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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-01-30 20:37:34 -0800 |
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Auflage M. 2.-- + + ·Es war.· Roman. 38. Auflage M. 5.-- + + ·Die Ehre.· Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage M. 2.-- + + ·Sodoms Ende.· Drama in 5 Akten. 23. Auflage M. 2.-- + + ·Heimat.· Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage M. 3.-- + + ·Die Schmetterlingsschlacht.· Komödie in 4 Akten + 9. Auflage M. 2.-- + + ·Das Glück im Winkel.· Schauspiel in 3 Akten + 15. und 16. Auflage M. 2.-- + + ·Morituri:· Teja. Drama in 1 Akt. -- Fritzchen. + Drama in 1 Akt. -- Das Ewig-Männliche. + Spiel in 1 Akt. 17. Auflage M. 2.-- + + ·Johannes.· Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. + 28. Auflage M. 3.-- + + ·Die drei Reiherfedern.· Dramatisches Gedicht in + 5 Akten. 14. Auflage M. 3.-- + + ·Johannisfeuer.· Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl. M. 2.-- + + ·Es lebe das Leben.· Drama in 5 Akten. 20. Aufl. M. 3.-- + + ·Der Sturmgeselle Sokrates.· Komödie in 4 Akten. + 15. Auflage M. 2.-- + + Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen + + Preis für den Einband: + + in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf. + + + + + Stein unter Steinen + + Schauspiel in vier Akten + + von + + Hermann Sudermann + + Elfte Auflage + + [Illustration] + + Stuttgart und Berlin 1905 + + J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger + + +~Copyright, 1905, by Hermann Sudermann~ + +Alle Rechte vorbehalten + + +Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart + + + + +Personen + + + ·Zarncke·, Steinmetzmeister. + + ·Marie·, seine Tochter. + + ·Frau Homeyer·, Wirtschafterin bei Zarncke. + + ·Jenisch·, Buchhalter. + + ·Eichholz·, Nachtwächter auf dem Werkplatz. + + ·Lore·, seine Tochter. + + ·Lenchen·, deren Kind. + + ·Willig·, Polier. + + ·Göttlingk·, Steinmetz. + + ·Jakob Biegler·. + + ·Reitmaier·, Kriminalkommissar. + + ·Lohmann·, } + ·Sprengel·, } Arbeiter. + ·Struve·, } + + Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter. + + Mehrere Frauen und Kinder. + + _Ort der Handlung_: Berlin. + + _Zeit der Handlung_: die Gegenwart. + + Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen, + zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag. + +[Illustration] + + + + +Erster Akt + + Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür nach + dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen. + Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach dem Werkplatz + führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein Podium mit bequemem + Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne ein Sofa mit Sofatisch + und Sesseln. Im Hintergrunde links von der Tür ein Tischchen + mit Wandkonsole darüber, rechts von der Tür ein Bücherschrank. + Altväterisch-behagliche Ausstattung. Stahlstiche, + Photographien, gestickte Sinnsprüche an den Wänden. + Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit Kanarienvogel + etc. etc. + + +Erste Szene + + _Zarncke._ _Marie._ _Jenisch_ + + +·Zarncke· + + (Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den + Backen. Gutmütig-vergnügte Äuglein. Sprechweise -- mit + Anklängen ans Niederdeutsche -- weich, bisweilen harmlos + polternd, voll stillen Grüblersinnes) + +·Marie· + + (Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei + schöne Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, + bisweilen durch schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen + tastend, unsicher) + +·Jenisch· + + (behaglicher, beschränkter Zahlenmensch) + +·Zarncke· (mit Jenisch eintretend) + +Na, Miezelchen? + +·Marie· + + (die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend) + +Vaterchen! (Will aufstehen) + +·Zarncke· + +Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! (Tritt zu ihr hin und küßt sie auf die +Stirn) Läßte dir die Maisonne in 'n Magen scheinen? Das is recht ... +Na, Jenisch, was haben Sie da! + +·Jenisch· + +Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen Brüchen, Herr Zarncke. +(Reicht ihm die kleinen Blöcke) + +·Zarncke· (kratzt an den Rändern) + +Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf an Streusand sei +vorläufig noch gedeckt. + +·Jenisch· (lacht respektvoll) + +·Zarncke· + +Zweite Post? + +·Jenisch· + +Jawohl. (Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe) + +·Zarncke· + + (setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand + gleiten) + +Nischt -- nischt -- nischt. (Ein Kuvert öffnend) Machen wir. (Ein +zweites) Machen wir desgleichen. »Verein zur Besserung entlassener +Strafgefangener«. Möchten sie mir mal wieder einen andeichseln? ... Na, +wollen mal sehn ... (Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die +anderen Briefe hin) Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von +der Polizei kommen wegen heute nacht -- das sag' ich besser draußen. +(Zu Marie) Verzeih mal! (Öffnet das Fenster. Das klingende Geräusch +der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, das Quietschen +der Windewagen wird hörbar) Sie da! Willig! Polier! (Lauter) Polier! + +·Stimme des Poliers Willig· + +Jawohl, Herr Zarncke! + +·Zarncke· + +Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie sie gleich aufs Kontor +führen. Ich will nicht, daß sie mir den Platz rabiat machen mit ihrem +dummen Gefrage. + +·Stimme Willigs· + +Jawohl, Herr Zarncke. + +·Zarncke· (nachahmend) + +Jawohl, Herr Zarncke. (Schließt das Fenster, das Geräusch hört auf) + +·Marie· + +_Mußtest_ du's denn anzeigen, Vaterchen? + +·Zarncke· + +Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch nicht zu +nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern rumpulen lassen. +Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... Hören Sie mal, Jenisch, euch +auf'm Kontor geht's ja eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über +den alten Eichholz? + +·Jenisch· + +Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr lange halten +lassen. Als Wächter. + +·Zarncke· + +Na, als was denn sonst? + +·Jenisch· + +Das weiß ich ja nich. + +·Zarncke· + +Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst mein Kanarienfritze +hat sein Geschäft. Wenn der nich singt, dreh' ich ihm den Hals um. + +·Marie· (lächelnd) + +Na, na. + +·Zarncke· + +Was ist hier zu na-na-en! (Zärtlich) Du -- hä? + +·Marie· (lacht) + +·Zarncke· + +Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft groß werden +sehen ... Wird mir schwer! (Pause) Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, +setzt er sich friedfertig auf einen Block, und dann sägt er los. (Ahmt +einen Schnarchton nach) Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher +in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, diese +Instituschon is nich das richtige. + +·Marie· (lacht) + +·Zarncke· + +Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück. + +·Jenisch· (lachend) + +Adieu, Fräulein Mariechen. + +·Marie· + +Adieu, Herr Jenisch. + + +Zweite Szene + + _Zarncke. Marie_ + +·Zarncke· + +Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is. + +·Marie· + +Am Ende gar der -- --? + +·Zarncke· + +Na natürlich. + +·Marie· (lachend) + +Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine. + +·Zarncke· + +_Du_ meinst den Struve. Und _ich_ mein' den Struve. Und draußen auf dem +Platze meinen sie _auch_ den Struve. Aber weil sie mich nich blamieren +wollen, tun sie, als hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu +mal den Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich wieder +raushaue, kriegt er zehn Jahre. + +·Marie· + +Um Gottes willen! + +·Zarncke· + +Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. Billiger tun +sie's da nich ... Und so 'ne Seele von Mensch. Als die Steinmetzen +neulich für den brustkranken Emil sammelten -- wo er doch als Arbeiter +eigentlich gar nischt mit zu tun hat -- Wochenlohn blank auf den Tisch +gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die Diamantsplitter in den neuen +Zahnsägen haben's ihm angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe +wehmutsvolle Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann sitzt +er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n Kreuz mit diesen Kerls! +Immer wieder saust man rin. + +·Marie· + +Na, manchmal auch nicht. + +·Zarncke· + +Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' ich das Leben gerettet. +Der Thiele hat sogar Karriere gemacht. Aber -- nee! -- nu Schluß! -- +Ich nehm' nu nich _einen_ mehr, den mir der Verein zuschanzt. + +·Marie· + +Na, na! + +·Zarncke· + +Mariechen, ich schwör' es dir. (Das Kuvert aufnehmend) Und wenn dies +hier -- ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, ich tu's nicht. (Das +Kuvert aufreißend) Wollen mal gleich sehn! + +·Marie· + +Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher ist es ein +interessanter Fall, und dann -- + +·Zarncke· + +Kann's auch ungelesen zurückschicken. (Unschlüssig) Aber -- -- -- du, +klingel mal, daß die Homeyer mir das Frühstück bringt. + +·Marie· (klingelt) + +·Zarncke· + + (die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken) + +Da is nu ein ganzes Schicksal drin. + +·Marie· (bittend) + +Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies lieber nich. + +·Zarncke· + +Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, wie du meinst. (Legt +das Kuvert hin) + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen. Frau Homeyer_ + + (Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der + dreißig. Energische Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem + Stich ins Gemeine) + +·Frau Homeyer· + + (die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer + Rotweinflasche hereintragend) + +Schönen guten Morgen wünsch' ich. + +·Zarncke· + +Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen. + +·Frau Homeyer· + +Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. Das ziemt sich für mich. +(Auf die Tablette weisend) Is alles gut so? + +·Zarncke· + +Hm. Fein. + +·Frau Homeyer· + +Fräulein Mariechen, was möchten Sie? + +·Marie· + +Danke. Danke. + +·Frau Homeyer· + +Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch? + +·Marie· + +Doch. Doch. + +·Frau Homeyer· + +Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. Ich kann mir gar nich +genug tun für Sie. + +·Zarncke· + +Ja, ja, Sie sind eine Perle. + +·Frau Homeyer· + +Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen sein Lob. Ich bin eine +ehrbare Witwe. Wer so viel Leid durchgemacht hat im Leben, wie ich -- +ach ja! + +·Zarncke· + +Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, hören Sie mal. + +·Frau Homeyer· + +Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert. + +·Zarncke· + +Und dann so die ehrbare Lebensweise. + +·Frau Homeyer· (seufzend) + +Ja, ja. + +·Zarncke· + +Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben Sie vielleicht irgend +was gehört, heute nacht? + +·Frau Homeyer· + +Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. -- Schritte und so. + +·Zarncke· + +Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet? + +·Frau Homeyer· + +Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen an. Ich misch' +mich nich in fremde Sachen. + +·Zarncke· + +So -- das sind fremde Sachen für Sie? + +·Frau Homeyer· + +Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher sind? + +·Zarncke· + +Na, was denn sonst? + +·Frau Homeyer· + +Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, -- da werden die Mannsleute +doll -- + +·Zarncke· + +Und die Weibsleute auch. + +·Frau Homeyer· + +Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. Von dem Tage an, +daß mein armer sel'ger Mann -- + +·Zarncke· + +Scht, scht, scht! _Wenn_, dann würd's auch nichts ausmachen. Na -- und? + +·Frau Homeyer· + +Und der alte Eichholz schläft natürlich. (Mit Betonung) Und die Tochter +schläft eben auch. Nu ja. + +·Zarncke· + +Ach so! Das geht gegen die Lore! + +·Frau Homeyer· + +Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. Laß das Fräulein +Lore tun, was sie will. Es braucht nich jede so'n Wandel zu haben, wie +ich. Aber schließlich läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. +Vater unbekannt. + +·Zarncke· + +Der Vater ist nicht unbekannt. + +·Frau Homeyer· + +Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. -- Warum heiratet er sie +denn nich? + +·Zarncke· + +Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... Was hast du, Mariechen? + +·Marie· + + (die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist) + +Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal so grasgrün. + +·Frau Homeyer· + + (die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat) + +Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser? + +·Marie· (trinkt -- matt) + +Danke schön. + +·Frau Homeyer· + +Sonst noch Wünsche? ... Nein. (Da niemand antwortet, ab) + + +Vierte Szene + + _Zarncke. Marie._ Später _Lenchen_ + +·Zarncke· + +Miezelchen! + +·Marie· + +Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. Der macht einem +Kopf und Glieder so schwer. + +·Zarncke· + +Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen spür' ihn. +Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der Doktor hat gesagt, du +sollst eine sitzende Lebensweise führen, also führe du eine sitzende +Lebensweise. (Setzt den Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen) Ganz +lecker! Magst du das Frauenzimmer eigentlich? + +·Marie· + +Ach Gott! + +·Zarncke· + +Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. Bißchen +Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst weiß man gar nich, daß +man lebt ... Jetzt läuft sie auch hinter dem Göttlingk her. Darum +der Haß auf die Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten +gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne an, und wenn +sie Mittags auf den zwei Richtscheiten liegen, dann sind sie nich +hochzukriegen. (Seufzend) Junges Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel +auf dem Kantinendach hat sich ein Weibchen gefunden. + +·Marie· (freudig) + +Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr die Seele aus dem +Leibe schreien ... + +·Zarncke· + +Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe. + +·Marie· (betroffen) + +Wie meinst du das? + +·Zarncke· + +Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach hat jeder. -- + +·Marie· (hinaushorchend, ruft) + +Lenchen! (Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt +herein, wie vorhin) Lenchen! + +·Die Stimme Lenchens· (jubelnd) + +Tante Mariechen! + +·Marie· + +Komm ans Fenster! Komm! + +·Zarncke· + +Tante nennt sie dich? + +·Marie· + +Soll sie nicht, Vaterchen? + +·Zarncke· + +Ja, ja. Kommt auf eins 'raus. + +·Marie· + +Na, kletter hoch! + +·Lenchens· + + (Kopf erscheint in der Fensteröffnung) + +Tag, Tante Mariechen. + +·Marie· + +Klettre, Katz! Klettre! + +·Lenchen· + +Mußt helfen. + +·Zarncke· + + (da Marie eine Bewegung macht, rasch) + +Nicht du! Ich, ich! (Zieht das Kind durch das Fenster herein und setzt +es auf den Boden) + +·Lenchen· + + (die Arme um Mariens Knie schlingend) + +Tante Mariechen! Tante Mariechen! + +·Marie· (sie herzend) + +Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle? + +·Lenchen· + +Butterstulle. + +·Marie· + + (gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot) + +·Lenchen· + + (setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt + unbekümmert) + +·Marie· + +Und das soll nun 'ne Schande sein -- so ein Engelskind! + +·Zarncke· + +Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir? + +·Marie· (inbrünstig) + +Ach so gerne, Vaterchen, so gerne! + +·Zarncke· + +Tja! Vielleicht gibt sie's dir! + +·Marie· + +So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. (Streichelt die Kleine und +spricht leise zu ihr) + +·Zarncke· + +Tja! (Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen nach +Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu lesen) + +·Marie· + + (sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu + schaffen) + +·Zarncke· (murmelnd) + +Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch gerade zu mir? (Steckt +die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und geht erregt im Zimmer umher) +Was kann man da machen? Was -- + +·Marie· (bittend) + +Vater! + +·Zarncke· + +Was denn? + +·Marie· + +Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner Türe kommen. Hilf doch +auch dem Kinde! + +·Zarncke· + +Ja, leicht gesagt! ... Wie? + +·Marie· + +Rede mit Göttlingk wegen Lore. + +·Zarncke· + +Ich _hab_' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn nicht. + +·Marie· + +Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre ist er weg +gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen. + +·Zarncke· + +Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser wüste Kerl kann +mehr als ... Seinethalben braucht' ich gar keine Bildhauer mehr. Den +schwierigsten Auftrag kann ich annehmen, seit er da ist. + +·Marie· + +Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den Schmerz erleben mit +dem Alten. Ich mag das Elend nicht mehr mit ansehn. + +·Zarncke· + +Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor. + +·Marie· + +Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm. + +·Zarncke· + +Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel vor die Füße. Na und +dann? ... Weißt du: Sprich du mit ihm. + +·Marie· (erschrocken) + +Ich? ... Nein, nein, nein. + +·Zarncke· + +Warum nicht? + +·Marie· + +Vaterchen -- das -- kann ich nicht. + +·Zarncke· + +Siehst du. Man kann manches nicht. (Es klopft) Herein. + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen. Eichholz_ + + (Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, + mit militärischem Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, + buschiges Haar, Rundbart mit ausrasierter Oberlippe, Bratenrock + mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz) + +·Zarncke· + +Na Eichholz! Ausgeschlafen? + +·Lenchen· (ihm entgegen) + +Großvaterchen! Großvaterchen! + +·Eichholz· (will sie nicht sehen) + +·Marie· + +Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine Zeit. (Sie beginnt zu +sticken. Das Kind spielt) + +·Eichholz· + +Nja. + +·Zarncke· + +Und so feierlich! Was is denn los? + +·Eichholz· + +Herr Zarncke -- ich möchte -- freundlichst -- um meine Entlassung +gebeten haben. + +·Zarncke· + + (mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd) + +Sieh mal an! + +·Eichholz· + +Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht -- daß die Steinmetzen +behaupten -- _wollen_, daß ich gewissermaßen -- meines Amtes nicht mehr +gewachsen bin. + +·Zarncke· + +So? + +·Eichholz· + +Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht drankommen. Und +wenn die Steinmetzjungens sich die Schnauze verbrennen, damit, daß sie +nicht wissen tun, was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr +tauglicher Mann ist -- + +·Zarncke· + +Nu kohlt er wieder. + +·Eichholz· + +Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich mir habe in Ihrem +Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich die Schulterblattmuskeln +ausgefallen. + +·Zarncke· + +Ich weiß, ich weiß, ich weiß. + +·Eichholz· + +Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie man so sagt, ein +Puschemauchen, drum herumtrage, wegen den Reimantismus, wo ich mir auch +im Dienste geholt habe. + +·Zarncke· + +Ja -- so Nachts auf dem kalten Stein schl-- (sich rasch verbessernd) +sitzen -- sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus. + +·Eichholz· + +Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich -- Nachts? Nu sagen Sie bloß noch, Herr +Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, dann kann ich ruhig jehn, +mir aufhängen. + +·Zarncke· + +Na, na, na. Sagt ja keiner. (Zu Marie) Was fängste da an? + +·Eichholz· + +Wo ich doch schon Kummer genug hab' -- mit meine Tochter -- und hier +mit -- diese -- diese -- Mestize. + +·Marie· (hebt erstaunt den Kopf) + +·Zarncke· + +Wieso Mestize? + +·Eichholz· + +Nu, was ein ungebührliches Kind is -- 's is ja schlimm, daß man das +selber sagen muß, -- aber das is doch nich anders, das is doch eine +Mestize. + +·Zarncke· + +Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen? + +·Eichholz· + +Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang habe, dann les' ich +wohl sehr gerne in de Indianerbiecher. + +·Zarncke· + +Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, wie wär's, wenn +Sie sich mal 'n bißchen mehr Ruhe gönnten? + +·Eichholz· + +Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne. + +·Zarncke· (leise zu Marie) + +Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, Eichholz. + +·Eichholz· + +Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber was 'n gewissenhafter +Wächter is und 'n tauglicher Wächter is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, +der hört den Maulwurf graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen. + +·Zarncke· + +Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts gehört -- hä? + +·Eichholz· + +Hähähähä! Da lach' ick äwwer. + +·Zarncke· (ernst) + +Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz. + +·Eichholz· (gekränkt) + +Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die Steinmetzjungens? + +·Zarncke· (ernst) + +Ich muß wohl, Eichholz. + +·Eichholz· (versteht, fassungslos) + +Ach so! (Sein Gesicht verändert sich) + +·Zarncke· (bittend) + +Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die Siebzig. Nu schlafen Sie +sich doch mal ordentlich aus. Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen +Bett. + +·Eichholz· (kläglich) + +Ich kann gar nich im Bett schlafen. + +·Zarncke· + +Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock in Ihre +Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie Ihre Bequemlichkeit haben ... + +·Eichholz· (brütend) + +Nja. + +·Zarncke· + +Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen 'ne Pension aus +... Können auch wohnen bleiben ... Bei Tag schustern Sie 'n bißchen +oder läuten die Pausen ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine. + +·Eichholz· + +Und gewöhn' mir das Saufen an. + +·Zarncke· + +Sie werden doch nich. + +·Eichholz· + +Herr Zarncke, ich bin ein Mann -- hochgeehrt -- ich hab' anno 70 immer +mit am Offezierstisch gegessen. + +·Zarncke· + +Na, na. + +·Eichholz· + +Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n Saufjee, ich hab' +noch nich mal 'n Stückschen Käse ins Schnapsglas getunkt. + +·Zarncke· + +Schmeckt ja auch gar nich. + +·Eichholz· + +Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber wenn man in eine so +lausige Beschaffenheit versetzt wird, daß das Ehrgefühl im Menschen so +sehr gekränkt wird, wo man doch von seinem redlichen Schustergewerbe +nichts mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene +Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn annimmt ... + +·Zarncke· + +Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören Sie mal ... + +·Eichholz· + +Ich ... ich ... hab'... ich ... (Würgt) + +·Zarncke· + +Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder good, min Sähn. + +·Eichholz· (befehlshaberisch) + +Lenchen! + +·Marie· (ängstlich) + +Nein, nein, das Kind bleibt hier. + +·Eichholz· + +Ich und Lenchen -- wir gehn jetzt aus'm Haus. + +·Zarncke· + +Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, dann kann ich nichts +dagegen haben -- das heißt, Sie werden sich ja noch anders besinnen -- + +·Eichholz· + +Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, daß irgend +so ein hergelaufener Sch -- Schlump jetzt sagen kann, ich bin dem +weggejagten Alten da -- sein Nachfolger. Das -- nee -- nee -- nee! +Ich hab' noch 'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar +reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich arbeit' +nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr Zarncke. (Ab) + + +Sechste Szene + + _Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore_ + +·Zarncke· (verzweifelt) + +Na -- nu is er rabiat. Nu geht er sausen. -- + +·Marie· + +Du warst milde genug, Vaterchen. + +·Zarncke· + +Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n Mensch. Jeder hat sein +Schicksal. + +·Marie· + +In sich, Vater. + +·Zarncke· + +Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so vielen ihr Schicksal +gewesen ... In sich! ... Spreu sind wir im Winde. Es kommt nur drauf +an, von wo er bläst ... Na -- vielleicht kann man's an einem andern +wieder gutmachen. (Nimmt die Papiere) Da wird heute einer kommen. So +einen hatten wir noch nicht. + +·Marie· + +Was hat er denn pekziert? + +·Zarncke· + +Frag nicht. Nachher drückt's dich. + +·Lores Stimme· (draußen rufend) + +Lenchen! Lenchen! + +·Lenchen· (aufhorchend) + +Das is Mama. Ich will zu Mama. + +·Marie· + + (das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch + hereindringt) + +Das Kind is bei mir drin, Lore. + +·Zarncke· (nach der Uhr sehend) + +Alles still? Is schon Frühstückspause? + +·Lores· + + (Kopf erscheint in der Fensteröffnung) + +Dank' schön, Fräulein Mariechen. (Zu Lenchen, die die Arme ausstreckt, +sich vorbeugend) Na, hopp! + +·Zarncke· + +Du kannst mal 'reinkommen, Lore. + +·Lore· + +Wenn ich darf, Herr Zarncke. (Verschwindet) + +·Marie· + + (schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will) + +·Zarncke· + +Und findet sich der Mann hier 'rein -- der Mann von diesem Brief -- +Biegler heißt er -- dann schick ihn nicht ins Komptor, dann laß mich +lieber rufen. (Es klopft) Herein! + +·Lore· (erscheint in der Tür) + +·Zarncke· + +Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von heute ab -- + +·Lore· + + (Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren + seelischen Leidens. Sprechweise bald ohne Grund erregt, + bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen müde, schwerfällig, + jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, schlichte + Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über dem + Habitus der Dienerin stehend) + +Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' nich mehr. + +·Zarncke· + +Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen brauch'. + +·Lore· + +Ach, Sie! (Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen) + +·Zarncke· + +Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da -- (Beruhigt sie mit einer +Handbewegung) Aber stell ihm die Kümmelflasche höher. Das rat' ich dir, +Kind! (Klopft sie auf die Schulter. Ab) + +·Lenchen· (die Arme hochhebend) + +Mama! Mama! + +·Lore· + + (ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend) + +Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins Aug' fliegt. + +·Marie· + +Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb. + +·Lore· + +Ja ... Die andern ja. -- Bloß der der nächste dazu is -- + +·Marie· + +Er wird's nicht zeigen wollen. + +·Lore· + +Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und wie er vorbeikommt, +da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. Da hat er sie weggeschoben +-- na wie? 'n jungen Hund schiebt man nich so. + +·Marie· + +Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist kein Mensch. Und er +sicherlich nicht. Sicherlich nicht. + +·Lore· + +Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. -- + +·Marie· + +Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner. + +·Lore· + +Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich an? Warum gibst du +dich ab mit mir? (Verbirgt den Kopf an ihrer Stuhllehne) + +·Marie· (sie streichelnd) + +Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' ich dich schon +gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. (Da Lenchen weinerlich +dazukommt) Du, Lenchen, der weiße Bär ist ein Eisbär. Und den bind +mal nu an die Leine. (Reicht dem Kinde eine Porzellanfigur und ein +Garnknäuel) + +·Lore· + +Ja, Lenchen, tu das. + +·Lenchen· + + (fängt beruhigt von neuem zu spielen an) + +·Marie· + +Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst du dich? Warum sagst +du nicht ganz offen, daß er der Vater ist? + +·Lore· (verängstigt) + +Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten. + +·Marie· + +Warum läßt es dir verbieten? + +·Lore· + +Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' er zu mir: »Willst +du, daß ich wieder eintrete auf dem Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm +noch die Hände geküßt in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er +dabei. »Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... Die's von +früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß der Polier ... Und das ist +sein Freund. Vater hat er auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir +rein die Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das Schweigen doch +ein Ende nehmen. Aber es geschieht nichts ... Er kommt in die Kantine. +Ganz vergnügt. Bloß nicht allein. Da hütet er sich. + +·Marie· + +Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben? + +·Lore· (achselzuckend) + +Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn. + +·Marie· (erschreckt, beklommen) + +Wen denn? + +·Lore· + +Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, vielleicht -- ach, +wer kann wissen? + +·Marie· (auf Lenchen weisend) + +Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt? + +·Lore· + +Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch mit allen, was er +will ... Er ist mehr Herr auf dem Platz als der Polier. Da wagt keiner +zu mucksen ... Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten von +den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie _rein_ doll ... + +·Marie· (träumerisch) + +Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! (aufschluchzend) +Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. Und du jammerst. + +·Lore· (erschrocken) + +Mariechen! + +·Marie· (sich zusammenraffend) + +Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der macht einen ganz ... +Und du jammerst. + +·Lore· (mit wehem Lächeln) + +Ich jammer' ja auch nich. + +·Marie· + +Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner Schande. -- Schande! +Was ist Schande? ... Unser Leib ist ein Tempel ... Und Gebären ist +Gottesdienst ... Nur wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist +es schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen baut, und +man selbst ist schon Ruine. + +·Lore· + +Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen. + +·Marie· + +Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit mir? ... Und ich +bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' was verpflanzen von mir in +dich. Daß du den Kopf wieder hebst. -- Nicht mehr wie 'n Stein bist in +deinem Gram. + +·Lore· (lacht bitter) + +·Marie· (mit sich kämpfend) + +Du -- soll ich -- reden mit ihm? + +·Lore· + +Du -- mit ihm? + +·Marie· (nickt) + +·Lore· (ohne Hoffnung) + +Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart lieber noch ... +Vielleicht, daß er _doch_ -- + +·Marie· (stockend) + +Es wird mir -- ja nicht -- leicht fallen ... Ich kenn' ihn ja auch kaum +mehr -- den großen Herrn ... Aber wenn man was _sehr gerne_ will, dann +wird man's doch auch -- können. -- Na, freut's dich gar nicht? + +·Lore· + + (die Hand mutlos vor die Stirne legend) + +Ach! ... (Es klopft) + +·Marie· + +Herein! + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen. Jakob Biegler_ + + (Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht + schmutzig gekleidet, Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach + geflickt und zu kurz. Altes, blankgewordenes Jakett, + gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. Defektes + Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. -- Gelbes, zermürbtes + Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. + Auftreten gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit + umschlagend) + +·Biegler· + +Guten Morgen. + +·Marie· + +Sie wünschen meinen Vater zu sprechen? + +·Biegler· + +Herrn Zarncke -- möcht' ich sprechen. + +·Marie· + +Heißen Sie Biegler? + +·Biegler· (betroffen) + +Ach so! -- Sie wissen schon. Na -- dann -- (Macht eine halbe Wendung +zur Tür) + +·Lenchen· + + (ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor) + +Guten Tag! + +·Marie· + + (seinen Seelenzustand erkennend) + +Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen Biegler kommt, dann möcht' +ich ihn rufen. + +·Biegler· (erleichtert) + +Ja, der bin ich. + +·Lenchen· + +Nu sag doch: Guten Tag. + +·Biegler· + + (sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er + weiß nicht, was tun) + +·Lore· (sie leise zurückrufend) + +Lenchen! + +·Marie· + +Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen Sie willkommen +heißt. + +·Biegler· + + (sieht sie groß an, versteht nicht) + +Erst -- muß -- ich -- Herrn Zarncke -- sprechen. + +·Marie· (aufstehend) + +Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an (leiser) und bring dem +was zu essen. Er hat's nötig. + +·Lore· (nickt) + +Komm, Lenchen. (Mit dem Kinde ab) + +·Marie· + +Nehmen Sie so lange Platz, bitte. + +·Biegler· + +Ich kann auch stehen. + +·Marie· (ab) + + +Achte Szene + + _Biegler._ Dann _Zarncke_ + +·Biegler· + + (alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen + wandern umher) + +·Zarncke· + + (mit Bieglers Papieren in der Hand) + +Guten Tag. + +·Biegler· + + (in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war) + +Melde Jakob Biegler. + +·Zarncke· + +Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Der Verein zur +Besserung entlassener Strafgefangener hat Sie mir zugeschickt. Stehen +Sie unter seiner Fürsorge? + +·Biegler· + +Jawohl. + +·Zarncke· + +Wie lange sind Sie 'raus? + +·Biegler· + +Vier Monate zehn Tage. + +·Zarncke· + +Fünf Jahre haben Sie abgemacht? + +·Biegler· + +Jawohl. + +·Zarncke· + +Wegen was? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Na -- wegen was? + +·Biegler· (auf die Papiere weisend) + +Steht ja da drin. + +·Zarncke· + + (fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen) + +Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig. + +·Biegler· (verbissen) + +Na, ich sprech's nich aus. + +·Zarncke· + +Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn. + +·Biegler· + +Wenn Sie wollen. + +·Zarncke· + + (geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest) + +Hm. Schlimm. Schlimm. + +·Biegler· + +Schlimm. (Pause) + +·Zarncke· + +Na, wie is es denn gekommen? + +·Biegler· + +Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist. + +·Zarncke· + +Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg? + +·Biegler· + +Man war ja mit mir zufrieden. + +·Zarncke· + +Ersparnisse gemacht? + +·Biegler· + +Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig. + +·Zarncke· + +Noch was da? + +·Biegler· + +Dann säh' ich nich so aus, Herr -- Zarncke. + +·Zarncke· + +Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt? + +·Biegler· + +Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal als Hofgänger, das +zweite Mal als Kuhfutterer. + +·Zarncke· + +Na -- und? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Ausgerissen? + +·Biegler· (in erregter Verteidigung) + +Ich hielt nicht aus. Ich -- ich -- ich -- + +·Zarncke· + +Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten. + +·Biegler· + +Ach, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie zu mir. Was wollen +Sie gerade bei mir? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie? + +·Biegler· + + (zaudernd, nach innerem Kampfe) + +Steinmetz. + +·Zarncke· + +Ach so! -- _Darum_! Hier steht doch -- Arbeiter. (Sieht nach) + +·Biegler· + +Weil ich als Arbeiter gegangen bin. + +·Zarncke· + +Warum denn? + +·Biegler· + +Wer wird mich nehmen -- als Steinmetz? + +·Zarncke· + +Sie hätten doch probieren können! + +·Biegler· + +Probiert hab' ich genug. + +·Zarncke· + +Und überall abgewiesen? + +·Biegler· + +Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's 'raus. Da lag +ich schon auf der Straße. + +·Zarncke· + +Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme? + +·Biegler· + +Ja, die Herren haben's mir gesagt. + +·Zarncke· + +Wollten Sie nich? + +·Biegler· (zögernd) + +Nein. + +·Zarncke· + +Warum nicht? + +·Biegler· (erregt) + +Nachher wird's doch nichts -- -- -- + +·Zarncke· + +Und jetzt wollen Sie? + +·Biegler· + +Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. -- Wenn ich bloß +'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder beim Flaschenzug, wo keiner +was fragt. + +·Zarncke· + +Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf besteh' -- Sie können +auch als Steinmetz eintreten. + +·Biegler· (verängstigt) + +Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is wieder alles +... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß w--wenn ich den -- +Klippelschlag hören kann. Bloß von weitem. + +·Zarncke· + +Sie waren wohl ein _guter_ Steinmetz? + +·Biegler· + +Ach! (Zuckt die Achseln) + +·Zarncke· (voll wärmerer Anteilnahme) + +Hm. (Es klopft) Herein. + + +Neunte Szene + + _Die Vorigen._ _Lore_ (mit einem Teller, worauf Butterbrot) + +·Lore· + +Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat befohlen. + +·Zarncke· + +Essen Sie. + +·Biegler· + + (gierig nach dem Teller sehend) + +Danke! Ich hab' -- keinen -- Hunger. + +·Lore· (leise, mitleidig) + +Essen Sie nur. + +·Biegler· + + (blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht + Zarncke fragend an) + +·Zarncke· + +Ja, ja, Sie dürfen. + +·Biegler· + + (dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter) + +·Zarncke· + +Du, Lore, hol mal das Wasserglas. + +·Lore· + + (holt das Wasserglas vom Nähtisch) + +·Zarncke· (Rotwein eingießend) + +Bring ihm das. -- Übrigens: wie trägt's denn der Vater? + +·Lore· + +Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen wollte: darf er +den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger da ist? + +·Zarncke· + + (mit einem Blick nach Biegler hin) + +Nachfolger hab' ich schon. + +·Lore· (dem Blick folgend) + +Ach so. + +·Zarncke· + +Gefällt er dir? + +·Lore· + +Ach, is 'n armer Mensch! + +·Zarncke· + +Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast. + +·Lore· + +Nein, nein. (Stellt das Glas neben Biegler, ab) + + +Zehnte Szene + + _Biegler._ _Zarncke_ + +·Biegler· + + (würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in + Positur) + +·Zarncke· + +Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken. + +·Biegler· + +Ja. (Äugt zweifelnd nach dem Glase) + +·Zarncke· + +Haben Sie keinen Durst? + +·Biegler· + +Erst geben Sie mir -- Wein zu trinken, und dann nehmen Sie mich _doch_ +nich. Hä. + +·Zarncke· + +Erst trinken Sie mal. + +·Biegler· + + (dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen) + +·Zarncke· + +Auf den Steinmetzplatz _wollen_ Sie. Aber gewissermaßen im verborgenen. +So daß keiner was erfährt, daß Sie keinem Rede zu stehen brauchen -- hä? + +·Biegler· + +So was Schönes gibt's ja nich. + +·Zarncke· + +Vielleicht _doch_. Wollen Sie Wächter werden bei mir auf'm Platz? + +·Biegler· + + (in staunendem Nicht-glauben-wollen) + +Herr Zarncke! + +·Zarncke· + +Na? + +·Biegler· + +Das is doch 'n Vertrauensposten. + +·Zarncke· + +Ja, das is es. + +·Biegler· + +Da müssen manche sogar Kaution stellen. + +·Zarncke· (bejahend) + +Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, können Sie unter den +Arbeitern mithelfen ... da fragt Sie keiner ... Na? + +·Biegler· + +Wird ja nicht lange dauern -- + +·Zarncke· + +Das wird ganz von Ihnen abhängen. + +·Biegler· + +Dann kommen die Schutzleute -- und recherchieren ... Und dann is aus. + +·Zarncke· + +Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge für Sie übernimmt, +die Polizei sich mit Ihnen nichts zu schaffen macht. + +·Biegler· (fatalistisch) + +Die Schutzleute -- kommen doch. + +·Zarncke· + +Zu mir nicht ... + +·Biegler· + +Die Schutzleute kommen doch. + +·Zarncke· + +So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann recherchieren. Das +hab' ich mir ein für allemal verbeten. Und daß die Herren vom Verein, +wenn _die_ kommen, Sie nicht verraten werden, das können Sie sich doch +denken. ... Na? + +·Biegler· + +Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich -- (Es klopft) + +·Zarncke· + + (geht zur Tür und öffnet sie) + + +Elfte Szene + + _Die Vorigen._ _Jenisch_ + +·Zarncke· (ihm den Eintritt versperrend) + +Was gibt's? + +·Jenisch· (vom Hausflur her) + +Verzeihung, Herr Zarncke -- die Polizei is da -- wegen -- + +·Biegler· + + (zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche + Bewegung, als wolle er sich verstecken) + +·Zarncke· + +Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. (Schlägt die Türe zu) + + +Zwölfte Szene + + _Biegler._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + +Na ruhig, ruhig, ruhig! + +·Biegler· (sich wild umschauend) + +Die Schutzleute kommen überall -- die -- + +·Zarncke· + +Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. Deshalb kommen sie. +Und eben deshalb sollen Sie auch Nachtwächter werden. Verstanden? + +·Biegler· (würgend) + +Herr Zarncke -- ich muß -- ich -- dank' Ihnen auch schön fürs Glas Wein +... ich ... kann nich in Dienst ... ich muß -- wieder weg. + +·Zarncke· (schüttelt den Kopf) + +Ja, zwingen kann ich Sie nich ... (Nach einem Schweigen) Haben Sie denn +andere Arbeit in Aussicht? + +·Biegler· (verneint) + +·Zarncke· + +Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von der Polizei ... +Unbarmherzig ... Wissen Sie das? + +·Biegler· (bejaht) + +·Zarncke· + +Na und dann? + +·Biegler· (zuckt die Achseln) + +·Zarncke· + +Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von Ihnen -- und was +dann? + +·Biegler· (zuckt die Achseln) + +·Zarncke· + + (plötzlich seinen Ton ändernd) + +Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, komm. (Zieht ihn nach +vorne) Bienchen hast du doch keine? + +·Biegler· (schüttelt den Kopf) + +·Zarncke· + +Na dann setz dir mal. (Zieht ihn in einen Stuhl) Du bist nu man büschen +verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im Kopp spukt, das will ich gar +nich wissen ... Is auch ganz egal. Nu laß man schon büschen sorgen für +dich. (Strenge) Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n +Anzug von mir ... + +·Biegler· + + (an sich niedersehend, freudig) + +Ja, ja, ja, ja. + +·Zarncke· + +Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an! + +·Biegler· (eifrig, voll Ehrgefühl) + +Jawohl -- hab' ich. (Reißt, um das Hemde zu zeigen, die Strickweste +auf) Da! (Beschämt) Bloß -- Kragen hab' ich nich. + +·Zarncke· + +Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. Denn Nachts is +noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne Pfeife und 'ne Schnarre. Und die +Kontrolluhren, die bis zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen +tust du drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine bei der +Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste? + +·Biegler· (wie vorhin) + +Ja, ja, ja, ja. + +·Zarncke· + +Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich mehr. Und so wollen +wir langsam wieder 'n Menschen aus dir machen. Hä? + +·Biegler· (nickt willenlos) + +·Zarncke· + +Na also. + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Zweiter Akt + + Der Werkplatz. Links das _Wohnhaus_ mit vorspringender + _Veranda_ und einem Balkon darüber, zu dem aus dem oberen + Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein Fenster. + Rechts die _Kantine_ mit einer Tür in der Seitenwand und + einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, vor dem eine + Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig vorspringend, das + _Magazin_, mit einer Tür und einer daneben angebrachten Glocke. + -- Im Hintergrunde rechtwinklig zum Magazin ein offener, + von Holzpfeilern getragener _Schuppen_, der sich mit seiner + Hinterwand an die senkrechte Erhöhung lehnt, welche den + hinteren Teil des Werkplatzes bildet und zu der in der Mitte + des Hintergrundes eine schmale Treppe emporführt. Links von + der Treppe mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die + Höhe des hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein + _Kran_. Eine schmale _Feldbahn_ zum Transport der Blöcke führt + an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen vorüber quer über + die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. An den Wänden des + Schuppens und der Häuser stehen und hängen, wo nur ein Platz + sich findet, Gipsmodelle: Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die + Veranda ist mit Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich + über ihr Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den + _Prospekt_ bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits + der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein + Kirchturm ragt aus der Ferne herüber + + +Erste Szene + + (Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus reiches + Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten _Steinmetzen_ oder + _Bildhauer_, die ersteren mit blauer Schürze, die letzteren mit + langem, weißgrauem Kittel und Papier- oder sog. Raffaelmütze + bekleidet. Der Kran ist im Gange. Niedrige Wagen transportieren + Blöcke vorüber. Hilfeleistende _Arbeiter_ in beliebigem + Werktagsanzug. Mittagsstimmung) + + Vorne rechts _Göttlingk_ in Steinmetzentracht vor einem Blocke + -- ein Gipsmodell daneben. Der Polier _Willig_ an einem anderen + Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die sich hinten zu + schaffen machen, _Lohmann_, _Sprengel_, _Struve_ + +·Göttlingk· + + (stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter + Schnauzbart, Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn + heruntergestrichen. Spielt den Kraftmenschen, großsprecherisch, + übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet mit Meißel und + Klippel und singt dazu) + +Na -- nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. He, ihr +Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, ihr sollt mir +den Block in den Schuppen schaffen? -- Lohmann, Sprengel, ihr andern, +immer 'ran! + +·Willig· + +Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's lieber mir. + +·Göttlingk· + +Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn. + +·Willig· + +Und du hast denen nischt zu befehlen. + +·Göttlingk· + +Wenn sie so dumm sind und gehorchen. (Lohmann, Sprengel und ein dritter +Arbeiter sind nach vorn gekommen) Da, wie sie anhampeln! Hab du sie man +so an der Strippe wie ich. (Befehlshaberisch) Also nu los! + +·Lohmann· + +Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn Finger hat jeder zu +verlieren. (Stemmt ein Brecheisen ein) + +·Göttlingk· + +Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen. + +·Sprengel· + +Ohne Brecheisen geht's nich. + +·Göttlingk· + +So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr Volk ... (Faßt mit an) +~Uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt weiter) Na, geht's oder nich? + +·Lohmann· + +Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! Sagst du zum Hund +»kusch«, dann kuscht er. Bloß weil er's Franzesch so gern hat. + +·Göttlingk· + +Noch mal: ~uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt wieder) Ja, +ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de Knochen. Das ist die +Hauptsache. + +·Lohmann· + +Und 's Messer im Sack nich zu vergessen. + +·Göttlingk· + +Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter Sohn. (Zieht ein +Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt unter dem Kittel +befestigt hat) Das is dreikantig geschliffen. Das schlupft (schnalzt, +das Messer vorstoßend, mit den Lippen) wie 'n Küßchen ... Tut gar nich +weh. Will einer probieren? + +·Willig· + + (der mißbilligend zugehört hat) + +Du -- Göttlingk! + +·Göttlingk· (zu ihm herübertretend) + +Hä? + +·Lohmann· (hinter ihm her, ingrimmig) + +So 'n Paradehengst! (Die andern lachen) + +·Willig· + +Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß sie ihre Arbeit +verrichten. Und damit gut! + +·Göttlingk· (großspurig) + +Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur. + +·Willig· + +Mußte immer Bewunderer haben? + +·Göttlingk· + + (wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter) + + +Zweite Szene + + _Die Vorigen._ _Zarncke_ (ist aus der Veranda getreten) + +·Zarncke· + +Polier! + +·Willig· (respektvoll) + +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Is was zu melden? + +·Willig· + +Nein, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Was tut der Kran da? + +·Willig· + +Er holt die Quadern fürs Sägewerk. + +·Zarncke· + +Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block dort an der Treppe +'runtergeschafft werden, damit er Montag in Arbeit genommen werden kann. + +·Willig· + +Sehr wohl, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Wie is die Verteilung heute? + +·Willig· + +Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm Bau, vier Bildhauer +auf'm Platz, sechs auf'm Bau. + +·Zarncke· + +Wo is der Göttlingk heute? + +·Willig· + +Da is er ja. + +·Göttlingk· + + (den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten + bedeckte Seite jetzt oben liegt) + +Donnerschock! ~Per Bacco!~ Den ganzen Dreckplatz soll der Deiwel holen! +Du, Polier, komm mal her. + +·Zarncke· + +Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, Göttlingk? + +·Göttlingk· + + (lüftet einigermaßen verlegen die Mütze) + +Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der Deibel holen. Wie +ich den Block drehen lass', da seh' ich, daß von gestern auf heute eine +fremde Hand daran 'rumgemurkst hat. + +·Zarncke· + + (stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf) + +Ach, Sie werden sich täuschen. (Tritt hinzu) + +·Göttlingk· + +Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir zu Feierabend +immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte! + +·Zarncke· (den Stein betrachtend) + +Von dem Blaustrich an? + +·Göttlingk· + +Jawohl. + +·Zarncke· (nachdenklich, lächelnd) + +Hm. So! -- Das is aber nich schlecht gemacht. Da ist Schwung drin. Wenn +sich die Heinzelmännchen extra für Sie bemühen, Göttlingk! + +·Göttlingk· + +Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins zwischen +de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, der Kerl, der jetzt +Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er so was zulassen kann? ... Das +ist schlimmer wie Einbruch. + +·Zarncke· (der abzulenken sucht) + +Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's finster is, kann man +nich arbeiten. + +·Willig· + +Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon lang hell. + +·Zarncke· (beruhigend) + +Ich werd' den Mann hernach mal fragen. + +·Göttlingk· (murmelnd) + +Das besorg' ich schon selber. + +·Zarncke· + + (mit Willig nach vorne kommend) + +Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter im übrigen auf'm +Platz? + +·Willig· + +Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich an Fleiß nicht genug +tun. Aber -- schwach, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Tja! + +·Willig· + +Und dann -- 'n bißchen sonderbar. + +·Zarncke· + +Inwiefern? (Ringsum ertönen Mittagssignale) + +·Willig· + +Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. Manche fangen ihn schon +zu verulken an. + +·Zarncke· + +Dulden Sie das nich, Willig! + +·Willig· + +Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? Eichholz! + +·Willig· (zur Kantinentür laufend) + +Eichholz! + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen_. _Eichholz_ + +·Eichholz· (angeheitert) + +Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz bin ich da -- ja! +(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt) + +·Zarncke· (sieht kopfschüttelnd zu) + +·Willig· + +Er is jetzt immer im halben Dusel. + +·Eichholz· (sich umschauend) + +Na -- schläft der -- faule Hund -- noch? + +·Zarncke· + +Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen? + +·Eichholz· (brummend nach links) + +·Willig· + +Nu geht er noch in die Destille! + +·Zarncke· + +Is das ein Elend! + + +Vierte Szene + + _Die Vorigen._ _Mehrere Frauen._ Später _Lore_ + + (Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne + gehen zu den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht + sind und waschen sich. Andere holen dicke Butterstullen und + Blechkannen hervor und beginnen zu essen. Frauen kommen von + links mit Eßkörben und begrüßen ihre Männer. Einzelne haben + auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit den Eltern um den + Eßkorb gruppieren) + +·Zarncke· + + (begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den + Frauen »Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern) + +·Lore· + + (erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der + Bildhauer und Steinmetzen) + +Bitte zu Mittag. -- Bitte zu Tisch. -- Zu Tisch möcht' ich bitten. +(Lauter) Wem kann ich Bier 'rausschicken? + +·Einzelne Stimmen· + +Hier. Ich. -- Mir eins. + +·Lore· (zählt die Stimmen) + +·Göttlingk· + + (betrachtet murrend seinen Block) + +·Lore· + + (an ihn herantretend, leise zaghaft) + +Kommst nich auch, Eduard? + +·Göttlingk· (sich umschauend, unwirsch) Hab' ich dir nicht gesagt, du +sollst mich nich »du« nennen auf'm Platz? + +·Lore· Verzeih! Ich hab' vergessen. (Zur Kantine ab) + + (Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, + darunter Göttlingk) + +·Zarncke· + +Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie mal: Mit dem Struve +steht's schlecht. Den wird uns das Kriminal bald abholen. + +·Willig· (achselzuckend) + +Ja. + +·Zarncke· + +Ach, schicken Sie ihn mir mal, -- ja? + +·Willig· (rufend) + +Struve! + + (Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt + gesessen hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist + nach vorne, dann geht er in die Kantine ab) + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Willig_. _Struve_ (nach vorne + kommend) + +·Struve· + + (Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. + Bartstoppeln. Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei + um die Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch + und Holzpantinen. Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine + faustdicke Butterstulle mit Taschenmesser in der andern Hand. + Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, fällt ihm das Butterbrot + auf die Erde) + +·Zarncke· + +Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand gefallen. + +·Struve· + + (das Butterbrot an den Hosen abwischend) + +Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung Sand -- schmeckt selbst +'n alter Strohsack pikant,« sagten wir immer uf de hohe Schule. + +·Zarncke· + +Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre hohe Schule. + +·Struve· + +Ja, Herr Zarncke, was kann man machen? + +·Zarncke· + +Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie -- + +·Struve· + +Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... Mir hat's auch mal leid +getan. Aber nu is schon egal. + +·Zarncke· (leise) + +Na, sind Sie's nu gewesen oder nich? + +·Struve· + +Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein in die Hand +nehm' -- + +·Zarncke· (lachend) + +So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die Untersuchung geht +weiter? + +·Struve· + +Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum. + +·Zarncke· + +Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen dafür beibringen, +wo Sie in den Stunden des Einbruchs gewesen sind? + +·Struve· + +Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke? + +·Zarncke· + +Jawohl. + +·Struve· + +Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is -- der kost't nich +unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig Mark hernehmen, Herr Zarncke? + +·Zarncke· (lachend) + +So? + +·Struve· + +So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt jejangen sind, die +tun's auch billiger ... Meechens auch. Aber die kriegen's vor Gerichte +hernach mit die Heulerei ... Nee, das sind alles keine reelle Sachen. + +·Zarncke· + +Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen? + +·Struve· + +»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen geschrieben. + +·Zarncke· + +Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt Ihnen ja doch keiner +... Mensch, Mensch, wie hau' ich Sie nu 'raus? + +·Struve· + +Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu sitzen Se drin, Herr +Zarncke. + +·Zarncke· (lacht) + +·Marie· (das Fenster öffnend) + +Vaterchen, kommst nich zu Tisch? + +·Zarncke· + +Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. Vielleicht fällt +mir noch was ein. + +·Struve· + +Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. (Ab) + +·Struve· + +Danke, Herr Zarncke. (Die Zigarre einsteckend) Ja, ja. Sie rüsten sich +wider die Seele des Gerechten und -- (sieht, daß Zarncke inzwischen +weggegangen ist) Ach so! (Setzt sich auf den vordersten Block, kratzt +an seinem Butterbrot und fängt an zu essen) + + +Sechste Szene + + _Struve. Lohmann._ _Sprengel_, _ein dritter Arbeiter_, + die essend auf dem Block hinter ihm sitzen + +·Lohmann· + +Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot noch 'runterfuttern +lassen, Struve, ehe sie dich inlochen? + +·Struve· (achselzuckend) + +Ja. + +·Lohmann· + +Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und »blauen Heinerich«. Ei +weh. + +·Struve· + +Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das versteht ihr nich. + +·Sprengel· + +Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus. + +·Struve· + +Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da sind bloß _feine_ Leute +drin. Ja. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Lohmann· + +Drum heißt es auch die hohe Schule. + +·Struve· + +Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne Kleiderbürschte? Die +hat mir der Staat immer franko geliefert. Aus lauter persönlicher +Hochachtung ... Oder gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich -- siehste! ... +Kiek dir mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber _wir_ machen +dort zu Mittag immer Toi--lette. Und Handtuch tragen wir immer auf'n +Arm, da laufen wir den janzen Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Struve· + +Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? Und was sind +wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch über dir kommen erst die +Steinmetzen ... und da hoch drüber die Bildhauer. Und denn _noch_ höher +der Polier ... Und _denn_ gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in +de erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen dürfen. +Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie der Polier. Das is wie 'n +Jeneral ... Das kannste alles werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... +Karri--ere kannste machen. Ja. + +·Lohmann· (singt spottend) + + Liebes Kind, nu weine nich, + Mittags jibt's den blauen Heinerich; + Stehst du mit dem Schien auf du und du, + Kriegste auch 'n halben Hering zu. + +·Struve· + +Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. Ihr geht hier zur +Lore und schnauzt: Hering -- aber 'n milchernen -- mit Zwiebel -- viel +Zwiebel ... janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal ... +Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, leckern Schwimmling, +da müßt ihr in de Anstaltsküche kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... +Da kitzelt euch die Schnauze von -- noch Abends beis Einschlafen. So +viel scheener ist da alles. Ja. + +·Lohmann· + +Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn nich wieder hin? + +·Sprengel· + +Da hast _du_ doch freien Angtree. + +·Struve· + +Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht an de große +Außenmauer in Waldheim -- da steht nämlich 'ne alte Linde ... Und +von de Fisintation aus, was nämlich der Arbeitssaal is, da siehste +'n janzes kleines Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo +du immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, (stolz) bloß +nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich immer zu zweie +-- wenn du da -- und du huppst in die Höh', dann siehst wieder 'n +andern Stückschen -- so sechzig bis achtzig Blätter, wodran du immer +jenau wissen kannst, was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer +und ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den _janzen_ Lindenbaum +sehen wollten, denn der soll nämlich der scheenste Lindenbaum sein, +wo's auf de Welt überhaupt jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher +stehn ... Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, und wo +einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert -- und wo nu das innere Tor +aufjeschlossen wird -- na, da is er nu -- und da is er 'n janz jemeiner +oller, ekliger Lindenbaum. Na -- und so war denn hernach alles -- janze +Freiheit. + +·Lohmann· + +Nu -- wenn du das nu schon weißt? -- + +·Struve· + +Was hilft da viel -- wissen. Der Mensch is 'n dämliches Vieh. Wie ich +'s zweite Mal drinsaß, da war der olle, dämliche Lindenbaum noch viel +scheener geworden. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Sprengel· + +Ja, wenn's so is. + +·Struve· + +Überhaupt -- ihr Schafsköppe mit eure sogenannte Freiheit! -- +Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste im Sonnenschein uf +ne scheene Planke, kriegste den Holzbock in de Waden; haste keene +Arbeit, kannste jehn den Chausseegraben austapezieren. Willste mal +geradaus -- jeder Mensch will mal geradaus -- und als dir kommt nu +'ne verschlossene Tür in de Quere -- und du willst _doch_ geradaus, +dann stecken sie dir ins Kittchen. Das heißt nu Freiheit. Kindersch, +ick hust' auf eure Freiheit. Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine +Ordnung hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Struve· + +Mir hat überhaupt bloß _eins_ gefehlt. Dann wär' ich auch janz komplett +jlücklich gewesen. + +·Sprengel· + +Das war wohl eene Braut? + +·Struve· + +Ne. + +·Lohmann· + +_Zwei_ Brauten? + +·Struve· + +Ne. + +·Lohmann· + +Na was denn sonst? + +·Struve· (träumerisch) + +Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich _den_ noch hätt' gehabt -- -- + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen._ _Biegler_ (von rechts) + +·Biegler· + + (in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, + sein Aussehen gebessert, aber sein Benehmen noch scheu und + unumgänglich, voll immer neu aufflackernden Mißtrauens. Er + setzt sich auf die Bank vor das Kantinenfenster) + +·Lohmann· + +Kiekt mal den da! ... Was _is_ das eigentlich für 'ne Sorte? Reden +_tut_ er nich, »guten Tag« _sagt_ er nich. + +·Biegler· + + (gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, + dumpf) + +Guten Tag. + +·Struve· + +Na sagt ja. + +·Lohmann· + +War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener Herr Nachtrat! ... Kommen +der Herr Dunkelmann 'n bißchen de Sonne revindieren? + +·Sprengel· + +Mensch, nu red doch was! + +·Biegler· + +Was soll ich reden? + +·Sprengel· + +Mach doch 'n Witz. + +·Biegler· + +Ich weiß keinen Witz. + +·Lohmann· + +Der Kerl is trocken wie Galgenholz. + +·Struve· + +Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die lange Nacht über? +Putzte de Sterne blank? Ziepste dir an de Barthaare? Wirfste de +Meechens, wo auf de Straße vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend +was muß der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über! + +·Biegler· + +Ach, ich hab' immer zu tun. + +·Lohmann· + +Tranig is das Luder. + +·Sprengel· + +Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze Mittag? + +·Biegler· + +Jetzt essen doch die -- Steinmetzen. Da kann ich doch nich auch essen. + +·Lohmann· + +Nu dann komm doch mal her so lang ... Na -- los! + +·Biegler· (erhebt sich zögernd) + +Was soll ich bei euch? + +·Sprengel· + +Trink mal aus meine Buddel. Prost. + +·Biegler· + +Danke. Ich trinke keinen Schnaps. + +·Lohmann· + +Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n Pumpengenie? + +·Biegler· + +Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir? + +·Sprengel· + +Nu huck dir doch mal erst dal. (Zieht ihn auf den Block nieder) + +·Lohmann· (weiterrückend) + +Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze. + + (Lachen) + +·Biegler· + +Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir? + +·Lohmann· + +Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß so an dir ran. + +·Struve· + +Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' du hier Nachtwächter +wurdst? + +·Biegler· (erschreckend) + +Ich? -- Ich bin Arbeiter. + +·Lohmann· + +Kirschenpflücker vor de Wintermonate -- hä? + +·Struve· + +Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte. + +·Biegler· (angstvoll) + +Ich -- dir? Nee -- daß ich nich -- + +·Struve· + +Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne Art ... Bei uns in +Waldheim da hatten wir so 'n paar. Wir nennten se immer »de blamierten +Förschten«. -- Du, wo liegt denn dein Förschtentum? + +·Lohmann· + +Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, Edler Herr von und +zu Sonnenburg. + +·Biegler· (zuckt zusammen) + +·Lohmann· + +Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm. + +·Sprengel· + +Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... der is bloß verschüchtert. + +·Lohmann· (gutmütig) + +Ich mach' ja auch bloß 'n Witz. + +·Struve· + +Da -- willste 'ne Zijarre? + +·Biegler· (verblüfft) + +Wieso -- gibst -- du mir --? + +·Struve· + +Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der Alte vorher geschonken. + +·Biegler· + + (noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich) + +Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch später -- +revanschieren. + +·Lohmann· + + (ihn auf die Schulter klopfend) + +Na, meinen wir's denn nu so beese? + +·Biegler· (mit glücklichem Gesicht) + +Nee! Wahrhaftigen Gott nich! + +·Lohmann· + +Na siehste! (Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird) Aber vor +dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien. + + +Achte Szene + + _Die Vorigen._ _Eichholz_ + +·Eichholz· (vollends angetrunken) + +Ich bin ein Mann -- hochgeehrt, -- ich brauch' nich -- Kartoffelsuppe +aus'n Steinguttopp -- fressen! Morjen, die Gesellschaft! Morjen, die +hochgeehrte Gesellschaft! (Biegler bemerkend) Was? -- Was will der +Hund? Der schmalbauchige Hund? M -- M -- Mantel hat er ihm geschenkt +-- mit blanke Knöppe -- wie 'n Offezier! Was is der Kerl überhaupt? Wo +kommt der verhungerte Kerl her? + +·Lohmann· + +Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine Pflicht tut. + +·Eichholz· + +Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern hier. Der is hier +auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. Wann hab' ich mal blanke +Knöppe gekriegt? Kerl, durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den +Posten gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund! + +·Biegler· + +Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts zu tun. + +·Eichholz· + +Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir jibt se 'n +Porzellanteller. Du wirst noch mal -- platzen -- wie 'n Bovist. Und +dann wird man an dem Gestanke erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' +'ne Faust wie 'ne Ramme! (Dringt auf ihn ein) + +·Biegler· (stößt ihn fort) + +·Eichholz· (zurücktaumelnd) + +Was -- hauen -- tust du mir alten Mann? + + +Neunte Szene + + _Die Vorigen._ _Göttlingk_ und _andere Bildhauer_ und + _Steinmetzen_ + +·Göttlingk· + +Was is hier los? + +·Eichholz· (keuchend) + +H--h--hauen -- m--m--ir--! + +·Göttlingk· + +Wer hat den alten Mann gehauen? + +·Struve· + +Is ja alles Blech! + +·Göttlingk· + +Werd' ich nu bald Antwort kriegen? + +·Lohmann· (kleinlaut) + +Hier hat überhaupt keiner gehauen. + +·Eichholz· (mit erhobener Faust) + +Der Hund! -- der verhungerte -- (Einige der Umstehenden führen ihn nach +hinten) + +·Göttlingk· + +Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! ... Na? + +·Biegler· + +Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich nischt an. + +·Göttlingk· + +Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins -- zwei -- (pfeift) + +·Struve· (leise) + +Da geh man schon. -- Jegen den Großschnauz kommste nich auf. + +·Lohmann· (leise) + +Der sticht mit's dreikant'ge Messer. + +·Göttlingk· + +Wenn ich »drei« sag' -- + +·Biegler· (blaß, schwer atmend) + +Sie können -- ja auch zu mir kommen. + +·Göttlingk· (pfeifend) + +Ich warte. + +·Biegler· (in Erregung, zitternd) + +Da lassen -- sich man -- die Zeit -- nich lang werden. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Göttlingk· (in Wut) + +Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine Pfeife mit euch +stoppen, Kerls? (Das Lederfutteral nach vorne ziehend) Soll ich euch +mal die Hühneraugen barbieren? (Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor +Biegler gestellt haben) Aus dem Weg hier! + +·Lohmann· (sich umschauend) + +Wo is denn der Polier? + +·Göttlingk· + +Jetzt bin ich hier der Polier. (Wild) Aus dem Weg hier -- oder -- + +·Biegler· (vortretend) + +Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten haben. -- + +·Göttlingk· (befriedigt) + +Na, da hätten wir ja das Gewächse. (Setzt sich, raucht) Immer parieren, +Kinderchen. + +·Biegler· + +Also ich wär' ja nu da. + +·Göttlingk· + +Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, den wollen wir mal +auf sich beruhen lassen. Aber wir haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, +wir beide. Sie sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter? + +·Biegler· + +Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch. + +·Göttlingk· (auflachend) + +Und Nachtwächter auch? + +·Biegler· + +Ja. + +·Göttlingk· + +Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na -- soll ich Sie bei den +Ohren nehmen? + +·Biegler· (stammelnd) + +Was -- is -- denn -- mit dem Block? + +·Göttlingk· + +Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht geschieht. Ich +frag' Sie: Wer hat da an meinem Block rumgemurkst? + +·Biegler· (sehr bestürzt) + +Das -- + +·Göttlingk· + +Na? + +·Biegler· + +Das -- weiß ich -- doch -- nich. + +·Göttlingk· + +Seht euch mal das böse Gewissen an. + +·Struve· (leise) + +Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte. + + +Zehnte Szene + + _Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie_ + +·Frau Homeyer· + + (geht quer über den Platz zu der Gruppe hin) + +·Göttlingk· + + (sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd) + +Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner Besuch. Nu, +mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, mein -- + +·Frau Homeyer· (ihn abwehrend) + +Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf den Platz kommen +können. + +·Göttlingk· + +Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst nich so. Ich hab' Ihnen +doch manches liebe Mal in Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen. + +·Frau Homeyer· + +Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt. + +·Göttlingk· + +Aber gelächelt haben Sie dazu -- so sieß! (Schmachtend) Ach, wie so +sieß! + +·Frau Homeyer· + +Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür steht das Fräulein. +Das will Sie sprechen. + +·Göttlingk· + +Das Fräulein -- mich? -- Mich -- das --? So! Na! Sie, Nachtwächter, Sie +können abrutschen. Aber Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? -- + +·Lohmann· (leise) + +Hab man keine Bange vor dem! + +·Struve· (leise) + +Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick beschwör' alles ... +Unbesehn. + +·Biegler· + +Ich dank' euch schön. + +·Göttlingk· + + (dreht eitel seinen Schnurrbart) + +Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? (Geht nach vorne links) + +·Frau Homeyer· + + (schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt + sie von hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie + geht nach links) + +·Biegler· (nach der Kantine ab) + + +Elfte Szene + + _Marie. Göttlingk._ Die anderen im Hintergrund + +·Marie· + + (ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie + um sich Mut zu machen, mit der Hand übers Gesicht) + +·Göttlingk· + + (linkisch, mit durchbrechender Frechheit) + +Mahlzeit, Fräulein. + +·Marie· (tonlos) + +Gesegnete Mahlzeit! + +·Göttlingk· + +Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich dem Fräulein dienen +kann? + +·Marie· + +Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen. + +·Göttlingk· + +Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin ich schon lange wieder da. + +·Marie· + +Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk. + +·Göttlingk· + +Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke schön. + +·Marie· (rasch, ängstlich) + +Nein, nein, der Lore wegen. + +·Göttlingk· + +Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen Weg. + +·Marie· + +Was für 'n Weg, Herr Göttlingk? + +·Göttlingk· + +Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen Sie sich darüber nicht. +Da sind Sie viel zu fein zu. -- Das sind solche Geschichten. + +·Marie· + +Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb Sie die Lore hat? + +·Göttlingk· + +Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür sorgt schon der liebe +Gott. + +·Marie· (ihn bestürzt anstarrend) + +Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht sein. Wenn die +andern auch sagen, Sie seien gewalttätig und -- Ich habe Sie immer für +einen guten und edeln Menschen gehalten. + +·Göttlingk· + +Na, macht sich! + +·Marie· + +Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches Herz. Ich habe Ihnen +immer mit Freuden zugehört. + +·Göttlingk· + +So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für Sie gesungen, Fräulein +Mariechen. + +·Marie· (tödlich erschrocken) + +Wieso -- für -- mich? + +·Göttlingk· + +Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's Fenster aufmachen. Also +müssen Sie's doch gerne haben. Ich tu' immer, was Sie gerne haben. +Jawohl. Mach' ich. + +·Marie· (außer Fassung) + +Es handelt -- sich hier -- aber gar nicht -- um mich. + +·Göttlingk· + + (in trumpfender Männlichkeit) + +Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum soll es sich nich auch +'n mal um Sie handeln? + +·Marie· + + (sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, + dann -- da sie Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie + hilfesuchend auf ihn zu) + +Vaterchen! Vaterchen! + +·Göttlingk· (seinen Schnurrbart drehend) + +Sieh mal an! Sieh mal an! (Geht nach hinten) + + +Zwölfte Szene + + _Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar + Reitmaier_ + +·Zarncke· + +Na, was denn, Miezelchen? (Ruft) Frau Homeyer! (Sie hängt in seinem +Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann Frau Homeyer, die +für einen Augenblick in der Tür erscheint) Sie werden entschuldigen, +Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen kränklich ... + +·Reitmaier· + + (Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder + Schnauzbart, Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in + brutale Schärfe umschlägt. Ein wenig Bierbruder mit Ausblick + zum Offiziertypus) + +Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das Privatleben der +Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie auch nicht lange aufhalten. +Ich bin nur beauftragt worden, mal 'n bißchen nachzuhören, was mein +Kollege vom Revier da -- -- Haben Sie man keine Bange. Ich bin 'ne +menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. Die Herren +Spitzbuben -- die sind mir so wie 'ne große Familie. + +·Zarncke· (erfreut, bewundernd) + +Ach -- ne -- wirklich? + +·Reitmaier· (bieder) + +Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, kann man den Onkel mal +'n bißchen sehn? + +·Zarncke· (rufend) + +Struve! + +·Struve· + + (sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend) + +Jawohl, Herr Zarncke. (Leise) Ei weh, Kindersch. Da is der Reitmaier +vom Präsidium. Das is 'n fauler Junge. (Kommt nach vorn) + +·Reitmaier· (die Arme ausbreitend) + +Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... Na, lieber Freund! + +·Struve· (gerührt) + +Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude! + +·Reitmaier· + +Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich gesehn. + +·Struve· + +Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was gefehlt. + +·Reitmaier· + +Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was _haben_ Se denn nu wieder +ausgefressen? + +·Struve· + +Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin eben scharf in de +Besserung. Diesmal kann ich wirklich nich -- nich -- dienen. + +·Reitmaier· (überzeugt) + +Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen? + +·Struve· + +Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen Totenschein in die Hand +nehm' -- + +·Reitmaier· + +Nich schon Totenschein! Pfui! -- Mann wie Sie muß leben! + +·Struve· + +Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im Zuchthaus. Ja. + +·Reitmaier· (zu Zarncke) + +Er is bitter gestimmt. (Beruhigend) Na, na, na, es is da bloß noch 'ne +kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! Ne! (Zieht sein Notizbuch) +Sagen Sie mal, wo waren Sie denn nu in der Nacht? + +·Struve· + +Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne Banke. Oder so. + +·Reitmaier· (bedauernd) + +Warum _waren_ Se nu nich in Ihre Schlafstelle? + +·Struve· + +Ja, warum _war_ ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' ich gewußt, daß +schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke einbrechen würden, hätt' ich +mir gleich um halb zehne in de Klappe gelegt. Wegen den Aal--ibi. + +·Reitmaier· + +Natürlich! (Leise) Das is 'n abgefeimtes Luder! -- Da Sie das aber +selbstredend nicht wissen konnten, so gingen Sie zu -- in den bekannten +Lehmannschen Keller, wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is +da 's Bier immer noch so gut? + +·Struve· + +Danke. Ja. Es jeht. + +·Reitmaier· + +Da waren Sie bis -- zehn Minuten nach zwölfe. Und dann waren Sie mit +Ihrem Freund Kuntze -- ja, wo waren Sie da? + +·Struve· + +Ja, wo war ich da? Ich bin -- spazieren jewesen. + +·Reitmaier· (klagend) + +Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze sitzt schon wieder +feste! + +·Struve· + +Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm. + +·Reitmaier· + +Aber es is doch schade. Na -- und als Sie sich dann getrennt hatten, +was taten Sie dann? + +·Struve· + +Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. Ick hab' mir so, +wie ick schon sagte, in'n Humboldthain bisken uf die Banke jesetzt. + +·Reitmaier· + +Und gesprochen haben Sie mit niemandem? + +·Struve· + +I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in schlechte Jesellschaft +kommen. Ne. + +·Zarncke· (triumphierend, leise) + +Den kriegen Sie nich! + +·Reitmaier· + +Und dann sind Sie nach Hause gegangen. + +·Struve· + +Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens singen hören. +Aber ~pee à pee~ bin ick denn zu Hause jejangen. + +·Reitmaier· (leise) + +Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des Einbruchs noch die Zeit +seines Heimkommens sind festzustellen. Aber -- -- (laut) Struve! + +·Struve· + +Herr Kommissar! + +·Reitmaier· + +Ja, noch eins. (Wieder leise) In dem Magazin -- haben Sie da Sachen von +Wert? + +·Zarncke· + +O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf. + +·Reitmaier· + +Und die sind wertvoll? + +·Zarncke· + +Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt. + +·Reitmaier· + +Ah! Wußte der Struve davon? + +·Zarncke· (mit reserviertem Lächeln) + +Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar. + +·Reitmaier· + +Struve, wo ist hier das Magazin? + +·Struve· + +Das Magazin? (Nach rechts weisend) Na da is es ja. + +·Reitmaier· + +Was is denn da so drin? + +·Struve· + +Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen Sie sich mal, Herr +Kommissar. + +·Reitmaier· (schärfer) + +Wissen Sie, was Zahnsägen sind? + +·Struve· + +Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen. + +·Reitmaier· + +Wo werden die über Nacht aufbewahrt? + +·Struve· (rufend) + +Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt? + +·Reitmaier· (ärgerlich) + +Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu stellen. + +·Zarncke· + + (auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach + näher herangedrängt haben) + +Stören Sie die Leute, Herr Kommissar? + +·Reitmaier· + +Durchaus nicht. Durchaus nicht. (Leiser) Sie sehn übrigens -- (zu +Struve streng) treten Sie mal zurück! -- (leiser) daß an das Subjekt +nicht 'ranzukommen ist. + +·Zarncke· (zaghaft, bittend) + +Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen. + +·Reitmaier· + +Nu ja, _Sie_ sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen Vergnügen macht, +dergleichen Volk bei sich unterkriechen zu lassen. + +·Zarncke· + +Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den lieben Gott. + +·Reitmaier· (immer noch leise) + +Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit liegen nicht vor. Ich +könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. Vorher aber möcht' ich mal +an _Sie_ die Frage richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl +für verdächtig halten oder nicht? + +·Zarncke· (verlegen) + +Ja, da is schwer -- + +·Reitmaier· + +Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß -- + +·Zarncke· (in die Enge getrieben) + +Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie doch mal -- (spricht +leise weiter) + +·Willig· + + (der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, + holt eine Anzahl Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm + einen davon) + +·Zarncke· + +Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. Kennen Sie den? + +·Struve· + +Ne. + +·Zarncke· + +Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen hiermit. Verstehn +Sie? + +·Struve· + +Ne. + +·Zarncke· + +Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden _Sie_ mir von jetzt ab +für die Sicherheit der Sachen -- einstehn. Verstanden? + +·Struve· + +Ne. + +·Reitmaier· + +Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet denn das? + +·Zarncke· + +Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen Sie daraus, was Sie +wollen. + +·Reitmaier· + +Sie -- vertrauen -- _dem_ den --? Hähähä! Erlauben Sie mal. -- Hähähä. +Pardon, das ist zu spaßhaft. (Immer lachend) Na dann will ich auch +nicht weiter stören. Das kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende +führen! ... Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren Jungens +nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn außerdem haben Sie ja auch +noch 'n Mörder bei sich. Und weiß Gott, was -- + +·Zarncke· (sehr erschrocken) + +_Mörder?_ (Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während der +Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt) + +·Reitmaier· + +Nu ja -- den -- + +·Zarncke· (rasch, mit Nachdruck) + +Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar. + +·Reitmaier· + +Erlauben Sie mal -- + +·Zarncke· + + (ihn bei Seite nehmend, erregt) + +Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags +verurteilt worden -- + +·Reitmaier· + +Menschenblut is Menschenblut. + +·Zarncke· + +Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und das braucht ihm nicht +unnütz vergiftet zu werden. Wissen Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu +mir gerettet hat, wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie _dem_ +das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich gemacht +haben? + +·Reitmaier· + +Ich? Wieso? Bitte! + +·Zarncke· + + (auf die erregten Gruppen weisend) + +Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der »Mörder« ist. +Anstatt hier rücksichtsvoll -- + +·Reitmaier· (brutal) + +Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen -- Auswurf -- +Rücksicht zu nehmen. + +·Zarncke· + +Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade _nicht_ von Ihrer +werten Familie. + +·Reitmaier· + +Was für Familie? ... Ach so! (Scharf) Ich empfehle mich Ihnen, Herr +Zarncke. (Ab nach links) + + +Dreizehnte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Reitmaier_ + +·Zarncke· + + (der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut) + +Hört mal, Kinder! Das -- mit dem -- Mörder -- das muß 'ne Verwechslung +sein. Das -- ja --! + +·Willig· (vor sich hin) + +Na na! + +·Andere· + + (geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel + Ausdruck) + +·Zarncke· + +Struve! + +·Struve· + + (der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat) + +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen Sie sich auch +darnach. + +·Struve· + +Ja w-- w-- w-- + +·Zarncke· + +Na was denn? + +·Struve· + +Wenn nu gesetzten Falls -- und es is _doch_ nu ein anderer gewesen -- + +·Zarncke· + +Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... Und? + +·Struve· + +Und -- nu ja -- und der andere der kommt nu mal wieder -- -- + +·Zarncke· + +Dann werden _Sie_ eingesteckt. Verlassen sich drauf. (Ab) + +·Lohmann· (nach der Kantine weisend) + +Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst? + +·Sprengel· (nach Struve hin) + +An _den_ hat man sich schließlich gewöhnt, -- aber _Mörder_! Ne. + +·Lohmann· + +Du, Struve, komm mal her. (Struve geht zu ihnen) + +·Sprengel· + +Scht. Da is er. + + +Vierzehnte Szene + + _Die Vorigen._ _Biegler._ Gleich darauf _Lore_ + +·Biegler· + + (hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht) + +·Lore· + + (mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre) + +Herr Biegler. + +·Biegler· (sich umwendend) + +Ja? + +·Lore· + +Sie haben doch _vier_ Zigarren bezahlt und bloß dreie genommen. + +·Biegler· + +Ach so. Ja. Danke. (Nimmt die Zigarre) Es war ja auch noch 'n vierter +dabei. (Mit glücklichem Lächeln) Ich hab' nämlich -- jetzt -- auch -- +_Freunde_ hier. + +·Lore· (erfreut) + +Ach, sehn Sie! + +·Biegler· + +Ja. Freunde -- hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und da will ich mich doch +mit Zigarren revanschieren. Ja. + +·Lore· + +Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: Es is nich so schlimm, +-- sie tun Ihnen nichts? + +·Biegler· + +Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer Mut gemacht. + +·Göttlingk· (herüberrufend) + +Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu schaffen? Das ist +kein Umgang für Sie. -- Lassen Sie den mal hübsch laufen. + +·Lore· (zusammenschreckend) + +Ja ... ja, ja. (Steht unschlüssig) + +·Biegler· (die Zähne zusammenbeißend) + +Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... Ich hab' ja auch noch +-- _Freunde_. (Lore ab) (Er breitet seine Zigarren fächerförmig in +der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst mit Struve gesprochen +und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat) Du -- willste nich -- eine +Zigarre von mir -- rauchen? + +·Lohmann· (verächtlich) + +Nee. (Tritt von ihm fort) + +·Biegler· + + (steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, + sehr zaghaft) + +Ach -- bitte -- ich hätt' -- ne Zigarre -- für -- + +·Sprengel· + +Du kannst deine Zigarren für dich behalten. (Tritt gleichfalls von ihm +fort) + +·Biegler· + + (reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit + kommt über ihn; er geht zu Struve -- voll Angst und Ingrimm) + +Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben -- + +·Struve· (gutherzig abwehrend) + +Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz bin, weil ich nu +den -- Magazinschlüssel hab' ... aber -- ich kann mir nich -- +ausschließen, -- ich muß machen wie die andern. + +·Biegler· + +Wa -- was hab' ich -- euch denn -- ...? + +·Struve· + +Sag mal, wie alt bist du? + +·Biegler· + +Vierunddreißig. + +·Struve· + +Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh lassen sie einen wie +du -- sonst doch nich los ... + +·Biegler· + + (sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick + auf die ihn rings Beobachtenden und versteht) + +Ach so ... Ach so. + +·Struve· (ist zu Lohmann zurückgetreten) + +Ich sag' euch bloß: det stimmt _nich_. + +·Lohmann· + +Wer soll's denn sonsten sein? + +·Biegler· + + (auf die Bank der Kantine sinkend) + +Ach so! + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Dritter Akt + + Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. Die Decke + ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite die Tür zum + Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, im Hintergrunde + links das Büfett mit einem Schanktisch davor. -- Auf der + linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. -- In der Mitte unter + der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, links vorne ein Sofa mit + Tisch und Stühlen, rechts vorne Tisch mit Stühlen. Vor dem + Fenster Schustergerät. In der Ecke rechts hinten ein eiserner + Ofen. + + Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen + Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf + den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf dem + Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. Plakate und + Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck an die Wände + geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und Rahmen hängt neben + der Eingangstür. Über dem Büfett eine Uhr; neben ihm eine + Mandoline + + +Erste Szene + + _Lore_ hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt. + Der alte _Eichholz_ auf dem Sofa schlafend. _Lenchen_ an dem + Schusterschemel + +·Eichholz· (schnarcht) + +·Lore· + +Was machst du da, Lenchen? + +·Lenchen· + +Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen. + +·Lore· + +Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke. + +·Lenchen· + +Nein, nein. + +·Lore· + + (sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa) + +Vater -- Vater! + +·Eichholz· + + (brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren) + +·Lore· + +Vater, du mußt aufstehn. + +·Eichholz· (im Halbschlaf) + +Wieso denn? + +·Lore· + +Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung -- du weißt ja -- dann +wird's noch einmal voll hier. + +·Eichholz· + +Ja, ja ... Na ja ... (Richtet sich auf und reckt die Glieder) Ich muß +ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech besorgen. + +·Lore· + +Laß doch, Vater, das eilt ja nicht. + +·Eichholz· + +Nu ja. Ich arbeit' ja _doch_ nich. Ich bin 'n altes Faultier, sagt +meine Tochter. (Rülpst) Dein Kümmel is das reine Rattengift. -- Meine +Leber kriegt schon harte Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich +an einen Mäßigkeitsvereine zu beteiligen. + +·Lore· + +Ach ja, das wär' ganz gut, Vater. + +·Eichholz· + +Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was mir gut is? Ich freß +nich mehr aus'n Steinguttopp. Das laß dir gesagt sein. + +·Lore· + +Ach, das is ja alles Einbildung, Vater. + +·Eichholz· + +Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger bin ich ... Wenn sie +mich schon wegjagen tun um -- um -- um 'n Mörder. + +·Lore· (abwehrend) + +Ach! + +·Eichholz· + +Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich aus. Da jeh' ich +ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille zu mir. Und dann verkauf' ich +mir an die Annetomie ... Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. +Nich mal meinen Leichnam. + +·Lore· (lächelnd) + +Ich will ja auch nichts, Vaterchen. + +·Eichholz· + +Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt du den Kerl 'raus +und scheuerst mit Karbol die Stelle, wo er gestanden hat. Statt dessen +frißt er sich hier rund an deine Karbonade. + +·Lore· + +Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob er wirklich _der_ is, +von dem der Kommissär gestern gesprochen hat, das weiß ja keiner. + +·Eichholz· + +Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen im Kopp. Heute is nu +jeder so klug. + +·Lore· + +Was sind denn Mörderaugen, Vater? + +·Eichholz· + +Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. Und das is der Tod. +Und wegen so einen -- haben sie -- mir -- (Weint) + +·Lore· (mitleidig) + +Vaterchen! + +·Eichholz· (weinend) + +Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. Einer muß hin. Er +oder ich. Tot oder lebendig. Der muß verrecken, der Hund, der Bluthund, +der -- der -- (Kläglich) Ich hab' so 'n Leberstechen. + +·Lore· + +Geh, leg dich aufs Bett, Vater. + +·Eichholz· + +Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, daß ich nicht +werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' so 'n Leberstechen. (Ab) + +·Lore· (sieht ihm seufzend nach) + +Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. Und wenn er weint, +dann ruf. + +·Lenchen· + +Ja, Mamachen. (Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft) + +·Lore· + +Herein! + + +Zweite Szene + + _Lore._ _Marie_ + +·Marie· + +'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet? + +·Lore· (gedrückt) + +Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört. + +·Marie· + +Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen hatte? + +·Lore· + +Die anderen erzählten sich's. + +·Marie· + +Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, daß ich keine guten +Nachrichten bringe? + +·Lore· (mutlos) + +Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute vormittag nicht. +Wollen sich nich setzen, Mariechen? + +·Marie· + +Danke. (Setzt sich) Hast du gehört, wie schön die Amsel singt auf +deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' ich mich, oder pfeift sie +fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? Es is wirklich so, als ob das Glück +pfeift ... Auf deinem Dach, Lore. + +·Lore· + +Für mich pfeift kein Glück. + +·Marie· + +Wer weiß? ... (Zögernd) Lore, ich will dir was gestehn: Ich hab' Vater +gebeten, daß er ihm am nächsten Termin kündigt. + +·Lore· + +Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, dann soll er gehn. Aber +nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen. + +·Marie· + +Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann sagt, daß er dir 'ne +Aussteuer geben wird. + +·Lore· + +Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht nichts gut. Ich +will nichts. + +·Marie· + +Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, die wohlhabend ist. +Darauf geht er aus. + +·Lore· + +Woher wissen Sie das? + +·Marie· + + (stockend, mit abgewandtem Gesicht) + +Nun, das -- merkt -- man doch. + +·Lore· + +Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut Herr Zarncke is, +wohlhabend, wie _er_ meint, kann ich ja doch nie werden. + +·Marie· + + (mit geheimnisvollem Lächeln) + +Nun -- wer weiß? + +·Lore· + +Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade das tägliche +Brot. + +·Marie· (mit unterdrückter Erregung) + +Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' sagen wollen: Lange +leben werd' ich nicht, (langsam, mit Betonung) und -- dein Lenchen -- +hab' ich _sehr lieb_. + +·Lore· (nach langem Schweigen) + +Mein Kind hast du -- so lieb? + +·Marie· (nickt) + +·Lore· + +Mein Lenchen hast du so lieb? + +·Marie· (tonlos) + +Ja. + +·Lore· (aufschreiend) + +Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. Wozu soll sie sich +durchschleppen mit mir durch all den Jammer, wenn sie _das_ haben kann? +(schluchzt) + +·Marie· + +Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen -- da hätt' ich noch ja und »Schön +dank« gesagt. Aber jetzt -- seh' ich die Dinge -- anders an. Denn, sieh +mal! So ein -- Kindchen -- muß doch zuerst mal -- seinen Vater haben +... Nicht wahr? + +·Lore· (in neuem Erstaunen) + +Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das glaub' ich nicht! +Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und das kann auch nicht zum Guten +sein. Nie im Leben. Nie. + +·Marie· + +Warum nicht? + +·Lore· + +Weil -- weil ... Der -- der _will_ mich nicht mehr. Dem bin ich _doch_ +bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts. + +·Marie· + +Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten hat? Und wovon er doch +der Verwalter sein wird? + +·Lore· + +Mein Gott, mein Gott, mein Gott! + +·Marie· + +Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, das weiß ich nicht. +Denn wollen _wird_ er ja nicht. + +·Lore· + +Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch nicht. Und es schadet +auch gar nichts, wenn's -- nichts -- wird. -- Man is ja längst schon +viel zu mürbe. Und vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, +wo _nicht_ so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde lang mal +froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß ein Stein, den man hin +und her stößt, ach, das tut so gut, so gut, so gut! (Sinkt lachend und +weinend vor ihr nieder und küßt ihr die Hände) + +·Marie· + +Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. (Lore steht auf) + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen. Biegler_ + +·Biegler· (dumpf, scheu) + +Guten Tag. + +·Marie.