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-Project Gutenberg's Reife Früchte vom Bierbaum, by Otto Julius Bierbaum
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Reife Früchte vom Bierbaum
-
-Author: Otto Julius Bierbaum
-
-Editor: Fritz Droop
-
-Release Date: June 20, 2020 [EBook #62438]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REIFE FRÜCHTE VOM BIERBAUM ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net
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- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text
- ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist
- ~so markiert~.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
-
-[Illustration:
-
- Phot. Hugo Erfurth, Dresden.
-]
-
-
-
-
- Reife Früchte
-
- vom
-
- Bierbaum.
-
- Aus den letzten Ernten ausgewählt und mit einem
- Vorspruch dargebracht
-
- von
-
- Fritz Droop.
-
- Mit einem Bildnis Otto Julius Bierbaums.
-
- Leipzig
-
- Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
-
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-
-
-Einleitung.
-
-
-Von Zeit zu Zeit tut uns das Lachen not, das Lachen, das über den
-Alltag erhebt, die Freude, die uns stärkt und befreit; es gibt keinen
-besseren Arzt auf der Welt als den Humor, keinen besseren Führer durchs
-Leben als die Lebensfreude!
-
-In der Erkenntnis dieses Grundsatzes ruht die Bedeutung Otto Julius
-Bierbaums, und wenn irgend etwas die Hoffnung stärken kann, daß wir
-wieder einer gesunderen künstlerischen Zeit entgegengehen, so ist es
-der Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten eines Liliencron,
-Bierbaum und Hartleben. Denn nicht immer war man so »tolerant«, und
-noch trennen uns keine zwei Jahrzehnte von der Zeit, da man weder von
-dem einen noch dem andern etwas wußte oder wissen wollte. Aber ein
-ungebärdiger Überschwang und eine brausende Zuversicht zu sich selbst
-gab diesen Dichtern die Kraft, sich durchzusetzen. Sie schlugen, wie
-Bierbaum in einem Aufsatz über Liliencron sich einmal ausdrückt, wie
-die Fohlen auf der Weide aus und vermieden es, artiger zu scheinen,
-als ihnen zumute war. Auf bürgerliche Reputation kam es ihnen durchaus
-nicht an, und sie empfanden es als eine große Genugtuung, wenn man mit
-dem Finger der Entrüstung auf sie hinwies als auf zügellose Frevler
-gegen alle Ordnung und Sitte. »Der allerorten gegen uns erhobene
-Schulmeisterbakel machte uns nur noch verwegener und vergnügter,
-und der Umstand, daß alle Argumente gegen uns schließlich darauf
-hinausliefen, uns unsere grüne Jugend vorzuwerfen, ließ uns eben diese,
-die wir als unseren Vorzug empfanden, erst recht auftrumpfen.« Sie
-nannten sich Realisten, waren aber weltfremde Feinde der Realität,
-Idealisten vom reinsten Wasser, mit so großer Vorliebe sie auch die
-Kunstmittel des Naturalismus anwandten, um als Gegensatz zum Bilde
-ihrer Sehnsucht, das rechtschaffen verschwommen war, ein Bild der
-»Wirklichkeit« zu machen, von der sie in Wirklichkeit noch bitter
-wenig Ahnung hatten. Es waren jene übermütig lebensfrohen Gesellen,
-wie Bierbaum sie in dem jüngst erschienenen Versbuch »Maultrommel
-und Flöte« so trefflich zeichnet, indem er sie als »junge Götter in
-Hemdsärmeln« singen läßt:
-
- »Setzt euch, Brüder! Trinkt und schlemmt!
- Winken auch bloß billige Pullen,
- Schinken-, Wurst- und Käsestullen,
- Und das Tischtuch ist ein Hemd:
- Setzt euch, Brüder! Trinkt und schlemmt!
-
- Denn wir sind die Herren: Wir
- Garnichtshaber, Garnichtswoller,
- Garnichtssucher, Garnichtssoller.
- König, -- heb dich weg von mir!
- Denn wir sind die Herren: Wir!
-
- Sind die Herren Götter! Frei,
- Wie sonst niemand ist auf Erden.
- Sollen wir erst selig _werden_?
- Nein, wir _sind's_! Hör's, Menschenbrei:
- Sind die Herren Götter: frei!«
-
-Heute wissen wir, daß Bierbaum kein geringerer Lebenskünstler ist
-als Liliencron und erkennen es deshalb als einen Zug wohltuender
-Dankbarkeit, daß er zum Lobe des Dichters der »Adjutantenritte«
-die ehernen Worte fand: »Da kam Liliencron, und wir vernahmen aus
-seinem Munde in Versen von ganz der Art, um die wir rangen, Worte der
-Bejahung des Lebens ohne Sehnsucht nach Utopien, wohl aber verklärt
-durch Gesichte einer zweiten tieferen Realität: der des seherischen
-Künstlers. Zum ersten Male, und das entzückte uns besonders, sahen
-wir unter uns einen Dichter von ganz ursprünglicher und unverbildeter
-dichterischer Veranlagung, der kein Literat war, ja das Gegenteil
-eines Literaten, und der in seinen Gedichten, so voll sie der
-reinsten, echtesten, kräftigsten Poesie waren, auch nicht den Dichter
-hervorkehrte, dieses abstrakte X., das alles individuell Menschliche
-verbirgt, sondern eine ganz deutliche Persönlichkeit bekannte. Auch
-wir taten uns ja etwas darauf zugute, daß wir, nicht selten mit mehr
-Selbstbewußtsein als Geschmack unserem dichterischen Ich deutliche
-Persönlichkeitszüge mitgaben, wenn wir es zum Mittelpunkte einer
-lyrischen Konfession machten, aber es sah dennoch fast immer recht
-sehr allgemein aus, denn, so heftig wir nach dem höchsten Gute: der
-Persönlichkeit trachteten, so wenig konnten wir es im allgemeinen
-erreicht haben, da wir zu jung dazu waren und zu wenig wirklich erlebt
-hatten. Auch waren wir zu ausschließlich Dichter und betonten diesen
-Umstand sogar als etwas, das uns auszeichnete, -- eigentlich ganz wie
-die von uns so sehr geschmähten ›Alten‹, die es nur in anderer Manier
-und aus anderen Gründen taten.«
-
-Bereits vor zwanzig Jahren durfte er seine ersten Lorbeeren pflücken,
-als er mit seinen warmherzigen und geistvollen Abhandlungen über
-Arnold Böcklin, Detlev von Liliencron, Fritz von Uhde und Franz
-Stuck die Kreise der Künstler und Literaten entzückte. Außerhalb
-dieser Kreise war sein Name zunächst noch wenig bekannt, und erst
-die »Studentenbeichten« trugen seinen Ruhm hinaus auf den Markt, bis
-ihn der »Irrgarten der Liebe« und die vornehme Auswahl des »Seidenen
-Buches« geradezu volkstümlich machten. Jedenfalls gehört Bierbaum
-heute zu den meist- und bestkomponierten unter den lebenden Lyrikern;
-es sei nur an die Kompositionen von Richard Strauß und Max Reger oder
-an das vielgesungene Lied »Sommernacht« in der genialen Vertonung des
-Königsberger Kapellmeisters Paul Scheinpflug erinnert:
-
- Laue Sommernacht; am Himmel
- Stand kein Stern; im weiten Walde
- Suchten wir uns tief im Dunkel,
- Und wir fanden uns.
-
- Fanden uns im tiefen Walde
- In der Nacht, der sternenlosen,
- Hielten staunend uns im Arme
- In der dunklen Nacht.
-
- War nicht unser ganzes Leben
- So ein Tappen, so ein Suchen?
- Da: in seine Finsternisse,
- Liebe, fiel dein Licht.
-
-Bierbaums Gedichte, Lieder und Sprüche haben fast durchweg etwas
-Schlichtes, Natürliches, etwas Einschmeichelndes und Herzgewinnendes,
-wie es unser Volk liebt; und wenn seine Versbücher auch eine Menge
-leichter Tändeleien mit sich führen, so enthalten sie doch alle eine
-stattliche Anzahl Gedichte, über denen ein wirklich echter, zarter Duft
-von Grazie und Anmut liegt.
-
-Mit dem Schauspiel »Stella und Antonie« betrat der Dichter zum ersten
-Male den dornenreichen Pfad des Dramatikers. Das Stück, das an den
-vornehmsten deutschen Bühnen wiederholt mit glänzendem Erfolge
-aufgeführt worden ist, behandelt die Tragödie eines Mannes, der
-zwischen zwei leidenschaftliche Weiber gerät, von denen sich das eine
-an seine Sinne, das andere an sein Herz und seine Seele wendet; es
-ist der Konflikt zwischen der wildbegehrenden Natur und der edlen
-Sitte, ein heißer Kampf, in dem die Sitte siegt. Im Elberfelder
-Stadttheater erzielten außerdem vor einigen Jahren zwei mit allerlei
-Spitzen und Bosheiten gegen Pastor und Staatsanwalt gespickte
-»Stilpe-Komödien« einen allgemeinen Heiterkeitserfolg. Weiter schrieb
-er das graziös-tiefsinnige Märchenspiel »Lobetanz«, zu der Ludwig
-Thuille zarte lyrische Weisen fand. Er gab Kortums »Jobsiade« mit einer
-launigen Vorrede in Knittelversen neu heraus, schrieb eine willkommene
-Studie und Verteidigungsschrift über Meister Hans Thoma, dichtete
-als alter Korpsstudent aus Anlaß des Leipziger Universitätsjubiläums
-die Studentenkomödie »Der Musenkrieg« und ist Herausgeber des seit
-einigen Jahren im Verlage von Theodor Weicher (der auch die mit
-handschriftlichen Selbstbiographien der Dichter und ihren Porträts
-ausgestattete Sammlung »Deutsche Lyrik der Neuzeit« herausgebracht
-hat) in Leipzig erscheinenden Goethe-Kalenders. Er gründete die
-Monatsschrift »Insel«, gab den »Modernen Musenalmanach« heraus und rief
-mit Meier-Gräfe zusammen die kostbar ausgestattete Kunstzeitschrift
-»Pan« ins Leben. Was er aber auch begann, geschah in einer glücklichen
-Stunde, unter einem glücklichen Stern.
-
-Daß seine Muse auch dem Zuge der Zeit zu folgen wußte, bewies er durch
-die »Empfindsame Reise im Automobil«. Mit offenen, wachen, allen
-Erscheinungen des Lebens und der Natur zugewandten Sinnen reisen,
-nennt er empfindsam reisen, und dieses Reisen allein erscheint ihm
-als das wirkliche Reisen, wert und dazu angetan, zur Kunst erhoben
-zu werden. In unserer Zeit hat man das Reisen ja verlernt; man läßt
-sich transportieren. Bierbaums Ziel war, mit dem modernsten aller
-Fahrzeuge auf recht altmodische Weise zu reisen; sein Leitspruch
-hieß: »Lerne reisen ohne zu rasen«, und die achtzehn Briefe, in denen
-der Dichter seinen Freunden Detlev von Liliencron, Hans Thoma, Franz
-Stuck, Max Schillings, Fritz von Uhde, Oskar von Chelius, Ludwig
-Thuille und anderen berichtet, beweisen, daß er seinen Spruch zu
-beherzigen verstand. Bierbaum hat sehen und genießen gelernt; das
-ist's, was ihn ebensosehr zum geistvollen Plauderer und Humoristen wie
-zum Sittenschilderer und Kunstkritiker stempelt. In der soeben bei
-Georg Müller in München erschienenen »Yankeedoodle-Fahrt« hat er diese
-Fähigkeit von neuem im schönsten Lichte entwickelt.
-
-Eine besondere Betrachtung gebührt Otto Julius Bierbaum als Romancier.
-Was Schönheit und Weiberklugheit vermag, das erzählt Bibaomo,
-Baccalaureus der schönen Künste, in seinem Roman »Das schöne Mädchen
-von Pao«, in der »Schlangendame« geschieht nichts weniger, als daß
-die Serpentincancanöse Fräulein Paula Hollunder einen verbummelten
-Studenten, Herrn Ewald Brock, erzieht, bemuttert und nicht eher ruht,
-bis sie aus ihm einen wirklichen Doktor und ein braves und nützliches
-Mitglied der menschlichen Gesellschaft gemacht hat. Die landläufige
-Moral bekommt hier also einen argen Stoß; für die Überzarten,
-Zimperlichen, Prüden ist die »Schlangendame« nichts, ebensowenig wie
-der »Pankratius Graunzer«.
-
-Dasselbe gilt von »Stilpe«, dem Roman des verkommenen Genies, sowie
-von der dreibändigen Geschichte »Prinz Kuckuck, Leben, Taten,
-Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings«; beides Werke von ebenso
-groteskem Farbenspiel wie bitterem Ernst, aus denen nicht zuletzt
-der Berufserzieher eine Fülle von Anregungen und heilsamen Lehren
-ziehen kann. Was Bierbaum selbst über das Wesen des Romans denkt, hat
-er in seinem Widmungsbriefe an Holger Drachmann ausgedrückt, über
-seine besonderen Absichten mit dem Zeitroman »Prinz Kuckuck« sagt
-er in den von Professor Litzmann herausgegebenen Mitteilungen der
-Literarhistorischen Gesellschaft in Bonn:
-
-»Die Grundabsicht meiner Arbeit ist satirischer Natur, aber die Satire
-wendet sich nicht gegen bestimmte Personen, sondern gegen allgemeinere
-Zeiterscheinungen. Es lassen sich herausheben: Erziehungswesen,
-Übermenschentümlichkeit, Macht des Geldes (über den Besitzer wie über
-seine Umgebung), Rassenphrasen, künstlerische Galoppentwickelung,
-Erotomanieen aller Art, Snobismen auf verschiedenen Gebieten (selbst
-der Religion), Neigung zur Allüre und allem Äußerlichen. Dies alles
-wie in einem kochenden Nudeltopfe: ein ewiges Auf- und Nieder- und
-Durcheinanderwallen: eine Zeit ohne Helden und ohne Stil, aber mit
-heftig bewegter Tendenz danach.
-
-Insofern erscheint eine Hauptfigur mit Zügen ausgestattet, die nicht
-bloß individuell gedacht sind: Der Erbe, der nicht zu erwerben weiß, um
-zu besitzen. Indessen ist er doch nicht wesentlich als Typus angelegt,
-wenngleich gewisse Besonderheiten an ihm (so sein ›antisemitisches‹
-Halbjudentum, das Zufallhafte seines Reichtums und damit sein Mangel
-an Tradition) nicht ohne eine Art symbolisch allgemeiner Bedeutung
-sind. Denn neben der satirischen Absicht leitete mich das Interesse
-an gewissen psychologischen Problemen und, natürlich, die Lust am
-fabulierenden Gestalten.
-
-Darüber aber ist nun wohl vom Verfasser nichts zu sagen. Erscheint
-das psychologische Problem, erscheinen die einzelnen Gestalten nicht
-mit aller Deutlichkeit, und entbehrt die (_übrigens erfundene, nur in
-einzelnen Voraussetzungen der Anlage modifiziert dem Leben entnommene_)
-Fabel der Geschichte des Reizes überzeugender Anziehungskraft, so hilft
-kein Kommentar und Wegweiser des Autors über den Umstand weg, daß sein
-Werk verfehlt ist. --
-
-Im ersten Hefte des dritten Bandes ›Aus Kunst und Altertum‹ finden sich
-hintereinander zwei Axiome Goethes, die auf meinen Roman im allgemeinen
-wie im besonderen passen:
-
-›Der Roman ist eine subjektive Epopöe, in welcher der Verfasser sich
-die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es
-fragt sich also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon
-finden.‹ Und:
-
-›Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in
-der sie sich befinden, und denen keine genug tut. Daraus entsteht der
-ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.‹
-
-Auf die Frage, ob ich eine Weise habe, kann nur der Roman selbst
-antworten; auf die, ob sie den anderen gefällt, nur die anderen;
-und schließlich auf die, ob sie künstlerisch wertvoll zum Ausdruck
-gebracht worden ist, mag die Kritik ihre Antwort geben. Ich glaube, daß
-Aufbau und Gliederung meiner subjektiven Epopöe für den ästhetischen
-Beurteiler literarischer Kunstwerke einiges Interesse haben werden.
-Bei aller Freiheit im einzelnen bin ich konstruktiv sehr streng zu
-Werke gegangen, -- auch in Fällen, wo man mir am Ende nachsagen wird,
-daß ich mich aus reiner Lust am Fabulieren habe gehen lassen (z. B.
-in dem Zwischenstück aus dem XVIII. Jahrhundert im dritten Bande,
-das eine Art Rück- und Wiederspiegelung des Problems sein will). Die
-Vielfältigkeit des Stiles läßt sich, denk ich, durch die Anlage des
-Ganzen rechtfertigen, das ich mit einem weitläufigen Gebäudekomplex
-nach Art des bayrischen Nationalmuseums vergleichen möchte, das, als
-Ganzes eine ästhetische Einheit, im einzelnen die verschiedensten Stile
-aufweist (in der Architektur wie in der Inneneinrichtung). Wenn es mir
-wie Meister Gabriel von Seidl gelungen ist, mit verschiedenartigen
-Mitteln ein Gebäude aufzurichten, das dennoch als organisches Gebilde
-wirkt gleich alten Bauwerken, denen die Entwickelung der Zeit eine
-Vielfältigkeit des Stiles gegeben hat, ohne ihre konstruktive Einart
-zu verwischen, so glaube ich, daß der Wechsel des Duktus kein Fehler
-meines Romanes ist. Es geschah nicht aus Lust an stilistischer
-Spielerei, sondern stellte sich wie von selbst mit dem Wechsel der
-Szenerie, der Handlung, der Zeit innerhalb meiner Geschichte ein. Wäre
-sie (vergleichsweise) ein Dom, ein Palast, ein idyllisches Landhaus,
-so möchte das Nebeneinander von Stilen schwerer zu verteidigen sein.
-Sie ist aber eine Art Museum von allerhand, höflich ausgedrückt,
-Kuriositäten der Generation, zu der ich gehöre, und so durfte ich
-meiner Empfindung nach, die Geschichte der schönen Sara im Stile der
-Krinolinenzeit, die Erlebnisse des ›Helden‹ in der Ulrikusstraße zu
-Hamburg aber im Stile des Naturalismus vom Anfang der achtziger Jahre
-erzählen usw.
-
-Das zweite Zitat aus Goethe, das, wenn ich nicht irre, bei dem
-bekannten Spielhagenschen Romane Pate gestanden hat, umschreibt das
-dominierende Problem im Leben meines sehr problematischen Wollüstlings
-aufs treffendste. Wie es mir nach Beendigung der ersten beiden Bände
-vor Augen kam, erschrak ich beinahe, als hätte ich mich selbst auf
-einem Plagiat ertappt. Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß das
-›Wollüstling‹ im Titel eine ironische Nuance hat ...
-
-Nur wer des Sinnes für Nuance und Ironie entbehrt, dürfte überhaupt
-gut tun, sich eine weniger problematische Lektüre zu wählen, als den
-›Prinzen Kuckuck‹. Damit ist gesagt, daß das Buch sich insbesondere
-nicht für junge Mädchen eignet, als welche fast ausnahmslos so
-glücklich sind, diesen gefährlichen Sinn nicht zu besitzen.
-
-Es soll ja überdies auch unmoralisch sein und ist bereits als
-pornographisch denunziert worden. Demnach gibt es Leute, die Bücher
-mit der ausgesprochenen _Absicht_ lesen, Anstoß zu nehmen. Es muß dies
-eine Art Perversität sein; geistiger Masochismus etwa. Denn, wenn ein
-Buch auf seinem Titel ausdrücklich bekennt, daß es vom Leben, den
-Taten, den Meinungen und der Höllenfahrt eines Wollüstlings handelt, so
-sollte ein (sozusagen) normal prüder Mensch sich hinlänglich gewarnt
-und abgestoßen fühlen, und er sollte sich den Stein des Anstoßes nicht
-geradezu ins Haus tragen. Tut er's dennoch, so wird man annehmen
-dürfen, daß ihm entweder das Ärgernisnehmen oder das Denunzieren
-vergnüglich ist. Jeder Staatsanwalt aber sollte mit Entschiedenheit
-erklären, daß die Organe des Staates nicht dazu da sind, derlei
-perversen Trieben zu dienen. Ich für mein Teil darf sagen, daß mir
-ebenso unerwünscht wie diese Art Leser die sind, denen das Wort
-Wollüstling etwa als Einladung erschienen ist. -- Im übrigen glaube
-ich, daß mein Roman eine sehr schöne Moral hat. Sie steht bei Immanuel
-Kant mit diesen schönen Worten zu lesen: ›Durch die Einschränkung der
-Selbstliebe und Niederschlagung des Eigendünkels entsteht in uns jenes
-Gefühl, welches das Moralgesetz in uns bewirkt.‹«
-
-Es kam Bierbaum bei der Niederschrift des »Prinzen Kuckuck« nicht
-allein darauf an, das Leben eines Menschen zu schildern; sein
-ungleich größeres Thema war die Zeit, in der sich der Held bewegt.
-Seltsame Gestalten tauchen vor uns auf, seltsam und doch so lebenswahr
-und psychologisch echt, und alles das ergänzt sich zu einem treuen
-Spiegelbild des unruhigen Getriebes unserer gegenwärtigen Epoche, deren
-Pulsschlag hastig und unsicher, voll Leidenschaft und Erregung ist.
-Wer die wahren Schäden unserer Zeit kennt und sich nicht fürchtet,
-dieses zu bekennen, der wird den »Prinzen Kuckuck« mit noch größerer
-Freude begrüßen, wie einst den »Stilpe«. Denn es geht, wie Felix
-Salten in der »Zeit« so treffend ausgeführt hat, von der Erzählung ein
-solcher Sturm des Geschehens, des Erfindens aus, daß es ist, als hätte
-man die Begebenheiten, die Menschen und die Schicksale eines ganzen
-Zeitalters zusammengeschüttelt, die Stoffe von zwanzig Romanen, von
-dreißig Komödien und von hundertfünfzig Novellen. Der Sohn der schönen
-Sara schreitet durch diesen Tumult von Gestalten und Ereignissen,
-durch dieses Zeitalter, welches das unserige ist. Er wächst auf,
-wandelt sich, genießt die Welt, taumelt durch die Brandung der Epoche,
-überall dort, wo sie am wildesten schäumt, ist der Liebling und der
-Narr des Glücks, und stirbt wie eine Flamme oder wie ein Gleichnis.
-Im »Prinzen Kuckuck« ist so ziemlich alles aufgefangen, was heute die
-germanisch-slawisch-gallisch-jüdische Menschheit des modernen Europa
-erlebt; ginge diese Welt jetzt durch eine Sintflut spurlos unter, sie
-fände sich mit all ihrem sonderbaren Getier in diesem Buch aufbewahrt,
-wie in Noahs Arche.
-
-Dem Roman ließ Bierbaum sehr schnell das Essaybuch »Liliencron«, die
-»Sonderbaren Geschichten« und die »Yankeedoodle-Fahrt« folgen. In
-seinem Liliencron-Buch hat Bierbaum -- neben Michael Georg Conrad
-ohne Frage der Berufenste unter allen »Biographen« Liliencrons --
-die bedeutendsten seiner zahlreichen Bekenntnisschriften über den
-Unvergeßlichen vereinigt. Nur wenigen hat sich der Dichter des
-»Poggfred« und der »Adjutantenritte« so unverhohlen mitgeteilt wie ihm;
-zudem war Bierbaum nächst dem großen Anreger und Vorkämpfer Michael
-Georg Conrad der erste, der die Bedeutung Liliencrons erkannte und mit
-glühender Begeisterung und offenem Freimut für ihn in die Schranken
-trat. Man versteht es und freut sich dessen, daß die Dankbarkeit den
-Verfasser veranlaßte, das Buch dem älteren Kameraden zuzueignen, und
-man braucht nur den Widmungsbrief an Michael Georg Conrad zu lesen,
-um den Grundakkord zu vernehmen, auf dem die Sinfonie des herrlichen
-Buches sich aufbaut: die Sinfonie der Schönheit und der Kraft.
-
-Die »Sonderbaren Geschichten« erinnern uns in der Kunst der Prosa an
-den großen Roman, ja sie übertreffen ihn darin vielleicht insofern, als
-der Reichtum der Ausdrucksmittel hier in schärferer Zucht gehalten,
-klarer disponiert ist. Ein Stück wie »Samalio Pardulus« darf als
-Wortkunstwerk einen Rang beanspruchen, der oberhalb des meisten steht,
-was die künstlerische deutsche Belletristik hervorgebracht hat. Diese
-Sprache hat nicht bloß Anschaulichkeit und Wärme, sie hat auch Rhythmus
-und zwar, daß ich nicht mißverstanden werde: ohne sogenannte poetische
-Prosa zu sein. In ihr waltet die Ökonomie der Novelle, wie im »Prinzen
-Kuckuck« der mächtige Atem des künstlerischen Romans der Sprache das
-Gesetz: die künstlerische Struktur gibt. Man muß in Deutschland immer
-wieder auf derlei hinweisen, denn der Genuß von Kunstwerken des Wortes
-hängt nicht bloß vom Verständnis des Inhaltes, sondern fast noch
-mehr davon ab, daß der Leser seinen Sinn für die Form bilde und des
-Wohlgefühls teilhaftig werde, das in der Erkenntnis von Schönheiten
-liegt, die sich nur dem offenbaren, der das innere Ohr hat. Wir
-haben das erst durch Nietzsche wieder erlangt, von dem Bierbaum als
-Künstler viel mehr beeinflußt worden ist, als von irgendeinem Lebenden;
-wie denn überhaupt seine künstlerischen Nährväter hauptsächlich in
-der Vergangenheit zu suchen sind. So steht seine Lyrik keineswegs
-wesentlich unter Liliencronschem Einflusse, sondern unter dem von
-Goethe, Claudius, Bürger. Von den Modernen hat nur der große Nietzsche
-stark auf ihn eingewirkt.
-
-Das Hauptmerkmal der »Sonderbaren Geschichten« ist ihr grotesker Zug.
-Wenn »Die Stimme des Blutes« wie »Samalio Pardulus« eine tragische,
-»Der mutige Revierförster« eine satirische Groteske ist, so findet sich
-für jedes andere Stück -- die vorliegende Auswahl bringt außer den
-beiden letzten Geschichten noch aus der Sammlung das launige Epos »Der
-heilige Mine« und die von echter Raubritterromantik getragene Erzählung
-»Annemargret und die drei Junggesellen« -- gleichfalls als Hauptzug der
-der Groteske im Sinne der Alten und der Renaissance. Es sind eigentlich
-alles Maskenspiele; aber unter der Maske, durch die Maske leuchtet
-das Leben. Alle diese »Sonderbaren Geschichten«, die sich so leicht
-lesen, sind im Grunde gar keine so leichte Ware; nur nachdenkliche
-Lektüre wird ihr gerecht. Und das ist überhaupt das unterscheidende
-Merkmal des Bierbaum der letzten Zeit, daß er zwar seine Leichtigkeit
-nicht verloren hat, auf seinen Flügeln aber mehr zur Höhe trägt, als
-früher. Auch die Gedichte von »Maultrommel und Flöte« zeigen das. Der
-Wein dieser Lyrik ist schwerer geworden, ohne an Bouquet verloren
-zu haben. Und wenn Bierbaum auch hier noch gerne tändelt, so ist es
-der frohmütige Spaß eines reifen Mannes, nicht mehr jugendliches
-Amüsement. So stehen auch die Stücke der »Yankeedoodle-Fahrt« über der
-»Empfindsamen Reise im Automobil«, weil diesmal das Gepäck reicher
-an den Reiseeffekten ist, die zur großen _Lebens_reise gehören, soll
-sie zu der höchsten Station: _Weltanschauung_ führen. Trotzdem, nein:
-eben deswegen überglänzt alle drei Bücher echter Bierbaumscher Humor.
-Nur muß man das Wort wohl etwas tiefer zu nehmen beginnen, als man es
-bisher tat oder tun dürfte. So ist der Humor der »Yankeedoodle-Fahrt«
-wenn auch nicht bitter, so doch bittersüß. Aber sauer sind die
-Früchte von diesem Baume nie; Sonne und Leben hat sie gereift, es sind
-Sonnenfrüchte.
-
- * * * * *
-
-Im Frühjahr 1910 sollte außer dem Romanfresko »Die Päpstin« eine
-Novellensammlung »Die Schatulle des Grafen Trümmel« erscheinen,
-für den Herbst hatte Bierbaum die Veröffentlichung einer großen
-Selbstbiographie geplant. Er hat die Drucklegung dieser Werke
-ebensowenig erleben sollen wie das Erscheinen seiner »Reifen Früchte«,
-auf die er sich so gefreut hatte. Sein letztes abgeschlossenes Werk
-ist eine Dichtung für die Bühne; das mit Königsbrun-Schaup zusammen
-gearbeitete Stück führt den Titel »Fortuna. Abenteuer in 5 Akten« und
-wird noch in diesem Jahre zur Aufführung gelangen.
-
-»Aus den _letzten Ernten_ ...«, so sollte es im Titel der »Reifen
-Früchte« heißen, dessen originelle Fassung des Dichters eigene Idee
-war; so war es -- schon im Herbst 1909! -- überlegt. Wer hätte
-gedacht, daß es wirklich _letzte_ Früchte sein würden? Im Dezember
-vorigen Jahres warf ein chronisches Nierenleiden den Dichter auf das
-Krankenlager, von dem er sich, allem Sträuben zum Trotz, nicht wieder
-erheben sollte, obgleich sein Zustand sich vorübergehend gebessert
-hatte. Ein Brief, den ich am 2. Februar frühmorgens von seinen
-Angehörigen aus Dresden erhielt, klang sehr besorgt. Doch fielen mir
-allerlei Sätze aus seinen eigenen letzten Briefen ein, kraftstrotzende,
-von reifem Lebenssinn und unverwüstlicher Daseinsfreude getragene
-Gedanken. Und wie ich alle Bedenken und alle Sorge um den kranken
-Freund mit dem gleichen Optimismus zu verscheuchen suche, bringt der
-Telegraph die Trauerkunde: Otto Julius Bierbaum ist gestern abend im
-Alter von 44 Jahren an Herzlähmung gestorben ...
-
-Nun ist der Mund, der so lustig plaudern und so herzhaft lachen konnte,
-für immer verstummt, wir werden seine Stimme nie mehr hören. Und wir
-hadern mit dem Geschick und können es nicht fassen, daß es gerade
-diesem Manne die Feder aus der Hand winden mußte, dem unermüdlichen
-Apostel der Schönheit, Freiheit und Freude. So steht sein Bild
-kraftvoll und edel neben dem seines Freundes Detlev, für den er immer
-so tapfer in die Bresche gesprungen war, getreu dem schönen Spruche,
-mit dem er mir, drei Tage vor seiner Erkrankung, sein herrliches
-Liliencron-Buch sandte:
-
- Wer sich für andre nicht erhitzen kann,
- Der ist vielleicht ein kluger Mann:
- Er wahrt sein Feuer
- Und wärmt sich _seine_ Hände dran.
- Mir war bei solcher Klugheit nie geheuer.
- Ein rechtes Herz brennt unklug lichterloh.
- Und seine Flamme sieht sich schöner an,
- Als der Bedachtheit glimmend nasses Stroh.
-
-Ja, lichterloh brannte sein Herz, wenn es galt, für etwas Hohes, Edles
-einzutreten, und seine Waffen waren blank und scharf. Das ist Bierbaums
--- wie auch Liliencrons -- bleibendes Verdienst: daß er die Freude
-an gesunder Sinnlichkeit und Schönheit in unser graues Alltagsleben
-trägt, ohne Sinnlichkeit mit Plumpheit, Schönheit mit Ästheterei zu
-verwechseln. Die Freude, die er verkündet, macht stark und befreit und
-erhebt. Wie sagt doch der Seher in der »Vernarrten Prinzeß«?
-
- »Wagt's immer, zu springen,
- Es muß euch gelingen,
- Was _fröhlich_ ihr schafft.
- Das grämliche Hocken
- Bringt alles ins Stocken;
- Frei wehn eure Locken,
- _Die Freude macht Kraft_!«
-
-_Danzig_, im Februar 1910.
-
- Fritz Droop.
-
-
-
-
-Reife Früchte vom Bierbaum.
-
-
-
-
-Skizze zum Porträt eines guten Bekannten von mir.
-
-
-_Otto Julius Bierbaum_
-
-erblickte das Licht dieser Welt am 28. Juni 1865 zu Grüneberg in
-Niederschlesien als der Sohn eines eingeborenen Konditors und einer
-sächsischen Bergmannstochter. In der väterlichen Familie waren zwei
-Berufszweige erblich: Ein süßer: die Zuckerbäckerei, und ein saurer:
-die protestantische Theologie. Otto Julius hatte aber wohl einen
-besonders starken Gemütseinschlag von der mütterlichen Familie her
-(in der einmal, zur Zeit Napoleons ein französischer Tambour eine
-Gastrolle gegeben haben soll), und so fand in ihm weder die süße
-noch die saure Familientradition ihre Fortsetzung. Doch blieb ihm
-Zeit seines Lebens von Abstammung wegen ein ausgesprochener Sinn für
-bessere Kuchen und Edelmetalle im Blute, ohne daß er ihn indessen
-immer befriedigen könnte. Dieses Unvermögen kommt aber eben daher,
-weil er, statt das Süße oder das Saure oder sonst was Ordentliches zu
-lernen, sich von Jugend auf dem Laster des Versemachens und Fabulierens
-hingegeben hat. Was hat er davon? --: Ein immer zweifelhaftes Budget
-und die Ungnade des Literaturaufsehers Bartels in Sulza bei Weimar.
-Dieses hindert ihn aber nicht daran, mit trotziger Hartnäckigkeit
-weiter zu schreiben und zwar ohne alle weise Beschränkung auf ein
-bestimmtes Fach der Dichtkunst. Nicht allein, daß er Gedichte jeder
-Art und Unart sowie Novellen, Romane, Operntexte, Dramen, Balletts,
-Reisebeschreibungen, Märchen von sich gibt; er schreibt auch noch
-allerhand Aufsätze über allerhand Menschen, Dinge und Ideen. Dies
-ist ein so grober Verstoß gegen das moderne Gesetz von der Teilung
-der Arbeit, daß man nicht energisch genug dagegen Front machen kann.
-Warum, so fragen wir mit Nachdruck, hat sich O. J. B. nicht damit
-begnügt, den »Lustigen Ehemann« zu verfassen? Wie klar und hold
-umrissen stünde dann sein Bild im Herzen der dankbaren Mitwelt. Daß
-er auch noch Zeitschriften gründete, mag ihm verziehen werden, weil
-sie (Pan und Insel) eingegangen sind, und weil es sich schließlich,
-Gott sei Lob und Dank, doch herausgestellt hat, daß die aufregenden
-Nachrichten über seine schmachvoll hohen Redaktionsgehälter nur die
-Phantasiegebilde einiger erfindungsreichen Köpfe waren. Auch seine
-längere Reise im Automobil hat ihren Stachel verloren, seitdem man
-weiß, daß sie nicht auf eigene Kosten unternommen worden ist. Über
-seine Mitschuld am Überbrettl gehen die Meinungen auseinander. Einige
-Passagen im »Stilpe« belasten ihn zwar schwer, aber das Programm
-seines Trianon-Theaters wird immer als besinnungslos rein lyrisches
-Entlastungsdokument angeführt werden können. Ob O. J. B. harmlos
-ist, muß dahin gestellt bleiben; da er es sich nicht abgewöhnen zu
-können scheint, über gewisse Charaktereigentümlichkeiten erbost zu
-werden, als da sind: Neid, Lügenhaftigkeit, Undankbarkeit, Tratsch-
-und Verleumdungssucht und aufgeblasener Dummstolz, so muß er doch wohl
-einige Bosheit im Leibe haben, und die christliche Demut, die, nicht
-zufrieden, links geohrfeigt zu werden, auch die rechte Wange hinhält,
-fehlt ihm ganz und gar. Da er lieben kann, kann er auch hassen, und wie
-die platonische Liebe, so ist auch der platonische Haß nicht seiner
-Art gemäß. Es scheint, daß er einige Laster hat. Der Trunk gehört
-nicht dazu. Auch nicht der Geiz und die Faulheit. Aber es könnte sein,
-daß man Momente von Stolz, Wollüstigkeit, Rachsucht in seinem Leben
-fände. Item: vom Heiligen ist er entfernt. Hunde, Katzen, Blumen;
-Horaz, Shakespeare, Goethe; Glück, das »wohltemperierte Klavier«,
-Mozart, archaische Skulpturen, alte italienische Maler, moderne
-Impressionisten; Büttenpapier, Seide und Ceylontee liebt er sehr.
-Für die größten unter den modernen Dichtern gelten ihm Dostojewski
-und Nietzsche. -- Th. Th. Heine ist ihm lieber als Max Klinger. --
-Alte Stile sind ihm erfreulicher als moderne. Und er ist überhaupt
-revidiert unmodern. Daher ist er ein Renegat des »Buchschmucks« und
-bereut seine Sünden auf diesem Gebiete herzlich. Was die moderne Musik
-angeht, so scheint es, daß sein Nervensystem ihr nicht gewachsen ist.
-Seine Unfähigkeit, »Farben« zu hören, ist schlechthin pathologisch und
-man muß es wohl pervers nennen, daß er die schönsten musikalischen
-Kapitel aus der ~psychopathia sexualis~ einfach nicht kapiert. Kurz:
-er ist unmusikalisch. Aber er besitzt eine Phonola und er freut sich
-dieses Automusikels täglich. Moderne Bücher liest er nicht gar viele,
-aber es gibt ein paar Autoren, von denen er keines ausläßt. Darunter
-steht in erster Linie Wedekind. Wenn er das Glück hat, einen Neuen
-für sich zu entdecken, so ist sein Vergnügen groß. Mit dem gleichen
-Vergnügen hat er entdeckt, daß er sich früher in seiner Begeisterung
-einmal bös geirrt hat. Es ist ihm, als wäre seitdem die Luft in
-seinem Leben besser geworden. In alten Briefwechseln, Tagebüchern
-und Memoiren zu lesen ist ihm die spannendste Lektüre. Den größten
-Genuß auf diesem Gebiete bereiten ihm die Tagebücher Friedrichs von
-Gentz, den er überdies für einen der besten Prosaisten in deutscher
-Sprache hält. Dieses Interesse für einen Mann, der als charakterloser
-Sybarit bei allen deutschen Männern von Überzeugungstreue und Tugend
-hinlänglich verrufen, sicherlich jedoch so gut wie unbekannt ist,
-beweist natürlich, daß O. J. B. gleichfalls ein charakterloser Sybarit
-ist. Und er hat in der Tat einiges mit Friedrich v. Gentz gemeinsam.
-So die Passion für gutes Deutsch, die gleichzeitig auch als eine Art
-Sybaritismus bezeichnet werden kann. Ferner die Neigung, über seine
-Verhältnisse hinaus zu leben (was in mancherlei Sinne zu verstehen
-ist). Dann den Tic fürs Vornehme (gleichfalls in mehr als einem
-Betracht). Dann das Bedürfnis nach lebendiger Schönheit und lebendigem
-Geist, aber doch auch nach Bequemlichkeit. Weiter aber auch die
-Fähigkeit, stark zu arbeiten und in der Anerkennung weniger sich dafür
-belohnt zu fühlen.
-
-Was ihn jedoch von Gentz unterscheidet, ist dies: Er ist durchaus kein
-Mensch und zieht die Einsamkeit der besten Gesellschaft bei weitem
-vor. Übrigens verehrt er Napoleon in demselben Grade, wie Gentz ihn
-verabscheut hat.
-
-Sollte sich hier die Frage nach seinen politischen Meinungen
-aufrichten, so wäre die Antwort: Er würde vielleicht welche haben,
-wenn für ihn die Möglichkeit bestünde, sie zu betätigen. Eine
-Stimmzettelabgabe alle fünf Jahre hält er für keine Betätigung,
-und zum politischen Schriftsteller fehlt ihm der Glaube an ein in
-Deutschland realisierbares Programm. Die Mächte, die im deutschen
-Reiche Politik machen, sind, oben und unten, für freie Geister
-unzugänglich. Nur politische Temperamente von der Vehemenz und
-Aufopferungsfähigkeit Maximilian Hardens können, wenn sie wie dieser
-sehr klug und im höchsten Sinne diplomatisch begabt sind, bei uns
-wirklich wirken, ohne ein Amt oder Massen für sich zu haben.
-
-Religiös ist O. J. B. Eklektiker. Vom Judentum hat er die Psalmen,
-vom Protestantismus eine ziemliche Anzahl Gesangbuchslieder, vom
-Katholizismus die Instrumentalmusik und verschiedene Bestandteile
-der sakralen Garderobe, vom Buddhismus die schöne Pose des Sitzens
-auf einer Lotosblüte, vom Konfuzianismus das Prinzip der großen
-Wurstigkeit, vom Taoismus die höchstangesehene Mystik ahnungsvoller
-Wortverknüpfungen in seine Privatkirche übernommen, deren Hauptlehre
-übrigens lautet: »Halte Dir alles Gesindel vom Leibe, denn es hindert
-Dich, in _Deinen_ Himmel zu kommen!«
-
-Da ein moderner Mensch einen Sport treiben muß, so hat O. J. B.
-das Radfahren und Bilderknipsen erlernt. Da er aber ein unmodern
-moderner Mensch ist, radelt er in einem Tempo, das jeden Kinderwagen
-zum Vorfahren herausfordert, und er geht beim Photographieren allen
-poetischen Stimmungseffekten entschlossen aus dem Wege. Übrigens hat
-es bisher nur seine Frau zu bestreiten gewagt, daß er ein brillanter
-Radfahrer und absolut sicherer Photograph ist. Natürlich _sammelt_ O.
-J. B. auch. Aber es ist nicht weit her mit seinen Sammlungen, denn
-es machen ihm nur die Dinge wirklich Spaß, die er billig erworben
-zu haben glaubt, und dabei hat er sich fast ausschließlich auf
-Sammelgebiete kapriziert, wo billig schon etwas zu haben ist. Weder
-alte Bücher, noch alte Buntpapiere, noch alte Bilder, Kupferstiche,
-Möbel, Gläser, Fayencen, Porzellane sind in diesen abscheulichen
-Zeiten, wo jeder Antiquar ein Gelehrter ist, billig zu erstehen, -- von
-alten China- und Japansachen, sowie alten Stoffen ganz zu schweigen.
-Nur mit alten Büttenpapieren ist ihm hier und da ein Coup gelungen.
-Aber da er roh genug ist, die edelsten alten Erzeugnisse längst
-vermachter Bütten zu Manuskripten zu benutzen, kann auch von einer
-ordentlichen Büttenpapiersammlung nicht die Rede sein.
-
-O. J. B. war merkwürdig lange jung. Ein Kindskopf ist er bis in die
-Mitte seiner dreißiger Jahre geblieben. Da kam der Ernst, -- und er
-wurde frech, obwohl er erst noch eine etwas düstere, dumpfe Zeit
-durchzumachen hatte. Augenblicklich ist er damit beschäftigt, den
-letzten Rest von Widerspruch, der ihm aus jener Zeit in der Seele
-geblieben ist, auszutreiben. Da er einen Menschen zur Seite hat, der
-sorglich gewillt und stark ist, ihm dabei zu helfen, wird es wohl
-gelingen. Schon jetzt fühlt er sich stärker denn je.
-
-In einer Anwandlung von literarhistorischer Systematik hat er seine
-bisherige Entwickelung einmal schematisiert und drei Perioden
-festgestellt. Die erste nannte er »Stilpe im Irrgarten der Liebe« und
-datierte sie von 1885--1900. Er hätte sie auch »Kindskopf« nennen
-können. Sie ist im Grunde rein lyrisch, aber neben ein paar Gedichten
-ragt aus ihr der »Stilpe« auf. Die zweite nannte er »Stella und
-Antonie« und setzte sie von 1900--1905 an. Es ist seine dumpfe Zeit.
-Mit dem »Prinzen Kuckuck« ließ er eine dritte beginnen und er nannte
-sie »Grotesken«; sie nimmt sich bis jetzt etwas bunt aus. Aber es
-scheint, daß er ihr keine lange Dauer zutraut. »Wo wollen Sie denn
-eigentlich hin?« sagte der Storch zum Schmetterling, der von Blume
-zu Blume flog. »Fragen Sie die Blumen, Herr Professor!« antwortete
-der Falter; »aber eines kann ich Ihnen schon sagen: nicht in _Ihren_
-Schnabel, gefährlicher Philister, der Sie sind.«
-
-[Illustration: Otto Julius Bierbaum]
-
-
-
-
-Yankeedoodle-Fahrt.[1]
-
- [1] Kapitel 1 und 2 des gleichnamigen Abschnittes aus
- »Yankeedoodle-Fahrt und andere Reisegeschichten«.
-
-
-I.
-
- Vom Nervenseiltanzen und Tunnelfahren, vom schwimmenden Hotel
- und dem Geflügelhofe, von Lyrik, Meer und Himmel.
-
-Als ich so außer mir geraten war, daß ich mich selbst mit fatalster
-Deutlichkeit betrachten konnte, fühlte ich das Bedürfnis, wieder zu mir
-selber zu kommen. Aber es ist schwer, in sein Ich zurückzukriechen,
-wenn man es einmal verlassen und dann allzuscharf von außen angesehen
-hat. Ich fuhr um mich herum wie eine vergiftete Maus, die ihr Loch
-nicht findet und dennoch immerzu dies Loch umkreist. Ein schauderhaftes
-Heimweh und ein Grauen vor der Rückkehr zugleich. Selbst meinen
-verehrtesten Feinden wünsche ich diese Sensation nicht, obwohl es mir
-nicht zweifelhaft ist, daß sie, deren Oberflächlichkeit mir in der
-Tat manchmal Übelkeit verursacht hat, ein bißchen Seelenqual zu ihrer
-Vertiefung wohl brauchen könnten.
-
-Da sprach ein weiser Arzt und Seelenkenner also auf mich ein: Sie
-gehören zu jenen Akrobaten, die auf ihren eigenen Nerven seiltanzen
-und dadurch gezwungen sind, immerfort einen Punkt im Auge zu behalten,
-der in ihnen selber liegt: nämlich im eigenen Gehirne. Das tut weder
-den Nerven noch dem Gehirne gut und ist überdies eine brotlose und
-lebensgefährliche Kunst. Wenn Sie nicht binnen kurzem augenscheinlich
-verrückt werden wollen (denn eine heimliche Verrücktheit ist Ihr
-Zustand bereits), so ist es nötig, daß Sie unverzüglich eine breitere
-Basis zu gewinnen suchen, um von ihr aus Ihre Blicke in einem
-möglichst weiten Gesichtskreis umherschweifen zu lassen. Sie sind
-außer sich, weil Sie so sehr in sich sind. Das vertragen nur Heilige
-und Sie würden sich einem verhängnisvollen Irrtum hingeben, wenn Sie
-meinen wollten, daß Sie zur Heiligkeit angelegt wären. Dazu sind Sie
-zu korpulent und libidinos, -- wohl auch nicht unbescheiden genug.
-Leute Ihrer Konstitution sind darauf angewiesen, die Welt auf sich
-wirken zu lassen. Ihre Empfindlichkeit sträubt sich dagegen, und es
-ist gewiß, daß Sie unter den nicht immer zarten Fingern der Welt
-leiden, aber dieses Leiden ist immer noch heilsamer für Sie, als die
-selbst bereiteten Schmerzen der Heautontimorumenie. Ich rate Ihnen:
-Kaufen Sie sich einen Schiffskoffer und stellen Sie Amphitriten auf
-die Probe. Ihre Zukunft liegt auf dem Wasser, das Salzgehalt und im
-Salze Brom hat. Speien Sie sich einmal kräftig aus und trinken Sie
-so viel Sonnenlicht als möglich. Aber, ich beschwöre Sie, lassen Sie
-alles Schreibgeräte zu Hause, denn, unter uns gesagt, der Federhalter
-ist die gefährliche Balancierstange, mit der Sie sich bisher auf dem
-Nervenseile im Gleichgewicht erhalten haben.
-
-Ich honorierte diese Invektionen mit zwanzig Franken und einem müden
-Lächeln, nahm den breitbeinigen Gang eines alten Seekapitäns an und
-versetzte meine ahnungslose Frau in das äußerste Erstaunen durch
-Intonierung des Liedes:
-
- Auf, Matrosen, die Anker gelichtet,
- Den Kompaß gespannt und die Segel gerichtet!
-
-Ihre Bemerkung, daß der Kompaß keine Flinte sei, die man spannen
-könnte, wies ich mit der Entgegnung zurück, daß nautische Details uns
-bald mehr als genug beschäftigen würden, einstweilen aber Wichtigeres
-zu erledigen sei: nämlich die Frage, ob man auf eine moderne Seereise
-einen Frack oder bloß einen Smoking mitnehmen müsse.
-
-Klug und vorsorglich, wie sie ist, entschied sie sich für beides, ja
-sie wollte sogar, daß ich auch einen Zylinderhut mitnähme. »Wahnwitzige
-Idee!« grollte ich; »dir fehlt jedes Stilgefühl. Eine schottische Mütze
-oder ein Dreimaster, -- ja; niemals eine Tube!«
-
-Am entsprechenden Orte wird es sich zeigen, wer von uns beiden auf der
-Höhe der Situation gewesen ist.
-
-Da es uns vollkommen gleichgültig war, wohin wir reisen würden (denn
-ich hatte ja lediglich das Gebot erhalten, eine Seereise »an sich« zu
-machen), überließen wir es einem Freunde, Schiff und Ziel zu bestimmen.
-Er sandte uns eine Kabinenkarte für den Doppelschraubendampfer
-Yankeedoodle, den die berühmte Onkel Sam-Michel-Linie eben zu einer
-Orientreise in Genua bereithielt. Ein beigeschlossenes Druckheft
-schilderte die ganze Reise in äußerst lebendigen Farben, so daß mir
-sofort ganz orientalisch zumute wurde, als ich las, was alles uns
-bevorstand.
-
-»Kein Zweifel,« sagte ich zu meiner Frau, »es wird äußerst lehrreich
-werden. Schade nur, daß wir uns nicht länger auf die Reise freuen
-dürfen, denn das ist doch das Schönste am Reisen: sich vorher darauf
-zu freuen.«
-
-Aber es half nun nichts: kaum, daß die Koffer gepackt waren, mußten wir
-uns in den Dampfwagen setzen, der uns nach Genua transportierte. Meine
-Idiosynkrasie gegen das Eisenbahnreisen gestaltete diese Fahrt zu einer
-~via crucis~, an die ich nur mit Grauen denken kann. Kein Zweifel:
-ich bin ein arger Sünder, aber so viele Todsünden habe ich denn doch
-nicht begangen, daß ich die Höllenqualen verdient hätte, die mir in den
-endlosen Tunnels an der Riviera zuteil wurden, wo rechts und links des
-Gleises offenbar teuflische Dämonen aufgestellt waren, die, während ich
-in stinkendem Qualm fast erstickte, mit eisernen Hämmern gegen eiserne
-Wände zu schlagen schienen. Nun: wir sind nicht zum Vergnügen auf der
-Welt, und es ist gewiß in der Ordnung, daß Nerven, die für angenehme
-Sensationen besonders empfindlich sind, dafür um so heftiger unter
-unangenehmen leiden. Sela.
-
-Das Gedröhne einer Kesselschmiede in den Ohren, die Lungen voller
-Ruß und im Schädel ein Gefühl, als seien sämtliche Gehirnwindungen
-mit flüssigem Blei angefüllt, begab ich mich mit meiner Frau in
-das berühmte Theater Carlo Felice, aber beileibe nicht, um uns
-Tristano e Isotta italienisch vorspielen zu lassen, sondern von
-wegen der exzellenten Küche seines Restaurants. Doch wurde uns auch
-hier ein außerordentliches Schauspiel zuteil: wir sahen einen jener
-italienischen Eßkünstler, die den illustren Fressern der Antike nichts
-nachgeben. Was dieser überlebensgroße Bauch sich alles servieren ließ,
-und mit welch andächtigem Kennerentzücken er seine Füllung zu einer Art
-gottesdienstlichen Handlung erhob, läßt sich in Kürze und auf Deutsch
-nicht schildern. Es muß genügen, zu sagen, daß es ein klassisches
-Schauspiel war, würdig, von einem Petronius der Nachwelt überantwortet
-zu werden. Denn es läßt sich von derart großen Gegenständen wohl nur in
-monumentaler Latinität handeln.
-
-Als ich am nächsten Morgen den Yankeedoodle vor mir liegen sah, wie er
-unabsehbare Massen von Koffern und Menschen in sich aufnahm, mußte ich
-an den gewaltigen Speisevertilger denken, und so erübrigt es sich, zu
-bemerken, daß Yankeedoodle ein imposantes Schiff ist.
-
-Wir wurden tief unten in seinem Innern verstaut und fühlten uns sehr
-winzig. Dafür erfüllte uns aber sogleich eine sehr gewisse Zuversicht
-zu dem massigen Zweischlöter. »Ich glaube kaum, daß wir mit dem
-Yankeedoodle untergehen werden,« sagte ich zu meiner Frau; »ja selbst
-meine Hoffnung auf ausgiebige Seekrankheit ist bereits ins Wanken
-geraten.«
-
-»Und mir ist schon übel,« entgegnete sie.
-
-Dabei stand das Schiff fest wie ein Turm.
-
-Weshalb ich sagte: »Autosuggestion gilt nicht, und wenn du mit Gewalt
-seekrank wirst, um später damit zu renommieren, so kannst du sicher
-sein, daß ich deine Finten aufdecken werde.«
-
-In diesem Augenblicke brüllte Yankeedoodle auf eine Weise, daß mir
-Hören und Sehen verging. Dreimal. Wie nie ein Mastodont gebrüllt hat.
-Homer hätte das hören sollen, und er hätte kein solches Wesen vom
-Gebrüll seiner verwundeten Helden gemacht.
-
-»Was _hat_ er denn?« fragte ich entsetzt.
-
-»Er sagt Adieu,« erklärte meine Frau ruhig, die von nun an überhaupt
-gerne so tat, als wüßte sie alles.
-
-Und es war wirklich so. Immer, wenn Yankeedoodle sich anschickte, in
-See zu stechen (ein Ausdruck, der aber für solche Kolosse gar nicht
-paßt; ebensogut könnte man sagen, ein Dampfhammer sticht ins Erz),
-brüllte er so unmanierlich. Es gehört das zum guten Ton bei diesen
-Dampfgiganten. Ob es einen Zweck hat, weiß ich nicht. Vielleicht heißt
-es nicht bloß: adieu, sondern auch: Platz da! Hühneraugen weg!
-
-Und richtig: wir fuhren. Doch muß ich wohl besser sagen: wir glitten
-dahin. So leise, sanft, unmerklich, daß ich fürs erste jede Hoffnung
-auf das große Speien aufgab, während meine Frau mit weiblicher
-Beharrlichkeit beteuerte, nun werde ihr aber schon _sehr_ übel.
-
-Da sie offenbar nur höchst ungern von diesem Wahne lassen wollte,
-bestärkte ich sie in der Überzeugung, seekrank zu sein, indem ich ihr
-erklärte, sie sähe grasgrün aus und tue mir furchtbar leid.
-
-Worauf es ihr sehr bald besser wurde.
-
-Eine kleine Weile noch, und sie teilte meine Empfindung, daß
-Yankeedoodle, weit davon entfernt, ein Schiff zu sein, wie wir es uns
-gedacht hatten, einfach ein Hotel war, das sich auf Salzwasser bewegte.
-Statt Matrosen zu sehen, die an Tauen herumklettern, und Kommandorufe
-zu vernehmen von Offizieren, die Sprachrohre am Munde und Fernrohre
-vor den Augen hatten, erblickten wir Kellner, die da höflich leise
-säuselten: Bouillon gefällig? Doch lernten wir bald, sie Stewards zu
-nennen, was immerhin eine gewisse Seestimmung erzeugte.
-
-Dennoch blieb eine deutliche Enttäuschung in uns zurück. Unser
-romantisches Bedürfnis wollte nicht auf seine Rechnung kommen. Wir
-hatten uns das alles viel abenteuerlicher vorgestellt. Wenn wenigstens
-ein Mastkorb dagewesen wäre, in dem sich ein Matrose befunden hätte,
-der Ahoi! rief ...
-
-Statt dessen sagte ein Herr, der zwar eine Art Seemannsmütze aufhatte,
-aber den Gymnasialprofessor durchaus nicht verleugnen konnte, laut und
-vernehmlich: ~Thalatta! Thalatta!~
-
-Mein Magen drehte sich um und ich mich mit ihm.
-
-O Ägir, Herr der Fluten, stöhnte ich in meinem lieben Herzen, sorge
-dafür, daß ich diesem Humanisten nirgendwo benachbart werde in diesem
-schwimmenden Hotel!
-
-Und ich fühlte, daß es jetzt vor allem nötig war, einen Platz auf
-dem Yankeedoodle ausfindig zu machen, wohin wir uns vor den übrigen
-Hotelgästen flüchten könnten, falls diese irgendwie nicht nach unserem
-Geschmack sein sollten.
-
-Alle diese Herrschaften, sagten wir uns, sind gewiß durch Qualitäten
-ausgezeichnet, die uns fehlen, und wir wollen ohne weiteres annehmen,
-daß sie nicht bloß einer höheren Steuerklasse angehören als wir,
-sondern auch in jeder anderen bürgerlichen Hinsicht den Vorzug vor uns
-verdienen. Aber wir sind nun mal Uhunaturen, die in den Geflügelhof
-nicht passen. Zärtlich girrende Tauben, gluckende Hennen, majestätische
-Hähne sind kein Umgang für uns, geschweige denn diese stolzen Pfauen
-und Perlhühner aus Amerika, die sich, das merkten wir bald, als die
-Elite des Yankeedoodle betrachteten und von den Funktionären der O.
-S.-M.-L. auch als solche ästimiert wurden, da sie die besten Käfige
-innehatten. Alles das, gaben wir gerne zu, ist ganz in der Ordnung,
-aber diese Ordnung ist nicht die unsere. Suchen wir also einen Winkel
-aus, wo wir das prächtige Gesamtbild am wenigsten stören.
-
-Wir fanden es auf dem Hinterdeck, das von allen besseren Passagieren
-streng gemieden wurde, weil es bei den gewöhnlichen Fahrten des
-Yankeedoodle, die nicht dem Vergnügen, sondern der Überfahrt nach
-Amerika dienen, als das Deck der zweiten Kajüte gilt. Für uns besaß
-es außer dem Vorzug, wenig besucht zu sein, auch noch den, zwei
-Etagen zu haben. Die obere war die schönste, denn auf ihr befand man
-sich wirklich ~en plein air~. Hier verbarg uns kein vorgespanntes
-Segeltuch Meer und Himmel, wie sonst überall auf diesem Schiffe,
-dessen Einrichtungen mehr darauf berechnet zu sein schienen, das Meer
-vergessen, als sehen zu lassen. Die begehrtesten Plätze des Hauptdecks
-(zumeist von Amerikanern besetzt), nämlich die an den Innenseiten,
-gewährten den dort in ihren Klappstühlen Ausgestreckten die Aussicht
-auf den Streifen Himmel, der zwischen dem Dach und der Segeltuchwand
-des Decks sichtbar bleibt. Weder Meer noch Küste war von dort aus zu
-sehen. Die Außenseiten des Hauptdecks sahen aber nicht einmal diesen
-Streifen Himmel, sondern nur die Kajütenwand, garniert mit horizontal
-gelagerten Amerikanern.
-
-Es wollte uns anfangs nicht in den Sinn, wie gerade diese Plätze so
-sehr begehrt sein konnten, die eigentlich nichts anderes waren als
-Einzelglieder im Spalier einer Promenade; denn zwischen ihnen war
-der allgemeine Wandelgang. Wir mußten erst begreifen lernen, was wir
-Uhus nicht ohne weiteres wissen: daß das Publikum auch auf Reisen
-sich vor allem anderen für das Publikum interessiert. Die Menschen
-lieben einander zwar nur in einem sehr gemäßigten Grade, aber sie
-sind sich gegenseitig äußerst interessant, und so leben sie gerne
-in Gesellschaft, sei es auch nur, um sich innerhalb deren wieder in
-Extragesellschaften abzuspalten. Je länger wir das Wesen auf unserem
-Schiffe betrachteten, um so mehr spürten wir, daß viele geradezu
-deshalb den Yankeedoodle bestiegen hatten, um nach der vielleicht
-monoton gewordenen Gesellschaft zu Hause hier eine neue zu finden.
-Und wir merkten schließlich, obwohl wir immer nur aus der Ferne in
-dieses lebendige Netz von Gesellschaftsfäden blickten, daß nicht bloß
-die Spinne Sympathie dabei am Werke war, sondern auch mancherlei
-Berechnung, -- nicht zu vergessen die mehr oder weniger schönen Damen
-Eitelkeit und Medisance.
-
-Ich kann nicht leugnen, daß, von der Ferne angesehen, dieses große
-Gesellschaftsspiel einen gewissen Reiz für mich hatte, da ich nur
-selten dazu komme, derlei zu beobachten. Einen reineren Genuß
-bereitete mir aber doch der Anblick des hohen Himmels und der weiten
-Wasserfläche, obgleich ich gestehen muß, daß eigentlich poetische
-Stimmungen ausblieben. Der Anblick war schön, -- aber nur Genuß, nicht
-Erregung. Mein Auge ließ sich's wohl sein, und mein »Herz« quittierte
-mit Dank darüber, -- aber kühl, eigentlich unbeteiligt. Ich habe es ein
-paarmal gescholten deswegen und bin mir selber sehr gram gewesen darum.
-Bist _du_ das noch, habe ich mir gesagt, der vor Zeiten sich bis zur
-wonnigsten Verrücktheit entzücken konnte vor einem Tümpel, auf dem ein
-paar Spritzer Sonnenuntergang kringelten? Dem ein schüchternes, dummes
-kleines Ding wie eine junge Birke Seligkeiten ins Herz schüttete, der
-vor einem Quellchen in die Knie sinken konnte, Verse zu stammeln,
-dessen Blicke verzückt an Wolken hingen und mit ihnen hinüberschwammen
-zu den goldberänderten Himmelsküsten einer nicht bloß äußerlich
-gesehenen, sondern innig umfaßten Schönheit, -- das ist derselbe,
-der sich hier, in einem Stuhle der Ocean-Comfort-Company liegend,
-Lichteffekte servieren läßt, wie kurz vorher Tee mit Streuselkuchen? Ei
-du satter, fauler, leerer Halunke du, mach daß du hinunterkommst auf
-das Promenadendeck und sieh, wenn die Sonne untergeht, nach der Uhr, ob
-es auch pünktlich geschehen ist! Laß dich von dem Gymnasiallehrer auf
-Ägypten, Kleinasien, Griechenland vorbereiten; du hast es nötig, denn
-wer nicht mehr fühlen kann, soll wenigstens wissen. Und wenn du auch
-dazu zu faul bist, so zeige den jungen Töchtern Germanias, die, halb
-Misses, halb Gretchen, die moderne Weiblichkeit des zahlungsfähigen
-Deutschland mit mehr Selbstbewußtsein als Geschmack vertreten, daß auch
-du tennis-englisch und über »Frühlings Erwachen« reden kannst. Da du
-nüchtern geworden bist, ist dein Platz bei den Nüchternen. Vielleicht
-sagen _sie_ dir etwas, da die großen Dinge dir stumm geworden sind. So
-schimpfte ich mich. Aber mit Unrecht. Denn es war nicht so, wie ich mir
-sagte. Meer und Himmel waren mir nicht stumm. Ich verstand ihre Sprache
-nicht so schnell, wie früher die von Busch, Baum, Quelle, Wolken. Und
-dies ist nicht verwunderlich. Jene Dinge, die den jungen lyrischen
-Menschen so schnell ins Gespräch zogen, sprachen _seine_ Sprache, die
-Sprache der schnellen Gefühle, naiver Lust, einfältiger Triebe. Er
-hörte und sah in allem nur sich. Wenn er niederkniete und ins Plappern
-der Quelle Verse rief, so kniete er vor sich selber und überschrie
-das murmelnde Element. Er war (Heil ihm, daß er's gewesen) frech beim
-Frohsinn, und so hatte er's wohl leicht, zu schwärmen. (Lyrik! Eine
-selbstverständliche Sache für junge Menschen, denn es ist ihr Aus- und
-Einatmen. -- In dieser Parenthese wäre noch allerhand zu bemerken.
-So dies, daß die große Seltenheit wirklicher Lyriker damit nicht im
-Widerspruche steht. Es gibt nämlich nur sehr wenige junge Menschen in
-dem Alter, wo zum Gefühle künstlerisches Vermögen tritt. Was Goethe das
-Närrische am Lyrischen nennt, ist das Kindliche. Die beiden reinsten
-Lyriker unter den heutigen Deutschen: Martin Greif und Max Dauthendey,
-sind Kindsköpfe. Auch Ludwig Finckh hat Anlage dazu. Rilke dagegen,
-dieses unheimliche Genietalent, ist ein Wunderkind. Übrigens liegt beim
-reinen Lyriker die Gefahr nahe, aus dem Kindlichen ins Kindische zu
-verfallen, sich auszuleiern. Aber wo komme ich hin!) Das schlechthin
-Große dagegen, Meer und Himmel, monoton erhaben (mit Worten aus der
-Terminologie menschlicher Kunst zu reden: Monumentalnatur) -- das
-duckt die Frechheit. Seine Sprache ist Gedröhn und Brausen: Vokabeln
-fehlen in dieser Musik voll rhythmischer Symbole. Das Herz, das hier
-nur stummen Dank hat, verdient keine Schmähung, und der Mann, der vor
-diesem Schauspiel Auge wird, ganz Auge: und klares, nicht trunkenes,
-mag sich der Zuversicht getrösten, daß dieser ruhige Genuß ruhig des
-Reichsten, das dem Menschen an äußeren Eindrücken zuteil werden kann,
-nicht bloß der Netzhaut zugute kommt, sondern zu einem inneren Schatze
-wird, auch wenn er sich nicht gerade kleinweis in lyrische Silberstücke
-ausmünzen läßt.
-
-
-II.
-
- Von meinem schlechten Charakter und der Absicht, ihn zu
- bewähren; von meinem Lordshut und Madames Patriotismus; vom
- Mauldeutschtum und dem deklassierten Ölbaum; von der Tugend
- und ihrer mangelhaften Belohnung; vom Genie der Pariser
- Putzmamsells und der bedauerlichen Unfähigkeit deutscher
- Dichter sie zu fördern; von grünen Tischen, Théodore und der
- Rache auf Ansichtspostkarten.
-
-Wer auch nur oberflächlich mit der modernen deutschen
-Literaturgeschichte bekannt ist, weiß, daß ich von schmutzigster
-Geldgier besessen bin. Im übrigen schwankt mein Charakterbild ja
-bedenklich: denn, während die einen sagen, daß ich zwar ein ganz
-passabler Lyriker sei, aber leider auch Romane schreibe, so finden
-andere, daß ich zwar im Romane gewisse Qualitäten an den Tag gelegt,
-bedauerlicherweise aber den üblen Ehrgeiz hätte, auch Verse machen
-zu wollen; und so durch alle übrigen Gattungen der ~belles lettres~
-durch, mit denen ich mich, immer einigen zum Vergnügen, anderen aber
-zur Mißlust, abgegeben habe und immerzu weiter noch abgebe. Das
-einzige, was feststeht, ist, wie ich mich nun hinlänglich überzeugt
-habe, die felsenfeste Gewißheit, daß ich ein hervorragendes Talent
-besitze, Schätze zu sammeln. So werde ich als ein zweiter Midas in
-die holzpapierene Unsterblichkeit eingehen und bin schon jetzt, wie
-mein phrygisches Urbild, durch Eselsohren entstellt -- wobei es
-dahingestellt bleibt, ob es lauter Apollos sind, die mir zu diesem
-Schmucke verholfen haben.
-
-Kein Wunder, daß ich manchmal Lust habe, diesem Zustande ein Ende
-zu machen, der immerhin etwas Peinliches hat. Nichts trägt sich
-so lästig, wie der Ruf von Talenten und Reichtümern, die man nicht
-besitzt. Und dann: man kommt sich, auch wenn man ihn nicht verbreitet
-hat, wie ein Schwindler vor.
-
-Also möchte ich ihn furchtbar gerne wahrmachen.
-
-Und so beschloß ich, in Monte Carlo hundert Franken zu setzen, um
-zehntausend zu gewinnen.
-
-»Nimm deinen großen Pompadour mit,« sagte ich zu meiner Frau, als der
-Yankeedoodle sich Villafranca näherte; »wir werden ihn nötig haben.«
-
-»Du willst also wirklich spielen!?« rief sie voller Entsetzen aus.
-
-»Ja!!« sagte ich mit zwei Ausrufezeichen.
-
-Und ich tat mein schönes Gewand an und setzte den großen grauen
-Lordshut auf, den ich in Deutschland nicht zu tragen wage, weil er
-eine Art Nabel hat, nämlich einen Filzknopf zur Kaschierung der
-Ventilöffnung. Denn es ist ein Hut, den die englischen Lords in Indien
-tragen, wo es sehr heiß ist.
-
-Auch meine Frau putzte sich so stattlich heraus, wie es dem Umstande
-angemessen erscheinen mußte, daß wir uns in den wabernden Dunstkreis
-rollenden Reichtums begeben wollten.
-
-Da hier das »Reisebureau« noch keine Macht über uns hatte (denn den Weg
-zum Spieltische würden wir, so meinte es nicht ohne psychologischen
-Scharfsinn, schon selber finden), durften wir, o Glück und Wonne, o
-Seligkeit, allein gehen. Die Prozedur der Ausbootung, vor der meine
-Frau auf recht anmutige Art Angst an den Tag legte, während ich nicht
-ganz so graziös den erfahrenen Gangwaykletterer spielte, vollzog sich
-ohne jede Fährlichkeit, obwohl ich, zu meinem nur mühsam verhehlten
-Mißvergnügen, gezwungen war, mit der Linken den zwar schönen,
-aber nicht ganz festsitzenden Lordshut zu halten, da ich doch die
-entschiedene Tendenz hatte, mit ihr Halt am Treppengeländer zu suchen.
-Aber es ging auch so, und ehe wir's uns versahen, befanden wir uns
-alle drei: die Frau, der Hut und ich, im Boot. Nervige Arme ruderten
-uns an die französische Küste. (Das muß ich einmal in einem Romane
-gelesen haben.) Da diese von Rechts wegen eine italienische Küste sein
-sollte, regte sich in meiner Frau die Patriotin, und sie hätte gar zu
-gerne gehört, daß sich der Mann mit den nervigen Armen zur ~Italia
-irredenta~ bekannt und Verwünschungen gegen die Franzmänner ausgestoßen
-hätte. Aber es fiel ihm gar nicht ein, Gefühle dieser Art grün-weiß-rot
-aufleuchten zu lassen, vielmehr sagte er, und noch dazu in einem
-stark französisch unterwachsenen Italienisch, sie in Villefranche (!)
-seien allzumal höchlich zufrieden mit der Pariser Republik, denn der
-gallische Hahn füttere die Seinen besser als der savoyische Adler.
-
-»~Vergogna!~« meinte die Toskanerin, gab ihm aber doch eine gute
-Mancia, wenn auch demonstrativerweise in italienischer Münze. Worauf
-der Nervige dann endlich ~Evviva Italia!~ rief.
-
-Nach den mächtigen Befestigungen zu urteilen, mit denen die Franzosen
-den Hafen von Villafranca (das aber nur die Bücher so nennen; die
-Leute sagen alle Villefranche) umgürtet haben, gedenken sie, dieses
-schöne Stück Land gewiß nicht freiwillig wieder herzugeben. Auch
-liegt eine Menge Kriegsvolk dort in Garnison; Alpenjäger, sehr gut
-aussehende und malerisch uniformierte Leute. Indessen fand die etwas
-kordial demokratische Art, mit der sie ihre Vorgesetzten grüßen,
-durchaus nicht den Beifall zweier unserer Reisegenossen, die, wohl in
-der Meinung, daß kein Mensch in Frankreich deutsch versteht, recht
-laut und ungeniert Kritik daran übten, wobei der Ausdruck »schlappe
-Bande« noch der mildeste war. Mir kam das weder sehr klug vor, noch
-fand ich es hübsch, habe aber auch im weiteren Verlaufe unserer Reise
-noch recht oft die Beobachtung machen müssen, daß unsere Landsleute
-sich gerne darin gefallen, fremde Sitten, Gewohnheiten, Einrichtungen
-unter dem Gesichtswinkel des in Deutschland Üblichen zu beurteilen,
-zuweilen direkt mit dem Schlußtrumpf: hier sollten _wir_ Ordnung
-schaffen dürfen! Ob Geibel das gemeint hat, als er ausrief »Und es
-mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen«, scheint mir
-fraglich, während ich der sehr bestimmten Überzeugung bin, daß dieses
-Wesensmachen vom deutschen Wesen sehr dazu angetan ist, das deutsche
-Wesen in Mißkredit zu bringen.
-
-Schade nur, daß der schöne Weltverstand, der bisher die Deutschen
-auszeichnete, verloren gehen muß, wenn dieses Mauldeutschtum, das
-nachgerade zum Großmauldeutschtum zu werden droht, um sich greift. Ich
-habe auf dieser Reise nicht viele Deutsche getroffen, auf die das Wort
-Goethes hätte angewendet werden dürfen, das sonst vom deutschen Geiste
-gelten durfte: »Der ist nicht fremd, der teilzunehmen weiß.« Und so
-habe ich mich manchmal gefragt: Warum reisen diese Leute eigentlich?
-Nur um sich einzuprägen, daß es eigentlich ein Unsinn, zu reisen, da
-es ja doch in Deutschland am schönsten ist? Insofern, als der Deutsche
-sich auf die Dauer am wohlsten in Deutschland befinden mag, wie jeder
-andere Mensch in seinem Vaterlande, ist das gewiß richtig. Aber,
-zu reisen, bloß um das bestätigt zu sehen: welch eine sonderbare
-Sinnesverkehrung ist das doch! Man geht freilich nicht in die Fremde,
-um sich der Heimat zu entfremden, aber einen vernünftigen Sinn hat
-das Reisen doch nur insofern, als es von der Sehnsucht eingegeben
-ist, zu dem heimisch Schönen sich etwas fremd Schönes einzuverleiben,
-innerlich reicher zu werden aus den Schäden der Fremde, indem man an
-ihnen teilnimmt. Dies scheint aber vielen direkt unmöglich zu sein.
-Sie sehen z. B. (ich konstruiere hier nicht, sondern gebe wieder,
-was ich mit eigenen Ohren gehört habe) einen Ölbaum. »Gott, was für
-ein häßliches Ding ist das!« sagen sie, »da ist doch eine richtige
-deutsche Eiche was anderes!« Man müßte närrisch sein, wenn man das
-bestreiten oder sich durch einen Ölbaum den Geschmack an einer Eiche
-verderben lassen wollte, aber nicht weniger närrisch ist es auch (von
-dem damit bewiesenen Mangel an Schönheitsempfinden gar nicht zu reden),
-im fernen Syrierlande die deutsche Eiche heraufzubeschwören, um den
-Eindruck eines Ölbaumes zu deklassieren. Es wäre davon, als von etwas
-schlechthin Törichtem gar nicht der Rede wert, wenn sich nicht eben
-eine Art von perversem Nationalismus darin äußerte, ein häßlicher Geist
-der Selbstzufriedenheit und Ablehnung alles Fremden, das nur noch
-als kurios, nicht aber als schön anerkannt wird. Diese Art Negation
-hat etwas Freches, das ganz unleidlich gerade für den ist, der sein
-deutsches Wesen als Bejahung jeder Schönheit empfindet. Auch ist es
-gottsträflich dumm, mit also verkleisterten Sinnen auf Reisen zu gehen.
-
-Ein Rosselenker rief uns an, fragend, ob er uns für zwanzig Franken
-zweispännig nach Monaco befördern dürfte. Mein Lordshut und Madames
-Spitzenmantel hatten es ihm angetan. Aber es lag uns wahrhaftig ferne,
-unserm Spielfonds zwanzig Franken zu entziehen. Wir blieben, wie hold
-er auch lächelte, fest und warteten auf die elektrische Trambahn.
-
-Diese Charakterstärke hätte einen besseren Lohn verdient als den, der
-uns zuteil wurde. Wir mußten fast eine Stunde harren, bis ein Wagen
-kam, in dem es noch zwei freie Plätze gab, und zwar Stehplätze. Ich
-erwähne dies als Beitrag zur Morallehre. Nein, o ihr gutgläubigen
-Schwärmer, es ist nicht wahr, daß Tugend belohnt wird. Das lüsterne
-Fleisch fährt zweispännig, und der stoische Wille muß sich von
-knoblauchduftigen Nizzarden auf den Hühneraugen herumtreten lassen.
-Aber das ist richtig: hinterher ist die Genugtuung der Tugend groß, die
-achtzehn Franken für den Spieltisch gespart hat.
-
-Von der Pracht und Herrlichkeit des Kasinoplatzes auf Monte Carlo möge
-ein anderer handeln. Ich für meinen Teil finde ihn allzu prächtig und
-allzu herrlich. Mir fehlt der Sinn für Pompositäten ohne lebendigen
-Geschmack. Dagegen habe ich mit Signora recht andächtig und entzückt
-die Auslagen einiger Pariser Putzmachergeschäfte bewundert. Beim
-Andenken der verliebten kleinen Müsette! -- meine Frau hat recht: diese
-Pariser »Schurkerinnen« (so heißt in toscano-tedesco das Femininum von
-Schurke) haben mehr als Talent, haben Genie. Aus ein bißchen Sammet
-oder Seide, Spitzen oder Tüll, Stroh oder Pelz, mit ein paar Blumen,
-Schleifen, Rüschen, Federn wirken sie ästhetische Wunder. Diese Hüte
-haben den Reiz von Improvisationen geistreich geschmackvoller Menschen.
-Es haftet ihnen nichts vom Geiste der Schwere an, keine Steifheit,
-keine Absichtlichkeit. Es ist Grazie mit Witz; Esprit, der Phantasie
-hat; Geschmack, der es bis zur Poesie bringt. Ein fabelhaft sicherer
-Sinn für Form und Farbe unternimmt die frechsten Wagnisse bis hart an
-die Grenze des Möglichen, ohne jedoch etwas hervorzubringen, das nicht
-als Kunstwerk von Distinktion wirkte. Selbst das Höchste in der Kunst
-bringt er zuwege: reine Einfalt ohne Banalität. Wir sahen einen Hut,
-der eigentlich nichts war als ein umgestülpter Topf aus rotem, weißem
-und schwarzem Sammet. Es ist ganz unmöglich, zu sagen, warum dieses
-Ding nicht etwa plump oder komisch, sondern schlechterdings hinreißend
-schön aussah. Das Geheimnis seiner Schönheit lag wohl darin, daß die
-Linien seines Umrisses sowohl wie jede Falte des Stoffes von Fingern
-gebildet waren, die genialer Eingebung des Momentes folgten, nachdem
-das Ganze zuvor innerlich von der Künstlerin gesehen worden war.
-
-Es begreift sich leicht, daß meine Frau den lebhaften Wunsch hegte,
-einen solchen Hut zu besitzen, und ich noch den lebhafteren, sie in
-einem solchen Hute zu sehen. Daß aber ein deutscher Dichter, und er
-sei gleich, wie ich, noch mehr Geschäftsmann als Dichter, nicht in der
-Lage ist, seiner Frau ein derartiges Kunstwerk, die Verkörperung des
-ästhetischen Genies einer traditionell ästhetischen Rasse, zu kaufen,
-leuchtet ohne weiteres ein.
-
-Unsere Begierde, die Bank von Monte Carlo zu sprengen, wurde zur wilden
-Leidenschaft. Kaum, daß ich noch Blicke für die eleganten Ambassadricen
-der Venus von Paris hatte; kaum, daß meine Frau noch Andachtskraft für
-die Auslagen der großen Schneider aufzubringen vermochte: das Gold
-läutete uns in seinen Tempel; wir folgten der großen Glocke. (Ich rühre
-die Pauke des Pathos. Wenn sie ledern klingt -- ist es meine Schuld?)
-
-Das Leben in den Spielsälen der Monaco-Aktien-Gesellschaft, deren
-Dividenden so gewaltig sind, wie es unsere Hoffnung war, sie durch
-einen phänomenalen Gewinn zu schmälern, ist zum Glück schon so
-oft und mit so glühenden Farben geschildert worden, daß ich mir
-die Mühe ersparen kann, ein Gemälde davon zu entwerfen. Ich lasse
-es um so lieber bleiben, als ich weder die flackernden Augen der
-verzweiflungsvoll ihr Letztes auf eine Karte setzenden Spieler, noch
-das müde Lächeln der Verspieler von Riesenvermögen, noch die grausame
-Verkniffenheit in den erbarmungslosen Augen des Croupiers bemerkt habe.
-Ich sah nicht, weil ich lediglich auf die dicken Fünffrankenstücke
-guckte, die ich, gänzlich unbekannt mit den Regeln des Spieles,
-irgendwohin setzte, wo gerade Platz war. Ich hörte »~Faites votre jeu,
-messieurs~« und »~rien ne va plus~«; und die Kugeln tanzten; und es
-roch wie in einem Parfümerieladen. Und das ging eine Weile so hin, bis
-ich fünfzig Franken verloren hatte und die Stimme meiner Frau vernahm,
-die da lautete: »Du hast gar keine Ahnung von der Sache. Laß mich
-machen!«
-
-Sie hatte nämlich, während ich im Interesse unserer Finanzen rastlos
-tätig gewesen war, versucht, den Sinn der Figuren und Nummern zu
-ergründen, die auf dem grünen Tuche zu sehen waren. Und nun fing sie
-an, mit Überlegung zu tun, was ich unüberlegt getan hatte. Mit anderen
-Worten: ich hatte gespielt -- sie: berechnete.
-
-Wenn Fortuna nicht ein ganz albernes Frauenzimmer wäre, das keine
-Idee davon hat, worin ihr Wesen eigentlich beruht: nämlich im
-Unberechenbaren, das ich mit dem Instinkte des Schicksalskundigen
-kühn und groß herausgefordert hatte, so hätte sie meine Frau sofort
-durch andauerndes Einziehen ihrer Fünffrankenstücke bestrafen müssen.
-Statt dessen bereitete sie ihr den Triumph, sie die fünfzig Franken
-wiedergewinnen zu lassen, die ich verloren hatte.
-
-Ich wußte nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern sollte. Denn,
-wenn es zwar erfreulich war, den Spielfonds wieder beisammen zu haben,
-so war es doch auch ärgerlich, dies mit einer Einbuße an Autorität zu
-bezahlen.
-
-Indessen: würdelos, wie man nun einmal wird, wenn man, wie ich, den
-Sinn auf das Materielle zu richten gewöhnt ist, freute ich mich
-schließlich doch, indem ich im geheimen hoffte, die verlorene Autorität
-auf anderem Wege wieder zu gewinnen.
-
-Meine Frau aber setzte mit Überlegung weiter. Einmal sogar zehn
-Franken. Und gewann immerzu. Es kam der Augenblick, wo unser Spielfonds
-verdoppelt war.
-
-»Siehst du?« sagte sie und lächelte so infam, wie ich es ihr niemals
-zugetraut hätte.
-
-»Was denn?« entgegnete ich kühl.
-
-»~Duecento lire!~« erwiderte sie, -- der Moment war zu erhaben, als daß
-sie ihn nicht toskanisch hätte verklären müssen.
-
-»Wenn's weiter nichts ist!?« warf ich verächtlich hin.
-
-Da setzte sie, gereizt und kühn, fünfzig Franken auf einmal.
-
-Ich dachte nicht anders, als sie sei im Glückstaumel übergeschnappt,
-und ergriff eines der unheimlichen Schiebestäbchen, den Wahnwitz
-aufzuhalten, die fünfzig Franken zurückzuscharren. Da krähte der
-glatzköpfige Croupier aber auch schon los: ~Rien ne va plus~, und die
-schicksalträchtige Kugel hopste wie besessen in der Roulette.
-
-»Du bist verrückt,« stöhnte ich, von dem Rechte des Ehemanns, grob zu
-sein, skrupellos Gebrauch machend.
-
-Die Kugel stand still.
-
-Mein Herz auch.
-
-Der Croupier scharrte geschickt und gelassen die Unglückshäufchen
-von Fünf- und Zehnfrankenstücken zu sich heran, denen die Kugel Pech
-gehopst hatte.
-
-Gleich wird _ihr_ Häufchen auch beim Teufel sein, dachte ich mir und
-verfluchte den weiblichen Leichtsinn.
-
-Da: ping, ping, ping, ping ließ er Goldstücke auf das Häufchen regnen;
-lauter Napoleondors; eine unglaubliche Menge.
-
-In diesem Momente bewies meine Frau wahre Seelengröße.
-
-Sie machte, ruhig, als sei es ihr ein gemeiner Anblick, Goldstücke
-dutzendweise um sich zu versammeln, ihren Pompadour auf, kramte darin
-herum, als suchte sie etwas, entnahm ihm ihr Taschentuch, wischte sich
-am Näschen, legte das Tuch hinein, placierte den geöffneten Silberbügel
-des Pompadours am Rande der Tafel und ließ mit unglaublich gut
-gespielter Gleichgültigkeit den Goldstrom hineinplätschern.
-
-Dies getan, stand sie nicht ohne Majestät auf und sagte zu mir: »Ich
-glaube, unsere letzte Trambahn muß gleich abgehn.«
-
-Es ist unglaublich, aber nichts als die reine Wahrheit: sie wollte sich
-mit ihrem Raube auf den Yankeedoodle zurückziehen.
-
-»Wir haben genug,« erklärte sie. »Ich weiß nicht wieviel ich gewonnen
-habe, aber: es ist genug. Wenn ich jetzt weiter spiele, verliere ich.«
-
-Ich hatte die dunkle Empfindung, daß sie recht hatte; daß sie wirklich
-die Stimme des Schicksals in sich vernahm: daß es also vernünftig war,
-was sie sagte. Und ich wollte sie schon am Ärmel nehmen und mit ihr
-fortgehen -- direkt zu dem himmlischen Hute drüben.
-
-Da ging ein Rauschen durch den Saal, ein Flüstern, das zu einem Surren
-von Stimmen wurde, und ein Rascheln von vielen, vielen seidenen
-Frauenkleidern.
-
-»~C'est Théodore!~« hörten wir rufen. »~Théodore! Théodore; Cinquanto
-mille! Soixante! Théodore!~«
-
-Wir sahen uns um und genossen den Anblick von gut drei Dutzend
-aufgeregter Damen verschiedenen Alters, aber gleichen Metiers, die,
-Eisenfeilspänen gleich, wenn der Magnet sie in seine Sphäre gezogen
-hat, allesamt auf einen Punkt zuschossen: in den Nebensaal zu einem
-anderen grünen Tische, wo ein unangenehm schöner junger Herr stand,
-durchaus und ausschließlich damit beschäftigt, Tausendfrankennoten in
-ein enormes Portefeuille zu stopfen.
-
-»Redner wird beglückwünscht,« sagte ich zu meiner Frau.
-
-»Glaubst du wirklich, daß er fünfzig-, sechzigtausend Lire gewonnen
-hat?« sagte sie.
-
-»Nach der Ovation zu urteilen, die ihm Fortunas Cousine, die
-eifersüchtige Venus, bringt, gewiß. Du kannst dich darauf verlassen,
-daß er diesen Tag nicht als Einsiedler beschließen wird,« sagte ich.
-
-»Diese Unanständigkeiten interessieren mich gar nicht,« sagte sie.
-
-»Ich finde es gar nicht unanständig, sechzigtausend Franken zu
-gewinnen, und bin jeden Augenblick zu der gleichen Unanständigkeit
-bereit,« sagte ich.
-
-»Ich auch,« sagte sie, und ging in den Nebensaal zu dem anderen grünen
-Tische.
-
-Sie hatte es sehr bald heraus, daß es dort in Einsatz, Gewinn und
-Verlust erheblich anders kleckte, als bei unserer zahmen Roulette.
-
-»Ich glaube,« sagte sie, »wir versuchen es einmal hier.«
-
-»Aber,« sagte ich, »ich denke, du hast kein Glück mehr?«
-
-»Dort!« sagte sie; »hier ist es etwas anderes. Wie du siehst, muß man
-hier mindestens zwanzig Lire setzen.«
-
-Ich sah ein, daß das in der Tat etwas ganz anderes war, und erhob
-keinen eheherrlichen Einspruch. Nur machte ich zur Bedingung, daß auch
-ich in Théodores Spuren wandeln durfte.
-
-»Doppelt genäht hält besser, weißt du ...«
-
-»Ja, wenn du nur eine Ahnung vom Nähen hättest.«
-
-»Ich? Bitte: Im ~Trente et quarante~ habe ich vor zehn Jahren einmal
-zweihundert Franken gewonnen.«
-
-»Und sie wieder verloren, weil du nicht zur rechten Zeit aufhörtest.«
-
-»Aber heute habe ich zwei große Beispiele vor mir: dich und Théodore.«
-
-»Wenn du mir versprichst, aufzuhören, sobald du fünftausend, -- nein:
-viertausend, -- nein: wenn du dreitausend Franken gewonnen hast ...«
-
-»Selbstredend.«
-
-Sie ließ mich einen Griff in den Pompadour tun, und ich begab mich mit
-einer Faust voller Goldstücke zur anderen Seite des Tisches.
-
-Ich war wirklich vom Glück begünstigt: eben, als ich erschien, stand
-eine dicke Dame auf und fluchte etwas Polnisches.
-
-Hast du verloren, mein Täubchen, dacht' ich mir, so ist die
-Wahrscheinlichkeit um so größer, daß ich auf diesem Platz gewinnen
-werde.
-
-Ach, -- ich bin immer ein schlechter Mathematiker gewesen: auch diese
-Wahrscheinlichkeitsrechnung stimmte nicht.
-
-Andere Leute gewinnen wenigstens anfangs und verlieren das Gewonnene
-nur infolge ihrer Willensschwäche, weil sie nicht aufzuhören wissen und
-blind und blöde die Schwelle überschreiten, die aus dem Gewinnen ins
-Verlieren führt: ich aber verlor von Anfang an, unaufhörlich, immerzu,
-ohne Unterlaß und Unterbrechung.
-
-Da ich von Mal zu Mal die Einsätze verdoppelte, ging es sehr schnell;
-ich darf wohl sagen: rapid. Die Sache hatte nicht den mindesten
-psychologischen Witz. Es war eine ganz blödsinnige Wiederholung von
-Niederträchtigkeiten.
-
-Angeekelt von einem Schicksal, das keine Nuancen kennt, schob ich den
-Stuhl zurück, aufzustehen. Es blieb mir auch nichts anderes übrig, denn
-nicht der Schatten eines Napoleondors war mehr in meinem Besitze.
-
-Ich hörte im zermarterten Geiste bereits die Reprimanden von Madame
-und trug Bedenken, mich der großen Gewinnerin zu nähern, als ich,
-aufstehend und mich umwendend, sie mir gegenübersah.
-
-Ich senkte den Blick.
-
-Als ich ihn erhob, sah ich, daß der ihrige noch nicht den Mut
-aufgebracht hatte, sich zu erheben.
-
-Ich wußte genug.
-
-»Hast du noch Geld zur Trambahn?« fragte ich.
-
-»Wir können sogar noch Abendbrot essen,« sagte sie, »und ein paar
-Ansichtspostkarten wegschicken.«
-
-»Es gibt welche mit Schmähungen auf Albert I., Honoré Charles, Fürsten
-von Monaco,« sagte ich.
-
-»Die nehmen wir,« sagte sie.
-
-
-
-
-Die Liaisons der schönen Sara.[2]
-
- [2] Anfangskapitel des »Prinzen Kuckuck«, unter diesem Titel als
- Erzählung für sich zuerst in der »Neuen Rundschau« erschienen.
-
- F. D.
-
-
-Es war um die Zeit der unumschränkten Herrschaft der Kaiserin Eugenie
-über die Modemagazine der alten und der neuen Welt, als Madame
-Sara Asher, die junge Witwe des alten Mister Leon Asher (Felle und
-Pelzwarenkonfektion, Neuyork) zum ersten Male seit ihrer Kindheit ihre
-kleinen Füße wieder auf europäischen Boden setzte.
-
-Europa war damals kleine, auf hohen Stöckeln balancierende Füße
-gewöhnt, und auch die hohen bis zur Mitte der Waden reichenden
-Juchtenstiefelchen mit goldenen Schnürenquasten, die Madame Sara
-trug und geschickt in ihrer ganzen Pracht zu zeigen keineswegs
-ermangelte, waren keine Sensation für den alten Erdteil, der damals
-auf üppige Eleganz gestimmt war und noch nicht den kategorischen
-Imperativ der bismarckschen Kürassierstiefel erfahren hatte. Selbst
-Madame Ashers lilafarbenes Krinolinkleid, diese prachtvolle Glocke
-mit dem prachtvolleren Schwengelpaar der beiden in weißseidenen
-Strümpfen steckenden Beine war nicht imstande, besonderen Eindruck
-auf einen Kontinent zu machen, der mit jedem neuerscheinenden Pariser
-Modejournale neue Glockenwunder erlebte und neben einer Kaiserin der
-Mode ein paar hundert Modeköniginnen besaß, deren jede den raffinierten
-Sinn dieser Verheimlichung der weiblichen Beine wohl begriffen hatte.
-Trotzdem drehte sich schon auf dem Jungfernstieg zu Hamburg mancher
-elegante Kommerz interessiert nach der schönen Jüdin um, und wer sich
-des damals noch seltenen Vorzugs rühmen durfte, mit einem Monokel
-begabt zu sein (dessen rand- und bandlose Vollkommenheit freilich noch
-nicht erreicht war), ließ hinter dessen Fensterglase Blicke blitzen,
-die rückhaltlose Anerkennung sowohl wie den Wunsch verrieten, dieser
-nach jeder Richtung hin wohlgebauten Dame einmal an einem Orte zu
-begegnen, wo sich Beziehungen leicht und mühelos anknüpfen lassen.
-
-Noch größer aber war ihr Erfolg in Leipzig, wohin sie sich auf mehrere
-Wochen begeben mußte, weil mit der Verwandtschaft des seligen Leon noch
-einige Erbschaftsangelegenheiten zu ordnen waren. Der Brühl, wo diese
-Verwandtschaft in einer zwar nicht wohlriechenden, dafür aber um so
-lukrativeren Sphäre von »Rauchwaren« hauste, geriet in beträchtliche
-Aufregung, und es gab wahrhaftig mehr als einen unbeweibten
-Rauchwarenhändler, der stürmisch bereit war, der schönen und reichen
-Sara nicht bloß seine kostbarsten Eisbärenfelle, sondern auch sein
-liebefühlendes Herz nebst allen Geschäftsbüchern zu Füßen zu legen.
-
-Indessen, Madame Sara hatte offenbar wenig Sinn für die
-hingebungsvollen Gefühle verwandter und befreundeter Firmen. Sie
-war keineswegs in der Absicht nach Leipzig gereist, weiterhin auf
-ehelicher Grundlage in Pelz und Pelzkonfektion zu machen. Sie hatte an
-ihrem einen Rauch- und Pelzwarenhändler schon völlig genug gehabt und
-war im Grunde froh, daß ihre Ehefirma durch den Tod gelöscht worden
-war. Denn der alte dürre Leon, diese zweibeinige Rechenmaschine, der
-man sie in sehr jungen Jahren beigegeben hatte, war ganz und gar nicht
-ihr Geschmack gewesen. Für seine löblichen Qualitäten als Kaufmann
-und Familienvater hatte sie kein Organ besessen, aber ein um so
-schärferes Auge für das, was ihm als Menschen im allgemeinen und als
-Mann im besonderen an den Eigenschaften fehlte, für die es ihr an Organ
-keineswegs gebrach.
-
-Mochte er ein Charakter gewesen sein: _sie_ war vor allem ein
-Temperament. Er war einer der aus dem Osten Europas gekommenen Juden
-gewesen, von denen sie zu sagen pflegte, selbst ihr Schatten färbe noch
-ab, und der Geist des Ghettos stöhne in ihren schönsten Reden (und
-das und nichts anderes sei das Mauscheln), während sie die Tochter
-eines sehr westlichen, nämlich spanischen Juden war (eines jüdischen
-Granden, wie sie sagte) und einer Kreolin. Freilich war auch der Vater
-dieser Kreolin bestimmt ein Jude gewesen, und das indianische Blut
-in ihrer Herkunft mütterlicherseits begegnete in der Verwandtschaft
-auf dem Brühl unverhohlenem Zweifel, aber es lag ihr auch ganz fern,
-ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Stamme zu leugnen. Sie war vielmehr
-stolz darauf und sprach es bei jeder Gelegenheit recht hochmütig
-aus, daß sie sich als Aristokratin fühle, eben weil sie Jüdin sei,
-und noch dazu spanische Jüdin. Es war das, wie ihre Schönheit, ihr
-Geist und ihr Temperament, ein Erbteil ihres Vaters, der zwei
-Haupteigenschaften besessen hatte: Stolz und Phantasie. Aus einem
-reichen Hause stammend, hatte er sich, von der Lust nach Unabhängigkeit
-und Abenteuern getrieben, von seiner orthodoxen und streng in sich
-abgeschlossenen Familie gelöst und war in die Welt hinausgezogen.
-Lange hatte er in Italien gelebt, mit der inbrünstigen Andacht eines
-Psalmoden die früheste, halb byzantinische Kunst verehrend und immer
-den stolzen Plan hegend, der Verkündiger dieser Kunst zu sein. Dann
-hatte ihn die deutsche Kunstgelehrsamkeit, wenn nicht abgekühlt, so
-ernüchtert, und er war in das Getriebe der revolutionären Bewegung,
-gleichzeitig aber in den Aufruhr der Liebe zu seiner »Kreolin«
-geraten, die er als Tänzerin in Dresden kennen gelernt hatte. So kam
-es, daß die »spanische Sara« (wie man sie nicht ohne Respekt auf
-dem Brühl nannte) zu ihrem Leidwesen in Deutschland geboren worden
-war. Indessen konnte sie keine Erinnerung daran haben, da ihr Vater
-schon vor dem tollen Jahre Deutschland verlassen und mit Frankreich
-vertauscht hatte. Aber auch dieses Land genügte seinem revolutionären
-Sinne nicht, und er wanderte mit Weib und Kind nach Amerika aus, wo es
-ihm indessen erst recht nicht gelang, zur Harmonie zu kommen. Immer
-die größten Pläne, bald wissenschaftlicher, bald poetischer, bald
-politischer Natur wälzend und sich aus einem Lager der Meinungen immer
-wieder in ein anderes begebend, immer wieder abgestoßen durch das,
-was er Philistertum nannte, und überall abstoßend durch seinen Stolz
-und sein Weiterhinausbegehren, endete er als vollkommener Einsiedler
-der Gedanken, als geborener ~précurseur~, wie er sich selbst nannte.
-Seine Frau war ihm weggestorben, als Sara noch nicht zehn Jahre
-alt war. Diese war nun sein einziger Umgang, und in ihrer Erziehung
-ging er völlig auf. Er brachte ihr, einem höchst aufgeweckten Kinde,
-früher, als ihr gut sein konnte, nicht nur seine reichen Kenntnisse
-in Sprachen, Kunst und Literaturgeschichte, sondern auch seine ganze
-Weltauffassung bei, die schließlich immer mehr Nihilismus geworden war.
-Eine rasche Krankheit raffte ihn weg, kurz bevor sie das fünfzehnte
-Jahr erreicht hatte. Da er ihr fast nichts hinterließ, mußte sie
-es als ein großes Glück betrachten, daß der alte reiche Leon Asher
-sich ihrer annahm. Das Wohlleben in seinem Hause gefiel ihr, und so
-sagte sie nicht nein, als der Fünfzigjährige die Sechzehnjährige zur
-Frau begehrte. Sie gebar ihm in drei Ehejahren zwei Söhne. Als er
-starb, hatte sie das Gefühl: jetzt beginne ich zu leben. Kaum, daß
-das Trauerjahr vorüber war, übergab sie ihre zwei Kinder, zu denen
-sie auch nicht die geringste mütterliche Zuneigung empfand, einer
-Schwester des Verstorbenen und unternahm die Reise nach Europa, zwar
-unter dem Vorwande, nur Erbschaftsangelegenheiten betreiben zu wollen,
-aber mit der bestimmten Absicht, in Europa zu bleiben und dort ihr
-Leben in aller Freiheit einer reichen jungen Witwe zu genießen. Die
-aufs Geistige gewandten revolutionären Lehren ihres Vaters hatten bei
-ihr eine sehr deutliche Wendung aufs Sinnliche genommen, doch besaß
-sie einen gewissen sehr günstigen Dämpfer in ihrer wohlfundierten
-ästhetischen Bildung.
-
-Aber der Brühl zu Leipzig konnte freilich keine Landschaft nach ihrem
-Sinne sein. Sie nahm nur schnell ein kleines Verhältnis mit einem
-hübschen, aber allzuwenig interessanten Korpsstudenten mit; dann
-reiste sie nach Dresden. Der Galerie wegen, meinte sie, doch dachte sie
-wohl auch an anderes.
