denn
+für morgen hat der Rechtsanwalt den Ausgedingevertrag
+bereitgelegt. Darin steht aufs genaueste
+geschrieben, was ihr bis zu ihrem seligen
+Tode zukommen wird &mdash; ja sogar für die Zeit
+<em>nach</em> dem Tode hat sie gesorgt. Nicht weniger
+als zehn Fladen und sechs Achtel Bier müssen
+den Begräbnisgästen vorgesetzt werden, und das
+Kreuz auf ihrem Grabe muß aus Gußeisen sein.
+</p>
+
+<p>
+So ist alles aufs beste geordnet. Aber wohl
+ist ihr doch nicht zumut. Wenn jetzt zum Beispiel
+der Jons des Weges käme, wie könnte sie
+ohne ein Wort an ihm vorübergehen?
+</p>
+
+<p>
+Da ist nun die lange Brücke, die über die
+<a id="page-335" class="pagenum" title="335"></a>
+Sumpfniederung führt! Und sie muß des Frühlingstages
+gedenken, an dem sie vor fünfundzwanzig
+Jahren mit Jons zum Moor hinauszog.
+Da kuckten die Kuhblumen vergnügt aus
+dem blauen Stauwasser, und sie sagte zu ihm:
+&bdquo;Wie die Blumchen da vorwärts kommen, ohne
+zu ertrinken, so werden auch wir vorwärts kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Genau so sagte sie. Ihr ist, als wäre es gestern
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber was hilft das Vorwärtskommen,&ldquo;
+denkt sie, &bdquo;wenn einem zuguterletzt alles wieder
+zunichte wird.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrer Unwissenheit hat sie gemeint, sie
+seien längst über den Berg, und Hader könnt&rsquo;s
+gar nicht mehr geben; da ist er mit einmal da
+gewesen wie der Dieb in der Nacht und hat
+alles &mdash; aber auch alles &mdash; zunichte gemacht.
+</p>
+
+<p>
+Übrigens: eine Wut hat sie auf die Katrike,
+die ihr das Geld aus den Händen riß! Kaum
+einmal warten konnte die Kröt&rsquo;, bis sie die
+Wiste aufgehakt hatte!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber morgen,&ldquo; denkt sie, &bdquo;morgen wird
+alles festgemacht werden.&ldquo; Aus dem Hause
+wird sie keiner fortekeln können, dafür hat der
+Rechtsanwalt schon gesorgt, und das Brautpaar
+hat wohl oder übel seine Zustimmung geben
+müssen.
+</p>
+
+<p>
+Bloß daß die Unterschrift fehlt. Morgen
+<a id="page-336" class="pagenum" title="336"></a>
+um elf werden sie sich wieder in Heydekrug
+treffen, und übernächsten Sonntag kann dann
+die Hochzeit sein.
+</p>
+
+<p>
+Wie sie beim Nachbar anlangt, ist ihr zumut,
+als muß sie sich wieder krank hinlegen, so zerschlagen
+fühlt sie sich. Aber das kommt nicht
+vom Rücken her, das ist das Herzweh, weil sie
+alles hergeben muß.
+</p>
+
+<p>
+Der Nachbar erkennt ihren Zustand wohl
+und redet ihr Trost zu. Aber was kann er viel
+sagen?
+</p>
+
+<p>
+Zwei Stunden nach ihr kommt die Urte.
+Sie hat heiße Backen und sieht verjucht und verjachert
+aus. Sie ist dem Moorvogt begegnet,
+und der unverschämte Kerl hat sie angehalten
+und verlangt, sie soll ein Führungsattest beibringen.
+Was der sich wohl denkt?
+</p>
+
+<p>
+Sie macht sich viel an ihrem Koffer zu schaffen,
+aber zu der ermatteten Mutter ist sie voll Zärtlichkeit
+und besteht darauf, daß der Nachbar einen
+Wagen besorgt und sie morgen selber nach
+Heydekrug fährt. Denn der weite Gang zwei
+Tage gleich nach einander könnte zu viel für
+sie sein.
+</p>
+
+<p>
+Spät abends kniet sie noch vor der Mutter
+Bett und streichelt und küßt ihr die Hände und
+bittet ihr alles ab, was sie ihr Böses getan hat
+und weiter noch tun muß. Die Erdme weiß
+zwar nicht, was sie meint, aber von solcher
+<a id="page-337" class="pagenum" title="337"></a>
+Weichherzigkeit ist sie heut, daß sie den Kissenbezug
+ganz naß weint.
+</p>
+
+<p>
+Und morgens, wie sie mit dem Nachbar davonfährt,
+fängt die Urte von neuem an, gerade
+so, als wär&rsquo; es ein Abschied für immer.
+</p>
+
+<p>
+Heut achtet sie nicht darauf. Sie hat nur
+Augen für drüben. Ob nicht der Jons sich irgendwo
+sehen läßt. Aber drüben ist alles leer und
+still. Auch keine Petruschka blitzt irgendwo auf.
+Freilich, blitzen tut die nicht mehr, denn die ist
+jetzt dreckig, wer weiß wie.
+</p>
+
+<p>
+Pünktlich um elf hält der Wagen vor dem
+Rechtsanwaltshaus. Sie denkt, die Brautleute
+schon lauernd zu finden, aber keiner ist da. Auch
+um halb zwölfe noch nicht und um zwölfe ebensowenig.
+</p>
+
+<p>
+Der Rechtsanwalt hat auf dem Gerichte
+Termin und sagt im Vorbeigehen, jetzt müßte sie
+warten bis zwei, denn früher käm&rsquo; er nicht wieder.
+</p>
+
+<p>
+Und wie er um zwei wiederkommt, sind
+die Brautleute noch immer nicht da.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt ist Büroschluß bis um halb vier,&ldquo; sagt
+er. &bdquo;Inzwischen können sie immer noch kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme, die auf der Schwelle sitzt, tut
+seit langem das Kreuz weh, und der Nachbar
+redet ihr zu, in die nächste Schenke zu gehen.
+Dort kann sie sich wenigstens ausstrecken. Aber
+sie will nicht. Sie könnte das Brautpaar am
+Ende verfehlen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-338" class="pagenum" title="338"></a>
+Der Nachbar kauft ihr Semmel und Schnaps,
+und dann geht es ja wieder.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Uhr sechs schlägt, kommt der Bürovorsteher
+heraus und sagt, für heute sei es nun
+leider zu spät, aber der Schriftsatz liege ja da
+und der Herr Rechtsanwalt werde morgen oder
+auch sonst wann zur Beglaubigung gerne bereit
+sein.
+</p>
+
+<p>
+So fahren sie wieder zurück. Die Erdme
+hat das Kopftuch um Mund und Backen gebunden
+und redet kein Wort. Was soll sie auch reden?
+Man muß sich ja fürchten zu denken &mdash; um wieviel
+mehr noch zu reden!
+</p>
+
+<p>
+Auch dem Nachbar ist die Kehle erfroren.
+Und so kommen sie an.
+</p>
+
+<p>
+Was sie da finden, glaubt keiner. Ich kann
+es euch zehnmal erzählen, ihr glaubt es mir doch
+nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die Kühe sind weg. Die Schweine sind
+weg, die Betten sind weg. Auch der andere
+Hausrat von drüben ist weg. Die Urte ist ebenso
+weg. Und selbst die kröt&rsquo;sche Marjell, die Jette,
+ist weg.
+</p>
+
+<p>
+Dem Nachbar Witkuhn Seine, die ein ordentliches
+Mädchen ist, sieht die erschreckten Gesichter
+und fängt hell zu weinen an. Sie haben gesagt,
+es geschehe im Auftrag der Erdme, sonst hätte
+sie den Nachbar Smailus gerufen oder sonst wen
+&mdash; und sie schielt hinüber nach Baltruschats Haus.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-339" class="pagenum" title="339"></a>
+Was bei Jesu Namen <em>ist</em> also geschehen?
+</p>
+
+<p>
+Bald nach elfe ist ein Leiterwagen vorgefahren.
+Darauf haben die Brautleute gesessen
+und haben erklärt, sie wollten jetzt alles
+überführen, was in die künftige Wirtschaft gehört.
+Und die Mutter wäre schon dort, um einzurichten,
+und käme nur später noch einmal, die
+eigenen Sachen zu holen.
+</p>
+
+<p>
+Und dann haben sie vorne das Hausgerät
+aufgeladen und hinten die Schweine. Und die
+Kühe haben sie angebunden, und so sind sie davongefahren.
+Und die Urte hat ihr noch fünf Mark
+geschenkt für die gute Bedienung.
+</p>
+
+<p>
+Ja richtig! Zwei Briefe haben sie auf den
+Tisch gelegt. An wen die sind, weiß sie nicht,
+denn Aufschrift hat keiner.
+</p>
+
+<p>
+Der Erdme wird das Kreuz ganz steif und
+gefühllos. Der Nachbar und die Magd müssen
+sie in die Stube tragen.
+</p>
+
+<p>
+Da liegen die Briefe.
+</p>
+
+<p>
+Die Katrike schreibt so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Mein geliebtes Mütterlein!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Es bereitet mir einen großen Schmerz, mich
+von Dir zu trennen. Mein Bräutigam, der junge
+Herr Schmidt und seine Familie wollen es aber
+so. Die Deutschen sagen, es ist bei ihnen nicht
+Sitte, daß gleich die Mutter als Altsitzerin in die
+Wirtschaft mitgeschleppt wird. Und sie sagen, sie
+wollen dann lieber zurücktreten. Die Hochzeit
+<a id="page-340" class="pagenum" title="340"></a>
+wird in kleinstem Kreise gefeiert werden, und
+darum kann ich Dich nicht dazu einladen. Was
+mir auch gewißlich einen großen Schmerz bereitet.
+Das Vieh und die anderen Sachen
+habe ich gleich mitgenommen, denn mein
+Bräutigam, der junge Herr Schmidt, hat es
+schriftlich. Eine Klage würde also nichts nutzen.
+Ich bedanke mich auch sehr für alles, womit
+Du mich beschenkt hast, und werde Dich lieben
+in Ewigkeit.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Deine treue Tochter Katrike.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Und die Urte schreibt so:
+</p>
+
+<p class="addr">
+&bdquo;Meine Mamusze!
+</p>
+
+<p class="noindent">
+Ich weiß, ich habe schlecht an Dir gehandelt,
+aber die Katrike bestand darauf. Darum habe
+ich Dich gestern und heute auch immerfort um
+Verzeihung gebeten. Bei der Katrike bleibe ich
+nicht, sondern fahre von Jugnaten aus gleich
+nach Berlin. Wenn ich trotz meiner schönen
+Kleider nicht arm wäre wie eine Kirchenmaus,
+noch weit ärmer, als die Ulele einst war, dann
+würde ich Dich jetzt mit mir nehmen. Aber so
+würden wir uns beide gegenseitig nur hinderlich
+sein. Darum rate ich Dir, laß Dich rasch scheiden
+und heirate den Nachbar Witkuhn, der Dich ja
+immer geliebt hat. Wenn man daran denkt,
+scheint es einem wie ein trauriges Buch, und
+das muß doch wenigstens einen befriedigenden
+Schluß haben. Zu dem bösen Vater kannst Du
+<a id="page-341" class="pagenum" title="341"></a>
+ja doch nicht zurück. Die untreue Petruschka mag
+bei ihm bleiben. Ich will sie nicht mehr. Lebe
+wohl, meine Mamusze, und sei mir nicht böse.
+Ich schicke Dir bald etwas Schönes.
+</p>
+
+<p class="sign">
+Deine Urte.&ldquo;
+</p>
+
+<p class="noindent">
+So lauten die Abschiedsbriefe der beiden
+Töchter.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-4-22">
+22
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Erdme will sich ins Bett legen, denn
+die Beine tragen sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Da tritt der Nachbar Witkuhn zu ihr in die
+Kammer. Er hat seinen Mantel auf dem Arme
+und sagt: &bdquo;Bis heute waren die Töchter da. Ich
+könnte ja jetzt die Magd bei dir schlafen lassen,
+aber vor Gericht glauben sie ihr am Ende nicht,
+weil sie doch von mir abhängig ist. Und wenn
+ich auch ein alter Mann bin, da ich nun einmal
+mit dir im Verdacht stehe, so möchte ich dir das
+künftige Leben nicht erschweren, indem ich mit
+dir zur Nacht allein unter einem Dache verweile.
+Oder doch so gut wie allein. Ich werde darum
+den Nachbar Smailus um eine Schlafgelegenheit
+bitten und darin fortfahren, solange dein
+Ruf es verlangt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sieht die Erdme ein, daß sie kein Dach
+mehr über dem Kopfe hat, denn den Nachbar
+aus seinem Hause vertreiben, das kann sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Weil sie aber weiß, daß er von seiner Meinung
+<a id="page-342" class="pagenum" title="342"></a>
+nicht abzubringen sein wird, so willigt sie
+zum Scheine darein, gibt ihm auch ihre Danksagung
+mit auf den Weg und sagt, sie wird
+gleich zur Ruhe gehn.
+</p>
+
+<p>
+Sowie er aber weg ist, ergreift sie den Stock,
+auf den sie sich stützen muß, &mdash; und siehe da!
+jetzt tragen die Beine sie wieder.
+</p>
+
+<p>
+Der Magd sagt sie, sie will an die frische Luft,
+und damit verläßt sie den Hof.
+</p>
+
+<p>
+Es ist ein lieblicher Abend, nur &mdash; Gott sei&rsquo;s
+geklagt &mdash; sie weiß nicht, wohin.
+</p>
+
+<p>
+Dem Moorvogt hat sie geschworen: ins Torfloch.
+So ein Schwur ist leicht gegeben, will
+man ihn aber erfüllen, dann fällt es einem recht
+schwer.
+</p>
+
+<p>
+Trotzdem wird es ja wohl das Torfloch sein
+müssen, denn was bleibt ihr sonst übrig?
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Knüppelweg hält sie an und blickt
+noch einmal nach ihrem Eigenen hinüber.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es ist merkwürdig,&ldquo; denkt sie, &bdquo;daß man
+nie etwas von ihm sieht oder hört.&ldquo; Seit sie
+ihm das Pferd gestohlen haben, kann er nicht
+mehr wegfahren. Und zu Fuß kommt er auch
+nicht vorbei. Selbst die Petruschka ist wie in
+die Erde gesunken.
+</p>
+
+<p>
+Sie wirft einen Blick auf die Quitschenbäume,
+deren Beeren schon halb und halb rot sind, und
+auch den Garten besieht sie von ferne. Viel
+erkennt sie nicht mehr, denn die Dunkelheit ist
+<a id="page-343" class="pagenum" title="343"></a>
+schon im Fallen, aber daß die Sonnenblumen
+im Aufblühen sind und daß der Wind die Stangen
+der Zuckerschoten umgeschmissen hat, das
+bemerkt man auch von dem Weg her.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich nicht so kreuzlahm wäre,&ldquo; denkt
+sie, &bdquo;so würd&rsquo; ich nachher über den Zaun klettern
+und sie noch aufrichten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann macht sie sich auf &mdash; nach dem
+Torfloch.
+</p>
+
+<p>
+Die Ziegel, die schwarz und wie mit Fett
+übergossen an seinem Rande stehen, hat sie noch
+selber gestochen. Aber nicht mehr allein wie
+einst in den Jahren der Jugend. Mit der Magd
+waren sie drei, so wie es die Regel verlangt.
+Und der Jons hatte den schwersten, den Stechplatz.
+</p>
+
+<p>
+Der Abendschein liegt feuerrot auf dem
+Wasser.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn ich jetzt hier &rsquo;reinspringe,&ldquo; denkt sie,
+&bdquo;dann wird er sein Lebtag glauben, ich sei mit
+dem Nachbar Witkuhn im Verschwiegenen einig
+gewesen. Denn wer soll es ihm sagen? Will
+der Nachbar ihn anreden, so schlägt er ihn tot.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dabei fällt ihr auf, daß das Totgeschlagenwerden
+gar nicht so schlimm ist. Hier &rsquo;reinzuspringen
+ist schlimmer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wär&rsquo;s,&ldquo; denkt sie weiter, &bdquo;wenn ich vorher
+noch mit ihm spreche und alles ins klare
+bringe? Mehr als mich totschlagen kann er ja
+auch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-344" class="pagenum" title="344"></a>
+Und so froh wird ihr dabei zumut, als wenn
+das noch ein Segen wär&rsquo;. Bloß hier nicht &rsquo;reinspringen
+müssen!
+</p>
+
+<p>
+Darum macht sie sich gleich auf den Rückweg.
+</p>
+
+<p>
+Um die weggelaufenen Töchter klagt sie schon
+gar nicht mehr, nur daß das Vieh weg ist, erfüllt
+sie mit Kummer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hätt&rsquo; ich bloß eine einzige Kuh an die Leine
+zu nehmen,&ldquo; denkt sie, &bdquo;dann könnte ich mich
+schon vor ihm sehen lassen. Aber so ganz als
+Bettlerin auf seiner Schwelle zu stehen, fällt doch
+recht schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun möchte sie wieder lieber ins Torfloch.
+&mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Wie sie von neuem am Quitschenweg steht,
+ist es schon Nacht, aber richtig Nacht wird es im
+Juli ja doch nicht.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Find&rsquo; ich ihn nicht zu Hause,&ldquo; denkt sie, &bdquo;so
+setz&rsquo; ich mich an die Feuerstelle und warte, bis
+er zurückkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und so geht sie langsam den Zufahrtsweg
+hinauf und bis an das Hoftor. Der Kettenhund
+rührt sich nicht. Ja richtig, den hat er vergiftet,
+weil er sich losgemacht und die Petruschka
+zerbissen hat. So hat es der Magd die Smailene
+erzählt.
+</p>
+
+<p>
+Das Tor steht offen. Warum auch nicht?
+Das Vieh ist längst fort, das hat sie ja selber gestohlen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-345" class="pagenum" title="345"></a>
+Ob er wenigstens die Haustür verschlossen
+hat?
+</p>
+
+<p>
+Aber wie kann er? Sie selber hat ja den
+Schlüssel.
+</p>
+
+<p>
+So drückt sie also die Klinke auf zum Vorflur.
+</p>
+
+<p>
+Da kommt aus dem Finstern was Helles gesprungen
+und riecht an ihr hoch und riecht und
+riecht und stellt sich dann vor sie hin und fängt
+zu heulen an, wie ein Mensch heult.
+</p>
+
+<p>
+Heult er vor Freude? Heult er vor Jammer?
+Wer kann es wissen?
+</p>
+
+<p>
+Ihre Augen haben sich schon an das Dunkel
+gewöhnt, und wie der Jons in seinen Kleidern
+aus der Stubentür tritt, erkennt sie ihn deutlich.
+Sie sieht auch gleich, daß er nüchtern ist. Bloß
+verschlafen scheint er zu sein.
+</p>
+
+<p>
+Und wie er fragt, wer da ist, gibt sie gar nicht
+erst Antwort, sondern fällt vor der Feuerstelle
+zusammen. Sie denkt, nun wird er die Schaufel
+nehmen oder die Axt.
+</p>
+
+<p>
+Aber was tut er?
+</p>
+
+<p>
+Er macht die Haustür weit auf, damit er sie
+besser besehen kann, und dann stellt er sich neben
+sie hin und fragt: &bdquo;Ist es noch immer das Kreuz,
+daß du nicht aufkannst?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nein, das Kreuz ist es nicht mehr, auch die
+Angst ist es nicht mehr, jetzt sind es die Tränen,
+daß sie nicht aufkann.
+</p>
+
+<p>
+Und sie kniet vor der Feuerstelle und legt die
+<a id="page-346" class="pagenum" title="346"></a>
+Stirn auf die Kante und weint und weint, weil
+sie da ist und weil er die Axt nicht nimmt oder
+die Schaufel.
+</p>
+
+<p>
+Wie wird sie&rsquo;s ihm aber bloß beibringen von
+dem Sparkassenbuch und dem Vieh? Und dann
+auch, wie sie mit dem Nachbar steht und gestanden
+hat, treu nach der Wahrheit?
+</p>
+
+<p>
+Und weil sie nicht weiß, was sie reden soll,
+liegt sie da und weint.
+</p>
+
+<p>
+Da sagt der Jons: &bdquo;Die Marjellens sind ja,
+Gott sei Dank, auch weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das weißt du?&ldquo; sagt sie und richtet sich auf.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; ja alles aufladen sehen heute
+mittag,&ldquo; sagt er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und du hast sie nicht zuschanden geprügelt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; schon eine zuschanden geprügelt,&ldquo;
+sagt er und setzt sich neben sie auf den Herd.
+</p>
+
+<p>
+Da hebt sie den Kopf und legt ihn ihm
+zwischen die Knie, und er legt die Hand auf ihr
+Haar, und so sitzen sie lange.
+</p>
+
+<p>
+Aber endlich muß sie es ihm doch sagen &mdash;
+das mit dem Nachbar zuerst.
+</p>
+
+<p>
+Sie druckst und druckst, doch es will nicht recht
+losgehen. &bdquo;Der Nachbar &mdash;&ldquo; sagt sie, &bdquo;der Nachbar
+&mdash;&ldquo; und dabei bleibt es.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Is ja alles egal mit dem Nachbar,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;wenn du bloß da bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun weiß sie, daß er ihr alles verziehen hat,
+wenn es auch noch so schlimm wäre. Aber sie
+<a id="page-347" class="pagenum" title="347"></a>
+will es nicht auf sich sitzen lassen &mdash; nicht eine
+Stunde mehr.
+</p>
+
+<p>
+Und da kann sie mit einem Male ganz fix in die
+Höhe und setzt sich neben ihn und erzählt ihm
+von dem Gesangbuch &mdash; wie wundertätig sich
+das in der Jugend an ihr erwiesen hat. Nun
+aber sind sie längst angejahrt und drüber hinweg.
+Und daß der Nachbar heut für die Nacht zum
+Nachbar Smailus gegangen ist, erzählt sie ihm
+auch.
+</p>
+
+<p>
+Er sagt: &bdquo;Wenn du bloß da bist.&ldquo; Und sonst
+sagt er nichts. &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<p>
+Nun wollen sie schlafen gehen. Doch es sind
+keine Betten da.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich lieg&rsquo; sonst auf dem Stroh,&ldquo; sagt er,
+&bdquo;und bedecken tu&rsquo; ich mich mit dem Woilach.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das Pferd ist weg, aber sein Woilach dient
+weiter.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wir anfingen,&ldquo; sagt sie und schämt sich,
+&bdquo;da hatten wir wenigstens Bettzeug.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach Gott,&ldquo; sagt er, &bdquo;das Vieh ist ja weg und
+viel von dem Hausrat und alles Gesparte&ldquo; &mdash;
+wie er sagt &bdquo;alles Gesparte&ldquo;, da schluckt er doch,
+und ihr zerreißt es das Herz &mdash;, &bdquo;aber die schönen
+Gebäude sind da, und die Wiese haben wir auch,
+und die Kartoffeln gedeihen &mdash; und der Moorvogt
+sagt: &sbquo;Das Pferd wird sich finden,&lsquo; und fürs
+übrige leiht er. Wir fangen eben noch einmal
+von vorne an, das ist alles.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-348" class="pagenum" title="348"></a>
+Wie er das sagt, da kommt die Erdme sich
+wieder ganz jung vor.
+</p>
+
+<p>
+Und dann kriechen sie still in das kahle
+Bett und decken sich zu, so viel die kurze Pferdedecke
+nur hergibt. Und sie frieren auch nicht,
+denn die Nacht ist ja mild, und sie können sich
+gegenseitig erwärmen.
+</p>
+
+<p>
+Wie die Erdme da liegt, denkt sie: &bdquo;O Gott,
+o Gott, wie liegt es sich schön hier!&ldquo; Und ihr
+Kreuz wird bald heil sein, und dann wird sie
+arbeiten wieder für dreie. Und der Segen wird
+kommen, wie er das erstemal kam. Nein, er <em>ist</em>
+schon gekommen, denn der Jons liegt ja bei
+ihr und sagt halb im Schlaf: &bdquo;Wenn du bloß
+da bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Petruschka hat den Kopf zwischen die
+Pfoten gesteckt und träumt von einer Wanne
+mit lauwarmem Seifenwasser und einem tüchtigen
+Schrubber.
+</p>
+
+<p>
+Und wie ich die Erdme kenne, wird der
+Traum sich morgen erfüllen. &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+&mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="chapter" id="part-5">
+<a id="page-349" class="pagenum" title="349"></a>
+Die Magd
+</h2>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<h3 class="section section1" id="chapter-5-1">
+<a id="page-351" class="pagenum" title="351"></a>
+1
+</h3>
+
+</div>
+
+<p class="first">
+Es war am ersten Juli und schon Feierabend,
+als die Marinke Tamoszus im Dorfe einfuhr.
+Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht.
+Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhause.
+Sie kam von dem Gute des Herrn Westphal,
+wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient
+und dann zwei Jahre lang die Meierei verwaltet
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen
+in die Augen gefallen. Er hatte beim Milchabliefern
+die fleißige Wirtin in ihr erkannt und
+erst seine Frau und dann auch seinen Sohn, den
+Jurris, auf sie aufmerksam gemacht. Hierauf, als
+beide freudig Ja sagten, hatte er sich mit ihrem
+Vater verständigt, und das Ende vom Liede
+war, daß sie dem Herrn Westphal kündigte und
+vom alten Enskys den Mietstaler nahm.
+</p>
+
+<p>
+Aber nein doch, das Ende war es nicht!
+Es sollte vielmehr ein glücklicher Anfang sein.
+</p>
+
+<p>
+Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so
+konnte nach den letzten Kartoffeln, um Mitte
+Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden.
+<a id="page-352" class="pagenum" title="352"></a>
+Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht
+worden. Und sie, die Marinke, hatte sich nicht
+gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht,
+weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und
+ewig auf dem großen Gute zu scharwerken, hatte
+erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich
+bloß ins Gerede.
+</p>
+
+<p>
+Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen
+Zöpfen und brauner Taftschürze,
+blond und rund und schüchtern neben dem dürrgearbeiteten
+Vater, der auf seine Gäule losprügelte,
+denn er wollte forsch vorgefahren
+kommen.
+</p>
+
+<p>
+Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon,
+sie hingegen war noch niemals dort gewesen
+und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs
+Meer hinausfährt.
+</p>
+
+<p>
+Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die
+Runde, und von freudiger Erwartung stand
+wenig auf ihrem Gesichte zu lesen. Sie fragte
+auch nicht: &bdquo;Ist es hier? Ist es dort?&ldquo; Aber
+wenn der Wagen an einem neuen Zugangswege
+vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil
+ihr noch eine Galgenfrist blieb.
+</p>
+
+<p>
+Endlich bog er doch um die Ecke, und im
+Abendschein lag die künftige Heimat vor ihr.
+Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten.
+Daß die tüchtige Milchgeberinnen waren, das
+wußte sie schon von der Meierei her. Der
+<a id="page-353" class="pagenum" title="353"></a>
+Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert.
+Der Stumpf einer Dreschmaschine
+vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen
+fiel ihr sonst nicht viel auf. Nur die
+braunen Netze, die zum Trocknen über den
+Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen,
+denn noch nie war sie in einer Fischergegend
+gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem
+Jurris. Auch ein Knecht war da und eine Taglöhnerfrau.
+Um derentwillen durfte der Willkomm
+nicht allzu herzlich sein. Aber sie dachten
+sich doch ihr Teil, denn sie grieflachten heimlich
+zusammen.