· + +Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend? + +·Biegler· + +Ja. + +·Marie· + +Geht's Ihnen gut? + +·Biegler· + +Danke. + +·Marie· + +Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! (ab) + + +Vierte Szene + + _Lore. Biegler_ + +·Biegler· (setzt sich an den Mitteltisch) + +·Lore· + + (geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit + Kaffee ein, bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie + nach dem Tisch links) + +Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is ja der +Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich nach der Auszahlung. +Die sind zu große Herren. + +·Biegler· + +Ich geh' so wie so gleich fort. (Setzt sich links) + +·Lore· + +Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung? + +·Biegler· + +Ich -- krieg' -- monatlich. (Schweigen) + +·Lore· + + (immer in freudiger Erregung) + +Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, Herr Biegler. Sie +reden gar nich. + +·Biegler· + +Ich red' ja -- auch sonst nich -- viel. + +·Lore· + +Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was -- ganz was -- Besonderes -- +passiert. + +·Biegler· + +Was Gut's? + +·Lore· (nickt) + +·Biegler· + +Da gratulier' ich. + +·Lore· + +Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts ändern. Aber es +is doch wie 'n heller Schein. -- Und da möcht' ich, daß es auch andern +so geht. Ihnen auch. + +·Biegler· (schwer atmend) + +Danke! + +·Lore· + +Herr Biegler -- ach, Herr Biegler, wozu sollen wir erst viel Versteck +spielen. Ich weiß ja, was Sie quält -- seit gestern. + +·Biegler· + + (sich in Erstaunen jäh umwendend) + +Und da reden Sie noch mit mir? + +·Lore· + +Ja -- is es denn wahr? + +·Biegler· (nach einer Pause, schwer) + +Die Herren Geschworenen haben die Frage -- ob's Notwehr gewesen is oder +nich -- verneint ... Und nu lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. +(Schweigen) + +·Lore· (nach innerem Kampfe) + +Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch. + +·Biegler· (bitter lachend) + +Sie? + +·Lore· (zaghaft) + +Sie wissen doch! + +·Biegler· + +Ja, Ohren hab' ich auch ... (in Wut auffahrend) Und wenn ich erst +wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann würd' ich den Kerl -- -- + +·Lore· + +Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch nich, daß ich Angst +hab' vor Ihnen? + +·Biegler· (hastig seinen Kaffee trinkend) + +Ich geh' schon. Ich geh' schon. + +·Lore· + +Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern? + +·Biegler· + + (unschlüssig, mit dankbarem Aufblick) + +Ach! ... (hart) Ne. + +·Lore· + +Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man wird ja so wie so wie'n +Stein! Die Steinmetzen erzählen nämlich: Der Stein wird durch Druck. +Wissen Sie? + +·Biegler· + +Das sollt' ich wohl wissen. + +·Lore· + +Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die drüberliegenden +Schichten drücken, dann wird die lebendige Erde zu Stein ... Beim +Menschen dauert's nich so lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar +Jährchen Druck -- immer derselbe Druck. Das genügt. + +·Biegler· (bitter) + +Ob's genügt. + +·Lore· + +Man lacht und man weint und man schläft und man arbeitet -- ach, lustig +sein kann man sogar -- man is überhaupt ein Mensch wie andere und is +doch lang keiner mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ... +Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit dem Fuß stoßen wie +'n Stein. Man wird gegen alles gleichgültig wie 'n Stein. + +·Biegler· (eifrig) + +Ja, ja, ja, -- so is es, -- ja, ja. + +·Lore· + +Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So sehr hat mich was +gefreut ... Gestern war ich wie Sie. Aber heut kann ich Ihnen was +helfen. Bloß Vertrauen müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will. + +·Biegler· + +Das hätt' ich schon -- aber -- (vor sich hinbrütend) ich muß ja wohl +wieder weg. + +·Lore· + +Ich denk', Sie waren zufrieden. + +·Biegler· + +Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten -- _alle_ -- im Himmel wär' ich +gewesen. Morgens -- so gegen zweie -- da is mir leicht geworden ... +dann kann keiner kommen und was von mir wollen. -- _Doch!_ -- Einer +_kann_ kommen ... Die kann _immer_ kommen. Sie _is_ noch nich -- aber +sie kann. + +·Lore· (mit beruhigendem Lächeln) + +Na wer denn, wer denn? + +·Biegler· + +Ach so -- ich soll ja mein Herz erleichtern. + +·Lore· + +Nicht -- wenn Sie nich wollen. + +·Biegler· + +Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste schieben sie sich so +langsam von einem weg ... Man will _mit_ anfassen, und dann is man +allein. Und dann geht's Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, +habt ihr auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn +sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden wir den Platz +schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück Holz. Und dann fliegt 'n +Stein. Und dann kommen _Sie_ eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, +Herr Biegler, aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.« + +·Lore· (schüttelt heftig den Kopf) + +·Biegler· + +Na warten Sie man. Und schließlich kommt der Prinzipal und sagt: »Hier +is Ihr Buch. Sie können gehen.« Und man weiß, daß man nu wieder ins +Hungerland zieht, wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt +noch: »Gott sei Dank.« + +·Lore· + +Ach, es is schrecklich. + +·Biegler· + +Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid froh, daß ihr +sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne Wort ... Das haben die +Herren extra für uns erfunden ... Ja, was soll ich nu alles sühnen? +... Daß der Weg mich in _die_ Schlafstelle geführt hat -- und gerade +in _die_? ... Daß die Frau jung war -- mit Flunkeraugen -- und daß sie +immer _so_ machte (haucht mit spitzem Munde), wenn sie hinten an mir +vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': »Was machen Sie da?« dann hat sie +mich mit den blanken Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den +Tod nich leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und der +Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und kalt das Genick +'runterlief ... Ja, so kommt so was ... Er war Schuster. Wie Ihr Vater +... Mit den Schustern hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja +auch, was 'n Klopfstein is ... (Zum Gerätschemel gehend) Da liegt er +ja! (Bringt den Stein.) Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war er +-- aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines Tages abgefaßt hat -- +mit ihr -- -- und auf mich zugekommen is, Messer in der Hand, da hab' +ich gedacht: was machen? Was hab' ich gemacht? _So!_ (Hebt den Stein +hoch) ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze hat gedauert, +wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der nu da lang lag, darum war +mein Leben verdorben. Nu sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, +wenn der Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu Schanden +geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden kann er sich lecken ... Mehr +kann er nich. + +·Lore· (mitleidig) + +Mein lieber Gott. + +·Biegler· + +_Ihr_ lieber Gott is nich _mein_ lieber Gott. Sonst ließ' er _das_ nich +zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die ersten müssen gleich kommen. + +·Lore· (fest) + +Sie sollen _nicht_ gehn, Herr Biegler. + +·Biegler· (in flackernder Angst) + +Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts mehr zu tun. + +·Lore· + +Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie sollen dableiben. Ich +setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie den andern. Das trinken Sie aus und +kümmern sich um nichts. + +·Biegler· + +Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn? + +·Lore· + +Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, desto mehr sind +_die_ von Ihrer Schuld überzeugt. Und das darf nicht sein. + +·Biegler· + +Wenn's nu aber doch wahr is? + +·Lore· + +Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und mir weiß keiner was. +Und wir halten reinen Mund. Wenn _die_ sehn, daß Sie keinem aus dem +Wege gehn, dann wird das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber +nichts gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... Wissen +Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste Butterbrot brachte? + +·Biegler· (nickt voll Grauen) + +·Lore· + +So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie sich jetzt wegjagen +lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr Biegler. (Hinaushorchend) Ich +glaube, Sie kommen schon. Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, +dem zeigen Sie die Zähne. + +·Biegler· (stammelnd) + +Ach ich -- m -- mir bl -- eibt ja jedes Wort in der Kehle. + +·Lore· + +Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr Biegler, müssen! + +·Biegler· + +Und 's kann sein, wer's will? Ja? + +·Lore· (stutzend, dann stark) + +Ja. + +·Biegler· (dumpf, zagend) + +Na, is gut. (Setzt sich auf seinen Platz zurück) + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen._ _Lohmann._ _Sprengel._ _Struve._ + _Drei andere Arbeiter_ + + (Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den + Schanktisch getreten ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und + setzen sich an den Tisch rechts) + +·Lohmann· + +Glas Bier! + +·Sprengel· + +Mir auch. + +·Struve· + +Jedem eins. + +·Sprengel· + +Kiekt mal, wer da huckt! + +·Lohmann· + +Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen hat. Das ist +doch extra für ihm hingebaut. + +·Struve· + +Der Mensch sitzt, wo er kann. -- Laß ihm sitzen. + +·Lore· (Bier bringend) + +Wohl bekomm's! + +·Lohmann· + +Danke. (Nach Biegler hinüber) Jemütlich is anders. Prost! (Sie stoßen +an) + +·Lore· + + (bringt auch Biegler ein Glas Bier) + +·Sprengel· + +Wird der hier nu auch den Stammgast spielen? + +·Lohmann· + +Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul ihm mal 'raus. + +·Struve· + +Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt mit meine +eigenen Sorgen. + +·Lohmann· + +Wat vor Sorgen? + +·Struve· + +Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es macht Verjniegen, mit +so 'ne Verantwortung in de Welt rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine +schleppen, denn haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch +'n Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen deiner +Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel an dir tragen, oder so -- +dann wirst mal sehen, wie so 'n Mann zu Mute ist. + +·Sprengel· + +Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was? + +·Struve· + +Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche Leben, der muß +sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches Schnappschloß. -- Da +brauchste bloß 'n paar gesunde Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel +krumm zu biegen, und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de +Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das jar nich uf? + +·Lohmann· (lachend) + +Ne. + +·Struve· + +Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen -- + +·Lohmann· + +Was? + +·Struve· + +Na -- de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen bei jeden +freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe handelt. Da kann dir kein +Teckel an de Beene ... Des is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste +Beersenjeschäft ... Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor +haben? -- Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land. + +·Sprengel· + +Jlickliche Reise. Prost. + +·Struve· + +Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige Kerl, ick wette 'n +Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen könnte man 'rin und 'raus +-- wie de Schwalben. + +·Lohmann· + +Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen. + +·Sprengel· + +Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier. + +·Struve· + +Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er wär's, dann wär' er +noch nich 'raus. + +·Lohmann· + +Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes Mittel +anwenden. (Sehr laut) Fräulein! Wissen Sie vielleicht die Adresse von +'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft? + +·Biegler· + + (der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter + Erwartung dagesessen hat, wendet sich jäh um) + +·Lore· (abweisend) + +Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung? + +·Lohmann· + +Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da kann mal leicht +so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man plötzlich mit Tode abjeht, man +weiß nich, wie? + +·Lore· (abweisend) + +Ich versteh' gar nich, was Sie meinen. + +·Lohmann· + +Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn. + +·Biegler· + + (steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes + Stammeln hervor und setzt sich wieder) + +·Lohmann· + +Hat jesessen. + +·Sprengel· + +Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen? + +·Struve· + +Nu -- die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre blaue +Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es könnt' se ja einer +fir Hausknechte halten. (Lachen) + +·Lohmann· + +Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun und was unternehmen +beim Alten, -- damit er auf'm Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es +wird nötig. + +·Sprengel· + +Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen mit so 'n +plundrigen Kerl. + +·Lohmann· + +Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die Stiebeln ab; -- da +hab' ich auch kein Erbarmen. + +·Biegler· + + (zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob + er sprechen solle, wagt es aber nicht mehr) + +·Sprengel· + +Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is. + +·Lohmann· + +Warum steht er denn nich auf und -- + + +Sechste Szene + + _Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere + Steinmetzen_ (in Feierabendkleidung) + +·Göttlingk· + + (auf den Tisch der Arbeiter weisend) + +Da _sitzt_ se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's wohl nich +eilig genug mit eurem Feierabend -- was? + +·Lohmann· + +Wieso denn? + +·Willig· + +Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, habt ihr auf +Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich? + +·Sprengel· + +Nu, der hängt doch im Flaschenzug. + +·Willig· + +Aber locker hängt er. + +·Lohmann· + +Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. Wenn der Alte +Überstunden zahlen will, gehn wir gleich noch mal 'ran. + +·Göttlingk· + +Husten wird er euch was. + +·Willig· + +Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid ihr +verantwortlich. (Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch) + +·Göttlingk· + +Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, wenn die Steinmetzen +kommen. + +·Lore· + + (die Bier bringt, eilig, ängstlich) + +Hier is, bitte, hier is schon alles. + +·Göttlingk· + +Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, wie der Kerl -- +der -- (Biegler erkennend) Herrgott, wer sitzt denn da? + +·Willig· (rasch) + +Ach, kümmer dich nicht um den. + +·Göttlingk· + +Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die Herren! ~Per +Bacco~, is mir mollig. Ganz fingrig is mir zu Mute. Wollt ihr was +hören? Natürlich, ihr wollt immer was hören. Lore, bring mal -- bringen +Sie mal die Seufzerkiste. + +·Lore· + +Jawohl. (Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm) + +·Ein Steinmetz· + +Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. Ahnste weswegen? + +·Göttlingk· + + (während er die Mandoline stimmt) + +Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal können sich Ereignisse +vorbereiten -- die Welt is eben 'n Affenkäfig. + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen._ _Der alte Eichholz_ + +·Eichholz· + + (angezogen wie im ersten Akt) + +Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten Gesellschaft. + +·Göttlingk· + +So in Jala, Papa Eichholz? + +·Eichholz· + +Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen und habe mir +angetan im Schmucke sämtlicher Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir +mal sehn, ob ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande. + +·Lore· (ängstlich) + +Was hast du vor, Vater? + +·Eichholz· + +Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf Ehr' und Jewissen: +Wer is der Kerl? Was is der Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen +Zustande mir sollte -- (bemerkt Biegler) was -- was -- was -- was is +denn das? Is das --? + +·Lore· + +Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum Platz gehört. Weißt +du das nich? + +·Göttlingk· (halblaut zu Lore) + +Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein? + +·Eichholz· + +Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein eigenes Nest +'reinschmutzen, aber wenn du willst mein Fleisch und Blut sein -- (in +ausbrechender Wut) Kerl, dir werd' ich platt schmeißen! Dir bind' ich +'n Mühlstein um'n Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du +blutiger Hund! + +·Biegler· (gequält) + +Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? Ich denk', nu is +genug. + +·Göttlingk· (halblaut zu Lore) + +Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an? + +·Lore· + +Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine fang keinen Zank an. +Sonst mußt du 'raus. + +·Lohmann· (leise) + +Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt. + +·Sprengel· + +Hat sie ganz recht. + +·Eichholz· + +Jawohl. Ich geh' schon. -- Ich werde schon in geeignete Erfahrung +bringen, wer, wer (mit geballter Faust) und wer Blut vergießt, deß -- +Blut -- muß -- -- ich geh' schon, ich geh' schon. Guten Abend, die +hochgeehrte Gesellschaft. (Ab) + + +Achte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Eichholz_ + +·Göttlingk· (leise zu Lore) + +Hast du etwa Durchsteckereien mit dem? + +·Lore· (wendet sich ab) + +·Göttlingk· (verbissen) + +Sieh mal an! (Kehrt auf seinen Platz zurück) Na, lassen wir uns nich +die Laune verderben. (Ergreift die Mandoline, in neuem Argwohn) +Freilich, wissen möchte man doch. + +·Willig· + +Halt bloß Ruhe, Eduard. + +·Die Anderen· + + (die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei) + +·Göttlingk· (an der Mandoline zupfend) + +Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne Menge schöne Lieder, +die mir die schönen Weiber dort unten in schönen Stunden beigebracht +haben ... denn die Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', +Kinder! Wenn man da nich feste 'ranjeht! (Beiläufig, herablassend) Ach, +bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein Lore. + +·Lore· + + (bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas) + +·Göttlingk· + +Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß mit mir war. Ja, +mein geliebter Sohn, Glück bei den Weibsleuten muß der Mensch haben. +Das is der Ausschlag beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, +danke, danke, danke! (Singt und spielt) »~Vè quà una giardiniera, si +chiama Luisella, da sovra all'Arenella~« -- (Abbrechend) Sagt mal, +Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung mal so euer Chef +würde hier auf diesem Steinmetzplatz? + +·Willig· + +Was is das wieder für 'n fauler Witz? + +·Göttlingk· + +Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. Wenn ich da Jimm +drauf hätte. Die Puckligen sind zwar nich gerade mein Jeschmack, aber +wenn so 'n schönes Jeschäft dran hängt, kann man ja auch mal beide +Augen zumachen. + +·Lore· + + (stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des + Entsetzens aus) + +·Sprengel· (halblaut) + +Is 'n Mensch wie 'n Vieh. + +·Willig· (leise) + +Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh? + +·Göttlingk· + + (der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch + hinüber) + +Riskiert da etwa einer zu mucken? Was? + +·Lohmann· + +Wir sind ja ganz still. + +·Göttlingk· + +Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. (Da Lore, den Kopf in den Händen, +noch einmal aufstöhnt) Was ist denn hier los? Was? Was? Was? + +·Biegler· + + (ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, + zaghaft, als traue er seinen erwachenden Kräften nicht) + +Du Schuft! Du Schuft! -- Du Schuft! + +·Göttlingk· (fassungslos vor Erstaunen) + +Was will das Gewächse da? + +·Biegler· + +Du ganz erbärmlicher Schuft! + +·Göttlingk· (Humor heuchelnd) + +Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus quetschen? Nehmt mir +das nicht übel, aber die Handvoll, das lohnt mir nich. Außerdem bin +ich's als Steinmetz mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem -- +Prost! + +·Biegler· (heiser) + +Was du bist, bin ich noch alle Tage. + +·Göttlingk· + +Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen. + +·Biegler· + +Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell is, kann ich's besser. + +·Göttlingk· (aufspringend) + +Du warst das selber, du verfluchter --? + +·Die Anderen· (halten ihn fest) + +Ruhig, ruhig, ruhig. + +·Biegler· + +Aber das is Nebensache. (Auf Lore weisend) Da -- da -- wer steht da? +-- Der sagst du _das_ ins Gesicht? -- Jeder weiß, daß sie 'n Kind von +dir hat. Zum Dank verhunzen tust du sie -- schuriegeln tust du sie ... +Wirst sie -- wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? Du +nichtswürdiger Schuft! Du! + +·Göttlingk· (der sich zu befreien sucht) + +Nu laßt doch los. -- Is bloß 'n Floh, der ganze Kerl, aber das kost't +ihm das Leben. (Reißt sich los und zieht den Dolch heraus) Los sag' +ich, oder -- + +·Die Anderen· (weichen erschrocken zurück) + +·Biegler· + +Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, weil alle +anderen Angst haben? -- Kraft hab' ich keine, Haut und Knochen bin +ich vom langen Hungern, aber -- (er hat den Klopfstein ergriffen, der +auf dem Schanktisch liegen geblieben ist, und hebt ihn hoch) -- _mit +so 'nem Schusterstein hab' ich schon einen erschlagen! Mit so 'nem +Schusterstein hab' ich schon_ -- -- (große Bewegung) Nu komm mal 'ran, +wenn du willst. Komm mal 'ran -- komm mal 'ran! (Dringt auf Göttlingk +ein) + +·Göttlingk· (erschrocken zurückweichend) + +Na, na, na, na. + +·Biegler· + +Komm 'ran -- oder 'raus da -- 'raus da. -- + +·Göttlingk· + +(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück) + +·Biegler· (der ihm gefolgt ist) + +'raus da! 'raus da! + +·Göttlingk· + +Das werd' ich dir -- gedenken. -- (Rettet sich durch die rasch +geöffnete Tür) + +·Biegler· + + (sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er + sieht verständnislos noch einmal um sich, sieht Lore, die + schluchzend, mit verhülltem Gesicht, abgewandt dasteht, sieht + die blassen, entsetzten Gesichter und murmelt, wie wenn er + langsam zu sich käme) + +Was is denn? Was war denn? Was --? (Sein Gesicht verändert sich, er +kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl zusammensinken, +rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier aus, setzt +seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür zurück; -- +sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die ihn +regungslos Anstarrenden -- und geht hinaus) + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Vierter Akt + + Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den Häusern + des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, der sich + allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem Fenster der + Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach vollendeter + Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. Beim + Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher Biergartenmusik + + +Erste Szene + + _Marie._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + + (in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre + rauchend) + +Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen. + +·Marie· + +Eben sang sie doch noch. + +·Zarncke· + +Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben mit ihrem Bumbum. + +·Marie· + +Ach, ich hör's gerne. + +·Zarncke· + +Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so schön weitab is vom +eigenen Leben ... Da sitzen nu die Menschen in Haufen, stoßen sich, +ärgern sich, beneiden sich, begehren sich, und fünf aufgequollene +Trompeter machen Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe +Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der verfluchten +Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber auch _gar nichts_ von ihr +wissen wollen. ... Was guckste denn immer nach der Lore ihrem Fenster +'rüber? + +·Marie· + +Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch. + +·Zarncke· + +Was denn? ... Daß der Göttlingk da is? + +·Marie· + +Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei ihr gewesen. Seit +seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich kommt er -- Abends um neune -- von +da oben -- die Treppe 'runter. + +·Zarncke· + +Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen gehabt hat. Aber +so käseweiß brauchst du darum doch auch nich zu werden, wenn er nu +wirklich mal hinter dir auftaucht. + +·Marie· (schweratmend) + +Denk doch, was das für die Lore bedeutet. + +·Zarncke· + +Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt dich nich so +'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. Nich mitmachen wollen. +Das zehrt dann am eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut -- und +jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ... + +·Marie· + +O, das freilich. Aber -- gestern muß was passiert sein bei der Lore +drin. + +·Zarncke· + +So? Was denn? + +·Marie· + +Zwischen dem Nachtwächter und -- und -- Göttlingk. + +·Zarncke· + +So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn. + +·Marie· (ängstlich) + +Wieso? + +·Zarncke· + +Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert hat. Deshalb +hab' ich gestern schon den Eichholz 'rausgeschmissen. Das alte Vieh +war ganz rabiat. Irgendwas bereitet sich vor gegen den Biegler. Und +schließlich werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den -- +(Schnalzt) + +·Marie· + +Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. Viel was +Schlimmeres. + +·Zarncke· + +'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm genug ... Von wem weißt +du's denn? Von der Lore? + +·Marie· + +Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht mir heut aus dem +Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer macht immerzu Andeutungen. Aber +was Rechtes kriegt man auch aus _der_ nich 'raus. + +·Zarncke· + +Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. Da wollen wir doch mal +gleich -- (Klingelt) + + +Zweite Szene + + _Die Vorigen._ _Frau Homeyer_ + +·Frau Homeyer· + + (eine Windlampe in der Hand) + +Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... Nein, so im +Dunkeln ...! Wie können Sie bloß? + +·Zarncke· + +Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln gesessen? + +·Frau Homeyer· + +Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann -- der nimmt sich dann so leicht was +'raus -- + +·Zarncke· + +Und mit 'n alten Mann -- das lohnt nich. + +·Frau Homeyer· + +Aber, Herr -- + +·Zarncke· + +Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der Lore gewesen? + +·Frau Homeyer· + +Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte. + +·Zarncke· + +Sie haben doch meiner Tochter erzählt -- + +·Frau Homeyer· + +Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem Fräulein? Und gerade +dem Fräulein? I, da müßt' ich -- (Nimmt das Tischzeug zusammen) + +·Marie· + +Aber Frau Homeyer -- + +·Zarncke· (gleichzeitig) + +Was heißt das: _Gerade_ dem Fräulein? + +·Frau Homeyer· + +Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin sein. Und ich bin +im Gegenteil immer höchst zurückhaltend ... Da bin ich bekannt für. Da +können Sie alle Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse lesen +... Und da soll ich mir gerade _hier_ die Zunge bei verbrennen? ... Das +kann Ihnen wer anders erzählen, Fräulein. Und dann müssen sich auch +nichts draus machen. ... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg +... Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is immer noch das +Beste für 'n ältliches Mädchen. + +·Marie· + +Ja, was hab' _ich_ aber mit dem allen zu tun, Frau Homeyer? + +·Frau Homeyer· + +Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat _manchmal_ mit was nich zu tun, +und kommt _doch_ ins Gerede ... Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich +das freilich nicht gedacht. Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen +(verschämt) immer so zutraulich -- und, wie gesagt, Kavelier. Aber da +könnte ja jeder kommen und -- ach, bitte das Sahnentöpfchen -- und +behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, da könnt' er Herr +sein auf diesem Steinmetzplatz. Ja. + +·Zarncke· + +Was? Was? Was is das? + +·Frau Homeyer· + +Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz unbesorgt sein, +Fräulein, das -- + +·Zarncke· + +Halt! Stopp! 'raus! Weg! + +·Frau Homeyer· + +Aber Herr -- + +·Zarncke· + +Weg, weg, weg, weg! + +·Frau Homeyer· + +Ja, ja, Herrgott! + +·Zarncke· + +Weg! + +·Frau Homeyer· + + (mit dem Tablette ins Innere ab) + + +Dritte Szene + + _Marie._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + +Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, Mariechen. Bittst +mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest austapezieren ... Und da +traut sich der Kerl überhaupt noch hierher? -- Da wollen wir mal gleich +-- -- (steht auf) + +·Marie· + + (die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf) + +Nein, Vater, nein! + +·Zarncke· + +Was -- nein? Und wie siehste denn aus? -- Ganz überird'sch! + +·Marie· (in hilflosem Bekennen) + +Vaterchen! + +·Zarncke· + + (nach einem Schweigen hinter sie tretend) + +Miezelchen! (Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise) Haben sie dir +'s Geheimfach aufgebrochen? + +·Marie· (aufschluchzend) + +Nicht ansehn! Nicht ansehn! (Verbirgt das Gesicht in seinem Rock) + +·Zarncke· (sie streichelnd) + +Also _das_ war's? Und was du da drinnen verschlossen hieltst, das wird +dir nu da -- (weist zur Kantine) Ja, wie geht denn das zu? + +·Marie· (von Schluchzen geschüttelt) + +Weiß nicht! Weiß nicht! + +·Zarncke· + +Na, nu laß doch mal meinen Rock los! + +·Marie· + + (verbirgt das Gesicht um so fester) + +·Zarncke· + +Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst mich gar nich ansehn? +Möchtst das Tageslicht nich mehr sehn? Möchtst dir womöglich das Leben +nehmen noch diese Nacht? + +·Marie· (nickt heftig) + +·Zarncke· (lacht und streichelt sie) + +Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen muß, dem 'n Stern vom +Himmel 'runterfällt. (Zum Himmel weisend) Kiek mal hoch! ... Kannst +noch nich? Da sind schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie +stehn da wie für die Ewigkeit. _Und sie fallen alle._ Aber darum +werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, denen sie als +Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... Die Jugend verliert sich +zuerst, aber unser Blick wird um so heller ... Die Freunde zerkrümeln +sich, aber unsere Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, +jeder Gedanke -- jeder Hund -- jeder Stein ... Na -- und die Liebe? -- +Dem einen fällt sie in den Schmutz -- wie dir, dem anderen zerreibt sie +der Alltag; -- rasch oder langsam, es is immer dasselbe, -- aber vor +der Tür lauern schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, +und die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott wird +uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere Herzen schlagen kräftiger +... Kindchen, 's wird noch 'n büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham +brennt ... Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. +Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein Recht war und ist, +dich liebzuhaben und dir zu sagen: Halt still ... Die Stillen sind die +Klugen ... Und nur wer von der Welt _weit, weit_ ab is, der hat sie +ganz. + +·Marie· (sich aufrichtend) + +Vaterchen, hast du das immer gedacht? + +·Zarncke· + +Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die Kranken und die +Alten. Aber die, welche die Jungen und die Gesunden sich zurechtmachen, +is auch nischt wert ... Na -- nu schmunzelst du ja wieder --. + +·Marie· (schluchzt kurz auf) + +·Zarncke· + +Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die Tür hat schon 'n +paarmal geklappt. (Weist nach der Kantine) Da traut sich einer nich an +die frische Luft, eh' wir nich verduftet sind. + +·Marie· + +Die arme Lore! + +·Zarncke· + +Nja. Na, komm. (Beide ins Haus ab) + + +Vierte Szene + + _Eichholz._ _Göttlingk._ _Lore_ + +·Eichholz· + +Scht! Du, Göttlingk! -- Sie sind weg! + +·Göttlingk· (heraustretend) + +Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt -- gewisse Leute in den +Weg gerannt wären -- -- na! Also übers Aufgebot reden wir noch, Lore! + +·Lore· + + (die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos) + +Wie du willst, Eduard. + +·Göttlingk· + +Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden Quetsche. Mein +Handwerkszeug bringt mir morgen der Vater und -- ja, richtig! Die +Mandoline gib mir doch noch mit. + +·Lore· (verschwindet) + + (Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die + Gestalt Zarnckes wird dahinter sichtbar) + +·Göttlingk· (leise) + +Is das nich der Alte da oben? + +·Eichholz· + +Ja, der schläft da. + +·Göttlingk· + +Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. (Das Rouleau wird herabgelassen) + +·Lore· (bringt die Mandoline) + +·Göttlingk· + +So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen. + +·Lore· (ängstlich) + +Vater, es wäre wohl besser, du -- -- + +·Eichholz· (scheltend) + +Was heißt das? Was hast du --? + +·Göttlingk· (gleichzeitig) + +Nu laß doch Vater! ... (Reicht ihr die Hand) Gute Nacht! -- (Da sie in +der Türe stehen bleibt) Nu geh nur! Geh nur! + +·Lore· (tonlos) + +Gute Nacht. (Ab, die Türe hinter sich schließend) + + +Fünfte Szene + + _Eichholz._ _Göttlingk_ + +·Göttlingk· + +Na -- und nu? ... Wir haben drin nich ausreden können, weil uns +die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie denkst du nu über 'ne gute +Streckschicht für den Kerl? + +·Eichholz· + +Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich bin ein zuverlässiger +Mann jewesen und ein -- + +·Göttlingk· + +Ja, ja, ja, ja! + +·Eichholz· + +Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, sie haben mir den +höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, den haben sie mir -- + +·Göttlingk· + +Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation. + +·Eichholz· + +Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund kommt, dann +stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen Brust. + +·Göttlingk· + +Na und dann? + +·Eichholz· + +Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, hab' ich gesagt, es gibt +-- ein Unglück. + +·Göttlingk· + +Ja, mit's Maulwerk. + +·Eichholz· + +So? ... (Zögernd) Du, und was is denn mit dem -- Block? + +·Göttlingk· (lauernd) + +Was für 'n Block? + +·Eichholz· + +Wo du vorhin von sprachst. + +·Göttlingk· + +Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug? + +·Eichholz· + +Ja. + +·Göttlingk· + +Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er bloß auf der Kippe. +Verstehste? Eine Holzsteife -- die kann 'n Kind wegschlagen. -- Und +geht dann einer die Treppe 'rauf -- _muß_ er die Treppe 'rauf? + +·Eichholz· + +Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr aufgestellt. -- + +·Göttlingk· + +Daß da man kein Malheur passiert! + +·Eichholz· + + (argwöhnisch, will nicht verstehn) + +Warum soll -- da gleich -- 'n Malheur passieren? + +·Göttlingk· + +Ach so! ... Scht! Is er das nich? (Man hört rechts das Schließen einer +Tür) + +·Eichholz· + +Ja. + +·Göttlingk· (leiser) + +Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... Kann man da oben irgendwo +'raus? + +·Eichholz· + +Durch die kleine Tür. Immerzu. + +·Göttlingk· + + (ihn nach dem Hintergrunde ziehend) + +Na denn komm! + +·Eichholz· + +Warum nich hier durchs Tor? + +·Göttlingk· + +Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu stehn. -- Komm! (Auf einer +mittleren Treppenstufe hält er inne) Scht! + +·Eichholz· + +Er schließt noch das Sägewerk. + + (Beide verschwinden links oben. -- Während rechts eine schwere + Tür zugeschlossen wird, hört man oben das leise Klirren der + Flaschenzugketten. Dann Stille. Während der folgenden Szene + geht der Mond auf) + + +Sechste Szene + + _Biegler._ Dann _Struve_ + +·Biegler· + + (mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre + umgehängt, erscheint rechts vorne und geht an dem erleuchteten + Kantinenfenster vorbei, dann revidiert er das Schloß des + Magazins und will zur Tür des Wohnhauses hinüber) + +·Struves Stimme· (vom Haustor her) + +He! Scht! Nachtwächter! Biegler! + +·Biegler· + +Wer is da? + +·Struves Stimme· + +'n guter Freund! + +·Biegler· + +Ich hab' keine guten Freunde. + +·Struves Stimme· + +Struve is da. + +·Biegler· + +Struve kann bei Tage kommen. + +·Struves Stimme· + +Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel. + +·Biegler· + +Was is denn? (Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich drehen. +Dann erscheint er zusammen mit Struve) Na? + +·Struve· + +Fsch! Drinne wär' mer ja nu. + +·Biegler· + +Also was willst du? + +·Struve· + +Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. Ick hab' 'n Amt +hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! ... Da muß ick mir iberfihren +können bei Tag und bei Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen +vor lauter Ehrjefihl. Ja. + +·Biegler· + +Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter. + +·Struve· + +Det sagste so in deinen Jemiete. -- Aber wenn du eines Morjens nicht +mehr dabist -- + +·Biegler· + +Wieso? + +·Struve· + +Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns haben se doch aus +denselben Suppentopp jeangelt. + +·Biegler· (bitter) + +Ach so! + +·Struve· + +Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier _nu doch_! + +·Biegler· + +Ja. Das bin ich mir klar. + +·Struve· + +Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen noch ne jroße +Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren derfen. Bloß, daß se +morjen früh zum Alten jehn werden, das hab' ich noch -- + +·Biegler· (in bitterer Erregung) + +Und meinen Austritt fordern? + +·Struve· + +Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran abzählen. + +·Biegler· (verbissen, verzweifelt) + +Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine. + +·Struve· + +Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir -- nich vorher schon dinne +machen wolltst. -- Und darum bin ick eben auch 'n bisken dahinter +jewesen. Deiwel auch! Wenn man so die Verantwortung hat. + +·Biegler· + +Wofür? Für mich? + +·Struve· + +Ne -- aber -- (macht Zeichen nach dem Magazin hin) vor -- -- Ick kenn' +doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen die loofen doch jewissermaßen +hinter einen her. Janz von selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann +man jar nischt vor. + +·Biegler· + +Was denn? Was denn? + +·Struve· + +Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen da muß man +eben 'n Freind haben. Mann mit Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken +ins Jewissen redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und +-- -- was? Wie sagste? + +·Biegler· (mit einem kurzen Lachen) + +Ich sag' jar nischt. + +·Struve· + +Na, nu mal unter uns! -- Wenn du -- und du jehst hier weg, wo wirschte +denn nu hinmachen? + +·Biegler· + +Wer kann das wissen? + +·Struve· + +Nu, setz dir mal bisken hier dal! (Zieht ihn auf den vordersten Block) +Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. Ick bin Verdrauensperson. +Und so. -- Aber _zu_ viel Ehre kann der Mensch auch nich verdragen. Des +drickt aufs Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe -- +jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n bisken klietrig +bist -- weißte! -- -- na? -- Wollen wir zusammen uf de Fahrt steigen? + +·Biegler· + +Was? Du und ich? + +·Struve· + +Nu ja. Mit _die_ Ansichten, wo wir beide vons menschliche Leben haben +-- die _haben_ wir nu mal! Die kann uns keiner nehmen. Die einen +wälzen sich in'n Jolde, wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. +Tagsüber sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen wir uns +'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte ewig 'n krummen Puckel +machen und dir sauer anhauchen lassen und wirscht doch nie mehr im +Leben, wat die andern sind! + +·Biegler· + +Mensch! Da haste recht! + +·Struve· + +Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß _einem_ Jehorsam +schuldig, -- das is der Meilenzeiger ... Na? + +·Biegler· + + (schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß) + +Gut! Wann willst du -- losjehn? + +·Struve· + +Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang. + +·Biegler· (in Erregung) + +Ich muß doch erst -- mit ihm -- reden ... Muß doch kündigen. + +·Struve· + +Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? Und noch eins +sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n tück'sches Luder. Der verjeßt dir die +Blamasche nich. Da kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, +jleich, noch auf'n nichternen Magen. + +·Biegler· (dumpf, entschlossen) + +Mir is alles egal. + +·Struve· + +Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht. + +·Biegler· + +Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit. + +·Struve· + +Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, da stempelt dir 'n +jewesener Oberjeheimrat de piksten Flebben noch heite nacht. Und denn +-- wat willste mit 'n Zeichnisbuch? -- Et steht ja woll jeschrieben: +»Ehrlich währt am längsten« -- aber 'n tichtiger Spitzbube fährt mit +vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! Die schabt sich ab +wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da droppt dir ewig de Nese von wie +bei'n kleinen Swienegel ... Bloß natirlich -- 'n jewisses Anlagekapital +-- det missen wir haben. + +·Biegler· + +Wozu? Woher? + +·Struve· + +Det brauchste überall. -- Ohne 'n Parchentlappen kannste nich uf de +Flohjagd. -- Willste lernen Jold machen? Kleinigkeit! Aber natirlich -- +wenn de keinen Dukaten _hast_, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. +Siehste! Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja nich wie +bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen -- und so -- is ja +alles da. + +·Biegler· + +Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt. + +·Struve· + +Aber Mensch! -- Bejreifst de denn noch immer nich? + +·Biegler· + +Was denn? Na was denn? + +·Struve· + +Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und frag nich immer so +glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. Da kann man doch nischt machen. + +·Biegler· + +Was? Was? Was? + +·Struve· (zaudernd, verlegen) + +Na -- de -- de -- Diamanten. + +·Biegler· + +Die willst du am Ende --? + +·Struve· + +Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n janz reelles +Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle nich mehr. Sonst blamiert +er sich. Na? + +·Biegler· + +Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu Hause. + +·Struve· + +Du bist wohl 'n Schlamassel? + +·Biegler· + +Ich muß jetzt elfe abpfeifen. (Wild) Jeh, oder ich pack' dir ins Jenick. + +·Struve· + +Na -- denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr in dir entteischt. +Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! ... Äh! Is nischt mehr los +mit's menschliche Leben, nich vor und nich hinter de Mauer. + + (Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen) + + +Siebente Szene + + _Lore._ _Biegler_ + +·Lore· + + (tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin) + +Vater, bist du's? + +·Biegler· + +Ich bin's, Fräulein. + +·Lore· (freudig aufschreckend) + +Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn mit -- mit -- noch einem? + +·Biegler· + +Nein. + +·Lore· + +Ach -- 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen -- ja? + +·Biegler· + +Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... das heißt wenn Sie +mir danken wollen etwa -- + +·Lore· + +Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß Gott, Herr Biegler, ich +wollt' Ihnen so gerne helfen. Das war meine einzigste Absicht. Statt +dessen haben Sie mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß +nicht aus, nicht ein. + +·Biegler· + +Was is denn nu? + +·Lore· + +Er -- war -- eben da. + +·Biegler· + +Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein? + +·Lore· (schweigt) + +·Biegler· + +Oder will er noch immer nich? + +·Lore· + +Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... In Arbeit kommt er +nich mehr zurück. + +·Biegler· + +So? Ei, ei! + +·Lore· + +Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er -- + +·Biegler· + +Das kann ihm ja nich fehlen. + +·Lore· + +Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? -- Man hungert, man +hungert nach seinem Glück, jahrelang -- und wie man's endlich hat -- +_so_, zwischen seinen zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, +da _will_ man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is man. Satt. + +·Biegler· + +Wer satt is, soll nich essen. + +·Lore· + +Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das is doch Wahnsinn. Da +drin schläft doch mein Lenchen. + +·Biegler· (erregt, verbissen) + +Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem Schoß zu halten. + +·Lore· (erschrocken) + +Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is Sünde. + +·Biegler· + +Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins Unglück stürzt. + +·Lore· + +Das sagen Sie heute, und gestern -- haben Sie Stellung und alles -- +haben Sie hingegeben -- bloß -- + +·Biegler· + +Gott weiß, wie alles kommt. + +·Lore· + +Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts mehr. Ich laure +bloß immer: Was für 'n Hintergedanken hat er nu? Mit Vater hat er im +Winkel gesessen, weit weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da +die Rede von -- Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu hebt mich die +Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes einredet. + +·Biegler· + +Wem kann der alte Mann denn was tun? + +·Lore· + +Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, was soll ich? Ich +kann ja nich mehr los von ihm. Ich bin jahrelang wie sein Hund zu ihm +gewesen. Ich kann ja nich mehr los von ihm. + +·Biegler· + +Ja, wenn Sie nich _können_. + +·Lore· + +Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir. + +·Biegler· + +Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen! + +·Lore· + +Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie können, was Sie +wollen! Sie -- + +·Biegler· + +Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen Zeit. Ich will +_nich_ bald wieder auf 'ner dreckigen Pritsche liegen, Pennbruder +rechts, Pennbruder links -- wenn nichts Schlimmeres -- und mir die +Augen aus dem Kopf brennen vor -- -- _und muß doch_. + +·Lore· + +Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. Zu Ihresgleichen. + +·Biegler· + +Das _is_ meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich nich. -- Da _gehör'_ +ich hin ... Aus _der_ Welt, wo Sie sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, +da is Krätze und Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, +weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine ewige Seligkeit +um ein gefälschtes Stück Attest. + +·Lore· + +Aber noch sind Sie doch hier. + +·Biegler· + +Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' ich weg. + +·Lore· + +Aber warum denn? Warten Sie doch ab! + +·Biegler· + +Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts Böses. -- Ich geh' +auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem eigenen Munde wissen, was für +einer ich bin, nich einen Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner +Traum gewesen. Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich schon sehr +... Ja, _die Nächte_, wenn der Mondschein überall auf den Blöcken liegt +... Da -- sehn Sie, da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts +wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und hab' _einen_ +gestreichelt und den _andern_ gestreichelt und hab' gedacht: »Wer wird +dich mal behauen -- der Glückliche!« ... Und wenn dann erst alles ganz +still wird -- ringsum auf den Straßen, -- dann sitzt man mitten in der +Welt wie in einem schönen, warmen Mantel -- ganz ruhig und ganz -- -- +ich sagt's Ihnen schon gestern -- aber das kommt erst viel später gegen +Mor -- -- (Hält lauschend in ängstlicher Spannung inne) + +·Lore· + +Was is? + +·Biegler· + + (Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang -- + scheinbar sich entfernend) + +Horchen Sie! Horchen Sie! + +·Lore· + +Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was is denn dabei? + +·Biegler· (leise) + +Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die ziehen hier in +die Runde -- von elfe ab -- immer ums Straßenkarree 'rum -- bis gegen +Morgen. (In Angst) Solang ich die lachen hör', da -- + +·Lore· + +Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan? + +·Biegler· (leise, geheimnisvoll) + +Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch so 'rum. + +·Lore· + +Woher wissen Sie das? + +·Biegler· + +Ich hab' -- sie -- getroffen. + +·Lore· (erschrocken) + +Hier draußen? + +·Biegler· + +Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... Wenn sie mich gesehn hätt' +-- ich hab' mich bloß geschämt, weil ich so abgerissen war, sonst -- +weiß Gott, was ich jetzt schon wär' ... (Er schaudert) Ja, der Hunger +kann viel ... Na -- werden ja sehn! + +·Lore· (erschüttert) + +Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie -- + +·Biegler· + +Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, Sie und der +komische alte Mann da drin. Von jetzt ab hält mir keiner mehr die +Stange hin. Aber gedenken werd' ich's Ihnen -- bis -- ... Fräulein +Lore, es is mein letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch +nich gemacht. + +·Lore· (sich ängstlich umschauend) + +Ach -- noch -- noch -- Wenn ich bloß wüßte, wo er Vater hingeschleppt +hat ... Ich kann die Angst nich los werden, daß, daß -- -- + +·Biegler· + +Na, was denn? + +·Lore· + +Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht -- dort -- ja? + +·Biegler· + +Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ... + +·Lore· + +Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie nich ins Finstre -- +nein? + +·Biegler· (kurz auflachend) + +Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern grault. Und heut +bin ich noch einer ... Heut bin ich noch Mensch ... Morgen munter -- +wieder 'runter -- in den Morast ... (Streckt in tiefer Bewegung die +Hand gegen sie aus) Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ... + +·Lore· (ohne die Hand zu nehmen) + +Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... Schließlich, wenn's +Ihnen die andern verzeihen, warum _müssen_ Sie denn durchaus weg? + +·Biegler· + +Wer wird _mir_ verzeihen? ... Die Steinmetzen haben ja schon beraten, +daß sie morgen zum Alten gehen werden -- und -- + +·Lore· + +Nu ja. + +·Biegler· + +-- und -- + +·Lore· + +Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch gar nich ...? + +·Biegler· + +Was is da viel zu wissen? + +·Lore· + +Herr Biegler, die Steinmetzen _wollen_ morgen zum Alten gehn -- das +is richtig, aber nicht darum, was _Sie_ glauben, sondern weil sie ihm +sagen wollen, daß sie gerne mit Ihnen zusammenarbeiten werden. + +·Biegler· (verständnislos) + +Die Steinmetzen -- wollen -- dem Al-- + +·Lore· + +Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach sind, und weil Ihr +Auftreten gestern ihnen so gut gefallen hat, darum soll Ihr Privatleben +keinen mehr was angehn, haben sie gesagt. + +·Biegler· + +Die Steinmetzen wollen -- die Steinmetzen wollen -- die Steinm-- -- -- +Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen wollen -- ja, warum haben Sie mir +das nich schon früher gesagt? + +·Lore· + +Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... Sie gehen auf alle +Fälle. + +·Biegler· + +Wenn die Steinmetzen _wollen_, warum soll _ich_ denn --? Wenn ich +wieder -- ich soll wieder Krönel und Scharriereisen in die Hand nehmen? +... Ich soll wieder die blaue Schürze -- umbinden -- dürfen? Ich soll +-- soll -- soll -- wieder die blaue Schürze ... (Heimlich, leise, in +Angst) Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. -- Aber -- (Legt +die Hand auf die Lippen) Ich hab' nämlich manchmal solche Anfälle +gehabt (wischt sich über die Stirn) in der Anstalt ... Das find't man +dort sehr oft ... Sind Sie ganz sicher, daß Sie das eben gesagt haben, +daß die Steinmetzen -- morgen -- dem Alten --? + +·Lore· + +Aber Herr Biegler, ja, ja! + +·Biegler· + +Und Sie glauben auch, es kann -- nichts mehr -- dazwischenkommen -- bis +morgen? + +·Lore· + +Was sollt' denn das sein? + +·Biegler· + +Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern -- oder daß der Alte sagt: +»Nein« -- oder daß mir 'n Stein auf'n Kopf fällt -- oder, was weiß ich? + +·Lore· + + (sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise) + +Stein auf'n -- + +·Biegler· (lachend) + +Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich bin immer 'n +tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab' schon zwei Preise gekriegt ... +Ich bin mal vor der ganzen Innung -- bin ich öffentlich belobt worden +... Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon acht Mark fünfzig +pro Tag verdient ... Ich versteh' auch gut in Granit zu arbeiten. +Profile und Alles ... Granit, das wissen Sie ja, das ist das Härteste +... Dabei scheint es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem +geradezu aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... da muß +man -- da muß man -- (vom Glücke überwältigt) Die Steinmetzen -- wollen +-- mit mir -- -- (sinkt lachend und schluchzend auf die Bank, das +Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise) arbeiten -- mit mir -- arbeiten +-- -- + +·Lore· + + (macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln) + +Ach Gott! (um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich) Herr Biegler! ... +Herr Biegler! + +·Biegler· (zu sich kommend) + +Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock -- meine Pfeife? ... Ich bin +ganz, ganz ... die Kontrolluhren hab' ich auch noch nich gestochen! -- +Heut darf ich nichts versäumen, sonst ... Hahaha -- hahahaha! Adieu, +Fräulein Lore. Ich komm' bald wieder. + +·Lore· + +Wo wollen Sie hin, Herr Biegler? + +·Biegler· + +Runde machen -- nach oben -- die Treppe 'rauf ... + +·Lore· (leise) + +Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf! + +·Biegler· + +Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst vor dem Block? + +·Lore· (in wachsender Angst) + +Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen auf Ihr künftiges +Leben -- wenn Sie den Krönel wirklich noch mal führen wollen -- wenn +Sie -- ... _Mein Kind_ hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat +Ihnen Glück gebracht -- darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie wo +anders, aber da _nicht_! + +·Biegler· + +Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe haben -- + +·Lore· + +J, ja, ja, ja. + +·Biegler· + +Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was will! Mir tut keiner +mehr was. Jetzt nich mehr. Nee. + +·Lore· (entschlossen) + +Dann komm' ich mit. + +·Biegler· + +Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern! + +·Lore· (ruft hinauf) + +Is da einer oben? (Schweigen) + +·Biegler· + +Na sehn Sie! + +·Lore· (leise) + +Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann fassen Sie mich mal +um den Leib. Ganz fest. + +·Biegler· + +Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst? + +·Lore· + + (umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme) + +So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann wollen wir doch mal +sehen. + +·Eichholzens Stimme· (von oben) + +Wirste weg da, du -- + +·Göttlingks Stimme· + +Scht! + +·Biegler· + +Nanu! Was is denn _das_? (Er reißt sich los und springt blitzschnell +die Treppenstufen hinan. -- In demselben Augenblicke stürzt dicht +hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und +zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das +ängstliche Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden) + +·Lore· + + (ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, + sinnlos vor Angst, in das Dunkel hinauf) + +Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an. Ich zeig' +dich an. + +·Göttlingks Stimme· + +Schrei nich, du Frauenzimmer! (Man sieht seine Gestalt nach links hin +flüchten und verschwinden) + + +Achte Szene + + _Lore._ _Biegler._ _Eichholz._ Später _Zarncke._ _Marie._ _Frau + Homeyer._ _Zwei Dienstmädchen_ + +·Stimmen von der Straße her· (durcheinander) + +Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord und Totschlag ... Macht +doch mal auf! ... Aufmachen! -- (Man rüttelt am Tor) + +·Biegler· + + (führt unterdessen den Alten die Treppe herab) + +Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. -- Vorsicht! -- + +·Eichholz· (betrunken weinend) + +Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ... + +·Lore· (ihnen entgegen) + +Um Gottes willen, Vater! + +·Biegler· + + (gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore + und ruft nach links hinübergehend atemlos) + +Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. Weiter nichts ... +Weiter is nichts. -- + +·Die Stimmen· (durcheinander) + +Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen mal nachsehen.. +Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen! + +·Biegler· + +Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! (Pfiffe. Gelächter. +Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille) + +·Eichholz· + + (der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich + niedersetzt, derweilen weitergranzend) + +Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs Schafott. + +·Zarncke· + + (hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die + Glastür geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon + hinaus) + +Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn? + +·Lore· + + (mit flehender Gebärde zu Biegler hin) + +Ach bitte, bitte! + +·Zarncke· + +Bekomm' ich keine Antwort? + +·Biegler· + + (nach Atem ringend, mit zitternder Stimme) + +Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe is vom Stapel +gefallen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Wie hat denn das passieren können? + +·Biegler· + +Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben sich wohl die Ketten +gelockert. + +·Zarncke· + +Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich verletzt? + +·Lore· + + (Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe) + +Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber schlimm is es nicht, +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Na wenn's weiter nichts is. + +·Eichholz· (wird allmählich still) + +·Frau Homeyer· + + (in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei + Mägden hinter sich auf die Veranda hinausgetreten) + +O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur passiert. + +·Zarncke· (herunterrufend) + +Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück! + +·Marie· + + (die während des Vorigen in dem -- gleichfalls erhellten -- + Fenster des Wohnzimmers erschienen ist) + +Du, Lore, komm mal her zu mir. + +·Lore· (geht zu ihr) + +·Frau Homeyer· (derweilen) + +Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore gewesen. Da möcht' ich +jeden heiligen Eid drauf schwören. + +·Zarncke· + +Na, wird's bald? + +·Frau Homeyer· (mit den Mägden ab) + +Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja. + +·Marie· (leise) + +Was schriest du da vorhin? Und zu wem? + +·Lore· (bebend) + +Ich? + +·Marie· + +Ich war wach. Mich täuschst du nicht. + +·Zarncke· + +Mariechen. + +·Marie· + +Vaterchen? + +·Zarncke· + +Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können wir uns morgen besehn. Das +heißt, dem Willig werd' ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig +erschreckt, Biegler -- was? + +·Biegler· + + (noch immer zitternd in Erregung) + +Ach -- nich sehr -- Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Na denn: Gute Nacht, Kinder. + +·Lore· + +Gute Nacht, Herr Zarncke. + +·Marie· (gleichzeitig) + +Gute Nacht, Vaterchen. + +·Zarncke· + + (geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür) + +·Lore· (leise) + +Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit gestern. + +·Marie· + +Aber doch nur Gutes? + +·Lore· (fest) + +Ja. Weiß Gott. + +·Marie· (in wehmütiger Güte) + +Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht. + +·Lore· + +Gute Nacht, Mariechen. + +·Marie· (schließt das Fenster. Ab) + + +Neunte Szene + + _Lore._ _Biegler._ _Eichholz_ + + (Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße + haben sich allmählich verloren. Mitternachtsstille) + +·Biegler· + + (sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, + auf die Bank und atmet schwer) + +·Lore· + +Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil geblieben? Is Ihnen auch +nichts geschehn? + +·Biegler· + +Ich muß mich bloß -- 'n bißchen verschnaufen ... ich bin ganz ... + +·Lore· + +Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da nichts getan? + +·Biegler· + +Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen Dreikantigen zu +ziehn. -- Na, kommen Sie noch immer nich los von ihm? + +·Lore· + + (mit einer wilden Gebärde des Befreitseins) + +Ach! + +·Biegler· + +Ja. Dem sein Hund sind Sie _gewesen_, scheint mir. + +·Lore· + +Und meinen alten Vater so zu -- der Schuft! ... Vater! Du mußt zu Bett +gehn, Vater! + +·Eichholz· + + (antwortet nicht, atmet tief im Schlafe) + +·Lore· + +Gott! -- Nu sehn Sie bloß! + +·Biegler· + +Schläft er am Ende? + +·Lore· + +_Dem_ werden Sie doch nichts nachtragen? + +·Biegler· + +Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha. + +·Lore· + +Herr Biegler! + +·Biegler· + +Was, Fräulein Lore? + +·Lore· + +Ich kann nichts sagen -- mir ist das Herz so -- ich kann nicht ... + +·Biegler· + +Aber die Hand können Sie mir geben. (Streckt ihr die Hand entgegen) +Wenn die nu wieder rein wird, dann sind Sie schuld. + +·Lore· + + (weist kopfschüttelnd nach dem Balkon) + +Unser Alterchen da oben is schuld. + +·Biegler· (seine Hand in der ihren) + +Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... Scht! ... Schlägt's da +nich zwölfe? (Man hört die ferne Turmuhr schlagen) Wahrhaftig! Nu muß +ich aber wirklich mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja +gar nich wert, daß ... (Lacht leise und glücklich) Gute Nacht, Fräulein +Lore! + +·Lore· + +Gute Nacht, Herr Biegler. + +·Biegler· (am Fuß der Stufen) + +Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf? + +·Lore· + +_Der_ kommt nie wieder. -- + +·Biegler· (von den Stufen her) + +Gute Nacht! + +·Lore· + +Gute Nacht. + +·Biegler· (verschwindet nach rechts) + +·Lore· + +Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, Vater. (Der Alte rührt +sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen) Vater, hörst du, wie +er pfeift? (Biegler pfeift -- wieder von weiter her) Vater, das Glück +pfeift! Das Glück pfeift! (Sie sinkt schluchzend vor dem Alten nieder, +das Gesicht an seinem Knie verbergend. Der Alte schläft fort. -- Das +Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er sich entfernt) + + (_Der Vorhang fällt langsam_) + +[Illustration] + + + + + +----------------------------------------------------------------+ + | Anmerkungen zur Transkription | + | | + | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen | + | gebräuchlich waren, wie: | + | | + | anderen -- andern | + | besehen -- besehn | + | danach -- darnach | + | Gehen -- Gehn | + | sehen -- sehn | + | | + | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. | + | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: | + | | + | S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert. | + | S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert. | + | S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert. | + | S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert. | + | S. 130 »umso« in »um so« geändert. | + | S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert. | + | | + +----------------------------------------------------------------+ + + + + + +End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 62132 *** diff --git a/62132-h/62132-h.htm b/62132-h/62132-h.htm index b94e6cf..3bf9426 100644 --- a/62132-h/62132-h.htm +++ b/62132-h/62132-h.htm @@ -1,8175 +1,7753 @@ -<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
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- The Project Gutenberg eBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann.
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-
-The Project Gutenberg EBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Stein unter Steinen
-
-Author: Hermann Sudermann
-
-Release Date: May 14, 2020 [EBook #62132]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***
-
-
-
-
-Produced by Peter Becker and the Online Distributed
-Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was
-produced from images generously made available by The
-Internet Archive)
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-</pre>
-
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-
-<p class="center p6 big200">Stein unter Steinen</p>
-
-
-<p class="pagebreak center">
-Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger<br />
-Stuttgart und Berlin</p>
-
-<p class="center big200">
-<span class="u">Hermann Sudermann:</span></p>
-
-
-<div class="center">
-<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Bücher von Hermann Sudermann">
-<tr><td align="left"></td><td align="left">Geheftet</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Im Zwielicht.</b> Zwanglose Geschichten. 30. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Frau Sorge.</b> Roman. 83. bis 87. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Geschwister.</b> Zwei Novellen. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Der Katzensteg.</b> Roman. 61. bis 65. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Jolanthes Hochzeit.</b> Erzählung. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Es war.</b> Roman. 38. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 5.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Die Ehre.</b> Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Sodoms Ende.</b> Drama in 5 Akten. 23. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Heimat.</b> Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Die Schmetterlingsschlacht.</b> Komödie in 4 Akten 9. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Das Glück im Winkel.</b> Schauspiel in 3 Akten 15. und 16. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Morituri:</b> Teja. Drama in 1 Akt. — Fritzchen. Drama in 1 Akt. — Das Ewig-Männliche. Spiel in 1 Akt. 17. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Johannes.</b> Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. 28. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Die drei Reiherfedern.</b> Dramatisches Gedicht in 5 Akten. 14. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Johannisfeuer.</b> Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Es lebe das Leben.</b> Drama in 5 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Der Sturmgeselle Sokrates.</b> Komödie in 4 Akten. 15. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr>
-</table></div>
-<p class="center">
-Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen<br />
-<br />
-Preis für den Einband:<br />
-<br />
-in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf.<br />
-</p>
-
-
-
-
-<h1 class="pagebreak">Stein unter Steinen</h1>
-
-<p class="center p4">Schauspiel in vier Akten</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="center p2 big140">Hermann Sudermann</p>
-
-<p class="center p2">Elfte Auflage</p>
-
-<div class="figcenter p4" style="width: 130px;">
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-</div>
-
-<p class="center p2">Stuttgart und Berlin 1905</p>
-
-<p class="center">J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
-</p>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span></p>
-
-
-<p class="center p6"><span class="antiqua">Copyright, 1905, by Hermann Sudermann</span></p>
-
-<p class="center">Alle Rechte vorbehalten</p>
-
-
-<p class="center p6">Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span></p>
-
-
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-
-<h2 class="left">Personen</h2>
-
-
-
-<div class="left">
-<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Personen">
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Zarncke</b>, Steinmetzmeister.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Marie</b>, seine Tochter.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Frau Homeyer</b>, Wirtschafterin bei Zarncke.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Jenisch</b>, Buchhalter.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Eichholz</b>, Nachtwächter auf dem Werkplatz.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lore</b>, seine Tochter.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lenchen</b>, deren Kind.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Willig</b>, Polier.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Göttlingk</b>, Steinmetz.</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Jakob Biegler</b>.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><b>Reitmaier</b>, Kriminalkommissar.</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Lohmann</b>,</td><td align="left">}</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Sprengel</b>,</td><td align="left">}</td><td align="left">Arbeiter.</td></tr>
-<tr><td align="left"><b>Struve</b>,</td><td align="left">}</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3">Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3">Mehrere Frauen und Kinder.</td></tr>
-<tr><td /></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Ort der Handlung</span>: Berlin.</td></tr>
-<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Zeit der Handlung</span>: die Gegenwart.</td></tr>
-<tr><td /></tr>
-</table></div>
-
-<div style="clear: both;" />
-
-<p class="center">Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen,
-zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag.</p>
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span></p>
-
-<div class="figcenter p6" style="width: 150px;">
-<img src="images/006_deco.png" width="150" height="55" alt="" />
-</div>
-
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h2>Erster Akt</h2>
-
-<p class="directive1">Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür
-nach dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen.
-Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach
-dem Werkplatz führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein
-Podium mit bequemem Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne
-ein Sofa mit Sofatisch und Sesseln. Im Hintergrunde links
-von der Tür ein Tischchen mit Wandkonsole darüber, rechts
-von der Tür ein Bücherschrank. Altväterisch-behagliche Ausstattung.
-Stahlstiche, Photographien, gestickte Sinnsprüche an
-den Wänden. Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit
-Kanarienvogel etc. etc.</p>
-
-
-<h3>Erste Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br />
-</p>
-
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den Backen. Gutmütig-vergnügte
-Äuglein. Sprechweise — mit Anklängen ans Niederdeutsche
-— weich, bisweilen harmlos polternd, voll stillen Grüblersinnes)</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei schöne
-Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, bisweilen durch
-schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen tastend, unsicher)</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b></p>
-
-<p class="directive2">(behaglicher, beschränkter Zahlenmensch)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit Jenisch eintretend)</i></p>
-
-<p>Na, Miezelchen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend)</p>
-
-<p>Vaterchen! <i>(Will aufstehen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! <i>(Tritt zu ihr hin und küßt
-sie auf die Stirn)</i> Läßte dir die Maisonne in 'n Magen
-scheinen? Das is recht ... Na, Jenisch, was haben Sie da!</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b></p>
-
-<p>Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen
-Brüchen, Herr Zarncke. <i>(Reicht ihm die kleinen Blöcke)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(kratzt an den Rändern)</i></p>
-
-<p>Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf
-an Streusand sei vorläufig noch gedeckt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lacht respektvoll)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Zweite Post?</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b></p>
-
-<p>Jawohl. <i>(Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand gleiten)</p>
-
-<p>Nischt — nischt — nischt. <i>(Ein Kuvert öffnend)</i> Machen
-wir. <i>(Ein zweites)</i> Machen wir desgleichen. »Verein zur
-Besserung entlassener Strafgefangener«. Möchten sie mir
-mal wieder einen andeichseln? ... Na, wollen mal sehn ...
-<i>(Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die anderen Briefe hin)</i>
-Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von
-der Polizei kommen wegen heute nacht — das sag' ich
-besser draußen. <i>(Zu Marie)</i> Verzeih mal! <i>(Öffnet das Fenster.</i><span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span>
-<i>Das klingende Geräusch der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten,
-das Quietschen der Windewagen wird hörbar)</i> Sie da! Willig!
-Polier! <i>(Lauter)</i> Polier!</p>
-
-<p class="actor"><b>Stimme des Poliers Willig</b></p>
-
-<p>Jawohl, Herr Zarncke!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie
-sie gleich aufs Kontor führen. Ich will nicht, daß sie mir
-den Platz rabiat machen mit ihrem dummen Gefrage.</p>
-
-<p class="actor"><b>Stimme Willigs</b></p>
-
-<p>Jawohl, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachahmend)</i></p>
-
-<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Schließt das Fenster, das Geräusch
-hört auf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p><em>Mußtest</em> du's denn anzeigen, Vaterchen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch
-nicht zu nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern
-rumpulen lassen. Womöglich noch »Schön Dank« sagen ...
-Hören Sie mal, Jenisch, euch auf'm Kontor geht's ja
-eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über den alten
-Eichholz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b></p>
-
-<p>Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr
-lange halten lassen. Als Wächter.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, als was denn sonst?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b></p>
-
-<p>Das weiß ich ja nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst
-mein Kanarienfritze hat sein Geschäft. Wenn der nich
-singt, dreh' ich ihm den Hals um.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lächelnd)</i></p>
-
-<p>Na, na.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was ist hier zu na-na-en! <i>(Zärtlich)</i> Du — hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft
-groß werden sehen ... Wird mir schwer! <i>(Pause)</i>
-Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, setzt er sich friedfertig
-auf einen Block, und dann sägt er los. <i>(Ahmt einen Schnarchton
-nach)</i> Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher
-in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting,
-diese Instituschon is nich das richtige.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück.</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>Adieu, Fräulein Mariechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Adieu, Herr Jenisch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span></p>
-
-
-<h3>Zweite Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Zarncke. Marie</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Am Ende gar der — —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na natürlich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p><em>Du</em> meinst den Struve. Und <em>ich</em> mein' den Struve.
-Und draußen auf dem Platze meinen sie <em>auch</em> den Struve.
-Aber weil sie mich nich blamieren wollen, tun sie, als
-hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu mal den
-Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich
-wieder raushaue, kriegt er zehn Jahre.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Um Gottes willen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus.
-Billiger tun sie's da nich ... Und so 'ne Seele
-von Mensch. Als die Steinmetzen neulich für den brustkranken
-Emil sammelten — wo er doch als Arbeiter eigentlich
-gar nischt mit zu tun hat — Wochenlohn blank auf
-den Tisch gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span>
-Diamantsplitter in den neuen Zahnsägen haben's ihm
-angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe wehmutsvolle
-Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann
-sitzt er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n
-Kreuz mit diesen Kerls! Immer wieder saust man rin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Na, manchmal auch nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab'
-ich das Leben gerettet. Der Thiele hat sogar Karriere
-gemacht. Aber — nee! — nu Schluß! — Ich nehm' nu
-nich <em>einen</em> mehr, den mir der Verein zuschanzt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Na, na!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Mariechen, ich schwör' es dir. <i>(Das Kuvert aufnehmend)</i>
-Und wenn dies hier — ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut,
-ich tu's nicht. <i>(Das Kuvert aufreißend)</i> Wollen mal
-gleich sehn!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher
-ist es ein interessanter Fall, und dann —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Kann's auch ungelesen zurückschicken. <i>(Unschlüssig)</i>
-Aber — — — du, klingel mal, daß die Homeyer mir
-das Frühstück bringt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(klingelt)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken)</p>
-
-<p>Da is nu ein ganzes Schicksal drin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p>
-
-<p>Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies
-lieber nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na,
-wie du meinst. <i>(Legt das Kuvert hin)</i></p>
-
-
-<h3>Dritte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer</span>
-</p>
-
-<p class="directive2">(Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der dreißig. Energische
-Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem Stich ins Gemeine)</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer Rotweinflasche
-hereintragend)</p>
-
-<p>Schönen guten Morgen wünsch' ich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«.
-Das ziemt sich für mich. <i>(Auf die Tablette weisend)</i> Is alles
-gut so?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hm. Fein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Fräulein Mariechen, was möchten Sie?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Danke. Danke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Doch. Doch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie.
-Ich kann mir gar nich genug tun für Sie.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, ja, Sie sind eine Perle.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen
-sein Lob. Ich bin eine ehrbare Witwe. Wer so viel Leid
-durchgemacht hat im Leben, wie ich — ach ja!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen,
-hören Sie mal.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und dann so die ehrbare Lebensweise.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(seufzend)</i></p>
-
-<p>Ja, ja.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben
-Sie vielleicht irgend was gehört, heute nacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. — Schritte
-und so.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen
-an. Ich misch' mich nich in fremde Sachen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>So — das sind fremde Sachen für Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher
-sind?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, was denn sonst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, — da werden
-die Mannsleute doll —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und die Weibsleute auch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke.
-Von dem Tage an, daß mein armer sel'ger Mann —</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Scht, scht, scht! <em>Wenn</em>, dann würd's auch nichts ausmachen.
-Na — und?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Und der alte Eichholz schläft natürlich. <i>(Mit Betonung)</i>
-Und die Tochter schläft eben auch. Nu ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ach so! Das geht gegen die Lore!</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts.
-Laß das Fräulein Lore tun, was sie will. Es braucht
-nich jede so'n Wandel zu haben, wie ich. Aber schließlich
-läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. Vater
-unbekannt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Der Vater ist nicht unbekannt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. —
-Warum heiratet er sie denn nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ...
-Was hast du, Mariechen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist)</p>
-
-<p>Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal
-so grasgrün.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat)</p>
-
-<p>Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(trinkt — matt)</i></p>
-
-<p>Danke schön.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Sonst noch Wünsche? ... Nein. <i>(Da niemand antwortet,
-ab)</i></p>
-
-
-<h3>Vierte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Zarncke. Marie.</span> Später <span class="gesperrt">Lenchen</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Miezelchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling.
-Der macht einem Kopf und Glieder so schwer.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen
-spür' ihn. Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der
-Doktor hat gesagt, du sollst eine sitzende Lebensweise
-führen, also führe du eine sitzende Lebensweise. <i>(Setzt den
-Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen)</i> Ganz lecker! Magst
-du das Frauenzimmer eigentlich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ach Gott!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt.
-Bißchen Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst
-weiß man gar nich, daß man lebt ... Jetzt läuft sie auch
-hinter dem Göttlingk her. Darum der Haß auf die
-Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten
-gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne
-an, und wenn sie Mittags auf den zwei Richtscheiten
-liegen, dann sind sie nich hochzukriegen. <i>(Seufzend)</i> Junges
-Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel auf dem Kantinendach
-hat sich ein Weibchen gefunden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(freudig)</i></p>
-
-<p>Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr
-die Seele aus dem Leibe schreien ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(betroffen)</i></p>
-
-<p>Wie meinst du das?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach
-hat jeder. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hinaushorchend, ruft)</i></p>
-
-<p>Lenchen! <i>(Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt
-herein, wie vorhin)</i> Lenchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Stimme Lenchens</b> <i>(jubelnd)</i></p>
-
-<p>Tante Mariechen!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Komm ans Fenster! Komm!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Tante nennt sie dich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Soll sie nicht, Vaterchen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, ja. Kommt auf eins 'raus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Na, kletter hoch!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchens</b></p>
-
-<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p>
-
-<p>Tag, Tante Mariechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Klettre, Katz! Klettre!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Mußt helfen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(da Marie eine Bewegung macht, rasch)</p>
-
-<p>Nicht du! Ich, ich! <i>(Zieht das Kind durch das Fenster herein
-und setzt es auf den Boden)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p class="directive2">(die Arme um Mariens Knie schlingend)</p>
-
-<p>Tante Mariechen! Tante Mariechen!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie herzend)</i></p>
-
-<p>Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Butterstulle.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p class="directive2">(setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt unbekümmert)</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Und das soll nun 'ne Schande sein — so ein Engelskind!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(inbrünstig)</i></p>
-
-<p>Ach so gerne, Vaterchen, so gerne!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Tja! Vielleicht gibt sie's dir!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. <i>(Streichelt
-die Kleine und spricht leise zu ihr)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Tja! <i>(Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen
-nach Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu
-lesen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu schaffen)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(murmelnd)</i></p>
-
-<p>Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch
-gerade zu mir? <i>(Steckt die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und
-geht erregt im Zimmer umher)</i> Was kann man da machen? Was —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p>
-
-<p>Vater!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner
-Türe kommen. Hilf doch auch dem Kinde!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, leicht gesagt! ... Wie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Rede mit Göttlingk wegen Lore.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich <em>hab</em>' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn
-nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre
-ist er weg gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser
-wüste Kerl kann mehr als ... Seinethalben braucht' ich
-gar keine Bildhauer mehr. Den schwierigsten Auftrag kann
-ich annehmen, seit er da ist.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den
-Schmerz erleben mit dem Alten. Ich mag das Elend
-nicht mehr mit ansehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel
-vor die Füße. Na und dann? ... Weißt du: Sprich du
-mit ihm.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschrocken)</i></p>
-
-<p>Ich? ... Nein, nein, nein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum nicht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Vaterchen — das — kann ich nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Siehst du. Man kann manches nicht. <i>(Es klopft)</i>
-Herein.</p>
-
-
-<h3>Fünfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Eichholz</span><br />
-</p>
-
-<p class="directive2">(Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, mit militärischem
-Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, buschiges Haar, Rundbart mit
-ausrasierter Oberlippe, Bratenrock mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na Eichholz! Ausgeschlafen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(ihm entgegen)</i></p>
-
-<p>Großvaterchen! Großvaterchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(will sie nicht sehen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine
-Zeit. <i>(Sie beginnt zu sticken. Das Kind spielt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Nja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und so feierlich! Was is denn los?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Herr Zarncke — ich möchte — freundlichst — um
-meine Entlassung gebeten haben.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd)</p>
-
-<p>Sieh mal an!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht — daß
-die Steinmetzen behaupten — <em>wollen</em>, daß ich gewissermaßen
-— meines Amtes nicht mehr gewachsen bin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>So?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht
-drankommen. Und wenn die Steinmetzjungens sich die
-Schnauze verbrennen, damit, daß sie nicht wissen tun,<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span>
-was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr tauglicher
-Mann ist —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Nu kohlt er wieder.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich
-mir habe in Ihrem Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich
-die Schulterblattmuskeln ausgefallen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich weiß, ich weiß, ich weiß.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie
-man so sagt, ein Puschemauchen, drum herumtrage, wegen
-den Reimantismus, wo ich mir auch im Dienste geholt habe.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja — so Nachts auf dem kalten Stein schl— <i>(sich rasch
-verbessernd)</i> sitzen — sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich — Nachts? Nu sagen
-Sie bloß noch, Herr Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht,
-dann kann ich ruhig jehn, mir aufhängen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, na, na. Sagt ja keiner. <i>(Zu Marie)</i> Was fängste
-da an?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Wo ich doch schon Kummer genug hab' — mit meine
-Tochter — und hier mit — diese — diese — Mestize.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hebt erstaunt den Kopf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wieso Mestize?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Nu, was ein ungebührliches Kind is — 's is ja schlimm,
-daß man das selber sagen muß, — aber das is doch nich
-anders, das is doch eine Mestize.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang
-habe, dann les' ich wohl sehr gerne in de Indianerbiecher.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad,
-wie wär's, wenn Sie sich mal 'n bißchen mehr
-Ruhe gönnten?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise zu Marie)</i></p>
-
-<p>Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit,
-Eichholz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber
-was 'n gewissenhafter Wächter is und 'n tauglicher Wächter
-is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, der hört den Maulwurf
-graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts
-gehört — hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Hähähähä! Da lach' ick äwwer.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p>
-
-<p>Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(gekränkt)</i></p>
-
-<p>Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die
-Steinmetzjungens?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p>
-
-<p>Ich muß wohl, Eichholz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(versteht, fassungslos)</i></p>
-
-<p>Ach so! <i>(Sein Gesicht verändert sich)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bittend)</i></p>
-
-<p>Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die
-Siebzig. Nu schlafen Sie sich doch mal ordentlich aus.
-Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen Bett.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(kläglich)</i></p>
-
-<p>Ich kann gar nich im Bett schlafen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock
-in Ihre Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie
-Ihre Bequemlichkeit haben ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brütend)</i></p>
-
-<p>Nja.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen
-'ne Pension aus ... Können auch wohnen bleiben ...