-
-Ihr Vater, kein Freund des deutschen Wesens, hatte ihr von Dresden
-berichtet als der einzigen deutschen Stadt mit galanter Kultur. Er
-hatte dies freilich nicht ganz in dem Sinne gemeint, in dem es sich
-bei ihr festgesetzt hatte. Aber es war in diesem Falle gewesen, wie
-auch sonst: sie hatte, indem sie eine allgemein gefaßte Meinung ihres
-Vaters in ihre Auffassungssphäre übernahm, sie zwar allzu wörtlich
-aus dem Allgemeinen einer männlichen Erfahrung in das Besondere ihrer
-weiblichen Gefühls- und Anschauungswelt übersetzt, aber im wesentlichen
-deckten sich Original und Übersetzung doch.
-
-Der Vater Saras hatte Dresden mit den Augen des Kunstgelehrten und
-Kunsthistorikers angesehen. Er war italienischen und französischen
-Einflüssen in der Kunst und Kultur der sächsischen Residenzstadt
-nachgegangen und dabei auch italienischem und französischem Blute
-begegnet. Dies mußte ihn, den unter Romanen geborenen, wie etwas
-Heimatliches berühren. Und seine Phantasie half nach. In jedem
-schwarzen oder braunen Auge einer Dresdnerin erblickte er ein
-lebendiges Denkmal längst verwehter Schäferstunden französischer
-Soldaten und italienischer Künstler, wenn es auch vielleicht in
-Wahrheit slawisches Braun und Schwarz war. Und dann kam hinzu, daß
-er seine eigene Liebe in dieser Stadt erlebt hatte. Hier hatte das
-Wochenbett seiner Frau, hier die Wiege Saras gestanden; und beide
-Betten, das große und das kleine, hatte er mit alten Meißner Figürchen
-umgeben, kleinen Kunstwerken, auf die das Wort einer galanten Kultur
-wirklich zutraf. Alles dies lebte in Sara nach, unbewußt, halb bewußt,
-ganz bewußt.
-
-Als sie der hübsche, aber leider von Korpsinteressen völlig absorbierte
-Kurt von Kantern, die stahlblaue Lausitzer-Mütze tief, wie es damals
-Mode war, in die Stirn gezogen, einmal gefragt hatte: »Aber warum denn
-gerade nach Dresden, Madame? Auf Ehre -- Dresden ist ein langstieliges
-Kaffeedorf!« hatte sie geantwortet: »Für Korpsstudenten -- mag sein.
-Korpsstudenten interessieren sich nicht für Meißner Porzellan.
-Korpsstudenten sind tapfere Ritter, aber keine Kavaliere im Sinne der
-galanten Zeit. Sie müssen zu viel Bier trinken und zu oft pauken. Das
-ist gewiß reizend -- für Korpsstudenten. Ich aber habe schon genug
-von steilen Terzen und Hakenquarten. Ich möchte nicht gerne Anlaß
-zur Eifersucht haben, und am wenigsten Anlaß zur Eifersucht auf die
-Kneipe. Ich möchte mich in Jünglinge verlieben, die auf der ganzen Welt
-nichts kennen und wollen als mich, oder in Männer, die sich in meiner
-Gesellschaft von großen Dingen ausruhen.«
-
-Davon begriff der hübsche Lausitzer-Senior nicht gar viel; die schöne
-Sara aber hatte damit immerhin etwas von der Oberfläche ihrer Instinkte
-verraten.
-
- * * * * *
-
-In Dresden logierte sie sich nahe dem Zwinger in einem höchst soliden
-und von der besten Gesellschaft frequentierten Hotel ein, wo sie schon
-bei der Ankunft nicht geringen Eindruck machte; einmal durch die
-große Anzahl der von ihr mitgeführten sehr umfangreichen und schweren
-Lederkoffer und dann durch ihre Jungfer, eine äußerst häßliche und, wie
-es schien, taube Negerin, die von ihr Lala genannt wurde und ihrer
-Herrin sklavisch anhänglich war.
-
-Dieses Verhältnis führte sich in erster Linie darauf zurück, daß Lala
-mit ihrer Herrin zusammen aufgewachsen war, am Äußeren der Erziehung
-mit anteilnehmend, so daß sie gleich dieser Deutsch, Englisch,
-Französisch und Italienisch verstand, aber vom Vater Saras doch immer
-auf dem Stand einer durchaus willenlosen und sklavisch abhängigen
-Dienerin niedergehalten. Sie hatte nie einen Pfennig Lohn erhalten und
-nie daran gedacht, dergleichen als etwas ihr Zukommendes zu betrachten.
-»Du bist Saras dunkle Schwester,« hatte ihr der Alte gesagt, »und
-gehörst zu ihr, wie ihr Schatten. Und wie ihr Schatten sollst du sein:
-stumm, taub -- für die anderen. Aber Sara wird keine Geheimnisse vor
-ihrer dunklen Schwester haben, und Saras Schatten wird Saras Schicksal
-teilen. Sara wird für ihn denken und Sara wird für ihn sorgen. So ist
-es die Bestimmung und so das Glück der dunklen Schwester.« Der Alte
-hatte wohl gewußt, warum er in Bildern zu der kleinen, verprügelt und
-halb verhungert in sein Haus gekommenen Negerin gesprochen hatte. Ihre
-wie aus einer Schicht braunen Öls stumpf leuchtenden schwarzen Augen
-hatten ihm die unklar träumende Seele dieses Wesens offenbart, das
-treu wie ein Hund und zu allem Guten und Bösen abzurichten war. Der
-Alte sorgte dafür, daß nichts in ihr helle wurde, als das Gefühl für
-die Erhabenheit Saras über ihr. Und dieses Gefühl wurde immer mehr zu
-einer demütigen Anbetung, je reifer die Schönheit Saras wurde. Wie Sara
-selbst, ohne Religion aufgewachsen, hatte sie, aus einem mystischen
-Bedürfnisse ihres dunklen Wesens heraus, Sara zu einem Idol nach
-der Art derer gemacht, die ihre schwarzen Vorfahren angebetet haben
-mochten. Das war keine gute Göttin, kein lieber Gott, das war nur eben
-das höhere Wesen, die Macht, die Lenkung. Und es war die Schönheit, die
-Helle.
-
-Lala wurde zur Dichterin, wenn sie ihre Gefühle für Sara aussprach.
-
-Wie Sara zum Führen eines Tagebuches angehalten worden war, so auch
-sie, aber sie schrieb nur Dinge hinein, die Sara betrafen, und jede
-Seite begann mit der Überschrift: »Heute sprach die helle Schwester
-dies.« Dann folgte etwa: »Hole das grüne Kleid, Lala. Tat es die dunkle
-Schwester. Sprach später die helle Schwester: Ich liebe noch immer den
-jungen Mann. Bring ihm den Brief. Tat es die dunkle Schwester. Und der
-junge Mann lächelte, denn die helle Schwester liebt ihn. Und kam zur
-Nacht nicht heim. Sanft sei ihr Glück wie der Mond, und heiß wie die
-Sonne. Die dunkle Schwester kennt die Liebe nicht, aber sie hat alles
-mit von der hellen Schwester. Und es ist gut für sie. Alles ist gut, so
-dunkel und gut.«
-
-In diesem seltsamen Tagebuche bediente sich Lala derselben
-Geheimschrift, die sie mit Sara von Saras Vater erlernt hatte. Doch
-hatte sie sich noch einige Sigel dazu erfunden. So für die Worte:
-»Heute sprach die helle Schwester« einen Kreis, durch den ein Pfeil
-wagrecht ging und für die Worte: »Tat es die dunkle Schwester« einen
-Halbmond, durch den ein Pfeil senkrecht ging.
-
-Ihre Taubheit war Verstellung zu dem Zwecke, die Äußerungen fremder
-Leute über ihre Herrin vernehmen zu können, ohne daß diese sich
-dessen versahen. So hatte sie schon während der Ehe Saras der hellen
-Schwester wertvolle Spionendienste unter der Verwandtschaft des
-ahnungslosen Mister Leon Asher geleistet. Sara selbst pflegte ihre
-Dienerin auch ihren nächsten Bekannten und Vertrauten gegenüber als
-harmlose Idiotin hinzustellen, was um so weniger auf Mißtrauen stieß,
-als die primitiven Umgangsformen zwischen Herrin und Dienerin, wie das
-gegenseitig angewandte Du, ohnehin den Eindruck machten, als seien sie
-auf kindliche Zurückgebliebenheit des Verstandes der seltsamen braunen
-»Jungfer« zurückzuführen.
-
- * * * * *
-
-Nachdem Madame Sara in den besten Geschäften der Pragerstraße nach
-den besten Pariser Modellen ihre zwar ohnehin reiche, aber doch noch
-nicht ganz auf der Höhe des europäischen Geschmackes befindliche
-Garderobe ergänzt hatte und es nun an türkischen Schals, spanischen
-Mantillen, kleinen koketten Federhütchen, knisternden Reifröcken
-und durchbrochenen Halbhandschuhen mit den elegantesten Dresdener
-Madams mehr als aufnehmen konnte, fand sie es für angezeigt, ihre
-Antrittsvisite bei der berühmtesten, ob auch ganz altmodisch
-gekleideten Dresdnerin zu machen, deren erlauchte italienische Herkunft
-zweifellos ist: bei der Sixtinischen Madonna.
-
-Gleich den meisten anderen Fremden durchschritt auch sie (doch war es
-mehr ein Durchwogen) alle übrigen Säle der Galerie, ohne den an ihren
-Wänden prangenden Kostbarkeiten mehr als einen vorüberstreifenden Blick
-zu gönnen, mit dem Ausdruck der von Sehnsucht beflügelten Wisserin der
-höchsten Gnade, bis sie zu dem gebenedeiten Raume gelangte, wo die
-himmlischen Augen der Mutter und des Kindes leuchten, vor denen Papst
-und Heilige knien.
-
-Die schöne Jüdin, froh, dort niemand zu treffen, ließ sich mit einem
-knisternden Aufbauschen ihres dunkelgrün seidenen Reifrockes in
-einem Fauteuil dem Bilde gegenüber nieder, erhob ihren schönen, mit
-vollgerundeten, schwermütig schwankenden Schmachtlocken frisierten Kopf
-zu dem Gemälde und führte das goldene Lorgnon an die dunklen und durch
-unterlegtes Beinschwarz noch mehr gehobenen Augen.
-
-Ein wunderlicher Gegensatz, wie von Gavarni mit verruchter
-Raffiniertheit erfunden, diese beiden Frauenbilder einander
-~vis-à-vis~: das lebendige, als ob es ein zwar amüsantes, aber freches
-Gespenst des Lebens wäre, und das aus der Kunst geborene, das fast
-noch mehr wie Leben strahlte: als Lebensleuchten selber aus tiefster,
-innigster Einfalt.
-
-Madame Sara empfand selbst so etwas und zog ein Spiegelchen aus ihrem
-perlengestickten Ridikül, sich darin zu betrachten.
-
-Warum schminken wir uns eigentlich so absurd, dachte sie für sich.
-Warum diese Masse Rot auf so viel Creme-Weiß. -- Nun ja, wir sind keine
-Göttinnen ... Und doch ... es wird einem wunderlich zumute.
-
-Und sie sah wieder die Madonna an.
-
-Und dachte weiter: -- Wer hat mehr Ursache, stolz zu sein, als wir
-Jüdinnen? -- Die schönste Römerin war dem größten Künstler Italiens
-gerade gut genug, eine Jüdin darzustellen ... -- Religion?
-
-Sie lächelte.
-
-Wer hier die Liebe nicht sieht, hat keine Augen. -- Freilich: der
-Papst, die Heiligen, die Engel ... ~Enfin!~ Künstler können sich was
-herausnehmen ... Künstler! Ah! ... Zweierlei gibt's: Künstler und
-Helden -- oder, ohne Romantik gesprochen, Soldaten -- d. h. Offiziere.
-
-In diesem Augenblicke wurden ihre Gedanken durch das bestimmte Gefühl
-unterbrochen, daß hinter ihr ein Mann stehen müsse. Eine kleine Wendung
-ihres Kopfes, ein Blick nach hinten, ~colla coda dell' occhio~,
-genügte, ihr zu zeigen, daß ihr Gefühl sich nicht getäuscht hatte.
-
-Eine Weile später würde sie ihn auch mit der Nase haben wahrnehmen
-können, denn der Herr, der jetzt schräg hinter Madame stand und
-keinen Blick von ihr wandte, wie wenn er nicht der Sixtinerin wegen
-gekommen wäre, sondern wegen der Amerikanerin, dieser Herr, ein
-straff aufrechter Vierziger mit blonden Koteletten in der Mode der
-Zeit, einem rosigen Teint, sehr hellbraunen Augen und einem Anzuge,
-dessen sich der Empereur in Paris nicht hätte zu schämen brauchen,
-liebte offenbar die starken Gerüche. Damals war unter den vornehmen
-Mitgliedern der Herrenwelt ein Parfüm bevorzugt, das heute zu den
-Lehrlingen im Kellnergewerbe herabgesunken ist: Jockey-Klub. Doch
-war dieses Odeur damals noch nicht so degeneriert wie heute, wo es
-aus den zusammengegossenen Neigen anderer Extrakte hergestellt zu
-werden scheint. Es war vielmehr in der Blüte seiner Kraft und duftete
-restlos die große Seele dessen aus, der seine Erfindung inspiriert
-hatte: des Prinzen von Wales, dem bei seiner Inspiration nichts
-Geringeres vorgeschwebt hatte, als eine Erhebung des Stallgeruchs zum
-Odeur, -- Rennpferd-Stallgeruchs, versteht sich. Frisches Heu und
-Juchtenleder als Dominante. Ein wirkliches ~Odeur de chevalier~, viel
-sagend und viel versprechend für geistreiche Nasen von Damen mit
-Temperamentsphantasie.
-
-Der schönen Sara, die allzulange Ledergerüche hatte erdulden müssen,
-die nicht raffiniert und nicht nobilisiert waren, fehlte es an
-dieser Phantasie keineswegs, und so kam es, daß ihre Geruchsnerven
-in der bestimmten Ahnung vibrierten, der Herr hinter ihr könne eine
-Bedeutung für sie haben. Und so ließ sie mit scheinbarer Nachlässigkeit
-ihr winziges Spitzentaschentuch fallen, dessen Parfüm etwa als
-Komplementär-Geruch zu jenem ~Odeur de chevalier~ hätte bezeichnet
-werden dürfen. Sofort machte der Herr mit den Koteletten ein paar
-schnelle federnde Schritte nach vorn, bückte sich zu dem winzigen
-weißen Häufchen aus Seide, Spitzen und Duft nieder, ergriff das zarte
-Gewebe und überreichte es Madame mit einer Verbeugung, die zugleich
-ritterlich und galant, die beste Welt verriet.
-
-Ah, machte Sara mit vollendet gespielter Überraschung, das heißt
-mit einem Tone der Überraschung, dem man es anhören konnte, daß die
-Überraschung gespielt war. Der Herr mit den hellbraunen Augen verstand
-sich auf Tonnuancen aus Frauenmunde und wußte auch die richtigen
-Folgerungen daraus zu ziehen und sich den Folgerungen entsprechend
-mit Delikatesse zu benehmen. Aber hier hätte es der Erfahrung und
-Sicherheit eines Meisters in der Kunst der Anknüpfung mit Damen nicht
-einmal bedurft, denn angesichts ganz großer Gegenstände der Kunst
-oder Natur ist es selbst für Anfänger leicht, den Faden zu einem
-Gespräch anzuspinnen und fest zu drehen. Was so hoch über der gemeinen
-Konvenienz steht, wie die Sixtinische Madonna, verleiht mit der Macht
-von Souveränen auch das Recht, sich in seiner Gegenwart zeitweilig über
-konventionelle Schranken wegzusetzen.
-
-So waren Weltdame und Weltmann bald in einem angenehm bewegten
-Gespräch, das bei Raffael begonnen hatte, über die Kunst im allgemeinen
-anmutig weggeschaukelt war und sich schließlich behaglich über Fragen
-des gesellschaftlichen Lebens in Dresden ausbreitete.
-
-Der Umstand, daß auch der Herr als Fremder in Dresden weilte, ergab
-eine willkommene Erleichterung der gegenseitigen Aussprache. Eine
-Reisebekanntschaft, sogleich als Reisebekanntschaft determiniert, wird
-von Leuten von Welt, die sonst zumeist gezwungen sind, sich in festen
-Zirkeln zu bewegen, immer als eine angenehme Bescherung des Zufalls
-gerne begrüßt. Man lernt sich schnell kennen, kommt einander, wenn
-Sympathie im Spiele ist, sehr schnell nahe, bleibt aber doch immer
-Passagier, und es genügt, eines Tages zu sagen: Morgen mit dem Frühzuge
-reise ich weg. Nicht einmal das Stammbuchblatt früherer Zeiten ist
-auszufüllen:
-
- Fällt Dein Blick auf diese Seite,
- Wenn Du jene umgewandt,
- Denk an mich mit Gunst und sage:
- Diesen hab ich auch gekannt.
-
-Fürst Wladimir Golkow, russischer Kavallerie-General außer Dienst,
-Kommandeur des Sankt-Georgsordens für besondere Bravour im Krimkriege,
-besaß viel Neigung zu derlei Bekanntschaften, zumal wenn es sich um
-schöne Partnerinnen handelte, und er lebte recht eigentlich solcher
-Reisebekanntschaften wegen immer auf Reisen. Doch war Dresden, das zu
-jener Zeit von Russen überhaupt bevorzugt wurde, der Ort, zu dem er
-von Zeit zu Zeit immer wieder zurückkehrte. Daher er hier eine feste
-Wohnung unterhielt, eine kleine Villa in einem großen Garten der
-Neustadt.
-
-Heute knattert auch durch dieses damals noch ganz ländlich stille
-Viertel der elektrische Trambahnwagen; die großen Gärten sind
-parzelliert, und in jedem der neuen kleinen Gärten steht, die
-dumm-moderne Front zur Straße gewendet, ein kleiner Steinkäfig mit
-Stuckornamenten, in dem ein Dresdner Partikulier wohnt, dem es gerade
-recht ist, daß er seinem Nachbar in die Fenster gucken und riechen
-kann, was der Herr Rechnungsrat nebenan heute zu Mittage hat. Damals
-aber war das eine vornehme Gegend. Wenige, aber große, mit alten Bäumen
-bestandene Gärten, und tief im Grün des Gartens, von der Straße kaum
-sichtbar, ein altes Herrenhaus mit französischem Doppeldach, ohne
-viel Schmuck, und ganz gewiß ohne angeklebten Schmuck, aber von guten
-architektonischen Verhältnissen, behaglich geschmackvoll.
-
-Ein solches Haus in solchem Garten hatte sich »der Russe«, wie er in
-der Gegend kurz genannt wurde, erworben und ganz nach seinem Sinne mit
-Möbeln aus der Zeit des ersten Kaiserreichs ausgestattet, die damals
-bloß als altmodisch, aber noch nicht für »antik« galten. Sie sagten ihm
-in ihrer strengen und etwas steifen Pracht viel mehr zu, als die mit
-Rokoko-Verzierungen recht oberflächlich spielenden Möbel des zweiten
-Kaiserreichs, die ihm den Eindruck von Unsolidität und Weichlichkeit
-machten. Er aber liebte die gerade Linie, sparsamen, zurückhaltenden
-Schmuck aus echtem Material und eine gewisse Massigkeit. Das grazilere
-»Damen-Empire«, die feinbeinigen Tischchen und wie aus Gitterwerk
-zierlich konstruierten Sofachen fand man bei ihm nicht, wohl aber
-gewaltige, wenn auch durch die Kunst der Verhältnisse nicht plump
-erscheinenden Tische und wahrhaft überlebensgroße Prachtkanapees.
-Die östliche Herkunft und den früheren Beruf des Besitzers verrieten
-kostbare persische Teppiche, turkestanische Vorhangstoffe und wertvolle
-Waffen der verschiedensten Art: Säbel, Degen, Pistolen, Gewehre, die,
-weit zahlreicher als Bilder, an den Wänden hingen. Doch fehlte es auch
-an Bildern nicht völlig, und diese ließen gleichfalls gewisse Schlüsse
-auf die Neigungen ihres Besitzers zu. Da waren bunte, edelsteinbeladene
-russische Heiligenbilder, byzantinische Madonnen neben tibetanischen
-Malereien auf Seide, die schauderhafte Götzen, überladen mit Attributen
-der Grausamkeit und Wollust, darstellten, aber es gebrach auch nicht
-an allerhand nackten Damen antikmythologischer und ganz und gar
-moderner Herkunft. Diese letzteren aber waren nicht so sehr durch
-klassische Schönheit wie durch Fülle ausgezeichnet. Auch plastische
-Kunstwerke waren vorhanden, doch gewahrte man weniger echte Bronzen,
-als Erzeugnisse des berühmten russischen Phosphor-Eisenwerkes bei
-Jekaterinburg, die nichts so gerne darstellen, wie reitende Kosaken.
-
-Auch von diesen Dingen war bereits in Gegenwart der Sixtinischen
-Madonna die Rede, und es war nicht bloß höfliche Vorheuchelung, wenn
-Madame Sara erklärte, daß alles Russische sie besonders interessiere.
-
-»Rußland, verzeihen Sie, Fürst, hat für uns Amerikaner den Reiz
-kostbarer Barbarei. Gilt uns Europa als die alte, schon etwas
-lahmgewordene Kultur, so Rußland als der große Rachen, der diese Kultur
-einmal verschlingen und, wenn er imstande ist, sie zu verdauen, aus
-ihr ein neues Gebilde von halb asiatischem Charakter erstehen lassen
-wird.«
-
-»Ich verstehe, Madame. Wir Russen sind für Sie die Europäer ~à la
-tartare~. Ein bißchen Politur über dicker Roheit. Nun ja, gottlob,
-es ist etwas Wahres daran. Unsere Kraft liegt in Asien, im Urgebiet
-des Menschen, das schon mehr Kulturen sterben sah, als je in Europa
-entstanden sind. Dort ist viel verfault und daher, dank der Düngung
-durch Jahrtausende der beste Humus für eine neue, für unsere Kultur.
--- Was Sie in Amerika verflucht schnell und, entschuldigen Sie, etwas
-oberflächlich gemacht haben, machen wir verflucht langsam, daher
-aber um so gründlicher. Sie haben auf ein neues Land den äußerst
-schnell alt gewordenen europäischen Liberalismus gepfropft, aber
-dieses Wunderkind wird wie alle Wunderkinder früher sterben, als es
-Nachkommen hervorbringen konnte. Wir aber gehen auf das echte Urwesen
-des Menschen zurück, das sich, wenn Sie wollen, barbarisch geworden,
-im Osten erhalten hat und zu alt ist, als daß es die Kinderei des
-Liberalismus hätte mitmachen können. Panslavismus heißt Asiatismus,
-heißt Mystizismus. Revanche für Marathon und Salamis ist das letzte
-Ziel der russischen Politik.«
-
-»Oh! Oh! Sie springen weit und überspringen viel, Fürst!«
-
-»Das kommt, weil wir Russen an große Ausdehnungen gewöhnt sind.«
-
-»Wie wir Amerikaner.«
-
-»Aber Sie springen an der Longe Europas in der Manege des Liberalismus.
-Zirkuskünste! Bei uns aber ist Freiheit und Größe! Nur bei uns!«
-
-»Freiheit? Existiert das Wort im Russischen?«
-
-»Nicht im Sinne der kümmerlichen ~Liberté~, aus der die ruchlos
-idiotische ~Égalité~ hervorgegangen ist, aber im großen Ursinne der
-Brüderlichkeit eines ganzen Volkes, das sich als Familie fühlt und mit
-tiefem Instinkte den fürchterlichen Unsinn des Individualismus erkannt
-hat, den wir den griechischen Windbeuteln und den einzigen entarteten
-Orientalen verdanken: den Juden.«
-
-Bei diesem Worte fühlte die kluge Sara, der dieses Gespräch ein seltsam
-aus Ärger und Respekt gemischtes Vergnügen bereitet hatte, daß jetzt
-der Moment gekommen war, wo es sich entscheiden mußte, ob sich mehr und
-Besseres aus ihm entwickeln sollte, als Gespräche.
-
-Und sie sagte mit einem Lächeln, das schlechterdings bezaubernd war in
-seiner Mischung aus ein bißchen Demut mit viel Stolz: »Sehen Sie mir es
-nicht an, daß ich Jüdin bin, Fürst?«
-
-Auch der Kommandeur des Sankt-Georgsordens empfand sehr schnell die
-Bedeutung dieses Momentes. Er, der in der Tat längst und keineswegs
-mit Mißfallen die jüdische Herkunft seiner schönen Partnerin bemerkt
-hatte, ergriff ihre linke Hand und zog sie an die Lippen, indem er
-sprach: »Ich verstehe mich auf Frauenschönheit, Madame, und ich müßte
-nicht tatarisches Blut in mir haben, wenn ich sie nicht zu schätzen
-und -- abzuschätzen wüßte. Meine Liebe für den Orient ist nicht bloß
-platonisch-politischer Natur. Mag ich auch die Juden für entartete
-Orientalen mit dem denkbar schlechtesten Einfluß auf die menschliche
-Kultur halten -- die Jüdinnen sind mir immer besonders verehrungswürdig
-erschienen, und ich möchte mich ihrem Einflusse keineswegs entziehen,
--- zumal, wenn er über ein Lächeln verfügt, wie Sie.«
-
-Madame Sara hörte den Unterton von paschahafter Überlegenheit aus
-diesen Worten wohl heraus, aber er mißfiel ihr durchaus nicht. Im
-Gegenteil: Sie ahnte aus ihm etwas, das sie innerlich höchst angenehm
-aufschauern ließ.
-
-Und sie wiederholte ihr Lächeln, indem sie die Demut darin zur Balance
-mit dem Stolze steigerte. Und sagte: »Auch die Ironie in Ihren Worten
-entzückt mich, Fürst, -- nicht bloß die Schmeichelei. Sie haben eine
-mir sehr zusagende Manier der galanten Huldigung, und ich würde es
-vielleicht auf einen Versuch ankommen lassen wollen, zu erfahren, ob
-Sie jetzt bloß -- höflich gewesen sind.«
-
-Der Versuch wurde gemacht, wurde wiederholt, und es war bald kein
-Zweifel mehr daran erlaubt, daß Fürst Golkow eine mehr als platonische
-Neigung für schöne Jüdinnen hatte.
-
-Schon nach wenigen Wochen war Madame Sara im ~buen retiro~ des Fürsten
-wie zu Hause, und sie lernte den Zusammenhang begreifen, der zwischen
-den byzantinischen Madonnen, den tibetanischen Verzückungsgreueln und
-den Kosaken aus russischem Weicheisen bestand. -- --
-
-Wie ihr das neu war nach ihren Erfahrungen mit dem seligen Asher und
-dem Intermezzo mit dem hübschen Leipziger Korpsburschen!
-
-Sie lernte mit großem Interesse das erotische Gruseln kennen und
-entbrannte in heftigster Leidenschaft zu ihrem Tataren, wie sie nun den
-Fürsten gerne nannte. Indessen: den Kopf verlor sie dabei doch nicht.
-Wie gerne sie auch ihrem erotischen Mystagogen auf den dämmerigen
-Wegen in das mystische Paradies folgte, und wie gelehrig sie sich auch
-aus angeborenem Talente benahm, -- sie verfiel ihm nicht so ganz, wie
-es den Anschein hatte, und wie er es nach dem Anschein gerne glaubte.
-Sie exaltierte sich nicht aus Berechnung; das hatte ihr Temperament
-nicht nötig. Sie spielte auch nicht aus Berechnung die Liebessklavin;
-diese Rolle war ihr im gegebenen Momente Natur. Aber beides, die
-Exaltation und die demütige Unterwerfung unter den Herrn der Liebe,
-nahm sie nicht dauernd ein; -- sie blieb über der Sache, die für sie
-nicht Liebe, sondern Sensation war, aber sie wußte sich klüglich den
-Anschein zu geben, als sei sie nicht bloß in seinen Armen sein.
-
-Auch beim Fürsten war es nicht Liebe im wahren mystischen Sinne des
-Wortes, nicht die ganze innere Verknüpfung seines Wesens mit dem
-ihren. Er entzückte sich an ihr zu Schwelgereien seiner wunderlich
-verstiegenen und alle Abgründe aufsuchenden Erotik. Er genoß in ihr --
-Asien und meinte in ihr -- das Judentum zu unterwerfen. Aber es ging
-ihm wie manchen großen Herrn, die, gerade wenn sie am unumschränktesten
-zu herrschen glauben, um ihr eigentliches Herrschertum betrogen werden.
-Die schöne Jüdin wurde ihm zum Bedürfnis, und sie zwang ihm leise eine
-Monogamie auf, die ganz und gar nicht in seinem Wesen lag.
-
-Ein solcher Zustand aus wirklicher Liebe ist Glück. Beim Fürsten
-war es eine Folge von Rauschzuständen, denen es am Intermezzo des
-Katzenjammers nicht fehlte. Trotzdem dachten beide nicht daran, die so
-intim gewordene Reisebekanntschaft durch eine Abreise zu lösen.
-
-Madame Sara fühlte sich in Dresden durchaus und in jeder Richtung
-wohl. Sie war durch den Fürsten, soweit er selbst gesellschaftliche
-Beziehungen pflegte, in die Gesellschaft gekommen, -- nicht so sehr in
-die der ansässigen Kreise, als in die der Fremden von Distinktion. Und,
-wo sie erschien, machte sie Aufsehen, gefiel sie. Das tat ihr wohl und
-machte ihr Vergnügen, zumal, da sie an Schönheit, Geist und Eleganz
-keine Rivalin fand.
-
-Es dauerte nicht lange, und sie war umworben. Ein Attaché der
-französischen Gesandtschaft gefiel ihr, aber seine Gespräche waren
-zu pariserisch glatt. Sie war tiefere Paradoxe gewöhnt als die, die
-Monsieur le Comte de Brottignolles aus dem Figaro schöpfte, den sie
-selber las. Auch ein junger sehr reicher Engländer, der immer vorgab,
-sich zum Studium der deutschen Sprache in Dresden aufzuhalten, aber nie
-ein deutsches Wort über seine wunderbar rasierten britischen Lippen
-brachte, machte in seiner blonden Gesundheit einen gewissen Eindruck
-auf sie. Er war nicht parfümiert und roch doch gut. Alles war gut
-ausgearbeitet und doch strotzend an ihm. Kurz: ein Triumph der Hygiene.
-Aber er war gar zu englisch, zu insular, und man konnte mit ihm
-schlechterdings nur über Dinge reden, die augenscheinlich vernünftig
-waren. Und, um Leitartikel miteinander auszutauschen, dazu, meinte
-Madame Sara, unterhält sich eine junge Frau nicht mit einem jungen
-Manne. Überdies hatte sie die Empfindung, daß er grausam tugendhaft sei
-und sich darauf noch etwas einbilde.
-
-Der Fürst, dem es nicht entgehen konnte, daß seine Sulamitin auch
-anderen gefiel, beobachtete mit großem Vergnügen das Vergebliche aller
-Versuche der anderen, ihr nahe zu kommen, und legte das wohlgefällig
-als Beweis seiner festen Alleinherrschaft aus. Irgendwie erstaunlich
-fand er es nicht, denn es gehörte zu seiner Überzeugung von den
-Vorzügen der östlichen Menschen, daß dort die Männer zwar polygam, die
-Weiber aber monogam veranlagt seien. »Sogar die Jüdinnen,« hatte er
-einmal zu Sara gesagt, »die überhaupt noch echte Orientalinnen sind,
-weshalb sie sich in ihren schönen Exemplaren auch überall gleichen,
-während der amerikanische Jude ganz wie ein Amerikaner aussieht, der
-französische Jude ganz wie ein Franzose.« Auch gegenüber solchen Reden
-hatte Sara das unterwürfige Lächeln der Favoritin, aber in ihrem Innern
-sah es dabei gar nicht unterwürfig aus, und im Tagebuche Lalas gab es
-eine Stelle, die lautete so: »Sprach die helle Schwester: Je gescheiter
-ein Mann ist, um so leichter kann ihn eine Frau betrügen.«
-
- * * * * *
-
-Eines Morgens wurde Madame Sara, die erst sehr spät von einem Besuche
-bei ihrem Tataren nach Hause gekommen war und unerquicklich geträumt
-hatte, durch rasendes Klavierspielen und eine fürchterliche Art von
-Gesang geweckt. Beides wurde offenbar direkt über ihr verübt. Sie
-schellte Lala herbei und rief ihr entgegen: »Was ist denn das! Wer
-wohnt denn über uns?«
-
-»Oh!« antwortete Lala mit großem Ernste, »du wirst ihn lieben. Er ist
-so häßlich wie ich, aber du wirst ihn lieben. Er ist anders. Er ist gut
-und verrückt. Er hat zu mir gesagt: ›Ei du Scheusälchen‹!«
-
-Madame Sara, eben noch recht ärgerlich, mußte lachen, und sie sagte:
-»Mir scheint, Lala: du liebst ihn. Dann muß ich zurücktreten.«
-
-Aber Lala verstand solche Scherze nicht. Sie sagte: »Oh, es ist wahr.
-Er ist ganz für dich. Er ist ganz anders und ganz für dich, und er wird
-dich lieben.«
-
-»Dann soll er vor allem mit diesem schrecklichen Klavierpauken aufhören
-und mit dem noch schrecklicheren Gesingse!«
-
-»Lala geht zu ihm.«
-
-Und Lala ging hinauf, und augenblicklich wurde es ruhig.
-
-Nach einer Weile kam die dunkle Schwester mit einem Billett zurück, auf
-dem folgende Worte standen:
-
- »Wenn Orpheus sang, schwieg selbst das Federvieh,
- Doch Orpheus selber, lehrt Mythologie,
- Orpheus schwieg nie.
-
-Aber Orpheus hat auch nicht das Glück gehabt, Madame Sara Asher Neuyork
-(siehe Fremdenbuch) zu sehen, wie der ganz ergebenst endesunterfertigte
-Musikante und Poet, der zwar nicht leben kann, wenn er nicht den Flügel
-bearbeitet und seine unsterblichen Melodien den Morgenwinden mitteilen
-darf, aber lieber aufs Leben zu verzichten gewillt ist, als daß er
-der schönsten aller Damen ärgerlich sein möchte. -- Es liegt also bei
-Madame, zu entscheiden, ob ich leben oder sterben soll. -- Ich werde
-mir erlauben, selbst um die Entscheidung anzufragen, wenn Madame die
-Gnade haben will, mir dafür eine Stunde zu bestimmen.
-
-Der ich bin der schönsten Dame alleruntertänigster Diener und Knecht
-~Sturmius de Musis~.«
-
-»Du scheinst recht zu haben, Lala, er ist entschieden verrückt,« sagte
-Sara, als sie unter Lächeln das Billett gelesen hatte. »Aber er ist ein
-amüsanter Narr. Du kannst ihm also sagen, daß ich um ein Uhr für ihn
-zu sprechen bin.«
-
-Punkt ein Uhr überbrachte Lala ihrer Herrin eine Visitenkarte, die
-den wirklichen Namen des ~Maestro Sturmius de Musis~ aufwies, einen
-alten deutschen Adelsnamen, der eben an allen Plakattafeln der Stadt
-über einer Konzertanzeige zu lesen war. »Ich lasse bitten!« sagte sehr
-freundlich Madame Sara, musterte schnell noch einmal ihre raffiniert
-halb auf Empfang, halb auf Negligé gestimmte Toilette und ließ sich,
-gelb auf rosa, in einen üppig gepolsterten Armstuhl sinken.
-
-Kaum, daß sie noch einen Wurf alter Brabanter Spitzen über türkischen
-Pantöffelchen zur Geltung hatte kommen lassen können, stand der
-Flügelgewaltige auch schon in der Türe.
-
-Er sah, oberflächlich angesehen, recht unscheinbar aus. Klein und
-mager, wie er war, verschwand er fast in dem überlangen, schwarzen,
-noch etwas biedermeierisch geschnittenen Bratenrocke, den er zu
-breit karierten hellen Nankinghosen trug. Ein nicht recht eleganter
-Umlegekragen gestattete einem hellroten seidenen Schlips, weiter
-hervorzuzipfeln, als es die Mode erlaubte, und ließ einen keineswegs
-schönen, allzulangen und sehr sehnigen Hals frei, der zu allem Überfluß
-noch von einem überlebensgroßen Adamsapfel belebt wurde. Dieser
-fleißig auf- und niedersteigende Knollen hätte bei jedem anderen die
-Aufmerksamkeit des Betrachters konkurrenzlos in Anspruch genommen. Bei
-Madame Saras Besucher vergaß man ihn bald, wenn man einmal den Kopf
-angesehen hatte. Vor allem: er war zu groß. Er paßte nicht zum Körper.
-Er wirkte als Kopf an sich. Und dann: er war grausam häßlich, weil
-er auch in sich keine anständigen Verhältnisse hatte. Ein Hohn auf
-das Gesetz vom goldenen Schnitt. Die Stirn, über zwei dicken blonden
-Raupen, den Augenbrauen, ansetzend, hörte scheinbar überhaupt nicht
-auf. Dafür war die Nase zu kurz geraten, und sie erschien außerdem
-noch kürzer, als sie schon war, weil sie sich in optischer Verkürzung
-präsentierte, nämlich mehr nach aufwärts als nach abwärts tendierend.
-Dafür war wieder der Raum zwischen Nase und Mund viel zu ausgedehnt.
-Zwar war er mit einem hellblonden, in Spitzen gedrehten starken
-Schnurrbart bestanden, aber es wäre für zwei solcher Schnurrbärte Platz
-gewesen. Der Mund, obwohl zu breit und schmallippig, war geistreich.
-Nur entblößte er leider wahre Nagetierzähne, breite, gelbliche Schaber.
-Und dann war kein Kinn da, sondern nur ein Zwickelbart, ein gesteifter
-pharaonischer Zwickelbart, der im Verein mit dem breiten Mund und der
-gewaltigen Malmfläche sofort die Idee wachrief: Nußknacker. Die stark
-hervortretenden oberen Backenknochen unterstützten die Idee wirksam,
-während die ungeheuren Ohren die Gedanken mehr ins Gebiet der Zoologie
-riefen. Zornig trompetende Elefanten, wenn sie die Ohren abstehen
-lassen, erfreuen sich ähnlicher Seitenornamente. Sein Haupthaar litt
-unter dem Größenwahn seiner Stirn. Man konnte eigentlich nur vom
-Hinterhaupthaar reden. Doch ersetzte es an Länge, was ihm an Terrain
-versagt war. Es fiel beträchtlich über den Rand des Rockkragens herab,
-war aber säuberlich gerade geschnitten.
-
-Ein solcher Kopf hätte wohl Entsetzen erregen müssen, wenn in ihm nicht
-zwei Augen gewesen wären, so voll Geist, Güte, Glut und Leben, daß
-man in ihrem Anblicke alles übrige vergaß und sofort die Empfindung
-gewann: dieser Mann hat es nicht nötig, äußerlich schön zu sein; er hat
-alle Schönheit innerlich, das heißt: er ist ein wunderbar guter und
-wunderbar geistvoller Mensch, ein geniales Herz und ein genialer Kopf.
-Seine Häßlichkeit, statt zu verstimmen oder gar Mitleid hervorzurufen,
-machte heiter, steckte mit Heiterkeit an, von den Augen her, um die
-herum ein lebhaftes und doch nicht zuckendes Muskelspiel fröhlicher
-Laune war, witzig und dionysisch zugleich, kindlich und faunisch,
-gemütlich und enthusiastisch.
-
-Wenn er aber gar den Mund auftat und in seiner, Konsonanten und
-Vokale wunderlich zusammenquetschenden Sprache zu reden begann, war
-es, als ob alle guten Geister des Lebens mobil gemacht worden wären
-gegen Langeweile, Dumpfheit und Verdrossenheit. Er brauchte gar
-nichts Besonderes zu sagen: alles klang originell, denn ein jeder
-fühlte unbedingt: dieser Mensch spricht sich unverstellt aus, jedes
-Wort ist getragen von einem Impuls, keines schielt nach verborgenen
-Absichten, und wäre es auch nur die Absicht, originell zu wirken.
-Anderseits mochte manches anfangs närrisch klingen, aber bald merkte
-man, daß es nur närrisch geklungen hatte, weil es gar tief natürlich
-gewesen war, kindliche Weisheit, die sich nicht gut in konventionellen
-Schablonen ausdrücken kann, und die sich ganz naiv primitiver Mittel
-bedient. Dabei war Meister Sturmius alles andere eher als ein rohes
-Naturprodukt. Er war nicht nur sehr gebildet, äußerst belesen, ja im
-Umkreise seiner künstlerischen Interessen beinahe gelehrt; er hatte
-auch als Erbgabe seines alten Geschlechtes einen sehr sicheren Fond
-überkommener Kultur. Wenn er sich zuweilen recht ungeniert betrug,
-die Mode nach seinem Geschmacke modelte, die Konvention nach seinem
-Sinne bog, so war es kein wüstes Durchbrechen von Schranken, sondern
-immer ein elegantes Drüberwegsetzen mit dem leisesten Takte für das Wo,
-Wie, Wann und Wieweit. Nur in seiner Kunst war er ein rücksichtsloser
-Draufgänger, und er pflegte das so zu entschuldigen: Alles, was
-in meiner Familie früher Ritterliches, Räuberisches, Mörderisches
-passiert ist mit Schild und Schwert und Spieß, üb' ich aufs neue aus im
-Kampfe für die Kunst gegen die Philister. Alle meine raubritterlichen
-Vorfahren haben nicht so viel Eisen zerhauen, wie ich Flügel, und ich
-will doch sehen, ob ich nicht mehr Kunstphilister zur Strecke bringe,
-als sie Krämer. Sturmius, mein erlauchter Ahne, hat seinen Bruder
-Arbogast mit einem alten Streitkolben erschlagen, weil er nicht Martin
-Luthern anhangen wollte; -- so würde auch ich meinen Bruder umbringen,
-wenn er nicht an Richard Wagner und die Musik der Zukunft glaubte. Es
-ist ein großes Glück für meinen Bruder, daß ich keinen habe.
-
-Madame Sara, die keinen schlechten Blick für Menschen hatte, erkannte
-schon an der Art des Eintretens, daß ihr Gast trotz seines allzu
-subjektiven Bratenrockes ein Mann von Welt war, denn er kam ohne jede
-Spur von Befangenheit auf sie zu und küßte ihr die Hand wie einer, der
-gewöhnt ist, mit Schönheiten des Salons umzugehen. Dabei überstrahlte
-sie sein Blick ebenso verehrungsvoll wie munter, und sie fand, daß
-dieser Musikus, ästhetisch genommen, zwar ein Scheusal sei, aber ein
-höchst interessantes, ja -- reizendes Scheusal. Naiv treulos, wie sie
-war, dachte sie sofort vergleichend an ihren Tataren, und diesmal
-schien es ihr, als sei der »andere«, das heißt der neuauftauchende,
-vielleicht ... nun: weiter dachte sie nicht. Und sie sprach: »Sie haben
-wirklich meine Entscheidung über Leben und Tod, Herr von ...«
-
-Aber Meister Sturmius fiel ihr ins Wort, ehe sie seinen Namen hatte
-aussprechen können: »Haben Sie die Gnade, mich nicht bei meinem in
-die Register des Staates eingetragenen Namen zu nennen, Madame! Auf
-die Gefahr hin, daß Sie mich sogleich ersuchen werden, Ihr Zimmer zu
-verlassen, bitte ich Sie, mich mit dem Vornamen anzureden, den in den
-Zeiten, da meine Familie noch katholisch war, die Erstgeborenen unseres
-Hauses trugen, und den ich mir selbst für den Verkehr mit Göttinnen
-beigelegt habe: Sturmius!«
-
-Madame Sara lachte belustigt auf: »Sturmius? Steht der Name wirklich
-im Kalender? Ist er nicht von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann erfunden
-worden?«
-
-»Es hat so viel Sturmiusse meines Namens gegeben, daß wir sie numeriert
-haben, Madame. Der letzte war der vierzehnte und trug den Namen
-Judenschreck, nicht, weil er das Volk Gottes haßte, sondern weil er
-sehr kreditbedürftig war.«
-
-»Das Volk Gottes? Wie meinen Sie das?«
-
-»Wie es in der Bibel steht. Denn die Juden sind wirklich die
-Auserwählten ihres Gottes, den sie bei uns importiert haben. Es war ihr
-erster großer Importartikel und ist ihr bestes Geschäft geblieben bis
-auf den heutigen Tag. Wir haben ihn teuer bezahlt.«
-
-»Sie sprechen nicht sehr respektvoll vom lieben Gott.«
-
-»Der Gott der Juden heißt Jehova.«
-
-Madame Sara war ärgerlich. Was sollte das alles? Wußte er nicht, daß
-ihr Name jüdisch war? Sah er nicht, daß er eine Jüdin vor sich hatte?
-
-Sie sprach: »Es ist nicht gescheit, daß Sie Ihre Richterin über Tod und
-Leben beleidigen, Herr von ...«
-
-»Bitte: Sturmius!« -- »Wenn ich nun eine _fromme_ Jüdin wäre ...?« --
-»Sie sind überhaupt keine Jüdin.« -- »Doch, und ich bin stolz darauf.«
--- »Sie sind ebensowenig eine Jüdin, wie Christus ein Jude war.« --
-»Was war Christus denn?« -- »Christus.« -- »Das verstehe ich nicht.«
-
-»Christus war die Liebe, war nichts als Liebe, war ganz und gar Liebe.
-Daher war er weder Jude noch sonst etwas, und darum gehört er allen,
-nicht bloß uns Christen, sondern auch den Juden und Heiden. Und so ist
-es mit jedem Menschen, der etwas ganz Seltenes ist. So ist mein Freund
-Richard Wagner ganz Genie, und darum ist er kein Deutscher, sondern
-Richard Wagner, darum gehört er nicht bloß uns, die wir seine Jünger
-sind, sondern auch den Juden und Heiden der Musik.«
-
-»Und ich?«
-
-»Madame! Dinge, die ich nur auf fünfzeiligem Papier oder nur aus
-dem Flügel ausdrücken kann, erdreiste ich mich nicht, in Worte zu
-fassen. -- Haben Sie die Gnade und erlauben Sie mir, weiterzuleben,
-weiterzumusizieren, -- und ich will Ihnen Gelegenheit geben, zu hören,
-was Sie sind.«
-
-»Sie sind ein wunderlicher Heiliger.«
-
-»Weder heilig noch wunderlich. Nur Musikant und ein Stück Poet. Doch
-bin ich leider nicht groß genug, um nicht nebenbei ein deutscher
-Querkopf und als solcher zum Beispiel ein hitziger Judenfresser zu
-sein.«
-
-»Das ist amüsant.« -- »Für mich sehr.« -- »Also ist es Ihnen nicht
-ernst damit?« -- »Ich brauche meinen Ernst für meine Kunst. Juden
-fresse ich zur Erholung.« -- »Haben Sie Mendelssohn schon gefressen?«
--- »Der ist mir zu musikalisch.« -- »Und Meyerbeer?« -- »Den habe ich
-gefressen.«
-
-Und Meister Sturmius lachte über den Doppelsinn seiner Antwort selber
-so herzlich auf, daß sein Gelächter ansteckend wirkte und auch Madame
-Sara schallend lachen mußte.
-
-»Aber Sie stehen ja noch immer, Sturmius,« nahm, durch das gemeinsame
-Gelächter in eine übermütige Laune geraten, Madame Sara das Wort,
-»setzen Sie sich, Meister!«
-
-»Nicht ›Meister‹,« erwiderte der, indem er sich setzte. »Es gibt nur
-einen Meister, und der sitzt jetzt in der Schweiz über Partituren
-zu Werken, die die Pforten der Ewigkeit aufreißen werden. Ich bin
-nur Sturmius der Jünger: Ihr Sturmius, Madame, wie seiner, denn die
-Schönheit ist der Nachfolge so würdig, wie das Genie. -- Gestatten Sie
-mir, daß ich Ihnen die Schleppe trage, als Ihr musikalischer Page.«
-
-»Das würde wohl unschicklich sein bei der Krinolinenmode,« meinte
-Madame Sara, und Sturmius schüttelte sich aufs neue vor Lachen, und
-wiederum mußte Madame Sara einfallen, und es dauerte eine ganze Weile,
-bis sie sich beruhigt hatte, um sagen zu können: »Mein Gott, was für
-Kinder wir sind, wir schreien miteinander vor Lachen, als kennten wir
-uns von Jugend auf. Das ganze Hotel werden wir skandalisieren.«
-
-»Wenn es auf mich ankäme,« antwortete Sturmius, »ich hätte nichts
-dagegen, wenn es die ganze Stadt wäre.«
-
-Da dachte Madame Sara zum zweitenmal an ihren Tataren und sagte: »Das
-wollen wir bleiben lassen, Sturmius. Ich bin mehr für Ausschluß der
-Öffentlichkeit bei Privatvergnügen.«
-
-Und sie lachte wieder, -- aber schon etwas leiser.
-
- * * * * *
-
-Der von Sara beliebte Modus wurde beibehalten. Selbst im Hotel wurde,
-dank des virtuosen Aufpassens von Lala, die ~entente intime~ zwischen
-erstem und zweitem Stock nicht bemerkt, die sich aus der ~entente
-cordiale~ sehr bald entwickelte und den asiatischen Beziehungen Madame
-Saras an Intensität nichts nachgab.
-
-Die schöne Jüdin war sehr glücklich mit ihren beiden verliebten
-Antisemiten, deren Rassenhaß sie auf so angenehme Weise ~ad absurdum~
-führte, und die ihr dafür so viel Glut und Verehrung entgegenbrachten,
-daß in der Tat für die ganze übrige Judenheit nur recht wenig Liebe
-mehr übrig bleiben konnte. Der kleine Gott hatte wirklich gut für ihr
-großes Herz gesorgt. Es waren nicht bloß zwei Männer, die sie umfingen,
--- es waren zwei Rassen, zwei Weltanschauungen, die ihr huldigten.
-Und das ergab auch in ~puncto puncti~ zwei angenehm verschiedene
-Gebarungen. Alles Mystische, Auto- und Theokratische lag dem Jünger
-der Zukunftsmusik aus altem germanischen Adelsstamme gänzlich fern. Er
-zündete keine Lampe in Rubingläsern an vor byzantinischen Madonnen,
-um Dämmerstimmungen auf dem Grenzgebiete zwischen Religion und Erotik
-zu Explosionen heftigster Liebesherrschsucht und wollüstigster
-Liebesuntertänigkeit zu steigern. Den Tribut, den er der schönen Frau
-mit allen Sinnen leidenschaftlich darbrachte, war völlig frei von
-asiatischen Ingredienzien. Seine Leidenschaft war klarer, frischer,
-heiterer. Er liebte nicht _zum_ ersten Male, aber er liebte wie
-_beim_ ersten Male: jungenhaft mit der bald drolligen, bald rührenden
-Überschwenglichkeit eines jungen Studenten, -- nur kam, wenn es ans
-Sprechen ging, ein reicher erfahrener Geist hinzu und, wenn er seine
-Entzückung musikalisch äußerte, eine meisterhafte Kunst.
-
-Für eine Virtuosin der Liebe, als welche sich Madame Sara bald fühlen
-durfte, war diese Nuance ein wunderbarer Genuß, der durch die äußere
-Häßlichkeit nur noch erhöht wurde.
-
-»Welches Glück,« sagte sie einmal zu ihm, als er in seinem
-gelbseidenen, blau und grün geblümten Schlafrock vor ihr herumsprang
-und aus allen Winkeln der Welt- und Naturgeschichte Epitheta zum Preise
-ihrer Schönheit zusammensuchte, -- »welches Glück, mein Sturmius, daß
-du kein schöner Tenor bist, sondern ein häßlicher, der häßlichste aller
-Musikanten. Wie schrecklich, wenn du eine Adlernase hättest.«
-
-»Schweig! Es ist nicht zum Ausdenken!« rief Sturmius und schüttelte die
-Fäuste.
-
-»Stell dir das groteske Elend vor, wenn du Locken hättest, Sturmius!«
-
-»Absurditäten stelle ich mir nicht vor, Madonna! Es wäre aber mehr als
-absurd, es wäre in der Tat verhängnisvoll. Denn, hätte ich Locken und
-eine Adlernase, was wäre die Folge? Ich würde Lala lieben und nicht
-dich, denn Künstler lieben immer den Gegensatz. Was deine Schönheit
-liebt, o Perle von Juda, ist meine Scheusäligkeit. Ich bin ein
-verhuzelter, verkrumpelter Germane, ein stark Shakespearescher Witz
-des einäugigen Wotan, der übrigens auch kein Apollo ist. -- Darum
-liebe ich dich, die strahlende, gliederherrliche Jüdin, Jehovas seliges
-Meisterstück.«
-
-»Denke dir: Wenn ich ein Kind von dir bekäme,« sagte nach einer
-nachdenklichen Pause Madame Sara.
-
-»Dann lerne ich,« antwortete Sturmius, »auf meine alten Tage beten, daß
-es ein Sohn sei und keine Tochter. Denn er wird trotz deiner Schönheit
-ein häßliches Kind sein.«
-
-Madame Sara dachte wieder eine Weile nach, dann sprach sie: »Auch ich
-will, daß es ein Sohn sei. Es ist nicht gut, wenn zwei so verliebte
-Gegensätze ein Mädchen in die Welt setzen.«
-
-»Du redest so mütterlich, meine Halskette, -- hast du einen _Grund_, so
-mütterlich zu reden?«
-
-»Ich fürchte: Ja.«
-
-»Du -- fürchtest?«
-
-»Ja ich fürchte. Ich will kein Kind. Schon der Gedanke irritiert mich.
-Ich käme mir degradiert vor. Eine Liebe, die -- Folgen ... das ist doch
--- gemein.«
-
-»Ja gnädige Frau, es ist gemein.«
-
-»Laß mich mit Schillerschen Doppelsinnigkeiten zufrieden, Sturmius; du
-weißt, für Schiller habe ich kein Organ.«
-
-»Ich weiß, er ist für dich der Dichter der deutschen Turnvereine
-und Liedertafeln, und meine braune Venus von Jerusalem ahnt mit
-gutem Instinkte, daß vor dem Erze seiner Jamben einmal das Reich der
-Krinoline in den Staub sinken wird.«
-
-»Wenn du von Bismarck reden willst, Sturmius, geh' ich.«
-
-»So will ich von Bismarck spielen.«
-
-Und Sturmius setzte sich an den Flügel und phantasierte über Beethovens
-Eroica.
-
-Die Gleichgültigkeit, mit der Sturmius die Andeutung Saras aufgenommen
-hatte, beleidigte diese gar nicht. Sie fühlte dabei nur, daß der
-Maestro sie ebensowenig »liebte«, wie sie ihn, das heißt, daß ihr
-Verhältnis beiderseitig frei von aller Sentimentalität war -- dies Wort
-ohne jede Abschätzigkeit gebraucht. Und das war ihr im höchsten Grade
-sympathisch.
-
-Sie empfand es ganz deutlich: der häßliche Komponist huldigte ihrer
-Schönheit mit höchster Leidenschaft, ohne auch nur im geringsten im
-Gemüte beteiligt zu sein. Und nicht anders stand es um ihre Neigung
-zu ihm, nur daß sie seiner genialen Männlichkeit huldigte. Sein
-künstlerisches Temperament und sein scharfer Geist flößten ihr tiefsten
-Respekt ein, und sie empfand es als wollüstige Auszeichnung, daß er sie
-einer in glühende Erotik verdichteten Verehrung für würdig erachtete,
-die seiner Hingabe an die Kunst kaum etwas nachgab. Daß dieser Zustand
-nicht andauern würde, wußte sie wohl, und auch das war ihr recht. Sie
-hatte durch den gleichzeitigen Umgang mit den beiden Männern die feste
-Überzeugung gewonnen, daß sie sich nur in der Abwechslung ganz wohl
-fühlte.
-
-Wie sehr sie sich dadurch von der ungeheuren Mehrzahl der Frauen
-unterschied, war ihr keineswegs unklar, und sie hatte auch Verstand
-genug, einzusehen, wie weit sie damit von der herrschenden Moral
-abrückte. Mit Sturmius konnte sie darüber von der Leber wegreden, und
-das erschien ihr als großer Vorzug des deutschen Künstlers vor dem
-russischen General, dessen Qualitäten auf einem ganz entgegengesetzten
-Gebiete lagen. Sie waren ihr nicht weniger gemäß, ja sie lagen
-ihrem eigenen Wesen als Frau näher. Aber sie war doch nicht so
-ganz Orientalin, wie der Verehrer Asiens glaubte, sie war viel
-differenzierter, westlicher, als er ahnte, dem gegenüber sie sich
-von vornherein viel weniger enthüllt hatte, als dem Deutschen. Er
-kannte in ihr nur die Sulamitin, wie er sie sich ins alte Testament
-hineinkonstruiert hatte, aber sie war, ihm unbewußt, gleichzeitig gar
-sehr modern, im Sinne der Emanzipation des Fleisches durch das Gehirn,
-wie sie Heinrich Heine gepredigt hatte, den Fürst Golkow nicht anders
-zu nennen pflegte, als das »Genie der jüdischen Entartung.«
-
-»Dieser Auswurf des Orients, dieser Teufel in Judengestalt, ist von
-der Vorsehung dazu bestimmt gewesen, das ganze Talent seiner Rasse
-zu keinem anderen Zwecke zu verkörpern als zu dem: Die Deutschen zu
-demoralisieren und dadurch reif zum Untergange durch das Slaventum zu
-machen. Goethe, auch ein gefallener Engel, ist ihm darin vorangegangen,
-aber längst nicht mit so diabolischem Erfolg, denn Goethe war ein
-ästhetischer Hellene. Heine, indessen, war Juden-Grieche. Goethe
-konnte, bei allem Hellenentum, noch ein Gretchen fabulieren. Heine
-hat dieses Gretchen vergiftet, indem er es emanzipierte. -- Und
-dieses Volk, diese Deutschen, erst durch Rom verdorben, dann durch
-Luther um jedes Gefühl der Religion gebracht, dann durch Kant bis
-zur Gasflüssigkeit in reine Vernunft aufgelöst, dann durch Goethe
-in griechische Formen vereist, durch Schiller aber wieder durch
-heiße Phrasen aufgetaut, daß sie wie Brei auseinander flossen, und
-schließlich von Heine mit allen Gärungsstoffen aus dem Sumpfe jüdischer
-Entartung durchsetzt, -- dieses Volk von lauter Individuen will --
-einig, will ein ganzes werden. Es hat niemals ein lächerlicheres
-politisches Phänomen gegeben, und auch Herr von Bismarck wird beim
-besten Willen nicht imstande sein, aus dieser Fata Morgana ein Gebilde
-von Realität zu machen.«
-
-Auf solchen Umwegen pflegte der Verehrer Asiens auf die heilige Allianz
-zu kommen, die für ihn der letzte Gipfel europäischer, -- nämlich
-asiatischer Politik war.
-
-Zuweilen machte sich Madame Sara das Vergnügen, diese Gedankengänge,
-die sie nur mäßig interessierten, vor Sturmius auszubreiten, der sich
-darüber schief lachen wollte.
-
-»O du güldne Posaune von Jericho,« rief er dann wohl aus, »o du lustig
-schmetternde! Nie bist du reizender, als wenn dein schöner Mund so
-greulichen Unsinn tönt!«
-
-Dagegen nahm er ihre eigenen Ergüsse über ihre Ansichten von Liebe ohne
-Sentimentalität ernst.
-
-»Solche Ansichten stehen dir zu Gesicht, und bei schönen Frauen kommt
-alles darauf an, wie es ihnen steht. Es wäre schlimm, wenn unsere
-deutschen Hausmütter so dächten; es wäre entsetzlich. Aber diese Gefahr
-ist nicht vorhanden. Fest steht und treu die Wacht am Ehebett. Du aber
-darfst und sollst verruchte Maximen haben. Eine Schönheit wie die deine
-würde gegen den Stil sündigen, wollte sie moralisch sein. Auch die
-große Dame von Babylon hat ihre Existenzberechtigung, und wir Künstler
-verdanken ihr unsere besten Informationen. Ach, es sind in eurem
-herrlichen alten Buche wundervolle Stellen darüber! Heute darf man so
-etwas nur in Musik sagen, -- und das wird jetzt in Triebschen von dem
-größten aller Propheten besorgt.«
-
-Und nun sollte Madame Sara ein Kind bekommen, von dem sie nicht wußte:
-ist es von dem, dessen Seele in Asien wohnt, oder von dem, der das Heil
-der Zukunft von Bismarck und Richard Wagner erwartet.
-
-Im Brennpunkte der Leidenschaft zweier Gegenpole stehend und sich
-jedem, dem einen wie dem anderen, mit gleicher Leidenschaft zuwendend,
-hatte sie zuweilen das Gefühl eines Verhängnisses über sich, das ihr
-manchmal grell, manchmal düster, kaum je einmal in einem ruhigen Lichte
-erschien.
-
-Doch kam das nicht häufig über sie.
-
-Klar war ihr das eine: das Kind durfte ihr nicht unbequem werden, und
-von ihrer Mutterschaft durfte niemand erfahren, schon wegen der Gesetze
-ihres Staates nicht, das für eine Witwe, welche außerehelich gebiert,
-sehr fatale vermögensrechtliche Folgen festsetzte.
-
-In Lalas Tagebuch stand, als der Dresdner Aufenthalt zu sieben Monaten
-gediehen war, dieses: »Sprach die helle Schwester: Laß uns das Kind in
-einen Binsenkorb tun, wie Mose, und den Wellen eines Flusses übergeben.
-Und Geld dazu und von den Vätern Geschenke. Hat es Glück, so wird die
-Tochter Pharaos es finden und zu Ehren aufziehen. Wir aber wollen es
-nur von weitem verfolgen und ihm beistehen, wenn es nottut.«
-
-So alttestamentlich ging es indessen nicht zu.
-
-Als die Zeit herangekommen war, daß es für Sara nötig schien, sich
-zurückzuziehen, nahm sie freundlich und gelassen von ihren beiden
-Dresdner Freunden Abschied.
-
-Rührendes ereignete sich dabei nicht.
-
-»Da du nicht wünschst, daß ich für unser Kind sorge, so darf ich dich
-nur bitten, ihm ein kleines Andenken stiften zu dürfen,« sagte Fürst
-Golkow, -- »diese Bronze eines mit vorgelegter Lanze dahinstürmenden
-Kosaken. Es möge ein Symbol für sein Leben sein -- zumal wenn es ein
-Junge ist.«
-
-Maestro Sturmius aber bat sie, dem Kinde zum Andenken an seinen
-»ausgezeichneten aber leider mehr musikalischen als moralischen Papa«
-seinen schönsten seidenen Schlafrock mit auf den Lebensweg zu geben.
-»Denn,« so fügte er hinzu, »es gibt in jedem Menschenleben Augenblicke,
-wo ein seidener Schlafrock einem härenen Gewande vorzuziehen ist.
-
- Denn Seide kühlt und Seide wärmt,
- Und hat sich jemand abgehärmt,
- Dieweil das Leben Härten hat:
- Das seidne Lotterkleid ist glatt.«
-
-Sollte man finden, daß diese Erzählung eigentlich keinen rechten Schluß
-hat, so würde man mir damit nicht zu nahe treten, denn ich habe diese
-Empfindung selber gehabt. So sehr, daß ich einen ganzen Roman dazu als
-Schluß geschrieben habe: den Roman des Sohnes der schönen Sara, der
-zwar einen seidenen Schlafrock und einen reitenden Kosaken, aber keinen
-genau bestimmbaren Vater hatte, und der »Prinz Kuckuck« genannt wurde,
-weil er zeitlebens in fremden Nestern hauste.
-
-
-
-
-Samalio Pardulus.
-
-
-Johannes Pauli, der ein Jude war, ehe er ein Barfüßermönch wurde,
-erzählt in seinem Buche »Schimpf und Ernst« die sonderbar düstre
-Geschichte eines Malers, der ein Monstrum war: halb Mensch, halb Roß,
-hausend im wilden Walde, aber mit hoher Kunst gar wunderbar begabt.
-Doch, wie seine Farben auch leuchteten, und wie meisterlich immer seine
-Zeichnung ging: was er gestaltete, hatte die scheusälige Grimasse
-seines Urhebers. Nicht einmal den Heiland vermochte er anders als
-mißgestalt zu schaffen, dermaßen, daß man ihn eher für einen Teufel
-als den Sohn Gottes habe ansehen müssen. Daher denn Christus selber
-ergrimmte und dem malenden Ungetüm erschien, ihm seine Schönheit zu
-zeigen und ihm ins Gemüt zu reden.
-
-Daß er dabei gesprochen hat, wie es der Barfüßer berichtet: nämlich
-nicht anders als wie ein junger Herr, der, von seiner Schönheit
-eingenommen, die Leistungen seines Photographen nicht vorteilhaft genug
-findet, ist schwer zu glauben. Eher hat noch die Antwort des schlimmen
-Malers glaubliche Haltung: daß er nichts als Vergeltung übe an dem,
-der zuerst ihn als Scheusal geschaffen habe. »Wahrlich, wäre ich es
-mächtig, dir Härteres anzutun, als böse Bilder -- ich tät's mit Lust.«
-
-Da ergrimmte der Herr, nach des Mönchs Bericht, in großem Zorne und
-stieß mit seinen Händen das Malgerüst um, auf dem Samalio Pardulus
-stand, daß es ihn unter sich erschlug, und sprach: ~Talem perpetrat
-verdictam, qui per ipsam perdit vitam.~
-
- * * * * *
-
-Hat dieser Johannes seinen Jesus recht gekannt? Hat er um den Maler
-Bescheid gewußt? Nein: er wußte weder von Gott noch von der Kunst.
-
-Die Geschichte von Samalio Pardulus nach den Quellen und nach dem
-Geiste ist so:
-
-Ja: Er war ein wildhäßlicher Mensch: über die Maßen lang und dürr, dazu
-schiefschulterig und lahm; und hatte einen lächerlich spitzen Kopf
-voll krausborstiger schwarzer Haare, die bis tief in die faltige Stirn
-hineingewachsen waren; aber keinen Bart um die schmalen, gleichsam
-verwelkten Lippen, und auch die gelben, schlotterigen Wangen waren ganz
-bloß, wie bei einem Kinde. Dafür lagen wie zwei dicke Raupen, die sich
-ineinander verbissen haben, dichte, stachelige Brauen über den kugelig
-hervorstehenden braungrünen Augen, und seine knochigen, langen Hände
-waren dicht behaart. Auch aus den viel zu großen und abstehenden, dabei
-pergamentfarbenen Ohren wuchsen Haarbüschel heraus, und nicht minder
-aus den abscheulich weiten Öffnungen der Nase, die im übrigen übermäßig
-lang und an der Spitze schnabelartig überhangend war. Ein Roßmensch
-war er aber nun doch nicht und lebte auch nicht eigentlich im Walde,
-sondern in einer der Burg an Burg, Turm an Turm wie aus Zyklopenquadern
-zusammengehäuften Städte des Albanergebirgs: zu jener Zeit, da es
-niemals Frieden gab, sondern immer der Krieg den Rachen offen hatte,
-sei es, daß unter den Geschlechtern Streit war, oder zwischen diesen
-und den Bürgerlichen.
-
-Indessen lebte man darum keineswegs traurig, sondern, ob auch in steter
-Unsicherheit, mutig, ja lustig dahin, immer darauf gefaßt, dem Leben
-schnell Lebewohl sagen zu müssen, aber entschlossen, bis zum Ende des
-großen Abenteuers frisch und derb zuzulangen nach allem, was Gott oder
-Teufel auftafelte. Zwischen Laster und Tugend, Tod und Wollust, Kampf
-und Schmaus aber gingen in Kapuzen und Sutanen Mönche und Priester
-dunkel umher und hatten für alles ihre lauten und leisen Worte, und in
-den Kirchen knieten Freund und Feind nebeneinander, mit den Nüstern
-schwülen süßen Weihrauch atmend, mit den Ohren Geheimnisse vernehmend
-aus herrischen, aber wie auf Wolken göttlicher Verheißung schwebenden
-Tönen, und mit den Augen umfangend die königlich strenge, jedoch auch
-mütterliche, jedoch auch bräutliche Schönheit der goldumloderten
-Madonna.
-
-Samalio Pardulus, seinem eigentlichen Namen nach der Sproß des ältesten
-und mächtigsten Geschlechtes der Stadt, das sich auf altrömischen
-Ursprung zurückführte, war weder bei den Rittern noch bei den
-Geistlichen, weder bei den Kämpfen noch bei den Schmäusen: war auch in
-der Kirche nicht zu sehen. Er nahm nicht teil am Leben seiner Tage, war
-im Gefühle tot für alles, was jenen Menschen Glück oder Unglück hieß.
-Und hatte auch nicht Freude an sich selbst.
-
-Kannte nur _eine_ Lust: allein zu sein und um sich herum eine neue Welt
-zu bilden aus Gestalten seiner Einbildung, der eine starke Kraft zu
-Gebote stand, sich in Bildern darzustellen.
-
-Das Handwerk hatte er von einem Manne aus Florenz gelernt, der, aus
-der Heimat um Parteifeindschaft willen vertrieben, der Geheimschreiber
-seines Vaters geworden war: ein schweigsamer Mensch, dessen Augen
-voller Klage und Heimsucht waren. Was dieser mit Pinsel und Farbe
-vermochte, hatte er auch bald vermocht. Aber er wollte mehr. Denn
-jener, der das Malen nur erlernt hatte, um sich, da er noch reich und
-ein großer Herr gewesen war, müßige Stunden zu vertreiben, malte nur,
-was die Meister seiner Vaterstadt schon einmal gemalt hatten, und er
-gedachte gar nicht, es ihnen gleich zu tun, oder gar mehr als sie.
-Indem er malte, dachte er an Florenz und schuf sich ein blasses Abbild
-des Schönen, daraus er vertrieben worden war. Samalio Pardulus aber
-(wir wissen nicht, welche Bewandtnis es mit diesem Namen hat) hatte
-keine Kunst fremder Meister gesehen (denn die schlechten Bilder in
-den Kirchen und Häusern seiner Stadt waren nicht meisterlich), und so
-gedachte er an nichts Fremdes: nur an das, was in ihm selber war und
-das er innerlich sah als etwas ganz ihm Eigenes, nicht zugespiegelt
-aus fremder Kunst, am wenigsten der seines Lehrers. Seine innerlichen
-Gesichte aus sich herauszustellen, die schwankenden fest, die
-verwehenden dauerhaft zu machen, war sein Begehren.
-
-»Daß ich Genossen hätte, male ich,« sagte er einmal zu seinem Lehrer,
-»ich male, daß ich nicht ganz allein sei. Könnte ich nicht malen, so
-würde ich mit Huren Kinder machen: aber mit den schamlosesten und
-wüstesten. Ja mit Tieren, wenn es die Natur zuließe. Nur, daß ein
-anderes Volk um mich herum wäre als dieses, das mir greulich fremd
-ist.«
-
-Messer Giacomo, der weder solche Worte vernommen, noch Bilder
-gesehen hatte, wie die seines wüsten Schülers, und dem es eine Art
-schreckhaften Ergötzens war, in der Langenweile seiner Verbannung
-sich mit dem »~mostro~« zu beschäftigen, schrieb in seinem (übrigens
-langweiligen, weil gar zu eintönigen) ~diario~, das man später im
-Archive des Schlosses Certaldo alto aufgefunden hat, als das alte
-Gemäuer in den Besitz des Staates überging, getreulich alles auf, was
-er »~nella selva~«: im Walde draußen beim »~centauro~«, wie er seinen
-Schüler nannte, sah und hörte. Es scheint, daß er später in seine
-Heimat zurückgekehrt ist und in jenem Schlosse zwischen Florenz und
-Siena seine Tage beschlossen hat. Unter den über dem Schloßportale
-heute noch sichtbaren Wappen der verschiedenen Geschlechter, die
-einander im Besitze von Certaldo alto folgten, befindet sich auch das
-seine. Weiter wissen wir nichts von ihm. Wenn aus dem übrigen seines
-Tagebuches nicht hervorginge, daß er ein grundnüchterner Mann gewesen
-ist, der sich nicht mit Phantasiebeschäftigungen abgab, sondern, seine
-kleine Pinselliebhaberei abgerechnet, ganz in den realen Interessen
-aufging, die ihn zum tätigen Parteimann machten, so könnte man
-glauben, er habe sich diesen Samalio Pardulus erfunden, gewissermaßen,
-um sich auch als Poeten zu versuchen. Aber die Art, wie er den
-Äußerungen des seltsamen Menschen (gemalten wie gesprochenen) immer
-den Kommentar eines unerschütterlich mittelmäßigen Besserwissertums
-und biederer Philistrosität anhängt, läßt diesen Verdacht nicht
-aufkommen. Wir dürfen, wie wunderlich auch das meiste erscheinen mag,
-was er berichtet, mit Sicherheit annehmen, daß der Herr von Certaldo
-alto den »Zentauren« wirklich und leibhaftig gekannt, jene wilden
-Bilder gesessen und alle die Worte vernommen hat, die er, stets mit
-Äußerungen des Entsetzens, mitteilte.
-
-Wir folgen seinen Aufzeichnungen in allem wesentlich getreu und nehmen
-nur da das Recht in Anspruch, aus seinen tadelnden Kommentaren das Bild
-des »Scheusals« in einem Sinne zu ergänzen, der mit Messer Giacomos
-Meinungen nichts gemein hat.
-
-Einiges sei in wörtlicher Übertragung hergestellt. So, was der Toskaner
-über Samalios Kunst und Wesen im allgemeinen sagt: »Es ist ein
-sonderbares Ding um die Kunst dieses ungebärdigen Menschen. Sie ist
-voller Lästerung des Lebens, das in ihr nicht von Gott zu sein scheint,
-sondern vom Teufel. Malt er den Wald (wie er insonders gerne und nicht
-ohne Geschick tut), so ist es, als ob die Bäume ein jeder dämonisch
-besessen wären; kein Pflanzenwesen, sondern ein Tier, und alle zusammen
-sind wie eine Versammlung von Gespenstern, daß man sich fürchtet, in
-das Dunkel hineinzusehen, das wie aus ihnen innerst herauskommt: aber
-nicht schwarz, sondern bräunlich. Er hat, genau wie sie um sein Kastell
-im Felsgebirg stehen, Pinien gemalt, als welche doch freundliche
-Bäume sind, von edler Liniatur und eigentlich wohltätig, da sie von
-oben Schatten geben, aber, des fehlenden Unterästichts halber, der
-Luft den Weg nicht sperren. Bei ihm aber sind sie Ungetüme, die mit
-borstigen Schädeln widereinander rennen. Nicht so, als ob er ihnen
-Gesichter malte. Das wäre am Ende lustig. Sondern es sind Schädel
-von Riesen, die noch niemand sah, von Riesenwesen aus Baumart und
-doch tierisch. Sie sind bös und alle untereinander feind. Es ist, als
-ob sie sich gegeneinander stemmten mit diesen wilden Köpfen, daß
-sie so, ihre Kräfte vereinigend, mächtig würden, ihre Stämme aus
-dem Erdreich zu reißen. -- Nicht anders macht er es mit Tieren und
-Menschen. Gott schuf sie, wie wir alle sie sehen. Dieser Ungestalte
-bildet sie ungestalt. Seine Pferde sind langhaarig wie Ziegen, und man
-möchte zugleich glauben, daß sie auch von Ebern stammten. Nie malt
-er sie anders als rot und schwarz gefleckt. Doch eine Schimmelstute
-hat er gemalt, das schamloseste, das je erdacht worden ist: ein Pferd
-mit Menschenhaut, ganz ohne Haar, bis auf eine Stelle, die er zum
-Mittelpunkte des Bildes gemacht hat. Das Tier, das Menschentier, biegt
-den Hals in einer schmerzhaft-unmöglichen Linie um und wendet so dem
-erschreckten Betrachter seinen Kopf zu, der zwar der Kopf eines Pferdes
-ist, aber so mit den Zügen eines Weibes vergattet, daß man die Augen
-niederschlagen muß. Denn es lacht auf eine schändliche, buhlerische und
-doch höchst klägliche Art. Es hat entzündete blaue Augen. Dafür hat er
-ein Weib gemalt mit dem Fell einer blau und schwarz gestreiften Katze.
-Dieses Weib reitet auf einem Manne, der das Zottelhaar eines weißen
-Schäferhundes hat und vorstehende Raffzähne gleich dieser Hundeart. Es
-reitet verkehrt auf ihm, sich mit beiden Händen an die buschige Rute
-ankrallend. Und der Hund-Mann hebt den Kopf nach Art eines heulenden
-Rüden, der die Matz wittert.
-
-Fragte ich ihn, was alles dies bedeute.
-
-Antwortete er: »Nicht weniger und nicht mehr als das, was eure Welt
-ist: meine.«
-
-Sagte ich ihm: »Das heißt Gott höhnen.«
-
-Antwortete er: »Niemand höhnt Gott mehr, als Gott sich selber
-verhöhnte, wie er den Menschen nach seinem Ebenbilde erschuf. Schaut
-mich an und sprecht: Sieht so Gott aus?«
-
-Schwieg ich aus höflicher Rücksicht.
-
-Lachte er (was nun bei ihm Lachen heißt: ein Zucken um die Mundwinkel)
-und sprach: »Oder, wenn _ihr_ ins Glas seht: seht ihr _Gott_
-gespiegelt?«
-
-Entgegnete ich (mit gerechtem Fuge streng): »Nicht also ist jenes
-Wort der Schrift gemeint. Gott ist das vollkommen Schöne: wir nur
-unvollkommene Abbilder, verzerrt obendrein durch die Erbsünde und den
-Fluch darauf.«
-
-Lachte er nochmals (und ganz abscheulich), also sprechend: »So wäre
-Gott ein Stümper oder hätte getan, was ich tue.«
-
-Ging im Gemach herum und rieb sich die Hände, daß es knackte, wie
-Holzscheite. Blieb plötzlich stehen und sah mich mit verkniffenen Augen
-an. Und schrie: »Der Fluch! Die Sünde! Was heißen diese Worte? Daß er
-Fratzen braucht, sich zu vergnügen: Euer schöner Gott! Denn (und das
-sprach er leise, gar ernsthaft) als Stümper ist er nicht zu denken.«
-
-Warf sich ins Gestühl und starrte ins Deckengebälk, dorthin, wo der
-greuliche Leuchter hängt, den er in der Grabhöhle der Heiden gefunden
-hat: ist als eine große Sonnenblume gebildet, aber jedes Blatt hat die
-Form der weiblichen Scham, daß jede Kerze, darein gesteckt, zum Phallus
-wird.
-
-Saß lange schweigend, bis er sprach: »Nein, kein Stümper. Sondern
-wahrlich Gott: wahrlich Künstler. Und wir bloß Affen seiner Kunst. Aber
-(und dies rief er wieder laut, hell, wütig, indem er aufsprang): Alles
-dürfen wir, was er darf: alles. Und sind ihm um so ähnlicher, je mehr
-wir die göttliche Freude an der Fratze haben: diese Freude des großen
-Zorns, aus dem allein die Lust des Schaffens kommt. Denn die Liebe ist
-das Ekelhafte, ist das Sichbegnügen mit dem, was da: was langweilig,
-immer das gleiche, verflucht und noch einmal und in alle Ewigkeit
-verflucht das gleiche ist. Vulva und Phallus. Das ist für die Herde:
-im Schweinekoben und im Fürstenbette dasselbe. Aber einigen ist es
-gegeben, sich wie Gott selber zu vergnügen, weil sich Gott in ihnen am
-meisten vergnügt, da sie die vollkommensten Fratzen seiner selbst sind.
-Das sind die Künstler. Sie wissen, daß Gott die Welt nicht aus Liebe
-erschaffen hat, sondern aus Not ... Gott! Was ist Gott? Was ... wäre
-Gott? Gott wäre die Einsamkeit.«
-
-Trat ganz nahe an mich heran, und seine Augen waren fürchterlich, als
-er sprach: »Vernehmet, Mann aus Toskana, und bewahrt es wohl, denn es
-ist die Wahrheit: Gott war tot, als er die Welt schuf. Als er lebte,
-war nichts um ihn: Er war das All, die unbewegte Leere, das vollkommene
-Nichts, das ist: das einzig mögliche vollkommene. Doch wäre er nicht
-Gott: nicht Geist gewesen, wenn ihm diese Ewigkeit, diese scheußlich
-vollkommene Ewigkeit genügt hätte. Es kam die Not des Wollens über ihn,
-und er beschloß, zu sterben, daß aus seinem Tode die Welt, aus seiner
-Einsamkeit die Vielheit des Lebens würde: nicht anders, als wie aus
-einem Leichnam Würmer werden.«
-
-Ich entsetzte mich über diesen Unflat schändlicher Einbildung, schlug
-dreimal das Kreuz und erhob mich, zu gehen. Er aber legte seine beiden
-harten Hände auf meine Schultern, daß mir nicht anders war, als wenn
-Satanas mich verderben wollte, und drückte mich ins Gestühl.
-
-Und sprach: »Höret nur weiter! Es ist nicht gut, die Wahrheit halbet
-zu vernehmen. Auch ist nicht gottlos, was ich Euch sage. Denn seht: ob
-Gott auch tot ist: die Welt ist dennoch göttlich, da sie von ihm ist.
-Zwar sind die Kreaturen nur Würmer, die von seinem Tode leben, aber es
-ist doch göttliche Nahrung, die sie erhält.«
-
-Ich raffte mich auf und verwies ihm sein Gerede, indem ich ihn einen
-heidnischen Sophisten hieß.
-
-Er schüttelte den Kopf: »Was mich von Eurer Art Christen unterscheidet
-ist nur, daß ich von Gott einen zu göttlichen Begriff habe, um
-vermeinen zu können, daß diese langweilige Welt des ewig Gleichen sein
-Leben umfassen oder ausdrücken könnte. Ich denke von Gott so hoch, daß
-mir sein Totes noch göttlich genug deucht für unsereins, ja als das
-einzig Göttliche, das wir vertragen können. Gott und Welt: Einsamkeit
-und Leben verträgt sich unmöglich. Und seht doch: Ist das nicht
-christlich gedacht, daß er für uns starb? Und was sage ich mit den
-Würmern anders als dies: daß er uns die Erbsünde vermacht hat?«
-
-»Ihr spottet,« rief ich laut, »und spottet Euch um die ewige Seligkeit!«
-
-»Damit ist es freilich nichts,« sagte er ernsthaft, »denn Gott hat sie
-selber aufgegeben: auch er vermochte es nicht, sie zu ertragen. Das war
-ja seine Not, die ihn zu sterben, als Gott zu sterben und im Gewürme
-weiterzuleben zwang. Die große Not der Langenweile war es. Jetzt ist er
-ihrer ledig. Der tote Gott vergnügt sich in der Vielheit von Fratzen,
-in denen er lebt: und wenn es auch gewiß ein zorniges Vergnügen ist,
-so ist es ebendarum göttlich. -- Hier, bei mir (er wies um sich), hier
-in mir (er schlug sich auf die Brust) ist ihm am wohlsten. Denn meine
-Welt ist nach seinem Rezept gemacht, und ich sterbe gleich ihm einen
-Tod der zornigsten Not.«
-
-Indem er dieses sagte, war mir, als ob in seinen Augen etwas glömme:
-ich weiß nicht, war es Wahnsinn oder Begeisterung.
-
-Die Madonna sei ihm gnädig! Er spricht nie von ihr, und, ob er sich mit
-seinem Malgeräte auch an allem vergreift, was uns heilig, ihm aber nur
-ein Anlaß zu schändlicher Fratzerei ist: sie malt er nie.«
-
- * * * * *
-
-Das Kastell, in dem Samalio die meisten seiner Tage und Nächte
-verbrachte, lag abseits der Stadt auf gewachsenem Fels, in den
-Terrassen eingehauen waren. Aber bis nahe dorthin, wo der Stein sich
-nackt emporhob aus dem Erdreich, stand starker Wald: Steineichen,
-Pinien; auch Zypressen und Kastanien. Es waren mächtige, herrische
-Bäume, die es nicht duldeten, daß Kleines neben ihnen aufkam. Nur der
-Blitz durfte die Riesen fällen oder das Alter. Dann wuchs aus ihrer
-Fäulnis das Neue. Es gab allerlei wildes Getier dort: vornehmlich
-Wildkatzen und Luchse, am allermeisten aber Geier und Eulen. Nachts,
-so berichtet der Toskaner, war es lauter um das Schloß, als bei Tage.
-Denn, so sagt er: »Da es dunkelte, wachten die Räuber auf, denen
-tagsüber selbst der finstere Wald zu helle war, und riefen einander
-oder kreischten auf beim Mord: der Luchs, heulend wie ein Wolf, der
-rote Wildkilling, tückisch jaulend; aber am fürchterlichsten die große
-Ohreule mit ihrem tiefen u-hu, das wie Klage tut, aber Blutgier ist.«
-
-Doch behagte gerade dieses Nachtkonzert der Unholde dem Mißgestalteten,
-der von sich behauptete, gleich Luchsen, Katzen, Eulen nachts besser zu
-sehen als bei Tage, weshalb er sich erst bei Tagesgrauen zur Ruhe begab
-und bis zum hohen Mittag schlief.
-
-»Die braune Nacht,« so sagte er, »hat tiefere Farben, als der milchige
-Tag. Sie schillert nicht, sie glüht. Ihr Braun ist eigentlich altes
-Gold, gemischt mit dem Rot geronnenen Blutes. Auch ist ein tiefes
-Veilchenblau dabei. Zuweilen haben alle Konturen tief purpurne,
-zuweilen tief orangenfarbene Lichtabgrenzungen. Auch Schatten gibt es
-noch in der dunkelsten Nacht: sie sind das Wunderbarste an Farbe; aber
-auf der Palette gibt es dieses Braun der tiefsten: ganz schon geistigen
-Tiefe nicht. Es ist, als ob die Nacht dieses Braun träumte.«
-
-Er malte nur in diesen, nur von ihm gesehenen Nachtfarben, und so darf
-man es dem Toskaner glauben, daß Samalios Bilder waren »wie aus einer
-anderen Welt, die das Licht nicht von unserer Sonne hat: man mußte
-glauben, sie hatten es aus den Augen dieses Nachtmenschen, der, obzwar
-bei Tage (doch nur in der Dämmerung) malend, immer nur nächtige Bilder
-schuf, als ob es keinen Tag gäbe. Indessen waren unter seinen Tafeln
-solche, in denen eine unbeschreibliche dunkle Glut bebte, vergleichbar
-dem Lichte, das in manche Edelsteine eingeschlossen zu sein scheint,
-die noch im Finstern leuchten.«
-
-Danach könnte man meinen, daß Messer Giacomo die Bilder Samalios in den
-Farben schön gefunden habe. Doch weit gefehlt. Er nennt ihre Farben
-bald »höllisch«, bald »grausam«, dann einmal »blutrünstig«, wieder
-einmal »schändlich geil«, einmal sogar »himmelschreiend bäuerisch und
-barbarisch, ohne jedes Gefühl für Feinheit und Würde«. Sie »tun dem
-gebildeten Auge weh und rufen Angst und Schrecken hervor, anstatt daß
-sie erheitern«.
-
-Der Toskaner hatte von sich aus zweifellos recht, aber ebenso
-zweifellos ist, daß Samalio nicht gemalt hat, um Messer Giacomo zu
-erheitern. Es lag ihm nicht einmal daran, daß der Herr von Certaldo
-alto sie ansah. Wir wissen es von diesem selbst, daß er stets ungeladen
-das Kastell besuchte. »Ritt wieder einmal zur Zentaurenburg, um mir
-die Grillen zu vertreiben. Wurde übel empfangen, sah aber doch Neues.
-Wie immer: Greuel über Greuel. Die große Tafel aber will er noch immer
-nicht zeigen.«
-
-Von dieser wird noch zu handeln sein.
-
-Vorerst möge aus des Toskaners Aufzeichnungen zusammengestellt werden,
-was etwa weiter dazu dienen kann, uns einen Begriff vom Wesen und Leben
-dieses wunderbaren Menschen zu vermitteln.
-
-Aus diesen Notizen fügt sich das Bild eines Précurseurs des
-Rinascimento, jedoch ohne die bewußte Tendenz zur Antike.
-
-Alle geistigen Strömungen bereiten sich vor: versuchen sich
-gewissermaßen in unzeitgemäßen einzelnen. Ehe sie zum Schicksale einer
-Zeit: ehe sie Epoche werden, treten sie gewissermassen als Ferment in
-den Schicksalen einzelner auf, die damit zur Einsamkeit verurteilt
-sind und, meist ohne jede sichtliche positive Wirkung, eine Bestimmung
-erfüllen, deren Sinn wir nicht begreifen.
-
-Er hat dies selbst gefühlt. Eines Abends sagte er zu seinem Lehrer,
-der ihm berichtet hatte, daß das Volk ihn für einen Zauberer hielte:
-»Bin ich etwa keiner? Lebe ich nicht das Kommende voraus? Ist es nicht
-Zauberei, daß ich bin, als wäre ich mein Urenkel?«
-
-»Wie das?« fragte der Toskaner.
-
-Und Samalio antwortet: »Jeder von Euch hat den Glauben des anderen;
-jeder von Euch ist Nachbar: Stütze und gestützt; keiner von Euch ist
-frei: eine Kraft für sich. Ihr seid alle durcheinander bestimmt und
-findet das füglich. Selbst die gewalttätigen, die sich Herren heißen,
-handeln mit Rücksicht auf andere, sei es auch nur, daß sie über andere
-herrschen wollen. Für mich gibt es keine anderen. Ich kenne Euch nicht.
-Ich kenne nur mich. Ich bin so weit von Euch entfernt, wie von den
-Menschen, die den Turm von Babel bauten. Ich habe einmal davon gehört
-(als ich ein Kind war), daß es Menschen gibt außer mir, aber ich habe
-einsehen gelernt, daß das ein Irrtum ist. Dieses Märchen ist nur wahr
-für die, die keine Wirklichkeit in sich haben. Wer sich begriffen hat,
-weiß, daß er allein ist.«
-
-»Als ich dies hörte,« fügt hier der Toskaner bei, »war mir einen
-Augenblick wahrlich zumute, als sei dieser Wahnsinn Wahrheit. Daran
-waren die (Gott verzeih' mir die Sünde) verfluchten Augen des Scheusals
-schuld, deren Blicke mich wie glitzernde Fäden umspannen. Ganz
-sicherlich: er ist mit dem Bösen im Bunde. -- Aber ich machte mich frei
-und rief: Wie? Denkt doch an Euren Vater, an Eure Mutter!«
-
-Darauf hat Samalio erwidert: »Vater und Mutter sind nicht außer mir,
-sondern in mir, und nicht nur sie, sondern alle, von denen sie gekommen
-sind. Und nicht nur die, sondern alle Menschen, die je waren. Dies
-eben ist es, Mann: wer wirklich Einer ist, ist Alle, -- und braucht
-darum Keinen.«
-
-Trotzdem berichtet Messer Giacomo, daß Samalio »von einer entsetzlichen
-Liebe« geplagt worden sei.
-
-»Alle wissen es,« schreibt er, »und alle verabscheuen ihn darum noch
-mehr als um seiner Scheußlichkeit willen: daß er in unziemlicher Liebe
-entbrannt ist gegen seine leibliche Schwester Bianca Maria, die so
-schön, wie er häßlich ist. Sie wäre wert, daß man nach ihrem Antlitz
-die Madonna malte, denn auf ihm ist alle Holdseligkeit und Schöne
-vereinigt. Zweierlei nimmt mich wunder: daß diese beiden Geschwister
-sind, und daß er, das Ungetüm, es wagt, seine Blicke zu ihr zu erheben,
-deren Schönheit ihn, meine ich, doch eher mit Haß und Neid erfüllen
-müßte. Gepriesen sei Gott, daß das engelhafte Mädchen ihn verabscheut.
-Man sagt (und ich erachte es nicht für unmöglich, obwohl es nur ein
-Gerede ohne sichern Anhalt ist), daß er sie nachts in ihrer Kammer
-überfallen habe: doch ohne seinen nichtswürdigen Zweck zu erreichen,
-denn sie habe ihm mit dem großen Kruzifix, das über ihrem Bette hängt,
-einen Streich quer über die Stirne versetzt, wovon er (was ich selber
-wohl gesehen habe) eine tiefe Wunde davontrug. Und folgenden Tages
-(was wiederum zutrifft) sei er aus der Stadt gewichen, und seither
-rührt sein dauernder Aufenthalt draußen im Walde. Sie aber ist seitdem
-verzagt und seltsam schüchtern, derart, daß sie aller Männer Antlitz
-flieht; und hat sich ohne Widerrede auf Geheiß ihres Vaters einem
-Edelherrn aus der Nachbarschaft verlobt, dessen Antrag sie vorher
-zurückgewiesen.«
-
-Es findet sich (begreiflicherweise; denn darüber hat Samalio sicherlich
-nie gesprochen) in dem Tagebuche des Toskaners keine Äußerung des
-Malers über seine Schwester. Doch ergeben sich bei genauerem Zusehen
-Zusammenhänge, die dem Berichterstatter offenbar nicht zum Bewußtsein
-gekommen sind.
-
-Wir finden folgendes: »Fragte ich den Zentauren, warum er nicht die
-Madonna malte.«
-
-Antwort: »Weil es unmöglich ist.«
-
-Wiederfrage: »Haben es doch schon Tausende getan?«
-
-Antwort: »Weil sie sie nie gesehen haben.«
-
-Ich: »So hättet am Ende Ihr sie gesehen?«
-
-Er: »Wohl.«
-
-Tat ich erstaunt und fragte: »Ei: im Traume?«
-
-Antwortete er: »Es ist kein Unterschied zwischen dem, was ihr in Traum
-und Wirklichkeit spaltet.«
-
-Sagte ich: »Nun: man träumt im Schlafe und sieht wach.«
-
-Betrachtete er mich erstaunt: »Und der Unterschied?«
-
-Ich konnte es ihm nicht erklären, oder, wie ich besser sage: er stellte
-sich an, als begriffe er nicht, was doch auf der Hand liegt (wie es
-denn immer seine Art ist, Selbstverständliches unverständlich zu
-nennen). Also blieb mir verhohlen, wie das mit der Madonna gemeint.«
-
-Ein andermal: »Fand ihn vor einem gar schändlichen Bilde. War der
-Christ am Kreuze zwischen den beiden Schächern. Es graute mir, als
-ich sah, daß er sich selbst als den Gekreuzigten gemalt hat, aber, so
-dies möglich, noch scheusäliger, als er wahrlich ist. Und war über und
-über voll Blutrunst. Hing ihm aus der Wunde vom Spieße des Lanzknechts
-geronnenes Blut traubendick und von der Schulterwunde wie rote
-Maiskolben. Saß im Brusthaar wie Grind. Hatte sich im Schamtuch ekel
-gesackt. War wie der geschundene Marsyas.«
-
-»Dies ist nicht Jesus,« schrie ich auf, »dies ist der Teufel Oberster,
-den Ihr vor dem Spiegel gemalt!«
-
-Denn ich war sehr zornig. Er aber schien keineswegs beleidigt, sondern
-lächelte und sprach: »Wisset Ihr nicht, da Ihr ja doch auch mit Farb
-und Pinsel hantiert: daß jeglicher nichts malen kann, als sich selbst?
-Wenn ich spreche, so bin _ich_ der Ton; wenn ich sehe, ist's _mein_
-Gesicht; mal ich, so kommt nichts auf die Tafel als immer _ich_. Da
-ich nur ich sein kann, was könnte anderes von mir kommen als ich? --
-Christus! Wer ist das? Immer der, der ihn fühlt, von ihm redet, ihn
-malt. Was schüttelt Ihr Euch und tut entsetzt? Kennt Ihr die Schrift
-nicht? Wisset Ihr nicht, daß er sich allen gegeben hat? Nun: so auch
-mir. Und dieser da (er wies zur Tafel) ist wahrlich der meine, so ganz
-und gar, daß wir beide ein und derselbe sind.«
-
-Daß ich es gestehe: ich bebte vor großem Zorn, und ich rief: »Von
-Sinnen seid Ihr, und ich müßte Euch vors geistliche Gericht bringen,
-wüßte ich nicht, daß Wahnsinn aus Euch phantasiert.« Er fuhr sich durch
-sein stachelig Haar und murmelte etwas, wovon ich nichts verstand als:
-Noch nicht, noch nicht!
-
-Dann sagte er, ganz ruhig: »Mensch! Mensch! Weißt du nicht, daß alles
-Große Wahnsinn ist? Als die Liebe Wahnsinn wurde, schlug man sie ans
-Kreuz. Holla! Seitdem ist sie tot. Nun ist Raum für den Zorn ...
-Doch das versteht Ihr nicht. Sonst würdet Ihr's aus meinem Bilde
-lesen, darauf es deutlicher steht als auf allen anderen Tafeln des
-~crucifixus~. Doch steht es auf allen: selbst den ganz lästerlichen:
-die da lächeln.«
-
-Mit einem Male schien es, als wollte er mir zu Leibe. Er schritt auf
-mich zu, die kleinen Augen so verkniffen, daß die Blicke aus einem
-Schlitze schossen, stieß mir die Faust auf die Brust und schrie: »Tolle
-Hunde haben mehr Gefühl für das Opfer auf Golgatha als Ihr, die Ihr
-aus einem Löwen ein Lamm gemacht habt. Es tut Euch wohl, sein blutiges
-Vließ zu krauen. Es tut Euch wohl, Wasser aus den Augen zu lassen über
-den, der Blut aus seinem Leibe ließ für Euch. Es tut Euch wohl, aus dem
-Größten eine Puppe gemacht zu haben, damit Ihr spielen könnt!«
-
-Ich wollte gehen. Aber er hielt mich fest. Und schleppte mich zu dem
-großen verhangenen Bilde. Dort ließ er mich los und stieß mich in einen
-Stuhl.
-
-Und sprach: »Hast du vernommen, daß nachts Geister kommen, mich zu
-besuchen?«
-
-Ich hatte es vernommen und antwortete so, fügte aber hinzu, daß ich es
-nicht glaubte.
-
-»Es ist!« rief er.
-
-Ich schlug das Kreuz.
-
-»Laßt den Gestus!« sagte er ruhig. »Der Geist, der zu mir kommt, ist
-nicht höllisch. Christus selber ist hier jede Nacht und mit ihm die
-Madonna.«
-
-Gott verzeihe es mir und alle seine Heiligen, daß ich dem Scheusal
-nicht in seine Lästerfratze spie, sondern bloß, aber unerschrocken,
-sagte: Das lügt Ihr!
-
-Da sah er mich groß an und ergriff den Zipfel des Vorhanges und sprach:
-»Knie nieder!«
-
-Ich glaubte nicht anders, als er wollte mich heißen, den Teufel anbeten
-und weigerte mich des.
-
-»Knie!« knurrte er und griff nach dem Dolche.
-
-»Die Sünde kommt auf Euch,« stöhnte ich und ließ mich auf die Knie
-nieder, Gottes Hilfe herbeirufend durch fleißiges Kreuzschlagen.
-
-Als ich die Ringe des Vorhanges kreischen hörte, senkte ich den
-Kopf und schloß die Augen feste, ja nichts zu sehen. Und war des
-Bestimmtesten entschlossen, nicht freiwillig Kopf und Blick zu erheben.
-
-Mir ist, als hätte ich lange so auf den Knien gelegen, die Augen also
-feste zugedrückt, daß vor den geschlossenen goldene Sterne und Scheiben
-tanzten. Auch rann mir Schweiß von der Stirne über die Lider, und es
-war, als wollte er mir die aufbeizen, da er in die Augen drang mit
-seiner Schärfe.
-
-Dies weiß ich jetzt. Da ich aber voller Ängste lag, glaubte ich, es
-fräße höllisches Feuer an ihnen. Und ich wimmerte sehr.
-
-Erst als ich seine Schritte von mir gehen hörte, wurde mir etwas
-mutiger. Ich hob den Kopf, jedoch nach rückwärts gewandt, dorthin,
-wo der Schreckliche nun in einem Stuhle saß und über mich weg zu dem
-Bilde blickte: die rechte Hand über die Augen schirmend, wie Maler ihre
-Tafeln aus der Ferne anzusehen pflegen.
-
-Und er murmelte, als sei ich gar nicht da:
-
-»Es will nicht glühen, wie in der Nacht. Die Purpurspitzen ihrer Brüste
-sind noch tot. Das Fleisch ist viel zu hell. Im Haar zu wenig Brand
-noch. Als meine Hand darüber fuhr, hat es geknistert. Das dort ist
-Werg, nicht Leben. Sonst ... ist ... sie ... schön.«
-
-Er atmete schwer und laut und ließ die Hand sinken. Und merkte nun
-mich, stand auf und schritt schnell her, griff über mich weg und riß
-den Vorhang wieder vor das Bild.