+</p>
+
+<p>
+Wenn ein junger Sohn im Hause ist und die
+Magd kommt zweispännig angefahren, und der
+eigene Vater kutschiert!
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie.
+Man hätte es nicht von ihm glauben sollen, denn
+er war unlängst von den Kürassieren nach Hause
+gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm
+noch auf dem linken Ohr. Aber als er ihr kaum
+die Hand gegeben hatte, machte er sich schon
+eifrig an dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe
+des Knechts über die Sprossen hob. Nur um
+nicht mit ihr reden zu müssen.
+</p>
+
+<p>
+Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht
+aus. Nach seiner Gestalt hätte man ihn eher bei
+den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von
+<a id="page-354" class="pagenum" title="354"></a>
+sinkendem Schulterbau. Die Augen blau und
+still. Viel von Bart noch nicht auf den Lippen.
+</p>
+
+<p>
+Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus.
+Denn bis nach Piktaten, wo seine Wirtschaft
+lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte
+nachts schon zu Hause sein. Aber einen Bissen
+geräucherten Aal aß er doch und trank den
+Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte.
+Er fühlte es mit Zufriedenheit: die Marinke kam
+in ein gutes Haus, und die fünfhundert Taler,
+die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt
+sein.
+</p>
+
+<p>
+So fuhr er also von dannen, und die Marinke
+saß in der Kammer und weinte.
+</p>
+
+<p>
+Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans
+Lachen als ans Weinen denkt, so war sie am
+nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich.
+Die Kühe standen über dem Melkeimer so still,
+als hätte sie sie schon seit Wochen geliebkost, und
+der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen
+gerade unter die hungernden Rüssel.
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und
+Tritt, aber so, daß sie von ihr nicht gesehen werden
+konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte
+sie leise zu ihrem Mann: &bdquo;Wir haben gut gewählt.
+Sie ist eine Gesegnete.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys faltete die rissigen Hände
+und sagte noch zweifelnd: &bdquo;Geb&rsquo; Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und beide dachten daran, wie sie nun im
+<a id="page-355" class="pagenum" title="355"></a>
+Herbste sich zur Ruhe setzen könnten, waren dabei
+aber erst um die Funfzig.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke tat, als merke sie nichts von
+dem Beobachtetwerden und dem Getuschel, und
+machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten
+liebt und nicht nach rechts und nach links sieht.
+</p>
+
+<p>
+Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem
+und gütigen Herzens und nicht gewillt, sie ihre
+Herrschaft fühlen zu lassen.
+</p>
+
+<p>
+Aus dem Schwiegervater war vorderhand
+noch nicht klug zu werden. Bescheiden im Wesen,
+als wär&rsquo; er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks
+und im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte
+sie zwei-, dreimal an etwas, was sie noch gar
+nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft
+sein.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach
+sie nicht an. Und so blieb es Tage und Tage lang,
+so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren
+Verdacht bald wieder fahren ließen.
+</p>
+
+<p>
+Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken
+weilten ganz, ganz wo anders als bei
+dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und
+wollte wissen, wie er es anfangen würde. Aber
+er fing es lieber gar nicht an. Und mit der Zeit
+begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt
+werden. Und noch etwas Schlimmeres
+fürchtete sie, doch daran ging das Denken gerne
+vorüber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-2">
+<a id="page-356" class="pagenum" title="356"></a>
+2
+</h3>
+
+<p class="first">
+Um ihre Milch am besten zu verwerten, hatten
+die fünf größten Wirte des Dorfes mit Herrn
+Westphal einen Pachtvertrag abgeschlossen und
+lieferten ihm so und so viel Liter täglich für
+seine Meierei. Im Hinfahren wechselten sie sich
+allwöchentlich ab, und daher kannte die Marinke
+sie alle. Und besser noch kannte sie ihre Frauen
+und Kinder, denn die Besitzer spielten den Kutscher
+meistens nur dann, wenn sie in Augustenhof sonst
+noch zu tun hatten.
+</p>
+
+<p>
+In der Woche nach Marinkes Ankunft war
+der Jozup an der Reihe. Der Jozup Wilkat,
+der mit seiner Mutter die Wirtschaft führte.
+Ein dunkler junger Mensch von Dreiviertelgröße
+mit buschigem Schnurrbart und zusammengewachsenen
+Brauen, die ihm ein finsteres und
+fremdartiges Aussehen gaben. Den Hof, der
+übrigens wohlhabend und gutgehalten war,
+nannte man in der Gegend die &bdquo;Wilkija&ldquo;, das
+Wolfsnest. Zuerst natürlich des Namens wegen,
+denn Wilkat heißt im Deutschen der &bdquo;Werwolf&ldquo;.
+Dann aber auch, weil die drei Söhne, die vaterlos
+herangewachsen waren, sich von früher Jugend
+an in den Haaren gelegen hatten, bis die
+Mutter, deren Liebling der Jozup war, die beiden
+Älteren herausbiß, so daß sie nun in Berlin auf
+Beförderung dienten. Der Jozup aber wartete
+<a id="page-357" class="pagenum" title="357"></a>
+nur auf eine passende Frau, um dann die Wirtschaft
+zu übernehmen.
+</p>
+
+<p>
+In Augustenhof waren alle Mägde hinter
+ihm her, aber er kümmerte sich wenig um sie.
+Selbst die Marinke hatte er immer bloß stumm
+angeglupt, hatte seine Milch aufschreiben lassen &mdash;
+und weg war er.
+</p>
+
+<p>
+Man sagte von ihm, er sei ein &bdquo;Bedraugis&ldquo;,
+das ist einer, der keinen Freund hat, und das
+mochte früher vielleicht gestimmt haben; wenn
+er jetzt aber abends die Milch abholen kam, machte
+er sich lange im Stall bei dem Jurris zu schaffen,
+rauchte eine Zigarre mit ihm und versäumte
+womöglich die Abfahrt. Denn bis Augustenhof
+sind es im Schritt immerhin doch anderthalb
+Stunden. Es schien, als wären sie Herzensfreunde
+immer gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Am vierten Abend mochte es sein, da trat er
+zu der Marinke, die eben die Milchkannen auflud,
+und redete sie mit den Worten an: &bdquo;Gestern
+hat mich der Herr Westphal halten lassen und
+hat gesagt, ich möchte dir sagen, du möchtest
+doch bei Gelegenheit einmal nach Augustenhof
+kommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke wurde rot und sagte: &bdquo;Was
+soll ich in Augustenhof? Ich bin nicht mehr in
+Dienst dort.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jozup entgegnete: &bdquo;Es ist noch etwas
+abzurechnen, hat er gesagt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-358" class="pagenum" title="358"></a>
+Die Marinke antwortete: &bdquo;Ich <em>habe</em> abgerechnet,&ldquo;
+und ging ihrer Wege.
+</p>
+
+<p>
+Aber am Sonnabend kam er noch einmal
+und sagte: &bdquo;Der Herr Westphal ist gestern auf
+der Meierei gewesen und hat gesagt, er würde
+aus einem Posten nicht klug und er müsse durchaus
+mit dir reden. Morgen am Sonntag ist mein
+letzter Abend. Vielleicht erweist du mir das
+Vertrauen und fährst mit mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Marinke gab es einen Stoß gegen das
+Herz. Sie sah den Jurris an, der still nebenbei
+stand, und sagte: &bdquo;Wenn ich durchaus fahren
+muß, so fahr&rsquo; ich doch lieber, wenn <em>wir</em> an der
+Reihe sind. Die acht Tage wird der Herr Westphal
+sich wohl noch gedulden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup zog die Brauenhaare noch finsterer
+zusammen, stieg auf und fuhr vom Hofe herunter.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stand da und sah ihm nach, und
+die Marinke grämte sich, daß er noch immer nicht
+zu ihr sprach. Schließlich war sie doch &bdquo;auf
+Prob&rsquo;&ldquo; hier. Was sollte werden, wenn es so
+blieb?
+</p>
+
+<p>
+Darum tat sie etwas, was ihrem schüchternen
+Sinne ganz zuwider war und wozu sie bisher
+den Mut noch nie gefunden hatte. Sie stellte
+sich neben ihn und sagte: &bdquo;Vielleicht bist <em>du</em>
+so gut und nimmst mich dann einmal mit.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Hätte er nun eine kurze und unwirsche Antwort
+gegeben oder ihr sonst sein Mißfallen gezeigt,
+<a id="page-359" class="pagenum" title="359"></a>
+dann hätte sie gewußt, daß sie ihren Kasten
+bald würde packen müssen. Aber was tat er?
+</p>
+
+<p>
+Er drehte sich nach ihr um; ein gutes, man
+konnte sagen, ein glückliches Lächeln ging
+über sein ganzes Gesicht, und er entgegnete:
+&bdquo;Wirst du dann auch einmal mit mir fischen
+kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun wußte sie, wie sie mit ihm dran war
+und daß sie mit ihrem Kasten würde hierbleiben
+können für ihre ganze Lebenszeit. Am liebsten
+wäre sie gleich davongelaufen und hätte
+im Winkel geweint, aber sie bezwang sich und
+lächelte nur und sagte: &bdquo;Du <em>hast</em> ja bisher noch
+gar nicht gefischt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe immer auf dich gewartet,&ldquo; entgegnete
+er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du die Mutter gebeten hättest, hätte
+sie mich wohl freigelassen,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ja, das hätte ich eigentlich tun können,&ldquo;
+entgegnete er, &bdquo;aber ich dachte immer, du hättest
+zu viel zu tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Zu tun habe ich wohl genug,&ldquo; war ihre Antwort,
+&bdquo;aber wie man fischt, das sähe ich gar zu
+gerne.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da führte er sie vor die braunen, nach Teer
+riechenden Netze, die über die Stakete gehängt
+waren, und erklärte ihr alles.
+</p>
+
+<p>
+Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts. Vor
+lauter Glück hörte sie nichts. Das Schwere, das
+<a id="page-360" class="pagenum" title="360"></a>
+Dunkle, das sonst über ihr Denken gebreitet war,
+löste sich auf.
+</p>
+
+<p>
+Nichts war um sie und in ihr als ein milder
+Sommerabend mit braunen Netzen und grünen
+Staketen und vielen Blumen dahinter, und
+Vögelchen, die sie ansangen, und einem Hofhund,
+der sie anwedelte, und einem lieben, guten
+Menschen, der fortan der Ihre war.
+</p>
+
+<p>
+Sie ging neben ihm hin wie ein seliger Geist,
+und hätte er ihre Hand gefaßt und wäre mit ihr
+in den Himmel geflogen, sie hätte sich nicht im
+geringsten gewundert.
+</p>
+
+<p>
+Daß sie nun auch gemeinsam den Garten
+besuchten, geschah wie von selbst. Er zeigte ihr
+den Goldlack und den Reiherschnabel, und sie
+zeigte ihm den Ehrenpreis und die Studentennelke,
+und nur an dem Rautenbeet gingen sie
+schweigend vorüber.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-3">
+3
+</h3>
+
+<p class="first">
+Zwei Tage später am frühen Morgen sagte
+der Jurris zur Marinke: &bdquo;Die Mutter hat erlaubt,
+daß wir zusammen fischen dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie fragte: &bdquo;Wer wird die Kühe melken?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er erwiderte: &bdquo;Sie wird es selber tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen
+lud, schämte sie sich sehr vor den Blicken, die sie
+auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch nichts
+<a id="page-361" class="pagenum" title="361"></a>
+zu essen mit und sagte zu keinem: &bdquo;Ich geh&rsquo; nun.&ldquo;
+Wie eine Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam.
+</p>
+
+<p>
+Er zog den Handwagen, und sie schob nach.
+Aber zu schieben war eigentlich nichts, denn die
+Räder drehten sich wie von selber.
+</p>
+
+<p>
+Bis zum Haff geht man quer durch die Felder
+mehr als eine halbe Stunde. Zuerst war nichts
+davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er
+morgens wohl auf den Wiesen liegt, dann aber
+brach das blaue Wasser durch, hoch über dem
+Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser
+und Himmel blänkerten in der Ferne die Sandberge
+der Nehrung, anzusehen wie ein Gürtelband
+von weißgelber Seide.
+</p>
+
+<p>
+Marinke dachte: &bdquo;Wie schön wird meine Heimat
+sein!&ldquo; Sie wollte was sagen, aber sie traute
+sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte sich
+nie nach ihr um.
+</p>
+
+<p>
+Und so kamen sie dem Ufer immer näher.
+</p>
+
+<p>
+Dort standen Schuppen errichtet, um die
+Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit der Stürme
+drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter,
+waren sie nicht einmal auf den Strand gezogen
+und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, zwischen
+Grasbank und Röhricht.
+</p>
+
+<p>
+Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit
+haben, war am Ufer zu sehen. Denn
+jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf
+den Feldern zu tun.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-362" class="pagenum" title="362"></a>
+Und Marinke fühlte in beklommener Seele,
+daß auch <em>seine</em> Ausfahrt nur ihr zuliebe geschah.
+</p>
+
+<p>
+Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und
+sie half ihm dabei, obgleich es auch hier nichts zu
+helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren,
+weit draußen im Blauen, wo nur die Ruder
+klatschten und die Kielwellen schälten, da forderte
+er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu
+gehen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie verstand auch gleich, was zu tun war,
+so daß alsbald die &bdquo;Pluden&ldquo; &mdash; das sind die leichten
+Hölzer, die das Netz obenhalten &mdash; in schönem
+Bogen rings um sie herschwammen.
+</p>
+
+<p>
+Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die
+Sonne fing etwas zu stechen an.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du hast kein Tuch,&ldquo; sagte er, &bdquo;du wirst
+Kopfschmerzen kriegen.&ldquo; Und er holte eine Ölkappe
+hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie
+wollte nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr
+Aussehen lachen müssen. Und das sagte sie ihm
+auch.
+</p>
+
+<p>
+Aber da begann er schon im voraus zu lachen
+und rief: &bdquo;Hundertmal reichen nicht, daß ich dich
+in der Ölkappe sehen werde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ohne sich zu besinnen, <em>was</em> sie da sagte,
+entgegnete sie: &bdquo;Aber dann werden wir auch
+verheiratet sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Noch wie das Wort kaum heraus war, da
+schämte sie sich schon so sehr, daß sie sich am liebsten
+<a id="page-363" class="pagenum" title="363"></a>
+ins Wasser gestürzt hätte. &bdquo;O Gott, o Gott,&ldquo;
+dachte sie, &bdquo;jetzt wird er mich für dreist und für
+zudringlich halten.&ldquo; Und weil sie fühlte, daß
+sie ganz glutrot geworden war und immer noch
+röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und
+machte sich klein.
+</p>
+
+<p>
+Er &mdash; vom Steuer her &mdash; sagte: &bdquo;Marinke,
+dreh dich doch um.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich
+stieg der Gedanke in ihr auf: &bdquo;Es wird nicht sein
+&mdash; es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich &mdash;
+und ich bin es nicht wert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß
+sie bitterlich zu weinen begann.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stand von seinem Platze auf und
+setzte sich neben sie, so dicht, daß ihr Rücken an
+seine Brust stieß.
+</p>
+
+<p>
+Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich
+nicht wolle, da sonst ja die Heirat kein Grund
+zu solchen Tränen sei.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie weinte nur um so heftiger.
+</p>
+
+<p>
+Da schlang er von hinten her die Arme um
+ihren Hals, so daß ihr Kopf auf seine Schulter
+zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach
+ihm um, damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem
+hellen Tage preiszugeben brauchte, und so lag sie
+an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz still.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach wenn er mich doch küssen möchte!&ldquo;
+dachte sie.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-364" class="pagenum" title="364"></a>
+Aber er küßte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und dann war es Zeit, nach dem Netze zu
+sehen. Viel brachte der Fang nicht. Ein paar
+Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber
+sie kümmerten sich nicht darum, und schließlich
+lachten sie gar darüber.
+</p>
+
+<p>
+Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob
+sie nicht mehr wie in der Frühe, sondern schritt
+an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es
+beim besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen
+gab, legte er seinen freien Arm um ihre Hüfte,
+so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte.
+Und darum gab es des Lachens kein Ende.
+</p>
+
+<p>
+Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst,
+und als die künftige Schwiegermutter ihnen das
+Frühstück auftischte, wollte sie es nicht dulden
+und küßte ihr Ärmel und Rocksaum.
+</p>
+
+<p>
+Da sagte die Enskene mit einem freundlichen
+Lächeln: &bdquo;Was ihr gefischt habt, ist ja nicht viel,
+und doch hat mein Jurris einen guten Fang
+gemacht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen
+und ängstlichen Blicken um beide herum, so daß
+auch der Marinke wieder ganz angst ward.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ob er was weiß?&ldquo; dachte sie.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß
+sie &bdquo;auf Prob&rsquo;&ldquo; ins Haus kam.
+</p>
+
+<p>
+Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre
+Arbeit.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-4">
+<a id="page-365" class="pagenum" title="365"></a>
+4
+</h3>
+
+<p class="first">
+In dieser Woche hatte der Jozup Wilkat
+eigentlich nichts mehr auf dem Hofe zu tun, denn
+das Milchabholen besorgte ein anderer. Aber
+trotzdem sah man ihn morgens und abends.
+Einmal hatte er sich einen Bohrer geborgt, den
+er zurückbringen mußte, ein andermal war ihm
+die Wagenschmiere ausgegangen, und schließlich
+kam er ganz ohne Grund, setzte sich neben den
+Jurris auf eine Deichsel und rauchte manchmal
+drei Pfeifen aus.
+</p>
+
+<p>
+Daß man den jemals einen &bdquo;Bedraugis&ldquo;
+genannt hatte, war zum Verwundern.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris wußte nicht recht, wie er zu der
+neuen Freundschaft gekommen war, die eigentlich
+schon seit zwanzig Jahren hätte bestehen müssen,
+aber da sie ihm plötzlich vom Himmel fiel, ließ
+er es sich gefallen. Der Jozup, den alle für
+störrisch und abstoßend gehalten hatten, war gar
+nicht so schlimm. Er wußte Geschichten und
+Lieder die Menge, und wenn man die Auflösungen
+seiner Rätsel erfuhr, konnte man sich
+vor Lachen den Bauch halten.
+</p>
+
+<p>
+Darum kamen auch die beiden Alten häufig
+dazu, und nur die Marinke machte sich ungern
+in seiner Nähe zu schaffen. Nicht daß er ihr einen
+Widerwillen eingeflößt hätte. Wenn sie ihn
+kommen und gehen sah mit seinen strammen
+<a id="page-366" class="pagenum" title="366"></a>
+Beinen und seiner pröpschen Kopfhaltung, gefiel
+er ihr immer ganz gut, aber die Herzbeklommenheit,
+die sie schon in Augustenhof manchmal befallen
+hatte, wenn er auf dem Milchwagen
+vorfuhr, verließ sie auch jetzt nicht.
+</p>
+
+<p>
+Zuweilen dachte sie: &bdquo;Der wird mir gewiß
+einmal ein Leid antun.&ldquo; Aber ein bißchen
+Angst vor den Männern hatte sie ja wohl immer,
+seitdem sie erfahren hatte, wie wenig ein armes
+Mädchen vor ihrem starken Willen vermag.
+</p>
+
+<p>
+Und sie brauchte auch nur nach dem Jurris
+hinüberzublicken, um zu wissen, wie gut geborgen
+sie war und daß jener ihr niemals würde zu nah
+kommen können.
+</p>
+
+<p>
+Eines Spätabends beim Weggehen blieb
+der Jozup am Gartenzaun stehen und rief zu
+ihr herein: &bdquo;Du, richt dich mal auf!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie wollte erst nicht, denn sie zog gerade
+Mohrrüben aus der Erde für morgen Mittag,
+aber sie mußte es doch tun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum hältst du dich so weit ab von mir?&ldquo;
+war seine Frage. &bdquo;Ich beiß&rsquo; dich nicht. Ich beiß&rsquo;
+bloß in Rindfleisch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich bin die Magd hier,&ldquo; gab sie zur Antwort,
+&bdquo;und ich habe zu tun.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du von Magd sprichst,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;dann lachen die Hühner. Ich weiß am besten,
+wie bald du hier Herrin sein wirst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn du das weißt,&ldquo; entgegnete sie, &bdquo;dann
+<a id="page-367" class="pagenum" title="367"></a>
+wart hübsch, bis ich das Recht hab&rsquo;, mit dir zu
+reden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich glaube nicht, daß dir Stummheit auferlegt
+ist,&ldquo; sagte er, &bdquo;und ich habe auch eine Bestellung
+an dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie erschrak, aber sie nahm sich zusammen.
+&bdquo;Wenn es wieder von Herrn Westphal ist,&ldquo; entgegnete
+sie, &bdquo;dann sag ihm nur, sobald die Reihe
+an uns ist, würde ich kommen &mdash; und früher
+nicht!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber diesmal war es was Anderes.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Mutter leidet an der Knochenkrankheit,&ldquo;
+sagte er. &bdquo;Sie hat gehört, daß du eine
+heilkräftige Hand hast, und bittet dich, sie ihr
+einmal aufzulegen. Bei <em>der</em> Gelegenheit könntest
+du dir gleich unsere Wirtschaft besehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ihr wurde ganz heiß von dem allen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer das gesagt hat von meiner Hand,&ldquo;
+entgegnete sie, &bdquo;der erfindet sich Lügen, denn
+ich weiß nichts davon. Und was ich an eurer
+Wirtschaft zu sehen hätte, das weiß ich noch weniger.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit bückte sie sich nach dem Gelbrübenbeet
+hinunter und sah ihn nicht mehr an.
+</p>
+
+<p>
+Er stand noch eine kleine Weile, und ihr war,
+als fühle sie seine Blicke auf ihrer Haut; dann
+wünschte er &bdquo;Guten Abend&ldquo; und ging von
+hinnen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Gott, mein Gott!&ldquo; dachte sie. &bdquo;Trachtet
+<a id="page-368" class="pagenum" title="368"></a>
+der auch nach mir?&ldquo; Aber das konnte nicht
+sein! Würde er sich alsdann den Jurris zum
+Freunde ausgesucht haben?
+</p>
+
+<p>
+Nach einer Weile hörte sie dessen Schritte
+den Mittelsteg herabkommen, und ihr Herz flog
+ihm entgegen. Sie dachte: &bdquo;Wie kann man
+einen bloß so rasch liebhaben!&ldquo; Aber sie blickte
+nicht auf und beklopfte die Möhren nur um so
+fleißiger.
+</p>
+
+<p>
+Er blieb hinter ihr stehen und sagte: &bdquo;Kannst
+du dir denn gar nicht genug tun? Es ist halbdunkel
+und Schlafenszeit, und du arbeitest noch
+immer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie stand auf und wischte das Schrapmesser
+an ihrer Schürze ab. &bdquo;Du mußt nicht glauben,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;daß ich mich zeigen will vor dir oder
+den Eltern. Aber wenn ich daran denke, daß es
+vielleicht auch bald <em>meine</em> Erde ist, auf der ich
+da kniee, dann wird mir der Abend zum Morgen
+und die Arbeit zum Spiel.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Wir haben uns immer noch nicht
+richtig miteinander versprochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nein,&ldquo; sagte sie, &bdquo;das haben wir noch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie schickte sich an, den Korb mit den
+Gelbrüben ins Haus zu tragen.
+</p>
+
+<p>
+Aber er nahm ihn ihr aus der Hand und
+führte sie den Mittelsteg weiter zu dem Eschenbaum,
+unter dem die Bank stand für Mittagsruh&rsquo;
+und für Feierabend.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-369" class="pagenum" title="369"></a>
+Dort unter den hängenden Zweigen war es
+fast Nacht, und wer einen auffinden wollte, den
+sah man schon lang&rsquo; auf dem helleren Stege
+daherkommen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stellte den Korb auf die Erde
+und setzte sich neben sie. Ihre Hand ließ er nicht
+los und nahm auch die andere dazu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weißt du, was der Jozup heute gesagt hat?&ldquo;
+begann er das Gespräch. &bdquo;Wenn wir Hochzeit
+machen, möcht&rsquo; er Brautführer sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie konnte ihm doch nicht sagen, daß sie
+Angst vor dem Jozup hatte, denn ihr war ja
+nichts Böses von ihm geschehen, und darum
+meinte sie nur: &bdquo;So weit ist es ja noch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Warum nicht? Wenn <em>du</em>
+mich willst, <em>ich</em> will dich. Ich hab&rsquo; dich schon
+immer gewollt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Ich will dich gern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nun saßen sie eine Weile ganz still. Sie
+lehnte den Kopf an seine Schulter, und er lehnte
+die Backe an ihren Kopf. Und sie dachte:
+&bdquo;Warum küßt er mich immer noch nicht?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Nicht daß sie unzufrieden gewesen wäre oder
+ihn für linkisch gehalten hätte, aber sie hatte so
+große Sehnsucht nach ihm. Darum schob sie
+auch den Kopf sachte, ganz sachte immer weiter
+nach hinten, so daß erst ihre Backe auf seiner
+Backe und dann ihr Mund fast ganz auf seinem
+Munde lag.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-370" class="pagenum" title="370"></a>
+Da mußte er es wohl tun, und es war wie ein
+Schaudern und wie ein Schlag. Und wie eine
+ängstliche Erinnerung war es und auch wie eine
+neue Angst.
+</p>
+
+<p>
+Aber dann kam um so stärker die Seligkeit.
+Sie wußte nicht mehr, wieviel von ihrer Seele
+und ihrem Leibe noch ihr selbst gehörte, sie wollte
+ihm immer noch mehr von sich schenken und
+immer noch mehr die Seinige sein.
+</p>
+
+<p>
+Doch da schien es ihr, als höre sie irgendwo
+rings ein Geräusch, und es war doch niemand
+den Steg heruntergekommen.
+</p>
+
+<p>
+Darum sprang sie auf und sagte: &bdquo;Komm.
+Es ist nicht mehr sicher hier.&ldquo; Und wünschte ihm
+rasch &bdquo;Gute Nacht&ldquo; und lief stracks nach der Klete,
+wo ihre Kammer gelegen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber schlafen konnte sie nicht, denn sie dachte,
+es würde nicht lange mehr dauern, dann würde
+er nachgefolgt sein. In dem Nebenraum
+schnarchte die Taglöhnerfrau. Derentwegen hätte
+er es ruhig auf sich nehmen können.
+</p>
+
+<p>
+Sie horchte und horchte nach der Türklinke
+hin, aber die rührte sich nicht. Statt dessen war
+es ihr, als ob draußen im Hofe leise, ganz leise
+Schritte sich regten, die zwischen Wohnhaus
+und Klete unaufhörlich hin und her liefen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Arme!&ldquo; dachte sie. &bdquo;Er traut sich nicht.
+Ich muß es ihm leichter machen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und darum stand sie auf und öffnete sacht
+<a id="page-371" class="pagenum" title="371"></a>
+den oberen Teil der Tür nur eine Handbreit
+weit. Gott sei Dank, daß der Spalt nicht größer
+geriet! Denn als sie den Kopf für einen Augenblick
+durchgesteckt hatte, wurde ihr gleich offenbar,
+daß der, der da draußen im Sommernachtschein
+ruhelos umging, nicht etwa der Jurris,
+sondern sein Vater war, der wider Recht und
+Gewohnheit lauerte, damit, was sich liebte, nicht
+zueinanderkam.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-5">
+5
+</h3>
+
+<p class="first">
+Wider Recht und Gewohnheit! Gewiß.