-Bei Tag schustern Sie 'n bißchen oder läuten die Pausen
-ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Und gewöhn' mir das Saufen an.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie werden doch nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Herr Zarncke, ich bin ein Mann — hochgeehrt — ich
-hab' anno 70 immer mit am Offezierstisch gegessen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, na.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n
-Saufjee, ich hab' noch nich mal 'n Stückschen Käse ins
-Schnapsglas getunkt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Schmeckt ja auch gar nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber
-wenn man in eine so lausige Beschaffenheit versetzt wird,
-daß das Ehrgefühl im Menschen so sehr gekränkt wird, wo
-man doch von seinem redlichen Schustergewerbe nichts
-mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene
-Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn
-annimmt ...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören
-Sie mal ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ich ... ich ... hab'... ich ... <i>(Würgt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder
-good, min Sähn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(befehlshaberisch)</i></p>
-
-<p>Lenchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p>
-
-<p>Nein, nein, das Kind bleibt hier.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ich und Lenchen — wir gehn jetzt aus'm Haus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz,
-dann kann ich nichts dagegen haben — das heißt, Sie
-werden sich ja noch anders besinnen —</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn,
-daß irgend so ein hergelaufener Sch — Schlump
-jetzt sagen kann, ich bin dem weggejagten Alten da — sein
-Nachfolger. Das — nee — nee — nee! Ich hab' noch
-'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar
-reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich
-arbeit' nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr
-Zarncke. <i>(Ab)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span></p>
-
-
-<h3>Sechste Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verzweifelt)</i></p>
-
-<p>Na — nu is er rabiat. Nu geht er sausen. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Du warst milde genug, Vaterchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n
-Mensch. Jeder hat sein Schicksal.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>In sich, Vater.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so
-vielen ihr Schicksal gewesen ... In sich! ... Spreu sind
-wir im Winde. Es kommt nur drauf an, von wo er bläst ...
-Na — vielleicht kann man's an einem andern wieder gutmachen.
-<i>(Nimmt die Papiere)</i> Da wird heute einer kommen.
-So einen hatten wir noch nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Was hat er denn pekziert?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Frag nicht. Nachher drückt's dich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lores Stimme</b> <i>(draußen rufend)</i></p>
-
-<p>Lenchen! Lenchen!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(aufhorchend)</i></p>
-
-<p>Das is Mama. Ich will zu Mama.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch hereindringt)</p>
-
-<p>Das Kind is bei mir drin, Lore.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nach der Uhr sehend)</i></p>
-
-<p>Alles still? Is schon Frühstückspause?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lores</b></p>
-
-<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p>
-
-<p>Dank' schön, Fräulein Mariechen. <i>(Zu Lenchen, die die
-Arme ausstreckt, sich vorbeugend)</i> Na, hopp!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Du kannst mal 'reinkommen, Lore.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Wenn ich darf, Herr Zarncke. <i>(Verschwindet)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will)</p>
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und findet sich der Mann hier 'rein — der Mann
-von diesem Brief — Biegler heißt er — dann schick ihn
-nicht ins Komptor, dann laß mich lieber rufen. <i>(Es klopft)</i>
-Herein!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erscheint in der Tür)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von
-heute ab —</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren seelischen Leidens.
-Sprechweise bald ohne Grund erregt, bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen
-müde, schwerfällig, jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle,
-schlichte Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über
-dem Habitus der Dienerin stehend)</p>
-
-<p>Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang'
-nich mehr.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen
-brauch'.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, Sie! <i>(Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da — <i>(Beruhigt
-sie mit einer Handbewegung)</i> Aber stell ihm die Kümmelflasche
-höher. Das rat' ich dir, Kind! <i>(Klopft sie auf die Schulter. Ab)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(die Arme hochhebend)</i></p>
-
-<p>Mama! Mama!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend)</p>
-
-<p>Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins
-Aug' fliegt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja ... Die andern ja. — Bloß der der nächste
-dazu is —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Er wird's nicht zeigen wollen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und
-wie er vorbeikommt, da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln.
-Da hat er sie weggeschoben — na wie? 'n jungen Hund
-schiebt man nich so.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist
-kein Mensch. Und er sicherlich nicht. Sicherlich nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich
-an? Warum gibst du dich ab mit mir? <i>(Verbirgt den Kopf an
-ihrer Stuhllehne)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie streichelnd)</i></p>
-
-<p>Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab'
-ich dich schon gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. <i>(Da
-Lenchen weinerlich dazukommt)</i> Du, Lenchen, der weiße Bär ist
-ein Eisbär. Und den bind mal nu an die Leine. <i>(Reicht
-dem Kinde eine Porzellanfigur und ein Garnknäuel)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja, Lenchen, tu das.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p class="directive2">(fängt beruhigt von neuem zu spielen an)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst
-du dich? Warum sagst du nicht ganz offen, daß er der
-Vater ist?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verängstigt)</i></p>
-
-<p>Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Warum läßt es dir verbieten?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt'
-er zu mir: »Willst du, daß ich wieder eintrete auf dem
-Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm noch die Hände geküßt
-in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er dabei.
-»Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ...
-Die's von früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß
-der Polier ... Und das ist sein Freund. Vater hat er
-auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir rein die
-Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das
-Schweigen doch ein Ende nehmen. Aber es geschieht
-nichts ... Er kommt in die Kantine. Ganz vergnügt.
-Bloß nicht allein. Da hütet er sich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(achselzuckend)</i></p>
-
-<p>Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschreckt, beklommen)</i></p>
-
-<p>Wen denn?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht,
-vielleicht — ach, wer kann wissen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(auf Lenchen weisend)</i></p>
-
-<p>Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch
-mit allen, was er will ... Er ist mehr Herr auf dem
-Platz als der Polier. Da wagt keiner zu mucksen ...
-Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten
-von den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie <em>rein</em>
-doll ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(träumerisch)</i></p>
-
-<p>Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm!
-<i>(aufschluchzend)</i> Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da.
-Und du jammerst.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p>
-
-<p>Mariechen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich zusammenraffend)</i></p>
-
-<p>Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der
-macht einen ganz ... Und du jammerst.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit wehem Lächeln)</i></p>
-
-<p>Ich jammer' ja auch nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner
-Schande. — Schande! Was ist Schande? ... Unser Leib
-ist ein Tempel ... Und Gebären ist Gottesdienst ... Nur
-wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist es
-schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen
-baut, und man selbst ist schon Ruine.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit
-mir? ... Und ich bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht'
-was verpflanzen von mir in dich. Daß du den Kopf wieder
-hebst. — Nicht mehr wie 'n Stein bist in deinem Gram.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lacht bitter)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit sich kämpfend)</i></p>
-
-<p>Du — soll ich — reden mit ihm?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Du — mit ihm?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne Hoffnung)</i></p>
-
-<p>Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart
-lieber noch ... Vielleicht, daß er <em>doch</em> —</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(stockend)</i></p>
-
-<p>Es wird mir — ja nicht — leicht fallen ... Ich kenn'
-ihn ja auch kaum mehr — den großen Herrn ... Aber
-wenn man was <em>sehr gerne</em> will, dann wird man's doch
-auch — können. — Na, freut's dich gar nicht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(die Hand mutlos vor die Stirne legend)</p>
-
-<p>Ach! ... <i>(Es klopft)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Herein!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span></p>
-
-
-<h3>Siebente Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Jakob Biegler</span>
-</p>
-
-<p class="directive2">(Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht schmutzig gekleidet,
-Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach geflickt und zu kurz. Altes,
-blankgewordenes Jakett, gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste.
-Defektes Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. — Gelbes, zermürbtes
-Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. Auftreten
-gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit umschlagend)</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Guten Morgen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Sie wünschen meinen Vater zu sprechen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Herrn Zarncke — möcht' ich sprechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Heißen Sie Biegler?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(betroffen)</i></p>
-
-<p>Ach so! — Sie wissen schon. Na — dann — <i>(Macht
-eine halbe Wendung zur Tür)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p class="directive2">(ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor)</p>
-
-<p>Guten Tag!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(seinen Seelenzustand erkennend)</p>
-
-<p>Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen
-Biegler kommt, dann möcht' ich ihn rufen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erleichtert)</i></p>
-
-<p>Ja, der bin ich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Nu sag doch: Guten Tag.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er weiß nicht,
-was tun)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sie leise zurückrufend)</i></p>
-
-<p>Lenchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen
-Sie willkommen heißt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht sie groß an, versteht nicht)</p>
-
-<p>Erst — muß — ich — Herrn Zarncke — sprechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufstehend)</i></p>
-
-<p>Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an <i>(leiser)</i>
-und bring dem was zu essen. Er hat's nötig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p>
-
-<p>Komm, Lenchen. <i>(Mit dem Kinde ab)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Nehmen Sie so lange Platz, bitte.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich kann auch stehen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ab)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span></p>
-
-
-<h3>Achte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Zarncke</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen wandern umher)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit Bieglers Papieren in der Hand)</p>
-
-<p>Guten Tag.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war)</p>
-
-<p>Melde Jakob Biegler.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis.
-Der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener hat
-Sie mir zugeschickt. Stehen Sie unter seiner Fürsorge?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Jawohl.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wie lange sind Sie 'raus?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Vier Monate zehn Tage.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Fünf Jahre haben Sie abgemacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Jawohl.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wegen was?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na — wegen was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(auf die Papiere weisend)</i></p>
-
-<p>Steht ja da drin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen)</p>
-
-<p>Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen)</i></p>
-
-<p>Na, ich sprech's nich aus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wenn Sie wollen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest)</p>
-
-<p>Hm. Schlimm. Schlimm.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Schlimm. <i>(Pause)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, wie is es denn gekommen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Man war ja mit mir zufrieden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ersparnisse gemacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Noch was da?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Dann säh' ich nich so aus, Herr — Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal
-als Hofgänger, das zweite Mal als Kuhfutterer.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na — und?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ausgerissen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in erregter Verteidigung)</i></p>
-
-<p>Ich hielt nicht aus. Ich — ich — ich —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie
-zu mir. Was wollen Sie gerade bei mir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(zaudernd, nach innerem Kampfe)</p>
-
-<p>Steinmetz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ach so! — <em>Darum</em>! Hier steht doch — Arbeiter.
-<i>(Sieht nach)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Weil ich als Arbeiter gegangen bin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wer wird mich nehmen — als Steinmetz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie hätten doch probieren können!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Probiert hab' ich genug.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und überall abgewiesen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's
-'raus. Da lag ich schon auf der Straße.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja, die Herren haben's mir gesagt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wollten Sie nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zögernd)</i></p>
-
-<p>Nein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum nicht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt)</i></p>
-
-<p>Nachher wird's doch nichts — — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und jetzt wollen Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz.
-— Wenn ich bloß 'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder
-beim Flaschenzug, wo keiner was fragt.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf
-besteh' — Sie können auch als Steinmetz eintreten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verängstigt)</i></p>
-
-<p>Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is
-wieder alles ... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß
-w—wenn ich den — Klippelschlag hören kann. Bloß von
-weitem.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie waren wohl ein <em>guter</em> Steinmetz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach! <i>(Zuckt die Achseln)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(voll wärmerer Anteilnahme)</i></p>
-
-<p>Hm. <i>(Es klopft)</i> Herein.</p>
-
-
-<h3>Neunte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lore</span> (mit einem Teller, worauf Butterbrot)<br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat
-befohlen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Essen Sie.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(gierig nach dem Teller sehend)</p>
-
-<p>Danke! Ich hab' — keinen — Hunger.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise, mitleidig)</i></p>
-
-<p>Essen Sie nur.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht Zarncke fragend an)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, ja, Sie dürfen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Du, Lore, hol mal das Wasserglas.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(holt das Wasserglas vom Nähtisch)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(Rotwein eingießend)</i></p>
-
-<p>Bring ihm das. — Übrigens: wie trägt's denn der
-Vater?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen
-wollte: darf er den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger
-da ist?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit einem Blick nach Biegler hin)</p>
-
-<p>Nachfolger hab' ich schon.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(dem Blick folgend)</i></p>
-
-<p>Ach so.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Gefällt er dir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, is 'n armer Mensch!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Nein, nein. <i>(Stellt das Glas neben Biegler, ab)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span></p>
-
-
-<h3>Zehnte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in Positur)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja. <i>(Äugt zweifelnd nach dem Glase)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Haben Sie keinen Durst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Erst geben Sie mir — Wein zu trinken, und dann
-nehmen Sie mich <em>doch</em> nich. Hä.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Erst trinken Sie mal.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Auf den Steinmetzplatz <em>wollen</em> Sie. Aber gewissermaßen
-im verborgenen. So daß keiner was erfährt, daß
-Sie keinem Rede zu stehen brauchen — hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>So was Schönes gibt's ja nich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Vielleicht <em>doch</em>. Wollen Sie Wächter werden bei mir
-auf'm Platz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(in staunendem Nicht-glauben-wollen)</p>
-
-<p>Herr Zarncke!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das is doch 'n Vertrauensposten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ja, das is es.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Da müssen manche sogar Kaution stellen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bejahend)</i></p>
-
-<p>Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben,
-können Sie unter den Arbeitern mithelfen ... da fragt
-Sie keiner ... Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wird ja nicht lange dauern —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Das wird ganz von Ihnen abhängen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Dann kommen die Schutzleute — und recherchieren ...
-Und dann is aus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge
-für Sie übernimmt, die Polizei sich mit Ihnen nichts zu
-schaffen macht.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(fatalistisch)</i></p>
-
-<p>Die Schutzleute — kommen doch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Zu mir nicht ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Die Schutzleute kommen doch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann
-recherchieren. Das hab' ich mir ein für allemal verbeten.
-Und daß die Herren vom Verein, wenn <em>die</em> kommen, Sie
-nicht verraten werden, das können Sie sich doch denken.
-... Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich —
-<i>(Es klopft)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(geht zur Tür und öffnet sie)</p>
-
-
-<h3>Elfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ihm den Eintritt versperrend)</i></p>
-
-<p>Was gibt's?</p>
-
-<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(vom Hausflur her)</i></p>
-
-<p>Verzeihung, Herr Zarncke — die Polizei is da —
-wegen —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche Bewegung, als
-wolle er sich verstecken)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich.
-<i>(Schlägt die Türe zu)</i></p>
-
-
-<h3>Zwölfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na ruhig, ruhig, ruhig!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich wild umschauend)</i></p>
-
-<p>Die Schutzleute kommen überall — die —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir.
-Deshalb kommen sie. Und eben deshalb sollen Sie auch
-Nachtwächter werden. Verstanden?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(würgend)</i></p>
-
-<p>Herr Zarncke — ich muß — ich — dank' Ihnen auch
-schön fürs Glas Wein ... ich ... kann nich in Dienst ...
-ich muß — wieder weg.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p>
-
-<p>Ja, zwingen kann ich Sie nich ... <i>(Nach einem Schweigen)</i>
-Haben Sie denn andere Arbeit in Aussicht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verneint)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von
-der Polizei ... Unbarmherzig ... Wissen Sie das?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bejaht)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na und dann?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von
-Ihnen — und was dann?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(plötzlich seinen Ton ändernd)</p>
-
-<p>Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm,
-komm. <i>(Zieht ihn nach vorne)</i> Bienchen hast du doch keine?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na dann setz dir mal. <i>(Zieht ihn in einen Stuhl)</i> Du bist
-nu man büschen verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im
-Kopp spukt, das will ich gar nich wissen ... Is auch ganz
-egal. Nu laß man schon büschen sorgen für dich. <i>(Strenge)</i>
-Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n Anzug
-von mir ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(an sich niedersehend, freudig)</p>
-
-<p>Ja, ja, ja, ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig, voll Ehrgefühl)</i></p>
-
-<p>Jawohl — hab' ich. <i>(Reißt, um das Hemde zu zeigen, die
-Strickweste auf)</i> Da! <i>(Beschämt)</i> Bloß — Kragen hab' ich nich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel.
-Denn Nachts is noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne
-Pfeife und 'ne Schnarre. Und die Kontrolluhren, die bis
-zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen tust du
-drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine
-bei der Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(wie vorhin)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja, ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich
-mehr. Und so wollen wir langsam wieder 'n Menschen
-aus dir machen. Hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt willenlos)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na also.</p>
-
-<p class="directive1">
-(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br />
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h2>Zweiter Akt</h2>
-
-
-<p class="directive1">Der Werkplatz. Links das <span class="gesperrt">Wohnhaus</span> mit vorspringender
-<span class="gesperrt">Veranda</span> und einem Balkon darüber, zu dem aus dem
-oberen Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein
-Fenster. Rechts die <span class="gesperrt">Kantine</span> mit einer Tür in der Seitenwand
-und einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster,
-vor dem eine Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig
-vorspringend, das <span class="gesperrt">Magazin</span>, mit einer Tür und einer daneben
-angebrachten Glocke. — Im Hintergrunde rechtwinklig
-zum Magazin ein offener, von Holzpfeilern getragener
-<span class="gesperrt">Schuppen</span>, der sich mit seiner Hinterwand an die senkrechte
-Erhöhung lehnt, welche den hinteren Teil des Werkplatzes
-bildet und zu der in der Mitte des Hintergrundes
-eine schmale Treppe emporführt. Links von der Treppe
-mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die Höhe des
-hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein
-<span class="gesperrt">Kran</span>. Eine schmale <span class="gesperrt">Feldbahn</span> zum Transport der Blöcke
-führt an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen
-vorüber quer über die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut.
-An den Wänden des Schuppens und der Häuser
-stehen und hängen, wo nur ein Platz sich findet, Gipsmodelle:
-Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die Veranda ist mit
-Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich über ihr
-Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den
-<span class="gesperrt">Prospekt</span> bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits
-der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein
-Kirchturm ragt aus der Ferne herüber</p>
-
-
-<h3>Erste Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1">(Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus
-reiches Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten <span class="gesperrt">Steinmetzen</span><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span>
-oder <span class="gesperrt">Bildhauer</span>, die ersteren mit blauer Schürze,
-die letzteren mit langem, weißgrauem Kittel und Papier-
-oder sog. Raffaelmütze bekleidet. Der Kran ist im Gange.
-Niedrige Wagen transportieren Blöcke vorüber. Hilfeleistende
-<span class="gesperrt">Arbeiter</span> in beliebigem Werktagsanzug. Mittagsstimmung)</p>
-
-<p class="directive1">Vorne rechts <span class="gesperrt">Göttlingk</span> in Steinmetzentracht vor einem
-Blocke — ein Gipsmodell daneben. Der Polier <span class="gesperrt">Willig</span> an
-einem anderen Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die
-sich hinten zu schaffen machen, <span class="gesperrt">Lohmann</span>, <span class="gesperrt">Sprengel</span>,
-<span class="gesperrt">Struve</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter Schnauzbart,
-Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn heruntergestrichen. Spielt den
-Kraftmenschen, großsprecherisch, übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet
-mit Meißel und Klippel und singt dazu)</p>
-
-<p>Na — nun kommt auch noch die Sonne angekrochen.
-He, ihr Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt,
-ihr sollt mir den Block in den Schuppen schaffen? —
-Lohmann, Sprengel, ihr andern, immer 'ran!</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's
-lieber mir.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Und du hast denen nischt zu befehlen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wenn sie so dumm sind und gehorchen. <i>(Lohmann,
-Sprengel und ein dritter Arbeiter sind nach vorn gekommen)</i> Da, wie
-sie anhampeln! Hab du sie man so an der Strippe wie
-ich. <i>(Befehlshaberisch)</i> Also nu los!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn
-Finger hat jeder zu verlieren. <i>(Stemmt ein Brecheisen ein)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Ohne Brecheisen geht's nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr
-Volk ... <i>(Faßt mit an)</i> <span class="antiqua">Uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt
-weiter)</i> Na, geht's oder nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren!
-Sagst du zum Hund »kusch«, dann kuscht er. Bloß weil
-er's Franzesch so gern hat.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Noch mal: <span class="antiqua">uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt wieder)</i>
-Ja, ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de
-Knochen. Das ist die Hauptsache.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Und 's Messer im Sack nich zu vergessen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter
-Sohn. <i>(Zieht ein Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt
-unter dem Kittel befestigt hat)</i> Das is dreikantig geschliffen.<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span>
-Das schlupft <i>(schnalzt, das Messer vorstoßend, mit den Lippen)</i> wie 'n
-Küßchen ... Tut gar nich weh. Will einer probieren?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p class="directive2">(der mißbilligend zugehört hat)</p>
-
-<p>Du — Göttlingk!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(zu ihm herübertretend)</i></p>
-
-<p>Hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(hinter ihm her, ingrimmig)</i></p>
-
-<p>So 'n Paradehengst! <i>(Die andern lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß
-sie ihre Arbeit verrichten. Und damit gut!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(großspurig)</i></p>
-
-<p>Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Mußte immer Bewunderer haben?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter)</p>
-
-
-<h3>Zweite Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span> (ist aus der Veranda getreten)<br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Polier!</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(respektvoll)</i></p>
-
-<p>Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Is was zu melden?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Nein, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was tut der Kran da?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Er holt die Quadern fürs Sägewerk.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block
-dort an der Treppe 'runtergeschafft werden, damit er Montag
-in Arbeit genommen werden kann.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Sehr wohl, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wie is die Verteilung heute?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm
-Bau, vier Bildhauer auf'm Platz, sechs auf'm Bau.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wo is der Göttlingk heute?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Da is er ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten bedeckte Seite
-jetzt oben liegt)</p>
-
-<p>Donnerschock! <span class="antiqua">Per Bacco!</span> Den ganzen Dreckplatz soll
-der Deiwel holen! Du, Polier, komm mal her.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich,
-Göttlingk?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(lüftet einigermaßen verlegen die Mütze)</p>
-
-<p>Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der
-Deibel holen. Wie ich den Block drehen lass', da seh' ich,
-daß von gestern auf heute eine fremde Hand daran 'rumgemurkst
-hat.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf)</p>
-
-<p>Ach, Sie werden sich täuschen. <i>(Tritt hinzu)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir
-zu Feierabend immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(den Stein betrachtend)</i></p>
-
-<p>Von dem Blaustrich an?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Jawohl.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachdenklich, lächelnd)</i></p>
-
-<p>Hm. So! — Das is aber nich schlecht gemacht. Da
-ist Schwung drin. Wenn sich die Heinzelmännchen extra
-für Sie bemühen, Göttlingk!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins
-zwischen de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter,
-der Kerl, der jetzt Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er
-so was zulassen kann? ... Das ist schlimmer wie Einbruch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(der abzulenken sucht)</i></p>
-
-<p>Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's
-finster is, kann man nich arbeiten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon
-lang hell.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(beruhigend)</i></p>
-
-<p>Ich werd' den Mann hernach mal fragen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(murmelnd)</i></p>
-
-<p>Das besorg' ich schon selber.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit Willig nach vorne kommend)</p>
-
-<p>Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter
-im übrigen auf'm Platz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich
-an Fleiß nicht genug tun. Aber — schwach, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Tja!</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Und dann — 'n bißchen sonderbar.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Inwiefern? <i>(Ringsum ertönen Mittagssignale)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort.
-Manche fangen ihn schon zu verulken an.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dulden Sie das nich, Willig!</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag?
-Eichholz!</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(zur Kantinentür laufend)</i></p>
-
-<p>Eichholz!</p>
-
-
-<h3>Dritte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen</span>. <span class="gesperrt">Eichholz</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(angeheitert)</i></p>
-
-<p>Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz
-bin ich da — ja! <i>(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sieht kopfschüttelnd zu)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Er is jetzt immer im halben Dusel.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(sich umschauend)</i></p>
-
-<p>Na — schläft der — faule Hund — noch?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brummend nach links)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Nu geht er noch in die Destille!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Is das ein Elend!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span></p>
-
-
-<h3>Vierte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Mehrere Frauen.</span> Später <span class="gesperrt">Lore</span><br />
-</p>
-
-
-<p class="directive2">(Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne gehen zu
-den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht sind und waschen
-sich. Andere holen dicke Butterstullen und Blechkannen hervor und beginnen
-zu essen. Frauen kommen von links mit Eßkörben und begrüßen
-ihre Männer. Einzelne haben auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit
-den Eltern um den Eßkorb gruppieren)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den Frauen
-»Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der Bildhauer
-und Steinmetzen)</p>
-
-<p>Bitte zu Mittag. — Bitte zu Tisch. — Zu Tisch
-möcht' ich bitten. <i>(Lauter)</i> Wem kann ich Bier 'rausschicken?</p>
-
-<p class="actor"><b>Einzelne Stimmen</b></p>
-
-<p>Hier. Ich. — Mir eins.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zählt die Stimmen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(betrachtet murrend seinen Block)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(an ihn herantretend, leise zaghaft)</p>
-
-<p>Kommst nich auch, Eduard?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(sich umschauend, unwirsch)</i>
-Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst mich nich »du«
-nennen auf'm Platz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b>
-Verzeih! Ich hab' vergessen. <i>(Zur Kantine ab)</i></p>
-
-<p class="directive2">(Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, darunter
-Göttlingk)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie
-mal: Mit dem Struve steht's schlecht. Den wird uns das
-Kriminal bald abholen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(achselzuckend)</i></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ach, schicken Sie ihn mir mal, — ja?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rufend)</i></p>
-
-<p>Struve!</p>
-
-<p class="directive2">(Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt gesessen
-hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist nach vorne, dann geht
-er in die Kantine ab)</p>
-
-
-<h3>Fünfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Willig</span>. <span class="gesperrt">Struve</span> (nach vorne
-kommend)
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p class="directive2">(Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. Bartstoppeln.
-Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei um die
-Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch und Holzpantinen.
-Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine faustdicke Butterstulle mit
-Taschenmesser in der andern Hand. Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen,
-fällt ihm das Butterbrot auf die Erde)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand
-gefallen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p class="directive2">(das Butterbrot an den Hosen abwischend)</p>
-
-<p>Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung
-Sand — schmeckt selbst 'n alter Strohsack pikant,« sagten
-wir immer uf de hohe Schule.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre
-hohe Schule.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, Herr Zarncke, was kann man machen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie —</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ...
-Mir hat's auch mal leid getan. Aber nu is schon egal.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Na, sind Sie's nu gewesen oder nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein
-in die Hand nehm' —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die
-Untersuchung geht weiter?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen
-dafür beibringen, wo Sie in den Stunden des Einbruchs
-gewesen sind?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Jawohl.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is —
-der kost't nich unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig
-Mark hernehmen, Herr Zarncke?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>So?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt
-jejangen sind, die tun's auch billiger ... Meechens auch.
-Aber die kriegen's vor Gerichte hernach mit die Heulerei ...
-Nee, das sind alles keine reelle Sachen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen
-geschrieben.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt
-Ihnen ja doch keiner ... Mensch, Mensch, wie hau' ich
-Sie nu 'raus?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu
-sitzen Se drin, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(das Fenster öffnend)</i></p>
-
-<p>Vaterchen, kommst nich zu Tisch?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken.
-Vielleicht fällt mir noch was ein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. <i>(Ab)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Danke, Herr Zarncke. <i>(Die Zigarre einsteckend)</i> Ja, ja.
-Sie rüsten sich wider die Seele des Gerechten und — <i>(sieht,
-daß Zarncke inzwischen weggegangen ist)</i> Ach so! <i>(Setzt sich auf den
-vordersten Block, kratzt an seinem Butterbrot und fängt an zu essen)</i></p>
-
-
-<h3>Sechste Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Struve. Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel</span>, <span class="gesperrt">ein dritter Arbeiter</span>,
-die essend auf dem Block hinter ihm sitzen
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot
-noch 'runterfuttern lassen, Struve, ehe sie dich inlochen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(achselzuckend)</i></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und
-»blauen Heinerich«. Ei weh.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das
-versteht ihr nich.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da
-sind bloß <em>feine</em> Leute drin. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Drum heißt es auch die hohe Schule.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne
-Kleiderbürschte? Die hat mir der Staat immer franko
-geliefert. Aus lauter persönlicher Hochachtung ... Oder
-gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich — siehste! ... Kiek dir
-mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber <em>wir</em>
-machen dort zu Mittag immer Toi—lette. Und Handtuch
-tragen wir immer auf'n Arm, da laufen wir den janzen
-Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier?
-Und was sind wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch
-über dir kommen erst die Steinmetzen ... und da hoch
-drüber die Bildhauer. Und denn <em>noch</em> höher der Polier ...
-Und <em>denn</em> gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in de
-erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen
-dürfen. Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie
-der Polier. Das is wie 'n Jeneral ... Das kannste alles<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span>
-werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... Karri—ere
-kannste machen. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(singt spottend)</i></p>
-
-<div class="poem"><div class="stanza">
-<span class="i0">Liebes Kind, nu weine nich,<br /></span>
-<span class="i0">Mittags jibt's den blauen Heinerich;<br /></span>
-<span class="i0">Stehst du mit dem Schien auf du und du,<br /></span>
-<span class="i0">Kriegste auch 'n halben Hering zu.<br /></span>
-</div></div>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling.
-Ihr geht hier zur Lore und schnauzt: Hering —
-aber 'n milchernen — mit Zwiebel — viel Zwiebel ...
-janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal
-... Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften,
-leckern Schwimmling, da müßt ihr in de Anstaltsküche
-kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... Da kitzelt euch
-die Schnauze von — noch Abends beis Einschlafen. So
-viel scheener ist da alles. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn
-nich wieder hin?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Da hast <em>du</em> doch freien Angtree.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht
-an de große Außenmauer in Waldheim — da steht nämlich
-'ne alte Linde ... Und von de Fisintation aus, was
-nämlich der Arbeitssaal is, da siehste 'n janzes kleines
-Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo du
-immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, <i>(stolz)</i>
-bloß nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span>
-immer zu zweie — wenn du da — und du huppst in die
-Höh', dann siehst wieder 'n andern Stückschen — so sechzig
-bis achtzig Blätter, wodran du immer jenau wissen kannst,
-was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer und
-ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den <em>janzen</em>
-Lindenbaum sehen wollten, denn der soll nämlich der
-scheenste Lindenbaum sein, wo's auf de Welt überhaupt
-jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher stehn ...
-Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung,
-und wo einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert —
-und wo nu das innere Tor aufjeschlossen wird — na, da
-is er nu — und da is er 'n janz jemeiner oller, ekliger
-Lindenbaum. Na — und so war denn hernach alles —
-janze Freiheit.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Nu — wenn du das nu schon weißt? —</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Was hilft da viel — wissen. Der Mensch is 'n dämliches
-Vieh. Wie ich 's zweite Mal drinsaß, da war der
-olle, dämliche Lindenbaum noch viel scheener geworden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Ja, wenn's so is.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Überhaupt — ihr Schafsköppe mit eure sogenannte
-Freiheit! — Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste
-im Sonnenschein uf ne scheene Planke, kriegste den Holzbock
-in de Waden; haste keene Arbeit, kannste jehn den
-Chausseegraben austapezieren. Willste mal geradaus —
-jeder Mensch will mal geradaus — und als dir kommt<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span>
-nu 'ne verschlossene Tür in de Quere — und du willst
-<em>doch</em> geradaus, dann stecken sie dir ins Kittchen. Das
-heißt nu Freiheit. Kindersch, ick hust' auf eure Freiheit.
-Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine Ordnung
-hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Mir hat überhaupt bloß <em>eins</em> gefehlt. Dann wär'
-ich auch janz komplett jlücklich gewesen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Das war wohl eene Braut?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p><em>Zwei</em> Brauten?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Na was denn sonst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(träumerisch)</i></p>
-
-<p>Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich <em>den</em> noch
-hätt' gehabt — —</p>
-
-
-<h3>Siebente Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span> (von rechts)
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, sein Aussehen gebessert,
-aber sein Benehmen noch scheu und unumgänglich, voll immer
-neu aufflackernden Mißtrauens. Er setzt sich auf die Bank vor das
-Kantinenfenster)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Kiekt mal den da! ... Was <em>is</em> das eigentlich für
-'ne Sorte? Reden <em>tut</em> er nich, »guten Tag« <em>sagt</em> er nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, dumpf)</p>
-
-<p>Guten Tag.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na sagt ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener
-Herr Nachtrat! ... Kommen der Herr Dunkelmann 'n
-bißchen de Sonne revindieren?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Mensch, nu red doch was!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was soll ich reden?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Mach doch 'n Witz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich weiß keinen Witz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Der Kerl is trocken wie Galgenholz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die
-lange Nacht über? Putzte de Sterne blank? Ziepste dir
-an de Barthaare? Wirfste de Meechens, wo auf de Straße
-vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend was muß
-der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach, ich hab' immer zu tun.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Tranig is das Luder.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze
-Mittag?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Jetzt essen doch die — Steinmetzen. Da kann ich
-doch nich auch essen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Nu dann komm doch mal her so lang ... Na — los!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erhebt sich zögernd)</i></p>
-
-<p>Was soll ich bei euch?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Trink mal aus meine Buddel. Prost.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Danke. Ich trinke keinen Schnaps.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n
-Pumpengenie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Nu huck dir doch mal erst dal. <i>(Zieht ihn auf den Block
-nieder)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(weiterrückend)</i></p>
-
-<p>Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze.</p>
-
-<p class="directive2">(Lachen)</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß
-so an dir ran.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh'
-du hier Nachtwächter wurdst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erschreckend)</i></p>
-
-<p>Ich? — Ich bin Arbeiter.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Kirschenpflücker vor de Wintermonate — hä?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(angstvoll)</i></p>
-
-<p>Ich — dir? Nee — daß ich nich —</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne
-Art ... Bei uns in Waldheim da hatten wir so 'n paar.
-Wir nennten se immer »de blamierten Förschten«. — Du,
-wo liegt denn dein Förschtentum?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit,
-Edler Herr von und zu Sonnenburg.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt zusammen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ...
-der is bloß verschüchtert.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(gutmütig)</i></p>
-
-<p>Ich mach' ja auch bloß 'n Witz.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Da — willste 'ne Zijarre?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verblüfft)</i></p>
-
-<p>Wieso — gibst — du mir —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der
-Alte vorher geschonken.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich)</p>
-
-<p>Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch
-später — revanschieren.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p class="directive2">(ihn auf die Schulter klopfend)</p>
-
-<p>Na, meinen wir's denn nu so beese?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit glücklichem Gesicht)</i></p>
-
-<p>Nee! Wahrhaftigen Gott nich!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Na siehste! <i>(Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird)</i> Aber
-vor dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien.</p>
-
-
-<h3>Achte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(vollends angetrunken)</i></p>
-
-<p>Ich bin ein Mann — hochgeehrt, — ich brauch' nich —
-Kartoffelsuppe aus'n Steinguttopp — fressen! Morjen,
-die Gesellschaft! Morjen, die hochgeehrte Gesellschaft!
-<i>(Biegler bemerkend)</i> Was? — Was will der Hund? Der
-schmalbauchige Hund? M — M — Mantel hat er ihm
-geschenkt — mit blanke Knöppe — wie 'n Offezier! Was
-is der Kerl überhaupt? Wo kommt der verhungerte Kerl her?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine
-Pflicht tut.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern
-hier. Der is hier auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen.
-Wann hab' ich mal blanke Knöppe gekriegt? Kerl,
-durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den Posten
-gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts
-zu tun.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir
-jibt se 'n Porzellanteller. Du wirst noch mal — platzen<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span>
-— wie 'n Bovist. Und dann wird man an dem Gestanke
-erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' 'ne Faust wie
-'ne Ramme! <i>(Dringt auf ihn ein)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stößt ihn fort)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(zurücktaumelnd)</i></p>
-
-<p>Was — hauen — tust du mir alten Mann?</p>
-
-
-<h3>Neunte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span> und <span class="gesperrt">andere Bildhauer</span> und
-<span class="gesperrt">Steinmetzen</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Was is hier los?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(keuchend)</i></p>
-
-<p>H—h—hauen — m—m—ir—!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wer hat den alten Mann gehauen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Is ja alles Blech!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Werd' ich nu bald Antwort kriegen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(kleinlaut)</i></p>
-
-<p>Hier hat überhaupt keiner gehauen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(mit erhobener Faust)</i></p>
-
-<p>Der Hund! — der verhungerte — <i>(Einige der Umstehenden
-führen ihn nach hinten)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie!
-... Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich
-nischt an.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins —
-zwei — <i>(pfeift)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Da geh man schon. — Jegen den Großschnauz kommste
-nich auf.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Der sticht mit's dreikant'ge Messer.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wenn ich »drei« sag' —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(blaß, schwer atmend)</i></p>
-
-<p>Sie können — ja auch zu mir kommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(pfeifend)</i></p>
-
-<p>Ich warte.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung, zitternd)</i></p>
-
-<p>Da lassen — sich man — die Zeit — nich lang werden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(in Wut)</i></p>
-
-<p>Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine
-Pfeife mit euch stoppen, Kerls? <i>(Das Lederfutteral nach vorne
-ziehend)</i> Soll ich euch mal die Hühneraugen barbieren?
-<i>(Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor Biegler gestellt haben)</i> Aus
-dem Weg hier!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(sich umschauend)</i></p>
-
-<p>Wo is denn der Polier?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Jetzt bin ich hier der Polier. <i>(Wild)</i> Aus dem Weg
-hier — oder —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(vortretend)</i></p>
-
-<p>Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten
-haben. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(befriedigt)</i></p>
-
-<p>Na, da hätten wir ja das Gewächse. <i>(Setzt sich, raucht)</i>
-Immer parieren, Kinderchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Also ich wär' ja nu da.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft,
-den wollen wir mal auf sich beruhen lassen. Aber wir
-haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, wir beide. Sie
-sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(auflachend)</i></p>
-
-<p>Und Nachtwächter auch?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na —
-soll ich Sie bei den Ohren nehmen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p>
-
-<p>Was — is — denn — mit dem Block?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht
-geschieht. Ich frag' Sie: Wer hat da an meinem Block
-rumgemurkst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sehr bestürzt)</i></p>
-
-<p>Das —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das — weiß ich — doch — nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Seht euch mal das böse Gewissen an.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte.</p>
-
-
-<h3>Zehnte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie</span><br />
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(geht quer über den Platz zu der Gruppe hin)</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd)</p>
-
-<p>Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner
-Besuch. Nu, mein süßes, strammes Frau Homeyerchen,
-mein —</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(ihn abwehrend)</i></p>
-
-<p>Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf
-den Platz kommen können.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst
-nich so. Ich hab' Ihnen doch manches liebe Mal in
-Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Aber gelächelt haben Sie dazu — so sieß! <i>(Schmachtend)</i>
-Ach, wie so sieß!</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür
-steht das Fräulein. Das will Sie sprechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Das Fräulein — mich? — Mich — das —? So!
-Na! Sie, Nachtwächter, Sie können abrutschen. Aber
-Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Hab man keine Bange vor dem!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick
-beschwör' alles ... Unbesehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich dank' euch schön.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(dreht eitel seinen Schnurrbart)</p>
-
-<p>Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? <i>(Geht
-nach vorne links)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt sie von
-hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie geht nach links)</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach der Kantine ab)</i></p>
-
-
-<h3>Elfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Marie. Göttlingk.</span> Die anderen im Hintergrund
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie um sich Mut
-zu machen, mit der Hand übers Gesicht)</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(linkisch, mit durchbrechender Frechheit)</p>
-
-<p>Mahlzeit, Fräulein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p>
-
-<p>Gesegnete Mahlzeit!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich
-dem Fräulein dienen kann?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin
-ich schon lange wieder da.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke
-schön.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(rasch, ängstlich)</i></p>
-
-<p>Nein, nein, der Lore wegen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen
-Weg.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Was für 'n Weg, Herr Göttlingk?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen
-Sie sich darüber nicht. Da sind Sie viel zu fein zu. —
-Das sind solche Geschichten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb
-Sie die Lore hat?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür
-sorgt schon der liebe Gott.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ihn bestürzt anstarrend)</i></p>
-
-<p>Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht
-sein. Wenn die andern auch sagen, Sie seien gewalttätig
-und — Ich habe Sie immer für einen guten und edeln
-Menschen gehalten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Na, macht sich!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches
-Herz. Ich habe Ihnen immer mit Freuden zugehört.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für
-Sie gesungen, Fräulein Mariechen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tödlich erschrocken)</i></p>
-
-<p>Wieso — für — mich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's
-Fenster aufmachen. Also müssen Sie's doch gerne haben.
-Ich tu' immer, was Sie gerne haben. Jawohl. Mach' ich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(außer Fassung)</i></p>
-
-<p>Es handelt — sich hier — aber gar nicht — um mich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(in trumpfender Männlichkeit)</p>
-
-<p>Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum
-soll es sich nich auch 'n mal um Sie handeln?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, dann — da sie
-Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie hilfesuchend auf ihn zu)</p>
-
-<p>Vaterchen! Vaterchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(seinen Schnurrbart drehend)</i></p>
-
-<p>Sieh mal an! Sieh mal an! <i>(Geht nach hinten)</i></p>
-
-
-<h3>Zwölfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar
-Reitmaier</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, was denn, Miezelchen? <i>(Ruft)</i> Frau Homeyer!
-<i>(Sie hängt in seinem Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann
-Frau Homeyer, die für einen Augenblick in der Tür erscheint)</i> Sie
-werden entschuldigen, Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen
-kränklich ...</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p class="directive2">(Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder Schnauzbart,
-Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in brutale Schärfe umschlägt.
-Ein wenig Bierbruder mit Ausblick zum Offiziertypus)</p>
-
-<p>Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das
-Privatleben der Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie
-auch nicht lange aufhalten. Ich bin nur beauftragt worden,
-mal 'n bißchen nachzuhören, was mein Kollege vom
-Revier da — — Haben Sie man keine Bange. Ich bin
-'ne menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich.
-Die Herren Spitzbuben — die sind mir so wie 'ne
-große Familie.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(erfreut, bewundernd)</i></p>
-
-<p>Ach — ne — wirklich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bieder)</i></p>
-
-<p>Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na,
-kann man den Onkel mal 'n bißchen sehn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rufend)</i></p>
-
-<p>Struve!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p class="directive2">(sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend)</p>
-
-<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Leise)</i> Ei weh, Kindersch. Da
-is der Reitmaier vom Präsidium. Das is 'n fauler
-Junge. <i>(Kommt nach vorn)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(die Arme ausbreitend)</i></p>
-
-<p>Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve....
-Na, lieber Freund!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gerührt)</i></p>
-
-<p>Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude!</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich
-gesehn.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was
-gefehlt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was <em>haben</em> Se denn
-nu wieder ausgefressen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin
-eben scharf in de Besserung. Diesmal kann ich wirklich
-nich — nich — dienen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(überzeugt)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen
-Totenschein in die Hand nehm' —</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Nich schon Totenschein! Pfui! — Mann wie Sie muß
-leben!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im
-Zuchthaus. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(zu Zarncke)</i></p>
-
-<p>Er is bitter gestimmt. <i>(Beruhigend)</i> Na, na, na, es
-is da bloß noch 'ne kleine Formensache. Nichts von Bedeutung!
-Ne! <i>(Zieht sein Notizbuch)</i> Sagen Sie mal, wo
-waren Sie denn nu in der Nacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne
-Banke. Oder so.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bedauernd)</i></p>
-
-<p>Warum <em>waren</em> Se nu nich in Ihre Schlafstelle?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, warum <em>war</em> ich nich in meine Schlafstelle? Hätt'
-ich gewußt, daß schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke
-einbrechen würden, hätt' ich mir gleich um halb zehne in
-de Klappe gelegt. Wegen den Aal—ibi.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Natürlich! <i>(Leise)</i> Das is 'n abgefeimtes Luder! —
-Da Sie das aber selbstredend nicht wissen konnten, so
-gingen Sie zu — in den bekannten Lehmannschen Keller,
-wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is da
-'s Bier immer noch so gut?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Danke. Ja. Es jeht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Da waren Sie bis — zehn Minuten nach zwölfe.
-Und dann waren Sie mit Ihrem Freund Kuntze — ja,
-wo waren Sie da?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, wo war ich da? Ich bin — spazieren jewesen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(klagend)</i></p>
-
-<p>Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze
-sitzt schon wieder feste!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Aber es is doch schade. Na — und als Sie sich dann
-getrennt hatten, was taten Sie dann?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete.
-Ick hab' mir so, wie ick schon sagte, in'n Humboldthain
-bisken uf die Banke jesetzt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Und gesprochen haben Sie mit niemandem?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in
-schlechte Jesellschaft kommen. Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(triumphierend, leise)</i></p>
-
-<p>Den kriegen Sie nich!</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Und dann sind Sie nach Hause gegangen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens
-singen hören. Aber <span class="antiqua">pee à pee</span> bin ick denn zu Hause
-jejangen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des
-Einbruchs noch die Zeit seines Heimkommens sind festzustellen.
-Aber — — <i>(laut)</i> Struve!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Herr Kommissar!</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Ja, noch eins. <i>(Wieder leise)</i> In dem Magazin — haben
-Sie da Sachen von Wert?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Und die sind wertvoll?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Ah! Wußte der Struve davon?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit reserviertem Lächeln)</i></p>
-
-<p>Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Struve, wo ist hier das Magazin?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Das Magazin? <i>(Nach rechts weisend)</i> Na da is es ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Was is denn da so drin?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen
-Sie sich mal, Herr Kommissar.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(schärfer)</i></p>
-
-<p>Wissen Sie, was Zahnsägen sind?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Wo werden die über Nacht aufbewahrt?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(rufend)</i></p>
-
-<p>Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt?</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(ärgerlich)</i></p>
-
-<p>Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu
-stellen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach näher herangedrängt
-haben)</p>
-
-<p>Stören Sie die Leute, Herr Kommissar?</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Durchaus nicht. Durchaus nicht. <i>(Leiser)</i> Sie sehn
-übrigens — <i>(zu Struve streng)</i> treten Sie mal zurück! —
-<i>(leiser)</i> daß an das Subjekt nicht 'ranzukommen ist.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(zaghaft, bittend)</i></p>
-
-<p>Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Nu ja, <em>Sie</em> sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen
-Vergnügen macht, dergleichen Volk bei sich unterkriechen
-zu lassen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den
-lieben Gott.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(immer noch leise)</i></p>
-
-<p>Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit
-liegen nicht vor. Ich könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen.
-Vorher aber möcht' ich mal an <em>Sie</em> die Frage
-richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl für
-verdächtig halten oder nicht?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verlegen)</i></p>
-
-<p>Ja, da is schwer —</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(in die Enge getrieben)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie
-doch mal — <i>(spricht leise weiter)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p class="directive2">(der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, holt eine Anzahl
-Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm einen davon)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel.
-Kennen Sie den?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen
-hiermit. Verstehn Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden <em>Sie</em>
-mir von jetzt ab für die Sicherheit der Sachen — einstehn.
-Verstanden?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet
-denn das?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen
-Sie daraus, was Sie wollen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Sie — vertrauen — <em>dem</em> den —? Hähähä! Erlauben
-Sie mal. — Hähähä. Pardon, das ist zu spaßhaft. <i>(Immer
-lachend)</i> Na dann will ich auch nicht weiter stören. Das
-kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende führen! ...
-Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren
-Jungens nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn
-außerdem haben Sie ja auch noch 'n Mörder bei sich. Und
-weiß Gott, was —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sehr erschrocken)</i></p>
-
-<p><em>Mörder?</em> <i>(Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während
-der Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Nu ja — den —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rasch, mit Nachdruck)</i></p>
-
-<p>Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Erlauben Sie mal —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(ihn bei Seite nehmend, erregt)</p>
-
-<p>Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern
-wegen Totschlags verurteilt worden —</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Menschenblut is Menschenblut.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und
-das braucht ihm nicht unnütz vergiftet zu werden. Wissen
-Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu mir gerettet hat,
-wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie <em>dem</em>
-das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich
-gemacht haben?</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Ich? Wieso? Bitte!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(auf die erregten Gruppen weisend)</p>
-
-<p>Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der
-»Mörder« ist. Anstatt hier rücksichtsvoll —</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(brutal)</i></p>
-
-<p>Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen
-— Auswurf — Rücksicht zu nehmen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade <em>nicht</em>
-von Ihrer werten Familie.</p>
-
-<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p>
-
-<p>Was für Familie? ... Ach so! <i>(Scharf)</i> Ich empfehle
-mich Ihnen, Herr Zarncke. <i>(Ab nach links)</i></p>
-
-
-<h3>Dreizehnte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Reitmaier</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut)</p>
-
-<p>Hört mal, Kinder! Das — mit dem — Mörder —
-das muß 'ne Verwechslung sein. Das — ja —!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(vor sich hin)</i></p>
-
-<p>Na na!</p>
-
-<p class="actor"><b>Andere</b></p>
-
-<p class="directive2">(geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel Ausdruck)</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Struve!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p class="directive2">(der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat)</p>
-
-<p>Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen
-Sie sich auch darnach.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ja w— w— w—</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na was denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Wenn nu gesetzten Falls — und es is <em>doch</em> nu ein
-anderer gewesen —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein ....
-Und?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Und — nu ja — und der andere der kommt nu mal
-wieder — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Dann werden <em>Sie</em> eingesteckt. Verlassen sich drauf. <i>(Ab)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(nach der Kantine weisend)</i></p>
-
-<p>Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(nach Struve hin)</i></p>
-
-<p>An <em>den</em> hat man sich schließlich gewöhnt, — aber
-<em>Mörder</em>! Ne.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Du, Struve, komm mal her. <i>(Struve geht zu ihnen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Scht. Da is er.</p>
-
-
-<h3>Vierzehnte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> Gleich darauf <span class="gesperrt">Lore</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre)</p>
-
-<p>Herr Biegler.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich umwendend)</i></p>
-
-<p>Ja?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Sie haben doch <em>vier</em> Zigarren bezahlt und bloß dreie
-genommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach so. Ja. Danke. <i>(Nimmt die Zigarre)</i> Es war ja
-auch noch 'n vierter dabei. <i>(Mit glücklichem Lächeln)</i> Ich hab'
-nämlich — jetzt — auch — <em>Freunde</em> hier.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erfreut)</i></p>
-
-<p>Ach, sehn Sie!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja. Freunde — hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und
-da will ich mich doch mit Zigarren revanschieren. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt:
-Es is nich so schlimm, — sie tun Ihnen nichts?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer
-Mut gemacht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(herüberrufend)</i></p>
-
-<p>Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu
-schaffen? Das ist kein Umgang für Sie. — Lassen Sie
-den mal hübsch laufen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zusammenschreckend)</i></p>
-
-<p>Ja ... ja, ja. <i>(Steht unschlüssig)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(die Zähne zusammenbeißend)</i></p>
-
-<p>Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ...
-Ich hab' ja auch noch — <em>Freunde</em>. <i>(Lore ab)</i> <i>(Er breitet seine
-Zigarren fächerförmig in der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst
-mit Struve gesprochen und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat)</i> Du
-— willste nich — eine Zigarre von mir — rauchen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(verächtlich)</i></p>
-
-<p>Nee. <i>(Tritt von ihm fort)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, sehr zaghaft)</p>
-
-<p>Ach — bitte — ich hätt' — ne Zigarre — für —</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Du kannst deine Zigarren für dich behalten. <i>(Tritt
-gleichfalls von ihm fort)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit kommt über
-ihn; er geht zu Struve — voll Angst und Ingrimm)</p>
-
-<p>Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben —</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gutherzig abwehrend)</i></p>
-
-<p>Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz
-bin, weil ich nu den — Magazinschlüssel hab' ... aber —<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span>
-ich kann mir nich — ausschließen, — ich muß machen wie
-die andern.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wa — was hab' ich — euch denn — ...?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Sag mal, wie alt bist du?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Vierunddreißig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh
-lassen sie einen wie du — sonst doch nich los ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick auf die ihn
-rings Beobachtenden und versteht)</p>
-
-<p>Ach so ... Ach so.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(ist zu Lohmann zurückgetreten)</i></p>
-
-<p>Ich sag' euch bloß: det stimmt <em>nich</em>.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wer soll's denn sonsten sein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(auf die Bank der Kantine sinkend)</p>
-
-<p>Ach so!</p>
-
-<p class="directive1">
-(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h2>Dritter Akt</h2>
-
-
-<p class="directive1">Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet.
-Die Decke ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite
-die Tür zum Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster,
-im Hintergrunde links das Büfett mit einem Schanktisch davor.
-— Auf der linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. —
-In der Mitte unter der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen,
-links vorne ein Sofa mit Tisch und Stühlen, rechts vorne
-Tisch mit Stühlen. Vor dem Fenster Schustergerät. In der
-Ecke rechts hinten ein eiserner Ofen.</p>
-
-<p class="directive1">Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen
-Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf
-den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf
-dem Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer.
-Plakate und Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck
-an die Wände geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und
-Rahmen hängt neben der Eingangstür. Über dem Büfett
-eine Uhr; neben ihm eine Mandoline</p>
-
-
-<h3>Erste Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore</span> hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt.
-Der alte <span class="gesperrt">Eichholz</span> auf dem Sofa schlafend. <span class="gesperrt">Lenchen</span> an
-dem Schusterschemel</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(schnarcht)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was machst du da, Lenchen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Nein, nein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa)</p>
-
-<p>Vater — Vater!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p class="directive2">(brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vater, du mußt aufstehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(im Halbschlaf)</i></p>
-
-<p>Wieso denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung —
-du weißt ja — dann wird's noch einmal voll hier.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja, ja ... Na ja ... <i>(Richtet sich auf und reckt die Glieder)</i>
-Ich muß ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech
-besorgen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Laß doch, Vater, das eilt ja nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Nu ja. Ich arbeit' ja <em>doch</em> nich. Ich bin 'n altes
-Faultier, sagt meine Tochter. <i>(Rülpst)</i> Dein Kümmel is<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span>
-das reine Rattengift. — Meine Leber kriegt schon harte
-Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich an einen
-Mäßigkeitsvereine zu beteiligen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach ja, das wär' ganz gut, Vater.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was
-mir gut is? Ich freß nich mehr aus'n Steinguttopp.
-Das laß dir gesagt sein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, das is ja alles Einbildung, Vater.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger
-bin ich ... Wenn sie mich schon wegjagen tun um —
-um — um 'n Mörder.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abwehrend)</i></p>
-
-<p>Ach!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich
-aus. Da jeh' ich ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille
-zu mir. Und dann verkauf' ich mir an die Annetomie ...
-Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. Nich mal
-meinen Leichnam.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lächelnd)</i></p>
-
-<p>Ich will ja auch nichts, Vaterchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt
-du den Kerl 'raus und scheuerst mit Karbol die Stelle,<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span>
-wo er gestanden hat. Statt dessen frißt er sich hier rund
-an deine Karbonade.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob
-er wirklich <em>der</em> is, von dem der Kommissär gestern gesprochen
-hat, das weiß ja keiner.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen
-im Kopp. Heute is nu jeder so klug.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was sind denn Mörderaugen, Vater?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin.
-Und das is der Tod. Und wegen so einen — haben sie —
-mir — <i>(Weint)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p>
-
-<p>Vaterchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(weinend)</i></p>
-
-<p>Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von.
-Einer muß hin. Er oder ich. Tot oder lebendig. Der
-muß verrecken, der Hund, der Bluthund, der — der —
-<i>(Kläglich)</i> Ich hab' so 'n Leberstechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Geh, leg dich aufs Bett, Vater.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan,
-daß ich nicht werde jenesen meines Leidens ... Ich hab'
-so 'n Leberstechen. <i>(Ab)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sieht ihm seufzend nach)</i></p>
-
-<p>Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater.
-Und wenn er weint, dann ruf.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lenchen</b></p>
-
-<p>Ja, Mamachen. <i>(Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herein!</p>
-
-
-<h3>Zweite Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Marie</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(gedrückt)</i></p>
-
-<p>Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen
-hatte?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Die anderen erzählten sich's.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon,
-daß ich keine guten Nachrichten bringe?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mutlos)</i></p>
-
-<p>Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute
-vormittag nicht. Wollen sich nich setzen, Mariechen?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Danke. <i>(Setzt sich)</i> Hast du gehört, wie schön die Amsel
-singt auf deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch'
-ich mich, oder pfeift sie fröhlicher, seit sie ihr Nest hat?
-Es is wirklich so, als ob das Glück pfeift ... Auf deinem
-Dach, Lore.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Für mich pfeift kein Glück.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Wer weiß? ... <i>(Zögernd)</i> Lore, ich will dir was gestehn:
-Ich hab' Vater gebeten, daß er ihm am nächsten
-Termin kündigt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will,
-dann soll er gehn. Aber nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann
-sagt, daß er dir 'ne Aussteuer geben wird.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht
-nichts gut. Ich will nichts.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau,
-die wohlhabend ist. Darauf geht er aus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Woher wissen Sie das?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(stockend, mit abgewandtem Gesicht)</p>
-
-<p>Nun, das — merkt — man doch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut
-Herr Zarncke is, wohlhabend, wie <em>er</em> meint, kann ich ja
-doch nie werden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit geheimnisvollem Lächeln)</p>
-
-<p>Nun — wer weiß?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade
-das tägliche Brot.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit unterdrückter Erregung)</i></p>
-
-<p>Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab'
-sagen wollen: Lange leben werd' ich nicht, <i>(langsam, mit Betonung)</i>
-und — dein Lenchen — hab' ich <em>sehr lieb</em>.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach langem Schweigen)</i></p>
-
-<p>Mein Kind hast du — so lieb?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Mein Lenchen hast du so lieb?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(aufschreiend)</i></p>
-
-<p>Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen.
-Wozu soll sie sich durchschleppen mit mir durch all den
-Jammer, wenn sie <em>das</em> haben kann? <i>(schluchzt)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen — da hätt' ich noch
-ja und »Schön dank« gesagt. Aber jetzt — seh' ich die Dinge
-— anders an. Denn, sieh mal! So ein — Kindchen —
-muß doch zuerst mal — seinen Vater haben ... Nicht wahr?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in neuem Erstaunen)</i></p>
-
-<p>Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das
-glaub' ich nicht! Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und
-das kann auch nicht zum Guten sein. Nie im Leben. Nie.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Warum nicht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Weil — weil ... Der — der <em>will</em> mich nicht mehr.
-Dem bin ich <em>doch</em> bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten
-hat? Und wovon er doch der Verwalter sein wird?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Mein Gott, mein Gott, mein Gott!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater,
-das weiß ich nicht. Denn wollen <em>wird</em> er ja nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch
-nicht. Und es schadet auch gar nichts, wenn's — nichts —
-wird. — Man is ja längst schon viel zu mürbe. Und
-vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, wo
-<em>nicht</em> so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde
-lang mal froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span>
-ein Stein, den man hin und her stößt, ach, das tut so gut,
-so gut, so gut! <i>(Sinkt lachend und weinend vor ihr nieder und küßt
-ihr die Hände)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer.
-<i>(Lore steht auf)</i></p>
-
-
-<h3>Dritte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Biegler</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, scheu)</i></p>
-
-<p>Guten Tag.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie.</b></p>
-
-<p>Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Geht's Ihnen gut?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Danke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! <i>(ab)</i></p>
-
-
-<h3>Vierte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Lore. Biegler</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(setzt sich an den Mitteltisch)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit Kaffee ein,
-bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie nach dem Tisch links)</p>
-
-<p>Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is
-ja der Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich
-nach der Auszahlung. Die sind zu große Herren.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich geh' so wie so gleich fort. <i>(Setzt sich links)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich — krieg' — monatlich. <i>(Schweigen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(immer in freudiger Erregung)</p>
-
-<p>Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor,
-Herr Biegler. Sie reden gar nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich red' ja — auch sonst nich — viel.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was — ganz
-was — Besonderes — passiert.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was Gut's?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Da gratulier' ich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts
-ändern. Aber es is doch wie 'n heller Schein. — Und da
-möcht' ich, daß es auch andern so geht. Ihnen auch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schwer atmend)</i></p>
-
-<p>Danke!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herr Biegler — ach, Herr Biegler, wozu sollen wir<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span>
-erst viel Versteck spielen. Ich weiß ja, was Sie quält —
-seit gestern.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sich in Erstaunen jäh umwendend)</p>
-
-<p>Und da reden Sie noch mit mir?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja — is es denn wahr?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach einer Pause, schwer)</i></p>
-
-<p>Die Herren Geschworenen haben die Frage — ob's
-Notwehr gewesen is oder nich — verneint ... Und nu
-lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. <i>(Schweigen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach innerem Kampfe)</i></p>
-
-<p>Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter lachend)</i></p>
-
-<p>Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zaghaft)</i></p>
-
-<p>Sie wissen doch!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja, Ohren hab' ich auch ... <i>(in Wut auffahrend)</i> Und
-wenn ich erst wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann
-würd' ich den Kerl — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch
-nich, daß ich Angst hab' vor Ihnen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(hastig seinen Kaffee trinkend)</i></p>
-
-<p>Ich geh' schon. Ich geh' schon.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(unschlüssig, mit dankbarem Aufblick)</p>
-
-<p>Ach! ... <i>(hart)</i> Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man
-wird ja so wie so wie'n Stein! Die Steinmetzen erzählen
-nämlich: Der Stein wird durch Druck. Wissen Sie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das sollt' ich wohl wissen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die
-drüberliegenden Schichten drücken, dann wird die lebendige
-Erde zu Stein ... Beim Menschen dauert's nich so
-lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar Jährchen Druck
-— immer derselbe Druck. Das genügt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p>
-
-<p>Ob's genügt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Man lacht und man weint und man schläft und man
-arbeitet — ach, lustig sein kann man sogar — man is
-überhaupt ein Mensch wie andere und is doch lang keiner
-mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ...
-Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit
-dem Fuß stoßen wie 'n Stein. Man wird gegen alles
-gleichgültig wie 'n Stein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja, — so is es, — ja, ja.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So
-sehr hat mich was gefreut ... Gestern war ich wie Sie.
-Aber heut kann ich Ihnen was helfen. Bloß Vertrauen
-müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das hätt' ich schon — aber — <i>(vor sich hinbrütend)</i> ich muß
-ja wohl wieder weg.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ich denk', Sie waren zufrieden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten — <em>alle</em> —
-im Himmel wär' ich gewesen. Morgens — so gegen zweie
-— da is mir leicht geworden ... dann kann keiner kommen
-und was von mir wollen. — <em>Doch!</em> — Einer <em>kann</em>
-kommen ... Die kann <em>immer</em> kommen. Sie <em>is</em> noch
-nich — aber sie kann.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit beruhigendem Lächeln)</i></p>
-
-<p>Na wer denn, wer denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach so — ich soll ja mein Herz erleichtern.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Nicht — wenn Sie nich wollen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste
-schieben sie sich so langsam von einem weg ... Man will
-<em>mit</em> anfassen, und dann is man allein. Und dann geht's<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span>
-Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, habt ihr
-auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn
-sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden
-wir den Platz schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück
-Holz. Und dann fliegt 'n Stein. Und dann kommen <em>Sie</em>
-eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, Herr Biegler,
-aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.«</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schüttelt heftig den Kopf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Na warten Sie man. Und schließlich kommt der
-Prinzipal und sagt: »Hier is Ihr Buch. Sie können gehen.«
-Und man weiß, daß man nu wieder ins Hungerland zieht,
-wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt
-noch: »Gott sei Dank.«</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, es is schrecklich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid
-froh, daß ihr sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne
-Wort ... Das haben die Herren extra für uns erfunden
-... Ja, was soll ich nu alles sühnen? ... Daß der Weg
-mich in <em>die</em> Schlafstelle geführt hat — und gerade in <em>die</em>?
-... Daß die Frau jung war — mit Flunkeraugen — und
-daß sie immer <em>so</em> machte <i>(haucht mit spitzem Munde)</i>, wenn sie
-hinten an mir vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab':
-»Was machen Sie da?« dann hat sie mich mit den blanken
-Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den Tod nich
-leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und
-der Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und
-kalt das Genick 'runterlief ... Ja, so kommt so was ...
-Er war Schuster. Wie Ihr Vater ... Mit den Schustern<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span>
-hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja auch, was
-'n Klopfstein is ... <i>(Zum Gerätschemel gehend)</i> Da liegt er ja!
-<i>(Bringt den Stein.)</i> Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war
-er — aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines
-Tages abgefaßt hat — mit ihr — — und auf mich zugekommen
-is, Messer in der Hand, da hab' ich gedacht:
-was machen? Was hab' ich gemacht? <em>So!</em> <i>(Hebt den Stein
-hoch)</i> ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze
-hat gedauert, wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der
-nu da lang lag, darum war mein Leben verdorben. Nu
-sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, wenn der
-Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu
-Schanden geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden
-kann er sich lecken ... Mehr kann er nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p>
-
-<p>Mein lieber Gott.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p><em>Ihr</em> lieber Gott is nich <em>mein</em> lieber Gott. Sonst
-ließ' er <em>das</em> nich zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die
-ersten müssen gleich kommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p>
-
-<p>Sie sollen <em>nicht</em> gehn, Herr Biegler.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in flackernder Angst)</i></p>
-
-<p>Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts
-mehr zu tun.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie
-sollen dableiben. Ich setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie
-den andern. Das trinken Sie aus und kümmern sich um
-nichts.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen,
-desto mehr sind <em>die</em> von Ihrer Schuld überzeugt.
-Und das darf nicht sein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wenn's nu aber doch wahr is?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und
-mir weiß keiner was. Und wir halten reinen Mund. Wenn
-<em>die</em> sehn, daß Sie keinem aus dem Wege gehn, dann wird
-das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber nichts
-gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ...
-Wissen Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste
-Butterbrot brachte?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt voll Grauen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie
-sich jetzt wegjagen lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr
-Biegler. <i>(Hinaushorchend)</i> Ich glaube, Sie kommen schon.
-Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, dem zeigen
-Sie die Zähne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p>
-
-<p>Ach ich — m — mir bl — eibt ja jedes Wort in der
-Kehle.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr
-Biegler, müssen!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Und 's kann sein, wer's will? Ja?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(stutzend, dann stark)</i></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, zagend)</i></p>
-
-<p>Na, is gut. <i>(Setzt sich auf seinen Platz zurück)</i></p>
-
-
-<h3>Fünfte Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel.</span> <span class="gesperrt">Struve.</span><br />
-<span class="gesperrt">Drei andere Arbeiter</span><br />
-</p>
-
-
-<p class="directive2">(Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den Schanktisch getreten
-ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und setzen sich an den Tisch rechts)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Glas Bier!</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Mir auch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Jedem eins.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Kiekt mal, wer da huckt!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen
-hat. Das ist doch extra für ihm hingebaut.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Der Mensch sitzt, wo er kann. — Laß ihm sitzen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(Bier bringend)</i></p>
-
-<p>Wohl bekomm's!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Danke. <i>(Nach Biegler hinüber)</i> Jemütlich is anders. Prost!
-<i>(Sie stoßen an)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(bringt auch Biegler ein Glas Bier)</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Wird der hier nu auch den Stammgast spielen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul
-ihm mal 'raus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt
-mit meine eigenen Sorgen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wat vor Sorgen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es
-macht Verjniegen, mit so 'ne Verantwortung in de Welt
-rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine schleppen, denn
-haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch 'n
-Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen
-deiner Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel
-an dir tragen, oder so — dann wirst mal sehen,
-wie so 'n Mann zu Mute ist.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche
-Leben, der muß sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches
-Schnappschloß. — Da brauchste bloß 'n paar gesunde
-Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel krumm zu biegen,<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span>
-und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de
-Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das
-jar nich uf?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>Ne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na — de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen
-bei jeden freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe
-handelt. Da kann dir kein Teckel an de Beene ... Des
-is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste Beersenjeschäft ...
-Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor haben? —
-Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Jlickliche Reise. Prost.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige
-Kerl, ick wette 'n Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen
-könnte man 'rin und 'raus — wie de Schwalben.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er
-wär's, dann wär' er noch nich 'raus.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes
-Mittel anwenden. <i>(Sehr laut)</i> Fräulein! Wissen
-Sie vielleicht die Adresse von 'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter Erwartung dagesessen
-hat, wendet sich jäh um)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p>
-
-<p>Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da
-kann mal leicht so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man
-plötzlich mit Tode abjeht, man weiß nich, wie?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p>
-
-<p>Ich versteh' gar nich, was Sie meinen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes Stammeln hervor
-und setzt sich wieder)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Hat jesessen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu — die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre
-blaue Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es
-könnt' se ja einer fir Hausknechte halten. <i>(Lachen)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun
-und was unternehmen beim Alten, — damit er auf'm
-Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es wird nötig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen
-mit so 'n plundrigen Kerl.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die
-Stiebeln ab; — da hab' ich auch kein Erbarmen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob er sprechen
-solle, wagt es aber nicht mehr)</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Warum steht er denn nich auf und —</p>
-
-
-<h3>Sechste Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere
-Steinmetzen</span> (in Feierabendkleidung)
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(auf den Tisch der Arbeiter weisend)</p>
-
-<p>Da <em>sitzt</em> se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's
-wohl nich eilig genug mit eurem Feierabend — was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wieso denn?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe,
-habt ihr auf Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Nu, der hängt doch im Flaschenzug.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Aber locker hängt er.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten.
-Wenn der Alte Überstunden zahlen will, gehn wir gleich
-noch mal 'ran.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Husten wird er euch was.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid
-ihr verantwortlich. <i>(Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein,
-wenn die Steinmetzen kommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(die Bier bringt, eilig, ängstlich)</p>
-
-<p>Hier is, bitte, hier is schon alles.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt,
-wie der Kerl — der — <i>(Biegler erkennend)</i> Herrgott, wer sitzt
-denn da?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rasch)</i></p>
-
-<p>Ach, kümmer dich nicht um den.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die
-Herren! <span class="antiqua">Per Bacco</span>, is mir mollig. Ganz fingrig is mir
-zu Mute. Wollt ihr was hören? Natürlich, ihr wollt
-immer was hören. Lore, bring mal — bringen Sie mal
-die Seufzerkiste.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Jawohl. <i>(Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Ein Steinmetz</b></p>
-
-<p>Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir.
-Ahnste weswegen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(während er die Mandoline stimmt)</p>
-
-<p>Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal
-können sich Ereignisse vorbereiten — die Welt is eben 'n
-Affenkäfig.</p>
-
-
-<h3>Siebente Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Der alte Eichholz</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p class="directive2">(angezogen wie im ersten Akt)</p>
-
-<p>Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten
-Gesellschaft.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>So in Jala, Papa Eichholz?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen
-und habe mir angetan im Schmucke sämtlicher
-Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir mal sehn, ob
-ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p>
-
-<p>Was hast du vor, Vater?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf
-Ehr' und Jewissen: Wer is der Kerl? Was is der
-Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen Zustande
-mir sollte — <i>(bemerkt Biegler)</i> was — was — was — was is
-denn das? Is das —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum
-Platz gehört. Weißt du das nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p>
-
-<p>Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein
-eigenes Nest 'reinschmutzen, aber wenn du willst mein
-Fleisch und Blut sein — <i>(in ausbrechender Wut)</i> Kerl, dir werd'
-ich platt schmeißen! Dir bind' ich 'n Mühlstein um'n
-Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du blutiger
-Hund!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(gequält)</i></p>
-
-<p>Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben?
-Ich denk', nu is genug.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p>
-
-<p>Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine
-fang keinen Zank an. Sonst mußt du 'raus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b></p>
-
-<p>Hat sie ganz recht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Jawohl. Ich geh' schon. — Ich werde schon in geeignete
-Erfahrung bringen, wer, wer <i>(mit geballter Faust)</i> und
-wer Blut vergießt, deß — Blut — muß — — ich geh'
-schon, ich geh' schon. Guten Abend, die hochgeehrte Gesellschaft.
-<i>(Ab)</i></p>
-
-
-<h3>Achte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Eichholz</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise zu Lore)</i></p>
-
-<p>Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(wendet sich ab)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(verbissen)</i></p>
-
-<p>Sieh mal an! <i>(Kehrt auf seinen Platz zurück)</i> Na, lassen wir
-uns nich die Laune verderben. <i>(Ergreift die Mandoline, in
-neuem Argwohn)</i> Freilich, wissen möchte man doch.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Halt bloß Ruhe, Eduard.</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b></p>
-
-<p class="directive2">(die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(an der Mandoline zupfend)</i></p>
-
-<p>Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne
-Menge schöne Lieder, die mir die schönen Weiber dort
-unten in schönen Stunden beigebracht haben ... denn die
-Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', Kinder!
-Wenn man da nich feste 'ranjeht! <i>(Beiläufig, herablassend)</i>
-Ach, bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein
-Lore.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß
-mit mir war. Ja, mein geliebter Sohn, Glück bei den
-Weibsleuten muß der Mensch haben. Das is der Ausschlag
-beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, danke,
-danke, danke! <i>(Singt und spielt)</i> »<span class="antiqua">Vè quà una giardiniera, si
-chiama Luisella, da sovra all'Arenella</span>« — <i>(Abbrechend)</i> Sagt
-mal, Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung
-mal so euer Chef würde hier auf diesem Steinmetzplatz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b></p>
-
-<p>Was is das wieder für 'n fauler Witz?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze.
-Wenn ich da Jimm drauf hätte. Die Puckligen sind zwar<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span>
-nich gerade mein Jeschmack, aber wenn so 'n schönes Jeschäft
-dran hängt, kann man ja auch mal beide Augen zumachen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des Entsetzens aus)</p>
-
-<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(halblaut)</i></p>
-
-<p>Is 'n Mensch wie 'n Vieh.</p>
-
-<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch hinüber)</p>
-
-<p>Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lohmann</b></p>
-
-<p>Wir sind ja ganz still.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. <i>(Da Lore, den
-Kopf in den Händen, noch einmal aufstöhnt)</i> Was ist denn hier los?
-Was? Was? Was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, zaghaft, als traue
-er seinen erwachenden Kräften nicht)</p>
-
-<p>Du Schuft! Du Schuft! — Du Schuft!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(fassungslos vor Erstaunen)</i></p>
-
-<p>Was will das Gewächse da?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Du ganz erbärmlicher Schuft!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(Humor heuchelnd)</i></p>
-
-<p>Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus
-quetschen? Nehmt mir das nicht übel, aber die Handvoll,
-das lohnt mir nich. Außerdem bin ich's als Steinmetz
-mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem — Prost!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(heiser)</i></p>
-
-<p>Was du bist, bin ich noch alle Tage.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell
-is, kann ich's besser.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(aufspringend)</i></p>
-
-<p>Du warst das selber, du verfluchter —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(halten ihn fest)</i></p>
-
-<p>Ruhig, ruhig, ruhig.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Aber das is Nebensache. <i>(Auf Lore weisend)</i> Da — da
-— wer steht da? — Der sagst du <em>das</em> ins Gesicht? —
-Jeder weiß, daß sie 'n Kind von dir hat. Zum Dank
-verhunzen tust du sie — schuriegeln tust du sie ... Wirst
-sie — wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen?
-Du nichtswürdiger Schuft! Du!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(der sich zu befreien sucht)</i></p>
-
-<p>Nu laßt doch los. — Is bloß 'n Floh, der ganze
-Kerl, aber das kost't ihm das Leben. <i>(Reißt sich los und zieht
-den Dolch heraus)</i> Los sag' ich, oder —</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(weichen erschrocken zurück)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel,
-weil alle anderen Angst haben? — Kraft hab' ich keine,
-Haut und Knochen bin ich vom langen Hungern, aber —
-<i>(er hat den Klopfstein ergriffen, der auf dem Schanktisch liegen geblieben
-ist, und hebt ihn hoch)</i> — <em>mit so 'nem Schusterstein hab' ich
-schon einen erschlagen! Mit so 'nem Schusterstein
-hab' ich schon</em> — — <i>(große Bewegung)</i> Nu komm mal 'ran,
-wenn du willst. Komm mal 'ran — komm mal 'ran! <i>(Dringt
-auf Göttlingk ein)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(erschrocken zurückweichend)</i></p>
-
-<p>Na, na, na, na.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Komm 'ran — oder 'raus da — 'raus da. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p><i>(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(der ihm gefolgt ist)</i></p>
-
-<p>'raus da! 'raus da!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Das werd' ich dir — gedenken. — <i>(Rettet sich durch die
-rasch geöffnete Tür)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er sieht verständnislos
-noch einmal um sich, sieht Lore, die schluchzend, mit verhülltem
-Gesicht, abgewandt dasteht, sieht die blassen, entsetzten Gesichter und
-murmelt, wie wenn er langsam zu sich käme)</p>
-
-<p>Was is denn? Was war denn? Was —? <i>(Sein Gesicht
-verändert sich, er kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl
-zusammensinken, rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier
-aus, setzt seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür
-zurück; — sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die
-ihn regungslos Anstarrenden — und geht hinaus)</i></p>
-
-<p class="directive1">
-(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br />
-</p>
-
-<hr class="chap" />
-
-<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span></p>
-
-
-
-
-<h2>Vierter Akt</h2>
-
-
-<p class="directive1">Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den
-Häusern des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot,
-der sich allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem
-Fenster der Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach
-vollendeter Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet.
-Beim Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher
-Biergartenmusik</p>
-
-
-<h3>Erste Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre rauchend)</p>
-
-<p>Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Eben sang sie doch noch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben
-mit ihrem Bumbum.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ach, ich hör's gerne.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so
-schön weitab is vom eigenen Leben ... Da sitzen nu die<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span>
-Menschen in Haufen, stoßen sich, ärgern sich, beneiden sich,
-begehren sich, und fünf aufgequollene Trompeter machen
-Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe
-Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der
-verfluchten Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber
-auch <em>gar nichts</em> von ihr wissen wollen. ... Was guckste
-denn immer nach der Lore ihrem Fenster 'rüber?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei
-ihr gewesen. Seit seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich
-kommt er — Abends um neune — von da oben — die
-Treppe 'runter.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen
-gehabt hat. Aber so käseweiß brauchst du darum doch
-auch nich zu werden, wenn er nu wirklich mal hinter dir
-auftaucht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schweratmend)</i></p>
-
-<p>Denk doch, was das für die Lore bedeutet.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt
-dich nich so 'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht.
-Nich mitmachen wollen. Das zehrt dann am<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span>
-eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut — und
-jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>O, das freilich. Aber — gestern muß was passiert
-sein bei der Lore drin.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>So? Was denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Zwischen dem Nachtwächter und — und — Göttlingk.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p>
-
-<p>Wieso?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert
-hat. Deshalb hab' ich gestern schon den Eichholz
-'rausgeschmissen. Das alte Vieh war ganz rabiat. Irgendwas
-bereitet sich vor gegen den Biegler. Und schließlich
-werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den —
-<i>(Schnalzt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres.
-Viel was Schlimmeres.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm
-genug ... Von wem weißt du's denn? Von der Lore?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht
-mir heut aus dem Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span>
-macht immerzu Andeutungen. Aber was Rechtes kriegt
-man auch aus <em>der</em> nich 'raus.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält.
-Da wollen wir doch mal gleich — <i>(Klingelt)</i></p>
-
-
-<h3>Zweite Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Frau Homeyer</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(eine Windlampe in der Hand)</p>
-
-<p>Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ...
-Nein, so im Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln
-gesessen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann — der nimmt
-sich dann so leicht was 'raus —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und mit 'n alten Mann — das lohnt nich.</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Aber, Herr —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der
-Lore gewesen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Sie haben doch meiner Tochter erzählt —</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem
-Fräulein? Und gerade dem Fräulein? I, da müßt'
-ich — <i>(Nimmt das Tischzeug zusammen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Aber Frau Homeyer —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(gleichzeitig)</i></p>
-
-<p>Was heißt das: <em>Gerade</em> dem Fräulein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin
-sein. Und ich bin im Gegenteil immer höchst zurückhaltend
-... Da bin ich bekannt für. Da können Sie alle
-Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse
-lesen ... Und da soll ich mir gerade <em>hier</em> die Zunge bei
-verbrennen? ... Das kann Ihnen wer anders erzählen,
-Fräulein. Und dann müssen sich auch nichts draus machen.
-... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg ...
-Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is
-immer noch das Beste für 'n ältliches Mädchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ja, was hab' <em>ich</em> aber mit dem allen zu tun, Frau
-Homeyer?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat <em>manchmal</em>
-mit was nich zu tun, und kommt <em>doch</em> ins Gerede ...<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span>
-Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich das freilich nicht gedacht.
-Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen <i>(verschämt)</i>
-immer so zutraulich — und, wie gesagt, Kavelier. Aber
-da könnte ja jeder kommen und — ach, bitte das Sahnentöpfchen
-— und behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken,
-da könnt' er Herr sein auf diesem Steinmetzplatz.
-Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was? Was? Was is das?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz
-unbesorgt sein, Fräulein, das —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Halt! Stopp! 'raus! Weg!</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Aber Herr —</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Weg, weg, weg, weg!</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p>Ja, ja, Herrgott!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Weg!</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit dem Tablette ins Innere ab)</p>
-
-
-<h3>Dritte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient,
-Mariechen. Bittst mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span>
-austapezieren ... Und da traut sich der Kerl überhaupt
-noch hierher? — Da wollen wir mal gleich — — <i>(steht auf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)</p>
-
-<p>Nein, Vater, nein!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Was — nein? Und wie siehste denn aus? — Ganz
-überird'sch!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in hilflosem Bekennen)</i></p>
-
-<p>Vaterchen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(nach einem Schweigen hinter sie tretend)</p>
-
-<p>Miezelchen! <i>(Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise)</i> Haben
-sie dir 's Geheimfach aufgebrochen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufschluchzend)</i></p>
-
-<p>Nicht ansehn! Nicht ansehn! <i>(Verbirgt das Gesicht in
-seinem Rock)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sie streichelnd)</i></p>
-
-<p>Also <em>das</em> war's? Und was du da drinnen verschlossen
-hieltst, das wird dir nu da — <i>(weist zur Kantine)</i> Ja, wie
-geht denn das zu?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(von Schluchzen geschüttelt)</i></p>
-
-<p>Weiß nicht! Weiß nicht!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, nu laß doch mal meinen Rock los!</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(verbirgt das Gesicht um so fester)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst
-mich gar nich ansehn? Möchtst das Tageslicht nich mehr
-sehn? Möchtst dir womöglich das Leben nehmen noch
-diese Nacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt heftig)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht und streichelt sie)</i></p>
-
-<p>Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen
-muß, dem 'n Stern vom Himmel 'runterfällt. <i>(Zum Himmel
-weisend)</i> Kiek mal hoch! ... Kannst noch nich? Da sind
-schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie stehn
-da wie für die Ewigkeit. <em>Und sie fallen alle.</em> Aber
-darum werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die,
-denen sie als Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ...
-Die Jugend verliert sich zuerst, aber unser Blick wird
-um so heller ... Die Freunde zerkrümeln sich, aber unsere
-Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, jeder
-Gedanke — jeder Hund — jeder Stein ... Na — und
-die Liebe? — Dem einen fällt sie in den Schmutz — wie
-dir, dem anderen zerreibt sie der Alltag; — rasch oder
-langsam, es is immer dasselbe, — aber vor der Tür lauern
-schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, und
-die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott
-wird uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere
-Herzen schlagen kräftiger ... Kindchen, 's wird noch 'n
-büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham brennt ...
-Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen.
-Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein
-Recht war und ist, dich liebzuhaben und dir zu sagen:
-Halt still ... Die Stillen sind die Klugen ... Und nur
-wer von der Welt <em>weit, weit</em> ab is, der hat sie ganz.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich aufrichtend)</i></p>
-
-<p>Vaterchen, hast du das immer gedacht?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die
-Kranken und die Alten. Aber die, welche die Jungen und
-die Gesunden sich zurechtmachen, is auch nischt wert ...
-Na — nu schmunzelst du ja wieder —.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schluchzt kurz auf)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die
-Tür hat schon 'n paarmal geklappt. <i>(Weist nach der Kantine)</i>
-Da traut sich einer nich an die frische Luft, eh' wir nich
-verduftet sind.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Die arme Lore!</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Nja. Na, komm. <i>(Beide ins Haus ab)</i></p>
-
-
-<h3>Vierte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk.</span> <span class="gesperrt">Lore</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Scht! Du, Göttlingk! — Sie sind weg!</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(heraustretend)</i></p>
-
-<p>Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt —
-gewisse Leute in den Weg gerannt wären — — na! Also
-übers Aufgebot reden wir noch, Lore!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)</p>
-
-<p>Wie du willst, Eduard.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden
-Quetsche. Mein Handwerkszeug bringt mir morgen
-der Vater und — ja, richtig! Die Mandoline gib mir
-doch noch mit.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verschwindet)</i></p>
-
-<p class="directive2">(Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die Gestalt
-Zarnckes wird dahinter sichtbar)</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Is das nich der Alte da oben?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja, der schläft da.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. <i>(Das Rouleau
-wird herabgelassen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bringt die Mandoline)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p>
-
-<p>Vater, es wäre wohl besser, du — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(scheltend)</i></p>
-
-<p>Was heißt das? Was hast du —?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(gleichzeitig)</i></p>
-
-<p>Nu laß doch Vater! ... <i>(Reicht ihr die Hand)</i> Gute
-Nacht! — <i>(Da sie in der Türe stehen bleibt)</i> Nu geh nur!
-Geh nur!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(tonlos)</i></p>
-
-<p>Gute Nacht. <i>(Ab, die Türe hinter sich schließend)</i></p>
-
-
-<h3>Fünfte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Na — und nu? ... Wir haben drin nich ausreden
-können, weil uns die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie
-denkst du nu über 'ne gute Streckschicht für den Kerl?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich
-bin ein zuverlässiger Mann jewesen und ein —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Ja, ja, ja, ja!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen,
-sie haben mir den höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth,
-den haben sie mir —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund
-kommt, dann stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen
-Brust.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Na und dann?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke,
-hab' ich gesagt, es gibt — ein Unglück.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Ja, mit's Maulwerk.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>So? ... <i>(Zögernd)</i> Du, und was is denn mit dem —
-Block?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(lauernd)</i></p>
-
-<p>Was für 'n Block?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Wo du vorhin von sprachst.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er
-bloß auf der Kippe. Verstehste? Eine Holzsteife — die
-kann 'n Kind wegschlagen. — Und geht dann einer die
-Treppe 'rauf — <em>muß</em> er die Treppe 'rauf?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr
-aufgestellt. —</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Daß da man kein Malheur passiert!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p class="directive2">(argwöhnisch, will nicht verstehn)</p>
-
-<p>Warum soll — da gleich — 'n Malheur passieren?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Ach so! ... Scht! Is er das nich? <i>(Man hört rechts das
-Schließen einer Tür)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leiser)</i></p>
-
-<p>Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ...
-Kann man da oben irgendwo 'raus?</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Durch die kleine Tür. Immerzu.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p class="directive2">(ihn nach dem Hintergrunde ziehend)</p>
-
-<p>Na denn komm!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Warum nich hier durchs Tor?</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p>
-
-<p>Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu
-stehn. — Komm! <i>(Auf einer mittleren Treppenstufe hält er inne)</i> Scht!</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p>Er schließt noch das Sägewerk.</p>
-
-<p class="directive2">(Beide verschwinden links oben. — Während rechts eine schwere Tür zugeschlossen
-wird, hört man oben das leise Klirren der Flaschenzugketten.
-Dann Stille. Während der folgenden Szene geht der Mond auf)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span></p>
-
-
-<h3>Sechste Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Struve</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre umgehängt, erscheint
-rechts vorne und geht an dem erleuchteten Kantinenfenster vorbei,
-dann revidiert er das Schloß des Magazins und will zur Tür des Wohnhauses
-hinüber)</p>
-
-<p class="actor"><b>Struves Stimme</b> <i>(vom Haustor her)</i></p>
-
-<p>He! Scht! Nachtwächter! Biegler!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wer is da?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p>
-
-<p>'n guter Freund!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich hab' keine guten Freunde.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p>
-
-<p>Struve is da.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Struve kann bei Tage kommen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p>
-
-<p>Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was is denn? <i>(Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich
-drehen. Dann erscheint er zusammen mit Struve)</i> Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Fsch! Drinne wär' mer ja nu.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Also was willst du?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus.
-Ick hab' 'n Amt hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll!
-... Da muß ick mir iberfihren können bei Tag und bei
-Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen vor
-lauter Ehrjefihl. Ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Det sagste so in deinen Jemiete. — Aber wenn du
-eines Morjens nicht mehr dabist —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wieso?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns
-haben se doch aus denselben Suppentopp jeangelt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p>
-
-<p>Ach so!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier
-<em>nu doch</em>!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja. Das bin ich mir klar.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen
-noch ne jroße Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span>
-derfen. Bloß, daß se morjen früh zum Alten jehn
-werden, das hab' ich noch —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in bitterer Erregung)</i></p>
-
-<p>Und meinen Austritt fordern?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran
-abzählen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen, verzweifelt)</i></p>
-
-<p>Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir — nich
-vorher schon dinne machen wolltst. — Und darum bin ick
-eben auch 'n bisken dahinter jewesen. Deiwel auch! Wenn
-man so die Verantwortung hat.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wofür? Für mich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne — aber — <i>(macht Zeichen nach dem Magazin hin)</i> vor
-— — Ick kenn' doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen
-die loofen doch jewissermaßen hinter einen her. Janz von
-selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann man jar
-nischt vor.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was denn? Was denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen
-da muß man eben 'n Freind haben. Mann mit<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span>
-Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken ins Jewissen
-redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und
-— — was? Wie sagste?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit einem kurzen Lachen)</i></p>
-
-<p>Ich sag' jar nischt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na, nu mal unter uns! — Wenn du — und du jehst
-hier weg, wo wirschte denn nu hinmachen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wer kann das wissen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu, setz dir mal bisken hier dal! <i>(Zieht ihn auf den vordersten
-Block)</i> Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut.
-Ick bin Verdrauensperson. Und so. — Aber <em>zu</em> viel Ehre
-kann der Mensch auch nich verdragen. Des drickt aufs
-Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe —
-jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n
-bisken klietrig bist — weißte! — — na? — Wollen wir
-zusammen uf de Fahrt steigen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was? Du und ich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Nu ja. Mit <em>die</em> Ansichten, wo wir beide vons
-menschliche Leben haben — die <em>haben</em> wir nu mal! Die
-kann uns keiner nehmen. Die einen wälzen sich in'n Jolde,
-wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. Tagsüber
-sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen
-wir uns 'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span>
-ewig 'n krummen Puckel machen und dir sauer anhauchen
-lassen und wirscht doch nie mehr im Leben, wat die
-andern sind!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Mensch! Da haste recht!</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß
-<em>einem</em> Jehorsam schuldig, — das is der Meilenzeiger
-... Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)</p>
-
-<p>Gut! Wann willst du — losjehn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung)</i></p>
-
-<p>Ich muß doch erst — mit ihm — reden ... Muß
-doch kündigen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen?
-Und noch eins sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n
-tück'sches Luder. Der verjeßt dir die Blamasche nich. Da
-kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, jleich,
-noch auf'n nichternen Magen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, entschlossen)</i></p>
-
-<p>Mir is alles egal.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend,
-da stempelt dir 'n jewesener Oberjeheimrat de piksten
-Flebben noch heite nacht. Und denn — wat willste mit
-'n Zeichnisbuch? — Et steht ja woll jeschrieben: »Ehrlich
-währt am längsten« — aber 'n tichtiger Spitzbube fährt
-mit vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend!
-Die schabt sich ab wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da
-droppt dir ewig de Nese von wie bei'n kleinen Swienegel
-... Bloß natirlich — 'n jewisses Anlagekapital —
-det missen wir haben.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wozu? Woher?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Det brauchste überall. — Ohne 'n Parchentlappen
-kannste nich uf de Flohjagd. — Willste lernen Jold machen?
-Kleinigkeit! Aber natirlich — wenn de keinen Dukaten
-<em>hast</em>, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. Siehste!
-Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja
-nich wie bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen
-— und so — is ja alles da.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Aber Mensch! — Bejreifst de denn noch immer nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was denn? Na was denn?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und
-frag nich immer so glup'sch. Aber se sind doch nu mal da.
-Da kann man doch nischt machen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was? Was? Was?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(zaudernd, verlegen)</i></p>
-
-<p>Na — de — de — Diamanten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Die willst du am Ende —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n
-janz reelles Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle
-nich mehr. Sonst blamiert er sich. Na?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu
-Hause.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Du bist wohl 'n Schlamassel?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich muß jetzt elfe abpfeifen. <i>(Wild)</i> Jeh, oder ich
-pack' dir ins Jenick.</p>
-
-<p class="actor"><b>Struve</b></p>
-
-<p>Na — denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr
-in dir entteischt. Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen!
-... Äh! Is nischt mehr los mit's menschliche
-Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.</p>
-
-<p class="directive2">(Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span></p>
-
-
-<h3>Siebente Szene</h3>
-
-<p class="directive1">
-<span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span>
-</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)</p>
-
-<p>Vater, bist du's?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich bin's, Fräulein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(freudig aufschreckend)</i></p>
-
-<p>Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn
-mit — mit — noch einem?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Nein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach — 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen
-— ja?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ...
-das heißt wenn Sie mir danken wollen etwa —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß
-Gott, Herr Biegler, ich wollt' Ihnen so gerne helfen.
-Das war meine einzigste Absicht. Statt dessen haben Sie
-mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß
-nicht aus, nicht ein.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was is denn nu?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Er — war — eben da.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schweigt)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Oder will er noch immer nich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ...
-In Arbeit kommt er nich mehr zurück.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>So? Ei, ei!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das kann ihm ja nich fehlen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? —
-Man hungert, man hungert nach seinem Glück, jahrelang
-— und wie man's endlich hat — <em>so</em>, zwischen seinen
-zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, da
-<em>will</em> man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is
-man. Satt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wer satt is, soll nich essen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das
-is doch Wahnsinn. Da drin schläft doch mein Lenchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt, verbissen)</i></p>
-
-<p>Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem
-Schoß zu halten.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p>
-
-<p>Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is
-Sünde.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins
-Unglück stürzt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Das sagen Sie heute, und gestern — haben Sie
-Stellung und alles — haben Sie hingegeben — bloß —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Gott weiß, wie alles kommt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts
-mehr. Ich laure bloß immer: Was für 'n Hintergedanken
-hat er nu? Mit Vater hat er im Winkel gesessen, weit
-weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da die
-Rede von — Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu
-hebt mich die Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes
-einredet.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wem kann der alte Mann denn was tun?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir,
-was soll ich? Ich kann ja nich mehr los von ihm. Ich
-bin jahrelang wie sein Hund zu ihm gewesen. Ich kann
-ja nich mehr los von ihm.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja, wenn Sie nich <em>können</em>.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie
-können, was Sie wollen! Sie —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen
-Zeit. Ich will <em>nich</em> bald wieder auf 'ner dreckigen
-Pritsche liegen, Pennbruder rechts, Pennbruder links —
-wenn nichts Schlimmeres — und mir die Augen aus dem
-Kopf brennen vor — — <em>und muß doch</em>.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören.
-Zu Ihresgleichen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Das <em>is</em> meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich
-nich. — Da <em>gehör'</em> ich hin ... Aus <em>der</em> Welt, wo Sie
-sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, da is Krätze und
-Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße,
-weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine
-ewige Seligkeit um ein gefälschtes Stück Attest.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber noch sind Sie doch hier.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh'
-ich weg.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber warum denn? Warten Sie doch ab!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts
-Böses. — Ich geh' auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem
-eigenen Munde wissen, was für einer ich bin, nich einen
-Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner Traum gewesen.
-Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich
-schon sehr ... Ja, <em>die Nächte</em>, wenn der Mondschein
-überall auf den Blöcken liegt ... Da — sehn Sie,
-da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts
-wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und
-hab' <em>einen</em> gestreichelt und den <em>andern</em> gestreichelt und
-hab' gedacht: »Wer wird dich mal behauen — der Glückliche!«
-... Und wenn dann erst alles ganz still wird
-— ringsum auf den Straßen, — dann sitzt man mitten
-in der Welt wie in einem schönen, warmen Mantel —
-ganz ruhig und ganz — — ich sagt's Ihnen schon gestern
-— aber das kommt erst viel später gegen Mor — — <i>(Hält
-lauschend in ängstlicher Spannung inne)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was is?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang — scheinbar
-sich entfernend)</p>
-
-<p>Horchen Sie! Horchen Sie!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was
-is denn dabei?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die
-ziehen hier in die Runde — von elfe ab — immer ums
-Straßenkarree 'rum — bis gegen Morgen. <i>(In Angst)</i> Solang
-ich die lachen hör', da —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise, geheimnisvoll)</i></p>
-
-<p>Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch
-so 'rum.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Woher wissen Sie das?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich hab' — sie — getroffen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p>
-
-<p>Hier draußen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ...
-Wenn sie mich gesehn hätt' — ich hab' mich bloß geschämt,
-weil ich so abgerissen war, sonst — weiß Gott, was ich
-jetzt schon wär' ... <i>(Er schaudert)</i> Ja, der Hunger kann viel ...
-Na — werden ja sehn!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschüttert)</i></p>
-
-<p>Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen,
-Sie und der komische alte Mann da drin. Von jetzt
-ab hält mir keiner mehr die Stange hin. Aber gedenken<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span>
-werd' ich's Ihnen — bis — ... Fräulein Lore, es is mein
-letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch nich
-gemacht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sich ängstlich umschauend)</i></p>
-
-<p>Ach — noch — noch — Wenn ich bloß wüßte, wo er
-Vater hingeschleppt hat ... Ich kann die Angst nich los
-werden, daß, daß — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Na, was denn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht —
-dort — ja?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie
-nich ins Finstre — nein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(kurz auflachend)</i></p>
-
-<p>Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern
-grault. Und heut bin ich noch einer ... Heut bin ich
-noch Mensch ... Morgen munter — wieder 'runter — in
-den Morast ... <i>(Streckt in tiefer Bewegung die Hand gegen sie aus)</i>
-Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne die Hand zu nehmen)</i></p>
-
-<p>Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ...
-Schließlich, wenn's Ihnen die andern verzeihen, warum
-<em>müssen</em> Sie denn durchaus weg?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wer wird <em>mir</em> verzeihen? ... Die Steinmetzen haben
-ja schon beraten, daß sie morgen zum Alten gehen werden
-— und —</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Nu ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>— und —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch
-gar nich ...?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was is da viel zu wissen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herr Biegler, die Steinmetzen <em>wollen</em> morgen zum
-Alten gehn — das is richtig, aber nicht darum, was <em>Sie</em>
-glauben, sondern weil sie ihm sagen wollen, daß sie gerne
-mit Ihnen zusammenarbeiten werden.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verständnislos)</i></p>
-
-<p>Die Steinmetzen — wollen — dem Al—</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach
-sind, und weil Ihr Auftreten gestern ihnen so gut gefallen
-hat, darum soll Ihr Privatleben keinen mehr was angehn,
-haben sie gesagt.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Die Steinmetzen wollen — die Steinmetzen wollen
-— die Steinm— — — Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen
-wollen — ja, warum haben Sie mir das nich schon
-früher gesagt?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ...
-Sie gehen auf alle Fälle.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wenn die Steinmetzen <em>wollen</em>, warum soll <em>ich</em>
-denn —? Wenn ich wieder — ich soll wieder Krönel
-und Scharriereisen in die Hand nehmen? ... Ich soll
-wieder die blaue Schürze — umbinden — dürfen? Ich
-soll — soll — soll — wieder die blaue Schürze ... <i>(Heimlich,
-leise, in Angst)</i> Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen.
-— Aber — <i>(Legt die Hand auf die Lippen)</i> Ich hab' nämlich manchmal
-solche Anfälle gehabt <i>(wischt sich über die Stirn)</i> in der Anstalt
-... Das find't man dort sehr oft ... Sind Sie ganz
-sicher, daß Sie das eben gesagt haben, daß die Steinmetzen
-— morgen — dem Alten —?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber Herr Biegler, ja, ja!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Und Sie glauben auch, es kann — nichts mehr —
-dazwischenkommen — bis morgen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was sollt' denn das sein?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern — oder
-daß der Alte sagt: »Nein« — oder daß mir 'n Stein auf'n
-Kopf fällt — oder, was weiß ich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)</p>
-
-<p>Stein auf'n —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(lachend)</i></p>
-
-<p>Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich
-bin immer 'n tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab'<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span>
-schon zwei Preise gekriegt ... Ich bin mal vor der
-ganzen Innung — bin ich öffentlich belobt worden ...
-Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon
-acht Mark fünfzig pro Tag verdient ... Ich versteh' auch
-gut in Granit zu arbeiten. Profile und Alles ... Granit,
-das wissen Sie ja, das ist das Härteste ... Dabei scheint
-es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem geradezu
-aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ...
-da muß man — da muß man — <i>(vom Glücke überwältigt)</i> Die
-Steinmetzen — wollen — mit mir — — <i>(sinkt lachend und
-schluchzend auf die Bank, das Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise)</i>
-arbeiten — mit mir — arbeiten — —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)</p>
-
-<p>Ach Gott! <i>(um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich)</i> Herr
-Biegler! ... Herr Biegler!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zu sich kommend)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock — meine
-Pfeife? ... Ich bin ganz, ganz ... die Kontrolluhren
-hab' ich auch noch nich gestochen! — Heut darf ich nichts
-versäumen, sonst ... Hahaha — hahahaha! Adieu, Fräulein
-Lore. Ich komm' bald wieder.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Runde machen — nach oben — die Treppe 'rauf ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst
-vor dem Block?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in wachsender Angst)</i></p>
-
-<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen
-auf Ihr künftiges Leben — wenn Sie den Krönel wirklich
-noch mal führen wollen — wenn Sie — ... <em>Mein Kind</em>
-hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat Ihnen
-Glück gebracht — darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie
-wo anders, aber da <em>nicht</em>!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe
-haben —</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>J, ja, ja, ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was
-will! Mir tut keiner mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(entschlossen)</i></p>
-
-<p>Dann komm' ich mit.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ruft hinauf)</i></p>
-
-<p>Is da einer oben? <i>(Schweigen)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Na sehn Sie!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann
-fassen Sie mich mal um den Leib. Ganz fest.</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)</p>
-
-<p>So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann
-wollen wir doch mal sehen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholzens Stimme</b> <i>(von oben)</i></p>
-
-<p>Wirste weg da, du —</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p>
-
-<p>Scht!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Nanu! Was is denn <em>das</em>? <i>(Er reißt sich los und springt
-blitzschnell die Treppenstufen hinan. — In demselben Augenblicke stürzt
-dicht hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und
-zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das ängstliche
-Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, sinnlos vor Angst,
-in das Dunkel hinauf)</p>
-
-<p>Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig'
-dich an. Ich zeig' dich an.</p>
-
-<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p>
-
-<p>Schrei nich, du Frauenzimmer! <i>(Man sieht seine Gestalt nach
-links hin flüchten und verschwinden)</i></p>
-
-
-<h3>Achte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz.</span> Später <span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span>
-<span class="gesperrt">Frau Homeyer.</span> <span class="gesperrt">Zwei Dienstmädchen</span></p>
-
-<p class="actor"><b>Stimmen von der Straße her</b> <i>(durcheinander)</i></p>
-
-<p>Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord
-und Totschlag ... Macht doch mal auf! ... Aufmachen! —
-<i>(Man rüttelt am Tor)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(führt unterdessen den Alten die Treppe herab)</p>
-
-<p>Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. — Vorsicht! —</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(betrunken weinend)</i></p>
-
-<p>Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ihnen entgegen)</i></p>
-
-<p>Um Gottes willen, Vater!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore und ruft nach
-links hinübergehend atemlos)</p>
-
-<p>Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen.
-Weiter nichts ... Weiter is nichts. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Die Stimmen</b> <i>(durcheinander)</i></p>
-
-<p>Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen
-mal nachsehen.. Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege!
-<i>(Pfiffe. Gelächter. Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p class="directive2">(der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich niedersetzt,
-derweilen weitergranzend)</p>
-
-<p>Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs
-Schafott.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die Glastür
-geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon hinaus)</p>
-
-<p>Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit flehender Gebärde zu Biegler hin)</p>
-
-<p>Ach bitte, bitte!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Bekomm' ich keine Antwort?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(nach Atem ringend, mit zitternder Stimme)</p>
-
-<p>Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe
-is vom Stapel gefallen, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Wie hat denn das passieren können?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben
-sich wohl die Ketten gelockert.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich
-verletzt?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe)</p>
-
-<p>Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber
-schlimm is es nicht, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na wenn's weiter nichts is.</p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(wird allmählich still)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p>
-
-<p class="directive2">(in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei Mägden hinter
-sich auf die Veranda hinausgetreten)</p>
-
-<p>O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur
-passiert.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(herunterrufend)</i></p>
-
-<p>Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p class="directive2">(die während des Vorigen in dem — gleichfalls erhellten — Fenster des
-Wohnzimmers erschienen ist)</p>
-
-<p>Du, Lore, komm mal her zu mir.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(geht zu ihr)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(derweilen)</i></p>
-
-<p>Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore
-gewesen. Da möcht' ich jeden heiligen Eid drauf schwören.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na, wird's bald?</p>
-
-<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(mit den Mägden ab)</i></p>
-
-<p>Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Was schriest du da vorhin? Und zu wem?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bebend)</i></p>
-
-<p>Ich?</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Ich war wach. Mich täuschst du nicht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Mariechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Vaterchen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können
-wir uns morgen besehn. Das heißt, dem Willig werd'
-ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig erschreckt,
-Biegler — was?</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(noch immer zitternd in Erregung)</p>
-
-<p>Ach — nich sehr — Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p>Na denn: Gute Nacht, Kinder.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gute Nacht, Herr Zarncke.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(gleichzeitig)</i></p>
-
-<p>Gute Nacht, Vaterchen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Zarncke</b></p>
-
-<p class="directive2">(geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p>
-
-<p>Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit
-gestern.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b></p>
-
-<p>Aber doch nur Gutes?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p>
-
-<p>Ja. Weiß Gott.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in wehmütiger Güte)</i></p>
-
-<p>Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gute Nacht, Mariechen.</p>
-
-<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schließt das Fenster. Ab)</i></p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span></p>
-
-
-<h3>Neunte Szene</h3>
-
-
-<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p>
-
-<p class="directive2">(Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße haben sich
-allmählich verloren. Mitternachtsstille)</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p class="directive2">(sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, auf die
-Bank und atmet schwer)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil
-geblieben? Is Ihnen auch nichts geschehn?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ich muß mich bloß — 'n bißchen verschnaufen ...
-ich bin ganz ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da
-nichts getan?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen
-Dreikantigen zu ziehn. — Na, kommen Sie noch immer
-nich los von ihm?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(mit einer wilden Gebärde des Befreitseins)</p>
-
-<p>Ach!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Ja. Dem sein Hund sind Sie <em>gewesen</em>, scheint mir.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Und meinen alten Vater so zu — der Schuft! ...
-Vater! Du mußt zu Bett gehn, Vater!</p>
-
-<p><span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span></p>
-
-<p class="actor"><b>Eichholz</b></p>
-
-<p class="directive2">(antwortet nicht, atmet tief im Schlafe)</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gott! — Nu sehn Sie bloß!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Schläft er am Ende?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p><em>Dem</em> werden Sie doch nichts nachtragen?</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Herr Biegler!</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Was, Fräulein Lore?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Ich kann nichts sagen — mir ist das Herz so — ich
-kann nicht ...</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b></p>
-
-<p>Aber die Hand können Sie mir geben. <i>(Streckt ihr die
-Hand entgegen)</i> Wenn die nu wieder rein wird, dann sind
-Sie schuld.</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p class="directive2">(weist kopfschüttelnd nach dem Balkon)</p>
-
-<p>Unser Alterchen da oben is schuld.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(seine Hand in der ihren)</i></p>
-
-<p>Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ...
-Scht! ... Schlägt's da nich zwölfe? <i>(Man hört die ferne</i><span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span>
-<i>Turmuhr schlagen)</i> Wahrhaftig! Nu muß ich aber wirklich
-mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja gar
-nich wert, daß ... <i>(Lacht leise und glücklich)</i> Gute Nacht, Fräulein
-Lore!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gute Nacht, Herr Biegler.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(am Fuß der Stufen)</i></p>
-
-<p>Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf?</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p><em>Der</em> kommt nie wieder. —</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(von den Stufen her)</i></p>
-
-<p>Gute Nacht!</p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Gute Nacht.</p>
-
-<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verschwindet nach rechts)</i></p>
-
-<p class="actor"><b>Lore</b></p>
-
-<p>Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn,
-Vater. <i>(Der Alte rührt sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen)</i>
-Vater, hörst du, wie er pfeift? <i>(Biegler pfeift — wieder von weiter
-her)</i> Vater, das Glück pfeift! Das Glück pfeift! <i>(Sie sinkt
-schluchzend vor dem Alten nieder, das Gesicht an seinem Knie verbergend.
-Der Alte schläft fort. — Das Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er
-sich entfernt)</i></p>
-
-<p class="directive2">(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt langsam</span>)</p>
-
-<div class="figcenter" style="width: 100px;">
-<img src="images/162_deco.png" width="100" height="43" alt="" />
-</div>
-
-
-<div class="transnote pagebreak">
-<h2>Anmerkungen zur Transkription</h2>
-
-Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen
-gebräuchlich waren, wie:
-
-<ul class="index">
-<li>anderen — andern</li>
-<li>besehen — besehn</li>
-<li>danach — darnach</li>
-<li>Gehen — Gehn</li>
-<li>sehen — sehn</li>
-</ul>
-
-
-Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert.
-Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen:
-
-<ul class="index">
-<li>S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert.</li>
-<li>S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert.</li>
-<li>S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert.</li>
-<li>S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert.</li>
-<li>S. 130 »umso« in »um so« geändert.</li>
-<li>S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert.</li>
-</ul>
-
-</div>
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***
-
-***** This file should be named 62132-h.htm or 62132-h.zip *****
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+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=UTF-8" /> + <meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann. + </title> + <link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" /> + <style type="text/css"> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + +h1,h2,h3 { + text-align: center; /* all headings centered */ + clear: both; +} + +h3 { + margin-top: 2em; +} + +.pagebreak { margin-top: 4em;} +@media handheld,print {.pagebreak { page-break-before: always;}} +.nopagebreak { page-break-before: avoid;} + +p { + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em; + text-indent: 2em; +} + +.big200 {font-size: 200%;} +.big140 {font-size: 140%;} +.p2 {margin-top: 2em;} +.p4 {margin-top: 4em;} +.p6 {margin-top: 6em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both; +} + +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} + +ul.index { list-style-type: none; } + +table { + margin-left: auto; + margin-right: auto; +} + +div.left { + float: left; + clear: left; + margin-left: 0em; +} + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: smaller; + text-align: right; + text-indent: 0em; +} /* page numbers */ + + +.actor {text-align: center; text-indent: 0em; } + +.directive1 {text-align: center; text-indent: 0em; font-size: 84%;} +.directive2 {text-align: center; text-indent: 0em; font-size: 70%;} + +i { + font-size: 70%; + font-style: normal; +} + +.center {text-align: center; text-indent: 0em;} + +.left {text-align: left;} + +.u {text-decoration: underline;} + +.antiqua +{ + font-style: normal; + font-family: sans-serif; + font-size: 90%; +} + +em { + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em; + font-style: normal; +} +@media handheld { + em { + font-style: italic; + margin-right: 0em; + } +} + +.gesperrt +{ + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em; +} +@media handheld,print { + .gesperrt + { + letter-spacing: 0.05em; + margin-right: -0.05em; + } +} + +/* Images */ +.figcenter { + margin-top: 4em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + text-align: center; +} + +/* Poetry */ +.poem { + margin-left:10%; + margin-right:10%; + text-align: left; +} + +.poem br {display: none;} + +.poem .stanza {margin: 1em 0em 1em 0em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:smaller; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif; } + .poem span.i0 {display: block; margin-left: 0em; padding-left: 3em; text-indent: -3em;} + </style> + </head> +<body> +<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 62132 ***</div> + +<p class="center p6 big200">Stein unter Steinen</p> + + +<p class="pagebreak center"> +Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger<br /> +Stuttgart und Berlin</p> + +<p class="center big200"> +<span class="u">Hermann Sudermann:</span></p> + + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Bücher von Hermann Sudermann"> +<tr><td align="left"></td><td align="left">Geheftet</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Im Zwielicht.</b> Zwanglose Geschichten. 30. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Frau Sorge.</b> Roman. 83. bis 87. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Geschwister.</b> Zwei Novellen. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Der Katzensteg.</b> Roman. 61. bis 65. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Jolanthes Hochzeit.</b> Erzählung. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Es war.</b> Roman. 38. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 5.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die Ehre.</b> Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Sodoms Ende.</b> Drama in 5 Akten. 23. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Heimat.</b> Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die Schmetterlingsschlacht.</b> Komödie in 4 Akten 9. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Das Glück im Winkel.</b> Schauspiel in 3 Akten 15. und 16. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Morituri:</b> Teja. Drama in 1 Akt. — Fritzchen. Drama in 1 Akt. — Das Ewig-Männliche. Spiel in 1 Akt. 17. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Johannes.</b> Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. 28. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die drei Reiherfedern.</b> Dramatisches Gedicht in 5 Akten. 14. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Johannisfeuer.</b> Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Es lebe das Leben.</b> Drama in 5 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Der Sturmgeselle Sokrates.</b> Komödie in 4 Akten. 15. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +</table></div> +<p class="center"> +Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen<br /> +<br /> +Preis für den Einband:<br /> +<br /> +in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf.<br /> +</p> + + + + +<h1 class="pagebreak">Stein unter Steinen</h1> + +<p class="center p4">Schauspiel in vier Akten</p> + +<p class="center">von</p> + +<p class="center p2 big140">Hermann Sudermann</p> + +<p class="center p2">Elfte Auflage</p> + +<div class="figcenter p4" style="width: 130px;"> +<img src="images/signet.png" width="130" height="125" alt="Signet" /> +</div> + +<p class="center p2">Stuttgart und Berlin 1905</p> + +<p class="center">J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger +</p> + + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span></p> + + +<p class="center p6"><span class="antiqua">Copyright, 1905, by Hermann Sudermann</span></p> + +<p class="center">Alle Rechte vorbehalten</p> + + +<p class="center p6">Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span></p> + + + + +<h2 class="left">Personen</h2> + + + +<div class="left"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Personen"> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Zarncke</b>, Steinmetzmeister.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Marie</b>, seine Tochter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Frau Homeyer</b>, Wirtschafterin bei Zarncke.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Jenisch</b>, Buchhalter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Eichholz</b>, Nachtwächter auf dem Werkplatz.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lore</b>, seine Tochter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lenchen</b>, deren Kind.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Willig</b>, Polier.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Göttlingk</b>, Steinmetz.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Jakob Biegler</b>.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Reitmaier</b>, Kriminalkommissar.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Lohmann</b>,</td><td align="left">}</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Sprengel</b>,</td><td align="left">}</td><td align="left">Arbeiter.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Struve</b>,</td><td align="left">}</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3">Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3">Mehrere Frauen und Kinder.</td></tr> +<tr><td /></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Ort der Handlung</span>: Berlin.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Zeit der Handlung</span>: die Gegenwart.</td></tr> +<tr><td /></tr> +</table></div> + +<div style="clear: both;" /> + +<p class="center">Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen, +zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag.</p> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span></p> + +<div class="figcenter p6" style="width: 150px;"> +<img src="images/006_deco.png" width="150" height="55" alt="" /> +</div> + + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span></p> + + + + +<h2>Erster Akt</h2> + +<p class="directive1">Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür +nach dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen. +Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach +dem Werkplatz führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein +Podium mit bequemem Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne +ein Sofa mit Sofatisch und Sesseln. Im Hintergrunde links +von der Tür ein Tischchen mit Wandkonsole darüber, rechts +von der Tür ein Bücherschrank. Altväterisch-behagliche Ausstattung. +Stahlstiche, Photographien, gestickte Sinnsprüche an +den Wänden. Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit +Kanarienvogel etc. etc.</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br /> +</p> + + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den Backen. Gutmütig-vergnügte +Äuglein. Sprechweise — mit Anklängen ans Niederdeutsche +— weich, bisweilen harmlos polternd, voll stillen Grüblersinnes)</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei schöne +Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, bisweilen durch +schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen tastend, unsicher)</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p class="directive2">(behaglicher, beschränkter Zahlenmensch)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit Jenisch eintretend)</i></p> + +<p>Na, Miezelchen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend)</p> + +<p>Vaterchen! <i>(Will aufstehen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! <i>(Tritt zu ihr hin und küßt +sie auf die Stirn)</i> Läßte dir die Maisonne in 'n Magen +scheinen? Das is recht ... Na, Jenisch, was haben Sie da!</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen +Brüchen, Herr Zarncke. <i>(Reicht ihm die kleinen Blöcke)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(kratzt an den Rändern)</i></p> + +<p>Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf +an Streusand sei vorläufig noch gedeckt.</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lacht respektvoll)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Zweite Post?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Jawohl. <i>(Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand gleiten)</p> + +<p>Nischt — nischt — nischt. <i>(Ein Kuvert öffnend)</i> Machen +wir. <i>(Ein zweites)</i> Machen wir desgleichen. »Verein zur +Besserung entlassener Strafgefangener«. Möchten sie mir +mal wieder einen andeichseln? ... Na, wollen mal sehn ... +<i>(Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die anderen Briefe hin)</i> +Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von +der Polizei kommen wegen heute nacht — das sag' ich +besser draußen. <i>(Zu Marie)</i> Verzeih mal! <i>(Öffnet das Fenster.</i><span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> +<i>Das klingende Geräusch der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, +das Quietschen der Windewagen wird hörbar)</i> Sie da! Willig! +Polier! <i>(Lauter)</i> Polier!</p> + +<p class="actor"><b>Stimme des Poliers Willig</b></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie +sie gleich aufs Kontor führen. Ich will nicht, daß sie mir +den Platz rabiat machen mit ihrem dummen Gefrage.</p> + +<p class="actor"><b>Stimme Willigs</b></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachahmend)</i></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Schließt das Fenster, das Geräusch +hört auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p><em>Mußtest</em> du's denn anzeigen, Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch +nicht zu nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern +rumpulen lassen. Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... +Hören Sie mal, Jenisch, euch auf'm Kontor geht's ja +eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über den alten +Eichholz?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr +lange halten lassen. Als Wächter.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, als was denn sonst?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Das weiß ich ja nich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst +mein Kanarienfritze hat sein Geschäft. Wenn der nich +singt, dreh' ich ihm den Hals um.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lächelnd)</i></p> + +<p>Na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was ist hier zu na-na-en! <i>(Zärtlich)</i> Du — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft +groß werden sehen ... Wird mir schwer! <i>(Pause)</i> +Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, setzt er sich friedfertig +auf einen Block, und dann sägt er los. <i>(Ahmt einen Schnarchton +nach)</i> Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher +in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, +diese Instituschon is nich das richtige.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück.</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Adieu, Fräulein Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Adieu, Herr Jenisch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span></p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Am Ende gar der — —?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na natürlich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p><em>Du</em> meinst den Struve. Und <em>ich</em> mein' den Struve. +Und draußen auf dem Platze meinen sie <em>auch</em> den Struve. +Aber weil sie mich nich blamieren wollen, tun sie, als +hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu mal den +Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich +wieder raushaue, kriegt er zehn Jahre.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Um Gottes willen!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. +Billiger tun sie's da nich ... Und so 'ne Seele +von Mensch. Als die Steinmetzen neulich für den brustkranken +Emil sammelten — wo er doch als Arbeiter eigentlich +gar nischt mit zu tun hat — Wochenlohn blank auf +den Tisch gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span> +Diamantsplitter in den neuen Zahnsägen haben's ihm +angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe wehmutsvolle +Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann +sitzt er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n +Kreuz mit diesen Kerls! Immer wieder saust man rin.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, manchmal auch nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' +ich das Leben gerettet. Der Thiele hat sogar Karriere +gemacht. Aber — nee! — nu Schluß! — Ich nehm' nu +nich <em>einen</em> mehr, den mir der Verein zuschanzt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, na!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mariechen, ich schwör' es dir. <i>(Das Kuvert aufnehmend)</i> +Und wenn dies hier — ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, +ich tu's nicht. <i>(Das Kuvert aufreißend)</i> Wollen mal +gleich sehn!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher +ist es ein interessanter Fall, und dann —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Kann's auch ungelesen zurückschicken. <i>(Unschlüssig)</i> +Aber — — — du, klingel mal, daß die Homeyer mir +das Frühstück bringt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(klingelt)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken)</p> + +<p>Da is nu ein ganzes Schicksal drin.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies +lieber nich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, +wie du meinst. <i>(Legt das Kuvert hin)</i></p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer</span> +</p> + +<p class="directive2">(Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der dreißig. Energische +Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem Stich ins Gemeine)</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer Rotweinflasche +hereintragend)</p> + +<p>Schönen guten Morgen wünsch' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. +Das ziemt sich für mich. <i>(Auf die Tablette weisend)</i> Is alles +gut so?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hm. Fein.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Fräulein Mariechen, was möchten Sie?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Danke. Danke.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Doch. Doch.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. +Ich kann mir gar nich genug tun für Sie.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, Sie sind eine Perle.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen +sein Lob. Ich bin eine ehrbare Witwe. Wer so viel Leid +durchgemacht hat im Leben, wie ich — ach ja!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, +hören Sie mal.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und dann so die ehrbare Lebensweise.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(seufzend)</i></p> + +<p>Ja, ja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben +Sie vielleicht irgend was gehört, heute nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. — Schritte +und so.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen +an. Ich misch' mich nich in fremde Sachen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So — das sind fremde Sachen für Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher +sind?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, was denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, — da werden +die Mannsleute doll —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und die Weibsleute auch.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. +Von dem Tage an, daß mein armer sel'ger Mann —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Scht, scht, scht! <em>Wenn</em>, dann würd's auch nichts ausmachen. +Na — und?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und der alte Eichholz schläft natürlich. <i>(Mit Betonung)</i> +Und die Tochter schläft eben auch. Nu ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach so! Das geht gegen die Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. +Laß das Fräulein Lore tun, was sie will. Es braucht +nich jede so'n Wandel zu haben, wie ich. Aber schließlich +läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. Vater +unbekannt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Vater ist nicht unbekannt.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. — +Warum heiratet er sie denn nich?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... +Was hast du, Mariechen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist)</p> + +<p>Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal +so grasgrün.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat)</p> + +<p>Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(trinkt — matt)</i></p> + +<p>Danke schön.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Sonst noch Wünsche? ... Nein. <i>(Da niemand antwortet, +ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie.</span> Später <span class="gesperrt">Lenchen</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Miezelchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. +Der macht einem Kopf und Glieder so schwer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen +spür' ihn. Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der +Doktor hat gesagt, du sollst eine sitzende Lebensweise +führen, also führe du eine sitzende Lebensweise. <i>(Setzt den +Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen)</i> Ganz lecker! Magst +du das Frauenzimmer eigentlich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach Gott!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. +Bißchen Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst +weiß man gar nich, daß man lebt ... Jetzt läuft sie auch +hinter dem Göttlingk her. Darum der Haß auf die +Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten +gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne +an, und wenn sie Mittags auf den zwei Richtscheiten +liegen, dann sind sie nich hochzukriegen. <i>(Seufzend)</i> Junges +Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel auf dem Kantinendach +hat sich ein Weibchen gefunden.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(freudig)</i></p> + +<p>Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr +die Seele aus dem Leibe schreien ...</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(betroffen)</i></p> + +<p>Wie meinst du das?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach +hat jeder. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hinaushorchend, ruft)</i></p> + +<p>Lenchen! <i>(Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt +herein, wie vorhin)</i> Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Die Stimme Lenchens</b> <i>(jubelnd)</i></p> + +<p>Tante Mariechen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Komm ans Fenster! Komm!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tante nennt sie dich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Soll sie nicht, Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja. Kommt auf eins 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, kletter hoch!</p> + +<p class="actor"><b>Lenchens</b></p> + +<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p> + +<p>Tag, Tante Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Klettre, Katz! Klettre!</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Mußt helfen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(da Marie eine Bewegung macht, rasch)</p> + +<p>Nicht du! Ich, ich! <i>(Zieht das Kind durch das Fenster herein +und setzt es auf den Boden)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(die Arme um Mariens Knie schlingend)</p> + +<p>Tante Mariechen! Tante Mariechen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie herzend)</i></p> + +<p>Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle?</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Butterstulle.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot)</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt unbekümmert)</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und das soll nun 'ne Schande sein — so ein Engelskind!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(inbrünstig)</i></p> + +<p>Ach so gerne, Vaterchen, so gerne!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja! Vielleicht gibt sie's dir!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. <i>(Streichelt +die Kleine und spricht leise zu ihr)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja! <i>(Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen +nach Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu +lesen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu schaffen)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(murmelnd)</i></p> + +<p>Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch +gerade zu mir? <i>(Steckt die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und +geht erregt im Zimmer umher)</i> Was kann man da machen? Was —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner +Türe kommen. Hilf doch auch dem Kinde!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, leicht gesagt! ... Wie?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Rede mit Göttlingk wegen Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich <em>hab</em>' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn +nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre +ist er weg gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser +wüste Kerl kann mehr als ... Seinethalben braucht' ich +gar keine Bildhauer mehr. Den schwierigsten Auftrag kann +ich annehmen, seit er da ist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den +Schmerz erleben mit dem Alten. Ich mag das Elend +nicht mehr mit ansehn.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel +vor die Füße. Na und dann? ... Weißt du: Sprich du +mit ihm.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Ich? ... Nein, nein, nein.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vaterchen — das — kann ich nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Siehst du. Man kann manches nicht. <i>(Es klopft)</i> +Herein.</p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Eichholz</span><br /> +</p> + +<p class="directive2">(Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, mit militärischem +Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, buschiges Haar, Rundbart mit +ausrasierter Oberlippe, Bratenrock mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na Eichholz! Ausgeschlafen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(ihm entgegen)</i></p> + +<p>Großvaterchen! Großvaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(will sie nicht sehen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine +Zeit. <i>(Sie beginnt zu sticken. Das Kind spielt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und so feierlich! Was is denn los?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Herr Zarncke — ich möchte — freundlichst — um +meine Entlassung gebeten haben.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd)</p> + +<p>Sieh mal an!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht — daß +die Steinmetzen behaupten — <em>wollen</em>, daß ich gewissermaßen +— meines Amtes nicht mehr gewachsen bin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht +drankommen. Und wenn die Steinmetzjungens sich die +Schnauze verbrennen, damit, daß sie nicht wissen tun,<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> +was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr tauglicher +Mann ist —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nu kohlt er wieder.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich +mir habe in Ihrem Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich +die Schulterblattmuskeln ausgefallen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich weiß, ich weiß, ich weiß.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie +man so sagt, ein Puschemauchen, drum herumtrage, wegen +den Reimantismus, wo ich mir auch im Dienste geholt habe.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja — so Nachts auf dem kalten Stein schl— <i>(sich rasch +verbessernd)</i> sitzen — sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich — Nachts? Nu sagen +Sie bloß noch, Herr Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, +dann kann ich ruhig jehn, mir aufhängen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, na. Sagt ja keiner. <i>(Zu Marie)</i> Was fängste +da an?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wo ich doch schon Kummer genug hab' — mit meine +Tochter — und hier mit — diese — diese — Mestize.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hebt erstaunt den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wieso Mestize?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu, was ein ungebührliches Kind is — 's is ja schlimm, +daß man das selber sagen muß, — aber das is doch nich +anders, das is doch eine Mestize.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang +habe, dann les' ich wohl sehr gerne in de Indianerbiecher.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, +wie wär's, wenn Sie sich mal 'n bißchen mehr +Ruhe gönnten?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise zu Marie)</i></p> + +<p>Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, +Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber +was 'n gewissenhafter Wächter is und 'n tauglicher Wächter +is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, der hört den Maulwurf +graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts +gehört — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Hähähähä! Da lach' ick äwwer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p> + +<p>Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(gekränkt)</i></p> + +<p>Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die +Steinmetzjungens?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p> + +<p>Ich muß wohl, Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(versteht, fassungslos)</i></p> + +<p>Ach so! <i>(Sein Gesicht verändert sich)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die +Siebzig. Nu schlafen Sie sich doch mal ordentlich aus. +Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen Bett.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(kläglich)</i></p> + +<p>Ich kann gar nich im Bett schlafen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock +in Ihre Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie +Ihre Bequemlichkeit haben ...</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brütend)</i></p> + +<p>Nja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen +'ne Pension aus ... Können auch wohnen bleiben ... +Bei Tag schustern Sie 'n bißchen oder läuten die Pausen +ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und gewöhn' mir das Saufen an.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie werden doch nich.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Herr Zarncke, ich bin ein Mann — hochgeehrt — ich +hab' anno 70 immer mit am Offezierstisch gegessen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n +Saufjee, ich hab' noch nich mal 'n Stückschen Käse ins +Schnapsglas getunkt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Schmeckt ja auch gar nich.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber +wenn man in eine so lausige Beschaffenheit versetzt wird, +daß das Ehrgefühl im Menschen so sehr gekränkt wird, wo +man doch von seinem redlichen Schustergewerbe nichts +mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene +Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn +annimmt ...</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören +Sie mal ...</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich ... ich ... hab'... ich ... <i>(Würgt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder +good, min Sähn.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(befehlshaberisch)</i></p> + +<p>Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Nein, nein, das Kind bleibt hier.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich und Lenchen — wir gehn jetzt aus'm Haus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, +dann kann ich nichts dagegen haben — das heißt, Sie +werden sich ja noch anders besinnen —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, +daß irgend so ein hergelaufener Sch — Schlump +jetzt sagen kann, ich bin dem weggejagten Alten da — sein +Nachfolger. Das — nee — nee — nee! Ich hab' noch +'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar +reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich +arbeit' nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr +Zarncke. <i>(Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verzweifelt)</i></p> + +<p>Na — nu is er rabiat. Nu geht er sausen. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Du warst milde genug, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n +Mensch. Jeder hat sein Schicksal.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>In sich, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so +vielen ihr Schicksal gewesen ... In sich! ... Spreu sind +wir im Winde. Es kommt nur drauf an, von wo er bläst ... +Na — vielleicht kann man's an einem andern wieder gutmachen. +<i>(Nimmt die Papiere)</i> Da wird heute einer kommen. +So einen hatten wir noch nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was hat er denn pekziert?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Frag nicht. Nachher drückt's dich.</p> + +<p class="actor"><b>Lores Stimme</b> <i>(draußen rufend)</i></p> + +<p>Lenchen! Lenchen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(aufhorchend)</i></p> + +<p>Das is Mama. Ich will zu Mama.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch hereindringt)</p> + +<p>Das Kind is bei mir drin, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nach der Uhr sehend)</i></p> + +<p>Alles still? Is schon Frühstückspause?</p> + +<p class="actor"><b>Lores</b></p> + +<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p> + +<p>Dank' schön, Fräulein Mariechen. <i>(Zu Lenchen, die die +Arme ausstreckt, sich vorbeugend)</i> Na, hopp!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du kannst mal 'reinkommen, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wenn ich darf, Herr Zarncke. <i>(Verschwindet)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will)</p> +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und findet sich der Mann hier 'rein — der Mann +von diesem Brief — Biegler heißt er — dann schick ihn +nicht ins Komptor, dann laß mich lieber rufen. <i>(Es klopft)</i> +Herein!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erscheint in der Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von +heute ab —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren seelischen Leidens. +Sprechweise bald ohne Grund erregt, bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen +müde, schwerfällig, jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, +schlichte Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über +dem Habitus der Dienerin stehend)</p> + +<p>Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' +nich mehr.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen +brauch'.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie! <i>(Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da — <i>(Beruhigt +sie mit einer Handbewegung)</i> Aber stell ihm die Kümmelflasche +höher. Das rat' ich dir, Kind! <i>(Klopft sie auf die Schulter. Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(die Arme hochhebend)</i></p> + +<p>Mama! Mama!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend)</p> + +<p>Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins +Aug' fliegt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja ... Die andern ja. — Bloß der der nächste +dazu is —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Er wird's nicht zeigen wollen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und +wie er vorbeikommt, da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. +Da hat er sie weggeschoben — na wie? 'n jungen Hund +schiebt man nich so.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist +kein Mensch. Und er sicherlich nicht. Sicherlich nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich +an? Warum gibst du dich ab mit mir? <i>(Verbirgt den Kopf an +ihrer Stuhllehne)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie streichelnd)</i></p> + +<p>Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' +ich dich schon gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. <i>(Da +Lenchen weinerlich dazukommt)</i> Du, Lenchen, der weiße Bär ist +ein Eisbär. Und den bind mal nu an die Leine. <i>(Reicht +dem Kinde eine Porzellanfigur und ein Garnknäuel)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, Lenchen, tu das.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(fängt beruhigt von neuem zu spielen an)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst +du dich? Warum sagst du nicht ganz offen, daß er der +Vater ist?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verängstigt)</i></p> + +<p>Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Warum läßt es dir verbieten?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' +er zu mir: »Willst du, daß ich wieder eintrete auf dem +Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm noch die Hände geküßt +in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er dabei. +»Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... +Die's von früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß +der Polier ... Und das ist sein Freund. Vater hat er +auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir rein die +Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das +Schweigen doch ein Ende nehmen. Aber es geschieht +nichts ... Er kommt in die Kantine. Ganz vergnügt. +Bloß nicht allein. Da hütet er sich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschreckt, beklommen)</i></p> + +<p>Wen denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, +vielleicht — ach, wer kann wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(auf Lenchen weisend)</i></p> + +<p>Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch +mit allen, was er will ... Er ist mehr Herr auf dem +Platz als der Polier. Da wagt keiner zu mucksen ... +Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten +von den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie <em>rein</em> +doll ...</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(träumerisch)</i></p> + +<p>Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! +<i>(aufschluchzend)</i> Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. +Und du jammerst.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Mariechen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich zusammenraffend)</i></p> + +<p>Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der +macht einen ganz ... Und du jammerst.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit wehem Lächeln)</i></p> + +<p>Ich jammer' ja auch nich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner +Schande. — Schande! Was ist Schande? ... Unser Leib +ist ein Tempel ... Und Gebären ist Gottesdienst ... Nur +wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist es +schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen +baut, und man selbst ist schon Ruine.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit +mir? ... Und ich bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' +was verpflanzen von mir in dich. Daß du den Kopf wieder +hebst. — Nicht mehr wie 'n Stein bist in deinem Gram.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lacht bitter)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit sich kämpfend)</i></p> + +<p>Du — soll ich — reden mit ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Du — mit ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne Hoffnung)</i></p> + +<p>Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart +lieber noch ... Vielleicht, daß er <em>doch</em> —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(stockend)</i></p> + +<p>Es wird mir — ja nicht — leicht fallen ... Ich kenn' +ihn ja auch kaum mehr — den großen Herrn ... Aber +wenn man was <em>sehr gerne</em> will, dann wird man's doch +auch — können. — Na, freut's dich gar nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die Hand mutlos vor die Stirne legend)</p> + +<p>Ach! ... <i>(Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Herein!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span></p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Jakob Biegler</span> +</p> + +<p class="directive2">(Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht schmutzig gekleidet, +Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach geflickt und zu kurz. Altes, +blankgewordenes Jakett, gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. +Defektes Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. — Gelbes, zermürbtes +Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. Auftreten +gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit umschlagend)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Guten Morgen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Sie wünschen meinen Vater zu sprechen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Herrn Zarncke — möcht' ich sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Heißen Sie Biegler?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(betroffen)</i></p> + +<p>Ach so! — Sie wissen schon. Na — dann — <i>(Macht +eine halbe Wendung zur Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor)</p> + +<p>Guten Tag!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(seinen Seelenzustand erkennend)</p> + +<p>Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen +Biegler kommt, dann möcht' ich ihn rufen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erleichtert)</i></p> + +<p>Ja, der bin ich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Nu sag doch: Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er weiß nicht, +was tun)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sie leise zurückrufend)</i></p> + +<p>Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen +Sie willkommen heißt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sie groß an, versteht nicht)</p> + +<p>Erst — muß — ich — Herrn Zarncke — sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufstehend)</i></p> + +<p>Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an <i>(leiser)</i> +und bring dem was zu essen. Er hat's nötig.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p>Komm, Lenchen. <i>(Mit dem Kinde ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nehmen Sie so lange Platz, bitte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich kann auch stehen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Zarncke</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen wandern umher)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Bieglers Papieren in der Hand)</p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war)</p> + +<p>Melde Jakob Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. +Der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener hat +Sie mir zugeschickt. Stehen Sie unter seiner Fürsorge?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie lange sind Sie 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Vier Monate zehn Tage.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Fünf Jahre haben Sie abgemacht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wegen was?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na — wegen was?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(auf die Papiere weisend)</i></p> + +<p>Steht ja da drin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen)</p> + +<p>Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen)</i></p> + +<p>Na, ich sprech's nich aus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn Sie wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest)</p> + +<p>Hm. Schlimm. Schlimm.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schlimm. <i>(Pause)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wie is es denn gekommen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Man war ja mit mir zufrieden.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ersparnisse gemacht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Noch was da?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Dann säh' ich nich so aus, Herr — Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal +als Hofgänger, das zweite Mal als Kuhfutterer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na — und?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ausgerissen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in erregter Verteidigung)</i></p> + +<p>Ich hielt nicht aus. Ich — ich — ich —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie +zu mir. Was wollen Sie gerade bei mir?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zaudernd, nach innerem Kampfe)</p> + +<p>Steinmetz.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach so! — <em>Darum</em>! Hier steht doch — Arbeiter. +<i>(Sieht nach)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Weil ich als Arbeiter gegangen bin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum denn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer wird mich nehmen — als Steinmetz?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie hätten doch probieren können!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Probiert hab' ich genug.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und überall abgewiesen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's +'raus. Da lag ich schon auf der Straße.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, die Herren haben's mir gesagt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wollten Sie nich?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zögernd)</i></p> + +<p>Nein.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt)</i></p> + +<p>Nachher wird's doch nichts — — —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und jetzt wollen Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. +— Wenn ich bloß 'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder +beim Flaschenzug, wo keiner was fragt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf +besteh' — Sie können auch als Steinmetz eintreten.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verängstigt)</i></p> + +<p>Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is +wieder alles ... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß +w—wenn ich den — Klippelschlag hören kann. Bloß von +weitem.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie waren wohl ein <em>guter</em> Steinmetz?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach! <i>(Zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(voll wärmerer Anteilnahme)</i></p> + +<p>Hm. <i>(Es klopft)</i> Herein.</p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lore</span> (mit einem Teller, worauf Butterbrot)<br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat +befohlen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Essen Sie.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gierig nach dem Teller sehend)</p> + +<p>Danke! Ich hab' — keinen — Hunger.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise, mitleidig)</i></p> + +<p>Essen Sie nur.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht Zarncke fragend an)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, Sie dürfen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, Lore, hol mal das Wasserglas.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(holt das Wasserglas vom Nähtisch)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(Rotwein eingießend)</i></p> + +<p>Bring ihm das. — Übrigens: wie trägt's denn der +Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen +wollte: darf er den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger +da ist?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit einem Blick nach Biegler hin)</p> + +<p>Nachfolger hab' ich schon.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(dem Blick folgend)</i></p> + +<p>Ach so.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gefällt er dir?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, is 'n armer Mensch!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nein, nein. <i>(Stellt das Glas neben Biegler, ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span></p> + + +<h3>Zehnte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in Positur)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. <i>(Äugt zweifelnd nach dem Glase)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Haben Sie keinen Durst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Erst geben Sie mir — Wein zu trinken, und dann +nehmen Sie mich <em>doch</em> nich. Hä.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Erst trinken Sie mal.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Auf den Steinmetzplatz <em>wollen</em> Sie. Aber gewissermaßen +im verborgenen. So daß keiner was erfährt, daß +Sie keinem Rede zu stehen brauchen — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>So was Schönes gibt's ja nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Vielleicht <em>doch</em>. Wollen Sie Wächter werden bei mir +auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in staunendem Nicht-glauben-wollen)</p> + +<p>Herr Zarncke!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das is doch 'n Vertrauensposten.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, das is es.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Da müssen manche sogar Kaution stellen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bejahend)</i></p> + +<p>Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, +können Sie unter den Arbeitern mithelfen ... da fragt +Sie keiner ... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wird ja nicht lange dauern —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das wird ganz von Ihnen abhängen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Dann kommen die Schutzleute — und recherchieren ... +Und dann is aus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge +für Sie übernimmt, die Polizei sich mit Ihnen nichts zu +schaffen macht.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(fatalistisch)</i></p> + +<p>Die Schutzleute — kommen doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Zu mir nicht ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die Schutzleute kommen doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann +recherchieren. Das hab' ich mir ein für allemal verbeten. +Und daß die Herren vom Verein, wenn <em>die</em> kommen, Sie +nicht verraten werden, das können Sie sich doch denken. +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich — +<i>(Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht zur Tür und öffnet sie)</p> + + +<h3>Elfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ihm den Eintritt versperrend)</i></p> + +<p>Was gibt's?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(vom Hausflur her)</i></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke — die Polizei is da — +wegen —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche Bewegung, als +wolle er sich verstecken)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. +<i>(Schlägt die Türe zu)</i></p> + + +<h3>Zwölfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na ruhig, ruhig, ruhig!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich wild umschauend)</i></p> + +<p>Die Schutzleute kommen überall — die —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. +Deshalb kommen sie. Und eben deshalb sollen Sie auch +Nachtwächter werden. Verstanden?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(würgend)</i></p> + +<p>Herr Zarncke — ich muß — ich — dank' Ihnen auch +schön fürs Glas Wein ... ich ... kann nich in Dienst ... +ich muß — wieder weg.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p> + +<p>Ja, zwingen kann ich Sie nich ... <i>(Nach einem Schweigen)</i> +Haben Sie denn andere Arbeit in Aussicht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verneint)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von +der Polizei ... Unbarmherzig ... Wissen Sie das?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bejaht)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na und dann?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von +Ihnen — und was dann?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(plötzlich seinen Ton ändernd)</p> + +<p>Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, +komm. <i>(Zieht ihn nach vorne)</i> Bienchen hast du doch keine?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na dann setz dir mal. <i>(Zieht ihn in einen Stuhl)</i> Du bist +nu man büschen verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im +Kopp spukt, das will ich gar nich wissen ... Is auch ganz +egal. Nu laß man schon büschen sorgen für dich. <i>(Strenge)</i> +Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n Anzug +von mir ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(an sich niedersehend, freudig)</p> + +<p>Ja, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig, voll Ehrgefühl)</i></p> + +<p>Jawohl — hab' ich. <i>(Reißt, um das Hemde zu zeigen, die +Strickweste auf)</i> Da! <i>(Beschämt)</i> Bloß — Kragen hab' ich nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. +Denn Nachts is noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne +Pfeife und 'ne Schnarre. Und die Kontrolluhren, die bis +zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen tust du +drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine +bei der Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(wie vorhin)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich +mehr. Und so wollen wir langsam wieder 'n Menschen +aus dir machen. Hä?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt willenlos)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na also.</p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br /> +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span></p> + + + + +<h2>Zweiter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Der Werkplatz. Links das <span class="gesperrt">Wohnhaus</span> mit vorspringender +<span class="gesperrt">Veranda</span> und einem Balkon darüber, zu dem aus dem +oberen Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein +Fenster. Rechts die <span class="gesperrt">Kantine</span> mit einer Tür in der Seitenwand +und einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, +vor dem eine Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig +vorspringend, das <span class="gesperrt">Magazin</span>, mit einer Tür und einer daneben +angebrachten Glocke. — Im Hintergrunde rechtwinklig +zum Magazin ein offener, von Holzpfeilern getragener +<span class="gesperrt">Schuppen</span>, der sich mit seiner Hinterwand an die senkrechte +Erhöhung lehnt, welche den hinteren Teil des Werkplatzes +bildet und zu der in der Mitte des Hintergrundes +eine schmale Treppe emporführt. Links von der Treppe +mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die Höhe des +hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein +<span class="gesperrt">Kran</span>. Eine schmale <span class="gesperrt">Feldbahn</span> zum Transport der Blöcke +führt an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen +vorüber quer über die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. +An den Wänden des Schuppens und der Häuser +stehen und hängen, wo nur ein Platz sich findet, Gipsmodelle: +Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die Veranda ist mit +Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich über ihr +Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den +<span class="gesperrt">Prospekt</span> bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits +der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein +Kirchturm ragt aus der Ferne herüber</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1">(Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus +reiches Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten <span class="gesperrt">Steinmetzen</span><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> +oder <span class="gesperrt">Bildhauer</span>, die ersteren mit blauer Schürze, +die letzteren mit langem, weißgrauem Kittel und Papier- +oder sog. Raffaelmütze bekleidet. Der Kran ist im Gange. +Niedrige Wagen transportieren Blöcke vorüber. Hilfeleistende +<span class="gesperrt">Arbeiter</span> in beliebigem Werktagsanzug. Mittagsstimmung)</p> + +<p class="directive1">Vorne rechts <span class="gesperrt">Göttlingk</span> in Steinmetzentracht vor einem +Blocke — ein Gipsmodell daneben. Der Polier <span class="gesperrt">Willig</span> an +einem anderen Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die +sich hinten zu schaffen machen, <span class="gesperrt">Lohmann</span>, <span class="gesperrt">Sprengel</span>, +<span class="gesperrt">Struve</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter Schnauzbart, +Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn heruntergestrichen. Spielt den +Kraftmenschen, großsprecherisch, übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet +mit Meißel und Klippel und singt dazu)</p> + +<p>Na — nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. +He, ihr Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, +ihr sollt mir den Block in den Schuppen schaffen? — +Lohmann, Sprengel, ihr andern, immer 'ran!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's +lieber mir.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Und du hast denen nischt zu befehlen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn sie so dumm sind und gehorchen. <i>(Lohmann, +Sprengel und ein dritter Arbeiter sind nach vorn gekommen)</i> Da, wie +sie anhampeln! Hab du sie man so an der Strippe wie +ich. <i>(Befehlshaberisch)</i> Also nu los!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn +Finger hat jeder zu verlieren. <i>(Stemmt ein Brecheisen ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Ohne Brecheisen geht's nich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr +Volk ... <i>(Faßt mit an)</i> <span class="antiqua">Uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt +weiter)</i> Na, geht's oder nich?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! +Sagst du zum Hund »kusch«, dann kuscht er. Bloß weil +er's Franzesch so gern hat.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Noch mal: <span class="antiqua">uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt wieder)</i> +Ja, ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de +Knochen. Das ist die Hauptsache.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Und 's Messer im Sack nich zu vergessen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter +Sohn. <i>(Zieht ein Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt +unter dem Kittel befestigt hat)</i> Das is dreikantig geschliffen.<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> +Das schlupft <i>(schnalzt, das Messer vorstoßend, mit den Lippen)</i> wie 'n +Küßchen ... Tut gar nich weh. Will einer probieren?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p class="directive2">(der mißbilligend zugehört hat)</p> + +<p>Du — Göttlingk!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(zu ihm herübertretend)</i></p> + +<p>Hä?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(hinter ihm her, ingrimmig)</i></p> + +<p>So 'n Paradehengst! <i>(Die andern lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß +sie ihre Arbeit verrichten. Und damit gut!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(großspurig)</i></p> + +<p>Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Mußte immer Bewunderer haben?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter)</p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span> (ist aus der Veranda getreten)<br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Polier!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(respektvoll)</i></p> + +<p>Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is was zu melden?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Nein, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was tut der Kran da?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er holt die Quadern fürs Sägewerk.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block +dort an der Treppe 'runtergeschafft werden, damit er Montag +in Arbeit genommen werden kann.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Sehr wohl, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie is die Verteilung heute?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm +Bau, vier Bildhauer auf'm Platz, sechs auf'm Bau.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wo is der Göttlingk heute?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Da is er ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten bedeckte Seite +jetzt oben liegt)</p> + +<p>Donnerschock! <span class="antiqua">Per Bacco!</span> Den ganzen Dreckplatz soll +der Deiwel holen! Du, Polier, komm mal her.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, +Göttlingk?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(lüftet einigermaßen verlegen die Mütze)</p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der +Deibel holen. Wie ich den Block drehen lass', da seh' ich, +daß von gestern auf heute eine fremde Hand daran 'rumgemurkst +hat.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf)</p> + +<p>Ach, Sie werden sich täuschen. <i>(Tritt hinzu)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir +zu Feierabend immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(den Stein betrachtend)</i></p> + +<p>Von dem Blaustrich an?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachdenklich, lächelnd)</i></p> + +<p>Hm. So! — Das is aber nich schlecht gemacht. Da +ist Schwung drin. Wenn sich die Heinzelmännchen extra +für Sie bemühen, Göttlingk!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins +zwischen de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, +der Kerl, der jetzt Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er +so was zulassen kann? ... Das ist schlimmer wie Einbruch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(der abzulenken sucht)</i></p> + +<p>Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's +finster is, kann man nich arbeiten.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon +lang hell.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(beruhigend)</i></p> + +<p>Ich werd' den Mann hernach mal fragen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(murmelnd)</i></p> + +<p>Das besorg' ich schon selber.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Willig nach vorne kommend)</p> + +<p>Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter +im übrigen auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich +an Fleiß nicht genug tun. Aber — schwach, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Und dann — 'n bißchen sonderbar.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Inwiefern? <i>(Ringsum ertönen Mittagssignale)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. +Manche fangen ihn schon zu verulken an.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dulden Sie das nich, Willig!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? +Eichholz!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(zur Kantinentür laufend)</i></p> + +<p>Eichholz!</p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen</span>. <span class="gesperrt">Eichholz</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(angeheitert)</i></p> + +<p>Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz +bin ich da — ja! <i>(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sieht kopfschüttelnd zu)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er is jetzt immer im halben Dusel.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(sich umschauend)</i></p> + +<p>Na — schläft der — faule Hund — noch?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brummend nach links)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Nu geht er noch in die Destille!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is das ein Elend!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Mehrere Frauen.</span> Später <span class="gesperrt">Lore</span><br /> +</p> + + +<p class="directive2">(Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne gehen zu +den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht sind und waschen +sich. Andere holen dicke Butterstullen und Blechkannen hervor und beginnen +zu essen. Frauen kommen von links mit Eßkörben und begrüßen +ihre Männer. Einzelne haben auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit +den Eltern um den Eßkorb gruppieren)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den Frauen +»Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der Bildhauer +und Steinmetzen)</p> + +<p>Bitte zu Mittag. — Bitte zu Tisch. — Zu Tisch +möcht' ich bitten. <i>(Lauter)</i> Wem kann ich Bier 'rausschicken?</p> + +<p class="actor"><b>Einzelne Stimmen</b></p> + +<p>Hier. Ich. — Mir eins.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zählt die Stimmen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(betrachtet murrend seinen Block)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(an ihn herantretend, leise zaghaft)</p> + +<p>Kommst nich auch, Eduard?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(sich umschauend, unwirsch)</i> +Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst mich nich »du« +nennen auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> +Verzeih! Ich hab' vergessen. <i>(Zur Kantine ab)</i></p> + +<p class="directive2">(Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, darunter +Göttlingk)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie +mal: Mit dem Struve steht's schlecht. Den wird uns das +Kriminal bald abholen.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach, schicken Sie ihn mir mal, — ja?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="directive2">(Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt gesessen +hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist nach vorne, dann geht +er in die Kantine ab)</p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Willig</span>. <span class="gesperrt">Struve</span> (nach vorne +kommend) +</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. Bartstoppeln. +Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei um die +Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch und Holzpantinen. +Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine faustdicke Butterstulle mit +Taschenmesser in der andern Hand. Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, +fällt ihm das Butterbrot auf die Erde)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand +gefallen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(das Butterbrot an den Hosen abwischend)</p> + +<p>Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung +Sand — schmeckt selbst 'n alter Strohsack pikant,« sagten +wir immer uf de hohe Schule.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre +hohe Schule.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Herr Zarncke, was kann man machen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... +Mir hat's auch mal leid getan. Aber nu is schon egal.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Na, sind Sie's nu gewesen oder nich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein +in die Hand nehm' —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die +Untersuchung geht weiter?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen +dafür beibringen, wo Sie in den Stunden des Einbruchs +gewesen sind?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is — +der kost't nich unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig +Mark hernehmen, Herr Zarncke?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>So?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt +jejangen sind, die tun's auch billiger ... Meechens auch. +Aber die kriegen's vor Gerichte hernach mit die Heulerei ... +Nee, das sind alles keine reelle Sachen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen +geschrieben.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt +Ihnen ja doch keiner ... Mensch, Mensch, wie hau' ich +Sie nu 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu +sitzen Se drin, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(das Fenster öffnend)</i></p> + +<p>Vaterchen, kommst nich zu Tisch?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. +Vielleicht fällt mir noch was ein.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. <i>(Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Danke, Herr Zarncke. <i>(Die Zigarre einsteckend)</i> Ja, ja. +Sie rüsten sich wider die Seele des Gerechten und — <i>(sieht, +daß Zarncke inzwischen weggegangen ist)</i> Ach so! <i>(Setzt sich auf den +vordersten Block, kratzt an seinem Butterbrot und fängt an zu essen)</i></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Struve. Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel</span>, <span class="gesperrt">ein dritter Arbeiter</span>, +die essend auf dem Block hinter ihm sitzen +</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot +noch 'runterfuttern lassen, Struve, ehe sie dich inlochen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und +»blauen Heinerich«. Ei weh.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das +versteht ihr nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da +sind bloß <em>feine</em> Leute drin. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Drum heißt es auch die hohe Schule.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne +Kleiderbürschte? Die hat mir der Staat immer franko +geliefert. Aus lauter persönlicher Hochachtung ... Oder +gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich — siehste! ... Kiek dir +mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber <em>wir</em> +machen dort zu Mittag immer Toi—lette. Und Handtuch +tragen wir immer auf'n Arm, da laufen wir den janzen +Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? +Und was sind wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch +über dir kommen erst die Steinmetzen ... und da hoch +drüber die Bildhauer. Und denn <em>noch</em> höher der Polier ... +Und <em>denn</em> gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in de +erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen +dürfen. Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie +der Polier. Das is wie 'n Jeneral ... Das kannste alles<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> +werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... Karri—ere +kannste machen. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(singt spottend)</i></p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Liebes Kind, nu weine nich,<br /></span> +<span class="i0">Mittags jibt's den blauen Heinerich;<br /></span> +<span class="i0">Stehst du mit dem Schien auf du und du,<br /></span> +<span class="i0">Kriegste auch 'n halben Hering zu.<br /></span> +</div></div> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. +Ihr geht hier zur Lore und schnauzt: Hering — +aber 'n milchernen — mit Zwiebel — viel Zwiebel ... +janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal +... Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, +leckern Schwimmling, da müßt ihr in de Anstaltsküche +kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... Da kitzelt euch +die Schnauze von — noch Abends beis Einschlafen. So +viel scheener ist da alles. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn +nich wieder hin?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Da hast <em>du</em> doch freien Angtree.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht +an de große Außenmauer in Waldheim — da steht nämlich +'ne alte Linde ... Und von de Fisintation aus, was +nämlich der Arbeitssaal is, da siehste 'n janzes kleines +Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo du +immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, <i>(stolz)</i> +bloß nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span> +immer zu zweie — wenn du da — und du huppst in die +Höh', dann siehst wieder 'n andern Stückschen — so sechzig +bis achtzig Blätter, wodran du immer jenau wissen kannst, +was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer und +ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den <em>janzen</em> +Lindenbaum sehen wollten, denn der soll nämlich der +scheenste Lindenbaum sein, wo's auf de Welt überhaupt +jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher stehn ... +Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, +und wo einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert — +und wo nu das innere Tor aufjeschlossen wird — na, da +is er nu — und da is er 'n janz jemeiner oller, ekliger +Lindenbaum. Na — und so war denn hernach alles — +janze Freiheit.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu — wenn du das nu schon weißt? —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was hilft da viel — wissen. Der Mensch is 'n dämliches +Vieh. Wie ich 's zweite Mal drinsaß, da war der +olle, dämliche Lindenbaum noch viel scheener geworden.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Ja, wenn's so is.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Überhaupt — ihr Schafsköppe mit eure sogenannte +Freiheit! — Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste +im Sonnenschein uf ne scheene Planke, kriegste den Holzbock +in de Waden; haste keene Arbeit, kannste jehn den +Chausseegraben austapezieren. Willste mal geradaus — +jeder Mensch will mal geradaus — und als dir kommt<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span> +nu 'ne verschlossene Tür in de Quere — und du willst +<em>doch</em> geradaus, dann stecken sie dir ins Kittchen. Das +heißt nu Freiheit. Kindersch, ick hust' auf eure Freiheit. +Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine Ordnung +hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Mir hat überhaupt bloß <em>eins</em> gefehlt. Dann wär' +ich auch janz komplett jlücklich gewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Das war wohl eene Braut?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p><em>Zwei</em> Brauten?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na was denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(träumerisch)</i></p> + +<p>Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich <em>den</em> noch +hätt' gehabt — —</p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span> (von rechts) +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, sein Aussehen gebessert, +aber sein Benehmen noch scheu und unumgänglich, voll immer +neu aufflackernden Mißtrauens. Er setzt sich auf die Bank vor das +Kantinenfenster)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Kiekt mal den da! ... Was <em>is</em> das eigentlich für +'ne Sorte? Reden <em>tut</em> er nich, »guten Tag« <em>sagt</em> er nich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, dumpf)</p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na sagt ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener +Herr Nachtrat! ... Kommen der Herr Dunkelmann 'n +bißchen de Sonne revindieren?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mensch, nu red doch was!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was soll ich reden?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mach doch 'n Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich weiß keinen Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Der Kerl is trocken wie Galgenholz.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die +lange Nacht über? Putzte de Sterne blank? Ziepste dir +an de Barthaare? Wirfste de Meechens, wo auf de Straße +vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend was muß +der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach, ich hab' immer zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Tranig is das Luder.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze +Mittag?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jetzt essen doch die — Steinmetzen. Da kann ich +doch nich auch essen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu dann komm doch mal her so lang ... Na — los!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erhebt sich zögernd)</i></p> + +<p>Was soll ich bei euch?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Trink mal aus meine Buddel. Prost.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Danke. Ich trinke keinen Schnaps.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n +Pumpengenie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Nu huck dir doch mal erst dal. <i>(Zieht ihn auf den Block +nieder)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(weiterrückend)</i></p> + +<p>Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze.</p> + +<p class="directive2">(Lachen)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß +so an dir ran.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' +du hier Nachtwächter wurdst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erschreckend)</i></p> + +<p>Ich? — Ich bin Arbeiter.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Kirschenpflücker vor de Wintermonate — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(angstvoll)</i></p> + +<p>Ich — dir? Nee — daß ich nich —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne +Art ... Bei uns in Waldheim da hatten wir so 'n paar. +Wir nennten se immer »de blamierten Förschten«. — Du, +wo liegt denn dein Förschtentum?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, +Edler Herr von und zu Sonnenburg.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt zusammen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... +der is bloß verschüchtert.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(gutmütig)</i></p> + +<p>Ich mach' ja auch bloß 'n Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Da — willste 'ne Zijarre?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verblüfft)</i></p> + +<p>Wieso — gibst — du mir —?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der +Alte vorher geschonken.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich)</p> + +<p>Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch +später — revanschieren.