-
-»Steh auf!« herrschte er mich an. »Danke deinem Gotte, daß er dich
-davor bewahrt hat, das zu sehen, was meine schamlose Raserei dir
-enthüllt hat. Denn wisse: auf dieser Tafel ist die Madonna in Wahrheit,
-vom nackten Leben leibhaft, geisthaft hergerissen mit der Brunst meines
-Auges. Würdest du sie gesehen haben, hätten dich diese meine Hände
-erwürgt. Und nun geh und schrei es auf den Gassen aus, daß Samalio
-Pardulus die Madonna nackt gemalt hat, reitend auf einem Zentauren mit
-den Zügen ihres Sohnes, der ihr Bruder ist. Und daß er mit ihr wegsetzt
-vom steinigen Felsen Golgatha über einen Abgrund voller Blut, aus dem
-die Spitzen von Domen ragen zu einem Schlosse von veilchenfarbenem
-Amethystquarz, bewacht von den Tieren der Apokalypse, und daß dieses
-Schloß der Sarg Gottes ist, in dem Samalius wohnt und wacht, daß keine
-Würmer zu ihm kommen.«
-
-Man darf es dem Florentiner glauben, daß er nach diesen »Worten das
-Weite gesucht hat, wie einer, dem der Böse auf den Fersen ist.«
-Trotzdem hat er nicht den Angeber gespielt und seine Erlebnisse
-niemandem vertraut, als den Blättern seines Buches.
-
-Aber auch ohne seine Mithilfe wurde es ruchbar, daß nächtlicherweile
-Unheimliches sich begab auf dem Schlosse im Walde.
-
-Da Samalio nachts niemand bei sich hatte als einen alten halbblinden
-und ganz stummen Diener, so konnten die Gerüchte nicht aus dem Schlosse
-kommen. Sie entstanden in der Stadt selbst, im Hause der Eltern des
-Malers.
-
-Seit diese wegen der bevorstehenden Hochzeit der Tochter zu mächtigen
-Verwandten des Bräutigams nach Rom gereist waren, ging es im
-Palazzo Nacht für Nacht um. Unnötig, all das zu erzählen, was die
-erschrockene Dienerschaft allnächtlich gesehen und gehört haben wollte.
-Übereinstimmend wurde dies berichtet:
-
-Allabendlich, sobald es ganz finster geworden war (man befand sich
-im Dezember, und es war ein nebliges Wetter ohne Mondschein), kam
-den steilsten Steg zur Stadt heran, den sonst nur die Ziegenhirten
-nahmen, ein riesiges schwarzes Pferd, auf dem ein hagerer Mann saß,
-gehüllt in einen schwarzen Mantel, auf dem schwarzbärtigen Kopfe einen
-breitkrempigen Kegelhut. Man hätte, wäre nicht der Bart gewesen (und
-das andere, das nur Gespenstern eigen ist), meinen können, es sei
-Samalio. Doch war es sicherlich ein Gespenst, denn aus dem Mantel,
-daher, dorther, und von seinen Schultern leuchteten gelbe Lichter, und
-grüne Lichter liefen neben dem Pferde. Der Wachtturm des Hauses, das
-wie alle Häuser der adeligen Geschlechter mehr eine Burg als ein Palast
-war, stand auf der Stadtmauer, und auf seinem Umgang befand sich, wie
-auf den eigentlichen Mauertürmen, die ganze Nacht hindurch ein Wächter.
-Nur er konnte die Erscheinung verfolgen, sobald sie der Mauer nahe
-gekommen war. Denn die übrigen Fenster des Palastes, der von der Mauer
-etwas abstand, gewährten keinen Blick dorthin. Auch hätten wohl weder
-Männer noch Frauen den Fürwitz gewagt, das Gespenst nahe zu betrachten,
-da es schon entsetzlich genug anzusehen war, wie sich, sobald Pferd
-und Mann in das Schattenbereich der Mauer gekommen waren, die gelben
-Lichter aus dem Mantel und von den Schultern des Mannes in die Lüfte
-erhoben und das Haus zu umschwirren begannen, während die grünen
-Lichter in weiten Bogen den Raum vor dem Turm umkreisten. Aus dem
-Wächter war nichts herauszubringen als das eine: Der Mann im schwarzen
-Mantel schritt durch das geschlossene Turmtor, ohne daß sich dessen
-Angeln drehten. Als er aber das erste Mal gekommen sei, habe er ihm
-folgendes gesagt: Mein Anblick tötet dich. Ich schone dich, solange du
-allein wachst. Erblicke ich dich mit Kameraden, so bist du wie sie des
-Todes. Daher sich niemand herbeidrängte, dem Wächter Gesellschaft zu
-leisten. Auch hütete sich im Hause ein jeder wohl, die Augen aufzutun,
-solange »der Schwarze« darin war. Der Wachthund, ein riesiges Tier, war
-am Morgen nach dem ersten Erscheinen mit durchbissener Kehle gefunden
-worden. Das Gespenst blieb stets nur ganz kurze Zeit im Palast. Seine
-Anwesenheit machte sich lediglich durch ein sonderbar tappendes
-Geräusch von vielen Schritten, wie von Kindern, die ein Mann begleitet,
-merkbar. Kaum, daß dieses Geräusch vorüber war, konnten die Mutigeren
-von ihren Fenstern aus Pferd, Reiter und Lichter im Walde verschwinden
-sehen: in der Richtung zum Waldschlosse Samalios.
-
-Messer Giacomo, der nicht im Palast wohnte, sondern ein kleineres Haus
-in der Mitte der Stadt angewiesen erhalten hatte, berichtet alles
-dies vom Hörensagen nach Erzählungen der Dienerschaft. Da er es für
-angebracht hielt, einen reitenden Boten nach Rom zu senden, um die
-Herrschaft von dem unheimlichen Wesen zu unterrichten, aber nicht ohne
-die Meinung der Tochter des Hauses handeln wollte, der er überdies
-Schutz und Beistand bei so schreckhaften Umständen anzutragen sich
-verpflichtet glaubte (denn alle oberen Hausbediensteten waren mit auf
-der Reise), so begab er sich zu Maria Bianca:
-
-»Ich fand das edle Fräulein,« so schreibt er, »gegen alle Erwartung
-heitern Sinnes, obgleich sehr blaß und trotz des Lächelns in den
-schönen Augen, gleichsam wie eine Kranke, welche die Tröster trösten
-will. Sie scherzte über das Gerede des Gesindes und sprach: Ich habe
-wahrlich keine Furcht vor dem Gespenste: so wenig, daß ich meine
-Kammerfrau, die früher bei mir schlief, aus meinem Schlafzimmer getan
-habe. Das alles sind nur Torheiten, und es ist nicht wert, darüber zu
-sprechen, geschweige denn einen Boten aufs Pferd zu setzen. -- Auf
-so bestimmte Meinung des gnädigen Fräuleins hin unterließ ich die
-Botschaft.«
-
-Nach seinem letzten, schreckhaften Besuche bei Samalio indessen
-überkam ihn doch aufs neue Angst, zumal von Bauern aus der Umgebung
-des Waldschlosses schon früher aufgetauchte Gerüchte bestätigt worden
-waren, es ginge auch dort Absonderliches vor: mit seltsam singenden
-Stimmen und einer sonst nie wahrgenommenen bunten Helligkeit hinter
-den Fenstern. Und er ging nochmals zu Maria Bianca. Er schreibt
-(mit zitternden Händen, wie er vorausschickt): »Was habe ich sehen
-müssen! Schlimmeres als eine Kranke. Ihre Augen leuchteten wie im
-Fieber und sie entsetzten mich, da ich sah, daß sie jetzt denen des
-Ungeheuers gleichen. Sie ist ganz verändert und dennoch so schön wie
-je. Aber anders. Gott verzeihe mir den Frevel, daß ich so denke und
-es hinschreibe: Ihre Schönheit ist schamlos worden. Wie das? Wie darf
-ich so Unmögliches denken? Jedoch: ich sah es. Mit diesen Augen sah
-ich den gleißenden Wurm in ihren Augen. Und wenn alle Heiligen um
-mich her stünden, und alle ihre Martern mich bedrohten, und alle ihre
-Seligkeiten mich zurückschreckten vor jedem unbedachten Wort, -- ich
-muß es sagen (und schrecke doch zusammen, wie ich es nun schreibe),
-sie hat den verruchten Stolz der großen Huren im Blick. So brennen
-die Lippen keiner Keuschen. Keine reine Jungfrau liegt so im Gestühl.
-Selbst in ihrer Stimme ist nicht Unschuld mehr. Es ist eine bebende,
-wollustnachzitternde Reife in ihr, die wie eine schamlose Offenbarung
-des Geheimsten ist. Da ist Sättigung und Begierde, aber etwas Drohendes
-und doch Verzweifeltes ist dabei. Ich suche vergeblich, es in Worte zu
-fassen. Die toskanische Sprache, reich genug wie wir wissen, Himmel und
-Hölle zu malen, scheint unvermögend, diesen Triumph voller Qual, dieses
-Beben aus erfülltem Stolz auszunennen. -- O, ich konnte wohl alle meine
-Fragen und Berichte, derentwegen ich gekommen war, für mich behalten,
-denn ich wußte auf einmal alles: Nicht törichtes Geschwätz der
-Gesindestuben ist dieser Spuk, der sich hier begibt und dort erzeugt
-wird: ist Wahrheit, furchtbare, schändliche, höllische Wahrheit. Das
-Ungeheuer drüben, unvermögend, diesen Engel blutschänderisch selbst zu
-gewinnen, hat sich mit der Hölle verbündet, ihr den Inkubus zu senden,
-und dem ganzen Teufel gelang, was dem halben mißlingen mußte. Der Engel
-ist gefallen: eine Teufelshure richtet sich auf im verfluchten Stolze
-der Wollust. In diesem Hause wohnt die geile Pest der Hölle, gesandt
-von jenem Scheusal, das durch den Anblick einer reinen Schönheit zum
-Wahnsinn und vom Wahnsinn zum Frevel aller Frevel getrieben wurde:
-zur Zauberei. -- Wie groß ist doch die Macht des Bösen! Als sie
-mich anlächelte und mit einem seltsam vollen Tone von scheinbarer
-Sorglosigkeit sagte: »Nicht doch, Messer Giacomo, bei meinem Bruder
-sind so wenig höllische Geister wie hier, und es tut wahrlich nicht
-not, die Eltern zu erschrecken,« da war ich einen Augenblick selber im
-Netze des Teufels und gedachte wiederum, die Botschaft sein zu lassen.
-Aber siehe, der Böse verrät sich schließlich doch: Denn es kamen noch
-die Worte (gewiß aus widerwilligem Mund, denn ich sah, daß er bebte):
-Das Schicksal ist weder aufzuhalten noch zu beschleunigen. Es erfüllt
-sich, wenn es zeitig ist. -- Ich verbeugte mich, nahm Urlaub und ging.
--- Der Bote ist auf dem Wege. Wär' ich bei besseren Kräften, ritte
-ich selbst. Denn es ist wahrlich besser, im Sattel zu sitzen und auf
-unsicheren Straßen Tag und Nacht zu reiten, als hier zu sein, wo sich
-so Schreckliches begibt und noch Entsetzlicheres vorbereitet.«
-
-Folgt ein Gebet zu allen Heiligen und ein Spruch zur Abwehr der Dämonen.
-
-Aus den weiteren Aufzeichnungen des Florentiners ergibt sich dies:
-
-Die Eltern schickten den reitenden Boten sofort mit der Anzeige zurück,
-daß sie sich unverweilt auf die Rückreise begeben würden. Diese
-Botschaft, mündlich gefaßt, erging an die Tochter und kam zu später
-Abendstunde an. Das Gesinde, sehr erfreut darüber, benachrichtigte
-sogleich Messer Giacomo, der sich auf der Stelle in den Palast begab,
-am Morgen des folgenden Tages gleich zur Stelle zu sein. Maria Bianca,
-statt ihn vorzulassen, ließ ihm sagen, er habe sich übel um ihre
-Eltern verdient gemacht. Wenn ihm sein Leben lieb sei, möge er sich
-stille halten und seinen Fürwitz nicht weiter treiben. Er schloß sich
-erschreckt in sein Zimmer ein. Kaum eine Stunde später begab sich das
-Übliche. Nur, wie die Dienerschaft erklärte, heftiger, lauter als
-sonst. Man hörte das Fräulein stöhnen und eine heisere Mannesstimme.
-Türen fielen ins Schloß, ein gräßlicher tierischer Laut fauchte heulend
-auf und ging in ein wütendes Wimmern über, das lange anhielt. Es schien
-aus dem Schlafzimmer des Fräuleins zu kommen.
-
-Der ›Inkubus!‹ dachte sich Giacomo und schlug, solange es erklang, das
-Kreuz. Endlich ward es still, aber niemand wagte sich aus seinem Zimmer.
-
-Am frühen Morgen schon kam die Herrschaft an. Die Nebel hatten sich
-noch nicht gehoben. In den Korridoren des Palastes lag dämmeriger
-Halbschein. Der Vater befahl eine Laterne und begab sich, wie er ging
-und stand, im Reisepelze zum Zimmer Maria Biancas, denn er hatte der
-ungewiß enthaltenen Botschaft entnommen, daß sie krank sei von dem
-Spuke. Messer Giacomo, in dessen Ohren noch immer das gräßliche Wimmern
-klang, führte die ganz erschöpfte und geängstigte alte Dame. Die
-Dienerschaft drängte hinterdrein.
-
-Ein paar Schritte vor der Tür machte der Graf halt und wandte sich an
-Giacomo: »Ihr habt mir nicht alles gemeldet. Es steht schlimmer. Warum
-kommt sie uns nicht entgegen?«
-
-»O mein Gott,« seufzte die Gräfin und schritt am Grafen vorbei zur Tür.
-
-»Nicht doch, nicht doch!« bat Messer Giacomo. »Nicht hinein!«
-
-»Sagt alles,« befahl der Graf.
-
-Der Florentiner trat nahe an ihn heran und flüsterte: »Es ist unmöglich
-zu sagen. Ich kann nur bitten, schlagt das Kreuz und laßt mich
-vorangehen.«
-
-Der Graf sah ihn groß an. »Ins Schlafzimmer meiner Tochter? Seid Ihr
-von Sinnen?«
-
-Messer Giacomo rang die Hände und flüsterte noch leiser: »Sie ...
-schämt sich nicht mehr.«
-
-Der Graf hob die rechte Faust -- und ließ sie schlaff sinken. Dann
-winkte er der Dienerschaft zurückzubleiben und stöhnte: »Wenn Ihr die
-Wahrheit gesagt habt, töte ich sie, habt Ihr gelogen, töte ich Euch.«
-
-Er griff nach seinem Dolche und tat einen Schritt voran.
-
-Die Gräfin hatte indessen ihr Ohr an die Türe gelegt und gebot mit der
-Hand Schweigen. »Mir ist, ich höre sie röcheln.«
-
-Sie klopfte leise an die Türe.
-
-Ein sonderbares Knurren wurde vernehmbar.
-
-»Der Inkubus,« schrie Messer Giacomo auf und wandte sich wie zur Flucht
-um. Der Graf packte ihn beim Handgelenk und zwang ihn zur Tür. »Öffnet!
-Und sei's mit Gewalt!« Giacomo drückte auf die Klinke. Die Türe tat
-sich auf.
-
-Das Zimmer war ganz dunkel. Nur am Fenster glomm etwas Leuchtendes,
-wie wenn das Licht des Morgens aus zwei Löchern durch die vorgezogene
-schwere Samtgardine bräche.
-
-»Da ... da ... dort sitzt er!« stöhnte Giacomo und bekreuzte sich.
-
-In diesem Augenblicke flogen die zwei hellen Punkte in einem großen
-Bogen durch das Zimmer über die Köpfe der Eingetretenen hinweg --
-hinaus. Gleich darauf erhob sich, während die drei, von Entsetzen
-gepackt, am Türpfosten Halt suchten, im Korridor Geschrei und Gekreisch
-der Dienerschaft, überschrillt von einem langgezogenen wütenden Geheul,
-das dann in Fauchen überging und schließlich knurrend zu verröcheln
-schien. Dann hörte man das Gesinde die Treppe hinabpoltern und die
-Treppentüre zuschlagen.
-
-Der Graf kam zuerst zu sich. Er ging zum Fenster und riß die Gardinen
-auseinander. Das Zimmer war leer. Das Bett hinter den geschlossenen
-Vorhängen unberührt.
-
-»Wo ist sie?« stöhnte die Gräfin auf und sank vor dem Bett zusammen.
-
-Der Graf sah Messer Giacomo fragend an.
-
-Der flüsterte, mit dem Kopf zur Türe: »Das war sie ... die Hexe.«
-
-»Licht!« schrie der Graf den Korridor hinaus.
-
-Niemand kam.
-
-»Sie fürchten sich. Wer fürchtete sich hier nicht?« murmelte der
-Florentiner.
-
-»Was könnte ich noch zu fürchten haben,« murmelte tonlos der Graf und
-schritt zur Türe.
-
-Links neben der Tür stand am Boden die Laterne. Er hob sie hoch. Ihre
-Verrahmung und die ausgeschnittene Ornamentierung der Haube warfen
-ein Rankennetz von Schatten an Decke und Wand. Da die Hand des Grafen
-zitterte und die Laterne sich in der Handhabe drehte, war es ein
-huschender Tanz von Schatten und Licht. Da fiel aus der größten Scheibe
-ein gelber Schein auf etwas Geducktes, Schwarzes in einer Ecke.
-
-Der Graf ging unsicheren Schrittes darauf los, machte das Zeichen des
-Kreuzes und murmelte: »Bist du es?«
-
-Das Wesen, nun wieder verschattet, duckte sich noch mehr zusammen und
-knurrte tückisch.
-
-Da ergriff den Greis eine wahnsinnige Wut. Er riß den Dolch aus der
-Scheide und warf sich mit dem ganzen Gewichte seines Körpers vornüber
-auf das Dunkle, den Dolch voran. Er fühlte einen heißen Hauch in
-seinem Gesicht und heißes Blut über der Faust. Wild packte er mit
-beiden Händen zu, und zwischen seinen eingekrallten Fingern verreckte
-eine riesige Wildkatze. Er trug sie, die Hände weit vor sich gestreckt,
-keuchend zum Zimmer und warf den noch zuckenden Leib auf das Bett Maria
-Biancas. Dann kniete er nieder, schlug die blutigen Hände vors Gesicht
-und betete -- für die Seele seiner Tochter.
-
-Die Gräfin lag ohnmächtig vor dem Bett. Auf ihre Stirn tropfte das Blut
-des Tieres.
-
-Messer Giacomo schreibt: »Auch ich hatte schier die Besinnung verloren.
-Das Herz saß mir im Halse. Ich fühlte sein Pulsen im Hirn. Vor meinen
-Augen war ein roter Dampf. Ich weiß nicht: war das das Blut, das mir
-so heftig zusetzte, oder höllische Vortäuschung. Durch das rote Dunkel
-hindurch sah ich die Augen des Teufeltieres verlöschen: und es waren
-genau die Augen Maria Biancas. Ihr letzter Blick, voller Wut, galt mir.
-Ich wehrte dem Bösen mit dem Kreuze und kniete gleichfalls nieder, für
-die arme Seele zu beten. Dann trugen wir, der Graf und ich, die edle
-Dame in ihr Gemach, beide im Herzen dankbar, daß sie nicht zu sich kam.
-Darauf erzählte ich dem unglücklichen Vater alles, was ich wußte. Wer
-etwa Zweifel daran gehegt hätte, daß der aus altrömischem Heldenblute
-stammte, der würde sich jeglichen Zweifels daran wohl begeben haben
-angesichts der Größe und Festigkeit, mit der der Graf nach Anhörung
-meines Berichtes nichts weiter sagte als: »So bleibt mir nur noch
-übrig, auch ihn auszutilgen.«
-
-Er ließ für sich, Giacomo und zehn Knechte satteln, setzte, für den
-Fall, daß er im Kampfe mit dem Zauberer zu Tode kommen sollte, sein
-Testament auf, sein ganzes Vermögen der Kirche vermachend, tauchte
-Schwert und Dolch in geweihtes Wasser und ritt langsam mit seinen
-Begleitern zum Walde. Rechts von ihm ritt Messer Giacomo, links der
-Turmwächter. Dieser, sonst der Mutigste unter allen Dienern des Grafen,
-wankte schier im Sattel und war entstellt von Angst und Grauen. Sein
-Gebieter sprach ihm Mut zu, aber je näher sie dem Schlosse kamen, um so
-unsteter wurde sein Blick, um so blasser sein Gesicht.
-
-Wie sie des Schlosses ansichtig wurden, das im fahlen Lichte eines
-sonnenlosen Tages dastand, wie aus glanzlosem Blei, graubläulich,
-gleichsam tückisch, hieß der Graf alle von den Pferden steigen und
-niederknien zu beten. Dann, als sie wieder im Sattel saßen, mußten
-sie die Schwerter ziehen, sie steil gerade vor sich halten als
-Kreuzeszeichen und die Hymne singen:
-
- Wir ziehen aus, zu streiten
- Für Jesu Christ,
- Der unserm tapfern Reiten
- Unsichtbar Führer ist,
- Seine Fahne, schneeweiß,
- Kyrieeleis,
- Wird uns zum Sieg geleiten.
-
-»Es war uns allen,« schreibt der Toskaner, »ausgenommen den alten
-Herrn, wie ich anbetrachtlich des Funkelns in seinem Aug', glaube,
-nicht gar mutig zu Sinne. Aber das Lied, wie es aus uns drang, umgab
-uns gleichsam mit dem Atem tapferer Erzengel. Als wir vor dem Tore
-hielten, sah ich, daß alle Knechte wacker rote Wangen hatten, bis auf
-den Wächter.«
-
-Da das Tor verschlossen war (wie auch alle Fenster, die Läden
-vorhatten), schlug der Graf mit dem Knaufe seines Schwertes daran und
-rief: Im Namen des Dreieinigen, öffne!
-
-Statt der Antwort erfolgte ein harsches, gaumiges Röcheln. Dann
-klirrten Schlüssel, die Türflügel kreischten in den Angeln, und aus
-der Öffnung trat der alte Diener, sogleich in die Knie sinkend und
-beide Arme ausbreitend. In seinem qualvoll aufgerissenen Munde sah man
-die schwere Zunge wie im Krampfe zucken, während im Gaumen wieder die
-entsetzlichen nach Ausdruck ringenden Laute röchelten. In den blinden
-Augen lag leer, grau der Widerschein des dunstigen Himmels.
-
-Der Florentiner berichtet: »Obgleich der Erbarmungswürdige weder mit
-dem Munde noch mit den Augen zu sprechen vermochte, verstanden wir ihn
-doch alle gleich und wußten, daß das Scheusal tot war.«
-
-Der Graf winkte den Knechten, zurückzubleiben und gebot dem Stummen,
-ihn und Giacomo zur Leiche zu führen. Der aber warf sich lang auf die
-Erde bin, als ob er sich mit den Händen in sie einkrallen wollte.
-
-»Da wußten wir,« schreibt Giacomo, »daß uns noch Schlimmeres
-bevorstand, etwas, das selbst den entsetzte, den Blindheit davor
-bewahrt hatte, es sehen zu müssen.«
-
-»Ich möchte es Euch, Messer Giacomo,« sagte der Graf, »gerne ersparen,
-mich zu begleiten. Aber, seht, mich wandelt jetzt Furcht an, da ich
-mich doch nicht davor gefürchtet habe, den zu töten, der das Leben von
-mir hatte. O mein Gott, warum begnadigst du mich nicht mit Blindheit!
-Furchtbares zu tun, hat für den Edlen keinen Schrecken, wenn Not und
-Pflicht gebietet. Aber es gibt Dinge von einem Antlitz, dessen Ahnung
-schon auch den Tapfersten zur Flucht scheucht. Doch es muß geschehen.
-Ich muß mit diesen Augen sehen, was mein Herz schon weiß. Messer
-Giacomo, die Sünde braucht den Teufel nicht. Wenn Ihr Euch jetzt noch
-vor höllischen Geistern fürchtet, so sage ich Euch: Ihr könnt ruhig mit
-mir gehen. Wenn Ihr aber dem Grauen nicht gewachsen seid, das von der
-verfluchten Natur ausgeht, aus der wir alle sind, so sage ich Euch:
-Laßt es mich allein ertragen, der ich es muß, weil ich mit meinem Blute
-daran schuldig bin.«
-
-Der Florentiner, der diese Worte so berichtet, fügt hinzu: »Auch
-jetzt, da ich dies mit Besonnenheit aufzeichne, verstehe ich es
-nicht, geschweige denn, daß ich es verstand, als ich es vernahm. Der
-Böse, dessen augenscheinliches Werk mein armer edler Herr von jenem
-Augenblick an leugnete, hat ihn verwirrt. Gelobt sei Gott dafür, daß er
-wenigstens meinen Geist vor Verdunklung schützte.«
-
-Die beiden gingen durch dunkle Korridore, dunkle Treppen hinauf zu dem
-großen Turmgemache, das Giacomo als Werkstatt des Malers kannte, und wo
-er mit Recht vermutete, daß sie seine Leiche finden würden.
-
-Lassen wir ihn berichten: »Ich schritt voraus und hob den ledernen
-Vorhang auseinander, daß der Graf eintreten konnte. Er ging aber
-nicht mit mir ins Zimmer, sondern hielt sich rechts und links mit der
-Hand am Türvorhang fest. Ich hörte, wie sein Atem ging, und war froh,
-dies Leben zu hören, denn es kam nun das schwerste Grauen von allem
-über mich, so, daß ich nicht mit Schritten zu gehen wagte, sondern,
-keinen Fuß hebend, mich gleichsam füßlings über den Teppich vorwärts
-tastete. Da stieß ich mit den Knien gegen etwas Weiches an und bog mich
-behutsam darüber, die suchenden Hände vorstreckend. Nie vordem habe
-ich gewußt, daß das furchtbarste Grauen, das der Mensch empfinden kann,
-in den Fingerspitzen wohnt. Alle Qual der Furcht, des Entsetzens, das
-sich gleichsam zurücksträubt und doch wie eine willenlose Last langsam,
-fürchterlich langsam und dennoch unabwendbar, vorwärts wuchtet, saß
-knäuelhaft, wie geduckt zusammengerollt unter meinen Fingernägeln,
-die mir (doch war das sicherlich Blendwerk) zu leuchten schienen.
-Dies alles währte kaum die Dauer eines Atemzuges und war dem Gefühle
-nach eine Ewigkeit -- bis der Augenblick kam, da die Qual gleichsam
-in die Wut umschlug, sich selber ein Ende machen zu wollen, und sei
-es durch noch Schlimmeres. Ich warf mich vornüber und flog mit einem
-grauenhaften Schrei zurück. Meine Hände hatten zwei nackte, schauerlich
-kalte Frauenbrüste gefühlt, mein warmer Mund einen kalten berührt.
-
-Ich taumelte bis zum Vorhang zurück und keuchte: »Die Hexe! Dort!«
-
-Der Graf drängte mich beiseite und murmelte: »Ich wußte es.« Dann,
-ein paar Schritte vorwärts tuend, lauter: »Ich bitte Euch, laßt Licht
-herein. Ich fühle die beiden, und es verlangt mich nun sie zu sehen.«
-Er schien ganz ruhig. Ich hörte seinen Atem nicht mehr. Ein Knarren
-verriet mir, daß er auf einen Stuhl getroffen war, in den er sich
-niedergelassen hatte.
-
-Ich tastete mich die Wand entlang zum Fenster, um ja nicht beim
-Durchschreiten des Zimmers nochmals in Berührung mit einem der beiden
-verfluchten Leiber zu kommen. Denn noch immer rann ein schaudervolles,
-eisiges Entsetzen durch meine Adern. So voller Grausen war ich und
-gleichsam angstbeflissen, daß, als des Grafen Hand an der Seite der
-Stuhlwange herabglitt, ich beim Hören des leisen, schürfenden Tones
-zusammenknickte, für einen Augenblick nicht anders vermeinend, als es
-sei ein Seufzer aus toten Lippen.
-
-Endlich war ich beim Fenster angelangt und fühlte die Quaste der
-Vorhangschnur in meiner Hand. Ich brauchte meine ganze Kraft zu der
-geringen Arbeit, die Gardine sich teilen zu lassen: so völlig erschöpft
-war ich. Um aber das Fenster und den einen Laden zu öffnen, bedurfte
-ich der Hilfe des Gebets. Ich rief laut die Madonna an, mir beizustehen.
-
-Da hörte ich einen greulichen Fluch. War da mein alter, edler, frommer
-Herr, der über die Reinste der Reinen das schmutzigste Wort spie?
-
-Wollte Gott, ich dürfte noch glauben, daß er der Satan selber war, wie
-ich es damals glaubte. --
-
-Ich riß Fenster und Läden auf, indem ich, ohne mich umzuwenden, schrie:
-»Fleuch hinaus, Geist der Finsternis! Weiche, weiche, weiche von uns,
-Fürst der Hölle!« Und legte meine Stirn aufs Fensterbrett, nochmals
-zu beten. Der feuchte, kalte Wind aus dem Walde strich mir übers Haar
-und weckte mich gleichsam aus dem wohltätigen Schlummer der Andacht,
-die mich aber doch so weit gestärkt hatte, daß ich spürte, es sei
-geraten, mich diesem Luftstrome nicht länger auszusetzen. Ich wandte
-mich um, vermied es aber wohl, dorthin zu blicken, wo ich die beiden
-Leichen vermutete. Doch sah ich den Grafen. Er saß in dem flammrot
-seidenen hochlehnigen Stuhle des Malers, den ich wohl kannte mit seinen
-goldeingewirkten Zeichen einer fremden heidnischen Schrift. Steif
-angelehnt saß er, ganz regungslos; auch die Arme und Hände, gerade
-hingelegt auf die Armlehnen, rührten sich nicht im mindesten. Man hätte
-meinen können, er sei tot.
-
-Nur die Augen lebten. Lebten gierig.
-
-Und es waren die Augen des Scheusals.
-
-Mir war, als starrten diese selben Augen überall her: kalt glühend
-durch das kalt graue Morgenlicht. Sie glotzten kugelig von den Buckeln
-der kupfernen Wandleuchter, blinzelten verkniffen aus allen Facetten
-der Gläser und Flaschen auf dem Kredenzbord, schossen blitzende Blicke
-von den Spitzen der Degen, Dolche, Hellebarden an der Wand, lauerten
-tückisch in allen Falten der Vorhänge.
-
-Ich sah wohl, daß der Böse sich nicht hatte bannen lassen durch meine
-Gebete, und bald mußte ich es auch hören.
-
-Denn er sprach aus dem Grafen wie folgt: »Ihr mußtet sterben, um mich
-fühlen zu lassen, wie verwandt ich euch bin. Mit meinem Blute habt ihr:
-mein Blut hat in euch gesündigt. Wie dürfte ich verdammen, da ich, ob
-auch mit Grauen, verstehe? Der Tod ist ein mächtiger Lehrer. Ich habe
-die Hölle verlernt vor seinem Grauen. Sie ist nicht hinter dem Tode,
-ist vor ihm: in diesem Leben, das kraft heiliger Gesetze verbietet,
-wozu der unheilige Geist treibt, der in unseren Adern glüht. Ich habe
-ihn stets gebändigt. Und durfte wohl stolz darauf sein: denn mein
-ganzes Leben hat sich dem Gesetze geopfert. Aber siehe, mein Blut hat
-sich gerächt: mein Opfer war unnütz und ein frommer Frevel. Ich durfte
-rein bleiben, weil diese da alle meine Unreine in sich nahmen. Wo ist
-da Gott? Wo ist da Teufel? Ich sehe, daß ihr sehr elend und von aller
-Heiligkeit ausgeschlossen wart: Verworfene vor allen Menschen; und
-doch überkommt mich der Glaube, daß euer Leben völliger war als das
-meine, und euer Tod freier und stolzer als der der Frommen, doch noch
-im letzten Augenblicke um Vorteil handeln. Ihr seid in einer großen
-Gewißheit dahingegangen nach großen Sünden; ich aber, der Fromme,
-bleibe voller Zweifel hier und fürchte, daß ich weder selig noch
-unselig sterben kann.«
-
-Selbst die Stimme, in der dies sprach, war nicht des Grafen Stimme. Sie
-hatte einen vollen, zuversichtlichen, tapferen Ton gehabt. Was hier
-klang, war wie der Ton einer gesprungenen Glocke. Es war, als schwebte
-er nicht durch die Luft, sondern er glitte von den Lippen, rönne über
-Kinn und Brust, tropfte den Stuhl hinab zum Teppich, kröche über diesen
-weg zu den beiden.
-
-Mir aber gruben sich die Worte, wie matt sie auch klangen, mit einer
-magischen Gewalt ein, so daß ich sie zu jeder Stunde wiederholen
-könnte, wie ich sie jetzt gleichsam unter dem Diktate des Satans
-niedergeschrieben habe. (Ich wage es, die Wahrheit zu sagen, in diesem
-Augenblick nicht, hinter mich zu blicken, denn ich weiß: in dem Bilde
-des heidnischen Ahnherrn dieser nun erloschenen Familie, das ich selber
-nach einer alten Tafel im Palaste hier auf die Wand übertragen habe,
-stehen jene beiden Augen. Ich weiß es, denn ich fühle ihren Blick als
-einen dumpfen Druck am Nacken.)
-
-Immer noch starr geradeaus schauend, wandte sich der Graf nun in seinem
-alten, nur etwas müderen Tone mit diesen Worten an mich: »Seht Ihr, wie
-schön sie ist, Messer Giacomo?«
-
-Antwortete ich: »Nein, Herr. Gott verhüte, daß ich meine Blicke zu
-diesem Greuel wende. Die Hexe ist nackt.«
-
-Sprach er, nicht zornig, aber gestrenge: »Laßt dieses Torenwort und
-sprecht mit Achtung von meiner Tochter. Nackt ist sie, aber so schön,
-daß nichts Schamloses an ihrer Nacktheit ist. Auch ist sie tot, und nur
-im Lebendigen ist Sünde und der Schatten der Sünde: Scham oder Unscham.
-Ich sehe sie an wie ein Werk des Meißels, den der Tod geführt hat, und
-ich denke zurück an meine jungen Tage, da ich mich nächtens mit einer
-Fackel in den Keller schlich, wo in einer Ecke die Madonna der Heiden
-stand, zu der meine Ahnen einst gebetet haben: Frau Venus. Doch diese
-hier ist schöner. Ich denke mir: Sie wurde so schön, weil meine Jugend
-unter jenem Venusstern stand. Die Göttin, deren Bild ich mit eigener
-Hand zerschlug, als der Geist des Gesetzes von mir Besitz ergriffen
-hatte, hat sich gerächt, indem sie aus meinem Blute ihr schöneres Bild
-gestaltete. Glaubt nur, Messer Giacomo, die Götter der Heiden sind
-nicht tot. Sie leben in unserem Blute, und aus unserem Blute leben sie
-immer aufs neue auf in sichtbarlicher Nachgestalt. Der Schatten des
-Kreuzes ist doch nur ein Schatten, der sich nach der alten Sonne drehen
-muß. Ihr blickt noch immer nicht hin?«
-
-»Da sei Gott vor!« antwortete ich bestimmt.
-
-Er aber sprach: »Ihr tut mir leid. Dieser Anblick, vor dem auch ich
-mich gefürchtet habe vor wenigen Minuten noch, und es ist seitdem
-doch eine Fülle von Zeit verstrichen, reicher als mein ganzes armes
-Leben in heiliger Finsternis -- dieser Anblick ist kein Schrecken:
-ist klare, ruhige, wohl feierliche, aber nicht gestrenge Offenbarung.
-Mein schönes Kind liegt auf dem Ruhebette, wie es von Venus erschaffen
-ward. Der rechte Arm ruht unter dem Haupte, die linke Hand im Haar des
-Bruders, meines häßlichen Kindes, das, vor dem schönen niederkniend,
-den selbstgerufenen Tod erwartet hat. Er trägt einen Mantel aus dunkel
-veilchenblauem Sammet und auf dem Haupte einen Dornenkranz. Ihr wendet
-Euch ab und seid empört. Mir selber tat der Anblick weh, denn es
-dünkte mich unwürdig, gleich einem Schauspieler in den Tod zu gehen,
-Großes nachäffend. Doch weiß ich es besser, seitdem mich das Bild,
-vor dem sie gestorben sind, belehrt hat, daß er nicht als Mime starb,
-sondern als Maler. Auf diesem Bilde sind die Farben noch feucht an
-dem Kopfe mit der Dornenkrone, und es ist, als ob die Blutstropfen
-lebendig herunterrönnen aus dem krausen Haar über die gelben Wangen.
-Er hat sich die Dornen ins Haupt gestoßen, dieses Blut fließen zu
-sehen, aber mehr noch zur Aufgeißelung der Kraft, die auch äußerlich
-fühlen wollte, was sie innerlich ergriffen hatte. -- Ihr wißt, daß
-es mir immer zuwider war, ihn die Kunst des Malens wie etwas treiben
-zu sehen, das mehr ist als vornehmer Zeitvertreib. Daß ich es Euch
-gestehe: Ich verachtete ihn darum, und er war mir seiner Kunst wegen
-noch abscheulicher als wegen seiner Häßlichkeit und düsteren Art. Nun
-lehrt mich dieser Morgen, mit dem eine helle Nacht für mich anbricht,
-auch dies: daß Kunst, mit diesem Stolze heroischer Hingabe ausgeübt, zu
-den größten Menschendingen gehört, zu denen, die über alle Tiefen und
-Nebel hinwegtragen, wie dieser zentaurische Christus die nackte Madonna
-hinwegträgt vom Felsen des Todes über qualmige Städte zur Festung
-Einsamkeit. -- Ich will, hört mich wohl: Ich will in diesem Hause meine
-Tage beschließen und auf diesem Lager sterben vor diesem Bild, das dann
-wie alles andere von der Hand meines Sohnes mit meinem Leichnam zu
-den Leibern meiner Kinder eingegraben werden soll in den Fels dieses
-Berges. Immer und immer will ich es sehen, wie ihre linke Hand in
-das blutige Haar des Christus-Zentauren greift, dessen blutrünstiges
-Antlitz sich ihr in schmerzlichster: seligster Liebe zuwendet. Ihre
-holden, gütigen, mutigen, aller Liebe vollen Augen sollen auch mir
-hinüberleuchten zu jener Ruhe, die Gott selber bewacht.«
-
-Kaum daß der Graf geendet hatte, drang Gemurmel und Schrittgestampf vom
-Gange her in den Saal, und die Stimme eines Knechtes bat um Einlaß.
-
-Der alte Herr erhob sich ruhig, löste seinen Pelzmantel von den
-Schultern und legte ihn über die Toten. Dann zog er den Vorhang vor das
-Bild und rief mit seiner alten Stimme des Befehlensgewohnten gebietend:
-»Tretet still herein!«
-
-Sogleich verstummte Gemurmel und Gestampf. Die Knechte traten gebückt
-ins Gemach, vor sich her den Wächter schiebend, der gefesselt war und
-vor dem Grafen in die Knie sank.
-
-»Geht,« befahl der Herr den übrigen, und dem Knienden: »Steh auf und
-sprich!«
-
-Der erhob sich und murmelte: »Ich wollte fliehen, Herr, weil ich
-mitschuldig war an dem Schrecklichen, und will nun alles eingestehen.«
-
-Der Graf legte ihm eine Hand auf die Schulter und ergriff mit der
-anderen die gefesselten Hände des Wächters. Und sprach: »Ich weiß. Doch
-niemand außer dir und mir soll wissen, denn dieser (und er wies auf
-mich) sieht nicht mit sehenden Augen und wird auch die anderen heilsam
-blind machen. Du aber sollst zu keinem Menschen mehr reden, sondern mit
-mir eingeschlossen bleiben in diesem Hause. Die Leichen meiner Kinder
-im Felsen zu begraben, soll deine erste Arbeit sein; deine letzte: mit
-meinem Leichnam dasselbe zu tun. Dann sollst du dieses Schloß besitzen
-mit allem, was darin ist.«
-
-Der Wächter, diesen Spruch so wenig begreifend wie ich, der ich aber
-längst die Besessenheit des Grafen erkannt hatte, beugte sich stumm
-über die Hand seines Gebieters und küßte sie.
-
-Mir blieb nichts mehr zu tun übrig, als um Urlaub zu bitten für immer
-und zu fragen, welche Botschaft ich der Gräfin bringen solle.
-
-Die Antwort war: »Sag meiner Gattin, daß sie mir willkommen ist, wenn
-sie sich stark genug fühlt, mit mir bei den Dämonen zu hausen. Niemand
-weiß ja über diese so gut Bescheid, wie Ihr. Wie ich sie kenne, wird
-sie es vorziehen, sich in den Schutz der anderen Madonna zu begeben.
-Und sagt ihr, wenn sie Euch dies kundgibt, von mir, daß sie recht
-daran tut und daß es mich beruhigen wird, sie in dem besten Schutze zu
-wissen, darin sich ein Mutterherz ausruhen kann. Ich weiß, sie wird für
-mich beten. Sagt Ihr auch das. Und fügt von mir noch dies hinzu: daß
-ich ihr ehrerbietig und mit dem ganzen Reste von Liebe dafür danke, den
-ich für Lebendiges noch fühlen kann.« Obwohl ich dank der Klarheit, die
-sich immer mehr in mir ausbreitete, sehr wohl begriff, daß das Gütige
-und Wahre in diesen Worten keineswegs ein Zeichen etwa aufdämmernder
-Vernunft, sondern nichts als spöttische Verstellung des Teufels war,
-der diesen Geist völlig verwirrt hatte, mußte ich mich doch, mehr
-unbewußt als mit Fleiße, gleichfalls auf die Hand des Unglückseligen
-beugen. Meine Lippen fühlten, daß sie ganz kalt war.
-
-Ich ritt mit den Knechten im schnellsten Galopp zur Stadt. Der Nebel
-hatte sich gehoben. Als ich mich, wir mochten etwa zwei Bogenschüsse
-weit geritten sein, umwandte, sah ich das Schloß im hellsten
-Sonnenlichte über dem schwarzen Walde gleichsam höhnisch leuchten.
-
-Morgen geleite ich die Gräfin nach Rom ins Kloster. Dort will ich auf
-bessere Zeiten warten, daß ich nach Toskana zurückkehren kann.
-
-Zum Danke für meine Rettung aus der grausamen Gefahr, gleich meinem
-edlen alten Herrn in die Verstrickung des Teufels zu fallen, habe ich
-heute gelobt, nie wieder einen Pinsel zur Hand nehmen. Die Kunst ist
-die schlimmste Schlinge des Bösen.«
-
-
-
-
-Annemargret und die drei Junggesellen.
-
-Nebst einem Vorwort von den Raubrittern und dem Segen der Aufklärung.
-
-
-Eine äußerst dunkle Zeit das Mittelalter!
-
-Eine äußerst unmoralische Gesellschaft die Raubritter!
-
-Es ist ja wahr: unsere Gardekavallerieoffiziere stammen meistens von
-ihnen ab. Aber auch sie müssen heutzutage so viele Examina machen,
-daß wir mit Genugtuung konstatieren können: die Wurzelbürste der
-allgemeinen Bildung hat sie bürgerlich moralisiert, und kein ehrsamer
-Zivilist braucht sich mehr vor ihnen zu fürchten. Ja: sie selber weinen
-nun viel Druckerschwärze über die schlechten Sitten ihrer Vorfahren
-und sind gar sehr betrübt darüber, daß in ihren Familien solche Sachen
-passiert sind.
-
-Was für Sachen! Ah: was für Sachen! Man möchte wirklich manchmal daran
-zweifeln, daß unsere heutigen lieben glatten Herren von, auf und zu die
-richtigen Nachkommen dieser unmoralischen Rauhbeine sind, die solche
-Sachen gemacht haben.
-
-Denn, um das gelindeste Wort zu brauchen: _saftige_ Kumpane sind sie
-gewesen, diese Herren von Eisenbeiß auf Eisensteiß, und rund um sie
-herum war nicht der Exerzierplatz, nicht das Bureau, sondern der dicke,
-dunkle Wald.
-
-Der gehörte ihnen; den hatten sie lieb. Aber die Städte und die Städter
-konnten sie nicht leiden.
-
-Was da in engen Gassen herumkroch, war ihnen ein übel tugendhaft
-Gesindel: einzeln feig, in Masse frech; geschäftig und geschwätzig;
-krummbucklig und scheelsüchtig; krittlich und profitlich; in allen
-Dingen nach der Elle gerichtet und abgemessen; eingepackt in
-Sippschaften und Zünfte; klettentreu zusammengefilzt und miteinander
-verbacken in Schmutz und Schweiß und schmieriger Biederkeit.
-
-Sie dagegen, die edlen Herren vom spitzen Sporn und Stegreif, die
-Junker Schlagdrauf, Greifzu, Haltfest, fühlten sich als Einzelne,
-Eigene, Freie, und es schien ihnen ihr gutes Recht zu sein, die Säcke
-der Krämer in ihre Kammern zu leeren, obwohl es die Obrigkeit nicht
-guthieß.
-
-Denn die Obrigkeit konnten sie auch nicht leiden, außer wenn sie selber
-Obrigkeit waren.
-
-Man ersieht aus alledem, wie ungebildet die Raubritter gewesen sind.
-
-Hätten sie Schulbildung genossen gehabt, so würden sie sich ohne
-weiteres haben sagen müssen, daß das so auf die Dauer nicht fortgehen
-konnte, und daß sie sich mit einem solchen Betragen für alle Zeit in
-der Weltgeschichte ein miserables Renommee schaffen mußten. So ist es
-auch gekommen. Die Tugend hat gesiegt; überall herrscht Ordnung und
-Gesetz; jede Körperverletzung wird unnachsichtig bestraft; wer seinen
-Mitbürger an seinem Eigentum schädigt, kommt, mit oder ohne Wappen,
-hinter Schloß und Riegel: und die ganze gebildete Menschheit hat alle
-Ursache, jene abscheulichen Zeiten höchst verächtlich zu finden, mit
-sich aber sehr zufrieden zu sein.
-
-Nur Degenerierte und Dichter (was auf eins hinausläuft) sind imstande,
-an diesem Chorus der Freude nicht mit teilzunehmen. Sie allein vermögen
-es auch, dem Raubrittertume noch einigen Geschmack abzugewinnen.
-
-Es muß da irgendeine Verwandtschaft bestehen. Vielleicht war das
-Raubrittertum eine Art angewandter Lyrik? Vielleicht ist Lyrik eine Art
-verhindertes Raubrittertum? Wie es auch sei: dem tüchtigen Bürger sind
-beide gleich unsympathisch, und dieser Umstand beweist allein schon,
-daß sie irgendwie zusammengehören.
-
-Da mir an meiner Reputation gelegen ist, und da ich nicht wünsche, daß
-die Geheimrätin X. und der Schuhmachermeister Y. sich darauf einigen,
-mich für einen verspäteten Raubritter zu halten, darf ich nicht
-unterlassen, hier zu erklären, daß ich nicht zu jenen Raubritterpoeten
-gehöre, daß ich, wie sehr auch der Anschein gegen mich sprechen mag, im
-Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte bin, und daß ich mit der kleinen
-Geschichte von Annemargret und den drei Junggesellen keineswegs das
-abscheuliche Ziel verfolge, zum Mädchenraub aufzufordern.
-
-Diese Geschichte ist vielmehr durchaus moralischer Natur und beweist
-aufs klarste, daß das Mittelalter wirklich finster war.
-
-Stellen Sie sich vor, sie spielte nicht damals, sondern heute. Würde
-sie mit Mord und Totschlag endigen? O nein! Es gäbe ein niedliches
-kleines viereckiges Verhältnis; nichts weiter: wie es sich für
-anständige junge Leute aus guter Familie ziemt, schickt und paßt.
-
-In Wahrheit hat sie sich auch so begeben, und Annemargret fährt heute
-auf Gummirädern. Ich habe sie erst gestern Unter den Linden gesehn.
-
-Seien wir stolz! Seien wir heiter! Es lebe die Aufklärung.
-
-
-Und nun die Geschichte.
-
-Es waren einmal drei junge Junggesellen, recht adelige Burschen:
-nämlich Söhne eines alten Raubritters.
-
-Der war aber tot und lag mit seiner Frau, der weiland Raubritterin, in
-seinem Erbbegräbnisse tief im Walde. Sein Wappen, ein behelmter Wolf,
-der eine dreigespaltene Zunge sehr rot und im zierlichsten heraldischen
-Schnörkelschwunge aus dem raffzähnigen Rachen bleckte, lag in Stein
-gehauen über ihm; und das war gut, denn damit war die Sicherheit
-gegeben, daß der alte Raubritter den Landfrieden, den er dem Tode hatte
-schwören müssen, auch wirklich hielt. Es wäre ihm schon zuzutrauen
-gewesen, daß er auch noch als Gerippe auf Krämer ausgeritten wäre.
-
-Seine drei Söhne: Welf, Ralph und Rolf, besorgten das ja auch, aber
-doch nicht mit der ganzen väterlichen Leidenschaft. Sie taten es
-nur berufshalber und wenn die Münze ausging, nicht aus Sport und
-innerlichem Bedürfnis. Die Jagd war ihnen vergnüglicher, und sie
-hetzten den Bären lieber als den Juden.
-
-So lebten sie recht angenehm bewegt in ihrem alten Schlosse am Walde,
-tranken sowohl roten als auch weißen Wein in beträchtlichen Mengen und
-aßen vielen saftigen Braten dazu, den ihnen ihre alte Haushälterin,
-die ehr- und tugendgeachtete Jungfrau Barbara, genannt das Reibeisen,
-gar vorzüglich am Spieße zu braten verstand.
-
-Aber eines Tages, gerade, als sie einen Rehrücken am Spieße hatte und
-emsig drehte, sagte sie plötzlich ohne ersichtliche Ursache: Mein
-Jesus, Barmherzigkeit! fiel hin und war tot. Der Rehrücken verbrannte,
-der Brandgeruch, erst ganz angenehm, dann schon mehr unlieblich, stieg
-bis ins Turmgemach, wo Welf, Ralph und Rolf sich eben die Würfelknochen
-unter erklecklichen Flüchen ins Gesicht schmissen, und lockte die
-Brüder zur Küche.
-
-Da wurden sie sehr traurig, als sie das Reibeisen tot auf dem
-Steinboden liegen sahen, schlugen hastige Kreuze und fluchten
-mörderlich.
-
-»Wer soll uns nun kochen und braten!« rief Welf.
-
-»Sie konnte es so schön knusperich!« klagte Ralph.
-
-»Und dennoch blieb er innen saftig!« bemerkte Rolf.
-
-»Du mußt jetzt den Spieß drehen!« entschieden Welf und Ralph, die
-beiden ältesten, indem sie sich zu Rolf, dem jüngsten, wandten.
-
-»Ich werde euch den Spieß in den Bauch rennen!« bemerkte dieser
-gelassen.
-
-Darauf prügelten sie sich eine Weile mit Hingebung.
-
-Aber damit war die Dienstbotenfrage nicht erledigt.
-
-Da kam Welf'n ein guter Gedanke: »Laßt uns eine Köchin aufheben!«
-
-»Ha!« riefen die anderen und umarmten ihn, »_das_ ist eine _Idee_!«
-
-»Legen wir uns an den Kreuzweg am Unkenteich, wenn die Dorfdirnen zur
-heiligen Urschel paternostern gehen!« schrie Welf, der entschieden der
-Taktiker unter den dreien war.
-
-»Ha!« riefen die anderen, »das ist _wieder_ eine Idee!«
-
-»Machen wir aber schnell, denn ich bin hungrig!« brüllte Welf mit
-ritterlichem Ungestüm.
-
-»Los!« brüllten die anderen.
-
-Und sie stiegen in die Rüstkammer, schnallten sich die Harnische um,
-ergriffen die gewaltigen Schlachtschwerter, vergaßen auch nicht die
-dicken Streitkolben, setzten sich die Helme mit den Wolfsrachen aufs
-lockige Haupt und schwangen sich auf die ebenso mutigen wie dicken
-Rosse.
-
-Hei, wie wieherten die, als es im Donnersaus über die Zugbrücke ging
-und dann am Walde entlang zum Unkenteiche!
-
-Der alte Christoph, der einzige Knecht, der den dreien nicht
-davongelaufen war (weil er Rheumatismus hatte und nicht laufen konnte)
-und der nun alle männlichen Ämter bekleidete, die es auf einer
-rechtschaffenen Ritterburg gibt, zog die Zugbrücke wieder hoch und
-knurrte in seinen grauen Bart: Wenn sich wenigstens einer von den
-dreien den Hals brechen wollte!
-
-Dann ging er hin und wunderte sich, daß das alte Reibeisen tot war.
-
-Unterdessen lagen die drei Junker hinter den Kreuzwegbuchen am
-Unkenteiche und ließen die Weiblichkeit des Dorfes Sankt Ursula Revue
-passieren, die in die Kapelle zum Rosenkranz ging.
-
-Es waren aber meistens alte Weiblein, die da mit dem Rosenkranz
-vorbeihumpelten, und die drei hatten auf dem Hinritt beschlossen, keine
-Alte zu fangen. Denn, wie Rolf sehr richtig bemerkt hatte: Eine Alte
-stirbt bald, und dann haben wir gleich wieder Wechsel. Und sich ewig an
-neue Köchinnen gewöhnen müssen, ist lästig.
-
-Eine Junge also! Den Spieß drehen und Betten machen kann schließlich
-jede, und die richtige Reibeisentradition wollen wir ihr schon
-beibringen.
-
-Aber, wie nun auch Junge vorüberkamen, setzten sie doch ihren Gäulen
-nicht sogleich die Zinken ein und fuhren drauflos, sondern es gab über
-jede ein kritisches Gewispere und mancherlei Aussetzungen hinter den
-Buchen;
-
-Zu dick!
-
-Zu dürr!
-
-Läuft über die große Zeh!
-
-Zu braun!
-
-Zu blaß!
-
-Hat scheelen Blick!
-
-Hat keine Brust!
-
-Watschelt!
-
-Zu lang!
-
-Zu kurz!
-
-Krummbein!
-
-Schiefmaul!
-
-Knollnase!
-
-Satthals!
-
-Pinkel im Gesicht!
-
-Leberfleckig!
-
-Warzenacker!
-
-Und so, streng kritisch, immerfort, daß man hätte meinen sollen, es
-handele sich hier gar nicht darum, eine Köchin zu rauben, sondern eine
-künftige Burgherrin für Wolfsturm.
-
-Da kam aber eine, in einem kurzen, roten Rock mit schwarzem Mieder, aus
-dem, um einen vollen, weißen Arm, die weißen Hemdärmel sauber blitzten:
-und die gefiel allen dreien offenbar ganz über die Maßen wohl. Sie
-hatte ein frisches, rundes Gesicht, mit ein Paar allerliebsten,
-lachenden Augen darin, die schwarz und funkelnd waren wie reife
-Brombeeren. Schwarz und glänzend war auch das volle Haar, das in einem
-dichten Kranze doppelt ums Hinterhaupt ging. Dazu wohlbeschlagen im
-Mieder, kräftig im Gehwerk, kurz: nett ganz und gar und etwa achtzehn
-Jahre alt.
-
-»Die!« stieß Welf hastig hervor.
-
-»Ha!« stieß Ralph nach.
-
-»Los!« kommandierte Rolf.
-
-Und, heissa, heidi, klapp, klapp, klapp! brachen die Gäule aus dem
-Unterholz und sperrten den Weg.
-
-»Jesusmariaundjos...!« schrie die Kleine auf und guckte erstaunt die
-Geharnischten an.
-
-»Halt!« donnerten die drei Junker.
-
-»I steh ja schon!« antwortete das Mädchen und zog trotzig die Lippen
-hoch. »Was soll i denn noch?!«
-
-Viel Furcht hatte der Balg nicht.
-
-»Aufs Pferd zu mir!« schrien die grimmigen Brüder.
-
-»Auf alle drei Pferd?« antwortete das Mädchen und lächelte dazu.
-
-»Auf _mein_ Pferd!« brüllte jeder einzelne und preschte vor.
-
-Das Mädchen ließ den Rosenkranz fallen und flüchtete hinter einen Baum.
-So, einstweilen sicher, drehte sie den drei Gaulgebietern himmlisch
-vergnügt eine Nase.
-
-»Kommst vor!?« drohte Welf.
-
-»Kommst her!?« drohte Ralph.
-
-»Wart Balg!« rief Rolf, sprang vom Pferde, packte das Ding, hob's in
-den Sattel, sprang nach und sauste davon, gerade wie die beiden anderen
-abgesprungen waren.
-
-Die kletterten, unsäglich fluchend, wieder aufs Schlachtroß und
-galoppierten, Pferdenase an Pferdenase, hinter dem Flüchtigen drein,
-der in einer Weise lachte, daß sich die ältesten Eichen nicht
-erinnerten, je ein solches Lachen gehört zu haben.
-
-An der Zugbrücke, die der alte Christoph natürlich wieder nicht
-rechtzeitig hochgezogen hatte, trafen sich die drei.
-
-Das mindeste, was Welf und Ralph vorhatten, war, den schnöden Rolf
-ans Brückentor zu nageln. Die Schwerter hatten sie schon heraus und
-fluchen taten sie auch, wie es der Situation angemessen war. Aber Rolf
-war nicht geneigt, sich annageln zu lassen. Er zog gleichfalls blank,
-warf den Gaul herum und legte aus. Dazu brüllte er gewaltig, und, da
-die beiden anderen nicht weniger brüllten, so gab es einen richtigen
-Raubritterspektakel.
-
-Das paßte der Kleinen aber gar nicht. Sie hielt sich beide Ohren zu
-und schrie in das Getöse: »Ob ihr gleich stille seid?! Wenn ihr euch
-erstechen wollt, so laßt mich wenigstens vorher in die Burg!«
-
-Da sanken den dreien die Schwerter.
-
-Richtig! Darauf kam's ja am Ende bloß an: daß die Kleine in die Burg
-kam.
-
-Schlump! fuhren die Klingen in die Scheiden, und Hahaha! und Hohoho!
-lachten die Reisigen, daß den Rossen ganz übel im Bauch wurde von der
-Erschütterung.
-
-Die Kleine aber sprang vom Pferde, schüttelte die zerknillten Röcke,
-rieb sich ein bißchen in der Gegend, die den Sattel gefühlt hatte, und
-rief: »Also gut, ihr unverschämten Junker, jetzt geh' ich in eure Burg.
-Da mag's nett aussehen! Na, ich bin bloß gespannt, was ich da drinnen
-soll, in dem alten Wolfszwinger.«
-
-»Braten, Jungfer, hahaha!«
-
-»Betten machen, hohoho!«
-
-»Strümpfe stopfen! Wämser flicken!«
-
-»Weiter nichts? Das kann ich gut und noch viel mehr.«
-
-Mit diesen Worten schritt die kecke, kleine Bestie über die Zugbrücke,
-als hätte sie zeitlebens keine andere Schwelle gekannt, zupfte den
-alten Christoph, der völlig Glasaugen gekriegt hatte vor blödem
-Staunen, am Bart, ging, während die zwölf Hufe über die Brücke
-donnerten, geradeswegs zum inneren Burghofe, guckte sich gelassen um
-und rief: »Ja so! Wieviel Lohn krieg ich denn?«
-
-»Einen Dukaten für den Braten!« lachte Welf.
-
-»Zwölf Batzen fürs Schüsselauskratzen!« lachte Ralph.
-
-»Zehn Groschen für die süße Goschen!« lachte Rolf.
-
-Mit der zufriedenen Heiterkeit, die sich nach wohlgetanen Werken bei
-allen Menschen von frisch zugreifender Sinnesart einzustellen pflegt,
-sprangen die drei jungen Junggesellen von ihren Pferden, griffen,
-hübsch einer nach dem andern, dem Mädchen unters Kinn und fragten:
-»Jetzt aber: wie heißt die Jungfer!«
-
-»Annemargret, wie sie geht und steht, die die Betten macht und den
-Bratspieß dreht.«
-
-»Ich weiß noch einen Reim drauf!« erklärte Rolf.
-
-»Na?«
-
-»Die mit dem Junker ins Be...«
-
-Aber da hatte er auch schon einen derartigen Klapps auf dem Munde, daß
-er einstweilen das Reimen sein ließ.
-
-Klappse, die der eine kriegt, stimmen die andern heiter. Das war auch
-schon in den alten Raubritterzeiten so. Und deshalb ist es kein Wunder,
-daß Welf und Ralph sich jenes Mal vor Lachen so weit bogen, als ihre
-Harnische zuließen, während sich Rolf unterm Schnurrbarte rieb und
-etwas unwirsch bemerkte: »Racker verdammter!«
-
-Indessen war Annemargret aber schon in der Küche verschwunden, und aus
-allerlei Geräuschen konnten die drei Brüder entnehmen, daß das resolute
-kleine Mädchen bereits dabei war, die so jäh unterbrochene Tätigkeit
-der seligen Barbara aufzunehmen.
-
- * * * * *
-
-Die drei Junker auf, zu und von Wolfsturm waren im allgemeinen selten
-einer Meinung, aber darin stimmten sie bald völlig überein, daß es im
-Grunde eine Gnade des Himmels gewesen sei, das ehr- und tugendgeachtete
-Reibeisen zu sich und in die Schar seiner Seligen aufzunehmen. Denn
-Annemargret war der verblichenen Barbara wirklich in jeder Hinsicht
-überlegen. Vielleicht _machte_ sie den Braten nicht gerade besser als
-die am Bratspieß selig Entschlafene, aber, daß er besser _schmeckte_,
-daran war kein Zweifel erlaubt. Selbst ein Bärenschinken bekommt
-ein Ansehen von Fröhlichkeit, wenn die Zinnplatte, auf der er in
-Burgundersauce zwischen gerösteten Kastanien dampft, von zwei netten,
-kleinen Händen auf den Tisch gesetzt wird. Und dann schon das Geträller
-von der Küche her, während der Bratenwender den Grundton schnurrt. Man
-sieht dem Kommenden mit größerer Heiterkeit entgegen, und selbst ein
-versalzenes Mus hat von vornherein mildernde Umstände in sich, wenn es
-von so gerne gesehenen Fingern versalzen worden ist.
-
-Vielleicht war Barbara das bessere Gemüt, die frommere Seele gewesen:
-aber so aufbetten wie Annemargret hatte sie nicht gekonnt. Viel Wert
-hatten die drei rauhen Junggesellen ja auch nicht darauf gelegt, daß
-der Strohsack immer aufgeschüttelt, das Kissen frisch überzogen,
-das Leintuch glattgebreitet wurde -- wenn nur immer der Schlaftrunk
-handbereit stand. Aber nun war es doch angenehm, sich auch in diesen
-Dingen wohlbesorgt zu fühlen. Die kleine Unbequemlichkeit, daß man
-auch selber, schandenhalber, sich etwas ordentlicher zu führen hatte
-und nicht, nach längeren Schlaftrünken oder so, mit den Stiefeln ins
-Bett steigen durfte, ließ sich mitnehmen. Man ließ sich überhaupt ganz
-gerne ein bißchen glatt lecken, da es ja nicht bis auf die ritterliche
-Seele und den rauhen Kern des deutschen Mannes ging, wenn man es sich
-gefallen ließ, daß die Lederwämse Nähte in den Wolfsturmschen Farben,
-blaurot, kriegten, die Stiefel auch an Wochentagen geputzt, die
-geknickten Helmfedern durch neue ersetzt und überhaupt allerlei Dinge
-getrieben wurden, die eigentlich gegen die Tradition der Wolfsturms
-waren. Annemargret hatte sogar ein Heer von alten Weibern aufgeboten
-und die Dielen scheuern, die Vertäfelung putzen und die Küche weißen
-lassen -- lauter Dinge, die seit dem Tod der ehedem gebietenden
-Frau Mutter nicht geschehen waren und den Brüdern als krämerhafte
-Albernheiten gegolten hatten. Es war sogar Geld dafür ausgegeben
-worden, und Welf hatte sich bei Erwerbung dieses Geldes einen kleinen
-Leibesschaden zugezogen, da er die schwere Kassette dem renitenten
-früheren Inhaber eigenhändig entrissen hatte.
-
-Doch das wurde alles gerne ertragen, da man sich unter dem neuen Regime
-wirklich behaglich fühlte.
-
-Ja, die drei Brüder brachten noch weitere Opfer für das kleine, aber
-unentbehrliche Mädchen.
-
-Da Annemargret die Tochter des Bürgermeisters von St. Ursula war,
-eines gewichtigen Mannes unter den Bauern, und da dieser Mann und
-Bürgermeister die Hartnäckigkeit besaß, Herausgabe der Tochter zu
-fordern, andernfalls er mit Klagen bei irgendeinem Herzoge drohte,
-der sich Landesfürst nannte, und da überdies Annemargret selber recht
-schön bat, man möge alles in Frieden ordnen, so ließen sich die drei
-Brüder, die eigentlich prinzipiell gegen jede friedliche Ordnung einen
-angeborenen Widerwillen hatten und es schlechterdings würdelos fanden,
-sich mit jemandem zu »vertragen«, herbei, dem in St. Ursula hausenden
-Volke für ewige Zeiten Freiheit von jeder Brandschatzung durch das
-Wolfssturmsche Haus schriftlich mit beigesiegeltem Wolfsrachen zu
-versprechen, zu verheißen und zuzusagen.
-
-Welf und Ralph hatten sich gegen dieses Ansinnen als echte Wölfe
-von Wolfsturm lange und mannhaft gewehrt, aber Rolf war schließlich
-damit durchgedrungen, daß er nicht weniger als zwanzig Möglichkeiten
-nachwies, den Vertrag beiseitezuschieben; schlimmsten Falles dadurch,
-daß man sich mit den Vettern auf Zinkenberg, Festenburg, Geyerstein,
-Rabenhorst verbände und das Nest unten überhaupt beseitige -- womit
-denn der Kontrakt auch beseitigt wäre, da eben der eine Kontrahent
-nicht mehr existierte.
-
-Schließlich wirkte aber doch am gründlichsten das Mädchen selber.
-
-Den Welf brauchte sie nur im Nacken zu krauen, so ward er milde wie
-Mandelöl.
-
-Beim Ralph genügte schon ein kleiner Patscher auf die Backen.
-
-Und den Rolf hatte sie überhaupt schon und ohne jede besondere
-Hantierung.
-
-Das ging nun also alles vorzüglich, und auf Wolfsturm herrschte ein
-vorzüglicher Humor. Ralph blies sogar die Klappentrompete, und Welf,
-der weniger musikalisch war, rührte zuweilen vor lauter Wohlgefühl die
-große Kesselpauke, die in der Waffenkammer stand. Rolf aber -- sang.
-
-Zu den eigentlichen Minnesängern, die nun in der Literaturgeschichte
-stehen und von den höheren Töchtern auswendig gelernt werden müssen,
-gehörte er ja nicht. Er dichtete und sang etwas kunstlos, aber Reime
-auf et fand er immerhin eine erkleckliche Menge, obwohl es des
-Peregrinus Syntax Reimlexikon damals noch nicht gab.
-
-Oft, während die beiden Älteren draußen im wilden Walde den
-Jagdspieß sausen ließen, saß er, gleich Herrn Walter von der
-Vogelweide, auf einem Steine und deckte Bein mit Bein. Doch gehörte
-das eine Beinpaar der Annemargret. Auch dichtete und sang er in
-dieser Stellung keineswegs unablässig, trieb vielmehr andere zum
-poetischen Hausgebrauch notwendige Dinge. Als da sind: Ausmessung
-des Parallelismus der Glieder beim Strophenbau, Rhythmenabklopfung
-auf rundlichen, rhythmisch wohlgebauten und daher als Maßeinheit
-dienlichen Stellen, Gleichklangsstudien unter Zugrundelegung des
-Geräusches, das zwei Lippen hervorbringen, die, soeben noch fest
-aufeinandergepreßt, sich plötzlich voneinander lösen.
-
-Die weniger dichterisch veranlagten Brüder bemerkten diese Übungen in
-praktischer Poetik mit Unbehagen und ermangelten nicht, dem Benjamin
-von Wolfsturm klarzumachen, daß sie ihm die Knochen im Leibe zerbrechen
-würden, wenn er fürderhin zu Hause wilderte, während sie draußen mit
-Wölfen und Bären Stelldicheins hatten.
-
-Aber Rolf rümpfte nur die Nase dazu und zog die Lippen hoch, schlug
-auch wohl aufs Schwert, daß es nur so klirrte, und meinte: der Busch,
-in dem er jetzt jagte, dünkte ihm lieblicher als der wilde Wald, und
-wenn ihm da einer ins Gehege käme, so wäre es wohl möglich, daß er
-mit ihm verführe, wie mit einem frechen Bauern, den's nach Edelmanns
-Hirschen lüstete.
-
-Derlei Reden, hin und her geschleudert wie Jagdspieße, trübten den
-Humor auf Wolfsturm zuweilen etwas, und wenn nicht Jungfer Annemargret
-so unbändig klug gewesen wäre, wie sie wirklich war, so hätte der Humor
-wohl bald ein Ende gehabt und es wäre nicht bei geredeten Jagdspießen
-geblieben.
-
-Aber, ei, wie war Margretlein klug! Hatte sie's mit Junker Rolf, wenn
-die anderen draußen mit Bruder Petz tanzten, so hatte sie's doch auch
-mit diesen, wenn die Gelegenheit gut war.
-
-Der grimme Welf war sicher, sie nicht gar selten oben im Treppenwinkel
-zu treffen, wenn er, Ausguck zu halten, zum Turme stieg. Und da schwand
-sein Unmut schleunig, hatte er im Dunkel das runde, gefüge Ding im Arm,
-das er noch lieber an sich preßte, als den Urhumpen der Wölfe von
-Wolfsturm. Wie wundersüß ging's ihm ins Ohr, wie sie so an ihm hing und
-flüsterte: »Lieb's Welfle du, was bist du stark!«
-
-Ralph aber kriegte sein Teil wohl zugemessen unten im Weinkeller. Dort,
-wo's so kühl und heimlich war, zwischen den großen, werten Tonnen,
-saßen sie eng beieinander auf dem Tonnenschragen, rechts den braven
-Malvasier und links den lieblichen Traminer, und hielten einander so
-nahe und enge, daß es ihnen bei aller Kellerkühle gar freundlich warm
-wurde. Ach, wie wunderhold's ihm im rundwölbigen Keller widerklang,
-wenn sie lispelte: »Lieb's Ralphle lieb's, was bist du g'schmeidi!«
-
-So glaubte sich denn im Grunde jeder Hahn im Margretenkorbe und lachte
-heimlich die anderen aus, die nach demselben Bissen leckten, und keiner
-wußte, daß _ein_ Korb drei Hähne beherbergen kann, wenn die Körblerin
-es nur einzuteilen weiß.
-
-Ein bißchen dumm waren die drei jungen Junggesellen schon, wie man
-sieht. Aber was will man bei so ungenügenden Volksschulverhältnissen,
-wie sie in den Raubritterzeiten herrschten, anders verlangen? Es war
-halt das finstre Mittelalter.
-
-Also: gut ging's im allgemeinen. Es kriegte jeder sein Annemargretisch
-Teil, und, ein paar Verdachtswolken abgerechnet, die sich hier und da
-über dem Haupte Rolfs gleich schwarzen Kutteln himmlischer Riesenkühe
-zusammenzogen, trübte nichts die verliebte Selbstsicherheit jedes
-einzelnen.
-
-Ralph blies bereits schelmische Triller auf der Klappentrompete, Welf
-verübte ganz virtuos leidenschaftliche Donnerwetter der Liebe auf
-der Kesselpauke, und Rolf hatte ungefähr sämtliche Reime beisammen,
-die die deutsche Sprache auf et hergibt. Es wurde fast idyllisch auf
-Wolfsturm und sämtliche Bewohner dieses adeligen Sitzes, Christoph und
-die gewaltigen Streitrosse nicht ausgenommen, setzten einigermaßen Fett
-an.
-
-Da kam das Schicksal in Ritterstiefeln und trat alles entzwei.
-
-Es war ein schöner, klarer Herbsttag und die Weinlese eben vorüber.
-
-Welf saß oben auf dem Geländer des Turmumgangs und guckte aus.
-Plötzlich rief er in den Hof hinab, wo Margaret eben die drei Paar
-Ritterstiefel im Brunnentrog spülte: »Ralph und Rolf: wo stecken die
-Junker!?«
-
-»Im Keller und klopfen die Tonnen ab, wieviel noch Wein drinnen.«
-
-»Ha, das ist gut, bei meiner Seel'! Ruf sie herauf!«
-
-Annemargret schickte ein gutes Blickchen empor, das mit
-eisengepanzerter Kußfaust sehr ritterlich erwidert ward, beugte sich
-zu einer allerliebsten Rundung zusammen, daß Welf beim Anblick der
-kühn ausgebogenen Hinterfülle vor Entzücken stöhnte und rief mit süßer
-Stimme ins dunkle Kellerloch: »Junkerchen, herauf! Der Welf hat was!«
-
-Ralph und Rolf traten gebückt aus der niederen Kellertür und schrien
-zum Turm: »Hallo, was ist?«
-
-»Gewimmt[3] ist! Die Bauern fahren das Praschlett[4] zur Stadt.«
-
- [3] Tirolisch für Weinlesen.
-
- [4] Die Maische.
-
-»Alle Teufel und Satansbrut!« rief Ralph -- »schon?«
-
-»Ei freilich! Es ist die Zeit! Ihr ließt wohl alles den Krämern in die
-Löcher fahren, säß ich nicht hier und guckte aus. Wie steht's in den
-Tonnen?«
-
-»Nieder!« antwortete Rolf. »Die Traminerin klingt hohl wie deine Pauke.«
-
-»Und den Malvasier kann eine junge Katze auslecken,« fügte Ralph hinzu.
-
-»So denn mit Eilen in Stiefel und Sattel und hurtig Ersatz geschafft!«
-
-Welf schwang sich vom Gelände und polterte die Treppe herab.
-
- »Her die Stiefel, Annemargret,
- Her die Stiefel, eh es zu spät!«
-
-sang anmutigen Eifers voll der nie um Reime verlegene Rolf.
-
-»Sind alle noch naß!« gab die zurück.
-
-»Was schiert mich das!?« reimte Rolf entgegen und fuhr in die
-patschnassen Lederhöhlen.
-
-Indessen brüllte Ralph nach den Pferden, rumorte Welf im Waffengelasse,
-klirrte Christoph mit den Zaumketten, klapperten die Gäule aus dem
-Stalle, lachte und kicherte Margret. Kurz: Wolfsturm machte mobil.
-
-Wie die drei glücklich im Sattel saßen und den Schlußtrunk genommen
-hatten, den Annemargret jedem erst annippen mußte, ehe sie ihn dem vom
-Gaul Gebeugten in die Eisenpfote gab, wurde der Kriegsplan gemacht.
-
-»Ich reit auf die Traminer!« erklärte Welf.
-
-»Ich hol' den süßen von Margreid!« entschied sich Ralph.
-
-»Ich will mich hinter Urschel nach Schilcher[5] umtun!« gab Rolf kund.
-
- [5] Schillerwein, halb weiß, halb rot.
-
-Aber Annemargret protestierte: »Nix hinter Urschl! Urschl hat's
-schriftlich! Ihr seid mir die Nettern!«
-
-»Ho, die Urschl-Margret, hohohoho!« lachten die drei.
-
-»Also reit ich anderswohin auf den Schilcher, daß uns Annemargretlein
-nit sauer wird, die Urschlerin!« erklärte Rolf. »Bleibt sie uns dann
-süß?«
-
-»Süß allen dreien!« lachte das Mädchen und stemmte die Arme in die
-Seiten, fest und keck wie eine flinke Bäuerin.
-
-»Fallt's mir fei' mit ins Praschletschaff«[6], fügte sie hinzu, wie die
-Junker abritten.
-
- [6] Maischbottich.
-
-Dann stand sie noch lange und blickte den nach drei Richtungen
-auseinandersprengenden von der Mauer aus nach und ließ jedem ihr
-Tüchlein zuwehen, wenn er sich umwandte und ihr mit der gepanzerten
-Faust winkte.
-
-Sind doch alle drei recht liebe Junker, dachte sie sich. Jeder hat was
-besonders Liebes. Der Welf ist wie ein Bär so kräftig und grimmig. Huh,
-wie er zupackt! Schier blaue Flecke gibt's und ist doch gar lieb. Der
-Ralph ist nicht so ganz stark, aber hitzig. Küßt er, ist's wie ein Biß,
-und der Atem geht einem aus vor lauter Schönsein. Aber der Rolf hat
-was gar Zart's und Fein's und kann reden, daß man die Augen zumachen
-muß, -- so lieblich schwatzt er. Wenn er so leise um die Hüften greift,
-geht's kitzlich überallhin, als wenn jed's Blutströpfel im Leibe lachen
-sollt'. Lacht auch jed's. -- So ist's mit allen dreien, wundergut in
-Heimlichkeit. Möcht' keinen missen. Muß aber immer fein schlau und
-achtsam sein. Hu, wenn der eine mich mit dem anderen säh. Das gäb böses
-Getu.
-
-So sinnierte sie aufs angenehmste vor sich hin. Dann ging sie aufbetten.
-
-Wie sie mit den Junkerbetten fertig war, dachte sie sich: Will doch
-heut die dreie mit dem Wein im Putz überraschen! Und ging in ihre
-Kammer, den Sonntagsstaat anzulegen.
-
-Schon damals, in den wilden Raubritterzeiten, zogen sich hübsche
-Mädchen gerne aus und an, und, wenn die Spiegel auch gar klein und
-trübe waren, sie sahen sich doch gern darin. Es war also das Anziehen
-eine liebliche Beschäftigung für die Kleine, und als sie ihre Röcke von
-sich hatte und im kurzärmeligen Leinenhemdchen dastand, da drehte sie
-sich wohl viele Male vor dem Spiegel hin und her und betrachtete sich
-selber mit viel Aufmerksamkeit, Ernst und Genugtuung.
-
-Da, plötzlich ging die Kammertür auf, und Junker Rolf stand auf der
-Schwelle.
-
-Aber nicht lange. Denn kaum hatte er das Mädchen in dieser auch für
-Junker besonders lieblichen Verfassung gesehen, da war er mit einem
-Satze bei ihr und umfing sie mit den geharnischten Armen.
-
-»Hu, bist du kalt!« rief sie erschrocken aus, die über der Kälte dieser
-eisernen Umarmung ganz vergessen hatte, daß sie sich erst schämen mußte.
-
-Aber auch ihm war das Eisen jetzt unbequem. Hastig entschiente er
-sich, und krach, bumm, knirr flogen die Harnischteile von ihm, und er
-stand im Lederwamse. Es ging viel schneller als sonst mit dem alten
-Christoph.
-
-Nun war es gar nicht mehr kalt, wie er sie umfing.
-
-Eine Weile hatten die Lippen mehr zu tun, als zu reden.
-
-Dann aber fragte Margret: »Ja, aber, daß ich das Pferd nicht auf der
-Brücke gehört hab'! Und wo ist denn das Praschlet?«
-
-»Draußen angebunden das Pferd! Praschlet mögen die anderen bringen!
-Du bist mir lieber, als aller Wein! Du, mein rotweißer Schilcher und
-süßer Malvasier! Lieb's Ding im Rock, viel lieber noch im Hemd! Du! Du!
-Du! Oh, was du weiß und weich bist! Dräng dich, drück dich, leg dich
-mir nah! O du mein Wein von Ursula! Du heiße, weiße, voll und rund!
-Gib deinen Mund! Gib deinen Mund! Und wieder, wieder! Gretlein, mein
-Mädlein!«
-
-Sie aber sagte nichts und küßte bloß.
-
-Da: Treppengepolter. Da: Rasseln vor der Tür. Da: krach eine Faust
-wider das Türgetäfel.
-
-Rolf sprang auf und sprang zur Tür, -- g'rad vor die Brust Welfs, der
-sie eben aufgerissen hatte.
-
-Ein Heulen wie aus Wolfsrachen, ein Stoß mit der geschienten Faust vor
-Rolfs Brust. Der taumelt zurück, bückt sich, sucht sein Schwert.
-
-Aber schon wirft sich, mit beiden Fäusten sein Schwert nach unten
-stoßend, Welf über ihn und rennt dem Gebückten den Stahl durch den
-Rücken.
-
-Starr saß Annemargret im Hemd auf dem Bett und hielt kindängstlich die
-Finger an den Mund.
-
-Jetzt ... kommt ... das Schwert ... zu mir ...
-
-Welf zog das Schwert aus dem verröchelnden Leibe, warf es nieder und
-stellte sich vor der Starrenden schnaufend auf.
-
-»Dich ... drossl' ich ... so ...«
-
-Er streckte die auseinandergekrallten Eisenfinger nach ihrem Hals.
-
-Sie sank vom Bett und kniete vor ihm bettelnd nieder.
-
-»Lieb's Welfle, stark's, sei gut ...!«
-
-Und nimmt die beiden eisernen Hände und legt sie sich auf die
-hochgehende Brust und lächelt.
-
-»Du! ... Du! ...«
-
-Er hebt sie hoch auf und wirft sie aufs Bett, und nimmt sie wieder hoch
-und preßt sie wütend, klammernd an sich, und nimmt sie wie ein Kind auf
-den Arm und trägt sie in der Kammer herum und schluchzt und brummt und
-küßt sie und erdrosselt sie halb vor Grimm und Liebe.
-
-»Heioh! Heioh! Der Süße von Margreid! Zehn Yrn[7] und gutgemessen!
-Heioh Margret, für dich der Süße von Margreid!«
-
- [7] Altes Tiroler Weinmaß.
-
-Ralph hielt im Burghofe neben einem Parschletfuder, das zwei geknebelte
-Knechte eben eingeführt hatten.
-
-»Für dich der Süße von Margreid! Da, schau Margret!« schrie Welf und
-trat mit dem Mädchen auf dem Arm ans Fenster.
-
-»Was tust du da!« brüllte Ralph, bebend vor Zorn, als er das sah.
-
-»_Meine_ Margret! _Meine_ Margret!« brüllte Welf. »Willst du sie auch
-noch? So komm und hol sie.«
-
-Mit einem Satze sprang Ralph vom Pferde und die Treppe hinauf.
-
-Welf setzte Margret aufs Bett, hob sein Schwert auf und stürzte hinaus.
-
-Draußen auf der Treppe rasselten sie aneinander. Brüllen. Fluchen.
-Schnaufen. Gepolter. Ein Schrei.
-
-Ralph rollte, erschlagen, die Treppe hinunter.
-
-»Hahahaha! Hahahaha; Annemargret, jetzt sind wir allein! Geh in den
-Keller und hol, was noch im Fasse ist! Ei, geh immer im Hemd! Sollst
-mir fürder im Hemde gehn! Denn so hab ich dich doppelt lieb, du mollig
-Ding!«
-
-Annemargretlein -- lächelte und ging. Mit beiden Händen den Humpen
-tragend kam sie wieder.
-
-»Trink an, mein Schätzel!«
-
-Sie nippte und bot ihm den Humpen. Er nahm einen langen Zug.
-
-»Nun lös mir die Riemen und nimm mir die Schienen ab ... So, mein liebs
-Ding ... Und küsse mich auch! ... So, mein liebs Ding! ... Und setz
-dich mir auf den Schoß! ... So, mein liebs Ding! ... Ei, ist es nicht
-besser zu zweit? ... Sag's, mein liebs Ding!«
-
-»Ja ...«
-
- * * * * *
-
-Nun lagen Ralph und Rolf draußen im wilden Walde bei ihrem Vater, dem
-alten Raubritter, im Erbbegräbnis, und die ehrsame Steinmetzzunft der
-Nachbarschaft hatte Arbeit, ihnen das Wappen auf ihren Grabplatten
-auszuhauen. Das Blut auf der Treppe und in Margrets Kammer war zwar
-nicht so leicht abzuscheuern, aber man sah es bei der Dunkelheit, wie
-sie in Raubritterburgen gewöhnlich herrschte, auch nicht eben sehr, und
-überdies war Margret ausquartiert.
-
-Somit wäre also alles gut gewesen, und es blieb eigentlich nur noch
-die Fahrt zum Heiligen Grabe übrig, die Welf, um nicht unliebsames
-Aufsehen zu erregen, doch wohl unternehmen mußte. Denn, wenn auch
-die Polizei damals zu wünschen übrigließ, wenn es sich um ritterliche
-Familienangelegenheiten handelte, so hatte der Beichtstuhl doch seine
-Prinzipien, und _alles_ ließ sich am Ende nicht mit ein paar Messen
-oder auch Stiftungen abmachen. Aber es hatte ja Zeit.
-
-Indessen kam es böser.
-
-Zuerst kam Welf bloß unter den Pantoffel.
-
-Das war nicht angenehm, ließ sich aber doch ertragen, denn Welf
-war sehr verliebt, und Annemargret ließ es an nichts fehlen, diese
-Verliebtheit immer warm zu erhalten.
-
-Aber eine Weile hin, und sie kriegte Launen.
-
-Und das war schlimmer. Denn Unfriede in der Liebe geht auf die Nerven
--- sogar bei raubritterlichen Junkern, denen selbst ein paar eilige
-Brudermorde noch lange keine Nervenzustände zuziehen. Das Schmollen
-bald und bald Zanken, das Kammertürverriegeln und Beichtevorschützen
-und dann wieder das Gebettel: »Geh, ein Ringlein ins Ohr, ein Kettlein
-um'n Hals, ein seiden Fürtüchel, ein Paar rote Schuh! ...« Hol's der
-Teufel und sein schwänzig Gesinde!
-
-Indessen: man ritt halt öfter auf die Krämer; man wetterte mal und
-brüllte sich aus; tat dann auch wieder recht fein und lieblich um den
-Balg, und schließlich war der am guten Ende auch wieder fein, und es
-schmeckte die Liebe um so süßer, wenn vorher der Zank recht sauer
-geschmeckt hatte.
-
-Aber eines Tages, just, als es anfing kalt zu werden und Welf die
-Fenster mit Moos ausfütterte, kam Annemargret, ein Bündel in der Hand,
-auf ihn zu und sagte ganz kurz: »Junker, i geh!«
-
-»_Was_ tust du!! ...?«
-
-»Aufkünden tu i. Heim mag i.«
-
-»Wa ... as?? ...!«
-
-»Ja, sell.[8] Is mir zu öd hierheroben jetzt.«
-
- [8] Das.
-
-»Wa ... as??? ...!«
-
-»Früher, wo ihr dreie ward, is ja gangen. Hättst halt nit den Ralph
-derschlagen und den Rolf. Die Langweil hab i.«
-
-Dem Junker schwollen die Schläfenadern.
-
-»Also, ich allein bin dir nicht genug. -- Du ... du ... ha!« --
-
-»So is.«
-
-»Also die andern fehlen dir!!?«
-
-»Freili!«
-
-Sie ließ die Schürzenbänder wirbeln und legte den Kopf auf die Seite.
-Das war ihre Trotzpose.
-
-Da ging dem Junker Welf der Ritterzorn durch, und er gab ihr eine
-Ohrfeige, daß die Trotzpose auf die andere Seite verlegt wurde. Ein
-Glück, daß er die Eisenhandschuhe nicht anhatte. Es langte auch so.
-
-»Jetzt geh i erscht recht!« sagte sie, heulte gar nicht mal erst lange,
-nahm ihr Bündel auf, drehte sich um, daß die Röcke flogen, und ging.
-
-Welf war ganz starr. Dann überlegte er sich, ob es nicht das beste
-wäre, sie auch totzuschlagen. Aber da er zum Überlegen immer sehr viel
-Zeit brauchte, war sie schon zum Tore hinaus, als er damit fertig
-war. Übrigens hatte er sich auch anders entschieden. Er war keines
-heroischen Entschlusses fähig. Wie vor den Kopf geschlagen saß er da
-und riß das Moos in Flocken. Dann sprang er plötzlich auf, stieß ein
-Fenster ein und brüllte hinaus: »Luder! Luder!«
-
-Einen eisernen Topf, der gerade neben ihm stand, schmiß er in
-gewaltigem Bogen hinter ihr drein.
-
-Sie aber stand jenseits der Zugbrücke und drehte ihm eine lange Nase.
-
-»Bhütigod, grimms Welfle, verkühl di nit!«
-
-Welf tat einen grausamen Fluch, reckte die Arme, haute aufs
-Fensterbrett, brüllte, daß die Scheiben klirrten, riß sich am Bart und
-rannte in die Waffenkammer. Rasend rührte er dort das Instrument seiner
-Leidenschaft und paukte in Donnerwirbeln seinen Ingrimm aus.
-
-Wie er nicht mehr konnte, sank er auf die Rüstbank nieder und fühlte
-sich leichter.
-
-Und siehe: es ward ihm weich zu Sinne, und in seinem Gemüt war eine
-welke Empfänglichkeit für christliche Gedanken.
-
-»Christoph!« rief er, und in seiner Stimme klang seltsame Milde.
-
-»Ja, Herr!« antwortete der.
-
-»Haben wir noch einen Pilgermantel mit Muscheln?«
-
-»Ja, aber recht schäbig sieht er aus, sind die Motten drin, und ein
-paar Muscheln gehen ab.«
-
-»Macht nichts! Bürste ihn aus und nähe die Muscheln fest. Ich walle
-nach Jerusalem!«
-
-»Wo ... hin!?«
-
-»Frage nicht -- bürste!«
-
-Christoph sperrte den Mund auf und wunderte sich. Dann bürstete er den
-Pilgermantel derer von Wolfsturm und freute sich, daß er nun auf eine
-Weile keine Stiefeln mehr zu putzen haben würde.
-
-Erst drei Paar, dann ein Paar, dann kein Paar!
-
-So steht Gott seinen treuen Knechten bei und verhilft ihnen zu einem
-ruhigen Alter.
-
-
-
-
-Der mutige Revierförster.
-
-
-König Leberecht, der schon in vorgerückten Jahren befindliche, aber
-immer noch recht rüstige Beherrscher eines angenehm im Gebiete der
-mittleren Zone gelegenen Landes, liebte es, die Büchse im Arm, auf hohe
-Berge zu steigen und dort all das Wild zu erlegen, das man mit viel
-Mühe und Kunst in die unmittelbare Nähe seines Feuerrohres brachte.
-
-Auf diesen Jagdzügen begleitete ihn, der gerne Menschen um sich hatte,
-weil er wohl wußte, daß es für Fürsten nicht gut ist, allein zu sein,
-nicht nur eine Schar bevorzugter Männer des Hof- und Staatsdienstes,
-sondern auch eine wohlausgewählte Mustergarnitur solcher Leute, die
-sich durch sachgemäße Überdeckung größerer Leinwandflächen mit Farbe
-oder durch andere Hantierungen von gewissermaßen künstlerischem
-Charakter in der Leute Mund gebracht und überdies durch die Annahme
-des Titels von Professoren bewiesen hatten, daß sie, obwohl keiner
-ernsthaften Beschäftigung obliegend, doch Sinn für das bürgerlich
-Reputierliche besaßen.
-
-Es war, und dessen war sich ein jeder in des Königs Jagdgefolge wohl
-bewußt, eine große Ehre, mit Seiner Majestät durch die Felder und die
-Auen zu streifen, sowie auf schmalen Pfaden die erhabenen Gipfel der
-Bergwelt zu erklimmen, die wie wenig anderes dazu angetan erscheint,
-dem Menschen einen Begriff davon zu geben, wie großartig die Welt ist.
-Indessen, wie die meisten Ehren, so war auch diese mit Anstrengungen
-und Unbequemlichkeiten verbunden. Schon das Klettern allein erschien
-den älteren Ministern, vortragenden Räten, Kammerherren und
-Kunstprofessoren als eine im Grunde nicht ganz erfreuliche Muskelübung.
-
-Denn, abgesehen davon, daß der königliche Bergsteiger schon an und für
-sich in seiner Eigenschaft als Fürst jenen elastischen und lebhaften
-Gang hatte, von dem wir immer in den Zeitungen lesen, wenn von einem
-in Bewegung befindlichen Landesvater die Rede ist, war König Leberecht
-auch noch besonders auf diesen Sport trainiert, da er Zeit seines
-Lebens die meisten freien Stunden, die ihm die Regierungsgeschäfte
-ließen, hauptsächlich dazu verwandt hatte, sich in der ebenso gesunden
-wie vornehmen Kunst des Kletterns auszubilden. Er wäre, wenn ihm die
-Schicksalsgöttinnen statt einer Krone einen Gamsbarthut und statt des
-Zepters einen Bergstock in die Wiege gelegt hätten, zweifellos ein
-ebenso vortrefflicher Bergführer geworden, wie er nun in Wirklichkeit
-ein scharmanter König geworden war.
-
-Aber die böse Notwendigkeit, mit den untrainierten Beinen des
-Untertanen den trainierten Beinen des Souveräns in gleichem Schritt und
-Tritt zu folgen, war noch nicht einmal die fatalste Begleiterscheinung
-jener ehrenvollen Jagdpartien. Das Unangenehmste waren die kalten
-Bäder, die die höchst badelustige Majestät auf luftigster Höhe im
-schneekühlen Gewässer munterer Gebirgsbäche zu nehmen liebte, und von
-denen sich keiner ihrer Begleiter ausschließen konnte, da sich der
-Wasserscheue sonst dem Verdachte ausgesetzt hätte, daß er nicht unter
-allen Umständen gesonnen sei, seinem höchsten Herrn überallhin zu
-folgen.
-
-Wie viele ministerielle, geheimrätliche, kammerherrliche,
-kunstprofessorale Schnupfen die Erfüllung dieser harten
-Untertanenpflicht im Laufe der Jahre zur Folge hatte, darüber besteht
-keine Statistik, doch darf ruhig angenommen werden, daß ihrer viele und
-die meisten davon hartnäckiger Natur waren. Denn nicht jeder verträgt
-zehn Grad Reaumur im Wasser. Die Loyalität ist willig, aber das Fleisch
-ist schwach.
-
-Nach einem solchen Bade in der Höhe von 1500 Metern bei entsprechender
-Wassertemperatur begab es sich nun einmal, daß der König, dem von der
-genossenen Wasserkühle selber die Finger etwas klamm geworden waren,
-seine Toilette (mit gebotener Delikatesse zu sprechen) nicht ganz zu
-Ende führte. Anfangs bemerkte niemand diesen Umstand, da ein jeder
-nur von dem einen Wunsche beseelt war, die eigene gesunkene Blutwärme
-durch allseitig luftdichten Verschluß der Kleider wieder in die Höhe zu
-bringen. Als sich aber später die königliche Jagdgesellschaft auf einem
-angenehmen Wiesenplane zur Rast niedergelassen hatte, nahm man den
-kleinen, aber durch seine Örtlichkeit fatal auffälligen Mangel wahr.
-
-Nun ist eine solche Wahrnehmung selbst unter gewöhnlichen Menschen,
-wenn der eine nicht gerade die Frau des anderen ist, mit einer gewissen
-Peinlichkeit verbunden. Denn es handelt sich hier, wenn man der Sache
-auf den Grund geht, um einen Umstand, der geeignet ist, das sittliche
-Gefühl zu verletzen, um einen ~dolus eventualis~ auf dem besonders
-heiklen Gebiete der Erbsünde sozusagen. Indessen, schließlich gibt
-sich doch immer einer den gewissen Ruck, nimmt den betreffenden (in
-den meisten Fällen ist es ein alter Professor oder Dichter) beiseite
-und flüstert (wenn er das Wort »geradezu« im Wappen führt): »Sie, Ihr
-Hosentürl ist offen,« oder (wenn er delikater ist) mit einem schnellen
-orientierenden Blicke: »Es ist etwas bei Ihnen nicht in Ordnung.« Ja,
-es gibt sogar Leute, die selbst bei so peinlichen Gelegenheiten zu
-frivolen Scherzen aufgelegt sind und etwa die Bemerkung machen: »Sie,
-verlier'n S' fei' nix!«
-
-Kann man aber so etwas einem Fürsten, einem Könige sagen? Nein: Man
-kann nicht! Der höfische Stil versagt hier vollkommen. Es gibt durchaus
-keine Redewendung in der Phraseologie des Umganges mit Majestäten, die
-es ermöglichte, derlei vor ein allerhöchstes Ohr zu bringen, als über
-welchem bei feierlichen Anlässen nur durch ein paar Zentimeter getrennt
-eine Krone zu sitzen kommt. Nicht einmal der mit allen Essenzen
-höfischer Eleganz und Wortbiegungskunst gewaschene Zeremonienmeister
-Baron von Bemsl, der doch eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet
-höfischer Linguistik ist, und von dem man hoffte, er werde die
-schwierige Mission übernehmen und so seinem dichten Lorbeerkranze als
-königlicher Hausdiplomat ein neues leuchtendes Blatt einverleiben,
-erklärte, dies überschreite seine Fähigkeiten: dieser Fall sei von
-einer Heikligkeit, daß man seine Lösung nicht einer Menschenzunge,
-sondern der Vorsehung selber überlassen müsse, die übrigens, so fügte
-er mit anmutiger Zuversicht hinzu, noch immer bewiesen habe, daß sie
-über das königliche Haus mit besonderer Aufmerksamkeit wache. Sohin
-(er liebte dieses kuriale Wort) werde ihr auch dieser Umstand nicht
-entgehen, und sie werde zweifellos Mittel und Wege finden, ihn zu
-beheben, ohne daß sich ein schwacher Mensch den Mund zu verbrennen
-brauche.
-
-»Das ist alles sehr schön und sehr gut, und ich bin schon von Ressorts
-wegen der letzte, der an der Vorsehung zu zweifeln wagt,« bemerkte der
-Kultusminister, dem es trotz eines kaum überstandenen Schüttelfrostes
-jetzt sehr heiß zumute wurde, »aber sie müßte _äußerst_ schnell
-eingreifen. Bedenken Sie, lieber Baron, daß uns am Fuße dieses Berges
-eine Deputation der ländlichen Bevölkerung erwartet, darunter vier
-weißgekleidete Jungfrauen, von denen die jüngste ein Huldigungsgedicht
-auswendig gelernt hat. Ich wette meinen Kopf, daß die Jungfrau aus
-dem Konzept kommt, wenn ihr Blick zufällig auf die derangierte Gegend
-fällt, und diese infamen Bauernlackel werden dem höchsten Herrn
-sämtlich, ich sage Ihnen: _sämtlich_ nicht ins _Gesicht_ sehen,
-sondern -- ebendorthin. Mein Gott, mein Gott: Die Situation ist von
-einer märchenhaften Scheußlichkeit. Wir können uns, so gern wir sonst
-dazu bereit sind, hier nicht auf höhere Mächte verlassen; wir müssen
-_selber_ handeln. Wozu sind Sie denn Zeremonienmeister, wenn Sie sofort
-versagen, wo es einmal gilt, die durch einen tückischen Zufall bedrohte
-Würde des Königstums zu retten! ~Hic Rhodus! Hic salta!~ Walten Sie
-Ihres Amtes!«
-
-Der Zeremonienmeister, der es bisher immer zu vermeiden gewußt hatte,
-in Anwesenheit des Königs Schweiß abzusondern, war nicht imstande, die
-plebejische Feuchtigkeit zurückzudrängen, die ihm angesichts dieser
-grauenerregenden Perspektive auf die Stirne trat. Er fühlte die
-ganze furchtbare Verantwortung, die ihm diese entsetzliche Situation
-aufbürdete. Er sah das Ansehen des Hofes in Gefahr, die Regierung
-wanken, den Staat konvulsivischen Zuckungen preisgegeben. Vor seinem
-inneren Auge jagten sich Feuer, Pulverdampf und blutigrote Wogen der
-Rebellion. Vor allem aber bebte sein ganzes Gemüt und schoß molkig
-zusammen wie Milch, wenn's wittert, bei dem Gedanken, daß seine
-Stellung auf dem Spiele stand. Denn in der Tat, dieser Toilettenmangel
-gehörte in _sein_ Ressort, da kein Kammerdiener zugegen war.
-
-Sollte er vielleicht doch? ... Sollte er nicht doch vielleicht mit dem
-Anstand, den er hatte, diskret sich in den Hüften wiegend, an den König
-herantreten und mit delikatem Augenniederschlag lispeln: »Majestät
-haben allerhöchst geruht, zu vergessen, sich die ...«
-
-Aber bei allen Heiligen und Nothelfern, das _geht_ ja doch
-nicht! Niemals noch, solange es Zeremonienmeister gibt, haben
-Zeremonienmeisterlippen derartiges zu einem König zu sagen sich erkühnt.
-
-In seiner fassungslosen Verwirrung überfiel ihn die phantastische Idee,
-zu den Mitteln der Mimik zu greifen und, sich dicht vor seiner Majestät
-postierend, an sich selbst, gewissermaßen wie an einem Lehrphantom,
-_scheinbar_ die Handlung vorzunehmen, die der König an seiner Kleidung
-tatsächlich unterlassen hatte.
-
-Aber das war ja grotesk, skurril, Wahnsinn! Ebenso hätte er direkt
-hingehen und, an das respektive Kleidungsstück der allerhöchsten Person
-Hand anlegend, den Mangel ~brevi manu~ reparieren können -- eine
-Vorstellung, bei der er fast in Tränen der Verzweiflung ausgebrochen
-wäre.
-
-Aber Verzweiflung ist ein zu gelindes Wort, um auszudrücken, in welchem
-Zustande sich das zeremonienmeisterliche Gemüt befand. Er war der
-Auflösung nahe. Schon konnte er kaum mehr seine Augen regieren, die
-immer nur den einen, sich zu einem ungeheuren Schlund und Abgrund
-klaffend erweiternden Punkt suchten, der die schauderhafte Quelle
-dieser unsäglich grausamen Prüfung für ihn war. Gewaltsam mußte er
-seine Blicke von dort wegwenden, um sie ziellos im Kreise herumirren zu
-lassen. --
-
-Ob denn nicht doch irgendeiner der Anwesenden es wagen würde?