+Denn wenn eine Braut, die &bdquo;auf Prob&rsquo;&ldquo; ist,
+sich mit dem Bräutigam einig geworden ist, dann
+ziehen sie womöglich in eine Kammer, und
+keiner kümmert sich drum.
+</p>
+
+<p>
+Aber hier geschah folgendes: Als am nächsten
+Vormittag der Jurris vom Felde kam, um kaltes
+Braunbier zum Trinken zu holen &mdash; denn draußen
+beim Mähen und Binden starben sie alle vor
+Durst &mdash;, da fand er, als er den Rückweg antreten
+wollte, den Vater, der sich schon gern die Ruhe
+gönnte, wartend im Hausflur stehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Komm doch mal &rsquo;rein,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris stellte den Topf in den Schatten,
+und als er in die Stube trat, was sah er da?
+</p>
+
+<p>
+Der große Tisch war mit einem weißen Handtuch
+bedeckt. Darauf standen zwei brennende
+Lichter, und zwischen ihnen lag das Gesangbuch.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-372" class="pagenum" title="372"></a>
+Der Alte war barhaupt und hatte die
+Schlorren nicht an und sah furchtsam und
+heimlich aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nimm deine Mütze ab,&ldquo; sagte er.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris tat verwundert, wie ihm geheißen
+war.
+</p>
+
+<p>
+Und der Vater fuhr fort: &bdquo;Als die Marinke
+ins Haus kommen sollte, sagte ich zu dir: kennen
+lernen müssen sich die Menschen, die beieinander
+bleiben wollen ein Leben lang. Aber erst verlangte
+ich von dir das Versprechen, daß du ihr
+nicht zu nahe kommen wollest, solange die Hand
+des Pfarrers nicht auf eurem Kopfe gelegen hat.
+Und das gabst du mir auch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich wußte nicht, wie das ist, Vater,&ldquo; fiel
+ihm der Jurris ins Wort, &bdquo;wenn die Braut
+einem so dicht nebenbei wohnt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und die Herren vom Gericht wissen es noch
+viel weniger,&ldquo; gab der Vater zur Antwort, &bdquo;denn
+es sind Deutsche. Und die Deutschen haben von
+Gott eine andere Vernunft bekommen als wir.
+So hat es sich vor etlicher Zeit auf dem Tilsiter
+Schwurgericht zugetragen, daß ein alter, ehrbarer
+Besitzer, der sein Lebtag nicht um Haaresbreite
+vom Pfade der Tugend gewichen war,
+ein Jahr Zuchthaus &mdash; nicht Gefängnis, mein
+Sohn, sondern Zuchthaus &mdash; gekriegt hat, weil
+sein Sohn und die Braut, die auch auf Prob&rsquo;
+war, genau wie die Marinke, unter seinem Dache
+<a id="page-373" class="pagenum" title="373"></a>
+zusammen geschlafen haben. Er hat geweint
+und geschworen, es sei alles in Ehren geschehen,
+denn im Herbst sollt&rsquo; ja die Hochzeit sein, und zu
+der Aust könnt&rsquo; man zwei fleißige Händ&rsquo; nicht
+entbehren; aber unbarmherzig, wie die Deutschen
+sind, haben sie dem alten Mann die Ehre genommen
+und haben ihn eingesperrt zusammen
+mit Räubern und Mördern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das kann nicht sein!&ldquo; rief der Jurris voll
+Empörung. &bdquo;Das wär&rsquo; ja die schlimmste Gewalttat!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Deutschen nennen&rsquo;s Gerechtigkeit,&ldquo; sagte
+der Vater, &bdquo;und unter einander strafen sie sich
+genau so. Nun möchte ich aber auf meine alten
+Tage nicht auch in das Scheuchhaus kommen,
+denn Aufpasser gibt es ja überall. Und weil ich
+gestern abend gesehen habe, daß es so weit mit
+euch ist, weiß ich nur zwei Wege, mich vor Angst
+und Unglück zu retten: entweder ich schick&rsquo; sie
+solang&rsquo; zu den Eltern zurück &mdash;&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht ja nicht, Vater,&ldquo; rief der Jurris
+entsetzt, &bdquo;das würde aussehen, als wollten wir
+sie nicht haben.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;&mdash; oder du schwörst mir hier auf das heilige
+Gotteswort, daß du dich ihrem Leibe fernhalten
+wirst bis zu dem Tage der Hochzeit. Und niemand,
+selbst deine Mutter nicht, wird davon wissen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das kam <a id="corr-8"></a>den Jurris hart an, aber was sollte
+er machen? Und er schwor zwischen den Lichtern,
+<a id="page-374" class="pagenum" title="374"></a>
+die Hand aufs Gesangbuch gelegt, was der
+Vater verlangte. Und daß, wenn er den Eid
+verletze, Gott ihn mit Drangsal und Tod heimsuchen
+wolle, das schwor er auch, genau wie der
+Vater es vorsprach.
+</p>
+
+<p>
+Und dann brachte er das warm gewordene
+Braunbier aufs Feld hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke, die in Rock und Hemde schwer
+atmend dastand, griff nach dem Krug, als ob er
+ein Glückstopf gewesen wäre. Aber ihm war,
+als tränke sie Trübsal daraus.
+</p>
+
+<p>
+Nachher zur Mittagspause, als die Mäher
+alle im kargen Schatten zweier Weidenstümpfe
+lagen, rückte er so weit von ihr ab, daß sie sich
+erstaunt nach ihm umsah; aber sie dachte, daß es
+der Leute wegen geschehe, und darum beruhigte
+sie sich wieder.
+</p>
+
+<p>
+Auch beim Nachhausegang schritt er nicht
+etwa an ihrer Seite, sondern machte sich mit den
+kleinen Steinen zu schaffen, die in den Wagenspuren
+lagen.
+</p>
+
+<p>
+Und immer und immer wich er ihr aus, so
+daß sie schließlich ganz krank war.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie hatten sich ja miteinander versprochen.
+Darum zweifelte sie auch nicht an
+seiner aufrichtigen Meinung, und nur die große
+Sehnsucht nach ihm war es, die sie krank machte.
+</p>
+
+<p>
+So kam der Montagabend heran, an dem
+der Enskyssche Wagen zum ersten Male wieder
+<a id="page-375" class="pagenum" title="375"></a>
+die Milch der fünf Wirte nach Augustenhof zu
+bringen hatte. Seit langem war ausgemacht
+worden, daß Marinke mit dem Jurris mitfahren
+solle, um dem Verlangen ihres früheren Brotherrn
+nicht länger entgegenzustehen.
+</p>
+
+<p>
+Sie könne mit leichtem Herzen fahren, sagte
+sie zu ihrer künftigen Schwiegermutter, denn
+sie habe die Bücher aufs genaueste geführt, und
+nur ein Irrtum des Schweizers, der ihr Nachfolger
+war, könne schuld daran sein, daß etwas
+nicht stimmte.
+</p>
+
+<p>
+Aber in Wahrheit war das Herz ihr schwer &mdash;
+wenn auch nicht wegen der Bücher.
+</p>
+
+<p>
+Sie schmückte sich mit Sorgfalt, flocht bunte
+Bänder durch die Zöpfe und legte ein seidenes
+Gürtelband an, dessen Sprüche sie selber eingewebt
+hatte. Und wenn sie daran dachte, daß
+sie nun zwei Stunden lang in der roten Dämmerung
+mit dem Jurris allein durch die Welt fahren
+sollte, so verschwand alles andere, wovor ihr
+wohl bangte.
+</p>
+
+<p>
+Aber siehe da! Als die Stunde des Einsammelns
+kam, war der Jurris nirgends zu finden.
+Die Milchgefäße der Wirtschaft standen aufgeladen,
+und auch die der anderen Wirte warteten
+sicher schon lange, aber alles Rufen nach ihm
+blieb vergeblich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dann wirst du wohl allein fahren müssen,
+mein Täubchen,&ldquo; sagte die Schwiegermutter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-376" class="pagenum" title="376"></a>
+Sie erschrak sehr und weigerte sich. Und
+viel mehr Tränen weinte sie, als die kleine Fahrt
+wert war.
+</p>
+
+<p>
+Da kam auch der Alte herzu, und wie er nun
+einmal war, fing er sogleich zu quengeln an.
+&bdquo;Was machst du für ein Wesen?&ldquo; sagte er. &bdquo;Es
+scheint, daß du dich fürchtest, weil du mit Pferden
+nicht umzugehen verstehst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das kränkte die Marinke natürlich aufs
+tiefste, denn den Litauer oder die Litauerin
+möchte ich sehen, die die Pferde nicht wie ihre
+Gespielen <a id="corr-9"></a>betrachten. Das Reiten und Fahren
+können sie alle womöglich noch früher, als sie
+das Gehen gelernt haben.
+</p>
+
+<p>
+Darum erwiderte die Marinke auch nicht ein
+Wort, sondern biß nur die Lippen zusammen,
+stieg auf und fuhr vom Hofplatz herunter.
+</p>
+
+<p>
+Der Schwiegermutter tat es leid, daß ihr
+Mann so häßliche Reden geführt hatte, und deshalb
+ging sie hinter dem Wagen her, um, wenn es
+sich machte, der Marinke was Tröstliches mit auf
+den Weg zu geben.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie holte sie nicht mehr ein, und nur
+von weitem konnte sie sehen, daß, als der
+Wagen bei den Wilkats hielt, die Alte trotz
+ihrer gichtbrüchigen Glieder flink auf die Achse
+stieg und die Marinke abbutschte, wer weiß
+wie sehr.
+</p>
+
+<p>
+Und sie ärgerte sich noch, denn sie dachte:
+<a id="page-377" class="pagenum" title="377"></a>
+&bdquo;Was hat die alte Wölfin ihr Maul an der
+Marinke abzuwischen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Eine Stunde später sah sie den Jurris wieder
+zum Vorschein kommen. Er sei auf dem Haff
+gewesen, nach den Aalreusen zu sehen, sagte er zu
+seiner Entschuldigung. Und als sie ihm Vorwürfe
+machte und weiter in ihn drang, erwiderte
+er nur noch: &bdquo;Frage den Vater.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber der wußte von gar nichts. Und beide
+Männer gingen zur Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Sie hingegen konnte nicht schlafen, ehe die
+künftige Tochter wieder zu Hause war.
+</p>
+
+<p>
+Darum bereitete sie das Abendbrot, setzte
+sich unter den Lindenbaum, ließ auch die Lampe
+brennen am Herd und schloß nur die Tür gegen
+die Mücken.
+</p>
+
+<p>
+Der Mond ging auf, und der Nachtwind streichelte
+sie gleichwie ihr Slinka, der alte Kater. Sie
+wartete und wartete, aber die Marinke kam nicht.
+</p>
+
+<p>
+Endlich gegen halb zwölfe hörte sie einen
+Wagen langsam, langsam näher knarren. Die
+Räder mahlten, und die <a id="corr-10"></a>Achsen schlackerten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie wird eingeschlafen sein,&ldquo; dachte sie,
+&bdquo;und die Pferde machen es sich zunutze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber als sie sie auf dem Sitzkasten sah, mit
+großen Augen nach dem Mond hinstarren, und
+dann absteigen ohne &bdquo;Wie geht&rsquo;s?&ldquo; und &bdquo;Guten
+Abend&ldquo;, da wußte sie, sie hatte nicht geschlafen,
+sondern ihr war etwas geschehen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-378" class="pagenum" title="378"></a>
+Sie liebkoste sie und sagte: &bdquo;Du bist müde,
+mein Tochterchen, darum iß einen Bissen und
+lege dich nieder. Ich selbst werde ausspannen
+statt deiner.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke ließ es auch zu.
+</p>
+
+<p>
+Als die Mutter hereinkam, saß sie am Herde
+und kaute. Aber es war, als täte sie&rsquo;s nur,
+weil man es ihr befohlen hatte. Jetzt, da das
+Lampenlicht auf ihr lag, ließ sich erkennen, daß
+sie von Gesicht ganz weiß war, bloß daß unter
+den Augen zwei Flecken brannten.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter umarmte sie und sagte: &bdquo;Gestehe,
+was dir begegnet ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte immer ins Leere hinaus:
+&bdquo;Es hat nicht gestimmt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Um wieviel hat es nicht gestimmt?&ldquo; fragte
+die Mutter.
+</p>
+
+<p>
+Sie besann sich einen Augenblick und erwiderte
+dann: &bdquo;Mehr als funfzig Mark sind es,
+die fehlen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lachte die Mutter und sagte: &bdquo;Die schick&rsquo;
+ich noch in der Frühe und lege funfzig als Zinsen
+dazu. Die kann sich der Wieszpatis sauer kochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke entgegnete heftig: &bdquo;Um
+das Geld ist es nicht. Das hat er mir gleich
+geschenkt. Der Verdacht ist es &mdash; die Schande
+ist es, daß der Schweizer nun sagen wird: &sbquo;Eine
+lüderliche Kröt&rsquo; ist vor mir im Amte gewesen.&lsquo;
+Oder er sagt gar noch Schlimmeres.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-379" class="pagenum" title="379"></a>
+Die Mutter schalt sie, daß sie sich mit so unnützen
+Sorgen abgab, aber in ihrem Innern
+freute sie sich darüber, daß Gottes Gnade ihrem
+Jurris eine so rechtschaffene Frau hatte bescheren
+wollen.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte: &bdquo;Morgen fahr&rsquo; <em>ich</em> mit der
+Milch, und wenn ich deinen Herrn Westphal seh&rsquo;,
+dann sag&rsquo; ich ihm ordentlich die Meinung, weil
+er ein ehrliches Mädchen in schändlichen Ruf gebracht
+hat. Ja, das werd&rsquo; ich tun und fürcht&rsquo;
+mich nicht im geringsten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Als sie das sagte, hatte die Marinke zuerst
+ein sehr erschrockenes Gesicht gemacht. Dann
+aber lächelte sie ein weniges, wie man zu Kinderworten
+wohl lächelt. Dem Herrn Westphal
+trat kein Mann und keine Frau mit Vorwürfen
+unter die Augen. Dem nahte man höchstens
+mit einer Bitte im Munde.
+</p>
+
+<p>
+Nicht ohne Grund nannten die Leute ihn
+weit und breit den &bdquo;Wieszpatis&ldquo;. Das heißt
+auf deutsch &bdquo;König und Herrscher&ldquo;. Und der
+liebe Herrgott heißt auch so.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-6">
+6
+</h3>
+
+<p class="first">
+Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke
+fast wieder so wie gewöhnlich.
+</p>
+
+<p>
+Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab
+dem Jurris die Hand. Aber warum er sich
+<a id="page-380" class="pagenum" title="380"></a>
+gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht.
+Sie fragte überhaupt nichts mehr, sondern ging
+still an die Arbeit.
+</p>
+
+<p>
+Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken
+herein, und Erbsen und Gerste nicht minder.
+Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind.
+Keine Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes
+und nichts Enthülstes.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Laumen meinen es gut mit uns,&ldquo;
+sagte die Mutter, &bdquo;seit das Kind bei uns
+wohnt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Vater sagte: &bdquo;Wenn nur nicht &mdash;&ldquo;
+Aber das weitere verschwieg er.
+</p>
+
+<p>
+Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde
+es nie mehr so, wie es gewesen war. Sie gingen
+wohl freundlich nebeneinander her und sprachen
+auch, was der Augenblick brachte, aber zusammen
+allein zu sein, das suchte der eine nicht und auch
+nicht der andere.
+</p>
+
+<p>
+Und jeder grämte sich auf seine Art.
+</p>
+
+<p>
+Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte,
+dann hing sie mit fragenden und ängstlichen
+Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging
+um sie &rsquo;rum wie ein Dieb und scheute sich, sie
+zu berühren.
+</p>
+
+<p>
+Auch von der kommenden Hochzeit war nie
+mehr die Rede. Höchstens daß die Mutter einmal
+von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte,
+was das Elternhaus ihr wohl mitgab.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-381" class="pagenum" title="381"></a>
+Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend
+nahte, dann war er da. Und beide
+Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten
+oder aßen unreife Äpfel.
+</p>
+
+<p>
+Einmal, als die Marinke das Rindvieh von
+der Weide heimtrieb, tauchte der Jozup neben
+ihr auf und begann ein Gespräch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hast du auch schon den Schwiegereltern
+das Stück Brautleinwand geschenkt,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;und Rautenblüte hineingelegt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum sollt&rsquo; ich das?&ldquo; fragte sie. &bdquo;Ich
+bin die Magd hier und sonst nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das hast du mir schon einmal gesagt,&ldquo; erwiderte
+er. &bdquo;Es ist Zeit, daß du freundlicher
+zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir
+die Hochzeitsgäste zusammenzubitten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich weiß von keiner Hochzeit,&ldquo; erwiderte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er stieß ein Gelächter aus. &bdquo;Aber im Leibe
+sitzt sie uns schon, als hätten wir Tollwasser gesoffen.
+Ich lieg&rsquo; bis zum Morgen und denk&rsquo; an
+die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß
+der Brautführer sein. Vom Jurris red&rsquo; ich nicht,
+der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran denkt,
+die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du,
+mein Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach
+aus, als ob dir sehr davor graute, über ein
+Heunetz geworfen zu werden. Bloß er tut es
+nicht, der ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt
+er sich einen Vertreter.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-382" class="pagenum" title="382"></a>
+Der Weg war schmal, darum mußte sie das
+lästerliche Gerede anhören, und als sie es ihm
+gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der
+Gedanke: &bdquo;Vielleicht weiß er mehr von mir,
+als mir gut ist; sonst könnte er gar nicht so dreist
+sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß
+sie nur den Kopf senkte und ihn reden ließ, was
+er wollte.
+</p>
+
+<p>
+Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl
+sie innerlich wünschte, er möchte ihn mit der
+Peitsche vom Hof hinunterjagen.
+</p>
+
+<p>
+Und bald darauf kamen Tage voll neuer
+Herzensangst. Die drückten noch härter als alles,
+was vordem gewesen war.
+</p>
+
+<p>
+Sie lief von der Arbeit weg und versteckte
+sich in der Scheune, um in den Garben nach
+Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorfe umher,
+ob nicht irgendwo ein Sadebaum sich über
+den Zaun hinstreckte, und ihre Füße waren verbrüht
+von kochendem Wasser.
+</p>
+
+<p>
+Nachts lag sie auf den Knieen und betete, aber
+bei Tage machte sie freundliche Augen. Mit
+denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter
+täuschte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Die legte eines Tages die Arme um ihren
+Hals und sagte: &bdquo;Mein Täubchen, du bist nun
+bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe
+dich wohl geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem
+<a id="page-383" class="pagenum" title="383"></a>
+Jurris nichts Besseres wünsche als dich, so weißt
+du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten
+spielen die Männer oft so schlimme Streiche,
+daß wir ins Unglück kommen und wissen nicht
+wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gehen,
+nimm deinen Mut zusammen und suche gutzumachen,
+was sich noch gutmachen läßt. Auf
+etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur
+muß man den Knaben liebhaben, wenn man
+ihn täuscht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte,
+vermochte Marinke nicht zu ergründen, aber gute
+Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie
+auf, in Verzagtheit am Boden zu knieen, und sann
+darüber nach, wie sie dem Jurris wieder nahkommen
+könne. Leicht war das nicht, denn in
+den Garten ging er zum Feierabend nie mehr,
+und nie mehr wollte er einen Gang mit ihr
+machen.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde,
+hörte sie, wie er zum Alten sagte: &bdquo;Ich
+bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen,
+ich muß einmal nach dem Kahn und dem Schuppen
+sehn.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher,
+so hätte er jetzt zu ihr gesagt: &bdquo;Komm mit!&ldquo;
+und wäre mit ihr an der Hand durchs Hoftor gegangen.
+Aber statt dessen schlich er sich um die
+Scheune herum und kroch durch die Zäune und
+<a id="page-384" class="pagenum" title="384"></a>
+blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand
+bemerke.
+</p>
+
+<p>
+Da sagte sie sich: &bdquo;Ich tu&rsquo;s.&ldquo; Und ging ihm
+nach. Aber sie ließ eine weite Entfernung, so
+daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen
+konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen
+Rückweg genommen.
+</p>
+
+<p>
+Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war,
+setzte sie sich auf den Grabenrand und wartete.
+</p>
+
+<p>
+Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie
+sangen die Heimchen.
+</p>
+
+<p>
+Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen
+Gedanken im Kopfe hinter ihm herlief. Wäre
+es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen,
+so hätte sie sich kein Gewissen gemacht,
+aber nun die Not sie zwang, kam sie sich als eine
+Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihre
+Liebe zu ihm nur noch größer und reiner war.
+Aber es hätte ihr keiner geglaubt. Und auch sie
+selber glaubte es kaum.
+</p>
+
+<p>
+So verging eine geraume Zeit, da hörte sie
+seine Schritte näherkommen. Beinahe wäre
+sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr,
+daß sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden
+konnte.
+</p>
+
+<p>
+Er blieb vor ihr stehen und fragte: &bdquo;Wer ist
+da?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie fragte: &bdquo;Wie kommst <em>du</em> hierher?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da erkannte er sie und sagte: &bdquo;Es wird dir
+<a id="page-385" class="pagenum" title="385"></a>
+zwar keiner was tun, aber Sitte ist es nicht, daß
+die Mädchen am Sonntagabend allein in den
+Wiesen herumlaufen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie erwiderte: &bdquo;Was soll ich machen? Eine
+Freundin habe ich nicht, und der, der sich um
+mich kümmern sollte, der unterläßt es.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er fragte: &bdquo;Meinst du mich?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Nein, ich meine den
+Jozup.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da setzte er sich neben sie und sagte: &bdquo;Du hast
+Recht, Marinke, daß du mir Vorwürfe machst.
+Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt,
+aber was sollte ich tun? Der Vater verlangt es
+so und hat mir einen schweren Eid abgenommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie zuckte die Achseln und sagte: &bdquo;Was ist
+ein Eid? Für dich schwör&rsquo; ich fünftausend, und
+wenn sie zufällig falsch sind, dann lach&rsquo; ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er antwortete: &bdquo;Dies war kein gewöhnlicher
+Eid, wie man ihn etwa vor Gericht schwört.
+Der ging um <em>meinen</em> Tod und um <em>deinen</em>
+Tod, und zwei Lichter brannten rechts und links
+vom Gesangbuch.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie sagte: &bdquo;Dein Vater könnte auch was
+Besseres tun, als zwei Liebesleute zu ängstigen.&ldquo;
+Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen
+war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof
+vor ihr versteckt hatte.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Ja&ldquo;, und sie legte den Kopf auf
+seine Kniee und schluchzte. Sie dachte nicht mehr
+<a id="page-386" class="pagenum" title="386"></a>
+an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen
+wollte sie sich.
+</p>
+
+<p>
+Den Jurris kostete es große Mühe, sie wieder
+in die Höhe zu kriegen, und dann küßte er ihr
+die Tränen von den Backen und weinte mit ihr.
+</p>
+
+<p>
+Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte:
+&bdquo;Ich taug&rsquo; ja nichts mehr,&ldquo; aber sie war so glücklich,
+wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut
+dazu nicht fand.
+</p>
+
+<p>
+Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm
+um des anderen Hüfte gelegt, und der Jurris
+sagte: &bdquo;Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir,
+denn ich weiß, es <em>kann</em> nichts Böses geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab ihr einen Stich durch die Brust,
+denn es <em>mußte</em> ja was Böses geschehen.
+Heut&rsquo; oder nächstens. Und ob es auf Tod oder
+Leben ging &mdash; gleichviel.
+</p>
+
+<p>
+Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche
+zu ziehen. Diesmal aber tat sie&rsquo;s mit guter
+Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und
+wieder und merkte mit Freuden, daß er schwindlig
+wurde und wankte.
+</p>
+
+<p>
+Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon
+dunkel und still.
+</p>
+
+<p>
+Er konnte sich nicht von ihr trennen, und
+sie dachte bereits, er würde bitten, ihn mit sich
+zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da
+riß er sich los und floh ins Haus, als säße der
+Böse ihm auf den Hacken.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-387" class="pagenum" title="387"></a>
+Sie kniete vor ihrem Bette nieder, wie sie
+schon manche Nacht gekniet hatte. Und betete
+und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die
+Klinke sich nicht bewegte.
+</p>
+
+<p>
+Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst
+wenn die sie hörte, was tat ihr das noch?
+</p>
+
+<p>
+Und dann stand sie auf. Und da er noch
+immer nicht kam, trat sie den schweren Gang
+an nach seiner Kammer.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-7">
+7
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf
+kam der Jurris zu dem Alten in die Stube
+und sagte: &bdquo;Ich möchte dich in Gehorsam bitten,
+Vater, daß die Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden
+kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte blickte von der Bibel auf, in der er
+las, und sagte: &bdquo;Du hast wohl deinen Eid gebrochen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jurris erwiderte: &bdquo;Ja, ich habe
+meinen Eid gebrochen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da geriet der Alte in großen Zorn und rief:
+&bdquo;Dafür strafe dich Gott!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris senkte den Kopf und sagte: &bdquo;Gott
+wird mir vielleicht vergeben, denn es war gar
+zu schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte aber schrie: &bdquo;Nein, Gott wird dir
+<em>nicht</em> vergeben. Ebenso wenig, wie <em>ich</em> dir vergebe,
+<a id="page-388" class="pagenum" title="388"></a>
+daß du mich in so große Ungelegenheit gebracht
+hast.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er lief auf seinen Schlorren umher wie
+ein Rasender.
+</p>
+
+<p>
+Nach einer Weile sagte er weiter: &bdquo;Natürlich
+muß die Hochzeit früher stattfinden. So
+früh als möglich muß sie stattfinden, damit
+nicht vielleicht hinterher ein Stein auf mich
+geworfen wird. Aber das sage ich dir:
+Kummer und Drangsal werden mit euch zu
+Tische sitzen, und der Tod wird hinter euch
+stehen, weil du den Willen Gottes so wenig
+geachtet hast, und den Willen deines Vaters
+noch weniger.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach
+mit keinem ein Wort, nur daß er zur Marinke,
+die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte:
+&bdquo;Er hat es erlaubt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und alsbald erhob sich im Hause ein großes
+Rumoren, denn die Vorbereitungen zur Hochzeit
+sollten sogleich beginnen.
+</p>
+
+<p>
+Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt
+sowohl wie beim Pfarrer, und der Jozup erschien
+am hellen Vormittag auf einem mit Bändern
+geschmückten Pferde und selber mit Bändern
+geschmückt an Achseln und Hutrand. Dem reichte
+die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel
+von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu
+laden waren.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-389" class="pagenum" title="389"></a>
+Und die Marinke wurde geschickt, ihm den
+Festtrunk zu zapfen.
+</p>
+
+<p>
+Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er
+es so gierig mit seinen Händen, daß sie die ihren
+nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest und
+sagte: &bdquo;Wenn ich nun losreite, dann mußt du
+mit und kommst nicht mehr frei bis ans Ende
+der Welt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte erschrocken: &bdquo;Dann wärst du
+ein schlechter Hochzeitsbitter.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er trank und sprengte lachend davon, sie
+aber fühlte seine Hände brennen bis gegen
+Abend.
+</p>
+
+<p>
+Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr
+und des ersten Pflügens, aber beides mußte
+hintangestellt werden, weil es im Hause soviel
+zu tun gab.