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p class="directive2">(ihn auf die Schulter klopfend)</p> + +<p>Na, meinen wir's denn nu so beese?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit glücklichem Gesicht)</i></p> + +<p>Nee! Wahrhaftigen Gott nich!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na siehste! <i>(Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird)</i> Aber +vor dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien.</p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(vollends angetrunken)</i></p> + +<p>Ich bin ein Mann — hochgeehrt, — ich brauch' nich — +Kartoffelsuppe aus'n Steinguttopp — fressen! Morjen, +die Gesellschaft! Morjen, die hochgeehrte Gesellschaft! +<i>(Biegler bemerkend)</i> Was? — Was will der Hund? Der +schmalbauchige Hund? M — M — Mantel hat er ihm +geschenkt — mit blanke Knöppe — wie 'n Offezier! Was +is der Kerl überhaupt? Wo kommt der verhungerte Kerl her?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine +Pflicht tut.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern +hier. Der is hier auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. +Wann hab' ich mal blanke Knöppe gekriegt? Kerl, +durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den Posten +gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts +zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir +jibt se 'n Porzellanteller. Du wirst noch mal — platzen<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> +— wie 'n Bovist. Und dann wird man an dem Gestanke +erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' 'ne Faust wie +'ne Ramme! <i>(Dringt auf ihn ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stößt ihn fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(zurücktaumelnd)</i></p> + +<p>Was — hauen — tust du mir alten Mann?</p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span> und <span class="gesperrt">andere Bildhauer</span> und +<span class="gesperrt">Steinmetzen</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Was is hier los?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(keuchend)</i></p> + +<p>H—h—hauen — m—m—ir—!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wer hat den alten Mann gehauen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Is ja alles Blech!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Werd' ich nu bald Antwort kriegen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(kleinlaut)</i></p> + +<p>Hier hat überhaupt keiner gehauen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(mit erhobener Faust)</i></p> + +<p>Der Hund! — der verhungerte — <i>(Einige der Umstehenden +führen ihn nach hinten)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich +nischt an.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins — +zwei — <i>(pfeift)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Da geh man schon. — Jegen den Großschnauz kommste +nich auf.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Der sticht mit's dreikant'ge Messer.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn ich »drei« sag' —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(blaß, schwer atmend)</i></p> + +<p>Sie können — ja auch zu mir kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(pfeifend)</i></p> + +<p>Ich warte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung, zitternd)</i></p> + +<p>Da lassen — sich man — die Zeit — nich lang werden.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(in Wut)</i></p> + +<p>Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine +Pfeife mit euch stoppen, Kerls? <i>(Das Lederfutteral nach vorne +ziehend)</i> Soll ich euch mal die Hühneraugen barbieren? +<i>(Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor Biegler gestellt haben)</i> Aus +dem Weg hier!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(sich umschauend)</i></p> + +<p>Wo is denn der Polier?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jetzt bin ich hier der Polier. <i>(Wild)</i> Aus dem Weg +hier — oder —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(vortretend)</i></p> + +<p>Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten +haben. —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(befriedigt)</i></p> + +<p>Na, da hätten wir ja das Gewächse. <i>(Setzt sich, raucht)</i> +Immer parieren, Kinderchen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Also ich wär' ja nu da.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, +den wollen wir mal auf sich beruhen lassen. Aber wir +haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, wir beide. Sie +sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(auflachend)</i></p> + +<p>Und Nachtwächter auch?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na — +soll ich Sie bei den Ohren nehmen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p> + +<p>Was — is — denn — mit dem Block?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht +geschieht. Ich frag' Sie: Wer hat da an meinem Block +rumgemurkst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sehr bestürzt)</i></p> + +<p>Das —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das — weiß ich — doch — nich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Seht euch mal das böse Gewissen an.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte.</p> + + +<h3>Zehnte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(geht quer über den Platz zu der Gruppe hin)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd)</p> + +<p>Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner +Besuch. Nu, mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, +mein —</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(ihn abwehrend)</i></p> + +<p>Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf +den Platz kommen können.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst +nich so. Ich hab' Ihnen doch manches liebe Mal in +Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber gelächelt haben Sie dazu — so sieß! <i>(Schmachtend)</i> +Ach, wie so sieß!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür +steht das Fräulein. Das will Sie sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das Fräulein — mich? — Mich — das —? So! +Na! Sie, Nachtwächter, Sie können abrutschen. Aber +Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? —</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Hab man keine Bange vor dem!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick +beschwör' alles ... Unbesehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich dank' euch schön.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(dreht eitel seinen Schnurrbart)</p> + +<p>Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? <i>(Geht +nach vorne links)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt sie von +hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie geht nach links)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach der Kantine ab)</i></p> + + +<h3>Elfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Marie. Göttlingk.</span> Die anderen im Hintergrund +</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie um sich Mut +zu machen, mit der Hand übers Gesicht)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(linkisch, mit durchbrechender Frechheit)</p> + +<p>Mahlzeit, Fräulein.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Gesegnete Mahlzeit!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich +dem Fräulein dienen kann?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin +ich schon lange wieder da.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke +schön.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(rasch, ängstlich)</i></p> + +<p>Nein, nein, der Lore wegen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen +Weg.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was für 'n Weg, Herr Göttlingk?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen +Sie sich darüber nicht. Da sind Sie viel zu fein zu. — +Das sind solche Geschichten.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb +Sie die Lore hat?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür +sorgt schon der liebe Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ihn bestürzt anstarrend)</i></p> + +<p>Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht +sein. Wenn die andern auch sagen, Sie seien gewalttätig +und — Ich habe Sie immer für einen guten und edeln +Menschen gehalten.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na, macht sich!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches +Herz. Ich habe Ihnen immer mit Freuden zugehört.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für +Sie gesungen, Fräulein Mariechen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tödlich erschrocken)</i></p> + +<p>Wieso — für — mich?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's +Fenster aufmachen. Also müssen Sie's doch gerne haben. +Ich tu' immer, was Sie gerne haben. Jawohl. Mach' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(außer Fassung)</i></p> + +<p>Es handelt — sich hier — aber gar nicht — um mich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(in trumpfender Männlichkeit)</p> + +<p>Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum +soll es sich nich auch 'n mal um Sie handeln?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, dann — da sie +Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie hilfesuchend auf ihn zu)</p> + +<p>Vaterchen! Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(seinen Schnurrbart drehend)</i></p> + +<p>Sieh mal an! Sieh mal an! <i>(Geht nach hinten)</i></p> + + +<h3>Zwölfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar +Reitmaier</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, was denn, Miezelchen? <i>(Ruft)</i> Frau Homeyer! +<i>(Sie hängt in seinem Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann +Frau Homeyer, die für einen Augenblick in der Tür erscheint)</i> Sie +werden entschuldigen, Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen +kränklich ...</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p class="directive2">(Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder Schnauzbart, +Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in brutale Schärfe umschlägt. +Ein wenig Bierbruder mit Ausblick zum Offiziertypus)</p> + +<p>Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das +Privatleben der Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie +auch nicht lange aufhalten. Ich bin nur beauftragt worden, +mal 'n bißchen nachzuhören, was mein Kollege vom +Revier da — — Haben Sie man keine Bange. Ich bin +'ne menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. +Die Herren Spitzbuben — die sind mir so wie 'ne +große Familie.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(erfreut, bewundernd)</i></p> + +<p>Ach — ne — wirklich?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bieder)</i></p> + +<p>Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, +kann man den Onkel mal 'n bißchen sehn?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend)</p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Leise)</i> Ei weh, Kindersch. Da +is der Reitmaier vom Präsidium. Das is 'n fauler +Junge. <i>(Kommt nach vorn)</i></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(die Arme ausbreitend)</i></p> + +<p>Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... +Na, lieber Freund!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gerührt)</i></p> + +<p>Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich +gesehn.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was +gefehlt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was <em>haben</em> Se denn +nu wieder ausgefressen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin +eben scharf in de Besserung. Diesmal kann ich wirklich +nich — nich — dienen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(überzeugt)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen +Totenschein in die Hand nehm' —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nich schon Totenschein! Pfui! — Mann wie Sie muß +leben!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im +Zuchthaus. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(zu Zarncke)</i></p> + +<p>Er is bitter gestimmt. <i>(Beruhigend)</i> Na, na, na, es +is da bloß noch 'ne kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! +Ne! <i>(Zieht sein Notizbuch)</i> Sagen Sie mal, wo +waren Sie denn nu in der Nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne +Banke. Oder so.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bedauernd)</i></p> + +<p>Warum <em>waren</em> Se nu nich in Ihre Schlafstelle?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, warum <em>war</em> ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' +ich gewußt, daß schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke +einbrechen würden, hätt' ich mir gleich um halb zehne in +de Klappe gelegt. Wegen den Aal—ibi.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Natürlich! <i>(Leise)</i> Das is 'n abgefeimtes Luder! — +Da Sie das aber selbstredend nicht wissen konnten, so +gingen Sie zu — in den bekannten Lehmannschen Keller, +wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is da +'s Bier immer noch so gut?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Danke. Ja. Es jeht.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Da waren Sie bis — zehn Minuten nach zwölfe. +Und dann waren Sie mit Ihrem Freund Kuntze — ja, +wo waren Sie da?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, wo war ich da? Ich bin — spazieren jewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(klagend)</i></p> + +<p>Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze +sitzt schon wieder feste!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Aber es is doch schade. Na — und als Sie sich dann +getrennt hatten, was taten Sie dann?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. +Ick hab' mir so, wie ick schon sagte, in'n Humboldthain +bisken uf die Banke jesetzt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und gesprochen haben Sie mit niemandem?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in +schlechte Jesellschaft kommen. Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(triumphierend, leise)</i></p> + +<p>Den kriegen Sie nich!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und dann sind Sie nach Hause gegangen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens +singen hören. Aber <span class="antiqua">pee à pee</span> bin ick denn zu Hause +jejangen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des +Einbruchs noch die Zeit seines Heimkommens sind festzustellen. +Aber — — <i>(laut)</i> Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ja, noch eins. <i>(Wieder leise)</i> In dem Magazin — haben +Sie da Sachen von Wert?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und die sind wertvoll?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ah! Wußte der Struve davon?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit reserviertem Lächeln)</i></p> + +<p>Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Struve, wo ist hier das Magazin?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Das Magazin? <i>(Nach rechts weisend)</i> Na da is es ja.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Was is denn da so drin?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen +Sie sich mal, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(schärfer)</i></p> + +<p>Wissen Sie, was Zahnsägen sind?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Wo werden die über Nacht aufbewahrt?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(ärgerlich)</i></p> + +<p>Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu +stellen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach näher herangedrängt +haben)</p> + +<p>Stören Sie die Leute, Herr Kommissar?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Durchaus nicht. Durchaus nicht. <i>(Leiser)</i> Sie sehn +übrigens — <i>(zu Struve streng)</i> treten Sie mal zurück! — +<i>(leiser)</i> daß an das Subjekt nicht 'ranzukommen ist.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(zaghaft, bittend)</i></p> + +<p>Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu ja, <em>Sie</em> sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen +Vergnügen macht, dergleichen Volk bei sich unterkriechen +zu lassen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den +lieben Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(immer noch leise)</i></p> + +<p>Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit +liegen nicht vor. Ich könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. +Vorher aber möcht' ich mal an <em>Sie</em> die Frage +richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl für +verdächtig halten oder nicht?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verlegen)</i></p> + +<p>Ja, da is schwer —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(in die Enge getrieben)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie +doch mal — <i>(spricht leise weiter)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p class="directive2">(der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, holt eine Anzahl +Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm einen davon)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. +Kennen Sie den?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen +hiermit. Verstehn Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden <em>Sie</em> +mir von jetzt ab für die Sicherheit der Sachen — einstehn. +Verstanden?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet +denn das?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen +Sie daraus, was Sie wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Sie — vertrauen — <em>dem</em> den —? Hähähä! Erlauben +Sie mal. — Hähähä. Pardon, das ist zu spaßhaft. <i>(Immer +lachend)</i> Na dann will ich auch nicht weiter stören. Das +kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende führen! ... +Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren +Jungens nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn +außerdem haben Sie ja auch noch 'n Mörder bei sich. Und +weiß Gott, was —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sehr erschrocken)</i></p> + +<p><em>Mörder?</em> <i>(Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während +der Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu ja — den —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rasch, mit Nachdruck)</i></p> + +<p>Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Erlauben Sie mal —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(ihn bei Seite nehmend, erregt)</p> + +<p>Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern +wegen Totschlags verurteilt worden —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Menschenblut is Menschenblut.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und +das braucht ihm nicht unnütz vergiftet zu werden. Wissen +Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu mir gerettet hat, +wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie <em>dem</em> +das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich +gemacht haben?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ich? Wieso? Bitte!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(auf die erregten Gruppen weisend)</p> + +<p>Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der +»Mörder« ist. Anstatt hier rücksichtsvoll —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(brutal)</i></p> + +<p>Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen +— Auswurf — Rücksicht zu nehmen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade <em>nicht</em> +von Ihrer werten Familie.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Was für Familie? ... Ach so! <i>(Scharf)</i> Ich empfehle +mich Ihnen, Herr Zarncke. <i>(Ab nach links)</i></p> + + +<h3>Dreizehnte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Reitmaier</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut)</p> + +<p>Hört mal, Kinder! Das — mit dem — Mörder — +das muß 'ne Verwechslung sein. Das — ja —!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(vor sich hin)</i></p> + +<p>Na na!</p> + +<p class="actor"><b>Andere</b></p> + +<p class="directive2">(geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel Ausdruck)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat)</p> + +<p>Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen +Sie sich auch darnach.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja w— w— w—</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wenn nu gesetzten Falls — und es is <em>doch</em> nu ein +anderer gewesen —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... +Und?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und — nu ja — und der andere der kommt nu mal +wieder — —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werden <em>Sie</em> eingesteckt. Verlassen sich drauf. <i>(Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(nach der Kantine weisend)</i></p> + +<p>Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(nach Struve hin)</i></p> + +<p>An <em>den</em> hat man sich schließlich gewöhnt, — aber +<em>Mörder</em>! Ne.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Du, Struve, komm mal her. <i>(Struve geht zu ihnen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Scht. Da is er.</p> + + +<h3>Vierzehnte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> Gleich darauf <span class="gesperrt">Lore</span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre)</p> + +<p>Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich umwendend)</i></p> + +<p>Ja?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie haben doch <em>vier</em> Zigarren bezahlt und bloß dreie +genommen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so. Ja. Danke. <i>(Nimmt die Zigarre)</i> Es war ja +auch noch 'n vierter dabei. <i>(Mit glücklichem Lächeln)</i> Ich hab' +nämlich — jetzt — auch — <em>Freunde</em> hier.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erfreut)</i></p> + +<p>Ach, sehn Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Freunde — hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und +da will ich mich doch mit Zigarren revanschieren. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: +Es is nich so schlimm, — sie tun Ihnen nichts?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer +Mut gemacht.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(herüberrufend)</i></p> + +<p>Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu +schaffen? Das ist kein Umgang für Sie. — Lassen Sie +den mal hübsch laufen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zusammenschreckend)</i></p> + +<p>Ja ... ja, ja. <i>(Steht unschlüssig)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(die Zähne zusammenbeißend)</i></p> + +<p>Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... +Ich hab' ja auch noch — <em>Freunde</em>. <i>(Lore ab)</i> <i>(Er breitet seine +Zigarren fächerförmig in der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst +mit Struve gesprochen und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat)</i> Du +— willste nich — eine Zigarre von mir — rauchen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(verächtlich)</i></p> + +<p>Nee. <i>(Tritt von ihm fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, sehr zaghaft)</p> + +<p>Ach — bitte — ich hätt' — ne Zigarre — für —</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Du kannst deine Zigarren für dich behalten. <i>(Tritt +gleichfalls von ihm fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit kommt über +ihn; er geht zu Struve — voll Angst und Ingrimm)</p> + +<p>Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gutherzig abwehrend)</i></p> + +<p>Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz +bin, weil ich nu den — Magazinschlüssel hab' ... aber —<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> +ich kann mir nich — ausschließen, — ich muß machen wie +die andern.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wa — was hab' ich — euch denn — ...?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sag mal, wie alt bist du?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Vierunddreißig.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh +lassen sie einen wie du — sonst doch nich los ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick auf die ihn +rings Beobachtenden und versteht)</p> + +<p>Ach so ... Ach so.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(ist zu Lohmann zurückgetreten)</i></p> + +<p>Ich sag' euch bloß: det stimmt <em>nich</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wer soll's denn sonsten sein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(auf die Bank der Kantine sinkend)</p> + +<p>Ach so!</p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>) +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span></p> + + + + +<h2>Dritter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. +Die Decke ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite +die Tür zum Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, +im Hintergrunde links das Büfett mit einem Schanktisch davor. +— Auf der linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. — +In der Mitte unter der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, +links vorne ein Sofa mit Tisch und Stühlen, rechts vorne +Tisch mit Stühlen. Vor dem Fenster Schustergerät. In der +Ecke rechts hinten ein eiserner Ofen.</p> + +<p class="directive1">Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen +Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf +den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf +dem Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. +Plakate und Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck +an die Wände geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und +Rahmen hängt neben der Eingangstür. Über dem Büfett +eine Uhr; neben ihm eine Mandoline</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore</span> hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt. +Der alte <span class="gesperrt">Eichholz</span> auf dem Sofa schlafend. <span class="gesperrt">Lenchen</span> an +dem Schusterschemel</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(schnarcht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was machst du da, Lenchen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Nein, nein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa)</p> + +<p>Vater — Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, du mußt aufstehn.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(im Halbschlaf)</i></p> + +<p>Wieso denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung — +du weißt ja — dann wird's noch einmal voll hier.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, ja ... Na ja ... <i>(Richtet sich auf und reckt die Glieder)</i> +Ich muß ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech +besorgen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Laß doch, Vater, das eilt ja nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu ja. Ich arbeit' ja <em>doch</em> nich. Ich bin 'n altes +Faultier, sagt meine Tochter. <i>(Rülpst)</i> Dein Kümmel is<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> +das reine Rattengift. — Meine Leber kriegt schon harte +Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich an einen +Mäßigkeitsvereine zu beteiligen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach ja, das wär' ganz gut, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was +mir gut is? Ich freß nich mehr aus'n Steinguttopp. +Das laß dir gesagt sein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, das is ja alles Einbildung, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger +bin ich ... Wenn sie mich schon wegjagen tun um — +um — um 'n Mörder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abwehrend)</i></p> + +<p>Ach!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich +aus. Da jeh' ich ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille +zu mir. Und dann verkauf' ich mir an die Annetomie ... +Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. Nich mal +meinen Leichnam.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lächelnd)</i></p> + +<p>Ich will ja auch nichts, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt +du den Kerl 'raus und scheuerst mit Karbol die Stelle,<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> +wo er gestanden hat. Statt dessen frißt er sich hier rund +an deine Karbonade.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob +er wirklich <em>der</em> is, von dem der Kommissär gestern gesprochen +hat, das weiß ja keiner.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen +im Kopp. Heute is nu jeder so klug.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was sind denn Mörderaugen, Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. +Und das is der Tod. Und wegen so einen — haben sie — +mir — <i>(Weint)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p> + +<p>Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(weinend)</i></p> + +<p>Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. +Einer muß hin. Er oder ich. Tot oder lebendig. Der +muß verrecken, der Hund, der Bluthund, der — der — +<i>(Kläglich)</i> Ich hab' so 'n Leberstechen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Geh, leg dich aufs Bett, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, +daß ich nicht werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' +so 'n Leberstechen. <i>(Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sieht ihm seufzend nach)</i></p> + +<p>Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. +Und wenn er weint, dann ruf.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Ja, Mamachen. <i>(Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herein!</p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Marie</span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(gedrückt)</i></p> + +<p>Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen +hatte?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Die anderen erzählten sich's.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, +daß ich keine guten Nachrichten bringe?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mutlos)</i></p> + +<p>Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute +vormittag nicht. Wollen sich nich setzen, Mariechen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Danke. <i>(Setzt sich)</i> Hast du gehört, wie schön die Amsel +singt auf deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' +ich mich, oder pfeift sie fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? +Es is wirklich so, als ob das Glück pfeift ... Auf deinem +Dach, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Für mich pfeift kein Glück.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Wer weiß? ... <i>(Zögernd)</i> Lore, ich will dir was gestehn: +Ich hab' Vater gebeten, daß er ihm am nächsten +Termin kündigt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, +dann soll er gehn. Aber nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann +sagt, daß er dir 'ne Aussteuer geben wird.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht +nichts gut. Ich will nichts.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, +die wohlhabend ist. Darauf geht er aus.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Woher wissen Sie das?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(stockend, mit abgewandtem Gesicht)</p> + +<p>Nun, das — merkt — man doch.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut +Herr Zarncke is, wohlhabend, wie <em>er</em> meint, kann ich ja +doch nie werden.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(mit geheimnisvollem Lächeln)</p> + +<p>Nun — wer weiß?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade +das tägliche Brot.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit unterdrückter Erregung)</i></p> + +<p>Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' +sagen wollen: Lange leben werd' ich nicht, <i>(langsam, mit Betonung)</i> +und — dein Lenchen — hab' ich <em>sehr lieb</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach langem Schweigen)</i></p> + +<p>Mein Kind hast du — so lieb?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Mein Lenchen hast du so lieb?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(aufschreiend)</i></p> + +<p>Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. +Wozu soll sie sich durchschleppen mit mir durch all den +Jammer, wenn sie <em>das</em> haben kann? <i>(schluchzt)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen — da hätt' ich noch +ja und »Schön dank« gesagt. Aber jetzt — seh' ich die Dinge +— anders an. Denn, sieh mal! So ein — Kindchen — +muß doch zuerst mal — seinen Vater haben ... Nicht wahr?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in neuem Erstaunen)</i></p> + +<p>Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das +glaub' ich nicht! Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und +das kann auch nicht zum Guten sein. Nie im Leben. Nie.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Weil — weil ... Der — der <em>will</em> mich nicht mehr. +Dem bin ich <em>doch</em> bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten +hat? Und wovon er doch der Verwalter sein wird?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Mein Gott, mein Gott, mein Gott!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, +das weiß ich nicht. Denn wollen <em>wird</em> er ja nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch +nicht. Und es schadet auch gar nichts, wenn's — nichts — +wird. — Man is ja längst schon viel zu mürbe. Und +vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, wo +<em>nicht</em> so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde +lang mal froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> +ein Stein, den man hin und her stößt, ach, das tut so gut, +so gut, so gut! <i>(Sinkt lachend und weinend vor ihr nieder und küßt +ihr die Hände)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. +<i>(Lore steht auf)</i></p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, scheu)</i></p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Marie.</b></p> + +<p>Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Geht's Ihnen gut?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Danke.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! <i>(ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Lore. Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(setzt sich an den Mitteltisch)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit Kaffee ein, +bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie nach dem Tisch links)</p> + +<p>Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is +ja der Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich +nach der Auszahlung. Die sind zu große Herren.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich geh' so wie so gleich fort. <i>(Setzt sich links)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich — krieg' — monatlich. <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(immer in freudiger Erregung)</p> + +<p>Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, +Herr Biegler. Sie reden gar nich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich red' ja — auch sonst nich — viel.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was — ganz +was — Besonderes — passiert.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was Gut's?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Da gratulier' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts +ändern. Aber es is doch wie 'n heller Schein. — Und da +möcht' ich, daß es auch andern so geht. Ihnen auch.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schwer atmend)</i></p> + +<p>Danke!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler — ach, Herr Biegler, wozu sollen wir<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span> +erst viel Versteck spielen. Ich weiß ja, was Sie quält — +seit gestern.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sich in Erstaunen jäh umwendend)</p> + +<p>Und da reden Sie noch mit mir?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja — is es denn wahr?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach einer Pause, schwer)</i></p> + +<p>Die Herren Geschworenen haben die Frage — ob's +Notwehr gewesen is oder nich — verneint ... Und nu +lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach innerem Kampfe)</i></p> + +<p>Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter lachend)</i></p> + +<p>Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zaghaft)</i></p> + +<p>Sie wissen doch!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, Ohren hab' ich auch ... <i>(in Wut auffahrend)</i> Und +wenn ich erst wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann +würd' ich den Kerl — —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch +nich, daß ich Angst hab' vor Ihnen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(hastig seinen Kaffee trinkend)</i></p> + +<p>Ich geh' schon. Ich geh' schon.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(unschlüssig, mit dankbarem Aufblick)</p> + +<p>Ach! ... <i>(hart)</i> Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man +wird ja so wie so wie'n Stein! Die Steinmetzen erzählen +nämlich: Der Stein wird durch Druck. Wissen Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das sollt' ich wohl wissen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die +drüberliegenden Schichten drücken, dann wird die lebendige +Erde zu Stein ... Beim Menschen dauert's nich so +lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar Jährchen Druck +— immer derselbe Druck. Das genügt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p> + +<p>Ob's genügt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Man lacht und man weint und man schläft und man +arbeitet — ach, lustig sein kann man sogar — man is +überhaupt ein Mensch wie andere und is doch lang keiner +mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ... +Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit +dem Fuß stoßen wie 'n Stein. Man wird gegen alles +gleichgültig wie 'n Stein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, — so is es, — ja, ja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So +sehr hat mich was gefreut ... Gestern war ich wie Sie. +Aber heut kann ich Ihnen was helfen. Bloß Vertrauen +müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das hätt' ich schon — aber — <i>(vor sich hinbrütend)</i> ich muß +ja wohl wieder weg.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich denk', Sie waren zufrieden.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten — <em>alle</em> — +im Himmel wär' ich gewesen. Morgens — so gegen zweie +— da is mir leicht geworden ... dann kann keiner kommen +und was von mir wollen. — <em>Doch!</em> — Einer <em>kann</em> +kommen ... Die kann <em>immer</em> kommen. Sie <em>is</em> noch +nich — aber sie kann.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit beruhigendem Lächeln)</i></p> + +<p>Na wer denn, wer denn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so — ich soll ja mein Herz erleichtern.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nicht — wenn Sie nich wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste +schieben sie sich so langsam von einem weg ... Man will +<em>mit</em> anfassen, und dann is man allein. Und dann geht's<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span> +Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, habt ihr +auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn +sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden +wir den Platz schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück +Holz. Und dann fliegt 'n Stein. Und dann kommen <em>Sie</em> +eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, Herr Biegler, +aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.«</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schüttelt heftig den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na warten Sie man. Und schließlich kommt der +Prinzipal und sagt: »Hier is Ihr Buch. Sie können gehen.« +Und man weiß, daß man nu wieder ins Hungerland zieht, +wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt +noch: »Gott sei Dank.«</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, es is schrecklich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid +froh, daß ihr sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne +Wort ... Das haben die Herren extra für uns erfunden +... Ja, was soll ich nu alles sühnen? ... Daß der Weg +mich in <em>die</em> Schlafstelle geführt hat — und gerade in <em>die</em>? +... Daß die Frau jung war — mit Flunkeraugen — und +daß sie immer <em>so</em> machte <i>(haucht mit spitzem Munde)</i>, wenn sie +hinten an mir vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': +»Was machen Sie da?« dann hat sie mich mit den blanken +Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den Tod nich +leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und +der Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und +kalt das Genick 'runterlief ... Ja, so kommt so was ... +Er war Schuster. Wie Ihr Vater ... Mit den Schustern<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> +hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja auch, was +'n Klopfstein is ... <i>(Zum Gerätschemel gehend)</i> Da liegt er ja! +<i>(Bringt den Stein.)</i> Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war +er — aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines +Tages abgefaßt hat — mit ihr — — und auf mich zugekommen +is, Messer in der Hand, da hab' ich gedacht: +was machen? Was hab' ich gemacht? <em>So!</em> <i>(Hebt den Stein +hoch)</i> ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze +hat gedauert, wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der +nu da lang lag, darum war mein Leben verdorben. Nu +sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, wenn der +Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu +Schanden geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden +kann er sich lecken ... Mehr kann er nich.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p> + +<p>Mein lieber Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p><em>Ihr</em> lieber Gott is nich <em>mein</em> lieber Gott. Sonst +ließ' er <em>das</em> nich zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die +ersten müssen gleich kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p> + +<p>Sie sollen <em>nicht</em> gehn, Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in flackernder Angst)</i></p> + +<p>Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts +mehr zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie +sollen dableiben. Ich setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie +den andern. Das trinken Sie aus und kümmern sich um +nichts.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, +desto mehr sind <em>die</em> von Ihrer Schuld überzeugt. +Und das darf nicht sein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn's nu aber doch wahr is?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und +mir weiß keiner was. Und wir halten reinen Mund. Wenn +<em>die</em> sehn, daß Sie keinem aus dem Wege gehn, dann wird +das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber nichts +gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... +Wissen Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste +Butterbrot brachte?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt voll Grauen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie +sich jetzt wegjagen lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr +Biegler. <i>(Hinaushorchend)</i> Ich glaube, Sie kommen schon. +Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, dem zeigen +Sie die Zähne.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p> + +<p>Ach ich — m — mir bl — eibt ja jedes Wort in der +Kehle.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr +Biegler, müssen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Und 's kann sein, wer's will? Ja?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(stutzend, dann stark)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, zagend)</i></p> + +<p>Na, is gut. <i>(Setzt sich auf seinen Platz zurück)</i></p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel.</span> <span class="gesperrt">Struve.</span><br /> +<span class="gesperrt">Drei andere Arbeiter</span><br /> +</p> + + +<p class="directive2">(Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den Schanktisch getreten +ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und setzen sich an den Tisch rechts)</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Glas Bier!</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mir auch.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Jedem eins.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Kiekt mal, wer da huckt!</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen +hat. Das ist doch extra für ihm hingebaut.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Der Mensch sitzt, wo er kann. — Laß ihm sitzen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(Bier bringend)</i></p> + +<p>Wohl bekomm's!</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Danke. <i>(Nach Biegler hinüber)</i> Jemütlich is anders. Prost! +<i>(Sie stoßen an)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(bringt auch Biegler ein Glas Bier)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wird der hier nu auch den Stammgast spielen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul +ihm mal 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt +mit meine eigenen Sorgen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wat vor Sorgen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es +macht Verjniegen, mit so 'ne Verantwortung in de Welt +rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine schleppen, denn +haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch 'n +Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen +deiner Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel +an dir tragen, oder so — dann wirst mal sehen, +wie so 'n Mann zu Mute ist.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche +Leben, der muß sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches +Schnappschloß. — Da brauchste bloß 'n paar gesunde +Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel krumm zu biegen,<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> +und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de +Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das +jar nich uf?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen —</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na — de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen +bei jeden freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe +handelt. Da kann dir kein Teckel an de Beene ... Des +is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste Beersenjeschäft ... +Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor haben? — +Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Jlickliche Reise. Prost.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige +Kerl, ick wette 'n Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen +könnte man 'rin und 'raus — wie de Schwalben.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er +wär's, dann wär' er noch nich 'raus.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes +Mittel anwenden. <i>(Sehr laut)</i> Fräulein! Wissen +Sie vielleicht die Adresse von 'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter Erwartung dagesessen +hat, wendet sich jäh um)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p> + +<p>Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da +kann mal leicht so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man +plötzlich mit Tode abjeht, man weiß nich, wie?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p> + +<p>Ich versteh' gar nich, was Sie meinen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes Stammeln hervor +und setzt sich wieder)</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Hat jesessen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu — die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre +blaue Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es +könnt' se ja einer fir Hausknechte halten. <i>(Lachen)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun +und was unternehmen beim Alten, — damit er auf'm +Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es wird nötig.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen +mit so 'n plundrigen Kerl.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die +Stiebeln ab; — da hab' ich auch kein Erbarmen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob er sprechen +solle, wagt es aber nicht mehr)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Warum steht er denn nich auf und —</p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere +Steinmetzen</span> (in Feierabendkleidung) +</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(auf den Tisch der Arbeiter weisend)</p> + +<p>Da <em>sitzt</em> se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's +wohl nich eilig genug mit eurem Feierabend — was?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wieso denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, +habt ihr auf Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Nu, der hängt doch im Flaschenzug.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Aber locker hängt er.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. +Wenn der Alte Überstunden zahlen will, gehn wir gleich +noch mal 'ran.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Husten wird er euch was.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid +ihr verantwortlich. <i>(Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, +wenn die Steinmetzen kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die Bier bringt, eilig, ängstlich)</p> + +<p>Hier is, bitte, hier is schon alles.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, +wie der Kerl — der — <i>(Biegler erkennend)</i> Herrgott, wer sitzt +denn da?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rasch)</i></p> + +<p>Ach, kümmer dich nicht um den.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die +Herren! <span class="antiqua">Per Bacco</span>, is mir mollig. Ganz fingrig is mir +zu Mute. Wollt ihr was hören? Natürlich, ihr wollt +immer was hören. Lore, bring mal — bringen Sie mal +die Seufzerkiste.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Jawohl. <i>(Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm)</i></p> + +<p class="actor"><b>Ein Steinmetz</b></p> + +<p>Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. +Ahnste weswegen?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(während er die Mandoline stimmt)</p> + +<p>Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal +können sich Ereignisse vorbereiten — die Welt is eben 'n +Affenkäfig.</p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Der alte Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(angezogen wie im ersten Akt)</p> + +<p>Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten +Gesellschaft.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So in Jala, Papa Eichholz?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen +und habe mir angetan im Schmucke sämtlicher +Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir mal sehn, ob +ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Was hast du vor, Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf +Ehr' und Jewissen: Wer is der Kerl? Was is der +Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen Zustande +mir sollte — <i>(bemerkt Biegler)</i> was — was — was — was is +denn das? Is das —?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum +Platz gehört. Weißt du das nich?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p> + +<p>Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein +eigenes Nest 'reinschmutzen, aber wenn du willst mein +Fleisch und Blut sein — <i>(in ausbrechender Wut)</i> Kerl, dir werd' +ich platt schmeißen! Dir bind' ich 'n Mühlstein um'n +Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du blutiger +Hund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(gequält)</i></p> + +<p>Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? +Ich denk', nu is genug.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p> + +<p>Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine +fang keinen Zank an. Sonst mußt du 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Hat sie ganz recht.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Jawohl. Ich geh' schon. — Ich werde schon in geeignete +Erfahrung bringen, wer, wer <i>(mit geballter Faust)</i> und +wer Blut vergießt, deß — Blut — muß — — ich geh' +schon, ich geh' schon. Guten Abend, die hochgeehrte Gesellschaft. +<i>(Ab)</i></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise zu Lore)</i></p> + +<p>Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(wendet sich ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(verbissen)</i></p> + +<p>Sieh mal an! <i>(Kehrt auf seinen Platz zurück)</i> Na, lassen wir +uns nich die Laune verderben. <i>(Ergreift die Mandoline, in +neuem Argwohn)</i> Freilich, wissen möchte man doch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Halt bloß Ruhe, Eduard.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b></p> + +<p class="directive2">(die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(an der Mandoline zupfend)</i></p> + +<p>Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne +Menge schöne Lieder, die mir die schönen Weiber dort +unten in schönen Stunden beigebracht haben ... denn die +Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', Kinder! +Wenn man da nich feste 'ranjeht! <i>(Beiläufig, herablassend)</i> +Ach, bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein +Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß +mit mir war. Ja, mein geliebter Sohn, Glück bei den +Weibsleuten muß der Mensch haben. Das is der Ausschlag +beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, danke, +danke, danke! <i>(Singt und spielt)</i> »<span class="antiqua">Vè quà una giardiniera, si +chiama Luisella, da sovra all'Arenella</span>« — <i>(Abbrechend)</i> Sagt +mal, Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung +mal so euer Chef würde hier auf diesem Steinmetzplatz?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Was is das wieder für 'n fauler Witz?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. +Wenn ich da Jimm drauf hätte. Die Puckligen sind zwar<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span> +nich gerade mein Jeschmack, aber wenn so 'n schönes Jeschäft +dran hängt, kann man ja auch mal beide Augen zumachen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des Entsetzens aus)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(halblaut)</i></p> + +<p>Is 'n Mensch wie 'n Vieh.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch hinüber)</p> + +<p>Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wir sind ja ganz still.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. <i>(Da Lore, den +Kopf in den Händen, noch einmal aufstöhnt)</i> Was ist denn hier los? +Was? Was? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, zaghaft, als traue +er seinen erwachenden Kräften nicht)</p> + +<p>Du Schuft! Du Schuft! — Du Schuft!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(fassungslos vor Erstaunen)</i></p> + +<p>Was will das Gewächse da?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Du ganz erbärmlicher Schuft!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(Humor heuchelnd)</i></p> + +<p>Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus +quetschen? Nehmt mir das nicht übel, aber die Handvoll, +das lohnt mir nich. Außerdem bin ich's als Steinmetz +mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem — Prost!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(heiser)</i></p> + +<p>Was du bist, bin ich noch alle Tage.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell +is, kann ich's besser.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(aufspringend)</i></p> + +<p>Du warst das selber, du verfluchter —?</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(halten ihn fest)</i></p> + +<p>Ruhig, ruhig, ruhig.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber das is Nebensache. <i>(Auf Lore weisend)</i> Da — da +— wer steht da? — Der sagst du <em>das</em> ins Gesicht? — +Jeder weiß, daß sie 'n Kind von dir hat. Zum Dank +verhunzen tust du sie — schuriegeln tust du sie ... Wirst +sie — wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? +Du nichtswürdiger Schuft! Du!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(der sich zu befreien sucht)</i></p> + +<p>Nu laßt doch los. — Is bloß 'n Floh, der ganze +Kerl, aber das kost't ihm das Leben. <i>(Reißt sich los und zieht +den Dolch heraus)</i> Los sag' ich, oder —</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(weichen erschrocken zurück)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, +weil alle anderen Angst haben? — Kraft hab' ich keine, +Haut und Knochen bin ich vom langen Hungern, aber — +<i>(er hat den Klopfstein ergriffen, der auf dem Schanktisch liegen geblieben +ist, und hebt ihn hoch)</i> — <em>mit so 'nem Schusterstein hab' ich +schon einen erschlagen! Mit so 'nem Schusterstein +hab' ich schon</em> — — <i>(große Bewegung)</i> Nu komm mal 'ran, +wenn du willst. Komm mal 'ran — komm mal 'ran! <i>(Dringt +auf Göttlingk ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(erschrocken zurückweichend)</i></p> + +<p>Na, na, na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Komm 'ran — oder 'raus da — 'raus da. —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p><i>(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(der ihm gefolgt ist)</i></p> + +<p>'raus da! 'raus da!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das werd' ich dir — gedenken. — <i>(Rettet sich durch die +rasch geöffnete Tür)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er sieht verständnislos +noch einmal um sich, sieht Lore, die schluchzend, mit verhülltem +Gesicht, abgewandt dasteht, sieht die blassen, entsetzten Gesichter und +murmelt, wie wenn er langsam zu sich käme)</p> + +<p>Was is denn? Was war denn? Was —? <i>(Sein Gesicht +verändert sich, er kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl +zusammensinken, rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier +aus, setzt seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür +zurück; — sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die +ihn regungslos Anstarrenden — und geht hinaus)</i></p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br /> +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span></p> + + + + +<h2>Vierter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den +Häusern des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, +der sich allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem +Fenster der Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach +vollendeter Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. +Beim Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher +Biergartenmusik</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre rauchend)</p> + +<p>Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Eben sang sie doch noch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben +mit ihrem Bumbum.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach, ich hör's gerne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so +schön weitab is vom eigenen Leben ... Da sitzen nu die<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span> +Menschen in Haufen, stoßen sich, ärgern sich, beneiden sich, +begehren sich, und fünf aufgequollene Trompeter machen +Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe +Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der +verfluchten Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber +auch <em>gar nichts</em> von ihr wissen wollen. ... Was guckste +denn immer nach der Lore ihrem Fenster 'rüber?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei +ihr gewesen. Seit seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich +kommt er — Abends um neune — von da oben — die +Treppe 'runter.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen +gehabt hat. Aber so käseweiß brauchst du darum doch +auch nich zu werden, wenn er nu wirklich mal hinter dir +auftaucht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schweratmend)</i></p> + +<p>Denk doch, was das für die Lore bedeutet.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt +dich nich so 'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. +Nich mitmachen wollen. Das zehrt dann am<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span> +eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut — und +jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>O, das freilich. Aber — gestern muß was passiert +sein bei der Lore drin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So? Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Zwischen dem Nachtwächter und — und — Göttlingk.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Wieso?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert +hat. Deshalb hab' ich gestern schon den Eichholz +'rausgeschmissen. Das alte Vieh war ganz rabiat. Irgendwas +bereitet sich vor gegen den Biegler. Und schließlich +werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den — +<i>(Schnalzt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. +Viel was Schlimmeres.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm +genug ... Von wem weißt du's denn? Von der Lore?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht +mir heut aus dem Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span> +macht immerzu Andeutungen. Aber was Rechtes kriegt +man auch aus <em>der</em> nich 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. +Da wollen wir doch mal gleich — <i>(Klingelt)</i></p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Frau Homeyer</span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(eine Windlampe in der Hand)</p> + +<p>Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... +Nein, so im Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln +gesessen?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann — der nimmt +sich dann so leicht was 'raus —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und mit 'n alten Mann — das lohnt nich.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Aber, Herr —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der +Lore gewesen?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben doch meiner Tochter erzählt —</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem +Fräulein? Und gerade dem Fräulein? I, da müßt' +ich — <i>(Nimmt das Tischzeug zusammen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber Frau Homeyer —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Was heißt das: <em>Gerade</em> dem Fräulein?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin +sein. Und ich bin im Gegenteil immer höchst zurückhaltend +... Da bin ich bekannt für. Da können Sie alle +Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse +lesen ... Und da soll ich mir gerade <em>hier</em> die Zunge bei +verbrennen? ... Das kann Ihnen wer anders erzählen, +Fräulein. Und dann müssen sich auch nichts draus machen. +... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg ... +Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is +immer noch das Beste für 'n ältliches Mädchen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ja, was hab' <em>ich</em> aber mit dem allen zu tun, Frau +Homeyer?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat <em>manchmal</em> +mit was nich zu tun, und kommt <em>doch</em> ins Gerede ...<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span> +Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich das freilich nicht gedacht. +Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen <i>(verschämt)</i> +immer so zutraulich — und, wie gesagt, Kavelier. Aber +da könnte ja jeder kommen und — ach, bitte das Sahnentöpfchen +— und behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, +da könnt' er Herr sein auf diesem Steinmetzplatz. +Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was? Was? Was is das?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz +unbesorgt sein, Fräulein, das —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Halt! Stopp! 'raus! Weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Aber Herr —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Weg, weg, weg, weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja, ja, Herrgott!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(mit dem Tablette ins Innere ab)</p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, +Mariechen. Bittst mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span> +austapezieren ... Und da traut sich der Kerl überhaupt +noch hierher? — Da wollen wir mal gleich — — <i>(steht auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)</p> + +<p>Nein, Vater, nein!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was — nein? Und wie siehste denn aus? — Ganz +überird'sch!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in hilflosem Bekennen)</i></p> + +<p>Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(nach einem Schweigen hinter sie tretend)</p> + +<p>Miezelchen! <i>(Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise)</i> Haben +sie dir 's Geheimfach aufgebrochen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufschluchzend)</i></p> + +<p>Nicht ansehn! Nicht ansehn! <i>(Verbirgt das Gesicht in +seinem Rock)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sie streichelnd)</i></p> + +<p>Also <em>das</em> war's? Und was du da drinnen verschlossen +hieltst, das wird dir nu da — <i>(weist zur Kantine)</i> Ja, wie +geht denn das zu?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(von Schluchzen geschüttelt)</i></p> + +<p>Weiß nicht! Weiß nicht!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, nu laß doch mal meinen Rock los!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(verbirgt das Gesicht um so fester)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst +mich gar nich ansehn? Möchtst das Tageslicht nich mehr +sehn? Möchtst dir womöglich das Leben nehmen noch +diese Nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt heftig)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht und streichelt sie)</i></p> + +<p>Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen +muß, dem 'n Stern vom Himmel 'runterfällt. <i>(Zum Himmel +weisend)</i> Kiek mal hoch! ... Kannst noch nich? Da sind +schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie stehn +da wie für die Ewigkeit. <em>Und sie fallen alle.</em> Aber +darum werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, +denen sie als Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... +Die Jugend verliert sich zuerst, aber unser Blick wird +um so heller ... Die Freunde zerkrümeln sich, aber unsere +Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, jeder +Gedanke — jeder Hund — jeder Stein ... Na — und +die Liebe? — Dem einen fällt sie in den Schmutz — wie +dir, dem anderen zerreibt sie der Alltag; — rasch oder +langsam, es is immer dasselbe, — aber vor der Tür lauern +schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, und +die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott +wird uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere +Herzen schlagen kräftiger ... Kindchen, 's wird noch 'n +büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham brennt ... +Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. +Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein +Recht war und ist, dich liebzuhaben und dir zu sagen: +Halt still ... Die Stillen sind die Klugen ... Und nur +wer von der Welt <em>weit, weit</em> ab is, der hat sie ganz.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich aufrichtend)</i></p> + +<p>Vaterchen, hast du das immer gedacht?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die +Kranken und die Alten. Aber die, welche die Jungen und +die Gesunden sich zurechtmachen, is auch nischt wert ... +Na — nu schmunzelst du ja wieder —.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schluchzt kurz auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die +Tür hat schon 'n paarmal geklappt. <i>(Weist nach der Kantine)</i> +Da traut sich einer nich an die frische Luft, eh' wir nich +verduftet sind.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Die arme Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nja. Na, komm. <i>(Beide ins Haus ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk.</span> <span class="gesperrt">Lore</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Scht! Du, Göttlingk! — Sie sind weg!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(heraustretend)</i></p> + +<p>Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt — +gewisse Leute in den Weg gerannt wären — — na! Also +übers Aufgebot reden wir noch, Lore!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)</p> + +<p>Wie du willst, Eduard.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden +Quetsche. Mein Handwerkszeug bringt mir morgen +der Vater und — ja, richtig! Die Mandoline gib mir +doch noch mit.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verschwindet)</i></p> + +<p class="directive2">(Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die Gestalt +Zarnckes wird dahinter sichtbar)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Is das nich der Alte da oben?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, der schläft da.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. <i>(Das Rouleau +wird herabgelassen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bringt die Mandoline)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Vater, es wäre wohl besser, du — —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(scheltend)</i></p> + +<p>Was heißt das? Was hast du —?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Nu laß doch Vater! ... <i>(Reicht ihr die Hand)</i> Gute +Nacht! — <i>(Da sie in der Türe stehen bleibt)</i> Nu geh nur! +Geh nur!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Gute Nacht. <i>(Ab, die Türe hinter sich schließend)</i></p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na — und nu? ... Wir haben drin nich ausreden +können, weil uns die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie +denkst du nu über 'ne gute Streckschicht für den Kerl?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich +bin ein zuverlässiger Mann jewesen und ein —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, +sie haben mir den höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, +den haben sie mir —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund +kommt, dann stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen +Brust.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na und dann?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, +hab' ich gesagt, es gibt — ein Unglück.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, mit's Maulwerk.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>So? ... <i>(Zögernd)</i> Du, und was is denn mit dem — +Block?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(lauernd)</i></p> + +<p>Was für 'n Block?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wo du vorhin von sprachst.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er +bloß auf der Kippe. Verstehste? Eine Holzsteife — die +kann 'n Kind wegschlagen. — Und geht dann einer die +Treppe 'rauf — <em>muß</em> er die Treppe 'rauf?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr +aufgestellt. —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Daß da man kein Malheur passiert!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(argwöhnisch, will nicht verstehn)</p> + +<p>Warum soll — da gleich — 'n Malheur passieren?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ach so! ... Scht! Is er das nich? <i>(Man hört rechts das +Schließen einer Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leiser)</i></p> + +<p>Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... +Kann man da oben irgendwo 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Durch die kleine Tür. Immerzu.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(ihn nach dem Hintergrunde ziehend)</p> + +<p>Na denn komm!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Warum nich hier durchs Tor?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu +stehn. — Komm! <i>(Auf einer mittleren Treppenstufe hält er inne)</i> Scht!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Er schließt noch das Sägewerk.</p> + +<p class="directive2">(Beide verschwinden links oben. — Während rechts eine schwere Tür zugeschlossen +wird, hört man oben das leise Klirren der Flaschenzugketten. +Dann Stille. Während der folgenden Szene geht der Mond auf)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Struve</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre umgehängt, erscheint +rechts vorne und geht an dem erleuchteten Kantinenfenster vorbei, +dann revidiert er das Schloß des Magazins und will zur Tür des Wohnhauses +hinüber)</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b> <i>(vom Haustor her)</i></p> + +<p>He! Scht! Nachtwächter! Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer is da?</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>'n guter Freund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' keine guten Freunde.</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>Struve is da.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Struve kann bei Tage kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is denn? <i>(Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich +drehen. Dann erscheint er zusammen mit Struve)</i> Na?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Fsch! Drinne wär' mer ja nu.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Also was willst du?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. +Ick hab' 'n Amt hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! +... Da muß ick mir iberfihren können bei Tag und bei +Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen vor +lauter Ehrjefihl. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Det sagste so in deinen Jemiete. — Aber wenn du +eines Morjens nicht mehr dabist —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wieso?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns +haben se doch aus denselben Suppentopp jeangelt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p> + +<p>Ach so!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier +<em>nu doch</em>!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Das bin ich mir klar.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen +noch ne jroße Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> +derfen. Bloß, daß se morjen früh zum Alten jehn +werden, das hab' ich noch —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in bitterer Erregung)</i></p> + +<p>Und meinen Austritt fordern?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran +abzählen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen, verzweifelt)</i></p> + +<p>Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir — nich +vorher schon dinne machen wolltst. — Und darum bin ick +eben auch 'n bisken dahinter jewesen. Deiwel auch! Wenn +man so die Verantwortung hat.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wofür? Für mich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne — aber — <i>(macht Zeichen nach dem Magazin hin)</i> vor +— — Ick kenn' doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen +die loofen doch jewissermaßen hinter einen her. Janz von +selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann man jar +nischt vor.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was denn? Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen +da muß man eben 'n Freind haben. Mann mit<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span> +Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken ins Jewissen +redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und +— — was? Wie sagste?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit einem kurzen Lachen)</i></p> + +<p>Ich sag' jar nischt.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, nu mal unter uns! — Wenn du — und du jehst +hier weg, wo wirschte denn nu hinmachen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer kann das wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu, setz dir mal bisken hier dal! <i>(Zieht ihn auf den vordersten +Block)</i> Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. +Ick bin Verdrauensperson. Und so. — Aber <em>zu</em> viel Ehre +kann der Mensch auch nich verdragen. Des drickt aufs +Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe — +jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n +bisken klietrig bist — weißte! — — na? — Wollen wir +zusammen uf de Fahrt steigen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was? Du und ich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ja. Mit <em>die</em> Ansichten, wo wir beide vons +menschliche Leben haben — die <em>haben</em> wir nu mal! Die +kann uns keiner nehmen. Die einen wälzen sich in'n Jolde, +wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. Tagsüber +sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen +wir uns 'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> +ewig 'n krummen Puckel machen und dir sauer anhauchen +lassen und wirscht doch nie mehr im Leben, wat die +andern sind!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Mensch! Da haste recht!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß +<em>einem</em> Jehorsam schuldig, — das is der Meilenzeiger +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)</p> + +<p>Gut! Wann willst du — losjehn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung)</i></p> + +<p>Ich muß doch erst — mit ihm — reden ... Muß +doch kündigen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? +Und noch eins sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n +tück'sches Luder. Der verjeßt dir die Blamasche nich. Da +kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, jleich, +noch auf'n nichternen Magen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, entschlossen)</i></p> + +<p>Mir is alles egal.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, +da stempelt dir 'n jewesener Oberjeheimrat de piksten +Flebben noch heite nacht. Und denn — wat willste mit +'n Zeichnisbuch? — Et steht ja woll jeschrieben: »Ehrlich +währt am längsten« — aber 'n tichtiger Spitzbube fährt +mit vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! +Die schabt sich ab wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da +droppt dir ewig de Nese von wie bei'n kleinen Swienegel +... Bloß natirlich — 'n jewisses Anlagekapital — +det missen wir haben.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wozu? Woher?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Det brauchste überall. — Ohne 'n Parchentlappen +kannste nich uf de Flohjagd. — Willste lernen Jold machen? +Kleinigkeit! Aber natirlich — wenn de keinen Dukaten +<em>hast</em>, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. Siehste! +Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja +nich wie bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen +— und so — is ja alles da.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Aber Mensch! — Bejreifst de denn noch immer nich?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was denn? Na was denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und +frag nich immer so glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. +Da kann man doch nischt machen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was? Was? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(zaudernd, verlegen)</i></p> + +<p>Na — de — de — Diamanten.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die willst du am Ende —?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n +janz reelles Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle +nich mehr. Sonst blamiert er sich. Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu +Hause.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Du bist wohl 'n Schlamassel?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich muß jetzt elfe abpfeifen. <i>(Wild)</i> Jeh, oder ich +pack' dir ins Jenick.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na — denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr +in dir entteischt. Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! +... Äh! Is nischt mehr los mit's menschliche +Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.</p> + +<p class="directive2">(Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span></p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)</p> + +<p>Vater, bist du's?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich bin's, Fräulein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(freudig aufschreckend)</i></p> + +<p>Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn +mit — mit — noch einem?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach — 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen +— ja?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... +das heißt wenn Sie mir danken wollen etwa —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß +Gott, Herr Biegler, ich wollt' Ihnen so gerne helfen. +Das war meine einzigste Absicht. Statt dessen haben Sie +mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß +nicht aus, nicht ein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is denn nu?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Er — war — eben da.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Oder will er noch immer nich?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... +In Arbeit kommt er nich mehr zurück.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>So? Ei, ei!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das kann ihm ja nich fehlen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? — +Man hungert, man hungert nach seinem Glück, jahrelang +— und wie man's endlich hat — <em>so</em>, zwischen seinen +zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, da +<em>will</em> man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is +man. Satt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer satt is, soll nich essen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das +is doch Wahnsinn. Da drin schläft doch mein Lenchen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt, verbissen)</i></p> + +<p>Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem +Schoß zu halten.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is +Sünde.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins +Unglück stürzt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Das sagen Sie heute, und gestern — haben Sie +Stellung und alles — haben Sie hingegeben — bloß —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Gott weiß, wie alles kommt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts +mehr. Ich laure bloß immer: Was für 'n Hintergedanken +hat er nu? Mit Vater hat er im Winkel gesessen, weit +weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da die +Rede von — Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu +hebt mich die Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes +einredet.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wem kann der alte Mann denn was tun?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, +was soll ich? Ich kann ja nich mehr los von ihm. Ich +bin jahrelang wie sein Hund zu ihm gewesen. Ich kann +ja nich mehr los von ihm.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie nich <em>können</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie +können, was Sie wollen! Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen +Zeit. Ich will <em>nich</em> bald wieder auf 'ner dreckigen +Pritsche liegen, Pennbruder rechts, Pennbruder links — +wenn nichts Schlimmeres — und mir die Augen aus dem +Kopf brennen vor — — <em>und muß doch</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. +Zu Ihresgleichen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das <em>is</em> meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich +nich. — Da <em>gehör'</em> ich hin ... Aus <em>der</em> Welt, wo Sie +sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, da is Krätze und +Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, +weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine +ewige Seligkeit um ein gefälschtes Stück Attest.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber noch sind Sie doch hier.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' +ich weg.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber warum denn? Warten Sie doch ab!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts +Böses. — Ich geh' auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem +eigenen Munde wissen, was für einer ich bin, nich einen +Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner Traum gewesen. +Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich +schon sehr ... Ja, <em>die Nächte</em>, wenn der Mondschein +überall auf den Blöcken liegt ... Da — sehn Sie, +da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts +wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und +hab' <em>einen</em> gestreichelt und den <em>andern</em> gestreichelt und +hab' gedacht: »Wer wird dich mal behauen — der Glückliche!« +... Und wenn dann erst alles ganz still wird +— ringsum auf den Straßen, — dann sitzt man mitten +in der Welt wie in einem schönen, warmen Mantel — +ganz ruhig und ganz — — ich sagt's Ihnen schon gestern +— aber das kommt erst viel später gegen Mor — — <i>(Hält +lauschend in ängstlicher Spannung inne)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was is?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang — scheinbar +sich entfernend)</p> + +<p>Horchen Sie! Horchen Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was +is denn dabei?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die +ziehen hier in die Runde — von elfe ab — immer ums +Straßenkarree 'rum — bis gegen Morgen. <i>(In Angst)</i> Solang +ich die lachen hör', da —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise, geheimnisvoll)</i></p> + +<p>Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch +so 'rum.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Woher wissen Sie das?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' — sie — getroffen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Hier draußen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... +Wenn sie mich gesehn hätt' — ich hab' mich bloß geschämt, +weil ich so abgerissen war, sonst — weiß Gott, was ich +jetzt schon wär' ... <i>(Er schaudert)</i> Ja, der Hunger kann viel ... +Na — werden ja sehn!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschüttert)</i></p> + +<p>Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, +Sie und der komische alte Mann da drin. Von jetzt +ab hält mir keiner mehr die Stange hin. Aber gedenken<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> +werd' ich's Ihnen — bis — ... Fräulein Lore, es is mein +letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch nich +gemacht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sich ängstlich umschauend)</i></p> + +<p>Ach — noch — noch — Wenn ich bloß wüßte, wo er +Vater hingeschleppt hat ... Ich kann die Angst nich los +werden, daß, daß — —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na, was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht — +dort — ja?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie +nich ins Finstre — nein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(kurz auflachend)</i></p> + +<p>Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern +grault. Und heut bin ich noch einer ... Heut bin ich +noch Mensch ... Morgen munter — wieder 'runter — in +den Morast ... <i>(Streckt in tiefer Bewegung die Hand gegen sie aus)</i> +Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne die Hand zu nehmen)</i></p> + +<p>Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... +Schließlich, wenn's Ihnen die andern verzeihen, warum +<em>müssen</em> Sie denn durchaus weg?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer wird <em>mir</em> verzeihen? ... Die Steinmetzen haben +ja schon beraten, daß sie morgen zum Alten gehen werden +— und —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nu ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>— und —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch +gar nich ...?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is da viel zu wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, die Steinmetzen <em>wollen</em> morgen zum +Alten gehn — das is richtig, aber nicht darum, was <em>Sie</em> +glauben, sondern weil sie ihm sagen wollen, daß sie gerne +mit Ihnen zusammenarbeiten werden.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verständnislos)</i></p> + +<p>Die Steinmetzen — wollen — dem Al—</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach +sind, und weil Ihr Auftreten gestern ihnen so gut gefallen +hat, darum soll Ihr Privatleben keinen mehr was angehn, +haben sie gesagt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die Steinmetzen wollen — die Steinmetzen wollen +— die Steinm— — — Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen +wollen — ja, warum haben Sie mir das nich schon +früher gesagt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... +Sie gehen auf alle Fälle.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn die Steinmetzen <em>wollen</em>, warum soll <em>ich</em> +denn —? Wenn ich wieder — ich soll wieder Krönel +und Scharriereisen in die Hand nehmen? ... Ich soll +wieder die blaue Schürze — umbinden — dürfen? Ich +soll — soll — soll — wieder die blaue Schürze ... <i>(Heimlich, +leise, in Angst)</i> Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. +— Aber — <i>(Legt die Hand auf die Lippen)</i> Ich hab' nämlich manchmal +solche Anfälle gehabt <i>(wischt sich über die Stirn)</i> in der Anstalt +... Das find't man dort sehr oft ... Sind Sie ganz +sicher, daß Sie das eben gesagt haben, daß die Steinmetzen +— morgen — dem Alten —?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber Herr Biegler, ja, ja!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Und Sie glauben auch, es kann — nichts mehr — +dazwischenkommen — bis morgen?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was sollt' denn das sein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern — oder +daß der Alte sagt: »Nein« — oder daß mir 'n Stein auf'n +Kopf fällt — oder, was weiß ich?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)</p> + +<p>Stein auf'n —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich +bin immer 'n tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab'<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> +schon zwei Preise gekriegt ... Ich bin mal vor der +ganzen Innung — bin ich öffentlich belobt worden ... +Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon +acht Mark fünfzig pro Tag verdient ... Ich versteh' auch +gut in Granit zu arbeiten. Profile und Alles ... Granit, +das wissen Sie ja, das ist das Härteste ... Dabei scheint +es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem geradezu +aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... +da muß man — da muß man — <i>(vom Glücke überwältigt)</i> Die +Steinmetzen — wollen — mit mir — — <i>(sinkt lachend und +schluchzend auf die Bank, das Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise)</i> +arbeiten — mit mir — arbeiten — —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)</p> + +<p>Ach Gott! <i>(um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich)</i> Herr +Biegler! ... Herr Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zu sich kommend)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock — meine +Pfeife? ... Ich bin ganz, ganz ... die Kontrolluhren +hab' ich auch noch nich gestochen! — Heut darf ich nichts +versäumen, sonst ... Hahaha — hahahaha! Adieu, Fräulein +Lore. Ich komm' bald wieder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Runde machen — nach oben — die Treppe 'rauf ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst +vor dem Block?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in wachsender Angst)</i></p> + +<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen +auf Ihr künftiges Leben — wenn Sie den Krönel wirklich +noch mal führen wollen — wenn Sie — ... <em>Mein Kind</em> +hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat Ihnen +Glück gebracht — darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie +wo anders, aber da <em>nicht</em>!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe +haben —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>J, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was +will! Mir tut keiner mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(entschlossen)</i></p> + +<p>Dann komm' ich mit.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ruft hinauf)</i></p> + +<p>Is da einer oben? <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na sehn Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann +fassen Sie mich mal um den Leib. Ganz fest.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)</p> + +<p>So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann +wollen wir doch mal sehen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholzens Stimme</b> <i>(von oben)</i></p> + +<p>Wirste weg da, du —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p> + +<p>Scht!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nanu! Was is denn <em>das</em>? <i>(Er reißt sich los und springt +blitzschnell die Treppenstufen hinan. — In demselben Augenblicke stürzt +dicht hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und +zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das ängstliche +Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, sinnlos vor Angst, +in das Dunkel hinauf)</p> + +<p>Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' +dich an. Ich zeig' dich an.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p> + +<p>Schrei nich, du Frauenzimmer! <i>(Man sieht seine Gestalt nach +links hin flüchten und verschwinden)</i></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz.</span> Später <span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span> +<span class="gesperrt">Frau Homeyer.</span> <span class="gesperrt">Zwei Dienstmädchen</span></p> + +<p class="actor"><b>Stimmen von der Straße her</b> <i>(durcheinander)</i></p> + +<p>Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord +und Totschlag ... Macht doch mal auf! ... Aufmachen! — +<i>(Man rüttelt am Tor)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(führt unterdessen den Alten die Treppe herab)</p> + +<p>Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. — Vorsicht! —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(betrunken weinend)</i></p> + +<p>Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ihnen entgegen)</i></p> + +<p>Um Gottes willen, Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore und ruft nach +links hinübergehend atemlos)</p> + +<p>Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. +Weiter nichts ... Weiter is nichts. —</p> + +<p class="actor"><b>Die Stimmen</b> <i>(durcheinander)</i></p> + +<p>Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen +mal nachsehen.. Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! +<i>(Pfiffe. Gelächter. Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich niedersetzt, +derweilen weitergranzend)</p> + +<p>Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs +Schafott.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die Glastür +geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon hinaus)</p> + +<p>Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit flehender Gebärde zu Biegler hin)</p> + +<p>Ach bitte, bitte!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bekomm' ich keine Antwort?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(nach Atem ringend, mit zitternder Stimme)</p> + +<p>Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe +is vom Stapel gefallen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie hat denn das passieren können?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben +sich wohl die Ketten gelockert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich +verletzt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe)</p> + +<p>Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber +schlimm is es nicht, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na wenn's weiter nichts is.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(wird allmählich still)</i></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei Mägden hinter +sich auf die Veranda hinausgetreten)</p> + +<p>O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur +passiert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(herunterrufend)</i></p> + +<p>Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die während des Vorigen in dem — gleichfalls erhellten — Fenster des +Wohnzimmers erschienen ist)</p> + +<p>Du, Lore, komm mal her zu mir.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(geht zu ihr)</i></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(derweilen)</i></p> + +<p>Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore +gewesen. Da möcht' ich jeden heiligen Eid drauf schwören.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wird's bald?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(mit den Mägden ab)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Was schriest du da vorhin? Und zu wem?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bebend)</i></p> + +<p>Ich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ich war wach. Mich täuschst du nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können +wir uns morgen besehn. Das heißt, dem Willig werd' +ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig erschreckt, +Biegler — was?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(noch immer zitternd in Erregung)</p> + +<p>Ach — nich sehr — Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na denn: Gute Nacht, Kinder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Gute Nacht, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit +gestern.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber doch nur Gutes?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p> + +<p>Ja. Weiß Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in wehmütiger Güte)</i></p> + +<p>Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schließt das Fenster. Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span></p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="directive2">(Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße haben sich +allmählich verloren. Mitternachtsstille)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, auf die +Bank und atmet schwer)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil +geblieben? Is Ihnen auch nichts geschehn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich muß mich bloß — 'n bißchen verschnaufen ... +ich bin ganz ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da +nichts getan?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen +Dreikantigen zu ziehn. — Na, kommen Sie noch immer +nich los von ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit einer wilden Gebärde des Befreitseins)</p> + +<p>Ach!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Dem sein Hund sind Sie <em>gewesen</em>, scheint mir.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Und meinen alten Vater so zu — der Schuft! ... +Vater! Du mußt zu Bett gehn, Vater!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(antwortet nicht, atmet tief im Schlafe)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott! — Nu sehn Sie bloß!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schläft er am Ende?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p><em>Dem</em> werden Sie doch nichts nachtragen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was, Fräulein Lore?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich kann nichts sagen — mir ist das Herz so — ich +kann nicht ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber die Hand können Sie mir geben. <i>(Streckt ihr die +Hand entgegen)</i> Wenn die nu wieder rein wird, dann sind +Sie schuld.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(weist kopfschüttelnd nach dem Balkon)</p> + +<p>Unser Alterchen da oben is schuld.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(seine Hand in der ihren)</i></p> + +<p>Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... +Scht! ... Schlägt's da nich zwölfe? <i>(Man hört die ferne</i><span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> +<i>Turmuhr schlagen)</i> Wahrhaftig! Nu muß ich aber wirklich +mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja gar +nich wert, daß ... <i>(Lacht leise und glücklich)</i> Gute Nacht, Fräulein +Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(am Fuß der Stufen)</i></p> + +<p>Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p><em>Der</em> kommt nie wieder. —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(von den Stufen her)</i></p> + +<p>Gute Nacht!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verschwindet nach rechts)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, +Vater. <i>(Der Alte rührt sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen)</i> +Vater, hörst du, wie er pfeift? <i>(Biegler pfeift — wieder von weiter +her)</i> Vater, das Glück pfeift! Das Glück pfeift! <i>(Sie sinkt +schluchzend vor dem Alten nieder, das Gesicht an seinem Knie verbergend. +Der Alte schläft fort. — Das Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er +sich entfernt)</i></p> + +<p class="directive2">(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt langsam</span>)</p> + +<div class="figcenter" style="width: 100px;"> +<img src="images/162_deco.png" width="100" height="43" alt="" /> +</div> + + +<div class="transnote pagebreak"> +<h2>Anmerkungen zur Transkription</h2> + +Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen +gebräuchlich waren, wie: + +<ul class="index"> +<li>anderen — andern</li> +<li>besehen — besehn</li> +<li>danach — darnach</li> +<li>Gehen — Gehn</li> +<li>sehen — sehn</li> +</ul> + + +Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. +Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: + +<ul class="index"> +<li>S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert.</li> +<li>S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert.</li> +<li>S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert.</li> +<li>S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert.</li> +<li>S. 130 »umso« in »um so« geändert.</li> +<li>S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert.</li> +</ul> + +</div> + +<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 62132 ***</div> +</body> +</html> diff --git a/62132-8.txt b/old/62132-8.txt index 9b7ff47..7647dc9 100644 --- a/62132-8.txt +++ b/old/62132-8.txt @@ -1,7331 +1,7331 @@ -The Project Gutenberg EBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann
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-
-Title: Stein unter Steinen
-
-Author: Hermann Sudermann
-
-Release Date: May 14, 2020 [EBook #62132]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***
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-Produced by Peter Becker and the Online Distributed
-Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was
-produced from images generously made available by The
-Internet Archive)
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- | Anmerkungen zur Transkription |
- | |
- | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Fettschrift als |
- | ·fett·, und Antiquaschrift als ~Antiqua~. |
- | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. |
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-Stein unter Steinen
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-
- Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger
- Stuttgart und Berlin
-
-
- Hermann Sudermann:
-
-
- Geheftet
-
- ·Im Zwielicht.· Zwanglose Geschichten. 30. Aufl. M. 2.--
-
- ·Frau Sorge.· Roman. 83. bis 87. Auflage M. 3.50
-
- ·Geschwister.· Zwei Novellen. 27. Auflage M. 3.50
-
- ·Der Katzensteg.· Roman. 61. bis 65. Auflage M. 3.50
-
- ·Jolanthes Hochzeit.· Erzählung. 27. Auflage M. 2.--
-
- ·Es war.· Roman. 38. Auflage M. 5.--
-
- ·Die Ehre.· Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage M. 2.--
-
- ·Sodoms Ende.· Drama in 5 Akten. 23. Auflage M. 2.--
-
- ·Heimat.· Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage M. 3.--
-
- ·Die Schmetterlingsschlacht.· Komödie in 4 Akten
- 9. Auflage M. 2.--
-
- ·Das Glück im Winkel.· Schauspiel in 3 Akten
- 15. und 16. Auflage M. 2.--
-
- ·Morituri:· Teja. Drama in 1 Akt. -- Fritzchen.
- Drama in 1 Akt. -- Das Ewig-Männliche.
- Spiel in 1 Akt. 17. Auflage M. 2.--
-
- ·Johannes.· Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel.
- 28. Auflage M. 3.--
-
- ·Die drei Reiherfedern.· Dramatisches Gedicht in
- 5 Akten. 14. Auflage M. 3.--
-
- ·Johannisfeuer.· Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl. M. 2.--
-
- ·Es lebe das Leben.· Drama in 5 Akten. 20. Aufl. M. 3.--
-
- ·Der Sturmgeselle Sokrates.· Komödie in 4 Akten.
- 15. Auflage M. 2.--
-
- Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen
-
- Preis für den Einband:
-
- in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf.
-
-
-
-
- Stein unter Steinen
-
- Schauspiel in vier Akten
-
- von
-
- Hermann Sudermann
-
- Elfte Auflage
-
- [Illustration]
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- Stuttgart und Berlin 1905
-
- J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger
-
-
-~Copyright, 1905, by Hermann Sudermann~
-
-Alle Rechte vorbehalten
-
-
-Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart
-
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-
-
-Personen
-
-
- ·Zarncke·, Steinmetzmeister.
-
- ·Marie·, seine Tochter.
-
- ·Frau Homeyer·, Wirtschafterin bei Zarncke.
-
- ·Jenisch·, Buchhalter.
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- ·Eichholz·, Nachtwächter auf dem Werkplatz.
-
- ·Lore·, seine Tochter.
-
- ·Lenchen·, deren Kind.
-
- ·Willig·, Polier.
-
- ·Göttlingk·, Steinmetz.
-
- ·Jakob Biegler·.
-
- ·Reitmaier·, Kriminalkommissar.
-
- ·Lohmann·, }
- ·Sprengel·, } Arbeiter.
- ·Struve·, }
-
- Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter.
-
- Mehrere Frauen und Kinder.
-
- _Ort der Handlung_: Berlin.
-
- _Zeit der Handlung_: die Gegenwart.
-
- Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen,
- zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Erster Akt
-
- Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür nach
- dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen.
- Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach dem Werkplatz
- führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein Podium mit bequemem
- Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne ein Sofa mit Sofatisch
- und Sesseln. Im Hintergrunde links von der Tür ein Tischchen
- mit Wandkonsole darüber, rechts von der Tür ein Bücherschrank.
- Altväterisch-behagliche Ausstattung. Stahlstiche,
- Photographien, gestickte Sinnsprüche an den Wänden.
- Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit Kanarienvogel
- etc. etc.
-
-
-Erste Szene
-
- _Zarncke._ _Marie._ _Jenisch_
-
-
-·Zarncke·
-
- (Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den
- Backen. Gutmütig-vergnügte Äuglein. Sprechweise -- mit
- Anklängen ans Niederdeutsche -- weich, bisweilen harmlos
- polternd, voll stillen Grüblersinnes)
-
-·Marie·
-
- (Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei
- schöne Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache,
- bisweilen durch schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen
- tastend, unsicher)
-
-·Jenisch·
-
- (behaglicher, beschränkter Zahlenmensch)
-
-·Zarncke· (mit Jenisch eintretend)
-
-Na, Miezelchen?
-
-·Marie·
-
- (die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend)
-
-Vaterchen! (Will aufstehen)
-
-·Zarncke·
-
-Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! (Tritt zu ihr hin und küßt sie auf die
-Stirn) Läßte dir die Maisonne in 'n Magen scheinen? Das is recht ...
-Na, Jenisch, was haben Sie da!
-
-·Jenisch·
-
-Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen Brüchen, Herr Zarncke.
-(Reicht ihm die kleinen Blöcke)
-
-·Zarncke· (kratzt an den Rändern)
-
-Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf an Streusand sei
-vorläufig noch gedeckt.
-
-·Jenisch· (lacht respektvoll)
-
-·Zarncke·
-
-Zweite Post?
-
-·Jenisch·
-
-Jawohl. (Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe)
-
-·Zarncke·
-
- (setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand
- gleiten)
-
-Nischt -- nischt -- nischt. (Ein Kuvert öffnend) Machen wir. (Ein
-zweites) Machen wir desgleichen. »Verein zur Besserung entlassener
-Strafgefangener«. Möchten sie mir mal wieder einen andeichseln? ... Na,
-wollen mal sehn ... (Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die
-anderen Briefe hin) Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von
-der Polizei kommen wegen heute nacht -- das sag' ich besser draußen.
-(Zu Marie) Verzeih mal! (Öffnet das Fenster. Das klingende Geräusch
-der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, das Quietschen
-der Windewagen wird hörbar) Sie da! Willig! Polier! (Lauter) Polier!
-
-·Stimme des Poliers Willig·
-
-Jawohl, Herr Zarncke!
-
-·Zarncke·
-
-Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie sie gleich aufs Kontor
-führen. Ich will nicht, daß sie mir den Platz rabiat machen mit ihrem
-dummen Gefrage.
-
-·Stimme Willigs·
-
-Jawohl, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke· (nachahmend)
-
-Jawohl, Herr Zarncke. (Schließt das Fenster, das Geräusch hört auf)
-
-·Marie·
-
-_Mußtest_ du's denn anzeigen, Vaterchen?
-
-·Zarncke·
-
-Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch nicht zu
-nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern rumpulen lassen.
-Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... Hören Sie mal, Jenisch, euch
-auf'm Kontor geht's ja eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über
-den alten Eichholz?
-
-·Jenisch·
-
-Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr lange halten
-lassen. Als Wächter.
-
-·Zarncke·
-
-Na, als was denn sonst?
-
-·Jenisch·
-
-Das weiß ich ja nich.
-
-·Zarncke·
-
-Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst mein Kanarienfritze
-hat sein Geschäft. Wenn der nich singt, dreh' ich ihm den Hals um.
-
-·Marie· (lächelnd)
-
-Na, na.
-
-·Zarncke·
-
-Was ist hier zu na-na-en! (Zärtlich) Du -- hä?
-
-·Marie· (lacht)
-
-·Zarncke·
-
-Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft groß werden
-sehen ... Wird mir schwer! (Pause) Abends, wenn er elfe gepfiffen hat,
-setzt er sich friedfertig auf einen Block, und dann sägt er los. (Ahmt
-einen Schnarchton nach) Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher
-in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, diese
-Instituschon is nich das richtige.
-
-·Marie· (lacht)
-
-·Zarncke·
-
-Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück.
-
-·Jenisch· (lachend)
-
-Adieu, Fräulein Mariechen.
-
-·Marie·
-
-Adieu, Herr Jenisch.
-
-
-Zweite Szene
-
- _Zarncke. Marie_
-
-·Zarncke·
-
-Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is.
-
-·Marie·
-
-Am Ende gar der -- --?
-
-·Zarncke·
-
-Na natürlich.
-
-·Marie· (lachend)
-
-Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine.
-
-·Zarncke·
-
-_Du_ meinst den Struve. Und _ich_ mein' den Struve. Und draußen auf dem
-Platze meinen sie _auch_ den Struve. Aber weil sie mich nich blamieren
-wollen, tun sie, als hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu
-mal den Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich wieder
-raushaue, kriegt er zehn Jahre.
-
-·Marie·
-
-Um Gottes willen!
-
-·Zarncke·
-
-Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. Billiger tun
-sie's da nich ... Und so 'ne Seele von Mensch. Als die Steinmetzen
-neulich für den brustkranken Emil sammelten -- wo er doch als Arbeiter
-eigentlich gar nischt mit zu tun hat -- Wochenlohn blank auf den Tisch
-gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die Diamantsplitter in den neuen
-Zahnsägen haben's ihm angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe
-wehmutsvolle Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann sitzt
-er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n Kreuz mit diesen Kerls!
-Immer wieder saust man rin.
-
-·Marie·
-
-Na, manchmal auch nicht.
-
-·Zarncke·
-
-Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' ich das Leben gerettet.
-Der Thiele hat sogar Karriere gemacht. Aber -- nee! -- nu Schluß! --
-Ich nehm' nu nich _einen_ mehr, den mir der Verein zuschanzt.
-
-·Marie·
-
-Na, na!
-
-·Zarncke·
-
-Mariechen, ich schwör' es dir. (Das Kuvert aufnehmend) Und wenn dies
-hier -- ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, ich tu's nicht. (Das
-Kuvert aufreißend) Wollen mal gleich sehn!
-
-·Marie·
-
-Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher ist es ein
-interessanter Fall, und dann --
-
-·Zarncke·
-
-Kann's auch ungelesen zurückschicken. (Unschlüssig) Aber -- -- -- du,
-klingel mal, daß die Homeyer mir das Frühstück bringt.
-
-·Marie· (klingelt)
-
-·Zarncke·
-
- (die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken)
-
-Da is nu ein ganzes Schicksal drin.
-
-·Marie· (bittend)
-
-Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies lieber nich.
-
-·Zarncke·
-
-Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, wie du meinst. (Legt
-das Kuvert hin)
-
-
-Dritte Szene
-
- _Die Vorigen. Frau Homeyer_
-
- (Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der
- dreißig. Energische Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem
- Stich ins Gemeine)
-
-·Frau Homeyer·
-
- (die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer
- Rotweinflasche hereintragend)
-
-Schönen guten Morgen wünsch' ich.
-
-·Zarncke·
-
-Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. Das ziemt sich für mich.
-(Auf die Tablette weisend) Is alles gut so?
-
-·Zarncke·
-
-Hm. Fein.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Fräulein Mariechen, was möchten Sie?
-
-·Marie·
-
-Danke. Danke.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch?
-
-·Marie·
-
-Doch. Doch.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. Ich kann mir gar nich
-genug tun für Sie.
-
-·Zarncke·
-
-Ja, ja, Sie sind eine Perle.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen sein Lob. Ich bin eine
-ehrbare Witwe. Wer so viel Leid durchgemacht hat im Leben, wie ich --
-ach ja!
-
-·Zarncke·
-
-Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, hören Sie mal.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert.
-
-·Zarncke·
-
-Und dann so die ehrbare Lebensweise.
-
-·Frau Homeyer· (seufzend)
-
-Ja, ja.
-
-·Zarncke·
-
-Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben Sie vielleicht irgend
-was gehört, heute nacht?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. -- Schritte und so.
-
-·Zarncke·
-
-Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen an. Ich misch'
-mich nich in fremde Sachen.
-
-·Zarncke·
-
-So -- das sind fremde Sachen für Sie?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher sind?
-
-·Zarncke·
-
-Na, was denn sonst?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, -- da werden die Mannsleute
-doll --
-
-·Zarncke·
-
-Und die Weibsleute auch.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. Von dem Tage an,
-daß mein armer sel'ger Mann --
-
-·Zarncke·
-
-Scht, scht, scht! _Wenn_, dann würd's auch nichts ausmachen. Na -- und?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Und der alte Eichholz schläft natürlich. (Mit Betonung) Und die Tochter
-schläft eben auch. Nu ja.
-
-·Zarncke·
-
-Ach so! Das geht gegen die Lore!
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. Laß das Fräulein
-Lore tun, was sie will. Es braucht nich jede so'n Wandel zu haben, wie
-ich. Aber schließlich läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum.
-Vater unbekannt.
-
-·Zarncke·
-
-Der Vater ist nicht unbekannt.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. -- Warum heiratet er sie
-denn nich?
-
-·Zarncke·
-
-Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... Was hast du, Mariechen?
-
-·Marie·
-
- (die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist)
-
-Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal so grasgrün.
-
-·Frau Homeyer·
-
- (die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat)
-
-Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser?
-
-·Marie· (trinkt -- matt)
-
-Danke schön.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Sonst noch Wünsche? ... Nein. (Da niemand antwortet, ab)
-
-
-Vierte Szene
-
- _Zarncke. Marie._ Später _Lenchen_
-
-·Zarncke·
-
-Miezelchen!
-
-·Marie·
-
-Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. Der macht einem
-Kopf und Glieder so schwer.
-
-·Zarncke·
-
-Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen spür' ihn.
-Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der Doktor hat gesagt, du
-sollst eine sitzende Lebensweise führen, also führe du eine sitzende
-Lebensweise. (Setzt den Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen) Ganz
-lecker! Magst du das Frauenzimmer eigentlich?