-
-An die Staats- und Hoffunktionäre sich zu wenden, war ganz
-aussichtslos; das fühlte er mit der Gewißheit des Erfahrenen. Aber
-vielleicht einer dieser Kunstprofessoren?! Unter ihnen, die ja auch
-sonst zu seinem Entsetzen oft genug gegen den höfischen Ton verstießen,
-mußte doch einer zu finden sein, der, wenn man ihm einen Orden oder
-einen Auftrag oder schließlich den persönlichen Adel versprach, das
-unerhörte, kaum auszudenkende Wagstück unternahm.
-
-Er zog jeden einzelnen beiseite, bat, flehte, rang die Hände, versprach
-schließlich den gebührenfreien Freiherrntitel und die Erblichkeit der
-Professur in der Familie, eingeschlossen die weibliche Nachkommenschaft
--- nichts half. Alle erklärten, lieber täglich eine Literflasche
-Mastixfirnis auf das Wohl des erhabenen Landesherrn leeren zu wollen.
-
-Der Zeremonienmeister hatte das absolut sichere Gefühl, daß der jüngste
-Tag herangebrochen sei; in seinen Ohren dröhnten deutlich die Posaunen.
-Da fiel sein Blick auf den Revierförster Meier, der hinter einem Baum
-saß und mit Mißmut konstatierte, daß sein Enzianschnaps zu Ende war.
-
-Ein letzter Hoffnungsstrahl flackerte, aber nur ganz schwach, im
-Ingenium des halbtoten Hofmanns auf. Der Meister des höfischen Parketts
-trat zum Meister des gebirgigen Forstes und entwickelte ihm, indem
-er sich bemühte, durch leise Dialektfärbung seiner Sprechweise etwas
-Volkstümliches zu verleihen, den ganzen Komplex der verhängnisvollen
-Verlegenheit, hinzufügend, daß er, der biedere Mann aus dem Volke,
-allein befähigt und berufen sei, den Hof, die Regierung, den Staat zu
-retten, indem er den König auf jenen Punkt aufmerksam machte, auf jenen
-Punkt ...
-
-»Das Hosentürl? Wenn's weiter nix is?!« meinte Meier.
-
-»Aber Sie dürfen natürlich nicht so geradezu, lieber Meier,« flüsterte
-der Zeremonienmeister, dem doch etwas bange wurde bei dieser schnellen
-Entschlossenheit des offenbar ganz ungeleckten Bären ... »Sie müssen
-durch die Blume gewissermaßen ... von hinten herum sozusagen ...
-abstrakt ...« Er fand durchaus nicht die populären Akzente. Das lag zu
-weit weg von seinem Ressort.
-
-»Versteh' schon! Natürlich! Ich kenn' mich aus. Von der Schleichseitn
-zuweripürschen muß ich mich. Nicht gleich mit dem Hosentürl ins Haus
-fallen. Beileib! Beileib! Fein andrehn muß man so was. So, in _der_
-Art, daß der König meinen könnt', es wär' einem andern sein Hosentürl!
-... Schwer is schon. Aber ich hab' schon andere Füchse gefangen.«
-
-Nach diesen Worten überzeugte sich der Revierförster nochmals, daß
-seine Flasche vollkommen leer war, schob sie resigniert in seinen
-Rucksack und stand mit der Miene eines Mannes auf, der heftig
-nachdenkt und zu allem entschlossen ist.
-
-Der Zeremonienmeister sah ein, daß dieser Mann, wenn nicht vorher der
-Himmel einfiel, binnen zwei Minuten das Unglaubliche zum Ereignis
-machen werde. Ihm ward zumute, als ob plötzlich der feste Boden unter
-ihm zu wanken begänne; eine grauslich hohe Woge hob ihn, senkte ihn und
-führte ihn aufs hohe Meer hinaus, einem ungewissen Schicksal entgegen,
-das irgendwo den Rachen aufsperrte, ihn zu verschlingen. Wie er
-bemerkte, daß der Revierförster sich in Bewegung setzte, fühlte er alle
-Schrecken der Seekrankheit in seinen Eingeweiden. Nur wie durch einen
-Schleier, einen gelbgrauen Nebel sah und hörte er, was sich nun begab.
-
-Der Revierförster Meier ging gerade auf den König zu, sah ihn aus
-seinen katzengrauen Augen zutraulich von unten an, nahm seinen bis ins
-Zeiserlfarbene verschossenen, vor sehr langer Zeit einmal dunkelgrün
-gewesenen Hut ab und -- machte eine Verbeugung. Sodann aber setzte er
-seinen Hut wieder auf und stand stramm.
-
-Mit dem scharfen Blicke, der ihn stets auszeichnete, bemerkte König
-Leberecht, daß dieses durchaus reglementswidrige Gebaren seinen Grund
-in etwas besonderem haben müsse, und fragte mit dem huldvollen Tone,
-der das erste ist, was ein jeder richtige König sich anzueignen keine
-Mühe und Übung scheut: »Na, Meier, was gibt's?«
-
-(In diesem Augenblicke gab es dem Zeremonienmeister einen schmerzlichen
-Ruck, und er sah sich direkt ~vis-à-vis~ dem Rachen des Ungeheuers,
-das ihn verschlingen wollte. Sein Herzschlag setzte aus. Ein
-überlebensgroßer Knödel kroch in seiner Speiseröhre mit einer
-unangenehm schlickernden Abart des Rollens empor und versetzte ihm auch
-den Atem. Sein letzter Gedanke war der Orden vom heiligen Kajetan, von
-dem er schon lange träumte. Dann: Nacht und Vernichtung.)
-
-Meier aber trat einen Schritt vor und sprach mit der markig festen
-Stimme des deutschen Mannes, der keine Menschenfurcht kennt:« »Ich
-möchte bloß die hohen Herrschaften was fragen.«
-
-Alles war starr. Keiner begriff. Auch König Leberecht nicht. Aber sein
-Ton war doch noch immer huldvollst, als er sagte: »Fragen Sie nur zu,
-Meier.«
-
-Und Meier ließ seine Stimme fröhlich erschallen und sprach: »Wie wär's
-denn, meine Herrschaften, wenn wir alle miteinander unsere Hosentürln
-zumachten?«
-
-Eine Reflexbewegung seiner Hände belehrte den König über den Sinn
-dieser rhetorischen Frage. Er richtete, was zu richten war, und lachte
-dann so herzlich laut auf, daß seine Umgebung überzeugt sein konnte,
-es sei durchaus im Sinne der Etikette gehandelt, wenn sie mitlachte.
-Und da es zugleich ein Lachen der Befreiung war, war es ein brausendes,
-dröhnendes, herzerfreuendes Lachen.
-
-Selbst die Spechte, die die hohen Stämme der Fichten bepochten, hielten
-mit Hämmern inne und lachten mit.
-
-Der Zeremonienmeister aber erwachte unter diesem Ensemblesatz des
-Vergnügens zu neuem Leben und fand sogleich, daß es unschicklich sei,
-in der allerhöchsten Nähe zu wiehern, wie unerzogene Rösser. Wäre
-ihm nicht gleichzeitig jener fatale Knödel gottlob zergangen und
-verschwunden, so daß er wieder frei atmen und sich im Vollbesitze
-seiner Kontenanz fühlen konnte, hätte er noch einen schlimmeren
-Vergleich gewählt.
-
-König Leberecht aber sprach, indem er dem Revierförster eine Zigarre
-anbot (die dieser jetzt noch und mit der ausgesprochenen Absicht, daß
-sie bis ans Ende der Tage dort bleiben soll, in seinem Glaskasten
-aufbewahrt): »Meier, Sie sind ein ganzer Kerl. Schade, daß ich Sie
-nicht in der Regierung verwenden kann. -- Ja, meine Herren,« und damit
-wandte er sich zu den übrigen: »das Volk, das Volk! ... Es ist eine
-schöne Sache um das Volk! ...«
-
-Dann stieg er, langsamer, als es sonst seine Art war, in tiefes Sinnen
-versunken, den Berg hinab, an dessen Fuße ihn ein junges Mädchen in
-weißen, gestärkten Kleidern mit den Worten begrüßte:
-
- Wir jauchzen laut mit Herz und Mund
- In dieser gnadenvollen Stund',
- Wo uns das Glück geschieht,
- Das seinen König Leberecht
- Das biedre Landvolk, treu und echt,
- In seiner Nähe sieht.
-
- Es steht sein hochberühmter Thron
- Seit mehr als tausend Jahren schon
- In unserer Mitte fest.
- Drum lieben wir ihn auch so sehr,
- Wie wenn er unser Vater wär',
- Der keinen je verläßt.
-
- Er weiß, daß in der Landwirtschaft
- Beruht des Staates stärkste Kraft,
- Drum liebt ihn für und für
- Der schwergeprüfte Bauersmann
- Und hält als treuer Untertan
- Ihm _offen jede Tür_.
-
-Bei diesen Worten stellte sich bei Seiner Majestät eine
-Ideenassoziation ein, die ein Lächeln des königlichen Mundes zur
-Folge hatte, woraus alle anwesenden Gemeindevorstände aufs neue die
-Überzeugung gewannen, daß der hohe Herr nach wie vor den Interessen des
-Nährstandes seine besondere Huld zuwendete.
-
-
-
-
-Der heilige Mime.
-
-
- Gelasimus ein Mime war,
- Wie alle anderen Mimen waren:
- Des Ernstes und der Tugend völlig bar,
- Jedoch in allen Lastern schauderhaft erfahren.
- Nicht auf der Bühne nur: alltags sogar
- Tät er mit Schminke, Lippenrot nicht sparen
- Und kräuselte sein lichtgefärbtes Haar.
- Kurz: allen Frommen war Gelasimi Gebaren
- Ein Ärgernis, und jeglichem war klar,
- Er werde als ein feister Höllenbraten
- Dereinst dem Teufel in die Faust geraten.
-
- Jedoch, was tat das dem Gelasimo?
- Er war ein Heide, und als Heide so
- Von Grund verstockt, daß es ihm doppelt freute,
- Ein Lasterknecht und Wollüstling zu sein,
- Weil er dadurch des Anstoßes ein Stein
- War auf dem Wege aller frommen Leute.
-
- Auch waren die in jener bösen Zeit
- (Als Diokletian, der Schändliche, regierte)
- In so verachtet schwacher Minderheit,
- Daß ihr Gemurmel niemanden genierte.
- Zeus saß als Sonnengott im Tempel breit
- Zu Baalbek, den noch nicht das Kreuzbild zierte:
- Zu Baalbek in der alten Götzenstadt,
- Da dies Mirakel sich begeben hat.
-
- Heut ist der Ort ein jämmerlicher Flecken,
- Wo niedre Beduinenhütten sich
- Im Schatten riesigen Mauerwerks verstecken,
- Aus dem sich, schön und ungeheuerlich,
- Gewaltige Säulen quadermächtig recken:
- Des Tempels Reste, der versank, verblich.
- Doch damals stand er noch und um ihn her
- Die große Stadt des großen Jupiter.
-
- Man ging auf Straßen, die gepflastert waren,
- (Wo mag das Pflaster hingekommen sein?)
- Vorbei an Goldschmiedläden, an Basaren,
- Hotels, Bordells (und mancher trat auch ein).
- Man schob sich, drängte sich mit Legionaren
- Aus Rom und Syrien; Griechen, frech und fein,
- Flanierten zwischen Juden und Phönikern
- Und andern Volksgenossen: _noch_ antikern.
-
- Man amüsierte sich: beim Zeus! Und wie!
- Man tanzte; schlug den Ball; man jeute; sah
- Entzückt vom sichern Sitze Mensch und Vieh
- In wilden Kämpfen sich verbluten; ja,
- Man hatte den Genuß, am Kreuze die
- Gepfählt zu sehn, die »~Christo gloria~«
- Voreilig sangen, statt Jovi dem Vater.
- Und außerdem gab's mehr denn zehn Theater.
-
- Davon im feinsten war Gelasimus
- (Als erster Held versteht sich) engagiert.
- Auch war er Regisseur (Präpositus),
- In allen Bombenwirkungen versiert.
- Bei jeder Premiere hat am Schluß
- Man ihn hervorgerufen: applaudiert,
- Bis er erschien und sich mit edler Neigung
- Rechts, links verbeugte als zur Dankbezeigung.
-
- Kein Wunder: wenn man solche Beine hat,
- Wie Gelasim, und Augen so voll Feuer,
- Daß jede Dame in der großen Stadt,
- Als wär' ihr Herz ein Strohsack, eine Scheuer
- Voll dürren Heu's, in Flammen stand, schachmatt
- Vor Liebe zu dem süßen Ungeheuer.
- Alltäglich brachte ihm der Stadtpostbote
- Dreihundert Briefe, meistens rosarote.
-
- Die kleinen Mädchen in der süßen Zeit
- Der ersten Schwellung gruben um die Wette
- In Wachs den Namen, trugen unterm Kleid
- Auf bloßer Brust ihn; seine Statuette
- Aus Alabaster lag, gebenedeit
- Durch manchen Kuß, in manchem Backfischbette,
- Indes die mehr schon vorgeschrittenen Damen
- Anstatt des Bilds den Mimen selber nahmen.
-
- Und auch die Rezensenten wagten's, ihm
- Nicht zu kredenzen ihren Wermutbecher.
- Der blutige Schmul selbst hieß ihn Seraphim
- (Er, dem sonst alle Mimen schäbige Schächer).
- So kam's wie's mußte: unser Gelasim
- Wurde von Tag zu Tage eitler, frecher.
- Man durfte wirklich bald schon denen glauben,
- Die zweifelten an seines Hirnes Schrauben.
-
- Er sprach nur noch per »Wir«, er ließ sich nur
- Noch von Äthiopiern in Sänften tragen,
- Und, wenn er wirklich einmal Wagen fuhr,
- So war's vierspännig und im Muschelwagen;
- Die Frau des Gouverneurs sogar beim Jour
- Ließ er vergeblich warten und ihr sagen:
- Er habe heute Besseres zu tun,
- Doch morgen werd' er dazusein geruhn.
-
- Natürlich wählte er die Stücke aus,
- In denen er dem Publikum sich zeigte,
- Und strich und änderte: es war ein Graus,
- Daß mancher Autor jähen Tods verbleichte.
- Dann schrieb er selbst ein Drama. Das hieß »~Laus
- Imperatori~«. Das Gehirn erweichte
- Jedwedem, der es sah. Ihm ist der Orden
- Für Kunst und Wissenschaft dafür geworden.
-
- Doch, wie's nun beim Theater ging (und geht):
- Manch Stück gefällt zwar, weil der Herr Verfasser
- Beim Publikum in großer Liebe steht;
- Jedoch gefällt es -- durch. Wie Wind und Wasser
- Ist Gunst des Publikums: verfließt, verweht,
- Wenn's darauf ankommt. Fragte an der Kass' er:
- »Wie ist das Haus heut?« ward zur Antwort ihm:
- »~Laus~ zieht nicht -- leer!« Das kränkte Gelasim.
-
- ~Laus~ zieht nicht! dachte düster er bei sich:
- Das Edelste, das ich zu geben habe,
- Gilt ihnen nichts. Was zieht denn eigentlich?
- Lock' ich vielleicht mit meiner Mimengabe?
- Ach nein, ich fühl's: sie woll'n ganz einfach mich:
- Ich bin nichts weiter, als ihr Freudenknabe.
- Im Grunde werd' ich schauderhaft verkannt.
- O Volk, o Welt, wie seid ihr degoutant!
-
- Gelasimus, beleidigt im Genie,
- Verfiel in ungewohnte böse Laune.
- Erst war sie grau, dann schwarz: Melancholie
- Saß faltig über jeder Augenbraune.
- Schon floh der Mime zur Philosophie,
- Und bald erhob sich ringsum das Geraune:
- Gelasimus der Schöne hat den Spleen:
- Er abonniert das Weisheitsmagazin.
-
- Man lächelte, und hinter den Kulissen
- (Wenn ich so sagen darf, da, wie bekannt,
- Es keine gab) ward mancher Witz gerissen;
- Denn Mimen waren immer medisant,
- Perfid, gemein und kalauerbeflissen:
- Schon wurde Heraklit der Dunkle er genannt.
- Bald wird er, dachten froh die Konkurrenten,
- In einem Nervensanatorium enden.
-
- Der Herr Direktor machte _keine_ Witze.
- Ihm war's zu ernst dazu. Das leere Haus
- Erzeugte im Gemüt ihm Siedehitze,
- Und all sein Zorn galt dem Autor der »~Laus~«.
- »Du hast den Orden, ich die leeren Sitze.
- Das paßt mir nicht!« so rief er wütend aus.
- »Beschränke dich auf deine schönen Waden
- Und laß das Dichten! Denn es bringt mir Schaden.«
-
- So lernte Gelasim die Wahrheit kosten,
- Daß jeder hohe Sessel wacklig ist,
- Und daß auch goldne Lorbeerblätter rosten,
- Bewirft sie Mißerfolg mit feuchtem Mist.
- Am liebsten hätt' er den verlornen Posten
- Sogleich verlassen ohne Kündigungsfrist,
- Hätt' ihn nicht Schuldenlast gefesselt ehern
- Wohl an ein Schock von grimmen Manichäern.
-
- Und er ging in sich und begann zu grübeln:
- Was hab' ich nun von meiner Eitelkeit?
- Verworfen bin ich, machtlos allen Übeln,
- Gebundnem Opfertiere gleich, geweiht;
- Das Unglück übergießt mich wie aus Kübeln.
- Wo ist der Gott, der gnädig mich befreit?
- Erleuchtung! Kann mich Frömmigkeit noch retten,
- So frequentier' ich gern die heiligen Stätten.
-
- Er tat's. Fort von den Philosophen ging er
- Stracks zu den Priestern: und mit offner Hand,
- Als Tempelspender und als Opferbringer;
- Bei allen Göttern ward er Supplikant.
- Kaum hatte Raum der riesige Opferzwinger
- Für all das Vieh, von Gelasim gesandt.
- Die Priester lächelten: Kein Menschenmagen
- Kann eines Mimen Frömmigkeit ertragen.
-
- Jedoch gewährten sie ihm alle Gnaden
- Der Götter, die er flehentlich erbat.
- Er durfte sich im Venustempel baden;
- Des Zeus Orakel gab ihm dunklen Rat;
- Er aß, zuviel beinah, geweihte Fladen;
- Trug Amulette im Sakralformat.
- Half alles nichts. Es blieb die alte Leier:
- In seinem Herzen brauten Nebelschleier.
-
- Da, eines Tags, nach endlos langer Probe
- Zu einem neuen Stücke, kam zu ihm,
- Bescheiden wartend vor der Garderobe,
- Ein junges Mädchen, flüsternd: »Gelasim!
- Lies dieses Buch, zu Jesu Christi Lobe
- Verfaßt vom Patriarchen Joachim!«
- Der Mime dachte: Sonderbares Mädchen!
- Bringt keinen Liebesbrief -- bringt ein Traktätchen!
-
- Da war sie auch schon weg. Im Korridore
- Sah Gelasim nur einen Schleier wehn
- Aus dunkelgrauem, schwarzgesäumtem Flore.
- Er blieb betroffen eine Weile stehn.
- »Die ist doch sicher nicht aus unserem Chore ...
- So einen Flor hat man hier nie gesehn,«
- Sprach er für sich; »mir wird nicht ganz geheuer
- Bei diesem dunkelgrauen Abenteuer.«
-
- Und warf das Buch hin zu den Schminkedosen,
- Als klebe Zauber dran und dunkler Fluch
- Von unheimlichen Mächten: namenlosen.
- Und warf darüber noch ein schwarzes Tuch.
- Und ging nach Haus mit fliehenden Schritten, großen,
- Als flög, ein Schatten, hinter ihm das Buch.
- Und war bedrückt, verwirrt: umhergerissen
- Von Ahnungen, Mahnungen, wie in Finsternissen.
-
- Er warf sich hin aufs üppige Ruhebette
- (Von Baalbeks Bosheit wurde es genannt:
- ~Palaestra Gelasimusarum~); hätte
- Im Schlafe gern das Buch, den Flor gebannt.
- Doch heute war es eine Unruhstätte,
- Um die herum ein Heer Dämonen stand,
- Die bald das Buch und bald den Schleier schwangen
- Und in der Fistel: »Lies! Lies! Lies doch!« sangen.
-
- Der Mime sprang empor, und in die Tolle
- Fuhr wild die Hand, vernichtend die Frisur.
- »Ich will nicht!« schrie er auf in Grimm und Grolle,
- »Ich lese keine Pöbelliteratur!
- Kann ich nicht schlafen, lern' ich! Meine Rolle,
- Erlöse mich von dieser Sekatur!
- Der Geist der Katakomben sei vertrieben
- Vom Geist des Zeus mit scharfen Jambenhieben!«
-
- Und er versenkte sich mit heftigem Fleiße
- Ins Studium. Er lebte, was er las:
- Denn es begab sich wunderlicherweise,
- Daß seine Rolle wie ein Spiegelglas
- Den Trubel wiedergab, der ihn im Kreise
- Jetzund herumtrieb. Jede Phrase saß,
- Als hätt' er selbst sie aus sich hochgehoben,
- Christum zu lästern, Jupitern zu loben.
-
- Er hatte einen Feldherrn zu tragieren,
- Dem's, wie nicht wenigen, ergangen war,
- Daß ihn der Gattin zartes Persuadieren
- Zum Christen machte. Doch nicht ganz und gar:
- Denn, wie's im Drama kam zum Peripetieren,
- Erhob er mächtig sich wie Jovis Aar
- Und fand in höchst dramatischen Donnerwettern
- Den Weg zurück zu seinen alten Göttern.
-
- Das schmeckte! Und der Mime deklamierte
- Sich alle Wirrung aus der bangen Brust;
- Das Heer Dämonen, das ihn so torquierte,
- Hat vor den Versen auf die Flucht gemußt.
- Gelasimus der Heide triumphierte
- Zum letztenmal und glaubte selbstbewußt,
- Er selber habe wie sein Held gefunden
- Den Weg zum Heil und endlichen Gesunden.
-
- Am nächsten Morgen salbte er und schminkte
- Sich ganz wie einst. Ein strahlender Apoll
- Ging er zur Probe. Auf der Straße winkte
- Er allen Mädchen, heitrer Laune voll,
- In Blick, Bewegung, Haltung das distinkte
- Erobererair, das jeder haben soll,
- Der Frauen gefallen will und Massen lenken,
- Daß sie im Zug nach seinem Willen schwenken.
-
- Auch auf der Probe war er ganz der alte:
- Die Verse strömten wie ein Wasserfall;
- Im Volksgetümmel seine Stimme schallte
- Wie Donnerton im rauschenden Regenschwall;
- Und wie zum Kreuze er die Fäuste ballte,
- Und, wie er rief: »Zurück in deinen Stall,
- Aus dem du kamst, verzerrter Gott der Sklaven!«
- Da war's als wenn das Kreuz Blitzschläge trafen.
-
- Der Herr Direktor schloß ihn an den Busen:
- »Du hast dich wieder, o Gelasime!
- Mein teurer Freund! Ich schwör's bei allen Musen:
- So schlechthin göttlich sah ich keinen je.
- Es ist sonst gar nicht meine Art, zu schmusen,
- Doch hier erklär' ich's: gleich der Aloe
- Blüht deine Kunst jetzt, deine geniale.
- Wir spiel'n das Stück gewiß an hundert Male.«
-
- Bestürmt von Händedrücken, und von Phrasen
- Gesalbt, geölt mit allen Parfümrien
- Der Schmeichelei (den werten Mimennasen
- Das lieblichste Odeur), umsurrt, umschrien,
- Umtanzt beinah von Huldigungsekstasen,
- Vermochte unser Held sich kaum zurückzuziehn
- Zur Garderobe, wo er sich die Schminke
- Vom Antlitz wusch. -- Da drückt es auf die Klinke.
-
- Der leise Laut erschreckte ihn. Betroffen
- Sah er sich um. Doch niemand war zu sehn.
- Indes stand angelweit die Türe offen,
- Und draußen hörte einen Schritt er gehn.
- Er sprang zur Schwelle, auf der Zunge schroffen
- Verwünschungsruf. Da blieb das Herz ihm stehn:
- Drei Spannen weit vor ihm im Korridore
- Stand regungslos das Mädchen mit dem Flore.
-
- Welch Angesicht! Die stygische Proserpine,
- Rückwärts den Blick gewandt zum Vaterhaus,
- Erschütterte nicht so durch Blick und Miene,
- Sah nicht so schmerzensvoll anmutig aus.
- »Wer bist du?« rief Gelasimus. »Ich diene
- Dir namenlos,« sprach sie, und, einen Strauß
- Aus Wüstendisteln vor ihm niederlegend,
- Verschwand sie, leis im Gehn den Flor bewegend.
-
- Der Mime bückte tief sich zu den grauen
- Staubvioletten Blüten. Kniend nahm
- Er das Geschenk, wie keines je von Frauen,
- So viel sie schon ihm schenkten, zu ihm kam.
- Und es erfüllte ihn mit Lust ein Grauen,
- Mit Wollust eine wundersame Scham.
- Er schämte sich der Freude am Applause,
- Nahm Strauß und Buch und ging bewegt nach Hause.
-
- Ich laß es hingestellt sein, ob die Worte
- Des großen Patriarchen Joachim
- Es waren, die mit Geisteskraft die Pforte
- Zum Evangeljum öffneten vor ihm.
- Genug: zu des Direktors Grimm und Torte
- Schrieb tags drauf einen Brief ihm Gelasim,
- Mit dem die Rolle ihm zurück er sandte:
- »Derlei zu spielen bin ich außerstande.«
-
- Empörung; Wüten; Rechtsanwalt; Gerichte;
- Replik; Duplik; Baalbeks »Diarium«
- Hatte nicht Raum mehr für die Weltgeschichte,
- Denn schnuppe war durchaus dem Publikum,
- Was sonst geschah. Es wünschte bloß Berichte
- Zur großen ~Lis contra Gelasimum~.
- Das Urteil kam: Der Mime ist verhalten,
- Zu spielen -- eventuell mit Brachialgewalten.
-
- Der große Tag erschien. Von zwölf Gendarmen
- Ward Gelasim zum Schauplatz eskordiert.
- Man schminkte (welche Prozedur!) den Armen
- Gewaltsam, und pervim ward dito er frisiert,
- In sein Kostüm gesteckt und ohn' Erbarmen
- Hieß es: »~Avanti!~ Und: Stichwort pariert!«
- Er dachte sich: Das alles läßt sich zwingen;
- Wer aber zwingt die Nachtigall, zu singen?
-
- Man stieß ihn auf die Bühne. Solch ein Toben
- Ward nie vernommen, wie es da erscholl.
- Die Riesenmenge hatte sich erhoben
- Und schrie ihm Willkomm. Von Verehrung schwoll
- Ein ganzes Meer ins Herz ihm. Gottes Proben
- Sind fürchterlich: Der arme Mime, toll
- Fast vom Applaus, doch innerlich in Banden
- Des Unbegreiflichen, hat furchtbar ausgestanden.
-
- Die Lippen bebten. Wie, um eine Wunde
- Zu pressen, lag auf der bewegten Brust
- Das Händepaar. Es irrten in der Runde
- Die Blicke ratlos, keines Ziels bewußt.
- Schon schwieg der Willkomm. Aus dem stummen Munde
- Der Menge drohte mitleidlos: Du mußt!
- Und dabei brodelten in seinem armen Kopfe
- Der Rolle Worte wie in einem Nudeltopfe.
-
- Wohl hätte er sie jetzt entlassen _wollen_:
- Er _konnte_ nicht. Die Zunge war ihm schwer.
- Schon hob im Publikum sich Murmeln, Grollen,
- Gewittrisch wälzte sich ein Wolkenetwas her.
- Noch ein Moment, und alle Donner rollen,
- Denn von Verehrung weiß das Volk nichts mehr,
- Wenn der Verehrte trotzt. Gleich wird es blitzen!
- Den Herrn Direktor sah man deutlich schwitzen.
-
- Da -- welche Wandlung! Wie von innren Sonnen
- Erleuchtet, öffnet Gelasim den Mund:
- Er spricht. In seinen Worten rinnen Wonnen:
- Der Feldherr tut die Seligkeiten kund
- Von Christi Lehre. Balsamüberronnen
- Fühlt sich das Publikum, bis auf den Grund
- Entzückt, erschüttert, völlig hingerissen
- Von dieser Sprache süßen Dämmernissen.
-
- Was war geschehn? Was öffnete die Tore
- Der Rede unsrem Mimen? Weiter nichts,
- Als daß er auf der mittleren Empore
- Das stille Leuchten sah des Angesichts
- Von jenem Mädchen mit dem grauen Flore.
- Doch darin war die Fülle allen Lichts
- Für seiner Seele bange Dunkelheiten:
- Geh deinen Weg! Die Gnade wird dich leiten!
-
- Und so geschah's. Er spielte nicht: er lebte
- Was in der Rolle des Bekehrten stand.
- Als ob der Heiland in ihm selber webte
- Der Dichterworte leuchtendes Gewand,
- Umfloß es ihn wie Licht, das ihn umschwebte
- Und hob und trug: In der Verheißung Land.
- Doch als die Rolle abwich von den Pfaden
- Des Kreuzes, kam die Fülle erst der Gnaden.
-
- Es war nicht einer, der die ~scène à faire~
- Des Stücks nicht aus der Zeitung schon gewußt:
- Die große Szene zu der Götter Ehre,
- In der der dumpfe Katakombenwust
- Vertrieben ward von Jovis heiligem Speere.
- Man freute sich darauf mit um so größerer Lust,
- Als man bereits die allzu süße, matte
- Kreuzlimonade etwas über hatte.
-
- Es waren ja Heiden: Heiden im Theater!
- O armer Gelasim, wie wird es dir ergehn!
- Die Gnade leuchtet dir. Jedoch an einem Krater.
- Sie mache blind dich, nicht hinabzusehn! --
- Getrost! Ein Herz war bei ihm, das zum Vater
- Der Liebe betete, ihm beizustehn.
- Wie stärkender Tau fiel in das glutverdorrte
- Herz himmelher ihm jedes ihrer Worte.
-
- Ein klarer Held, aufrecht, mit starken Schritten,
- Betrat Gelasimus den Schauplatz. Groß
- Schritt er zum schwarzen Kreuze, das inmitten
- Von unterirdischen Gräbern stand. Getos
- Heidnischen Volks bestürmte ihn mit Bitten,
- Zurückzukehren in der Götter Schoß. --
- Dies war der Auftakt. -- Stille nun. -- Dann wollte
- Die Rolle, daß dem Kreuz er fluchen sollte.
-
- Er aber kniete nieder. Und er legte
- Auf Christi Fuß die Stirne: ganz entrückt,
- Indes die Lippen im Gebet er regte.
- Dann hob das Haupt er, lächelte verzückt,
- Stand ruhig auf, schritt ruhig vor, bewegte
- Nicht eine Miene, bis er tief gebückt,
- Das Kreuz des Schwertgriffs küßte, lippenbebend,
- Die ganze Seele in den Kuß hingebend.
-
- Das Publikum, durch diese Pantomime
- Vor Staunen fast um den Verstand gebracht,
- Schwieg noch. Nur einer rief: »O Gelasime,[9]
- Was hast du mir aus meinem Stück gemacht!«
- Der Dichter war's. Doch nun, ~ottave rime~,
- Zieht euch zurück, denn das Gewitter kracht.
- Bis hierher ging es mit den steifen Stanzen,
- Jetzt aber müssen freie Rhythmen tanzen.
-
- [9] Man muß es dem Dichter zugute halten, daß er falsch betont.
- Er stammte nicht aus Rom, sondern aus Jerusalem.
-
- Wie wenn vorm ersten Stoß des nahenden Sturms die Blätter
- Von Pappelbäumen zu zittern beginnen und rascheln,
- Lief durch die Massen
- Die steinernen Gassen
- Der Sitze entlang, von den Senatoren-
- Subsellien bis zu den höchsten Emporen,
- Ein Surren und Summen,
- Ein Schurren und Brummen,
- Ein flirrendes Flüstern,
- Ein Schnauben aus Nüstern,
- Ein heißes Hauchen,
- Ein pfeifendes Pfauchen,
- Ein Schnarren und Schnarchen,
- Ein Knarren und Knarchen,
- Ein Stimmengewirre, Geschwirre, Geklirre:
- Von allerhand widrigen Tönen kurzum
- Ein höllisches Pandämonium.
-
- So stimmen im Orchester disharmonisch
- Die Instrumente Bläser, Streicher, Schläger,
- Des Mannes harrend, der als Luftdurchsäger
- Mit seinem Taktstock kommt, auf daß symphonisch
- Das Ganze werde. Doch, man weiß es ja:
- Zuweilen zeigt sich reichlich kakophonisch
- Frau Musika.
-
- Als Hofkapellmeister Seiner Majestät
- Des Publikums in diesem Fall fungierte
- Ein hagerer Priester, der den Vorsitz zierte
- In Baalbeks Sittlichkeitssozietät,
- Die nicht Moral allein in ihrem Wappen führte,
- Sondern auch Schutz der Religiosität.
- »Silentium!« krähte der Dürre schrill.
- Und gleich war's still.
-
- Sodann hub an
- Der magere Mann:
- »Verruchter Bube, was ficht dich an,
- Unsere heiligsten Güter zu verhöhnen?
- Bestellt zum Dienste der Kamönen,
- Hast das Theater du entweiht
- Zum Schauplatz scheußlichster Verkommenheit.
-
- Du hast's gewagt, dich zu bekennen
- Zu einer Lehre, die so niedrig ist,
- Daß, grauser Aberwitz, nicht auszunennen,
- Sie einen Juden namens Christ
- Als Gott verehrt, den römische Justiz
- Verurteilt hat zum Malefiz-
- Kreuzgalgen, und verehrst, was jeden Braven
- Mit Schauder packt: das Marterholz der Sklaven.
-
- Beim Zeus! Die Frechheit kann nicht weitergehn!
- Im Niedrigen das Göttliche zu sehn,
- Die ewigen, großen
- Götter vom Thron
- Herabzustoßen
- Und, Blasphemie, als Gottes Sohn
- An ihre Stelle einen Schwerverbrecher,
- Bestraft nach heiligem römischen Recht,
- Zu setzen: Was bisher auch frecher
- Anarchischer Pöbelwahn sich erfrecht:
- Dies ist der Gipfel! Seit die Welt besteht,
- Ward so der heiligen Wahrheit Majestät
- Nicht ins Gesicht gespien!
-
- (Hier machte eine Pause,
- Begierig nach Applause,
- Der orthodoxe Mann.
- Der setzte prompt und pünktlich ein
- Mit Bravorufen, Toben, Schrein.
- Doch als das Publikum genug geschrien,
- Fing er aufs neue an:)
-
- »Du liegst noch immer auf den Knien?
- Steh auf, ich sage dir, steh auf!
- Dem Trotzigen wird nicht verziehn,
- Und die Gerechtigkeit nimmt reißend schnellen Lauf,
- Stößt sie auf Störrischkeit:
- Nur wenn zur rechten Zeit
- Der Sünder in sich gehet,
- Geschied's vielleicht,
- Daß sie, erweicht,
- Wenn er recht innig flehet,
- Ihm gnädiglich verzeiht.«
- (Dies sagte er in jenem Ton,
- Der, salbenseimig, allen Pfaffen,
- Als sei ihr Mund zum Salbennapf geschaffen,
- Wie Schmalz entschwappt seit Olims Zeiten schon.)
-
- Und es ward totenstill. Das Publikum
- Zwang seine Gier zurück: aus _Spannung_ stumm,
- Nicht aus Verzicht auf das geliebte Toben.
- Die Bestie hatte schon das Prankenpaar erhoben,
- Zum Sprung gefedert lag der Rücken krumm.
- Die Tausende waren eins: _ein Vieh_ geworden.
- Und dieses Vieh, geeint aus Wut,
- War geil auf Blut
- Und leckte
- Die Lippen schon und bleckte
- Die Zähne zum ersehnten Morden.
-
- Doch dieses Ungetüm, wie wild es sah,
- Und wie sein Atem keuchte:
- Für unsern Knieer war es gar nicht da.
- Er sah nur Licht und Leuchte:
- _Ihr_ Herz: wie aus Rubinenglas
- Ein Kelch es ihm bedeuchte,
- Voll von dem Blute Golgathas.
-
- Und horch, es hob ein Zwiegesang
- Aus seinem Mund und ihrem sich,
- Geschwisterlich,
- Als wie aus einem Munde;
- Der klang nicht klagend, klang nicht bang,
- Klang selig, selig, selig, klang
- Wie zehrende Liebeskunde:
- »Mein Herzverlangen!
- Mein Armumfangen!
- Auf der Weide meiner Liebe holdseliges Lamm!
- Ich atme dich aus, ich atme dich ein,
- Du mein Morgenwind, Abendwind, Sonnenschein!
- (Er) Süße Braut, (Sie) Süßer Bräutigam,
- Von Jesus mir gegeben
- Zum bittern Tod,
- Vielsüßerm Leben!
- Halleluja!
- Der Hochzeit entgegen
- Auf blutigen Wegen
- Leidselig zu gehn,
- Gib, gib deine Hände!
- Wir werden ihn sehn:
- An Weges Ende
- Wird Jesus stehn!
- Halleluja!
- Wird Jesus stehn
- Mit seinem Hochzeitssegen.
- Jesus! Liebe!
- Jesus! Liebe!
- ~Soli Christo gloria!~«
-
- Kaum, daß der beiden Gloria verklungen,
- Hat sich ein ungeheurer Unheilston
- Dem Tausendmäulerungetüm entrungen:
- Der schwoll vom Libanon zum Antilibanon.
- Und: Die von Christus eben noch gesungen,
- War'n auch bei ihm im Paradiese schon:
- Das wilde Tier hat heulend sie erschlagen.
- Genaures wußte niemand auszusagen.
-
- Zerrissen lagen sie auf blutigem Steine:
- Ein Haufen unkenntlichen Fleischs, zerfetzt;
- _Zwei_ lebende Körper einst: als Leiche _eine_,
- Wie auf dem Hackebrett brutal zermetzt.
- Der Präsident vom Sittlichkeitsvereine
- Beklagte es tief, daß das Gesetz verletzt
- Durch Volkeseigenmächtigkeit geworden.
- Er war prinzipiell für offizielles Morden.
-
- Die Menge selber, wie sie sich gespalten
- In Individuen: keine Bestie nun,
- Nein, lauter Biederleute: ungehalten
- War sie nicht minder ob so wüstem Tun.
- Man rief entrüstet, daß die Gassen schallten:
- »Wo blieb denn unser Polizeitribun?«
- Dann lief mit roten Köpfen man nach Hause,
- Und sehr bewegt verlief die Vesperjause.
-
- Indessen senkte sich violenfarben
- Die Dämmrung nieder auf die Stadt von Stein;
- Dann kam die Nacht mit ihren Sternengarben
- Und lud zur Ruhe und zur Wollust ein;
- Die bunten Lupanarlaternen warben
- Wie jede Nacht zur Liebe und zum Wein,
- Und mancher starke Geist, in Liebeshitze,
- Verübte auf die toten Christenschweine Witze.
-
- So ist das Leben. Bis im Grab wir liegen,
- Beschreiten eine Erde wir aus Dreck.
- Nur die Gedanken und Gefühle fliegen.
- Hermann Conradi proklamierte keck:
- »Nur wer das Leben überstinkt, wird siegen!«
- Doch, frag' ich: hat dies Siegen einen Zweck?
- Ist, recht besehn, die blutige Martyrkrone,
- Gleichviel um was, am Ende doch nicht ohne?
-
- Wie wird das Leben heute überstunken!
- So siegreich, daß uns Übelkeit erfaßt.
- Gestank, du siegst! Die Welt ist jauchetrunken.
- Ihr Gott heißt Bauch, ihr Gottesdienst heißt Mast.
- Geheimnisvoll bedienen uns die Funken
- Der Ätherkraft. Jedoch es scheint verpaßt
- Der Anschluß an die höchste Hochspannleitung.
- Sogar Begeisterung stinkt: stinkt nach der Zeitung.
-
- Genug davon! Mich als Savonarola
- Hier aufzuspielen, liegt mir völlig fern.
- Ich hasse ihn. Auch zieh' ich Emil Zola
- Dem großen Frenssen doch noch vor. Die Herrn,
- Die zum Erbrechen auf der Pianola
- Choräle treten, schlecht und subaltern,
- Beleidigen mein Geruchsorgan nicht minder,
- Als jene Bauchlakain im Glanzzylinder.
-
- Sie preisen Christum hunderttausendzeilig;
- Ihr Tintenfinger weist auf ihn verzückt;
- Und, weil sie quabblig weich wie Laich und langeweilig,
- Hat sie der deutsche Ernst mit Ruhmsalat geschmückt.
- Erschien ihr Herr und Heiland heute: eilig
- Erklärte dies Geschlecht ihn für verrückt.
- Er aber nähme an den weißen Bäffchen
- Unsänftlich diese Wonnewinseläffchen.
-
- Er war die Liebe. Ja. Doch nicht die laue,
- Die spülichtduldsam in den Pfaffentrog
- Jedweden Quark befördert; nicht die schlaue,
- Die bald als Zepter schlug, bald sich wie Binse bog:
- Die zornige Liebe war er, Schwert und Klaue
- Der Waffenlosen; kurz: kein Theolog.
- Doch, weil er wirklich himmelgroß gewesen,
- Läßt sich aus seiner Lehre alles lesen.
-
- Auch unser liebes Christentum. Wer immer
- Sich Christ nennt, tut's mit Recht. Es ruht auf ihm,
- Wie könnt' es anders sein, ein kleiner Schimmer
- Aus Jesu Herzen. Völlig legitim
- Ist dieser Titel. Wird er Herzensstimmer
- Zu Rausch und Aufschwung, wie bei Gelasim,
- So ist er mehr: Ist Geist von Christi Geiste,
- Und sei auch Wahn dabei das allermeiste.
-
- Wahn!? Was ist Wahn! Was so im Menschen zündet,
- Daß er zur Flamme wird, die sich verzehrt;
- Zum Glutstrom, der aus seliger Freiheit mündet
- Ins All, ins Nichts; von keiner Angst beschwert,
- Durch Tat das Wort: Wo ist dein Stachel, Tod? verkündet --
- Ist mehr als alle faule Wahrheit wert.
- Schwer ist das Sterben. Wer's als Meister leistet:
- Den Tod zur Kunst macht, der ist gottdurchgeistet.
-
- So ward ein Mime heilig, weil am Ende
- Von vieler Eitelkeit und Narretei
- Sein Leben er wie eine Opferspende
- An Gott gab. Ganz egal, ob der der rechte sei,
- Ob ein Idol gewesen. Seine Hände
- Wusch Herr Pilatus, dem das Volksgeschrei
- Wie aufgewirbelter Schmutz vorkam, und fragte,
- Worauf kein Gott: jedoch die Zeit bald Antwort sagte.
-
- _Wahr ist, was wirkt._ Der große Baal war Wahrheit;
- Der große Zeus desgleichen; Jahve auch;
- Und Christus, kommend aus der großen Klarheit,
- Das jene tot, hat mit der Liebe Hauch,
- Der problematischen, in Offenbarheit
- Ins Nichts vertrieben ihrer Opfer Rauch.
- _Wahr ist der Geist, der wirkend souveräne._
- Dogma ist Aas. Wer liebt das? Die Hyäne.
-
- Gelasimus, den heiligen Mimen, haben
- Die Christen Baalbeks noch in gleicher Nacht
- In Mariamna feierlich begraben.
- Auch jene haben sie dorthin gebracht,
- Die ihn erfüllte mit des Glaubens Gaben.
- Doch ihres Namens wurde nicht gedacht.
- Vergessen ist sie: eine Namenlose.
- Denn Gelasim besaß die größere Pose.
-
- So schließt denn leider diese Novellette
- Moralisch zwar, doch etwas angeeckt:
- Selbst in Legenden geht's wie beim Ballette
- Nicht nach Verdienst bloß zu, nein, nach Effekt:
- Wer vorne tanzt, der nur wird vom Parkette
- Beopernguckt und mit Applaus bedeckt.
- Ob Heiligen-, ob braune Kassenscheine:
- Die Hintergrundtalente kriegen keine.
-
- Gleichviel: Jungfrauen mit der Gloriole
- Gibt's ohnehin schon eine große Schar,
- Indes ein Mime mit der Tänzersohle
- Als Heiliger ein großes Novum war:
- Die Kirche brauchte ihn zum Seelenwohle
- Der Mimenschaft, die, wäre sie heiligenbar,
- Am Ende in Verlegenheiten käme,
- Wen sie beim Herrgott sich zum Fürsprech nähme.
-
- Zwar sagt man, daß sie nicht sehr häufig beten,
- Die untenher das Licht der Rampe trifft,
- Daß sie, gottloser fast noch als Poeten,
- Voll sind von aller Skeptizismen Gift.
- Das ist Verleumdung: Fehlen die Moneten,
- Ist man viel frömmer als im Damenstift,
- Im Reich der Schminke. Und sie fehlen häufig:
- Drum ist den Mimen Beten sehr geläufig.
-
- Wenn sich der Monat neigt zum kahlen Ende,
- Hat Gelasim unendlich viel zu tun,
- Am Anfang weniger. Dann läßt die Hände
- Gemütlich er im heiligen Schoße ruhn
- Und überdenkt die eigene Legende:
- Es ist, wie's war, war ehedem, wie nun:
- Der Mensch hat's mit dem Beten nicht sehr eilig --
- Ich wurde selbst auch Ultimo erst heilig.
-
-
-
-
-Gedichte.
-
-
-Flußfahrt im Frühling
-
- Welch ein Ziehen! Welch ein Gleiten!
- Zwischen Schilf und alten Weiden,
- Die sich beugen, die sich neigen,
- Fahren wir -- wohin? ... wohin?
- Laßt das Fragen! Laßt uns schweigen!
- Welle mag den Weg uns zeigen,
- Führerin und Trägerin.
-
- Wie im Leben hingetrieben,
- Schwankend, schwebend, fortgezogen,
- Wollen wir des Flusses Bogen
- Träumend folgen und ihn lieben,
- Der uns so ins Weite trägt.
-
- -- Wird es helle sein am Ziele?
- Dunkel? -- Wehe dem, der frägt!
- Fragen gibt es allzuviele,
- Antwort eine nur. -- Es regt
- Hohl sich unter unserm Kiele.
-
- Laßt um unsere heißen Hände
- Diese kühlen Fluten streichen.
- Nixenseelchen, nehmt's als Zeichen
- Unserer stillen Liebe an!
- -- Ach, wen eure Liebe fände:
- Tiefstes wüßte wohl der Mann ...
- Doch er schwiege bis ans Ende.
-
- Aber wir ... nein! --: Laßt uns sagen,
- Was durch unsre Seele geht!
- Wind und Wasser sollen's tragen,
- Daß es durch den Frühling weht:
- Frisches, fröhliches Behagen,
- Lust am Nachten und am Tagen
- Leben, das in Blüten steht.
-
-
-Der stille alte Goethe.
-
- Auf meinem grünen Kachelofen in meinem grünen Schlafkabinette,
- Schräg gegenüber meinem gelben Messingbette,
- Steht Christian Rauchs kleine Goethestatuette.
- Von der grünen Tapete bekommt sie einen grünen Schein.
- Sie ist bloß aus Gips, und Frau Lisette
- Findet, daß sie kein Verhältnis zum Ofen hätte:
- Sie sei zu klein.
- Aber, seh ich sie an, fällt mir allerhand ein,
- Was ich (nicht im Schlafzimmer) zu tun noch hätte:
- Der stille alte Goethe mahnt, tätig zu sein.
-
-
-Des Helden Not.
-
- Feinde ringsum!
- Hör, wie sie toben!
- Unten und oben
- Fall'n sie dich an.
- Recke dich, Mann!
- Steh nicht so stumm!
- Ach, laß sie rasen,
- Trommeln und blasen!
- Dieses Gedräue
- Bringt mich nicht um:
- Aber die Reue,
- Die macht mich stumm.
-
-
-Erde, liebe Erde ...
-
- Wie eine Blüte im Mai
- Blättert sich auf der Tag,
- Zeigt seine nackende Schönheit der Sonne.
- Sehen, o zaubrisches Glück! Gottselige Wonne,
- Dies Atmen! Der Herzensschlag!
- Schmerzen und Lüste herbei!
-
- Ich will euch ans Herz nehmen, ans Herz drücken;
- Dornen und Dolche sollen mich entzücken:
- Alles was ist, ist schön und recht.
- Erde, liebe Erde, ich bin dein Knecht.
-
-
-Südtiroler Herbst.
-
- Gelbleuchtend steht (wie Kapuzinerkresse)
- Der Latemar. Ein buntes Pantherfell
- Liegt rot-gelb-braun der Mendel um die Flanken.
- Die Rebenbogen sind von Trauben leer.
- Aus Riesenbottichen trieft rote Maische,
- Von feisten Rindern langsam heimgeführt
- Zum kühlen Keller auf staubweißen Straßen,
- Vorbei an Kruzifixen wunderlich geschmückt:
- Dort wo die Nägel durch die Heilandshände
- Kalt in das schwarze Marterholz sich bohren,
- Hängt, rechts und links dem vorgesenkten Haupte,
- Prall, Beer' an Beere innig so gedrängt,
- Als sei es _eine_ ungeheure Frucht:
- Je eine schwere Traube. Durch die Krone
- Von Dornen windet sich, Korallen gleich,
- Aus Vogelbeeren eine rote Kette,
- Und dunkelgelbe Kolben Türkenkorns
- Umrahmen samengolden diesen Gott
- Des liebehingegebenen Schmerzenglücks.
- Es ist, als wär' es ein verstellter Pan.
-
-
-Erzählung.
-
- Ein Mädchen besaß ich, fein wie ein Figürchen
- Auf Rokokotischen galanter Marquisen;
- Es war wohl auch wirklich verwandt mit diesen:
- Halb war es ein Nobelchen, halb ein Hürchen.
-
- Ich fand sie entzückend mit ihrem Geschwänzel,
- Getrippel, Geäugel, Gelächel, Geplapper.
- Ich war so ein junger mutwilliger Tapper,
- Mein Gehen war auch noch Gehüpf und Getänzel.
-
- Auch war ich ein Träumer und Wolkenbeschauer;
- Ich sah um die Dinge noch goldene Ränder.
- Der Mond war mein Krongut; in meinem Kalender
- Hatte der Frühling zwölf Monate Dauer.
-
- So waren wir also ein passendes Pärchen.
- Sie tanzte, ich dichtete, Gott blies die Flöte
- Und freute sich selber der purpurnen Röte
- Des Himmels, in dem wir das munterste Märchen
-
- Und aller Romane verliebtesten lebten:
- Von Träumen getragen, von Liedern belogen,
- In goldener Nußschale schwimmend auf Wogen
- Und Wolken, die rosig ins Nichts verschwebten.
-
- ... Ins Nichts verschwebten; verrannen; vergingen;
- Zerflossen, zerrissen -- ins Nichts, in die Leere ...
- Uns aber erfaßte die irdische Schwere
- Und zerrte uns nieder mit würgenden Schlingen.
-
- Da half uns kein Gott. Es verstummte die Flöte
- Des Märchenpapas und Idyllenrhapsoden.
- Wir fielen auf dornigen, steinigen Boden,
- Und zwischen uns saß eine zankende Kröte:
-
- Die kahle Enttäuschung. Es lehrte ihr Zanken
- Unlieblich uns beide einander erkennen.
- Es war wie ein Aneinanderverbrennen
- Bis tief auf den grundallerletzten Gedanken.
-
- An jenes Schmarotzen im Märchengelände. --
- Wir haben die Hand uns zum Abschied gegeben
- Wie Fremde. Nie sah ich sie wieder im Leben.
- Und kännte sie nicht, auch wenn ich sie fände.
-
-
-Der Verliebte.
-
- Was mir Busch und Bäume sagen
- Und die Blumen bunt und licht,
- Ach, ich muß es in mir tragen,
- Weitersagen darf ich's nicht.
-
- Denn ich müßte tief verzagen,
- Fänd' es gute Stätte nicht,
- Was mir Busch und Bäume sagen
- Und die Blumen bunt und licht.
-
-
-Seele!
-
- Singe, solange du Atem hast!
- Singe, solange du Seele bist!
- Einst, es naht sich der Würger schon,
- Ringst du ein letztes Mal nach Luft,
- Und deine Seele gehört
- Dir nicht mehr. Wer weiß
- Wem.
-
-
-Grabschrift für meinen Vater.
-
- Ein Herz, das viel gelitten,
- Ein Mund, der gern gelacht,
- Ein Kämpfer, der gestritten
- Mit böser Übermacht,
- Ein Mann mit regen Händen,
- Ein guter, treuer Mann:
- Wohl Dem, der wie Er enden
- Mit reiner Seele kann.
-
-
-Lyrikerasten.
-
- Sahst du, o Freund, die holden Knaben,
- Die an der Kranzler-Ecke stehn,
- Aus Seide rote Schlipse haben
- Und lächelnd auf und nieder gehn?
-
- Sie spitzen die gefärbten Lippen
- Und äugeln sonderbar lasziv,
- Und, kommst du ihnen nah, so tippen
- Sie dich wohl an und legen schief
-
- Das Köpfchen mit gebrannten Haaren,
- Und ihre Blicke himmeln dich
- Sehnsüchtig an. Kurz, ihr Gebaren
- Ist immerhin absonderlich.
-
- _Abscheulich_, meinst du? Laß das Zanken!
- Es ist nicht schön; ich geb' es zu;
- Wir wollen unserm Schöpfer danken,
- Daß wir nicht so sind, ich und du;
-
- Doch nicht uns besser dünken, meinen,
- Es müßten alle sein wie wir.
- Hat nun die Liebe mehr als _einen_
- Ausweg -- jenun: so gönn' ihn ihr.
-
- Selbst das muß man mit Gleichmut tragen,
- Daß derlei Knaben (es ist bös)
- Auf ihre Art die Leier schlagen,
- So scheußlich süß, so sirupös,
-
- Und daß es Mode wird, zu schminken
- Die Lippen selbst der Poesie.
- Auch diese Mode wird versinken,
- Absurditäten dauern nie.
-
- Das Zeug schmeckt bald auch denen fade,
- Die jetzt dran schlecken: Zuckerkant,
- Lakritzensaft und Limonade
- Wird auf die Dauer degoutant.
-
-
-Schwein und Pfau (Eine fatale Fabel).
-
- Es war einmal ein
- -- Hastunichgesehn! --
- Es war einmal ein Schwein.
- Das war gewöhnlich
- -- Hastunichgesehn! --
- Gewöhnlich nicht sehr rein.
-
- Im gleichen Hofe
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Da schlug sein Rad ein Pfau;
- Der war so schön wie
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Nicht einmal seine Frau.
-
- Das Schwein das grunzte
- -- Hastunichgesehn! --
- Und wälzte sich im Dreck.
- Der Pfau der kreischte
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Und sah beleidigt weg.
-
- Da kam ein Fleischer
- -- Hastunichgesehn! --
- Und schlachtete das Schwein.
- Das kommt davon, sprach
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Der Pfau, wenn man nicht rein.
-
- Mir kann so etwas
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Mein Lebtag nicht geschehn,
- Weil ich so rein und
- -- Herrgottnocheinmal! --
- So schön bin anzusehn.
-
- Da kam ein Bauer
- -- Hastunichgesehn! --
- Und riß dem armen Vieh
- Die Federn aus, daß
- -- Herrgottnocheinmal! --
- Es wie am Spieße schrie.
-
- Die Fabel lehrt uns,
- -- Leider ist es wahr! --
- Das Leben ist nicht fein.
- Der Dreck macht fett, doch
- -- Leider ist es wahr! --
- Schlachtet man drum das Schwein.
-
- Doch Schönheit leidet
- -- Leider ist es wahr! --
- Viel mehr als Todespein.
- Sie wird lebendig
- -- Leider ist es wahr! --
- Gerupft, weil sie zu rein.
-
-
-Wegweiser.
-
- Folg dir in dich!
- Und wenn du auch erschrickst
- Vor den Gestalten, die du dort erblickst:
- Folg dir in dich!
-
- Hast du nur dich
- Und hältst du dich recht fest,
- So bist du stark, ob alles dich verläßt:
- Hast du nur dich!
-
-
-Gott sei Dank!
-
- Viele Feinde hab' ich,
- Gott sei Dank!
- Manche Maulschell' gab ich,
- Gott sei Dank!
-
- Manchen Puff bekam ich,
- Gott sei Dank!
- Manchen Graben nahm ich,
- Gott sei Dank!
-
- Selten nur mal fiel ich,
- Gott sei Dank!
- Will ich treffen, ziel' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Schönes, o, das seh' ich,
- Gott sei Dank!
- Stinkt es wo, da geh' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Wie ich lebe, leb' ich,
- Gott sei Dank!
- Will ich nehmen, geb' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Irrtum den beklag' ich,
- Gott sei Dank!
- Meine Fehler trag' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Größe respektier' ich,
- Gott sei Dank!
- Dünkel ignorier' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Witzigen Tadel leid' ich,
- Gott sei Dank!
- Plumpes Lob vermeid' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Was mich fördert, lern' ich,
- Gott sei Dank!
- Leeres Stroh entfern' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Wer mich kränkt, den kränk' ich,
- Gott sei Dank!
- Wer mir schenkt, dem schenk' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Schwächliches bereu' ich,
- Gott sei Dank!
- Starkem halte Treu' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meine Frau verehr' ich,
- Gott sei Dank!
- Von ihrer Liebe zehr' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meine Gaben pfleg' ich,
- Gott sei Dank!
- Auch die Triebe heg' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Viele Lüste büßt' ich,
- Gott sei Dank!
- Laster die versüßt' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meine Kunst, die kann ich,
- Gott sei Dank!
- Halbem Glück entrann ich,
- Gott sei Dank!
-
- Dumpfes Sehnen haß ich,
- Gott sei Dank!
- Den Moment erfaß ich,
- Gott sei Dank!
-
- Fiel ich mal: bald stand ich,
- Gott sei Dank!
- Stets mich wieder fand ich,
- Gott sei Dank!
-
- Manchen Unsinn trieb ich,
- Gott sei Dank!
- Manchen Lufthieb hieb ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meinen Sinnen trau' ich,
- Gott sei Dank!
- Auf meinen Glauben bau' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meinem Freund gehör' ich,
- Gott sei Dank!
- Auf die Freundschaft schwör' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Meine Feinde haß ich,
- Gott sei Dank!
- Falsche Freunde laß ich,
- Gott sei Dank!
-
- Echte Hoheit krön' ich,
- Gott sei Dank!
- Gerngroßtum verhöhn' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Ruhe, Klarheit such' ich,
- Gott sei Dank!
- Aller Trübe fluch' ich,
- Gott sei Dank!
-
- Viele Verse mach' ich,
- Gott sei Dank!
- Schimpft man drüber, lach' ich,
- Gott sei Dank!
-
-
-Unser Schloß.
-
- Ich träumte mich in einen tiefen Wald ...
- Ich wanderte dem Lied der Vögel nach;
- Auf schmalen Wegen über Wurzeln weg
- Schritt ich und strauchelte doch nie: es war
- Im Gehn ein Schweben. -- Eine Stimme sang
- Ganz leise in mir: Siehe, heute noch
- Bist du zu Hause ... Immer grüner ward
- Es rings um mich, und alles fiel von mir,
- Das mich bebürdet. Und der Welt Geräusch
- Verhallte hinter mir. Die Vögel selbst
- Verstummten. Nur das leise Wipfelwehn
- Umrauschte mich: dies süße Schlummerlied
- Der großen Stille, das die Träume ruft,
- Die samtenen Nachtfalter: braun und schwarz
- Mit goldenen Fühlern, die wie Palmen sind
- Aus seidenen Rispen, und mit blinden Augen,
- Die mehr erblicken, als jemals der Tag
- In seiner harten Grelle zeigt ... Da stand
- Ein kleines Schloß an einem Teich vor mir.
- Drei große schwarze Schwäne glitten sanft
- Auf seinem Spiegel, drauf der Abendschein
- Gelb lag gleich einem welken Rosenblatt.
- Das Schloß war ganz aus amethystnem Quarz,
- Violenblau, goldäderig, gebaut;
- Die Türen bronzen, grünlich-schwarz: als Schild
- Das Bild der Sonne drauf: _Ihr_ Bild, die mich
- (Ich fühlt' es nun) in diesen Zauber rief.
- --: Wo bist du? sagt' ich leise vor mich hin.
- --: Lädst du mich ein in unser Glück, das wir,
- In unsrer Herzen Gleichklang wortelos
- Uns ganz verstehend, Tag für Tag
- Aufrecht im Glauben suchen: niemals ganz
- Verzagend, ob auch manches Mal
- Im Düster irrend: -- hast du mir erbaut
- Dies Schloß aus hellem Gold und Veilchenblau?
- -- Da taten sich die Bronzeflügel auf,
- Den Sonnenschild zerteilend, und sie stand:
- Minerva mit dem Speere, im Geviert
- Des hohen Eingangs, aber lächelnd wie
- Die Liebesgöttin und die Mutter Gottes da:
- Und ihre Blicke überstrahlten mich
- Wie aller Menschenliebe Inbegriff.
-
-
-Die Reise ohne Fahrplan.
-
- In diese rätselhafte Welt
- Sind wir alle als Rätsel gestellt;
- Bilden Scharaden.
- Wer sucht den Sinn, wer findet Verstand
- In diesem wimmelnden Allerhand?
- Wer kann uns erraten?
-
- Wir selber? Kaum. Wir tauschen nichts als Zeichen,
- Andeutungen geheimnisvoller Art;
- Ziehn uns Signale auf und stellen Weichen,
- Daß keiner stören mag des andern Fahrt,
- Die ach auf sträflich unsoliden Speichen
- Uns an ein Loch führt, keinem noch erspart:
- An den bekannten Tunneleingang, der,
- Wenn wir es könnten, längst vermauert wär'.
-
- Vielleicht studiert ein Gott das wirre Wesen,
- Wie ein Professor dies und das studiert:
- Bakterien, unters Mikroskop gelesen;
- Zahlenkolumnen, mächtig aufmarschiert;
- Vokabeln eines Dichters; welche Spesen
- Im Haushalt der Natur die Kraft summiert.
- Wer weiß, was einen Gott dran interessiert, --
- Bis er, gelangweilt, mit dem Sturmesbesen
- Das rätselhafte Zeug beiseite wischt:
- Daß Laus wie Elefant zugleich verschwinden,
- Die ganze Weltgeschichte Kehricht ist,
- Napoleon nicht und Goethe mehr zu finden
- Im großen schwarzen Weltentintengischt,
- Durch das die Zeit sich ruhig weiterfrißt.
-
- Doch kann's auch sein: Es kennt die Hieroglyphen
- Der Irgendwer, der diese Rätsel schrieb,
- Die nebenbei auch uns ins Leben riefen.
- Wer weiß, vielleicht sind wir ihm wirklich lieb,
- Und, was uns weh tut, jeder Schicksalshieb,
- Will uns, prost Mahlzeit, will uns bloß vertiefen.
- Es kann ja sein. Was kann nicht sein auf Erden?
- Wir können in der Tat noch alle Engel werden.
-
- Weiß Gott: Gott weiß es! Unser ist allein
- Die Pflicht, ihm ein gefüger Stoff zu sein,
- Auf daß uns selbst die wunderliche Erde
- Kein Nadelkissen oder Kantenstein,
- Sondern ein Garten voller Früchte werde.
- Und geht es dann ins Tunnelloch hinein,
- Soll wenigstens die Lebewohlgebärde
- Den weiter Rätselnden kein schlechter Anblick sein.
-
-
- Ende.
-
-
-
-
-Reife Früchte vom Bierbaum.
-
-Inhalt.
-
-
- Seite
-
- Einleitung 3
-
- Skizze zum Porträt eines guten Bekannten von mir 19
-
- Yankeedoodle-Fahrt 27
-
- Die Liaisons der schönen Sara 52
-
- Samalio Pardulus 90
-
- Annemargret und die drei Junggesellen 131
-
- Der mutige Revierförster 157
-
- Der heilige Mime 169
-
- Gedichte:
-
- Flußfahrt im Frühling 191
-
- Der stille alte Goethe 192
-
- Des Helden Not 192
-
- Erde, liebe Erde 193
-
- Südtiroler Herbst 193
-
- Erzählung 194
-
- Der Verliebte 195
-
- Seele! 196
-
- Grabschrift für meinen Vater 196
-
- Lyrikerasten 196
-
- Schwein und Pfau (Eine fatale Fabel) 197
-
- Wegweiser 199
-
- Gott sei Dank! 199
-
- Unser Schloß 203
-
- Die Reise ohne Fahrplan 204
-
-
-
-
-Von Otto Julius Bierbaum erschienen folgende Werke:
-
-
-Lyrik:
-
- Erlebte Gedichte. Gustav Schuhr Verlag, Berlin, 1892. Jetzt im
- Inselverlag Leipzig.
-
- Nehmt, Frouwe, diesen Kranz. Gustav Schuhr, Berlin, 1894. Jetzt
- Inselverlag.
-
- Irrgarten der Liebe (34. Tausend). Inselverlag, 1901.
-
- Dann als »Neubestellter Irrgarten der Liebe«. (Neu angeordnet
- und vermehrt). Ders. Verlag, 1906. (35. bis 40. Tausend.)
-
- Das seidene Buch. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1903.
-
- Maultrommel und Flöte. Georg Müller, München 1907.
-
-
-Erzählendes:
-
- Studentenbeichten. Novellen. Schuster u. Loeffler, Berlin, 1.
- Reihe 1891, 2. Reihe 1897. (1. Reihe 8. Aufl., 2. Reihe 6.
- Aufl.)
-
- Die Schlangendame. Novelle. Derselbe Verlag, 1893. (6. Aufl.)
-
- Die Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen
- Herrn Pankrazius Graunzer. Ders. Verlag, 1895. (6. Aufl.)
-
- Stilpe. Roman aus der Froschperspektive. Derselbe Verlag, 1897.
- (8. Aufl.)
-
- Das schöne Mädchen von Pao. Chinesischer Roman. Derselbe
- Verlag, 1899. (3. Aufl.) (Große Künstlerausgabe mit
- Illustrationen von B. Lyers, 1909, im Verlage von Georg
- Müller.)
-
- Kaktus. Künstlergeschichten. (3. Aufl.) Derselbe Verlag, 1899.
-
- Annemargret und die drei Junggesellen. Novellen. Inselverlag,
- Leipzig, 1902. (Vergriffen; zum Teil übernommen in die
- »Sonderbaren Geschichten«.)
-
- Die Haare der heiligen Fringilla und andere Geschichten. Albert
- Langen, München, 1903. (Verschiedentlich neu aufgelegt.)
-
- Das höllische Automobil. Novellen. Wiener Verlag, Wien,
- 1904. (Vergriffen; zum Teil übernommen in die »Sonderbaren
- Geschichten«.)
-
- Zäpfel Kerns Abenteuer. Kinderbuch. Georg Müller, München,
- 1906. Jetzt bei Schaffstein & Co., Köln. (Neue Aufl. 1910.)
-
- Prinz Kuckuck. Zeitroman in 3 Bdn. Georg Müller, München,
- 1906/07. 12. Aufl.
-
- Sonderbare Geschichten. 3 Bde. Derselbe Verlag, 1908.
-
-
-Dramatisches:
-
- Lobetanz. Bühnenspiel für Musik (komp. von L. Thuille).
- Genossenschaft »Pan«, Berlin, dann Schuster & Loeffler,
- Berlin, 1895, jetzt Georg Müller, München.
-
- Gugeline. Bühnenspiel für Musik (komp. von L. Thuille).
- Inselverlag, Leipzig, 1899.
-
- Pan im Busch. Tanzspiel (komp. v. Felix Mottl). Inselverlag,
- 1899.
-
- Stella und Antonie. Schauspiel. Albert Langen München, 1903.
-
- Die vernarrte Prinzeß (komp. von O. von Chelius). Derselbe
- Verlag, 1904.
-
- Zwei Stilpekomödien. (Das Cénacle der Maulesel und die
- Schlangendame.) Georg Müller, München, 1905.
-
- Zwei Münchener Faschingsspiele (Fastnachts-Festspiele.) Albert
- Langen, München, 1905.
-
- Der Bräutigam wider Willen. (Komödie nach Dostojewski.) Wiener
- Verlag, Wien, 1906.
-
- Der Musenkrieg. Studentenkomödie für Musik. Karl Curtius,
- Berlin, 1907.
-
-
-Kritisches:
-
- Die zweite Münchener Jahresausstellung Arnold Böcklin. ~Dr.~ E.
- Albert & Co., München, 1890/91, vergriffen.
-
- Detlev von Liliencron. Wilh. Friedrich, Leipzig, 1892,
- vergriffen.
-
- Fritz von Uhde. ~Dr.~ E. Albert & Co., München, 1893,
- vergriffen.
-
- Franz Stuck (Prachtwerk). Derselbe Verlag, 1893, vergriffen.
-
- Aus beiden Lagern. Über das erste Ausstellungsjahr in München.
- Karl Schüler, München, 1893, vergriffen.
-
- Franz Stuck. In der Monographienreihe von Velhagen & Klasing,
- Bielefeld, 1899. (Neue Auflage 1909.)
-
- Hans Thoma. In der »Kunst« von Marquardt & Co., Berlin, 1903.
- (3. Aufl. 1909.)
-
- Fritz v. Uhde. In der »Kunst unserer Zeit«. Hanfstängl,
- München, 1905, als Buch gänzlich umgearbeitet bei Georg
- Müller, 1908.
-
- Liliencron. Ein Essaybuch. Verlag von Georg Müller, München.
-
-
-Verschiedenes:
-
- Der bunte Vogel von 1897. Kalenderbuch, Gedichte und allerhand
- Prosa. Schuster & Loeffler, Berlin, 1896, jetzt Georg Müller,
- München.
-
- Der bunte Vogel von 1899. Derselbe Verlag, 1898, jetzt Georg
- Müller, München.
-
- Eine empfindsame Reise im Automobil. Reiseberichte. Marquardt &
- Co., Berlin, 1903.
-
- Dasselbe, erweitert unter dem Titel »Mit der Kraft«. Derselbe
- Verlag, 1906.
-
- Die Yankeedoodle-Fahrt und andere Reisegeschichten. Georg
- Müller, München, 1910.
-
-
-Demnächst erscheint:
-
- Fortuna. Ein Abenteuer in 5 Akten (mit Königsbrun-Schaup).
- Verlag von Georg Müller, München.
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
- Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-
- Korrekturen:
-
- S. 21: achaische → archaische
- Mozart, {archaische} Skulpturen
-
- S. 101: Mißgestalten → Mißgestalteten
- dieses Nachtkonzert der Unholde dem {Mißgestalteten}
-
- S. 185: sehrende → zehrende
- Wie {zehrende} Liebeskunde
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Reife Früchte vom Bierbaum, by Otto Julius Bierbaum
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REIFE FRÜCHTE VOM BIERBAUM ***
-
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-Updated editions will replace the previous one--the old editions
-will be renamed.
-
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-set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
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-such as creation of derivative works, reports, performances and
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-and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
-works. See paragraph 1.E below.
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-or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
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- The Project Gutenberg eBook of Reife Früchte vom Bierbaum, by Otto Julius Bierbaum.
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-<body>
-
-
-<pre>
-
-Project Gutenberg's Reife Früchte vom Bierbaum, by Otto Julius Bierbaum
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
-almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
-re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
-with this eBook or online at www.gutenberg.org/license
-
-
-Title: Reife Früchte vom Bierbaum
-
-Author: Otto Julius Bierbaum
-
-Editor: Fritz Droop
-
-Release Date: June 20, 2020 [EBook #62438]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REIFE FRÜCHTE VOM BIERBAUM ***
-
-
-
-
-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-https://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Im Original gesperrter Text ist <em class="gesperrt">so ausgezeichnet</em>.
-Im Original in Antiqua gesetzter Text ist <em class="antiqua">so markiert</em>.</p>
-
-<p>Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter">
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-</div>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/illu-001.jpg" alt="" />
-<div class="caption">
-<p class="right">
-Phot. Hugo Erfurth, Dresden.
-</p>
-</div>
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Reife Früchte<br />
-<span class="small">vom</span><br />
-<span class="x-large">Bierbaum.</span></h1>
-
-<p class="center">Aus den letzten Ernten ausgewählt und mit einem
-Vorspruch dargebracht</p>
-
-<p class="center smaller">von</p>
-
-<p class="h2">Fritz Droop.</p>
-
-<p class="center smaller">Mit einem Bildnis Otto Julius Bierbaums.</p>
-
-<p class="center larger">Leipzig</p>
-
-<p class="center">Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
-</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_3">[3]</a></span></p>
-
-<h2 id="Einleitung">Einleitung.</h2>
-</div>
-
-<p>Von Zeit zu Zeit tut uns das Lachen not, das Lachen, das
-über den Alltag erhebt, die Freude, die uns stärkt und befreit;
-es gibt keinen besseren Arzt auf der Welt als den Humor,
-keinen besseren Führer durchs Leben als die Lebensfreude!</p>
-
-<p>In der Erkenntnis dieses Grundsatzes ruht die Bedeutung
-Otto Julius Bierbaums, und wenn irgend etwas die Hoffnung
-stärken kann, daß wir wieder einer gesunderen künstlerischen Zeit
-entgegengehen, so ist es der Umschwung der öffentlichen Meinung
-zugunsten eines Liliencron, Bierbaum und Hartleben. Denn
-nicht immer war man so »tolerant«, und noch trennen uns
-keine zwei Jahrzehnte von der Zeit, da man weder von dem
-einen noch dem andern etwas wußte oder wissen wollte. Aber
-ein ungebärdiger Überschwang und eine brausende Zuversicht zu
-sich selbst gab diesen Dichtern die Kraft, sich durchzusetzen. Sie
-schlugen, wie Bierbaum in einem Aufsatz über Liliencron sich
-einmal ausdrückt, wie die Fohlen auf der Weide aus und vermieden
-es, artiger zu scheinen, als ihnen zumute war. Auf
-bürgerliche Reputation kam es ihnen durchaus nicht an, und
-sie empfanden es als eine große Genugtuung, wenn man mit
-dem Finger der Entrüstung auf sie hinwies als auf zügellose
-Frevler gegen alle Ordnung und Sitte. »Der allerorten gegen
-uns erhobene Schulmeisterbakel machte uns nur noch verwegener
-und vergnügter, und der Umstand, daß alle Argumente gegen
-uns schließlich darauf hinausliefen, uns unsere grüne Jugend
-vorzuwerfen, ließ uns eben diese, die wir als unseren Vorzug<span class="pagenum"><a id="Page_4">[4]</a></span>
-empfanden, erst recht auftrumpfen.« Sie nannten sich Realisten,
-waren aber weltfremde Feinde der Realität, Idealisten vom
-reinsten Wasser, mit so großer Vorliebe sie auch die Kunstmittel
-des Naturalismus anwandten, um als Gegensatz zum Bilde
-ihrer Sehnsucht, das rechtschaffen verschwommen war, ein Bild
-der »Wirklichkeit« zu machen, von der sie in Wirklichkeit noch
-bitter wenig Ahnung hatten. Es waren jene übermütig lebensfrohen
-Gesellen, wie Bierbaum sie in dem jüngst erschienenen
-Versbuch »Maultrommel und Flöte« so trefflich zeichnet, indem
-er sie als »junge Götter in Hemdsärmeln« singen läßt:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Setzt euch, Brüder! Trinkt und schlemmt!<br /></span>
-<span class="i0">Winken auch bloß billige Pullen,<br /></span>
-<span class="i0">Schinken-, Wurst- und Käsestullen,<br /></span>
-<span class="i0">Und das Tischtuch ist ein Hemd:<br /></span>
-<span class="i0">Setzt euch, Brüder! Trinkt und schlemmt!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Denn wir sind die Herren: Wir<br /></span>
-<span class="i0">Garnichtshaber, Garnichtswoller,<br /></span>
-<span class="i0">Garnichtssucher, Garnichtssoller.<br /></span>
-<span class="i0">König, &ndash; heb dich weg von mir!<br /></span>
-<span class="i0">Denn wir sind die Herren: Wir!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Sind die Herren Götter! Frei,<br /></span>
-<span class="i0">Wie sonst niemand ist auf Erden.<br /></span>
-<span class="i0">Sollen wir erst selig <em class="gesperrt">werden</em>?<br /></span>
-<span class="i0">Nein, wir <em class="gesperrt">sind's</em>! Hör's, Menschenbrei:<br /></span>
-<span class="i0">Sind die Herren Götter: frei!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Heute wissen wir, daß Bierbaum kein geringerer Lebenskünstler
-ist als Liliencron und erkennen es deshalb als einen
-Zug wohltuender Dankbarkeit, daß er zum Lobe des Dichters
-der »Adjutantenritte« die ehernen Worte fand: »Da
-kam Liliencron, und wir vernahmen aus seinem Munde in
-Versen von ganz der Art, um die wir rangen, Worte der Bejahung
-des Lebens ohne Sehnsucht nach Utopien, wohl aber
-verklärt durch Gesichte einer zweiten tieferen Realität: der des
-seherischen Künstlers. Zum ersten Male, und das entzückte uns<span class="pagenum"><a id="Page_5">[5]</a></span>
-besonders, sahen wir unter uns einen Dichter von ganz ursprünglicher
-und unverbildeter dichterischer Veranlagung, der kein
-Literat war, ja das Gegenteil eines Literaten, und der in seinen
-Gedichten, so voll sie der reinsten, echtesten, kräftigsten Poesie
-waren, auch nicht den Dichter hervorkehrte, dieses abstrakte X.,
-das alles individuell Menschliche verbirgt, sondern eine ganz
-deutliche Persönlichkeit bekannte. Auch wir taten uns ja etwas
-darauf zugute, daß wir, nicht selten mit mehr Selbstbewußtsein
-als Geschmack unserem dichterischen Ich deutliche Persönlichkeitszüge
-mitgaben, wenn wir es zum Mittelpunkte einer lyrischen
-Konfession machten, aber es sah dennoch fast immer recht sehr
-allgemein aus, denn, so heftig wir nach dem höchsten Gute:
-der Persönlichkeit trachteten, so wenig konnten wir es im allgemeinen
-erreicht haben, da wir zu jung dazu waren und zu
-wenig wirklich erlebt hatten. Auch waren wir zu ausschließlich
-Dichter und betonten diesen Umstand sogar als etwas, das uns
-auszeichnete, &ndash; eigentlich ganz wie die von uns so sehr geschmähten
-›Alten‹, die es nur in anderer Manier und aus
-anderen Gründen taten.«</p>
-
-<p>Bereits vor zwanzig Jahren durfte er seine ersten Lorbeeren
-pflücken, als er mit seinen warmherzigen und geistvollen Abhandlungen
-über Arnold Böcklin, Detlev von Liliencron, Fritz
-von Uhde und Franz Stuck die Kreise der Künstler und Literaten
-entzückte. Außerhalb dieser Kreise war sein Name zunächst noch
-wenig bekannt, und erst die »Studentenbeichten« trugen seinen
-Ruhm hinaus auf den Markt, bis ihn der »Irrgarten der Liebe«
-und die vornehme Auswahl des »Seidenen Buches« geradezu
-volkstümlich machten. Jedenfalls gehört Bierbaum heute zu
-den meist- und bestkomponierten unter den lebenden Lyrikern;
-es sei nur an die Kompositionen von Richard Strauß und Max
-Reger oder an das vielgesungene Lied »Sommernacht« in der
-genialen Vertonung des Königsberger Kapellmeisters Paul
-Scheinpflug erinnert:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_6">[6]</a></span></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i2">Laue Sommernacht; am Himmel<br /></span>
-<span class="i0">Stand kein Stern; im weiten Walde<br /></span>
-<span class="i0">Suchten wir uns tief im Dunkel,<br /></span>
-<span class="i0">Und wir fanden uns.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i2">Fanden uns im tiefen Walde<br /></span>
-<span class="i0">In der Nacht, der sternenlosen,<br /></span>
-<span class="i0">Hielten staunend uns im Arme<br /></span>
-<span class="i0">In der dunklen Nacht.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i2">War nicht unser ganzes Leben<br /></span>
-<span class="i0">So ein Tappen, so ein Suchen?<br /></span>
-<span class="i0">Da: in seine Finsternisse,<br /></span>
-<span class="i0">Liebe, fiel dein Licht.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Bierbaums Gedichte, Lieder und Sprüche haben fast durchweg
-etwas Schlichtes, Natürliches, etwas Einschmeichelndes und
-Herzgewinnendes, wie es unser Volk liebt; und wenn seine
-Versbücher auch eine Menge leichter Tändeleien mit sich führen,
-so enthalten sie doch alle eine stattliche Anzahl Gedichte, über denen
-ein wirklich echter, zarter Duft von Grazie und Anmut liegt.</p>
-
-<p>Mit dem Schauspiel »Stella und Antonie« betrat der Dichter
-zum ersten Male den dornenreichen Pfad des Dramatikers.
-Das Stück, das an den vornehmsten deutschen Bühnen wiederholt
-mit glänzendem Erfolge aufgeführt worden ist, behandelt
-die Tragödie eines Mannes, der zwischen zwei leidenschaftliche
-Weiber gerät, von denen sich das eine an seine Sinne, das
-andere an sein Herz und seine Seele wendet; es ist der Konflikt
-zwischen der wildbegehrenden Natur und der edlen Sitte, ein
-heißer Kampf, in dem die Sitte siegt. Im Elberfelder Stadttheater
-erzielten außerdem vor einigen Jahren zwei mit allerlei
-Spitzen und Bosheiten gegen Pastor und Staatsanwalt gespickte
-»Stilpe-Komödien« einen allgemeinen Heiterkeitserfolg.
-Weiter schrieb er das graziös-tiefsinnige Märchenspiel »Lobetanz«,
-zu der Ludwig Thuille zarte lyrische Weisen fand. Er gab
-Kortums »Jobsiade« mit einer launigen Vorrede in Knittelversen
-neu heraus, schrieb eine willkommene Studie und Verteidigungsschrift<span class="pagenum"><a id="Page_7">[7]</a></span>
-über Meister Hans Thoma, dichtete als alter
-Korpsstudent aus Anlaß des Leipziger Universitätsjubiläums die
-Studentenkomödie »Der Musenkrieg« und ist Herausgeber des
-seit einigen Jahren im Verlage von Theodor Weicher (der auch
-die mit handschriftlichen Selbstbiographien der Dichter und ihren
-Porträts ausgestattete Sammlung »Deutsche Lyrik der Neuzeit«
-herausgebracht hat) in Leipzig erscheinenden Goethe-Kalenders.
-Er gründete die Monatsschrift »Insel«, gab den »Modernen
-Musenalmanach« heraus und rief mit Meier-Gräfe zusammen
-die kostbar ausgestattete Kunstzeitschrift »Pan« ins Leben. Was
-er aber auch begann, geschah in einer glücklichen Stunde, unter
-einem glücklichen Stern.</p>
-
-<p>Daß seine Muse auch dem Zuge der Zeit zu folgen wußte,
-bewies er durch die »Empfindsame Reise im Automobil«. Mit
-offenen, wachen, allen Erscheinungen des Lebens und der Natur
-zugewandten Sinnen reisen, nennt er empfindsam reisen, und
-dieses Reisen allein erscheint ihm als das wirkliche Reisen, wert
-und dazu angetan, zur Kunst erhoben zu werden. In unserer
-Zeit hat man das Reisen ja verlernt; man läßt sich transportieren.
-Bierbaums Ziel war, mit dem modernsten aller
-Fahrzeuge auf recht altmodische Weise zu reisen; sein Leitspruch
-hieß: »Lerne reisen ohne zu rasen«, und die achtzehn Briefe,
-in denen der Dichter seinen Freunden Detlev von Liliencron,
-Hans Thoma, Franz Stuck, Max Schillings, Fritz von Uhde,
-Oskar von Chelius, Ludwig Thuille und anderen berichtet, beweisen,
-daß er seinen Spruch zu beherzigen verstand. Bierbaum
-hat sehen und genießen gelernt; das ist's, was ihn ebensosehr
-zum geistvollen Plauderer und Humoristen wie zum Sittenschilderer
-und Kunstkritiker stempelt. In der soeben bei Georg
-Müller in München erschienenen »Yankeedoodle-Fahrt« hat er
-diese Fähigkeit von neuem im schönsten Lichte entwickelt.</p>
-
-<p>Eine besondere Betrachtung gebührt Otto Julius Bierbaum
-als Romancier. Was Schönheit und Weiberklugheit vermag,<span class="pagenum"><a id="Page_8">[8]</a></span>
-das erzählt Bibaomo, Baccalaureus der schönen Künste, in seinem
-Roman »Das schöne Mädchen von Pao«, in der »Schlangendame«
-geschieht nichts weniger, als daß die Serpentincancanöse
-Fräulein Paula Hollunder einen verbummelten Studenten,
-Herrn Ewald Brock, erzieht, bemuttert und nicht eher ruht, bis
-sie aus ihm einen wirklichen Doktor und ein braves und nützliches
-Mitglied der menschlichen Gesellschaft gemacht hat. Die
-landläufige Moral bekommt hier also einen argen Stoß; für
-die Überzarten, Zimperlichen, Prüden ist die »Schlangendame«
-nichts, ebensowenig wie der »Pankratius Graunzer«.</p>
-
-<p>Dasselbe gilt von »Stilpe«, dem Roman des verkommenen
-Genies, sowie von der dreibändigen Geschichte »Prinz Kuckuck,
-Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings«;
-beides Werke von ebenso groteskem Farbenspiel wie bitterem
-Ernst, aus denen nicht zuletzt der Berufserzieher eine Fülle von
-Anregungen und heilsamen Lehren ziehen kann. Was Bierbaum
-selbst über das Wesen des Romans denkt, hat er in seinem
-Widmungsbriefe an Holger Drachmann ausgedrückt, über seine
-besonderen Absichten mit dem Zeitroman »Prinz Kuckuck« sagt
-er in den von Professor Litzmann herausgegebenen Mitteilungen
-der Literarhistorischen Gesellschaft in Bonn:</p>
-
-<p>»Die Grundabsicht meiner Arbeit ist satirischer Natur, aber
-die Satire wendet sich nicht gegen bestimmte Personen, sondern
-gegen allgemeinere Zeiterscheinungen. Es lassen sich herausheben:
-Erziehungswesen, Übermenschentümlichkeit, Macht des
-Geldes (über den Besitzer wie über seine Umgebung), Rassenphrasen,
-künstlerische Galoppentwickelung, Erotomanieen aller
-Art, Snobismen auf verschiedenen Gebieten (selbst der Religion),
-Neigung zur Allüre und allem Äußerlichen. Dies alles wie
-in einem kochenden Nudeltopfe: ein ewiges Auf- und Nieder-
-und Durcheinanderwallen: eine Zeit ohne Helden und ohne
-Stil, aber mit heftig bewegter Tendenz danach.</p>
-
-<p>Insofern erscheint eine Hauptfigur mit Zügen ausgestattet,<span class="pagenum"><a id="Page_9">[9]</a></span>
-die nicht bloß individuell gedacht sind: Der Erbe, der nicht zu
-erwerben weiß, um zu besitzen. Indessen ist er doch nicht
-wesentlich als Typus angelegt, wenngleich gewisse Besonderheiten
-an ihm (so sein ›antisemitisches‹ Halbjudentum, das Zufallhafte
-seines Reichtums und damit sein Mangel an Tradition) nicht
-ohne eine Art symbolisch allgemeiner Bedeutung sind. Denn
-neben der satirischen Absicht leitete mich das Interesse an gewissen
-psychologischen Problemen und, natürlich, die Lust am
-fabulierenden Gestalten.</p>
-
-<p>Darüber aber ist nun wohl vom Verfasser nichts zu sagen.
-Erscheint das psychologische Problem, erscheinen die einzelnen Gestalten
-nicht mit aller Deutlichkeit, und entbehrt die (<em class="gesperrt">übrigens
-erfundene, nur in einzelnen Voraussetzungen der
-Anlage modifiziert dem Leben entnommene</em>) Fabel
-der Geschichte des Reizes überzeugender Anziehungskraft, so
-hilft kein Kommentar und Wegweiser des Autors über den Umstand
-weg, daß sein Werk verfehlt ist.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Im ersten Hefte des dritten Bandes ›Aus Kunst und Altertum‹
-finden sich hintereinander zwei Axiome Goethes, die auf
-meinen Roman im allgemeinen wie im besonderen passen:</p>
-
-<p>›Der Roman ist eine subjektive Epopöe, in welcher der Verfasser
-sich die Erlaubnis ausbittet, die Welt nach seiner Weise
-zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe;
-das andere wird sich schon finden.‹ Und:</p>
-
-<p>›Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind,
-in der sie sich befinden, und denen keine genug tut. Daraus entsteht
-der ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.‹</p>
-
-<p>Auf die Frage, ob ich eine Weise habe, kann nur der Roman
-selbst antworten; auf die, ob sie den anderen gefällt, nur die
-anderen; und schließlich auf die, ob sie künstlerisch wertvoll zum
-Ausdruck gebracht worden ist, mag die Kritik ihre Antwort
-geben. Ich glaube, daß Aufbau und Gliederung meiner subjektiven
-Epopöe für den ästhetischen Beurteiler literarischer<span class="pagenum"><a id="Page_10">[10]</a></span>
-Kunstwerke einiges Interesse haben werden. Bei aller Freiheit
-im einzelnen bin ich konstruktiv sehr streng zu Werke gegangen, &ndash;
-auch in Fällen, wo man mir am Ende nachsagen wird, daß
-ich mich aus reiner Lust am Fabulieren habe gehen lassen
-(z. B. in dem Zwischenstück aus dem XVIII. Jahrhundert im
-dritten Bande, das eine Art Rück- und Wiederspiegelung des
-Problems sein will). Die Vielfältigkeit des Stiles läßt sich,
-denk ich, durch die Anlage des Ganzen rechtfertigen, das ich mit
-einem weitläufigen Gebäudekomplex nach Art des bayrischen
-Nationalmuseums vergleichen möchte, das, als Ganzes eine
-ästhetische Einheit, im einzelnen die verschiedensten Stile aufweist
-(in der Architektur wie in der Inneneinrichtung). Wenn
-es mir wie Meister Gabriel von Seidl gelungen ist, mit verschiedenartigen
-Mitteln ein Gebäude aufzurichten, das dennoch
-als organisches Gebilde wirkt gleich alten Bauwerken, denen
-die Entwickelung der Zeit eine Vielfältigkeit des Stiles gegeben
-hat, ohne ihre konstruktive Einart zu verwischen, so glaube ich,
-daß der Wechsel des Duktus kein Fehler meines Romanes ist.
-Es geschah nicht aus Lust an stilistischer Spielerei, sondern stellte
-sich wie von selbst mit dem Wechsel der Szenerie, der Handlung,
-der Zeit innerhalb meiner Geschichte ein. Wäre sie (vergleichsweise)
-ein Dom, ein Palast, ein idyllisches Landhaus, so möchte
-das Nebeneinander von Stilen schwerer zu verteidigen sein.
-Sie ist aber eine Art Museum von allerhand, höflich ausgedrückt,
-Kuriositäten der Generation, zu der ich gehöre, und so durfte
-ich meiner Empfindung nach, die Geschichte der schönen Sara
-im Stile der Krinolinenzeit, die Erlebnisse des ›Helden‹ in der
-Ulrikusstraße zu Hamburg aber im Stile des Naturalismus
-vom Anfang der achtziger Jahre erzählen usw.</p>
-
-<p>Das zweite Zitat aus Goethe, das, wenn ich nicht irre, bei
-dem bekannten Spielhagenschen Romane Pate gestanden hat,
-umschreibt das dominierende Problem im Leben meines sehr
-problematischen Wollüstlings aufs treffendste. Wie es mir nach<span class="pagenum"><a id="Page_11">[11]</a></span>
-Beendigung der ersten beiden Bände vor Augen kam, erschrak
-ich beinahe, als hätte ich mich selbst auf einem Plagiat ertappt.
-Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß das ›Wollüstling‹
-im Titel eine ironische Nuance hat&nbsp;…</p>
-
-<p>Nur wer des Sinnes für Nuance und Ironie entbehrt,
-dürfte überhaupt gut tun, sich eine weniger problematische Lektüre
-zu wählen, als den ›Prinzen Kuckuck‹. Damit ist gesagt, daß
-das Buch sich insbesondere nicht für junge Mädchen eignet, als
-welche fast ausnahmslos so glücklich sind, diesen gefährlichen
-Sinn nicht zu besitzen.</p>
-
-<p>Es soll ja überdies auch unmoralisch sein und ist bereits
-als pornographisch denunziert worden. Demnach gibt es Leute,
-die Bücher mit der ausgesprochenen <em class="gesperrt">Absicht</em> lesen, Anstoß zu
-nehmen. Es muß dies eine Art Perversität sein; geistiger
-Masochismus etwa. Denn, wenn ein Buch auf seinem Titel
-ausdrücklich bekennt, daß es vom Leben, den Taten, den Meinungen
-und der Höllenfahrt eines Wollüstlings handelt, so sollte
-ein (sozusagen) normal prüder Mensch sich hinlänglich gewarnt
-und abgestoßen fühlen, und er sollte sich den Stein des Anstoßes
-nicht geradezu ins Haus tragen. Tut er's dennoch, so wird
-man annehmen dürfen, daß ihm entweder das Ärgernisnehmen
-oder das Denunzieren vergnüglich ist. Jeder Staatsanwalt
-aber sollte mit Entschiedenheit erklären, daß die Organe des
-Staates nicht dazu da sind, derlei perversen Trieben zu dienen.
-Ich für mein Teil darf sagen, daß mir ebenso unerwünscht wie
-diese Art Leser die sind, denen das Wort Wollüstling etwa als
-Einladung erschienen ist. &ndash; Im übrigen glaube ich, daß mein
-Roman eine sehr schöne Moral hat. Sie steht bei Immanuel Kant
-mit diesen schönen Worten zu lesen: ›Durch die Einschränkung
-der Selbstliebe und Niederschlagung des Eigendünkels entsteht in
-uns jenes Gefühl, welches das Moralgesetz in uns bewirkt.‹«</p>
-
-<p>Es kam Bierbaum bei der Niederschrift des »Prinzen Kuckuck«
-nicht allein darauf an, das Leben eines Menschen zu schildern;<span class="pagenum"><a id="Page_12">[12]</a></span>
-sein ungleich größeres Thema war die Zeit, in der sich der Held
-bewegt. Seltsame Gestalten tauchen vor uns auf, seltsam und
-doch so lebenswahr und psychologisch echt, und alles das ergänzt
-sich zu einem treuen Spiegelbild des unruhigen Getriebes unserer
-gegenwärtigen Epoche, deren Pulsschlag hastig und unsicher, voll
-Leidenschaft und Erregung ist. Wer die wahren Schäden unserer
-Zeit kennt und sich nicht fürchtet, dieses zu bekennen, der wird
-den »Prinzen Kuckuck« mit noch größerer Freude begrüßen, wie
-einst den »Stilpe«. Denn es geht, wie Felix Salten in der
-»Zeit« so treffend ausgeführt hat, von der Erzählung ein solcher
-Sturm des Geschehens, des Erfindens aus, daß es ist, als hätte
-man die Begebenheiten, die Menschen und die Schicksale eines
-ganzen Zeitalters zusammengeschüttelt, die Stoffe von zwanzig
-Romanen, von dreißig Komödien und von hundertfünfzig Novellen.
-Der Sohn der schönen Sara schreitet durch diesen Tumult von
-Gestalten und Ereignissen, durch dieses Zeitalter, welches das
-unserige ist. Er wächst auf, wandelt sich, genießt die Welt,
-taumelt durch die Brandung der Epoche, überall dort, wo sie
-am wildesten schäumt, ist der Liebling und der Narr des Glücks,
-und stirbt wie eine Flamme oder wie ein Gleichnis. Im
-»Prinzen Kuckuck« ist so ziemlich alles aufgefangen, was heute
-die germanisch-slawisch-gallisch-jüdische Menschheit des modernen
-Europa erlebt; ginge diese Welt jetzt durch eine Sintflut spurlos
-unter, sie fände sich mit all ihrem sonderbaren Getier in diesem
-Buch aufbewahrt, wie in Noahs Arche.</p>
-
-<p>Dem Roman ließ Bierbaum sehr schnell das Essaybuch
-»Liliencron«, die »Sonderbaren Geschichten« und die »Yankeedoodle-Fahrt«
-folgen. In seinem Liliencron-Buch hat Bierbaum
-&ndash; neben Michael Georg Conrad ohne Frage der Berufenste unter
-allen »Biographen« Liliencrons &ndash; die bedeutendsten seiner zahlreichen
-Bekenntnisschriften über den Unvergeßlichen vereinigt.
-Nur wenigen hat sich der Dichter des »Poggfred« und der »Adjutantenritte«
-so unverhohlen mitgeteilt wie ihm; zudem war<span class="pagenum"><a id="Page_13">[13]</a></span>
-Bierbaum nächst dem großen Anreger und Vorkämpfer Michael
-Georg Conrad der erste, der die Bedeutung Liliencrons erkannte
-und mit glühender Begeisterung und offenem Freimut für ihn
-in die Schranken trat. Man versteht es und freut sich dessen,
-daß die Dankbarkeit den Verfasser veranlaßte, das Buch dem
-älteren Kameraden zuzueignen, und man braucht nur den
-Widmungsbrief an Michael Georg Conrad zu lesen, um den
-Grundakkord zu vernehmen, auf dem die Sinfonie des herrlichen
-Buches sich aufbaut: die Sinfonie der Schönheit und der
-Kraft.</p>
-
-<p>Die »Sonderbaren Geschichten« erinnern uns in der Kunst
-der Prosa an den großen Roman, ja sie übertreffen ihn darin
-vielleicht insofern, als der Reichtum der Ausdrucksmittel hier in
-schärferer Zucht gehalten, klarer disponiert ist. Ein Stück wie
-»Samalio Pardulus« darf als Wortkunstwerk einen Rang beanspruchen,
-der oberhalb des meisten steht, was die künstlerische
-deutsche Belletristik hervorgebracht hat. Diese Sprache hat nicht bloß
-Anschaulichkeit und Wärme, sie hat auch Rhythmus und zwar,
-daß ich nicht mißverstanden werde: ohne sogenannte poetische
-Prosa zu sein. In ihr waltet die Ökonomie der Novelle, wie
-im »Prinzen Kuckuck« der mächtige Atem des künstlerischen
-Romans der Sprache das Gesetz: die künstlerische Struktur gibt.
-Man muß in Deutschland immer wieder auf derlei hinweisen,
-denn der Genuß von Kunstwerken des Wortes hängt nicht bloß
-vom Verständnis des Inhaltes, sondern fast noch mehr davon
-ab, daß der Leser seinen Sinn für die Form bilde und
-des Wohlgefühls teilhaftig werde, das in der Erkenntnis von
-Schönheiten liegt, die sich nur dem offenbaren, der das innere
-Ohr hat. Wir haben das erst durch Nietzsche wieder erlangt,
-von dem Bierbaum als Künstler viel mehr beeinflußt worden
-ist, als von irgendeinem Lebenden; wie denn überhaupt seine
-künstlerischen Nährväter hauptsächlich in der Vergangenheit zu
-suchen sind. So steht seine Lyrik keineswegs wesentlich unter<span class="pagenum"><a id="Page_14">[14]</a></span>
-Liliencronschem Einflusse, sondern unter dem von Goethe, Claudius,
-Bürger. Von den Modernen hat nur der große Nietzsche
-stark auf ihn eingewirkt.</p>
-
-<p>Das Hauptmerkmal der »Sonderbaren Geschichten« ist ihr
-grotesker Zug. Wenn »Die Stimme des Blutes« wie »Samalio
-Pardulus« eine tragische, »Der mutige Revierförster« eine satirische
-Groteske ist, so findet sich für jedes andere Stück &ndash; die
-vorliegende Auswahl bringt außer den beiden letzten Geschichten
-noch aus der Sammlung das launige Epos »Der heilige
-Mine« und die von echter Raubritterromantik getragene Erzählung
-»Annemargret und die drei Junggesellen« &ndash; gleichfalls
-als Hauptzug der der Groteske im Sinne der Alten und
-der Renaissance. Es sind eigentlich alles Maskenspiele; aber
-unter der Maske, durch die Maske leuchtet das Leben. Alle
-diese »Sonderbaren Geschichten«, die sich so leicht lesen, sind im
-Grunde gar keine so leichte Ware; nur nachdenkliche Lektüre
-wird ihr gerecht. Und das ist überhaupt das unterscheidende
-Merkmal des Bierbaum der letzten Zeit, daß er zwar seine
-Leichtigkeit nicht verloren hat, auf seinen Flügeln aber mehr
-zur Höhe trägt, als früher. Auch die Gedichte von »Maultrommel
-und Flöte« zeigen das. Der Wein dieser Lyrik ist
-schwerer geworden, ohne an Bouquet verloren zu haben. Und
-wenn Bierbaum auch hier noch gerne tändelt, so ist es der frohmütige
-Spaß eines reifen Mannes, nicht mehr jugendliches
-Amüsement. So stehen auch die Stücke der »Yankeedoodle-Fahrt«
-über der »Empfindsamen Reise im Automobil«, weil
-diesmal das Gepäck reicher an den Reiseeffekten ist, die zur
-großen <em class="gesperrt">Lebens</em>reise gehören, soll sie zu der höchsten Station:
-<em class="gesperrt">Weltanschauung</em> führen. Trotzdem, nein: eben deswegen
-überglänzt alle drei Bücher echter Bierbaumscher Humor. Nur
-muß man das Wort wohl etwas tiefer zu nehmen beginnen,
-als man es bisher tat oder tun dürfte. So ist der Humor der
-»Yankeedoodle-Fahrt« wenn auch nicht bitter, so doch bittersüß.<span class="pagenum"><a id="Page_15">[15]</a></span>
-Aber sauer sind die Früchte von diesem Baume nie; Sonne und
-Leben hat sie gereift, es sind Sonnenfrüchte.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Im Frühjahr 1910 sollte außer dem Romanfresko »Die
-Päpstin« eine Novellensammlung »Die Schatulle des Grafen
-Trümmel« erscheinen, für den Herbst hatte Bierbaum die Veröffentlichung
-einer großen Selbstbiographie geplant. Er hat die
-Drucklegung dieser Werke ebensowenig erleben sollen wie das
-Erscheinen seiner »Reifen Früchte«, auf die er sich so gefreut
-hatte. Sein letztes abgeschlossenes Werk ist eine Dichtung für
-die Bühne; das mit Königsbrun-Schaup zusammen gearbeitete
-Stück führt den Titel »Fortuna. Abenteuer in 5 Akten« und
-wird noch in diesem Jahre zur Aufführung gelangen.</p>
-
-<p>»Aus den <em class="gesperrt">letzten Ernten</em>&nbsp;…«, so sollte es im Titel der
-»Reifen Früchte« heißen, dessen originelle Fassung des Dichters
-eigene Idee war; so war es &ndash; schon im Herbst 1909! &ndash; überlegt.