+</p>
+
+<p>
+Und die Leute im Dorf wunderten sich und
+sagten: &bdquo;Die Marinke ist doch erst so kurze Zeit
+hier; sollten die beiden schon vorher miteinander
+gekramt haben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Es war ein Glück, daß der Alte durch keinen
+erfuhr, daß er gerade das Gegenteil davon erreichte,
+was seine Absicht gewesen war; er hätte
+sich sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert.
+Der Jurris aber erfuhr&rsquo;s. Dem steckte
+es der Jozup nur allzubald.
+</p>
+
+<p>
+Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war,
+so grämte er sich doch immer noch mehr und
+<a id="page-390" class="pagenum" title="390"></a>
+dachte in seinem Herzen: &bdquo;Sollte so das Unglück
+bereits beginnen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf
+immer neue Kohlen ins Feuer.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hingegen tröstete ihn und
+sagte: &bdquo;Wenn zweie sich liebhaben, für die
+gibt es kein Unglück und kein Verschulden,
+denen steht Gott zur Seite und nimmt den
+Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn
+sie ihn heimlich im Arm hielt, vergaß sie alles,
+auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt
+hatte. Dabei arbeitete sie für dreie, und
+Töpfe und Eimer und Garben und was sie zu
+fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre
+dankbaren Hände.
+</p>
+
+<p>
+Der Jurris aber hielt&rsquo;s mit dem Müßiggang.
+Sie mochte ihm noch so viel zureden, seine Arbeit
+wurde nur halb getan, und wäre nicht glücklicherweise
+ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer
+weiß, ob der Hafer nicht ins Faulen gekommen
+wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf dem
+Haffe herum. In einer Zeit, in der keiner, der
+Landwirtschaft hat, ans Fischen nur denken
+kann, machte er sich morgens und abends draußen
+zu schaffen.
+</p>
+
+<p>
+Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam
+er naß bis auf die Knochen vom Ufer nach Hause.
+<a id="page-391" class="pagenum" title="391"></a>
+Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das
+Draußensein kam es ihm an.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke küßte ihm beide Hände und
+sagte: &bdquo;Jurris, Jurris, es tut dir ja keiner was.&ldquo;
+Aber auch das half nicht viel.
+</p>
+
+<p>
+Eines Morgens wehte stark der &bdquo;Aulaukis&ldquo;,
+der Südwest, den die Fischer nicht mögen, besonders
+wenn Regen als Zugabe kommt.
+</p>
+
+<p>
+Als die Marinke hinaussah, dachte sie: &bdquo;Nun,
+heute wird er wohl nicht gefahren sein,&ldquo; aber
+wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder
+im Hof noch auf dem Felde, das war der Jurris.
+</p>
+
+<p>
+Die Vormittagsstunden vergingen, und sie
+dachte: &bdquo;Um Gottes willen, wo bleibt der
+Jurris?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und als er zum Mittagbrot noch nicht da
+war und auch die Mutter das Fürchten bekam,
+da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von
+der Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem
+Strande zu.
+</p>
+
+<p>
+Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte
+sie: das war kein Wind mehr, das war ein
+Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken.
+</p>
+
+<p>
+Die Tür des Schuppens schlug auf und zu,
+und der Handkahn war weg.
+</p>
+
+<p>
+Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen,
+denn die Regenwolken strichen ganz niedrig darüber
+hin, aber die Strandwellen gingen so hoch,
+als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah
+<a id="page-392" class="pagenum" title="392"></a>
+kam, und das Rohr schrie, als hätte es eine Menschenstimme
+bekommen.
+</p>
+
+<p>
+Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben,
+so weit, daß die Wellen sie nicht erreichen
+konnten, und die Marinke dachte bei sich:
+&bdquo;Jetzt muß ich hinausfahren &mdash; muß ihm entgegenfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser
+herangebracht hatte, dann schlugen die Wellen
+ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben
+lag.
+</p>
+
+<p>
+Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft
+war und daß sie davon nur den Tod haben würde.
+</p>
+
+<p>
+Und sie warf sich im nassen Sande auf die
+Kniee, wie sie es jüngst vor ihrem Bette oft getan
+hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen.
+</p>
+
+<p>
+Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken
+gekrochen, und keine Menschenstimme rief: &bdquo;Da
+bin ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, <em>eine</em> Menschenstimme war da. Ganz
+plötzlich schallte sie ihr in die Ohren und sagte:
+&bdquo;Was machst du?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und diese Stimme gehörte dem Jozup.
+</p>
+
+<p>
+Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf
+dem Herzen gehabt hatte, und hob die gefalteten
+Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte
+mit ihr hinausfahren. Für sie allein sei es zu
+schwer. Aber zusammen würden sie ihn schon
+finden.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-393" class="pagenum" title="393"></a>
+Der Jozup fragte: &bdquo;Seit wann ist er fort?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie erwiderte: &bdquo;Seit in der Frühe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lachte er bloß und sagte: &bdquo;Dann ist er
+längst wieder an Land und sitzt verschlagen wer
+weiß wo.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr
+fort: &bdquo;Denkst du denn, daß Menschen sich acht
+Stunden lang in so &rsquo;nem Wetter draußen herumtreiben
+können? Oder sich erst den Platz aussuchen
+zum Landen? Da ist es jedem egal, wo
+ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber
+komm ins Trockene, denn dir klappern ja alle
+Glieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er führte sie in den Schuppen und schlug
+die Tür hinter sich zu, so daß sie fortan im Halbdunkel
+waren.
+</p>
+
+<p>
+An den Wänden hingen die Netze, und über
+das Heu, das im Winkel lag, war der Mantel des
+Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters
+versteckt, wenn alle ihn suchten.
+</p>
+
+<p>
+Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten
+Fingern und küßte den Saum und
+sagte: &bdquo;Komm doch wieder! Komm doch wieder!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie
+hatte schon all ihre Tränen verschüttet.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup stand daneben und biß sich die
+Lippen. Und dann sagte er: &bdquo;<em>Warum</em> soll er
+eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug
+da, die bloß auf dich warten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-394" class="pagenum" title="394"></a>
+Da drehte sie sich um und spie nach ihm.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Warum speist du mich an,&ldquo; sagte er, &bdquo;da ich
+doch einstmals dein Mann sein werde?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte: &bdquo;Laß mich hinaus. Ich habe
+schon lange gewußt, was du für einer bist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er drückte sie auf den Mantel zurück,
+und indem er ihre Hände hielt wie in Klammern
+geschroben, sagte er folgendes: &bdquo;Du betest da
+immerzu, er möchte doch wiederkommen, aber
+wenn ich jetzt als sein Freund mein Gebet mit
+dem deinen vereinigen wollte, dann würde es
+lauten: er soll <em>nicht</em> wiederkommen. Und er
+<em>wird</em> auch nicht wiederkommen. Wenigstens
+als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du
+schon mir, und das will ich dir gleich beweisen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie rang mit ihm und schrie: &bdquo;Vergreife dich
+nicht an mir, denn ich trage ein Kind von ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er lachte sie aus: &bdquo;Du willst ein Kind
+von ihm tragen? Hat er mir doch oft genug von
+dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen
+müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide!
+Ich aber kehr&rsquo; mich an nichts und will tausend
+Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie rang weiter mit ihm und schrie: &bdquo;Ich
+trage ein Kind von ihm!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er sagte mitten im Ringen: &bdquo;Wenn es
+die Wahrheit wäre, daß du ein Kind trägst, dann
+ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen,
+von wem es ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-395" class="pagenum" title="395"></a>
+Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei,
+und sie fiel hintenüber und wußte von nichts
+mehr.
+</p>
+
+<p>
+Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür
+offen, und niemand war da außer ihr.
+</p>
+
+<p>
+Unter ihr lag noch immer der Mantel des
+Jurris. Den streichelte sie von neuem und küßte
+den Saum, aber sie dachte dabei: &bdquo;Mir ist
+ganz recht geschehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte
+wiederkommen. Hätte sie ein Gebet gehabt,
+so würde es gelautet haben wie das von dem
+Jozup: &bdquo;Er soll <em>nicht</em> wiederkommen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ohne Mut und so voll Scham war ihre
+Seele.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-8">
+8
+</h3>
+
+<p class="first">
+Im nächsten Frühling bekam die Marinke
+einen Knaben. Der sollte einmal die Enskyssche
+Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft
+war keiner als Erbe da.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke war den Winter über im Hause geblieben
+und durfte um den Ertrunkenen trauern,
+als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und
+niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn
+die Hochzeit war ja bestellt gewesen. &mdash; Bloß
+daß nun ein Begräbnis daraus wurde.
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter
+geworden wäre, ehrte sie wie ihres
+<a id="page-396" class="pagenum" title="396"></a>
+Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war
+immer gut zu ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes
+willen, den er von ihr erwartete.
+</p>
+
+<p>
+Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr,
+denn er fühlte sich durch den Eid, den er dem
+Sohne abgenommen hatte, hinreichend gesichert
+auch über dessen Tod hinaus.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup war während des ganzen Winters
+nur dann im Hause zu sehen gewesen, wenn er
+die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl
+gehütet, ihm zu begegnen.
+</p>
+
+<p>
+Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade
+vom Melken, da stand er breit in der Stalltür.
+Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd.
+Um derentwillen mußte sie tun, als ob nichts
+vorgefallen war.
+</p>
+
+<p>
+Er bot ihr die Hand und sagte: &bdquo;Ich halte
+mich fern von dir, aber wenn die Zeit gekommen
+ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber,
+denn daß sie ihm verfallen war, daran
+zweifelte sie nicht.
+</p>
+
+<p>
+Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken
+gewöhnt, daß sie die alte Wilkene, die das Haus
+bisweilen besuchte, bereits als zukünftige Schwiegermutter
+betrachtete.
+</p>
+
+<p>
+Aber freundlich war die durchaus nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Wenn sie an ihrem klappernden Stock über
+den Hof gehumpelt kam, gab es der Marinke
+<a id="page-397" class="pagenum" title="397"></a>
+stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte
+in ihrem Innern: &bdquo;Bin ich erst in dem Wolfsnest
+drin, dann werde auch ich das Hemd auf den
+Schultern mit meinen Tränen waschen.&ldquo; Denn
+so heißt es in dem alten Liede.
+</p>
+
+<p>
+Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich
+nach der Entbindung ins Elternhaus zurückzubegeben;
+aber wie man sie aufnehmen würde,
+wenn sie mit dem Kinde auf dem Arm um Unterkunft
+bat, daran gab&rsquo;s nicht den mindesten
+Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens
+gewesen. Der Jozup hätte sie auch von dorther
+geholt.
+</p>
+
+<p>
+So neigte sie sich also in Demut vor dem
+kommenden Schicksal, und nur die bösen Augen
+der Alten machten ihr Angst.
+</p>
+
+<p>
+Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: &bdquo;Was
+will die alte Wölfin immer von dir? Du willst
+ja nichts von ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber was der Jozup wollte, davon ahnte
+sie nichts.
+</p>
+
+<p>
+Und eines späteren Tages &mdash; der kleine
+Jurris mochte acht Wochen gewesen sein &mdash; da
+kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter
+Stunde und setzte sich neben die Wiege, die
+gerade ohne Aufsicht neben der Haustür
+stand.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr,
+denn beim ersten Blicke hatte sie den Mann, der
+<a id="page-398" class="pagenum" title="398"></a>
+sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar
+nicht erkannt.
+</p>
+
+<p>
+Er richtete sich auf und sagte: &bdquo;Der Tote
+ist mein Freund gewesen, und ich habe sein Kind
+bis heute noch nicht gesehen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter sagte: &bdquo;So sieh es dir
+ordentlich an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte
+sogleich: &bdquo;Habt ihr auch schon daran gedacht,
+ihm einen Vater zu geben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sein Vater liegt im Grabe,&ldquo; sagte die Enskene,
+&bdquo;und einen anderen braucht es nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch
+ein Wort mitzusprechen haben,&ldquo; entgegnete er,
+&bdquo;oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als
+Magd bei euch behalten könnt?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Kind in der Wiege,&ldquo; sagte sie, &bdquo;wird
+künftig einmal Herr auf diesem Hofe sein, und
+die du meinst, halt&rsquo; ich wie meine Tochter. Im
+übrigen glaube ich nicht, daß dich dies alles was
+angeht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Dies geht mich nur insoweit was an,&ldquo; erwiderte
+er, &bdquo;als die Marinke demnächst meine
+Frau werden soll.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig
+Macht ihr über die einstige Braut ihres Sohnes
+gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen,
+und darum sagte sie: &bdquo;Deine Werbung ist mir
+so willkommen, daß ich Lust hätte, meinen
+<a id="page-399" class="pagenum" title="399"></a>
+Mann zu rufen, damit er dich von dem Hofe
+weist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich <em>habe</em> gar nicht geworben,&ldquo; entgegnete
+er, &bdquo;denn ihr Vater wohnt ja wo anders.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber
+und weinte.
+</p>
+
+<p>
+Und er wartete schweigend, bis die Marinke
+vom Felde kam.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter ging ihr entgegen und sagte:
+&bdquo;Schick ihn fort, so daß er nie wiederkommt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken,
+wünschte ihm kaum &bdquo;Guten Tag&ldquo; und nahm
+dann das Kind aus der Wiege, um es zu
+stillen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Da hast du ja ein schönes Kind,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;und ich will hinfort sein Vater sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie neigte den Kopf und entgegnete leise:
+&bdquo;Kannst du nicht wenigstens warten, bis die
+Trauerzeit um ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da rang die Mutter die Hände und schrie:
+&bdquo;Du ermunterst ihn ja!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste
+auf und reichte dem Kinde die Brust.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Pfleg es mir gut,&ldquo; sagte er mit einem Lachen
+und schritt nach dem Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Von nun an gab es trübe Tage im Hause.
+Die Mutter weinte, der Alte schalt, und beide
+verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier hast du&rsquo;s wie eine Prinzessin, aber
+<a id="page-400" class="pagenum" title="400"></a>
+dort in dem Wolfsnest werden die Wölfe dich
+fressen mit Haut und mit Haar.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ging das Lied immerzu.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen,
+daß das Kind dem Jurris sein Kind ist?
+Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich anglupt,
+als schlepptest du ein ganzes Gehetz von
+Bankerts mit dir herum.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So ging eine andere Weise.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke sagte nur immer: &bdquo;Habt Geduld,
+bis die Trauerzeit um ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr
+zum Rechtsanwalt zweimal in der Woche, denn
+er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten.
+</p>
+
+<p>
+Als der Todestag des Jurris sich eben gejahrt
+hatte und sein Grab von frischen Blumen
+noch voll war, erschien der Jozup von neuem
+auf dem Hofe.
+</p>
+
+<p>
+Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt,
+daß er die Marinke allein sprach.
+</p>
+
+<p>
+Sie kam mit einem Wäschekorb von der
+Bleiche und lief ihm gerade in die Arme.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden,&ldquo;
+sagte er, &bdquo;und Geduld bewiesen ein
+Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum
+frage ich dich: Wann wirst du mir das Jawort
+geben?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen
+könne, aber niemand war weit und breit.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-401" class="pagenum" title="401"></a>
+&bdquo;Deine Mutter ist mir böse gesinnt,&ldquo; sagte sie.
+&bdquo;Und du wirst zu ihr stehen gegen mich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine Mutter ist dir böse gesinnt,&ldquo; entgegnete
+er, &bdquo;weil sie sich ärgert, daß du ein
+fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß
+es mein eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst
+würde sie&rsquo;s ausschreien bis hinter Prökuls.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Es <em>ist</em> auch nicht dein eigenes!&ldquo; rief sie.
+&bdquo;Das weißt du, und wenn du es nicht weißt,
+dann schwör&rsquo; ich es dir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber er lachte sie aus. &bdquo;Der gute Jurris
+ist tot,&ldquo; sagte er. &bdquo;Darum will ich so tun, als
+hättest du Recht. Wenn du aber denkst, ich würde
+zu ihr stehn gegen dich, dann kennst du mich
+falsch. Ich bin nach dir ausgewesen wie ein
+Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die
+erste Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit
+meiner Mutter die Sache beredet bei Tag und
+bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind
+fixer gewesen als ich. Ich hab&rsquo; ihnen den Hof
+anzünden wollen über dem Kopf, &mdash; ich habe
+den Jurris &mdash; na, nun ist egal, was ich wollte
+mit deinem Jurris. Aber hast du dir nie gedacht,
+warum ich da saß Abend für Abend neben ihm
+auf der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein
+Augenschmeißer bin und weiter sonst nichts?
+Ich hab&rsquo; kein Wort von meinem Zustand zu dir
+geredet, denn schaliges Bier lieb&rsquo; ich nicht, und
+den Bettler beißen die Hunde. Aber das hättest
+<a id="page-402" class="pagenum" title="402"></a>
+du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden
+kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch
+nicht den Finger heben gegen dich. <em>Ich</em> sollte zur
+Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was
+dachtest du von mir?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male,
+daß sie ihm recht in die Augen sah. Und es war,
+als spritze Feuer daraus, und es war, als sei
+eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene
+Wege.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte
+seinem Willen doch nicht entweichen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Eltern werden es nicht zugeben,&ldquo; sagte
+sie, um doch etwas zu sagen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Welche Eltern? Deine oder dem Jurris
+seine?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Meine sind froh, wenn sie mich los sind,&ldquo;
+entgegnete sie, &bdquo;aber diese hier lassen mich nicht
+mehr weg.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die
+Krähe vom Neste, und um zwei solche Grasmücken
+sollt&rsquo; ich mich kümmern?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Sie haben das Kind zum Erben bestimmt.
+So ein Glück kommt nicht wieder.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben,
+wenn ich das will.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier geht es nicht nach deinem Willen, das
+weißt du sehr gut. Denn eigene Kinder kommen
+zuerst.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-403" class="pagenum" title="403"></a>
+Der Jozup war rasch von Begriffen. Er
+sah gleich ein: wenn er nicht drohte, kam er zu
+nichts.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, gut,&ldquo; sagte er, &bdquo;dann muß ich doch wohl
+meiner Mutter erzählen, was zwischen uns passiert
+ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein
+Kahn koppheister schoß. Was weiter geschieht,
+dafür wird <em>sie</em> dann schon sorgen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach
+und Beschmutzung. Und auch des Jurris&rsquo; Andenken
+würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit.
+Darum wurde sie stark in ihrer Schwäche und
+sagte: &bdquo;Ein Eid gilt dir nichts,&ldquo; &mdash; daß er auch
+ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte
+sie nicht &mdash; &bdquo;und so schwör&rsquo; ich erst gar nicht.
+Aber was ich jetzt sage, das ist so wahr, wie
+daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du
+mich heiraten willst, so werd&rsquo; ich nicht widerstehen
+und werd&rsquo; auch das Kind bei mir behalten,
+bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es
+zu denen zurück, die es beerben wird. Sagst
+du aber deiner Mutter oder sonst einem auf der
+Welt, was du mir angetan hast, dann nehm&rsquo; ich
+mir am selbigen Tage den ersten besten Kahn
+von denen, die am Ufer stehen, und fahre hinaus
+und komme nicht anders wieder, als einstmals
+der Jurris kam. Nun weißt du&rsquo;s.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt
+an ihm vorüber dem Hofraum zu.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-404" class="pagenum" title="404"></a>
+Er aber hatte seinen Willen. Und was heute
+noch daran fehlte, das mußte die Zukunft ihm
+bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner
+Gewalt war.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Vormittag kam die Alte auf
+Freischaft.
+</p>
+
+<p>
+Sie sah noch böser, noch verdrossener aus,
+und als sie die Marinke küßte, war&rsquo;s ihr, als gösse
+der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus.
+</p>
+
+<p>
+Aber sie widerstand nicht mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mochte die gute Mutter ihr auch weinend
+Rücken und Hände streicheln, mochte der gnitschige
+Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen
+versprechen, &mdash; sie blieb fest. Und auch was mit
+dem Kinde werden sollte, bestimmte sie nach
+ihrem Willen.
+</p>
+
+<p>
+Der alte Enskys hatte schon alles besorgt,
+was nötig war, um den Enkel an eigener Kindesstatt
+anzunehmen, aber das durfte nun erst in
+Kraft treten, wenn Marinkes Leib von neuem
+gesegnet war. Bis dahin sollte der Kleine bei
+seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die
+Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat.
+</p>
+
+<p>
+So wurde es festgemacht, und niemand sagte
+mehr Nein.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-9">
+9
+</h3>
+
+<p class="first">
+Die Hochzeit wurde bald nach dem Erntedankfest
+gefeiert. Die alten Enskys hatten sie
+<a id="page-405" class="pagenum" title="405"></a>
+ausgerichtet, besser noch, als ob die Marinke
+ihres Sohnes richtige Frau gewesen wäre. Wer
+einen Stein auf ihre Sittsamkeit hatte werfen
+wollen, dem fiel er nun aus der Hand. Und
+nur die alte Wölfin grollte und kicherte höhnisch
+in sich hinein.
+</p>
+
+<p>
+Am Morgen des ersten Tages &mdash; lange vor
+Sonnenaufgang &mdash; war Marinke auf den Kirchhof
+gegangen, um von dem Grabe des Jurris
+Abschied zu nehmen, denn daß ihre Gänge hierher
+von nun an nicht gern gesehen sein würden,
+das ahnte sie wohl. Sie betete und stärkte sich
+für das schwere Leben, das vor ihr lag. Auch
+bat sie ihm noch einmal alles Unrecht ab, das sie
+ihm im geheimen angetan hatte und wodurch
+er auch schließlich zu Tode gekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Sie wußte, daß ihr künftiges Dasein wohl
+nichts wie eine große Buße sein würde, und
+die nahm sie auf sich mit Freuden.
+</p>
+
+<p>
+Am frühen Vormittag kamen ihre Eltern
+angefahren. Auch die zwei erwachsenen Brüder
+fanden sich ein, die waren zu Pferde gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Obgleich alle vier sie oftmals herzten und
+küßten, erschienen sie ihr nur wie weitläufige
+Verwandte. Sie hatte sie ja auch seit Jahren
+kaum noch gesehen.
+</p>
+
+<p>
+Die Stiefmutter, deren Mißgunst sie einst
+von hinnen getrieben hatte, schämte sich ein
+<a id="page-406" class="pagenum" title="406"></a>
+wenig, daß die Hochzeit nicht im Vaterhause ausgerichtet
+worden war, und erzählte jedem, mit
+dem sie bekannt wurde, es wäre nur der weiten
+Entfernung wegen nicht geschehen und außerdem,
+weil die Eltern des verstorbenen Bräutigams
+durchaus darauf bestanden hätten, das Fest an
+Ort und Stelle zu feiern. Und noch drei oder
+vier sonstige Gründe führte sie an.
+</p>
+
+<p>
+Der Vater hatte das Heiratsgut gleich mitgebracht
+und trug den Beutel mit den vielen
+Goldstücken immer in der Hand. Er blickte bei
+jeder Gelegenheit nach der Stiefmutter hinüber,
+und man erkannte wohl, daß er keinen anderen
+Willen besaß als den, den sie ihm eingab.
+</p>
+
+<p>
+Sobald sie eingesehen hatte, daß die Marinke
+in diesem Hause wie eine Tochter geehrt wurde
+und die Gefahr, sie könne vielleicht einstmals
+hilfesuchend bei ihr anklopfen, nicht bestand, trat
+sie an sie heran, umarmte sie und sagte, so laut,
+daß die Enskene es hörte: &bdquo;Du wirst hoffentlich
+dessen gedenk sein, meine Tochter, daß du in
+deinem Elternhause eine Zuflucht hast und keine
+Fremden brauchst, dich zu beschützen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene erwiderte darauf: &bdquo;Ebenso
+wirst du hoffentlich dessen gedenk sein, meine
+Tochter, wer eigentlich die Fremden sind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Obgleich die Stiefmutter durch diese Gegenrede
+gedemütigt wurde, schwieg sie ganz still,
+denn sie hatte erreicht, was sie wollte.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-407" class="pagenum" title="407"></a>
+Das Kind begehrte keiner von der Familie
+zu sehen, und es wurde ihnen auch nicht gezeigt.
+</p>
+
+<p>
+In der Kirche sah die Marinke den Jozup
+an diesem Tage zum ersten Male, denn es war
+damals in manchen Orten noch Sitte, daß Braut
+und Bräutigam &mdash; jeder mit seinem Anhang &mdash;
+gesondert zur Kirche fahren und nicht früher
+zueinandertreten, als bis der fromme Gesang
+zu Ende ist und der Pfarrer vor dem Altare steht,
+den Segen über sie zu sprechen.
+</p>
+
+<p>
+Auf der rechten Seite saßen die Brautgäste,
+und die auf der linken, die zu dem Bräutigam
+gehörten, sahen feindlich herüber.
+</p>
+
+<p>
+Die hatte die Alte schon alle aufgehetzt, weil
+die Marinke keinen Rautenkranz trug, sondern
+bereits das dunkle Frauentuch angelegt hatte,
+das ihre blonden Haare umschlang und verdeckte.
+</p>
+
+<p>
+Und das kam daher, daß sie eine Entweihte
+war, wie die alte Wölfin jedem zuraunte, der
+es längst wußte und nichts dabei gefunden hatte,
+bis die Verachtung so in ihm wach wurde.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup sah und hörte nichts von dem
+allen. Er starrte bloß immer mit einem wilden
+und freudigen Leuchten des Auges zu der Marinke
+herüber, als wollte er ihr zurufen: &bdquo;Hab&rsquo;
+ich dich endlich?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie neigte den Kopf in Ergebung, als
+müßte sie ihm erwidern: &bdquo;Ja, nun hast du mich
+ganz.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-408" class="pagenum" title="408"></a>
+Und als der Pfarrer hernach das Jawort
+von ihr verlangte, sprach sie es so hell und deutlich,
+als hätte statt des Jozup der Jurris an ihrer
+Seite gestanden.
+</p>
+
+<p>
+Die Enskene aber schluchzte hell auf. Auch
+sie gedachte dessen, der in der Erde lag.
+</p>
+
+<p>
+Die alte Sitte hierorts verlangt, daß Braut
+und Bräutigam vom Kruge aus, wo die Trauung
+begossen wird, ein jeder gesondert nach
+Hause fahren, um erst am zweiten Tage der
+Feierlichkeiten fürs Leben zusammenzukommen;
+aber der folgte man nicht mehr, sondern schlug,
+wie es jetzt immer üblicher wurde, gemeinsam
+den Weg zur Brautwohnung ein.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup saß neben seiner jungen Frau.
+Er sprach nicht zu ihr und sah sie nicht an, aber
+wenn beim Fahren ihre Achsel gegen die seine
+schlug, zitterte er wie ein Kranker, so daß ihr
+angst und bange wurde. Und noch bänger wurde
+ihr, wenn sie sich umwandte und auf dem zweiten
+Wagen die Alte sitzen sah, die die Lippen eingekniffen
+hatte und deren Blick sie durch und durch
+stach.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er wird mich mit seiner Liebe fressen,&ldquo;
+dachte sie, &bdquo;und die Alte mit ihrem Haß.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In dem Hochzeitshause war alles aufs Beste
+gerichtet. Die Türrahmen mit Gewinden umgeben
+und Ehrenpfosten bis an das Hoftor. Die
+Tische konnten all die guten Gerichte nicht fassen.
+<a id="page-409" class="pagenum" title="409"></a>
+Da gab es Rindfleisch mit Reis und Pflaumen
+mit Klößen, auch Schweinebraten gab es und
+Neunaugen, gewürzt und gesäuert. Und noch
+vieles andere mehr, von dem süßen Fladen gar
+nicht zu reden. Zum Trinken war da: Braunbier
+und Alaus und Kirschen- und Kornschnaps &mdash;
+alles sehr reichlich.