-
-·Marie·
-
-Ach Gott!
-
-·Zarncke·
-
-Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. Bißchen
-Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst weiß man gar nich, daß
-man lebt ... Jetzt läuft sie auch hinter dem Göttlingk her. Darum
-der Haß auf die Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten
-gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne an, und wenn
-sie Mittags auf den zwei Richtscheiten liegen, dann sind sie nich
-hochzukriegen. (Seufzend) Junges Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel
-auf dem Kantinendach hat sich ein Weibchen gefunden.
-
-·Marie· (freudig)
-
-Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr die Seele aus dem
-Leibe schreien ...
-
-·Zarncke·
-
-Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe.
-
-·Marie· (betroffen)
-
-Wie meinst du das?
-
-·Zarncke·
-
-Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach hat jeder. --
-
-·Marie· (hinaushorchend, ruft)
-
-Lenchen! (Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt
-herein, wie vorhin) Lenchen!
-
-·Die Stimme Lenchens· (jubelnd)
-
-Tante Mariechen!
-
-·Marie·
-
-Komm ans Fenster! Komm!
-
-·Zarncke·
-
-Tante nennt sie dich?
-
-·Marie·
-
-Soll sie nicht, Vaterchen?
-
-·Zarncke·
-
-Ja, ja. Kommt auf eins 'raus.
-
-·Marie·
-
-Na, kletter hoch!
-
-·Lenchens·
-
- (Kopf erscheint in der Fensteröffnung)
-
-Tag, Tante Mariechen.
-
-·Marie·
-
-Klettre, Katz! Klettre!
-
-·Lenchen·
-
-Mußt helfen.
-
-·Zarncke·
-
- (da Marie eine Bewegung macht, rasch)
-
-Nicht du! Ich, ich! (Zieht das Kind durch das Fenster herein und setzt
-es auf den Boden)
-
-·Lenchen·
-
- (die Arme um Mariens Knie schlingend)
-
-Tante Mariechen! Tante Mariechen!
-
-·Marie· (sie herzend)
-
-Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle?
-
-·Lenchen·
-
-Butterstulle.
-
-·Marie·
-
- (gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot)
-
-·Lenchen·
-
- (setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt
- unbekümmert)
-
-·Marie·
-
-Und das soll nun 'ne Schande sein -- so ein Engelskind!
-
-·Zarncke·
-
-Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir?
-
-·Marie· (inbrünstig)
-
-Ach so gerne, Vaterchen, so gerne!
-
-·Zarncke·
-
-Tja! Vielleicht gibt sie's dir!
-
-·Marie·
-
-So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. (Streichelt die Kleine und
-spricht leise zu ihr)
-
-·Zarncke·
-
-Tja! (Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen nach
-Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu lesen)
-
-·Marie·
-
- (sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu
- schaffen)
-
-·Zarncke· (murmelnd)
-
-Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch gerade zu mir? (Steckt
-die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und geht erregt im Zimmer umher)
-Was kann man da machen? Was --
-
-·Marie· (bittend)
-
-Vater!
-
-·Zarncke·
-
-Was denn?
-
-·Marie·
-
-Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner Türe kommen. Hilf doch
-auch dem Kinde!
-
-·Zarncke·
-
-Ja, leicht gesagt! ... Wie?
-
-·Marie·
-
-Rede mit Göttlingk wegen Lore.
-
-·Zarncke·
-
-Ich _hab_' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn nicht.
-
-·Marie·
-
-Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre ist er weg
-gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen.
-
-·Zarncke·
-
-Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser wüste Kerl kann
-mehr als ... Seinethalben braucht' ich gar keine Bildhauer mehr. Den
-schwierigsten Auftrag kann ich annehmen, seit er da ist.
-
-·Marie·
-
-Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den Schmerz erleben mit
-dem Alten. Ich mag das Elend nicht mehr mit ansehn.
-
-·Zarncke·
-
-Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor.
-
-·Marie·
-
-Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm.
-
-·Zarncke·
-
-Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel vor die Füße. Na und
-dann? ... Weißt du: Sprich du mit ihm.
-
-·Marie· (erschrocken)
-
-Ich? ... Nein, nein, nein.
-
-·Zarncke·
-
-Warum nicht?
-
-·Marie·
-
-Vaterchen -- das -- kann ich nicht.
-
-·Zarncke·
-
-Siehst du. Man kann manches nicht. (Es klopft) Herein.
-
-
-Fünfte Szene
-
- _Die Vorigen. Eichholz_
-
- (Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster,
- mit militärischem Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes,
- buschiges Haar, Rundbart mit ausrasierter Oberlippe, Bratenrock
- mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz)
-
-·Zarncke·
-
-Na Eichholz! Ausgeschlafen?
-
-·Lenchen· (ihm entgegen)
-
-Großvaterchen! Großvaterchen!
-
-·Eichholz· (will sie nicht sehen)
-
-·Marie·
-
-Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine Zeit. (Sie beginnt zu
-sticken. Das Kind spielt)
-
-·Eichholz·
-
-Nja.
-
-·Zarncke·
-
-Und so feierlich! Was is denn los?
-
-·Eichholz·
-
-Herr Zarncke -- ich möchte -- freundlichst -- um meine Entlassung
-gebeten haben.
-
-·Zarncke·
-
- (mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd)
-
-Sieh mal an!
-
-·Eichholz·
-
-Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht -- daß die Steinmetzen
-behaupten -- _wollen_, daß ich gewissermaßen -- meines Amtes nicht mehr
-gewachsen bin.
-
-·Zarncke·
-
-So?
-
-·Eichholz·
-
-Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht drankommen. Und
-wenn die Steinmetzjungens sich die Schnauze verbrennen, damit, daß sie
-nicht wissen tun, was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr
-tauglicher Mann ist --
-
-·Zarncke·
-
-Nu kohlt er wieder.
-
-·Eichholz·
-
-Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich mir habe in Ihrem
-Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich die Schulterblattmuskeln
-ausgefallen.
-
-·Zarncke·
-
-Ich weiß, ich weiß, ich weiß.
-
-·Eichholz·
-
-Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie man so sagt, ein
-Puschemauchen, drum herumtrage, wegen den Reimantismus, wo ich mir auch
-im Dienste geholt habe.
-
-·Zarncke·
-
-Ja -- so Nachts auf dem kalten Stein schl-- (sich rasch verbessernd)
-sitzen -- sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus.
-
-·Eichholz·
-
-Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich -- Nachts? Nu sagen Sie bloß noch, Herr
-Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, dann kann ich ruhig jehn,
-mir aufhängen.
-
-·Zarncke·
-
-Na, na, na. Sagt ja keiner. (Zu Marie) Was fängste da an?
-
-·Eichholz·
-
-Wo ich doch schon Kummer genug hab' -- mit meine Tochter -- und hier
-mit -- diese -- diese -- Mestize.
-
-·Marie· (hebt erstaunt den Kopf)
-
-·Zarncke·
-
-Wieso Mestize?
-
-·Eichholz·
-
-Nu, was ein ungebührliches Kind is -- 's is ja schlimm, daß man das
-selber sagen muß, -- aber das is doch nich anders, das is doch eine
-Mestize.
-
-·Zarncke·
-
-Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen?
-
-·Eichholz·
-
-Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang habe, dann les' ich
-wohl sehr gerne in de Indianerbiecher.
-
-·Zarncke·
-
-Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, wie wär's, wenn
-Sie sich mal 'n bißchen mehr Ruhe gönnten?
-
-·Eichholz·
-
-Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne.
-
-·Zarncke· (leise zu Marie)
-
-Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, Eichholz.
-
-·Eichholz·
-
-Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber was 'n gewissenhafter
-Wächter is und 'n tauglicher Wächter is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen,
-der hört den Maulwurf graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen.
-
-·Zarncke·
-
-Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts gehört -- hä?
-
-·Eichholz·
-
-Hähähähä! Da lach' ick äwwer.
-
-·Zarncke· (ernst)
-
-Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz.
-
-·Eichholz· (gekränkt)
-
-Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die Steinmetzjungens?
-
-·Zarncke· (ernst)
-
-Ich muß wohl, Eichholz.
-
-·Eichholz· (versteht, fassungslos)
-
-Ach so! (Sein Gesicht verändert sich)
-
-·Zarncke· (bittend)
-
-Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die Siebzig. Nu schlafen Sie
-sich doch mal ordentlich aus. Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen
-Bett.
-
-·Eichholz· (kläglich)
-
-Ich kann gar nich im Bett schlafen.
-
-·Zarncke·
-
-Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock in Ihre
-Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie Ihre Bequemlichkeit haben ...
-
-·Eichholz· (brütend)
-
-Nja.
-
-·Zarncke·
-
-Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen 'ne Pension aus
-... Können auch wohnen bleiben ... Bei Tag schustern Sie 'n bißchen
-oder läuten die Pausen ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine.
-
-·Eichholz·
-
-Und gewöhn' mir das Saufen an.
-
-·Zarncke·
-
-Sie werden doch nich.
-
-·Eichholz·
-
-Herr Zarncke, ich bin ein Mann -- hochgeehrt -- ich hab' anno 70 immer
-mit am Offezierstisch gegessen.
-
-·Zarncke·
-
-Na, na.
-
-·Eichholz·
-
-Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n Saufjee, ich hab'
-noch nich mal 'n Stückschen Käse ins Schnapsglas getunkt.
-
-·Zarncke·
-
-Schmeckt ja auch gar nich.
-
-·Eichholz·
-
-Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber wenn man in eine so
-lausige Beschaffenheit versetzt wird, daß das Ehrgefühl im Menschen so
-sehr gekränkt wird, wo man doch von seinem redlichen Schustergewerbe
-nichts mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene
-Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn annimmt ...
-
-·Zarncke·
-
-Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören Sie mal ...
-
-·Eichholz·
-
-Ich ... ich ... hab'... ich ... (Würgt)
-
-·Zarncke·
-
-Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder good, min Sähn.
-
-·Eichholz· (befehlshaberisch)
-
-Lenchen!
-
-·Marie· (ängstlich)
-
-Nein, nein, das Kind bleibt hier.
-
-·Eichholz·
-
-Ich und Lenchen -- wir gehn jetzt aus'm Haus.
-
-·Zarncke·
-
-Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, dann kann ich nichts
-dagegen haben -- das heißt, Sie werden sich ja noch anders besinnen --
-
-·Eichholz·
-
-Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, daß irgend
-so ein hergelaufener Sch -- Schlump jetzt sagen kann, ich bin dem
-weggejagten Alten da -- sein Nachfolger. Das -- nee -- nee -- nee!
-Ich hab' noch 'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar
-reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich arbeit'
-nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr Zarncke. (Ab)
-
-
-Sechste Szene
-
- _Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore_
-
-·Zarncke· (verzweifelt)
-
-Na -- nu is er rabiat. Nu geht er sausen. --
-
-·Marie·
-
-Du warst milde genug, Vaterchen.
-
-·Zarncke·
-
-Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n Mensch. Jeder hat sein
-Schicksal.
-
-·Marie·
-
-In sich, Vater.
-
-·Zarncke·
-
-Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so vielen ihr Schicksal
-gewesen ... In sich! ... Spreu sind wir im Winde. Es kommt nur drauf
-an, von wo er bläst ... Na -- vielleicht kann man's an einem andern
-wieder gutmachen. (Nimmt die Papiere) Da wird heute einer kommen. So
-einen hatten wir noch nicht.
-
-·Marie·
-
-Was hat er denn pekziert?
-
-·Zarncke·
-
-Frag nicht. Nachher drückt's dich.
-
-·Lores Stimme· (draußen rufend)
-
-Lenchen! Lenchen!
-
-·Lenchen· (aufhorchend)
-
-Das is Mama. Ich will zu Mama.
-
-·Marie·
-
- (das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch
- hereindringt)
-
-Das Kind is bei mir drin, Lore.
-
-·Zarncke· (nach der Uhr sehend)
-
-Alles still? Is schon Frühstückspause?
-
-·Lores·
-
- (Kopf erscheint in der Fensteröffnung)
-
-Dank' schön, Fräulein Mariechen. (Zu Lenchen, die die Arme ausstreckt,
-sich vorbeugend) Na, hopp!
-
-·Zarncke·
-
-Du kannst mal 'reinkommen, Lore.
-
-·Lore·
-
-Wenn ich darf, Herr Zarncke. (Verschwindet)
-
-·Marie·
-
- (schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will)
-
-·Zarncke·
-
-Und findet sich der Mann hier 'rein -- der Mann von diesem Brief --
-Biegler heißt er -- dann schick ihn nicht ins Komptor, dann laß mich
-lieber rufen. (Es klopft) Herein!
-
-·Lore· (erscheint in der Tür)
-
-·Zarncke·
-
-Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von heute ab --
-
-·Lore·
-
- (Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren
- seelischen Leidens. Sprechweise bald ohne Grund erregt,
- bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen müde, schwerfällig,
- jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, schlichte
- Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über dem
- Habitus der Dienerin stehend)
-
-Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' nich mehr.
-
-·Zarncke·
-
-Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen brauch'.
-
-·Lore·
-
-Ach, Sie! (Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen)
-
-·Zarncke·
-
-Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da -- (Beruhigt sie mit einer
-Handbewegung) Aber stell ihm die Kümmelflasche höher. Das rat' ich dir,
-Kind! (Klopft sie auf die Schulter. Ab)
-
-·Lenchen· (die Arme hochhebend)
-
-Mama! Mama!
-
-·Lore·
-
- (ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend)
-
-Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins Aug' fliegt.
-
-·Marie·
-
-Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb.
-
-·Lore·
-
-Ja ... Die andern ja. -- Bloß der der nächste dazu is --
-
-·Marie·
-
-Er wird's nicht zeigen wollen.
-
-·Lore·
-
-Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und wie er vorbeikommt,
-da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. Da hat er sie weggeschoben
--- na wie? 'n jungen Hund schiebt man nich so.
-
-·Marie·
-
-Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist kein Mensch. Und er
-sicherlich nicht. Sicherlich nicht.
-
-·Lore·
-
-Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. --
-
-·Marie·
-
-Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner.
-
-·Lore·
-
-Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich an? Warum gibst du
-dich ab mit mir? (Verbirgt den Kopf an ihrer Stuhllehne)
-
-·Marie· (sie streichelnd)
-
-Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' ich dich schon
-gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. (Da Lenchen weinerlich
-dazukommt) Du, Lenchen, der weiße Bär ist ein Eisbär. Und den bind
-mal nu an die Leine. (Reicht dem Kinde eine Porzellanfigur und ein
-Garnknäuel)
-
-·Lore·
-
-Ja, Lenchen, tu das.
-
-·Lenchen·
-
- (fängt beruhigt von neuem zu spielen an)
-
-·Marie·
-
-Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst du dich? Warum sagst
-du nicht ganz offen, daß er der Vater ist?
-
-·Lore· (verängstigt)
-
-Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten.
-
-·Marie·
-
-Warum läßt es dir verbieten?
-
-·Lore·
-
-Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' er zu mir: »Willst
-du, daß ich wieder eintrete auf dem Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm
-noch die Hände geküßt in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er
-dabei. »Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... Die's von
-früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß der Polier ... Und das ist
-sein Freund. Vater hat er auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir
-rein die Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das Schweigen doch
-ein Ende nehmen. Aber es geschieht nichts ... Er kommt in die Kantine.
-Ganz vergnügt. Bloß nicht allein. Da hütet er sich.
-
-·Marie·
-
-Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben?
-
-·Lore· (achselzuckend)
-
-Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn.
-
-·Marie· (erschreckt, beklommen)
-
-Wen denn?
-
-·Lore·
-
-Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, vielleicht -- ach,
-wer kann wissen?
-
-·Marie· (auf Lenchen weisend)
-
-Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt?
-
-·Lore·
-
-Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch mit allen, was er
-will ... Er ist mehr Herr auf dem Platz als der Polier. Da wagt keiner
-zu mucksen ... Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten von
-den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie _rein_ doll ...
-
-·Marie· (träumerisch)
-
-Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! (aufschluchzend)
-Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. Und du jammerst.
-
-·Lore· (erschrocken)
-
-Mariechen!
-
-·Marie· (sich zusammenraffend)
-
-Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der macht einen ganz ...
-Und du jammerst.
-
-·Lore· (mit wehem Lächeln)
-
-Ich jammer' ja auch nich.
-
-·Marie·
-
-Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner Schande. -- Schande!
-Was ist Schande? ... Unser Leib ist ein Tempel ... Und Gebären ist
-Gottesdienst ... Nur wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist
-es schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen baut, und
-man selbst ist schon Ruine.
-
-·Lore·
-
-Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen.
-
-·Marie·
-
-Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit mir? ... Und ich
-bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' was verpflanzen von mir in
-dich. Daß du den Kopf wieder hebst. -- Nicht mehr wie 'n Stein bist in
-deinem Gram.
-
-·Lore· (lacht bitter)
-
-·Marie· (mit sich kämpfend)
-
-Du -- soll ich -- reden mit ihm?
-
-·Lore·
-
-Du -- mit ihm?
-
-·Marie· (nickt)
-
-·Lore· (ohne Hoffnung)
-
-Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart lieber noch ...
-Vielleicht, daß er _doch_ --
-
-·Marie· (stockend)
-
-Es wird mir -- ja nicht -- leicht fallen ... Ich kenn' ihn ja auch kaum
-mehr -- den großen Herrn ... Aber wenn man was _sehr gerne_ will, dann
-wird man's doch auch -- können. -- Na, freut's dich gar nicht?
-
-·Lore·
-
- (die Hand mutlos vor die Stirne legend)
-
-Ach! ... (Es klopft)
-
-·Marie·
-
-Herein!
-
-
-Siebente Szene
-
- _Die Vorigen. Jakob Biegler_
-
- (Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht
- schmutzig gekleidet, Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach
- geflickt und zu kurz. Altes, blankgewordenes Jakett,
- gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. Defektes
- Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. -- Gelbes, zermürbtes
- Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart.
- Auftreten gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit
- umschlagend)
-
-·Biegler·
-
-Guten Morgen.
-
-·Marie·
-
-Sie wünschen meinen Vater zu sprechen?
-
-·Biegler·
-
-Herrn Zarncke -- möcht' ich sprechen.
-
-·Marie·
-
-Heißen Sie Biegler?
-
-·Biegler· (betroffen)
-
-Ach so! -- Sie wissen schon. Na -- dann -- (Macht eine halbe Wendung
-zur Tür)
-
-·Lenchen·
-
- (ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor)
-
-Guten Tag!
-
-·Marie·
-
- (seinen Seelenzustand erkennend)
-
-Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen Biegler kommt, dann möcht'
-ich ihn rufen.
-
-·Biegler· (erleichtert)
-
-Ja, der bin ich.
-
-·Lenchen·
-
-Nu sag doch: Guten Tag.
-
-·Biegler·
-
- (sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er
- weiß nicht, was tun)
-
-·Lore· (sie leise zurückrufend)
-
-Lenchen!
-
-·Marie·
-
-Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen Sie willkommen
-heißt.
-
-·Biegler·
-
- (sieht sie groß an, versteht nicht)
-
-Erst -- muß -- ich -- Herrn Zarncke -- sprechen.
-
-·Marie· (aufstehend)
-
-Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an (leiser) und bring dem
-was zu essen. Er hat's nötig.
-
-·Lore· (nickt)
-
-Komm, Lenchen. (Mit dem Kinde ab)
-
-·Marie·
-
-Nehmen Sie so lange Platz, bitte.
-
-·Biegler·
-
-Ich kann auch stehen.
-
-·Marie· (ab)
-
-
-Achte Szene
-
- _Biegler._ Dann _Zarncke_
-
-·Biegler·
-
- (alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen
- wandern umher)
-
-·Zarncke·
-
- (mit Bieglers Papieren in der Hand)
-
-Guten Tag.
-
-·Biegler·
-
- (in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war)
-
-Melde Jakob Biegler.
-
-·Zarncke·
-
-Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Der Verein zur
-Besserung entlassener Strafgefangener hat Sie mir zugeschickt. Stehen
-Sie unter seiner Fürsorge?
-
-·Biegler·
-
-Jawohl.
-
-·Zarncke·
-
-Wie lange sind Sie 'raus?
-
-·Biegler·
-
-Vier Monate zehn Tage.
-
-·Zarncke·
-
-Fünf Jahre haben Sie abgemacht?
-
-·Biegler·
-
-Jawohl.
-
-·Zarncke·
-
-Wegen was?
-
-·Biegler· (schweigt)
-
-·Zarncke·
-
-Na -- wegen was?
-
-·Biegler· (auf die Papiere weisend)
-
-Steht ja da drin.
-
-·Zarncke·
-
- (fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen)
-
-Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig.
-
-·Biegler· (verbissen)
-
-Na, ich sprech's nich aus.
-
-·Zarncke·
-
-Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn.
-
-·Biegler·
-
-Wenn Sie wollen.
-
-·Zarncke·
-
- (geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest)
-
-Hm. Schlimm. Schlimm.
-
-·Biegler·
-
-Schlimm. (Pause)
-
-·Zarncke·
-
-Na, wie is es denn gekommen?
-
-·Biegler·
-
-Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist.
-
-·Zarncke·
-
-Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg?
-
-·Biegler·
-
-Man war ja mit mir zufrieden.
-
-·Zarncke·
-
-Ersparnisse gemacht?
-
-·Biegler·
-
-Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig.
-
-·Zarncke·
-
-Noch was da?
-
-·Biegler·
-
-Dann säh' ich nich so aus, Herr -- Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt?
-
-·Biegler·
-
-Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal als Hofgänger, das
-zweite Mal als Kuhfutterer.
-
-·Zarncke·
-
-Na -- und?
-
-·Biegler· (schweigt)
-
-·Zarncke·
-
-Ausgerissen?
-
-·Biegler· (in erregter Verteidigung)
-
-Ich hielt nicht aus. Ich -- ich -- ich --
-
-·Zarncke·
-
-Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten.
-
-·Biegler·
-
-Ach, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie zu mir. Was wollen
-Sie gerade bei mir?
-
-·Biegler· (schweigt)
-
-·Zarncke·
-
-Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie?
-
-·Biegler·
-
- (zaudernd, nach innerem Kampfe)
-
-Steinmetz.
-
-·Zarncke·
-
-Ach so! -- _Darum_! Hier steht doch -- Arbeiter. (Sieht nach)
-
-·Biegler·
-
-Weil ich als Arbeiter gegangen bin.
-
-·Zarncke·
-
-Warum denn?
-
-·Biegler·
-
-Wer wird mich nehmen -- als Steinmetz?
-
-·Zarncke·
-
-Sie hätten doch probieren können!
-
-·Biegler·
-
-Probiert hab' ich genug.
-
-·Zarncke·
-
-Und überall abgewiesen?
-
-·Biegler·
-
-Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's 'raus. Da lag
-ich schon auf der Straße.
-
-·Zarncke·
-
-Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen?
-
-·Biegler· (schweigt)
-
-·Zarncke·
-
-Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme?
-
-·Biegler·
-
-Ja, die Herren haben's mir gesagt.
-
-·Zarncke·
-
-Wollten Sie nich?
-
-·Biegler· (zögernd)
-
-Nein.
-
-·Zarncke·
-
-Warum nicht?
-
-·Biegler· (erregt)
-
-Nachher wird's doch nichts -- -- --
-
-·Zarncke·
-
-Und jetzt wollen Sie?
-
-·Biegler·
-
-Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. -- Wenn ich bloß
-'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder beim Flaschenzug, wo keiner
-was fragt.
-
-·Zarncke·
-
-Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf besteh' -- Sie können
-auch als Steinmetz eintreten.
-
-·Biegler· (verängstigt)
-
-Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is wieder alles
-... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß w--wenn ich den --
-Klippelschlag hören kann. Bloß von weitem.
-
-·Zarncke·
-
-Sie waren wohl ein _guter_ Steinmetz?
-
-·Biegler·
-
-Ach! (Zuckt die Achseln)
-
-·Zarncke· (voll wärmerer Anteilnahme)
-
-Hm. (Es klopft) Herein.
-
-
-Neunte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Lore_ (mit einem Teller, worauf Butterbrot)
-
-·Lore·
-
-Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat befohlen.
-
-·Zarncke·
-
-Essen Sie.
-
-·Biegler·
-
- (gierig nach dem Teller sehend)
-
-Danke! Ich hab' -- keinen -- Hunger.
-
-·Lore· (leise, mitleidig)
-
-Essen Sie nur.
-
-·Biegler·
-
- (blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht
- Zarncke fragend an)
-
-·Zarncke·
-
-Ja, ja, Sie dürfen.
-
-·Biegler·
-
- (dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter)
-
-·Zarncke·
-
-Du, Lore, hol mal das Wasserglas.
-
-·Lore·
-
- (holt das Wasserglas vom Nähtisch)
-
-·Zarncke· (Rotwein eingießend)
-
-Bring ihm das. -- Übrigens: wie trägt's denn der Vater?
-
-·Lore·
-
-Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen wollte: darf er
-den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger da ist?
-
-·Zarncke·
-
- (mit einem Blick nach Biegler hin)
-
-Nachfolger hab' ich schon.
-
-·Lore· (dem Blick folgend)
-
-Ach so.
-
-·Zarncke·
-
-Gefällt er dir?
-
-·Lore·
-
-Ach, is 'n armer Mensch!
-
-·Zarncke·
-
-Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast.
-
-·Lore·
-
-Nein, nein. (Stellt das Glas neben Biegler, ab)
-
-
-Zehnte Szene
-
- _Biegler._ _Zarncke_
-
-·Biegler·
-
- (würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in
- Positur)
-
-·Zarncke·
-
-Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken.
-
-·Biegler·
-
-Ja. (Äugt zweifelnd nach dem Glase)
-
-·Zarncke·
-
-Haben Sie keinen Durst?
-
-·Biegler·
-
-Erst geben Sie mir -- Wein zu trinken, und dann nehmen Sie mich _doch_
-nich. Hä.
-
-·Zarncke·
-
-Erst trinken Sie mal.
-
-·Biegler·
-
- (dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen)
-
-·Zarncke·
-
-Auf den Steinmetzplatz _wollen_ Sie. Aber gewissermaßen im verborgenen.
-So daß keiner was erfährt, daß Sie keinem Rede zu stehen brauchen -- hä?
-
-·Biegler·
-
-So was Schönes gibt's ja nich.
-
-·Zarncke·
-
-Vielleicht _doch_. Wollen Sie Wächter werden bei mir auf'm Platz?
-
-·Biegler·
-
- (in staunendem Nicht-glauben-wollen)
-
-Herr Zarncke!
-
-·Zarncke·
-
-Na?
-
-·Biegler·
-
-Das is doch 'n Vertrauensposten.
-
-·Zarncke·
-
-Ja, das is es.
-
-·Biegler·
-
-Da müssen manche sogar Kaution stellen.
-
-·Zarncke· (bejahend)
-
-Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, können Sie unter den
-Arbeitern mithelfen ... da fragt Sie keiner ... Na?
-
-·Biegler·
-
-Wird ja nicht lange dauern --
-
-·Zarncke·
-
-Das wird ganz von Ihnen abhängen.
-
-·Biegler·
-
-Dann kommen die Schutzleute -- und recherchieren ... Und dann is aus.
-
-·Zarncke·
-
-Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge für Sie übernimmt,
-die Polizei sich mit Ihnen nichts zu schaffen macht.
-
-·Biegler· (fatalistisch)
-
-Die Schutzleute -- kommen doch.
-
-·Zarncke·
-
-Zu mir nicht ...
-
-·Biegler·
-
-Die Schutzleute kommen doch.
-
-·Zarncke·
-
-So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann recherchieren. Das
-hab' ich mir ein für allemal verbeten. Und daß die Herren vom Verein,
-wenn _die_ kommen, Sie nicht verraten werden, das können Sie sich doch
-denken. ... Na?
-
-·Biegler·
-
-Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich -- (Es klopft)
-
-·Zarncke·
-
- (geht zur Tür und öffnet sie)
-
-
-Elfte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Jenisch_
-
-·Zarncke· (ihm den Eintritt versperrend)
-
-Was gibt's?
-
-·Jenisch· (vom Hausflur her)
-
-Verzeihung, Herr Zarncke -- die Polizei is da -- wegen --
-
-·Biegler·
-
- (zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche
- Bewegung, als wolle er sich verstecken)
-
-·Zarncke·
-
-Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. (Schlägt die Türe zu)
-
-
-Zwölfte Szene
-
- _Biegler._ _Zarncke_
-
-·Zarncke·
-
-Na ruhig, ruhig, ruhig!
-
-·Biegler· (sich wild umschauend)
-
-Die Schutzleute kommen überall -- die --
-
-·Zarncke·
-
-Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. Deshalb kommen sie.
-Und eben deshalb sollen Sie auch Nachtwächter werden. Verstanden?
-
-·Biegler· (würgend)
-
-Herr Zarncke -- ich muß -- ich -- dank' Ihnen auch schön fürs Glas Wein
-... ich ... kann nich in Dienst ... ich muß -- wieder weg.
-
-·Zarncke· (schüttelt den Kopf)
-
-Ja, zwingen kann ich Sie nich ... (Nach einem Schweigen) Haben Sie denn
-andere Arbeit in Aussicht?
-
-·Biegler· (verneint)
-
-·Zarncke·
-
-Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von der Polizei ...
-Unbarmherzig ... Wissen Sie das?
-
-·Biegler· (bejaht)
-
-·Zarncke·
-
-Na und dann?
-
-·Biegler· (zuckt die Achseln)
-
-·Zarncke·
-
-Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von Ihnen -- und was
-dann?
-
-·Biegler· (zuckt die Achseln)
-
-·Zarncke·
-
- (plötzlich seinen Ton ändernd)
-
-Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, komm. (Zieht ihn nach
-vorne) Bienchen hast du doch keine?
-
-·Biegler· (schüttelt den Kopf)
-
-·Zarncke·
-
-Na dann setz dir mal. (Zieht ihn in einen Stuhl) Du bist nu man büschen
-verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im Kopp spukt, das will ich gar
-nich wissen ... Is auch ganz egal. Nu laß man schon büschen sorgen für
-dich. (Strenge) Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n
-Anzug von mir ...
-
-·Biegler·
-
- (an sich niedersehend, freudig)
-
-Ja, ja, ja, ja.
-
-·Zarncke·
-
-Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an!
-
-·Biegler· (eifrig, voll Ehrgefühl)
-
-Jawohl -- hab' ich. (Reißt, um das Hemde zu zeigen, die Strickweste
-auf) Da! (Beschämt) Bloß -- Kragen hab' ich nich.
-
-·Zarncke·
-
-Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. Denn Nachts is
-noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne Pfeife und 'ne Schnarre. Und die
-Kontrolluhren, die bis zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen
-tust du drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine bei der
-Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste?
-
-·Biegler· (wie vorhin)
-
-Ja, ja, ja, ja.
-
-·Zarncke·
-
-Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich mehr. Und so wollen
-wir langsam wieder 'n Menschen aus dir machen. Hä?
-
-·Biegler· (nickt willenlos)
-
-·Zarncke·
-
-Na also.
-
- (_Der Vorhang fällt_)
-
-
-
-
-Zweiter Akt
-
- Der Werkplatz. Links das _Wohnhaus_ mit vorspringender
- _Veranda_ und einem Balkon darüber, zu dem aus dem oberen
- Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein Fenster.
- Rechts die _Kantine_ mit einer Tür in der Seitenwand und
- einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, vor dem eine
- Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig vorspringend, das
- _Magazin_, mit einer Tür und einer daneben angebrachten Glocke.
- -- Im Hintergrunde rechtwinklig zum Magazin ein offener,
- von Holzpfeilern getragener _Schuppen_, der sich mit seiner
- Hinterwand an die senkrechte Erhöhung lehnt, welche den
- hinteren Teil des Werkplatzes bildet und zu der in der Mitte
- des Hintergrundes eine schmale Treppe emporführt. Links von
- der Treppe mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die
- Höhe des hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein
- _Kran_. Eine schmale _Feldbahn_ zum Transport der Blöcke führt
- an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen vorüber quer über
- die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. An den Wänden des
- Schuppens und der Häuser stehen und hängen, wo nur ein Platz
- sich findet, Gipsmodelle: Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die
- Veranda ist mit Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich
- über ihr Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den
- _Prospekt_ bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits
- der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein
- Kirchturm ragt aus der Ferne herüber
-
-
-Erste Szene
-
- (Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus reiches
- Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten _Steinmetzen_ oder
- _Bildhauer_, die ersteren mit blauer Schürze, die letzteren mit
- langem, weißgrauem Kittel und Papier- oder sog. Raffaelmütze
- bekleidet. Der Kran ist im Gange. Niedrige Wagen transportieren
- Blöcke vorüber. Hilfeleistende _Arbeiter_ in beliebigem
- Werktagsanzug. Mittagsstimmung)
-
- Vorne rechts _Göttlingk_ in Steinmetzentracht vor einem Blocke
- -- ein Gipsmodell daneben. Der Polier _Willig_ an einem anderen
- Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die sich hinten zu
- schaffen machen, _Lohmann_, _Sprengel_, _Struve_
-
-·Göttlingk·
-
- (stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter
- Schnauzbart, Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn
- heruntergestrichen. Spielt den Kraftmenschen, großsprecherisch,
- übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet mit Meißel und
- Klippel und singt dazu)
-
-Na -- nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. He, ihr
-Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, ihr sollt mir
-den Block in den Schuppen schaffen? -- Lohmann, Sprengel, ihr andern,
-immer 'ran!
-
-·Willig·
-
-Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's lieber mir.
-
-·Göttlingk·
-
-Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn.
-
-·Willig·
-
-Und du hast denen nischt zu befehlen.
-
-·Göttlingk·
-
-Wenn sie so dumm sind und gehorchen. (Lohmann, Sprengel und ein dritter
-Arbeiter sind nach vorn gekommen) Da, wie sie anhampeln! Hab du sie man
-so an der Strippe wie ich. (Befehlshaberisch) Also nu los!
-
-·Lohmann·
-
-Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn Finger hat jeder zu
-verlieren. (Stemmt ein Brecheisen ein)
-
-·Göttlingk·
-
-Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen.
-
-·Sprengel·
-
-Ohne Brecheisen geht's nich.
-
-·Göttlingk·
-
-So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr Volk ... (Faßt mit an)
-~Uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt weiter) Na, geht's oder nich?
-
-·Lohmann·
-
-Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! Sagst du zum Hund
-»kusch«, dann kuscht er. Bloß weil er's Franzesch so gern hat.
-
-·Göttlingk·
-
-Noch mal: ~uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt wieder) Ja,
-ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de Knochen. Das ist die
-Hauptsache.
-
-·Lohmann·
-
-Und 's Messer im Sack nich zu vergessen.
-
-·Göttlingk·
-
-Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter Sohn. (Zieht ein
-Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt unter dem Kittel
-befestigt hat) Das is dreikantig geschliffen. Das schlupft (schnalzt,
-das Messer vorstoßend, mit den Lippen) wie 'n Küßchen ... Tut gar nich
-weh. Will einer probieren?
-
-·Willig·
-
- (der mißbilligend zugehört hat)
-
-Du -- Göttlingk!
-
-·Göttlingk· (zu ihm herübertretend)
-
-Hä?
-
-·Lohmann· (hinter ihm her, ingrimmig)
-
-So 'n Paradehengst! (Die andern lachen)
-
-·Willig·
-
-Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß sie ihre Arbeit
-verrichten. Und damit gut!
-
-·Göttlingk· (großspurig)
-
-Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur.
-
-·Willig·
-
-Mußte immer Bewunderer haben?
-
-·Göttlingk·
-
- (wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter)
-
-
-Zweite Szene
-
- _Die Vorigen._ _Zarncke_ (ist aus der Veranda getreten)
-
-·Zarncke·
-
-Polier!
-
-·Willig· (respektvoll)
-
-Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Is was zu melden?
-
-·Willig·
-
-Nein, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Was tut der Kran da?
-
-·Willig·
-
-Er holt die Quadern fürs Sägewerk.
-
-·Zarncke·
-
-Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block dort an der Treppe
-'runtergeschafft werden, damit er Montag in Arbeit genommen werden kann.
-
-·Willig·
-
-Sehr wohl, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Wie is die Verteilung heute?
-
-·Willig·
-
-Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm Bau, vier Bildhauer
-auf'm Platz, sechs auf'm Bau.
-
-·Zarncke·
-
-Wo is der Göttlingk heute?
-
-·Willig·
-
-Da is er ja.
-
-·Göttlingk·
-
- (den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten
- bedeckte Seite jetzt oben liegt)
-
-Donnerschock! ~Per Bacco!~ Den ganzen Dreckplatz soll der Deiwel holen!
-Du, Polier, komm mal her.
-
-·Zarncke·
-
-Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, Göttlingk?
-
-·Göttlingk·
-
- (lüftet einigermaßen verlegen die Mütze)
-
-Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der Deibel holen. Wie
-ich den Block drehen lass', da seh' ich, daß von gestern auf heute eine
-fremde Hand daran 'rumgemurkst hat.
-
-·Zarncke·
-
- (stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf)
-
-Ach, Sie werden sich täuschen. (Tritt hinzu)
-
-·Göttlingk·
-
-Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir zu Feierabend
-immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte!
-
-·Zarncke· (den Stein betrachtend)
-
-Von dem Blaustrich an?
-
-·Göttlingk·
-
-Jawohl.
-
-·Zarncke· (nachdenklich, lächelnd)
-
-Hm. So! -- Das is aber nich schlecht gemacht. Da ist Schwung drin. Wenn
-sich die Heinzelmännchen extra für Sie bemühen, Göttlingk!
-
-·Göttlingk·
-
-Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins zwischen
-de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, der Kerl, der jetzt
-Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er so was zulassen kann? ... Das
-ist schlimmer wie Einbruch.
-
-·Zarncke· (der abzulenken sucht)
-
-Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's finster is, kann man
-nich arbeiten.
-
-·Willig·
-
-Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon lang hell.
-
-·Zarncke· (beruhigend)
-
-Ich werd' den Mann hernach mal fragen.
-
-·Göttlingk· (murmelnd)
-
-Das besorg' ich schon selber.
-
-·Zarncke·
-
- (mit Willig nach vorne kommend)
-
-Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter im übrigen auf'm
-Platz?
-
-·Willig·
-
-Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich an Fleiß nicht genug
-tun. Aber -- schwach, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Tja!
-
-·Willig·
-
-Und dann -- 'n bißchen sonderbar.
-
-·Zarncke·
-
-Inwiefern? (Ringsum ertönen Mittagssignale)
-
-·Willig·
-
-Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. Manche fangen ihn schon
-zu verulken an.
-
-·Zarncke·
-
-Dulden Sie das nich, Willig!
-
-·Willig·
-
-Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? Eichholz!
-
-·Willig· (zur Kantinentür laufend)
-
-Eichholz!
-
-
-Dritte Szene
-
- _Die Vorigen_. _Eichholz_
-
-·Eichholz· (angeheitert)
-
-Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz bin ich da -- ja!
-(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt)
-
-·Zarncke· (sieht kopfschüttelnd zu)
-
-·Willig·
-
-Er is jetzt immer im halben Dusel.
-
-·Eichholz· (sich umschauend)
-
-Na -- schläft der -- faule Hund -- noch?
-
-·Zarncke·
-
-Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen?
-
-·Eichholz· (brummend nach links)
-
-·Willig·
-
-Nu geht er noch in die Destille!
-
-·Zarncke·
-
-Is das ein Elend!
-
-
-Vierte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Mehrere Frauen._ Später _Lore_
-
- (Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne
- gehen zu den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht
- sind und waschen sich. Andere holen dicke Butterstullen und
- Blechkannen hervor und beginnen zu essen. Frauen kommen von
- links mit Eßkörben und begrüßen ihre Männer. Einzelne haben
- auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit den Eltern um den
- Eßkorb gruppieren)
-
-·Zarncke·
-
- (begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den
- Frauen »Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern)
-
-·Lore·
-
- (erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der
- Bildhauer und Steinmetzen)
-
-Bitte zu Mittag. -- Bitte zu Tisch. -- Zu Tisch möcht' ich bitten.
-(Lauter) Wem kann ich Bier 'rausschicken?
-
-·Einzelne Stimmen·
-
-Hier. Ich. -- Mir eins.
-
-·Lore· (zählt die Stimmen)
-
-·Göttlingk·
-
- (betrachtet murrend seinen Block)
-
-·Lore·
-
- (an ihn herantretend, leise zaghaft)
-
-Kommst nich auch, Eduard?
-
-·Göttlingk· (sich umschauend, unwirsch) Hab' ich dir nicht gesagt, du
-sollst mich nich »du« nennen auf'm Platz?
-
-·Lore· Verzeih! Ich hab' vergessen. (Zur Kantine ab)
-
- (Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine,
- darunter Göttlingk)
-
-·Zarncke·
-
-Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie mal: Mit dem Struve
-steht's schlecht. Den wird uns das Kriminal bald abholen.
-
-·Willig· (achselzuckend)
-
-Ja.
-
-·Zarncke·
-
-Ach, schicken Sie ihn mir mal, -- ja?
-
-·Willig· (rufend)
-
-Struve!
-
- (Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt
- gesessen hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist
- nach vorne, dann geht er in die Kantine ab)
-
-
-Fünfte Szene
-
- _Die Vorigen_ ohne _Willig_. _Struve_ (nach vorne
- kommend)
-
-·Struve·
-
- (Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt.
- Bartstoppeln. Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei
- um die Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch
- und Holzpantinen. Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine
- faustdicke Butterstulle mit Taschenmesser in der andern Hand.
- Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, fällt ihm das Butterbrot
- auf die Erde)
-
-·Zarncke·
-
-Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand gefallen.
-
-·Struve·
-
- (das Butterbrot an den Hosen abwischend)
-
-Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung Sand -- schmeckt selbst
-'n alter Strohsack pikant,« sagten wir immer uf de hohe Schule.
-
-·Zarncke·
-
-Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre hohe Schule.
-
-·Struve·
-
-Ja, Herr Zarncke, was kann man machen?
-
-·Zarncke·
-
-Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie --
-
-·Struve·
-
-Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... Mir hat's auch mal leid
-getan. Aber nu is schon egal.
-
-·Zarncke· (leise)
-
-Na, sind Sie's nu gewesen oder nich?
-
-·Struve·
-
-Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein in die Hand
-nehm' --
-
-·Zarncke· (lachend)
-
-So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die Untersuchung geht
-weiter?
-
-·Struve·
-
-Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum.
-
-·Zarncke·
-
-Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen dafür beibringen,
-wo Sie in den Stunden des Einbruchs gewesen sind?
-
-·Struve·
-
-Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke?
-
-·Zarncke·
-
-Jawohl.
-
-·Struve·
-
-Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is -- der kost't nich
-unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig Mark hernehmen, Herr Zarncke?
-
-·Zarncke· (lachend)
-
-So?
-
-·Struve·
-
-So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt jejangen sind, die
-tun's auch billiger ... Meechens auch. Aber die kriegen's vor Gerichte
-hernach mit die Heulerei ... Nee, das sind alles keine reelle Sachen.
-
-·Zarncke·
-
-Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen?
-
-·Struve·
-
-»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen geschrieben.
-
-·Zarncke·
-
-Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt Ihnen ja doch keiner
-... Mensch, Mensch, wie hau' ich Sie nu 'raus?
-
-·Struve·
-
-Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu sitzen Se drin, Herr
-Zarncke.
-
-·Zarncke· (lacht)
-
-·Marie· (das Fenster öffnend)
-
-Vaterchen, kommst nich zu Tisch?
-
-·Zarncke·
-
-Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. Vielleicht fällt
-mir noch was ein.
-
-·Struve·
-
-Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. (Ab)
-
-·Struve·
-
-Danke, Herr Zarncke. (Die Zigarre einsteckend) Ja, ja. Sie rüsten sich
-wider die Seele des Gerechten und -- (sieht, daß Zarncke inzwischen
-weggegangen ist) Ach so! (Setzt sich auf den vordersten Block, kratzt
-an seinem Butterbrot und fängt an zu essen)
-
-
-Sechste Szene
-
- _Struve. Lohmann._ _Sprengel_, _ein dritter Arbeiter_,
- die essend auf dem Block hinter ihm sitzen
-
-·Lohmann·
-
-Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot noch 'runterfuttern
-lassen, Struve, ehe sie dich inlochen?
-
-·Struve· (achselzuckend)
-
-Ja.
-
-·Lohmann·
-
-Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und »blauen Heinerich«. Ei
-weh.
-
-·Struve·
-
-Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das versteht ihr nich.
-
-·Sprengel·
-
-Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus.
-
-·Struve·
-
-Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da sind bloß _feine_ Leute
-drin. Ja.
-
-·Die Anderen· (lachen)
-
-·Lohmann·
-
-Drum heißt es auch die hohe Schule.
-
-·Struve·
-
-Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne Kleiderbürschte? Die
-hat mir der Staat immer franko geliefert. Aus lauter persönlicher
-Hochachtung ... Oder gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich -- siehste! ...
-Kiek dir mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber _wir_ machen
-dort zu Mittag immer Toi--lette. Und Handtuch tragen wir immer auf'n
-Arm, da laufen wir den janzen Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja.
-
-·Die Anderen· (lachen)
-
-·Struve·
-
-Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? Und was sind
-wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch über dir kommen erst die
-Steinmetzen ... und da hoch drüber die Bildhauer. Und denn _noch_ höher
-der Polier ... Und _denn_ gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in
-de erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen dürfen.
-Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie der Polier. Das is wie 'n
-Jeneral ... Das kannste alles werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ...
-Karri--ere kannste machen. Ja.
-
-·Lohmann· (singt spottend)
-
- Liebes Kind, nu weine nich,
- Mittags jibt's den blauen Heinerich;
- Stehst du mit dem Schien auf du und du,
- Kriegste auch 'n halben Hering zu.
-
-·Struve·
-
-Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. Ihr geht hier zur
-Lore und schnauzt: Hering -- aber 'n milchernen -- mit Zwiebel -- viel
-Zwiebel ... janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal ...
-Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, leckern Schwimmling,
-da müßt ihr in de Anstaltsküche kommen. Die verstehn det Jeheimnis ...
-Da kitzelt euch die Schnauze von -- noch Abends beis Einschlafen. So
-viel scheener ist da alles. Ja.
-
-·Lohmann·
-
-Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn nich wieder hin?
-
-·Sprengel·
-
-Da hast _du_ doch freien Angtree.
-
-·Struve·
-
-Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht an de große
-Außenmauer in Waldheim -- da steht nämlich 'ne alte Linde ... Und
-von de Fisintation aus, was nämlich der Arbeitssaal is, da siehste
-'n janzes kleines Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo
-du immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, (stolz) bloß
-nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich immer zu zweie
--- wenn du da -- und du huppst in die Höh', dann siehst wieder 'n
-andern Stückschen -- so sechzig bis achtzig Blätter, wodran du immer
-jenau wissen kannst, was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer
-und ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den _janzen_ Lindenbaum
-sehen wollten, denn der soll nämlich der scheenste Lindenbaum sein,
-wo's auf de Welt überhaupt jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher
-stehn ... Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, und wo
-einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert -- und wo nu das innere Tor
-aufjeschlossen wird -- na, da is er nu -- und da is er 'n janz jemeiner
-oller, ekliger Lindenbaum. Na -- und so war denn hernach alles -- janze
-Freiheit.
-
-·Lohmann·
-
-Nu -- wenn du das nu schon weißt? --
-
-·Struve·
-
-Was hilft da viel -- wissen. Der Mensch is 'n dämliches Vieh. Wie ich
-'s zweite Mal drinsaß, da war der olle, dämliche Lindenbaum noch viel
-scheener geworden.
-
-·Die Anderen· (lachen)
-
-·Sprengel·
-
-Ja, wenn's so is.
-
-·Struve·
-
-Überhaupt -- ihr Schafsköppe mit eure sogenannte Freiheit! --
-Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste im Sonnenschein uf
-ne scheene Planke, kriegste den Holzbock in de Waden; haste keene
-Arbeit, kannste jehn den Chausseegraben austapezieren. Willste mal
-geradaus -- jeder Mensch will mal geradaus -- und als dir kommt nu
-'ne verschlossene Tür in de Quere -- und du willst _doch_ geradaus,
-dann stecken sie dir ins Kittchen. Das heißt nu Freiheit. Kindersch,
-ick hust' auf eure Freiheit. Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine
-Ordnung hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus.
-
-·Die Anderen· (lachen)
-
-·Struve·
-
-Mir hat überhaupt bloß _eins_ gefehlt. Dann wär' ich auch janz komplett
-jlücklich gewesen.
-
-·Sprengel·
-
-Das war wohl eene Braut?
-
-·Struve·
-
-Ne.
-
-·Lohmann·
-
-_Zwei_ Brauten?
-
-·Struve·
-
-Ne.
-
-·Lohmann·
-
-Na was denn sonst?
-
-·Struve· (träumerisch)
-
-Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich _den_ noch hätt' gehabt -- --
-
-
-Siebente Szene
-
- _Die Vorigen._ _Biegler_ (von rechts)
-
-·Biegler·
-
- (in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt,
- sein Aussehen gebessert, aber sein Benehmen noch scheu und
- unumgänglich, voll immer neu aufflackernden Mißtrauens. Er
- setzt sich auf die Bank vor das Kantinenfenster)
-
-·Lohmann·
-
-Kiekt mal den da! ... Was _is_ das eigentlich für 'ne Sorte? Reden
-_tut_ er nich, »guten Tag« _sagt_ er nich.
-
-·Biegler·
-
- (gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich,
- dumpf)
-
-Guten Tag.
-
-·Struve·
-
-Na sagt ja.
-
-·Lohmann·
-
-War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener Herr Nachtrat! ... Kommen
-der Herr Dunkelmann 'n bißchen de Sonne revindieren?
-
-·Sprengel·
-
-Mensch, nu red doch was!
-
-·Biegler·
-
-Was soll ich reden?
-
-·Sprengel·
-
-Mach doch 'n Witz.
-
-·Biegler·
-
-Ich weiß keinen Witz.
-
-·Lohmann·
-
-Der Kerl is trocken wie Galgenholz.
-
-·Struve·
-
-Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die lange Nacht über?
-Putzte de Sterne blank? Ziepste dir an de Barthaare? Wirfste de
-Meechens, wo auf de Straße vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend
-was muß der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über!
-
-·Biegler·
-
-Ach, ich hab' immer zu tun.
-
-·Lohmann·
-
-Tranig is das Luder.
-
-·Sprengel·
-
-Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze Mittag?
-
-·Biegler·
-
-Jetzt essen doch die -- Steinmetzen. Da kann ich doch nich auch essen.
-
-·Lohmann·
-
-Nu dann komm doch mal her so lang ... Na -- los!
-
-·Biegler· (erhebt sich zögernd)
-
-Was soll ich bei euch?
-
-·Sprengel·
-
-Trink mal aus meine Buddel. Prost.
-
-·Biegler·
-
-Danke. Ich trinke keinen Schnaps.
-
-·Lohmann·
-
-Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n Pumpengenie?
-
-·Biegler·
-
-Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir?
-
-·Sprengel·
-
-Nu huck dir doch mal erst dal. (Zieht ihn auf den Block nieder)
-
-·Lohmann· (weiterrückend)
-
-Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze.
-
- (Lachen)
-
-·Biegler·
-
-Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir?
-
-·Lohmann·
-
-Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß so an dir ran.
-
-·Struve·
-
-Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' du hier Nachtwächter
-wurdst?
-
-·Biegler· (erschreckend)
-
-Ich? -- Ich bin Arbeiter.
-
-·Lohmann·
-
-Kirschenpflücker vor de Wintermonate -- hä?
-
-·Struve·
-
-Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte.
-
-·Biegler· (angstvoll)
-
-Ich -- dir? Nee -- daß ich nich --
-
-·Struve·
-
-Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne Art ... Bei uns in
-Waldheim da hatten wir so 'n paar. Wir nennten se immer »de blamierten
-Förschten«. -- Du, wo liegt denn dein Förschtentum?
-
-·Lohmann·
-
-Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, Edler Herr von und
-zu Sonnenburg.
-
-·Biegler· (zuckt zusammen)
-
-·Lohmann·
-
-Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm.
-
-·Sprengel·
-
-Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... der is bloß verschüchtert.
-
-·Lohmann· (gutmütig)
-
-Ich mach' ja auch bloß 'n Witz.
-
-·Struve·
-
-Da -- willste 'ne Zijarre?
-
-·Biegler· (verblüfft)
-
-Wieso -- gibst -- du mir --?
-
-·Struve·
-
-Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der Alte vorher geschonken.
-
-·Biegler·
-
- (noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich)
-
-Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch später --
-revanschieren.
-
-·Lohmann·
-
- (ihn auf die Schulter klopfend)
-
-Na, meinen wir's denn nu so beese?
-
-·Biegler· (mit glücklichem Gesicht)
-
-Nee! Wahrhaftigen Gott nich!
-
-·Lohmann·
-
-Na siehste! (Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird) Aber vor
-dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien.
-
-
-Achte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Eichholz_
-
-·Eichholz· (vollends angetrunken)
-
-Ich bin ein Mann -- hochgeehrt, -- ich brauch' nich -- Kartoffelsuppe
-aus'n Steinguttopp -- fressen! Morjen, die Gesellschaft! Morjen, die
-hochgeehrte Gesellschaft! (Biegler bemerkend) Was? -- Was will der
-Hund? Der schmalbauchige Hund? M -- M -- Mantel hat er ihm geschenkt
--- mit blanke Knöppe -- wie 'n Offezier! Was is der Kerl überhaupt? Wo
-kommt der verhungerte Kerl her?
-
-·Lohmann·
-
-Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine Pflicht tut.
-
-·Eichholz·
-
-Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern hier. Der is hier
-auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. Wann hab' ich mal blanke
-Knöppe gekriegt? Kerl, durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den
-Posten gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund!
-
-·Biegler·
-
-Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts zu tun.
-
-·Eichholz·
-
-Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir jibt se 'n
-Porzellanteller. Du wirst noch mal -- platzen -- wie 'n Bovist. Und
-dann wird man an dem Gestanke erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab'
-'ne Faust wie 'ne Ramme! (Dringt auf ihn ein)
-
-·Biegler· (stößt ihn fort)
-
-·Eichholz· (zurücktaumelnd)
-
-Was -- hauen -- tust du mir alten Mann?
-
-
-Neunte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Göttlingk_ und _andere Bildhauer_ und
- _Steinmetzen_
-
-·Göttlingk·
-
-Was is hier los?
-
-·Eichholz· (keuchend)
-
-H--h--hauen -- m--m--ir--!
-
-·Göttlingk·
-
-Wer hat den alten Mann gehauen?
-
-·Struve·
-
-Is ja alles Blech!
-
-·Göttlingk·
-
-Werd' ich nu bald Antwort kriegen?
-
-·Lohmann· (kleinlaut)
-
-Hier hat überhaupt keiner gehauen.
-
-·Eichholz· (mit erhobener Faust)
-
-Der Hund! -- der verhungerte -- (Einige der Umstehenden führen ihn nach
-hinten)
-
-·Göttlingk·
-
-Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! ... Na?
-
-·Biegler·
-
-Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich nischt an.
-
-·Göttlingk·
-
-Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins -- zwei -- (pfeift)
-
-·Struve· (leise)
-
-Da geh man schon. -- Jegen den Großschnauz kommste nich auf.
-
-·Lohmann· (leise)
-
-Der sticht mit's dreikant'ge Messer.
-
-·Göttlingk·
-
-Wenn ich »drei« sag' --
-
-·Biegler· (blaß, schwer atmend)
-
-Sie können -- ja auch zu mir kommen.
-
-·Göttlingk· (pfeifend)
-
-Ich warte.
-
-·Biegler· (in Erregung, zitternd)
-
-Da lassen -- sich man -- die Zeit -- nich lang werden.
-
-·Die Anderen· (lachen)
-
-·Göttlingk· (in Wut)
-
-Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine Pfeife mit euch
-stoppen, Kerls? (Das Lederfutteral nach vorne ziehend) Soll ich euch
-mal die Hühneraugen barbieren? (Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor
-Biegler gestellt haben) Aus dem Weg hier!
-
-·Lohmann· (sich umschauend)
-
-Wo is denn der Polier?
-
-·Göttlingk·
-
-Jetzt bin ich hier der Polier. (Wild) Aus dem Weg hier -- oder --
-
-·Biegler· (vortretend)
-
-Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten haben. --
-
-·Göttlingk· (befriedigt)
-
-Na, da hätten wir ja das Gewächse. (Setzt sich, raucht) Immer parieren,
-Kinderchen.
-
-·Biegler·
-
-Also ich wär' ja nu da.
-
-·Göttlingk·
-
-Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, den wollen wir mal
-auf sich beruhen lassen. Aber wir haben noch 'n Hühnchen zu pflücken,
-wir beide. Sie sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter?
-
-·Biegler·
-
-Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch.
-
-·Göttlingk· (auflachend)
-
-Und Nachtwächter auch?
-
-·Biegler·
-
-Ja.
-
-·Göttlingk·
-
-Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na -- soll ich Sie bei den
-Ohren nehmen?
-
-·Biegler· (stammelnd)
-
-Was -- is -- denn -- mit dem Block?
-
-·Göttlingk·
-
-Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht geschieht. Ich
-frag' Sie: Wer hat da an meinem Block rumgemurkst?
-
-·Biegler· (sehr bestürzt)
-
-Das --
-
-·Göttlingk·
-
-Na?
-
-·Biegler·
-
-Das -- weiß ich -- doch -- nich.
-
-·Göttlingk·
-
-Seht euch mal das böse Gewissen an.
-
-·Struve· (leise)
-
-Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte.
-
-
-Zehnte Szene
-
- _Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie_
-
-·Frau Homeyer·
-
- (geht quer über den Platz zu der Gruppe hin)
-
-·Göttlingk·
-
- (sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd)
-
-Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner Besuch. Nu,
-mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, mein --
-
-·Frau Homeyer· (ihn abwehrend)
-
-Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf den Platz kommen
-können.
-
-·Göttlingk·
-
-Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst nich so. Ich hab' Ihnen
-doch manches liebe Mal in Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt.
-
-·Göttlingk·
-
-Aber gelächelt haben Sie dazu -- so sieß! (Schmachtend) Ach, wie so
-sieß!
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür steht das Fräulein.
-Das will Sie sprechen.
-
-·Göttlingk·
-
-Das Fräulein -- mich? -- Mich -- das --? So! Na! Sie, Nachtwächter, Sie
-können abrutschen. Aber Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? --
-
-·Lohmann· (leise)
-
-Hab man keine Bange vor dem!
-
-·Struve· (leise)
-
-Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick beschwör' alles ...
-Unbesehn.
-
-·Biegler·
-
-Ich dank' euch schön.
-
-·Göttlingk·
-
- (dreht eitel seinen Schnurrbart)
-
-Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? (Geht nach vorne links)
-
-·Frau Homeyer·
-
- (schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt
- sie von hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie
- geht nach links)
-
-·Biegler· (nach der Kantine ab)
-
-
-Elfte Szene
-
- _Marie. Göttlingk._ Die anderen im Hintergrund
-
-·Marie·
-
- (ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie
- um sich Mut zu machen, mit der Hand übers Gesicht)
-
-·Göttlingk·
-
- (linkisch, mit durchbrechender Frechheit)
-
-Mahlzeit, Fräulein.
-
-·Marie· (tonlos)
-
-Gesegnete Mahlzeit!
-
-·Göttlingk·
-
-Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich dem Fräulein dienen
-kann?
-
-·Marie·
-
-Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen.
-
-·Göttlingk·
-
-Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin ich schon lange wieder da.
-
-·Marie·
-
-Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk.
-
-·Göttlingk·
-
-Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke schön.
-
-·Marie· (rasch, ängstlich)
-
-Nein, nein, der Lore wegen.
-
-·Göttlingk·
-
-Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen Weg.
-
-·Marie·
-
-Was für 'n Weg, Herr Göttlingk?
-
-·Göttlingk·
-
-Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen Sie sich darüber nicht.
-Da sind Sie viel zu fein zu. -- Das sind solche Geschichten.
-
-·Marie·
-
-Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb Sie die Lore hat?
-
-·Göttlingk·
-
-Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür sorgt schon der liebe
-Gott.
-
-·Marie· (ihn bestürzt anstarrend)
-
-Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht sein. Wenn die
-andern auch sagen, Sie seien gewalttätig und -- Ich habe Sie immer für
-einen guten und edeln Menschen gehalten.
-
-·Göttlingk·
-
-Na, macht sich!
-
-·Marie·
-
-Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches Herz. Ich habe Ihnen
-immer mit Freuden zugehört.
-
-·Göttlingk·
-
-So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für Sie gesungen, Fräulein
-Mariechen.
-
-·Marie· (tödlich erschrocken)
-
-Wieso -- für -- mich?
-
-·Göttlingk·
-
-Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's Fenster aufmachen. Also
-müssen Sie's doch gerne haben. Ich tu' immer, was Sie gerne haben.
-Jawohl. Mach' ich.
-
-·Marie· (außer Fassung)
-
-Es handelt -- sich hier -- aber gar nicht -- um mich.
-
-·Göttlingk·
-
- (in trumpfender Männlichkeit)
-
-Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum soll es sich nich auch
-'n mal um Sie handeln?
-
-·Marie·
-
- (sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen,
- dann -- da sie Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie
- hilfesuchend auf ihn zu)
-
-Vaterchen! Vaterchen!
-
-·Göttlingk· (seinen Schnurrbart drehend)
-
-Sieh mal an! Sieh mal an! (Geht nach hinten)
-
-
-Zwölfte Szene
-
- _Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar
- Reitmaier_
-
-·Zarncke·
-
-Na, was denn, Miezelchen? (Ruft) Frau Homeyer! (Sie hängt in seinem
-Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann Frau Homeyer, die
-für einen Augenblick in der Tür erscheint) Sie werden entschuldigen,
-Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen kränklich ...
-
-·Reitmaier·
-
- (Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder
- Schnauzbart, Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in
- brutale Schärfe umschlägt. Ein wenig Bierbruder mit Ausblick
- zum Offiziertypus)
-
-Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das Privatleben der
-Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie auch nicht lange aufhalten.
-Ich bin nur beauftragt worden, mal 'n bißchen nachzuhören, was mein
-Kollege vom Revier da -- -- Haben Sie man keine Bange. Ich bin 'ne
-menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. Die Herren
-Spitzbuben -- die sind mir so wie 'ne große Familie.
-
-·Zarncke· (erfreut, bewundernd)
-
-Ach -- ne -- wirklich?
-
-·Reitmaier· (bieder)
-
-Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, kann man den Onkel mal
-'n bißchen sehn?
-
-·Zarncke· (rufend)
-
-Struve!
-
-·Struve·
-
- (sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend)
-
-Jawohl, Herr Zarncke. (Leise) Ei weh, Kindersch. Da is der Reitmaier
-vom Präsidium. Das is 'n fauler Junge. (Kommt nach vorn)
-
-·Reitmaier· (die Arme ausbreitend)
-
-Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... Na, lieber Freund!
-
-·Struve· (gerührt)
-
-Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude!
-
-·Reitmaier·
-
-Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich gesehn.
-
-·Struve·
-
-Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was gefehlt.
-
-·Reitmaier·
-
-Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was _haben_ Se denn nu wieder
-ausgefressen?
-
-·Struve·
-
-Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin eben scharf in de
-Besserung. Diesmal kann ich wirklich nich -- nich -- dienen.
-
-·Reitmaier· (überzeugt)
-
-Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen?
-
-·Struve·
-
-Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen Totenschein in die Hand
-nehm' --
-
-·Reitmaier·
-
-Nich schon Totenschein! Pfui! -- Mann wie Sie muß leben!
-
-·Struve·
-
-Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im Zuchthaus. Ja.
-
-·Reitmaier· (zu Zarncke)
-
-Er is bitter gestimmt. (Beruhigend) Na, na, na, es is da bloß noch 'ne
-kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! Ne! (Zieht sein Notizbuch)
-Sagen Sie mal, wo waren Sie denn nu in der Nacht?
-
-·Struve·
-
-Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne Banke. Oder so.
-
-·Reitmaier· (bedauernd)
-
-Warum _waren_ Se nu nich in Ihre Schlafstelle?
-
-·Struve·
-
-Ja, warum _war_ ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' ich gewußt, daß
-schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke einbrechen würden, hätt' ich
-mir gleich um halb zehne in de Klappe gelegt. Wegen den Aal--ibi.
-
-·Reitmaier·
-
-Natürlich! (Leise) Das is 'n abgefeimtes Luder! -- Da Sie das aber
-selbstredend nicht wissen konnten, so gingen Sie zu -- in den bekannten
-Lehmannschen Keller, wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is
-da 's Bier immer noch so gut?
-
-·Struve·
-
-Danke. Ja. Es jeht.
-
-·Reitmaier·
-
-Da waren Sie bis -- zehn Minuten nach zwölfe. Und dann waren Sie mit
-Ihrem Freund Kuntze -- ja, wo waren Sie da?
-
-·Struve·
-
-Ja, wo war ich da? Ich bin -- spazieren jewesen.
-
-·Reitmaier· (klagend)
-
-Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze sitzt schon wieder
-feste!
-
-·Struve·
-
-Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm.
-
-·Reitmaier·
-
-Aber es is doch schade. Na -- und als Sie sich dann getrennt hatten,
-was taten Sie dann?
-
-·Struve·
-
-Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. Ick hab' mir so,
-wie ick schon sagte, in'n Humboldthain bisken uf die Banke jesetzt.
-
-·Reitmaier·
-
-Und gesprochen haben Sie mit niemandem?
-
-·Struve·
-
-I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in schlechte Jesellschaft
-kommen. Ne.
-
-·Zarncke· (triumphierend, leise)
-
-Den kriegen Sie nich!
-
-·Reitmaier·
-
-Und dann sind Sie nach Hause gegangen.
-
-·Struve·
-
-Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens singen hören.
-Aber ~pee à pee~ bin ick denn zu Hause jejangen.
-
-·Reitmaier· (leise)
-
-Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des Einbruchs noch die Zeit
-seines Heimkommens sind festzustellen. Aber -- -- (laut) Struve!
-
-·Struve·
-
-Herr Kommissar!
-
-·Reitmaier·
-
-Ja, noch eins. (Wieder leise) In dem Magazin -- haben Sie da Sachen von
-Wert?
-
-·Zarncke·
-
-O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf.
-
-·Reitmaier·
-
-Und die sind wertvoll?
-
-·Zarncke·
-
-Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt.
-
-·Reitmaier·
-
-Ah! Wußte der Struve davon?
-
-·Zarncke· (mit reserviertem Lächeln)
-
-Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar.
-
-·Reitmaier·
-
-Struve, wo ist hier das Magazin?
-
-·Struve·
-
-Das Magazin? (Nach rechts weisend) Na da is es ja.
-
-·Reitmaier·
-
-Was is denn da so drin?
-
-·Struve·
-
-Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen Sie sich mal, Herr
-Kommissar.
-
-·Reitmaier· (schärfer)
-
-Wissen Sie, was Zahnsägen sind?
-
-·Struve·
-
-Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen.
-
-·Reitmaier·
-
-Wo werden die über Nacht aufbewahrt?
-
-·Struve· (rufend)
-
-Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt?
-
-·Reitmaier· (ärgerlich)
-
-Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu stellen.
-
-·Zarncke·
-
- (auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach
- näher herangedrängt haben)
-
-Stören Sie die Leute, Herr Kommissar?
-
-·Reitmaier·
-
-Durchaus nicht. Durchaus nicht. (Leiser) Sie sehn übrigens -- (zu
-Struve streng) treten Sie mal zurück! -- (leiser) daß an das Subjekt
-nicht 'ranzukommen ist.
-
-·Zarncke· (zaghaft, bittend)
-
-Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen.
-
-·Reitmaier·
-
-Nu ja, _Sie_ sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen Vergnügen macht,
-dergleichen Volk bei sich unterkriechen zu lassen.
-
-·Zarncke·
-
-Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den lieben Gott.
-
-·Reitmaier· (immer noch leise)
-
-Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit liegen nicht vor. Ich
-könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. Vorher aber möcht' ich mal
-an _Sie_ die Frage richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl
-für verdächtig halten oder nicht?
-
-·Zarncke· (verlegen)
-
-Ja, da is schwer --
-
-·Reitmaier·
-
-Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß --
-
-·Zarncke· (in die Enge getrieben)
-
-Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie doch mal -- (spricht
-leise weiter)
-
-·Willig·
-
- (der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat,
- holt eine Anzahl Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm
- einen davon)
-
-·Zarncke·
-
-Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. Kennen Sie den?
-
-·Struve·
-
-Ne.
-
-·Zarncke·
-
-Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen hiermit. Verstehn
-Sie?
-
-·Struve·
-
-Ne.
-
-·Zarncke·
-
-Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden _Sie_ mir von jetzt ab
-für die Sicherheit der Sachen -- einstehn. Verstanden?
-
-·Struve·
-
-Ne.
-
-·Reitmaier·
-
-Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet denn das?
-
-·Zarncke·
-
-Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen Sie daraus, was Sie
-wollen.
-
-·Reitmaier·
-
-Sie -- vertrauen -- _dem_ den --? Hähähä! Erlauben Sie mal. -- Hähähä.
-Pardon, das ist zu spaßhaft. (Immer lachend) Na dann will ich auch
-nicht weiter stören. Das kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende
-führen! ... Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren Jungens
-nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn außerdem haben Sie ja auch
-noch 'n Mörder bei sich. Und weiß Gott, was --
-
-·Zarncke· (sehr erschrocken)
-
-_Mörder?_ (Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während der
-Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt)
-
-·Reitmaier·
-
-Nu ja -- den --
-
-·Zarncke· (rasch, mit Nachdruck)
-
-Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar.
-
-·Reitmaier·
-
-Erlauben Sie mal --
-
-·Zarncke·
-
- (ihn bei Seite nehmend, erregt)
-
-Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags
-verurteilt worden --
-
-·Reitmaier·
-
-Menschenblut is Menschenblut.
-
-·Zarncke·
-
-Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und das braucht ihm nicht
-unnütz vergiftet zu werden. Wissen Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu
-mir gerettet hat, wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie _dem_
-das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich gemacht
-haben?
-
-·Reitmaier·
-
-Ich? Wieso? Bitte!
-
-·Zarncke·
-
- (auf die erregten Gruppen weisend)
-
-Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der »Mörder« ist.
-Anstatt hier rücksichtsvoll --
-
-·Reitmaier· (brutal)
-
-Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen -- Auswurf --
-Rücksicht zu nehmen.
-
-·Zarncke·
-
-Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade _nicht_ von Ihrer
-werten Familie.
-
-·Reitmaier·
-
-Was für Familie? ... Ach so! (Scharf) Ich empfehle mich Ihnen, Herr
-Zarncke. (Ab nach links)
-
-
-Dreizehnte Szene
-
- _Die Vorigen_ ohne _Reitmaier_
-
-·Zarncke·
-
- (der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut)
-
-Hört mal, Kinder! Das -- mit dem -- Mörder -- das muß 'ne Verwechslung
-sein. Das -- ja --!
-
-·Willig· (vor sich hin)
-
-Na na!
-
-·Andere·
-
- (geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel
- Ausdruck)
-
-·Zarncke·
-
-Struve!
-
-·Struve·
-
- (der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat)
-
-Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen Sie sich auch
-darnach.
-
-·Struve·
-
-Ja w-- w-- w--
-
-·Zarncke·
-
-Na was denn?
-
-·Struve·
-
-Wenn nu gesetzten Falls -- und es is _doch_ nu ein anderer gewesen --
-
-·Zarncke·
-
-Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... Und?
-
-·Struve·
-
-Und -- nu ja -- und der andere der kommt nu mal wieder -- --
-
-·Zarncke·
-
-Dann werden _Sie_ eingesteckt. Verlassen sich drauf. (Ab)
-
-·Lohmann· (nach der Kantine weisend)
-
-Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst?
-
-·Sprengel· (nach Struve hin)
-
-An _den_ hat man sich schließlich gewöhnt, -- aber _Mörder_! Ne.
-
-·Lohmann·
-
-Du, Struve, komm mal her. (Struve geht zu ihnen)
-
-·Sprengel·
-
-Scht. Da is er.
-
-
-Vierzehnte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Biegler._ Gleich darauf _Lore_
-
-·Biegler·
-
- (hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht)
-
-·Lore·
-
- (mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre)
-
-Herr Biegler.
-
-·Biegler· (sich umwendend)
-
-Ja?
-
-·Lore·
-
-Sie haben doch _vier_ Zigarren bezahlt und bloß dreie genommen.
-
-·Biegler·
-
-Ach so. Ja. Danke. (Nimmt die Zigarre) Es war ja auch noch 'n vierter
-dabei. (Mit glücklichem Lächeln) Ich hab' nämlich -- jetzt -- auch --
-_Freunde_ hier.
-
-·Lore· (erfreut)
-
-Ach, sehn Sie!
-
-·Biegler·
-
-Ja. Freunde -- hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und da will ich mich doch
-mit Zigarren revanschieren. Ja.
-
-·Lore·
-
-Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: Es is nich so schlimm,
--- sie tun Ihnen nichts?
-
-·Biegler·
-
-Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer Mut gemacht.
-
-·Göttlingk· (herüberrufend)
-
-Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu schaffen? Das ist
-kein Umgang für Sie. -- Lassen Sie den mal hübsch laufen.
-
-·Lore· (zusammenschreckend)
-
-Ja ... ja, ja. (Steht unschlüssig)
-
-·Biegler· (die Zähne zusammenbeißend)
-
-Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... Ich hab' ja auch noch
--- _Freunde_. (Lore ab) (Er breitet seine Zigarren fächerförmig in
-der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst mit Struve gesprochen
-und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat) Du -- willste nich -- eine
-Zigarre von mir -- rauchen?
-
-·Lohmann· (verächtlich)
-
-Nee. (Tritt von ihm fort)
-
-·Biegler·
-
- (steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel,
- sehr zaghaft)
-
-Ach -- bitte -- ich hätt' -- ne Zigarre -- für --
-
-·Sprengel·
-
-Du kannst deine Zigarren für dich behalten. (Tritt gleichfalls von ihm
-fort)
-
-·Biegler·
-
- (reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit
- kommt über ihn; er geht zu Struve -- voll Angst und Ingrimm)
-
-Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben --
-
-·Struve· (gutherzig abwehrend)
-
-Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz bin, weil ich nu
-den -- Magazinschlüssel hab' ... aber -- ich kann mir nich --
-ausschließen, -- ich muß machen wie die andern.
-
-·Biegler·
-
-Wa -- was hab' ich -- euch denn -- ...?
-
-·Struve·
-
-Sag mal, wie alt bist du?
-
-·Biegler·
-
-Vierunddreißig.
-
-·Struve·
-
-Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh lassen sie einen wie
-du -- sonst doch nich los ...
-
-·Biegler·
-
- (sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick
- auf die ihn rings Beobachtenden und versteht)
-
-Ach so ... Ach so.
-
-·Struve· (ist zu Lohmann zurückgetreten)
-
-Ich sag' euch bloß: det stimmt _nich_.
-
-·Lohmann·
-
-Wer soll's denn sonsten sein?
-
-·Biegler·
-
- (auf die Bank der Kantine sinkend)
-
-Ach so!
-
- (_Der Vorhang fällt_)
-
-
-
-
-Dritter Akt
-
- Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. Die Decke
- ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite die Tür zum
- Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, im Hintergrunde
- links das Büfett mit einem Schanktisch davor. -- Auf der
- linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. -- In der Mitte unter
- der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, links vorne ein Sofa mit
- Tisch und Stühlen, rechts vorne Tisch mit Stühlen. Vor dem
- Fenster Schustergerät. In der Ecke rechts hinten ein eiserner
- Ofen.
-
- Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen
- Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf
- den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf dem
- Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. Plakate und
- Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck an die Wände
- geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und Rahmen hängt neben
- der Eingangstür. Über dem Büfett eine Uhr; neben ihm eine
- Mandoline
-
-
-Erste Szene
-
- _Lore_ hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt.
- Der alte _Eichholz_ auf dem Sofa schlafend. _Lenchen_ an dem
- Schusterschemel
-
-·Eichholz· (schnarcht)
-
-·Lore·
-
-Was machst du da, Lenchen?
-
-·Lenchen·
-
-Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen.
-
-·Lore·
-
-Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke.
-
-·Lenchen·
-
-Nein, nein.
-
-·Lore·
-
- (sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa)
-
-Vater -- Vater!
-
-·Eichholz·
-
- (brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren)
-
-·Lore·
-
-Vater, du mußt aufstehn.
-
-·Eichholz· (im Halbschlaf)
-
-Wieso denn?
-
-·Lore·
-
-Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung -- du weißt ja -- dann
-wird's noch einmal voll hier.
-
-·Eichholz·
-
-Ja, ja ... Na ja ... (Richtet sich auf und reckt die Glieder) Ich muß
-ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech besorgen.
-
-·Lore·
-
-Laß doch, Vater, das eilt ja nicht.
-
-·Eichholz·
-
-Nu ja. Ich arbeit' ja _doch_ nich. Ich bin 'n altes Faultier, sagt
-meine Tochter. (Rülpst) Dein Kümmel is das reine Rattengift. -- Meine
-Leber kriegt schon harte Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich
-an einen Mäßigkeitsvereine zu beteiligen.
-
-·Lore·
-
-Ach ja, das wär' ganz gut, Vater.
-
-·Eichholz·
-
-Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was mir gut is? Ich freß
-nich mehr aus'n Steinguttopp. Das laß dir gesagt sein.
-
-·Lore·
-
-Ach, das is ja alles Einbildung, Vater.
-
-·Eichholz·
-
-Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger bin ich ... Wenn sie
-mich schon wegjagen tun um -- um -- um 'n Mörder.
-
-·Lore· (abwehrend)
-
-Ach!
-
-·Eichholz·
-
-Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich aus. Da jeh' ich
-ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille zu mir. Und dann verkauf' ich
-mir an die Annetomie ... Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest.
-Nich mal meinen Leichnam.
-
-·Lore· (lächelnd)
-
-Ich will ja auch nichts, Vaterchen.
-
-·Eichholz·
-
-Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt du den Kerl 'raus
-und scheuerst mit Karbol die Stelle, wo er gestanden hat. Statt dessen
-frißt er sich hier rund an deine Karbonade.
-
-·Lore·
-
-Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob er wirklich _der_ is,
-von dem der Kommissär gestern gesprochen hat, das weiß ja keiner.
-
-·Eichholz·
-
-Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen im Kopp. Heute is nu
-jeder so klug.
-
-·Lore·
-
-Was sind denn Mörderaugen, Vater?
-
-·Eichholz·
-
-Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. Und das is der Tod.
-Und wegen so einen -- haben sie -- mir -- (Weint)
-
-·Lore· (mitleidig)
-
-Vaterchen!
-
-·Eichholz· (weinend)
-
-Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. Einer muß hin. Er
-oder ich. Tot oder lebendig. Der muß verrecken, der Hund, der Bluthund,
-der -- der -- (Kläglich) Ich hab' so 'n Leberstechen.
-
-·Lore·
-
-Geh, leg dich aufs Bett, Vater.
-
-·Eichholz·
-
-Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, daß ich nicht
-werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' so 'n Leberstechen. (Ab)
-
-·Lore· (sieht ihm seufzend nach)
-
-Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. Und wenn er weint,
-dann ruf.
-
-·Lenchen·
-
-Ja, Mamachen. (Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft)
-
-·Lore·
-
-Herein!
-
-
-Zweite Szene
-
- _Lore._ _Marie_
-
-·Marie·
-
-'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet?
-
-·Lore· (gedrückt)
-
-Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört.
-
-·Marie·
-
-Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen hatte?
-
-·Lore·
-
-Die anderen erzählten sich's.
-
-·Marie·
-
-Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, daß ich keine guten
-Nachrichten bringe?
-
-·Lore· (mutlos)
-
-Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute vormittag nicht.
-Wollen sich nich setzen, Mariechen?
-
-·Marie·
-
-Danke. (Setzt sich) Hast du gehört, wie schön die Amsel singt auf
-deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' ich mich, oder pfeift sie
-fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? Es is wirklich so, als ob das Glück
-pfeift ... Auf deinem Dach, Lore.
-
-·Lore·
-
-Für mich pfeift kein Glück.
-
-·Marie·
-
-Wer weiß? ... (Zögernd) Lore, ich will dir was gestehn: Ich hab' Vater
-gebeten, daß er ihm am nächsten Termin kündigt.
-
-·Lore·
-
-Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, dann soll er gehn. Aber
-nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen.