-Wer hätte gedacht, daß es wirklich <em class="gesperrt">letzte</em> Früchte sein
-würden? Im Dezember vorigen Jahres warf ein chronisches
-Nierenleiden den Dichter auf das Krankenlager, von dem er sich,
-allem Sträuben zum Trotz, nicht wieder erheben sollte, obgleich
-sein Zustand sich vorübergehend gebessert hatte. Ein Brief, den
-ich am 2. Februar frühmorgens von seinen Angehörigen aus
-Dresden erhielt, klang sehr besorgt. Doch fielen mir allerlei
-Sätze aus seinen eigenen letzten Briefen ein, kraftstrotzende, von
-reifem Lebenssinn und unverwüstlicher Daseinsfreude getragene
-Gedanken. Und wie ich alle Bedenken und alle Sorge um den
-kranken Freund mit dem gleichen Optimismus zu verscheuchen
-suche, bringt der Telegraph die Trauerkunde: Otto Julius
-Bierbaum ist gestern abend im Alter von 44 Jahren an Herzlähmung
-gestorben&nbsp;…</p>
-
-<p>Nun ist der Mund, der so lustig plaudern und so herzhaft
-lachen konnte, für immer verstummt, wir werden seine Stimme<span class="pagenum"><a id="Page_16">[16]</a></span>
-nie mehr hören. Und wir hadern mit dem Geschick und können
-es nicht fassen, daß es gerade diesem Manne die Feder aus
-der Hand winden mußte, dem unermüdlichen Apostel der Schönheit,
-Freiheit und Freude. So steht sein Bild kraftvoll und
-edel neben dem seines Freundes Detlev, für den er immer so
-tapfer in die Bresche gesprungen war, getreu dem schönen Spruche,
-mit dem er mir, drei Tage vor seiner Erkrankung, sein herrliches
-Liliencron-Buch sandte:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wer sich für andre nicht erhitzen kann,<br /></span>
-<span class="i0">Der ist vielleicht ein kluger Mann:<br /></span>
-<span class="i0">Er wahrt sein Feuer<br /></span>
-<span class="i0">Und wärmt sich <em class="gesperrt">seine</em> Hände dran.<br /></span>
-<span class="i0">Mir war bei solcher Klugheit nie geheuer.<br /></span>
-<span class="i0">Ein rechtes Herz brennt unklug lichterloh.<br /></span>
-<span class="i0">Und seine Flamme sieht sich schöner an,<br /></span>
-<span class="i0">Als der Bedachtheit glimmend nasses Stroh.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Ja, lichterloh brannte sein Herz, wenn es galt, für etwas
-Hohes, Edles einzutreten, und seine Waffen waren blank und
-scharf. Das ist Bierbaums &ndash; wie auch Liliencrons &ndash; bleibendes
-Verdienst: daß er die Freude an gesunder Sinnlichkeit und
-Schönheit in unser graues Alltagsleben trägt, ohne Sinnlichkeit
-mit Plumpheit, Schönheit mit Ästheterei zu verwechseln.
-Die Freude, die er verkündet, macht stark und befreit und erhebt.
-Wie sagt doch der Seher in der »Vernarrten Prinzeß«?</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wagt's immer, zu springen,<br /></span>
-<span class="i0">Es muß euch gelingen,<br /></span>
-<span class="i0">Was <em class="gesperrt">fröhlich</em> ihr schafft.<br /></span>
-<span class="i0">Das grämliche Hocken<br /></span>
-<span class="i0">Bringt alles ins Stocken;<br /></span>
-<span class="i0">Frei wehn eure Locken,<br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Die Freude macht Kraft</em>!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>
-<em class="gesperrt">Danzig</em>, im Februar 1910.</p>
-<p class="right">
-<b>Fritz Droop.</b>
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_17">[17]</a></span></p>
-
-<p class="h1">Reife Früchte vom Bierbaum.</p>
-<hr class="chap" />
-</div>
-
-<div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_19">[19]</a></span></p>
-
-<h2 id="Skizze_zum_Portrat_eines_guten">Skizze zum Porträt eines guten
-Bekannten von mir.</h2>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Otto Julius Bierbaum</em></p>
-</div>
-<p>erblickte das Licht dieser Welt am 28. Juni 1865 zu
-Grüneberg in Niederschlesien als der Sohn eines eingeborenen
-Konditors und einer sächsischen Bergmannstochter.
-In der väterlichen Familie waren zwei Berufszweige
-erblich: Ein süßer: die Zuckerbäckerei, und
-ein saurer: die protestantische Theologie. Otto Julius
-hatte aber wohl einen besonders starken Gemütseinschlag
-von der mütterlichen Familie her (in der einmal,
-zur Zeit Napoleons ein französischer Tambour
-eine Gastrolle gegeben haben soll), und so fand in
-ihm weder die süße noch die saure Familientradition
-ihre Fortsetzung. Doch blieb ihm Zeit seines Lebens
-von Abstammung wegen ein ausgesprochener Sinn für
-bessere Kuchen und Edelmetalle im Blute, ohne daß
-er ihn indessen immer befriedigen könnte. Dieses Unvermögen
-kommt aber eben daher, weil er, statt das
-Süße oder das Saure oder sonst was Ordentliches
-zu lernen, sich von Jugend auf dem Laster des Versemachens
-und Fabulierens hingegeben hat. Was hat
-er davon?&nbsp;&ndash;: Ein immer zweifelhaftes Budget und
-die Ungnade des Literaturaufsehers Bartels in Sulza
-bei Weimar. Dieses hindert ihn aber nicht daran,
-mit trotziger Hartnäckigkeit weiter zu schreiben und
-zwar ohne alle weise Beschränkung auf ein bestimmtes<span class="pagenum"><a id="Page_20">[20]</a></span>
-Fach der Dichtkunst. Nicht allein, daß er Gedichte
-jeder Art und Unart sowie Novellen, Romane, Operntexte,
-Dramen, Balletts, Reisebeschreibungen, Märchen
-von sich gibt; er schreibt auch noch allerhand Aufsätze
-über allerhand Menschen, Dinge und Ideen. Dies
-ist ein so grober Verstoß gegen das moderne Gesetz
-von der Teilung der Arbeit, daß man nicht energisch
-genug dagegen Front machen kann. Warum, so fragen
-wir mit Nachdruck, hat sich O. J. B. nicht damit begnügt,
-den »Lustigen Ehemann« zu verfassen? Wie
-klar und hold umrissen stünde dann sein Bild im
-Herzen der dankbaren Mitwelt. Daß er auch noch
-Zeitschriften gründete, mag ihm verziehen werden, weil
-sie (Pan und Insel) eingegangen sind, und weil es
-sich schließlich, Gott sei Lob und Dank, doch herausgestellt
-hat, daß die aufregenden Nachrichten über seine
-schmachvoll hohen Redaktionsgehälter nur die Phantasiegebilde
-einiger erfindungsreichen Köpfe waren.
-Auch seine längere Reise im Automobil hat ihren
-Stachel verloren, seitdem man weiß, daß sie nicht auf
-eigene Kosten unternommen worden ist. Über seine
-Mitschuld am Überbrettl gehen die Meinungen auseinander.
-Einige Passagen im »Stilpe« belasten ihn
-zwar schwer, aber das Programm seines Trianon-Theaters
-wird immer als besinnungslos rein lyrisches
-Entlastungsdokument angeführt werden können. Ob
-O. J. B. harmlos ist, muß dahin gestellt bleiben; da
-er es sich nicht abgewöhnen zu können scheint, über
-gewisse Charaktereigentümlichkeiten erbost zu werden,
-als da sind: Neid, Lügenhaftigkeit, Undankbarkeit,
-Tratsch- und Verleumdungssucht und aufgeblasener
-Dummstolz, so muß er doch wohl einige Bosheit im
-Leibe haben, und die christliche Demut, die, nicht zufrieden,<span class="pagenum"><a id="Page_21">[21]</a></span>
-links geohrfeigt zu werden, auch die rechte
-Wange hinhält, fehlt ihm ganz und gar. Da er lieben
-kann, kann er auch hassen, und wie die platonische
-Liebe, so ist auch der platonische Haß nicht seiner Art
-gemäß. Es scheint, daß er einige Laster hat. Der
-Trunk gehört nicht dazu. Auch nicht der Geiz und
-die Faulheit. Aber es könnte sein, daß man Momente
-von Stolz, Wollüstigkeit, Rachsucht in seinem Leben
-fände. Item: vom Heiligen ist er entfernt. Hunde,
-Katzen, Blumen; Horaz, Shakespeare, Goethe; Glück,
-das »wohltemperierte Klavier«, Mozart, <span id="corr021">archaische</span>
-Skulpturen, alte italienische Maler, moderne Impressionisten;
-Büttenpapier, Seide und Ceylontee liebt
-er sehr. Für die größten unter den modernen Dichtern
-gelten ihm Dostojewski und Nietzsche. &ndash; Th.
-Th. Heine ist ihm lieber als Max Klinger. &ndash; Alte
-Stile sind ihm erfreulicher als moderne. Und er ist
-überhaupt revidiert unmodern. Daher ist er ein Renegat
-des »Buchschmucks« und bereut seine Sünden auf
-diesem Gebiete herzlich. Was die moderne Musik
-angeht, so scheint es, daß sein Nervensystem ihr nicht
-gewachsen ist. Seine Unfähigkeit, »Farben« zu hören,
-ist schlechthin pathologisch und man muß es wohl
-pervers nennen, daß er die schönsten musikalischen
-Kapitel aus der <em class="antiqua">psychopathia sexualis</em> einfach nicht
-kapiert. Kurz: er ist unmusikalisch. Aber er besitzt
-eine Phonola und er freut sich dieses Automusikels
-täglich. Moderne Bücher liest er nicht gar viele, aber
-es gibt ein paar Autoren, von denen er keines ausläßt.
-Darunter steht in erster Linie Wedekind. Wenn
-er das Glück hat, einen Neuen für sich zu entdecken,
-so ist sein Vergnügen groß. Mit dem gleichen Vergnügen
-hat er entdeckt, daß er sich früher in seiner<span class="pagenum"><a id="Page_22">[22]</a></span>
-Begeisterung einmal bös geirrt hat. Es ist ihm, als
-wäre seitdem die Luft in seinem Leben besser geworden.
-In alten Briefwechseln, Tagebüchern und Memoiren
-zu lesen ist ihm die spannendste Lektüre. Den größten
-Genuß auf diesem Gebiete bereiten ihm die Tagebücher
-Friedrichs von Gentz, den er überdies für einen
-der besten Prosaisten in deutscher Sprache hält. Dieses
-Interesse für einen Mann, der als charakterloser Sybarit
-bei allen deutschen Männern von Überzeugungstreue
-und Tugend hinlänglich verrufen, sicherlich jedoch
-so gut wie unbekannt ist, beweist natürlich, daß O.
-J. B. gleichfalls ein charakterloser Sybarit ist. Und
-er hat in der Tat einiges mit Friedrich v. Gentz gemeinsam.
-So die Passion für gutes Deutsch, die
-gleichzeitig auch als eine Art Sybaritismus bezeichnet
-werden kann. Ferner die Neigung, über seine Verhältnisse
-hinaus zu leben (was in mancherlei Sinne
-zu verstehen ist). Dann den Tic fürs Vornehme
-(gleichfalls in mehr als einem Betracht). Dann das
-Bedürfnis nach lebendiger Schönheit und lebendigem
-Geist, aber doch auch nach Bequemlichkeit. Weiter
-aber auch die Fähigkeit, stark zu arbeiten und in der
-Anerkennung weniger sich dafür belohnt zu fühlen.</p>
-
-<p>Was ihn jedoch von Gentz unterscheidet, ist dies:
-Er ist durchaus kein Mensch und zieht die Einsamkeit
-der besten Gesellschaft bei weitem vor. Übrigens verehrt
-er Napoleon in demselben Grade, wie Gentz ihn
-verabscheut hat.</p>
-
-<p>Sollte sich hier die Frage nach seinen politischen
-Meinungen aufrichten, so wäre die Antwort: Er würde
-vielleicht welche haben, wenn für ihn die Möglichkeit
-bestünde, sie zu betätigen. Eine Stimmzettelabgabe
-alle fünf Jahre hält er für keine Betätigung, und zum<span class="pagenum"><a id="Page_23">[23]</a></span>
-politischen Schriftsteller fehlt ihm der Glaube an ein
-in Deutschland realisierbares Programm. Die Mächte,
-die im deutschen Reiche Politik machen, sind, oben
-und unten, für freie Geister unzugänglich. Nur politische
-Temperamente von der Vehemenz und Aufopferungsfähigkeit
-Maximilian Hardens können, wenn
-sie wie dieser sehr klug und im höchsten Sinne diplomatisch
-begabt sind, bei uns wirklich wirken, ohne ein
-Amt oder Massen für sich zu haben.</p>
-
-<p>Religiös ist O. J. B. Eklektiker. Vom Judentum
-hat er die Psalmen, vom Protestantismus eine ziemliche
-Anzahl Gesangbuchslieder, vom Katholizismus
-die Instrumentalmusik und verschiedene Bestandteile
-der sakralen Garderobe, vom Buddhismus die schöne
-Pose des Sitzens auf einer Lotosblüte, vom Konfuzianismus
-das Prinzip der großen Wurstigkeit, vom
-Taoismus die höchstangesehene Mystik ahnungsvoller
-Wortverknüpfungen in seine Privatkirche übernommen,
-deren Hauptlehre übrigens lautet: »Halte Dir alles
-Gesindel vom Leibe, denn es hindert Dich, in <em class="gesperrt">Deinen</em>
-Himmel zu kommen!«</p>
-
-<p>Da ein moderner Mensch einen Sport treiben muß,
-so hat O. J. B. das Radfahren und Bilderknipsen
-erlernt. Da er aber ein unmodern moderner Mensch
-ist, radelt er in einem Tempo, das jeden Kinderwagen
-zum Vorfahren herausfordert, und er geht beim Photographieren
-allen poetischen Stimmungseffekten entschlossen
-aus dem Wege. Übrigens hat es bisher nur
-seine Frau zu bestreiten gewagt, daß er ein brillanter
-Radfahrer und absolut sicherer Photograph ist. Natürlich
-<em class="gesperrt">sammelt</em> O. J. B. auch. Aber es ist nicht weit
-her mit seinen Sammlungen, denn es machen ihm nur
-die Dinge wirklich Spaß, die er billig erworben zu<span class="pagenum"><a id="Page_24">[24]</a></span>
-haben glaubt, und dabei hat er sich fast ausschließlich
-auf Sammelgebiete kapriziert, wo billig schon etwas
-zu haben ist. Weder alte Bücher, noch alte Buntpapiere,
-noch alte Bilder, Kupferstiche, Möbel, Gläser,
-Fayencen, Porzellane sind in diesen abscheulichen Zeiten,
-wo jeder Antiquar ein Gelehrter ist, billig zu erstehen,
-&ndash; von alten China- und Japansachen, sowie
-alten Stoffen ganz zu schweigen. Nur mit alten
-Büttenpapieren ist ihm hier und da ein Coup gelungen.
-Aber da er roh genug ist, die edelsten alten
-Erzeugnisse längst vermachter Bütten zu Manuskripten
-zu benutzen, kann auch von einer ordentlichen Büttenpapiersammlung
-nicht die Rede sein.</p>
-
-<p>O. J. B. war merkwürdig lange jung. Ein Kindskopf
-ist er bis in die Mitte seiner dreißiger Jahre
-geblieben. Da kam der Ernst, &ndash; und er wurde frech,
-obwohl er erst noch eine etwas düstere, dumpfe Zeit
-durchzumachen hatte. Augenblicklich ist er damit beschäftigt,
-den letzten Rest von Widerspruch, der ihm
-aus jener Zeit in der Seele geblieben ist, auszutreiben.
-Da er einen Menschen zur Seite hat, der sorglich gewillt
-und stark ist, ihm dabei zu helfen, wird es wohl
-gelingen. Schon jetzt fühlt er sich stärker denn je.</p>
-
-<p>In einer Anwandlung von literarhistorischer Systematik
-hat er seine bisherige Entwickelung einmal
-schematisiert und drei Perioden festgestellt. Die erste
-nannte er »Stilpe im Irrgarten der Liebe« und datierte
-sie von 1885&ndash;1900. Er hätte sie auch »Kindskopf«
-nennen können. Sie ist im Grunde rein lyrisch,
-aber neben ein paar Gedichten ragt aus ihr der
-»Stilpe« auf. Die zweite nannte er »Stella und
-Antonie« und setzte sie von 1900&ndash;1905 an. Es ist
-seine dumpfe Zeit. Mit dem »Prinzen Kuckuck« ließ<span class="pagenum"><a id="Page_25">[25]</a></span>
-er eine dritte beginnen und er nannte sie »Grotesken«;
-sie nimmt sich bis jetzt etwas bunt aus. Aber es
-scheint, daß er ihr keine lange Dauer zutraut. »Wo
-wollen Sie denn eigentlich hin?« sagte der Storch
-zum Schmetterling, der von Blume zu Blume flog.
-»Fragen Sie die Blumen, Herr Professor!« antwortete
-der Falter; »aber eines kann ich Ihnen schon sagen:
-nicht in <em class="gesperrt">Ihren</em> Schnabel, gefährlicher Philister, der
-Sie sind.«</p>
-
-<div class="figcenter">
-<img src="images/illu-026.jpg" alt="Otto Julius Bierbaum" />
-</div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_27">[27]</a></span></p>
-
-<h2 id="Yankeedoodle-Fahrt">Yankeedoodle-Fahrt.<a id="FNanchor_1_1"></a><a href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">1</a></h2>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_1_1"></a><a href="#FNanchor_1_1"><span class="label">1</span></a> Kapitel 1 und 2 des gleichnamigen Abschnittes aus »Yankeedoodle-Fahrt
-und andere Reisegeschichten«.</p></div>
-</div>
-
-<h3>I.</h3>
-
-<div class="abstract">
-<p>Vom Nervenseiltanzen und Tunnelfahren, vom schwimmenden
-Hotel und dem Geflügelhofe, von Lyrik, Meer
-und Himmel.</p></div>
-</div>
-
-<p>Als ich so außer mir geraten war, daß ich mich
-selbst mit fatalster Deutlichkeit betrachten konnte, fühlte
-ich das Bedürfnis, wieder zu mir selber zu kommen.
-Aber es ist schwer, in sein Ich zurückzukriechen, wenn
-man es einmal verlassen und dann allzuscharf von
-außen angesehen hat. Ich fuhr um mich herum wie
-eine vergiftete Maus, die ihr Loch nicht findet und
-dennoch immerzu dies Loch umkreist. Ein schauderhaftes
-Heimweh und ein Grauen vor der Rückkehr
-zugleich. Selbst meinen verehrtesten Feinden wünsche
-ich diese Sensation nicht, obwohl es mir nicht zweifelhaft
-ist, daß sie, deren Oberflächlichkeit mir in der
-Tat manchmal Übelkeit verursacht hat, ein bißchen
-Seelenqual zu ihrer Vertiefung wohl brauchen könnten.</p>
-
-<p>Da sprach ein weiser Arzt und Seelenkenner also
-auf mich ein: Sie gehören zu jenen Akrobaten, die
-auf ihren eigenen Nerven seiltanzen und dadurch gezwungen
-sind, immerfort einen Punkt im Auge zu
-behalten, der in ihnen selber liegt: nämlich im eigenen<span class="pagenum"><a id="Page_28">[28]</a></span>
-Gehirne. Das tut weder den Nerven noch dem Gehirne
-gut und ist überdies eine brotlose und lebensgefährliche
-Kunst. Wenn Sie nicht binnen kurzem
-augenscheinlich verrückt werden wollen (denn eine
-heimliche Verrücktheit ist Ihr Zustand bereits), so ist
-es nötig, daß Sie unverzüglich eine breitere Basis zu
-gewinnen suchen, um von ihr aus Ihre Blicke in
-einem möglichst weiten Gesichtskreis umherschweifen
-zu lassen. Sie sind außer sich, weil Sie so sehr in
-sich sind. Das vertragen nur Heilige und Sie würden
-sich einem verhängnisvollen Irrtum hingeben, wenn
-Sie meinen wollten, daß Sie zur Heiligkeit angelegt
-wären. Dazu sind Sie zu korpulent und libidinos, &ndash;
-wohl auch nicht unbescheiden genug. Leute Ihrer
-Konstitution sind darauf angewiesen, die Welt auf
-sich wirken zu lassen. Ihre Empfindlichkeit sträubt
-sich dagegen, und es ist gewiß, daß Sie unter den
-nicht immer zarten Fingern der Welt leiden, aber
-dieses Leiden ist immer noch heilsamer für Sie, als
-die selbst bereiteten Schmerzen der Heautontimorumenie.
-Ich rate Ihnen: Kaufen Sie sich einen Schiffskoffer
-und stellen Sie Amphitriten auf die Probe.
-Ihre Zukunft liegt auf dem Wasser, das Salzgehalt
-und im Salze Brom hat. Speien Sie sich einmal
-kräftig aus und trinken Sie so viel Sonnenlicht als möglich.
-Aber, ich beschwöre Sie, lassen Sie alles Schreibgeräte
-zu Hause, denn, unter uns gesagt, der Federhalter
-ist die gefährliche Balancierstange, mit der Sie
-sich bisher auf dem Nervenseile im Gleichgewicht erhalten
-haben.</p>
-
-<p>Ich honorierte diese Invektionen mit zwanzig
-Franken und einem müden Lächeln, nahm den breitbeinigen
-Gang eines alten Seekapitäns an und versetzte<span class="pagenum"><a id="Page_29">[29]</a></span>
-meine ahnungslose Frau in das äußerste Erstaunen
-durch Intonierung des Liedes:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Auf, Matrosen, die Anker gelichtet,<br /></span>
-<span class="i0">Den Kompaß gespannt und die Segel gerichtet!<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">Ihre Bemerkung, daß der Kompaß keine Flinte sei,
-die man spannen könnte, wies ich mit der Entgegnung
-zurück, daß nautische Details uns bald mehr als genug
-beschäftigen würden, einstweilen aber Wichtigeres
-zu erledigen sei: nämlich die Frage, ob man auf eine
-moderne Seereise einen Frack oder bloß einen Smoking
-mitnehmen müsse.</p>
-
-<p>Klug und vorsorglich, wie sie ist, entschied sie sich
-für beides, ja sie wollte sogar, daß ich auch einen
-Zylinderhut mitnähme. »Wahnwitzige Idee!« grollte
-ich; »dir fehlt jedes Stilgefühl. Eine schottische Mütze
-oder ein Dreimaster, &ndash; ja; niemals eine Tube!«</p>
-
-<p>Am entsprechenden Orte wird es sich zeigen, wer
-von uns beiden auf der Höhe der Situation gewesen ist.</p>
-
-<p>Da es uns vollkommen gleichgültig war, wohin
-wir reisen würden (denn ich hatte ja lediglich das
-Gebot erhalten, eine Seereise »an sich« zu machen),
-überließen wir es einem Freunde, Schiff und Ziel zu
-bestimmen. Er sandte uns eine Kabinenkarte für den
-Doppelschraubendampfer Yankeedoodle, den die berühmte
-Onkel Sam-Michel-Linie eben zu einer Orientreise
-in Genua bereithielt. Ein beigeschlossenes Druckheft
-schilderte die ganze Reise in äußerst lebendigen
-Farben, so daß mir sofort ganz orientalisch zumute
-wurde, als ich las, was alles uns bevorstand.</p>
-
-<p>»Kein Zweifel,« sagte ich zu meiner Frau, »es
-wird äußerst lehrreich werden. Schade nur, daß wir
-uns nicht länger auf die Reise freuen dürfen, denn<span class="pagenum"><a id="Page_30">[30]</a></span>
-das ist doch das Schönste am Reisen: sich vorher
-darauf zu freuen.«</p>
-
-<p>Aber es half nun nichts: kaum, daß die Koffer
-gepackt waren, mußten wir uns in den Dampfwagen
-setzen, der uns nach Genua transportierte. Meine
-Idiosynkrasie gegen das Eisenbahnreisen gestaltete diese
-Fahrt zu einer <em class="antiqua">via crucis</em>, an die ich nur mit Grauen
-denken kann. Kein Zweifel: ich bin ein arger Sünder,
-aber so viele Todsünden habe ich denn doch nicht begangen,
-daß ich die Höllenqualen verdient hätte, die
-mir in den endlosen Tunnels an der Riviera zuteil
-wurden, wo rechts und links des Gleises offenbar
-teuflische Dämonen aufgestellt waren, die, während
-ich in stinkendem Qualm fast erstickte, mit eisernen
-Hämmern gegen eiserne Wände zu schlagen schienen.
-Nun: wir sind nicht zum Vergnügen auf der Welt, und
-es ist gewiß in der Ordnung, daß Nerven, die für angenehme
-Sensationen besonders empfindlich sind, dafür
-um so heftiger unter unangenehmen leiden. Sela.</p>
-
-<p>Das Gedröhne einer Kesselschmiede in den Ohren,
-die Lungen voller Ruß und im Schädel ein Gefühl,
-als seien sämtliche Gehirnwindungen mit flüssigem
-Blei angefüllt, begab ich mich mit meiner Frau in
-das berühmte Theater Carlo Felice, aber beileibe nicht,
-um uns Tristano e Isotta italienisch vorspielen zu
-lassen, sondern von wegen der exzellenten Küche seines
-Restaurants. Doch wurde uns auch hier ein außerordentliches
-Schauspiel zuteil: wir sahen einen jener
-italienischen Eßkünstler, die den illustren Fressern der
-Antike nichts nachgeben. Was dieser überlebensgroße
-Bauch sich alles servieren ließ, und mit welch
-andächtigem Kennerentzücken er seine Füllung zu einer
-Art gottesdienstlichen Handlung erhob, läßt sich in Kürze<span class="pagenum"><a id="Page_31">[31]</a></span>
-und auf Deutsch nicht schildern. Es muß genügen,
-zu sagen, daß es ein klassisches Schauspiel war, würdig,
-von einem Petronius der Nachwelt überantwortet zu
-werden. Denn es läßt sich von derart großen Gegenständen
-wohl nur in monumentaler Latinität handeln.</p>
-
-<p>Als ich am nächsten Morgen den Yankeedoodle
-vor mir liegen sah, wie er unabsehbare Massen von
-Koffern und Menschen in sich aufnahm, mußte ich an
-den gewaltigen Speisevertilger denken, und so erübrigt
-es sich, zu bemerken, daß Yankeedoodle ein imposantes
-Schiff ist.</p>
-
-<p>Wir wurden tief unten in seinem Innern verstaut
-und fühlten uns sehr winzig. Dafür erfüllte uns
-aber sogleich eine sehr gewisse Zuversicht zu dem
-massigen Zweischlöter. »Ich glaube kaum, daß wir
-mit dem Yankeedoodle untergehen werden,« sagte ich
-zu meiner Frau; »ja selbst meine Hoffnung auf ausgiebige
-Seekrankheit ist bereits ins Wanken geraten.«</p>
-
-<p>»Und mir ist schon übel,« entgegnete sie.</p>
-
-<p>Dabei stand das Schiff fest wie ein Turm.</p>
-
-<p>Weshalb ich sagte: »Autosuggestion gilt nicht,
-und wenn du mit Gewalt seekrank wirst, um später
-damit zu renommieren, so kannst du sicher sein, daß
-ich deine Finten aufdecken werde.«</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke brüllte Yankeedoodle auf
-eine Weise, daß mir Hören und Sehen verging. Dreimal.
-Wie nie ein Mastodont gebrüllt hat. Homer
-hätte das hören sollen, und er hätte kein solches
-Wesen vom Gebrüll seiner verwundeten Helden gemacht.</p>
-
-<p>»Was <em class="gesperrt">hat</em> er denn?« fragte ich entsetzt.</p>
-
-<p>»Er sagt Adieu,« erklärte meine Frau ruhig, die
-von nun an überhaupt gerne so tat, als wüßte sie alles.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_32">[32]</a></span></p>
-
-<p>Und es war wirklich so. Immer, wenn Yankeedoodle
-sich anschickte, in See zu stechen (ein Ausdruck,
-der aber für solche Kolosse gar nicht paßt; ebensogut
-könnte man sagen, ein Dampfhammer sticht ins Erz),
-brüllte er so unmanierlich. Es gehört das zum guten
-Ton bei diesen Dampfgiganten. Ob es einen Zweck
-hat, weiß ich nicht. Vielleicht heißt es nicht bloß:
-adieu, sondern auch: Platz da! Hühneraugen weg!</p>
-
-<p>Und richtig: wir fuhren. Doch muß ich wohl
-besser sagen: wir glitten dahin. So leise, sanft, unmerklich,
-daß ich fürs erste jede Hoffnung auf das
-große Speien aufgab, während meine Frau mit weiblicher
-Beharrlichkeit beteuerte, nun werde ihr aber
-schon <em class="gesperrt">sehr</em> übel.</p>
-
-<p>Da sie offenbar nur höchst ungern von diesem
-Wahne lassen wollte, bestärkte ich sie in der Überzeugung,
-seekrank zu sein, indem ich ihr erklärte, sie
-sähe grasgrün aus und tue mir furchtbar leid.</p>
-
-<p>Worauf es ihr sehr bald besser wurde.</p>
-
-<p>Eine kleine Weile noch, und sie teilte meine Empfindung,
-daß Yankeedoodle, weit davon entfernt, ein
-Schiff zu sein, wie wir es uns gedacht hatten, einfach
-ein Hotel war, das sich auf Salzwasser bewegte.
-Statt Matrosen zu sehen, die an Tauen herumklettern,
-und Kommandorufe zu vernehmen von Offizieren, die
-Sprachrohre am Munde und Fernrohre vor den Augen
-hatten, erblickten wir Kellner, die da höflich leise
-säuselten: Bouillon gefällig? Doch lernten wir bald,
-sie Stewards zu nennen, was immerhin eine gewisse
-Seestimmung erzeugte.</p>
-
-<p>Dennoch blieb eine deutliche Enttäuschung in uns
-zurück. Unser romantisches Bedürfnis wollte nicht
-auf seine Rechnung kommen. Wir hatten uns das<span class="pagenum"><a id="Page_33">[33]</a></span>
-alles viel abenteuerlicher vorgestellt. Wenn wenigstens
-ein Mastkorb dagewesen wäre, in dem sich ein Matrose
-befunden hätte, der Ahoi! rief&nbsp;…</p>
-
-<p>Statt dessen sagte ein Herr, der zwar eine Art
-Seemannsmütze aufhatte, aber den Gymnasialprofessor
-durchaus nicht verleugnen konnte, laut und vernehmlich:
-<em class="antiqua">Thalatta! Thalatta!</em></p>
-
-<p>Mein Magen drehte sich um und ich mich mit ihm.</p>
-
-<p>O Ägir, Herr der Fluten, stöhnte ich in meinem
-lieben Herzen, sorge dafür, daß ich diesem Humanisten
-nirgendwo benachbart werde in diesem schwimmenden
-Hotel!</p>
-
-<p>Und ich fühlte, daß es jetzt vor allem nötig war,
-einen Platz auf dem Yankeedoodle ausfindig zu machen,
-wohin wir uns vor den übrigen Hotelgästen flüchten
-könnten, falls diese irgendwie nicht nach unserem Geschmack
-sein sollten.</p>
-
-<p>Alle diese Herrschaften, sagten wir uns, sind gewiß
-durch Qualitäten ausgezeichnet, die uns fehlen,
-und wir wollen ohne weiteres annehmen, daß sie nicht
-bloß einer höheren Steuerklasse angehören als wir,
-sondern auch in jeder anderen bürgerlichen Hinsicht
-den Vorzug vor uns verdienen. Aber wir sind nun
-mal Uhunaturen, die in den Geflügelhof nicht passen.
-Zärtlich girrende Tauben, gluckende Hennen, majestätische
-Hähne sind kein Umgang für uns, geschweige
-denn diese stolzen Pfauen und Perlhühner aus Amerika,
-die sich, das merkten wir bald, als die Elite des
-Yankeedoodle betrachteten und von den Funktionären
-der O. S.-M.-L. auch als solche ästimiert wurden, da
-sie die besten Käfige innehatten. Alles das, gaben
-wir gerne zu, ist ganz in der Ordnung, aber diese
-Ordnung ist nicht die unsere. Suchen wir also einen<span class="pagenum"><a id="Page_34">[34]</a></span>
-Winkel aus, wo wir das prächtige Gesamtbild am
-wenigsten stören.</p>
-
-<p>Wir fanden es auf dem Hinterdeck, das von allen
-besseren Passagieren streng gemieden wurde, weil es
-bei den gewöhnlichen Fahrten des Yankeedoodle, die
-nicht dem Vergnügen, sondern der Überfahrt nach
-Amerika dienen, als das Deck der zweiten Kajüte
-gilt. Für uns besaß es außer dem Vorzug, wenig
-besucht zu sein, auch noch den, zwei Etagen zu haben.
-Die obere war die schönste, denn auf ihr befand man
-sich wirklich <em class="antiqua">en plein air</em>. Hier verbarg uns kein vorgespanntes
-Segeltuch Meer und Himmel, wie sonst
-überall auf diesem Schiffe, dessen Einrichtungen mehr
-darauf berechnet zu sein schienen, das Meer vergessen,
-als sehen zu lassen. Die begehrtesten Plätze des
-Hauptdecks (zumeist von Amerikanern besetzt), nämlich
-die an den Innenseiten, gewährten den dort in ihren
-Klappstühlen Ausgestreckten die Aussicht auf den Streifen
-Himmel, der zwischen dem Dach und der Segeltuchwand
-des Decks sichtbar bleibt. Weder Meer noch
-Küste war von dort aus zu sehen. Die Außenseiten
-des Hauptdecks sahen aber nicht einmal diesen Streifen
-Himmel, sondern nur die Kajütenwand, garniert mit
-horizontal gelagerten Amerikanern.</p>
-
-<p>Es wollte uns anfangs nicht in den Sinn, wie
-gerade diese Plätze so sehr begehrt sein konnten, die
-eigentlich nichts anderes waren als Einzelglieder im
-Spalier einer Promenade; denn zwischen ihnen war
-der allgemeine Wandelgang. Wir mußten erst begreifen
-lernen, was wir Uhus nicht ohne weiteres
-wissen: daß das Publikum auch auf Reisen sich vor
-allem anderen für das Publikum interessiert. Die
-Menschen lieben einander zwar nur in einem sehr<span class="pagenum"><a id="Page_35">[35]</a></span>
-gemäßigten Grade, aber sie sind sich gegenseitig äußerst
-interessant, und so leben sie gerne in Gesellschaft, sei
-es auch nur, um sich innerhalb deren wieder in Extragesellschaften
-abzuspalten. Je länger wir das Wesen
-auf unserem Schiffe betrachteten, um so mehr spürten
-wir, daß viele geradezu deshalb den Yankeedoodle
-bestiegen hatten, um nach der vielleicht monoton gewordenen
-Gesellschaft zu Hause hier eine neue zu
-finden. Und wir merkten schließlich, obwohl wir
-immer nur aus der Ferne in dieses lebendige Netz
-von Gesellschaftsfäden blickten, daß nicht bloß die
-Spinne Sympathie dabei am Werke war, sondern
-auch mancherlei Berechnung, &ndash; nicht zu vergessen die
-mehr oder weniger schönen Damen Eitelkeit und
-Medisance.</p>
-
-<p>Ich kann nicht leugnen, daß, von der Ferne angesehen,
-dieses große Gesellschaftsspiel einen gewissen
-Reiz für mich hatte, da ich nur selten dazu komme,
-derlei zu beobachten. Einen reineren Genuß bereitete
-mir aber doch der Anblick des hohen Himmels und
-der weiten Wasserfläche, obgleich ich gestehen muß,
-daß eigentlich poetische Stimmungen ausblieben. Der
-Anblick war schön, &ndash; aber nur Genuß, nicht Erregung.
-Mein Auge ließ sich's wohl sein, und mein »Herz«
-quittierte mit Dank darüber, &ndash; aber kühl, eigentlich
-unbeteiligt. Ich habe es ein paarmal gescholten deswegen
-und bin mir selber sehr gram gewesen darum.
-Bist <em class="gesperrt">du</em> das noch, habe ich mir gesagt, der vor Zeiten
-sich bis zur wonnigsten Verrücktheit entzücken konnte
-vor einem Tümpel, auf dem ein paar Spritzer Sonnenuntergang
-kringelten? Dem ein schüchternes, dummes
-kleines Ding wie eine junge Birke Seligkeiten ins
-Herz schüttete, der vor einem Quellchen in die Knie<span class="pagenum"><a id="Page_36">[36]</a></span>
-sinken konnte, Verse zu stammeln, dessen Blicke verzückt
-an Wolken hingen und mit ihnen hinüberschwammen
-zu den goldberänderten Himmelsküsten
-einer nicht bloß äußerlich gesehenen, sondern innig
-umfaßten Schönheit, &ndash; das ist derselbe, der sich hier,
-in einem Stuhle der Ocean-Comfort-Company liegend,
-Lichteffekte servieren läßt, wie kurz vorher Tee mit
-Streuselkuchen? Ei du satter, fauler, leerer Halunke
-du, mach daß du hinunterkommst auf das Promenadendeck
-und sieh, wenn die Sonne untergeht, nach
-der Uhr, ob es auch pünktlich geschehen ist! Laß dich
-von dem Gymnasiallehrer auf Ägypten, Kleinasien,
-Griechenland vorbereiten; du hast es nötig, denn wer
-nicht mehr fühlen kann, soll wenigstens wissen. Und
-wenn du auch dazu zu faul bist, so zeige den jungen
-Töchtern Germanias, die, halb Misses, halb Gretchen,
-die moderne Weiblichkeit des zahlungsfähigen Deutschland
-mit mehr Selbstbewußtsein als Geschmack vertreten,
-daß auch du tennis-englisch und über »Frühlings
-Erwachen« reden kannst. Da du nüchtern
-geworden bist, ist dein Platz bei den Nüchternen.
-Vielleicht sagen <em class="gesperrt">sie</em> dir etwas, da die großen Dinge
-dir stumm geworden sind. So schimpfte ich mich.
-Aber mit Unrecht. Denn es war nicht so, wie ich
-mir sagte. Meer und Himmel waren mir nicht stumm.
-Ich verstand ihre Sprache nicht so schnell, wie früher
-die von Busch, Baum, Quelle, Wolken. Und dies
-ist nicht verwunderlich. Jene Dinge, die den jungen
-lyrischen Menschen so schnell ins Gespräch zogen,
-sprachen <em class="gesperrt">seine</em> Sprache, die Sprache der schnellen
-Gefühle, naiver Lust, einfältiger Triebe. Er hörte
-und sah in allem nur sich. Wenn er niederkniete und
-ins Plappern der Quelle Verse rief, so kniete er vor<span class="pagenum"><a id="Page_37">[37]</a></span>
-sich selber und überschrie das murmelnde Element.
-Er war (Heil ihm, daß er's gewesen) frech beim Frohsinn,
-und so hatte er's wohl leicht, zu schwärmen.
-(Lyrik! Eine selbstverständliche Sache für junge Menschen,
-denn es ist ihr Aus- und Einatmen. &ndash; In
-dieser Parenthese wäre noch allerhand zu bemerken.
-So dies, daß die große Seltenheit wirklicher Lyriker
-damit nicht im Widerspruche steht. Es gibt nämlich
-nur sehr wenige junge Menschen in dem Alter, wo
-zum Gefühle künstlerisches Vermögen tritt. Was
-Goethe das Närrische am Lyrischen nennt, ist das
-Kindliche. Die beiden reinsten Lyriker unter den
-heutigen Deutschen: Martin Greif und Max Dauthendey,
-sind Kindsköpfe. Auch Ludwig Finckh hat Anlage
-dazu. Rilke dagegen, dieses unheimliche Genietalent,
-ist ein Wunderkind. Übrigens liegt beim reinen
-Lyriker die Gefahr nahe, aus dem Kindlichen ins
-Kindische zu verfallen, sich auszuleiern. Aber wo
-komme ich hin!) Das schlechthin Große dagegen,
-Meer und Himmel, monoton erhaben (mit Worten
-aus der Terminologie menschlicher Kunst zu reden:
-Monumentalnatur) &ndash; das duckt die Frechheit. Seine
-Sprache ist Gedröhn und Brausen: Vokabeln fehlen
-in dieser Musik voll rhythmischer Symbole. Das Herz,
-das hier nur stummen Dank hat, verdient keine Schmähung,
-und der Mann, der vor diesem Schauspiel Auge
-wird, ganz Auge: und klares, nicht trunkenes, mag sich
-der Zuversicht getrösten, daß dieser ruhige Genuß ruhig
-des Reichsten, das dem Menschen an äußeren Eindrücken
-zuteil werden kann, nicht bloß der Netzhaut
-zugute kommt, sondern zu einem inneren Schatze wird,
-auch wenn er sich nicht gerade kleinweis in lyrische
-Silberstücke ausmünzen läßt.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_38">[38]</a></span></p>
-
-<h3>II.</h3>
-
-<div class="abstract">
-
-<p>Von meinem schlechten Charakter und der Absicht, ihn
-zu bewähren; von meinem Lordshut und Madames
-Patriotismus; vom Mauldeutschtum und dem deklassierten
-Ölbaum; von der Tugend und ihrer mangelhaften
-Belohnung; vom Genie der Pariser Putzmamsells
-und der bedauerlichen Unfähigkeit deutscher
-Dichter sie zu fördern; von grünen Tischen, Théodore
-und der Rache auf Ansichtspostkarten.</p></div>
-</div>
-
-<p>Wer auch nur oberflächlich mit der modernen
-deutschen Literaturgeschichte bekannt ist, weiß, daß ich
-von schmutzigster Geldgier besessen bin. Im übrigen
-schwankt mein Charakterbild ja bedenklich: denn, während
-die einen sagen, daß ich zwar ein ganz passabler
-Lyriker sei, aber leider auch Romane schreibe, so finden
-andere, daß ich zwar im Romane gewisse Qualitäten
-an den Tag gelegt, bedauerlicherweise aber den üblen
-Ehrgeiz hätte, auch Verse machen zu wollen; und so
-durch alle übrigen Gattungen der <em class="antiqua">belles lettres</em> durch,
-mit denen ich mich, immer einigen zum Vergnügen,
-anderen aber zur Mißlust, abgegeben habe und immerzu
-weiter noch abgebe. Das einzige, was feststeht,
-ist, wie ich mich nun hinlänglich überzeugt habe, die
-felsenfeste Gewißheit, daß ich ein hervorragendes
-Talent besitze, Schätze zu sammeln. So werde ich
-als ein zweiter Midas in die holzpapierene Unsterblichkeit
-eingehen und bin schon jetzt, wie mein phrygisches
-Urbild, durch Eselsohren entstellt &ndash; wobei
-es dahingestellt bleibt, ob es lauter Apollos sind, die
-mir zu diesem Schmucke verholfen haben.</p>
-
-<p>Kein Wunder, daß ich manchmal Lust habe, diesem
-Zustande ein Ende zu machen, der immerhin etwas<span class="pagenum"><a id="Page_39">[39]</a></span>
-Peinliches hat. Nichts trägt sich so lästig, wie der
-Ruf von Talenten und Reichtümern, die man nicht
-besitzt. Und dann: man kommt sich, auch wenn man
-ihn nicht verbreitet hat, wie ein Schwindler vor.</p>
-
-<p>Also möchte ich ihn furchtbar gerne wahrmachen.</p>
-
-<p>Und so beschloß ich, in Monte Carlo hundert
-Franken zu setzen, um zehntausend zu gewinnen.</p>
-
-<p>»Nimm deinen großen Pompadour mit,« sagte ich
-zu meiner Frau, als der Yankeedoodle sich Villafranca
-näherte; »wir werden ihn nötig haben.«</p>
-
-<p>»Du willst also wirklich spielen!?« rief sie voller
-Entsetzen aus.</p>
-
-<p>»Ja!!« sagte ich mit zwei Ausrufezeichen.</p>
-
-<p>Und ich tat mein schönes Gewand an und setzte
-den großen grauen Lordshut auf, den ich in Deutschland
-nicht zu tragen wage, weil er eine Art Nabel
-hat, nämlich einen Filzknopf zur Kaschierung der
-Ventilöffnung. Denn es ist ein Hut, den die englischen
-Lords in Indien tragen, wo es sehr heiß ist.</p>
-
-<p>Auch meine Frau putzte sich so stattlich heraus,
-wie es dem Umstande angemessen erscheinen mußte,
-daß wir uns in den wabernden Dunstkreis rollenden
-Reichtums begeben wollten.</p>
-
-<p>Da hier das »Reisebureau« noch keine Macht über
-uns hatte (denn den Weg zum Spieltische würden
-wir, so meinte es nicht ohne psychologischen Scharfsinn,
-schon selber finden), durften wir, o Glück und
-Wonne, o Seligkeit, allein gehen. Die Prozedur der
-Ausbootung, vor der meine Frau auf recht anmutige
-Art Angst an den Tag legte, während ich nicht ganz
-so graziös den erfahrenen Gangwaykletterer spielte,
-vollzog sich ohne jede Fährlichkeit, obwohl ich, zu meinem
-nur mühsam verhehlten Mißvergnügen, gezwungen<span class="pagenum"><a id="Page_40">[40]</a></span>
-war, mit der Linken den zwar schönen, aber nicht
-ganz festsitzenden Lordshut zu halten, da ich doch die
-entschiedene Tendenz hatte, mit ihr Halt am Treppengeländer
-zu suchen. Aber es ging auch so, und ehe
-wir's uns versahen, befanden wir uns alle drei: die
-Frau, der Hut und ich, im Boot. Nervige Arme
-ruderten uns an die französische Küste. (Das muß
-ich einmal in einem Romane gelesen haben.) Da
-diese von Rechts wegen eine italienische Küste sein
-sollte, regte sich in meiner Frau die Patriotin, und
-sie hätte gar zu gerne gehört, daß sich der Mann mit
-den nervigen Armen zur <em class="antiqua">Italia irredenta</em> bekannt und
-Verwünschungen gegen die Franzmänner ausgestoßen
-hätte. Aber es fiel ihm gar nicht ein, Gefühle dieser
-Art grün-weiß-rot aufleuchten zu lassen, vielmehr sagte
-er, und noch dazu in einem stark französisch unterwachsenen
-Italienisch, sie in Villefranche (!) seien allzumal
-höchlich zufrieden mit der Pariser Republik,
-denn der gallische Hahn füttere die Seinen besser als
-der savoyische Adler.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Vergogna!</em>« meinte die Toskanerin, gab ihm aber
-doch eine gute Mancia, wenn auch demonstrativerweise
-in italienischer Münze. Worauf der Nervige
-dann endlich <em class="antiqua">Evviva Italia!</em> rief.</p>
-
-<p>Nach den mächtigen Befestigungen zu urteilen, mit
-denen die Franzosen den Hafen von Villafranca (das
-aber nur die Bücher so nennen; die Leute sagen alle
-Villefranche) umgürtet haben, gedenken sie, dieses schöne
-Stück Land gewiß nicht freiwillig wieder herzugeben.
-Auch liegt eine Menge Kriegsvolk dort in Garnison;
-Alpenjäger, sehr gut aussehende und malerisch uniformierte
-Leute. Indessen fand die etwas kordial
-demokratische Art, mit der sie ihre Vorgesetzten grüßen,<span class="pagenum"><a id="Page_41">[41]</a></span>
-durchaus nicht den Beifall zweier unserer Reisegenossen,
-die, wohl in der Meinung, daß kein Mensch in Frankreich
-deutsch versteht, recht laut und ungeniert Kritik
-daran übten, wobei der Ausdruck »schlappe Bande«
-noch der mildeste war. Mir kam das weder sehr klug
-vor, noch fand ich es hübsch, habe aber auch im
-weiteren Verlaufe unserer Reise noch recht oft die
-Beobachtung machen müssen, daß unsere Landsleute
-sich gerne darin gefallen, fremde Sitten, Gewohnheiten,
-Einrichtungen unter dem Gesichtswinkel des in Deutschland
-Üblichen zu beurteilen, zuweilen direkt mit dem
-Schlußtrumpf: hier sollten <em class="gesperrt">wir</em> Ordnung schaffen
-dürfen! Ob Geibel das gemeint hat, als er ausrief
-»Und es mag am deutschen Wesen einmal noch
-die Welt genesen«, scheint mir fraglich, während ich
-der sehr bestimmten Überzeugung bin, daß dieses
-Wesensmachen vom deutschen Wesen sehr dazu angetan
-ist, das deutsche Wesen in Mißkredit zu bringen.</p>
-
-<p>Schade nur, daß der schöne Weltverstand, der bisher
-die Deutschen auszeichnete, verloren gehen muß,
-wenn dieses Mauldeutschtum, das nachgerade zum
-Großmauldeutschtum zu werden droht, um sich greift.
-Ich habe auf dieser Reise nicht viele Deutsche getroffen,
-auf die das Wort Goethes hätte angewendet
-werden dürfen, das sonst vom deutschen Geiste gelten
-durfte: »Der ist nicht fremd, der teilzunehmen weiß.«
-Und so habe ich mich manchmal gefragt: Warum
-reisen diese Leute eigentlich? Nur um sich einzuprägen,
-daß es eigentlich ein Unsinn, zu reisen, da es ja doch
-in Deutschland am schönsten ist? Insofern, als der
-Deutsche sich auf die Dauer am wohlsten in Deutschland
-befinden mag, wie jeder andere Mensch in seinem
-Vaterlande, ist das gewiß richtig. Aber, zu reisen,<span class="pagenum"><a id="Page_42">[42]</a></span>
-bloß um das bestätigt zu sehen: welch eine sonderbare
-Sinnesverkehrung ist das doch! Man geht freilich
-nicht in die Fremde, um sich der Heimat zu entfremden,
-aber einen vernünftigen Sinn hat das Reisen
-doch nur insofern, als es von der Sehnsucht eingegeben
-ist, zu dem heimisch Schönen sich etwas fremd
-Schönes einzuverleiben, innerlich reicher zu werden aus
-den Schäden der Fremde, indem man an ihnen teilnimmt.
-Dies scheint aber vielen direkt unmöglich zu
-sein. Sie sehen z. B. (ich konstruiere hier nicht, sondern
-gebe wieder, was ich mit eigenen Ohren gehört
-habe) einen Ölbaum. »Gott, was für ein häßliches
-Ding ist das!« sagen sie, »da ist doch eine richtige
-deutsche Eiche was anderes!« Man müßte närrisch
-sein, wenn man das bestreiten oder sich durch einen
-Ölbaum den Geschmack an einer Eiche verderben
-lassen wollte, aber nicht weniger närrisch ist es auch
-(von dem damit bewiesenen Mangel an Schönheitsempfinden
-gar nicht zu reden), im fernen Syrierlande
-die deutsche Eiche heraufzubeschwören, um den Eindruck
-eines Ölbaumes zu deklassieren. Es wäre davon,
-als von etwas schlechthin Törichtem gar nicht
-der Rede wert, wenn sich nicht eben eine Art von
-perversem Nationalismus darin äußerte, ein häßlicher
-Geist der Selbstzufriedenheit und Ablehnung alles
-Fremden, das nur noch als kurios, nicht aber als
-schön anerkannt wird. Diese Art Negation hat etwas
-Freches, das ganz unleidlich gerade für den ist, der
-sein deutsches Wesen als Bejahung jeder Schönheit
-empfindet. Auch ist es gottsträflich dumm, mit also
-verkleisterten Sinnen auf Reisen zu gehen.</p>
-
-<p>Ein Rosselenker rief uns an, fragend, ob er
-uns für zwanzig Franken zweispännig nach Monaco<span class="pagenum"><a id="Page_43">[43]</a></span>
-befördern dürfte. Mein Lordshut und Madames
-Spitzenmantel hatten es ihm angetan. Aber es lag
-uns wahrhaftig ferne, unserm Spielfonds zwanzig
-Franken zu entziehen. Wir blieben, wie hold er auch
-lächelte, fest und warteten auf die elektrische Trambahn.</p>
-
-<p>Diese Charakterstärke hätte einen besseren Lohn
-verdient als den, der uns zuteil wurde. Wir mußten
-fast eine Stunde harren, bis ein Wagen kam, in dem
-es noch zwei freie Plätze gab, und zwar Stehplätze.
-Ich erwähne dies als Beitrag zur Morallehre. Nein,
-o ihr gutgläubigen Schwärmer, es ist nicht wahr,
-daß Tugend belohnt wird. Das lüsterne Fleisch fährt
-zweispännig, und der stoische Wille muß sich von
-knoblauchduftigen Nizzarden auf den Hühneraugen
-herumtreten lassen. Aber das ist richtig: hinterher
-ist die Genugtuung der Tugend groß, die achtzehn
-Franken für den Spieltisch gespart hat.</p>
-
-<p>Von der Pracht und Herrlichkeit des Kasinoplatzes
-auf Monte Carlo möge ein anderer handeln. Ich
-für meinen Teil finde ihn allzu prächtig und allzu
-herrlich. Mir fehlt der Sinn für Pompositäten ohne
-lebendigen Geschmack. Dagegen habe ich mit Signora
-recht andächtig und entzückt die Auslagen einiger
-Pariser Putzmachergeschäfte bewundert. Beim Andenken
-der verliebten kleinen Müsette! &ndash; meine Frau
-hat recht: diese Pariser »Schurkerinnen« (so heißt in
-toscano-tedesco das Femininum von Schurke) haben
-mehr als Talent, haben Genie. Aus ein bißchen
-Sammet oder Seide, Spitzen oder Tüll, Stroh oder
-Pelz, mit ein paar Blumen, Schleifen, Rüschen, Federn
-wirken sie ästhetische Wunder. Diese Hüte haben den
-Reiz von Improvisationen geistreich geschmackvoller
-Menschen. Es haftet ihnen nichts vom Geiste der<span class="pagenum"><a id="Page_44">[44]</a></span>
-Schwere an, keine Steifheit, keine Absichtlichkeit. Es
-ist Grazie mit Witz; Esprit, der Phantasie hat; Geschmack,
-der es bis zur Poesie bringt. Ein fabelhaft
-sicherer Sinn für Form und Farbe unternimmt die
-frechsten Wagnisse bis hart an die Grenze des Möglichen,
-ohne jedoch etwas hervorzubringen, das nicht
-als Kunstwerk von Distinktion wirkte. Selbst das
-Höchste in der Kunst bringt er zuwege: reine Einfalt
-ohne Banalität. Wir sahen einen Hut, der eigentlich
-nichts war als ein umgestülpter Topf aus rotem,
-weißem und schwarzem Sammet. Es ist ganz unmöglich,
-zu sagen, warum dieses Ding nicht etwa
-plump oder komisch, sondern schlechterdings hinreißend
-schön aussah. Das Geheimnis seiner Schönheit lag
-wohl darin, daß die Linien seines Umrisses sowohl
-wie jede Falte des Stoffes von Fingern gebildet
-waren, die genialer Eingebung des Momentes folgten,
-nachdem das Ganze zuvor innerlich von der Künstlerin
-gesehen worden war.</p>
-
-<p>Es begreift sich leicht, daß meine Frau den lebhaften
-Wunsch hegte, einen solchen Hut zu besitzen,
-und ich noch den lebhafteren, sie in einem solchen
-Hute zu sehen. Daß aber ein deutscher Dichter, und
-er sei gleich, wie ich, noch mehr Geschäftsmann als
-Dichter, nicht in der Lage ist, seiner Frau ein derartiges
-Kunstwerk, die Verkörperung des ästhetischen
-Genies einer traditionell ästhetischen Rasse, zu kaufen,
-leuchtet ohne weiteres ein.</p>
-
-<p>Unsere Begierde, die Bank von Monte Carlo zu
-sprengen, wurde zur wilden Leidenschaft. Kaum, daß
-ich noch Blicke für die eleganten Ambassadricen der
-Venus von Paris hatte; kaum, daß meine Frau noch
-Andachtskraft für die Auslagen der großen Schneider<span class="pagenum"><a id="Page_45">[45]</a></span>
-aufzubringen vermochte: das Gold läutete uns in
-seinen Tempel; wir folgten der großen Glocke. (Ich
-rühre die Pauke des Pathos. Wenn sie ledern klingt
-&ndash; ist es meine Schuld?)</p>
-
-<p>Das Leben in den Spielsälen der Monaco-Aktien-Gesellschaft,
-deren Dividenden so gewaltig sind, wie
-es unsere Hoffnung war, sie durch einen phänomenalen
-Gewinn zu schmälern, ist zum Glück schon so
-oft und mit so glühenden Farben geschildert worden,
-daß ich mir die Mühe ersparen kann, ein Gemälde
-davon zu entwerfen. Ich lasse es um so lieber bleiben,
-als ich weder die flackernden Augen der verzweiflungsvoll
-ihr Letztes auf eine Karte setzenden Spieler, noch
-das müde Lächeln der Verspieler von Riesenvermögen,
-noch die grausame Verkniffenheit in den erbarmungslosen
-Augen des Croupiers bemerkt habe. Ich sah
-nicht, weil ich lediglich auf die dicken Fünffrankenstücke
-guckte, die ich, gänzlich unbekannt mit den Regeln
-des Spieles, irgendwohin setzte, wo gerade Platz war.
-Ich hörte »<em class="antiqua">Faites votre jeu, messieurs</em>« und »<em class="antiqua">rien ne
-va plus</em>«; und die Kugeln tanzten; und es roch wie
-in einem Parfümerieladen. Und das ging eine Weile
-so hin, bis ich fünfzig Franken verloren hatte und
-die Stimme meiner Frau vernahm, die da lautete:
-»Du hast gar keine Ahnung von der Sache. Laß
-mich machen!«</p>
-
-<p>Sie hatte nämlich, während ich im Interesse unserer
-Finanzen rastlos tätig gewesen war, versucht, den
-Sinn der Figuren und Nummern zu ergründen, die
-auf dem grünen Tuche zu sehen waren. Und nun
-fing sie an, mit Überlegung zu tun, was ich unüberlegt
-getan hatte. Mit anderen Worten: ich hatte
-gespielt &ndash; sie: berechnete.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_46">[46]</a></span></p>
-
-<p>Wenn Fortuna nicht ein ganz albernes Frauenzimmer
-wäre, das keine Idee davon hat, worin ihr
-Wesen eigentlich beruht: nämlich im Unberechenbaren,
-das ich mit dem Instinkte des Schicksalskundigen
-kühn und groß herausgefordert hatte, so hätte sie
-meine Frau sofort durch andauerndes Einziehen ihrer
-Fünffrankenstücke bestrafen müssen. Statt dessen bereitete
-sie ihr den Triumph, sie die fünfzig Franken
-wiedergewinnen zu lassen, die ich verloren hatte.</p>
-
-<p>Ich wußte nicht, ob ich mich darüber freuen oder
-ärgern sollte. Denn, wenn es zwar erfreulich war,
-den Spielfonds wieder beisammen zu haben, so war
-es doch auch ärgerlich, dies mit einer Einbuße an
-Autorität zu bezahlen.</p>
-
-<p>Indessen: würdelos, wie man nun einmal wird,
-wenn man, wie ich, den Sinn auf das Materielle zu
-richten gewöhnt ist, freute ich mich schließlich doch,
-indem ich im geheimen hoffte, die verlorene Autorität
-auf anderem Wege wieder zu gewinnen.</p>
-
-<p>Meine Frau aber setzte mit Überlegung weiter.
-Einmal sogar zehn Franken. Und gewann immerzu.
-Es kam der Augenblick, wo unser Spielfonds verdoppelt
-war.</p>
-
-<p>»Siehst du?« sagte sie und lächelte so infam, wie
-ich es ihr niemals zugetraut hätte.</p>
-
-<p>»Was denn?« entgegnete ich kühl.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">Duecento lire!</em>« erwiderte sie, &ndash; der Moment
-war zu erhaben, als daß sie ihn nicht toskanisch hätte
-verklären müssen.</p>
-
-<p>»Wenn's weiter nichts ist!?« warf ich verächtlich
-hin.</p>
-
-<p>Da setzte sie, gereizt und kühn, fünfzig Franken
-auf einmal.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_47">[47]</a></span></p>
-
-<p>Ich dachte nicht anders, als sie sei im Glückstaumel
-übergeschnappt, und ergriff eines der unheimlichen
-Schiebestäbchen, den Wahnwitz aufzuhalten, die
-fünfzig Franken zurückzuscharren. Da krähte der
-glatzköpfige Croupier aber auch schon los: <em class="antiqua">Rien ne va
-plus</em>, und die schicksalträchtige Kugel hopste wie besessen
-in der Roulette.</p>
-
-<p>»Du bist verrückt,« stöhnte ich, von dem Rechte
-des Ehemanns, grob zu sein, skrupellos Gebrauch
-machend.</p>
-
-<p>Die Kugel stand still.</p>
-
-<p>Mein Herz auch.</p>
-
-<p>Der Croupier scharrte geschickt und gelassen die
-Unglückshäufchen von Fünf- und Zehnfrankenstücken
-zu sich heran, denen die Kugel Pech gehopst hatte.</p>
-
-<p>Gleich wird <em class="gesperrt">ihr</em> Häufchen auch beim Teufel sein,
-dachte ich mir und verfluchte den weiblichen Leichtsinn.</p>
-
-<p>Da: ping, ping, ping, ping ließ er Goldstücke auf
-das Häufchen regnen; lauter Napoleondors; eine unglaubliche
-Menge.</p>
-
-<p>In diesem Momente bewies meine Frau wahre
-Seelengröße.</p>
-
-<p>Sie machte, ruhig, als sei es ihr ein gemeiner Anblick,
-Goldstücke dutzendweise um sich zu versammeln,
-ihren Pompadour auf, kramte darin herum, als suchte
-sie etwas, entnahm ihm ihr Taschentuch, wischte sich
-am Näschen, legte das Tuch hinein, placierte den geöffneten
-Silberbügel des Pompadours am Rande der
-Tafel und ließ mit unglaublich gut gespielter Gleichgültigkeit
-den Goldstrom hineinplätschern.</p>
-
-<p>Dies getan, stand sie nicht ohne Majestät auf und
-sagte zu mir: »Ich glaube, unsere letzte Trambahn
-muß gleich abgehn.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_48">[48]</a></span></p>
-
-<p>Es ist unglaublich, aber nichts als die reine Wahrheit:
-sie wollte sich mit ihrem Raube auf den Yankeedoodle
-zurückziehen.</p>
-
-<p>»Wir haben genug,« erklärte sie. »Ich weiß nicht
-wieviel ich gewonnen habe, aber: es ist genug. Wenn
-ich jetzt weiter spiele, verliere ich.«</p>
-
-<p>Ich hatte die dunkle Empfindung, daß sie recht
-hatte; daß sie wirklich die Stimme des Schicksals in
-sich vernahm: daß es also vernünftig war, was sie
-sagte. Und ich wollte sie schon am Ärmel nehmen
-und mit ihr fortgehen &ndash; direkt zu dem himmlischen
-Hute drüben.</p>
-
-<p>Da ging ein Rauschen durch den Saal, ein Flüstern,
-das zu einem Surren von Stimmen wurde, und ein
-Rascheln von vielen, vielen seidenen Frauenkleidern.</p>
-
-<p>»<em class="antiqua">C'est Théodore!</em>« hörten wir rufen. »<em class="antiqua">Théodore!
-Théodore; Cinquanto mille! Soixante! Théodore!</em>«</p>
-
-<p>Wir sahen uns um und genossen den Anblick von
-gut drei Dutzend aufgeregter Damen verschiedenen
-Alters, aber gleichen Metiers, die, Eisenfeilspänen
-gleich, wenn der Magnet sie in seine Sphäre gezogen
-hat, allesamt auf einen Punkt zuschossen: in den
-Nebensaal zu einem anderen grünen Tische, wo ein
-unangenehm schöner junger Herr stand, durchaus und
-ausschließlich damit beschäftigt, Tausendfrankennoten
-in ein enormes Portefeuille zu stopfen.</p>
-
-<p>»Redner wird beglückwünscht,« sagte ich zu meiner
-Frau.</p>
-
-<p>»Glaubst du wirklich, daß er fünfzig-, sechzigtausend
-Lire gewonnen hat?« sagte sie.</p>
-
-<p>»Nach der Ovation zu urteilen, die ihm Fortunas
-Cousine, die eifersüchtige Venus, bringt, gewiß. Du<span class="pagenum"><a id="Page_49">[49]</a></span>
-kannst dich darauf verlassen, daß er diesen Tag nicht
-als Einsiedler beschließen wird,« sagte ich.</p>
-
-<p>»Diese Unanständigkeiten interessieren mich gar
-nicht,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Ich finde es gar nicht unanständig, sechzigtausend
-Franken zu gewinnen, und bin jeden Augenblick zu
-der gleichen Unanständigkeit bereit,« sagte ich.</p>
-
-<p>»Ich auch,« sagte sie, und ging in den Nebensaal
-zu dem anderen grünen Tische.</p>
-
-<p>Sie hatte es sehr bald heraus, daß es dort in
-Einsatz, Gewinn und Verlust erheblich anders kleckte,
-als bei unserer zahmen Roulette.</p>
-
-<p>»Ich glaube,« sagte sie, »wir versuchen es einmal
-hier.«</p>
-
-<p>»Aber,« sagte ich, »ich denke, du hast kein Glück
-mehr?«</p>
-
-<p>»Dort!« sagte sie; »hier ist es etwas anderes.
-Wie du siehst, muß man hier mindestens zwanzig
-Lire setzen.«</p>
-
-<p>Ich sah ein, daß das in der Tat etwas ganz
-anderes war, und erhob keinen eheherrlichen Einspruch.
-Nur machte ich zur Bedingung, daß auch ich in
-Théodores Spuren wandeln durfte.</p>
-
-<p>»Doppelt genäht hält besser, weißt du&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Ja, wenn du nur eine Ahnung vom Nähen
-hättest.«</p>
-
-<p>»Ich? Bitte: Im <em class="antiqua">Trente et quarante</em> habe ich
-vor zehn Jahren einmal zweihundert Franken gewonnen.«</p>
-
-<p>»Und sie wieder verloren, weil du nicht zur rechten
-Zeit aufhörtest.«</p>
-
-<p>»Aber heute habe ich zwei große Beispiele vor
-mir: dich und Théodore.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_50">[50]</a></span></p>
-
-<p>»Wenn du mir versprichst, aufzuhören, sobald du
-fünftausend, &ndash; nein: viertausend, &ndash; nein: wenn du
-dreitausend Franken gewonnen hast&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Selbstredend.«</p>
-
-<p>Sie ließ mich einen Griff in den Pompadour tun,
-und ich begab mich mit einer Faust voller Goldstücke
-zur anderen Seite des Tisches.</p>
-
-<p>Ich war wirklich vom Glück begünstigt: eben, als
-ich erschien, stand eine dicke Dame auf und fluchte
-etwas Polnisches.</p>
-
-<p>Hast du verloren, mein Täubchen, dacht' ich mir,
-so ist die Wahrscheinlichkeit um so größer, daß ich
-auf diesem Platz gewinnen werde.</p>
-
-<p>Ach, &ndash; ich bin immer ein schlechter Mathematiker
-gewesen: auch diese Wahrscheinlichkeitsrechnung stimmte
-nicht.</p>
-
-<p>Andere Leute gewinnen wenigstens anfangs und
-verlieren das Gewonnene nur infolge ihrer Willensschwäche,
-weil sie nicht aufzuhören wissen und blind
-und blöde die Schwelle überschreiten, die aus dem
-Gewinnen ins Verlieren führt: ich aber verlor von
-Anfang an, unaufhörlich, immerzu, ohne Unterlaß
-und Unterbrechung.</p>
-
-<p>Da ich von Mal zu Mal die Einsätze verdoppelte,
-ging es sehr schnell; ich darf wohl sagen: rapid. Die
-Sache hatte nicht den mindesten psychologischen Witz.
-Es war eine ganz blödsinnige Wiederholung von
-Niederträchtigkeiten.</p>
-
-<p>Angeekelt von einem Schicksal, das keine Nuancen
-kennt, schob ich den Stuhl zurück, aufzustehen. Es
-blieb mir auch nichts anderes übrig, denn nicht der
-Schatten eines Napoleondors war mehr in meinem
-Besitze.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_51">[51]</a></span></p>
-
-<p>Ich hörte im zermarterten Geiste bereits die Reprimanden
-von Madame und trug Bedenken, mich der
-großen Gewinnerin zu nähern, als ich, aufstehend und
-mich umwendend, sie mir gegenübersah.</p>
-
-<p>Ich senkte den Blick.</p>
-
-<p>Als ich ihn erhob, sah ich, daß der ihrige noch
-nicht den Mut aufgebracht hatte, sich zu erheben.</p>
-
-<p>Ich wußte genug.</p>
-
-<p>»Hast du noch Geld zur Trambahn?« fragte ich.</p>
-
-<p>»Wir können sogar noch Abendbrot essen,« sagte
-sie, »und ein paar Ansichtspostkarten wegschicken.«</p>
-
-<p>»Es gibt welche mit Schmähungen auf Albert I.,
-Honoré Charles, Fürsten von Monaco,« sagte ich.</p>
-
-<p>»Die nehmen wir,« sagte sie.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_52">[52]</a></span></p>
-
-<h2 id="Die_Liaisons_der_schonen_Sara">Die Liaisons der schönen Sara.<a id="FNanchor_2_2"></a><a href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">2</a></h2>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_2_2"></a><a href="#FNanchor_2_2"><span class="label">2</span></a> Anfangskapitel des »Prinzen Kuckuck«, unter diesem
-Titel als Erzählung für sich zuerst in der »Neuen Rundschau«
-erschienen.
-</p>
-<p class="right">
-F. D.
-</p>
-</div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Es war um die Zeit der unumschränkten Herrschaft
-der Kaiserin Eugenie über die Modemagazine der
-alten und der neuen Welt, als Madame Sara Asher,
-die junge Witwe des alten Mister Leon Asher (Felle
-und Pelzwarenkonfektion, Neuyork) zum ersten Male
-seit ihrer Kindheit ihre kleinen Füße wieder auf europäischen
-Boden setzte.</p>
-
-<p>Europa war damals kleine, auf hohen Stöckeln
-balancierende Füße gewöhnt, und auch die hohen bis
-zur Mitte der Waden reichenden Juchtenstiefelchen
-mit goldenen Schnürenquasten, die Madame Sara
-trug und geschickt in ihrer ganzen Pracht zu zeigen
-keineswegs ermangelte, waren keine Sensation für den
-alten Erdteil, der damals auf üppige Eleganz gestimmt
-war und noch nicht den kategorischen Imperativ
-der bismarckschen Kürassierstiefel erfahren hatte. Selbst
-Madame Ashers lilafarbenes Krinolinkleid, diese
-prachtvolle Glocke mit dem prachtvolleren Schwengelpaar
-der beiden in weißseidenen Strümpfen steckenden
-Beine war nicht imstande, besonderen Eindruck auf<span class="pagenum"><a id="Page_53">[53]</a></span>
-einen Kontinent zu machen, der mit jedem neuerscheinenden
-Pariser Modejournale neue Glockenwunder
-erlebte und neben einer Kaiserin der Mode ein paar
-hundert Modeköniginnen besaß, deren jede den raffinierten
-Sinn dieser Verheimlichung der weiblichen
-Beine wohl begriffen hatte. Trotzdem drehte sich schon
-auf dem Jungfernstieg zu Hamburg mancher elegante
-Kommerz interessiert nach der schönen Jüdin um, und
-wer sich des damals noch seltenen Vorzugs rühmen
-durfte, mit einem Monokel begabt zu sein (dessen
-rand- und bandlose Vollkommenheit freilich noch nicht
-erreicht war), ließ hinter dessen Fensterglase Blicke
-blitzen, die rückhaltlose Anerkennung sowohl wie den
-Wunsch verrieten, dieser nach jeder Richtung hin
-wohlgebauten Dame einmal an einem Orte zu begegnen,
-wo sich Beziehungen leicht und mühelos anknüpfen
-lassen.</p>
-
-<p>Noch größer aber war ihr Erfolg in Leipzig, wohin
-sie sich auf mehrere Wochen begeben mußte, weil
-mit der Verwandtschaft des seligen Leon noch einige
-Erbschaftsangelegenheiten zu ordnen waren. Der
-Brühl, wo diese Verwandtschaft in einer zwar nicht
-wohlriechenden, dafür aber um so lukrativeren Sphäre
-von »Rauchwaren« hauste, geriet in beträchtliche Aufregung,
-und es gab wahrhaftig mehr als einen unbeweibten
-Rauchwarenhändler, der stürmisch bereit
-war, der schönen und reichen Sara nicht bloß seine
-kostbarsten Eisbärenfelle, sondern auch sein liebefühlendes
-Herz nebst allen Geschäftsbüchern zu Füßen
-zu legen.</p>
-
-<p>Indessen, Madame Sara hatte offenbar wenig
-Sinn für die hingebungsvollen Gefühle verwandter
-und befreundeter Firmen. Sie war keineswegs in<span class="pagenum"><a id="Page_54">[54]</a></span>
-der Absicht nach Leipzig gereist, weiterhin auf ehelicher
-Grundlage in Pelz und Pelzkonfektion zu machen.
-Sie hatte an ihrem einen Rauch- und Pelzwarenhändler
-schon völlig genug gehabt und war im Grunde
-froh, daß ihre Ehefirma durch den Tod gelöscht worden
-war. Denn der alte dürre Leon, diese zweibeinige
-Rechenmaschine, der man sie in sehr jungen Jahren
-beigegeben hatte, war ganz und gar nicht ihr Geschmack
-gewesen. Für seine löblichen Qualitäten als
-Kaufmann und Familienvater hatte sie kein Organ
-besessen, aber ein um so schärferes Auge für das,
-was ihm als Menschen im allgemeinen und als Mann
-im besonderen an den Eigenschaften fehlte, für die es
-ihr an Organ keineswegs gebrach.</p>
-
-<p>Mochte er ein Charakter gewesen sein: <em class="gesperrt">sie</em> war
-vor allem ein Temperament. Er war einer der aus
-dem Osten Europas gekommenen Juden gewesen, von
-denen sie zu sagen pflegte, selbst ihr Schatten färbe
-noch ab, und der Geist des Ghettos stöhne in ihren
-schönsten Reden (und das und nichts anderes sei das
-Mauscheln), während sie die Tochter eines sehr westlichen,
-nämlich spanischen Juden war (eines jüdischen
-Granden, wie sie sagte) und einer Kreolin. Freilich
-war auch der Vater dieser Kreolin bestimmt ein Jude
-gewesen, und das indianische Blut in ihrer Herkunft
-mütterlicherseits begegnete in der Verwandtschaft auf
-dem Brühl unverhohlenem Zweifel, aber es lag ihr
-auch ganz fern, ihre Zugehörigkeit zum jüdischen
-Stamme zu leugnen. Sie war vielmehr stolz darauf
-und sprach es bei jeder Gelegenheit recht hochmütig
-aus, daß sie sich als Aristokratin fühle, eben weil sie
-Jüdin sei, und noch dazu spanische Jüdin. Es war
-das, wie ihre Schönheit, ihr Geist und ihr Temperament,<span class="pagenum"><a id="Page_55">[55]</a></span>
-ein Erbteil ihres Vaters, der zwei Haupteigenschaften
-besessen hatte: Stolz und Phantasie. Aus einem
-reichen Hause stammend, hatte er sich, von der Lust
-nach Unabhängigkeit und Abenteuern getrieben, von
-seiner orthodoxen und streng in sich abgeschlossenen
-Familie gelöst und war in die Welt hinausgezogen.
-Lange hatte er in Italien gelebt, mit der inbrünstigen
-Andacht eines Psalmoden die früheste, halb byzantinische
-Kunst verehrend und immer den stolzen Plan
-hegend, der Verkündiger dieser Kunst zu sein. Dann
-hatte ihn die deutsche Kunstgelehrsamkeit, wenn nicht
-abgekühlt, so ernüchtert, und er war in das Getriebe
-der revolutionären Bewegung, gleichzeitig aber in den
-Aufruhr der Liebe zu seiner »Kreolin« geraten, die
-er als Tänzerin in Dresden kennen gelernt hatte.
-So kam es, daß die »spanische Sara« (wie man sie
-nicht ohne Respekt auf dem Brühl nannte) zu ihrem
-Leidwesen in Deutschland geboren worden war. Indessen
-konnte sie keine Erinnerung daran haben, da
-ihr Vater schon vor dem tollen Jahre Deutschland
-verlassen und mit Frankreich vertauscht hatte. Aber
-auch dieses Land genügte seinem revolutionären Sinne
-nicht, und er wanderte mit Weib und Kind nach
-Amerika aus, wo es ihm indessen erst recht nicht gelang,
-zur Harmonie zu kommen. Immer die größten
-Pläne, bald wissenschaftlicher, bald poetischer, bald
-politischer Natur wälzend und sich aus einem Lager
-der Meinungen immer wieder in ein anderes begebend,
-immer wieder abgestoßen durch das, was er
-Philistertum nannte, und überall abstoßend durch seinen
-Stolz und sein Weiterhinausbegehren, endete er als
-vollkommener Einsiedler der Gedanken, als geborener
-<em class="antiqua">précurseur</em>, wie er sich selbst nannte. Seine Frau war<span class="pagenum"><a id="Page_56">[56]</a></span>
-ihm weggestorben, als Sara noch nicht zehn Jahre
-alt war. Diese war nun sein einziger Umgang, und
-in ihrer Erziehung ging er völlig auf. Er brachte
-ihr, einem höchst aufgeweckten Kinde, früher, als ihr
-gut sein konnte, nicht nur seine reichen Kenntnisse in
-Sprachen, Kunst und Literaturgeschichte, sondern auch
-seine ganze Weltauffassung bei, die schließlich immer
-mehr Nihilismus geworden war. Eine rasche Krankheit
-raffte ihn weg, kurz bevor sie das fünfzehnte
-Jahr erreicht hatte. Da er ihr fast nichts hinterließ,
-mußte sie es als ein großes Glück betrachten,
-daß der alte reiche Leon Asher sich ihrer annahm.
-Das Wohlleben in seinem Hause gefiel ihr, und so
-sagte sie nicht nein, als der Fünfzigjährige die Sechzehnjährige
-zur Frau begehrte. Sie gebar ihm in
-drei Ehejahren zwei Söhne. Als er starb, hatte sie
-das Gefühl: jetzt beginne ich zu leben. Kaum, daß
-das Trauerjahr vorüber war, übergab sie ihre zwei
-Kinder, zu denen sie auch nicht die geringste mütterliche
-Zuneigung empfand, einer Schwester des Verstorbenen
-und unternahm die Reise nach Europa,
-zwar unter dem Vorwande, nur Erbschaftsangelegenheiten
-betreiben zu wollen, aber mit der bestimmten
-Absicht, in Europa zu bleiben und dort ihr Leben in
-aller Freiheit einer reichen jungen Witwe zu genießen.
-Die aufs Geistige gewandten revolutionären Lehren
-ihres Vaters hatten bei ihr eine sehr deutliche Wendung
-aufs Sinnliche genommen, doch besaß sie einen gewissen
-sehr günstigen Dämpfer in ihrer wohlfundierten
-ästhetischen Bildung.</p>
-
-<p>Aber der Brühl zu Leipzig konnte freilich keine
-Landschaft nach ihrem Sinne sein. Sie nahm nur
-schnell ein kleines Verhältnis mit einem hübschen,<span class="pagenum"><a id="Page_57">[57]</a></span>
-aber allzuwenig interessanten Korpsstudenten mit;
-dann reiste sie nach Dresden. Der Galerie wegen,
-meinte sie, doch dachte sie wohl auch an anderes.</p>
-
-<p>Ihr Vater, kein Freund des deutschen Wesens,
-hatte ihr von Dresden berichtet als der einzigen deutschen
-Stadt mit galanter Kultur. Er hatte dies freilich
-nicht ganz in dem Sinne gemeint, in dem es sich
-bei ihr festgesetzt hatte. Aber es war in diesem Falle
-gewesen, wie auch sonst: sie hatte, indem sie eine allgemein
-gefaßte Meinung ihres Vaters in ihre Auffassungssphäre
-übernahm, sie zwar allzu wörtlich aus
-dem Allgemeinen einer männlichen Erfahrung in das
-Besondere ihrer weiblichen Gefühls- und Anschauungswelt
-übersetzt, aber im wesentlichen deckten sich Original
-und Übersetzung doch.</p>
-
-<p>Der Vater Saras hatte Dresden mit den Augen
-des Kunstgelehrten und Kunsthistorikers angesehen. Er
-war italienischen und französischen Einflüssen in der
-Kunst und Kultur der sächsischen Residenzstadt nachgegangen
-und dabei auch italienischem und französischem
-Blute begegnet. Dies mußte ihn, den unter
-Romanen geborenen, wie etwas Heimatliches berühren.
-Und seine Phantasie half nach. In jedem schwarzen
-oder braunen Auge einer Dresdnerin erblickte er ein
-lebendiges Denkmal längst verwehter Schäferstunden
-französischer Soldaten und italienischer Künstler, wenn
-es auch vielleicht in Wahrheit slawisches Braun und
-Schwarz war. Und dann kam hinzu, daß er seine eigene
-Liebe in dieser Stadt erlebt hatte. Hier hatte das
-Wochenbett seiner Frau, hier die Wiege Saras gestanden;
-und beide Betten, das große und das kleine,
-hatte er mit alten Meißner Figürchen umgeben, kleinen
-Kunstwerken, auf die das Wort einer galanten Kultur<span class="pagenum"><a id="Page_58">[58]</a></span>
-wirklich zutraf. Alles dies lebte in Sara nach, unbewußt,
-halb bewußt, ganz bewußt.</p>
-
-<p>Als sie der hübsche, aber leider von Korpsinteressen
-völlig absorbierte Kurt von Kantern, die stahlblaue
-Lausitzer-Mütze tief, wie es damals Mode war,
-in die Stirn gezogen, einmal gefragt hatte: »Aber
-warum denn gerade nach Dresden, Madame? Auf
-Ehre &ndash; Dresden ist ein langstieliges Kaffeedorf!«
-hatte sie geantwortet: »Für Korpsstudenten &ndash; mag
-sein. Korpsstudenten interessieren sich nicht für Meißner
-Porzellan. Korpsstudenten sind tapfere Ritter,
-aber keine Kavaliere im Sinne der galanten Zeit.
-Sie müssen zu viel Bier trinken und zu oft pauken.
-Das ist gewiß reizend &ndash; für Korpsstudenten. Ich
-aber habe schon genug von steilen Terzen und Hakenquarten.
-Ich möchte nicht gerne Anlaß zur Eifersucht
-haben, und am wenigsten Anlaß zur Eifersucht auf
-die Kneipe. Ich möchte mich in Jünglinge verlieben,
-die auf der ganzen Welt nichts kennen und wollen
-als mich, oder in Männer, die sich in meiner Gesellschaft
-von großen Dingen ausruhen.«</p>
-
-<p>Davon begriff der hübsche Lausitzer-Senior nicht
-gar viel; die schöne Sara aber hatte damit immerhin
-etwas von der Oberfläche ihrer Instinkte verraten.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>In Dresden logierte sie sich nahe dem Zwinger
-in einem höchst soliden und von der besten Gesellschaft
-frequentierten Hotel ein, wo sie schon bei der Ankunft
-nicht geringen Eindruck machte; einmal durch die große
-Anzahl der von ihr mitgeführten sehr umfangreichen
-und schweren Lederkoffer und dann durch ihre Jungfer,
-eine äußerst häßliche und, wie es schien, taube Negerin,<span class="pagenum"><a id="Page_59">[59]</a></span>
-die von ihr Lala genannt wurde und ihrer Herrin
-sklavisch anhänglich war.</p>
-
-<p>Dieses Verhältnis führte sich in erster Linie darauf
-zurück, daß Lala mit ihrer Herrin zusammen aufgewachsen
-war, am Äußeren der Erziehung mit anteilnehmend,
-so daß sie gleich dieser Deutsch, Englisch,
-Französisch und Italienisch verstand, aber vom Vater
-Saras doch immer auf dem Stand einer durchaus
-willenlosen und sklavisch abhängigen Dienerin niedergehalten.
-Sie hatte nie einen Pfennig Lohn erhalten
-und nie daran gedacht, dergleichen als etwas ihr Zukommendes
-zu betrachten. »Du bist Saras dunkle
-Schwester,« hatte ihr der Alte gesagt, »und gehörst
-zu ihr, wie ihr Schatten. Und wie ihr Schatten sollst
-du sein: stumm, taub &ndash; für die anderen. Aber Sara
-wird keine Geheimnisse vor ihrer dunklen Schwester
-haben, und Saras Schatten wird Saras Schicksal
-teilen. Sara wird für ihn denken und Sara wird
-für ihn sorgen. So ist es die Bestimmung und so
-das Glück der dunklen Schwester.« Der Alte hatte
-wohl gewußt, warum er in Bildern zu der kleinen,
-verprügelt und halb verhungert in sein Haus gekommenen
-Negerin gesprochen hatte. Ihre wie aus
-einer Schicht braunen Öls stumpf leuchtenden schwarzen
-Augen hatten ihm die unklar träumende Seele
-dieses Wesens offenbart, das treu wie ein Hund und
-zu allem Guten und Bösen abzurichten war. Der
-Alte sorgte dafür, daß nichts in ihr helle wurde, als
-das Gefühl für die Erhabenheit Saras über ihr. Und
-dieses Gefühl wurde immer mehr zu einer demütigen
-Anbetung, je reifer die Schönheit Saras wurde. Wie
-Sara selbst, ohne Religion aufgewachsen, hatte sie,
-aus einem mystischen Bedürfnisse ihres dunklen Wesens<span class="pagenum"><a id="Page_60">[60]</a></span>
-heraus, Sara zu einem Idol nach der Art derer gemacht,
-die ihre schwarzen Vorfahren angebetet haben
-mochten. Das war keine gute Göttin, kein lieber
-Gott, das war nur eben das höhere Wesen, die
-Macht, die Lenkung. Und es war die Schönheit,
-die Helle.</p>
-
-<p>Lala wurde zur Dichterin, wenn sie ihre Gefühle
-für Sara aussprach.</p>
-
-<p>Wie Sara zum Führen eines Tagebuches angehalten
-worden war, so auch sie, aber sie schrieb nur
-Dinge hinein, die Sara betrafen, und jede Seite begann
-mit der Überschrift: »Heute sprach die helle
-Schwester dies.« Dann folgte etwa: »Hole das grüne
-Kleid, Lala. Tat es die dunkle Schwester. Sprach
-später die helle Schwester: Ich liebe noch immer den
-jungen Mann. Bring ihm den Brief. Tat es die
-dunkle Schwester. Und der junge Mann lächelte,
-denn die helle Schwester liebt ihn. Und kam zur
-Nacht nicht heim. Sanft sei ihr Glück wie der Mond,
-und heiß wie die Sonne. Die dunkle Schwester kennt
-die Liebe nicht, aber sie hat alles mit von der hellen
-Schwester. Und es ist gut für sie. Alles ist gut, so
-dunkel und gut.«</p>
-
-<p>In diesem seltsamen Tagebuche bediente sich Lala
-derselben Geheimschrift, die sie mit Sara von Saras
-Vater erlernt hatte. Doch hatte sie sich noch einige
-Sigel dazu erfunden. So für die Worte: »Heute
-sprach die helle Schwester« einen Kreis, durch den
-ein Pfeil wagrecht ging und für die Worte: »Tat es
-die dunkle Schwester« einen Halbmond, durch den ein
-Pfeil senkrecht ging.</p>
-
-<p>Ihre Taubheit war Verstellung zu dem Zwecke,
-die Äußerungen fremder Leute über ihre Herrin vernehmen<span class="pagenum"><a id="Page_61">[61]</a></span>
-zu können, ohne daß diese sich dessen versahen.
-So hatte sie schon während der Ehe Saras der hellen
-Schwester wertvolle Spionendienste unter der Verwandtschaft
-des ahnungslosen Mister Leon Asher geleistet.
-Sara selbst pflegte ihre Dienerin auch ihren
-nächsten Bekannten und Vertrauten gegenüber als
-harmlose Idiotin hinzustellen, was um so weniger
-auf Mißtrauen stieß, als die primitiven Umgangsformen
-zwischen Herrin und Dienerin, wie das gegenseitig
-angewandte Du, ohnehin den Eindruck machten,
-als seien sie auf kindliche Zurückgebliebenheit des Verstandes
-der seltsamen braunen »Jungfer« zurückzuführen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nachdem Madame Sara in den besten Geschäften
-der Pragerstraße nach den besten Pariser Modellen
-ihre zwar ohnehin reiche, aber doch noch nicht ganz
-auf der Höhe des europäischen Geschmackes befindliche
-Garderobe ergänzt hatte und es nun an türkischen
-Schals, spanischen Mantillen, kleinen koketten Federhütchen,
-knisternden Reifröcken und durchbrochenen
-Halbhandschuhen mit den elegantesten Dresdener Madams
-mehr als aufnehmen konnte, fand sie es für
-angezeigt, ihre Antrittsvisite bei der berühmtesten, ob
-auch ganz altmodisch gekleideten Dresdnerin zu machen,
-deren erlauchte italienische Herkunft zweifellos ist: bei
-der Sixtinischen Madonna.</p>
-
-<p>Gleich den meisten anderen Fremden durchschritt
-auch sie (doch war es mehr ein Durchwogen) alle
-übrigen Säle der Galerie, ohne den an ihren Wänden
-prangenden Kostbarkeiten mehr als einen vorüberstreifenden
-Blick zu gönnen, mit dem Ausdruck der
-von Sehnsucht beflügelten Wisserin der höchsten Gnade,<span class="pagenum"><a id="Page_62">[62]</a></span>
-bis sie zu dem gebenedeiten Raume gelangte, wo die
-himmlischen Augen der Mutter und des Kindes leuchten,
-vor denen Papst und Heilige knien.</p>
-
-<p>Die schöne Jüdin, froh, dort niemand zu treffen,
-ließ sich mit einem knisternden Aufbauschen ihres
-dunkelgrün seidenen Reifrockes in einem Fauteuil dem
-Bilde gegenüber nieder, erhob ihren schönen, mit vollgerundeten,
-schwermütig schwankenden Schmachtlocken
-frisierten Kopf zu dem Gemälde und führte das goldene
-Lorgnon an die dunklen und durch unterlegtes
-Beinschwarz noch mehr gehobenen Augen.</p>
-
-<p>Ein wunderlicher Gegensatz, wie von Gavarni
-mit verruchter Raffiniertheit erfunden, diese beiden
-Frauenbilder einander <em class="antiqua">vis-à-vis</em>: das lebendige, als
-ob es ein zwar amüsantes, aber freches Gespenst des
-Lebens wäre, und das aus der Kunst geborene, das
-fast noch mehr wie Leben strahlte: als Lebensleuchten
-selber aus tiefster, innigster Einfalt.</p>
-
-<p>Madame Sara empfand selbst so etwas und zog
-ein Spiegelchen aus ihrem perlengestickten Ridikül,
-sich darin zu betrachten.</p>
-
-<p>Warum schminken wir uns eigentlich so absurd,
-dachte sie für sich. Warum diese Masse Rot auf so viel
-Creme-Weiß. &ndash; Nun ja, wir sind keine Göttinnen …
-Und doch … es wird einem wunderlich zumute.</p>
-
-<p>Und sie sah wieder die Madonna an.</p>
-
-<p>Und dachte weiter: &ndash; Wer hat mehr Ursache,
-stolz zu sein, als wir Jüdinnen? &ndash; Die schönste
-Römerin war dem größten Künstler Italiens gerade
-gut genug, eine Jüdin darzustellen&nbsp;… &ndash; Religion?</p>
-
-<p>Sie lächelte.</p>
-
-<p>Wer hier die Liebe nicht sieht, hat keine Augen. &ndash;
-Freilich: der Papst, die Heiligen, die Engel … <em class="antiqua">Enfin!</em><span class="pagenum"><a id="Page_63">[63]</a></span>
-Künstler können sich was herausnehmen … Künstler!
-Ah! … Zweierlei gibt's: Künstler und Helden &ndash; oder,
-ohne Romantik gesprochen, Soldaten &ndash; d. h. Offiziere.</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke wurden ihre Gedanken
-durch das bestimmte Gefühl unterbrochen, daß hinter
-ihr ein Mann stehen müsse. Eine kleine Wendung
-ihres Kopfes, ein Blick nach hinten, <em class="antiqua">colla coda dell'
-occhio</em>, genügte, ihr zu zeigen, daß ihr Gefühl sich
-nicht getäuscht hatte.</p>
-
-<p>Eine Weile später würde sie ihn auch mit der
-Nase haben wahrnehmen können, denn der Herr, der
-jetzt schräg hinter Madame stand und keinen Blick
-von ihr wandte, wie wenn er nicht der Sixtinerin
-wegen gekommen wäre, sondern wegen der Amerikanerin,
-dieser Herr, ein straff aufrechter Vierziger
-mit blonden Koteletten in der Mode der Zeit, einem
-rosigen Teint, sehr hellbraunen Augen und einem Anzuge,
-dessen sich der Empereur in Paris nicht hätte zu
-schämen brauchen, liebte offenbar die starken Gerüche.
-Damals war unter den vornehmen Mitgliedern der
-Herrenwelt ein Parfüm bevorzugt, das heute zu den
-Lehrlingen im Kellnergewerbe herabgesunken ist: Jockey-Klub.
-Doch war dieses Odeur damals noch nicht so
-degeneriert wie heute, wo es aus den zusammengegossenen
-Neigen anderer Extrakte hergestellt zu werden
-scheint. Es war vielmehr in der Blüte seiner
-Kraft und duftete restlos die große Seele dessen aus,
-der seine Erfindung inspiriert hatte: des Prinzen von
-Wales, dem bei seiner Inspiration nichts Geringeres
-vorgeschwebt hatte, als eine Erhebung des Stallgeruchs
-zum Odeur, &ndash; Rennpferd-Stallgeruchs, versteht sich.
-Frisches Heu und Juchtenleder als Dominante. Ein
-wirkliches <em class="antiqua">Odeur de chevalier</em>, viel sagend und viel<span class="pagenum"><a id="Page_64">[64]</a></span>
-versprechend für geistreiche Nasen von Damen mit
-Temperamentsphantasie.</p>
-
-<p>Der schönen Sara, die allzulange Ledergerüche
-hatte erdulden müssen, die nicht raffiniert und nicht
-nobilisiert waren, fehlte es an dieser Phantasie keineswegs,
-und so kam es, daß ihre Geruchsnerven in der
-bestimmten Ahnung vibrierten, der Herr hinter ihr
-könne eine Bedeutung für sie haben. Und so ließ sie
-mit scheinbarer Nachlässigkeit ihr winziges Spitzentaschentuch
-fallen, dessen Parfüm etwa als Komplementär-Geruch
-zu jenem <em class="antiqua">Odeur de chevalier</em> hätte bezeichnet
-werden dürfen. Sofort machte der Herr mit
-den Koteletten ein paar schnelle federnde Schritte nach
-vorn, bückte sich zu dem winzigen weißen Häufchen
-aus Seide, Spitzen und Duft nieder, ergriff das zarte
-Gewebe und überreichte es Madame mit einer Verbeugung,
-die zugleich ritterlich und galant, die beste
-Welt verriet.</p>
-
-<p>Ah, machte Sara mit vollendet gespielter Überraschung,
-das heißt mit einem Tone der Überraschung,
-dem man es anhören konnte, daß die Überraschung
-gespielt war. Der Herr mit den hellbraunen Augen
-verstand sich auf Tonnuancen aus Frauenmunde
-und wußte auch die richtigen Folgerungen daraus
-zu ziehen und sich den Folgerungen entsprechend mit
-Delikatesse zu benehmen. Aber hier hätte es der Erfahrung
-und Sicherheit eines Meisters in der Kunst
-der Anknüpfung mit Damen nicht einmal bedurft,
-denn angesichts ganz großer Gegenstände der Kunst
-oder Natur ist es selbst für Anfänger leicht, den Faden
-zu einem Gespräch anzuspinnen und fest zu drehen.
-Was so hoch über der gemeinen Konvenienz steht,
-wie die Sixtinische Madonna, verleiht mit der Macht<span class="pagenum"><a id="Page_65">[65]</a></span>
-von Souveränen auch das Recht, sich in seiner
-Gegenwart zeitweilig über konventionelle Schranken
-wegzusetzen.</p>
-
-<p>So waren Weltdame und Weltmann bald in einem
-angenehm bewegten Gespräch, das bei Raffael begonnen
-hatte, über die Kunst im allgemeinen anmutig
-weggeschaukelt war und sich schließlich behaglich über
-Fragen des gesellschaftlichen Lebens in Dresden ausbreitete.</p>
-
-<p>Der Umstand, daß auch der Herr als Fremder in
-Dresden weilte, ergab eine willkommene Erleichterung
-der gegenseitigen Aussprache. Eine Reisebekanntschaft,
-sogleich als Reisebekanntschaft determiniert, wird von
-Leuten von Welt, die sonst zumeist gezwungen sind,
-sich in festen Zirkeln zu bewegen, immer als eine angenehme
-Bescherung des Zufalls gerne begrüßt. Man
-lernt sich schnell kennen, kommt einander, wenn Sympathie
-im Spiele ist, sehr schnell nahe, bleibt aber doch
-immer Passagier, und es genügt, eines Tages zu sagen:
-Morgen mit dem Frühzuge reise ich weg. Nicht einmal
-das Stammbuchblatt früherer Zeiten ist auszufüllen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Fällt Dein Blick auf diese Seite,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn Du jene umgewandt,<br /></span>
-<span class="i0">Denk an mich mit Gunst und sage:<br /></span>
-<span class="i0">Diesen hab ich auch gekannt.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Fürst Wladimir Golkow, russischer Kavallerie-General
-außer Dienst, Kommandeur des Sankt-Georgsordens
-für besondere Bravour im Krimkriege, besaß
-viel Neigung zu derlei Bekanntschaften, zumal wenn
-es sich um schöne Partnerinnen handelte, und er lebte
-recht eigentlich solcher Reisebekanntschaften wegen
-immer auf Reisen. Doch war Dresden, das zu jener
-Zeit von Russen überhaupt bevorzugt wurde, der Ort,<span class="pagenum"><a id="Page_66">[66]</a></span>
-zu dem er von Zeit zu Zeit immer wieder zurückkehrte.