+</p>
+
+<p>
+Im Brautwinkel, wo neben dem jungen
+Paare die vornehmsten Gäste sitzen, stand sogar
+in hochhalsigen Flaschen der teure Portwein;
+der war aus Memel extra verschrieben.
+</p>
+
+<p>
+Aber allen diesen Herrlichkeiten zum Trotz
+wollte eine behagliche oder gar freudige Stimmung
+nicht aufkommen. Die Verwandten des
+Bräutigams hielten sich abseits von den Verwandten
+der Braut, giftige Blicke flogen hin
+und her, und wer beiden Seiten freundlich gesinnt
+war, der sah mit Sorge, daß, wenn das
+Haderwasser erst seinen Dienst tat, giftige Reden
+nachfolgen würden.
+</p>
+
+<p>
+Zum Überfluß hetzte die alte Wilkene noch
+immer. Ihr Sohn habe was Besseres verdient,
+als Jungfernkinder großzuziehn, und niemandem
+könne es als Ehre gelten, auf einer Hochzeit zugegen
+zu sein, bei der die Brauteltern, anstatt
+sie auszurichten, sich als Gäste breitmachen.
+</p>
+
+<p>
+Die beiden Wirtsleute mühten sich umsonst,
+den drohenden Sturm zu verscheuchen. Die gute
+Mutter schleppte Teller und Gläser, als wäre
+<a id="page-410" class="pagenum" title="410"></a>
+sie die letzte der eigenen Mägde, und wie mißtrauisch
+der Alte auch sonst die Schätze seiner
+Truhen hütete, heute öffnete er die Deckel weit
+und verteilte Handschuhe und Handtücher in
+Menge, selbst seidengewebte Jostbänder verteilte
+er. Die lagen seit hundert Jahren in dunklem
+Verstecke.
+</p>
+
+<p>
+Aber nichts wollte helfen. Die Magila,
+die Göttin des Zornes, saß schon im Rauchfang,
+und fuhr sie hernieder mit Ruten und Peitsche,
+dann wehe!
+</p>
+
+<p>
+Die arme Marinke traute sich nicht mehr
+zu reden, zu lächeln, und der Jozup saß da mit
+eingekniffenen Fäusten und Augen, die flammten
+nach rechts und nach links, als wolle er bald
+dem, bald jenem stracks an den Hals.
+</p>
+
+<p>
+Und immerzu ging das Getuschel der Alten.
+Wie ein Messerstich hierhin und dorthin flog schon
+ab und zu ein häßliches Wort durch die eintretende
+Stille.
+</p>
+
+<p>
+Wäre der Pfarrer zugegen gewesen, dann
+hätte sich wohl alles anders gestaltet. Er war
+ja auch geziemend geladen, aber er hatte gleich
+abgesagt, und jeder mochte sich denken, weshalb.
+</p>
+
+<p>
+Als einziger Deutscher saß der Lehrer unter
+den Gästen, aber der war noch sehr jung und besaß
+nicht Ansehen genug, die Seelen sich untertänig
+zu machen.
+</p>
+
+<p>
+So konnte das Unheil weiter gedeihen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-411" class="pagenum" title="411"></a>
+Einer der Nachbarn, sonst ein verträglicher
+Mann, der harmlos gekommen war, sich zu vergnügen,
+hob mit einemmal sein Glas und rief
+zu dem Brautvater hinüber: &bdquo;Du &mdash; prost auf
+die billige Hochzeit!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das gab natürlich den Anstoß zu bösem Gelächter.
+Der alte Tamoszus sprang auf und
+wollte dem Höhnenden sein Glas an den Kopf
+werfen, andere fielen ihm in den Arm, ein
+großes Lärmen hub an, &mdash; das Schlimmste
+schien nun gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Da geschah etwas, was niemand geahnt oder
+für möglich gehalten hätte. Wäre der Herrgott
+vom Himmel herniedergestiegen, um Frieden zu
+stiften, keiner hätte sich mehr gewundert als jetzt.
+</p>
+
+<p>
+Und es war ja auch eine Art von Herrgott,
+ein &bdquo;Wieszpatis&ldquo; war es, der sich selber bemühte.
+</p>
+
+<p>
+Wer kannte nicht die zwei weißen Trakehner,
+die plötzlich herangebraust kamen? Wer kannte
+nicht den Mikas auf dem Bock mit der Mardermütze
+und der rotsamtnen Troddel? Wer kannte
+nicht das Lacklederverdeck mit den silbernen
+Bügeln?
+</p>
+
+<p>
+Und wer kannte nicht den Mann, der fünf
+Fuß zehn Zoll hoch mit blitzendem Auge unter
+buschigen Brauen und auseinandergestrichenem
+dunklem Barte schwer und gewaltig den blautuchenen
+Polstern entstieg, um sich dann umzuwenden
+<a id="page-412" class="pagenum" title="412"></a>
+und einer Dame im seidenen Schleier
+und seidenen Mantel aus dem Innern zu helfen?
+</p>
+
+<p>
+Ja, wenn <em>der</em> zur Hochzeit kam! Der und
+die Frau, die alle liebten, wie man einstmals
+die Milda geliebt hat, die Göttin, die nicht bloß
+schön war, sondern in ihrem Gutsein sich auch
+zu den Demütigen neigte!
+</p>
+
+<p>
+Wenn <em>das</em> geschah, dann gab es nicht Hadern
+mehr und nicht Hochmut. Dann gab es keine
+Entweihte mehr mit dem Frauenkopftuch, da
+wo der Rautenkranz und die silberne Krone hingehört
+hätten. Dann gab es nur Frieden und
+Glück und Geehrtsein.
+</p>
+
+<p>
+Alle, die vor der Tür und im Hausflur tafelten,
+erhoben sich stumm von den Sitzen, und
+so betraten beide suchend die Stube, in der sein
+Kopf die Decke durchstoßen hätte, wenn er sich ganz
+hätte aufrichten wollen. Auf den Brautwinkel
+gingen sie zu und gaben der Marinke freundlich
+die Hand, die blutübergossen und stumm den
+Blick auf die Dielen geheftet hielt. Und auch
+den Jozup begrüßten sie &mdash; glückwünschend, daß
+er solch eine Frau, deren Wert sie ja kannten,
+sich zu eigen genommen. Und dann begrüßten
+sie die Wirtsleute wie alte Freunde, und sie, die
+Herrin, wechselte einen ernsten Blick mit der
+Mutter, den nur sie beide verstanden, und die
+Marinke, die gerade erst aufzusehen wagte.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Stiefmutter, die eine ansehnliche und
+<a id="page-413" class="pagenum" title="413"></a>
+immer noch hübsche Frau war, drängte sich vor,
+um auch einen Gruß zu bekommen, aber die
+Herrschaften achteten ihrer nicht mehr, als ob sie
+ein Unkraut gewesen wäre.
+</p>
+
+<p>
+Und auch die alte Wilkene erkannten sie nicht,
+oder vielleicht wußten sie gar nicht, daß eine
+Bräutigamsmutter noch da war.
+</p>
+
+<p>
+Dann setzten sie sich dem jungen Ehepaar
+gegenüber, und er, der Wieszpatis, zog einen
+Kasten unter dem Arme vor und reichte ihn hin.
+Der war innen mit Seide gefüttert, und auf
+der hellblauen Seide lagen silberne Messer und
+Gabel und Löffel, die kosteten hundert Taler
+und mehr. Das war sicher.
+</p>
+
+<p>
+Noch niemals hatte man jemand gekannt,
+dem zur Hochzeit solch eine Gabe beschert worden
+war.
+</p>
+
+<p>
+Und der Herr sagte: &bdquo;Ihr alle sollt daraus
+erfahren, wie treu die Marinke mir einstmals
+gedient hat und wie hoch meine Frau und ich
+ihre Dienste heute noch schätzen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie aber, die Herrin, sagte auf Deutsch, denn
+Litauisch konnte sie nicht: &bdquo;Es muß ein besonderes
+Glück für Sie sein, Herr Wilkat, daß Sie dem
+Kindchen ihres toten Freundes den Vater ersetzen
+dürfen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da fuhr die Marinke erschrocken hoch, denn
+des Kindes war heute noch niemals von einem
+gedacht worden.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-414" class="pagenum" title="414"></a>
+Und die Herrin fragte: &bdquo;Kann man es sehen,
+Marinke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lief die Mutter Enskys rasch in die Kammer,
+wo die Wiege versteckt war, und brachte
+es angetragen in seinen rotbunten Kissen.
+</p>
+
+<p>
+Und die Herrin nahm es auf ihre Arme und
+schaukelte es und sagte: &bdquo;Ein hübsches Jungchen.
+Es ähnelt dem Vater, soweit ich mich an ihn
+erinnere. Findest du nicht auch, John?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Wieszpatis wollte das gleiche aussprechen,
+da gewahrte er, daß die Augen der Marinke
+sich auf ihn richteten mit einem Blicke so voller
+Inbrunst und Angst, daß er ganz stutzig wurde,
+und darum nickte er nur bedächtig und nachsinnend
+vor sich hin. Nachdem sie dann ein Glas Wein
+auf das Wohl des jungen Paares geleert hatten,
+nahmen die Herrschaften freundlichen Abschied
+und fuhren von dannen.
+</p>
+
+<p>
+Das Kind und das Silberbesteck aber gingen
+noch lange Zeit bei den Gästen von einem Schoß
+auf den andern und wurden abwechselnd bekuckt
+und bewundert.
+</p>
+
+<p>
+Und nur die alte Wilkene, die murmelnd und
+kichernd draußen herumlief, wollte von beiden
+nichts wissen.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-10">
+10
+</h3>
+
+<p class="first">
+Das Gehöft, das die Leute das &bdquo;Wolfsnest&ldquo;
+nannten, lag ein wenig abseits vom Dorfe und
+<a id="page-415" class="pagenum" title="415"></a>
+war gewiß die stattlichste Wirtschaft unter den
+fünfen, denen man Hochachtung schuldete. Aber
+man sah nicht viel davon, denn es war auf drei
+Seiten von einem Erlengehölze so dicht umgeben,
+daß man höchstens bei Nacht die Lichter durchschimmern
+sah.
+</p>
+
+<p>
+Was darinnen vorging, blieb jedem Nachbarn
+verborgen. Und nur wer von der Landseite
+herfuhr, gewahrte die roten Ziegeldächer,
+die als Wahrzeichen des Wohlstandes selbst Stall
+und Scheune bedeckten.
+</p>
+
+<p>
+Wer durch das Gittertor eintrat, wurde erst
+recht überrascht durch die schönen Maschinen,
+die auf dem Hofe der Reihe nach standen.
+</p>
+
+<p>
+Hier die Wirtin zu sein, mußte jede mit ehrfürchtigem
+Stolze erfüllen, die auf Arbeit hielt
+und auf Ordnung.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke fand sich rasch in das neue
+Leben, und war sie von Kindesbeinen an fleißig
+und tüchtig gewesen, wie hätte sie&rsquo;s hier nicht
+sein sollen, wo sie auf eigenem Boden stand?
+</p>
+
+<p>
+Das erkannte voll Ingrimm sogar die Schwiegermutter
+an, wenn sie vom Fenster der Altsitzerstube
+aus, bereit zu Tadel und Zank, das
+Wirken der Hausfrau verfolgte. Und sie hütete
+sich wohl, sich an ihr zu vergreifen oder den Sohn
+gegen sie aufzubringen. Beides versparte sie sich
+auf günstigere Zeit. Nur daß sie niemals zur Mahlzeit
+erschien und ohne Gruß aus und ein ging.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-416" class="pagenum" title="416"></a>
+Die Marinke kümmerte sich nicht viel um
+ihr feindseliges Benehmen, denn sie hatte ja
+Schlimmeres erwartet. Wie Jozup sich stellen
+würde, wenn es zwischen ihr und der Alten zu
+offenem Zwiste kam, das wußte sie nicht. Ob
+er ihr auch in heißer Liebe zugetan war, der
+Mutter würde er doch wohl nicht Unrecht geben,
+denn er mußte ihr ewiglich dankbar sein, weil
+sie ihn in der Erbfolge den älteren Brüdern vorgezogen
+hatte. Der eine war Schutzmann in
+Berlin, und der andere stand kurz vor dem Versorgungsschein.
+Schreiben taten sie beide nicht
+mehr.
+</p>
+
+<p>
+Mit dem Jozup war&rsquo;s eine eigene Sache.
+Manchmal, wenn er dasaß und sie ansah halbe
+Stunden lang, ganze Stunden lang, ohne ein
+Wort zu reden, und sie gleichsam aufzehrte mit
+seinen schwarzen Rauschbeerenaugen, dann dachte
+sie innerlich schaudernd: &bdquo;Das ist zu viel, das
+darf nicht sein, das geht wider Gottes Macht
+und Willen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wenn er bei ihr lag und zitterte vor
+allzugroßer Liebe und ihr nicht nahe zu kommen
+wagte, dann dachte sie wieder: &bdquo;Das ist die
+Strafe, weil er sich an dem Jurris vergangen
+hat.&ldquo; Bis er sich dann auf sie stürzte wie ein
+wildes Tier, so daß <em>sie</em> nun zitterte vor seiner
+allzugroßen Liebe. Und manchmal dachte sie
+dabei: &bdquo;Vielleicht ist er wirklich ein Werwolf und
+<a id="page-417" class="pagenum" title="417"></a>
+heißt nicht bloß so.&ldquo; Aber dann warf sie die
+Furcht wieder ab und tröstete sich: &bdquo;Das kommt
+bloß daher, daß er zu lange nach mir begehrt hat
+und ganz ohne Hoffnung gewesen ist. Und nun
+kann er&rsquo;s noch immer nicht fassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und dann war es ihr manchmal, als könnte
+sie ihn mit der Zeit auch wiederlieben. Aber ihr
+Herz war immer noch auf dem Kirchhof, dort,
+wo der Jurris lag. Und hätte sie sich getraut, ab
+und zu an das Grab zu gehen, ihr wäre manches
+leichter geworden.
+</p>
+
+<p>
+Auch auf das Kind übertrug der Jozup seine
+wilde Liebe. Ob es sein eigenes war oder nicht,
+darüber hatten sie beide nicht mehr geredet, und
+Marinke war wohl darauf bedacht, ihm seinen
+Glauben zu lassen, denn sie wußte, wenn&rsquo;s anders
+käme, würd&rsquo; es ihr schlecht gehn.
+</p>
+
+<p>
+Er nannte den Kleinen auch nicht &bdquo;Jurris&ldquo;,
+wie er getauft war, sondern &bdquo;Wilkiutis&ldquo; oder
+&bdquo;Wilkytis&ldquo;, was gar kein christlicher Vorname ist,
+sondern das &bdquo;Wölfchen&ldquo; bedeutet. Und er war
+ganz zornig, wenn die Dienstboten nicht taten
+wie er. Nur die Marinke durfte seinen wirklichen
+Namen noch in den Mund nehmen, aber schließlich
+brachte sie&rsquo;s auch nicht mehr übers Herz und
+nannte ihn immer bloß &bdquo;Kindchen&ldquo; oder auch
+&bdquo;Liebling&ldquo;.
+</p>
+
+<p>
+Der Kleine wuchs rasch heran und konnte
+gehen und sprechen, noch ehe das erste Ehejahr
+<a id="page-418" class="pagenum" title="418"></a>
+um war. Und der Jozup spielte mit ihm wie
+der Wolf mit seiner Brut vor der Höhle im Sonnenschein.
+Lag lang auf der Erde und ließ ihn
+klettern über sich her und hob ihn hoch in die
+Luft, und dann mußte er sehen, wie er von den
+Handflächen wieder herabkam.
+</p>
+
+<p>
+Um das Erlengehölz aber schlichen oft in der
+Dämmerung zwei alte Leute und kuckten sich die
+Augen entzwei nach dem künftigen Erben, und
+kuckten nicht minder nach der Marinke, ob ihr
+Leib noch immer nicht Spuren zeige von kommendem
+Segen, damit alsbald der Vertrag in
+Kraft treten könne, der ihnen den Enkel zurückgab.
+</p>
+
+<p>
+Den Hof zu besuchen, war ihnen verboten,
+obwohl der Alte die Vormundschaft hatte, und
+ebenso durfte Marinke nie mehr zu ihnen gehen.
+Oft hätte sie gern ihren Kopf auf den Schoß der
+Mutter gelegt und sich streicheln lassen von
+ihren verständigen Händen, aber um des lieben
+Friedens willen entbehrte sie auch das.
+</p>
+
+<p>
+Um wenigstens etwas von ihr und dem Kinde
+zu haben, hatten die Alten es auf sich genommen,
+den Milchwagen, der ja zum Verladen der Kannen
+bei den Besitzern immer reihum fuhr, selbst
+zu kutschieren, wenn ihre Woche gekommen war.
+Aber der Jozup ließ die Kannen schon vorher
+an den Rand des großen Weges bringen, wo sie
+herrenlos standen, bis der Wagen sie auflud, und
+<a id="page-419" class="pagenum" title="419"></a>
+als die Alten sich dumm stellten und unter diesem
+oder jenem Vorwand doch aufs Gehöft fuhren,
+da machte er kurzen Prozeß und trat aus der
+Genossenschaft aus. Und das tat er um so lieber,
+als er selber nicht gerne mehr nach Augustenhof
+hinwollte. Den Grund sagte er nicht, und vielleicht
+besaß er auch keinen. Aber den Wieszpatis
+nannte er nur noch &bdquo;den Deutschen&ldquo;, und das
+schöne Besteck sah er nicht an. Das lag auf
+dem Grunde des Schrankes und zehn Schichten
+Kleider darübergefliehen.
+</p>
+
+<p>
+Nun war der liebe Jurris schon zwei Jahrchen
+tot, und der Tag seines Sterbens kam heran.
+</p>
+
+<p>
+Ob der Jozup sich dessen erinnerte oder auch
+nicht, kurz, um die Stunde, in der damals das
+alles geschehen war, erklärte er plötzlich, er wolle
+aufs Haff hinaus, mit dem Keitelnetz ein Gericht
+Fische zu fangen. Er tat das sehr selten, denn
+den Fischer zu spielen war er zu stolz. Und wie
+er die Marinke zum Abschied küßte, da war
+Triumph in seinem Auge, so daß sie sich dachte:
+&bdquo;Jetzt geht er Gott danken und sich freuen an
+seiner Gewalttat.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und weiter dachte sie: &bdquo;Soll der arme Jurris
+nun ganz allein da liegen und denken, ich hab&rsquo;
+ihn vergessen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie wußte, die Eltern gingen nicht gern auf
+den Kirchhof, und der Vorwurf in ihr sprach
+lauter und lauter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-420" class="pagenum" title="420"></a>
+Darum nahm sie den kleinen Jurris kurzweg
+bei der Hand, denn es mußte ja aussehen
+wie ein ganz kleiner Spaziergang. Sobald sie
+aber hinter den Erlen war und die Alte ihr nicht
+mehr nachblicken konnte, hob sie ihn auf den
+Arm und schritt, so rasch sie konnte, dem Kirchhof
+zu, der wohl eine halbe Stunde entfernt lag.
+</p>
+
+<p>
+Das Grab war ziemlich verfallen. Frische
+Blumen lagen nicht darauf, und auch sie hatte
+ja keine mitbringen können. Darum pflückte sie
+Blätter von den Ahornbäumen, und weil sie
+zufällig ein Knäulchen Zwirn in der Tasche hatte,
+machte sie sich daran, eine schöne Girlande zu
+winden, die den Grabhügel der Länge und Breite
+nach festlich umrahmen sollte. Zeit hatte sie
+genug, und der Kleine grub artig im Sande.
+</p>
+
+<p>
+Ihm die Zeit zu vertreiben, sang sie ein Lied,
+und auch weil ihr hier an dem Grabe so wohl war.
+</p>
+
+<p>
+Sie sang:
+</p>
+
+<div class="poem-container">
+ <div class="poem">
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">&bdquo;Dort unter den Linden</p>
+ <p class="verse">In jenem Grabe,</p>
+ <p class="verse">Da liegt und schlummert</p>
+ <p class="verse">Mein lieber Knabe.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Auf seinem Denkmal</p>
+ <p class="verse">Stehet zu lesen,</p>
+ <p class="verse">Wie schön und tapfer</p>
+ <p class="verse">Er einst gewesen.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Mit Blumen schmück&rsquo; ich&rsquo;s</p>
+ <p class="verse">In jedem Lenze,</p>
+<a id="page-421" class="pagenum" title="421"></a>
+ <p class="verse">Sitz&rsquo; auf dem Grabe</p>
+ <p class="verse">Und flecht&rsquo; ihm Kränze.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und ranke Grünes</p>
+ <p class="verse">Rings um die Kanten</p>
+ <p class="verse">Und pflanze Goldlack</p>
+ <p class="verse">Und Amaranten.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Und klag&rsquo; und weine,</p>
+ <p class="verse">Weil sie den Knaben</p>
+ <p class="verse">Mir aus dem Brautbett</p>
+ <p class="verse">Gerissen haben.</p>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <p class="verse">Doch aus dem Herzen</p>
+ <p class="verse">Stiehlt ihn mir keine,</p>
+ <p class="verse">Und jeden Abend</p>
+ <p class="verse">Komm&rsquo; ich und weine.&ldquo;</p>
+ </div>
+ </div>
+</div>
+
+<p class="noindent">
+&bdquo;Wenn <em>ich</em> hier mit meinem Kinde an jedem
+Abend ein Stündchen sitzen könnte,&ldquo; dachte sie,
+&bdquo;ich wollte, weiß Gott, nicht weinen, sondern
+immer vergnügt sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie sich noch an ihrer Geborgenheit
+freute, da wurden mit einemmal vom Kirchhoftor
+Schritte laut, schwere, unsichere Schritte, und
+ein Klappern dabei &mdash; das kannte sie wohl.
+</p>
+
+<p>
+Sie ließ die Girlande liegen, nahm das Kind
+auf den Arm und ging der Schwiegermutter
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Die schwang die Krücke und schrie: &bdquo;So also
+bist du dem Jozup treu, du Allerweltsfrauenzimmer,
+daß du selbst mit den Gräbern buhlen
+gehst? Ohne Jungfernschaft bist du ins Haus
+gekommen, den Muturis&ldquo; &mdash; das Frauenkopftuch
+<a id="page-422" class="pagenum" title="422"></a>
+&mdash; &bdquo;hat die Pestgöttin dir umgelegt und nicht
+ich. Aus der Mistpfütze bist du gekrochen, und
+nicht eher werde ich ruhen, als bis ich dich dahin
+zurückgeprügelt habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie schlug mit dem Krückstock auf die
+Marinke los.
+</p>
+
+<p>
+Die dachte nur daran, den kleinen Jurris
+zu schützen, der bitterlich zu weinen begann,
+weil einer der Schläge auch ihn getroffen hatte,
+und ging davon ohne ein Wort der Erwiderung.
+</p>
+
+<p>
+Die Alte kam nachgehumpelt und setzte sich
+vor das Hoftor, um dem Jozup aufzupassen.
+</p>
+
+<p>
+Und als er um die Dämmerstunde vom Haffe
+zurückkam, erzählte sie ihm alles. &bdquo;So hat sie
+dich beseift,&ldquo; sagte sie. &bdquo;Nun strafe sie, wie sich&rsquo;s
+gebührt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er zog die Augenbrauen noch dicker zusammen
+und kämpfte lange mit sich. &bdquo;Warum soll
+ich sie strafen?&ldquo; sagte er dann. &bdquo;Es ist besser, ihr
+Zeit zu lassen, damit das Andenken an jenen
+aussauern kann aus ihrem Gemüte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bist du ein Mann oder ein Stöpsel?&ldquo; fragte
+höhnisch die Alte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil ich ein Mann bin,&ldquo; entgegnete er,
+&bdquo;weiß ich, was ich zu tun habe.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber sie ließ ihm keine Ruhe. &bdquo;Weiche Äpfel
+faulen bald,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und wer bloß Krumen
+essen will, bricht sich am ehesten die Zähne entzwei.
+Darum tu deine Schuldigkeit an ihr.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-423" class="pagenum" title="423"></a>
+Aber er liebte die Marinke zu sehr, um sie zu
+schelten. Nur fernhalten tat er sich von ihr, und
+auch das Kind sah er nicht an wohl eine Woche
+lang.
+</p>
+
+<p>
+Und die Alte wühlte und hetzte bei jedem
+Begegnen, denn jetzt hatte sie einen Grund.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie den Krückstock gegen die Schwiegertochter
+schon einmal gehoben hatte, ohne daß
+ihr ein Übles geschehen war, so wagte sie es alsbald
+von neuem und fiel über sie her, allemal,
+wenn sie ihr nicht entweichen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Zuerst ließ die Marinke sich alles gefallen
+und war auf nichts weiter bedacht, als den
+Kleinen zu schützen. Da sie aber immer häufiger
+angefallen wurde, mußte sie sich wohl zur Wehr
+setzen. Und eines Tages &mdash; nicht weit vom Herde
+&mdash; riß sie der Krüppligen den Stock aus der Hand
+und warf sie gegen den hängenden Kessel, so
+daß ein wenig von dem kochenden Wasser herausspritzte.
+</p>
+
+<p>
+Die Alte hub sofort furchtbar zu heulen an.
+Die Schwiegertochter habe sie geschlagen und
+verbrüht, und sie zeigte den Dienstboten die
+Blasen an Hals und an Händen. Und als der
+Jozup vom Felde kam, zeigte sie sie auch ihm
+und klagte, sie sei schon seit langem ihres Lebens
+nicht sicher.
+</p>
+
+<p>
+Da geschah es zum ersten Male, daß er sich
+an seinem Weibe vergriff. Er schlug sie nicht,
+<a id="page-424" class="pagenum" title="424"></a>
+wozu ein zorniger Mann wohl das Recht hat,
+sondern warf sie schweigend über den Tisch und
+schüttelte und würgte sie, wie man mit einem
+bissigen Hunde tut.
+</p>
+
+<p>
+Als er sie losgelassen hatte, nahm sie den
+kleinen Jurris auf den Arm und rannte in ihrer
+Seelennot zu der Mutter Enskys, obwohl ihr ja
+jeder Verkehr verboten war.
+</p>
+
+<p>
+Die küßte zuerst den kleinen Jurris halbtot
+und rief dann den Alten herbei. Der tat desgleichen,
+und als Marinke ihnen alles erzählt
+hatte, wollten sie sie sogleich bei sich behalten.