-
-·Marie·
-
-Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann sagt, daß er dir 'ne
-Aussteuer geben wird.
-
-·Lore·
-
-Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht nichts gut. Ich
-will nichts.
-
-·Marie·
-
-Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, die wohlhabend ist.
-Darauf geht er aus.
-
-·Lore·
-
-Woher wissen Sie das?
-
-·Marie·
-
- (stockend, mit abgewandtem Gesicht)
-
-Nun, das -- merkt -- man doch.
-
-·Lore·
-
-Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut Herr Zarncke is,
-wohlhabend, wie _er_ meint, kann ich ja doch nie werden.
-
-·Marie·
-
- (mit geheimnisvollem Lächeln)
-
-Nun -- wer weiß?
-
-·Lore·
-
-Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade das tägliche
-Brot.
-
-·Marie· (mit unterdrückter Erregung)
-
-Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' sagen wollen: Lange
-leben werd' ich nicht, (langsam, mit Betonung) und -- dein Lenchen --
-hab' ich _sehr lieb_.
-
-·Lore· (nach langem Schweigen)
-
-Mein Kind hast du -- so lieb?
-
-·Marie· (nickt)
-
-·Lore·
-
-Mein Lenchen hast du so lieb?
-
-·Marie· (tonlos)
-
-Ja.
-
-·Lore· (aufschreiend)
-
-Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. Wozu soll sie sich
-durchschleppen mit mir durch all den Jammer, wenn sie _das_ haben kann?
-(schluchzt)
-
-·Marie·
-
-Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen -- da hätt' ich noch ja und »Schön
-dank« gesagt. Aber jetzt -- seh' ich die Dinge -- anders an. Denn, sieh
-mal! So ein -- Kindchen -- muß doch zuerst mal -- seinen Vater haben
-... Nicht wahr?
-
-·Lore· (in neuem Erstaunen)
-
-Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das glaub' ich nicht!
-Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und das kann auch nicht zum Guten
-sein. Nie im Leben. Nie.
-
-·Marie·
-
-Warum nicht?
-
-·Lore·
-
-Weil -- weil ... Der -- der _will_ mich nicht mehr. Dem bin ich _doch_
-bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts.
-
-·Marie·
-
-Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten hat? Und wovon er doch
-der Verwalter sein wird?
-
-·Lore·
-
-Mein Gott, mein Gott, mein Gott!
-
-·Marie·
-
-Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, das weiß ich nicht.
-Denn wollen _wird_ er ja nicht.
-
-·Lore·
-
-Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch nicht. Und es schadet
-auch gar nichts, wenn's -- nichts -- wird. -- Man is ja längst schon
-viel zu mürbe. Und vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt,
-wo _nicht_ so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde lang mal
-froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß ein Stein, den man hin
-und her stößt, ach, das tut so gut, so gut, so gut! (Sinkt lachend und
-weinend vor ihr nieder und küßt ihr die Hände)
-
-·Marie·
-
-Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. (Lore steht auf)
-
-
-Dritte Szene
-
- _Die Vorigen. Biegler_
-
-·Biegler· (dumpf, scheu)
-
-Guten Tag.
-
-·Marie.·
-
-Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend?
-
-·Biegler·
-
-Ja.
-
-·Marie·
-
-Geht's Ihnen gut?
-
-·Biegler·
-
-Danke.
-
-·Marie·
-
-Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! (ab)
-
-
-Vierte Szene
-
- _Lore. Biegler_
-
-·Biegler· (setzt sich an den Mitteltisch)
-
-·Lore·
-
- (geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit
- Kaffee ein, bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie
- nach dem Tisch links)
-
-Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is ja der
-Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich nach der Auszahlung.
-Die sind zu große Herren.
-
-·Biegler·
-
-Ich geh' so wie so gleich fort. (Setzt sich links)
-
-·Lore·
-
-Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung?
-
-·Biegler·
-
-Ich -- krieg' -- monatlich. (Schweigen)
-
-·Lore·
-
- (immer in freudiger Erregung)
-
-Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, Herr Biegler. Sie
-reden gar nich.
-
-·Biegler·
-
-Ich red' ja -- auch sonst nich -- viel.
-
-·Lore·
-
-Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was -- ganz was -- Besonderes --
-passiert.
-
-·Biegler·
-
-Was Gut's?
-
-·Lore· (nickt)
-
-·Biegler·
-
-Da gratulier' ich.
-
-·Lore·
-
-Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts ändern. Aber es
-is doch wie 'n heller Schein. -- Und da möcht' ich, daß es auch andern
-so geht. Ihnen auch.
-
-·Biegler· (schwer atmend)
-
-Danke!
-
-·Lore·
-
-Herr Biegler -- ach, Herr Biegler, wozu sollen wir erst viel Versteck
-spielen. Ich weiß ja, was Sie quält -- seit gestern.
-
-·Biegler·
-
- (sich in Erstaunen jäh umwendend)
-
-Und da reden Sie noch mit mir?
-
-·Lore·
-
-Ja -- is es denn wahr?
-
-·Biegler· (nach einer Pause, schwer)
-
-Die Herren Geschworenen haben die Frage -- ob's Notwehr gewesen is oder
-nich -- verneint ... Und nu lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken.
-(Schweigen)
-
-·Lore· (nach innerem Kampfe)
-
-Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch.
-
-·Biegler· (bitter lachend)
-
-Sie?
-
-·Lore· (zaghaft)
-
-Sie wissen doch!
-
-·Biegler·
-
-Ja, Ohren hab' ich auch ... (in Wut auffahrend) Und wenn ich erst
-wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann würd' ich den Kerl -- --
-
-·Lore·
-
-Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch nich, daß ich Angst
-hab' vor Ihnen?
-
-·Biegler· (hastig seinen Kaffee trinkend)
-
-Ich geh' schon. Ich geh' schon.
-
-·Lore·
-
-Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern?
-
-·Biegler·
-
- (unschlüssig, mit dankbarem Aufblick)
-
-Ach! ... (hart) Ne.
-
-·Lore·
-
-Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man wird ja so wie so wie'n
-Stein! Die Steinmetzen erzählen nämlich: Der Stein wird durch Druck.
-Wissen Sie?
-
-·Biegler·
-
-Das sollt' ich wohl wissen.
-
-·Lore·
-
-Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die drüberliegenden
-Schichten drücken, dann wird die lebendige Erde zu Stein ... Beim
-Menschen dauert's nich so lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar
-Jährchen Druck -- immer derselbe Druck. Das genügt.
-
-·Biegler· (bitter)
-
-Ob's genügt.
-
-·Lore·
-
-Man lacht und man weint und man schläft und man arbeitet -- ach, lustig
-sein kann man sogar -- man is überhaupt ein Mensch wie andere und is
-doch lang keiner mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ...
-Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit dem Fuß stoßen wie
-'n Stein. Man wird gegen alles gleichgültig wie 'n Stein.
-
-·Biegler· (eifrig)
-
-Ja, ja, ja, -- so is es, -- ja, ja.
-
-·Lore·
-
-Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So sehr hat mich was
-gefreut ... Gestern war ich wie Sie. Aber heut kann ich Ihnen was
-helfen. Bloß Vertrauen müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will.
-
-·Biegler·
-
-Das hätt' ich schon -- aber -- (vor sich hinbrütend) ich muß ja wohl
-wieder weg.
-
-·Lore·
-
-Ich denk', Sie waren zufrieden.
-
-·Biegler·
-
-Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten -- _alle_ -- im Himmel wär' ich
-gewesen. Morgens -- so gegen zweie -- da is mir leicht geworden ...
-dann kann keiner kommen und was von mir wollen. -- _Doch!_ -- Einer
-_kann_ kommen ... Die kann _immer_ kommen. Sie _is_ noch nich -- aber
-sie kann.
-
-·Lore· (mit beruhigendem Lächeln)
-
-Na wer denn, wer denn?
-
-·Biegler·
-
-Ach so -- ich soll ja mein Herz erleichtern.
-
-·Lore·
-
-Nicht -- wenn Sie nich wollen.
-
-·Biegler·
-
-Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste schieben sie sich so
-langsam von einem weg ... Man will _mit_ anfassen, und dann is man
-allein. Und dann geht's Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na,
-habt ihr auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn
-sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden wir den Platz
-schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück Holz. Und dann fliegt 'n
-Stein. Und dann kommen _Sie_ eines Tags und sagen: »Es tut mir leid,
-Herr Biegler, aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.«
-
-·Lore· (schüttelt heftig den Kopf)
-
-·Biegler·
-
-Na warten Sie man. Und schließlich kommt der Prinzipal und sagt: »Hier
-is Ihr Buch. Sie können gehen.« Und man weiß, daß man nu wieder ins
-Hungerland zieht, wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt
-noch: »Gott sei Dank.«
-
-·Lore·
-
-Ach, es is schrecklich.
-
-·Biegler·
-
-Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid froh, daß ihr
-sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne Wort ... Das haben die
-Herren extra für uns erfunden ... Ja, was soll ich nu alles sühnen?
-... Daß der Weg mich in _die_ Schlafstelle geführt hat -- und gerade
-in _die_? ... Daß die Frau jung war -- mit Flunkeraugen -- und daß sie
-immer _so_ machte (haucht mit spitzem Munde), wenn sie hinten an mir
-vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': »Was machen Sie da?« dann hat sie
-mich mit den blanken Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den
-Tod nich leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und der
-Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und kalt das Genick
-'runterlief ... Ja, so kommt so was ... Er war Schuster. Wie Ihr Vater
-... Mit den Schustern hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja
-auch, was 'n Klopfstein is ... (Zum Gerätschemel gehend) Da liegt er
-ja! (Bringt den Stein.) Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war er
--- aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines Tages abgefaßt hat --
-mit ihr -- -- und auf mich zugekommen is, Messer in der Hand, da hab'
-ich gedacht: was machen? Was hab' ich gemacht? _So!_ (Hebt den Stein
-hoch) ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze hat gedauert,
-wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der nu da lang lag, darum war
-mein Leben verdorben. Nu sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal,
-wenn der Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu Schanden
-geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden kann er sich lecken ... Mehr
-kann er nich.
-
-·Lore· (mitleidig)
-
-Mein lieber Gott.
-
-·Biegler·
-
-_Ihr_ lieber Gott is nich _mein_ lieber Gott. Sonst ließ' er _das_ nich
-zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die ersten müssen gleich kommen.
-
-·Lore· (fest)
-
-Sie sollen _nicht_ gehn, Herr Biegler.
-
-·Biegler· (in flackernder Angst)
-
-Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts mehr zu tun.
-
-·Lore·
-
-Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie sollen dableiben. Ich
-setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie den andern. Das trinken Sie aus und
-kümmern sich um nichts.
-
-·Biegler·
-
-Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn?
-
-·Lore·
-
-Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, desto mehr sind
-_die_ von Ihrer Schuld überzeugt. Und das darf nicht sein.
-
-·Biegler·
-
-Wenn's nu aber doch wahr is?
-
-·Lore·
-
-Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und mir weiß keiner was.
-Und wir halten reinen Mund. Wenn _die_ sehn, daß Sie keinem aus dem
-Wege gehn, dann wird das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber
-nichts gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... Wissen
-Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste Butterbrot brachte?
-
-·Biegler· (nickt voll Grauen)
-
-·Lore·
-
-So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie sich jetzt wegjagen
-lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr Biegler. (Hinaushorchend) Ich
-glaube, Sie kommen schon. Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt,
-dem zeigen Sie die Zähne.
-
-·Biegler· (stammelnd)
-
-Ach ich -- m -- mir bl -- eibt ja jedes Wort in der Kehle.
-
-·Lore·
-
-Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr Biegler, müssen!
-
-·Biegler·
-
-Und 's kann sein, wer's will? Ja?
-
-·Lore· (stutzend, dann stark)
-
-Ja.
-
-·Biegler· (dumpf, zagend)
-
-Na, is gut. (Setzt sich auf seinen Platz zurück)
-
-
-Fünfte Szene
-
- _Die Vorigen._ _Lohmann._ _Sprengel._ _Struve._
- _Drei andere Arbeiter_
-
- (Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den
- Schanktisch getreten ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und
- setzen sich an den Tisch rechts)
-
-·Lohmann·
-
-Glas Bier!
-
-·Sprengel·
-
-Mir auch.
-
-·Struve·
-
-Jedem eins.
-
-·Sprengel·
-
-Kiekt mal, wer da huckt!
-
-·Lohmann·
-
-Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen hat. Das ist
-doch extra für ihm hingebaut.
-
-·Struve·
-
-Der Mensch sitzt, wo er kann. -- Laß ihm sitzen.
-
-·Lore· (Bier bringend)
-
-Wohl bekomm's!
-
-·Lohmann·
-
-Danke. (Nach Biegler hinüber) Jemütlich is anders. Prost! (Sie stoßen
-an)
-
-·Lore·
-
- (bringt auch Biegler ein Glas Bier)
-
-·Sprengel·
-
-Wird der hier nu auch den Stammgast spielen?
-
-·Lohmann·
-
-Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul ihm mal 'raus.
-
-·Struve·
-
-Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt mit meine
-eigenen Sorgen.
-
-·Lohmann·
-
-Wat vor Sorgen?
-
-·Struve·
-
-Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es macht Verjniegen, mit
-so 'ne Verantwortung in de Welt rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine
-schleppen, denn haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch
-'n Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen deiner
-Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel an dir tragen, oder so --
-dann wirst mal sehen, wie so 'n Mann zu Mute ist.
-
-·Sprengel·
-
-Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was?
-
-·Struve·
-
-Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche Leben, der muß
-sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches Schnappschloß. -- Da
-brauchste bloß 'n paar gesunde Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel
-krumm zu biegen, und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de
-Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das jar nich uf?
-
-·Lohmann· (lachend)
-
-Ne.
-
-·Struve·
-
-Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen --
-
-·Lohmann·
-
-Was?
-
-·Struve·
-
-Na -- de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen bei jeden
-freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe handelt. Da kann dir kein
-Teckel an de Beene ... Des is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste
-Beersenjeschäft ... Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor
-haben? -- Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land.
-
-·Sprengel·
-
-Jlickliche Reise. Prost.
-
-·Struve·
-
-Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige Kerl, ick wette 'n
-Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen könnte man 'rin und 'raus
--- wie de Schwalben.
-
-·Lohmann·
-
-Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen.
-
-·Sprengel·
-
-Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier.
-
-·Struve·
-
-Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er wär's, dann wär' er
-noch nich 'raus.
-
-·Lohmann·
-
-Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes Mittel
-anwenden. (Sehr laut) Fräulein! Wissen Sie vielleicht die Adresse von
-'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft?
-
-·Biegler·
-
- (der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter
- Erwartung dagesessen hat, wendet sich jäh um)
-
-·Lore· (abweisend)
-
-Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung?
-
-·Lohmann·
-
-Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da kann mal leicht
-so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man plötzlich mit Tode abjeht, man
-weiß nich, wie?
-
-·Lore· (abweisend)
-
-Ich versteh' gar nich, was Sie meinen.
-
-·Lohmann·
-
-Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn.
-
-·Biegler·
-
- (steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes
- Stammeln hervor und setzt sich wieder)
-
-·Lohmann·
-
-Hat jesessen.
-
-·Sprengel·
-
-Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen?
-
-·Struve·
-
-Nu -- die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre blaue
-Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es könnt' se ja einer
-fir Hausknechte halten. (Lachen)
-
-·Lohmann·
-
-Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun und was unternehmen
-beim Alten, -- damit er auf'm Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es
-wird nötig.
-
-·Sprengel·
-
-Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen mit so 'n
-plundrigen Kerl.
-
-·Lohmann·
-
-Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die Stiebeln ab; -- da
-hab' ich auch kein Erbarmen.
-
-·Biegler·
-
- (zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob
- er sprechen solle, wagt es aber nicht mehr)
-
-·Sprengel·
-
-Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is.
-
-·Lohmann·
-
-Warum steht er denn nich auf und --
-
-
-Sechste Szene
-
- _Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere
- Steinmetzen_ (in Feierabendkleidung)
-
-·Göttlingk·
-
- (auf den Tisch der Arbeiter weisend)
-
-Da _sitzt_ se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's wohl nich
-eilig genug mit eurem Feierabend -- was?
-
-·Lohmann·
-
-Wieso denn?
-
-·Willig·
-
-Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, habt ihr auf
-Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich?
-
-·Sprengel·
-
-Nu, der hängt doch im Flaschenzug.
-
-·Willig·
-
-Aber locker hängt er.
-
-·Lohmann·
-
-Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. Wenn der Alte
-Überstunden zahlen will, gehn wir gleich noch mal 'ran.
-
-·Göttlingk·
-
-Husten wird er euch was.
-
-·Willig·
-
-Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid ihr
-verantwortlich. (Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch)
-
-·Göttlingk·
-
-Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, wenn die Steinmetzen
-kommen.
-
-·Lore·
-
- (die Bier bringt, eilig, ängstlich)
-
-Hier is, bitte, hier is schon alles.
-
-·Göttlingk·
-
-Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, wie der Kerl --
-der -- (Biegler erkennend) Herrgott, wer sitzt denn da?
-
-·Willig· (rasch)
-
-Ach, kümmer dich nicht um den.
-
-·Göttlingk·
-
-Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die Herren! ~Per
-Bacco~, is mir mollig. Ganz fingrig is mir zu Mute. Wollt ihr was
-hören? Natürlich, ihr wollt immer was hören. Lore, bring mal -- bringen
-Sie mal die Seufzerkiste.
-
-·Lore·
-
-Jawohl. (Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm)
-
-·Ein Steinmetz·
-
-Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. Ahnste weswegen?
-
-·Göttlingk·
-
- (während er die Mandoline stimmt)
-
-Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal können sich Ereignisse
-vorbereiten -- die Welt is eben 'n Affenkäfig.
-
-
-Siebente Szene
-
- _Die Vorigen._ _Der alte Eichholz_
-
-·Eichholz·
-
- (angezogen wie im ersten Akt)
-
-Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten Gesellschaft.
-
-·Göttlingk·
-
-So in Jala, Papa Eichholz?
-
-·Eichholz·
-
-Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen und habe mir
-angetan im Schmucke sämtlicher Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir
-mal sehn, ob ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.
-
-·Lore· (ängstlich)
-
-Was hast du vor, Vater?
-
-·Eichholz·
-
-Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf Ehr' und Jewissen:
-Wer is der Kerl? Was is der Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen
-Zustande mir sollte -- (bemerkt Biegler) was -- was -- was -- was is
-denn das? Is das --?
-
-·Lore·
-
-Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum Platz gehört. Weißt
-du das nich?
-
-·Göttlingk· (halblaut zu Lore)
-
-Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?
-
-·Eichholz·
-
-Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein eigenes Nest
-'reinschmutzen, aber wenn du willst mein Fleisch und Blut sein -- (in
-ausbrechender Wut) Kerl, dir werd' ich platt schmeißen! Dir bind' ich
-'n Mühlstein um'n Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du
-blutiger Hund!
-
-·Biegler· (gequält)
-
-Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? Ich denk', nu is
-genug.
-
-·Göttlingk· (halblaut zu Lore)
-
-Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?
-
-·Lore·
-
-Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine fang keinen Zank an.
-Sonst mußt du 'raus.
-
-·Lohmann· (leise)
-
-Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.
-
-·Sprengel·
-
-Hat sie ganz recht.
-
-·Eichholz·
-
-Jawohl. Ich geh' schon. -- Ich werde schon in geeignete Erfahrung
-bringen, wer, wer (mit geballter Faust) und wer Blut vergießt, deß --
-Blut -- muß -- -- ich geh' schon, ich geh' schon. Guten Abend, die
-hochgeehrte Gesellschaft. (Ab)
-
-
-Achte Szene
-
- _Die Vorigen_ ohne _Eichholz_
-
-·Göttlingk· (leise zu Lore)
-
-Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?
-
-·Lore· (wendet sich ab)
-
-·Göttlingk· (verbissen)
-
-Sieh mal an! (Kehrt auf seinen Platz zurück) Na, lassen wir uns nich
-die Laune verderben. (Ergreift die Mandoline, in neuem Argwohn)
-Freilich, wissen möchte man doch.
-
-·Willig·
-
-Halt bloß Ruhe, Eduard.
-
-·Die Anderen·
-
- (die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)
-
-·Göttlingk· (an der Mandoline zupfend)
-
-Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne Menge schöne Lieder,
-die mir die schönen Weiber dort unten in schönen Stunden beigebracht
-haben ... denn die Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut',
-Kinder! Wenn man da nich feste 'ranjeht! (Beiläufig, herablassend) Ach,
-bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein Lore.
-
-·Lore·
-
- (bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)
-
-·Göttlingk·
-
-Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß mit mir war. Ja,
-mein geliebter Sohn, Glück bei den Weibsleuten muß der Mensch haben.
-Das is der Ausschlag beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein,
-danke, danke, danke! (Singt und spielt) »~Vè quà una giardiniera, si
-chiama Luisella, da sovra all'Arenella~« -- (Abbrechend) Sagt mal,
-Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung mal so euer Chef
-würde hier auf diesem Steinmetzplatz?
-
-·Willig·
-
-Was is das wieder für 'n fauler Witz?
-
-·Göttlingk·
-
-Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. Wenn ich da Jimm
-drauf hätte. Die Puckligen sind zwar nich gerade mein Jeschmack, aber
-wenn so 'n schönes Jeschäft dran hängt, kann man ja auch mal beide
-Augen zumachen.
-
-·Lore·
-
- (stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des
- Entsetzens aus)
-
-·Sprengel· (halblaut)
-
-Is 'n Mensch wie 'n Vieh.
-
-·Willig· (leise)
-
-Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?
-
-·Göttlingk·
-
- (der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch
- hinüber)
-
-Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?
-
-·Lohmann·
-
-Wir sind ja ganz still.
-
-·Göttlingk·
-
-Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. (Da Lore, den Kopf in den Händen,
-noch einmal aufstöhnt) Was ist denn hier los? Was? Was? Was?
-
-·Biegler·
-
- (ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise,
- zaghaft, als traue er seinen erwachenden Kräften nicht)
-
-Du Schuft! Du Schuft! -- Du Schuft!
-
-·Göttlingk· (fassungslos vor Erstaunen)
-
-Was will das Gewächse da?
-
-·Biegler·
-
-Du ganz erbärmlicher Schuft!
-
-·Göttlingk· (Humor heuchelnd)
-
-Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus quetschen? Nehmt mir
-das nicht übel, aber die Handvoll, das lohnt mir nich. Außerdem bin
-ich's als Steinmetz mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem --
-Prost!
-
-·Biegler· (heiser)
-
-Was du bist, bin ich noch alle Tage.
-
-·Göttlingk·
-
-Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.
-
-·Biegler·
-
-Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell is, kann ich's besser.
-
-·Göttlingk· (aufspringend)
-
-Du warst das selber, du verfluchter --?
-
-·Die Anderen· (halten ihn fest)
-
-Ruhig, ruhig, ruhig.
-
-·Biegler·
-
-Aber das is Nebensache. (Auf Lore weisend) Da -- da -- wer steht da?
--- Der sagst du _das_ ins Gesicht? -- Jeder weiß, daß sie 'n Kind von
-dir hat. Zum Dank verhunzen tust du sie -- schuriegeln tust du sie ...
-Wirst sie -- wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? Du
-nichtswürdiger Schuft! Du!
-
-·Göttlingk· (der sich zu befreien sucht)
-
-Nu laßt doch los. -- Is bloß 'n Floh, der ganze Kerl, aber das kost't
-ihm das Leben. (Reißt sich los und zieht den Dolch heraus) Los sag'
-ich, oder --
-
-·Die Anderen· (weichen erschrocken zurück)
-
-·Biegler·
-
-Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, weil alle
-anderen Angst haben? -- Kraft hab' ich keine, Haut und Knochen bin
-ich vom langen Hungern, aber -- (er hat den Klopfstein ergriffen, der
-auf dem Schanktisch liegen geblieben ist, und hebt ihn hoch) -- _mit
-so 'nem Schusterstein hab' ich schon einen erschlagen! Mit so 'nem
-Schusterstein hab' ich schon_ -- -- (große Bewegung) Nu komm mal 'ran,
-wenn du willst. Komm mal 'ran -- komm mal 'ran! (Dringt auf Göttlingk
-ein)
-
-·Göttlingk· (erschrocken zurückweichend)
-
-Na, na, na, na.
-
-·Biegler·
-
-Komm 'ran -- oder 'raus da -- 'raus da. --
-
-·Göttlingk·
-
-(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)
-
-·Biegler· (der ihm gefolgt ist)
-
-'raus da! 'raus da!
-
-·Göttlingk·
-
-Das werd' ich dir -- gedenken. -- (Rettet sich durch die rasch
-geöffnete Tür)
-
-·Biegler·
-
- (sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er
- sieht verständnislos noch einmal um sich, sieht Lore, die
- schluchzend, mit verhülltem Gesicht, abgewandt dasteht, sieht
- die blassen, entsetzten Gesichter und murmelt, wie wenn er
- langsam zu sich käme)
-
-Was is denn? Was war denn? Was --? (Sein Gesicht verändert sich, er
-kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl zusammensinken,
-rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier aus, setzt
-seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür zurück; --
-sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die ihn
-regungslos Anstarrenden -- und geht hinaus)
-
- (_Der Vorhang fällt_)
-
-
-
-
-Vierter Akt
-
- Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den Häusern
- des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, der sich
- allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem Fenster der
- Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach vollendeter
- Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. Beim
- Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher Biergartenmusik
-
-
-Erste Szene
-
- _Marie._ _Zarncke_
-
-·Zarncke·
-
- (in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre
- rauchend)
-
-Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.
-
-·Marie·
-
-Eben sang sie doch noch.
-
-·Zarncke·
-
-Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben mit ihrem Bumbum.
-
-·Marie·
-
-Ach, ich hör's gerne.
-
-·Zarncke·
-
-Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so schön weitab is vom
-eigenen Leben ... Da sitzen nu die Menschen in Haufen, stoßen sich,
-ärgern sich, beneiden sich, begehren sich, und fünf aufgequollene
-Trompeter machen Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe
-Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der verfluchten
-Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber auch _gar nichts_ von ihr
-wissen wollen. ... Was guckste denn immer nach der Lore ihrem Fenster
-'rüber?
-
-·Marie·
-
-Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.
-
-·Zarncke·
-
-Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?
-
-·Marie·
-
-Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei ihr gewesen. Seit
-seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich kommt er -- Abends um neune -- von
-da oben -- die Treppe 'runter.
-
-·Zarncke·
-
-Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen gehabt hat. Aber
-so käseweiß brauchst du darum doch auch nich zu werden, wenn er nu
-wirklich mal hinter dir auftaucht.
-
-·Marie· (schweratmend)
-
-Denk doch, was das für die Lore bedeutet.
-
-·Zarncke·
-
-Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt dich nich so
-'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. Nich mitmachen wollen.
-Das zehrt dann am eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut -- und
-jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...
-
-·Marie·
-
-O, das freilich. Aber -- gestern muß was passiert sein bei der Lore
-drin.
-
-·Zarncke·
-
-So? Was denn?
-
-·Marie·
-
-Zwischen dem Nachtwächter und -- und -- Göttlingk.
-
-·Zarncke·
-
-So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.
-
-·Marie· (ängstlich)
-
-Wieso?
-
-·Zarncke·
-
-Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert hat. Deshalb
-hab' ich gestern schon den Eichholz 'rausgeschmissen. Das alte Vieh
-war ganz rabiat. Irgendwas bereitet sich vor gegen den Biegler. Und
-schließlich werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den --
-(Schnalzt)
-
-·Marie·
-
-Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. Viel was
-Schlimmeres.
-
-·Zarncke·
-
-'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm genug ... Von wem weißt
-du's denn? Von der Lore?
-
-·Marie·
-
-Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht mir heut aus dem
-Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer macht immerzu Andeutungen. Aber
-was Rechtes kriegt man auch aus _der_ nich 'raus.
-
-·Zarncke·
-
-Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. Da wollen wir doch mal
-gleich -- (Klingelt)
-
-
-Zweite Szene
-
- _Die Vorigen._ _Frau Homeyer_
-
-·Frau Homeyer·
-
- (eine Windlampe in der Hand)
-
-Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... Nein, so im
-Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?
-
-·Zarncke·
-
-Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln gesessen?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann -- der nimmt sich dann so leicht was
-'raus --
-
-·Zarncke·
-
-Und mit 'n alten Mann -- das lohnt nich.
-
-·Frau Homeyer·
-
-Aber, Herr --
-
-·Zarncke·
-
-Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der Lore gewesen?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.
-
-·Zarncke·
-
-Sie haben doch meiner Tochter erzählt --
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem Fräulein? Und gerade
-dem Fräulein? I, da müßt' ich -- (Nimmt das Tischzeug zusammen)
-
-·Marie·
-
-Aber Frau Homeyer --
-
-·Zarncke· (gleichzeitig)
-
-Was heißt das: _Gerade_ dem Fräulein?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin sein. Und ich bin
-im Gegenteil immer höchst zurückhaltend ... Da bin ich bekannt für. Da
-können Sie alle Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse lesen
-... Und da soll ich mir gerade _hier_ die Zunge bei verbrennen? ... Das
-kann Ihnen wer anders erzählen, Fräulein. Und dann müssen sich auch
-nichts draus machen. ... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg
-... Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is immer noch das
-Beste für 'n ältliches Mädchen.
-
-·Marie·
-
-Ja, was hab' _ich_ aber mit dem allen zu tun, Frau Homeyer?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat _manchmal_ mit was nich zu tun,
-und kommt _doch_ ins Gerede ... Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich
-das freilich nicht gedacht. Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen
-(verschämt) immer so zutraulich -- und, wie gesagt, Kavelier. Aber da
-könnte ja jeder kommen und -- ach, bitte das Sahnentöpfchen -- und
-behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, da könnt' er Herr
-sein auf diesem Steinmetzplatz. Ja.
-
-·Zarncke·
-
-Was? Was? Was is das?
-
-·Frau Homeyer·
-
-Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz unbesorgt sein,
-Fräulein, das --
-
-·Zarncke·
-
-Halt! Stopp! 'raus! Weg!
-
-·Frau Homeyer·
-
-Aber Herr --
-
-·Zarncke·
-
-Weg, weg, weg, weg!
-
-·Frau Homeyer·
-
-Ja, ja, Herrgott!
-
-·Zarncke·
-
-Weg!
-
-·Frau Homeyer·
-
- (mit dem Tablette ins Innere ab)
-
-
-Dritte Szene
-
- _Marie._ _Zarncke_
-
-·Zarncke·
-
-Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, Mariechen. Bittst
-mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest austapezieren ... Und da
-traut sich der Kerl überhaupt noch hierher? -- Da wollen wir mal gleich
--- -- (steht auf)
-
-·Marie·
-
- (die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)
-
-Nein, Vater, nein!
-
-·Zarncke·
-
-Was -- nein? Und wie siehste denn aus? -- Ganz überird'sch!
-
-·Marie· (in hilflosem Bekennen)
-
-Vaterchen!
-
-·Zarncke·
-
- (nach einem Schweigen hinter sie tretend)
-
-Miezelchen! (Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise) Haben sie dir
-'s Geheimfach aufgebrochen?
-
-·Marie· (aufschluchzend)
-
-Nicht ansehn! Nicht ansehn! (Verbirgt das Gesicht in seinem Rock)
-
-·Zarncke· (sie streichelnd)
-
-Also _das_ war's? Und was du da drinnen verschlossen hieltst, das wird
-dir nu da -- (weist zur Kantine) Ja, wie geht denn das zu?
-
-·Marie· (von Schluchzen geschüttelt)
-
-Weiß nicht! Weiß nicht!
-
-·Zarncke·
-
-Na, nu laß doch mal meinen Rock los!
-
-·Marie·
-
- (verbirgt das Gesicht um so fester)
-
-·Zarncke·
-
-Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst mich gar nich ansehn?
-Möchtst das Tageslicht nich mehr sehn? Möchtst dir womöglich das Leben
-nehmen noch diese Nacht?
-
-·Marie· (nickt heftig)
-
-·Zarncke· (lacht und streichelt sie)
-
-Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen muß, dem 'n Stern vom
-Himmel 'runterfällt. (Zum Himmel weisend) Kiek mal hoch! ... Kannst
-noch nich? Da sind schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie
-stehn da wie für die Ewigkeit. _Und sie fallen alle._ Aber darum
-werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, denen sie als
-Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... Die Jugend verliert sich
-zuerst, aber unser Blick wird um so heller ... Die Freunde zerkrümeln
-sich, aber unsere Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann,
-jeder Gedanke -- jeder Hund -- jeder Stein ... Na -- und die Liebe? --
-Dem einen fällt sie in den Schmutz -- wie dir, dem anderen zerreibt sie
-der Alltag; -- rasch oder langsam, es is immer dasselbe, -- aber vor
-der Tür lauern schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein,
-und die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott wird
-uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere Herzen schlagen kräftiger
-... Kindchen, 's wird noch 'n büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham
-brennt ... Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen.
-Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein Recht war und ist,
-dich liebzuhaben und dir zu sagen: Halt still ... Die Stillen sind die
-Klugen ... Und nur wer von der Welt _weit, weit_ ab is, der hat sie
-ganz.
-
-·Marie· (sich aufrichtend)
-
-Vaterchen, hast du das immer gedacht?
-
-·Zarncke·
-
-Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die Kranken und die
-Alten. Aber die, welche die Jungen und die Gesunden sich zurechtmachen,
-is auch nischt wert ... Na -- nu schmunzelst du ja wieder --.
-
-·Marie· (schluchzt kurz auf)
-
-·Zarncke·
-
-Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die Tür hat schon 'n
-paarmal geklappt. (Weist nach der Kantine) Da traut sich einer nich an
-die frische Luft, eh' wir nich verduftet sind.
-
-·Marie·
-
-Die arme Lore!
-
-·Zarncke·
-
-Nja. Na, komm. (Beide ins Haus ab)
-
-
-Vierte Szene
-
- _Eichholz._ _Göttlingk._ _Lore_
-
-·Eichholz·
-
-Scht! Du, Göttlingk! -- Sie sind weg!
-
-·Göttlingk· (heraustretend)
-
-Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt -- gewisse Leute in den
-Weg gerannt wären -- -- na! Also übers Aufgebot reden wir noch, Lore!
-
-·Lore·
-
- (die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)
-
-Wie du willst, Eduard.
-
-·Göttlingk·
-
-Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden Quetsche. Mein
-Handwerkszeug bringt mir morgen der Vater und -- ja, richtig! Die
-Mandoline gib mir doch noch mit.
-
-·Lore· (verschwindet)
-
- (Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die
- Gestalt Zarnckes wird dahinter sichtbar)
-
-·Göttlingk· (leise)
-
-Is das nich der Alte da oben?
-
-·Eichholz·
-
-Ja, der schläft da.
-
-·Göttlingk·
-
-Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. (Das Rouleau wird herabgelassen)
-
-·Lore· (bringt die Mandoline)
-
-·Göttlingk·
-
-So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.
-
-·Lore· (ängstlich)
-
-Vater, es wäre wohl besser, du -- --
-
-·Eichholz· (scheltend)
-
-Was heißt das? Was hast du --?
-
-·Göttlingk· (gleichzeitig)
-
-Nu laß doch Vater! ... (Reicht ihr die Hand) Gute Nacht! -- (Da sie in
-der Türe stehen bleibt) Nu geh nur! Geh nur!
-
-·Lore· (tonlos)
-
-Gute Nacht. (Ab, die Türe hinter sich schließend)
-
-
-Fünfte Szene
-
- _Eichholz._ _Göttlingk_
-
-·Göttlingk·
-
-Na -- und nu? ... Wir haben drin nich ausreden können, weil uns
-die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie denkst du nu über 'ne gute
-Streckschicht für den Kerl?
-
-·Eichholz·
-
-Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich bin ein zuverlässiger
-Mann jewesen und ein --
-
-·Göttlingk·
-
-Ja, ja, ja, ja!
-
-·Eichholz·
-
-Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, sie haben mir den
-höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, den haben sie mir --
-
-·Göttlingk·
-
-Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.
-
-·Eichholz·
-
-Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund kommt, dann
-stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen Brust.
-
-·Göttlingk·
-
-Na und dann?
-
-·Eichholz·
-
-Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, hab' ich gesagt, es gibt
--- ein Unglück.
-
-·Göttlingk·
-
-Ja, mit's Maulwerk.
-
-·Eichholz·
-
-So? ... (Zögernd) Du, und was is denn mit dem -- Block?
-
-·Göttlingk· (lauernd)
-
-Was für 'n Block?
-
-·Eichholz·
-
-Wo du vorhin von sprachst.
-
-·Göttlingk·
-
-Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?
-
-·Eichholz·
-
-Ja.
-
-·Göttlingk·
-
-Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er bloß auf der Kippe.
-Verstehste? Eine Holzsteife -- die kann 'n Kind wegschlagen. -- Und
-geht dann einer die Treppe 'rauf -- _muß_ er die Treppe 'rauf?
-
-·Eichholz·
-
-Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr aufgestellt. --
-
-·Göttlingk·
-
-Daß da man kein Malheur passiert!
-
-·Eichholz·
-
- (argwöhnisch, will nicht verstehn)
-
-Warum soll -- da gleich -- 'n Malheur passieren?
-
-·Göttlingk·
-
-Ach so! ... Scht! Is er das nich? (Man hört rechts das Schließen einer
-Tür)
-
-·Eichholz·
-
-Ja.
-
-·Göttlingk· (leiser)
-
-Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... Kann man da oben irgendwo
-'raus?
-
-·Eichholz·
-
-Durch die kleine Tür. Immerzu.
-
-·Göttlingk·
-
- (ihn nach dem Hintergrunde ziehend)
-
-Na denn komm!
-
-·Eichholz·
-
-Warum nich hier durchs Tor?
-
-·Göttlingk·
-
-Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu stehn. -- Komm! (Auf einer
-mittleren Treppenstufe hält er inne) Scht!
-
-·Eichholz·
-
-Er schließt noch das Sägewerk.
-
- (Beide verschwinden links oben. -- Während rechts eine schwere
- Tür zugeschlossen wird, hört man oben das leise Klirren der
- Flaschenzugketten. Dann Stille. Während der folgenden Szene
- geht der Mond auf)
-
-
-Sechste Szene
-
- _Biegler._ Dann _Struve_
-
-·Biegler·
-
- (mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre
- umgehängt, erscheint rechts vorne und geht an dem erleuchteten
- Kantinenfenster vorbei, dann revidiert er das Schloß des
- Magazins und will zur Tür des Wohnhauses hinüber)
-
-·Struves Stimme· (vom Haustor her)
-
-He! Scht! Nachtwächter! Biegler!
-
-·Biegler·
-
-Wer is da?
-
-·Struves Stimme·
-
-'n guter Freund!
-
-·Biegler·
-
-Ich hab' keine guten Freunde.
-
-·Struves Stimme·
-
-Struve is da.
-
-·Biegler·
-
-Struve kann bei Tage kommen.
-
-·Struves Stimme·
-
-Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.
-
-·Biegler·
-
-Was is denn? (Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich drehen.
-Dann erscheint er zusammen mit Struve) Na?
-
-·Struve·
-
-Fsch! Drinne wär' mer ja nu.
-
-·Biegler·
-
-Also was willst du?
-
-·Struve·
-
-Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. Ick hab' 'n Amt
-hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! ... Da muß ick mir iberfihren
-können bei Tag und bei Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen
-vor lauter Ehrjefihl. Ja.
-
-·Biegler·
-
-Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.
-
-·Struve·
-
-Det sagste so in deinen Jemiete. -- Aber wenn du eines Morjens nicht
-mehr dabist --
-
-·Biegler·
-
-Wieso?
-
-·Struve·
-
-Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns haben se doch aus
-denselben Suppentopp jeangelt.
-
-·Biegler· (bitter)
-
-Ach so!
-
-·Struve·
-
-Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier _nu doch_!
-
-·Biegler·
-
-Ja. Das bin ich mir klar.
-
-·Struve·
-
-Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen noch ne jroße
-Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren derfen. Bloß, daß se
-morjen früh zum Alten jehn werden, das hab' ich noch --
-
-·Biegler· (in bitterer Erregung)
-
-Und meinen Austritt fordern?
-
-·Struve·
-
-Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran abzählen.
-
-·Biegler· (verbissen, verzweifelt)
-
-Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.
-
-·Struve·
-
-Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir -- nich vorher schon dinne
-machen wolltst. -- Und darum bin ick eben auch 'n bisken dahinter
-jewesen. Deiwel auch! Wenn man so die Verantwortung hat.
-
-·Biegler·
-
-Wofür? Für mich?
-
-·Struve·
-
-Ne -- aber -- (macht Zeichen nach dem Magazin hin) vor -- -- Ick kenn'
-doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen die loofen doch jewissermaßen
-hinter einen her. Janz von selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann
-man jar nischt vor.
-
-·Biegler·
-
-Was denn? Was denn?
-
-·Struve·
-
-Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen da muß man
-eben 'n Freind haben. Mann mit Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken
-ins Jewissen redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und
--- -- was? Wie sagste?
-
-·Biegler· (mit einem kurzen Lachen)
-
-Ich sag' jar nischt.
-
-·Struve·
-
-Na, nu mal unter uns! -- Wenn du -- und du jehst hier weg, wo wirschte
-denn nu hinmachen?
-
-·Biegler·
-
-Wer kann das wissen?
-
-·Struve·
-
-Nu, setz dir mal bisken hier dal! (Zieht ihn auf den vordersten Block)
-Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. Ick bin Verdrauensperson.
-Und so. -- Aber _zu_ viel Ehre kann der Mensch auch nich verdragen. Des
-drickt aufs Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe --
-jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n bisken klietrig
-bist -- weißte! -- -- na? -- Wollen wir zusammen uf de Fahrt steigen?
-
-·Biegler·
-
-Was? Du und ich?
-
-·Struve·
-
-Nu ja. Mit _die_ Ansichten, wo wir beide vons menschliche Leben haben
--- die _haben_ wir nu mal! Die kann uns keiner nehmen. Die einen
-wälzen sich in'n Jolde, wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben.
-Tagsüber sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen wir uns
-'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte ewig 'n krummen Puckel
-machen und dir sauer anhauchen lassen und wirscht doch nie mehr im
-Leben, wat die andern sind!
-
-·Biegler·
-
-Mensch! Da haste recht!
-
-·Struve·
-
-Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß _einem_ Jehorsam
-schuldig, -- das is der Meilenzeiger ... Na?
-
-·Biegler·
-
- (schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)
-
-Gut! Wann willst du -- losjehn?
-
-·Struve·
-
-Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.
-
-·Biegler· (in Erregung)
-
-Ich muß doch erst -- mit ihm -- reden ... Muß doch kündigen.
-
-·Struve·
-
-Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? Und noch eins
-sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n tück'sches Luder. Der verjeßt dir die
-Blamasche nich. Da kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen,
-jleich, noch auf'n nichternen Magen.
-
-·Biegler· (dumpf, entschlossen)
-
-Mir is alles egal.
-
-·Struve·
-
-Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.
-
-·Biegler·
-
-Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.
-
-·Struve·
-
-Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, da stempelt dir 'n
-jewesener Oberjeheimrat de piksten Flebben noch heite nacht. Und denn
--- wat willste mit 'n Zeichnisbuch? -- Et steht ja woll jeschrieben:
-»Ehrlich währt am längsten« -- aber 'n tichtiger Spitzbube fährt mit
-vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! Die schabt sich ab
-wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da droppt dir ewig de Nese von wie
-bei'n kleinen Swienegel ... Bloß natirlich -- 'n jewisses Anlagekapital
--- det missen wir haben.
-
-·Biegler·
-
-Wozu? Woher?
-
-·Struve·
-
-Det brauchste überall. -- Ohne 'n Parchentlappen kannste nich uf de
-Flohjagd. -- Willste lernen Jold machen? Kleinigkeit! Aber natirlich --
-wenn de keinen Dukaten _hast_, kannste auch keinen Dukaten beschneiden.
-Siehste! Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja nich wie
-bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen -- und so -- is ja
-alles da.
-
-·Biegler·
-
-Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.
-
-·Struve·
-
-Aber Mensch! -- Bejreifst de denn noch immer nich?
-
-·Biegler·
-
-Was denn? Na was denn?
-
-·Struve·
-
-Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und frag nich immer so
-glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. Da kann man doch nischt machen.
-
-·Biegler·
-
-Was? Was? Was?
-
-·Struve· (zaudernd, verlegen)
-
-Na -- de -- de -- Diamanten.
-
-·Biegler·
-
-Die willst du am Ende --?
-
-·Struve·
-
-Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n janz reelles
-Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle nich mehr. Sonst blamiert
-er sich. Na?
-
-·Biegler·
-
-Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu Hause.
-
-·Struve·
-
-Du bist wohl 'n Schlamassel?
-
-·Biegler·
-
-Ich muß jetzt elfe abpfeifen. (Wild) Jeh, oder ich pack' dir ins Jenick.
-
-·Struve·
-
-Na -- denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr in dir entteischt.
-Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! ... Äh! Is nischt mehr los
-mit's menschliche Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.
-
- (Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)
-
-
-Siebente Szene
-
- _Lore._ _Biegler_
-
-·Lore·
-
- (tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)
-
-Vater, bist du's?
-
-·Biegler·
-
-Ich bin's, Fräulein.
-
-·Lore· (freudig aufschreckend)
-
-Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn mit -- mit -- noch einem?
-
-·Biegler·
-
-Nein.
-
-·Lore·
-
-Ach -- 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen -- ja?
-
-·Biegler·
-
-Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... das heißt wenn Sie
-mir danken wollen etwa --
-
-·Lore·
-
-Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß Gott, Herr Biegler, ich
-wollt' Ihnen so gerne helfen. Das war meine einzigste Absicht. Statt
-dessen haben Sie mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß
-nicht aus, nicht ein.
-
-·Biegler·
-
-Was is denn nu?
-
-·Lore·
-
-Er -- war -- eben da.
-
-·Biegler·
-
-Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?
-
-·Lore· (schweigt)
-
-·Biegler·
-
-Oder will er noch immer nich?
-
-·Lore·
-
-Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... In Arbeit kommt er
-nich mehr zurück.
-
-·Biegler·
-
-So? Ei, ei!
-
-·Lore·
-
-Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er --
-
-·Biegler·
-
-Das kann ihm ja nich fehlen.
-
-·Lore·
-
-Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? -- Man hungert, man
-hungert nach seinem Glück, jahrelang -- und wie man's endlich hat --
-_so_, zwischen seinen zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr,
-da _will_ man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is man. Satt.
-
-·Biegler·
-
-Wer satt is, soll nich essen.
-
-·Lore·
-
-Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das is doch Wahnsinn. Da
-drin schläft doch mein Lenchen.
-
-·Biegler· (erregt, verbissen)
-
-Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem Schoß zu halten.
-
-·Lore· (erschrocken)
-
-Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is Sünde.
-
-·Biegler·
-
-Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins Unglück stürzt.
-
-·Lore·
-
-Das sagen Sie heute, und gestern -- haben Sie Stellung und alles --
-haben Sie hingegeben -- bloß --
-
-·Biegler·
-
-Gott weiß, wie alles kommt.
-
-·Lore·
-
-Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts mehr. Ich laure
-bloß immer: Was für 'n Hintergedanken hat er nu? Mit Vater hat er im
-Winkel gesessen, weit weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da
-die Rede von -- Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu hebt mich die
-Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes einredet.
-
-·Biegler·
-
-Wem kann der alte Mann denn was tun?
-
-·Lore·
-
-Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, was soll ich? Ich
-kann ja nich mehr los von ihm. Ich bin jahrelang wie sein Hund zu ihm
-gewesen. Ich kann ja nich mehr los von ihm.
-
-·Biegler·
-
-Ja, wenn Sie nich _können_.
-
-·Lore·
-
-Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.
-
-·Biegler·
-
-Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!
-
-·Lore·
-
-Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie können, was Sie
-wollen! Sie --
-
-·Biegler·
-
-Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen Zeit. Ich will
-_nich_ bald wieder auf 'ner dreckigen Pritsche liegen, Pennbruder
-rechts, Pennbruder links -- wenn nichts Schlimmeres -- und mir die
-Augen aus dem Kopf brennen vor -- -- _und muß doch_.
-
-·Lore·
-
-Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. Zu Ihresgleichen.
-
-·Biegler·
-
-Das _is_ meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich nich. -- Da _gehör'_
-ich hin ... Aus _der_ Welt, wo Sie sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe,
-da is Krätze und Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße,
-weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine ewige Seligkeit
-um ein gefälschtes Stück Attest.
-
-·Lore·
-
-Aber noch sind Sie doch hier.
-
-·Biegler·
-
-Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' ich weg.
-
-·Lore·
-
-Aber warum denn? Warten Sie doch ab!
-
-·Biegler·
-
-Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts Böses. -- Ich geh'
-auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem eigenen Munde wissen, was für
-einer ich bin, nich einen Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner
-Traum gewesen. Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich schon sehr
-... Ja, _die Nächte_, wenn der Mondschein überall auf den Blöcken liegt
-... Da -- sehn Sie, da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts
-wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und hab' _einen_
-gestreichelt und den _andern_ gestreichelt und hab' gedacht: »Wer wird
-dich mal behauen -- der Glückliche!« ... Und wenn dann erst alles ganz
-still wird -- ringsum auf den Straßen, -- dann sitzt man mitten in der
-Welt wie in einem schönen, warmen Mantel -- ganz ruhig und ganz -- --
-ich sagt's Ihnen schon gestern -- aber das kommt erst viel später gegen
-Mor -- -- (Hält lauschend in ängstlicher Spannung inne)
-
-·Lore·
-
-Was is?
-
-·Biegler·
-
- (Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang --
- scheinbar sich entfernend)
-
-Horchen Sie! Horchen Sie!
-
-·Lore·
-
-Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was is denn dabei?
-
-·Biegler· (leise)
-
-Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die ziehen hier in
-die Runde -- von elfe ab -- immer ums Straßenkarree 'rum -- bis gegen
-Morgen. (In Angst) Solang ich die lachen hör', da --
-
-·Lore·
-
-Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?
-
-·Biegler· (leise, geheimnisvoll)
-
-Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch so 'rum.
-
-·Lore·
-
-Woher wissen Sie das?
-
-·Biegler·
-
-Ich hab' -- sie -- getroffen.
-
-·Lore· (erschrocken)
-
-Hier draußen?
-
-·Biegler·
-
-Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... Wenn sie mich gesehn hätt'
--- ich hab' mich bloß geschämt, weil ich so abgerissen war, sonst --
-weiß Gott, was ich jetzt schon wär' ... (Er schaudert) Ja, der Hunger
-kann viel ... Na -- werden ja sehn!
-
-·Lore· (erschüttert)
-
-Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie --
-
-·Biegler·
-
-Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, Sie und der
-komische alte Mann da drin. Von jetzt ab hält mir keiner mehr die
-Stange hin. Aber gedenken werd' ich's Ihnen -- bis -- ... Fräulein
-Lore, es is mein letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch
-nich gemacht.
-
-·Lore· (sich ängstlich umschauend)
-
-Ach -- noch -- noch -- Wenn ich bloß wüßte, wo er Vater hingeschleppt
-hat ... Ich kann die Angst nich los werden, daß, daß -- --
-
-·Biegler·
-
-Na, was denn?
-
-·Lore·
-
-Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht -- dort -- ja?
-
-·Biegler·
-
-Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...
-
-·Lore·
-
-Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie nich ins Finstre --
-nein?
-
-·Biegler· (kurz auflachend)
-
-Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern grault. Und heut
-bin ich noch einer ... Heut bin ich noch Mensch ... Morgen munter --
-wieder 'runter -- in den Morast ... (Streckt in tiefer Bewegung die
-Hand gegen sie aus) Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...
-
-·Lore· (ohne die Hand zu nehmen)
-
-Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... Schließlich, wenn's
-Ihnen die andern verzeihen, warum _müssen_ Sie denn durchaus weg?
-
-·Biegler·
-
-Wer wird _mir_ verzeihen? ... Die Steinmetzen haben ja schon beraten,
-daß sie morgen zum Alten gehen werden -- und --
-
-·Lore·
-
-Nu ja.
-
-·Biegler·
-
--- und --
-
-·Lore·
-
-Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch gar nich ...?
-
-·Biegler·
-
-Was is da viel zu wissen?
-
-·Lore·
-
-Herr Biegler, die Steinmetzen _wollen_ morgen zum Alten gehn -- das
-is richtig, aber nicht darum, was _Sie_ glauben, sondern weil sie ihm
-sagen wollen, daß sie gerne mit Ihnen zusammenarbeiten werden.
-
-·Biegler· (verständnislos)
-
-Die Steinmetzen -- wollen -- dem Al--
-
-·Lore·
-
-Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach sind, und weil Ihr
-Auftreten gestern ihnen so gut gefallen hat, darum soll Ihr Privatleben
-keinen mehr was angehn, haben sie gesagt.
-
-·Biegler·
-
-Die Steinmetzen wollen -- die Steinmetzen wollen -- die Steinm-- -- --
-Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen wollen -- ja, warum haben Sie mir
-das nich schon früher gesagt?
-
-·Lore·
-
-Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... Sie gehen auf alle
-Fälle.
-
-·Biegler·
-
-Wenn die Steinmetzen _wollen_, warum soll _ich_ denn --? Wenn ich
-wieder -- ich soll wieder Krönel und Scharriereisen in die Hand nehmen?
-... Ich soll wieder die blaue Schürze -- umbinden -- dürfen? Ich soll
--- soll -- soll -- wieder die blaue Schürze ... (Heimlich, leise, in
-Angst) Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. -- Aber -- (Legt
-die Hand auf die Lippen) Ich hab' nämlich manchmal solche Anfälle
-gehabt (wischt sich über die Stirn) in der Anstalt ... Das find't man
-dort sehr oft ... Sind Sie ganz sicher, daß Sie das eben gesagt haben,
-daß die Steinmetzen -- morgen -- dem Alten --?
-
-·Lore·
-
-Aber Herr Biegler, ja, ja!
-
-·Biegler·
-
-Und Sie glauben auch, es kann -- nichts mehr -- dazwischenkommen -- bis
-morgen?
-
-·Lore·
-
-Was sollt' denn das sein?
-
-·Biegler·
-
-Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern -- oder daß der Alte sagt:
-»Nein« -- oder daß mir 'n Stein auf'n Kopf fällt -- oder, was weiß ich?
-
-·Lore·
-
- (sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)
-
-Stein auf'n --
-
-·Biegler· (lachend)
-
-Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich bin immer 'n
-tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab' schon zwei Preise gekriegt ...
-Ich bin mal vor der ganzen Innung -- bin ich öffentlich belobt worden
-... Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon acht Mark fünfzig
-pro Tag verdient ... Ich versteh' auch gut in Granit zu arbeiten.
-Profile und Alles ... Granit, das wissen Sie ja, das ist das Härteste
-... Dabei scheint es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem
-geradezu aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... da muß
-man -- da muß man -- (vom Glücke überwältigt) Die Steinmetzen -- wollen
--- mit mir -- -- (sinkt lachend und schluchzend auf die Bank, das
-Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise) arbeiten -- mit mir -- arbeiten
--- --
-
-·Lore·
-
- (macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)
-
-Ach Gott! (um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich) Herr Biegler! ...
-Herr Biegler!
-
-·Biegler· (zu sich kommend)
-
-Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock -- meine Pfeife? ... Ich bin
-ganz, ganz ... die Kontrolluhren hab' ich auch noch nich gestochen! --
-Heut darf ich nichts versäumen, sonst ... Hahaha -- hahahaha! Adieu,
-Fräulein Lore. Ich komm' bald wieder.
-
-·Lore·
-
-Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?
-
-·Biegler·
-
-Runde machen -- nach oben -- die Treppe 'rauf ...
-
-·Lore· (leise)
-
-Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!
-
-·Biegler·
-
-Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst vor dem Block?
-
-·Lore· (in wachsender Angst)
-
-Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen auf Ihr künftiges
-Leben -- wenn Sie den Krönel wirklich noch mal führen wollen -- wenn
-Sie -- ... _Mein Kind_ hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat
-Ihnen Glück gebracht -- darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie wo
-anders, aber da _nicht_!
-
-·Biegler·
-
-Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe haben --
-
-·Lore·
-
-J, ja, ja, ja.
-
-·Biegler·
-
-Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was will! Mir tut keiner
-mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.
-
-·Lore· (entschlossen)
-
-Dann komm' ich mit.
-
-·Biegler·
-
-Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!
-
-·Lore· (ruft hinauf)
-
-Is da einer oben? (Schweigen)
-
-·Biegler·
-
-Na sehn Sie!
-
-·Lore· (leise)
-
-Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann fassen Sie mich mal
-um den Leib. Ganz fest.
-
-·Biegler·
-
-Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?
-
-·Lore·
-
- (umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)
-
-So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann wollen wir doch mal
-sehen.
-
-·Eichholzens Stimme· (von oben)
-
-Wirste weg da, du --
-
-·Göttlingks Stimme·
-
-Scht!
-
-·Biegler·
-
-Nanu! Was is denn _das_? (Er reißt sich los und springt blitzschnell
-die Treppenstufen hinan. -- In demselben Augenblicke stürzt dicht
-hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und
-zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das
-ängstliche Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)
-
-·Lore·
-
- (ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit,
- sinnlos vor Angst, in das Dunkel hinauf)
-
-Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an. Ich zeig'
-dich an.
-
-·Göttlingks Stimme·
-
-Schrei nich, du Frauenzimmer! (Man sieht seine Gestalt nach links hin
-flüchten und verschwinden)
-
-
-Achte Szene
-
- _Lore._ _Biegler._ _Eichholz._ Später _Zarncke._ _Marie._ _Frau
- Homeyer._ _Zwei Dienstmädchen_
-
-·Stimmen von der Straße her· (durcheinander)
-
-Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord und Totschlag ... Macht
-doch mal auf! ... Aufmachen! -- (Man rüttelt am Tor)
-
-·Biegler·
-
- (führt unterdessen den Alten die Treppe herab)
-
-Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. -- Vorsicht! --
-
-·Eichholz· (betrunken weinend)
-
-Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ...
-
-·Lore· (ihnen entgegen)
-
-Um Gottes willen, Vater!
-
-·Biegler·
-
- (gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore
- und ruft nach links hinübergehend atemlos)
-
-Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. Weiter nichts ...
-Weiter is nichts. --
-
-·Die Stimmen· (durcheinander)
-
-Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen mal nachsehen..
-Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen!
-
-·Biegler·
-
-Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! (Pfiffe. Gelächter.
-Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille)
-
-·Eichholz·
-
- (der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich
- niedersetzt, derweilen weitergranzend)
-
-Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs Schafott.
-
-·Zarncke·
-
- (hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die
- Glastür geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon
- hinaus)
-
-Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn?
-
-·Lore·
-
- (mit flehender Gebärde zu Biegler hin)
-
-Ach bitte, bitte!
-
-·Zarncke·
-
-Bekomm' ich keine Antwort?
-
-·Biegler·
-
- (nach Atem ringend, mit zitternder Stimme)
-
-Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe is vom Stapel
-gefallen, Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Wie hat denn das passieren können?
-
-·Biegler·
-
-Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben sich wohl die Ketten
-gelockert.
-
-·Zarncke·
-
-Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich verletzt?
-
-·Lore·
-
- (Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe)
-
-Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber schlimm is es nicht,
-Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Na wenn's weiter nichts is.
-
-·Eichholz· (wird allmählich still)
-
-·Frau Homeyer·
-
- (in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei
- Mägden hinter sich auf die Veranda hinausgetreten)
-
-O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur passiert.
-
-·Zarncke· (herunterrufend)
-
-Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück!
-
-·Marie·
-
- (die während des Vorigen in dem -- gleichfalls erhellten --
- Fenster des Wohnzimmers erschienen ist)
-
-Du, Lore, komm mal her zu mir.
-
-·Lore· (geht zu ihr)
-
-·Frau Homeyer· (derweilen)
-
-Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore gewesen. Da möcht' ich
-jeden heiligen Eid drauf schwören.
-
-·Zarncke·
-
-Na, wird's bald?
-
-·Frau Homeyer· (mit den Mägden ab)
-
-Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja.
-
-·Marie· (leise)
-
-Was schriest du da vorhin? Und zu wem?
-
-·Lore· (bebend)
-
-Ich?
-
-·Marie·
-
-Ich war wach. Mich täuschst du nicht.
-
-·Zarncke·
-
-Mariechen.
-
-·Marie·
-
-Vaterchen?
-
-·Zarncke·
-
-Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können wir uns morgen besehn. Das
-heißt, dem Willig werd' ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig
-erschreckt, Biegler -- was?
-
-·Biegler·
-
- (noch immer zitternd in Erregung)
-
-Ach -- nich sehr -- Herr Zarncke.
-
-·Zarncke·
-
-Na denn: Gute Nacht, Kinder.
-
-·Lore·
-
-Gute Nacht, Herr Zarncke.
-
-·Marie· (gleichzeitig)
-
-Gute Nacht, Vaterchen.
-
-·Zarncke·
-
- (geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür)
-
-·Lore· (leise)
-
-Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit gestern.
-
-·Marie·
-
-Aber doch nur Gutes?
-
-·Lore· (fest)
-
-Ja. Weiß Gott.
-
-·Marie· (in wehmütiger Güte)
-
-Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht.
-
-·Lore·
-
-Gute Nacht, Mariechen.
-
-·Marie· (schließt das Fenster. Ab)
-
-
-Neunte Szene
-
- _Lore._ _Biegler._ _Eichholz_
-
- (Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße
- haben sich allmählich verloren. Mitternachtsstille)
-
-·Biegler·
-
- (sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt,
- auf die Bank und atmet schwer)
-
-·Lore·
-
-Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil geblieben? Is Ihnen auch
-nichts geschehn?
-
-·Biegler·
-
-Ich muß mich bloß -- 'n bißchen verschnaufen ... ich bin ganz ...
-
-·Lore·
-
-Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da nichts getan?
-
-·Biegler·
-
-Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen Dreikantigen zu
-ziehn. -- Na, kommen Sie noch immer nich los von ihm?
-
-·Lore·
-
- (mit einer wilden Gebärde des Befreitseins)
-
-Ach!
-
-·Biegler·
-
-Ja. Dem sein Hund sind Sie _gewesen_, scheint mir.
-
-·Lore·
-
-Und meinen alten Vater so zu -- der Schuft! ... Vater! Du mußt zu Bett
-gehn, Vater!
-
-·Eichholz·
-
- (antwortet nicht, atmet tief im Schlafe)
-
-·Lore·
-
-Gott! -- Nu sehn Sie bloß!
-
-·Biegler·
-
-Schläft er am Ende?
-
-·Lore·
-
-_Dem_ werden Sie doch nichts nachtragen?
-
-·Biegler·
-
-Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha.
-
-·Lore·
-
-Herr Biegler!
-
-·Biegler·
-
-Was, Fräulein Lore?
-
-·Lore·
-
-Ich kann nichts sagen -- mir ist das Herz so -- ich kann nicht ...
-
-·Biegler·
-
-Aber die Hand können Sie mir geben. (Streckt ihr die Hand entgegen)
-Wenn die nu wieder rein wird, dann sind Sie schuld.
-
-·Lore·
-
- (weist kopfschüttelnd nach dem Balkon)
-
-Unser Alterchen da oben is schuld.
-
-·Biegler· (seine Hand in der ihren)
-
-Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... Scht! ... Schlägt's da
-nich zwölfe? (Man hört die ferne Turmuhr schlagen) Wahrhaftig! Nu muß
-ich aber wirklich mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja
-gar nich wert, daß ... (Lacht leise und glücklich) Gute Nacht, Fräulein
-Lore!
-
-·Lore·
-
-Gute Nacht, Herr Biegler.
-
-·Biegler· (am Fuß der Stufen)
-
-Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf?
-
-·Lore·
-
-_Der_ kommt nie wieder. --
-
-·Biegler· (von den Stufen her)
-
-Gute Nacht!
-
-·Lore·
-
-Gute Nacht.