-Daher er hier eine feste Wohnung unterhielt, eine
-kleine Villa in einem großen Garten der Neustadt.</p>
-
-<p>Heute knattert auch durch dieses damals noch ganz
-ländlich stille Viertel der elektrische Trambahnwagen;
-die großen Gärten sind parzelliert, und in jedem der
-neuen kleinen Gärten steht, die dumm-moderne Front
-zur Straße gewendet, ein kleiner Steinkäfig mit Stuckornamenten,
-in dem ein Dresdner Partikulier wohnt,
-dem es gerade recht ist, daß er seinem Nachbar in die
-Fenster gucken und riechen kann, was der Herr Rechnungsrat
-nebenan heute zu Mittage hat. Damals
-aber war das eine vornehme Gegend. Wenige, aber
-große, mit alten Bäumen bestandene Gärten, und tief
-im Grün des Gartens, von der Straße kaum sichtbar,
-ein altes Herrenhaus mit französischem Doppeldach,
-ohne viel Schmuck, und ganz gewiß ohne angeklebten
-Schmuck, aber von guten architektonischen Verhältnissen,
-behaglich geschmackvoll.</p>
-
-<p>Ein solches Haus in solchem Garten hatte sich
-»der Russe«, wie er in der Gegend kurz genannt
-wurde, erworben und ganz nach seinem Sinne mit
-Möbeln aus der Zeit des ersten Kaiserreichs ausgestattet,
-die damals bloß als altmodisch, aber noch
-nicht für »antik« galten. Sie sagten ihm in ihrer
-strengen und etwas steifen Pracht viel mehr zu, als
-die mit Rokoko-Verzierungen recht oberflächlich spielenden
-Möbel des zweiten Kaiserreichs, die ihm den Eindruck
-von Unsolidität und Weichlichkeit machten. Er
-aber liebte die gerade Linie, sparsamen, zurückhaltenden
-Schmuck aus echtem Material und eine gewisse
-Massigkeit. Das grazilere »Damen-Empire«, die feinbeinigen
-Tischchen und wie aus Gitterwerk zierlich<span class="pagenum"><a id="Page_67">[67]</a></span>
-konstruierten Sofachen fand man bei ihm nicht, wohl
-aber gewaltige, wenn auch durch die Kunst der Verhältnisse
-nicht plump erscheinenden Tische und wahrhaft
-überlebensgroße Prachtkanapees. Die östliche
-Herkunft und den früheren Beruf des Besitzers verrieten
-kostbare persische Teppiche, turkestanische Vorhangstoffe
-und wertvolle Waffen der verschiedensten
-Art: Säbel, Degen, Pistolen, Gewehre, die, weit zahlreicher
-als Bilder, an den Wänden hingen. Doch
-fehlte es auch an Bildern nicht völlig, und diese ließen
-gleichfalls gewisse Schlüsse auf die Neigungen ihres
-Besitzers zu. Da waren bunte, edelsteinbeladene
-russische Heiligenbilder, byzantinische Madonnen neben
-tibetanischen Malereien auf Seide, die schauderhafte
-Götzen, überladen mit Attributen der Grausamkeit
-und Wollust, darstellten, aber es gebrach auch nicht
-an allerhand nackten Damen antikmythologischer und
-ganz und gar moderner Herkunft. Diese letzteren aber
-waren nicht so sehr durch klassische Schönheit wie
-durch Fülle ausgezeichnet. Auch plastische Kunstwerke
-waren vorhanden, doch gewahrte man weniger echte
-Bronzen, als Erzeugnisse des berühmten russischen
-Phosphor-Eisenwerkes bei Jekaterinburg, die nichts
-so gerne darstellen, wie reitende Kosaken.</p>
-
-<p>Auch von diesen Dingen war bereits in Gegenwart
-der Sixtinischen Madonna die Rede, und es war
-nicht bloß höfliche Vorheuchelung, wenn Madame Sara
-erklärte, daß alles Russische sie besonders interessiere.</p>
-
-<p>»Rußland, verzeihen Sie, Fürst, hat für uns
-Amerikaner den Reiz kostbarer Barbarei. Gilt uns
-Europa als die alte, schon etwas lahmgewordene
-Kultur, so Rußland als der große Rachen, der diese
-Kultur einmal verschlingen und, wenn er imstande ist,<span class="pagenum"><a id="Page_68">[68]</a></span>
-sie zu verdauen, aus ihr ein neues Gebilde von halb
-asiatischem Charakter erstehen lassen wird.«</p>
-
-<p>»Ich verstehe, Madame. Wir Russen sind für
-Sie die Europäer <em class="antiqua">à la tartare</em>. Ein bißchen Politur
-über dicker Roheit. Nun ja, gottlob, es ist etwas
-Wahres daran. Unsere Kraft liegt in Asien, im Urgebiet
-des Menschen, das schon mehr Kulturen sterben
-sah, als je in Europa entstanden sind. Dort ist viel
-verfault und daher, dank der Düngung durch Jahrtausende
-der beste Humus für eine neue, für unsere
-Kultur. &ndash; Was Sie in Amerika verflucht schnell und,
-entschuldigen Sie, etwas oberflächlich gemacht haben,
-machen wir verflucht langsam, daher aber um so
-gründlicher. Sie haben auf ein neues Land den äußerst
-schnell alt gewordenen europäischen Liberalismus gepfropft,
-aber dieses Wunderkind wird wie alle Wunderkinder
-früher sterben, als es Nachkommen hervorbringen
-konnte. Wir aber gehen auf das echte Urwesen
-des Menschen zurück, das sich, wenn Sie wollen,
-barbarisch geworden, im Osten erhalten hat und zu
-alt ist, als daß es die Kinderei des Liberalismus
-hätte mitmachen können. Panslavismus heißt Asiatismus,
-heißt Mystizismus. Revanche für Marathon
-und Salamis ist das letzte Ziel der russischen Politik.«</p>
-
-<p>»Oh! Oh! Sie springen weit und überspringen
-viel, Fürst!«</p>
-
-<p>»Das kommt, weil wir Russen an große Ausdehnungen
-gewöhnt sind.«</p>
-
-<p>»Wie wir Amerikaner.«</p>
-
-<p>»Aber Sie springen an der Longe Europas in
-der Manege des Liberalismus. Zirkuskünste! Bei
-uns aber ist Freiheit und Größe! Nur bei uns!«</p>
-
-<p>»Freiheit? Existiert das Wort im Russischen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_69">[69]</a></span></p>
-
-<p>»Nicht im Sinne der kümmerlichen <em class="antiqua">Liberté</em>, aus
-der die ruchlos idiotische <em class="antiqua">Égalité</em> hervorgegangen ist,
-aber im großen Ursinne der Brüderlichkeit eines ganzen
-Volkes, das sich als Familie fühlt und mit tiefem
-Instinkte den fürchterlichen Unsinn des Individualismus
-erkannt hat, den wir den griechischen Windbeuteln
-und den einzigen entarteten Orientalen verdanken:
-den Juden.«</p>
-
-<p>Bei diesem Worte fühlte die kluge Sara, der dieses
-Gespräch ein seltsam aus Ärger und Respekt gemischtes
-Vergnügen bereitet hatte, daß jetzt der Moment
-gekommen war, wo es sich entscheiden mußte,
-ob sich mehr und Besseres aus ihm entwickeln sollte,
-als Gespräche.</p>
-
-<p>Und sie sagte mit einem Lächeln, das schlechterdings
-bezaubernd war in seiner Mischung aus ein
-bißchen Demut mit viel Stolz: »Sehen Sie mir es
-nicht an, daß ich Jüdin bin, Fürst?«</p>
-
-<p>Auch der Kommandeur des Sankt-Georgsordens
-empfand sehr schnell die Bedeutung dieses Momentes.
-Er, der in der Tat längst und keineswegs mit Mißfallen
-die jüdische Herkunft seiner schönen Partnerin
-bemerkt hatte, ergriff ihre linke Hand und zog sie an
-die Lippen, indem er sprach: »Ich verstehe mich auf
-Frauenschönheit, Madame, und ich müßte nicht
-tatarisches Blut in mir haben, wenn ich sie nicht
-zu schätzen und &ndash; abzuschätzen wüßte. Meine
-Liebe für den Orient ist nicht bloß platonisch-politischer
-Natur. Mag ich auch die Juden für
-entartete Orientalen mit dem denkbar schlechtesten
-Einfluß auf die menschliche Kultur halten &ndash; die
-Jüdinnen sind mir immer besonders verehrungswürdig
-erschienen, und ich möchte mich ihrem Einflusse keineswegs<span class="pagenum"><a id="Page_70">[70]</a></span>
-entziehen, &ndash; zumal, wenn er über ein Lächeln
-verfügt, wie Sie.«</p>
-
-<p>Madame Sara hörte den Unterton von paschahafter
-Überlegenheit aus diesen Worten wohl heraus,
-aber er mißfiel ihr durchaus nicht. Im Gegenteil:
-Sie ahnte aus ihm etwas, das sie innerlich höchst angenehm
-aufschauern ließ.</p>
-
-<p>Und sie wiederholte ihr Lächeln, indem sie die
-Demut darin zur Balance mit dem Stolze steigerte.
-Und sagte: »Auch die Ironie in Ihren Worten entzückt
-mich, Fürst, &ndash; nicht bloß die Schmeichelei. Sie
-haben eine mir sehr zusagende Manier der galanten
-Huldigung, und ich würde es vielleicht auf einen Versuch
-ankommen lassen wollen, zu erfahren, ob Sie
-jetzt bloß &ndash; höflich gewesen sind.«</p>
-
-<p>Der Versuch wurde gemacht, wurde wiederholt,
-und es war bald kein Zweifel mehr daran erlaubt,
-daß Fürst Golkow eine mehr als platonische Neigung
-für schöne Jüdinnen hatte.</p>
-
-<p>Schon nach wenigen Wochen war Madame Sara
-im <em class="antiqua">buen retiro</em> des Fürsten wie zu Hause, und sie
-lernte den Zusammenhang begreifen, der zwischen
-den byzantinischen Madonnen, den tibetanischen Verzückungsgreueln
-und den Kosaken aus russischem Weicheisen
-bestand.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wie ihr das neu war nach ihren Erfahrungen mit
-dem seligen Asher und dem Intermezzo mit dem
-hübschen Leipziger Korpsburschen!</p>
-
-<p>Sie lernte mit großem Interesse das erotische
-Gruseln kennen und entbrannte in heftigster Leidenschaft
-zu ihrem Tataren, wie sie nun den Fürsten
-gerne nannte. Indessen: den Kopf verlor sie dabei
-doch nicht. Wie gerne sie auch ihrem erotischen<span class="pagenum"><a id="Page_71">[71]</a></span>
-Mystagogen auf den dämmerigen Wegen in das
-mystische Paradies folgte, und wie gelehrig sie sich
-auch aus angeborenem Talente benahm, &ndash; sie verfiel
-ihm nicht so ganz, wie es den Anschein hatte, und
-wie er es nach dem Anschein gerne glaubte. Sie
-exaltierte sich nicht aus Berechnung; das hatte ihr
-Temperament nicht nötig. Sie spielte auch nicht aus
-Berechnung die Liebessklavin; diese Rolle war ihr im
-gegebenen Momente Natur. Aber beides, die Exaltation
-und die demütige Unterwerfung unter den Herrn
-der Liebe, nahm sie nicht dauernd ein; &ndash; sie blieb
-über der Sache, die für sie nicht Liebe, sondern Sensation
-war, aber sie wußte sich klüglich den Anschein
-zu geben, als sei sie nicht bloß in seinen Armen sein.</p>
-
-<p>Auch beim Fürsten war es nicht Liebe im wahren
-mystischen Sinne des Wortes, nicht die ganze innere
-Verknüpfung seines Wesens mit dem ihren. Er entzückte
-sich an ihr zu Schwelgereien seiner wunderlich
-verstiegenen und alle Abgründe aufsuchenden Erotik.
-Er genoß in ihr &ndash; Asien und meinte in ihr &ndash; das
-Judentum zu unterwerfen. Aber es ging ihm wie
-manchen großen Herrn, die, gerade wenn sie am unumschränktesten
-zu herrschen glauben, um ihr eigentliches
-Herrschertum betrogen werden. Die schöne
-Jüdin wurde ihm zum Bedürfnis, und sie zwang ihm
-leise eine Monogamie auf, die ganz und gar nicht in
-seinem Wesen lag.</p>
-
-<p>Ein solcher Zustand aus wirklicher Liebe ist Glück.
-Beim Fürsten war es eine Folge von Rauschzuständen,
-denen es am Intermezzo des Katzenjammers nicht
-fehlte. Trotzdem dachten beide nicht daran, die so
-intim gewordene Reisebekanntschaft durch eine Abreise
-zu lösen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_72">[72]</a></span></p>
-
-<p>Madame Sara fühlte sich in Dresden durchaus
-und in jeder Richtung wohl. Sie war durch den
-Fürsten, soweit er selbst gesellschaftliche Beziehungen
-pflegte, in die Gesellschaft gekommen, &ndash; nicht so sehr
-in die der ansässigen Kreise, als in die der Fremden
-von Distinktion. Und, wo sie erschien, machte sie Aufsehen,
-gefiel sie. Das tat ihr wohl und machte ihr
-Vergnügen, zumal, da sie an Schönheit, Geist und
-Eleganz keine Rivalin fand.</p>
-
-<p>Es dauerte nicht lange, und sie war umworben.
-Ein Attaché der französischen Gesandtschaft gefiel ihr,
-aber seine Gespräche waren zu pariserisch glatt. Sie
-war tiefere Paradoxe gewöhnt als die, die Monsieur
-le Comte de Brottignolles aus dem Figaro schöpfte,
-den sie selber las. Auch ein junger sehr reicher Engländer,
-der immer vorgab, sich zum Studium der deutschen
-Sprache in Dresden aufzuhalten, aber nie ein
-deutsches Wort über seine wunderbar rasierten britischen
-Lippen brachte, machte in seiner blonden Gesundheit
-einen gewissen Eindruck auf sie. Er war nicht
-parfümiert und roch doch gut. Alles war gut ausgearbeitet
-und doch strotzend an ihm. Kurz: ein
-Triumph der Hygiene. Aber er war gar zu englisch,
-zu insular, und man konnte mit ihm schlechterdings
-nur über Dinge reden, die augenscheinlich vernünftig
-waren. Und, um Leitartikel miteinander auszutauschen,
-dazu, meinte Madame Sara, unterhält sich eine junge
-Frau nicht mit einem jungen Manne. Überdies hatte
-sie die Empfindung, daß er grausam tugendhaft sei
-und sich darauf noch etwas einbilde.</p>
-
-<p>Der Fürst, dem es nicht entgehen konnte, daß seine
-Sulamitin auch anderen gefiel, beobachtete mit großem
-Vergnügen das Vergebliche aller Versuche der anderen,<span class="pagenum"><a id="Page_73">[73]</a></span>
-ihr nahe zu kommen, und legte das wohlgefällig als
-Beweis seiner festen Alleinherrschaft aus. Irgendwie
-erstaunlich fand er es nicht, denn es gehörte zu seiner
-Überzeugung von den Vorzügen der östlichen Menschen,
-daß dort die Männer zwar polygam, die Weiber aber
-monogam veranlagt seien. »Sogar die Jüdinnen,«
-hatte er einmal zu Sara gesagt, »die überhaupt noch
-echte Orientalinnen sind, weshalb sie sich in ihren
-schönen Exemplaren auch überall gleichen, während
-der amerikanische Jude ganz wie ein Amerikaner aussieht,
-der französische Jude ganz wie ein Franzose.«
-Auch gegenüber solchen Reden hatte Sara das unterwürfige
-Lächeln der Favoritin, aber in ihrem Innern
-sah es dabei gar nicht unterwürfig aus, und im Tagebuche
-Lalas gab es eine Stelle, die lautete so: »Sprach
-die helle Schwester: Je gescheiter ein Mann ist, um
-so leichter kann ihn eine Frau betrügen.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Eines Morgens wurde Madame Sara, die erst
-sehr spät von einem Besuche bei ihrem Tataren nach
-Hause gekommen war und unerquicklich geträumt hatte,
-durch rasendes Klavierspielen und eine fürchterliche Art
-von Gesang geweckt. Beides wurde offenbar direkt über
-ihr verübt. Sie schellte Lala herbei und rief ihr entgegen:
-»Was ist denn das! Wer wohnt denn über uns?«</p>
-
-<p>»Oh!« antwortete Lala mit großem Ernste, »du
-wirst ihn lieben. Er ist so häßlich wie ich, aber du
-wirst ihn lieben. Er ist anders. Er ist gut und verrückt.
-Er hat zu mir gesagt: ›Ei du Scheusälchen‹!«</p>
-
-<p>Madame Sara, eben noch recht ärgerlich, mußte
-lachen, und sie sagte: »Mir scheint, Lala: du liebst
-ihn. Dann muß ich zurücktreten.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_74">[74]</a></span></p>
-
-<p>Aber Lala verstand solche Scherze nicht. Sie
-sagte: »Oh, es ist wahr. Er ist ganz für dich. Er
-ist ganz anders und ganz für dich, und er wird dich
-lieben.«</p>
-
-<p>»Dann soll er vor allem mit diesem schrecklichen
-Klavierpauken aufhören und mit dem noch schrecklicheren
-Gesingse!«</p>
-
-<p>»Lala geht zu ihm.«</p>
-
-<p>Und Lala ging hinauf, und augenblicklich wurde
-es ruhig.</p>
-
-<p>Nach einer Weile kam die dunkle Schwester mit
-einem Billett zurück, auf dem folgende Worte standen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Wenn Orpheus sang, schwieg selbst das Federvieh,<br /></span>
-<span class="i0">Doch Orpheus selber, lehrt Mythologie,<br /></span>
-<span class="i0">Orpheus schwieg nie.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Aber Orpheus hat auch nicht das Glück gehabt,
-Madame Sara Asher Neuyork (siehe Fremdenbuch) zu
-sehen, wie der ganz ergebenst endesunterfertigte Musikante
-und Poet, der zwar nicht leben kann, wenn er
-nicht den Flügel bearbeitet und seine unsterblichen
-Melodien den Morgenwinden mitteilen darf, aber
-lieber aufs Leben zu verzichten gewillt ist, als daß er
-der schönsten aller Damen ärgerlich sein möchte. &ndash;
-Es liegt also bei Madame, zu entscheiden, ob ich leben
-oder sterben soll. &ndash; Ich werde mir erlauben, selbst
-um die Entscheidung anzufragen, wenn Madame die
-Gnade haben will, mir dafür eine Stunde zu bestimmen.</p>
-
-<p>Der ich bin der schönsten Dame alleruntertänigster
-Diener und Knecht <em class="antiqua">Sturmius de Musis</em>.«</p>
-
-<p>»Du scheinst recht zu haben, Lala, er ist entschieden
-verrückt,« sagte Sara, als sie unter Lächeln das
-Billett gelesen hatte. »Aber er ist ein amüsanter<span class="pagenum"><a id="Page_75">[75]</a></span>
-Narr. Du kannst ihm also sagen, daß ich um ein
-Uhr für ihn zu sprechen bin.«</p>
-
-<p>Punkt ein Uhr überbrachte Lala ihrer Herrin eine
-Visitenkarte, die den wirklichen Namen des <em class="antiqua">Maestro
-Sturmius de Musis</em> aufwies, einen alten deutschen Adelsnamen,
-der eben an allen Plakattafeln der Stadt über
-einer Konzertanzeige zu lesen war. »Ich lasse bitten!«
-sagte sehr freundlich Madame Sara, musterte schnell
-noch einmal ihre raffiniert halb auf Empfang, halb
-auf Negligé gestimmte Toilette und ließ sich, gelb auf
-rosa, in einen üppig gepolsterten Armstuhl sinken.</p>
-
-<p>Kaum, daß sie noch einen Wurf alter Brabanter
-Spitzen über türkischen Pantöffelchen zur Geltung
-hatte kommen lassen können, stand der Flügelgewaltige
-auch schon in der Türe.</p>
-
-<p>Er sah, oberflächlich angesehen, recht unscheinbar
-aus. Klein und mager, wie er war, verschwand er
-fast in dem überlangen, schwarzen, noch etwas biedermeierisch
-geschnittenen Bratenrocke, den er zu breit
-karierten hellen Nankinghosen trug. Ein nicht recht
-eleganter Umlegekragen gestattete einem hellroten seidenen
-Schlips, weiter hervorzuzipfeln, als es die Mode
-erlaubte, und ließ einen keineswegs schönen, allzulangen
-und sehr sehnigen Hals frei, der zu allem
-Überfluß noch von einem überlebensgroßen Adamsapfel
-belebt wurde. Dieser fleißig auf- und niedersteigende
-Knollen hätte bei jedem anderen die Aufmerksamkeit
-des Betrachters konkurrenzlos in Anspruch
-genommen. Bei Madame Saras Besucher vergaß
-man ihn bald, wenn man einmal den Kopf angesehen
-hatte. Vor allem: er war zu groß. Er paßte nicht
-zum Körper. Er wirkte als Kopf an sich. Und dann:
-er war grausam häßlich, weil er auch in sich keine<span class="pagenum"><a id="Page_76">[76]</a></span>
-anständigen Verhältnisse hatte. Ein Hohn auf das
-Gesetz vom goldenen Schnitt. Die Stirn, über zwei
-dicken blonden Raupen, den Augenbrauen, ansetzend,
-hörte scheinbar überhaupt nicht auf. Dafür war die
-Nase zu kurz geraten, und sie erschien außerdem noch
-kürzer, als sie schon war, weil sie sich in optischer
-Verkürzung präsentierte, nämlich mehr nach aufwärts
-als nach abwärts tendierend. Dafür war wieder der
-Raum zwischen Nase und Mund viel zu ausgedehnt.
-Zwar war er mit einem hellblonden, in Spitzen gedrehten
-starken Schnurrbart bestanden, aber es wäre
-für zwei solcher Schnurrbärte Platz gewesen. Der
-Mund, obwohl zu breit und schmallippig, war geistreich.
-Nur entblößte er leider wahre Nagetierzähne,
-breite, gelbliche Schaber. Und dann war kein Kinn
-da, sondern nur ein Zwickelbart, ein gesteifter pharaonischer
-Zwickelbart, der im Verein mit dem breiten
-Mund und der gewaltigen Malmfläche sofort die
-Idee wachrief: Nußknacker. Die stark hervortretenden
-oberen Backenknochen unterstützten die Idee wirksam,
-während die ungeheuren Ohren die Gedanken mehr
-ins Gebiet der Zoologie riefen. Zornig trompetende
-Elefanten, wenn sie die Ohren abstehen lassen, erfreuen
-sich ähnlicher Seitenornamente. Sein Haupthaar litt
-unter dem Größenwahn seiner Stirn. Man konnte
-eigentlich nur vom Hinterhaupthaar reden. Doch ersetzte
-es an Länge, was ihm an Terrain versagt war.
-Es fiel beträchtlich über den Rand des Rockkragens
-herab, war aber säuberlich gerade geschnitten.</p>
-
-<p>Ein solcher Kopf hätte wohl Entsetzen erregen
-müssen, wenn in ihm nicht zwei Augen gewesen wären,
-so voll Geist, Güte, Glut und Leben, daß man in
-ihrem Anblicke alles übrige vergaß und sofort die<span class="pagenum"><a id="Page_77">[77]</a></span>
-Empfindung gewann: dieser Mann hat es nicht nötig,
-äußerlich schön zu sein; er hat alle Schönheit innerlich,
-das heißt: er ist ein wunderbar guter und
-wunderbar geistvoller Mensch, ein geniales Herz und
-ein genialer Kopf. Seine Häßlichkeit, statt zu verstimmen
-oder gar Mitleid hervorzurufen, machte heiter,
-steckte mit Heiterkeit an, von den Augen her, um die
-herum ein lebhaftes und doch nicht zuckendes Muskelspiel
-fröhlicher Laune war, witzig und dionysisch zugleich,
-kindlich und faunisch, gemütlich und enthusiastisch.</p>
-
-<p>Wenn er aber gar den Mund auftat und in seiner,
-Konsonanten und Vokale wunderlich zusammenquetschenden
-Sprache zu reden begann, war es, als ob
-alle guten Geister des Lebens mobil gemacht worden
-wären gegen Langeweile, Dumpfheit und Verdrossenheit.
-Er brauchte gar nichts Besonderes zu sagen:
-alles klang originell, denn ein jeder fühlte unbedingt:
-dieser Mensch spricht sich unverstellt aus, jedes Wort
-ist getragen von einem Impuls, keines schielt nach
-verborgenen Absichten, und wäre es auch nur die Absicht,
-originell zu wirken. Anderseits mochte manches
-anfangs närrisch klingen, aber bald merkte man, daß es
-nur närrisch geklungen hatte, weil es gar tief natürlich
-gewesen war, kindliche Weisheit, die sich nicht gut in
-konventionellen Schablonen ausdrücken kann, und die
-sich ganz naiv primitiver Mittel bedient. Dabei war
-Meister Sturmius alles andere eher als ein rohes
-Naturprodukt. Er war nicht nur sehr gebildet, äußerst
-belesen, ja im Umkreise seiner künstlerischen Interessen
-beinahe gelehrt; er hatte auch als Erbgabe seines
-alten Geschlechtes einen sehr sicheren Fond überkommener
-Kultur. Wenn er sich zuweilen recht ungeniert
-betrug, die Mode nach seinem Geschmacke<span class="pagenum"><a id="Page_78">[78]</a></span>
-modelte, die Konvention nach seinem Sinne bog, so
-war es kein wüstes Durchbrechen von Schranken, sondern
-immer ein elegantes Drüberwegsetzen mit dem
-leisesten Takte für das Wo, Wie, Wann und Wieweit.
-Nur in seiner Kunst war er ein rücksichtsloser Draufgänger,
-und er pflegte das so zu entschuldigen: Alles,
-was in meiner Familie früher Ritterliches, Räuberisches,
-Mörderisches passiert ist mit Schild und
-Schwert und Spieß, üb' ich aufs neue aus im Kampfe
-für die Kunst gegen die Philister. Alle meine raubritterlichen
-Vorfahren haben nicht so viel Eisen zerhauen,
-wie ich Flügel, und ich will doch sehen, ob ich
-nicht mehr Kunstphilister zur Strecke bringe, als sie
-Krämer. Sturmius, mein erlauchter Ahne, hat seinen
-Bruder Arbogast mit einem alten Streitkolben erschlagen,
-weil er nicht Martin Luthern anhangen
-wollte; &ndash; so würde auch ich meinen Bruder umbringen,
-wenn er nicht an Richard Wagner und die
-Musik der Zukunft glaubte. Es ist ein großes Glück
-für meinen Bruder, daß ich keinen habe.</p>
-
-<p>Madame Sara, die keinen schlechten Blick für
-Menschen hatte, erkannte schon an der Art des Eintretens,
-daß ihr Gast trotz seines allzu subjektiven
-Bratenrockes ein Mann von Welt war, denn er kam
-ohne jede Spur von Befangenheit auf sie zu und küßte
-ihr die Hand wie einer, der gewöhnt ist, mit Schönheiten
-des Salons umzugehen. Dabei überstrahlte sie
-sein Blick ebenso verehrungsvoll wie munter, und sie
-fand, daß dieser Musikus, ästhetisch genommen, zwar
-ein Scheusal sei, aber ein höchst interessantes, ja &ndash;
-reizendes Scheusal. Naiv treulos, wie sie war, dachte
-sie sofort vergleichend an ihren Tataren, und diesmal
-schien es ihr, als sei der »andere«, das heißt<span class="pagenum"><a id="Page_79">[79]</a></span>
-der neuauftauchende, vielleicht … nun: weiter dachte
-sie nicht. Und sie sprach: »Sie haben wirklich meine
-Entscheidung über Leben und Tod, Herr von&nbsp;…«</p>
-
-<p>Aber Meister Sturmius fiel ihr ins Wort, ehe sie
-seinen Namen hatte aussprechen können: »Haben Sie
-die Gnade, mich nicht bei meinem in die Register des
-Staates eingetragenen Namen zu nennen, Madame!
-Auf die Gefahr hin, daß Sie mich sogleich ersuchen
-werden, Ihr Zimmer zu verlassen, bitte ich Sie, mich
-mit dem Vornamen anzureden, den in den Zeiten, da
-meine Familie noch katholisch war, die Erstgeborenen
-unseres Hauses trugen, und den ich mir selbst für den
-Verkehr mit Göttinnen beigelegt habe: Sturmius!«</p>
-
-<p>Madame Sara lachte belustigt auf: »Sturmius?
-Steht der Name wirklich im Kalender? Ist er nicht
-von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann erfunden
-worden?«</p>
-
-<p>»Es hat so viel Sturmiusse meines Namens gegeben,
-daß wir sie numeriert haben, Madame. Der
-letzte war der vierzehnte und trug den Namen Judenschreck,
-nicht, weil er das Volk Gottes haßte, sondern
-weil er sehr kreditbedürftig war.«</p>
-
-<p>»Das Volk Gottes? Wie meinen Sie das?«</p>
-
-<p>»Wie es in der Bibel steht. Denn die Juden
-sind wirklich die Auserwählten ihres Gottes, den sie
-bei uns importiert haben. Es war ihr erster großer
-Importartikel und ist ihr bestes Geschäft geblieben
-bis auf den heutigen Tag. Wir haben ihn teuer
-bezahlt.«</p>
-
-<p>»Sie sprechen nicht sehr respektvoll vom lieben
-Gott.«</p>
-
-<p>»Der Gott der Juden heißt Jehova.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_80">[80]</a></span></p>
-
-<p>Madame Sara war ärgerlich. Was sollte das
-alles? Wußte er nicht, daß ihr Name jüdisch war?
-Sah er nicht, daß er eine Jüdin vor sich hatte?</p>
-
-<p>Sie sprach: »Es ist nicht gescheit, daß Sie Ihre
-Richterin über Tod und Leben beleidigen, Herr von&nbsp;…«</p>
-
-<p>»Bitte: Sturmius!« &ndash; »Wenn ich nun eine
-<em class="gesperrt">fromme</em> Jüdin wäre&nbsp;…?« &ndash; »Sie sind überhaupt
-keine Jüdin.« &ndash; »Doch, und ich bin stolz darauf.«
-&ndash; »Sie sind ebensowenig eine Jüdin, wie Christus
-ein Jude war.« &ndash; »Was war Christus denn?« &ndash;
-»Christus.« &ndash; »Das verstehe ich nicht.«</p>
-
-<p>»Christus war die Liebe, war nichts als Liebe,
-war ganz und gar Liebe. Daher war er weder Jude
-noch sonst etwas, und darum gehört er allen, nicht
-bloß uns Christen, sondern auch den Juden und Heiden.
-Und so ist es mit jedem Menschen, der etwas
-ganz Seltenes ist. So ist mein Freund Richard Wagner
-ganz Genie, und darum ist er kein Deutscher,
-sondern Richard Wagner, darum gehört er nicht bloß
-uns, die wir seine Jünger sind, sondern auch den
-Juden und Heiden der Musik.«</p>
-
-<p>»Und ich?«</p>
-
-<p>»Madame! Dinge, die ich nur auf fünfzeiligem
-Papier oder nur aus dem Flügel ausdrücken kann, erdreiste
-ich mich nicht, in Worte zu fassen. &ndash; Haben Sie
-die Gnade und erlauben Sie mir, weiterzuleben, weiterzumusizieren,
-&ndash; und ich will Ihnen Gelegenheit geben,
-zu hören, was Sie sind.«</p>
-
-<p>»Sie sind ein wunderlicher Heiliger.«</p>
-
-<p>»Weder heilig noch wunderlich. Nur Musikant und
-ein Stück Poet. Doch bin ich leider nicht groß genug,
-um nicht nebenbei ein deutscher Querkopf und als
-solcher zum Beispiel ein hitziger Judenfresser zu sein.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_81">[81]</a></span></p>
-
-<p>»Das ist amüsant.« &ndash; »Für mich sehr.« &ndash;
-»Also ist es Ihnen nicht ernst damit?« &ndash; »Ich brauche
-meinen Ernst für meine Kunst. Juden fresse ich zur
-Erholung.« &ndash; »Haben Sie Mendelssohn schon gefressen?«
-&ndash; »Der ist mir zu musikalisch.« &ndash; »Und
-Meyerbeer?« &ndash; »Den habe ich gefressen.«</p>
-
-<p>Und Meister Sturmius lachte über den Doppelsinn
-seiner Antwort selber so herzlich auf, daß sein Gelächter
-ansteckend wirkte und auch Madame Sara
-schallend lachen mußte.</p>
-
-<p>»Aber Sie stehen ja noch immer, Sturmius,«
-nahm, durch das gemeinsame Gelächter in eine übermütige
-Laune geraten, Madame Sara das Wort,
-»setzen Sie sich, Meister!«</p>
-
-<p>»Nicht ›Meister‹,« erwiderte der, indem er sich setzte.
-»Es gibt nur einen Meister, und der sitzt jetzt in der
-Schweiz über Partituren zu Werken, die die Pforten
-der Ewigkeit aufreißen werden. Ich bin nur Sturmius
-der Jünger: Ihr Sturmius, Madame, wie seiner,
-denn die Schönheit ist der Nachfolge so würdig, wie
-das Genie. &ndash; Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen die
-Schleppe trage, als Ihr musikalischer Page.«</p>
-
-<p>»Das würde wohl unschicklich sein bei der Krinolinenmode,«
-meinte Madame Sara, und Sturmius
-schüttelte sich aufs neue vor Lachen, und wiederum
-mußte Madame Sara einfallen, und es dauerte eine
-ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatte, um sagen zu
-können: »Mein Gott, was für Kinder wir sind, wir
-schreien miteinander vor Lachen, als kennten wir uns
-von Jugend auf. Das ganze Hotel werden wir
-skandalisieren.«</p>
-
-<p>»Wenn es auf mich ankäme,« antwortete Sturmius,
-»ich hätte nichts dagegen, wenn es die ganze Stadt wäre.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_82">[82]</a></span></p>
-
-<p>Da dachte Madame Sara zum zweitenmal an
-ihren Tataren und sagte: »Das wollen wir bleiben
-lassen, Sturmius. Ich bin mehr für Ausschluß der
-Öffentlichkeit bei Privatvergnügen.«</p>
-
-<p>Und sie lachte wieder, &ndash; aber schon etwas leiser.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<div class="chapter">
-<p>Der von Sara beliebte Modus wurde beibehalten.
-Selbst im Hotel wurde, dank des virtuosen Aufpassens
-von Lala, die <em class="antiqua">entente intime</em> zwischen erstem und
-zweitem Stock nicht bemerkt, die sich aus der <em class="antiqua">entente
-cordiale</em> sehr bald entwickelte und den asiatischen Beziehungen
-Madame Saras an Intensität nichts nachgab.</p>
-</div>
-
-<p>Die schöne Jüdin war sehr glücklich mit ihren
-beiden verliebten Antisemiten, deren Rassenhaß sie auf
-so angenehme Weise <em class="antiqua">ad absurdum</em> führte, und die ihr
-dafür so viel Glut und Verehrung entgegenbrachten,
-daß in der Tat für die ganze übrige Judenheit nur
-recht wenig Liebe mehr übrig bleiben konnte. Der
-kleine Gott hatte wirklich gut für ihr großes Herz
-gesorgt. Es waren nicht bloß zwei Männer, die sie
-umfingen, &ndash; es waren zwei Rassen, zwei Weltanschauungen,
-die ihr huldigten. Und das ergab auch
-in <em class="antiqua">puncto puncti</em> zwei angenehm verschiedene Gebarungen.
-Alles Mystische, Auto- und Theokratische
-lag dem Jünger der Zukunftsmusik aus altem germanischen
-Adelsstamme gänzlich fern. Er zündete keine
-Lampe in Rubingläsern an vor byzantinischen Madonnen,
-um Dämmerstimmungen auf dem Grenzgebiete
-zwischen Religion und Erotik zu Explosionen heftigster
-Liebesherrschsucht und wollüstigster Liebesuntertänigkeit
-zu steigern. Den Tribut, den er der schönen Frau
-mit allen Sinnen leidenschaftlich darbrachte, war<span class="pagenum"><a id="Page_83">[83]</a></span>
-völlig frei von asiatischen Ingredienzien. Seine Leidenschaft
-war klarer, frischer, heiterer. Er liebte nicht
-<em class="gesperrt">zum</em> ersten Male, aber er liebte wie <em class="gesperrt">beim</em> ersten
-Male: jungenhaft mit der bald drolligen, bald rührenden
-Überschwenglichkeit eines jungen Studenten, &ndash;
-nur kam, wenn es ans Sprechen ging, ein reicher erfahrener
-Geist hinzu und, wenn er seine Entzückung
-musikalisch äußerte, eine meisterhafte Kunst.</p>
-
-<p>Für eine Virtuosin der Liebe, als welche sich
-Madame Sara bald fühlen durfte, war diese Nuance
-ein wunderbarer Genuß, der durch die äußere Häßlichkeit
-nur noch erhöht wurde.</p>
-
-<p>»Welches Glück,« sagte sie einmal zu ihm, als er
-in seinem gelbseidenen, blau und grün geblümten
-Schlafrock vor ihr herumsprang und aus allen Winkeln
-der Welt- und Naturgeschichte Epitheta zum
-Preise ihrer Schönheit zusammensuchte, &ndash; »welches
-Glück, mein Sturmius, daß du kein schöner Tenor
-bist, sondern ein häßlicher, der häßlichste aller Musikanten.
-Wie schrecklich, wenn du eine Adlernase hättest.«</p>
-
-<p>»Schweig! Es ist nicht zum Ausdenken!« rief
-Sturmius und schüttelte die Fäuste.</p>
-
-<p>»Stell dir das groteske Elend vor, wenn du Locken
-hättest, Sturmius!«</p>
-
-<p>»Absurditäten stelle ich mir nicht vor, Madonna!
-Es wäre aber mehr als absurd, es wäre in der Tat
-verhängnisvoll. Denn, hätte ich Locken und eine
-Adlernase, was wäre die Folge? Ich würde Lala
-lieben und nicht dich, denn Künstler lieben immer den
-Gegensatz. Was deine Schönheit liebt, o Perle von
-Juda, ist meine Scheusäligkeit. Ich bin ein verhuzelter,
-verkrumpelter Germane, ein stark Shakespearescher Witz
-des einäugigen Wotan, der übrigens auch kein Apollo<span class="pagenum"><a id="Page_84">[84]</a></span>
-ist. &ndash; Darum liebe ich dich, die strahlende, gliederherrliche
-Jüdin, Jehovas seliges Meisterstück.«</p>
-
-<p>»Denke dir: Wenn ich ein Kind von dir bekäme,«
-sagte nach einer nachdenklichen Pause Madame Sara.</p>
-
-<p>»Dann lerne ich,« antwortete Sturmius, »auf
-meine alten Tage beten, daß es ein Sohn sei und
-keine Tochter. Denn er wird trotz deiner Schönheit
-ein häßliches Kind sein.«</p>
-
-<p>Madame Sara dachte wieder eine Weile nach,
-dann sprach sie: »Auch ich will, daß es ein Sohn sei.
-Es ist nicht gut, wenn zwei so verliebte Gegensätze
-ein Mädchen in die Welt setzen.«</p>
-
-<p>»Du redest so mütterlich, meine Halskette, &ndash; hast
-du einen <em class="gesperrt">Grund</em>, so mütterlich zu reden?«</p>
-
-<p>»Ich fürchte: Ja.«</p>
-
-<p>»Du &ndash; fürchtest?«</p>
-
-<p>»Ja ich fürchte. Ich will kein Kind. Schon der
-Gedanke irritiert mich. Ich käme mir degradiert vor.
-Eine Liebe, die &ndash; Folgen … das ist doch &ndash; gemein.«</p>
-
-<p>»Ja gnädige Frau, es ist gemein.«</p>
-
-<p>»Laß mich mit Schillerschen Doppelsinnigkeiten
-zufrieden, Sturmius; du weißt, für Schiller habe ich
-kein Organ.«</p>
-
-<p>»Ich weiß, er ist für dich der Dichter der deutschen
-Turnvereine und Liedertafeln, und meine braune
-Venus von Jerusalem ahnt mit gutem Instinkte, daß
-vor dem Erze seiner Jamben einmal das Reich der
-Krinoline in den Staub sinken wird.«</p>
-
-<p>»Wenn du von Bismarck reden willst, Sturmius,
-geh' ich.«</p>
-
-<p>»So will ich von Bismarck spielen.«</p>
-
-<p>Und Sturmius setzte sich an den Flügel und
-phantasierte über Beethovens Eroica.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_85">[85]</a></span></p>
-
-<p>Die Gleichgültigkeit, mit der Sturmius die Andeutung
-Saras aufgenommen hatte, beleidigte diese
-gar nicht. Sie fühlte dabei nur, daß der Maestro sie
-ebensowenig »liebte«, wie sie ihn, das heißt, daß ihr
-Verhältnis beiderseitig frei von aller Sentimentalität
-war &ndash; dies Wort ohne jede Abschätzigkeit gebraucht.
-Und das war ihr im höchsten Grade sympathisch.</p>
-
-<p>Sie empfand es ganz deutlich: der häßliche Komponist
-huldigte ihrer Schönheit mit höchster Leidenschaft,
-ohne auch nur im geringsten im Gemüte beteiligt zu
-sein. Und nicht anders stand es um ihre Neigung zu
-ihm, nur daß sie seiner genialen Männlichkeit huldigte.
-Sein künstlerisches Temperament und sein scharfer
-Geist flößten ihr tiefsten Respekt ein, und sie empfand
-es als wollüstige Auszeichnung, daß er sie einer in
-glühende Erotik verdichteten Verehrung für würdig
-erachtete, die seiner Hingabe an die Kunst kaum etwas
-nachgab. Daß dieser Zustand nicht andauern würde,
-wußte sie wohl, und auch das war ihr recht. Sie
-hatte durch den gleichzeitigen Umgang mit den beiden
-Männern die feste Überzeugung gewonnen, daß sie
-sich nur in der Abwechslung ganz wohl fühlte.</p>
-
-<p>Wie sehr sie sich dadurch von der ungeheuren
-Mehrzahl der Frauen unterschied, war ihr keineswegs
-unklar, und sie hatte auch Verstand genug, einzusehen,
-wie weit sie damit von der herrschenden Moral abrückte.
-Mit Sturmius konnte sie darüber von der
-Leber wegreden, und das erschien ihr als großer Vorzug
-des deutschen Künstlers vor dem russischen General,
-dessen Qualitäten auf einem ganz entgegengesetzten Gebiete
-lagen. Sie waren ihr nicht weniger gemäß, ja
-sie lagen ihrem eigenen Wesen als Frau näher. Aber
-sie war doch nicht so ganz Orientalin, wie der<span class="pagenum"><a id="Page_86">[86]</a></span>
-Verehrer Asiens glaubte, sie war viel differenzierter,
-westlicher, als er ahnte, dem gegenüber sie sich von
-vornherein viel weniger enthüllt hatte, als dem Deutschen.
-Er kannte in ihr nur die Sulamitin, wie er
-sie sich ins alte Testament hineinkonstruiert hatte, aber
-sie war, ihm unbewußt, gleichzeitig gar sehr modern,
-im Sinne der Emanzipation des Fleisches durch das
-Gehirn, wie sie Heinrich Heine gepredigt hatte, den
-Fürst Golkow nicht anders zu nennen pflegte, als das
-»Genie der jüdischen Entartung.«</p>
-
-<p>»Dieser Auswurf des Orients, dieser Teufel in
-Judengestalt, ist von der Vorsehung dazu bestimmt gewesen,
-das ganze Talent seiner Rasse zu keinem anderen
-Zwecke zu verkörpern als zu dem: Die Deutschen zu
-demoralisieren und dadurch reif zum Untergange durch
-das Slaventum zu machen. Goethe, auch ein gefallener
-Engel, ist ihm darin vorangegangen, aber
-längst nicht mit so diabolischem Erfolg, denn Goethe
-war ein ästhetischer Hellene. Heine, indessen, war
-Juden-Grieche. Goethe konnte, bei allem Hellenentum,
-noch ein Gretchen fabulieren. Heine hat dieses Gretchen
-vergiftet, indem er es emanzipierte. &ndash; Und dieses
-Volk, diese Deutschen, erst durch Rom verdorben, dann
-durch Luther um jedes Gefühl der Religion gebracht,
-dann durch Kant bis zur Gasflüssigkeit in reine Vernunft
-aufgelöst, dann durch Goethe in griechische
-Formen vereist, durch Schiller aber wieder durch heiße
-Phrasen aufgetaut, daß sie wie Brei auseinander
-flossen, und schließlich von Heine mit allen Gärungsstoffen
-aus dem Sumpfe jüdischer Entartung durchsetzt,
-&ndash; dieses Volk von lauter Individuen will &ndash;
-einig, will ein ganzes werden. Es hat niemals ein
-lächerlicheres politisches Phänomen gegeben, und auch<span class="pagenum"><a id="Page_87">[87]</a></span>
-Herr von Bismarck wird beim besten Willen nicht
-imstande sein, aus dieser Fata Morgana ein Gebilde
-von Realität zu machen.«</p>
-
-<p>Auf solchen Umwegen pflegte der Verehrer Asiens
-auf die heilige Allianz zu kommen, die für ihn der
-letzte Gipfel europäischer, &ndash; nämlich asiatischer Politik
-war.</p>
-
-<p>Zuweilen machte sich Madame Sara das Vergnügen,
-diese Gedankengänge, die sie nur mäßig interessierten,
-vor Sturmius auszubreiten, der sich darüber
-schief lachen wollte.</p>
-
-<p>»O du güldne Posaune von Jericho,« rief er dann
-wohl aus, »o du lustig schmetternde! Nie bist du
-reizender, als wenn dein schöner Mund so greulichen
-Unsinn tönt!«</p>
-
-<p>Dagegen nahm er ihre eigenen Ergüsse über ihre
-Ansichten von Liebe ohne Sentimentalität ernst.</p>
-
-<p>»Solche Ansichten stehen dir zu Gesicht, und bei
-schönen Frauen kommt alles darauf an, wie es ihnen
-steht. Es wäre schlimm, wenn unsere deutschen Hausmütter
-so dächten; es wäre entsetzlich. Aber diese Gefahr
-ist nicht vorhanden. Fest steht und treu die Wacht am
-Ehebett. Du aber darfst und sollst verruchte Maximen
-haben. Eine Schönheit wie die deine würde gegen
-den Stil sündigen, wollte sie moralisch sein. Auch
-die große Dame von Babylon hat ihre Existenzberechtigung,
-und wir Künstler verdanken ihr unsere
-besten Informationen. Ach, es sind in eurem herrlichen
-alten Buche wundervolle Stellen darüber! Heute
-darf man so etwas nur in Musik sagen, &ndash; und das
-wird jetzt in Triebschen von dem größten aller Propheten
-besorgt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_88">[88]</a></span></p>
-
-<p>Und nun sollte Madame Sara ein Kind bekommen,
-von dem sie nicht wußte: ist es von dem, dessen Seele
-in Asien wohnt, oder von dem, der das Heil der Zukunft
-von Bismarck und Richard Wagner erwartet.</p>
-
-<p>Im Brennpunkte der Leidenschaft zweier Gegenpole
-stehend und sich jedem, dem einen wie dem anderen,
-mit gleicher Leidenschaft zuwendend, hatte sie zuweilen
-das Gefühl eines Verhängnisses über sich, das ihr
-manchmal grell, manchmal düster, kaum je einmal in
-einem ruhigen Lichte erschien.</p>
-
-<p>Doch kam das nicht häufig über sie.</p>
-
-<p>Klar war ihr das eine: das Kind durfte ihr nicht
-unbequem werden, und von ihrer Mutterschaft durfte
-niemand erfahren, schon wegen der Gesetze ihres
-Staates nicht, das für eine Witwe, welche außerehelich
-gebiert, sehr fatale vermögensrechtliche Folgen
-festsetzte.</p>
-
-<p>In Lalas Tagebuch stand, als der Dresdner Aufenthalt
-zu sieben Monaten gediehen war, dieses: »Sprach
-die helle Schwester: Laß uns das Kind in einen Binsenkorb
-tun, wie Mose, und den Wellen eines Flusses
-übergeben. Und Geld dazu und von den Vätern Geschenke.
-Hat es Glück, so wird die Tochter Pharaos
-es finden und zu Ehren aufziehen. Wir aber wollen
-es nur von weitem verfolgen und ihm beistehen, wenn
-es nottut.«</p>
-
-<p>So alttestamentlich ging es indessen nicht zu.</p>
-
-<p>Als die Zeit herangekommen war, daß es für
-Sara nötig schien, sich zurückzuziehen, nahm sie freundlich
-und gelassen von ihren beiden Dresdner Freunden
-Abschied.</p>
-
-<p>Rührendes ereignete sich dabei nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_89">[89]</a></span></p>
-
-<p>»Da du nicht wünschst, daß ich für unser Kind
-sorge, so darf ich dich nur bitten, ihm ein kleines
-Andenken stiften zu dürfen,« sagte Fürst Golkow, &ndash;
-»diese Bronze eines mit vorgelegter Lanze dahinstürmenden
-Kosaken. Es möge ein Symbol für sein
-Leben sein &ndash; zumal wenn es ein Junge ist.«</p>
-
-<p>Maestro Sturmius aber bat sie, dem Kinde zum
-Andenken an seinen »ausgezeichneten aber leider mehr
-musikalischen als moralischen Papa« seinen schönsten
-seidenen Schlafrock mit auf den Lebensweg zu geben.
-»Denn,« so fügte er hinzu, »es gibt in jedem Menschenleben
-Augenblicke, wo ein seidener Schlafrock einem
-härenen Gewande vorzuziehen ist.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Denn Seide kühlt und Seide wärmt,<br /></span>
-<span class="i0">Und hat sich jemand abgehärmt,<br /></span>
-<span class="i0">Dieweil das Leben Härten hat:<br /></span>
-<span class="i0">Das seidne Lotterkleid ist glatt.«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>Sollte man finden, daß diese Erzählung eigentlich
-keinen rechten Schluß hat, so würde man mir damit
-nicht zu nahe treten, denn ich habe diese Empfindung
-selber gehabt. So sehr, daß ich einen ganzen Roman
-dazu als Schluß geschrieben habe: den Roman des
-Sohnes der schönen Sara, der zwar einen seidenen
-Schlafrock und einen reitenden Kosaken, aber keinen
-genau bestimmbaren Vater hatte, und der »Prinz
-Kuckuck« genannt wurde, weil er zeitlebens in fremden
-Nestern hauste.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_90">[90]</a></span></p>
-
-<h2 id="Samalio_Pardulus">Samalio Pardulus.</h2>
-</div>
-
-<p>Johannes Pauli, der ein Jude war, ehe er ein
-Barfüßermönch wurde, erzählt in seinem Buche »Schimpf
-und Ernst« die sonderbar düstre Geschichte eines Malers,
-der ein Monstrum war: halb Mensch, halb Roß, hausend
-im wilden Walde, aber mit hoher Kunst gar
-wunderbar begabt. Doch, wie seine Farben auch
-leuchteten, und wie meisterlich immer seine Zeichnung
-ging: was er gestaltete, hatte die scheusälige Grimasse
-seines Urhebers. Nicht einmal den Heiland vermochte
-er anders als mißgestalt zu schaffen, dermaßen,
-daß man ihn eher für einen Teufel als den Sohn
-Gottes habe ansehen müssen. Daher denn Christus
-selber ergrimmte und dem malenden Ungetüm erschien,
-ihm seine Schönheit zu zeigen und ihm ins Gemüt
-zu reden.</p>
-
-<p>Daß er dabei gesprochen hat, wie es der Barfüßer
-berichtet: nämlich nicht anders als wie ein junger
-Herr, der, von seiner Schönheit eingenommen, die
-Leistungen seines Photographen nicht vorteilhaft genug
-findet, ist schwer zu glauben. Eher hat noch die Antwort
-des schlimmen Malers glaubliche Haltung: daß
-er nichts als Vergeltung übe an dem, der zuerst ihn
-als Scheusal geschaffen habe. »Wahrlich, wäre ich es
-mächtig, dir Härteres anzutun, als böse Bilder &ndash; ich
-tät's mit Lust.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_91">[91]</a></span></p>
-
-<p>Da ergrimmte der Herr, nach des Mönchs Bericht,
-in großem Zorne und stieß mit seinen Händen das
-Malgerüst um, auf dem Samalio Pardulus stand, daß
-es ihn unter sich erschlug, und sprach: <em class="antiqua">Talem perpetrat
-verdictam, qui per ipsam perdit vitam.</em></p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Hat dieser Johannes seinen Jesus recht gekannt?
-Hat er um den Maler Bescheid gewußt? Nein: er
-wußte weder von Gott noch von der Kunst.</p>
-
-<p>Die Geschichte von Samalio Pardulus nach den
-Quellen und nach dem Geiste ist so:</p>
-
-<p>Ja: Er war ein wildhäßlicher Mensch: über die
-Maßen lang und dürr, dazu schiefschulterig und lahm;
-und hatte einen lächerlich spitzen Kopf voll krausborstiger
-schwarzer Haare, die bis tief in die faltige Stirn
-hineingewachsen waren; aber keinen Bart um die
-schmalen, gleichsam verwelkten Lippen, und auch die
-gelben, schlotterigen Wangen waren ganz bloß, wie
-bei einem Kinde. Dafür lagen wie zwei dicke Raupen,
-die sich ineinander verbissen haben, dichte, stachelige
-Brauen über den kugelig hervorstehenden braungrünen
-Augen, und seine knochigen, langen Hände waren dicht
-behaart. Auch aus den viel zu großen und abstehenden,
-dabei pergamentfarbenen Ohren wuchsen Haarbüschel
-heraus, und nicht minder aus den abscheulich weiten
-Öffnungen der Nase, die im übrigen übermäßig lang
-und an der Spitze schnabelartig überhangend war.
-Ein Roßmensch war er aber nun doch nicht und lebte
-auch nicht eigentlich im Walde, sondern in einer der
-Burg an Burg, Turm an Turm wie aus Zyklopenquadern
-zusammengehäuften Städte des Albanergebirgs:
-zu jener Zeit, da es niemals Frieden gab, sondern<span class="pagenum"><a id="Page_92">[92]</a></span>
-immer der Krieg den Rachen offen hatte, sei es, daß
-unter den Geschlechtern Streit war, oder zwischen
-diesen und den Bürgerlichen.</p>
-
-<p>Indessen lebte man darum keineswegs traurig,
-sondern, ob auch in steter Unsicherheit, mutig, ja lustig
-dahin, immer darauf gefaßt, dem Leben schnell Lebewohl
-sagen zu müssen, aber entschlossen, bis zum Ende
-des großen Abenteuers frisch und derb zuzulangen nach
-allem, was Gott oder Teufel auftafelte. Zwischen
-Laster und Tugend, Tod und Wollust, Kampf und
-Schmaus aber gingen in Kapuzen und Sutanen Mönche
-und Priester dunkel umher und hatten für alles ihre
-lauten und leisen Worte, und in den Kirchen knieten
-Freund und Feind nebeneinander, mit den Nüstern
-schwülen süßen Weihrauch atmend, mit den Ohren
-Geheimnisse vernehmend aus herrischen, aber wie auf
-Wolken göttlicher Verheißung schwebenden Tönen, und
-mit den Augen umfangend die königlich strenge, jedoch
-auch mütterliche, jedoch auch bräutliche Schönheit der
-goldumloderten Madonna.</p>
-
-<p>Samalio Pardulus, seinem eigentlichen Namen nach
-der Sproß des ältesten und mächtigsten Geschlechtes
-der Stadt, das sich auf altrömischen Ursprung zurückführte,
-war weder bei den Rittern noch bei den Geistlichen,
-weder bei den Kämpfen noch bei den Schmäusen:
-war auch in der Kirche nicht zu sehen. Er nahm nicht
-teil am Leben seiner Tage, war im Gefühle tot für
-alles, was jenen Menschen Glück oder Unglück hieß.
-Und hatte auch nicht Freude an sich selbst.</p>
-
-<p>Kannte nur <em class="gesperrt">eine</em> Lust: allein zu sein und um sich
-herum eine neue Welt zu bilden aus Gestalten seiner
-Einbildung, der eine starke Kraft zu Gebote stand, sich
-in Bildern darzustellen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_93">[93]</a></span></p>
-
-<p>Das Handwerk hatte er von einem Manne aus Florenz
-gelernt, der, aus der Heimat um Parteifeindschaft
-willen vertrieben, der Geheimschreiber seines Vaters
-geworden war: ein schweigsamer Mensch, dessen Augen
-voller Klage und Heimsucht waren. Was dieser mit
-Pinsel und Farbe vermochte, hatte er auch bald vermocht.
-Aber er wollte mehr. Denn jener, der das
-Malen nur erlernt hatte, um sich, da er noch reich und
-ein großer Herr gewesen war, müßige Stunden zu
-vertreiben, malte nur, was die Meister seiner Vaterstadt
-schon einmal gemalt hatten, und er gedachte gar
-nicht, es ihnen gleich zu tun, oder gar mehr als sie.
-Indem er malte, dachte er an Florenz und schuf
-sich ein blasses Abbild des Schönen, daraus er vertrieben
-worden war. Samalio Pardulus aber (wir
-wissen nicht, welche Bewandtnis es mit diesem Namen
-hat) hatte keine Kunst fremder Meister gesehen (denn
-die schlechten Bilder in den Kirchen und Häusern seiner
-Stadt waren nicht meisterlich), und so gedachte er
-an nichts Fremdes: nur an das, was in ihm selber
-war und das er innerlich sah als etwas ganz ihm
-Eigenes, nicht zugespiegelt aus fremder Kunst, am
-wenigsten der seines Lehrers. Seine innerlichen Gesichte
-aus sich herauszustellen, die schwankenden fest,
-die verwehenden dauerhaft zu machen, war sein Begehren.</p>
-
-<p>»Daß ich Genossen hätte, male ich,« sagte er einmal
-zu seinem Lehrer, »ich male, daß ich nicht ganz
-allein sei. Könnte ich nicht malen, so würde ich mit
-Huren Kinder machen: aber mit den schamlosesten und
-wüstesten. Ja mit Tieren, wenn es die Natur zuließe.
-Nur, daß ein anderes Volk um mich herum wäre als
-dieses, das mir greulich fremd ist.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_94">[94]</a></span></p>
-
-<p>Messer Giacomo, der weder solche Worte vernommen,
-noch Bilder gesehen hatte, wie die seines wüsten
-Schülers, und dem es eine Art schreckhaften Ergötzens
-war, in der Langenweile seiner Verbannung sich mit dem
-»<em class="antiqua">mostro</em>« zu beschäftigen, schrieb in seinem (übrigens
-langweiligen, weil gar zu eintönigen) <em class="antiqua">diario</em>, das man
-später im Archive des Schlosses Certaldo alto aufgefunden
-hat, als das alte Gemäuer in den Besitz des
-Staates überging, getreulich alles auf, was er »<em class="antiqua">nella
-selva</em>«: im Walde draußen beim »<em class="antiqua">centauro</em>«, wie er seinen
-Schüler nannte, sah und hörte. Es scheint, daß er später
-in seine Heimat zurückgekehrt ist und in jenem Schlosse
-zwischen Florenz und Siena seine Tage beschlossen hat.
-Unter den über dem Schloßportale heute noch sichtbaren
-Wappen der verschiedenen Geschlechter, die einander im
-Besitze von Certaldo alto folgten, befindet sich auch das
-seine. Weiter wissen wir nichts von ihm. Wenn aus dem
-übrigen seines Tagebuches nicht hervorginge, daß er ein
-grundnüchterner Mann gewesen ist, der sich nicht mit
-Phantasiebeschäftigungen abgab, sondern, seine kleine
-Pinselliebhaberei abgerechnet, ganz in den realen Interessen
-aufging, die ihn zum tätigen Parteimann machten,
-so könnte man glauben, er habe sich diesen Samalio
-Pardulus erfunden, gewissermaßen, um sich auch als
-Poeten zu versuchen. Aber die Art, wie er den Äußerungen
-des seltsamen Menschen (gemalten wie gesprochenen)
-immer den Kommentar eines unerschütterlich
-mittelmäßigen Besserwissertums und biederer Philistrosität
-anhängt, läßt diesen Verdacht nicht aufkommen.
-Wir dürfen, wie wunderlich auch das meiste erscheinen
-mag, was er berichtet, mit Sicherheit annehmen, daß
-der Herr von Certaldo alto den »Zentauren« wirklich
-und leibhaftig gekannt, jene wilden Bilder gesessen<span class="pagenum"><a id="Page_95">[95]</a></span>
-und alle die Worte vernommen hat, die er, stets mit
-Äußerungen des Entsetzens, mitteilte.</p>
-
-<p>Wir folgen seinen Aufzeichnungen in allem
-wesentlich getreu und nehmen nur da das Recht
-in Anspruch, aus seinen tadelnden Kommentaren
-das Bild des »Scheusals« in einem Sinne zu ergänzen,
-der mit Messer Giacomos Meinungen nichts
-gemein hat.</p>
-
-<p>Einiges sei in wörtlicher Übertragung hergestellt.
-So, was der Toskaner über Samalios Kunst und
-Wesen im allgemeinen sagt: »Es ist ein sonderbares
-Ding um die Kunst dieses ungebärdigen Menschen.
-Sie ist voller Lästerung des Lebens, das in ihr nicht
-von Gott zu sein scheint, sondern vom Teufel. Malt
-er den Wald (wie er insonders gerne und nicht ohne
-Geschick tut), so ist es, als ob die Bäume ein jeder
-dämonisch besessen wären; kein Pflanzenwesen, sondern
-ein Tier, und alle zusammen sind wie eine Versammlung
-von Gespenstern, daß man sich fürchtet, in das
-Dunkel hineinzusehen, das wie aus ihnen innerst herauskommt:
-aber nicht schwarz, sondern bräunlich. Er hat,
-genau wie sie um sein Kastell im Felsgebirg stehen,
-Pinien gemalt, als welche doch freundliche Bäume sind,
-von edler Liniatur und eigentlich wohltätig, da sie von
-oben Schatten geben, aber, des fehlenden Unterästichts
-halber, der Luft den Weg nicht sperren. Bei ihm aber
-sind sie Ungetüme, die mit borstigen Schädeln widereinander
-rennen. Nicht so, als ob er ihnen Gesichter
-malte. Das wäre am Ende lustig. Sondern es sind
-Schädel von Riesen, die noch niemand sah, von Riesenwesen
-aus Baumart und doch tierisch. Sie sind bös
-und alle untereinander feind. Es ist, als ob sie sich
-gegeneinander stemmten mit diesen wilden Köpfen, daß<span class="pagenum"><a id="Page_96">[96]</a></span>
-sie so, ihre Kräfte vereinigend, mächtig würden, ihre
-Stämme aus dem Erdreich zu reißen. &ndash; Nicht anders
-macht er es mit Tieren und Menschen. Gott schuf
-sie, wie wir alle sie sehen. Dieser Ungestalte bildet
-sie ungestalt. Seine Pferde sind langhaarig wie Ziegen,
-und man möchte zugleich glauben, daß sie auch von
-Ebern stammten. Nie malt er sie anders als rot und
-schwarz gefleckt. Doch eine Schimmelstute hat er gemalt,
-das schamloseste, das je erdacht worden ist: ein
-Pferd mit Menschenhaut, ganz ohne Haar, bis auf
-eine Stelle, die er zum Mittelpunkte des Bildes gemacht
-hat. Das Tier, das Menschentier, biegt den
-Hals in einer schmerzhaft-unmöglichen Linie um und
-wendet so dem erschreckten Betrachter seinen Kopf zu,
-der zwar der Kopf eines Pferdes ist, aber so mit den
-Zügen eines Weibes vergattet, daß man die Augen
-niederschlagen muß. Denn es lacht auf eine schändliche,
-buhlerische und doch höchst klägliche Art. Es
-hat entzündete blaue Augen. Dafür hat er ein Weib
-gemalt mit dem Fell einer blau und schwarz gestreiften
-Katze. Dieses Weib reitet auf einem Manne, der das
-Zottelhaar eines weißen Schäferhundes hat und vorstehende
-Raffzähne gleich dieser Hundeart. Es reitet
-verkehrt auf ihm, sich mit beiden Händen an die
-buschige Rute ankrallend. Und der Hund-Mann hebt
-den Kopf nach Art eines heulenden Rüden, der die
-Matz wittert.</p>
-
-<p>Fragte ich ihn, was alles dies bedeute.</p>
-
-<p>Antwortete er: »Nicht weniger und nicht mehr als
-das, was eure Welt ist: meine.«</p>
-
-<p>Sagte ich ihm: »Das heißt Gott höhnen.«</p>
-
-<p>Antwortete er: »Niemand höhnt Gott mehr, als
-Gott sich selber verhöhnte, wie er den Menschen nach<span class="pagenum"><a id="Page_97">[97]</a></span>
-seinem Ebenbilde erschuf. Schaut mich an und sprecht:
-Sieht so Gott aus?«</p>
-
-<p>Schwieg ich aus höflicher Rücksicht.</p>
-
-<p>Lachte er (was nun bei ihm Lachen heißt: ein
-Zucken um die Mundwinkel) und sprach: »Oder, wenn
-<em class="gesperrt">ihr</em> ins Glas seht: seht ihr <em class="gesperrt">Gott</em> gespiegelt?«</p>
-
-<p>Entgegnete ich (mit gerechtem Fuge streng): »Nicht
-also ist jenes Wort der Schrift gemeint. Gott ist das
-vollkommen Schöne: wir nur unvollkommene Abbilder,
-verzerrt obendrein durch die Erbsünde und den Fluch
-darauf.«</p>
-
-<p>Lachte er nochmals (und ganz abscheulich), also
-sprechend: »So wäre Gott ein Stümper oder hätte
-getan, was ich tue.«</p>
-
-<p>Ging im Gemach herum und rieb sich die Hände,
-daß es knackte, wie Holzscheite. Blieb plötzlich stehen
-und sah mich mit verkniffenen Augen an. Und schrie:
-»Der Fluch! Die Sünde! Was heißen diese Worte?
-Daß er Fratzen braucht, sich zu vergnügen: Euer
-schöner Gott! Denn (und das sprach er leise, gar
-ernsthaft) als Stümper ist er nicht zu denken.«</p>
-
-<p>Warf sich ins Gestühl und starrte ins Deckengebälk,
-dorthin, wo der greuliche Leuchter hängt, den er in
-der Grabhöhle der Heiden gefunden hat: ist als eine
-große Sonnenblume gebildet, aber jedes Blatt hat die
-Form der weiblichen Scham, daß jede Kerze, darein
-gesteckt, zum Phallus wird.</p>
-
-<p>Saß lange schweigend, bis er sprach: »Nein, kein
-Stümper. Sondern wahrlich Gott: wahrlich Künstler.
-Und wir bloß Affen seiner Kunst. Aber (und dies
-rief er wieder laut, hell, wütig, indem er aufsprang):
-Alles dürfen wir, was er darf: alles. Und sind ihm
-um so ähnlicher, je mehr wir die göttliche Freude an<span class="pagenum"><a id="Page_98">[98]</a></span>
-der Fratze haben: diese Freude des großen Zorns, aus
-dem allein die Lust des Schaffens kommt. Denn die
-Liebe ist das Ekelhafte, ist das Sichbegnügen mit dem,
-was da: was langweilig, immer das gleiche, verflucht
-und noch einmal und in alle Ewigkeit verflucht das
-gleiche ist. Vulva und Phallus. Das ist für die Herde:
-im Schweinekoben und im Fürstenbette dasselbe. Aber
-einigen ist es gegeben, sich wie Gott selber zu vergnügen,
-weil sich Gott in ihnen am meisten vergnügt,
-da sie die vollkommensten Fratzen seiner selbst sind.
-Das sind die Künstler. Sie wissen, daß Gott die Welt
-nicht aus Liebe erschaffen hat, sondern aus Not …
-Gott! Was ist Gott? Was … wäre Gott? Gott
-wäre die Einsamkeit.«</p>
-
-<p>Trat ganz nahe an mich heran, und seine Augen
-waren fürchterlich, als er sprach: »Vernehmet, Mann
-aus Toskana, und bewahrt es wohl, denn es ist die
-Wahrheit: Gott war tot, als er die Welt schuf. Als
-er lebte, war nichts um ihn: Er war das All, die
-unbewegte Leere, das vollkommene Nichts, das ist:
-das einzig mögliche vollkommene. Doch wäre er nicht
-Gott: nicht Geist gewesen, wenn ihm diese Ewigkeit,
-diese scheußlich vollkommene Ewigkeit genügt hätte.
-Es kam die Not des Wollens über ihn, und er beschloß,
-zu sterben, daß aus seinem Tode die Welt, aus seiner
-Einsamkeit die Vielheit des Lebens würde: nicht anders,
-als wie aus einem Leichnam Würmer werden.«</p>
-
-<p>Ich entsetzte mich über diesen Unflat schändlicher
-Einbildung, schlug dreimal das Kreuz und erhob mich,
-zu gehen. Er aber legte seine beiden harten Hände
-auf meine Schultern, daß mir nicht anders war, als
-wenn Satanas mich verderben wollte, und drückte mich
-ins Gestühl.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_99">[99]</a></span></p>
-
-<p>Und sprach: »Höret nur weiter! Es ist nicht gut,
-die Wahrheit halbet zu vernehmen. Auch ist nicht
-gottlos, was ich Euch sage. Denn seht: ob Gott auch
-tot ist: die Welt ist dennoch göttlich, da sie von ihm
-ist. Zwar sind die Kreaturen nur Würmer, die von
-seinem Tode leben, aber es ist doch göttliche Nahrung,
-die sie erhält.«</p>
-
-<p>Ich raffte mich auf und verwies ihm sein Gerede,
-indem ich ihn einen heidnischen Sophisten hieß.</p>
-
-<p>Er schüttelte den Kopf: »Was mich von Eurer Art
-Christen unterscheidet ist nur, daß ich von Gott einen
-zu göttlichen Begriff habe, um vermeinen zu können,
-daß diese langweilige Welt des ewig Gleichen sein
-Leben umfassen oder ausdrücken könnte. Ich denke
-von Gott so hoch, daß mir sein Totes noch göttlich
-genug deucht für unsereins, ja als das einzig Göttliche,
-das wir vertragen können. Gott und Welt:
-Einsamkeit und Leben verträgt sich unmöglich. Und
-seht doch: Ist das nicht christlich gedacht, daß er für
-uns starb? Und was sage ich mit den Würmern anders
-als dies: daß er uns die Erbsünde vermacht hat?«</p>
-
-<p>»Ihr spottet,« rief ich laut, »und spottet Euch um
-die ewige Seligkeit!«</p>
-
-<p>»Damit ist es freilich nichts,« sagte er ernsthaft,
-»denn Gott hat sie selber aufgegeben: auch er vermochte
-es nicht, sie zu ertragen. Das war ja seine Not, die
-ihn zu sterben, als Gott zu sterben und im Gewürme
-weiterzuleben zwang. Die große Not der Langenweile
-war es. Jetzt ist er ihrer ledig. Der tote Gott
-vergnügt sich in der Vielheit von Fratzen, in denen er
-lebt: und wenn es auch gewiß ein zorniges Vergnügen
-ist, so ist es ebendarum göttlich. &ndash; Hier, bei mir
-(er wies um sich), hier in mir (er schlug sich auf die<span class="pagenum"><a id="Page_100">[100]</a></span>
-Brust) ist ihm am wohlsten. Denn meine Welt ist
-nach seinem Rezept gemacht, und ich sterbe gleich ihm
-einen Tod der zornigsten Not.«</p>
-
-<p>Indem er dieses sagte, war mir, als ob in seinen
-Augen etwas glömme: ich weiß nicht, war es Wahnsinn
-oder Begeisterung.</p>
-
-<p>Die Madonna sei ihm gnädig! Er spricht nie
-von ihr, und, ob er sich mit seinem Malgeräte
-auch an allem vergreift, was uns heilig, ihm aber
-nur ein Anlaß zu schändlicher Fratzerei ist: sie malt
-er nie.«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<div class="chapter">
-<p>Das Kastell, in dem Samalio die meisten seiner
-Tage und Nächte verbrachte, lag abseits der Stadt
-auf gewachsenem Fels, in den Terrassen eingehauen
-waren. Aber bis nahe dorthin, wo der Stein sich
-nackt emporhob aus dem Erdreich, stand starker Wald:
-Steineichen, Pinien; auch Zypressen und Kastanien.
-Es waren mächtige, herrische Bäume, die es nicht
-duldeten, daß Kleines neben ihnen aufkam. Nur der
-Blitz durfte die Riesen fällen oder das Alter. Dann
-wuchs aus ihrer Fäulnis das Neue. Es gab allerlei
-wildes Getier dort: vornehmlich Wildkatzen und Luchse,
-am allermeisten aber Geier und Eulen. Nachts, so
-berichtet der Toskaner, war es lauter um das Schloß,
-als bei Tage. Denn, so sagt er: »Da es dunkelte,
-wachten die Räuber auf, denen tagsüber selbst der
-finstere Wald zu helle war, und riefen einander oder
-kreischten auf beim Mord: der Luchs, heulend wie ein
-Wolf, der rote Wildkilling, tückisch jaulend; aber am
-fürchterlichsten die große Ohreule mit ihrem tiefen
-u-hu, das wie Klage tut, aber Blutgier ist.«</p>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_101">[101]</a></span></p>
-
-<p>Doch behagte gerade dieses Nachtkonzert der Unholde
-dem <span id="corr101">Mißgestalteten</span>, der von sich behauptete, gleich
-Luchsen, Katzen, Eulen nachts besser zu sehen als
-bei Tage, weshalb er sich erst bei Tagesgrauen zur
-Ruhe begab und bis zum hohen Mittag schlief.</p>
-
-<p>»Die braune Nacht,« so sagte er, »hat tiefere
-Farben, als der milchige Tag. Sie schillert nicht, sie
-glüht. Ihr Braun ist eigentlich altes Gold, gemischt
-mit dem Rot geronnenen Blutes. Auch ist ein tiefes
-Veilchenblau dabei. Zuweilen haben alle Konturen tief
-purpurne, zuweilen tief orangenfarbene Lichtabgrenzungen.
-Auch Schatten gibt es noch in der dunkelsten
-Nacht: sie sind das Wunderbarste an Farbe; aber
-auf der Palette gibt es dieses Braun der tiefsten:
-ganz schon geistigen Tiefe nicht. Es ist, als ob die
-Nacht dieses Braun träumte.«</p>
-
-<p>Er malte nur in diesen, nur von ihm gesehenen
-Nachtfarben, und so darf man es dem Toskaner
-glauben, daß Samalios Bilder waren »wie aus einer
-anderen Welt, die das Licht nicht von unserer Sonne
-hat: man mußte glauben, sie hatten es aus den Augen
-dieses Nachtmenschen, der, obzwar bei Tage (doch
-nur in der Dämmerung) malend, immer nur nächtige
-Bilder schuf, als ob es keinen Tag gäbe. Indessen
-waren unter seinen Tafeln solche, in denen eine unbeschreibliche
-dunkle Glut bebte, vergleichbar dem Lichte,
-das in manche Edelsteine eingeschlossen zu sein scheint,
-die noch im Finstern leuchten.«</p>
-
-<p>Danach könnte man meinen, daß Messer Giacomo
-die Bilder Samalios in den Farben schön gefunden
-habe. Doch weit gefehlt. Er nennt ihre Farben bald
-»höllisch«, bald »grausam«, dann einmal »blutrünstig«,
-wieder einmal »schändlich geil«, einmal sogar »himmelschreiend<span class="pagenum"><a id="Page_102">[102]</a></span>
-bäuerisch und barbarisch, ohne jedes Gefühl
-für Feinheit und Würde«. Sie »tun dem gebildeten
-Auge weh und rufen Angst und Schrecken hervor,
-anstatt daß sie erheitern«.</p>
-
-<p>Der Toskaner hatte von sich aus zweifellos recht,
-aber ebenso zweifellos ist, daß Samalio nicht gemalt
-hat, um Messer Giacomo zu erheitern. Es lag ihm
-nicht einmal daran, daß der Herr von Certaldo alto
-sie ansah. Wir wissen es von diesem selbst, daß er
-stets ungeladen das Kastell besuchte. »Ritt wieder
-einmal zur Zentaurenburg, um mir die Grillen zu
-vertreiben. Wurde übel empfangen, sah aber doch
-Neues. Wie immer: Greuel über Greuel. Die große
-Tafel aber will er noch immer nicht zeigen.«</p>
-
-<p>Von dieser wird noch zu handeln sein.</p>
-
-<p>Vorerst möge aus des Toskaners Aufzeichnungen
-zusammengestellt werden, was etwa weiter dazu dienen
-kann, uns einen Begriff vom Wesen und Leben dieses
-wunderbaren Menschen zu vermitteln.</p>
-
-<p>Aus diesen Notizen fügt sich das Bild eines
-Précurseurs des Rinascimento, jedoch ohne die bewußte
-Tendenz zur Antike.</p>
-
-<p>Alle geistigen Strömungen bereiten sich vor: versuchen
-sich gewissermaßen in unzeitgemäßen einzelnen.
-Ehe sie zum Schicksale einer Zeit: ehe sie Epoche
-werden, treten sie gewissermassen als Ferment in den
-Schicksalen einzelner auf, die damit zur Einsamkeit
-verurteilt sind und, meist ohne jede sichtliche positive
-Wirkung, eine Bestimmung erfüllen, deren Sinn wir
-nicht begreifen.</p>
-
-<p>Er hat dies selbst gefühlt. Eines Abends sagte
-er zu seinem Lehrer, der ihm berichtet hatte, daß das
-Volk ihn für einen Zauberer hielte: »Bin ich etwa<span class="pagenum"><a id="Page_103">[103]</a></span>
-keiner? Lebe ich nicht das Kommende voraus? Ist
-es nicht Zauberei, daß ich bin, als wäre ich mein
-Urenkel?«</p>
-
-<p>»Wie das?« fragte der Toskaner.</p>
-
-<p>Und Samalio antwortet: »Jeder von Euch hat den
-Glauben des anderen; jeder von Euch ist Nachbar:
-Stütze und gestützt; keiner von Euch ist frei: eine
-Kraft für sich. Ihr seid alle durcheinander bestimmt
-und findet das füglich. Selbst die gewalttätigen, die
-sich Herren heißen, handeln mit Rücksicht auf andere,
-sei es auch nur, daß sie über andere herrschen wollen.
-Für mich gibt es keine anderen. Ich kenne Euch nicht.
-Ich kenne nur mich. Ich bin so weit von Euch entfernt,
-wie von den Menschen, die den Turm von
-Babel bauten. Ich habe einmal davon gehört (als
-ich ein Kind war), daß es Menschen gibt außer mir,
-aber ich habe einsehen gelernt, daß das ein Irrtum
-ist. Dieses Märchen ist nur wahr für die, die keine
-Wirklichkeit in sich haben. Wer sich begriffen hat,
-weiß, daß er allein ist.«</p>
-
-<p>»Als ich dies hörte,« fügt hier der Toskaner bei,
-»war mir einen Augenblick wahrlich zumute, als
-sei dieser Wahnsinn Wahrheit. Daran waren die
-(Gott verzeih' mir die Sünde) verfluchten Augen des
-Scheusals schuld, deren Blicke mich wie glitzernde
-Fäden umspannen. Ganz sicherlich: er ist mit dem
-Bösen im Bunde. &ndash; Aber ich machte mich frei und
-rief: Wie? Denkt doch an Euren Vater, an Eure
-Mutter!«</p>
-
-<p>Darauf hat Samalio erwidert: »Vater und Mutter
-sind nicht außer mir, sondern in mir, und nicht nur
-sie, sondern alle, von denen sie gekommen sind. Und
-nicht nur die, sondern alle Menschen, die je waren.<span class="pagenum"><a id="Page_104">[104]</a></span>
-Dies eben ist es, Mann: wer wirklich Einer ist, ist
-Alle, &ndash; und braucht darum Keinen.«</p>
-
-<p>Trotzdem berichtet Messer Giacomo, daß Samalio
-»von einer entsetzlichen Liebe« geplagt worden sei.</p>
-
-<p>»Alle wissen es,« schreibt er, »und alle verabscheuen
-ihn darum noch mehr als um seiner Scheußlichkeit
-willen: daß er in unziemlicher Liebe entbrannt ist
-gegen seine leibliche Schwester Bianca Maria, die so
-schön, wie er häßlich ist. Sie wäre wert, daß man
-nach ihrem Antlitz die Madonna malte, denn auf ihm
-ist alle Holdseligkeit und Schöne vereinigt. Zweierlei
-nimmt mich wunder: daß diese beiden Geschwister
-sind, und daß er, das Ungetüm, es wagt, seine Blicke
-zu ihr zu erheben, deren Schönheit ihn, meine ich,
-doch eher mit Haß und Neid erfüllen müßte. Gepriesen
-sei Gott, daß das engelhafte Mädchen ihn
-verabscheut. Man sagt (und ich erachte es nicht für
-unmöglich, obwohl es nur ein Gerede ohne sichern
-Anhalt ist), daß er sie nachts in ihrer Kammer überfallen
-habe: doch ohne seinen nichtswürdigen Zweck
-zu erreichen, denn sie habe ihm mit dem großen Kruzifix,
-das über ihrem Bette hängt, einen Streich quer
-über die Stirne versetzt, wovon er (was ich selber wohl
-gesehen habe) eine tiefe Wunde davontrug. Und folgenden
-Tages (was wiederum zutrifft) sei er aus der
-Stadt gewichen, und seither rührt sein dauernder
-Aufenthalt draußen im Walde. Sie aber ist seitdem
-verzagt und seltsam schüchtern, derart, daß sie aller
-Männer Antlitz flieht; und hat sich ohne Widerrede auf
-Geheiß ihres Vaters einem Edelherrn aus der Nachbarschaft
-verlobt, dessen Antrag sie vorher zurückgewiesen.«</p>
-
-<p>Es findet sich (begreiflicherweise; denn darüber hat
-Samalio sicherlich nie gesprochen) in dem Tagebuche<span class="pagenum"><a id="Page_105">[105]</a></span>
-des Toskaners keine Äußerung des Malers über seine
-Schwester. Doch ergeben sich bei genauerem Zusehen
-Zusammenhänge, die dem Berichterstatter offenbar
-nicht zum Bewußtsein gekommen sind.</p>
-
-<p>Wir finden folgendes: »Fragte ich den Zentauren,
-warum er nicht die Madonna malte.«</p>
-
-<p>Antwort: »Weil es unmöglich ist.«</p>
-
-<p>Wiederfrage: »Haben es doch schon Tausende
-getan?«</p>
-
-<p>Antwort: »Weil sie sie nie gesehen haben.«</p>
-
-<p>Ich: »So hättet am Ende Ihr sie gesehen?«</p>
-
-<p>Er: »Wohl.«</p>
-
-<p>Tat ich erstaunt und fragte: »Ei: im Traume?«</p>
-
-<p>Antwortete er: »Es ist kein Unterschied zwischen
-dem, was ihr in Traum und Wirklichkeit spaltet.«</p>
-
-<p>Sagte ich: »Nun: man träumt im Schlafe und
-sieht wach.«</p>
-
-<p>Betrachtete er mich erstaunt: »Und der Unterschied?«</p>
-
-<p>Ich konnte es ihm nicht erklären, oder, wie ich
-besser sage: er stellte sich an, als begriffe er nicht, was
-doch auf der Hand liegt (wie es denn immer seine
-Art ist, Selbstverständliches unverständlich zu nennen).
-Also blieb mir verhohlen, wie das mit der Madonna
-gemeint.«</p>
-
-<p>Ein andermal: »Fand ihn vor einem gar schändlichen
-Bilde. War der Christ am Kreuze zwischen
-den beiden Schächern. Es graute mir, als ich sah,
-daß er sich selbst als den Gekreuzigten gemalt hat,
-aber, so dies möglich, noch scheusäliger, als er wahrlich
-ist. Und war über und über voll Blutrunst.
-Hing ihm aus der Wunde vom Spieße des Lanzknechts
-geronnenes Blut traubendick und von der<span class="pagenum"><a id="Page_106">[106]</a></span>
-Schulterwunde wie rote Maiskolben. Saß im Brusthaar
-wie Grind. Hatte sich im Schamtuch ekel gesackt.
-War wie der geschundene Marsyas.«</p>
-
-<p>»Dies ist nicht Jesus,« schrie ich auf, »dies ist der
-Teufel Oberster, den Ihr vor dem Spiegel gemalt!«</p>
-
-<p>Denn ich war sehr zornig. Er aber schien keineswegs
-beleidigt, sondern lächelte und sprach: »Wisset
-Ihr nicht, da Ihr ja doch auch mit Farb und Pinsel
-hantiert: daß jeglicher nichts malen kann, als sich
-selbst? Wenn ich spreche, so bin <em class="gesperrt">ich</em> der Ton; wenn
-ich sehe, ist's <em class="gesperrt">mein</em> Gesicht; mal ich, so kommt nichts
-auf die Tafel als immer <em class="gesperrt">ich</em>. Da ich nur ich sein
-kann, was könnte anderes von mir kommen als ich? &ndash;
-Christus! Wer ist das? Immer der, der ihn fühlt,
-von ihm redet, ihn malt. Was schüttelt Ihr Euch
-und tut entsetzt? Kennt Ihr die Schrift nicht? Wisset
-Ihr nicht, daß er sich allen gegeben hat? Nun: so
-auch mir. Und dieser da (er wies zur Tafel) ist
-wahrlich der meine, so ganz und gar, daß wir beide
-ein und derselbe sind.«</p>
-
-<p>Daß ich es gestehe: ich bebte vor großem Zorn,
-und ich rief: »Von Sinnen seid Ihr, und ich müßte
-Euch vors geistliche Gericht bringen, wüßte ich nicht,
-daß Wahnsinn aus Euch phantasiert.« Er fuhr sich
-durch sein stachelig Haar und murmelte etwas, wovon
-ich nichts verstand als: Noch nicht, noch nicht!</p>
-
-<p>Dann sagte er, ganz ruhig: »Mensch! Mensch!
-Weißt du nicht, daß alles Große Wahnsinn ist? Als
-die Liebe Wahnsinn wurde, schlug man sie ans Kreuz.
-Holla! Seitdem ist sie tot. Nun ist Raum für den
-Zorn&nbsp;… Doch das versteht Ihr nicht. Sonst würdet
-Ihr's aus meinem Bilde lesen, darauf es deutlicher
-steht als auf allen anderen Tafeln des <em class="antiqua">crucifixus</em>. Doch<span class="pagenum"><a id="Page_107">[107]</a></span>
-steht es auf allen: selbst den ganz lästerlichen: die da
-lächeln.«</p>
-
-<p>Mit einem Male schien es, als wollte er mir zu
-Leibe. Er schritt auf mich zu, die kleinen Augen so
-verkniffen, daß die Blicke aus einem Schlitze schossen,
-stieß mir die Faust auf die Brust und schrie: »Tolle
-Hunde haben mehr Gefühl für das Opfer auf Golgatha
-als Ihr, die Ihr aus einem Löwen ein Lamm
-gemacht habt. Es tut Euch wohl, sein blutiges Vließ
-zu krauen. Es tut Euch wohl, Wasser aus den Augen
-zu lassen über den, der Blut aus seinem Leibe ließ
-für Euch. Es tut Euch wohl, aus dem Größten eine
-Puppe gemacht zu haben, damit Ihr spielen könnt!«</p>
-
-<p>Ich wollte gehen. Aber er hielt mich fest. Und
-schleppte mich zu dem großen verhangenen Bilde.
-Dort ließ er mich los und stieß mich in einen Stuhl.</p>
-
-<p>Und sprach: »Hast du vernommen, daß nachts
-Geister kommen, mich zu besuchen?«</p>
-
-<p>Ich hatte es vernommen und antwortete so, fügte
-aber hinzu, daß ich es nicht glaubte.</p>
-
-<p>»Es ist!« rief er.</p>
-
-<p>Ich schlug das Kreuz.</p>
-
-<p>»Laßt den Gestus!« sagte er ruhig. »Der Geist,
-der zu mir kommt, ist nicht höllisch. Christus selber
-ist hier jede Nacht und mit ihm die Madonna.«</p>
-
-<p>Gott verzeihe es mir und alle seine Heiligen, daß
-ich dem Scheusal nicht in seine Lästerfratze spie, sondern
-bloß, aber unerschrocken, sagte: Das lügt Ihr!</p>
-
-<p>Da sah er mich groß an und ergriff den Zipfel
-des Vorhanges und sprach: »Knie nieder!«</p>
-
-<p>Ich glaubte nicht anders, als er wollte mich heißen,
-den Teufel anbeten und weigerte mich des.</p>
-
-<p>»Knie!« knurrte er und griff nach dem Dolche.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_108">[108]</a></span></p>
-
-<p>»Die Sünde kommt auf Euch,« stöhnte ich und
-ließ mich auf die Knie nieder, Gottes Hilfe herbeirufend
-durch fleißiges Kreuzschlagen.</p>
-
-<p>Als ich die Ringe des Vorhanges kreischen hörte,
-senkte ich den Kopf und schloß die Augen feste, ja
-nichts zu sehen. Und war des Bestimmtesten entschlossen,
-nicht freiwillig Kopf und Blick zu erheben.</p>
-
-<p>Mir ist, als hätte ich lange so auf den Knien gelegen,
-die Augen also feste zugedrückt, daß vor den
-geschlossenen goldene Sterne und Scheiben tanzten.
-Auch rann mir Schweiß von der Stirne über die
-Lider, und es war, als wollte er mir die aufbeizen,
-da er in die Augen drang mit seiner Schärfe.</p>
-
-<p>Dies weiß ich jetzt. Da ich aber voller Ängste
-lag, glaubte ich, es fräße höllisches Feuer an ihnen.
-Und ich wimmerte sehr.</p>
-
-<p>Erst als ich seine Schritte von mir gehen hörte,
-wurde mir etwas mutiger. Ich hob den Kopf, jedoch
-nach rückwärts gewandt, dorthin, wo der Schreckliche
-nun in einem Stuhle saß und über mich weg zu dem
-Bilde blickte: die rechte Hand über die Augen schirmend,
-wie Maler ihre Tafeln aus der Ferne anzusehen
-pflegen.</p>
-
-<p>Und er murmelte, als sei ich gar nicht da:</p>
-
-<p>»Es will nicht glühen, wie in der Nacht. Die
-Purpurspitzen ihrer Brüste sind noch tot. Das Fleisch
-ist viel zu hell. Im Haar zu wenig Brand noch. Als
-meine Hand darüber fuhr, hat es geknistert. Das dort
-ist Werg, nicht Leben. Sonst … ist … sie … schön.«</p>
-
-<p>Er atmete schwer und laut und ließ die Hand
-sinken. Und merkte nun mich, stand auf und schritt
-schnell her, griff über mich weg und riß den Vorhang
-wieder vor das Bild.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_109">[109]</a></span></p>
-
-<p>»Steh auf!« herrschte er mich an. »Danke deinem
-Gotte, daß er dich davor bewahrt hat, das zu
-sehen, was meine schamlose Raserei dir enthüllt hat.
-Denn wisse: auf dieser Tafel ist die Madonna in
-Wahrheit, vom nackten Leben leibhaft, geisthaft hergerissen
-mit der Brunst meines Auges. Würdest du
-sie gesehen haben, hätten dich diese meine Hände erwürgt.
-Und nun geh und schrei es auf den Gassen
-aus, daß Samalio Pardulus die Madonna nackt gemalt
-hat, reitend auf einem Zentauren mit den Zügen
-ihres Sohnes, der ihr Bruder ist. Und daß er mit
-ihr wegsetzt vom steinigen Felsen Golgatha über einen
-Abgrund voller Blut, aus dem die Spitzen von Domen
-ragen zu einem Schlosse von veilchenfarbenem Amethystquarz,
-bewacht von den Tieren der Apokalypse, und daß
-dieses Schloß der Sarg Gottes ist, in dem Samalius
-wohnt und wacht, daß keine Würmer zu ihm kommen.«</p>
-
-<p>Man darf es dem Florentiner glauben, daß er
-nach diesen »Worten das Weite gesucht hat, wie einer,
-dem der Böse auf den Fersen ist.« Trotzdem hat er
-nicht den Angeber gespielt und seine Erlebnisse niemandem
-vertraut, als den Blättern seines Buches.</p>
-
-<p>Aber auch ohne seine Mithilfe wurde es ruchbar,
-daß nächtlicherweile Unheimliches sich begab auf dem
-Schlosse im Walde.</p>
-
-<p>Da Samalio nachts niemand bei sich hatte als
-einen alten halbblinden und ganz stummen Diener, so
-konnten die Gerüchte nicht aus dem Schlosse kommen.
-Sie entstanden in der Stadt selbst, im Hause der Eltern
-des Malers.</p>
-
-<p>Seit diese wegen der bevorstehenden Hochzeit der
-Tochter zu mächtigen Verwandten des Bräutigams
-nach Rom gereist waren, ging es im Palazzo Nacht<span class="pagenum"><a id="Page_110">[110]</a></span>
-für Nacht um. Unnötig, all das zu erzählen, was
-die erschrockene Dienerschaft allnächtlich gesehen und
-gehört haben wollte. Übereinstimmend wurde dies
-berichtet:</p>
-
-<p>Allabendlich, sobald es ganz finster geworden war
-(man befand sich im Dezember, und es war ein nebliges
-Wetter ohne Mondschein), kam den steilsten Steg
-zur Stadt heran, den sonst nur die Ziegenhirten nahmen,
-ein riesiges schwarzes Pferd, auf dem ein hagerer
-Mann saß, gehüllt in einen schwarzen Mantel, auf
-dem schwarzbärtigen Kopfe einen breitkrempigen Kegelhut.
-Man hätte, wäre nicht der Bart gewesen (und
-das andere, das nur Gespenstern eigen ist), meinen
-können, es sei Samalio. Doch war es sicherlich ein
-Gespenst, denn aus dem Mantel, daher, dorther, und
-von seinen Schultern leuchteten gelbe Lichter, und grüne
-Lichter liefen neben dem Pferde. Der Wachtturm des
-Hauses, das wie alle Häuser der adeligen Geschlechter
-mehr eine Burg als ein Palast war, stand auf der
-Stadtmauer, und auf seinem Umgang befand sich, wie
-auf den eigentlichen Mauertürmen, die ganze Nacht
-hindurch ein Wächter. Nur er konnte die Erscheinung
-verfolgen, sobald sie der Mauer nahe gekommen war.
-Denn die übrigen Fenster des Palastes, der von der
-Mauer etwas abstand, gewährten keinen Blick dorthin.
-Auch hätten wohl weder Männer noch Frauen den
-Fürwitz gewagt, das Gespenst nahe zu betrachten, da
-es schon entsetzlich genug anzusehen war, wie sich, sobald
-Pferd und Mann in das Schattenbereich der
-Mauer gekommen waren, die gelben Lichter aus dem
-Mantel und von den Schultern des Mannes in die
-Lüfte erhoben und das Haus zu umschwirren begannen,
-während die grünen Lichter in weiten Bogen den<span class="pagenum"><a id="Page_111">[111]</a></span>
-Raum vor dem Turm umkreisten. Aus dem Wächter
-war nichts herauszubringen als das eine: Der Mann
-im schwarzen Mantel schritt durch das geschlossene
-Turmtor, ohne daß sich dessen Angeln drehten. Als
-er aber das erste Mal gekommen sei, habe er ihm
-folgendes gesagt: Mein Anblick tötet dich. Ich schone
-dich, solange du allein wachst. Erblicke ich dich mit
-Kameraden, so bist du wie sie des Todes. Daher sich
-niemand herbeidrängte, dem Wächter Gesellschaft zu
-leisten. Auch hütete sich im Hause ein jeder wohl, die
-Augen aufzutun, solange »der Schwarze« darin war.
-Der Wachthund, ein riesiges Tier, war am Morgen
-nach dem ersten Erscheinen mit durchbissener Kehle
-gefunden worden. Das Gespenst blieb stets nur ganz
-kurze Zeit im Palast. Seine Anwesenheit machte sich
-lediglich durch ein sonderbar tappendes Geräusch von
-vielen Schritten, wie von Kindern, die ein Mann begleitet,
-merkbar. Kaum, daß dieses Geräusch vorüber
-war, konnten die Mutigeren von ihren Fenstern aus
-Pferd, Reiter und Lichter im Walde verschwinden
-sehen: in der Richtung zum Waldschlosse Samalios.</p>
-
-<p>Messer Giacomo, der nicht im Palast wohnte, sondern
-ein kleineres Haus in der Mitte der Stadt angewiesen
-erhalten hatte, berichtet alles dies vom Hörensagen
-nach Erzählungen der Dienerschaft. Da er es
-für angebracht hielt, einen reitenden Boten nach Rom
-zu senden, um die Herrschaft von dem unheimlichen
-Wesen zu unterrichten, aber nicht ohne die Meinung
-der Tochter des Hauses handeln wollte, der er überdies
-Schutz und Beistand bei so schreckhaften Umständen
-anzutragen sich verpflichtet glaubte (denn alle oberen
-Hausbediensteten waren mit auf der Reise), so begab
-er sich zu Maria Bianca:</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_112">[112]</a></span></p>
-
-<p>»Ich fand das edle Fräulein,« so schreibt er,
-»gegen alle Erwartung heitern Sinnes, obgleich sehr
-blaß und trotz des Lächelns in den schönen Augen,
-gleichsam wie eine Kranke, welche die Tröster trösten will.
-Sie scherzte über das Gerede des Gesindes und sprach:
-Ich habe wahrlich keine Furcht vor dem Gespenste: so
-wenig, daß ich meine Kammerfrau, die früher bei mir
-schlief, aus meinem Schlafzimmer getan habe. Das
-alles sind nur Torheiten, und es ist nicht wert, darüber
-zu sprechen, geschweige denn einen Boten aufs Pferd
-zu setzen. &ndash; Auf so bestimmte Meinung des gnädigen
-Fräuleins hin unterließ ich die Botschaft.«</p>
-
-<p>Nach seinem letzten, schreckhaften Besuche bei
-Samalio indessen überkam ihn doch aufs neue Angst,
-zumal von Bauern aus der Umgebung des Waldschlosses
-schon früher aufgetauchte Gerüchte bestätigt
-worden waren, es ginge auch dort Absonderliches vor:
-mit seltsam singenden Stimmen und einer sonst nie
-wahrgenommenen bunten Helligkeit hinter den Fenstern.
-Und er ging nochmals zu Maria Bianca. Er schreibt
-(mit zitternden Händen, wie er vorausschickt): »Was
-habe ich sehen müssen! Schlimmeres als eine Kranke.
-Ihre Augen leuchteten wie im Fieber und sie entsetzten
-mich, da ich sah, daß sie jetzt denen des Ungeheuers
-gleichen. Sie ist ganz verändert und dennoch so schön
-wie je. Aber anders. Gott verzeihe mir den Frevel,
-daß ich so denke und es hinschreibe: Ihre Schönheit
-ist schamlos worden. Wie das? Wie darf ich so
-Unmögliches denken? Jedoch: ich sah es. Mit diesen
-Augen sah ich den gleißenden Wurm in ihren Augen.
-Und wenn alle Heiligen um mich her stünden, und
-alle ihre Martern mich bedrohten, und alle ihre
-Seligkeiten mich zurückschreckten vor jedem unbedachten<span class="pagenum"><a id="Page_113">[113]</a></span>
-Wort, &ndash; ich muß es sagen (und schrecke doch zusammen,
-wie ich es nun schreibe), sie hat den verruchten
-Stolz der großen Huren im Blick. So brennen
-die Lippen keiner Keuschen. Keine reine Jungfrau
-liegt so im Gestühl. Selbst in ihrer Stimme ist nicht
-Unschuld mehr. Es ist eine bebende, wollustnachzitternde
-Reife in ihr, die wie eine schamlose Offenbarung des
-Geheimsten ist. Da ist Sättigung und Begierde, aber
-etwas Drohendes und doch Verzweifeltes ist dabei.
-Ich suche vergeblich, es in Worte zu fassen. Die
-toskanische Sprache, reich genug wie wir wissen,
-Himmel und Hölle zu malen, scheint unvermögend,
-diesen Triumph voller Qual, dieses Beben aus erfülltem
-Stolz auszunennen. &ndash; O, ich konnte wohl
-alle meine Fragen und Berichte, derentwegen ich gekommen
-war, für mich behalten, denn ich wußte auf
-einmal alles: Nicht törichtes Geschwätz der Gesindestuben
-ist dieser Spuk, der sich hier begibt und dort
-erzeugt wird: ist Wahrheit, furchtbare, schändliche,
-höllische Wahrheit. Das Ungeheuer drüben, unvermögend,
-diesen Engel blutschänderisch selbst zu gewinnen,
-hat sich mit der Hölle verbündet, ihr den
-Inkubus zu senden, und dem ganzen Teufel gelang,
-was dem halben mißlingen mußte. Der Engel ist
-gefallen: eine Teufelshure richtet sich auf im verfluchten
-Stolze der Wollust. In diesem Hause wohnt die geile
-Pest der Hölle, gesandt von jenem Scheusal, das durch
-den Anblick einer reinen Schönheit zum Wahnsinn und
-vom Wahnsinn zum Frevel aller Frevel getrieben
-wurde: zur Zauberei. &ndash; Wie groß ist doch die Macht
-des Bösen! Als sie mich anlächelte und mit einem
-seltsam vollen Tone von scheinbarer Sorglosigkeit sagte:
-»Nicht doch, Messer Giacomo, bei meinem Bruder sind<span class="pagenum"><a id="Page_114">[114]</a></span>
-so wenig höllische Geister wie hier, und es tut wahrlich
-nicht not, die Eltern zu erschrecken,« da war ich einen
-Augenblick selber im Netze des Teufels und gedachte
-wiederum, die Botschaft sein zu lassen. Aber siehe,
-der Böse verrät sich schließlich doch: Denn es kamen
-noch die Worte (gewiß aus widerwilligem Mund,
-denn ich sah, daß er bebte): Das Schicksal ist weder
-aufzuhalten noch zu beschleunigen. Es erfüllt sich,
-wenn es zeitig ist. &ndash; Ich verbeugte mich, nahm Urlaub
-und ging. &ndash; Der Bote ist auf dem Wege. Wär' ich bei
-besseren Kräften, ritte ich selbst. Denn es ist wahrlich
-besser, im Sattel zu sitzen und auf unsicheren Straßen
-Tag und Nacht zu reiten, als hier zu sein, wo sich so
-Schreckliches begibt und noch Entsetzlicheres vorbereitet.«</p>
-
-<p>Folgt ein Gebet zu allen Heiligen und ein Spruch
-zur Abwehr der Dämonen.</p>
-
-<p>Aus den weiteren Aufzeichnungen des Florentiners
-ergibt sich dies:</p>
-
-<p>Die Eltern schickten den reitenden Boten sofort
-mit der Anzeige zurück, daß sie sich unverweilt auf
-die Rückreise begeben würden. Diese Botschaft, mündlich
-gefaßt, erging an die Tochter und kam zu später
-Abendstunde an. Das Gesinde, sehr erfreut darüber,
-benachrichtigte sogleich Messer Giacomo, der sich auf
-der Stelle in den Palast begab, am Morgen des folgenden
-Tages gleich zur Stelle zu sein. Maria Bianca,
-statt ihn vorzulassen, ließ ihm sagen, er habe sich übel
-um ihre Eltern verdient gemacht. Wenn ihm sein
-Leben lieb sei, möge er sich stille halten und seinen
-Fürwitz nicht weiter treiben. Er schloß sich erschreckt
-in sein Zimmer ein. Kaum eine Stunde später begab
-sich das Übliche. Nur, wie die Dienerschaft erklärte,
-heftiger, lauter als sonst. Man hörte das<span class="pagenum"><a id="Page_115">[115]</a></span>
-Fräulein stöhnen und eine heisere Mannesstimme.