+</p>
+
+<p>
+Aber die Marinke willigte nicht darein. &bdquo;Von
+hier holt er mich schon morgen vormittag,&ldquo;
+sagte sie, &bdquo;und wenn ich mich wehre, schleppt er
+mich womöglich an den Haaren zurück. Aber
+ich weiß jetzt, was ich ihm sagen werde, wenn
+ich auch nicht danach tun kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit ging sie zurück. Der Alte bat sich aus,
+ihr den Kleinen noch eine Strecke zu tragen,
+und als sie es nicht erlaubte, lief er auf seinen
+Schlorren hinter ihr drein und machte mit leeren
+Armen Eiapopeia.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Morgen wollte der Jozup
+schweigend von dannen gehen, aber sie hielt ihn
+zurück und sagte: &bdquo;Ich habe es satt, mich schlecht
+behandeln zu lassen. Ein Kind hat uns der
+Himmel bisher nicht geschenkt, es hält uns also
+auch nichts zusammen. Wenn ich auch eine böse
+<a id="page-425" class="pagenum" title="425"></a>
+Stiefmutter habe, geprügelt oder gewürgt werd&rsquo;
+ich dort nicht, und darum ist es das Beste, ich
+gehe nach Hause. Die fünfhundert Taler kannst
+du behalten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wurde weiß wie der Kalk an der Wand
+und entgegnete drauf: &bdquo;Das Einzige ist, ich teile
+ihr mit, wessen Blut in den Adern des Kleinen
+fließt. Dann wird sie&rsquo;s vielleicht weitererzählen,
+aber im Hause wird Ruhe sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da sagte die Marinke: &bdquo;Gestern vor vierzehn
+Tagen war des Jurris&rsquo; Todestag, und heute wird
+<em>mein</em> Todestag, wenn du das tust, so wahr ich
+dein Weib bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup wußte nun, daß in dieser Sache
+ihr Sinn unveränderlich war und daß er nie
+und nimmermehr daran würde rühren dürfen.
+Darum sagte er: &bdquo;Ich werde nachsinnen, ob es
+ein anderes Mittel gibt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke sagte: &bdquo;Du kannst nachsinnen,
+soviel du willst. Ein anderes Mittel, als
+daß <em>sie</em> aus dem Hause geht oder ich, wirst du
+nicht finden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup lief in der Stube umher und schrie:
+&bdquo;Sie hat mich vorgezogen, seit ich im Kinderkleid
+war &mdash; sie hat die Brüder hinausgejagt, damit
+ich hier Herr bin. Verlange du nicht zu viel
+von mir!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke erwiderte: &bdquo;Ich verlange
+ja nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-426" class="pagenum" title="426"></a>
+An demselben Morgen ging er in die Altsitzerstube
+und blieb dort länger als eine Stunde.
+Und das Ende war, daß gegen Mittag die Alte
+herauskam, das Gesicht wie behonigt, und zu der
+Marinke sagte: &bdquo;Setze meinen Teller auch auf
+den Tisch, liebe Tochter. Damit Friede wird,
+will ich fortan mit euch zusammen essen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber die Marinke traute ihr nicht, und als die
+Alte den Kleinen ihren &bdquo;Putytis&ldquo;, ihr Hähnchen,
+nannte und ihn gar auf den Arm nehmen wollte,
+zog sie ihn rasch auf die Seite.
+</p>
+
+<p>
+Von diesem Tage an war die Wilkene wie
+umgewandelt, und niemand konnte wissen, wodurch
+es geschehen war.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter Enskys aber, die alle Freitagabend
+im Erlengebüsch auf Marinke lauerte &mdash;
+&mdash; denn so war es jüngst ausgemacht worden &mdash;,
+sagte zu ihr: &bdquo;Paß gut auf, daß sie nicht an den
+Herd kommt. Ich will mich rösten lassen wie
+Flachs, wenn sie nicht darauf sinnt, dich und das
+Kind zu vergiften.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Alte aber saß allabendlich am Rande
+des Sumpfteichs hinter dem Roßgarten, um
+Fischbrut zu käschern, wie sie sagte, für die Angeln,
+die nächstens ausgelegt werden sollten, und in der
+Dunkelheit kam sie mit Kräutern beladen nach
+Hause, die sie niemandem zeigte.
+</p>
+
+<p>
+Am Sumpfteich wuchs neben der Hundsromei
+und dem Kalmus auch Wasserschierling
+<a id="page-427" class="pagenum" title="427"></a>
+in Menge. Das ganze Dorf hätte man ausrotten
+können, so viel Schierlingsstauden standen dort
+mit ihren weißlichen Schirmchen.
+</p>
+
+<p>
+Ja, die Marinke paßte gut auf.
+</p>
+
+<p>
+Daß die Alte Spiritus wollte zum Einreiben
+gegen die Gicht, das hatte nichts auf sich, aber
+daß sie sich auch das Kesselchen holte mitsamt dem
+Kocher, während sie doch jetzt immer am Tische
+aß, das gab schon mehr zu bedenken. Und
+stundenlang saß sie am Herde, um sich die Glieder
+zu wärmen, obwohl die Luft noch ganz sommerlich
+war.
+</p>
+
+<p>
+Vom Wasseransetzen bis zur fertigen Mahlzeit
+wich die Marinke nicht von der Stelle. Kaum
+den Kopf zu wenden traute sie sich, und schließlich
+wurd&rsquo; ihr ganz wirblig von dem ewigen Argwohn.
+</p>
+
+<p>
+Und eines Abends, als es Kürbisbrei gab mit
+Zucker und Rosinen, da fiel ihr ein fremder Geruch
+auf, der aus der Schüssel emporstieg. Der
+Jozup mochte wie viele den Kürbis nicht und
+kriegte was Anderes, die Alte aber bekam mit
+einemmal die Kolik, ging zu Bett und ließ sich
+Melissentee kochen, so daß nur sie selbst und das
+Kind noch übrigblieben, davon zu essen, denn
+den Leuten war schon vorher zugeteilt worden.
+</p>
+
+<p>
+Darum tat sie nur so, als ob sie aß, und gab
+auch dem Kinde nichts, füllte aber, soviel sie
+konnte, in eine breithalsige Flasche und lief
+<a id="page-428" class="pagenum" title="428"></a>
+heimlich damit zu der Mutter Enskys, damit
+sie nun tue, was not war.
+</p>
+
+<p>
+Und als der Freitagabend herankam, da
+sagte die Mutter: &bdquo;Ich bin in Heydekrug gewesen
+beim alten Settegast, der hat den Brei untersucht
+und gesagt, der Pons Stootsanwalts, wenn
+man&rsquo;s dem anzeigen wollte, wär&rsquo; mit der Hälfte
+zufrieden. Und hier auf dem Zettel steht alles.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke nahm den Zettel und ging zum
+Jozup. &bdquo;Deine Mutter ist mir die rechte,&ldquo;
+sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wieso?&ldquo; fragte er und ließ die Halsbinde
+los, denn er zog sich eben die Kleider vom Leibe.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Weil sie mich hat vergeben wollen &mdash; mich
+und das Kind.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wurde so rot, als müsse er an ihren Worten
+ersticken, und riß sich das Hemd am Halse entzwei.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich habe das Versprechen getan, dich niemals
+zu schlagen,&ldquo; sagte er, &bdquo;aber du machst es
+einem recht schwer.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hier ist der Zettel,&ldquo; sagte sie.
+</p>
+
+<p>
+Er las den Namen des alten Settegast, den
+jeder ehrte weit und breit, und so rot, wie er gewesen
+war, so blaß wurde er nun. Und dann
+ließ er sich alles von ihr erzählen. Auch daß die
+Mutter Enskys die Probe zur Apotheke getragen
+hatte, verschwieg sie ihm nicht. &bdquo;Straf mich,
+wenn du willst,&ldquo; sagte sie, &bdquo;aber das Kind mußt&rsquo;
+ich am Leben erhalten, gleichviel, wer sein Vater
+<a id="page-429" class="pagenum" title="429"></a>
+ist. Und das Beste wird sein, du läßt mich jetzt
+gehen, sonst gelingt es mir doch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du und das Kind bleiben hier,&ldquo; erwiderte er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Gut,&ldquo; sagte sie, &bdquo;dann muß deine Mutter
+fort, oder ich zeige sie an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du zeigst sie an?&ldquo; fragte er, als ob er nicht
+recht gehört hätte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;So wahr ich ein Kind habe, ich zeige sie an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da lief er hinaus, halbnackt wie er war, und
+kam die ganze Nacht nicht mehr wieder. Auch
+am nächsten Morgen war er nirgends zu sehen,
+erst gegen Mittag trat er mit einemmal aus der
+Altsitzerstube. Er zitterte am ganzen Leibe und
+sagte: &bdquo;Ich habe mit der Mutter gesprochen.
+Was sie jetzt tun muß, das habe ich ihr schon damals
+prophezeit und habe für alle Fälle mit den
+Brüdern das Nötige geordnet. Sie werden die
+Hälfte aller Einkünfte bekommen und sie dafür
+in Pflege nehmen, solange sie lebt. Siehst du
+nun wohl, wie lieb du mir bist &mdash; du und das
+Kind?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Drei Tage später fuhr die Alte ab. Sie hatte
+kaum einen Widerspruch zu leisten gewagt, denn
+sie wußte, die Anzeige drohte.
+</p>
+
+<p>
+Als sie auf dem Wagen saß, mit dem der
+Jozup sie zur Bahn brachte, reckte sie noch einmal
+den Krückstock nach der Marinke und schrie
+ihr den schwersten Fluch an den Hals: &bdquo;Mag der
+Perkuhns dich treffen nach Bartholomä!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-430" class="pagenum" title="430"></a>
+Und da es bis zum nächsten Bartholomä
+noch lange hin war, verbesserte sie sich: &bdquo;Nein,
+noch vorher, jetzt gleich soll der Perkuhns dich
+treffen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da zogen die Pferde an, und sie fuhr in
+die Weite, dorthin, wo kein Litauergott mehr
+donnert.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-11">
+11
+</h3>
+
+<p class="first">
+Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man
+glückliche nennen.
+</p>
+
+<p>
+In Marinkes Herzen wurde das Bild des
+Jurris allmählich blasser und blasser. Da eine
+Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte
+sie manches liebe Mal nach seinem Grabe sehen
+können, aber es drängte sie nichts mehr dorthin.
+</p>
+
+<p>
+Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler
+heran, der sich die Butter vom Brote nicht
+nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen
+bis zum Abend in die Welt hinauskrähte.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn
+darin zu bestärken, und wenn der Junge recht
+unartig war, sagte der Vater: &bdquo;So ist&rsquo;s gut,
+mein Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe
+zur Weide führen und setzte ihn jedem Tier
+auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit
+vier Jahren ritt er bereits auf der bockigen
+<a id="page-431" class="pagenum" title="431"></a>
+Schimmelstute, und die war auch sonst nicht die
+frömmste.
+</p>
+
+<p>
+Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger
+zwischen den beiden, und als der fünfte
+Frühling herankam und die künftige Schulzeit
+schon drohte, da nahm der Jozup ihn morgens
+sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die Lenkstange
+der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen
+Zipfel des Säelakens zu tragen und meinte:
+&bdquo;Das muß das Erste sein, was ein Wirtssohn
+erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und
+Rechnen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ein Glück war&rsquo;s &mdash; ein unaussprechliches und
+nie besprochenes &mdash;, daß noch immer kein Zeichen
+sich meldete, der kleine Jurris werde ein Brüderchen
+oder ein Schwesterchen kriegen. Es war gerade
+so, als ob der Himmel selbst darüber wachte,
+daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand und
+Ruhe allmählich einkehrte.
+</p>
+
+<p>
+Im Enskysschen Hause aber lagen allabendlich
+zwei alte Leute auf ihren Knieen und flehten
+zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam
+in die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn
+und Erben zurückgeben.
+</p>
+
+<p>
+Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört.
+Die Marinke mochte sich noch so sorgsam verstecken,
+die Dienstleute trugen es doch hinaus, und bald
+wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes
+war.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-432" class="pagenum" title="432"></a>
+Der Jozup ging umher wie ein Wüterich
+und erklärte, wer ihm den Knaben nehmen wolle,
+den schieße er nieder.
+</p>
+
+<p>
+Aber als die beiden Enskys von seinen
+Reden hörten, da lachten sie nur, denn sie
+hatten es schriftlich.
+</p>
+
+<p>
+Und eines Tages waren sie dreist genug und
+erschienen beide im Hoftor.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke, die im achten Monat war und
+nur noch leichte Gartenarbeit verrichten konnte,
+saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten
+unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die
+aber hatten sie wohl gesehen und wollten gerade
+in den Garten einbiegen, da stießen sie auf
+den Jozup, der eben aus dem Hause trat.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?&ldquo;
+sagte er ihnen zum Gruße.
+</p>
+
+<p>
+Die Großelternliebe war stärker in ihnen
+als jegliche Angst, und obwohl der Alte sich ein
+wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit
+hatte er doch, um zu sagen: &bdquo;Ich würde an deiner
+Stelle versuchen, dich mit uns zu verständigen,
+denn vor den Behörden bist du ja machtlos.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da dachte er nicht anders, als sie würden
+wohl mit sich handeln lassen, und lud sie ein, in
+die Stube zu treten.
+</p>
+
+<p>
+Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Scheine
+bestanden und nur Gewißheit haben wollten,
+wann sie das Kind heimholen könnten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-433" class="pagenum" title="433"></a>
+Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke:
+wie sich den Sohn erhalten, an dem seine Seele
+hing. Für einen Augenblick stieg wohl der
+Wunsch in ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren,
+das ihn mit dessen Leben verband, aber er warf
+ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen
+wohl erkannt, daß, wenn die Marinke,
+mochte sie sonst noch so weich sein, zu einer Sache
+entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon
+abbringen konnte.
+</p>
+
+<p>
+Und ihren Leichnam aus dem Haffe fischen &mdash;
+das wollte er doch nicht.
+</p>
+
+<p>
+In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin
+und her, ob nicht ein einziger Grund sich finden
+ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich für
+immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein
+anderer ein als der, mit dem er sein Weib
+nun schändete.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jurris habt ihr ihn ja genannt,&ldquo; sagte er,
+&bdquo;aber was wißt ihr, ob er wirklich dem Jurris
+sein Kind ist?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände
+zu ihm auf, als wollte sie ihn anflehen, den Schlag
+<em>nicht</em> zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte.
+Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und
+schrie immerzu: &bdquo;Wer ist es? Wer ist es? Wer
+ist es?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und er &mdash; mehr aufs Geratewohl, als weil
+er sich eines bestimmten Verdachtes bewußt war
+<a id="page-434" class="pagenum" title="434"></a>
+&mdash; entgegnete dieses: &bdquo;Nun &mdash; es kann ja zum
+Beispiel &mdash; der &mdash; Wieszpatis gewesen sein.
+Nicht umsonst hat er Kinder sitzen weit und
+breit &mdash; und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf
+dem Hofe gewesen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom
+Blitze getroffen, der Alte aber rannte spornstreichs
+hinaus und in den Garten &mdash; dorthin,
+wo die Marinke vorhin gearbeitet hatte.
+</p>
+
+<p>
+Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn
+sie dachte, der Jozup wolle dem Alten zu Leibe,
+da schrie er auch schon: &bdquo;Nun ist es heraus, du
+Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bist du gewesen.
+Und das Kind ist von ihm. Gesteh,
+daß das Kind von ihm ist!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht
+anders, als es sei durch ein Unglück alles ruchbar
+geworden, was sie sich selber kaum eingestand,
+und den Kopf auf die Brust herabneigend entgegnete
+sie: &bdquo;Wenn du es weißt, warum fragst
+du mich erst?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da rannte er spornstreichs zurück und schrie
+es durch Garten und Hof: &bdquo;Sie hat gestanden,
+daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es
+eben gestanden.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup, der aus dem Hause trat, wurde
+so gelb wie die Asche im Eimer. Er nahm den
+Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor.
+Dort gab er ihm noch einen Stoß mit dem
+<a id="page-435" class="pagenum" title="435"></a>
+Absatz und überließ ihn seinem weinenden Weibe.
+Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem
+Leibe mühsam aus dem Garten kam.
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte: Er sieht gerade so aus, als sei
+er der Henker. Aber da sie wußte, daß nichts auf
+der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte,
+so gab sie sich drein.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Geh ins Haus,&ldquo; sagte er und blieb ihr dicht
+auf den Hacken.
+</p>
+
+<p>
+Dann peitschte er die Mägde hinaus, die
+ängstlich um die Feuerstätte standen, und folgte
+ihr in die Stube.
+</p>
+
+<p>
+Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach
+war sie geworden, und seine Augen stachen nach
+ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Also wie war das mit dem Wieszpatis?&ldquo;
+fragte er ganz freundlich.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie wird&rsquo;s gewesen sein?&ldquo; sagte sie. &bdquo;Er
+war doch der Herr, und ich war die Magd. Und
+wenn ich Sonnabends zur Abrechnung kam,
+dann hat er gesagt, ich gefall&rsquo; ihm.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und das ging so die ganzen Jahre lang?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Solang&rsquo; ich die Meierei unter mir hatte,
+wird&rsquo;s wohl gegangen sein.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Und als du merktest, daß du ein Kind von
+ihm trugst, da suchtest du dir den Jurris als Vater
+dazu?&ldquo; fragte er immer noch freundlicher.
+</p>
+
+<p>
+Sie schüttelte den Kopf. &bdquo;Nein, das war
+anders.&ldquo; Und nun berichtete sie ihm der Wahrheit
+<a id="page-436" class="pagenum" title="436"></a>
+nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal
+nach Augustenhof hatte hinkommen lassen &mdash;
+der Jozup selber war ja Vermittler gewesen &mdash;
+und wie sie allein hatte fahren müssen, weil
+der Jurris nicht war zu finden gewesen. Da
+hatte der Herr gesagt: &bdquo;Wir wollen nun Abschied
+feiern, Marinke.&ldquo; Und sie hatte gebeten und gefleht:
+&bdquo;Ach lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.&ldquo;
+Aber er war ja der Herr, und sie hatte ihm schon
+so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm
+auch diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von
+daher war alles Unglück gekommen.
+</p>
+
+<p>
+Er sagte: &bdquo;Ich habe das Gelöbnis getan,
+dich nicht zu schlagen. Und das ist dein Glück,
+sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser
+Stube kommen. Auch sollst du mir zuerst einen
+Sohn zur Welt bringen, denn das bist du mir
+jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen
+werde, das weiß ich noch nicht. Aber ich rate
+dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt hast,
+den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn
+ist Hurensohn. Und kommt er mir in den
+Weg, so schmeiß&rsquo; ich nach ihm mit allem, was ich
+grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hob die Arme nach ihrem
+Manne auf und weinte und bat: &bdquo;Wo soll ich hin
+mit ihm in meinem Zustand?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das geht bloß dich an,&ldquo; entgegnete er und
+schritt aus der Türe.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-437" class="pagenum" title="437"></a>
+Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm
+drein, um den Kleinen vor ihm zu sichern, der
+wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß.
+Und sie fand ihn auch glücklich und wartete ab,
+bis der Weg frei war, dann zog sie ihn rasch
+in die Klete.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Hole mir Betten für mich und das Kind,&ldquo;
+sagte sie zu der Hausmagd, &bdquo;denn hier werd&rsquo;
+ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und der Kleine schrie nach dem Vater, er
+wolle hinaus und mit ihm spielen, wie er&rsquo;s gewohnt
+war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus
+Furcht, der Jozup möchte eindringen und mit
+ihm tun, was er gedroht hatte.
+</p>
+
+<p>
+In der Klete hielt sie sich mit dem kleinen
+Jurris wohl vierzehn Tage auf und traute sich
+nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten
+gut für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche
+Herrin gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er
+an der Klete vorbeiging, schüttelte er die Faust
+nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus,
+wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört.
+</p>
+
+<p>
+Er nannte sein Weib eine &bdquo;Klorke&ldquo;. Und
+&bdquo;Szunjôda&ldquo; und &bdquo;Pajudêle&ldquo; nannte er sie. Das
+sind Namen, die man am besten ins Deutsche
+nicht überträgt.
+</p>
+
+<p>
+Und drohen tat er ihr auch und immer aufs
+neue. Sie konnte das Fenster noch so fest schließen,
+<a id="page-438" class="pagenum" title="438"></a>
+sie hörte und verstand ihn in allem. &bdquo;Denke
+nur nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein
+Täubchen, weil ich das Gelöbnis getan habe,
+dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand
+kommen lassen, der wird das alles statt meiner
+besorgen. Der wird dir mit der Bratpfanne den
+Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten
+streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben
+wirst, heute feiern wir Ostern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und
+dachte: &bdquo;Wer mag es nur sein, den er meint?&ldquo;
+Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben
+konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden.
+</p>
+
+<p>
+Am allermeisten hatte sie Angst um den
+Knaben, dem der Jozup Tag für Tag ans Leben
+gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit
+sich verkürzte, wurde die Unruhe größer in ihr,
+daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn aufpassen
+konnte, dem Zorne des Vaters verfallen war.
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-12">
+12
+</h3>
+
+<p class="first">
+Eines Nachmittags &mdash; es war zu Ende August,
+und die Leute arbeiteten draußen im Grummet &mdash;,
+da sah die Marinke durch das Fenster der Klete,
+daß der Jozup den Spazierwagen anspannte,
+sich einen Korb mit Essen und Trinken aufladen
+ließ und davon fuhr.
+</p>
+
+<p>
+Da wartete sie nicht länger, zog dem Kleinen
+<a id="page-439" class="pagenum" title="439"></a>
+die Sonntagskleider an und schmückte sich selber,
+so gut es ihr Zustand erlaubte. Dann wagte
+sie sich hinaus in das Freie. Die Hausmagd war
+die einzige, die auf dem Hofe geblieben war.
+Sie fragte sie nicht, wohin der Jozup sich begeben
+habe, sondern sagte nur im Vorbeigehn: &bdquo;Ich
+will jetzt den Kleinen wegbringen. Erzähle dem
+Herrn nichts davon, auch wenn ich zur Nacht
+nicht zu Haus bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und das tat sie aus Vorsicht, denn ob sie auch
+fortgehen wollte, so wußte sie doch nicht, wohin.
+Und die Magd sah ihr kopfschüttelnd nach.
+</p>
+
+<p>
+Sehr schwer war es, auf dem Wege zu bleiben,
+wenn Leute ihr entgegenkamen, denn das Geschehene
+war ja längst allen bekannt; aber jeder
+grüßte sie freundlich, wenn er auch nicht mit ihr
+sprach.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an dem Enskysschen Hofe vorbeigehen
+wollte, in dem sie so glückliche Tage verlebt hatte,
+da überfiel sie der Jammer, so daß sie sich weinend
+auf den Grabenrand setzte. Und eine Stimme
+sprach in ihr: &bdquo;Kehre an! Vielleicht daß die
+Mutter dich nicht fortweist und einen Rat für
+dich hat!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und siehe da! Es traf sich so günstig, daß
+der Alte auch auf dem Felde war und die gute
+Mutter sich keinen Zwang anzutun brauchte.
+</p>
+
+<p>
+Sie hob den Knaben gleich auf den Schoß
+und sagte: &bdquo;Da ist er nun, um den wir Jahre
+<a id="page-440" class="pagenum" title="440"></a>
+und Jahre gebetet haben, und ist ein Jungchen,
+so hübsch wie ein Bild. Nun müßte er bloß noch
+zu uns gehören.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und sie küßte ihn und sagte weiter: &bdquo;Wenn
+der Jurris noch lebte, der würde es nie erfahren
+haben und hätte ihn liebgehabt wie sein eigenes.
+Weiß Gott, mir wär&rsquo; es gleich! Ich würd&rsquo; ihn
+auch weiter liebhaben, schon weil er von dem
+Jurris ein Erbstück ist. Aber der Enskys, der will
+nicht. Der spuckt aus.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke streichelte ihr den Ärmel und
+bat: &bdquo;Sag, Mutter, was soll ich tun?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Enskene erwiderte: &bdquo;Es ist doch ein
+Vater da. Der muß sich jetzt kümmern.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Marinke erschrak in tiefster Seele, denn nie
+hatte sie daran gedacht, daß sie dem Wieszpatis
+mit ihren Angelegenheiten lästig fallen dürfe.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter Enskys fuhr fort: &bdquo;Wenn
+er erfährt, daß sein Fleisch und Blut ganz und
+gar verkommen muß und ohne Heimat ist, so
+wird er es zu sich nehmen. Denn nicht umsonst
+sagen alle, daß er ein guter Mann ist und ein
+gerechter Mann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke bebte, und eine große Mattigkeit
+kam über sie. Beinahe wäre sie von der
+Bank herab auf die Erde gesunken. Aber die
+Mutter Enskys hielt sie fest und sagte: &bdquo;Daß
+es dir schwer fällt, kann man sich denken. Es
+trifft sich aber gut, daß wir die Woche haben,
+<a id="page-441" class="pagenum" title="441"></a>
+darum kannst du gleich mit dem Milchfuhrwerk
+mitfahren, das der Hütejunge kutschiert.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber bei den andern anhalten, wenn er die
+Kannen einsammelt, das bring&rsquo; ich nicht übers
+Herz,&ldquo; sagte die Marinke.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter fand, daß das gar nicht nötig
+sein würde, der Junge könne ja erst die Runde
+machen und sie dann abholen kommen.
+</p>
+
+<p>
+Und so geschah es.
+</p>
+
+<p>
+Es war schon dunkel, als sie mit dem Kleinen
+auf Augustenhof eintraf. Der Schweizer in
+der Meierei sah sie mißtrauisch an, aber sie
+kümmerte sich nicht um ihn, sondern nahm den
+kleinen Jurris bei der Hand und schlug den Weg
+zum Herrenhause ein.
+</p>
+
+<p>
+Als sie an den Bach kam, der vom Hofteich
+in den Garten läuft, schlug ihr das Herz so sehr,
+daß sie meinte, über das Brückengeländer fallen
+zu müssen, und als sie gar lachende Stimmen
+auf der Veranda hörte und milchfarbene Windlichter
+sah, da war es vollends mit ihren Kräften
+zu Ende.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wer ist da?&ldquo; hörte sie die Stimme des Herrn.
+</p>
+
+<p>
+Und da sie nicht zu antworten vermochte,
+sagte er weiter: &bdquo;Sieh doch einmal nach, Agnes,
+wer da ist.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ein junges Mädchen kam die Treppenstufen
+herab &mdash; sollte das wirklich die Agnes sein? &mdash;
+und fragte: &bdquo;Was wünschen Sie?&ldquo; Und da sie
+<a id="page-442" class="pagenum" title="442"></a>
+noch immer nicht antwortete, rief das Mädchen
+hinauf: &bdquo;Eine Frau ist da mit einem Kinde,
+aber sie spricht nichts.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da kam er, der Herr, selber die Treppe
+herab. Und sie neigte sich vor ihm und küßte
+ihm den Ärmel.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich kann nicht recht sehen,&ldquo; sagte er. &bdquo;Bist
+du etwa die Marinke?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da bekam sie die Sprache wieder und sagte:
+&bdquo;Die bin ich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Komm herein,&ldquo; befahl er und schritt ihr und
+dem Kinde voran die Stufen empor, an lauter
+Herrenleuten vorbei &mdash; jungen und alten &mdash;, es
+waren deren mindestens sechs oder sieben. Sie
+erkannte die gnädige Frau, der küßte sie rasch
+noch die Hand, und dann ging sie durch die
+Sommerstube und den Saal und den mittleren
+Korridor immer hinter ihm her, und der Kleine
+war tapfer und quarrte nicht im geringsten.
+</p>
+
+<p>
+Und so kamen sie in sein Arbeitszimmer,
+das am Giebelende gelegen war und drei
+Polstertüren hatte, eine rechts, eine links und
+eine zum Korridor hin, durch die sie nun eintraten.