-Türen fielen ins Schloß, ein gräßlicher tierischer Laut
-fauchte heulend auf und ging in ein wütendes Wimmern
-über, das lange anhielt. Es schien aus dem
-Schlafzimmer des Fräuleins zu kommen.</p>
-
-<p>Der ›Inkubus!‹ dachte sich Giacomo und schlug,
-solange es erklang, das Kreuz. Endlich ward es still,
-aber niemand wagte sich aus seinem Zimmer.</p>
-
-<p>Am frühen Morgen schon kam die Herrschaft an.
-Die Nebel hatten sich noch nicht gehoben. In den
-Korridoren des Palastes lag dämmeriger Halbschein.
-Der Vater befahl eine Laterne und begab sich, wie
-er ging und stand, im Reisepelze zum Zimmer Maria
-Biancas, denn er hatte der ungewiß enthaltenen Botschaft
-entnommen, daß sie krank sei von dem Spuke.
-Messer Giacomo, in dessen Ohren noch immer das
-gräßliche Wimmern klang, führte die ganz erschöpfte
-und geängstigte alte Dame. Die Dienerschaft drängte
-hinterdrein.</p>
-
-<p>Ein paar Schritte vor der Tür machte der Graf
-halt und wandte sich an Giacomo: »Ihr habt mir
-nicht alles gemeldet. Es steht schlimmer. Warum
-kommt sie uns nicht entgegen?«</p>
-
-<p>»O mein Gott,« seufzte die Gräfin und schritt
-am Grafen vorbei zur Tür.</p>
-
-<p>»Nicht doch, nicht doch!« bat Messer Giacomo.
-»Nicht hinein!«</p>
-
-<p>»Sagt alles,« befahl der Graf.</p>
-
-<p>Der Florentiner trat nahe an ihn heran und
-flüsterte: »Es ist unmöglich zu sagen. Ich kann nur
-bitten, schlagt das Kreuz und laßt mich vorangehen.«</p>
-
-<p>Der Graf sah ihn groß an. »Ins Schlafzimmer
-meiner Tochter? Seid Ihr von Sinnen?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_116">[116]</a></span></p>
-
-<p>Messer Giacomo rang die Hände und flüsterte
-noch leiser: »Sie … schämt sich nicht mehr.«</p>
-
-<p>Der Graf hob die rechte Faust &ndash; und ließ sie
-schlaff sinken. Dann winkte er der Dienerschaft zurückzubleiben
-und stöhnte: »Wenn Ihr die Wahrheit gesagt
-habt, töte ich sie, habt Ihr gelogen, töte ich Euch.«</p>
-
-<p>Er griff nach seinem Dolche und tat einen Schritt
-voran.</p>
-
-<p>Die Gräfin hatte indessen ihr Ohr an die Türe gelegt
-und gebot mit der Hand Schweigen. »Mir ist,
-ich höre sie röcheln.«</p>
-
-<p>Sie klopfte leise an die Türe.</p>
-
-<p>Ein sonderbares Knurren wurde vernehmbar.</p>
-
-<p>»Der Inkubus,« schrie Messer Giacomo auf und
-wandte sich wie zur Flucht um. Der Graf packte ihn
-beim Handgelenk und zwang ihn zur Tür. »Öffnet!
-Und sei's mit Gewalt!« Giacomo drückte auf die
-Klinke. Die Türe tat sich auf.</p>
-
-<p>Das Zimmer war ganz dunkel. Nur am Fenster
-glomm etwas Leuchtendes, wie wenn das Licht des
-Morgens aus zwei Löchern durch die vorgezogene
-schwere Samtgardine bräche.</p>
-
-<p>»Da … da … dort sitzt er!« stöhnte Giacomo und
-bekreuzte sich.</p>
-
-<p>In diesem Augenblicke flogen die zwei hellen Punkte
-in einem großen Bogen durch das Zimmer über die
-Köpfe der Eingetretenen hinweg &ndash; hinaus. Gleich
-darauf erhob sich, während die drei, von Entsetzen
-gepackt, am Türpfosten Halt suchten, im Korridor Geschrei
-und Gekreisch der Dienerschaft, überschrillt von
-einem langgezogenen wütenden Geheul, das dann
-in Fauchen überging und schließlich knurrend zu<span class="pagenum"><a id="Page_117">[117]</a></span>
-verröcheln schien. Dann hörte man das Gesinde die
-Treppe hinabpoltern und die Treppentüre zuschlagen.</p>
-
-<p>Der Graf kam zuerst zu sich. Er ging zum Fenster
-und riß die Gardinen auseinander. Das Zimmer
-war leer. Das Bett hinter den geschlossenen Vorhängen
-unberührt.</p>
-
-<p>»Wo ist sie?« stöhnte die Gräfin auf und sank vor
-dem Bett zusammen.</p>
-
-<p>Der Graf sah Messer Giacomo fragend an.</p>
-
-<p>Der flüsterte, mit dem Kopf zur Türe: »Das war
-sie … die Hexe.«</p>
-
-<p>»Licht!« schrie der Graf den Korridor hinaus.</p>
-
-<p>Niemand kam.</p>
-
-<p>»Sie fürchten sich. Wer fürchtete sich hier nicht?«
-murmelte der Florentiner.</p>
-
-<p>»Was könnte ich noch zu fürchten haben,« murmelte
-tonlos der Graf und schritt zur Türe.</p>
-
-<p>Links neben der Tür stand am Boden die Laterne. Er
-hob sie hoch. Ihre Verrahmung und die ausgeschnittene
-Ornamentierung der Haube warfen ein Rankennetz
-von Schatten an Decke und Wand. Da die Hand
-des Grafen zitterte und die Laterne sich in der Handhabe
-drehte, war es ein huschender Tanz von Schatten
-und Licht. Da fiel aus der größten Scheibe ein gelber
-Schein auf etwas Geducktes, Schwarzes in einer Ecke.</p>
-
-<p>Der Graf ging unsicheren Schrittes darauf los,
-machte das Zeichen des Kreuzes und murmelte: »Bist
-du es?«</p>
-
-<p>Das Wesen, nun wieder verschattet, duckte sich noch
-mehr zusammen und knurrte tückisch.</p>
-
-<p>Da ergriff den Greis eine wahnsinnige Wut. Er
-riß den Dolch aus der Scheide und warf sich mit dem
-ganzen Gewichte seines Körpers vornüber auf das<span class="pagenum"><a id="Page_118">[118]</a></span>
-Dunkle, den Dolch voran. Er fühlte einen heißen
-Hauch in seinem Gesicht und heißes Blut über der
-Faust. Wild packte er mit beiden Händen zu, und
-zwischen seinen eingekrallten Fingern verreckte eine
-riesige Wildkatze. Er trug sie, die Hände weit vor sich
-gestreckt, keuchend zum Zimmer und warf den noch
-zuckenden Leib auf das Bett Maria Biancas. Dann
-kniete er nieder, schlug die blutigen Hände vors Gesicht
-und betete &ndash; für die Seele seiner Tochter.</p>
-
-<p>Die Gräfin lag ohnmächtig vor dem Bett. Auf
-ihre Stirn tropfte das Blut des Tieres.</p>
-
-<p>Messer Giacomo schreibt: »Auch ich hatte schier
-die Besinnung verloren. Das Herz saß mir im Halse.
-Ich fühlte sein Pulsen im Hirn. Vor meinen Augen
-war ein roter Dampf. Ich weiß nicht: war das das
-Blut, das mir so heftig zusetzte, oder höllische Vortäuschung.
-Durch das rote Dunkel hindurch sah ich
-die Augen des Teufeltieres verlöschen: und es waren
-genau die Augen Maria Biancas. Ihr letzter Blick,
-voller Wut, galt mir. Ich wehrte dem Bösen mit
-dem Kreuze und kniete gleichfalls nieder, für die arme
-Seele zu beten. Dann trugen wir, der Graf und ich,
-die edle Dame in ihr Gemach, beide im Herzen dankbar,
-daß sie nicht zu sich kam. Darauf erzählte ich dem
-unglücklichen Vater alles, was ich wußte. Wer etwa
-Zweifel daran gehegt hätte, daß der aus altrömischem
-Heldenblute stammte, der würde sich jeglichen Zweifels
-daran wohl begeben haben angesichts der Größe und
-Festigkeit, mit der der Graf nach Anhörung meines
-Berichtes nichts weiter sagte als: »So bleibt mir nur
-noch übrig, auch ihn auszutilgen.«</p>
-
-<p>Er ließ für sich, Giacomo und zehn Knechte satteln,
-setzte, für den Fall, daß er im Kampfe mit dem Zauberer<span class="pagenum"><a id="Page_119">[119]</a></span>
-zu Tode kommen sollte, sein Testament auf, sein ganzes
-Vermögen der Kirche vermachend, tauchte Schwert und
-Dolch in geweihtes Wasser und ritt langsam mit seinen
-Begleitern zum Walde. Rechts von ihm ritt Messer
-Giacomo, links der Turmwächter. Dieser, sonst der
-Mutigste unter allen Dienern des Grafen, wankte schier
-im Sattel und war entstellt von Angst und Grauen.
-Sein Gebieter sprach ihm Mut zu, aber je näher sie
-dem Schlosse kamen, um so unsteter wurde sein Blick,
-um so blasser sein Gesicht.</p>
-
-<p>Wie sie des Schlosses ansichtig wurden, das im
-fahlen Lichte eines sonnenlosen Tages dastand, wie
-aus glanzlosem Blei, graubläulich, gleichsam tückisch,
-hieß der Graf alle von den Pferden steigen und niederknien
-zu beten. Dann, als sie wieder im Sattel saßen,
-mußten sie die Schwerter ziehen, sie steil gerade vor
-sich halten als Kreuzeszeichen und die Hymne singen:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wir ziehen aus, zu streiten<br /></span>
-<span class="i0">Für Jesu Christ,<br /></span>
-<span class="i0">Der unserm tapfern Reiten<br /></span>
-<span class="i0">Unsichtbar Führer ist,<br /></span>
-<span class="i0">Seine Fahne, schneeweiß,<br /></span>
-<span class="i0">Kyrieeleis,<br /></span>
-<span class="i0">Wird uns zum Sieg geleiten.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p>»Es war uns allen,« schreibt der Toskaner, »ausgenommen
-den alten Herrn, wie ich anbetrachtlich des
-Funkelns in seinem Aug', glaube, nicht gar mutig zu
-Sinne. Aber das Lied, wie es aus uns drang, umgab
-uns gleichsam mit dem Atem tapferer Erzengel. Als
-wir vor dem Tore hielten, sah ich, daß alle Knechte
-wacker rote Wangen hatten, bis auf den Wächter.«</p>
-
-<p>Da das Tor verschlossen war (wie auch alle Fenster,
-die Läden vorhatten), schlug der Graf mit dem Knaufe<span class="pagenum"><a id="Page_120">[120]</a></span>
-seines Schwertes daran und rief: Im Namen des
-Dreieinigen, öffne!</p>
-
-<p>Statt der Antwort erfolgte ein harsches, gaumiges
-Röcheln. Dann klirrten Schlüssel, die Türflügel kreischten
-in den Angeln, und aus der Öffnung trat der alte
-Diener, sogleich in die Knie sinkend und beide Arme
-ausbreitend. In seinem qualvoll aufgerissenen Munde
-sah man die schwere Zunge wie im Krampfe zucken,
-während im Gaumen wieder die entsetzlichen nach
-Ausdruck ringenden Laute röchelten. In den blinden
-Augen lag leer, grau der Widerschein des dunstigen
-Himmels.</p>
-
-<p>Der Florentiner berichtet: »Obgleich der Erbarmungswürdige
-weder mit dem Munde noch mit den
-Augen zu sprechen vermochte, verstanden wir ihn doch
-alle gleich und wußten, daß das Scheusal tot war.«</p>
-
-<p>Der Graf winkte den Knechten, zurückzubleiben und
-gebot dem Stummen, ihn und Giacomo zur Leiche zu
-führen. Der aber warf sich lang auf die Erde bin,
-als ob er sich mit den Händen in sie einkrallen wollte.</p>
-
-<p>»Da wußten wir,« schreibt Giacomo, »daß uns
-noch Schlimmeres bevorstand, etwas, das selbst den
-entsetzte, den Blindheit davor bewahrt hatte, es sehen
-zu müssen.«</p>
-
-<p>»Ich möchte es Euch, Messer Giacomo,« sagte der
-Graf, »gerne ersparen, mich zu begleiten. Aber, seht,
-mich wandelt jetzt Furcht an, da ich mich doch nicht
-davor gefürchtet habe, den zu töten, der das Leben
-von mir hatte. O mein Gott, warum begnadigst du
-mich nicht mit Blindheit! Furchtbares zu tun, hat für
-den Edlen keinen Schrecken, wenn Not und Pflicht
-gebietet. Aber es gibt Dinge von einem Antlitz, dessen
-Ahnung schon auch den Tapfersten zur Flucht scheucht.<span class="pagenum"><a id="Page_121">[121]</a></span>
-Doch es muß geschehen. Ich muß mit diesen Augen
-sehen, was mein Herz schon weiß. Messer Giacomo,
-die Sünde braucht den Teufel nicht. Wenn Ihr Euch
-jetzt noch vor höllischen Geistern fürchtet, so sage ich
-Euch: Ihr könnt ruhig mit mir gehen. Wenn Ihr
-aber dem Grauen nicht gewachsen seid, das von der
-verfluchten Natur ausgeht, aus der wir alle sind, so
-sage ich Euch: Laßt es mich allein ertragen, der ich es
-muß, weil ich mit meinem Blute daran schuldig bin.«</p>
-
-<p>Der Florentiner, der diese Worte so berichtet, fügt
-hinzu: »Auch jetzt, da ich dies mit Besonnenheit aufzeichne,
-verstehe ich es nicht, geschweige denn, daß ich
-es verstand, als ich es vernahm. Der Böse, dessen
-augenscheinliches Werk mein armer edler Herr von
-jenem Augenblick an leugnete, hat ihn verwirrt. Gelobt
-sei Gott dafür, daß er wenigstens meinen Geist
-vor Verdunklung schützte.«</p>
-
-<p>Die beiden gingen durch dunkle Korridore, dunkle
-Treppen hinauf zu dem großen Turmgemache, das
-Giacomo als Werkstatt des Malers kannte, und wo
-er mit Recht vermutete, daß sie seine Leiche finden
-würden.</p>
-
-<p>Lassen wir ihn berichten: »Ich schritt voraus und
-hob den ledernen Vorhang auseinander, daß der Graf
-eintreten konnte. Er ging aber nicht mit mir ins
-Zimmer, sondern hielt sich rechts und links mit der
-Hand am Türvorhang fest. Ich hörte, wie sein Atem
-ging, und war froh, dies Leben zu hören, denn es
-kam nun das schwerste Grauen von allem über mich,
-so, daß ich nicht mit Schritten zu gehen wagte, sondern,
-keinen Fuß hebend, mich gleichsam füßlings über
-den Teppich vorwärts tastete. Da stieß ich mit den
-Knien gegen etwas Weiches an und bog mich behutsam<span class="pagenum"><a id="Page_122">[122]</a></span>
-darüber, die suchenden Hände vorstreckend. Nie vordem
-habe ich gewußt, daß das furchtbarste Grauen,
-das der Mensch empfinden kann, in den Fingerspitzen
-wohnt. Alle Qual der Furcht, des Entsetzens, das
-sich gleichsam zurücksträubt und doch wie eine willenlose
-Last langsam, fürchterlich langsam und dennoch unabwendbar,
-vorwärts wuchtet, saß knäuelhaft, wie geduckt
-zusammengerollt unter meinen Fingernägeln, die
-mir (doch war das sicherlich Blendwerk) zu leuchten
-schienen. Dies alles währte kaum die Dauer eines
-Atemzuges und war dem Gefühle nach eine Ewigkeit
-&ndash; bis der Augenblick kam, da die Qual gleichsam in
-die Wut umschlug, sich selber ein Ende machen zu
-wollen, und sei es durch noch Schlimmeres. Ich warf
-mich vornüber und flog mit einem grauenhaften Schrei
-zurück. Meine Hände hatten zwei nackte, schauerlich
-kalte Frauenbrüste gefühlt, mein warmer Mund einen
-kalten berührt.</p>
-
-<p>Ich taumelte bis zum Vorhang zurück und keuchte:
-»Die Hexe! Dort!«</p>
-
-<p>Der Graf drängte mich beiseite und murmelte:
-»Ich wußte es.« Dann, ein paar Schritte vorwärts
-tuend, lauter: »Ich bitte Euch, laßt Licht herein. Ich
-fühle die beiden, und es verlangt mich nun sie zu sehen.«
-Er schien ganz ruhig. Ich hörte seinen Atem nicht
-mehr. Ein Knarren verriet mir, daß er auf einen Stuhl
-getroffen war, in den er sich niedergelassen hatte.</p>
-
-<p>Ich tastete mich die Wand entlang zum Fenster,
-um ja nicht beim Durchschreiten des Zimmers nochmals
-in Berührung mit einem der beiden verfluchten
-Leiber zu kommen. Denn noch immer rann ein schaudervolles,
-eisiges Entsetzen durch meine Adern. So
-voller Grausen war ich und gleichsam angstbeflissen,<span class="pagenum"><a id="Page_123">[123]</a></span>
-daß, als des Grafen Hand an der Seite der Stuhlwange
-herabglitt, ich beim Hören des leisen, schürfenden
-Tones zusammenknickte, für einen Augenblick nicht
-anders vermeinend, als es sei ein Seufzer aus toten
-Lippen.</p>
-
-<p>Endlich war ich beim Fenster angelangt und fühlte
-die Quaste der Vorhangschnur in meiner Hand. Ich
-brauchte meine ganze Kraft zu der geringen Arbeit,
-die Gardine sich teilen zu lassen: so völlig erschöpft
-war ich. Um aber das Fenster und den einen Laden
-zu öffnen, bedurfte ich der Hilfe des Gebets. Ich rief
-laut die Madonna an, mir beizustehen.</p>
-
-<p>Da hörte ich einen greulichen Fluch. War da
-mein alter, edler, frommer Herr, der über die Reinste
-der Reinen das schmutzigste Wort spie?</p>
-
-<p>Wollte Gott, ich dürfte noch glauben, daß er der
-Satan selber war, wie ich es damals glaubte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ich riß Fenster und Läden auf, indem ich, ohne
-mich umzuwenden, schrie: »Fleuch hinaus, Geist der
-Finsternis! Weiche, weiche, weiche von uns, Fürst der
-Hölle!« Und legte meine Stirn aufs Fensterbrett,
-nochmals zu beten. Der feuchte, kalte Wind aus dem
-Walde strich mir übers Haar und weckte mich gleichsam
-aus dem wohltätigen Schlummer der Andacht, die mich
-aber doch so weit gestärkt hatte, daß ich spürte, es sei
-geraten, mich diesem Luftstrome nicht länger auszusetzen.
-Ich wandte mich um, vermied es aber wohl,
-dorthin zu blicken, wo ich die beiden Leichen vermutete.
-Doch sah ich den Grafen. Er saß in dem flammrot
-seidenen hochlehnigen Stuhle des Malers, den ich
-wohl kannte mit seinen goldeingewirkten Zeichen einer
-fremden heidnischen Schrift. Steif angelehnt saß er,
-ganz regungslos; auch die Arme und Hände, gerade<span class="pagenum"><a id="Page_124">[124]</a></span>
-hingelegt auf die Armlehnen, rührten sich nicht im
-mindesten. Man hätte meinen können, er sei tot.</p>
-
-<p>Nur die Augen lebten. Lebten gierig.</p>
-
-<p>Und es waren die Augen des Scheusals.</p>
-
-<p>Mir war, als starrten diese selben Augen überall
-her: kalt glühend durch das kalt graue Morgenlicht.
-Sie glotzten kugelig von den Buckeln der kupfernen
-Wandleuchter, blinzelten verkniffen aus allen Facetten
-der Gläser und Flaschen auf dem Kredenzbord, schossen
-blitzende Blicke von den Spitzen der Degen, Dolche,
-Hellebarden an der Wand, lauerten tückisch in allen
-Falten der Vorhänge.</p>
-
-<p>Ich sah wohl, daß der Böse sich nicht hatte bannen
-lassen durch meine Gebete, und bald mußte ich es
-auch hören.</p>
-
-<p>Denn er sprach aus dem Grafen wie folgt: »Ihr
-mußtet sterben, um mich fühlen zu lassen, wie verwandt
-ich euch bin. Mit meinem Blute habt ihr:
-mein Blut hat in euch gesündigt. Wie dürfte ich verdammen,
-da ich, ob auch mit Grauen, verstehe? Der
-Tod ist ein mächtiger Lehrer. Ich habe die Hölle verlernt
-vor seinem Grauen. Sie ist nicht hinter dem
-Tode, ist vor ihm: in diesem Leben, das kraft heiliger
-Gesetze verbietet, wozu der unheilige Geist treibt, der
-in unseren Adern glüht. Ich habe ihn stets gebändigt.
-Und durfte wohl stolz darauf sein: denn mein ganzes
-Leben hat sich dem Gesetze geopfert. Aber siehe, mein
-Blut hat sich gerächt: mein Opfer war unnütz und ein
-frommer Frevel. Ich durfte rein bleiben, weil diese
-da alle meine Unreine in sich nahmen. Wo ist da Gott?
-Wo ist da Teufel? Ich sehe, daß ihr sehr elend und
-von aller Heiligkeit ausgeschlossen wart: Verworfene
-vor allen Menschen; und doch überkommt mich der<span class="pagenum"><a id="Page_125">[125]</a></span>
-Glaube, daß euer Leben völliger war als das meine,
-und euer Tod freier und stolzer als der der Frommen,
-doch noch im letzten Augenblicke um Vorteil handeln.
-Ihr seid in einer großen Gewißheit dahingegangen nach
-großen Sünden; ich aber, der Fromme, bleibe voller
-Zweifel hier und fürchte, daß ich weder selig noch
-unselig sterben kann.«</p>
-
-<p>Selbst die Stimme, in der dies sprach, war nicht
-des Grafen Stimme. Sie hatte einen vollen, zuversichtlichen,
-tapferen Ton gehabt. Was hier klang, war
-wie der Ton einer gesprungenen Glocke. Es war, als
-schwebte er nicht durch die Luft, sondern er glitte von
-den Lippen, rönne über Kinn und Brust, tropfte den
-Stuhl hinab zum Teppich, kröche über diesen weg zu
-den beiden.</p>
-
-<p>Mir aber gruben sich die Worte, wie matt sie auch
-klangen, mit einer magischen Gewalt ein, so daß ich
-sie zu jeder Stunde wiederholen könnte, wie ich sie
-jetzt gleichsam unter dem Diktate des Satans niedergeschrieben
-habe. (Ich wage es, die Wahrheit zu sagen,
-in diesem Augenblick nicht, hinter mich zu blicken, denn
-ich weiß: in dem Bilde des heidnischen Ahnherrn dieser
-nun erloschenen Familie, das ich selber nach einer alten
-Tafel im Palaste hier auf die Wand übertragen habe,
-stehen jene beiden Augen. Ich weiß es, denn ich fühle
-ihren Blick als einen dumpfen Druck am Nacken.)</p>
-
-<p>Immer noch starr geradeaus schauend, wandte sich
-der Graf nun in seinem alten, nur etwas müderen
-Tone mit diesen Worten an mich: »Seht Ihr, wie
-schön sie ist, Messer Giacomo?«</p>
-
-<p>Antwortete ich: »Nein, Herr. Gott verhüte, daß
-ich meine Blicke zu diesem Greuel wende. Die Hexe
-ist nackt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_126">[126]</a></span></p>
-
-<p>Sprach er, nicht zornig, aber gestrenge: »Laßt dieses
-Torenwort und sprecht mit Achtung von meiner Tochter.
-Nackt ist sie, aber so schön, daß nichts Schamloses an
-ihrer Nacktheit ist. Auch ist sie tot, und nur im Lebendigen
-ist Sünde und der Schatten der Sünde: Scham
-oder Unscham. Ich sehe sie an wie ein Werk des
-Meißels, den der Tod geführt hat, und ich denke zurück
-an meine jungen Tage, da ich mich nächtens mit einer
-Fackel in den Keller schlich, wo in einer Ecke die Madonna
-der Heiden stand, zu der meine Ahnen einst
-gebetet haben: Frau Venus. Doch diese hier ist schöner.
-Ich denke mir: Sie wurde so schön, weil meine Jugend
-unter jenem Venusstern stand. Die Göttin, deren Bild
-ich mit eigener Hand zerschlug, als der Geist des Gesetzes
-von mir Besitz ergriffen hatte, hat sich gerächt,
-indem sie aus meinem Blute ihr schöneres Bild gestaltete.
-Glaubt nur, Messer Giacomo, die Götter der
-Heiden sind nicht tot. Sie leben in unserem Blute,
-und aus unserem Blute leben sie immer aufs neue auf
-in sichtbarlicher Nachgestalt. Der Schatten des Kreuzes
-ist doch nur ein Schatten, der sich nach der alten Sonne
-drehen muß. Ihr blickt noch immer nicht hin?«</p>
-
-<p>»Da sei Gott vor!« antwortete ich bestimmt.</p>
-
-<p>Er aber sprach: »Ihr tut mir leid. Dieser Anblick,
-vor dem auch ich mich gefürchtet habe vor wenigen
-Minuten noch, und es ist seitdem doch eine Fülle von
-Zeit verstrichen, reicher als mein ganzes armes Leben
-in heiliger Finsternis &ndash; dieser Anblick ist kein Schrecken:
-ist klare, ruhige, wohl feierliche, aber nicht gestrenge
-Offenbarung. Mein schönes Kind liegt auf dem Ruhebette,
-wie es von Venus erschaffen ward. Der rechte
-Arm ruht unter dem Haupte, die linke Hand im Haar
-des Bruders, meines häßlichen Kindes, das, vor dem<span class="pagenum"><a id="Page_127">[127]</a></span>
-schönen niederkniend, den selbstgerufenen Tod erwartet
-hat. Er trägt einen Mantel aus dunkel veilchenblauem
-Sammet und auf dem Haupte einen Dornenkranz. Ihr
-wendet Euch ab und seid empört. Mir selber tat der
-Anblick weh, denn es dünkte mich unwürdig, gleich
-einem Schauspieler in den Tod zu gehen, Großes nachäffend.
-Doch weiß ich es besser, seitdem mich das
-Bild, vor dem sie gestorben sind, belehrt hat, daß er
-nicht als Mime starb, sondern als Maler. Auf diesem
-Bilde sind die Farben noch feucht an dem Kopfe mit
-der Dornenkrone, und es ist, als ob die Blutstropfen
-lebendig herunterrönnen aus dem krausen Haar über
-die gelben Wangen. Er hat sich die Dornen ins Haupt
-gestoßen, dieses Blut fließen zu sehen, aber mehr noch
-zur Aufgeißelung der Kraft, die auch äußerlich fühlen
-wollte, was sie innerlich ergriffen hatte. &ndash; Ihr wißt,
-daß es mir immer zuwider war, ihn die Kunst des
-Malens wie etwas treiben zu sehen, das mehr ist als
-vornehmer Zeitvertreib. Daß ich es Euch gestehe:
-Ich verachtete ihn darum, und er war mir seiner
-Kunst wegen noch abscheulicher als wegen seiner Häßlichkeit
-und düsteren Art. Nun lehrt mich dieser
-Morgen, mit dem eine helle Nacht für mich anbricht,
-auch dies: daß Kunst, mit diesem Stolze heroischer
-Hingabe ausgeübt, zu den größten Menschendingen
-gehört, zu denen, die über alle Tiefen und Nebel hinwegtragen,
-wie dieser zentaurische Christus die nackte
-Madonna hinwegträgt vom Felsen des Todes über
-qualmige Städte zur Festung Einsamkeit. &ndash; Ich will,
-hört mich wohl: Ich will in diesem Hause meine Tage
-beschließen und auf diesem Lager sterben vor diesem
-Bild, das dann wie alles andere von der Hand meines
-Sohnes mit meinem Leichnam zu den Leibern meiner<span class="pagenum"><a id="Page_128">[128]</a></span>
-Kinder eingegraben werden soll in den Fels dieses
-Berges. Immer und immer will ich es sehen, wie
-ihre linke Hand in das blutige Haar des Christus-Zentauren
-greift, dessen blutrünstiges Antlitz sich ihr
-in schmerzlichster: seligster Liebe zuwendet. Ihre holden,
-gütigen, mutigen, aller Liebe vollen Augen sollen auch
-mir hinüberleuchten zu jener Ruhe, die Gott selber
-bewacht.«</p>
-
-<p>Kaum daß der Graf geendet hatte, drang Gemurmel
-und Schrittgestampf vom Gange her in den Saal, und
-die Stimme eines Knechtes bat um Einlaß.</p>
-
-<p>Der alte Herr erhob sich ruhig, löste seinen Pelzmantel
-von den Schultern und legte ihn über die Toten.
-Dann zog er den Vorhang vor das Bild und rief mit
-seiner alten Stimme des Befehlensgewohnten gebietend:
-»Tretet still herein!«</p>
-
-<p>Sogleich verstummte Gemurmel und Gestampf. Die
-Knechte traten gebückt ins Gemach, vor sich her den
-Wächter schiebend, der gefesselt war und vor dem
-Grafen in die Knie sank.</p>
-
-<p>»Geht,« befahl der Herr den übrigen, und dem
-Knienden: »Steh auf und sprich!«</p>
-
-<p>Der erhob sich und murmelte: »Ich wollte fliehen,
-Herr, weil ich mitschuldig war an dem Schrecklichen,
-und will nun alles eingestehen.«</p>
-
-<p>Der Graf legte ihm eine Hand auf die Schulter
-und ergriff mit der anderen die gefesselten Hände des
-Wächters. Und sprach: »Ich weiß. Doch niemand
-außer dir und mir soll wissen, denn dieser (und er
-wies auf mich) sieht nicht mit sehenden Augen und
-wird auch die anderen heilsam blind machen. Du aber
-sollst zu keinem Menschen mehr reden, sondern mit
-mir eingeschlossen bleiben in diesem Hause. Die Leichen<span class="pagenum"><a id="Page_129">[129]</a></span>
-meiner Kinder im Felsen zu begraben, soll deine erste
-Arbeit sein; deine letzte: mit meinem Leichnam dasselbe
-zu tun. Dann sollst du dieses Schloß besitzen
-mit allem, was darin ist.«</p>
-
-<p>Der Wächter, diesen Spruch so wenig begreifend
-wie ich, der ich aber längst die Besessenheit des Grafen
-erkannt hatte, beugte sich stumm über die Hand seines
-Gebieters und küßte sie.</p>
-
-<p>Mir blieb nichts mehr zu tun übrig, als um Urlaub
-zu bitten für immer und zu fragen, welche Botschaft
-ich der Gräfin bringen solle.</p>
-
-<p>Die Antwort war: »Sag meiner Gattin, daß sie
-mir willkommen ist, wenn sie sich stark genug fühlt,
-mit mir bei den Dämonen zu hausen. Niemand weiß
-ja über diese so gut Bescheid, wie Ihr. Wie ich sie
-kenne, wird sie es vorziehen, sich in den Schutz der
-anderen Madonna zu begeben. Und sagt ihr, wenn
-sie Euch dies kundgibt, von mir, daß sie recht daran
-tut und daß es mich beruhigen wird, sie in dem besten
-Schutze zu wissen, darin sich ein Mutterherz ausruhen
-kann. Ich weiß, sie wird für mich beten. Sagt Ihr
-auch das. Und fügt von mir noch dies hinzu: daß
-ich ihr ehrerbietig und mit dem ganzen Reste von Liebe
-dafür danke, den ich für Lebendiges noch fühlen kann.«
-Obwohl ich dank der Klarheit, die sich immer mehr in
-mir ausbreitete, sehr wohl begriff, daß das Gütige
-und Wahre in diesen Worten keineswegs ein Zeichen
-etwa aufdämmernder Vernunft, sondern nichts als spöttische
-Verstellung des Teufels war, der diesen Geist
-völlig verwirrt hatte, mußte ich mich doch, mehr unbewußt
-als mit Fleiße, gleichfalls auf die Hand des
-Unglückseligen beugen. Meine Lippen fühlten, daß sie
-ganz kalt war.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_130">[130]</a></span></p>
-
-<p>Ich ritt mit den Knechten im schnellsten Galopp
-zur Stadt. Der Nebel hatte sich gehoben. Als ich
-mich, wir mochten etwa zwei Bogenschüsse weit geritten
-sein, umwandte, sah ich das Schloß im hellsten
-Sonnenlichte über dem schwarzen Walde gleichsam
-höhnisch leuchten.</p>
-
-<p>Morgen geleite ich die Gräfin nach Rom ins Kloster.
-Dort will ich auf bessere Zeiten warten, daß ich nach
-Toskana zurückkehren kann.</p>
-
-<p>Zum Danke für meine Rettung aus der grausamen
-Gefahr, gleich meinem edlen alten Herrn in die Verstrickung
-des Teufels zu fallen, habe ich heute gelobt,
-nie wieder einen Pinsel zur Hand nehmen. Die Kunst
-ist die schlimmste Schlinge des Bösen.«</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_131">[131]</a></span></p>
-
-<h2 id="Annemargret_und_die_drei">Annemargret und die drei
-Junggesellen.</h2>
-
-<p class="h2">Nebst einem Vorwort von den Raubrittern und
-dem Segen der Aufklärung.</p>
-</div>
-
-<p>Eine äußerst dunkle Zeit das Mittelalter!</p>
-
-<p>Eine äußerst unmoralische Gesellschaft die Raubritter!</p>
-
-<p>Es ist ja wahr: unsere Gardekavallerieoffiziere
-stammen meistens von ihnen ab. Aber auch sie müssen
-heutzutage so viele Examina machen, daß wir mit Genugtuung
-konstatieren können: die Wurzelbürste der
-allgemeinen Bildung hat sie bürgerlich moralisiert, und
-kein ehrsamer Zivilist braucht sich mehr vor ihnen zu
-fürchten. Ja: sie selber weinen nun viel Druckerschwärze
-über die schlechten Sitten ihrer Vorfahren
-und sind gar sehr betrübt darüber, daß in ihren
-Familien solche Sachen passiert sind.</p>
-
-<p>Was für Sachen! Ah: was für Sachen! Man
-möchte wirklich manchmal daran zweifeln, daß unsere
-heutigen lieben glatten Herren von, auf und zu die
-richtigen Nachkommen dieser unmoralischen Rauhbeine
-sind, die solche Sachen gemacht haben.</p>
-
-<p>Denn, um das gelindeste Wort zu brauchen: <em class="gesperrt">saftige</em>
-Kumpane sind sie gewesen, diese Herren von<span class="pagenum"><a id="Page_132">[132]</a></span>
-Eisenbeiß auf Eisensteiß, und rund um sie herum war
-nicht der Exerzierplatz, nicht das Bureau, sondern der
-dicke, dunkle Wald.</p>
-
-<p>Der gehörte ihnen; den hatten sie lieb. Aber die
-Städte und die Städter konnten sie nicht leiden.</p>
-
-<p>Was da in engen Gassen herumkroch, war ihnen
-ein übel tugendhaft Gesindel: einzeln feig, in Masse
-frech; geschäftig und geschwätzig; krummbucklig und
-scheelsüchtig; krittlich und profitlich; in allen Dingen
-nach der Elle gerichtet und abgemessen; eingepackt in
-Sippschaften und Zünfte; klettentreu zusammengefilzt
-und miteinander verbacken in Schmutz und Schweiß
-und schmieriger Biederkeit.</p>
-
-<p>Sie dagegen, die edlen Herren vom spitzen Sporn
-und Stegreif, die Junker Schlagdrauf, Greifzu, Haltfest,
-fühlten sich als Einzelne, Eigene, Freie, und es
-schien ihnen ihr gutes Recht zu sein, die Säcke der
-Krämer in ihre Kammern zu leeren, obwohl es die
-Obrigkeit nicht guthieß.</p>
-
-<p>Denn die Obrigkeit konnten sie auch nicht leiden,
-außer wenn sie selber Obrigkeit waren.</p>
-
-<p>Man ersieht aus alledem, wie ungebildet die Raubritter
-gewesen sind.</p>
-
-<p>Hätten sie Schulbildung genossen gehabt, so würden
-sie sich ohne weiteres haben sagen müssen, daß
-das so auf die Dauer nicht fortgehen konnte, und daß
-sie sich mit einem solchen Betragen für alle Zeit in
-der Weltgeschichte ein miserables Renommee schaffen
-mußten. So ist es auch gekommen. Die Tugend hat
-gesiegt; überall herrscht Ordnung und Gesetz; jede
-Körperverletzung wird unnachsichtig bestraft; wer seinen
-Mitbürger an seinem Eigentum schädigt, kommt, mit
-oder ohne Wappen, hinter Schloß und Riegel: und<span class="pagenum"><a id="Page_133">[133]</a></span>
-die ganze gebildete Menschheit hat alle Ursache, jene
-abscheulichen Zeiten höchst verächtlich zu finden, mit
-sich aber sehr zufrieden zu sein.</p>
-
-<p>Nur Degenerierte und Dichter (was auf eins hinausläuft)
-sind imstande, an diesem Chorus der Freude
-nicht mit teilzunehmen. Sie allein vermögen es auch,
-dem Raubrittertume noch einigen Geschmack abzugewinnen.</p>
-
-<p>Es muß da irgendeine Verwandtschaft bestehen.
-Vielleicht war das Raubrittertum eine Art angewandter
-Lyrik? Vielleicht ist Lyrik eine Art verhindertes Raubrittertum?
-Wie es auch sei: dem tüchtigen Bürger
-sind beide gleich unsympathisch, und dieser Umstand beweist
-allein schon, daß sie irgendwie zusammengehören.</p>
-
-<p>Da mir an meiner Reputation gelegen ist, und da
-ich nicht wünsche, daß die Geheimrätin X. und der
-Schuhmachermeister Y. sich darauf einigen, mich für
-einen verspäteten Raubritter zu halten, darf ich nicht
-unterlassen, hier zu erklären, daß ich nicht zu jenen
-Raubritterpoeten gehöre, daß ich, wie sehr auch der
-Anschein gegen mich sprechen mag, im Besitze der
-bürgerlichen Ehrenrechte bin, und daß ich mit der
-kleinen Geschichte von Annemargret und den drei
-Junggesellen keineswegs das abscheuliche Ziel verfolge,
-zum Mädchenraub aufzufordern.</p>
-
-<p>Diese Geschichte ist vielmehr durchaus moralischer
-Natur und beweist aufs klarste, daß das Mittelalter
-wirklich finster war.</p>
-
-<p>Stellen Sie sich vor, sie spielte nicht damals, sondern
-heute. Würde sie mit Mord und Totschlag endigen?
-O nein! Es gäbe ein niedliches kleines viereckiges
-Verhältnis; nichts weiter: wie es sich für anständige
-junge Leute aus guter Familie ziemt, schickt und paßt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_134">[134]</a></span></p>
-
-<p>In Wahrheit hat sie sich auch so begeben, und
-Annemargret fährt heute auf Gummirädern. Ich habe
-sie erst gestern Unter den Linden gesehn.</p>
-
-<p>Seien wir stolz! Seien wir heiter! Es lebe die
-Aufklärung.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3>Und nun die Geschichte.</h3>
-</div>
-
-<p>Es waren einmal drei junge Junggesellen, recht
-adelige Burschen: nämlich Söhne eines alten Raubritters.</p>
-
-<p>Der war aber tot und lag mit seiner Frau, der
-weiland Raubritterin, in seinem Erbbegräbnisse tief
-im Walde. Sein Wappen, ein behelmter Wolf, der
-eine dreigespaltene Zunge sehr rot und im zierlichsten
-heraldischen Schnörkelschwunge aus dem raffzähnigen
-Rachen bleckte, lag in Stein gehauen über ihm; und
-das war gut, denn damit war die Sicherheit gegeben,
-daß der alte Raubritter den Landfrieden, den er dem
-Tode hatte schwören müssen, auch wirklich hielt. Es
-wäre ihm schon zuzutrauen gewesen, daß er auch noch
-als Gerippe auf Krämer ausgeritten wäre.</p>
-
-<p>Seine drei Söhne: Welf, Ralph und Rolf, besorgten
-das ja auch, aber doch nicht mit der ganzen
-väterlichen Leidenschaft. Sie taten es nur berufshalber
-und wenn die Münze ausging, nicht aus Sport und
-innerlichem Bedürfnis. Die Jagd war ihnen vergnüglicher,
-und sie hetzten den Bären lieber als den
-Juden.</p>
-
-<p>So lebten sie recht angenehm bewegt in ihrem alten
-Schlosse am Walde, tranken sowohl roten als auch
-weißen Wein in beträchtlichen Mengen und aßen vielen<span class="pagenum"><a id="Page_135">[135]</a></span>
-saftigen Braten dazu, den ihnen ihre alte Haushälterin,
-die ehr- und tugendgeachtete Jungfrau Barbara, genannt
-das Reibeisen, gar vorzüglich am Spieße zu
-braten verstand.</p>
-
-<p>Aber eines Tages, gerade, als sie einen Rehrücken
-am Spieße hatte und emsig drehte, sagte sie plötzlich
-ohne ersichtliche Ursache: Mein Jesus, Barmherzigkeit!
-fiel hin und war tot. Der Rehrücken verbrannte, der
-Brandgeruch, erst ganz angenehm, dann schon mehr
-unlieblich, stieg bis ins Turmgemach, wo Welf, Ralph
-und Rolf sich eben die Würfelknochen unter erklecklichen
-Flüchen ins Gesicht schmissen, und lockte die Brüder
-zur Küche.</p>
-
-<p>Da wurden sie sehr traurig, als sie das Reibeisen
-tot auf dem Steinboden liegen sahen, schlugen hastige
-Kreuze und fluchten mörderlich.</p>
-
-<p>»Wer soll uns nun kochen und braten!« rief Welf.</p>
-
-<p>»Sie konnte es so schön knusperich!« klagte Ralph.</p>
-
-<p>»Und dennoch blieb er innen saftig!« bemerkte Rolf.</p>
-
-<p>»Du mußt jetzt den Spieß drehen!« entschieden
-Welf und Ralph, die beiden ältesten, indem sie sich zu
-Rolf, dem jüngsten, wandten.</p>
-
-<p>»Ich werde euch den Spieß in den Bauch rennen!«
-bemerkte dieser gelassen.</p>
-
-<p>Darauf prügelten sie sich eine Weile mit Hingebung.</p>
-
-<p>Aber damit war die Dienstbotenfrage nicht erledigt.</p>
-
-<p>Da kam Welf'n ein guter Gedanke: »Laßt uns
-eine Köchin aufheben!«</p>
-
-<p>»Ha!« riefen die anderen und umarmten ihn, »<em class="gesperrt">das</em>
-ist eine <em class="gesperrt">Idee</em>!«</p>
-
-<p>»Legen wir uns an den Kreuzweg am Unkenteich,
-wenn die Dorfdirnen zur heiligen Urschel paternostern<span class="pagenum"><a id="Page_136">[136]</a></span>
-gehen!« schrie Welf, der entschieden der Taktiker unter
-den dreien war.</p>
-
-<p>»Ha!« riefen die anderen, »das ist <em class="gesperrt">wieder</em> eine
-Idee!«</p>
-
-<p>»Machen wir aber schnell, denn ich bin hungrig!«
-brüllte Welf mit ritterlichem Ungestüm.</p>
-
-<p>»Los!« brüllten die anderen.</p>
-
-<p>Und sie stiegen in die Rüstkammer, schnallten sich
-die Harnische um, ergriffen die gewaltigen Schlachtschwerter,
-vergaßen auch nicht die dicken Streitkolben,
-setzten sich die Helme mit den Wolfsrachen aufs lockige
-Haupt und schwangen sich auf die ebenso mutigen wie
-dicken Rosse.</p>
-
-<p>Hei, wie wieherten die, als es im Donnersaus
-über die Zugbrücke ging und dann am Walde entlang
-zum Unkenteiche!</p>
-
-<p>Der alte Christoph, der einzige Knecht, der den
-dreien nicht davongelaufen war (weil er Rheumatismus
-hatte und nicht laufen konnte) und der nun alle
-männlichen Ämter bekleidete, die es auf einer rechtschaffenen
-Ritterburg gibt, zog die Zugbrücke wieder
-hoch und knurrte in seinen grauen Bart: Wenn sich
-wenigstens einer von den dreien den Hals brechen
-wollte!</p>
-
-<p>Dann ging er hin und wunderte sich, daß das alte
-Reibeisen tot war.</p>
-
-<p>Unterdessen lagen die drei Junker hinter den Kreuzwegbuchen
-am Unkenteiche und ließen die Weiblichkeit
-des Dorfes Sankt Ursula Revue passieren, die in die
-Kapelle zum Rosenkranz ging.</p>
-
-<p>Es waren aber meistens alte Weiblein, die da mit
-dem Rosenkranz vorbeihumpelten, und die drei hatten
-auf dem Hinritt beschlossen, keine Alte zu fangen. Denn,<span class="pagenum"><a id="Page_137">[137]</a></span>
-wie Rolf sehr richtig bemerkt hatte: Eine Alte stirbt
-bald, und dann haben wir gleich wieder Wechsel.
-Und sich ewig an neue Köchinnen gewöhnen müssen,
-ist lästig.</p>
-
-<p>Eine Junge also! Den Spieß drehen und Betten
-machen kann schließlich jede, und die richtige Reibeisentradition
-wollen wir ihr schon beibringen.</p>
-
-<p>Aber, wie nun auch Junge vorüberkamen, setzten
-sie doch ihren Gäulen nicht sogleich die Zinken ein
-und fuhren drauflos, sondern es gab über jede ein
-kritisches Gewispere und mancherlei Aussetzungen hinter
-den Buchen;</p>
-
-<p>Zu dick!</p>
-
-<p>Zu dürr!</p>
-
-<p>Läuft über die große Zeh!</p>
-
-<p>Zu braun!</p>
-
-<p>Zu blaß!</p>
-
-<p>Hat scheelen Blick!</p>
-
-<p>Hat keine Brust!</p>
-
-<p>Watschelt!</p>
-
-<p>Zu lang!</p>
-
-<p>Zu kurz!</p>
-
-<p>Krummbein!</p>
-
-<p>Schiefmaul!</p>
-
-<p>Knollnase!</p>
-
-<p>Satthals!</p>
-
-<p>Pinkel im Gesicht!</p>
-
-<p>Leberfleckig!</p>
-
-<p>Warzenacker!</p>
-
-<p>Und so, streng kritisch, immerfort, daß man hätte
-meinen sollen, es handele sich hier gar nicht darum,
-eine Köchin zu rauben, sondern eine künftige Burgherrin
-für Wolfsturm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_138">[138]</a></span></p>
-
-<p>Da kam aber eine, in einem kurzen, roten Rock
-mit schwarzem Mieder, aus dem, um einen vollen,
-weißen Arm, die weißen Hemdärmel sauber blitzten:
-und die gefiel allen dreien offenbar ganz über die
-Maßen wohl. Sie hatte ein frisches, rundes Gesicht,
-mit ein Paar allerliebsten, lachenden Augen darin, die
-schwarz und funkelnd waren wie reife Brombeeren.
-Schwarz und glänzend war auch das volle Haar, das
-in einem dichten Kranze doppelt ums Hinterhaupt
-ging. Dazu wohlbeschlagen im Mieder, kräftig im
-Gehwerk, kurz: nett ganz und gar und etwa achtzehn
-Jahre alt.</p>
-
-<p>»Die!« stieß Welf hastig hervor.</p>
-
-<p>»Ha!« stieß Ralph nach.</p>
-
-<p>»Los!« kommandierte Rolf.</p>
-
-<p>Und, heissa, heidi, klapp, klapp, klapp! brachen die
-Gäule aus dem Unterholz und sperrten den Weg.</p>
-
-<p>»Jesusmariaundjos…!« schrie die Kleine auf und
-guckte erstaunt die Geharnischten an.</p>
-
-<p>»Halt!« donnerten die drei Junker.</p>
-
-<p>»I steh ja schon!« antwortete das Mädchen und
-zog trotzig die Lippen hoch. »Was soll i denn noch?!«</p>
-
-<p>Viel Furcht hatte der Balg nicht.</p>
-
-<p>»Aufs Pferd zu mir!« schrien die grimmigen
-Brüder.</p>
-
-<p>»Auf alle drei Pferd?« antwortete das Mädchen
-und lächelte dazu.</p>
-
-<p>»Auf <em class="gesperrt">mein</em> Pferd!« brüllte jeder einzelne und
-preschte vor.</p>
-
-<p>Das Mädchen ließ den Rosenkranz fallen und
-flüchtete hinter einen Baum. So, einstweilen sicher,
-drehte sie den drei Gaulgebietern himmlisch vergnügt
-eine Nase.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_139">[139]</a></span></p>
-
-<p>»Kommst vor!?« drohte Welf.</p>
-
-<p>»Kommst her!?« drohte Ralph.</p>
-
-<p>»Wart Balg!« rief Rolf, sprang vom Pferde,
-packte das Ding, hob's in den Sattel, sprang nach
-und sauste davon, gerade wie die beiden anderen abgesprungen
-waren.</p>
-
-<p>Die kletterten, unsäglich fluchend, wieder aufs
-Schlachtroß und galoppierten, Pferdenase an Pferdenase,
-hinter dem Flüchtigen drein, der in einer Weise
-lachte, daß sich die ältesten Eichen nicht erinnerten, je
-ein solches Lachen gehört zu haben.</p>
-
-<p>An der Zugbrücke, die der alte Christoph natürlich
-wieder nicht rechtzeitig hochgezogen hatte, trafen sich
-die drei.</p>
-
-<p>Das mindeste, was Welf und Ralph vorhatten,
-war, den schnöden Rolf ans Brückentor zu nageln.
-Die Schwerter hatten sie schon heraus und fluchen
-taten sie auch, wie es der Situation angemessen war.
-Aber Rolf war nicht geneigt, sich annageln zu lassen.
-Er zog gleichfalls blank, warf den Gaul herum und
-legte aus. Dazu brüllte er gewaltig, und, da die
-beiden anderen nicht weniger brüllten, so gab es einen
-richtigen Raubritterspektakel.</p>
-
-<p>Das paßte der Kleinen aber gar nicht. Sie hielt
-sich beide Ohren zu und schrie in das Getöse: »Ob
-ihr gleich stille seid?! Wenn ihr euch erstechen wollt,
-so laßt mich wenigstens vorher in die Burg!«</p>
-
-<p>Da sanken den dreien die Schwerter.</p>
-
-<p>Richtig! Darauf kam's ja am Ende bloß an: daß
-die Kleine in die Burg kam.</p>
-
-<p>Schlump! fuhren die Klingen in die Scheiden, und
-Hahaha! und Hohoho! lachten die Reisigen, daß den<span class="pagenum"><a id="Page_140">[140]</a></span>
-Rossen ganz übel im Bauch wurde von der Erschütterung.</p>
-
-<p>Die Kleine aber sprang vom Pferde, schüttelte die
-zerknillten Röcke, rieb sich ein bißchen in der Gegend,
-die den Sattel gefühlt hatte, und rief: »Also gut, ihr
-unverschämten Junker, jetzt geh' ich in eure Burg. Da
-mag's nett aussehen! Na, ich bin bloß gespannt, was
-ich da drinnen soll, in dem alten Wolfszwinger.«</p>
-
-<p>»Braten, Jungfer, hahaha!«</p>
-
-<p>»Betten machen, hohoho!«</p>
-
-<p>»Strümpfe stopfen! Wämser flicken!«</p>
-
-<p>»Weiter nichts? Das kann ich gut und noch viel
-mehr.«</p>
-
-<p>Mit diesen Worten schritt die kecke, kleine Bestie
-über die Zugbrücke, als hätte sie zeitlebens keine andere
-Schwelle gekannt, zupfte den alten Christoph, der völlig
-Glasaugen gekriegt hatte vor blödem Staunen, am
-Bart, ging, während die zwölf Hufe über die Brücke
-donnerten, geradeswegs zum inneren Burghofe, guckte
-sich gelassen um und rief: »Ja so! Wieviel Lohn
-krieg ich denn?«</p>
-
-<p>»Einen Dukaten für den Braten!« lachte Welf.</p>
-
-<p>»Zwölf Batzen fürs Schüsselauskratzen!« lachte
-Ralph.</p>
-
-<p>»Zehn Groschen für die süße Goschen!« lachte Rolf.</p>
-
-<p>Mit der zufriedenen Heiterkeit, die sich nach wohlgetanen
-Werken bei allen Menschen von frisch zugreifender
-Sinnesart einzustellen pflegt, sprangen die
-drei jungen Junggesellen von ihren Pferden, griffen,
-hübsch einer nach dem andern, dem Mädchen unters
-Kinn und fragten: »Jetzt aber: wie heißt die Jungfer!«</p>
-
-<p>»Annemargret, wie sie geht und steht, die die Betten
-macht und den Bratspieß dreht.«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_141">[141]</a></span></p>
-
-<p>»Ich weiß noch einen Reim drauf!« erklärte Rolf.</p>
-
-<p>»Na?«</p>
-
-<p>»Die mit dem Junker ins Be…«</p>
-
-<p>Aber da hatte er auch schon einen derartigen
-Klapps auf dem Munde, daß er einstweilen das Reimen
-sein ließ.</p>
-
-<p>Klappse, die der eine kriegt, stimmen die andern
-heiter. Das war auch schon in den alten Raubritterzeiten
-so. Und deshalb ist es kein Wunder, daß Welf
-und Ralph sich jenes Mal vor Lachen so weit bogen,
-als ihre Harnische zuließen, während sich Rolf unterm
-Schnurrbarte rieb und etwas unwirsch bemerkte:
-»Racker verdammter!«</p>
-
-<p>Indessen war Annemargret aber schon in der Küche
-verschwunden, und aus allerlei Geräuschen konnten
-die drei Brüder entnehmen, daß das resolute kleine
-Mädchen bereits dabei war, die so jäh unterbrochene
-Tätigkeit der seligen Barbara aufzunehmen.</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Die drei Junker auf, zu und von Wolfsturm waren
-im allgemeinen selten einer Meinung, aber darin
-stimmten sie bald völlig überein, daß es im Grunde
-eine Gnade des Himmels gewesen sei, das ehr- und
-tugendgeachtete Reibeisen zu sich und in die Schar
-seiner Seligen aufzunehmen. Denn Annemargret war
-der verblichenen Barbara wirklich in jeder Hinsicht
-überlegen. Vielleicht <em class="gesperrt">machte</em> sie den Braten nicht
-gerade besser als die am Bratspieß selig Entschlafene,
-aber, daß er besser <em class="gesperrt">schmeckte</em>, daran war kein Zweifel
-erlaubt. Selbst ein Bärenschinken bekommt ein Ansehen
-von Fröhlichkeit, wenn die Zinnplatte, auf der
-er in Burgundersauce zwischen gerösteten Kastanien<span class="pagenum"><a id="Page_142">[142]</a></span>
-dampft, von zwei netten, kleinen Händen auf den Tisch
-gesetzt wird. Und dann schon das Geträller von der
-Küche her, während der Bratenwender den Grundton
-schnurrt. Man sieht dem Kommenden mit größerer
-Heiterkeit entgegen, und selbst ein versalzenes Mus
-hat von vornherein mildernde Umstände in sich, wenn
-es von so gerne gesehenen Fingern versalzen worden ist.</p>
-
-<p>Vielleicht war Barbara das bessere Gemüt, die
-frommere Seele gewesen: aber so aufbetten wie Annemargret
-hatte sie nicht gekonnt. Viel Wert hatten die
-drei rauhen Junggesellen ja auch nicht darauf gelegt,
-daß der Strohsack immer aufgeschüttelt, das Kissen
-frisch überzogen, das Leintuch glattgebreitet wurde &ndash;
-wenn nur immer der Schlaftrunk handbereit stand.
-Aber nun war es doch angenehm, sich auch in diesen
-Dingen wohlbesorgt zu fühlen. Die kleine Unbequemlichkeit,
-daß man auch selber, schandenhalber, sich etwas
-ordentlicher zu führen hatte und nicht, nach längeren
-Schlaftrünken oder so, mit den Stiefeln ins Bett steigen
-durfte, ließ sich mitnehmen. Man ließ sich überhaupt
-ganz gerne ein bißchen glatt lecken, da es ja nicht bis
-auf die ritterliche Seele und den rauhen Kern des
-deutschen Mannes ging, wenn man es sich gefallen
-ließ, daß die Lederwämse Nähte in den Wolfsturmschen
-Farben, blaurot, kriegten, die Stiefel auch an
-Wochentagen geputzt, die geknickten Helmfedern durch
-neue ersetzt und überhaupt allerlei Dinge getrieben
-wurden, die eigentlich gegen die Tradition der Wolfsturms
-waren. Annemargret hatte sogar ein Heer von
-alten Weibern aufgeboten und die Dielen scheuern, die
-Vertäfelung putzen und die Küche weißen lassen &ndash;
-lauter Dinge, die seit dem Tod der ehedem gebietenden
-Frau Mutter nicht geschehen waren und den Brüdern<span class="pagenum"><a id="Page_143">[143]</a></span>
-als krämerhafte Albernheiten gegolten hatten. Es war
-sogar Geld dafür ausgegeben worden, und Welf hatte
-sich bei Erwerbung dieses Geldes einen kleinen Leibesschaden
-zugezogen, da er die schwere Kassette dem renitenten
-früheren Inhaber eigenhändig entrissen hatte.</p>
-
-<p>Doch das wurde alles gerne ertragen, da man sich
-unter dem neuen Regime wirklich behaglich fühlte.</p>
-
-<p>Ja, die drei Brüder brachten noch weitere Opfer
-für das kleine, aber unentbehrliche Mädchen.</p>
-
-<p>Da Annemargret die Tochter des Bürgermeisters
-von St. Ursula war, eines gewichtigen Mannes unter
-den Bauern, und da dieser Mann und Bürgermeister
-die Hartnäckigkeit besaß, Herausgabe der Tochter zu
-fordern, andernfalls er mit Klagen bei irgendeinem
-Herzoge drohte, der sich Landesfürst nannte, und da
-überdies Annemargret selber recht schön bat, man
-möge alles in Frieden ordnen, so ließen sich die drei
-Brüder, die eigentlich prinzipiell gegen jede friedliche
-Ordnung einen angeborenen Widerwillen hatten und
-es schlechterdings würdelos fanden, sich mit jemandem
-zu »vertragen«, herbei, dem in St. Ursula hausenden
-Volke für ewige Zeiten Freiheit von jeder Brandschatzung
-durch das Wolfssturmsche Haus schriftlich
-mit beigesiegeltem Wolfsrachen zu versprechen, zu verheißen
-und zuzusagen.</p>
-
-<p>Welf und Ralph hatten sich gegen dieses Ansinnen
-als echte Wölfe von Wolfsturm lange und mannhaft
-gewehrt, aber Rolf war schließlich damit durchgedrungen,
-daß er nicht weniger als zwanzig Möglichkeiten
-nachwies, den Vertrag beiseitezuschieben; schlimmsten
-Falles dadurch, daß man sich mit den Vettern auf
-Zinkenberg, Festenburg, Geyerstein, Rabenhorst verbände
-und das Nest unten überhaupt beseitige &ndash;<span class="pagenum"><a id="Page_144">[144]</a></span>
-womit denn der Kontrakt auch beseitigt wäre, da eben
-der eine Kontrahent nicht mehr existierte.</p>
-
-<p>Schließlich wirkte aber doch am gründlichsten das
-Mädchen selber.</p>
-
-<p>Den Welf brauchte sie nur im Nacken zu krauen,
-so ward er milde wie Mandelöl.</p>
-
-<p>Beim Ralph genügte schon ein kleiner Patscher
-auf die Backen.</p>
-
-<p>Und den Rolf hatte sie überhaupt schon und ohne
-jede besondere Hantierung.</p>
-
-<p>Das ging nun also alles vorzüglich, und auf Wolfsturm
-herrschte ein vorzüglicher Humor. Ralph blies
-sogar die Klappentrompete, und Welf, der weniger
-musikalisch war, rührte zuweilen vor lauter Wohlgefühl
-die große Kesselpauke, die in der Waffenkammer stand.
-Rolf aber &ndash; sang.</p>
-
-<p>Zu den eigentlichen Minnesängern, die nun in der
-Literaturgeschichte stehen und von den höheren Töchtern
-auswendig gelernt werden müssen, gehörte er ja nicht.
-Er dichtete und sang etwas kunstlos, aber Reime auf
-et fand er immerhin eine erkleckliche Menge, obwohl
-es des Peregrinus Syntax Reimlexikon damals noch
-nicht gab.</p>
-
-<p>Oft, während die beiden Älteren draußen im wilden
-Walde den Jagdspieß sausen ließen, saß er, gleich
-Herrn Walter von der Vogelweide, auf einem Steine
-und deckte Bein mit Bein. Doch gehörte das eine
-Beinpaar der Annemargret. Auch dichtete und sang
-er in dieser Stellung keineswegs unablässig, trieb vielmehr
-andere zum poetischen Hausgebrauch notwendige
-Dinge. Als da sind: Ausmessung des Parallelismus
-der Glieder beim Strophenbau, Rhythmenabklopfung
-auf rundlichen, rhythmisch wohlgebauten und daher<span class="pagenum"><a id="Page_145">[145]</a></span>
-als Maßeinheit dienlichen Stellen, Gleichklangsstudien
-unter Zugrundelegung des Geräusches, das zwei Lippen
-hervorbringen, die, soeben noch fest aufeinandergepreßt,
-sich plötzlich voneinander lösen.</p>
-
-<p>Die weniger dichterisch veranlagten Brüder bemerkten
-diese Übungen in praktischer Poetik mit Unbehagen
-und ermangelten nicht, dem Benjamin von
-Wolfsturm klarzumachen, daß sie ihm die Knochen im
-Leibe zerbrechen würden, wenn er fürderhin zu Hause
-wilderte, während sie draußen mit Wölfen und Bären
-Stelldicheins hatten.</p>
-
-<p>Aber Rolf rümpfte nur die Nase dazu und zog die
-Lippen hoch, schlug auch wohl aufs Schwert, daß es
-nur so klirrte, und meinte: der Busch, in dem er jetzt
-jagte, dünkte ihm lieblicher als der wilde Wald, und
-wenn ihm da einer ins Gehege käme, so wäre es wohl
-möglich, daß er mit ihm verführe, wie mit einem
-frechen Bauern, den's nach Edelmanns Hirschen lüstete.</p>
-
-<p>Derlei Reden, hin und her geschleudert wie Jagdspieße,
-trübten den Humor auf Wolfsturm zuweilen
-etwas, und wenn nicht Jungfer Annemargret so unbändig
-klug gewesen wäre, wie sie wirklich war, so
-hätte der Humor wohl bald ein Ende gehabt und es
-wäre nicht bei geredeten Jagdspießen geblieben.</p>
-
-<p>Aber, ei, wie war Margretlein klug! Hatte sie's
-mit Junker Rolf, wenn die anderen draußen mit Bruder
-Petz tanzten, so hatte sie's doch auch mit diesen,
-wenn die Gelegenheit gut war.</p>
-
-<p>Der grimme Welf war sicher, sie nicht gar selten
-oben im Treppenwinkel zu treffen, wenn er, Ausguck
-zu halten, zum Turme stieg. Und da schwand sein
-Unmut schleunig, hatte er im Dunkel das runde, gefüge
-Ding im Arm, das er noch lieber an sich preßte,<span class="pagenum"><a id="Page_146">[146]</a></span>
-als den Urhumpen der Wölfe von Wolfsturm. Wie
-wundersüß ging's ihm ins Ohr, wie sie so an ihm
-hing und flüsterte: »Lieb's Welfle du, was bist du stark!«</p>
-
-<p>Ralph aber kriegte sein Teil wohl zugemessen unten
-im Weinkeller. Dort, wo's so kühl und heimlich war,
-zwischen den großen, werten Tonnen, saßen sie eng
-beieinander auf dem Tonnenschragen, rechts den braven
-Malvasier und links den lieblichen Traminer, und
-hielten einander so nahe und enge, daß es ihnen bei
-aller Kellerkühle gar freundlich warm wurde. Ach,
-wie wunderhold's ihm im rundwölbigen Keller widerklang,
-wenn sie lispelte: »Lieb's Ralphle lieb's, was
-bist du g'schmeidi!«</p>
-
-<p>So glaubte sich denn im Grunde jeder Hahn im
-Margretenkorbe und lachte heimlich die anderen aus,
-die nach demselben Bissen leckten, und keiner wußte,
-daß <em class="gesperrt">ein</em> Korb drei Hähne beherbergen kann, wenn die
-Körblerin es nur einzuteilen weiß.</p>
-
-<p>Ein bißchen dumm waren die drei jungen Junggesellen
-schon, wie man sieht. Aber was will man
-bei so ungenügenden Volksschulverhältnissen, wie sie
-in den Raubritterzeiten herrschten, anders verlangen?
-Es war halt das finstre Mittelalter.</p>
-
-<p>Also: gut ging's im allgemeinen. Es kriegte jeder
-sein Annemargretisch Teil, und, ein paar Verdachtswolken
-abgerechnet, die sich hier und da über dem
-Haupte Rolfs gleich schwarzen Kutteln himmlischer
-Riesenkühe zusammenzogen, trübte nichts die verliebte
-Selbstsicherheit jedes einzelnen.</p>
-
-<p>Ralph blies bereits schelmische Triller auf der
-Klappentrompete, Welf verübte ganz virtuos leidenschaftliche
-Donnerwetter der Liebe auf der Kesselpauke,
-und Rolf hatte ungefähr sämtliche Reime beisammen,<span class="pagenum"><a id="Page_147">[147]</a></span>
-die die deutsche Sprache auf et hergibt. Es wurde
-fast idyllisch auf Wolfsturm und sämtliche Bewohner
-dieses adeligen Sitzes, Christoph und die gewaltigen
-Streitrosse nicht ausgenommen, setzten einigermaßen
-Fett an.</p>
-
-<p>Da kam das Schicksal in Ritterstiefeln und trat
-alles entzwei.</p>
-
-<p>Es war ein schöner, klarer Herbsttag und die Weinlese
-eben vorüber.</p>
-
-<p>Welf saß oben auf dem Geländer des Turmumgangs
-und guckte aus. Plötzlich rief er in den Hof hinab,
-wo Margaret eben die drei Paar Ritterstiefel im
-Brunnentrog spülte: »Ralph und Rolf: wo stecken die
-Junker!?«</p>
-
-<p>»Im Keller und klopfen die Tonnen ab, wieviel
-noch Wein drinnen.«</p>
-
-<p>»Ha, das ist gut, bei meiner Seel'! Ruf sie herauf!«</p>
-
-<p>Annemargret schickte ein gutes Blickchen empor, das
-mit eisengepanzerter Kußfaust sehr ritterlich erwidert
-ward, beugte sich zu einer allerliebsten Rundung zusammen,
-daß Welf beim Anblick der kühn ausgebogenen
-Hinterfülle vor Entzücken stöhnte und rief mit süßer
-Stimme ins dunkle Kellerloch: »Junkerchen, herauf!
-Der Welf hat was!«</p>
-
-<p>Ralph und Rolf traten gebückt aus der niederen
-Kellertür und schrien zum Turm: »Hallo, was ist?«</p>
-
-<p>»Gewimmt<a id="FNanchor_3_3"></a><a href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">3</a> ist! Die Bauern fahren das Praschlett<a id="FNanchor_4_4"></a><a href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">4</a>
-zur Stadt.«</p>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_3_3"></a><a href="#FNanchor_3_3"><span class="label">3</span></a> Tirolisch für Weinlesen.</p></div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_4_4"></a><a href="#FNanchor_4_4"><span class="label">4</span></a> Die Maische.</p></div>
-</div>
-
-<p>»Alle Teufel und Satansbrut!« rief Ralph &ndash;
-»schon?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_148">[148]</a></span></p>
-
-<p>»Ei freilich! Es ist die Zeit! Ihr ließt wohl alles
-den Krämern in die Löcher fahren, säß ich nicht hier
-und guckte aus. Wie steht's in den Tonnen?«</p>
-
-<p>»Nieder!« antwortete Rolf. »Die Traminerin klingt
-hohl wie deine Pauke.«</p>
-
-<p>»Und den Malvasier kann eine junge Katze auslecken,«
-fügte Ralph hinzu.</p>
-
-<p>»So denn mit Eilen in Stiefel und Sattel und
-hurtig Ersatz geschafft!«</p>
-
-<p>Welf schwang sich vom Gelände und polterte die
-Treppe herab.</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">»Her die Stiefel, Annemargret,<br /></span>
-<span class="i0">Her die Stiefel, eh es zu spät!«<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="noind">sang anmutigen Eifers voll der nie um Reime verlegene
-Rolf.</p>
-
-<p>»Sind alle noch naß!« gab die zurück.</p>
-
-<p>»Was schiert mich das!?« reimte Rolf entgegen
-und fuhr in die patschnassen Lederhöhlen.</p>
-
-<p>Indessen brüllte Ralph nach den Pferden, rumorte
-Welf im Waffengelasse, klirrte Christoph mit den
-Zaumketten, klapperten die Gäule aus dem Stalle,
-lachte und kicherte Margret. Kurz: Wolfsturm machte
-mobil.</p>
-
-<p>Wie die drei glücklich im Sattel saßen und den
-Schlußtrunk genommen hatten, den Annemargret jedem
-erst annippen mußte, ehe sie ihn dem vom Gaul Gebeugten
-in die Eisenpfote gab, wurde der Kriegsplan
-gemacht.</p>
-
-<p>»Ich reit auf die Traminer!« erklärte Welf.</p>
-
-<p>»Ich hol' den süßen von Margreid!« entschied sich
-Ralph.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_149">[149]</a></span></p>
-
-<p>»Ich will mich hinter Urschel nach Schilcher<a id="FNanchor_5_5"></a><a href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">5</a> umtun!«
-gab Rolf kund.</p>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_5_5"></a><a href="#FNanchor_5_5"><span class="label">5</span></a> Schillerwein, halb weiß, halb rot.</p></div>
-</div>
-
-<p>Aber Annemargret protestierte: »Nix hinter Urschl!
-Urschl hat's schriftlich! Ihr seid mir die Nettern!«</p>
-
-<p>»Ho, die Urschl-Margret, hohohoho!« lachten die
-drei.</p>
-
-<p>»Also reit ich anderswohin auf den Schilcher, daß
-uns Annemargretlein nit sauer wird, die Urschlerin!«
-erklärte Rolf. »Bleibt sie uns dann süß?«</p>
-
-<p>»Süß allen dreien!« lachte das Mädchen und
-stemmte die Arme in die Seiten, fest und keck wie eine
-flinke Bäuerin.</p>
-
-<p>»Fallt's mir fei' mit ins Praschletschaff«<a id="FNanchor_6_6"></a><a href="#Footnote_6_6" class="fnanchor">6</a>, fügte
-sie hinzu, wie die Junker abritten.</p>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_6_6"></a><a href="#FNanchor_6_6"><span class="label">6</span></a> Maischbottich.</p></div>
-</div>
-
-<p>Dann stand sie noch lange und blickte den nach drei
-Richtungen auseinandersprengenden von der Mauer
-aus nach und ließ jedem ihr Tüchlein zuwehen, wenn
-er sich umwandte und ihr mit der gepanzerten Faust
-winkte.</p>
-
-<p>Sind doch alle drei recht liebe Junker, dachte sie
-sich. Jeder hat was besonders Liebes. Der Welf ist
-wie ein Bär so kräftig und grimmig. Huh, wie er
-zupackt! Schier blaue Flecke gibt's und ist doch gar
-lieb. Der Ralph ist nicht so ganz stark, aber hitzig.
-Küßt er, ist's wie ein Biß, und der Atem geht einem
-aus vor lauter Schönsein. Aber der Rolf hat was
-gar Zart's und Fein's und kann reden, daß man die
-Augen zumachen muß, &ndash; so lieblich schwatzt er. Wenn
-er so leise um die Hüften greift, geht's kitzlich überallhin,
-als wenn jed's Blutströpfel im Leibe lachen sollt'.<span class="pagenum"><a id="Page_150">[150]</a></span>
-Lacht auch jed's. &ndash; So ist's mit allen dreien, wundergut
-in Heimlichkeit. Möcht' keinen missen. Muß aber
-immer fein schlau und achtsam sein. Hu, wenn der
-eine mich mit dem anderen säh. Das gäb böses Getu.</p>
-
-<p>So sinnierte sie aufs angenehmste vor sich hin.
-Dann ging sie aufbetten.</p>
-
-<p>Wie sie mit den Junkerbetten fertig war, dachte
-sie sich: Will doch heut die dreie mit dem Wein im
-Putz überraschen! Und ging in ihre Kammer, den
-Sonntagsstaat anzulegen.</p>
-
-<p>Schon damals, in den wilden Raubritterzeiten,
-zogen sich hübsche Mädchen gerne aus und an, und,
-wenn die Spiegel auch gar klein und trübe waren,
-sie sahen sich doch gern darin. Es war also das Anziehen
-eine liebliche Beschäftigung für die Kleine, und
-als sie ihre Röcke von sich hatte und im kurzärmeligen
-Leinenhemdchen dastand, da drehte sie sich wohl viele
-Male vor dem Spiegel hin und her und betrachtete sich
-selber mit viel Aufmerksamkeit, Ernst und Genugtuung.</p>
-
-<p>Da, plötzlich ging die Kammertür auf, und Junker
-Rolf stand auf der Schwelle.</p>
-
-<p>Aber nicht lange. Denn kaum hatte er das Mädchen
-in dieser auch für Junker besonders lieblichen
-Verfassung gesehen, da war er mit einem Satze bei
-ihr und umfing sie mit den geharnischten Armen.</p>
-
-<p>»Hu, bist du kalt!« rief sie erschrocken aus, die
-über der Kälte dieser eisernen Umarmung ganz vergessen
-hatte, daß sie sich erst schämen mußte.</p>
-
-<p>Aber auch ihm war das Eisen jetzt unbequem.
-Hastig entschiente er sich, und krach, bumm, knirr
-flogen die Harnischteile von ihm, und er stand im
-Lederwamse. Es ging viel schneller als sonst mit
-dem alten Christoph.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_151">[151]</a></span></p>
-
-<p>Nun war es gar nicht mehr kalt, wie er sie umfing.</p>
-
-<p>Eine Weile hatten die Lippen mehr zu tun, als
-zu reden.</p>
-
-<p>Dann aber fragte Margret: »Ja, aber, daß ich
-das Pferd nicht auf der Brücke gehört hab'! Und
-wo ist denn das Praschlet?«</p>
-
-<p>»Draußen angebunden das Pferd! Praschlet mögen
-die anderen bringen! Du bist mir lieber, als aller
-Wein! Du, mein rotweißer Schilcher und süßer Malvasier!
-Lieb's Ding im Rock, viel lieber noch im
-Hemd! Du! Du! Du! Oh, was du weiß und
-weich bist! Dräng dich, drück dich, leg dich mir nah!
-O du mein Wein von Ursula! Du heiße, weiße,
-voll und rund! Gib deinen Mund! Gib deinen
-Mund! Und wieder, wieder! Gretlein, mein Mädlein!«</p>
-
-<p>Sie aber sagte nichts und küßte bloß.</p>
-
-<p>Da: Treppengepolter. Da: Rasseln vor der Tür.
-Da: krach eine Faust wider das Türgetäfel.</p>
-
-<p>Rolf sprang auf und sprang zur Tür, &ndash; g'rad
-vor die Brust Welfs, der sie eben aufgerissen hatte.</p>
-
-<p>Ein Heulen wie aus Wolfsrachen, ein Stoß mit
-der geschienten Faust vor Rolfs Brust. Der taumelt
-zurück, bückt sich, sucht sein Schwert.</p>
-
-<p>Aber schon wirft sich, mit beiden Fäusten sein
-Schwert nach unten stoßend, Welf über ihn und rennt
-dem Gebückten den Stahl durch den Rücken.</p>
-
-<p>Starr saß Annemargret im Hemd auf dem Bett
-und hielt kindängstlich die Finger an den Mund.</p>
-
-<p>Jetzt … kommt … das Schwert … zu mir&nbsp;…</p>
-
-<p>Welf zog das Schwert aus dem verröchelnden
-Leibe, warf es nieder und stellte sich vor der Starrenden
-schnaufend auf.</p>
-
-<p>»Dich … drossl' ich … so&nbsp;…«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_152">[152]</a></span></p>
-
-<p>Er streckte die auseinandergekrallten Eisenfinger
-nach ihrem Hals.</p>
-
-<p>Sie sank vom Bett und kniete vor ihm bettelnd
-nieder.</p>
-
-<p>»Lieb's Welfle, stark's, sei gut&nbsp;…!«</p>
-
-<p>Und nimmt die beiden eisernen Hände und legt
-sie sich auf die hochgehende Brust und lächelt.</p>
-
-<p>»Du! … Du!&nbsp;…«</p>
-
-<p>Er hebt sie hoch auf und wirft sie aufs Bett, und
-nimmt sie wieder hoch und preßt sie wütend, klammernd
-an sich, und nimmt sie wie ein Kind auf den
-Arm und trägt sie in der Kammer herum und schluchzt
-und brummt und küßt sie und erdrosselt sie halb vor
-Grimm und Liebe.</p>
-
-<p>»Heioh! Heioh! Der Süße von Margreid! Zehn
-Yrn<a id="FNanchor_7_7"></a><a href="#Footnote_7_7" class="fnanchor">7</a> und gutgemessen! Heioh Margret, für dich der
-Süße von Margreid!«</p>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_7_7"></a><a href="#FNanchor_7_7"><span class="label">7</span></a> Altes Tiroler Weinmaß.</p></div>
-</div>
-
-<p>Ralph hielt im Burghofe neben einem Parschletfuder,
-das zwei geknebelte Knechte eben eingeführt
-hatten.</p>
-
-<p>»Für dich der Süße von Margreid! Da, schau
-Margret!« schrie Welf und trat mit dem Mädchen
-auf dem Arm ans Fenster.</p>
-
-<p>»Was tust du da!« brüllte Ralph, bebend vor
-Zorn, als er das sah.</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Meine</em> Margret! <em class="gesperrt">Meine</em> Margret!« brüllte
-Welf. »Willst du sie auch noch? So komm und hol sie.«</p>
-
-<p>Mit einem Satze sprang Ralph vom Pferde und
-die Treppe hinauf.</p>
-
-<p>Welf setzte Margret aufs Bett, hob sein Schwert
-auf und stürzte hinaus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_153">[153]</a></span></p>
-
-<p>Draußen auf der Treppe rasselten sie aneinander.
-Brüllen. Fluchen. Schnaufen. Gepolter. Ein Schrei.</p>
-
-<p>Ralph rollte, erschlagen, die Treppe hinunter.</p>
-
-<p>»Hahahaha! Hahahaha; Annemargret, jetzt sind
-wir allein! Geh in den Keller und hol, was noch
-im Fasse ist! Ei, geh immer im Hemd! Sollst mir
-fürder im Hemde gehn! Denn so hab ich dich doppelt
-lieb, du mollig Ding!«</p>
-
-<p>Annemargretlein &ndash; lächelte und ging. Mit beiden
-Händen den Humpen tragend kam sie wieder.</p>
-
-<p>»Trink an, mein Schätzel!«</p>
-
-<p>Sie nippte und bot ihm den Humpen. Er nahm
-einen langen Zug.</p>
-
-<p>»Nun lös mir die Riemen und nimm mir die
-Schienen ab … So, mein liebs Ding … Und küsse
-mich auch! … So, mein liebs Ding! … Und setz dich
-mir auf den Schoß! … So, mein liebs Ding! … Ei, ist
-es nicht besser zu zweit? … Sag's, mein liebs Ding!«</p>
-
-<p>»Ja&nbsp;…«</p>
-
-<hr class="tb" />
-
-<p>Nun lagen Ralph und Rolf draußen im wilden
-Walde bei ihrem Vater, dem alten Raubritter, im Erbbegräbnis,
-und die ehrsame Steinmetzzunft der Nachbarschaft
-hatte Arbeit, ihnen das Wappen auf ihren
-Grabplatten auszuhauen. Das Blut auf der Treppe
-und in Margrets Kammer war zwar nicht so leicht abzuscheuern,
-aber man sah es bei der Dunkelheit, wie
-sie in Raubritterburgen gewöhnlich herrschte, auch nicht
-eben sehr, und überdies war Margret ausquartiert.</p>
-
-<p>Somit wäre also alles gut gewesen, und es blieb
-eigentlich nur noch die Fahrt zum Heiligen Grabe
-übrig, die Welf, um nicht unliebsames Aufsehen zu<span class="pagenum"><a id="Page_154">[154]</a></span>
-erregen, doch wohl unternehmen mußte. Denn, wenn
-auch die Polizei damals zu wünschen übrigließ, wenn
-es sich um ritterliche Familienangelegenheiten handelte,
-so hatte der Beichtstuhl doch seine Prinzipien, und
-<em class="gesperrt">alles</em> ließ sich am Ende nicht mit ein paar Messen
-oder auch Stiftungen abmachen. Aber es hatte ja Zeit.</p>
-
-<p>Indessen kam es böser.</p>
-
-<p>Zuerst kam Welf bloß unter den Pantoffel.</p>
-
-<p>Das war nicht angenehm, ließ sich aber doch ertragen,
-denn Welf war sehr verliebt, und Annemargret
-ließ es an nichts fehlen, diese Verliebtheit immer warm
-zu erhalten.</p>
-
-<p>Aber eine Weile hin, und sie kriegte Launen.</p>
-
-<p>Und das war schlimmer. Denn Unfriede in der
-Liebe geht auf die Nerven &ndash; sogar bei raubritterlichen
-Junkern, denen selbst ein paar eilige Brudermorde noch
-lange keine Nervenzustände zuziehen. Das Schmollen
-bald und bald Zanken, das Kammertürverriegeln und
-Beichtevorschützen und dann wieder das Gebettel:
-»Geh, ein Ringlein ins Ohr, ein Kettlein um'n Hals,
-ein seiden Fürtüchel, ein Paar rote Schuh!&nbsp;…« Hol's
-der Teufel und sein schwänzig Gesinde!</p>
-
-<p>Indessen: man ritt halt öfter auf die Krämer;
-man wetterte mal und brüllte sich aus; tat dann auch
-wieder recht fein und lieblich um den Balg, und schließlich
-war der am guten Ende auch wieder fein, und
-es schmeckte die Liebe um so süßer, wenn vorher der
-Zank recht sauer geschmeckt hatte.</p>
-
-<p>Aber eines Tages, just, als es anfing kalt zu werden
-und Welf die Fenster mit Moos ausfütterte, kam
-Annemargret, ein Bündel in der Hand, auf ihn zu
-und sagte ganz kurz: »Junker, i geh!«</p>
-
-<p>»<em class="gesperrt">Was</em> tust du!!&nbsp;…?«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_155">[155]</a></span></p>
-
-<p>»Aufkünden tu i. Heim mag i.«</p>
-
-<p>»Wa … as??&nbsp;…!«</p>
-
-<p>»Ja, sell.<a id="FNanchor_8_8"></a><a href="#Footnote_8_8" class="fnanchor">8</a> Is mir zu öd hierheroben jetzt.«</p>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_8_8"></a><a href="#FNanchor_8_8"><span class="label">8</span></a> Das.</p></div>
-</div>
-
-<p>»Wa … as???&nbsp;…!«</p>
-
-<p>»Früher, wo ihr dreie ward, is ja gangen. Hättst
-halt nit den Ralph derschlagen und den Rolf. Die
-Langweil hab i.«</p>
-
-<p>Dem Junker schwollen die Schläfenadern.</p>
-
-<p>»Also, ich allein bin dir nicht genug. &ndash; Du …
-du … ha!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»So is.«</p>
-
-<p>»Also die andern fehlen dir!!?«</p>
-
-<p>»Freili!«</p>
-
-<p>Sie ließ die Schürzenbänder wirbeln und legte den
-Kopf auf die Seite. Das war ihre Trotzpose.</p>
-
-<p>Da ging dem Junker Welf der Ritterzorn durch,
-und er gab ihr eine Ohrfeige, daß die Trotzpose auf
-die andere Seite verlegt wurde. Ein Glück, daß er
-die Eisenhandschuhe nicht anhatte. Es langte auch so.</p>
-
-<p>»Jetzt geh i erscht recht!« sagte sie, heulte gar nicht
-mal erst lange, nahm ihr Bündel auf, drehte sich um,
-daß die Röcke flogen, und ging.</p>
-
-<p>Welf war ganz starr. Dann überlegte er sich, ob
-es nicht das beste wäre, sie auch totzuschlagen. Aber
-da er zum Überlegen immer sehr viel Zeit brauchte,
-war sie schon zum Tore hinaus, als er damit fertig
-war. Übrigens hatte er sich auch anders entschieden.
-Er war keines heroischen Entschlusses fähig. Wie vor
-den Kopf geschlagen saß er da und riß das Moos in
-Flocken. Dann sprang er plötzlich auf, stieß ein Fenster
-ein und brüllte hinaus: »Luder! Luder!«</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_156">[156]</a></span></p>
-
-<p>Einen eisernen Topf, der gerade neben ihm stand,
-schmiß er in gewaltigem Bogen hinter ihr drein.</p>
-
-<p>Sie aber stand jenseits der Zugbrücke und drehte
-ihm eine lange Nase.</p>
-
-<p>»Bhütigod, grimms Welfle, verkühl di nit!«</p>
-
-<p>Welf tat einen grausamen Fluch, reckte die Arme,
-haute aufs Fensterbrett, brüllte, daß die Scheiben
-klirrten, riß sich am Bart und rannte in die Waffenkammer.
-Rasend rührte er dort das Instrument seiner
-Leidenschaft und paukte in Donnerwirbeln seinen Ingrimm
-aus.</p>
-
-<p>Wie er nicht mehr konnte, sank er auf die Rüstbank
-nieder und fühlte sich leichter.</p>
-
-<p>Und siehe: es ward ihm weich zu Sinne, und in
-seinem Gemüt war eine welke Empfänglichkeit für
-christliche Gedanken.</p>
-
-<p>»Christoph!« rief er, und in seiner Stimme klang
-seltsame Milde.</p>
-
-<p>»Ja, Herr!« antwortete der.</p>
-
-<p>»Haben wir noch einen Pilgermantel mit Muscheln?«</p>
-
-<p>»Ja, aber recht schäbig sieht er aus, sind die Motten
-drin, und ein paar Muscheln gehen ab.«</p>
-
-<p>»Macht nichts! Bürste ihn aus und nähe die
-Muscheln fest. Ich walle nach Jerusalem!«</p>
-
-<p>»Wo … hin!?«</p>
-
-<p>»Frage nicht &ndash; bürste!«</p>
-
-<p>Christoph sperrte den Mund auf und wunderte sich.
-Dann bürstete er den Pilgermantel derer von Wolfsturm
-und freute sich, daß er nun auf eine Weile keine
-Stiefeln mehr zu putzen haben würde.</p>
-
-<p>Erst drei Paar, dann ein Paar, dann kein Paar!</p>
-
-<p>So steht Gott seinen treuen Knechten bei und verhilft
-ihnen zu einem ruhigen Alter.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_157">[157]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_mutige_Revierforster">Der mutige Revierförster.</h2>
-</div>
-
-<p>König Leberecht, der schon in vorgerückten Jahren
-befindliche, aber immer noch recht rüstige Beherrscher
-eines angenehm im Gebiete der mittleren Zone gelegenen
-Landes, liebte es, die Büchse im Arm, auf
-hohe Berge zu steigen und dort all das Wild zu erlegen,
-das man mit viel Mühe und Kunst in die
-unmittelbare Nähe seines Feuerrohres brachte.</p>
-
-<p>Auf diesen Jagdzügen begleitete ihn, der gerne
-Menschen um sich hatte, weil er wohl wußte, daß es
-für Fürsten nicht gut ist, allein zu sein, nicht nur eine
-Schar bevorzugter Männer des Hof- und Staatsdienstes,
-sondern auch eine wohlausgewählte Mustergarnitur
-solcher Leute, die sich durch sachgemäße Überdeckung
-größerer Leinwandflächen mit Farbe oder durch
-andere Hantierungen von gewissermaßen künstlerischem
-Charakter in der Leute Mund gebracht und überdies
-durch die Annahme des Titels von Professoren bewiesen
-hatten, daß sie, obwohl keiner ernsthaften Beschäftigung
-obliegend, doch Sinn für das bürgerlich
-Reputierliche besaßen.</p>
-
-<p>Es war, und dessen war sich ein jeder in des Königs
-Jagdgefolge wohl bewußt, eine große Ehre, mit Seiner
-Majestät durch die Felder und die Auen zu streifen,
-sowie auf schmalen Pfaden die erhabenen Gipfel der<span class="pagenum"><a id="Page_158">[158]</a></span>
-Bergwelt zu erklimmen, die wie wenig anderes dazu
-angetan erscheint, dem Menschen einen Begriff davon
-zu geben, wie großartig die Welt ist. Indessen, wie
-die meisten Ehren, so war auch diese mit Anstrengungen
-und Unbequemlichkeiten verbunden. Schon
-das Klettern allein erschien den älteren Ministern, vortragenden
-Räten, Kammerherren und Kunstprofessoren
-als eine im Grunde nicht ganz erfreuliche Muskelübung.</p>
-
-<p>Denn, abgesehen davon, daß der königliche Bergsteiger
-schon an und für sich in seiner Eigenschaft als
-Fürst jenen elastischen und lebhaften Gang hatte, von
-dem wir immer in den Zeitungen lesen, wenn von
-einem in Bewegung befindlichen Landesvater die Rede
-ist, war König Leberecht auch noch besonders auf diesen
-Sport trainiert, da er Zeit seines Lebens die meisten
-freien Stunden, die ihm die Regierungsgeschäfte ließen,
-hauptsächlich dazu verwandt hatte, sich in der ebenso
-gesunden wie vornehmen Kunst des Kletterns auszubilden.
-Er wäre, wenn ihm die Schicksalsgöttinnen
-statt einer Krone einen Gamsbarthut und statt des Zepters
-einen Bergstock in die Wiege gelegt hätten, zweifellos
-ein ebenso vortrefflicher Bergführer geworden, wie
-er nun in Wirklichkeit ein scharmanter König geworden
-war.</p>
-
-<p>Aber die böse Notwendigkeit, mit den untrainierten
-Beinen des Untertanen den trainierten Beinen des
-Souveräns in gleichem Schritt und Tritt zu folgen,
-war noch nicht einmal die fatalste Begleiterscheinung
-jener ehrenvollen Jagdpartien. Das Unangenehmste
-waren die kalten Bäder, die die höchst badelustige
-Majestät auf luftigster Höhe im schneekühlen Gewässer
-munterer Gebirgsbäche zu nehmen liebte, und von<span class="pagenum"><a id="Page_159">[159]</a></span>
-denen sich keiner ihrer Begleiter ausschließen konnte,
-da sich der Wasserscheue sonst dem Verdachte ausgesetzt
-hätte, daß er nicht unter allen Umständen gesonnen
-sei, seinem höchsten Herrn überallhin zu folgen.</p>
-
-<p>Wie viele ministerielle, geheimrätliche, kammerherrliche,
-kunstprofessorale Schnupfen die Erfüllung dieser
-harten Untertanenpflicht im Laufe der Jahre zur Folge
-hatte, darüber besteht keine Statistik, doch darf ruhig
-angenommen werden, daß ihrer viele und die meisten
-davon hartnäckiger Natur waren. Denn nicht jeder
-verträgt zehn Grad Reaumur im Wasser. Die Loyalität
-ist willig, aber das Fleisch ist schwach.</p>
-
-<p>Nach einem solchen Bade in der Höhe von 1500
-Metern bei entsprechender Wassertemperatur begab es
-sich nun einmal, daß der König, dem von der genossenen
-Wasserkühle selber die Finger etwas klamm geworden
-waren, seine Toilette (mit gebotener Delikatesse
-zu sprechen) nicht ganz zu Ende führte. Anfangs
-bemerkte niemand diesen Umstand, da ein jeder nur
-von dem einen Wunsche beseelt war, die eigene gesunkene
-Blutwärme durch allseitig luftdichten Verschluß
-der Kleider wieder in die Höhe zu bringen.
-Als sich aber später die königliche Jagdgesellschaft auf
-einem angenehmen Wiesenplane zur Rast niedergelassen
-hatte, nahm man den kleinen, aber durch seine Örtlichkeit
-fatal auffälligen Mangel wahr.</p>
-
-<p>Nun ist eine solche Wahrnehmung selbst unter
-gewöhnlichen Menschen, wenn der eine nicht gerade
-die Frau des anderen ist, mit einer gewissen
-Peinlichkeit verbunden. Denn es handelt sich hier,
-wenn man der Sache auf den Grund geht, um einen
-Umstand, der geeignet ist, das sittliche Gefühl zu verletzen,
-um einen <em class="antiqua">dolus eventualis</em> auf dem besonders<span class="pagenum"><a id="Page_160">[160]</a></span>
-heiklen Gebiete der Erbsünde sozusagen. Indessen,
-schließlich gibt sich doch immer einer den gewissen
-Ruck, nimmt den betreffenden (in den meisten Fällen
-ist es ein alter Professor oder Dichter) beiseite und
-flüstert (wenn er das Wort »geradezu« im Wappen
-führt): »Sie, Ihr Hosentürl ist offen,« oder (wenn er
-delikater ist) mit einem schnellen orientierenden Blicke:
-»Es ist etwas bei Ihnen nicht in Ordnung.« Ja, es
-gibt sogar Leute, die selbst bei so peinlichen Gelegenheiten
-zu frivolen Scherzen aufgelegt sind und etwa
-die Bemerkung machen: »Sie, verlier'n S' fei' nix!«</p>
-
-<p>Kann man aber so etwas einem Fürsten, einem
-Könige sagen? Nein: Man kann nicht! Der höfische
-Stil versagt hier vollkommen. Es gibt durchaus
-keine Redewendung in der Phraseologie des Umganges
-mit Majestäten, die es ermöglichte, derlei vor
-ein allerhöchstes Ohr zu bringen, als über welchem
-bei feierlichen Anlässen nur durch ein paar Zentimeter
-getrennt eine Krone zu sitzen kommt. Nicht einmal
-der mit allen Essenzen höfischer Eleganz und Wortbiegungskunst
-gewaschene Zeremonienmeister Baron
-von Bemsl, der doch eine anerkannte Autorität auf
-dem Gebiet höfischer Linguistik ist, und von dem man
-hoffte, er werde die schwierige Mission übernehmen
-und so seinem dichten Lorbeerkranze als königlicher
-Hausdiplomat ein neues leuchtendes Blatt einverleiben,
-erklärte, dies überschreite seine Fähigkeiten: dieser Fall
-sei von einer Heikligkeit, daß man seine Lösung nicht
-einer Menschenzunge, sondern der Vorsehung selber
-überlassen müsse, die übrigens, so fügte er mit anmutiger
-Zuversicht hinzu, noch immer bewiesen habe,
-daß sie über das königliche Haus mit besonderer Aufmerksamkeit
-wache. Sohin (er liebte dieses kuriale<span class="pagenum"><a id="Page_161">[161]</a></span>
-Wort) werde ihr auch dieser Umstand nicht entgehen,
-und sie werde zweifellos Mittel und Wege finden, ihn
-zu beheben, ohne daß sich ein schwacher Mensch den
-Mund zu verbrennen brauche.</p>
-
-<p>»Das ist alles sehr schön und sehr gut, und ich
-bin schon von Ressorts wegen der letzte, der an der
-Vorsehung zu zweifeln wagt,« bemerkte der Kultusminister,
-dem es trotz eines kaum überstandenen
-Schüttelfrostes jetzt sehr heiß zumute wurde, »aber sie
-müßte <em class="gesperrt">äußerst</em> schnell eingreifen. Bedenken Sie, lieber
-Baron, daß uns am Fuße dieses Berges eine Deputation
-der ländlichen Bevölkerung erwartet, darunter
-vier weißgekleidete Jungfrauen, von denen die jüngste
-ein Huldigungsgedicht auswendig gelernt hat. Ich
-wette meinen Kopf, daß die Jungfrau aus dem Konzept
-kommt, wenn ihr Blick zufällig auf die derangierte
-Gegend fällt, und diese infamen Bauernlackel
-werden dem höchsten Herrn sämtlich, ich sage Ihnen:
-<em class="gesperrt">sämtlich</em> nicht ins <em class="gesperrt">Gesicht</em> sehen, sondern &ndash; ebendorthin.
-Mein Gott, mein Gott: Die Situation ist
-von einer märchenhaften Scheußlichkeit. Wir können
-uns, so gern wir sonst dazu bereit sind, hier nicht
-auf höhere Mächte verlassen; wir müssen <em class="gesperrt">selber</em>
-handeln. Wozu sind Sie denn Zeremonienmeister,
-wenn Sie sofort versagen, wo es einmal gilt, die
-durch einen tückischen Zufall bedrohte Würde des
-Königstums zu retten! <em class="antiqua">Hic Rhodus! Hic salta!</em>
-Walten Sie Ihres Amtes!«</p>
-
-<p>Der Zeremonienmeister, der es bisher immer zu
-vermeiden gewußt hatte, in Anwesenheit des Königs
-Schweiß abzusondern, war nicht imstande, die plebejische
-Feuchtigkeit zurückzudrängen, die ihm angesichts
-dieser grauenerregenden Perspektive auf die Stirne<span class="pagenum"><a id="Page_162">[162]</a></span>
-trat. Er fühlte die ganze furchtbare Verantwortung,
-die ihm diese entsetzliche Situation aufbürdete. Er
-sah das Ansehen des Hofes in Gefahr, die Regierung
-wanken, den Staat konvulsivischen Zuckungen preisgegeben.
-Vor seinem inneren Auge jagten sich Feuer,
-Pulverdampf und blutigrote Wogen der Rebellion.
-Vor allem aber bebte sein ganzes Gemüt und schoß
-molkig zusammen wie Milch, wenn's wittert, bei dem
-Gedanken, daß seine Stellung auf dem Spiele stand.
-Denn in der Tat, dieser Toilettenmangel gehörte in
-<em class="gesperrt">sein</em> Ressort, da kein Kammerdiener zugegen war.</p>
-
-<p>Sollte er vielleicht doch? … Sollte er nicht doch
-vielleicht mit dem Anstand, den er hatte, diskret sich
-in den Hüften wiegend, an den König herantreten
-und mit delikatem Augenniederschlag lispeln: »Majestät
-haben allerhöchst geruht, zu vergessen, sich die&nbsp;…«</p>
-
-<p>Aber bei allen Heiligen und Nothelfern, das <em class="gesperrt">geht</em>
-ja doch nicht! Niemals noch, solange es Zeremonienmeister
-gibt, haben Zeremonienmeisterlippen derartiges
-zu einem König zu sagen sich erkühnt.</p>
-
-<p>In seiner fassungslosen Verwirrung überfiel ihn
-die phantastische Idee, zu den Mitteln der Mimik zu
-greifen und, sich dicht vor seiner Majestät postierend,
-an sich selbst, gewissermaßen wie an einem Lehrphantom,
-<em class="gesperrt">scheinbar</em> die Handlung vorzunehmen, die
-der König an seiner Kleidung tatsächlich unterlassen
-hatte.</p>
-
-<p>Aber das war ja grotesk, skurril, Wahnsinn!
-Ebenso hätte er direkt hingehen und, an das respektive
-Kleidungsstück der allerhöchsten Person Hand anlegend,
-den Mangel <em class="antiqua">brevi manu</em> reparieren können &ndash; eine
-Vorstellung, bei der er fast in Tränen der Verzweiflung
-ausgebrochen wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_163">[163]</a></span></p>
-
-<p>Aber Verzweiflung ist ein zu gelindes Wort, um
-auszudrücken, in welchem Zustande sich das zeremonienmeisterliche
-Gemüt befand. Er war der Auflösung
-nahe. Schon konnte er kaum mehr seine Augen regieren,
-die immer nur den einen, sich zu einem ungeheuren
-Schlund und Abgrund klaffend erweiternden Punkt
-suchten, der die schauderhafte Quelle dieser unsäglich
-grausamen Prüfung für ihn war. Gewaltsam mußte
-er seine Blicke von dort wegwenden, um sie ziellos im
-Kreise herumirren zu lassen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Ob denn nicht doch irgendeiner der Anwesenden
-es wagen würde?</p>
-
-<p>An die Staats- und Hoffunktionäre sich zu wenden,
-war ganz aussichtslos; das fühlte er mit der Gewißheit
-des Erfahrenen. Aber vielleicht einer dieser Kunstprofessoren?!
-Unter ihnen, die ja auch sonst zu seinem
-Entsetzen oft genug gegen den höfischen Ton verstießen,
-mußte doch einer zu finden sein, der, wenn man ihm
-einen Orden oder einen Auftrag oder schließlich den
-persönlichen Adel versprach, das unerhörte, kaum auszudenkende
-Wagstück unternahm.</p>
-
-<p>Er zog jeden einzelnen beiseite, bat, flehte, rang
-die Hände, versprach schließlich den gebührenfreien
-Freiherrntitel und die Erblichkeit der Professur in der
-Familie, eingeschlossen die weibliche Nachkommenschaft
-&ndash; nichts half. Alle erklärten, lieber täglich eine Literflasche
-Mastixfirnis auf das Wohl des erhabenen Landesherrn
-leeren zu wollen.</p>
-
-<p>Der Zeremonienmeister hatte das absolut sichere
-Gefühl, daß der jüngste Tag herangebrochen sei; in
-seinen Ohren dröhnten deutlich die Posaunen. Da fiel
-sein Blick auf den Revierförster Meier, der hinter<span class="pagenum"><a id="Page_164">[164]</a></span>
-einem Baum saß und mit Mißmut konstatierte, daß
-sein Enzianschnaps zu Ende war.</p>
-
-<p>Ein letzter Hoffnungsstrahl flackerte, aber nur ganz
-schwach, im Ingenium des halbtoten Hofmanns auf.
-Der Meister des höfischen Parketts trat zum Meister
-des gebirgigen Forstes und entwickelte ihm, indem er
-sich bemühte, durch leise Dialektfärbung seiner Sprechweise
-etwas Volkstümliches zu verleihen, den ganzen
-Komplex der verhängnisvollen Verlegenheit, hinzufügend,
-daß er, der biedere Mann aus dem Volke,
-allein befähigt und berufen sei, den Hof, die Regierung,
-den Staat zu retten, indem er den König auf
-jenen Punkt aufmerksam machte, auf jenen Punkt&nbsp;…</p>
-
-<p>»Das Hosentürl? Wenn's weiter nix is?!« meinte
-Meier.</p>
-
-<p>»Aber Sie dürfen natürlich nicht so geradezu, lieber
-Meier,« flüsterte der Zeremonienmeister, dem doch etwas
-bange wurde bei dieser schnellen Entschlossenheit des
-offenbar ganz ungeleckten Bären&nbsp;… »Sie müssen durch
-die Blume gewissermaßen … von hinten herum sozusagen
-… abstrakt&nbsp;…« Er fand durchaus nicht die
-populären Akzente. Das lag zu weit weg von seinem
-Ressort.</p>
-
-<p>»Versteh' schon! Natürlich! Ich kenn' mich aus.
-Von der Schleichseitn zuweripürschen muß ich mich.
-Nicht gleich mit dem Hosentürl ins Haus fallen. Beileib!
-Beileib! Fein andrehn muß man so was. So,
-in <em class="gesperrt">der</em> Art, daß der König meinen könnt', es wär'
-einem andern sein Hosentürl! … Schwer is schon.
-Aber ich hab' schon andere Füchse gefangen.«</p>
-
-<p>Nach diesen Worten überzeugte sich der Revierförster
-nochmals, daß seine Flasche vollkommen leer
-war, schob sie resigniert in seinen Rucksack und stand<span class="pagenum"><a id="Page_165">[165]</a></span>
-mit der Miene eines Mannes auf, der heftig nachdenkt
-und zu allem entschlossen ist.</p>
-
-<p>Der Zeremonienmeister sah ein, daß dieser Mann,
-wenn nicht vorher der Himmel einfiel, binnen zwei
-Minuten das Unglaubliche zum Ereignis machen werde.
-Ihm ward zumute, als ob plötzlich der feste Boden
-unter ihm zu wanken begänne; eine grauslich hohe
-Woge hob ihn, senkte ihn und führte ihn aufs hohe
-Meer hinaus, einem ungewissen Schicksal entgegen, das
-irgendwo den Rachen aufsperrte, ihn zu verschlingen.
-Wie er bemerkte, daß der Revierförster sich in Bewegung
-setzte, fühlte er alle Schrecken der Seekrankheit
-in seinen Eingeweiden. Nur wie durch einen
-Schleier, einen gelbgrauen Nebel sah und hörte er,
-was sich nun begab.</p>
-
-<p>Der Revierförster Meier ging gerade auf den König
-zu, sah ihn aus seinen katzengrauen Augen zutraulich
-von unten an, nahm seinen bis ins Zeiserlfarbene verschossenen,
-vor sehr langer Zeit einmal dunkelgrün
-gewesenen Hut ab und &ndash; machte eine Verbeugung.
-Sodann aber setzte er seinen Hut wieder auf und stand
-stramm.</p>
-
-<p>Mit dem scharfen Blicke, der ihn stets auszeichnete,
-bemerkte König Leberecht, daß dieses durchaus reglementswidrige
-Gebaren seinen Grund in etwas besonderem
-haben müsse, und fragte mit dem huldvollen
-Tone, der das erste ist, was ein jeder richtige König
-sich anzueignen keine Mühe und Übung scheut: »Na,
-Meier, was gibt's?«</p>
-
-<p>(In diesem Augenblicke gab es dem Zeremonienmeister
-einen schmerzlichen Ruck, und er sah sich direkt
-<em class="antiqua">vis-à-vis</em> dem Rachen des Ungeheuers, das ihn verschlingen
-wollte. Sein Herzschlag setzte aus. Ein<span class="pagenum"><a id="Page_166">[166]</a></span>
-überlebensgroßer Knödel kroch in seiner Speiseröhre
-mit einer unangenehm schlickernden Abart des Rollens
-empor und versetzte ihm auch den Atem. Sein letzter
-Gedanke war der Orden vom heiligen Kajetan, von
-dem er schon lange träumte. Dann: Nacht und Vernichtung.)</p>
-
-<p>Meier aber trat einen Schritt vor und sprach mit
-der markig festen Stimme des deutschen Mannes, der
-keine Menschenfurcht kennt:« »Ich möchte bloß die hohen
-Herrschaften was fragen.«</p>
-
-<p>Alles war starr. Keiner begriff. Auch König Leberecht
-nicht. Aber sein Ton war doch noch immer huldvollst,
-als er sagte: »Fragen Sie nur zu, Meier.«</p>
-
-<p>Und Meier ließ seine Stimme fröhlich erschallen
-und sprach: »Wie wär's denn, meine Herrschaften,
-wenn wir alle miteinander unsere Hosentürln zumachten?«</p>
-
-<p>Eine Reflexbewegung seiner Hände belehrte den
-König über den Sinn dieser rhetorischen Frage. Er
-richtete, was zu richten war, und lachte dann so herzlich
-laut auf, daß seine Umgebung überzeugt sein
-konnte, es sei durchaus im Sinne der Etikette gehandelt,
-wenn sie mitlachte. Und da es zugleich ein
-Lachen der Befreiung war, war es ein brausendes,
-dröhnendes, herzerfreuendes Lachen.</p>
-
-<p>Selbst die Spechte, die die hohen Stämme der
-Fichten bepochten, hielten mit Hämmern inne und
-lachten mit.</p>
-
-<p>Der Zeremonienmeister aber erwachte unter diesem
-Ensemblesatz des Vergnügens zu neuem Leben und fand
-sogleich, daß es unschicklich sei, in der allerhöchsten
-Nähe zu wiehern, wie unerzogene Rösser. Wäre ihm
-nicht gleichzeitig jener fatale Knödel gottlob zergangen<span class="pagenum"><a id="Page_167">[167]</a></span>
-und verschwunden, so daß er wieder frei atmen und
-sich im Vollbesitze seiner Kontenanz fühlen konnte, hätte
-er noch einen schlimmeren Vergleich gewählt.</p>
-
-<p>König Leberecht aber sprach, indem er dem Revierförster
-eine Zigarre anbot (die dieser jetzt noch und
-mit der ausgesprochenen Absicht, daß sie bis ans Ende
-der Tage dort bleiben soll, in seinem Glaskasten aufbewahrt):
-»Meier, Sie sind ein ganzer Kerl. Schade,
-daß ich Sie nicht in der Regierung verwenden kann.
-&ndash; Ja, meine Herren,« und damit wandte er sich zu
-den übrigen: »das Volk, das Volk! … Es ist eine
-schöne Sache um das Volk!&nbsp;…«</p>
-
-<p>Dann stieg er, langsamer, als es sonst seine Art
-war, in tiefes Sinnen versunken, den Berg hinab, an
-dessen Fuße ihn ein junges Mädchen in weißen, gestärkten
-Kleidern mit den Worten begrüßte:</p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wir jauchzen laut mit Herz und Mund<br /></span>
-<span class="i0">In dieser gnadenvollen Stund',<br /></span>
-<span class="i0">Wo uns das Glück geschieht,<br /></span>
-<span class="i0">Das seinen König Leberecht<br /></span>
-<span class="i0">Das biedre Landvolk, treu und echt,<br /></span>
-<span class="i0">In seiner Nähe sieht.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Es steht sein hochberühmter Thron<br /></span>
-<span class="i0">Seit mehr als tausend Jahren schon<br /></span>
-<span class="i0">In unserer Mitte fest.<br /></span>
-<span class="i0">Drum lieben wir ihn auch so sehr,<br /></span>
-<span class="i0">Wie wenn er unser Vater wär',<br /></span>
-<span class="i0">Der keinen je verläßt.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er weiß, daß in der Landwirtschaft<br /></span>
-<span class="i0">Beruht des Staates stärkste Kraft,<br /></span>
-<span class="i0">Drum liebt ihn für und für<br /></span>
-<span class="i0">Der schwergeprüfte Bauersmann<br /></span>
-<span class="i0">Und hält als treuer Untertan<br /></span>
-<span class="i0">Ihm <em class="gesperrt">offen jede Tür</em>.<br /></span>
-</div></div>
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_168">[168]</a></span></p>
-<p>Bei diesen Worten stellte sich bei Seiner Majestät
-eine Ideenassoziation ein, die ein Lächeln des königlichen
-Mundes zur Folge hatte, woraus alle anwesenden
-Gemeindevorstände aufs neue die Überzeugung
-gewannen, daß der hohe Herr nach wie vor den
-Interessen des Nährstandes seine besondere Huld zuwendete.</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_169">[169]</a></span></p>
-
-<h2 id="Der_heilige_Mime">Der heilige Mime.</h2>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Gelasimus ein Mime war,<br /></span>
-<span class="i0">Wie alle anderen Mimen waren:<br /></span>
-<span class="i0">Des Ernstes und der Tugend völlig bar,<br /></span>
-<span class="i0">Jedoch in allen Lastern schauderhaft erfahren.<br /></span>
-<span class="i0">Nicht auf der Bühne nur: alltags sogar<br /></span>
-<span class="i0">Tät er mit Schminke, Lippenrot nicht sparen<br /></span>
-<span class="i0">Und kräuselte sein lichtgefärbtes Haar.<br /></span>
-<span class="i0">Kurz: allen Frommen war Gelasimi Gebaren<br /></span>
-<span class="i0">Ein Ärgernis, und jeglichem war klar,<br /></span>
-<span class="i0">Er werde als ein feister Höllenbraten<br /></span>
-<span class="i0">Dereinst dem Teufel in die Faust geraten.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Jedoch, was tat das dem Gelasimo?<br /></span>
-<span class="i0">Er war ein Heide, und als Heide so<br /></span>
-<span class="i0">Von Grund verstockt, daß es ihm doppelt freute,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Lasterknecht und Wollüstling zu sein,<br /></span>
-<span class="i0">Weil er dadurch des Anstoßes ein Stein<br /></span>
-<span class="i0">War auf dem Wege aller frommen Leute.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Auch waren die in jener bösen Zeit<br /></span>
-<span class="i0">(Als Diokletian, der Schändliche, regierte)<br /></span>
-<span class="i0">In so verachtet schwacher Minderheit,<br /></span>
-<span class="i0">Daß ihr Gemurmel niemanden genierte.<br /></span>
-<span class="i0">Zeus saß als Sonnengott im Tempel breit<br /></span>
-<span class="i0">Zu Baalbek, den noch nicht das Kreuzbild zierte:<br /></span>
-<span class="i0">Zu Baalbek in der alten Götzenstadt,<br /></span>
-<span class="i0">Da dies Mirakel sich begeben hat.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_170">[170]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Heut ist der Ort ein jämmerlicher Flecken,<br /></span>
-<span class="i0">Wo niedre Beduinenhütten sich<br /></span>
-<span class="i0">Im Schatten riesigen Mauerwerks verstecken,<br /></span>
-<span class="i0">Aus dem sich, schön und ungeheuerlich,<br /></span>
-<span class="i0">Gewaltige Säulen quadermächtig recken:<br /></span>
-<span class="i0">Des Tempels Reste, der versank, verblich.<br /></span>
-<span class="i0">Doch damals stand er noch und um ihn her<br /></span>
-<span class="i0">Die große Stadt des großen Jupiter.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Man ging auf Straßen, die gepflastert waren,<br /></span>
-<span class="i0">(Wo mag das Pflaster hingekommen sein?)<br /></span>
-<span class="i0">Vorbei an Goldschmiedläden, an Basaren,<br /></span>
-<span class="i0">Hotels, Bordells (und mancher trat auch ein).<br /></span>
-<span class="i0">Man schob sich, drängte sich mit Legionaren<br /></span>
-<span class="i0">Aus Rom und Syrien; Griechen, frech und fein,<br /></span>
-<span class="i0">Flanierten zwischen Juden und Phönikern<br /></span>
-<span class="i0">Und andern Volksgenossen: <em class="gesperrt">noch</em> antikern.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Man amüsierte sich: beim Zeus! Und wie!<br /></span>
-<span class="i0">Man tanzte; schlug den Ball; man jeute; sah<br /></span>
-<span class="i0">Entzückt vom sichern Sitze Mensch und Vieh<br /></span>
-<span class="i0">In wilden Kämpfen sich verbluten; ja,<br /></span>
-<span class="i0">Man hatte den Genuß, am Kreuze die<br /></span>
-<span class="i0">Gepfählt zu sehn, die »<em class="antiqua">Christo gloria</em>«<br /></span>
-<span class="i0">Voreilig sangen, statt Jovi dem Vater.<br /></span>
-<span class="i0">Und außerdem gab's mehr denn zehn Theater.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Davon im feinsten war Gelasimus<br /></span>
-<span class="i0">(Als erster Held versteht sich) engagiert.<br /></span>
-<span class="i0">Auch war er Regisseur (Präpositus),<br /></span>
-<span class="i0">In allen Bombenwirkungen versiert.<br /></span>
-<span class="i0">Bei jeder Premiere hat am Schluß<br /></span>
-<span class="i0">Man ihn hervorgerufen: applaudiert,<br /></span>
-<span class="i0">Bis er erschien und sich mit edler Neigung<br /></span>
-<span class="i0">Rechts, links verbeugte als zur Dankbezeigung.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_171">[171]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Kein Wunder: wenn man solche Beine hat,<br /></span>
-<span class="i0">Wie Gelasim, und Augen so voll Feuer,<br /></span>
-<span class="i0">Daß jede Dame in der großen Stadt,<br /></span>
-<span class="i0">Als wär' ihr Herz ein Strohsack, eine Scheuer<br /></span>
-<span class="i0">Voll dürren Heu's, in Flammen stand, schachmatt<br /></span>
-<span class="i0">Vor Liebe zu dem süßen Ungeheuer.<br /></span>
-<span class="i0">Alltäglich brachte ihm der Stadtpostbote<br /></span>
-<span class="i0">Dreihundert Briefe, meistens rosarote.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die kleinen Mädchen in der süßen Zeit<br /></span>
-<span class="i0">Der ersten Schwellung gruben um die Wette<br /></span>
-<span class="i0">In Wachs den Namen, trugen unterm Kleid<br /></span>
-<span class="i0">Auf bloßer Brust ihn; seine Statuette<br /></span>
-<span class="i0">Aus Alabaster lag, gebenedeit<br /></span>
-<span class="i0">Durch manchen Kuß, in manchem Backfischbette,<br /></span>
-<span class="i0">Indes die mehr schon vorgeschrittenen Damen<br /></span>
-<span class="i0">Anstatt des Bilds den Mimen selber nahmen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und auch die Rezensenten wagten's, ihm<br /></span>
-<span class="i0">Nicht zu kredenzen ihren Wermutbecher.<br /></span>
-<span class="i0">Der blutige Schmul selbst hieß ihn Seraphim<br /></span>
-<span class="i0">(Er, dem sonst alle Mimen schäbige Schächer).<br /></span>
-<span class="i0">So kam's wie's mußte: unser Gelasim<br /></span>
-<span class="i0">Wurde von Tag zu Tage eitler, frecher.<br /></span>
-<span class="i0">Man durfte wirklich bald schon denen glauben,<br /></span>
-<span class="i0">Die zweifelten an seines Hirnes Schrauben.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er sprach nur noch per »Wir«, er ließ sich nur<br /></span>
-<span class="i0">Noch von Äthiopiern in Sänften tragen,<br /></span>
-<span class="i0">Und, wenn er wirklich einmal Wagen fuhr,<br /></span>
-<span class="i0">So war's vierspännig und im Muschelwagen;<br /></span>
-<span class="i0">Die Frau des Gouverneurs sogar beim Jour<br /></span>
-<span class="i0">Ließ er vergeblich warten und ihr sagen:<br /></span>
-<span class="i0">Er habe heute Besseres zu tun,<br /></span>
-<span class="i0">Doch morgen werd' er dazusein geruhn.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_172">[172]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Natürlich wählte er die Stücke aus,<br /></span>
-<span class="i0">In denen er dem Publikum sich zeigte,<br /></span>
-<span class="i0">Und strich und änderte: es war ein Graus,<br /></span>
-<span class="i0">Daß mancher Autor jähen Tods verbleichte.<br /></span>
-<span class="i0">Dann schrieb er selbst ein Drama. Das hieß »<em class="antiqua">Laus</em><br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Imperatori</em>«. Das Gehirn erweichte<br /></span>
-<span class="i0">Jedwedem, der es sah. Ihm ist der Orden<br /></span>
-<span class="i0">Für Kunst und Wissenschaft dafür geworden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch, wie's nun beim Theater ging (und geht):<br /></span>
-<span class="i0">Manch Stück gefällt zwar, weil der Herr Verfasser<br /></span>
-<span class="i0">Beim Publikum in großer Liebe steht;<br /></span>
-<span class="i0">Jedoch gefällt es &ndash; durch. Wie Wind und Wasser<br /></span>
-<span class="i0">Ist Gunst des Publikums: verfließt, verweht,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn's darauf ankommt. Fragte an der Kass' er:<br /></span>
-<span class="i0">»Wie ist das Haus heut?« ward zur Antwort ihm:<br /></span>
-<span class="i0">»<em class="antiqua">Laus</em> zieht nicht &ndash; leer!« Das kränkte Gelasim.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0"><em class="antiqua">Laus</em> zieht nicht! dachte düster er bei sich:<br /></span>
-<span class="i0">Das Edelste, das ich zu geben habe,<br /></span>
-<span class="i0">Gilt ihnen nichts. Was zieht denn eigentlich?<br /></span>
-<span class="i0">Lock' ich vielleicht mit meiner Mimengabe?<br /></span>
-<span class="i0">Ach nein, ich fühl's: sie woll'n ganz einfach mich:<br /></span>
-<span class="i0">Ich bin nichts weiter, als ihr Freudenknabe.<br /></span>
-<span class="i0">Im Grunde werd' ich schauderhaft verkannt.<br /></span>
-<span class="i0">O Volk, o Welt, wie seid ihr degoutant!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Gelasimus, beleidigt im Genie,<br /></span>
-<span class="i0">Verfiel in ungewohnte böse Laune.<br /></span>
-<span class="i0">Erst war sie grau, dann schwarz: Melancholie<br /></span>
-<span class="i0">Saß faltig über jeder Augenbraune.<br /></span>
-<span class="i0">Schon floh der Mime zur Philosophie,<br /></span>
-<span class="i0">Und bald erhob sich ringsum das Geraune:<br /></span>
-<span class="i0">Gelasimus der Schöne hat den Spleen:<br /></span>
-<span class="i0">Er abonniert das Weisheitsmagazin.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_173">[173]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Man lächelte, und hinter den Kulissen<br /></span>
-<span class="i0">(Wenn ich so sagen darf, da, wie bekannt,<br /></span>
-<span class="i0">Es keine gab) ward mancher Witz gerissen;<br /></span>
-<span class="i0">Denn Mimen waren immer medisant,<br /></span>
-<span class="i0">Perfid, gemein und kalauerbeflissen:<br /></span>
-<span class="i0">Schon wurde Heraklit der Dunkle er genannt.<br /></span>
-<span class="i0">Bald wird er, dachten froh die Konkurrenten,<br /></span>
-<span class="i0">In einem Nervensanatorium enden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der Herr Direktor machte <em class="gesperrt">keine</em> Witze.<br /></span>
-<span class="i0">Ihm war's zu ernst dazu. Das leere Haus<br /></span>
-<span class="i0">Erzeugte im Gemüt ihm Siedehitze,<br /></span>
-<span class="i0">Und all sein Zorn galt dem Autor der »<em class="antiqua">Laus</em>«.<br /></span>
-<span class="i0">»Du hast den Orden, ich die leeren Sitze.<br /></span>
-<span class="i0">Das paßt mir nicht!« so rief er wütend aus.<br /></span>
-<span class="i0">»Beschränke dich auf deine schönen Waden<br /></span>
-<span class="i0">Und laß das Dichten! Denn es bringt mir Schaden.«<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So lernte Gelasim die Wahrheit kosten,<br /></span>
-<span class="i0">Daß jeder hohe Sessel wacklig ist,<br /></span>
-<span class="i0">Und daß auch goldne Lorbeerblätter rosten,<br /></span>
-<span class="i0">Bewirft sie Mißerfolg mit feuchtem Mist.<br /></span>
-<span class="i0">Am liebsten hätt' er den verlornen Posten<br /></span>
-<span class="i0">Sogleich verlassen ohne Kündigungsfrist,<br /></span>
-<span class="i0">Hätt' ihn nicht Schuldenlast gefesselt ehern<br /></span>
-<span class="i0">Wohl an ein Schock von grimmen Manichäern.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und er ging in sich und begann zu grübeln:<br /></span>
-<span class="i0">Was hab' ich nun von meiner Eitelkeit?<br /></span>
-<span class="i0">Verworfen bin ich, machtlos allen Übeln,<br /></span>
-<span class="i0">Gebundnem Opfertiere gleich, geweiht;<br /></span>
-<span class="i0">Das Unglück übergießt mich wie aus Kübeln.<br /></span>
-<span class="i0">Wo ist der Gott, der gnädig mich befreit?<br /></span>
-<span class="i0">Erleuchtung! Kann mich Frömmigkeit noch retten,<br /></span>
-<span class="i0">So frequentier' ich gern die heiligen Stätten.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_174">[174]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er tat's. Fort von den Philosophen ging er<br /></span>
-<span class="i0">Stracks zu den Priestern: und mit offner Hand,<br /></span>
-<span class="i0">Als Tempelspender und als Opferbringer;<br /></span>
-<span class="i0">Bei allen Göttern ward er Supplikant.<br /></span>
-<span class="i0">Kaum hatte Raum der riesige Opferzwinger<br /></span>
-<span class="i0">Für all das Vieh, von Gelasim gesandt.<br /></span>
-<span class="i0">Die Priester lächelten: Kein Menschenmagen<br /></span>
-<span class="i0">Kann eines Mimen Frömmigkeit ertragen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Jedoch gewährten sie ihm alle Gnaden<br /></span>
-<span class="i0">Der Götter, die er flehentlich erbat.<br /></span>
-<span class="i0">Er durfte sich im Venustempel baden;<br /></span>
-<span class="i0">Des Zeus Orakel gab ihm dunklen Rat;<br /></span>
-<span class="i0">Er aß, zuviel beinah, geweihte Fladen;<br /></span>
-<span class="i0">Trug Amulette im Sakralformat.<br /></span>
-<span class="i0">Half alles nichts. Es blieb die alte Leier:<br /></span>
-<span class="i0">In seinem Herzen brauten Nebelschleier.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da, eines Tags, nach endlos langer Probe<br /></span>
-<span class="i0">Zu einem neuen Stücke, kam zu ihm,<br /></span>
-<span class="i0">Bescheiden wartend vor der Garderobe,<br /></span>
-<span class="i0">Ein junges Mädchen, flüsternd: »Gelasim!<br /></span>
-<span class="i0">Lies dieses Buch, zu Jesu Christi Lobe<br /></span>
-<span class="i0">Verfaßt vom Patriarchen Joachim!«<br /></span>
-<span class="i0">Der Mime dachte: Sonderbares Mädchen!<br /></span>
-<span class="i0">Bringt keinen Liebesbrief &ndash; bringt ein Traktätchen!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da war sie auch schon weg. Im Korridore<br /></span>
-<span class="i0">Sah Gelasim nur einen Schleier wehn<br /></span>
-<span class="i0">Aus dunkelgrauem, schwarzgesäumtem Flore.<br /></span>
-<span class="i0">Er blieb betroffen eine Weile stehn.<br /></span>
-<span class="i0">»Die ist doch sicher nicht aus unserem Chore&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">So einen Flor hat man hier nie gesehn,«<br /></span>
-<span class="i0">Sprach er für sich; »mir wird nicht ganz geheuer<br /></span>
-<span class="i0">Bei diesem dunkelgrauen Abenteuer.«<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_175">[175]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und warf das Buch hin zu den Schminkedosen,<br /></span>
-<span class="i0">Als klebe Zauber dran und dunkler Fluch<br /></span>
-<span class="i0">Von unheimlichen Mächten: namenlosen.<br /></span>
-<span class="i0">Und warf darüber noch ein schwarzes Tuch.<br /></span>
-<span class="i0">Und ging nach Haus mit fliehenden Schritten, großen,<br /></span>
-<span class="i0">Als flög, ein Schatten, hinter ihm das Buch.<br /></span>
-<span class="i0">Und war bedrückt, verwirrt: umhergerissen<br /></span>
-<span class="i0">Von Ahnungen, Mahnungen, wie in Finsternissen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er warf sich hin aufs üppige Ruhebette<br /></span>
-<span class="i0">(Von Baalbeks Bosheit wurde es genannt:<br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Palaestra Gelasimusarum</em>); hätte<br /></span>
-<span class="i0">Im Schlafe gern das Buch, den Flor gebannt.<br /></span>
-<span class="i0">Doch heute war es eine Unruhstätte,<br /></span>
-<span class="i0">Um die herum ein Heer Dämonen stand,<br /></span>
-<span class="i0">Die bald das Buch und bald den Schleier schwangen<br /></span>
-<span class="i0">Und in der Fistel: »Lies! Lies! Lies doch!« sangen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der Mime sprang empor, und in die Tolle<br /></span>
-<span class="i0">Fuhr wild die Hand, vernichtend die Frisur.<br /></span>
-<span class="i0">»Ich will nicht!« schrie er auf in Grimm und Grolle,<br /></span>
-<span class="i0">»Ich lese keine Pöbelliteratur!<br /></span>
-<span class="i0">Kann ich nicht schlafen, lern' ich! Meine Rolle,<br /></span>
-<span class="i0">Erlöse mich von dieser Sekatur!<br /></span>
-<span class="i0">Der Geist der Katakomben sei vertrieben<br /></span>
-<span class="i0">Vom Geist des Zeus mit scharfen Jambenhieben!«<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und er versenkte sich mit heftigem Fleiße<br /></span>
-<span class="i0">Ins Studium. Er lebte, was er las:<br /></span>
-<span class="i0">Denn es begab sich wunderlicherweise,<br /></span>
-<span class="i0">Daß seine Rolle wie ein Spiegelglas<br /></span>
-<span class="i0">Den Trubel wiedergab, der ihn im Kreise<br /></span>
-<span class="i0">Jetzund herumtrieb. Jede Phrase saß,<br /></span>
-<span class="i0">Als hätt' er selbst sie aus sich hochgehoben,<br /></span>
-<span class="i0">Christum zu lästern, Jupitern zu loben.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_176">[176]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er hatte einen Feldherrn zu tragieren,<br /></span>
-<span class="i0">Dem's, wie nicht wenigen, ergangen war,<br /></span>
-<span class="i0">Daß ihn der Gattin zartes Persuadieren<br /></span>
-<span class="i0">Zum Christen machte. Doch nicht ganz und gar:<br /></span>
-<span class="i0">Denn, wie's im Drama kam zum Peripetieren,<br /></span>
-<span class="i0">Erhob er mächtig sich wie Jovis Aar<br /></span>
-<span class="i0">Und fand in höchst dramatischen Donnerwettern<br /></span>
-<span class="i0">Den Weg zurück zu seinen alten Göttern.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das schmeckte! Und der Mime deklamierte<br /></span>
-<span class="i0">Sich alle Wirrung aus der bangen Brust;<br /></span>
-<span class="i0">Das Heer Dämonen, das ihn so torquierte,<br /></span>
-<span class="i0">Hat vor den Versen auf die Flucht gemußt.<br /></span>
-<span class="i0">Gelasimus der Heide triumphierte<br /></span>
-<span class="i0">Zum letztenmal und glaubte selbstbewußt,<br /></span>
-<span class="i0">Er selber habe wie sein Held gefunden<br /></span>
-<span class="i0">Den Weg zum Heil und endlichen Gesunden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Am nächsten Morgen salbte er und schminkte<br /></span>
-<span class="i0">Sich ganz wie einst. Ein strahlender Apoll<br /></span>
-<span class="i0">Ging er zur Probe. Auf der Straße winkte<br /></span>
-<span class="i0">Er allen Mädchen, heitrer Laune voll,<br /></span>
-<span class="i0">In Blick, Bewegung, Haltung das distinkte<br /></span>
-<span class="i0">Erobererair, das jeder haben soll,<br /></span>
-<span class="i0">Der Frauen gefallen will und Massen lenken,<br /></span>
-<span class="i0">Daß sie im Zug nach seinem Willen schwenken.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Auch auf der Probe war er ganz der alte:<br /></span>
-<span class="i0">Die Verse strömten wie ein Wasserfall;<br /></span>
-<span class="i0">Im Volksgetümmel seine Stimme schallte<br /></span>
-<span class="i0">Wie Donnerton im rauschenden Regenschwall;<br /></span>
-<span class="i0">Und wie zum Kreuze er die Fäuste ballte,<br /></span>
-<span class="i0">Und, wie er rief: »Zurück in deinen Stall,<br /></span>
-<span class="i0">Aus dem du kamst, verzerrter Gott der Sklaven!«<br /></span>
-<span class="i0">Da war's als wenn das Kreuz Blitzschläge trafen.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_177">[177]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der Herr Direktor schloß ihn an den Busen:<br /></span>
-<span class="i0">»Du hast dich wieder, o Gelasime!<br /></span>
-<span class="i0">Mein teurer Freund! Ich schwör's bei allen Musen:<br /></span>
-<span class="i0">So schlechthin göttlich sah ich keinen je.<br /></span>
-<span class="i0">Es ist sonst gar nicht meine Art, zu schmusen,<br /></span>
-<span class="i0">Doch hier erklär' ich's: gleich der Aloe<br /></span>
-<span class="i0">Blüht deine Kunst jetzt, deine geniale.<br /></span>
-<span class="i0">Wir spiel'n das Stück gewiß an hundert Male.«<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Bestürmt von Händedrücken, und von Phrasen<br /></span>
-<span class="i0">Gesalbt, geölt mit allen Parfümrien<br /></span>
-<span class="i0">Der Schmeichelei (den werten Mimennasen<br /></span>
-<span class="i0">Das lieblichste Odeur), umsurrt, umschrien,<br /></span>
-<span class="i0">Umtanzt beinah von Huldigungsekstasen,<br /></span>
-<span class="i0">Vermochte unser Held sich kaum zurückzuziehn<br /></span>
-<span class="i0">Zur Garderobe, wo er sich die Schminke<br /></span>
-<span class="i0">Vom Antlitz wusch. &ndash; Da drückt es auf die Klinke.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der leise Laut erschreckte ihn. Betroffen<br /></span>
-<span class="i0">Sah er sich um. Doch niemand war zu sehn.<br /></span>
-<span class="i0">Indes stand angelweit die Türe offen,<br /></span>
-<span class="i0">Und draußen hörte einen Schritt er gehn.<br /></span>
-<span class="i0">Er sprang zur Schwelle, auf der Zunge schroffen<br /></span>
-<span class="i0">Verwünschungsruf. Da blieb das Herz ihm stehn:<br /></span>
-<span class="i0">Drei Spannen weit vor ihm im Korridore<br /></span>
-<span class="i0">Stand regungslos das Mädchen mit dem Flore.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Welch Angesicht! Die stygische Proserpine,<br /></span>
-<span class="i0">Rückwärts den Blick gewandt zum Vaterhaus,<br /></span>
-<span class="i0">Erschütterte nicht so durch Blick und Miene,<br /></span>
-<span class="i0">Sah nicht so schmerzensvoll anmutig aus.<br /></span>
-<span class="i0">»Wer bist du?« rief Gelasimus. »Ich diene<br /></span>
-<span class="i0">Dir namenlos,« sprach sie, und, einen Strauß<br /></span>
-<span class="i0">Aus Wüstendisteln vor ihm niederlegend,<br /></span>
-<span class="i0">Verschwand sie, leis im Gehn den Flor bewegend.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_178">[178]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der Mime bückte tief sich zu den grauen<br /></span>
-<span class="i0">Staubvioletten Blüten. Kniend nahm<br /></span>
-<span class="i0">Er das Geschenk, wie keines je von Frauen,<br /></span>
-<span class="i0">So viel sie schon ihm schenkten, zu ihm kam.<br /></span>
-<span class="i0">Und es erfüllte ihn mit Lust ein Grauen,<br /></span>
-<span class="i0">Mit Wollust eine wundersame Scham.<br /></span>
-<span class="i0">Er schämte sich der Freude am Applause,<br /></span>
-<span class="i0">Nahm Strauß und Buch und ging bewegt nach Hause.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Ich laß es hingestellt sein, ob die Worte<br /></span>
-<span class="i0">Des großen Patriarchen Joachim<br /></span>
-<span class="i0">Es waren, die mit Geisteskraft die Pforte<br /></span>
-<span class="i0">Zum Evangeljum öffneten vor ihm.<br /></span>
-<span class="i0">Genug: zu des Direktors Grimm und Torte<br /></span>
-<span class="i0">Schrieb tags drauf einen Brief ihm Gelasim,<br /></span>
-<span class="i0">Mit dem die Rolle ihm zurück er sandte:<br /></span>
-<span class="i0">»Derlei zu spielen bin ich außerstande.«<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Empörung; Wüten; Rechtsanwalt; Gerichte;<br /></span>
-<span class="i0">Replik; Duplik; Baalbeks »Diarium«<br /></span>
-<span class="i0">Hatte nicht Raum mehr für die Weltgeschichte,<br /></span>
-<span class="i0">Denn schnuppe war durchaus dem Publikum,<br /></span>
-<span class="i0">Was sonst geschah. Es wünschte bloß Berichte<br /></span>
-<span class="i0">Zur großen <em class="antiqua">Lis contra Gelasimum</em>.<br /></span>
-<span class="i0">Das Urteil kam: Der Mime ist verhalten,<br /></span>
-<span class="i0">Zu spielen &ndash; eventuell mit Brachialgewalten.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Der große Tag erschien. Von zwölf Gendarmen<br /></span>
-<span class="i0">Ward Gelasim zum Schauplatz eskordiert.<br /></span>
-<span class="i0">Man schminkte (welche Prozedur!) den Armen<br /></span>
-<span class="i0">Gewaltsam, und pervim ward dito er frisiert,<br /></span>
-<span class="i0">In sein Kostüm gesteckt und ohn' Erbarmen<br /></span>
-<span class="i0">Hieß es: »<em class="antiqua">Avanti!</em> Und: Stichwort pariert!«<br /></span>
-<span class="i0">Er dachte sich: Das alles läßt sich zwingen;<br /></span>
-<span class="i0">Wer aber zwingt die Nachtigall, zu singen?<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_179">[179]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Man stieß ihn auf die Bühne. Solch ein Toben<br /></span>
-<span class="i0">Ward nie vernommen, wie es da erscholl.<br /></span>
-<span class="i0">Die Riesenmenge hatte sich erhoben<br /></span>
-<span class="i0">Und schrie ihm Willkomm. Von Verehrung schwoll<br /></span>
-<span class="i0">Ein ganzes Meer ins Herz ihm. Gottes Proben<br /></span>
-<span class="i0">Sind fürchterlich: Der arme Mime, toll<br /></span>
-<span class="i0">Fast vom Applaus, doch innerlich in Banden<br /></span>
-<span class="i0">Des Unbegreiflichen, hat furchtbar ausgestanden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Lippen bebten. Wie, um eine Wunde<br /></span>
-<span class="i0">Zu pressen, lag auf der bewegten Brust<br /></span>
-<span class="i0">Das Händepaar. Es irrten in der Runde<br /></span>
-<span class="i0">Die Blicke ratlos, keines Ziels bewußt.<br /></span>
-<span class="i0">Schon schwieg der Willkomm. Aus dem stummen Munde<br /></span>
-<span class="i0">Der Menge drohte mitleidlos: Du mußt!<br /></span>
-<span class="i0">Und dabei brodelten in seinem armen Kopfe<br /></span>
-<span class="i0">Der Rolle Worte wie in einem Nudeltopfe.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wohl hätte er sie jetzt entlassen <em class="gesperrt">wollen</em>:<br /></span>
-<span class="i0">Er <em class="gesperrt">konnte</em> nicht. Die Zunge war ihm schwer.<br /></span>
-<span class="i0">Schon hob im Publikum sich Murmeln, Grollen,<br /></span>
-<span class="i0">Gewittrisch wälzte sich ein Wolkenetwas her.<br /></span>
-<span class="i0">Noch ein Moment, und alle Donner rollen,<br /></span>
-<span class="i0">Denn von Verehrung weiß das Volk nichts mehr,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn der Verehrte trotzt. Gleich wird es blitzen!<br /></span>
-<span class="i0">Den Herrn Direktor sah man deutlich schwitzen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da &ndash; welche Wandlung! Wie von innren Sonnen<br /></span>
-<span class="i0">Erleuchtet, öffnet Gelasim den Mund:<br /></span>
-<span class="i0">Er spricht. In seinen Worten rinnen Wonnen:<br /></span>
-<span class="i0">Der Feldherr tut die Seligkeiten kund<br /></span>
-<span class="i0">Von Christi Lehre. Balsamüberronnen<br /></span>
-<span class="i0">Fühlt sich das Publikum, bis auf den Grund<br /></span>
-<span class="i0">Entzückt, erschüttert, völlig hingerissen<br /></span>
-<span class="i0">Von dieser Sprache süßen Dämmernissen.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_180">[180]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Was war geschehn? Was öffnete die Tore<br /></span>
-<span class="i0">Der Rede unsrem Mimen? Weiter nichts,<br /></span>
-<span class="i0">Als daß er auf der mittleren Empore<br /></span>
-<span class="i0">Das stille Leuchten sah des Angesichts<br /></span>
-<span class="i0">Von jenem Mädchen mit dem grauen Flore.<br /></span>
-<span class="i0">Doch darin war die Fülle allen Lichts<br /></span>
-<span class="i0">Für seiner Seele bange Dunkelheiten:<br /></span>
-<span class="i0">Geh deinen Weg! Die Gnade wird dich leiten!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und so geschah's. Er spielte nicht: er lebte<br /></span>
-<span class="i0">Was in der Rolle des Bekehrten stand.<br /></span>
-<span class="i0">Als ob der Heiland in ihm selber webte<br /></span>
-<span class="i0">Der Dichterworte leuchtendes Gewand,<br /></span>
-<span class="i0">Umfloß es ihn wie Licht, das ihn umschwebte<br /></span>
-<span class="i0">Und hob und trug: In der Verheißung Land.<br /></span>
-<span class="i0">Doch als die Rolle abwich von den Pfaden<br /></span>
-<span class="i0">Des Kreuzes, kam die Fülle erst der Gnaden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Es war nicht einer, der die <em class="antiqua">scène à faire</em><br /></span>
-<span class="i0">Des Stücks nicht aus der Zeitung schon gewußt:<br /></span>
-<span class="i0">Die große Szene zu der Götter Ehre,<br /></span>
-<span class="i0">In der der dumpfe Katakombenwust<br /></span>
-<span class="i0">Vertrieben ward von Jovis heiligem Speere.<br /></span>
-<span class="i0">Man freute sich darauf mit um so größerer Lust,<br /></span>
-<span class="i0">Als man bereits die allzu süße, matte<br /></span>
-<span class="i0">Kreuzlimonade etwas über hatte.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Es waren ja Heiden: Heiden im Theater!<br /></span>
-<span class="i0">O armer Gelasim, wie wird es dir ergehn!<br /></span>
-<span class="i0">Die Gnade leuchtet dir. Jedoch an einem Krater.<br /></span>
-<span class="i0">Sie mache blind dich, nicht hinabzusehn! &ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Getrost! Ein Herz war bei ihm, das zum Vater<br /></span>
-<span class="i0">Der Liebe betete, ihm beizustehn.<br /></span>
-<span class="i0">Wie stärkender Tau fiel in das glutverdorrte<br /></span>
-<span class="i0">Herz himmelher ihm jedes ihrer Worte.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_181">[181]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Ein klarer Held, aufrecht, mit starken Schritten,<br /></span>
-<span class="i0">Betrat Gelasimus den Schauplatz. Groß<br /></span>
-<span class="i0">Schritt er zum schwarzen Kreuze, das inmitten<br /></span>
-<span class="i0">Von unterirdischen Gräbern stand. Getos<br /></span>
-<span class="i0">Heidnischen Volks bestürmte ihn mit Bitten,<br /></span>
-<span class="i0">Zurückzukehren in der Götter Schoß.&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Dies war der Auftakt. &ndash; Stille nun. &ndash; Dann wollte<br /></span>
-<span class="i0">Die Rolle, daß dem Kreuz er fluchen sollte.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er aber kniete nieder. Und er legte<br /></span>
-<span class="i0">Auf Christi Fuß die Stirne: ganz entrückt,<br /></span>
-<span class="i0">Indes die Lippen im Gebet er regte.<br /></span>
-<span class="i0">Dann hob das Haupt er, lächelte verzückt,<br /></span>
-<span class="i0">Stand ruhig auf, schritt ruhig vor, bewegte<br /></span>
-<span class="i0">Nicht eine Miene, bis er tief gebückt,<br /></span>
-<span class="i0">Das Kreuz des Schwertgriffs küßte, lippenbebend,<br /></span>
-<span class="i0">Die ganze Seele in den Kuß hingebend.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das Publikum, durch diese Pantomime<br /></span>
-<span class="i0">Vor Staunen fast um den Verstand gebracht,<br /></span>
-<span class="i0">Schwieg noch. Nur einer rief: »O Gelasime,<a id="FNanchor_9_9"></a><a href="#Footnote_9_9" class="fnanchor">9</a><br /></span>
-<span class="i0">Was hast du mir aus meinem Stück gemacht!«<br /></span>
-<span class="i0">Der Dichter war's. Doch nun, <em class="antiqua">ottave rime</em>,<br /></span>
-<span class="i0">Zieht euch zurück, denn das Gewitter kracht.<br /></span>
-<span class="i0">Bis hierher ging es mit den steifen Stanzen,<br /></span>
-<span class="i0">Jetzt aber müssen freie Rhythmen tanzen.<br /></span>
-</div></div>
-
-<div class="footnotes">
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Footnote_9_9"></a><a href="#FNanchor_9_9"><span class="label">9</span></a> Man muß es dem Dichter zugute halten, daß er falsch
-betont. Er stammte nicht aus Rom, sondern aus Jerusalem.</p></div>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wie wenn vorm ersten Stoß des nahenden Sturms die Blätter<br /></span>
-<span class="i0">Von Pappelbäumen zu zittern beginnen und rascheln,<br /></span>
-<span class="i0">Lief durch die Massen<br /></span>
-<span class="i0">Die steinernen Gassen<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_182">[182]</a></span>
-<span class="i0">Der Sitze entlang, von den Senatoren-<br /></span>
-<span class="i0">Subsellien bis zu den höchsten Emporen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Surren und Summen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Schurren und Brummen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein flirrendes Flüstern,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Schnauben aus Nüstern,<br /></span>
-<span class="i0">Ein heißes Hauchen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein pfeifendes Pfauchen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Schnarren und Schnarchen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Knarren und Knarchen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Stimmengewirre, Geschwirre, Geklirre:<br /></span>
-<span class="i0">Von allerhand widrigen Tönen kurzum<br /></span>
-<span class="i0">Ein höllisches Pandämonium.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So stimmen im Orchester disharmonisch<br /></span>
-<span class="i0">Die Instrumente Bläser, Streicher, Schläger,<br /></span>
-<span class="i0">Des Mannes harrend, der als Luftdurchsäger<br /></span>
-<span class="i0">Mit seinem Taktstock kommt, auf daß symphonisch<br /></span>
-<span class="i0">Das Ganze werde. Doch, man weiß es ja:<br /></span>
-<span class="i0">Zuweilen zeigt sich reichlich kakophonisch<br /></span>
-<span class="i0">Frau Musika.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Als Hofkapellmeister Seiner Majestät<br /></span>
-<span class="i0">Des Publikums in diesem Fall fungierte<br /></span>
-<span class="i0">Ein hagerer Priester, der den Vorsitz zierte<br /></span>
-<span class="i0">In Baalbeks Sittlichkeitssozietät,<br /></span>
-<span class="i0">Die nicht Moral allein in ihrem Wappen führte,<br /></span>
-<span class="i0">Sondern auch Schutz der Religiosität.<br /></span>
-<span class="i0">»Silentium!« krähte der Dürre schrill.<br /></span>
-<span class="i0">Und gleich war's still.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Sodann hub an<br /></span>
-<span class="i0">Der magere Mann:<br /></span>
-<span class="i0">»Verruchter Bube, was ficht dich an,<br /></span>
-<span class="i0">Unsere heiligsten Güter zu verhöhnen?<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_183">[183]</a></span>
-<span class="i0">Bestellt zum Dienste der Kamönen,<br /></span>
-<span class="i0">Hast das Theater du entweiht<br /></span>
-<span class="i0">Zum Schauplatz scheußlichster Verkommenheit.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Du hast's gewagt, dich zu bekennen<br /></span>
-<span class="i0">Zu einer Lehre, die so niedrig ist,<br /></span>
-<span class="i0">Daß, grauser Aberwitz, nicht auszunennen,<br /></span>
-<span class="i0">Sie einen Juden namens Christ<br /></span>
-<span class="i0">Als Gott verehrt, den römische Justiz<br /></span>
-<span class="i0">Verurteilt hat zum Malefiz-<br /></span>
-<span class="i0">Kreuzgalgen, und verehrst, was jeden Braven<br /></span>
-<span class="i0">Mit Schauder packt: das Marterholz der Sklaven.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Beim Zeus! Die Frechheit kann nicht weitergehn!<br /></span>
-<span class="i0">Im Niedrigen das Göttliche zu sehn,<br /></span>
-<span class="i0">Die ewigen, großen<br /></span>
-<span class="i0">Götter vom Thron<br /></span>
-<span class="i0">Herabzustoßen<br /></span>
-<span class="i0">Und, Blasphemie, als Gottes Sohn<br /></span>
-<span class="i0">An ihre Stelle einen Schwerverbrecher,<br /></span>
-<span class="i0">Bestraft nach heiligem römischen Recht,<br /></span>
-<span class="i0">Zu setzen: Was bisher auch frecher<br /></span>
-<span class="i0">Anarchischer Pöbelwahn sich erfrecht:<br /></span>
-<span class="i0">Dies ist der Gipfel! Seit die Welt besteht,<br /></span>
-<span class="i0">Ward so der heiligen Wahrheit Majestät<br /></span>
-<span class="i0">Nicht ins Gesicht gespien!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">(Hier machte eine Pause,<br /></span>
-<span class="i0">Begierig nach Applause,<br /></span>
-<span class="i0">Der orthodoxe Mann.<br /></span>
-<span class="i0">Der setzte prompt und pünktlich ein<br /></span>
-<span class="i0">Mit Bravorufen, Toben, Schrein.<br /></span>
-<span class="i0">Doch als das Publikum genug geschrien,<br /></span>
-<span class="i0">Fing er aufs neue an:)<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_184">[184]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">»Du liegst noch immer auf den Knien?<br /></span>
-<span class="i0">Steh auf, ich sage dir, steh auf!<br /></span>
-<span class="i0">Dem Trotzigen wird nicht verziehn,<br /></span>
-<span class="i0">Und die Gerechtigkeit nimmt reißend schnellen Lauf,<br /></span>
-<span class="i0">Stößt sie auf Störrischkeit:<br /></span>
-<span class="i0">Nur wenn zur rechten Zeit<br /></span>
-<span class="i0">Der Sünder in sich gehet,<br /></span>
-<span class="i0">Geschied's vielleicht,<br /></span>
-<span class="i0">Daß sie, erweicht,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn er recht innig flehet,<br /></span>
-<span class="i0">Ihm gnädiglich verzeiht.«<br /></span>
-<span class="i0">(Dies sagte er in jenem Ton,<br /></span>
-<span class="i0">Der, salbenseimig, allen Pfaffen,<br /></span>
-<span class="i0">Als sei ihr Mund zum Salbennapf geschaffen,<br /></span>
-<span class="i0">Wie Schmalz entschwappt seit Olims Zeiten schon.)<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und es ward totenstill. Das Publikum<br /></span>
-<span class="i0">Zwang seine Gier zurück: aus <em class="gesperrt">Spannung</em> stumm,<br /></span>
-<span class="i0">Nicht aus Verzicht auf das geliebte Toben.<br /></span>
-<span class="i0">Die Bestie hatte schon das Prankenpaar erhoben,<br /></span>
-<span class="i0">Zum Sprung gefedert lag der Rücken krumm.<br /></span>
-<span class="i0">Die Tausende waren eins: <em class="gesperrt">ein Vieh</em> geworden.<br /></span>
-<span class="i0">Und dieses Vieh, geeint aus Wut,<br /></span>
-<span class="i0">War geil auf Blut<br /></span>
-<span class="i0">Und leckte<br /></span>
-<span class="i0">Die Lippen schon und bleckte<br /></span>
-<span class="i0">Die Zähne zum ersehnten Morden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch dieses Ungetüm, wie wild es sah,<br /></span>
-<span class="i0">Und wie sein Atem keuchte:<br /></span>
-<span class="i0">Für unsern Knieer war es gar nicht da.<br /></span>
-<span class="i0">Er sah nur Licht und Leuchte:<br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Ihr</em> Herz: wie aus Rubinenglas<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_185">[185]</a></span>
-<span class="i0">Ein Kelch es ihm bedeuchte,<br /></span>
-<span class="i0">Voll von dem Blute Golgathas.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und horch, es hob ein Zwiegesang<br /></span>
-<span class="i0">Aus seinem Mund und ihrem sich,<br /></span>
-<span class="i0">Geschwisterlich,<br /></span>
-<span class="i0">Als wie aus einem Munde;<br /></span>
-<span class="i0">Der klang nicht klagend, klang nicht bang,<br /></span>
-<span class="i0">Klang selig, selig, selig, klang<br /></span>
-<span class="i0">Wie <span id="corr185">zehrende</span> Liebeskunde:<br /></span>
-<span class="i0">»Mein Herzverlangen!<br /></span>
-<span class="i0">Mein Armumfangen!<br /></span>
-<span class="i0">Auf der Weide meiner Liebe holdseliges Lamm!<br /></span>
-<span class="i0">Ich atme dich aus, ich atme dich ein,<br /></span>
-<span class="i0">Du mein Morgenwind, Abendwind, Sonnenschein!<br /></span>
-<span class="i0">(Er) Süße Braut, (Sie) Süßer Bräutigam,<br /></span>
-<span class="i0">Von Jesus mir gegeben<br /></span>
-<span class="i0">Zum bittern Tod,<br /></span>
-<span class="i0">Vielsüßerm Leben!<br /></span>
-<span class="i0">Halleluja!<br /></span>
-<span class="i0">Der Hochzeit entgegen<br /></span>
-<span class="i0">Auf blutigen Wegen<br /></span>
-<span class="i0">Leidselig zu gehn,<br /></span>
-<span class="i0">Gib, gib deine Hände!<br /></span>
-<span class="i0">Wir werden ihn sehn:<br /></span>
-<span class="i0">An Weges Ende<br /></span>
-<span class="i0">Wird Jesus stehn!<br /></span>
-<span class="i0">Halleluja!<br /></span>
-<span class="i0">Wird Jesus stehn<br /></span>
-<span class="i0">Mit seinem Hochzeitssegen.<br /></span>
-<span class="i0">Jesus! Liebe!<br /></span>
-<span class="i0">Jesus! Liebe!<br /></span>
-<span class="i0"><em class="antiqua">Soli Christo gloria!</em>«<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_186">[186]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Kaum, daß der beiden Gloria verklungen,<br /></span>
-<span class="i0">Hat sich ein ungeheurer Unheilston<br /></span>
-<span class="i0">Dem Tausendmäulerungetüm entrungen:<br /></span>
-<span class="i0">Der schwoll vom Libanon zum Antilibanon.<br /></span>
-<span class="i0">Und: Die von Christus eben noch gesungen,<br /></span>
-<span class="i0">War'n auch bei ihm im Paradiese schon:<br /></span>
-<span class="i0">Das wilde Tier hat heulend sie erschlagen.<br /></span>
-<span class="i0">Genaures wußte niemand auszusagen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Zerrissen lagen sie auf blutigem Steine:<br /></span>
-<span class="i0">Ein Haufen unkenntlichen Fleischs, zerfetzt;<br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Zwei</em> lebende Körper einst: als Leiche <em class="gesperrt">eine</em>,<br /></span>
-<span class="i0">Wie auf dem Hackebrett brutal zermetzt.<br /></span>
-<span class="i0">Der Präsident vom Sittlichkeitsvereine<br /></span>
-<span class="i0">Beklagte es tief, daß das Gesetz verletzt<br /></span>
-<span class="i0">Durch Volkeseigenmächtigkeit geworden.<br /></span>
-<span class="i0">Er war prinzipiell für offizielles Morden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Menge selber, wie sie sich gespalten<br /></span>
-<span class="i0">In Individuen: keine Bestie nun,<br /></span>
-<span class="i0">Nein, lauter Biederleute: ungehalten<br /></span>
-<span class="i0">War sie nicht minder ob so wüstem Tun.<br /></span>
-<span class="i0">Man rief entrüstet, daß die Gassen schallten:<br /></span>
-<span class="i0">»Wo blieb denn unser Polizeitribun?«<br /></span>
-<span class="i0">Dann lief mit roten Köpfen man nach Hause,<br /></span>
-<span class="i0">Und sehr bewegt verlief die Vesperjause.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Indessen senkte sich violenfarben<br /></span>
-<span class="i0">Die Dämmrung nieder auf die Stadt von Stein;<br /></span>
-<span class="i0">Dann kam die Nacht mit ihren Sternengarben<br /></span>
-<span class="i0">Und lud zur Ruhe und zur Wollust ein;<br /></span>
-<span class="i0">Die bunten Lupanarlaternen warben<br /></span>
-<span class="i0">Wie jede Nacht zur Liebe und zum Wein,<br /></span>
-<span class="i0">Und mancher starke Geist, in Liebeshitze,<br /></span>
-<span class="i0">Verübte auf die toten Christenschweine Witze.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_187">[187]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So ist das Leben. Bis im Grab wir liegen,<br /></span>
-<span class="i0">Beschreiten eine Erde wir aus Dreck.<br /></span>
-<span class="i0">Nur die Gedanken und Gefühle fliegen.<br /></span>
-<span class="i0">Hermann Conradi proklamierte keck:<br /></span>
-<span class="i0">»Nur wer das Leben überstinkt, wird siegen!«<br /></span>
-<span class="i0">Doch, frag' ich: hat dies Siegen einen Zweck?<br /></span>
-<span class="i0">Ist, recht besehn, die blutige Martyrkrone,<br /></span>
-<span class="i0">Gleichviel um was, am Ende doch nicht ohne?<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wie wird das Leben heute überstunken!<br /></span>
-<span class="i0">So siegreich, daß uns Übelkeit erfaßt.<br /></span>
-<span class="i0">Gestank, du siegst! Die Welt ist jauchetrunken.<br /></span>
-<span class="i0">Ihr Gott heißt Bauch, ihr Gottesdienst heißt Mast.<br /></span>
-<span class="i0">Geheimnisvoll bedienen uns die Funken<br /></span>
-<span class="i0">Der Ätherkraft. Jedoch es scheint verpaßt<br /></span>
-<span class="i0">Der Anschluß an die höchste Hochspannleitung.<br /></span>
-<span class="i0">Sogar Begeisterung stinkt: stinkt nach der Zeitung.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Genug davon! Mich als Savonarola<br /></span>
-<span class="i0">Hier aufzuspielen, liegt mir völlig fern.<br /></span>
-<span class="i0">Ich hasse ihn. Auch zieh' ich Emil Zola<br /></span>
-<span class="i0">Dem großen Frenssen doch noch vor. Die Herrn,<br /></span>
-<span class="i0">Die zum Erbrechen auf der Pianola<br /></span>
-<span class="i0">Choräle treten, schlecht und subaltern,<br /></span>
-<span class="i0">Beleidigen mein Geruchsorgan nicht minder,<br /></span>
-<span class="i0">Als jene Bauchlakain im Glanzzylinder.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Sie preisen Christum hunderttausendzeilig;<br /></span>
-<span class="i0">Ihr Tintenfinger weist auf ihn verzückt;<br /></span>
-<span class="i0">Und, weil sie quabblig weich wie Laich und langeweilig,<br /></span>
-<span class="i0">Hat sie der deutsche Ernst mit Ruhmsalat geschmückt.<br /></span>
-<span class="i0">Erschien ihr Herr und Heiland heute: eilig<br /></span>
-<span class="i0">Erklärte dies Geschlecht ihn für verrückt.<br /></span>
-<span class="i0">Er aber nähme an den weißen Bäffchen<br /></span>
-<span class="i0">Unsänftlich diese Wonnewinseläffchen.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_188">[188]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Er war die Liebe. Ja. Doch nicht die laue,<br /></span>
-<span class="i0">Die spülichtduldsam in den Pfaffentrog<br /></span>
-<span class="i0">Jedweden Quark befördert; nicht die schlaue,<br /></span>
-<span class="i0">Die bald als Zepter schlug, bald sich wie Binse bog:<br /></span>
-<span class="i0">Die zornige Liebe war er, Schwert und Klaue<br /></span>
-<span class="i0">Der Waffenlosen; kurz: kein Theolog.<br /></span>
-<span class="i0">Doch, weil er wirklich himmelgroß gewesen,<br /></span>
-<span class="i0">Läßt sich aus seiner Lehre alles lesen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Auch unser liebes Christentum. Wer immer<br /></span>
-<span class="i0">Sich Christ nennt, tut's mit Recht. Es ruht auf ihm,<br /></span>
-<span class="i0">Wie könnt' es anders sein, ein kleiner Schimmer<br /></span>
-<span class="i0">Aus Jesu Herzen. Völlig legitim<br /></span>
-<span class="i0">Ist dieser Titel. Wird er Herzensstimmer<br /></span>
-<span class="i0">Zu Rausch und Aufschwung, wie bei Gelasim,<br /></span>
-<span class="i0">So ist er mehr: Ist Geist von Christi Geiste,<br /></span>
-<span class="i0">Und sei auch Wahn dabei das allermeiste.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wahn!? Was ist Wahn! Was so im Menschen zündet,<br /></span>
-<span class="i0">Daß er zur Flamme wird, die sich verzehrt;<br /></span>
-<span class="i0">Zum Glutstrom, der aus seliger Freiheit mündet<br /></span>
-<span class="i0">Ins All, ins Nichts; von keiner Angst beschwert,<br /></span>
-<span class="i0">Durch Tat das Wort: Wo ist dein Stachel, Tod? verkündet&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Ist mehr als alle faule Wahrheit wert.<br /></span>
-<span class="i0">Schwer ist das Sterben. Wer's als Meister leistet:<br /></span>
-<span class="i0">Den Tod zur Kunst macht, der ist gottdurchgeistet.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So ward ein Mime heilig, weil am Ende<br /></span>
-<span class="i0">Von vieler Eitelkeit und Narretei<br /></span>
-<span class="i0">Sein Leben er wie eine Opferspende<br /></span>
-<span class="i0">An Gott gab. Ganz egal, ob der der rechte sei,<br /></span>
-<span class="i0">Ob ein Idol gewesen. Seine Hände<br /></span>
-<span class="i0">Wusch Herr Pilatus, dem das Volksgeschrei<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_189">[189]</a></span>
-<span class="i0">Wie aufgewirbelter Schmutz vorkam, und fragte,<br /></span>
-<span class="i0">Worauf kein Gott: jedoch die Zeit bald Antwort sagte.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Wahr ist, was wirkt.</em> Der große Baal war Wahrheit;<br /></span>
-<span class="i0">Der große Zeus desgleichen; Jahve auch;<br /></span>
-<span class="i0">Und Christus, kommend aus der großen Klarheit,<br /></span>
-<span class="i0">Das jene tot, hat mit der Liebe Hauch,<br /></span>
-<span class="i0">Der problematischen, in Offenbarheit<br /></span>
-<span class="i0">Ins Nichts vertrieben ihrer Opfer Rauch.<br /></span>
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Wahr ist der Geist, der wirkend souveräne.</em><br /></span>
-<span class="i0">Dogma ist Aas. Wer liebt das? Die Hyäne.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Gelasimus, den heiligen Mimen, haben<br /></span>
-<span class="i0">Die Christen Baalbeks noch in gleicher Nacht<br /></span>
-<span class="i0">In Mariamna feierlich begraben.<br /></span>
-<span class="i0">Auch jene haben sie dorthin gebracht,<br /></span>
-<span class="i0">Die ihn erfüllte mit des Glaubens Gaben.<br /></span>
-<span class="i0">Doch ihres Namens wurde nicht gedacht.<br /></span>
-<span class="i0">Vergessen ist sie: eine Namenlose.<br /></span>
-<span class="i0">Denn Gelasim besaß die größere Pose.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So schließt denn leider diese Novellette<br /></span>
-<span class="i0">Moralisch zwar, doch etwas angeeckt:<br /></span>
-<span class="i0">Selbst in Legenden geht's wie beim Ballette<br /></span>
-<span class="i0">Nicht nach Verdienst bloß zu, nein, nach Effekt:<br /></span>
-<span class="i0">Wer vorne tanzt, der nur wird vom Parkette<br /></span>
-<span class="i0">Beopernguckt und mit Applaus bedeckt.<br /></span>
-<span class="i0">Ob Heiligen-, ob braune Kassenscheine:<br /></span>
-<span class="i0">Die Hintergrundtalente kriegen keine.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Gleichviel: Jungfrauen mit der Gloriole<br /></span>
-<span class="i0">Gibt's ohnehin schon eine große Schar,<br /></span>
-<span class="i0">Indes ein Mime mit der Tänzersohle<br /></span>
-<span class="i0">Als Heiliger ein großes Novum war:<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_190">[190]</a></span>
-<span class="i0">Die Kirche brauchte ihn zum Seelenwohle<br /></span>
-<span class="i0">Der Mimenschaft, die, wäre sie heiligenbar,<br /></span>
-<span class="i0">Am Ende in Verlegenheiten käme,<br /></span>
-<span class="i0">Wen sie beim Herrgott sich zum Fürsprech nähme.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Zwar sagt man, daß sie nicht sehr häufig beten,<br /></span>
-<span class="i0">Die untenher das Licht der Rampe trifft,<br /></span>
-<span class="i0">Daß sie, gottloser fast noch als Poeten,<br /></span>
-<span class="i0">Voll sind von aller Skeptizismen Gift.<br /></span>
-<span class="i0">Das ist Verleumdung: Fehlen die Moneten,<br /></span>
-<span class="i0">Ist man viel frömmer als im Damenstift,<br /></span>
-<span class="i0">Im Reich der Schminke. Und sie fehlen häufig:<br /></span>
-<span class="i0">Drum ist den Mimen Beten sehr geläufig.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wenn sich der Monat neigt zum kahlen Ende,<br /></span>
-<span class="i0">Hat Gelasim unendlich viel zu tun,<br /></span>
-<span class="i0">Am Anfang weniger. Dann läßt die Hände<br /></span>
-<span class="i0">Gemütlich er im heiligen Schoße ruhn<br /></span>
-<span class="i0">Und überdenkt die eigene Legende:<br /></span>
-<span class="i0">Es ist, wie's war, war ehedem, wie nun:<br /></span>
-<span class="i0">Der Mensch hat's mit dem Beten nicht sehr eilig&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Ich wurde selbst auch Ultimo erst heilig.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_191">[191]</a></span></p>
-
-<h2 id="Gedichte">Gedichte.</h2>
-
-<h3 id="Flussfahrt">Flußfahrt im Frühling</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Welch ein Ziehen! Welch ein Gleiten!<br /></span>
-<span class="i0">Zwischen Schilf und alten Weiden,<br /></span>
-<span class="i0">Die sich beugen, die sich neigen,<br /></span>
-<span class="i0">Fahren wir &ndash; wohin? … wohin?<br /></span>
-<span class="i0">Laßt das Fragen! Laßt uns schweigen!<br /></span>
-<span class="i0">Welle mag den Weg uns zeigen,<br /></span>
-<span class="i0">Führerin und Trägerin.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wie im Leben hingetrieben,<br /></span>
-<span class="i0">Schwankend, schwebend, fortgezogen,<br /></span>
-<span class="i0">Wollen wir des Flusses Bogen<br /></span>
-<span class="i0">Träumend folgen und ihn lieben,<br /></span>
-<span class="i0">Der uns so ins Weite trägt.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">&ndash; Wird es helle sein am Ziele?<br /></span>
-<span class="i0">Dunkel? &ndash; Wehe dem, der frägt!<br /></span>
-<span class="i0">Fragen gibt es allzuviele,<br /></span>
-<span class="i0">Antwort eine nur. &ndash; Es regt<br /></span>
-<span class="i0">Hohl sich unter unserm Kiele.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Laßt um unsere heißen Hände<br /></span>
-<span class="i0">Diese kühlen Fluten streichen.<br /></span>
-<span class="i0">Nixenseelchen, nehmt's als Zeichen<br /></span>
-<span class="i0">Unserer stillen Liebe an!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_192">[192]</a></span>
-<span class="i0">&ndash; Ach, wen eure Liebe fände:<br /></span>
-<span class="i0">Tiefstes wüßte wohl der Mann&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">Doch er schwiege bis ans Ende.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Aber wir … nein!&nbsp;&ndash;: Laßt uns sagen,<br /></span>
-<span class="i0">Was durch unsre Seele geht!<br /></span>
-<span class="i0">Wind und Wasser sollen's tragen,<br /></span>
-<span class="i0">Daß es durch den Frühling weht:<br /></span>
-<span class="i0">Frisches, fröhliches Behagen,<br /></span>
-<span class="i0">Lust am Nachten und am Tagen<br /></span>
-<span class="i0">Leben, das in Blüten steht.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Der_stille_alte_Goethe">Der stille alte Goethe.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Auf meinem grünen Kachelofen in meinem grünen Schlafkabinette,<br /></span>
-<span class="i0">Schräg gegenüber meinem gelben Messingbette,<br /></span>
-<span class="i0">Steht Christian Rauchs kleine Goethestatuette.<br /></span>
-<span class="i0">Von der grünen Tapete bekommt sie einen grünen Schein.<br /></span>
-<span class="i0">Sie ist bloß aus Gips, und Frau Lisette<br /></span>
-<span class="i0">Findet, daß sie kein Verhältnis zum Ofen hätte:<br /></span>
-<span class="i0">Sie sei zu klein.<br /></span>
-<span class="i0">Aber, seh ich sie an, fällt mir allerhand ein,<br /></span>
-<span class="i0">Was ich (nicht im Schlafzimmer) zu tun noch hätte:<br /></span>
-<span class="i0">Der stille alte Goethe mahnt, tätig zu sein.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Des_Helden_Not">Des Helden Not.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Feinde ringsum!<br /></span>
-<span class="i0">Hör, wie sie toben!<br /></span>
-<span class="i0">Unten und oben<br /></span>
-<span class="i0">Fall'n sie dich an.<br /></span>
-<span class="i0">Recke dich, Mann!<br /></span>
-<span class="i0">Steh nicht so stumm!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_193">[193]</a></span>
-<span class="i0">Ach, laß sie rasen,<br /></span>
-<span class="i0">Trommeln und blasen!<br /></span>
-<span class="i0">Dieses Gedräue<br /></span>
-<span class="i0">Bringt mich nicht um:<br /></span>
-<span class="i0">Aber die Reue,<br /></span>
-<span class="i0">Die macht mich stumm.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Erde_liebe_Erde">Erde, liebe Erde&nbsp;…</h3>
-</div>
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Wie eine Blüte im Mai<br /></span>
-<span class="i0">Blättert sich auf der Tag,<br /></span>
-<span class="i0">Zeigt seine nackende Schönheit der Sonne.<br /></span>
-<span class="i0">Sehen, o zaubrisches Glück! Gottselige Wonne,<br /></span>
-<span class="i0">Dies Atmen! Der Herzensschlag!<br /></span>
-<span class="i0">Schmerzen und Lüste herbei!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Ich will euch ans Herz nehmen, ans Herz drücken;<br /></span>
-<span class="i0">Dornen und Dolche sollen mich entzücken:<br /></span>
-<span class="i0">Alles was ist, ist schön und recht.<br /></span>
-<span class="i0">Erde, liebe Erde, ich bin dein Knecht.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Sudtiroler_Herbst">Südtiroler Herbst.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Gelbleuchtend steht (wie Kapuzinerkresse)<br /></span>
-<span class="i0">Der Latemar. Ein buntes Pantherfell<br /></span>
-<span class="i0">Liegt rot-gelb-braun der Mendel um die Flanken.<br /></span>
-<span class="i0">Die Rebenbogen sind von Trauben leer.<br /></span>
-<span class="i0">Aus Riesenbottichen trieft rote Maische,<br /></span>
-<span class="i0">Von feisten Rindern langsam heimgeführt<br /></span>
-<span class="i0">Zum kühlen Keller auf staubweißen Straßen,<br /></span>
-<span class="i0">Vorbei an Kruzifixen wunderlich geschmückt:<br /></span>
-<span class="i0">Dort wo die Nägel durch die Heilandshände<br /></span>
-<span class="i0">Kalt in das schwarze Marterholz sich bohren,<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_194">[194]</a></span>
-<span class="i0">Hängt, rechts und links dem vorgesenkten Haupte,<br /></span>
-<span class="i0">Prall, Beer' an Beere innig so gedrängt,<br /></span>
-<span class="i0">Als sei es <em class="gesperrt">eine</em> ungeheure Frucht:<br /></span>
-<span class="i0">Je eine schwere Traube. Durch die Krone<br /></span>
-<span class="i0">Von Dornen windet sich, Korallen gleich,<br /></span>
-<span class="i0">Aus Vogelbeeren eine rote Kette,<br /></span>
-<span class="i0">Und dunkelgelbe Kolben Türkenkorns<br /></span>
-<span class="i0">Umrahmen samengolden diesen Gott<br /></span>
-<span class="i0">Des liebehingegebenen Schmerzenglücks.<br /></span>
-<span class="i0">Es ist, als wär' es ein verstellter Pan.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Erzahlung">Erzählung.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Ein Mädchen besaß ich, fein wie ein Figürchen<br /></span>
-<span class="i0">Auf Rokokotischen galanter Marquisen;<br /></span>
-<span class="i0">Es war wohl auch wirklich verwandt mit diesen:<br /></span>
-<span class="i0">Halb war es ein Nobelchen, halb ein Hürchen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Ich fand sie entzückend mit ihrem Geschwänzel,<br /></span>
-<span class="i0">Getrippel, Geäugel, Gelächel, Geplapper.<br /></span>
-<span class="i0">Ich war so ein junger mutwilliger Tapper,<br /></span>
-<span class="i0">Mein Gehen war auch noch Gehüpf und Getänzel.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Auch war ich ein Träumer und Wolkenbeschauer;<br /></span>
-<span class="i0">Ich sah um die Dinge noch goldene Ränder.<br /></span>
-<span class="i0">Der Mond war mein Krongut; in meinem Kalender<br /></span>
-<span class="i0">Hatte der Frühling zwölf Monate Dauer.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">So waren wir also ein passendes Pärchen.<br /></span>
-<span class="i0">Sie tanzte, ich dichtete, Gott blies die Flöte<br /></span>
-<span class="i0">Und freute sich selber der purpurnen Röte<br /></span>
-<span class="i0">Des Himmels, in dem wir das munterste Märchen<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und aller Romane verliebtesten lebten:<br /></span>
-<span class="i0">Von Träumen getragen, von Liedern belogen,<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_195">[195]</a></span>
-<span class="i0">In goldener Nußschale schwimmend auf Wogen<br /></span>
-<span class="i0">Und Wolken, die rosig ins Nichts verschwebten.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">… Ins Nichts verschwebten; verrannen; vergingen;<br /></span>
-<span class="i0">Zerflossen, zerrissen &ndash; ins Nichts, in die Leere&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">Uns aber erfaßte die irdische Schwere<br /></span>
-<span class="i0">Und zerrte uns nieder mit würgenden Schlingen.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da half uns kein Gott. Es verstummte die Flöte<br /></span>
-<span class="i0">Des Märchenpapas und Idyllenrhapsoden.<br /></span>
-<span class="i0">Wir fielen auf dornigen, steinigen Boden,<br /></span>
-<span class="i0">Und zwischen uns saß eine zankende Kröte:<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die kahle Enttäuschung. Es lehrte ihr Zanken<br /></span>
-<span class="i0">Unlieblich uns beide einander erkennen.<br /></span>
-<span class="i0">Es war wie ein Aneinanderverbrennen<br /></span>
-<span class="i0">Bis tief auf den grundallerletzten Gedanken.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">An jenes Schmarotzen im Märchengelände.&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Wir haben die Hand uns zum Abschied gegeben<br /></span>
-<span class="i0">Wie Fremde. Nie sah ich sie wieder im Leben.<br /></span>
-<span class="i0">Und kännte sie nicht, auch wenn ich sie fände.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Der_Verliebte">Der Verliebte.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Was mir Busch und Bäume sagen<br /></span>
-<span class="i0">Und die Blumen bunt und licht,<br /></span>
-<span class="i0">Ach, ich muß es in mir tragen,<br /></span>
-<span class="i0">Weitersagen darf ich's nicht.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Denn ich müßte tief verzagen,<br /></span>
-<span class="i0">Fänd' es gute Stätte nicht,<br /></span>
-<span class="i0">Was mir Busch und Bäume sagen<br /></span>
-<span class="i0">Und die Blumen bunt und licht.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_196">[196]</a></span></p>
-
-<h3 id="Seele">Seele!</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Singe, solange du Atem hast!<br /></span>
-<span class="i0">Singe, solange du Seele bist!<br /></span>
-<span class="i0">Einst, es naht sich der Würger schon,<br /></span>
-<span class="i0">Ringst du ein letztes Mal nach Luft,<br /></span>
-<span class="i0">Und deine Seele gehört<br /></span>
-<span class="i0">Dir nicht mehr. Wer weiß<br /></span>
-<span class="i0">Wem.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Grabschrift">Grabschrift für meinen Vater.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Ein Herz, das viel gelitten,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Mund, der gern gelacht,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Kämpfer, der gestritten<br /></span>
-<span class="i0">Mit böser Übermacht,<br /></span>
-<span class="i0">Ein Mann mit regen Händen,<br /></span>
-<span class="i0">Ein guter, treuer Mann:<br /></span>
-<span class="i0">Wohl Dem, der wie Er enden<br /></span>
-<span class="i0">Mit reiner Seele kann.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Lyrikerasten">Lyrikerasten.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Sahst du, o Freund, die holden Knaben,<br /></span>
-<span class="i0">Die an der Kranzler-Ecke stehn,<br /></span>
-<span class="i0">Aus Seide rote Schlipse haben<br /></span>
-<span class="i0">Und lächelnd auf und nieder gehn?<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Sie spitzen die gefärbten Lippen<br /></span>
-<span class="i0">Und äugeln sonderbar lasziv,<br /></span>
-<span class="i0">Und, kommst du ihnen nah, so tippen<br /></span>
-<span class="i0">Sie dich wohl an und legen schief<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das Köpfchen mit gebrannten Haaren,<br /></span>
-<span class="i0">Und ihre Blicke himmeln dich<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_197">[197]</a></span>
-<span class="i0">Sehnsüchtig an. Kurz, ihr Gebaren<br /></span>
-<span class="i0">Ist immerhin absonderlich.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0"><em class="gesperrt">Abscheulich</em>, meinst du? Laß das Zanken!<br /></span>
-<span class="i0">Es ist nicht schön; ich geb' es zu;<br /></span>
-<span class="i0">Wir wollen unserm Schöpfer danken,<br /></span>
-<span class="i0">Daß wir nicht so sind, ich und du;<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch nicht uns besser dünken, meinen,<br /></span>
-<span class="i0">Es müßten alle sein wie wir.<br /></span>
-<span class="i0">Hat nun die Liebe mehr als <em class="gesperrt">einen</em><br /></span>
-<span class="i0">Ausweg &ndash; jenun: so gönn' ihn ihr.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Selbst das muß man mit Gleichmut tragen,<br /></span>
-<span class="i0">Daß derlei Knaben (es ist bös)<br /></span>
-<span class="i0">Auf ihre Art die Leier schlagen,<br /></span>
-<span class="i0">So scheußlich süß, so sirupös,<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Und daß es Mode wird, zu schminken<br /></span>
-<span class="i0">Die Lippen selbst der Poesie.<br /></span>
-<span class="i0">Auch diese Mode wird versinken,<br /></span>
-<span class="i0">Absurditäten dauern nie.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das Zeug schmeckt bald auch denen fade,<br /></span>
-<span class="i0">Die jetzt dran schlecken: Zuckerkant,<br /></span>
-<span class="i0">Lakritzensaft und Limonade<br /></span>
-<span class="i0">Wird auf die Dauer degoutant.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Schwein_und_Pfau">Schwein und Pfau (Eine fatale Fabel).</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Es war einmal ein<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Hastunichgesehn!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Es war einmal ein Schwein.<br /></span>
-<span class="i0">Das war gewöhnlich<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Hastunichgesehn!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Gewöhnlich nicht sehr rein.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_198">[198]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Im gleichen Hofe<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Da schlug sein Rad ein Pfau;<br /></span>
-<span class="i0">Der war so schön wie<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Nicht einmal seine Frau.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Das Schwein das grunzte<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Hastunichgesehn!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Und wälzte sich im Dreck.<br /></span>
-<span class="i0">Der Pfau der kreischte<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Und sah beleidigt weg.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da kam ein Fleischer<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Hastunichgesehn!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Und schlachtete das Schwein.<br /></span>
-<span class="i0">Das kommt davon, sprach<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Der Pfau, wenn man nicht rein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Mir kann so etwas<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Mein Lebtag nicht geschehn,<br /></span>
-<span class="i0">Weil ich so rein und<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">So schön bin anzusehn.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Da kam ein Bauer<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Hastunichgesehn!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Und riß dem armen Vieh<br /></span>
-<span class="i0">Die Federn aus, daß<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Herrgottnocheinmal!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Es wie am Spieße schrie.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_199">[199]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Die Fabel lehrt uns,<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Leider ist es wahr!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Das Leben ist nicht fein.<br /></span>
-<span class="i0">Der Dreck macht fett, doch<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Leider ist es wahr!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Schlachtet man drum das Schwein.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch Schönheit leidet<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Leider ist es wahr!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Viel mehr als Todespein.<br /></span>
-<span class="i0">Sie wird lebendig<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Leider ist es wahr!&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Gerupft, weil sie zu rein.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Wegweiser">Wegweiser.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Folg dir in dich!<br /></span>
-<span class="i0">Und wenn du auch erschrickst<br /></span>
-<span class="i0">Vor den Gestalten, die du dort erblickst:<br /></span>
-<span class="i0">Folg dir in dich!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Hast du nur dich<br /></span>
-<span class="i0">Und hältst du dich recht fest,<br /></span>
-<span class="i0">So bist du stark, ob alles dich verläßt:<br /></span>
-<span class="i0">Hast du nur dich!<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Gott_sei_Dank">Gott sei Dank!</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Viele Feinde hab' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Manche Maulschell' gab ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Manchen Puff bekam ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_200">[200]</a></span>
-<span class="i0">Manchen Graben nahm ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Selten nur mal fiel ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Will ich treffen, ziel' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Schönes, o, das seh' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Stinkt es wo, da geh' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wie ich lebe, leb' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Will ich nehmen, geb' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Irrtum den beklag' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Meine Fehler trag' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Größe respektier' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Dünkel ignorier' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Witzigen Tadel leid' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Plumpes Lob vermeid' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Was mich fördert, lern' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Leeres Stroh entfern' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_201">[201]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wer mich kränkt, den kränk' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Wer mir schenkt, dem schenk' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Schwächliches bereu' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Starkem halte Treu' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meine Frau verehr' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Von ihrer Liebe zehr' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meine Gaben pfleg' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Auch die Triebe heg' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Viele Lüste büßt' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Laster die versüßt' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meine Kunst, die kann ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Halbem Glück entrann ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Dumpfes Sehnen haß ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Den Moment erfaß ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_202">[202]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Fiel ich mal: bald stand ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Stets mich wieder fand ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Manchen Unsinn trieb ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Manchen Lufthieb hieb ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meinen Sinnen trau' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Auf meinen Glauben bau' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meinem Freund gehör' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Auf die Freundschaft schwör' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Meine Feinde haß ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Falsche Freunde laß ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Echte Hoheit krön' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Gerngroßtum verhöhn' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Ruhe, Klarheit such' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Aller Trübe fluch' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_203">[203]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Viele Verse mach' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-<span class="i0">Schimpft man drüber, lach' ich,<br /></span>
-<span class="i0">Gott sei Dank!<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Unser_Schloss">Unser Schloß.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Ich träumte mich in einen tiefen Wald&nbsp;…<br /></span>
-<span class="i0">Ich wanderte dem Lied der Vögel nach;<br /></span>
-<span class="i0">Auf schmalen Wegen über Wurzeln weg<br /></span>
-<span class="i0">Schritt ich und strauchelte doch nie: es war<br /></span>
-<span class="i0">Im Gehn ein Schweben. &ndash; Eine Stimme sang<br /></span>
-<span class="i0">Ganz leise in mir: Siehe, heute noch<br /></span>
-<span class="i0">Bist du zu Hause … Immer grüner ward<br /></span>
-<span class="i0">Es rings um mich, und alles fiel von mir,<br /></span>
-<span class="i0">Das mich bebürdet. Und der Welt Geräusch<br /></span>
-<span class="i0">Verhallte hinter mir. Die Vögel selbst<br /></span>
-<span class="i0">Verstummten. Nur das leise Wipfelwehn<br /></span>
-<span class="i0">Umrauschte mich: dies süße Schlummerlied<br /></span>
-<span class="i0">Der großen Stille, das die Träume ruft,<br /></span>
-<span class="i0">Die samtenen Nachtfalter: braun und schwarz<br /></span>
-<span class="i0">Mit goldenen Fühlern, die wie Palmen sind<br /></span>
-<span class="i0">Aus seidenen Rispen, und mit blinden Augen,<br /></span>
-<span class="i0">Die mehr erblicken, als jemals der Tag<br /></span>
-<span class="i0">In seiner harten Grelle zeigt … Da stand<br /></span>
-<span class="i0">Ein kleines Schloß an einem Teich vor mir.<br /></span>
-<span class="i0">Drei große schwarze Schwäne glitten sanft<br /></span>
-<span class="i0">Auf seinem Spiegel, drauf der Abendschein<br /></span>
-<span class="i0">Gelb lag gleich einem welken Rosenblatt.<br /></span>
-<span class="i0">Das Schloß war ganz aus amethystnem Quarz,<br /></span>
-<span class="i0">Violenblau, goldäderig, gebaut;<br /></span>
-<span class="i0">Die Türen bronzen, grünlich-schwarz: als Schild<br /></span>
-<span class="i0">Das Bild der Sonne drauf: <em class="gesperrt">Ihr</em> Bild, die mich<br /></span>
-<span class="i0">(Ich fühlt' es nun) in diesen Zauber rief.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_204">[204]</a></span>
-<span class="i0">&ndash;:&nbsp;Wo bist du? sagt' ich leise vor mich hin.<br /></span>
-<span class="i0">&ndash;:&nbsp;Lädst du mich ein in unser Glück, das wir,<br /></span>
-<span class="i0">In unsrer Herzen Gleichklang wortelos<br /></span>
-<span class="i0">Uns ganz verstehend, Tag für Tag<br /></span>
-<span class="i0">Aufrecht im Glauben suchen: niemals ganz<br /></span>
-<span class="i0">Verzagend, ob auch manches Mal<br /></span>
-<span class="i0">Im Düster irrend: &ndash; hast du mir erbaut<br /></span>
-<span class="i0">Dies Schloß aus hellem Gold und Veilchenblau?<br /></span>
-<span class="i0">&ndash; Da taten sich die Bronzeflügel auf,<br /></span>
-<span class="i0">Den Sonnenschild zerteilend, und sie stand:<br /></span>
-<span class="i0">Minerva mit dem Speere, im Geviert<br /></span>
-<span class="i0">Des hohen Eingangs, aber lächelnd wie<br /></span>
-<span class="i0">Die Liebesgöttin und die Mutter Gottes da:<br /></span>
-<span class="i0">Und ihre Blicke überstrahlten mich<br /></span>
-<span class="i0">Wie aller Menschenliebe Inbegriff.<br /></span>
-</div></div>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<h3 id="Die_Reise">Die Reise ohne Fahrplan.</h3>
-</div>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">In diese rätselhafte Welt<br /></span>
-<span class="i0">Sind wir alle als Rätsel gestellt;<br /></span>
-<span class="i0">Bilden Scharaden.<br /></span>
-<span class="i0">Wer sucht den Sinn, wer findet Verstand<br /></span>
-<span class="i0">In diesem wimmelnden Allerhand?<br /></span>
-<span class="i0">Wer kann uns erraten?<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Wir selber? Kaum. Wir tauschen nichts als Zeichen,<br /></span>
-<span class="i0">Andeutungen geheimnisvoller Art;<br /></span>
-<span class="i0">Ziehn uns Signale auf und stellen Weichen,<br /></span>
-<span class="i0">Daß keiner stören mag des andern Fahrt,<br /></span>
-<span class="i0">Die ach auf sträflich unsoliden Speichen<br /></span>
-<span class="i0">Uns an ein Loch führt, keinem noch erspart:<br /></span>
-<span class="i0">An den bekannten Tunneleingang, der,<br /></span>
-<span class="i0">Wenn wir es könnten, längst vermauert wär'.<br /></span><span class="pagenum"><a id="Page_205">[205]</a></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Vielleicht studiert ein Gott das wirre Wesen,<br /></span>
-<span class="i0">Wie ein Professor dies und das studiert:<br /></span>
-<span class="i0">Bakterien, unters Mikroskop gelesen;<br /></span>
-<span class="i0">Zahlenkolumnen, mächtig aufmarschiert;<br /></span>
-<span class="i0">Vokabeln eines Dichters; welche Spesen<br /></span>
-<span class="i0">Im Haushalt der Natur die Kraft summiert.<br /></span>
-<span class="i0">Wer weiß, was einen Gott dran interessiert,&nbsp;&ndash;<br /></span>
-<span class="i0">Bis er, gelangweilt, mit dem Sturmesbesen<br /></span>
-<span class="i0">Das rätselhafte Zeug beiseite wischt:<br /></span>
-<span class="i0">Daß Laus wie Elefant zugleich verschwinden,<br /></span>
-<span class="i0">Die ganze Weltgeschichte Kehricht ist,<br /></span>
-<span class="i0">Napoleon nicht und Goethe mehr zu finden<br /></span>
-<span class="i0">Im großen schwarzen Weltentintengischt,<br /></span>
-<span class="i0">Durch das die Zeit sich ruhig weiterfrißt.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Doch kann's auch sein: Es kennt die Hieroglyphen<br /></span>
-<span class="i0">Der Irgendwer, der diese Rätsel schrieb,<br /></span>
-<span class="i0">Die nebenbei auch uns ins Leben riefen.<br /></span>
-<span class="i0">Wer weiß, vielleicht sind wir ihm wirklich lieb,<br /></span>
-<span class="i0">Und, was uns weh tut, jeder Schicksalshieb,<br /></span>
-<span class="i0">Will uns, prost Mahlzeit, will uns bloß vertiefen.<br /></span>
-<span class="i0">Es kann ja sein. Was kann nicht sein auf Erden?<br /></span>
-<span class="i0">Wir können in der Tat noch alle Engel werden.<br /></span>
-</div><div class="stanza">
-<span class="i0">Weiß Gott: Gott weiß es! Unser ist allein<br /></span>
-<span class="i0">Die Pflicht, ihm ein gefüger Stoff zu sein,<br /></span>
-<span class="i0">Auf daß uns selbst die wunderliche Erde<br /></span>
-<span class="i0">Kein Nadelkissen oder Kantenstein,<br /></span>
-<span class="i0">Sondern ein Garten voller Früchte werde.<br /></span>
-<span class="i0">Und geht es dann ins Tunnelloch hinein,<br /></span>
-<span class="i0">Soll wenigstens die Lebewohlgebärde<br /></span>
-<span class="i0">Den weiter Rätselnden kein schlechter Anblick sein.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="center p2">Ende.
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum"><a id="Page_206">[206]</a></span></p>
-
-<h2 id="Inhalt">Reife Früchte vom Bierbaum.<br />
-Inhalt.</h2>
-</div>
-
-<table summary="Inhalt">
-<tr>
-<td></td><td class="tdr">Seite</td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Einleitung</td>
- <td class="tdr"><a href="#Einleitung">3</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Skizze zum Porträt eines guten Bekannten von mir</td>
- <td class="tdr"><a href="#Skizze_zum_Portrat_eines_guten">19</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Yankeedoodle-Fahrt</td>
- <td class="tdr"><a href="#Yankeedoodle-Fahrt">27</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Die Liaisons der schönen Sara</td>
- <td class="tdr"><a href="#Die_Liaisons_der_schonen_Sara">52</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Samalio Pardulus</td>
- <td class="tdr"><a href="#Samalio_Pardulus">90</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Annemargret und die drei Junggesellen</td>
- <td class="tdr"><a href="#Annemargret_und_die_drei">131</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Der mutige Revierförster</td>
- <td class="tdr"><a href="#Der_mutige_Revierforster">157</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Der heilige Mime</td>
- <td class="tdr"><a href="#Der_heilige_Mime">169</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl">Gedichte:</td><td></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Flußfahrt im Frühling</td>
- <td class="tdr"><a href="#Flussfahrt">191</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Der stille alte Goethe</td>
- <td class="tdr"><a href="#Der_stille_alte_Goethe">192</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Des Helden Not</td>
- <td class="tdr"><a href="#Des_Helden_Not">192</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Erde, liebe Erde</td>
- <td class="tdr"><a href="#Erde_liebe_Erde">193</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Südtiroler Herbst</td>
- <td class="tdr"><a href="#Sudtiroler_Herbst">193</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Erzählung</td>
- <td class="tdr"><a href="#Erzahlung">194</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Der Verliebte</td>
- <td class="tdr"><a href="#Der_Verliebte">195</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Seele!</td>
- <td class="tdr"><a href="#Seele">196</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Grabschrift für meinen Vater</td>
- <td class="tdr"><a href="#Grabschrift">196</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Lyrikerasten</td>
- <td class="tdr"><a href="#Lyrikerasten">196</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Schwein und Pfau (Eine fatale Fabel)</td>
- <td class="tdr"><a href="#Schwein_und_Pfau">197</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Wegweiser</td>
- <td class="tdr"><a href="#Wegweiser">199</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Gott sei Dank!</td>
- <td class="tdr"><a href="#Gott_sei_Dank">199</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Unser Schloß</td>
- <td class="tdr"><a href="#Unser_Schloss">203</a></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl2">Die Reise ohne Fahrplan</td>
- <td class="tdr"><a href="#Die_Reise">204</a></td>
-</tr>
-</table>
-<hr class="chap" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Von <b>Otto Julius Bierbaum</b> erschienen folgende Werke:</p>
-</div>
-
-<p class="h3">Lyrik:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Erlebte Gedichte. Gustav Schuhr Verlag, Berlin, 1892. Jetzt
-im Inselverlag Leipzig.</p>
-
-<p>Nehmt, Frouwe, diesen Kranz. Gustav Schuhr, Berlin, 1894.
-Jetzt Inselverlag.</p>
-
-<p>Irrgarten der Liebe (34. Tausend). Inselverlag, 1901.</p>
-
-<p>Dann als »Neubestellter Irrgarten der Liebe«. (Neu angeordnet
-und vermehrt). Ders. Verlag, 1906. (35. bis 40. Tausend.)</p>
-
-<p>Das seidene Buch. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 1903.</p>
-
-<p>Maultrommel und Flöte. Georg Müller, München 1907.</p></div>
-
-<p class="h3">Erzählendes:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Studentenbeichten. Novellen. Schuster u. Loeffler, Berlin, 1. Reihe
-1891, 2. Reihe 1897. (1. Reihe 8. Aufl., 2. Reihe 6. Aufl.)</p>
-
-<p>Die Schlangendame. Novelle. Derselbe Verlag, 1893. (6. Aufl.)</p>
-
-<p>Die Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen
-Herrn Pankrazius Graunzer. Ders. Verlag, 1895. (6. Aufl.)</p>
-
-<p>Stilpe. Roman aus der Froschperspektive. Derselbe Verlag,
-1897. (8. Aufl.)</p>
-
-<p>Das schöne Mädchen von Pao. Chinesischer Roman. Derselbe
-Verlag, 1899. (3. Aufl.) (Große Künstlerausgabe mit Illustrationen
-von B. Lyers, 1909, im Verlage von Georg Müller.)</p>
-
-<p>Kaktus. Künstlergeschichten. (3. Aufl.) Derselbe Verlag, 1899.</p>
-
-<p>Annemargret und die drei Junggesellen. Novellen. Inselverlag,
-Leipzig, 1902. (Vergriffen; zum Teil übernommen
-in die »Sonderbaren Geschichten«.)</p>
-
-<p>Die Haare der heiligen Fringilla und andere Geschichten. Albert
-Langen, München, 1903. (Verschiedentlich neu aufgelegt.)</p>
-
-<p>Das höllische Automobil. Novellen. Wiener Verlag, Wien,
-1904. (Vergriffen; zum Teil übernommen in die »Sonderbaren
-Geschichten«.)</p>
-
-<p>Zäpfel Kerns Abenteuer. Kinderbuch. Georg Müller, München,
-1906. Jetzt bei Schaffstein &amp; Co., Köln. (Neue Aufl. 1910.)</p>
-
-<p>Prinz Kuckuck. Zeitroman in 3 Bdn. Georg Müller, München,
-1906/07. 12. Aufl.</p>
-
-<p>Sonderbare Geschichten. 3 Bde. Derselbe Verlag, 1908.</p></div>
-
-<p class="h3">Dramatisches:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Lobetanz. Bühnenspiel für Musik (komp. von L. Thuille). Genossenschaft
-»Pan«, Berlin, dann Schuster &amp; Loeffler,
-Berlin, 1895, jetzt Georg Müller, München.</p>
-
-<p>Gugeline. Bühnenspiel für Musik (komp. von L. Thuille).
-Inselverlag, Leipzig, 1899.</p>
-
-<p>Pan im Busch. Tanzspiel (komp. v. Felix Mottl). Inselverlag, 1899.</p>
-
-<p>Stella und Antonie. Schauspiel. Albert Langen München, 1903.</p>
-
-<p>Die vernarrte Prinzeß (komp. von O. von Chelius). Derselbe
-Verlag, 1904.</p>
-
-<p>Zwei Stilpekomödien. (Das Cénacle der Maulesel und die
-Schlangendame.) Georg Müller, München, 1905.</p>
-
-<p>Zwei Münchener Faschingsspiele (Fastnachts-Festspiele.) Albert
-Langen, München, 1905.</p>
-
-<p>Der Bräutigam wider Willen. (Komödie nach Dostojewski.)
-Wiener Verlag, Wien, 1906.</p>
-
-<p>Der Musenkrieg. Studentenkomödie für Musik. Karl Curtius,
-Berlin, 1907.</p></div>
-
-<p class="h3">Kritisches:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Die zweite Münchener Jahresausstellung Arnold Böcklin.
-<em class="antiqua">Dr.</em> E. Albert &amp; Co., München, 1890/91, vergriffen.</p>
-
-<p>Detlev von Liliencron. Wilh. Friedrich, Leipzig, 1892, vergriffen.</p>
-
-<p>Fritz von Uhde. <em class="antiqua">Dr.</em> E. Albert &amp; Co., München, 1893, vergriffen.</p>
-
-<p>Franz Stuck (Prachtwerk). Derselbe Verlag, 1893, vergriffen.</p>
-
-<p>Aus beiden Lagern. Über das erste Ausstellungsjahr in München.
-Karl Schüler, München, 1893, vergriffen.</p>
-
-<p>Franz Stuck. In der Monographienreihe von Velhagen &amp; Klasing,
-Bielefeld, 1899. (Neue Auflage 1909.)</p>
-
-<p>Hans Thoma. In der »Kunst« von Marquardt &amp; Co., Berlin,
-1903. (3. Aufl. 1909.)</p>
-
-<p>Fritz v. Uhde. In der »Kunst unserer Zeit«. Hanfstängl, München,
-1905, als Buch gänzlich umgearbeitet bei Georg Müller, 1908.</p>
-
-<p>Liliencron. Ein Essaybuch. Verlag von Georg Müller, München.</p></div>
-
-<p class="h3">Verschiedenes:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Der bunte Vogel von 1897. Kalenderbuch, Gedichte und allerhand
-Prosa. Schuster &amp; Loeffler, Berlin, 1896, jetzt Georg
-Müller, München.</p>
-
-<p>Der bunte Vogel von 1899. Derselbe Verlag, 1898, jetzt
-Georg Müller, München.</p>
-
-<p>Eine empfindsame Reise im Automobil. Reiseberichte. Marquardt
-&amp; Co., Berlin, 1903.</p>
-
-<p>Dasselbe, erweitert unter dem Titel »Mit der Kraft«. Derselbe
-Verlag, 1906.</p>
-
-<p>Die Yankeedoodle-Fahrt und andere Reisegeschichten. Georg
-Müller, München, 1910.</p></div>
-
-<p class="h3">Demnächst erscheint:</p>
-
-<div class="hang">
-
-<p>Fortuna. Ein Abenteuer in 5 Akten (mit Königsbrun-Schaup).
-Verlag von Georg Müller, München.</p></div>
-
-<hr class="chap" />
-
-<div class="transnote chapter" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.</p>
-
-<p>Korrekturen:</p>
-
-<div class="corr">
-<p>
-S. 21: achaische → archaische<br />
-Mozart, <a href="#corr021">archaische</a> Skulpturen</p>
-<p>
-S. 101: Mißgestalten → Mißgestalteten<br />
-dieses Nachtkonzert der Unholde dem <a href="#corr101">Mißgestalteten</a></p>
-<p>
-S. 185: sehrende → zehrende<br />
-Wie <a href="#corr185">zehrende</a> Liebeskunde</p>
-</div>
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Reife Früchte vom Bierbaum, by Otto Julius Bierbaum
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REIFE FRÜCHTE VOM BIERBAUM ***
-
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-To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
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-
-
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
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-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
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-
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-information can be found at the Foundation's web site and official
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-
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-
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
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-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
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-
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-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
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-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations.
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-
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
-works.
-
-Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
-concept of a library of electronic works that could be freely shared
-with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
-Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
-
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
-unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
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-
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
-
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-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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