+</p>
+
+<p>
+Er drehte das elektrische Licht an, das sie noch
+nie gesehen hatte, denn damals war es Petroleum
+gewesen. Da stand noch der Schreibtisch, an
+dem sie Sonnabends immer Rechnung gelegt
+hatte, und das Ruhebett in der linken Fensterecke
+<a id="page-443" class="pagenum" title="443"></a>
+stand auch noch da. Und alles war überhaupt,
+als sei sie nie weg gewesen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte sich unter den Kronleuchter gestellt
+und betrachtete sie lange, aber von dem Kinde,
+das sie erwartete, und auch von dem, das sie an
+der Hand hielt, sagte er nichts, sondern begann
+so: &bdquo;Es hat mir leid getan, Marinke, daß dein
+Mann mir vor ein paar Jahren die Milch gekündigt
+hat. So sind wir ganz außer Verkehr
+gekommen, und ich weiß nichts mehr von dir. Du
+hast dich in der ganzen Zeit nicht einmal an mich
+gewandt, und das passiert mir in ähnlichen Fällen
+eigentlich niemals. Ich will nicht sagen, daß ich
+dir das besonders hoch anrechne, denn wenn ich
+kann, helf&rsquo; ich gerne. Aber nun setz dich hin,
+denn du wirst müde sein, und sage, was führt dich
+her?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte bloß immer: &bdquo;Und sein Kind
+sieht er nicht an.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Aber nun, wie sie sich auf die äußerste Kante
+des Ruhebetts setzte und das Kind zwischen die
+Kniee nahm, da sah er es doch.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ei ei, das ist ein strammer Kerl geworden,&ldquo;
+sagte er und streckte von seinem Schreibstuhl
+her lockend die Hand aus, wie man ein Hündchen
+lockt.
+</p>
+
+<p>
+Aber der Kleine wollte nicht und drückte sich
+nur um so enger an sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Wie werd&rsquo; ich&rsquo;s ihm bloß sagen?&ldquo; dachte
+<a id="page-444" class="pagenum" title="444"></a>
+sie. &bdquo;Das Beste wird sein, ich geh&rsquo; wieder weg,
+wie ich gekommen bin.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun also, Marinke, erzähle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich hab&rsquo; nichts zu erzählen, Ponusze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Na, na. Umsonst macht eine Frau, der es
+schwer fällt, nicht einen so weiten Weg. Also
+sag, braucht dein Mann eine Hypothek oder
+möcht&rsquo; er bauen oder sonst was? Ich geb&rsquo;, was
+er will, denn ihr seid mir sicher.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Mein Mann braucht keine Hypothek,&ldquo; sagte
+sie, &bdquo;und bauen möcht&rsquo; er auch nicht, aber es ist
+&rsquo;rausgekommen, was zwischen Ihnen gewesen
+ist, Herrchen, und mir.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Er wandte sich auf dem drehbaren Sitz kurz
+nach ihr um, so daß es knarrte, und machte sich
+ganz krumm, um ihr mit finsteren Augen scharf
+ins Gesicht zu sehen. Der Lampenschein fiel
+hart auf ihn herab.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Er ist ganz grau geworden,&ldquo; dachte sie.
+Und nun sah er vollkommen so aus, als wär&rsquo; er
+der Herrgott. Aber wie ein strenger und zorniger
+Herrgott sah er aus.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nur du und ich haben&rsquo;s gewußt,&ldquo; herrschte
+er sie an, &bdquo;und von mir hat&rsquo;s keiner erfahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Sie hätte nun sagen müssen: &bdquo;Von mir auch
+nicht,&ldquo; aber ihre Angst vor ihm war so groß, daß
+sie sich keine Antwort getraute.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; denn man gehen,&ldquo; sagte sie und
+<a id="page-445" class="pagenum" title="445"></a>
+versuchte aufzustehen. Aber sie war so schwach,
+daß sie wieder zurückfiel.
+</p>
+
+<p>
+Da sah er wohl, daß er zu schroff zu ihr gewesen
+war. Die geschliffene Karaffe stand immer
+noch auf dem Tische. Aus der schenkte er ihr
+ein Glas Wein. Und das Büchschen mit Schokolade,
+aus dem sie manches liebe Mal hatte
+naschen dürfen, hielt er dem Kleinen hin. Der
+wollte erst nicht, aber was ihm in die hohlen
+Händchen geschüttet wurde, das nahm er.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun laß uns vernünftig reden,&ldquo; sagte der
+Herr, &bdquo;und erzähl alles.&ldquo; Aber sie konnte nicht.
+Sie saß bloß so da und sah vor sich hin.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Marinke,&ldquo; sagte der Herr, &bdquo;du bist einmal
+die Freude meiner Feierabende gewesen, und
+ich habe dir nie dafür gedankt. Du hast einen
+großen Stein bei mir im Brett. Denk daran
+und faß dir ein Herz.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da faßte sie sich ein Herz und sagte frischweg:
+&bdquo;Das Kind hier ist <em>Ihr</em> Kind, Ponusze.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ei der Deiwel,&ldquo; sagte er und lachte hellauf,
+&bdquo;das ist ja ganz was Neues.&ldquo; Dann nahm er
+den Kleinen bei der Hand, führte ihn unter die
+Lampe und betrachtete ihn von oben bis unten.
+&bdquo;Wie gesagt, stramm ist er. Wenn er sich auswächst,
+kann er mir schon ähneln. Denn das
+weißt du ja, sie ähneln mir alle.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ja, das wußte sie wohl. Manchmal arbeiteten
+fünf oder sechs auf dem Hof. Wenn
+<a id="page-446" class="pagenum" title="446"></a>
+man die in eine Reihe stellte, sah einer aus wie
+der andere.
+</p>
+
+<p>
+Und er fuhr fort: &bdquo;An sich wär&rsquo;s also schon
+möglich. Aber ich denk&rsquo;, es ist deinem ertrunkenen
+Bräutigam seiner. Von dem, soviel ich
+weiß, hat er ja auch den Namen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das ist richtig,&ldquo; entgegnete sie, &bdquo;aber von
+dem ist er nicht. Und von meinem jetzigen Mann
+ist er auch nicht.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;War der denn auch dabei?&ldquo; fragte er, und
+sie konnte nicht anders als Ja sagen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Du &mdash; das ist aber ein bißchen reichlich,&ldquo;
+rief da der Herr und wußte vor Lachen sich nicht
+zu halten. Ach, dies Lachen tat ihr sehr weh!
+</p>
+
+<p>
+Bis jetzt hatten sie Deutsch miteinander gesprochen.
+Aber die Marinke sah ein, daß sie in der
+fremden Sprache nicht vorwärts kommen würde,
+wenn sie ihm alles sagen wollte. Und das
+mußte sie jetzt tun, denn er allein konnte sie
+verstehen, und es drückte ihr längst schon das
+Herz ab.
+</p>
+
+<p>
+Darum begann sie auf Litauisch zu erzählen,
+wie alles gekommen war. Er hörte ihr aufmerksam
+zu und wurde ernster und immer noch
+ernster.
+</p>
+
+<p>
+Mitten darin griff er mit der Hand nach dem
+Kleinen und hob ihn sich auf das Knie. Und
+der hatte jetzt gar keine Furcht mehr vor ihm und
+lutschte still weiter.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-447" class="pagenum" title="447"></a>
+Als sie fertig war, fuhr er ihm durch den
+Wuschelkopf und setzte ihn sacht auf die Erde.
+Sie kannte die Gewohnheit des Herrn. Er
+mußte die Beine freikriegen zum Rumgehen,
+denn das tat er immer, wenn ihm das Herz von
+irgend was voll war.
+</p>
+
+<p>
+Er ging und ging, und dann klingelte er
+und sagte dem eintretenden Mädchen: &bdquo;Man
+soll nicht auf mich warten &mdash; ich habe zu tun.&ldquo;
+Einst war sie selbst dieses Mädchen gewesen,
+und oft hatte er dasselbe zu ihr gesagt. Und
+dann ging er immer noch länger.
+</p>
+
+<p>
+Schließlich blieb er vor ihr stehen und fragte:
+&bdquo;Wie wirst du nach Hause kommen?&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Enskyssche Milchwagen wartet auf
+mich,&ldquo; entgegnete sie.
+</p>
+
+<p>
+Der große Augenblick war nun da. In ihm
+mußte das Schicksal des Kindes sich entscheiden.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Die Enskene hat gemeint,&ldquo; stotterte sie,
+&bdquo;weil es doch dein Fleisch und Blut ist, Herrchen,
+und ich nicht weiß, wohin mit ihm, so würdest
+du es vielleicht in Pflegschaft nehmen und es
+großziehen lassen auf deinem Hofe. Von Instleuten
+wohnen ja bei dir so viele.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Ursprünglich hatte sie weit Größeres von ihm
+erbitten wollen, aber jetzt, da sie das vornehme
+Herrschaftshaus wiedergesehen hatte, fühlte
+sie, daß auch dieses Wenige schwer zu erfüllen
+war.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-448" class="pagenum" title="448"></a>
+&bdquo;Du vergißt, Marinke,&ldquo; sagte er, &bdquo;daß da
+draußen die gnädige Frau sitzt, der ich Rechenschaft
+schuldig bin. Das Gerede würde sehr bald
+auch ihr zu Ohren kommen, und dann gäbe
+es Gram ohne Ende. Daß ich damals ihrem
+Wunsche nachgab, mit zu deiner Hochzeit zu
+kommen, war schon zu viel, aber ich mochte es
+ihr nicht abschlagen &mdash; auch um deinetwillen
+nicht, Kind, weil du so außer jedem Verdacht
+bliebst. Kommt&rsquo;s nun aber heraus, dann ist
+jenes eine Verfehlung gewesen, die ich nie
+wieder gutmachen kann.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke verstand nicht recht, was er
+meinte, aber daß ihr Verlangen eine Vermessenheit
+war, das wußte sie nun.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich werd&rsquo; denn man gehn,&ldquo; sagte sie zum
+zweiten Male. Diesmal fiel sie nicht von selbst
+zurück, sondern wurde von ihm an der Schulter
+gefaßt und festgehalten, so daß sie das Aufstehen
+vergaß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;In den sechsundzwanzig Jahren, die ich hier
+bin,&ldquo; sagte er, &bdquo;ist kein Fremder ohne Trost aus
+dieser Stube gegangen, und dich, die ich mal sehr
+gern gehabt habe, die sollte ich einfach in die Nacht
+hinausschicken? Das geht nicht, Marinke, wenn
+ich dir auch leider was Anderes als Geld nicht
+zu bieten hab&rsquo;.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ich will kein Geld!&ldquo; stieß sie hervor.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Verachte das Geld nicht,&ldquo; ermahnte er sie.
+<a id="page-449" class="pagenum" title="449"></a>
+&bdquo;Denn es macht die Bösen gut und die Harten
+gefügig. Ich gebe sonst jeder, die ein Kind von
+mir hat oder wenigstens sagt, daß es von mir ist,
+tausend Taler mit auf den Weg. Und noch keine
+hat sich beklagt. Diesem Jungchen will ich eine
+Mitgift geben, dreimal so groß, so daß er als ein
+wohlhabender Erbe gelten kann, und du wirst
+sehen, er findet seine Heimat noch heute abend.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Damit setzte er sich an den Schreibtisch und
+schrieb einen Schenkungsbrief über zehntausend
+Mark, und noch vieles andere schrieb er dazu,
+wie die Zinsen zu erheben seien und wie das
+Kapital einst ausgezahlt werden sollte. Das
+unterstempelte er mit dem Stempel des Amtsvorstehers,
+dessen Dienst er selber versah, und
+reichte es der Marinke.
+</p>
+
+<p>
+Die dachte bloß immer das eine: &bdquo;Aus mir
+kann nun werden, was will. Das Kind ist fürs
+Leben geborgen.&ldquo;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-13">
+13
+</h3>
+
+<p class="first">
+Als die Marinke mit ihrem schlafenden Jungchen
+auf dem Enskysschen Hofe einfuhr, saß die
+Mutter gerade so wartend im Mondschein wie
+an jenem Abend vor sechs Jahren, von dem alles
+Unglück seinen Ursprung hatte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Der Vater ist schon lange zur Ruhe,&ldquo; sagte
+sie, &bdquo;drum komm herein und stärke dich.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und nun saß die Marinke an der Feuerstelle
+<a id="page-450" class="pagenum" title="450"></a>
+genau so wie damals und aß und wußte nicht,
+was sie aß. Der Kleine aber schlief immer weiter.
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter verlangte, sie solle erzählen.
+</p>
+
+<p>
+Da zog sie den Schenkungsbrief aus der Tasche
+und reichte ihn ihr.
+</p>
+
+<p>
+Die Mutter traute ihren Augen erst gar nicht
+und ließ sich die Summe immer wieder von
+neuem sagen, bevor sie sie glaubte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Aber dann ist ja alles gut,&ldquo; sagte sie, &bdquo;und
+dann will ich erst mal den Vater wecken.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke hatte Angst, der Alte würde
+sie und das Kind sofort zur Tür hinausweisen,
+aber die Mutter lachte nur, nahm den Brief und
+ging damit nach der Stube.
+</p>
+
+<p>
+Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie wieder
+da war, und hinter ihr in Hosen und Hemd, die
+Schlorren auf nackten Füßen, kam der Alte gesprungen
+&mdash; wie ein Wiesel kam er gesprungen
+&mdash; und bot der Marinke den Willkomm und
+klatschte den Kleinen aufs nackte Knie und wollte
+ihn selber ins Bettchen tragen, denn Kinder
+müßten mit den Hühnern zur Ruhe.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke wußte nicht, wie ihr geschah.
+&bdquo;In was für ein Bettchen?&ldquo; fragte sie.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Nun, das für ihn bereit steht schon seit
+Jahren.&ldquo; Und er habe immer gesagt, das mit
+dem Wieszpatis sei nichts wie ein Schwindel.
+Das habe der Jozup sich ausgedacht, um ihn
+und die Mutter zu täuschen. Und nun sei es
+<a id="page-451" class="pagenum" title="451"></a>
+offenbar, denn für eigene Kinder gebe der Herr
+Westphal so viel bares Geld nicht aus, sonst
+wäre er längst schon ein Bettler.
+</p>
+
+<p>
+Und als die Marinke ihm verwundert dreinreden
+wollte, stieß die Mutter sie an und sagte ihr
+leise: &bdquo;Laß ihn nur immer. Er redet sich&rsquo;s ein
+und wird&rsquo;s auch den andern einreden &mdash; und so
+ist&rsquo;s am besten.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Da gedachte die Marinke der Worte, die der
+Herr zu ihr gesprochen hatte, ehe er die Schenkung
+niederschrieb, und dankte Gott, daß der Kleine
+nun wirklich die Heimat gefunden hatte noch am
+heutigen Abend.
+</p>
+
+<p>
+Sie ließ es sich nicht nehmen, ihn selber auszuziehn,
+denn sie wußte wohl, daß es zum letzten
+Male geschah. Dann tat sie noch ein Gebet über
+ihm, siegelte ihm den Mund mit dem Zeichen
+des Kreuzes und ging vor die Haustür.
+</p>
+
+<p>
+Dort standen die beiden und warteten ihrer.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach, möchten sie mich doch einladen, bei
+ihnen zu bleiben!&ldquo; dachte die Marinke. Aber
+sie taten es nicht. Wie konnten sie auch!
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Schriftstück bleibt in meiner Hand,&ldquo;
+sagte der Alte, &bdquo;denn ich bin der Vormund.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Mutter geleitete sie noch eine Strecke
+ins Dunkel hinein und sagte zum Abschied: &bdquo;Ich
+bin gesund und erst vierundfunfzig. Zwanzig
+Jahr&rsquo; hab&rsquo; ich gewiß noch. Und so lange wird
+es ihm gut gehn, das weißt du.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-452" class="pagenum" title="452"></a>
+Ja, das wußte die Marinke, und sie dankte ihr
+mit Tränen.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was wird aber mit dir werden?&ldquo; fragte die
+Mutter.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bet für mich, daß ich im Kindbett sterbe,&ldquo;
+sagte die Marinke und ging von ihr fort ...
+</p>
+
+<p>
+Der Mond stand hoch &mdash; es war schon ein
+Herbstmond &mdash;, aber die Luft wehte warm wie
+im Juni.
+</p>
+
+<p>
+Als die Marinke sich dem Wolfsnest näherte,
+überkam sie ein Schaudern. Der Hofhund würde
+bellen, bevor er sie noch erkannte, und darauf
+würde der Jozup, der einen leisen Schlaf hatte,
+hinausrufen: &bdquo;Wer ist da?&ldquo; Und wenn sie dann
+sagte: &bdquo;Ich bin es &mdash; ich, die Marinke,&ldquo; dann
+würde das Schimpfen losgehen &mdash; Klorke und
+Szunjôda und Pajudêle und alles, womit er
+sie sonst noch traktierte.
+</p>
+
+<p>
+Sie hielt an und tat einen tiefen Atemzug.
+Niemand paßte ihr auf. Sie konnte die Nachtstunden
+nützen, wie es ihr einfiel. Aber wo
+sollte sie sie hinbringen? Denn sonst eine Heimat
+hatte sie nicht. Da fiel der Kirchhof ihr ein,
+auf dem sie so lange Zeit nicht gewesen war.
+Wie eine Erleuchtung kam es da über sie.
+</p>
+
+<p>
+Auf dem Grabe des Jurris zu sitzen bis an
+den Morgen, das war es, was ihr jetzt fehlte. Da
+sah sie keiner, da hörte sie keiner, da konnte sie
+keiner anschreien und schimpfen.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-453" class="pagenum" title="453"></a>
+So schlug sie also den Weg zum Kirchhof
+ein, den sie beinahe vergessen hatte.
+</p>
+
+<p>
+Das Grab des Jurris war gar nicht so leicht
+zu finden, denn ringsherum hatte manch neuer
+Pilger sich angesiedelt, und die Gesträuche waren
+auch höher geworden. Aber schließlich unterschied
+sie es doch und setzte sich auf den Hügel,
+dessen sandiges Erdreich die Judenmyrte spärlich
+begrünte.
+</p>
+
+<p>
+Einen neuen hölzernen Pfosten hatten die
+Eltern errichtet. Der war inzwischen schon
+wieder alt geworden, denn die Inschrift auf der
+Tafel schien blaß und von Regen verwaschen,
+soviel man im Mondschein erkannte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Bald werden sie ihn alle vergessen haben,&ldquo;
+dachte sie, und ihr schien&rsquo;s, als sei sie ihm doppelt
+und dreifach untreu gewesen. Oft hätte sie Zeit
+gehabt, das Grab zu besuchen, und keiner hätte
+danach gefragt. Trotzdem fand sie erst heute den
+Weg hierher, wie man verlassene Freunde nicht
+früher aufsucht, als wenn man nicht aus und
+nicht ein weiß.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Ach wenn ich doch ein bißchen weinen
+könnte!&ldquo; dachte sie, aber sie hatte heute schon
+zuviel Tränen vergossen, und ihr war auch gar
+nicht so schmerzhaft zumute. Nur müde war
+sie. Darum lehnte sie das abgerackerte Kreuz
+gegen den Pfosten und dachte: &bdquo;Hier möcht&rsquo;
+ich einschlafen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-454" class="pagenum" title="454"></a>
+Und das tat sie auch wirklich. Aber bald
+weckte der Nachtwind sie wieder. Sie lag nun
+mit geschlossenen Augen und wollte gar nicht
+mehr aufstehen.
+</p>
+
+<p>
+Es war eine große Stille ringsum, nur die
+harten Baumblätter rieben sich ab und zu aneinander,
+und in dem Grase raschelte es, wenn
+irgend ein Getier sich bewegte.
+</p>
+
+<p>
+Sie dachte an alle die Geister, die auf so
+einem Kirchhof zur Nachtzeit ihr Wesen treiben,
+aber sie fürchtete sich nicht im mindesten, denn
+unter ihnen wäre auch der des Jurris gewesen,
+und der hätte sie schon beschützt.
+</p>
+
+<p>
+Über diesem Gedanken schlief sie von neuem
+ein, und ihr war im Traume fortwährend, als
+stünde er neben ihr und streichelte ihr die Backe.
+Aber wie sie wieder einmal erwachte, merkte
+sie, daß es nur der Wind gewesen war, und da
+tat es ihr leid, daß sie nicht weiter schlief.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Jetzt muß ich wohl bald heimgehen,&ldquo; dachte
+sie. Da kam das Schaudern wieder, das sie auf
+dem Wege zum Wolfsnest schon einmal zurückgejagt
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Was soll ich eigentlich dort?&ldquo; dachte sie
+weiter. &bdquo;Sobald er mich sieht, wird er mich
+quälen, und die Dienstleute werden nicht wissen,
+ob ich ihnen noch was zu befehlen hab&rsquo;. Hier
+gehör&rsquo; ich her. Zu meinem Jurrischen. Hierher
+auf den Kirchhof.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-455" class="pagenum" title="455"></a>
+Und sie beugte sich zur Seite und küßte das
+Grab, aber ihr kam davon nur Sand zwischen
+die Zähne. Und mutlos gedachte sie kommender
+Zeiten.
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;Das Kind wird er mir wohl bald wegnehmen,&ldquo;
+dachte sie. &bdquo;Denn ich bin für ihn gar
+nicht mehr eine richtige Mutter. Bloß die
+Gimdywe &mdash; die Gebärerin &mdash; bin ich ihm noch.
+Ein Kind habe ich ihm zu beschaffen anstatt des
+anderen, das er verstoßen hat, und dann kann
+ich abgehen. Er wird schon dafür sorgen, daß sie
+mich bald hierher auf den Kirchhof fahren.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und ihr war zumut, als bliebe sie am liebsten
+gleich hier.
+</p>
+
+<p>
+Und dann dachte sie an alle die Erniedrigungen,
+die er ihr zugefügt hatte seit jenem
+Sturmtage, an dem der Jurris ertrank, und an
+alle die, die er ihr noch zufügen würde &mdash; er und
+der Helfer, mit dem er drohte.
+</p>
+
+<p>
+Und sie sagte zu sich: &bdquo;Nun hab&rsquo; ich ihm umsonst
+prophezeit, daß ich ins Haff gehen werde,
+wenn er der Alten meine Schande verrät. Denn
+was er jetzt selber in die Welt hinausschreit, ist
+ebenso schlimm wie das, was sie damals zu erzählen
+gehabt hätte.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und wie das Bild der Alten vor ihr lebendig
+wurde, überfiel sie plötzlich ein Erschrecken, so
+furchtbar, daß sie vom Grabe in die Höhe sprang
+und wie eine Unvernünftige drum herumlief.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-456" class="pagenum" title="456"></a>
+Wenn der Helfer, der Peiniger, den er sich
+kommen lassen wollte, niemand sonst als die
+Wilkene, die Wölfin war? Was dann? Wohin
+dann?
+</p>
+
+<p>
+Sie rannte nach rechts und rannte nach
+links, als wollte sie ihr entrinnen, und wußte
+doch nicht wie. Sie anzuzeigen, dazu war es
+gewiß zu spät, und sie hatte auch nicht den Mut
+mehr. Wenn das noch zu fürchten gewesen
+wäre, hätte der Jozup die Mutter niemals zurückgeholt.
+</p>
+
+<p>
+Da war es ihr, als sagte eine Stimme: &bdquo;Er
+<em>hat</em> sie ja gar nicht zurückgeholt.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das war natürlich dem Jurris seine Stimme.
+Entweder er schwebte um sie herum, oder sie
+hatte ihn mit ihren Klagen erweckt, so daß er von
+seinem Sarge aus zu ihr redete.
+</p>
+
+<p>
+Und so warf sie sich vor dem Grabhügel auf
+die Knie, wühlte die Stirn in den Sand, um ihm
+näher zu sein, und bat und flehte: &bdquo;Ach hilf mir
+doch, Jurrischen, hilf mir doch!&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Stimme sprach weiter: &bdquo;Gewiß hat
+er dir nur Angst machen wollen, wie man kleine
+Kinder mit dem Baboczius ängstigt. Und er ist
+sonst gar nicht so schlimm. Er hat dich lieb gehabt
+schon über fünf Jahr, und du bist so zufrieden
+mit ihm gewesen, daß du mich ganz vergessen
+hattest. Glaube nicht, daß ich dir deswegen böse
+bin. Nein, ich bin dir nicht im mindesten böse.
+<a id="page-457" class="pagenum" title="457"></a>
+Und weiß ich, daß du da oben froh bist, so hab&rsquo;
+ich hier stets meine Ruhe. Nur wenn du weinen
+kommst, das tut mir weh. Nun aber gehe getrost
+wieder heim und ertrage geduldig die Prüfungszeit,
+die Gott der Herr dir gesetzt hat.
+Der Jozup wird die Wölfin nicht kommen lassen,
+und auch sonst keinen Peiniger wird er kommen
+lassen. Und wenn er sieht, wie treu du ihm
+dienst, dann wird sein Sinn sich wieder zum
+Guten wandeln, und alles wird werden, wie es
+noch jüngstens war.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+So sprach der Jurris aus seinem Grabe,
+und sie hörte begierig darauf.
+</p>
+
+<p>
+Dann erhob sie sich voll Zuversicht und machte
+sich bereit, nach Hause zu gehen. Diesmal wandelte
+kein Schauder sie an, im Gegenteil, sie war
+wohlgemut, ihr Haupt neuen Leiden beugen
+zu können. Wenn nur das eine nicht kam,
+wenn nur die Schwiegermutter, die Wölfin,
+nicht kam, dann war alles gut! Von ihm
+selber wollte sie gerne erdulden, womit er sie
+kränkte.
+</p>
+
+<p>
+Sie scharrte den Sand zurecht, den ihr liegender
+Körper zur Seite gedrückt hatte, zog die
+Ranken sorgsam darüber her und betete dankbar
+ein Vaterunser.
+</p>
+
+<p>
+Dann machte sie sich auf den Heimweg.
+</p>
+
+<p>
+Über dem schwarzen Forst, der den Osten
+begrenzte, erhob sich bereits ein gelblicher Streif.
+<a id="page-458" class="pagenum" title="458"></a>
+Der Wind wehte schärfer, und die Vögelchen
+zwitscherten schon.
+</p>
+
+<p>
+Als sie vor dem Hoftor stand, war es halbhell.
+Darum bellte der Hund auch nicht, der sie
+von weitem erkannte, und klopfte nur mit dem
+Schweife gegen die Hüttenwand.
+</p>
+
+<p>
+Da, wie sie gerade an dem Wohnhaus vorübergehen
+wollte, gewahrte sie, daß in der Kleinen
+Stube noch Licht war. Rasch trat sie zurück und
+drückte sich gegen den Gartenzaun, in jene Ecke,
+wo er mit dem Giebel zusammenstößt.
+</p>
+
+<p>
+Und wie sie dort stand, wartend und lauschend,
+da hörte sie aus dem Innern zwei Stimmen.
+</p>
+
+<p>
+Die eine gehörte dem Jozup, die andere
+aber &mdash; vier Jahre hatte sie sie nicht mehr gehört,
+und nie mehr im Leben glaubte sie sie hören zu
+müssen.
+</p>
+
+<p>
+Sie war also <em>doch</em> gekommen, die Wölfin!
+Für sie hatte er heute den Spazierwagen angespannt,
+sie von der Bahn abzuholen, und die
+Magd hatte geschwiegen &mdash; aus Mitleid.
+</p>
+
+<p>
+Wohin nun? Die Enskysschen wollten sie
+nicht, das Elternhaus wollte sie nicht, der Wieszpatis
+wollte sie nicht, selbst der Jurris im Grabe
+wollte sie nicht. Der hatte sie heimgeschickt mit
+List und mit Täuschung.
+</p>
+
+<p>
+Sie kehrte sich um auf ihren Hacken und
+rannte und rannte &mdash; ohne Sinn und Verstand
+&mdash; so rasch ihr Körper es zuließ.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-459" class="pagenum" title="459"></a>
+Bloß weg! &mdash; Weg aus dem Hause! Weg
+aus dem Leben! Weg &mdash; weg &mdash; weg!
+</p>
+
+<p>
+Und mit einmal sah sie vor sich das graublaue
+Wasser und die schaukelnden Kähne. Und
+der Schuppen des Jurris war auch da.
+</p>
+
+<p>
+Noch ehe die Sonne aufging, fuhr sie aufs
+Haff hinaus &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+&mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash; &mdash;
+</p>
+
+<h3 class="section" id="chapter-5-14">
+14
+</h3>
+
+<p class="first">
+Am Morgen desselben Tages segelte in drei
+Mittelbooten eine Trauergesellschaft aus der Richtung
+von Karkeln her nordwestlich nach der Nehrung
+hinüber.
+</p>
+
+<p>
+Es waren Männer und Frauen aus dem
+Kirchdorfe Nidden. Die hatten einer Niddnerin,
+die drüben verheiratet war und im ersten Kindbett
+hatte dran glauben müssen, das Geleite gegeben.
+</p>
+
+<p>
+Da der junge Witwer, um die Heimgegangene
+zu ehren, ein großes Begräbnis ausgerichtet
+hatte, so war die Nacht hindurch getanzt
+und getrunken worden, und alle befanden
+sich noch in der heitersten Stimmung.
+</p>
+
+<p>
+In dem ersten der Boote saßen die Eltern der
+Toten. Die freilich verhielten sich ruhig, aber
+sie freuten sich doch, daß die anderen so lustig
+waren, denn nun konnten sie sicher sein, daß man
+ihres Kindes lange und gern gedenken würde.
+</p>
+
+<p>
+Ihre Aufmerksamkeit galt vor allem einem
+<a id="page-460" class="pagenum" title="460"></a>
+länglichen Bündel, das die Alte vorsichtig in
+den Armen wog, während ihr Mann achtgab,
+daß die untere Kante des schlagenden Segels
+in guter Entfernung darüber hinstrich.
+</p>
+
+<p>
+In diesem Bündel barg sich die Hinterlassenschaft
+ihres Kindes, der Säugling, den sie mit
+sich genommen hatten, um ihn dem Schwiegersohn
+aufzuziehen. Drüben bei ihm war Muttermilch
+nirgends zu finden gewesen, aber ob sie
+sie eher in Nidden verschaffen konnten, war sehr
+zu bezweifeln.
+</p>
+
+<p>
+Vorläufig sog das Kleine mit Inbrunst an
+dem Lutschpfropfen, in dem gekaute Semmelkrume
+mit geriebenem Zucker gemischt war, und
+wenn es zu schreien begann, bekam es Fenchelwasser
+zu trinken, wovon man auch nicht sehr
+satt wird. Und da es die Kuhmilch noch nicht
+vertrug, so lag die Gefahr nicht sehr fern, daß es
+kurzerhand in die Ewigkeit zurückreisen würde,
+aus der es eben gekommen war.
+</p>
+
+<p>
+Aber die andern scherten sich wenig um solche
+Großmuttersorgen. Sie lachten und sangen, und
+wenn es still wurde, kreiste zur Wiederbelebung
+die Flasche.
+</p>
+
+<p>
+Da bemerkte einer, daß von Nordosten her
+mit der Richtung des Windes ein leerer Kahn
+auf sie zutrieb.
+</p>
+
+<p>
+Leere Kähne zu treffen bringt Glück, und
+darum wollte der Steuerer im vordersten Boote
+<a id="page-461" class="pagenum" title="461"></a>
+halbkehrt machen, um sich die Beute zu sichern.
+Aber die anderen, die hinter ihm fuhren, riefen
+ihm zu, er möge das lassen; der Kahn würde in
+einer halben Stunde von selber am Ufer der
+Nehrung erscheinen und wäre dann leichter zu
+bergen als jetzt.
+</p>
+
+<p>
+So blieb er also auf seinem Wege, und die
+anderen folgten ihm nach.
+</p>
+
+<p>
+Da &mdash; als sie gerade die Windlinie durchstrichen,
+die von dem leeren Kahn auf sie zulief,
+vernahmen sie etwas, das wie das Schreien eines
+kleinen Kindes klang.
+</p>
+
+<p>
+Die in den hinteren Booten glaubten natürlich,
+es käme von dem Bündelchen her, das die
+Alte hielt, aber die neben ihr saßen, merkten sofort,
+daß es damit eine andere Bewandtnis
+hatte.
+</p>
+
+<p>
+Nun ließ der Steuerer sich nicht mehr halten
+und fuhr in kurzem Bogen dem leeren Kahne
+entgegen.
+</p>
+
+<p>
+Der war aber nicht leer, sondern wie sie alle
+zu ihrer Verwunderung erkannten, lag auf dem
+Boden ausgestreckt eine bewußtlose Frau und
+zu ihren Füßen ein Neugeborenes.
+</p>
+
+<p>
+Die Weiber drängten die Männer zurück,
+damit deren Augen die Scham der Geburt nicht
+entweihten, und die beiden erfahrensten stiegen
+sacht in den Kahn, der Ohnmächtigen die ersten
+Dienste zu leisten.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-462" class="pagenum" title="462"></a>
+Dort aber, wo das Bündelchen unter dem
+Segelrand lag, sagte der alte Mann leise zu
+seiner Frau: &bdquo;Laß uns dem Herrn ein Dankgebet
+sprechen, denn mir scheint, er hat uns vom
+Himmel Nahrung geschickt für das Kleine.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Und die Großmutter sprach: &bdquo;Frohlocke nicht
+zu früh. Das dort ist kein Jungfernkind. Sie
+sieht aus wie eine vermögende Bauernfrau und
+wird uns bald wieder verlassen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Für alle Fälle aber erboten sie sich, die fremde
+Wöchnerin in Pflege zu nehmen, und die andern
+waren zufrieden, daß sie es nicht brauchten.
+</p>
+
+<p>
+So geschah es, daß die Marinke, die hinausgefahren
+war, sich in den Wellen die ewige Ruhstatt
+zu suchen, in einem weichen, warmen Federbett
+wieder erwachte und statt des einen Kindes,
+dem sie das Leben gegeben hatte, deren zwei
+in der Wiege neben sich vorfand.
+</p>
+
+<p>
+Und ob sie auch zum Verwundern und zum
+Fragen zu schwach war, so nahm sie sie doch
+gleich an die Brust, und die gab willig Nahrung
+für beide.
+</p>
+
+<p>
+Dann, als man zu wissen begehrte, woher
+sie sei und wie sie sich nenne, da weinte sie nur
+und wollte nicht reden.
+</p>
+
+<p>
+Es mußte aber die Meldung an das Standesamt
+gehen, und da sie auch am zweiten und
+dritten Tage nichts tat als weinen und schweigen,
+so wußten die beiden sich kaum einen Rat mehr.
+</p>
+
+<p>
+<a id="page-463" class="pagenum" title="463"></a>
+Nun traf es sich aber, daß damals in Nidden
+der Pfarrer Hoffheinz Seelsorger war, der
+jüngere Bruder des Superintendenten, den die
+Tilsiter heute noch preisen. Das war gleich
+diesem ein lebensfroher und gottgefälliger Mann,
+der die Litauer liebte, als wäre er einer von
+ihnen, und allen, die seines Schutzes bedurften,
+Ratschlag und Zuflucht bot, soweit sein Arm sich
+erstreckte.
+</p>
+
+<p>
+Der sagte: &bdquo;Sie scheint großes Leid erfahren
+zu haben. Darum laßt sie in Ruhe bis an den
+neunten Tag. Die Behörden werd&rsquo; ich solange
+auf mich nehmen. Und ist sie erst wieder bei
+Kräften, dann will ich sie selber befragen.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Das war das Richtige. Am neunten Tage
+trat er zu ihr an das Bett, schloß die Stubentür
+ab und verweilte bei ihr wohl an die zwei
+Stunden.
+</p>
+
+<p>
+Und als er wieder herauskam, hatte der fröhliche
+Mann die Augen voll Wasser und sagte:
+&bdquo;Hier hat Gott ein Wunder getan.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+&bdquo;An uns auch,&ldquo; sagte die Alte, &bdquo;denn ohne
+sie wäre das Kind der Anikke schon unter der
+Erde.&ldquo;
+</p>
+
+<p>
+Von nun an dauerte es keine zweite Nacht
+mehr, da erfuhr der Jozup Wilkat, wo sein Weib
+geblieben war &mdash; und mit ihr das Kind, das sie
+nach seinem Glauben ihm schuldete. Und weil
+er sich schämte, sie in den Tod getrieben zu haben,
+<a id="page-464" class="pagenum" title="464"></a>
+war er sehr froh und machte sich auf, sie heimzuholen
+&mdash; sie und das Kleine.
+</p>
+
+<p>
+Das aber war es gerade, wovor die Marinke
+zitterte bei Tag und bei Nacht und das zu verhüten
+der Pfarrer ihr hilfreich sein wollte.
+</p>
+
+<p>
+Und er, der klug war wie einer, hatte Befehl
+gegeben, daß, wenn ein Mann im Dorfe herumfragte,
+wo die Kiekutis wohnten, bei denen die
+Fremde sich aufhielt, kein einziger es wissen
+dürfe &mdash; nicht einmal der Schulze &mdash; und daß
+man ihn, wenn er durchaus keine Ruhe gab,
+ins Pfarrhaus weise; da könne er&rsquo;s wahrscheinlich
+erfahren.
+</p>
+
+<p>
+So kam es, daß der Jozup, der wütend von
+einem zum andern lief und alsbald erkannte,
+daß man ihn narre, schließlich einem Manne
+ins Angesicht sah, mit dem sich nicht so leicht
+umspringen ließ wie mit einem schutzlosen
+Weibe.
+</p>
+
+<p>
+Ja, das Weib &mdash; das sei ihm egal, das könne
+seinetwegen gehen, Filzschuhe wichsen, aber das
+Kind &mdash; das Kind, das müsse er haben, tot oder
+lebendig.
+</p>
+
+<p>
+Nun war der Pfarrer Hoffheinz aber ein
+guter Freund vom alten Settegast &mdash; er hat ja
+später in zweiter Ehe auch dessen Tochter geheiratet
+&mdash;, das sagte er dem Jozup so nebenbei.
+Und daß, wenn auf diese Weise die Kürbisgeschichte
+ruchbar würde, von einem Verschulden
+<a id="page-465" class="pagenum" title="465"></a>
+der Frau nicht mehr die Rede sein könne, das
+sagte er auch.
+</p>
+
+<p>
+Da wurde der Jozup alsbald ganz windelweich,
+ließ seine Ansprüche fahren und setzte für
+die Zeit nach der Scheidung auch noch ein Jahrgeld
+aus, so hoch, wie es einer Besitzersfrau zukommt.
+</p>
+
+<p>
+Ohne die Marinke mit einem Auge gesehen
+zu haben, fuhr er zurück übers Haff &mdash; zurück
+zu seiner Mutter, der Wölfin. Und nie mehr
+hat er einen solchen Angriff gewagt.
+</p>
+
+<p>
+Die Marinke blieb bei den guten Leuten, die
+ihr fast so zugetan waren wie einst die Mutter
+Enskys, und nährte zugleich mit dem eigenen
+Kinde das fremde rosig und blank.
+</p>
+
+<p>
+Und als ein Jahr darauf dessen Vater herbeigesegelt
+kam, nach ihm zu sehen, da fand er es
+nicht anders, als ob die tote Mutter noch lebte.
+</p>
+
+<p>
+So geschah es fast von selber, daß die beiden
+sich miteinander versprachen.
+</p>
+
+<p>
+Er hatte in manchem Ähnlichkeit mit dem
+Jurris, und das gefiel der Marinke am meisten.
+</p>
+
+<p>
+Die Hochzeit wurde in Frieden und Stille
+begangen. Und still und friedlich leben die beiden
+noch heute.
+</p>
+
+<p class="printer">
+<a id="page-466" class="pagenum" title="466"></a>
+Druck der<br />
+Union Deutsche Verlagsgesellschaft<br />
+in Stuttgart
+</p>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h1 adh">
+<a id="page-467" class="pagenum" title="467"></a>
+Anzeigen des<br />
+Cotta&rsquo;schen Verlages
+</p>
+
+</div>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h2 adh">
+<a id="page-468" class="pagenum" title="468"></a>
+<span class="line1">Hermann Sudermann:</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads468" summary="Table-1">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Im Zwielicht</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Auflage</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Frau Sorge</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Geschwister</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Zwei Novellen. 35.-37. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Katzensteg</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 106.-115. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Jolanthes Hochzeit</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Erzählung. 31.-33. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Es war</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 59.-63. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Hohe Lied</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Roman. 61.-65. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die indische Lilie</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Sieben Novellen. 21.-25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Litauische Geschichten</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Vier Geschichten. 1.-25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Ehre</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 46.-48. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Sodoms Ende</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Akten. 27. u. 28. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Heimat</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 42.-46. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Schmetterlingsschlacht</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Komödie in vier Akten. 11. u. 12. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Glück im Winkel</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in drei Akten. 21. u. 22. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Morituri</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drei Einakter: <em>Teja</em>. Drama &mdash; <em>Fritzchen</em>. Drama &mdash; <em>Das Ewig-Männliche</em>. Spiel. 21. u. 22. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1"><a id="page-469" class="pagenum" title="469"></a>Johannes</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel 31. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die drei Reiherfedern</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Dramatisches Gedicht in fünf Akten. 14. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Johannisfeuer</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 29. u. 30. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Es lebe das Leben</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Akten. 24. u. 25. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Sturmgeselle Sokrates</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Komödie in vier Akten. 15. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Stein unter Steinen</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 13. u. 14. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Das Blumenboot</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten und einem Zwischenspiel. 12. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Rosen</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Vier Einakter: <em>Die Lichtbänder.</em> Drama &mdash; <em>Margot.</em> Schauspiel &mdash; <em>Der letzte Besuch.</em> Schauspiel &mdash; <em>Die ferne Prinzessin.</em> Lustspiel. 2.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Strandkinder</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der Bettler von Syrakus</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Tragödie in fünf Akten und einem Vorspiel. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Der gute Ruf</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Schauspiel in vier Akten. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die Lobgesänge des Claudian</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Drama in fünf Aufzügen. 6.-10. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr class="b">
+ <td class="col1">Die entgötterte Welt</td>
+ <td class="col2">&nbsp;</td>
+ <td class="col3">&nbsp;</td>
+ </tr>
+ <tr class="i">
+ <td class="col1">Szenische Bilder aus kranker Zeit Inhalt: <em>Die Freundin.</em> Schauspiel in vier Akten. &mdash; <em>Die gutgeschnittene Ecke.</em> Tragikomödie in fünf Akten. &mdash; <em>Das höhere Leben.</em> Lustspiel in vier Akten. 7. Auflage</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h2 adh">
+<a id="page-470" class="pagenum" title="470"></a>
+<span class="cottasche"><img src="images/cottasche.jpg" alt="" /></span>
+<span class="line1">Cotta&rsquo;sche Gelbe Bibliothek</span><br />
+<span class="line2">Romane und Novellen</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads470" summary="Table-2">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Althof, Paul</em> (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke und andere Geschichten</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das verlorene Wort. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Andreas-Salomé, Lou</em>, Fenitschka &mdash; Eine Ausschweifung. Zwei Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ruth. Erzählung. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Anzengruber, Ludwig</em>, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wolken und Sunn&rsquo;schein. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Arminius, W.</em>, Der Weg zur Erkenntnis. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Bertsch, Hugo</em>, Bilderbogen aus meinem Leben. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Geschwister. Mit Vorwort von Adolf Wilbrandt. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Birt, Th.</em>, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Böhlau, Helene</em>, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Um Helena. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein königlicher Kaufmann. Hanseatischer Roman. 18. u. 19. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Nur wer die Sehnsucht kennt ... Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Bülow, Frieda v.</em>, Kara. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Burckhard, Max</em>, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Dove, A.</em>, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">10.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie v.</em>, Bo&#382;ena. Erzählung. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erzählungen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Margarete. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Moritz v.</em>, <span class="antiqua">Hypnosis perennis</span> &mdash; Ein Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Eckstein, Ernst</em>, Nero. Roman. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>El-Correï</em>. Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Enderling, Paul</em>, Der Hungerhaufen und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Zwischen Tat und Traum. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Engel, Eduard</em>, Paraskewúla und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Fontane, Theodor</em>, Ellernklipp. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Grete Minde. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Quitt. Roman. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Franzos, K. E.</em>, Der Gott des alten Doktors. Erzählung. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">8.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-471" class="pagenum" title="471"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Judith Trachtenberg. Erzählung. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">9.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Frei, Leonore</em>, Das leuchtende Reich. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Frey, Adolf</em>, Die Jungfer von Wattenwil. Historischer Schweizerroman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Fulda, L.</em>, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Gleichen-Rußwurm, A. v.</em>, Vergeltung. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Grimm, Herman</em>, Unüberwindliche Mächte. Roman. 2 Bde. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">11.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman. 7. u. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Flucht der Beate Hoyermann. 21.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer. 2.-8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hartmann, Alfred Georg</em>, Die Fahrt ins Himmelreich. Ein Künstlerroman aus Holland</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Haushofer, Max</em>, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits. Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heer, J. C.</em>, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Da träumen sie von Lieb&rsquo; und Glück! Drei Schweizer Novellen. 28.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der König der Bernina. Roman. 96.-105. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Laubgewind. Roman. 66.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt. 21.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; An heiligen Wassern. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Wetterwart. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heilborn, Ernst</em>, Kleefeld. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Der Abenteurer. Roman 46.-50. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Adjutant. Roman. 15.-17. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Burgkinder. Roman. 116.-125. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman. 34.-38. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es gibt ein Glück ... Novellen. 37.-41. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hanseaten. Roman. 86.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das große Heimweh. Roman. 91.-100. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Lebenslied. Roman. 81.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die vom Niederrhein. Roman. 66.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Wiskottens. Roman. 121.-130. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L&rsquo;Arrabbiata und andere Novellen. 11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben &mdash; Ein Famlienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-472" class="pagenum" title="472"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. 5. Aufl. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Märchen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Martha&rsquo;s Briefe an Maria. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.30</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Meraner Novellen. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Novellen. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Plaudereien eines alten Freundespaares. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.90</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vroni und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Xaverl und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hillern, W. v.</em>, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; &rsquo;s Reis am Weg. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hirschfeld, Georg</em>, Nachwelt. Der Roman eines Starken. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Höcker, Paul Oskar</em>, Väterchen. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hofe, Ernst von</em>, Sehnsucht. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hofer, Klara</em>, Alles Leben ist Raub. Der Weg Friedrich Hebbels. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hopfen, Hans</em>, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Huch, Ricarda</em>, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Junghans, Sophie</em>, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kaiser, Isabelle</em>, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Knudsen, J.</em>, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Krauel, Wilhelm</em>, Von der andern Art. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Hermann</em> (Der Schweizer), Sie tanzen Ringel-Ringel-Reihn. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Italienische Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Langmann, Philipp</em>, Leben und Musik. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-473" class="pagenum" title="473"></a><em>Lilienfein, Heinrich</em>, Von den Frauen und einer Frau. Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die große Stille. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Lindau, Paul</em>, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">8.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Mahn, Paul</em>, Der Kamerad. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Mauthner, Fritz</em>, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von &bdquo;<em>Lügenohr</em>&ldquo;</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Meyer-Förster, Wilh.</em>, Eldena. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Meyerhof-Hildeck, Leonie</em>, Das Ewig-Lebendige. Roman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Töchter der Zeit. Münchner Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Moreck, Curt</em>, Büßer des Gefühls. Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Moersberger, Felicitas Rose</em>, Pastor Verden. Ein Heideroman. 2.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Muellenbach, E.</em> (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aphrodite und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vom heißen Stein. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Niessen-Deiters, Leonore</em>, Leute mit und ohne Frack. Erzählungen und Skizzen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em>. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Liebesfalle. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Mitmenschen. Buchschmuck von <em>Hans Deiters</em></td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Pietsch, Otto</em>, Das Gewissen der Welt. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Taten und Schicksale. Erzählungen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Prel, Karl du</em>, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neues Novellenbuch. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rittberg, Gräfin Charlotte</em>, Der Weg zur Höhe. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rommel-Hohrath, Clara</em>, Im Banne Roms. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Rosner, Karl</em>, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman aus der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe. 14. Aufl. (71.-76. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl. (4. u. 5. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe. (4. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 2. Reihe. 2. Aufl. (3. Tsd.)</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben. Gesamt-Ausg.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, H. Wolfgang</em>, Erinnerungen an Heinrich Seidel. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-474" class="pagenum" title="474"></a><em>Skowronnek, R.</em>, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Speidel, Felix</em>, Hindurch mit Freuden. Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Stegemann, Hermann</em>, Der Gebieter. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stille Wasser. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Steinhart, Armin</em> (F. A. Loofs), Der Hauptmann. Eine Erzählung aus dem Weltkriege. 11.-15. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Stratz, Rudolph</em>, Alt-Heidelberg, du Feine ... Roman einer Studentin. 18.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Buch der Liebe. Sechs Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die ewige Burg. Roman. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du bist die Ruh&rsquo;. Roman. 11. u. 12. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es war ein Traum. Berliner Novellen. 7 Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Seine englische Frau. Roman. 41.-45. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Für Dich. Roman. 29.-33. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Gib mir die Hand. Roman. 15. u. 16. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Herzblut. Roman. 24.-26. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ich harr&rsquo; des Glücks. Novellen. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Montblanc. Roman. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du Schwert an meiner Linken. Ein Roman aus der deutschen Armee. 46.-50. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die letzte Wahl. Roman. 9. u. 10. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Sudermann, Hermann</em>, Es war. Roman. 59.-63. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Katzensteg. Roman. 106.-115. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Litauische Geschichten. 1.-25. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Telmann, Konrad</em>, Trinacria. Sizilische Geschichten</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Trojan, Johannes</em>, Das Wustrower Königsschießen und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Uxkull, Gräfin Lucy</em>, Rote Nelken. Ein sozialer Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vockeradt, Emma</em>, Wanderer im Dunkeln. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vogt, Martha</em>, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Vollert, Konrad</em>, Sonja. Roman</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Voß, Richard</em>, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Watzdorf-Bachoff, E. v.</em>, Maria und Yvonne. Geschichte einer Freundschaft. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><a id="page-475" class="pagenum" title="475"></a>&mdash;&bdquo;&mdash; Meister Amor. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erika &mdash; Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Fesseln. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Franz. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Irma. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Familie Roland. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Der Sänger. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Villa Maria. Roman. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wildenbruch, E. v.</em>, Schwester-Seele. Roman. 22. u. 23. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wohlbrück, Olga</em>, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Worms, C.</em>, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Erdkinder. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Schloß Mitau. Bilder aus Kurlands Vergangenheit. 1. u. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Thoms friert. Roman. 3. u. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="ads chapter">
+<p class="h2 adh">
+<a id="page-476" class="pagenum" title="476"></a>
+<span class="line1">Ferner werden empfohlen:</span>
+</p>
+
+ <div class="table">
+<table class="ads476" summary="Table-3">
+<tbody>
+ <tr class="g">
+ <td class="col1" colspan="3">Gebunden</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Auerbach, Berthold</em>, Barfüßele. 47. u. 48. Aufl.</td>
+ <td class="col2">M.</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Auf der Höhe. Roman. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Spinoza. Ein Denkerleben</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">1.70</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.10</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Baumbach, Rudolf</em>, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.80</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Aus der Jugendzeit. 10. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Neue Märchen. 9. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.20</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Boy-Ed, Ida</em>, Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 3.-5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Ebner-Eschenbach, Marie</em> v., Die erste Beichte. Miniatur-Ausgabe. Mit Bildnis. 2. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Grisebach. Ed.</em>, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Harbou, Thea v.</em>, Der Krieg und die Frauen. Novellen. Neue wohlfeile Ausgabe. 86.-95. Tsd. Leicht gebunden</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">1.80</td>
+ </tr>
+ <tr class="r">
+ <td class="col1" colspan="1">In Geschenkband</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Herzog, Rudolf</em>, Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Heyse, Paul</em>, L&rsquo;Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">2.40</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">10.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Hoffmann, Hans</em>, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ostseemärchen. 3. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Keller, Gottfried</em>, Der grüne Heinrich. Roman. 3 Bände. 86.-90. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">13.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 101.-107. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">9.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Züricher Novellen. 88.-92. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Martin Salander. Roman. 54.-56. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Das Sinngedicht. Novellen &mdash; Sieben Legenden. 71.-75. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung. Miniatur-Ausgabe. 9. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kügelgen, Wilhelm</em> v., Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Kurz, Isolde</em>, Unsere Carlotta. Erzählung</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Frutti di Mare. Zwei Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Genesung &mdash; Sein Todfeind &mdash; Gedankenschuld. Erzählungen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">5.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Phantasieen und Märchen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">3.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Müller, Hans</em>, Die Kunst sich zu freuen. Gestalten, Bilder und Ergebnisse. 4.-8. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">6.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Olfers, Marie v.</em>, Neue Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Die Vernunftheirat und andere Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Riehl, W. H.</em>, Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">7.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Seidel, Heinrich</em>, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd. je</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd. je</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1">&mdash;&bdquo;&mdash; Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse herausgegeben von <em>H. W. Seidel</em>. 2. Tsd.</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.&mdash;</td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="col1"><em>Wilbrandt, Adolf</em>, Novellen</td>
+ <td class="col2">&bdquo;</td>
+ <td class="col3">4.50</td>
+ </tr>
+</tbody>
+</table>
+ </div>
+</div>
+
+<div class="trnote chapter">
+<p class="transnote">
+Anmerkungen zur Transkription
+</p>
+
+<p>
+Der Zensurstempel &bdquo;A. g. XIII.&ldquo; wurde von der Titelseite entfernt.
+</p>
+
+<p>
+Systematische Schreibungen ohne Umlaut wurden belassen wie im Original: futtern,
+Hauschen, Blumchen, Katzchen, Tochterchen, Jahrchen u. a.
+</p>
+
+<p>
+Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
+Weitere Änderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen,
+sind hier aufgeführt (vorher/nachher):
+</p>
+
+
+
+<ul>
+
+<li>
+... sich des guten Gewissens erfreuen, <span class="underline">den</span> solch ein ...<br />
+... sich des guten Gewissens erfreuen, <a href="#corr-2"><span class="underline">das</span></a> solch ein ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... mit <span class="underline">einen</span> Male einen feierlichen Gesang. ...<br />
+... mit <a href="#corr-5"><span class="underline">einem</span></a> Male einen feierlichen Gesang. ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Das kam <span class="underline">dem</span> Jurris hart an, aber was sollte ...<br />
+... Das kam <a href="#corr-8"><span class="underline">den</span></a> Jurris hart an, aber was sollte ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Gespielen <span class="underline">betrachtet</span>. Das Reiten und Fahren ...<br />
+... Gespielen <a href="#corr-9"><span class="underline">betrachten</span></a>. Das Reiten und Fahren ...<br />
+</li>
+
+<li>
+... Räder mahlten, und die <span class="underline">Achseln</span> schlackerten. ...<br />
+... Räder mahlten, und die <a href="#corr-10"><span class="underline">Achsen</span></a> schlackerten. ...<br />
+</li>
+</ul>
+</div>
+
+
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