-
-·Biegler· (verschwindet nach rechts)
-
-·Lore·
-
-Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, Vater. (Der Alte rührt
-sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen) Vater, hörst du, wie
-er pfeift? (Biegler pfeift -- wieder von weiter her) Vater, das Glück
-pfeift! Das Glück pfeift! (Sie sinkt schluchzend vor dem Alten nieder,
-das Gesicht an seinem Knie verbergend. Der Alte schläft fort. -- Das
-Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er sich entfernt)
-
- (_Der Vorhang fällt langsam_)
-
-[Illustration]
-
-
-
-
- +----------------------------------------------------------------+
- | Anmerkungen zur Transkription |
- | |
- | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen |
- | gebräuchlich waren, wie: |
- | |
- | anderen -- andern |
- | besehen -- besehn |
- | danach -- darnach |
- | Gehen -- Gehn |
- | sehen -- sehn |
- | |
- | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. |
- | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: |
- | |
- | S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert. |
- | S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert. |
- | S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert. |
- | S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert. |
- | S. 130 »umso« in »um so« geändert. |
- | S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert. |
- | |
- +----------------------------------------------------------------+
-
-
-
-
-
-End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN ***
-
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+The Project Gutenberg EBook of Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Stein unter Steinen + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: May 14, 2020 [EBook #62132] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN *** + + + + +Produced by Peter Becker and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was +produced from images generously made available by The +Internet Archive) + + + + + + +------------------------------------------------------------------+ + | Anmerkungen zur Transkription | + | | + | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Fettschrift als | + | ·fett·, und Antiquaschrift als ~Antiqua~. | + | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. | + +------------------------------------------------------------------+ + + +Stein unter Steinen + + + Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger + Stuttgart und Berlin + + + Hermann Sudermann: + + + Geheftet + + ·Im Zwielicht.· Zwanglose Geschichten. 30. Aufl. M. 2.-- + + ·Frau Sorge.· Roman. 83. bis 87. Auflage M. 3.50 + + ·Geschwister.· Zwei Novellen. 27. Auflage M. 3.50 + + ·Der Katzensteg.· Roman. 61. bis 65. Auflage M. 3.50 + + ·Jolanthes Hochzeit.· Erzählung. 27. Auflage M. 2.-- + + ·Es war.· Roman. 38. Auflage M. 5.-- + + ·Die Ehre.· Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage M. 2.-- + + ·Sodoms Ende.· Drama in 5 Akten. 23. Auflage M. 2.-- + + ·Heimat.· Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage M. 3.-- + + ·Die Schmetterlingsschlacht.· Komödie in 4 Akten + 9. Auflage M. 2.-- + + ·Das Glück im Winkel.· Schauspiel in 3 Akten + 15. und 16. Auflage M. 2.-- + + ·Morituri:· Teja. Drama in 1 Akt. -- Fritzchen. + Drama in 1 Akt. -- Das Ewig-Männliche. + Spiel in 1 Akt. 17. Auflage M. 2.-- + + ·Johannes.· Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. + 28. Auflage M. 3.-- + + ·Die drei Reiherfedern.· Dramatisches Gedicht in + 5 Akten. 14. Auflage M. 3.-- + + ·Johannisfeuer.· Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl. M. 2.-- + + ·Es lebe das Leben.· Drama in 5 Akten. 20. Aufl. M. 3.-- + + ·Der Sturmgeselle Sokrates.· Komödie in 4 Akten. + 15. Auflage M. 2.-- + + Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen + + Preis für den Einband: + + in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf. + + + + + Stein unter Steinen + + Schauspiel in vier Akten + + von + + Hermann Sudermann + + Elfte Auflage + + [Illustration] + + Stuttgart und Berlin 1905 + + J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger + + +~Copyright, 1905, by Hermann Sudermann~ + +Alle Rechte vorbehalten + + +Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart + + + + +Personen + + + ·Zarncke·, Steinmetzmeister. + + ·Marie·, seine Tochter. + + ·Frau Homeyer·, Wirtschafterin bei Zarncke. + + ·Jenisch·, Buchhalter. + + ·Eichholz·, Nachtwächter auf dem Werkplatz. + + ·Lore·, seine Tochter. + + ·Lenchen·, deren Kind. + + ·Willig·, Polier. + + ·Göttlingk·, Steinmetz. + + ·Jakob Biegler·. + + ·Reitmaier·, Kriminalkommissar. + + ·Lohmann·, } + ·Sprengel·, } Arbeiter. + ·Struve·, } + + Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter. + + Mehrere Frauen und Kinder. + + _Ort der Handlung_: Berlin. + + _Zeit der Handlung_: die Gegenwart. + + Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen, + zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag. + +[Illustration] + + + + +Erster Akt + + Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür nach + dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen. + Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach dem Werkplatz + führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein Podium mit bequemem + Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne ein Sofa mit Sofatisch + und Sesseln. Im Hintergrunde links von der Tür ein Tischchen + mit Wandkonsole darüber, rechts von der Tür ein Bücherschrank. + Altväterisch-behagliche Ausstattung. Stahlstiche, + Photographien, gestickte Sinnsprüche an den Wänden. + Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit Kanarienvogel + etc. etc. + + +Erste Szene + + _Zarncke._ _Marie._ _Jenisch_ + + +·Zarncke· + + (Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den + Backen. Gutmütig-vergnügte Äuglein. Sprechweise -- mit + Anklängen ans Niederdeutsche -- weich, bisweilen harmlos + polternd, voll stillen Grüblersinnes) + +·Marie· + + (Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei + schöne Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, + bisweilen durch schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen + tastend, unsicher) + +·Jenisch· + + (behaglicher, beschränkter Zahlenmensch) + +·Zarncke· (mit Jenisch eintretend) + +Na, Miezelchen? + +·Marie· + + (die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend) + +Vaterchen! (Will aufstehen) + +·Zarncke· + +Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! (Tritt zu ihr hin und küßt sie auf die +Stirn) Läßte dir die Maisonne in 'n Magen scheinen? Das is recht ... +Na, Jenisch, was haben Sie da! + +·Jenisch· + +Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen Brüchen, Herr Zarncke. +(Reicht ihm die kleinen Blöcke) + +·Zarncke· (kratzt an den Rändern) + +Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf an Streusand sei +vorläufig noch gedeckt. + +·Jenisch· (lacht respektvoll) + +·Zarncke· + +Zweite Post? + +·Jenisch· + +Jawohl. (Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe) + +·Zarncke· + + (setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand + gleiten) + +Nischt -- nischt -- nischt. (Ein Kuvert öffnend) Machen wir. (Ein +zweites) Machen wir desgleichen. »Verein zur Besserung entlassener +Strafgefangener«. Möchten sie mir mal wieder einen andeichseln? ... Na, +wollen mal sehn ... (Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die +anderen Briefe hin) Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von +der Polizei kommen wegen heute nacht -- das sag' ich besser draußen. +(Zu Marie) Verzeih mal! (Öffnet das Fenster. Das klingende Geräusch +der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, das Quietschen +der Windewagen wird hörbar) Sie da! Willig! Polier! (Lauter) Polier! + +·Stimme des Poliers Willig· + +Jawohl, Herr Zarncke! + +·Zarncke· + +Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie sie gleich aufs Kontor +führen. Ich will nicht, daß sie mir den Platz rabiat machen mit ihrem +dummen Gefrage. + +·Stimme Willigs· + +Jawohl, Herr Zarncke. + +·Zarncke· (nachahmend) + +Jawohl, Herr Zarncke. (Schließt das Fenster, das Geräusch hört auf) + +·Marie· + +_Mußtest_ du's denn anzeigen, Vaterchen? + +·Zarncke· + +Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch nicht zu +nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern rumpulen lassen. +Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... Hören Sie mal, Jenisch, euch +auf'm Kontor geht's ja eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über +den alten Eichholz? + +·Jenisch· + +Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr lange halten +lassen. Als Wächter. + +·Zarncke· + +Na, als was denn sonst? + +·Jenisch· + +Das weiß ich ja nich. + +·Zarncke· + +Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst mein Kanarienfritze +hat sein Geschäft. Wenn der nich singt, dreh' ich ihm den Hals um. + +·Marie· (lächelnd) + +Na, na. + +·Zarncke· + +Was ist hier zu na-na-en! (Zärtlich) Du -- hä? + +·Marie· (lacht) + +·Zarncke· + +Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft groß werden +sehen ... Wird mir schwer! (Pause) Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, +setzt er sich friedfertig auf einen Block, und dann sägt er los. (Ahmt +einen Schnarchton nach) Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher +in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, diese +Instituschon is nich das richtige. + +·Marie· (lacht) + +·Zarncke· + +Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück. + +·Jenisch· (lachend) + +Adieu, Fräulein Mariechen. + +·Marie· + +Adieu, Herr Jenisch. + + +Zweite Szene + + _Zarncke. Marie_ + +·Zarncke· + +Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is. + +·Marie· + +Am Ende gar der -- --? + +·Zarncke· + +Na natürlich. + +·Marie· (lachend) + +Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine. + +·Zarncke· + +_Du_ meinst den Struve. Und _ich_ mein' den Struve. Und draußen auf dem +Platze meinen sie _auch_ den Struve. Aber weil sie mich nich blamieren +wollen, tun sie, als hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu +mal den Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich wieder +raushaue, kriegt er zehn Jahre. + +·Marie· + +Um Gottes willen! + +·Zarncke· + +Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. Billiger tun +sie's da nich ... Und so 'ne Seele von Mensch. Als die Steinmetzen +neulich für den brustkranken Emil sammelten -- wo er doch als Arbeiter +eigentlich gar nischt mit zu tun hat -- Wochenlohn blank auf den Tisch +gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die Diamantsplitter in den neuen +Zahnsägen haben's ihm angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe +wehmutsvolle Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann sitzt +er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n Kreuz mit diesen Kerls! +Immer wieder saust man rin. + +·Marie· + +Na, manchmal auch nicht. + +·Zarncke· + +Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' ich das Leben gerettet. +Der Thiele hat sogar Karriere gemacht. Aber -- nee! -- nu Schluß! -- +Ich nehm' nu nich _einen_ mehr, den mir der Verein zuschanzt. + +·Marie· + +Na, na! + +·Zarncke· + +Mariechen, ich schwör' es dir. (Das Kuvert aufnehmend) Und wenn dies +hier -- ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, ich tu's nicht. (Das +Kuvert aufreißend) Wollen mal gleich sehn! + +·Marie· + +Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher ist es ein +interessanter Fall, und dann -- + +·Zarncke· + +Kann's auch ungelesen zurückschicken. (Unschlüssig) Aber -- -- -- du, +klingel mal, daß die Homeyer mir das Frühstück bringt. + +·Marie· (klingelt) + +·Zarncke· + + (die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken) + +Da is nu ein ganzes Schicksal drin. + +·Marie· (bittend) + +Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies lieber nich. + +·Zarncke· + +Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, wie du meinst. (Legt +das Kuvert hin) + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen. Frau Homeyer_ + + (Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der + dreißig. Energische Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem + Stich ins Gemeine) + +·Frau Homeyer· + + (die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer + Rotweinflasche hereintragend) + +Schönen guten Morgen wünsch' ich. + +·Zarncke· + +Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen. + +·Frau Homeyer· + +Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. Das ziemt sich für mich. +(Auf die Tablette weisend) Is alles gut so? + +·Zarncke· + +Hm. Fein. + +·Frau Homeyer· + +Fräulein Mariechen, was möchten Sie? + +·Marie· + +Danke. Danke. + +·Frau Homeyer· + +Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch? + +·Marie· + +Doch. Doch. + +·Frau Homeyer· + +Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. Ich kann mir gar nich +genug tun für Sie. + +·Zarncke· + +Ja, ja, Sie sind eine Perle. + +·Frau Homeyer· + +Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen sein Lob. Ich bin eine +ehrbare Witwe. Wer so viel Leid durchgemacht hat im Leben, wie ich -- +ach ja! + +·Zarncke· + +Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, hören Sie mal. + +·Frau Homeyer· + +Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert. + +·Zarncke· + +Und dann so die ehrbare Lebensweise. + +·Frau Homeyer· (seufzend) + +Ja, ja. + +·Zarncke· + +Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben Sie vielleicht irgend +was gehört, heute nacht? + +·Frau Homeyer· + +Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. -- Schritte und so. + +·Zarncke· + +Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet? + +·Frau Homeyer· + +Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen an. Ich misch' +mich nich in fremde Sachen. + +·Zarncke· + +So -- das sind fremde Sachen für Sie? + +·Frau Homeyer· + +Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher sind? + +·Zarncke· + +Na, was denn sonst? + +·Frau Homeyer· + +Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, -- da werden die Mannsleute +doll -- + +·Zarncke· + +Und die Weibsleute auch. + +·Frau Homeyer· + +Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. Von dem Tage an, +daß mein armer sel'ger Mann -- + +·Zarncke· + +Scht, scht, scht! _Wenn_, dann würd's auch nichts ausmachen. Na -- und? + +·Frau Homeyer· + +Und der alte Eichholz schläft natürlich. (Mit Betonung) Und die Tochter +schläft eben auch. Nu ja. + +·Zarncke· + +Ach so! Das geht gegen die Lore! + +·Frau Homeyer· + +Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. Laß das Fräulein +Lore tun, was sie will. Es braucht nich jede so'n Wandel zu haben, wie +ich. Aber schließlich läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. +Vater unbekannt. + +·Zarncke· + +Der Vater ist nicht unbekannt. + +·Frau Homeyer· + +Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. -- Warum heiratet er sie +denn nich? + +·Zarncke· + +Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... Was hast du, Mariechen? + +·Marie· + + (die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist) + +Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal so grasgrün. + +·Frau Homeyer· + + (die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat) + +Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser? + +·Marie· (trinkt -- matt) + +Danke schön. + +·Frau Homeyer· + +Sonst noch Wünsche? ... Nein. (Da niemand antwortet, ab) + + +Vierte Szene + + _Zarncke. Marie._ Später _Lenchen_ + +·Zarncke· + +Miezelchen! + +·Marie· + +Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. Der macht einem +Kopf und Glieder so schwer. + +·Zarncke· + +Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen spür' ihn. +Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der Doktor hat gesagt, du +sollst eine sitzende Lebensweise führen, also führe du eine sitzende +Lebensweise. (Setzt den Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen) Ganz +lecker! Magst du das Frauenzimmer eigentlich? + +·Marie· + +Ach Gott! + +·Zarncke· + +Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. Bißchen +Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst weiß man gar nich, daß +man lebt ... Jetzt läuft sie auch hinter dem Göttlingk her. Darum +der Haß auf die Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten +gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne an, und wenn +sie Mittags auf den zwei Richtscheiten liegen, dann sind sie nich +hochzukriegen. (Seufzend) Junges Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel +auf dem Kantinendach hat sich ein Weibchen gefunden. + +·Marie· (freudig) + +Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr die Seele aus dem +Leibe schreien ... + +·Zarncke· + +Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe. + +·Marie· (betroffen) + +Wie meinst du das? + +·Zarncke· + +Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach hat jeder. -- + +·Marie· (hinaushorchend, ruft) + +Lenchen! (Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt +herein, wie vorhin) Lenchen! + +·Die Stimme Lenchens· (jubelnd) + +Tante Mariechen! + +·Marie· + +Komm ans Fenster! Komm! + +·Zarncke· + +Tante nennt sie dich? + +·Marie· + +Soll sie nicht, Vaterchen? + +·Zarncke· + +Ja, ja. Kommt auf eins 'raus. + +·Marie· + +Na, kletter hoch! + +·Lenchens· + + (Kopf erscheint in der Fensteröffnung) + +Tag, Tante Mariechen. + +·Marie· + +Klettre, Katz! Klettre! + +·Lenchen· + +Mußt helfen. + +·Zarncke· + + (da Marie eine Bewegung macht, rasch) + +Nicht du! Ich, ich! (Zieht das Kind durch das Fenster herein und setzt +es auf den Boden) + +·Lenchen· + + (die Arme um Mariens Knie schlingend) + +Tante Mariechen! Tante Mariechen! + +·Marie· (sie herzend) + +Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle? + +·Lenchen· + +Butterstulle. + +·Marie· + + (gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot) + +·Lenchen· + + (setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt + unbekümmert) + +·Marie· + +Und das soll nun 'ne Schande sein -- so ein Engelskind! + +·Zarncke· + +Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir? + +·Marie· (inbrünstig) + +Ach so gerne, Vaterchen, so gerne! + +·Zarncke· + +Tja! Vielleicht gibt sie's dir! + +·Marie· + +So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. (Streichelt die Kleine und +spricht leise zu ihr) + +·Zarncke· + +Tja! (Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen nach +Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu lesen) + +·Marie· + + (sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu + schaffen) + +·Zarncke· (murmelnd) + +Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch gerade zu mir? (Steckt +die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und geht erregt im Zimmer umher) +Was kann man da machen? Was -- + +·Marie· (bittend) + +Vater! + +·Zarncke· + +Was denn? + +·Marie· + +Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner Türe kommen. Hilf doch +auch dem Kinde! + +·Zarncke· + +Ja, leicht gesagt! ... Wie? + +·Marie· + +Rede mit Göttlingk wegen Lore. + +·Zarncke· + +Ich _hab_' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn nicht. + +·Marie· + +Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre ist er weg +gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen. + +·Zarncke· + +Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser wüste Kerl kann +mehr als ... Seinethalben braucht' ich gar keine Bildhauer mehr. Den +schwierigsten Auftrag kann ich annehmen, seit er da ist. + +·Marie· + +Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den Schmerz erleben mit +dem Alten. Ich mag das Elend nicht mehr mit ansehn. + +·Zarncke· + +Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor. + +·Marie· + +Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm. + +·Zarncke· + +Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel vor die Füße. Na und +dann? ... Weißt du: Sprich du mit ihm. + +·Marie· (erschrocken) + +Ich? ... Nein, nein, nein. + +·Zarncke· + +Warum nicht? + +·Marie· + +Vaterchen -- das -- kann ich nicht. + +·Zarncke· + +Siehst du. Man kann manches nicht. (Es klopft) Herein. + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen. Eichholz_ + + (Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, + mit militärischem Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, + buschiges Haar, Rundbart mit ausrasierter Oberlippe, Bratenrock + mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz) + +·Zarncke· + +Na Eichholz! Ausgeschlafen? + +·Lenchen· (ihm entgegen) + +Großvaterchen! Großvaterchen! + +·Eichholz· (will sie nicht sehen) + +·Marie· + +Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine Zeit. (Sie beginnt zu +sticken. Das Kind spielt) + +·Eichholz· + +Nja. + +·Zarncke· + +Und so feierlich! Was is denn los? + +·Eichholz· + +Herr Zarncke -- ich möchte -- freundlichst -- um meine Entlassung +gebeten haben. + +·Zarncke· + + (mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd) + +Sieh mal an! + +·Eichholz· + +Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht -- daß die Steinmetzen +behaupten -- _wollen_, daß ich gewissermaßen -- meines Amtes nicht mehr +gewachsen bin. + +·Zarncke· + +So? + +·Eichholz· + +Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht drankommen. Und +wenn die Steinmetzjungens sich die Schnauze verbrennen, damit, daß sie +nicht wissen tun, was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr +tauglicher Mann ist -- + +·Zarncke· + +Nu kohlt er wieder. + +·Eichholz· + +Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich mir habe in Ihrem +Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich die Schulterblattmuskeln +ausgefallen. + +·Zarncke· + +Ich weiß, ich weiß, ich weiß. + +·Eichholz· + +Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie man so sagt, ein +Puschemauchen, drum herumtrage, wegen den Reimantismus, wo ich mir auch +im Dienste geholt habe. + +·Zarncke· + +Ja -- so Nachts auf dem kalten Stein schl-- (sich rasch verbessernd) +sitzen -- sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus. + +·Eichholz· + +Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich -- Nachts? Nu sagen Sie bloß noch, Herr +Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, dann kann ich ruhig jehn, +mir aufhängen. + +·Zarncke· + +Na, na, na. Sagt ja keiner. (Zu Marie) Was fängste da an? + +·Eichholz· + +Wo ich doch schon Kummer genug hab' -- mit meine Tochter -- und hier +mit -- diese -- diese -- Mestize. + +·Marie· (hebt erstaunt den Kopf) + +·Zarncke· + +Wieso Mestize? + +·Eichholz· + +Nu, was ein ungebührliches Kind is -- 's is ja schlimm, daß man das +selber sagen muß, -- aber das is doch nich anders, das is doch eine +Mestize. + +·Zarncke· + +Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen? + +·Eichholz· + +Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang habe, dann les' ich +wohl sehr gerne in de Indianerbiecher. + +·Zarncke· + +Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, wie wär's, wenn +Sie sich mal 'n bißchen mehr Ruhe gönnten? + +·Eichholz· + +Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne. + +·Zarncke· (leise zu Marie) + +Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, Eichholz. + +·Eichholz· + +Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber was 'n gewissenhafter +Wächter is und 'n tauglicher Wächter is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, +der hört den Maulwurf graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen. + +·Zarncke· + +Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts gehört -- hä? + +·Eichholz· + +Hähähähä! Da lach' ick äwwer. + +·Zarncke· (ernst) + +Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz. + +·Eichholz· (gekränkt) + +Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die Steinmetzjungens? + +·Zarncke· (ernst) + +Ich muß wohl, Eichholz. + +·Eichholz· (versteht, fassungslos) + +Ach so! (Sein Gesicht verändert sich) + +·Zarncke· (bittend) + +Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die Siebzig. Nu schlafen Sie +sich doch mal ordentlich aus. Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen +Bett. + +·Eichholz· (kläglich) + +Ich kann gar nich im Bett schlafen. + +·Zarncke· + +Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock in Ihre +Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie Ihre Bequemlichkeit haben ... + +·Eichholz· (brütend) + +Nja. + +·Zarncke· + +Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen 'ne Pension aus +... Können auch wohnen bleiben ... Bei Tag schustern Sie 'n bißchen +oder läuten die Pausen ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine. + +·Eichholz· + +Und gewöhn' mir das Saufen an. + +·Zarncke· + +Sie werden doch nich. + +·Eichholz· + +Herr Zarncke, ich bin ein Mann -- hochgeehrt -- ich hab' anno 70 immer +mit am Offezierstisch gegessen. + +·Zarncke· + +Na, na. + +·Eichholz· + +Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n Saufjee, ich hab' +noch nich mal 'n Stückschen Käse ins Schnapsglas getunkt. + +·Zarncke· + +Schmeckt ja auch gar nich. + +·Eichholz· + +Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber wenn man in eine so +lausige Beschaffenheit versetzt wird, daß das Ehrgefühl im Menschen so +sehr gekränkt wird, wo man doch von seinem redlichen Schustergewerbe +nichts mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene +Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn annimmt ... + +·Zarncke· + +Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören Sie mal ... + +·Eichholz· + +Ich ... ich ... hab'... ich ... (Würgt) + +·Zarncke· + +Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder good, min Sähn. + +·Eichholz· (befehlshaberisch) + +Lenchen! + +·Marie· (ängstlich) + +Nein, nein, das Kind bleibt hier. + +·Eichholz· + +Ich und Lenchen -- wir gehn jetzt aus'm Haus. + +·Zarncke· + +Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, dann kann ich nichts +dagegen haben -- das heißt, Sie werden sich ja noch anders besinnen -- + +·Eichholz· + +Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, daß irgend +so ein hergelaufener Sch -- Schlump jetzt sagen kann, ich bin dem +weggejagten Alten da -- sein Nachfolger. Das -- nee -- nee -- nee! +Ich hab' noch 'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar +reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich arbeit' +nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr Zarncke. (Ab) + + +Sechste Szene + + _Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore_ + +·Zarncke· (verzweifelt) + +Na -- nu is er rabiat. Nu geht er sausen. -- + +·Marie· + +Du warst milde genug, Vaterchen. + +·Zarncke· + +Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n Mensch. Jeder hat sein +Schicksal. + +·Marie· + +In sich, Vater. + +·Zarncke· + +Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so vielen ihr Schicksal +gewesen ... In sich! ... Spreu sind wir im Winde. Es kommt nur drauf +an, von wo er bläst ... Na -- vielleicht kann man's an einem andern +wieder gutmachen. (Nimmt die Papiere) Da wird heute einer kommen. So +einen hatten wir noch nicht. + +·Marie· + +Was hat er denn pekziert? + +·Zarncke· + +Frag nicht. Nachher drückt's dich. + +·Lores Stimme· (draußen rufend) + +Lenchen! Lenchen! + +·Lenchen· (aufhorchend) + +Das is Mama. Ich will zu Mama. + +·Marie· + + (das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch + hereindringt) + +Das Kind is bei mir drin, Lore. + +·Zarncke· (nach der Uhr sehend) + +Alles still? Is schon Frühstückspause? + +·Lores· + + (Kopf erscheint in der Fensteröffnung) + +Dank' schön, Fräulein Mariechen. (Zu Lenchen, die die Arme ausstreckt, +sich vorbeugend) Na, hopp! + +·Zarncke· + +Du kannst mal 'reinkommen, Lore. + +·Lore· + +Wenn ich darf, Herr Zarncke. (Verschwindet) + +·Marie· + + (schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will) + +·Zarncke· + +Und findet sich der Mann hier 'rein -- der Mann von diesem Brief -- +Biegler heißt er -- dann schick ihn nicht ins Komptor, dann laß mich +lieber rufen. (Es klopft) Herein! + +·Lore· (erscheint in der Tür) + +·Zarncke· + +Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von heute ab -- + +·Lore· + + (Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren + seelischen Leidens. Sprechweise bald ohne Grund erregt, + bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen müde, schwerfällig, + jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, schlichte + Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über dem + Habitus der Dienerin stehend) + +Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' nich mehr. + +·Zarncke· + +Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen brauch'. + +·Lore· + +Ach, Sie! (Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen) + +·Zarncke· + +Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da -- (Beruhigt sie mit einer +Handbewegung) Aber stell ihm die Kümmelflasche höher. Das rat' ich dir, +Kind! (Klopft sie auf die Schulter. Ab) + +·Lenchen· (die Arme hochhebend) + +Mama! Mama! + +·Lore· + + (ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend) + +Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins Aug' fliegt. + +·Marie· + +Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb. + +·Lore· + +Ja ... Die andern ja. -- Bloß der der nächste dazu is -- + +·Marie· + +Er wird's nicht zeigen wollen. + +·Lore· + +Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und wie er vorbeikommt, +da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. Da hat er sie weggeschoben +-- na wie? 'n jungen Hund schiebt man nich so. + +·Marie· + +Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist kein Mensch. Und er +sicherlich nicht. Sicherlich nicht. + +·Lore· + +Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. -- + +·Marie· + +Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner. + +·Lore· + +Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich an? Warum gibst du +dich ab mit mir? (Verbirgt den Kopf an ihrer Stuhllehne) + +·Marie· (sie streichelnd) + +Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' ich dich schon +gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. (Da Lenchen weinerlich +dazukommt) Du, Lenchen, der weiße Bär ist ein Eisbär. Und den bind +mal nu an die Leine. (Reicht dem Kinde eine Porzellanfigur und ein +Garnknäuel) + +·Lore· + +Ja, Lenchen, tu das. + +·Lenchen· + + (fängt beruhigt von neuem zu spielen an) + +·Marie· + +Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst du dich? Warum sagst +du nicht ganz offen, daß er der Vater ist? + +·Lore· (verängstigt) + +Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten. + +·Marie· + +Warum läßt es dir verbieten? + +·Lore· + +Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' er zu mir: »Willst +du, daß ich wieder eintrete auf dem Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm +noch die Hände geküßt in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er +dabei. »Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... Die's von +früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß der Polier ... Und das ist +sein Freund. Vater hat er auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir +rein die Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das Schweigen doch +ein Ende nehmen. Aber es geschieht nichts ... Er kommt in die Kantine. +Ganz vergnügt. Bloß nicht allein. Da hütet er sich. + +·Marie· + +Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben? + +·Lore· (achselzuckend) + +Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn. + +·Marie· (erschreckt, beklommen) + +Wen denn? + +·Lore· + +Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, vielleicht -- ach, +wer kann wissen? + +·Marie· (auf Lenchen weisend) + +Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt? + +·Lore· + +Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch mit allen, was er +will ... Er ist mehr Herr auf dem Platz als der Polier. Da wagt keiner +zu mucksen ... Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten von +den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie _rein_ doll ... + +·Marie· (träumerisch) + +Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! (aufschluchzend) +Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. Und du jammerst. + +·Lore· (erschrocken) + +Mariechen! + +·Marie· (sich zusammenraffend) + +Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der macht einen ganz ... +Und du jammerst. + +·Lore· (mit wehem Lächeln) + +Ich jammer' ja auch nich. + +·Marie· + +Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner Schande. -- Schande! +Was ist Schande? ... Unser Leib ist ein Tempel ... Und Gebären ist +Gottesdienst ... Nur wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist +es schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen baut, und +man selbst ist schon Ruine. + +·Lore· + +Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen. + +·Marie· + +Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit mir? ... Und ich +bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' was verpflanzen von mir in +dich. Daß du den Kopf wieder hebst. -- Nicht mehr wie 'n Stein bist in +deinem Gram. + +·Lore· (lacht bitter) + +·Marie· (mit sich kämpfend) + +Du -- soll ich -- reden mit ihm? + +·Lore· + +Du -- mit ihm? + +·Marie· (nickt) + +·Lore· (ohne Hoffnung) + +Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart lieber noch ... +Vielleicht, daß er _doch_ -- + +·Marie· (stockend) + +Es wird mir -- ja nicht -- leicht fallen ... Ich kenn' ihn ja auch kaum +mehr -- den großen Herrn ... Aber wenn man was _sehr gerne_ will, dann +wird man's doch auch -- können. -- Na, freut's dich gar nicht? + +·Lore· + + (die Hand mutlos vor die Stirne legend) + +Ach! ... (Es klopft) + +·Marie· + +Herein! + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen. Jakob Biegler_ + + (Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht + schmutzig gekleidet, Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach + geflickt und zu kurz. Altes, blankgewordenes Jakett, + gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. Defektes + Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. -- Gelbes, zermürbtes + Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. + Auftreten gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit + umschlagend) + +·Biegler· + +Guten Morgen. + +·Marie· + +Sie wünschen meinen Vater zu sprechen? + +·Biegler· + +Herrn Zarncke -- möcht' ich sprechen. + +·Marie· + +Heißen Sie Biegler? + +·Biegler· (betroffen) + +Ach so! -- Sie wissen schon. Na -- dann -- (Macht eine halbe Wendung +zur Tür) + +·Lenchen· + + (ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor) + +Guten Tag! + +·Marie· + + (seinen Seelenzustand erkennend) + +Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen Biegler kommt, dann möcht' +ich ihn rufen. + +·Biegler· (erleichtert) + +Ja, der bin ich. + +·Lenchen· + +Nu sag doch: Guten Tag. + +·Biegler· + + (sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er + weiß nicht, was tun) + +·Lore· (sie leise zurückrufend) + +Lenchen! + +·Marie· + +Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen Sie willkommen +heißt. + +·Biegler· + + (sieht sie groß an, versteht nicht) + +Erst -- muß -- ich -- Herrn Zarncke -- sprechen. + +·Marie· (aufstehend) + +Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an (leiser) und bring dem +was zu essen. Er hat's nötig. + +·Lore· (nickt) + +Komm, Lenchen. (Mit dem Kinde ab) + +·Marie· + +Nehmen Sie so lange Platz, bitte. + +·Biegler· + +Ich kann auch stehen. + +·Marie· (ab) + + +Achte Szene + + _Biegler._ Dann _Zarncke_ + +·Biegler· + + (alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen + wandern umher) + +·Zarncke· + + (mit Bieglers Papieren in der Hand) + +Guten Tag. + +·Biegler· + + (in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war) + +Melde Jakob Biegler. + +·Zarncke· + +Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Der Verein zur +Besserung entlassener Strafgefangener hat Sie mir zugeschickt. Stehen +Sie unter seiner Fürsorge? + +·Biegler· + +Jawohl. + +·Zarncke· + +Wie lange sind Sie 'raus? + +·Biegler· + +Vier Monate zehn Tage. + +·Zarncke· + +Fünf Jahre haben Sie abgemacht? + +·Biegler· + +Jawohl. + +·Zarncke· + +Wegen was? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Na -- wegen was? + +·Biegler· (auf die Papiere weisend) + +Steht ja da drin. + +·Zarncke· + + (fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen) + +Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig. + +·Biegler· (verbissen) + +Na, ich sprech's nich aus. + +·Zarncke· + +Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn. + +·Biegler· + +Wenn Sie wollen. + +·Zarncke· + + (geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest) + +Hm. Schlimm. Schlimm. + +·Biegler· + +Schlimm. (Pause) + +·Zarncke· + +Na, wie is es denn gekommen? + +·Biegler· + +Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist. + +·Zarncke· + +Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg? + +·Biegler· + +Man war ja mit mir zufrieden. + +·Zarncke· + +Ersparnisse gemacht? + +·Biegler· + +Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig. + +·Zarncke· + +Noch was da? + +·Biegler· + +Dann säh' ich nich so aus, Herr -- Zarncke. + +·Zarncke· + +Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt? + +·Biegler· + +Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal als Hofgänger, das +zweite Mal als Kuhfutterer. + +·Zarncke· + +Na -- und? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Ausgerissen? + +·Biegler· (in erregter Verteidigung) + +Ich hielt nicht aus. Ich -- ich -- ich -- + +·Zarncke· + +Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten. + +·Biegler· + +Ach, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie zu mir. Was wollen +Sie gerade bei mir? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie? + +·Biegler· + + (zaudernd, nach innerem Kampfe) + +Steinmetz. + +·Zarncke· + +Ach so! -- _Darum_! Hier steht doch -- Arbeiter. (Sieht nach) + +·Biegler· + +Weil ich als Arbeiter gegangen bin. + +·Zarncke· + +Warum denn? + +·Biegler· + +Wer wird mich nehmen -- als Steinmetz? + +·Zarncke· + +Sie hätten doch probieren können! + +·Biegler· + +Probiert hab' ich genug. + +·Zarncke· + +Und überall abgewiesen? + +·Biegler· + +Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's 'raus. Da lag +ich schon auf der Straße. + +·Zarncke· + +Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen? + +·Biegler· (schweigt) + +·Zarncke· + +Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme? + +·Biegler· + +Ja, die Herren haben's mir gesagt. + +·Zarncke· + +Wollten Sie nich? + +·Biegler· (zögernd) + +Nein. + +·Zarncke· + +Warum nicht? + +·Biegler· (erregt) + +Nachher wird's doch nichts -- -- -- + +·Zarncke· + +Und jetzt wollen Sie? + +·Biegler· + +Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. -- Wenn ich bloß +'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder beim Flaschenzug, wo keiner +was fragt. + +·Zarncke· + +Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf besteh' -- Sie können +auch als Steinmetz eintreten. + +·Biegler· (verängstigt) + +Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is wieder alles +... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß w--wenn ich den -- +Klippelschlag hören kann. Bloß von weitem. + +·Zarncke· + +Sie waren wohl ein _guter_ Steinmetz? + +·Biegler· + +Ach! (Zuckt die Achseln) + +·Zarncke· (voll wärmerer Anteilnahme) + +Hm. (Es klopft) Herein. + + +Neunte Szene + + _Die Vorigen._ _Lore_ (mit einem Teller, worauf Butterbrot) + +·Lore· + +Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat befohlen. + +·Zarncke· + +Essen Sie. + +·Biegler· + + (gierig nach dem Teller sehend) + +Danke! Ich hab' -- keinen -- Hunger. + +·Lore· (leise, mitleidig) + +Essen Sie nur. + +·Biegler· + + (blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht + Zarncke fragend an) + +·Zarncke· + +Ja, ja, Sie dürfen. + +·Biegler· + + (dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter) + +·Zarncke· + +Du, Lore, hol mal das Wasserglas. + +·Lore· + + (holt das Wasserglas vom Nähtisch) + +·Zarncke· (Rotwein eingießend) + +Bring ihm das. -- Übrigens: wie trägt's denn der Vater? + +·Lore· + +Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen wollte: darf er +den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger da ist? + +·Zarncke· + + (mit einem Blick nach Biegler hin) + +Nachfolger hab' ich schon. + +·Lore· (dem Blick folgend) + +Ach so. + +·Zarncke· + +Gefällt er dir? + +·Lore· + +Ach, is 'n armer Mensch! + +·Zarncke· + +Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast. + +·Lore· + +Nein, nein. (Stellt das Glas neben Biegler, ab) + + +Zehnte Szene + + _Biegler._ _Zarncke_ + +·Biegler· + + (würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in + Positur) + +·Zarncke· + +Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken. + +·Biegler· + +Ja. (Äugt zweifelnd nach dem Glase) + +·Zarncke· + +Haben Sie keinen Durst? + +·Biegler· + +Erst geben Sie mir -- Wein zu trinken, und dann nehmen Sie mich _doch_ +nich. Hä. + +·Zarncke· + +Erst trinken Sie mal. + +·Biegler· + + (dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen) + +·Zarncke· + +Auf den Steinmetzplatz _wollen_ Sie. Aber gewissermaßen im verborgenen. +So daß keiner was erfährt, daß Sie keinem Rede zu stehen brauchen -- hä? + +·Biegler· + +So was Schönes gibt's ja nich. + +·Zarncke· + +Vielleicht _doch_. Wollen Sie Wächter werden bei mir auf'm Platz? + +·Biegler· + + (in staunendem Nicht-glauben-wollen) + +Herr Zarncke! + +·Zarncke· + +Na? + +·Biegler· + +Das is doch 'n Vertrauensposten. + +·Zarncke· + +Ja, das is es. + +·Biegler· + +Da müssen manche sogar Kaution stellen. + +·Zarncke· (bejahend) + +Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, können Sie unter den +Arbeitern mithelfen ... da fragt Sie keiner ... Na? + +·Biegler· + +Wird ja nicht lange dauern -- + +·Zarncke· + +Das wird ganz von Ihnen abhängen. + +·Biegler· + +Dann kommen die Schutzleute -- und recherchieren ... Und dann is aus. + +·Zarncke· + +Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge für Sie übernimmt, +die Polizei sich mit Ihnen nichts zu schaffen macht. + +·Biegler· (fatalistisch) + +Die Schutzleute -- kommen doch. + +·Zarncke· + +Zu mir nicht ... + +·Biegler· + +Die Schutzleute kommen doch. + +·Zarncke· + +So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann recherchieren. Das +hab' ich mir ein für allemal verbeten. Und daß die Herren vom Verein, +wenn _die_ kommen, Sie nicht verraten werden, das können Sie sich doch +denken. ... Na? + +·Biegler· + +Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich -- (Es klopft) + +·Zarncke· + + (geht zur Tür und öffnet sie) + + +Elfte Szene + + _Die Vorigen._ _Jenisch_ + +·Zarncke· (ihm den Eintritt versperrend) + +Was gibt's? + +·Jenisch· (vom Hausflur her) + +Verzeihung, Herr Zarncke -- die Polizei is da -- wegen -- + +·Biegler· + + (zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche + Bewegung, als wolle er sich verstecken) + +·Zarncke· + +Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. (Schlägt die Türe zu) + + +Zwölfte Szene + + _Biegler._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + +Na ruhig, ruhig, ruhig! + +·Biegler· (sich wild umschauend) + +Die Schutzleute kommen überall -- die -- + +·Zarncke· + +Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. Deshalb kommen sie. +Und eben deshalb sollen Sie auch Nachtwächter werden. Verstanden? + +·Biegler· (würgend) + +Herr Zarncke -- ich muß -- ich -- dank' Ihnen auch schön fürs Glas Wein +... ich ... kann nich in Dienst ... ich muß -- wieder weg. + +·Zarncke· (schüttelt den Kopf) + +Ja, zwingen kann ich Sie nich ... (Nach einem Schweigen) Haben Sie denn +andere Arbeit in Aussicht? + +·Biegler· (verneint) + +·Zarncke· + +Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von der Polizei ... +Unbarmherzig ... Wissen Sie das? + +·Biegler· (bejaht) + +·Zarncke· + +Na und dann? + +·Biegler· (zuckt die Achseln) + +·Zarncke· + +Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von Ihnen -- und was +dann? + +·Biegler· (zuckt die Achseln) + +·Zarncke· + + (plötzlich seinen Ton ändernd) + +Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, komm. (Zieht ihn nach +vorne) Bienchen hast du doch keine? + +·Biegler· (schüttelt den Kopf) + +·Zarncke· + +Na dann setz dir mal. (Zieht ihn in einen Stuhl) Du bist nu man büschen +verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im Kopp spukt, das will ich gar +nich wissen ... Is auch ganz egal. Nu laß man schon büschen sorgen für +dich. (Strenge) Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n +Anzug von mir ... + +·Biegler· + + (an sich niedersehend, freudig) + +Ja, ja, ja, ja. + +·Zarncke· + +Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an! + +·Biegler· (eifrig, voll Ehrgefühl) + +Jawohl -- hab' ich. (Reißt, um das Hemde zu zeigen, die Strickweste +auf) Da! (Beschämt) Bloß -- Kragen hab' ich nich. + +·Zarncke· + +Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. Denn Nachts is +noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne Pfeife und 'ne Schnarre. Und die +Kontrolluhren, die bis zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen +tust du drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine bei der +Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste? + +·Biegler· (wie vorhin) + +Ja, ja, ja, ja. + +·Zarncke· + +Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich mehr. Und so wollen +wir langsam wieder 'n Menschen aus dir machen. Hä? + +·Biegler· (nickt willenlos) + +·Zarncke· + +Na also. + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Zweiter Akt + + Der Werkplatz. Links das _Wohnhaus_ mit vorspringender + _Veranda_ und einem Balkon darüber, zu dem aus dem oberen + Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein Fenster. + Rechts die _Kantine_ mit einer Tür in der Seitenwand und + einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, vor dem eine + Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig vorspringend, das + _Magazin_, mit einer Tür und einer daneben angebrachten Glocke. + -- Im Hintergrunde rechtwinklig zum Magazin ein offener, + von Holzpfeilern getragener _Schuppen_, der sich mit seiner + Hinterwand an die senkrechte Erhöhung lehnt, welche den + hinteren Teil des Werkplatzes bildet und zu der in der Mitte + des Hintergrundes eine schmale Treppe emporführt. Links von + der Treppe mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die + Höhe des hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein + _Kran_. Eine schmale _Feldbahn_ zum Transport der Blöcke führt + an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen vorüber quer über + die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. An den Wänden des + Schuppens und der Häuser stehen und hängen, wo nur ein Platz + sich findet, Gipsmodelle: Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die + Veranda ist mit Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich + über ihr Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den + _Prospekt_ bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits + der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein + Kirchturm ragt aus der Ferne herüber + + +Erste Szene + + (Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus reiches + Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten _Steinmetzen_ oder + _Bildhauer_, die ersteren mit blauer Schürze, die letzteren mit + langem, weißgrauem Kittel und Papier- oder sog. Raffaelmütze + bekleidet. Der Kran ist im Gange. Niedrige Wagen transportieren + Blöcke vorüber. Hilfeleistende _Arbeiter_ in beliebigem + Werktagsanzug. Mittagsstimmung) + + Vorne rechts _Göttlingk_ in Steinmetzentracht vor einem Blocke + -- ein Gipsmodell daneben. Der Polier _Willig_ an einem anderen + Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die sich hinten zu + schaffen machen, _Lohmann_, _Sprengel_, _Struve_ + +·Göttlingk· + + (stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter + Schnauzbart, Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn + heruntergestrichen. Spielt den Kraftmenschen, großsprecherisch, + übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet mit Meißel und + Klippel und singt dazu) + +Na -- nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. He, ihr +Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, ihr sollt mir +den Block in den Schuppen schaffen? -- Lohmann, Sprengel, ihr andern, +immer 'ran! + +·Willig· + +Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's lieber mir. + +·Göttlingk· + +Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn. + +·Willig· + +Und du hast denen nischt zu befehlen. + +·Göttlingk· + +Wenn sie so dumm sind und gehorchen. (Lohmann, Sprengel und ein dritter +Arbeiter sind nach vorn gekommen) Da, wie sie anhampeln! Hab du sie man +so an der Strippe wie ich. (Befehlshaberisch) Also nu los! + +·Lohmann· + +Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn Finger hat jeder zu +verlieren. (Stemmt ein Brecheisen ein) + +·Göttlingk· + +Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen. + +·Sprengel· + +Ohne Brecheisen geht's nich. + +·Göttlingk· + +So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr Volk ... (Faßt mit an) +~Uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt weiter) Na, geht's oder nich? + +·Lohmann· + +Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! Sagst du zum Hund +»kusch«, dann kuscht er. Bloß weil er's Franzesch so gern hat. + +·Göttlingk· + +Noch mal: ~uno~ -- ~due~ -- ~tre~! (Der Block rückt wieder) Ja, +ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de Knochen. Das ist die +Hauptsache. + +·Lohmann· + +Und 's Messer im Sack nich zu vergessen. + +·Göttlingk· + +Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter Sohn. (Zieht ein +Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt unter dem Kittel +befestigt hat) Das is dreikantig geschliffen. Das schlupft (schnalzt, +das Messer vorstoßend, mit den Lippen) wie 'n Küßchen ... Tut gar nich +weh. Will einer probieren? + +·Willig· + + (der mißbilligend zugehört hat) + +Du -- Göttlingk! + +·Göttlingk· (zu ihm herübertretend) + +Hä? + +·Lohmann· (hinter ihm her, ingrimmig) + +So 'n Paradehengst! (Die andern lachen) + +·Willig· + +Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß sie ihre Arbeit +verrichten. Und damit gut! + +·Göttlingk· (großspurig) + +Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur. + +·Willig· + +Mußte immer Bewunderer haben? + +·Göttlingk· + + (wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter) + + +Zweite Szene + + _Die Vorigen._ _Zarncke_ (ist aus der Veranda getreten) + +·Zarncke· + +Polier! + +·Willig· (respektvoll) + +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Is was zu melden? + +·Willig· + +Nein, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Was tut der Kran da? + +·Willig· + +Er holt die Quadern fürs Sägewerk. + +·Zarncke· + +Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block dort an der Treppe +'runtergeschafft werden, damit er Montag in Arbeit genommen werden kann. + +·Willig· + +Sehr wohl, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Wie is die Verteilung heute? + +·Willig· + +Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm Bau, vier Bildhauer +auf'm Platz, sechs auf'm Bau. + +·Zarncke· + +Wo is der Göttlingk heute? + +·Willig· + +Da is er ja. + +·Göttlingk· + + (den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten + bedeckte Seite jetzt oben liegt) + +Donnerschock! ~Per Bacco!~ Den ganzen Dreckplatz soll der Deiwel holen! +Du, Polier, komm mal her. + +·Zarncke· + +Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, Göttlingk? + +·Göttlingk· + + (lüftet einigermaßen verlegen die Mütze) + +Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der Deibel holen. Wie +ich den Block drehen lass', da seh' ich, daß von gestern auf heute eine +fremde Hand daran 'rumgemurkst hat. + +·Zarncke· + + (stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf) + +Ach, Sie werden sich täuschen. (Tritt hinzu) + +·Göttlingk· + +Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir zu Feierabend +immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte! + +·Zarncke· (den Stein betrachtend) + +Von dem Blaustrich an? + +·Göttlingk· + +Jawohl. + +·Zarncke· (nachdenklich, lächelnd) + +Hm. So! -- Das is aber nich schlecht gemacht. Da ist Schwung drin. Wenn +sich die Heinzelmännchen extra für Sie bemühen, Göttlingk! + +·Göttlingk· + +Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins zwischen +de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, der Kerl, der jetzt +Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er so was zulassen kann? ... Das +ist schlimmer wie Einbruch. + +·Zarncke· (der abzulenken sucht) + +Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's finster is, kann man +nich arbeiten. + +·Willig· + +Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon lang hell. + +·Zarncke· (beruhigend) + +Ich werd' den Mann hernach mal fragen. + +·Göttlingk· (murmelnd) + +Das besorg' ich schon selber. + +·Zarncke· + + (mit Willig nach vorne kommend) + +Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter im übrigen auf'm +Platz? + +·Willig· + +Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich an Fleiß nicht genug +tun. Aber -- schwach, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Tja! + +·Willig· + +Und dann -- 'n bißchen sonderbar. + +·Zarncke· + +Inwiefern? (Ringsum ertönen Mittagssignale) + +·Willig· + +Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. Manche fangen ihn schon +zu verulken an. + +·Zarncke· + +Dulden Sie das nich, Willig! + +·Willig· + +Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? Eichholz! + +·Willig· (zur Kantinentür laufend) + +Eichholz! + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen_. _Eichholz_ + +·Eichholz· (angeheitert) + +Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz bin ich da -- ja! +(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt) + +·Zarncke· (sieht kopfschüttelnd zu) + +·Willig· + +Er is jetzt immer im halben Dusel. + +·Eichholz· (sich umschauend) + +Na -- schläft der -- faule Hund -- noch? + +·Zarncke· + +Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen? + +·Eichholz· (brummend nach links) + +·Willig· + +Nu geht er noch in die Destille! + +·Zarncke· + +Is das ein Elend! + + +Vierte Szene + + _Die Vorigen._ _Mehrere Frauen._ Später _Lore_ + + (Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne + gehen zu den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht + sind und waschen sich. Andere holen dicke Butterstullen und + Blechkannen hervor und beginnen zu essen. Frauen kommen von + links mit Eßkörben und begrüßen ihre Männer. Einzelne haben + auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit den Eltern um den + Eßkorb gruppieren) + +·Zarncke· + + (begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den + Frauen »Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern) + +·Lore· + + (erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der + Bildhauer und Steinmetzen) + +Bitte zu Mittag. -- Bitte zu Tisch. -- Zu Tisch möcht' ich bitten. +(Lauter) Wem kann ich Bier 'rausschicken? + +·Einzelne Stimmen· + +Hier. Ich. -- Mir eins. + +·Lore· (zählt die Stimmen) + +·Göttlingk· + + (betrachtet murrend seinen Block) + +·Lore· + + (an ihn herantretend, leise zaghaft) + +Kommst nich auch, Eduard? + +·Göttlingk· (sich umschauend, unwirsch) Hab' ich dir nicht gesagt, du +sollst mich nich »du« nennen auf'm Platz? + +·Lore· Verzeih! Ich hab' vergessen. (Zur Kantine ab) + + (Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, + darunter Göttlingk) + +·Zarncke· + +Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie mal: Mit dem Struve +steht's schlecht. Den wird uns das Kriminal bald abholen. + +·Willig· (achselzuckend) + +Ja. + +·Zarncke· + +Ach, schicken Sie ihn mir mal, -- ja? + +·Willig· (rufend) + +Struve! + + (Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt + gesessen hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist + nach vorne, dann geht er in die Kantine ab) + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Willig_. _Struve_ (nach vorne + kommend) + +·Struve· + + (Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. + Bartstoppeln. Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei + um die Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch + und Holzpantinen. Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine + faustdicke Butterstulle mit Taschenmesser in der andern Hand. + Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, fällt ihm das Butterbrot + auf die Erde) + +·Zarncke· + +Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand gefallen. + +·Struve· + + (das Butterbrot an den Hosen abwischend) + +Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung Sand -- schmeckt selbst +'n alter Strohsack pikant,« sagten wir immer uf de hohe Schule. + +·Zarncke· + +Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre hohe Schule. + +·Struve· + +Ja, Herr Zarncke, was kann man machen? + +·Zarncke· + +Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie -- + +·Struve· + +Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... Mir hat's auch mal leid +getan. Aber nu is schon egal. + +·Zarncke· (leise) + +Na, sind Sie's nu gewesen oder nich? + +·Struve· + +Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein in die Hand +nehm' -- + +·Zarncke· (lachend) + +So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die Untersuchung geht +weiter? + +·Struve· + +Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum. + +·Zarncke· + +Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen dafür beibringen, +wo Sie in den Stunden des Einbruchs gewesen sind? + +·Struve· + +Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke? + +·Zarncke· + +Jawohl. + +·Struve· + +Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is -- der kost't nich +unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig Mark hernehmen, Herr Zarncke? + +·Zarncke· (lachend) + +So? + +·Struve· + +So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt jejangen sind, die +tun's auch billiger ... Meechens auch. Aber die kriegen's vor Gerichte +hernach mit die Heulerei ... Nee, das sind alles keine reelle Sachen. + +·Zarncke· + +Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen? + +·Struve· + +»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen geschrieben. + +·Zarncke· + +Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt Ihnen ja doch keiner +... Mensch, Mensch, wie hau' ich Sie nu 'raus? + +·Struve· + +Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu sitzen Se drin, Herr +Zarncke. + +·Zarncke· (lacht) + +·Marie· (das Fenster öffnend) + +Vaterchen, kommst nich zu Tisch? + +·Zarncke· + +Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. Vielleicht fällt +mir noch was ein. + +·Struve· + +Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. (Ab) + +·Struve· + +Danke, Herr Zarncke. (Die Zigarre einsteckend) Ja, ja. Sie rüsten sich +wider die Seele des Gerechten und -- (sieht, daß Zarncke inzwischen +weggegangen ist) Ach so! (Setzt sich auf den vordersten Block, kratzt +an seinem Butterbrot und fängt an zu essen) + + +Sechste Szene + + _Struve. Lohmann._ _Sprengel_, _ein dritter Arbeiter_, + die essend auf dem Block hinter ihm sitzen + +·Lohmann· + +Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot noch 'runterfuttern +lassen, Struve, ehe sie dich inlochen? + +·Struve· (achselzuckend) + +Ja. + +·Lohmann· + +Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und »blauen Heinerich«. Ei +weh. + +·Struve· + +Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das versteht ihr nich. + +·Sprengel· + +Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus. + +·Struve· + +Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da sind bloß _feine_ Leute +drin. Ja. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Lohmann· + +Drum heißt es auch die hohe Schule. + +·Struve· + +Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne Kleiderbürschte? Die +hat mir der Staat immer franko geliefert. Aus lauter persönlicher +Hochachtung ... Oder gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich -- siehste! ... +Kiek dir mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber _wir_ machen +dort zu Mittag immer Toi--lette. Und Handtuch tragen wir immer auf'n +Arm, da laufen wir den janzen Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Struve· + +Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? Und was sind +wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch über dir kommen erst die +Steinmetzen ... und da hoch drüber die Bildhauer. Und denn _noch_ höher +der Polier ... Und _denn_ gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in +de erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen dürfen. +Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie der Polier. Das is wie 'n +Jeneral ... Das kannste alles werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... +Karri--ere kannste machen. Ja. + +·Lohmann· (singt spottend) + + Liebes Kind, nu weine nich, + Mittags jibt's den blauen Heinerich; + Stehst du mit dem Schien auf du und du, + Kriegste auch 'n halben Hering zu. + +·Struve· + +Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. Ihr geht hier zur +Lore und schnauzt: Hering -- aber 'n milchernen -- mit Zwiebel -- viel +Zwiebel ... janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal ... +Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, leckern Schwimmling, +da müßt ihr in de Anstaltsküche kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... +Da kitzelt euch die Schnauze von -- noch Abends beis Einschlafen. So +viel scheener ist da alles. Ja. + +·Lohmann· + +Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn nich wieder hin? + +·Sprengel· + +Da hast _du_ doch freien Angtree. + +·Struve· + +Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht an de große +Außenmauer in Waldheim -- da steht nämlich 'ne alte Linde ... Und +von de Fisintation aus, was nämlich der Arbeitssaal is, da siehste +'n janzes kleines Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo +du immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, (stolz) bloß +nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich immer zu zweie +-- wenn du da -- und du huppst in die Höh', dann siehst wieder 'n +andern Stückschen -- so sechzig bis achtzig Blätter, wodran du immer +jenau wissen kannst, was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer +und ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den _janzen_ Lindenbaum +sehen wollten, denn der soll nämlich der scheenste Lindenbaum sein, +wo's auf de Welt überhaupt jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher +stehn ... Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, und wo +einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert -- und wo nu das innere Tor +aufjeschlossen wird -- na, da is er nu -- und da is er 'n janz jemeiner +oller, ekliger Lindenbaum. Na -- und so war denn hernach alles -- janze +Freiheit. + +·Lohmann· + +Nu -- wenn du das nu schon weißt? -- + +·Struve· + +Was hilft da viel -- wissen. Der Mensch is 'n dämliches Vieh. Wie ich +'s zweite Mal drinsaß, da war der olle, dämliche Lindenbaum noch viel +scheener geworden. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Sprengel· + +Ja, wenn's so is. + +·Struve· + +Überhaupt -- ihr Schafsköppe mit eure sogenannte Freiheit! -- +Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste im Sonnenschein uf +ne scheene Planke, kriegste den Holzbock in de Waden; haste keene +Arbeit, kannste jehn den Chausseegraben austapezieren. Willste mal +geradaus -- jeder Mensch will mal geradaus -- und als dir kommt nu +'ne verschlossene Tür in de Quere -- und du willst _doch_ geradaus, +dann stecken sie dir ins Kittchen. Das heißt nu Freiheit. Kindersch, +ick hust' auf eure Freiheit. Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine +Ordnung hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Struve· + +Mir hat überhaupt bloß _eins_ gefehlt. Dann wär' ich auch janz komplett +jlücklich gewesen. + +·Sprengel· + +Das war wohl eene Braut? + +·Struve· + +Ne. + +·Lohmann· + +_Zwei_ Brauten? + +·Struve· + +Ne. + +·Lohmann· + +Na was denn sonst? + +·Struve· (träumerisch) + +Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich _den_ noch hätt' gehabt -- -- + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen._ _Biegler_ (von rechts) + +·Biegler· + + (in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, + sein Aussehen gebessert, aber sein Benehmen noch scheu und + unumgänglich, voll immer neu aufflackernden Mißtrauens. Er + setzt sich auf die Bank vor das Kantinenfenster) + +·Lohmann· + +Kiekt mal den da! ... Was _is_ das eigentlich für 'ne Sorte? Reden +_tut_ er nich, »guten Tag« _sagt_ er nich. + +·Biegler· + + (gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, + dumpf) + +Guten Tag. + +·Struve· + +Na sagt ja. + +·Lohmann· + +War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener Herr Nachtrat! ... Kommen +der Herr Dunkelmann 'n bißchen de Sonne revindieren? + +·Sprengel· + +Mensch, nu red doch was! + +·Biegler· + +Was soll ich reden? + +·Sprengel· + +Mach doch 'n Witz. + +·Biegler· + +Ich weiß keinen Witz. + +·Lohmann· + +Der Kerl is trocken wie Galgenholz. + +·Struve· + +Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die lange Nacht über? +Putzte de Sterne blank? Ziepste dir an de Barthaare? Wirfste de +Meechens, wo auf de Straße vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend +was muß der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über! + +·Biegler· + +Ach, ich hab' immer zu tun. + +·Lohmann· + +Tranig is das Luder. + +·Sprengel· + +Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze Mittag? + +·Biegler· + +Jetzt essen doch die -- Steinmetzen. Da kann ich doch nich auch essen. + +·Lohmann· + +Nu dann komm doch mal her so lang ... Na -- los! + +·Biegler· (erhebt sich zögernd) + +Was soll ich bei euch? + +·Sprengel· + +Trink mal aus meine Buddel. Prost. + +·Biegler· + +Danke. Ich trinke keinen Schnaps. + +·Lohmann· + +Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n Pumpengenie? + +·Biegler· + +Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir? + +·Sprengel· + +Nu huck dir doch mal erst dal. (Zieht ihn auf den Block nieder) + +·Lohmann· (weiterrückend) + +Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze. + + (Lachen) + +·Biegler· + +Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir? + +·Lohmann· + +Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß so an dir ran. + +·Struve· + +Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' du hier Nachtwächter +wurdst? + +·Biegler· (erschreckend) + +Ich? -- Ich bin Arbeiter. + +·Lohmann· + +Kirschenpflücker vor de Wintermonate -- hä? + +·Struve· + +Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte. + +·Biegler· (angstvoll) + +Ich -- dir? Nee -- daß ich nich -- + +·Struve· + +Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne Art ... Bei uns in +Waldheim da hatten wir so 'n paar. Wir nennten se immer »de blamierten +Förschten«. -- Du, wo liegt denn dein Förschtentum? + +·Lohmann· + +Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, Edler Herr von und +zu Sonnenburg. + +·Biegler· (zuckt zusammen) + +·Lohmann· + +Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm. + +·Sprengel· + +Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... der is bloß verschüchtert. + +·Lohmann· (gutmütig) + +Ich mach' ja auch bloß 'n Witz. + +·Struve· + +Da -- willste 'ne Zijarre? + +·Biegler· (verblüfft) + +Wieso -- gibst -- du mir --? + +·Struve· + +Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der Alte vorher geschonken. + +·Biegler· + + (noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich) + +Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch später -- +revanschieren. + +·Lohmann· + + (ihn auf die Schulter klopfend) + +Na, meinen wir's denn nu so beese? + +·Biegler· (mit glücklichem Gesicht) + +Nee! Wahrhaftigen Gott nich! + +·Lohmann· + +Na siehste! (Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird) Aber vor +dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien. + + +Achte Szene + + _Die Vorigen._ _Eichholz_ + +·Eichholz· (vollends angetrunken) + +Ich bin ein Mann -- hochgeehrt, -- ich brauch' nich -- Kartoffelsuppe +aus'n Steinguttopp -- fressen! Morjen, die Gesellschaft! Morjen, die +hochgeehrte Gesellschaft! (Biegler bemerkend) Was? -- Was will der +Hund? Der schmalbauchige Hund? M -- M -- Mantel hat er ihm geschenkt +-- mit blanke Knöppe -- wie 'n Offezier! Was is der Kerl überhaupt? Wo +kommt der verhungerte Kerl her? + +·Lohmann· + +Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine Pflicht tut. + +·Eichholz· + +Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern hier. Der is hier +auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. Wann hab' ich mal blanke +Knöppe gekriegt? Kerl, durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den +Posten gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund! + +·Biegler· + +Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts zu tun. + +·Eichholz· + +Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir jibt se 'n +Porzellanteller. Du wirst noch mal -- platzen -- wie 'n Bovist. Und +dann wird man an dem Gestanke erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' +'ne Faust wie 'ne Ramme! (Dringt auf ihn ein) + +·Biegler· (stößt ihn fort) + +·Eichholz· (zurücktaumelnd) + +Was -- hauen -- tust du mir alten Mann? + + +Neunte Szene + + _Die Vorigen._ _Göttlingk_ und _andere Bildhauer_ und + _Steinmetzen_ + +·Göttlingk· + +Was is hier los? + +·Eichholz· (keuchend) + +H--h--hauen -- m--m--ir--! + +·Göttlingk· + +Wer hat den alten Mann gehauen? + +·Struve· + +Is ja alles Blech! + +·Göttlingk· + +Werd' ich nu bald Antwort kriegen? + +·Lohmann· (kleinlaut) + +Hier hat überhaupt keiner gehauen. + +·Eichholz· (mit erhobener Faust) + +Der Hund! -- der verhungerte -- (Einige der Umstehenden führen ihn nach +hinten) + +·Göttlingk· + +Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! ... Na? + +·Biegler· + +Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich nischt an. + +·Göttlingk· + +Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins -- zwei -- (pfeift) + +·Struve· (leise) + +Da geh man schon. -- Jegen den Großschnauz kommste nich auf. + +·Lohmann· (leise) + +Der sticht mit's dreikant'ge Messer. + +·Göttlingk· + +Wenn ich »drei« sag' -- + +·Biegler· (blaß, schwer atmend) + +Sie können -- ja auch zu mir kommen. + +·Göttlingk· (pfeifend) + +Ich warte. + +·Biegler· (in Erregung, zitternd) + +Da lassen -- sich man -- die Zeit -- nich lang werden. + +·Die Anderen· (lachen) + +·Göttlingk· (in Wut) + +Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine Pfeife mit euch +stoppen, Kerls? (Das Lederfutteral nach vorne ziehend) Soll ich euch +mal die Hühneraugen barbieren? (Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor +Biegler gestellt haben) Aus dem Weg hier! + +·Lohmann· (sich umschauend) + +Wo is denn der Polier? + +·Göttlingk· + +Jetzt bin ich hier der Polier. (Wild) Aus dem Weg hier -- oder -- + +·Biegler· (vortretend) + +Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten haben. -- + +·Göttlingk· (befriedigt) + +Na, da hätten wir ja das Gewächse. (Setzt sich, raucht) Immer parieren, +Kinderchen. + +·Biegler· + +Also ich wär' ja nu da. + +·Göttlingk· + +Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, den wollen wir mal +auf sich beruhen lassen. Aber wir haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, +wir beide. Sie sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter? + +·Biegler· + +Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch. + +·Göttlingk· (auflachend) + +Und Nachtwächter auch? + +·Biegler· + +Ja. + +·Göttlingk· + +Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na -- soll ich Sie bei den +Ohren nehmen? + +·Biegler· (stammelnd) + +Was -- is -- denn -- mit dem Block? + +·Göttlingk· + +Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht geschieht. Ich +frag' Sie: Wer hat da an meinem Block rumgemurkst? + +·Biegler· (sehr bestürzt) + +Das -- + +·Göttlingk· + +Na? + +·Biegler· + +Das -- weiß ich -- doch -- nich. + +·Göttlingk· + +Seht euch mal das böse Gewissen an. + +·Struve· (leise) + +Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte. + + +Zehnte Szene + + _Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie_ + +·Frau Homeyer· + + (geht quer über den Platz zu der Gruppe hin) + +·Göttlingk· + + (sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd) + +Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner Besuch. Nu, +mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, mein -- + +·Frau Homeyer· (ihn abwehrend) + +Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf den Platz kommen +können. + +·Göttlingk· + +Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst nich so. Ich hab' Ihnen +doch manches liebe Mal in Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen. + +·Frau Homeyer· + +Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt. + +·Göttlingk· + +Aber gelächelt haben Sie dazu -- so sieß! (Schmachtend) Ach, wie so +sieß! + +·Frau Homeyer· + +Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür steht das Fräulein. +Das will Sie sprechen. + +·Göttlingk· + +Das Fräulein -- mich? -- Mich -- das --? So! Na! Sie, Nachtwächter, Sie +können abrutschen. Aber Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? -- + +·Lohmann· (leise) + +Hab man keine Bange vor dem! + +·Struve· (leise) + +Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick beschwör' alles ... +Unbesehn. + +·Biegler· + +Ich dank' euch schön. + +·Göttlingk· + + (dreht eitel seinen Schnurrbart) + +Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? (Geht nach vorne links) + +·Frau Homeyer· + + (schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt + sie von hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie + geht nach links) + +·Biegler· (nach der Kantine ab) + + +Elfte Szene + + _Marie. Göttlingk._ Die anderen im Hintergrund + +·Marie· + + (ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie + um sich Mut zu machen, mit der Hand übers Gesicht) + +·Göttlingk· + + (linkisch, mit durchbrechender Frechheit) + +Mahlzeit, Fräulein. + +·Marie· (tonlos) + +Gesegnete Mahlzeit! + +·Göttlingk· + +Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich dem Fräulein dienen +kann? + +·Marie· + +Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen. + +·Göttlingk· + +Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin ich schon lange wieder da. + +·Marie· + +Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk. + +·Göttlingk· + +Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke schön. + +·Marie· (rasch, ängstlich) + +Nein, nein, der Lore wegen. + +·Göttlingk· + +Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen Weg. + +·Marie· + +Was für 'n Weg, Herr Göttlingk? + +·Göttlingk· + +Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen Sie sich darüber nicht. +Da sind Sie viel zu fein zu. -- Das sind solche Geschichten. + +·Marie· + +Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb Sie die Lore hat? + +·Göttlingk· + +Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür sorgt schon der liebe +Gott. + +·Marie· (ihn bestürzt anstarrend) + +Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht sein. Wenn die +andern auch sagen, Sie seien gewalttätig und -- Ich habe Sie immer für +einen guten und edeln Menschen gehalten. + +·Göttlingk· + +Na, macht sich! + +·Marie· + +Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches Herz. Ich habe Ihnen +immer mit Freuden zugehört. + +·Göttlingk· + +So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für Sie gesungen, Fräulein +Mariechen. + +·Marie· (tödlich erschrocken) + +Wieso -- für -- mich? + +·Göttlingk· + +Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's Fenster aufmachen. Also +müssen Sie's doch gerne haben. Ich tu' immer, was Sie gerne haben. +Jawohl. Mach' ich. + +·Marie· (außer Fassung) + +Es handelt -- sich hier -- aber gar nicht -- um mich. + +·Göttlingk· + + (in trumpfender Männlichkeit) + +Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum soll es sich nich auch +'n mal um Sie handeln? + +·Marie· + + (sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, + dann -- da sie Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie + hilfesuchend auf ihn zu) + +Vaterchen! Vaterchen! + +·Göttlingk· (seinen Schnurrbart drehend) + +Sieh mal an! Sieh mal an! (Geht nach hinten) + + +Zwölfte Szene + + _Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar + Reitmaier_ + +·Zarncke· + +Na, was denn, Miezelchen? (Ruft) Frau Homeyer! (Sie hängt in seinem +Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann Frau Homeyer, die +für einen Augenblick in der Tür erscheint) Sie werden entschuldigen, +Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen kränklich ... + +·Reitmaier· + + (Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder + Schnauzbart, Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in + brutale Schärfe umschlägt. Ein wenig Bierbruder mit Ausblick + zum Offiziertypus) + +Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das Privatleben der +Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie auch nicht lange aufhalten. +Ich bin nur beauftragt worden, mal 'n bißchen nachzuhören, was mein +Kollege vom Revier da -- -- Haben Sie man keine Bange. Ich bin 'ne +menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. Die Herren +Spitzbuben -- die sind mir so wie 'ne große Familie. + +·Zarncke· (erfreut, bewundernd) + +Ach -- ne -- wirklich? + +·Reitmaier· (bieder) + +Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, kann man den Onkel mal +'n bißchen sehn? + +·Zarncke· (rufend) + +Struve! + +·Struve· + + (sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend) + +Jawohl, Herr Zarncke. (Leise) Ei weh, Kindersch. Da is der Reitmaier +vom Präsidium. Das is 'n fauler Junge. (Kommt nach vorn) + +·Reitmaier· (die Arme ausbreitend) + +Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... Na, lieber Freund! + +·Struve· (gerührt) + +Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude! + +·Reitmaier· + +Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich gesehn. + +·Struve· + +Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was gefehlt. + +·Reitmaier· + +Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was _haben_ Se denn nu wieder +ausgefressen? + +·Struve· + +Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin eben scharf in de +Besserung. Diesmal kann ich wirklich nich -- nich -- dienen. + +·Reitmaier· (überzeugt) + +Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen? + +·Struve· + +Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen Totenschein in die Hand +nehm' -- + +·Reitmaier· + +Nich schon Totenschein! Pfui! -- Mann wie Sie muß leben! + +·Struve· + +Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im Zuchthaus. Ja. + +·Reitmaier· (zu Zarncke) + +Er is bitter gestimmt. (Beruhigend) Na, na, na, es is da bloß noch 'ne +kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! Ne! (Zieht sein Notizbuch) +Sagen Sie mal, wo waren Sie denn nu in der Nacht? + +·Struve· + +Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne Banke. Oder so. + +·Reitmaier· (bedauernd) + +Warum _waren_ Se nu nich in Ihre Schlafstelle? + +·Struve· + +Ja, warum _war_ ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' ich gewußt, daß +schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke einbrechen würden, hätt' ich +mir gleich um halb zehne in de Klappe gelegt. Wegen den Aal--ibi. + +·Reitmaier· + +Natürlich! (Leise) Das is 'n abgefeimtes Luder! -- Da Sie das aber +selbstredend nicht wissen konnten, so gingen Sie zu -- in den bekannten +Lehmannschen Keller, wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is +da 's Bier immer noch so gut? + +·Struve· + +Danke. Ja. Es jeht. + +·Reitmaier· + +Da waren Sie bis -- zehn Minuten nach zwölfe. Und dann waren Sie mit +Ihrem Freund Kuntze -- ja, wo waren Sie da? + +·Struve· + +Ja, wo war ich da? Ich bin -- spazieren jewesen. + +·Reitmaier· (klagend) + +Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze sitzt schon wieder +feste! + +·Struve· + +Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm. + +·Reitmaier· + +Aber es is doch schade. Na -- und als Sie sich dann getrennt hatten, +was taten Sie dann? + +·Struve· + +Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. Ick hab' mir so, +wie ick schon sagte, in'n Humboldthain bisken uf die Banke jesetzt. + +·Reitmaier· + +Und gesprochen haben Sie mit niemandem? + +·Struve· + +I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in schlechte Jesellschaft +kommen. Ne. + +·Zarncke· (triumphierend, leise) + +Den kriegen Sie nich! + +·Reitmaier· + +Und dann sind Sie nach Hause gegangen. + +·Struve· + +Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens singen hören. +Aber ~pee à pee~ bin ick denn zu Hause jejangen. + +·Reitmaier· (leise) + +Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des Einbruchs noch die Zeit +seines Heimkommens sind festzustellen. Aber -- -- (laut) Struve! + +·Struve· + +Herr Kommissar! + +·Reitmaier· + +Ja, noch eins. (Wieder leise) In dem Magazin -- haben Sie da Sachen von +Wert? + +·Zarncke· + +O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf. + +·Reitmaier· + +Und die sind wertvoll? + +·Zarncke· + +Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt. + +·Reitmaier· + +Ah! Wußte der Struve davon? + +·Zarncke· (mit reserviertem Lächeln) + +Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar. + +·Reitmaier· + +Struve, wo ist hier das Magazin? + +·Struve· + +Das Magazin? (Nach rechts weisend) Na da is es ja. + +·Reitmaier· + +Was is denn da so drin? + +·Struve· + +Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen Sie sich mal, Herr +Kommissar. + +·Reitmaier· (schärfer) + +Wissen Sie, was Zahnsägen sind? + +·Struve· + +Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen. + +·Reitmaier· + +Wo werden die über Nacht aufbewahrt? + +·Struve· (rufend) + +Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt? + +·Reitmaier· (ärgerlich) + +Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu stellen. + +·Zarncke· + + (auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach + näher herangedrängt haben) + +Stören Sie die Leute, Herr Kommissar? + +·Reitmaier· + +Durchaus nicht. Durchaus nicht. (Leiser) Sie sehn übrigens -- (zu +Struve streng) treten Sie mal zurück! -- (leiser) daß an das Subjekt +nicht 'ranzukommen ist. + +·Zarncke· (zaghaft, bittend) + +Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen. + +·Reitmaier· + +Nu ja, _Sie_ sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen Vergnügen macht, +dergleichen Volk bei sich unterkriechen zu lassen. + +·Zarncke· + +Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den lieben Gott. + +·Reitmaier· (immer noch leise) + +Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit liegen nicht vor. Ich +könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. Vorher aber möcht' ich mal +an _Sie_ die Frage richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl +für verdächtig halten oder nicht? + +·Zarncke· (verlegen) + +Ja, da is schwer -- + +·Reitmaier· + +Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß -- + +·Zarncke· (in die Enge getrieben) + +Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie doch mal -- (spricht +leise weiter) + +·Willig· + + (der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, + holt eine Anzahl Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm + einen davon) + +·Zarncke· + +Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. Kennen Sie den? + +·Struve· + +Ne. + +·Zarncke· + +Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen hiermit. Verstehn +Sie? + +·Struve· + +Ne. + +·Zarncke· + +Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden _Sie_ mir von jetzt ab +für die Sicherheit der Sachen -- einstehn. Verstanden? + +·Struve· + +Ne. + +·Reitmaier· + +Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet denn das? + +·Zarncke· + +Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen Sie daraus, was Sie +wollen. + +·Reitmaier· + +Sie -- vertrauen -- _dem_ den --? Hähähä! Erlauben Sie mal. -- Hähähä. +Pardon, das ist zu spaßhaft. (Immer lachend) Na dann will ich auch +nicht weiter stören. Das kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende +führen! ... Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren Jungens +nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn außerdem haben Sie ja auch +noch 'n Mörder bei sich. Und weiß Gott, was -- + +·Zarncke· (sehr erschrocken) + +_Mörder?_ (Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während der +Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt) + +·Reitmaier· + +Nu ja -- den -- + +·Zarncke· (rasch, mit Nachdruck) + +Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar. + +·Reitmaier· + +Erlauben Sie mal -- + +·Zarncke· + + (ihn bei Seite nehmend, erregt) + +Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags +verurteilt worden -- + +·Reitmaier· + +Menschenblut is Menschenblut. + +·Zarncke· + +Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und das braucht ihm nicht +unnütz vergiftet zu werden. Wissen Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu +mir gerettet hat, wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie _dem_ +das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich gemacht +haben? + +·Reitmaier· + +Ich? Wieso? Bitte! + +·Zarncke· + + (auf die erregten Gruppen weisend) + +Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der »Mörder« ist. +Anstatt hier rücksichtsvoll -- + +·Reitmaier· (brutal) + +Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen -- Auswurf -- +Rücksicht zu nehmen. + +·Zarncke· + +Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade _nicht_ von Ihrer +werten Familie. + +·Reitmaier· + +Was für Familie? ... Ach so! (Scharf) Ich empfehle mich Ihnen, Herr +Zarncke. (Ab nach links) + + +Dreizehnte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Reitmaier_ + +·Zarncke· + + (der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut) + +Hört mal, Kinder! Das -- mit dem -- Mörder -- das muß 'ne Verwechslung +sein. Das -- ja --! + +·Willig· (vor sich hin) + +Na na! + +·Andere· + + (geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel + Ausdruck) + +·Zarncke· + +Struve! + +·Struve· + + (der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat) + +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen Sie sich auch +darnach. + +·Struve· + +Ja w-- w-- w-- + +·Zarncke· + +Na was denn? + +·Struve· + +Wenn nu gesetzten Falls -- und es is _doch_ nu ein anderer gewesen -- + +·Zarncke· + +Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... Und? + +·Struve· + +Und -- nu ja -- und der andere der kommt nu mal wieder -- -- + +·Zarncke· + +Dann werden _Sie_ eingesteckt. Verlassen sich drauf. (Ab) + +·Lohmann· (nach der Kantine weisend) + +Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst? + +·Sprengel· (nach Struve hin) + +An _den_ hat man sich schließlich gewöhnt, -- aber _Mörder_! Ne. + +·Lohmann· + +Du, Struve, komm mal her. (Struve geht zu ihnen) + +·Sprengel· + +Scht. Da is er. + + +Vierzehnte Szene + + _Die Vorigen._ _Biegler._ Gleich darauf _Lore_ + +·Biegler· + + (hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht) + +·Lore· + + (mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre) + +Herr Biegler. + +·Biegler· (sich umwendend) + +Ja? + +·Lore· + +Sie haben doch _vier_ Zigarren bezahlt und bloß dreie genommen. + +·Biegler· + +Ach so. Ja. Danke. (Nimmt die Zigarre) Es war ja auch noch 'n vierter +dabei. (Mit glücklichem Lächeln) Ich hab' nämlich -- jetzt -- auch -- +_Freunde_ hier. + +·Lore· (erfreut) + +Ach, sehn Sie! + +·Biegler· + +Ja. Freunde -- hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und da will ich mich doch +mit Zigarren revanschieren. Ja. + +·Lore· + +Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: Es is nich so schlimm, +-- sie tun Ihnen nichts? + +·Biegler· + +Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer Mut gemacht. + +·Göttlingk· (herüberrufend) + +Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu schaffen? Das ist +kein Umgang für Sie. -- Lassen Sie den mal hübsch laufen. + +·Lore· (zusammenschreckend) + +Ja ... ja, ja. (Steht unschlüssig) + +·Biegler· (die Zähne zusammenbeißend) + +Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... Ich hab' ja auch noch +-- _Freunde_. (Lore ab) (Er breitet seine Zigarren fächerförmig in +der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst mit Struve gesprochen +und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat) Du -- willste nich -- eine +Zigarre von mir -- rauchen? + +·Lohmann· (verächtlich) + +Nee. (Tritt von ihm fort) + +·Biegler· + + (steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, + sehr zaghaft) + +Ach -- bitte -- ich hätt' -- ne Zigarre -- für -- + +·Sprengel· + +Du kannst deine Zigarren für dich behalten. (Tritt gleichfalls von ihm +fort) + +·Biegler· + + (reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit + kommt über ihn; er geht zu Struve -- voll Angst und Ingrimm) + +Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben -- + +·Struve· (gutherzig abwehrend) + +Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz bin, weil ich nu +den -- Magazinschlüssel hab' ... aber -- ich kann mir nich -- +ausschließen, -- ich muß machen wie die andern. + +·Biegler· + +Wa -- was hab' ich -- euch denn -- ...? + +·Struve· + +Sag mal, wie alt bist du? + +·Biegler· + +Vierunddreißig. + +·Struve· + +Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh lassen sie einen wie +du -- sonst doch nich los ... + +·Biegler· + + (sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick + auf die ihn rings Beobachtenden und versteht) + +Ach so ... Ach so. + +·Struve· (ist zu Lohmann zurückgetreten) + +Ich sag' euch bloß: det stimmt _nich_. + +·Lohmann· + +Wer soll's denn sonsten sein? + +·Biegler· + + (auf die Bank der Kantine sinkend) + +Ach so! + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Dritter Akt + + Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. Die Decke + ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite die Tür zum + Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, im Hintergrunde + links das Büfett mit einem Schanktisch davor. -- Auf der + linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. -- In der Mitte unter + der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, links vorne ein Sofa mit + Tisch und Stühlen, rechts vorne Tisch mit Stühlen. Vor dem + Fenster Schustergerät. In der Ecke rechts hinten ein eiserner + Ofen. + + Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen + Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf + den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf dem + Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. Plakate und + Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck an die Wände + geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und Rahmen hängt neben + der Eingangstür. Über dem Büfett eine Uhr; neben ihm eine + Mandoline + + +Erste Szene + + _Lore_ hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt. + Der alte _Eichholz_ auf dem Sofa schlafend. _Lenchen_ an dem + Schusterschemel + +·Eichholz· (schnarcht) + +·Lore· + +Was machst du da, Lenchen? + +·Lenchen· + +Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen. + +·Lore· + +Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke. + +·Lenchen· + +Nein, nein. + +·Lore· + + (sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa) + +Vater -- Vater! + +·Eichholz· + + (brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren) + +·Lore· + +Vater, du mußt aufstehn. + +·Eichholz· (im Halbschlaf) + +Wieso denn? + +·Lore· + +Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung -- du weißt ja -- dann +wird's noch einmal voll hier. + +·Eichholz· + +Ja, ja ... Na ja ... (Richtet sich auf und reckt die Glieder) Ich muß +ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech besorgen. + +·Lore· + +Laß doch, Vater, das eilt ja nicht. + +·Eichholz· + +Nu ja. Ich arbeit' ja _doch_ nich. Ich bin 'n altes Faultier, sagt +meine Tochter. (Rülpst) Dein Kümmel is das reine Rattengift. -- Meine +Leber kriegt schon harte Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich +an einen Mäßigkeitsvereine zu beteiligen. + +·Lore· + +Ach ja, das wär' ganz gut, Vater. + +·Eichholz· + +Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was mir gut is? Ich freß +nich mehr aus'n Steinguttopp. Das laß dir gesagt sein. + +·Lore· + +Ach, das is ja alles Einbildung, Vater. + +·Eichholz· + +Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger bin ich ... Wenn sie +mich schon wegjagen tun um -- um -- um 'n Mörder. + +·Lore· (abwehrend) + +Ach! + +·Eichholz· + +Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich aus. Da jeh' ich +ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille zu mir. Und dann verkauf' ich +mir an die Annetomie ... Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. +Nich mal meinen Leichnam. + +·Lore· (lächelnd) + +Ich will ja auch nichts, Vaterchen. + +·Eichholz· + +Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt du den Kerl 'raus +und scheuerst mit Karbol die Stelle, wo er gestanden hat. Statt dessen +frißt er sich hier rund an deine Karbonade. + +·Lore· + +Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob er wirklich _der_ is, +von dem der Kommissär gestern gesprochen hat, das weiß ja keiner. + +·Eichholz· + +Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen im Kopp. Heute is nu +jeder so klug. + +·Lore· + +Was sind denn Mörderaugen, Vater? + +·Eichholz· + +Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. Und das is der Tod. +Und wegen so einen -- haben sie -- mir -- (Weint) + +·Lore· (mitleidig) + +Vaterchen! + +·Eichholz· (weinend) + +Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. Einer muß hin. Er +oder ich. Tot oder lebendig. Der muß verrecken, der Hund, der Bluthund, +der -- der -- (Kläglich) Ich hab' so 'n Leberstechen. + +·Lore· + +Geh, leg dich aufs Bett, Vater. + +·Eichholz· + +Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, daß ich nicht +werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' so 'n Leberstechen. (Ab) + +·Lore· (sieht ihm seufzend nach) + +Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. Und wenn er weint, +dann ruf. + +·Lenchen· + +Ja, Mamachen. (Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft) + +·Lore· + +Herein! + + +Zweite Szene + + _Lore._ _Marie_ + +·Marie· + +'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet? + +·Lore· (gedrückt) + +Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört. + +·Marie· + +Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen hatte? + +·Lore· + +Die anderen erzählten sich's. + +·Marie· + +Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, daß ich keine guten +Nachrichten bringe? + +·Lore· (mutlos) + +Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute vormittag nicht. +Wollen sich nich setzen, Mariechen? + +·Marie· + +Danke. (Setzt sich) Hast du gehört, wie schön die Amsel singt auf +deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' ich mich, oder pfeift sie +fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? Es is wirklich so, als ob das Glück +pfeift ... Auf deinem Dach, Lore. + +·Lore· + +Für mich pfeift kein Glück. + +·Marie· + +Wer weiß? ... (Zögernd) Lore, ich will dir was gestehn: Ich hab' Vater +gebeten, daß er ihm am nächsten Termin kündigt. + +·Lore· + +Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, dann soll er gehn. Aber +nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen. + +·Marie· + +Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann sagt, daß er dir 'ne +Aussteuer geben wird. + +·Lore· + +Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht nichts gut. Ich +will nichts. + +·Marie· + +Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, die wohlhabend ist. +Darauf geht er aus. + +·Lore· + +Woher wissen Sie das? + +·Marie· + + (stockend, mit abgewandtem Gesicht) + +Nun, das -- merkt -- man doch. + +·Lore· + +Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut Herr Zarncke is, +wohlhabend, wie _er_ meint, kann ich ja doch nie werden. + +·Marie· + + (mit geheimnisvollem Lächeln) + +Nun -- wer weiß? + +·Lore· + +Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade das tägliche +Brot. + +·Marie· (mit unterdrückter Erregung) + +Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' sagen wollen: Lange +leben werd' ich nicht, (langsam, mit Betonung) und -- dein Lenchen -- +hab' ich _sehr lieb_. + +·Lore· (nach langem Schweigen) + +Mein Kind hast du -- so lieb? + +·Marie· (nickt) + +·Lore· + +Mein Lenchen hast du so lieb? + +·Marie· (tonlos) + +Ja. + +·Lore· (aufschreiend) + +Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. Wozu soll sie sich +durchschleppen mit mir durch all den Jammer, wenn sie _das_ haben kann? +(schluchzt) + +·Marie· + +Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen -- da hätt' ich noch ja und »Schön +dank« gesagt. Aber jetzt -- seh' ich die Dinge -- anders an. Denn, sieh +mal! So ein -- Kindchen -- muß doch zuerst mal -- seinen Vater haben +... Nicht wahr? + +·Lore· (in neuem Erstaunen) + +Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das glaub' ich nicht! +Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und das kann auch nicht zum Guten +sein. Nie im Leben. Nie. + +·Marie· + +Warum nicht? + +·Lore· + +Weil -- weil ... Der -- der _will_ mich nicht mehr. Dem bin ich _doch_ +bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts. + +·Marie· + +Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten hat? Und wovon er doch +der Verwalter sein wird? + +·Lore· + +Mein Gott, mein Gott, mein Gott! + +·Marie· + +Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, das weiß ich nicht. +Denn wollen _wird_ er ja nicht. + +·Lore· + +Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch nicht. Und es schadet +auch gar nichts, wenn's -- nichts -- wird. -- Man is ja längst schon +viel zu mürbe. Und vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, +wo _nicht_ so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde lang mal +froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß ein Stein, den man hin +und her stößt, ach, das tut so gut, so gut, so gut! (Sinkt lachend und +weinend vor ihr nieder und küßt ihr die Hände) + +·Marie· + +Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. (Lore steht auf) + + +Dritte Szene + + _Die Vorigen. Biegler_ + +·Biegler· (dumpf, scheu) + +Guten Tag. + +·Marie.· + +Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend? + +·Biegler· + +Ja. + +·Marie· + +Geht's Ihnen gut? + +·Biegler· + +Danke. + +·Marie· + +Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! (ab) + + +Vierte Szene + + _Lore. Biegler_ + +·Biegler· (setzt sich an den Mitteltisch) + +·Lore· + + (geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit + Kaffee ein, bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie + nach dem Tisch links) + +Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is ja der +Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich nach der Auszahlung. +Die sind zu große Herren. + +·Biegler· + +Ich geh' so wie so gleich fort. (Setzt sich links) + +·Lore· + +Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung? + +·Biegler· + +Ich -- krieg' -- monatlich. (Schweigen) + +·Lore· + + (immer in freudiger Erregung) + +Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, Herr Biegler. Sie +reden gar nich. + +·Biegler· + +Ich red' ja -- auch sonst nich -- viel. + +·Lore· + +Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was -- ganz was -- Besonderes -- +passiert. + +·Biegler· + +Was Gut's? + +·Lore· (nickt) + +·Biegler· + +Da gratulier' ich. + +·Lore· + +Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts ändern. Aber es +is doch wie 'n heller Schein. -- Und da möcht' ich, daß es auch andern +so geht. Ihnen auch. + +·Biegler· (schwer atmend) + +Danke! + +·Lore· + +Herr Biegler -- ach, Herr Biegler, wozu sollen wir erst viel Versteck +spielen. Ich weiß ja, was Sie quält -- seit gestern. + +·Biegler· + + (sich in Erstaunen jäh umwendend) + +Und da reden Sie noch mit mir? + +·Lore· + +Ja -- is es denn wahr? + +·Biegler· (nach einer Pause, schwer) + +Die Herren Geschworenen haben die Frage -- ob's Notwehr gewesen is oder +nich -- verneint ... Und nu lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. +(Schweigen) + +·Lore· (nach innerem Kampfe) + +Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch. + +·Biegler· (bitter lachend) + +Sie? + +·Lore· (zaghaft) + +Sie wissen doch! + +·Biegler· + +Ja, Ohren hab' ich auch ... (in Wut auffahrend) Und wenn ich erst +wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann würd' ich den Kerl -- -- + +·Lore· + +Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch nich, daß ich Angst +hab' vor Ihnen? + +·Biegler· (hastig seinen Kaffee trinkend) + +Ich geh' schon. Ich geh' schon. + +·Lore· + +Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern? + +·Biegler· + + (unschlüssig, mit dankbarem Aufblick) + +Ach! ... (hart) Ne. + +·Lore· + +Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man wird ja so wie so wie'n +Stein! Die Steinmetzen erzählen nämlich: Der Stein wird durch Druck. +Wissen Sie? + +·Biegler· + +Das sollt' ich wohl wissen. + +·Lore· + +Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die drüberliegenden +Schichten drücken, dann wird die lebendige Erde zu Stein ... Beim +Menschen dauert's nich so lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar +Jährchen Druck -- immer derselbe Druck. Das genügt. + +·Biegler· (bitter) + +Ob's genügt. + +·Lore· + +Man lacht und man weint und man schläft und man arbeitet -- ach, lustig +sein kann man sogar -- man is überhaupt ein Mensch wie andere und is +doch lang keiner mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ... +Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit dem Fuß stoßen wie +'n Stein. Man wird gegen alles gleichgültig wie 'n Stein. + +·Biegler· (eifrig) + +Ja, ja, ja, -- so is es, -- ja, ja. + +·Lore· + +Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So sehr hat mich was +gefreut ... Gestern war ich wie Sie. Aber heut kann ich Ihnen was +helfen. Bloß Vertrauen müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will. + +·Biegler· + +Das hätt' ich schon -- aber -- (vor sich hinbrütend) ich muß ja wohl +wieder weg. + +·Lore· + +Ich denk', Sie waren zufrieden. + +·Biegler· + +Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten -- _alle_ -- im Himmel wär' ich +gewesen. Morgens -- so gegen zweie -- da is mir leicht geworden ... +dann kann keiner kommen und was von mir wollen. -- _Doch!_ -- Einer +_kann_ kommen ... Die kann _immer_ kommen. Sie _is_ noch nich -- aber +sie kann. + +·Lore· (mit beruhigendem Lächeln) + +Na wer denn, wer denn? + +·Biegler· + +Ach so -- ich soll ja mein Herz erleichtern. + +·Lore· + +Nicht -- wenn Sie nich wollen. + +·Biegler· + +Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste schieben sie sich so +langsam von einem weg ... Man will _mit_ anfassen, und dann is man +allein. Und dann geht's Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, +habt ihr auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn +sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden wir den Platz +schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück Holz. Und dann fliegt 'n +Stein. Und dann kommen _Sie_ eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, +Herr Biegler, aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.« + +·Lore· (schüttelt heftig den Kopf) + +·Biegler· + +Na warten Sie man. Und schließlich kommt der Prinzipal und sagt: »Hier +is Ihr Buch. Sie können gehen.« Und man weiß, daß man nu wieder ins +Hungerland zieht, wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt +noch: »Gott sei Dank.« + +·Lore· + +Ach, es is schrecklich. + +·Biegler· + +Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid froh, daß ihr +sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne Wort ... Das haben die +Herren extra für uns erfunden ... Ja, was soll ich nu alles sühnen? +... Daß der Weg mich in _die_ Schlafstelle geführt hat -- und gerade +in _die_? ... Daß die Frau jung war -- mit Flunkeraugen -- und daß sie +immer _so_ machte (haucht mit spitzem Munde), wenn sie hinten an mir +vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': »Was machen Sie da?« dann hat sie +mich mit den blanken Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den +Tod nich leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und der +Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und kalt das Genick +'runterlief ... Ja, so kommt so was ... Er war Schuster. Wie Ihr Vater +... Mit den Schustern hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja +auch, was 'n Klopfstein is ... (Zum Gerätschemel gehend) Da liegt er +ja! (Bringt den Stein.) Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war er +-- aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines Tages abgefaßt hat -- +mit ihr -- -- und auf mich zugekommen is, Messer in der Hand, da hab' +ich gedacht: was machen? Was hab' ich gemacht? _So!_ (Hebt den Stein +hoch) ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze hat gedauert, +wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der nu da lang lag, darum war +mein Leben verdorben. Nu sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, +wenn der Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu Schanden +geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden kann er sich lecken ... Mehr +kann er nich. + +·Lore· (mitleidig) + +Mein lieber Gott. + +·Biegler· + +_Ihr_ lieber Gott is nich _mein_ lieber Gott. Sonst ließ' er _das_ nich +zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die ersten müssen gleich kommen. + +·Lore· (fest) + +Sie sollen _nicht_ gehn, Herr Biegler. + +·Biegler· (in flackernder Angst) + +Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts mehr zu tun. + +·Lore· + +Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie sollen dableiben. Ich +setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie den andern. Das trinken Sie aus und +kümmern sich um nichts. + +·Biegler· + +Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn? + +·Lore· + +Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, desto mehr sind +_die_ von Ihrer Schuld überzeugt. Und das darf nicht sein. + +·Biegler· + +Wenn's nu aber doch wahr is? + +·Lore· + +Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und mir weiß keiner was. +Und wir halten reinen Mund. Wenn _die_ sehn, daß Sie keinem aus dem +Wege gehn, dann wird das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber +nichts gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... Wissen +Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste Butterbrot brachte? + +·Biegler· (nickt voll Grauen) + +·Lore· + +So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie sich jetzt wegjagen +lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr Biegler. (Hinaushorchend) Ich +glaube, Sie kommen schon. Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, +dem zeigen Sie die Zähne. + +·Biegler· (stammelnd) + +Ach ich -- m -- mir bl -- eibt ja jedes Wort in der Kehle. + +·Lore· + +Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr Biegler, müssen! + +·Biegler· + +Und 's kann sein, wer's will? Ja? + +·Lore· (stutzend, dann stark) + +Ja. + +·Biegler· (dumpf, zagend) + +Na, is gut. (Setzt sich auf seinen Platz zurück) + + +Fünfte Szene + + _Die Vorigen._ _Lohmann._ _Sprengel._ _Struve._ + _Drei andere Arbeiter_ + + (Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den + Schanktisch getreten ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und + setzen sich an den Tisch rechts) + +·Lohmann· + +Glas Bier! + +·Sprengel· + +Mir auch. + +·Struve· + +Jedem eins. + +·Sprengel· + +Kiekt mal, wer da huckt! + +·Lohmann· + +Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen hat. Das ist +doch extra für ihm hingebaut. + +·Struve· + +Der Mensch sitzt, wo er kann. -- Laß ihm sitzen. + +·Lore· (Bier bringend) + +Wohl bekomm's! + +·Lohmann· + +Danke. (Nach Biegler hinüber) Jemütlich is anders. Prost! (Sie stoßen +an) + +·Lore· + + (bringt auch Biegler ein Glas Bier) + +·Sprengel· + +Wird der hier nu auch den Stammgast spielen? + +·Lohmann· + +Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul ihm mal 'raus. + +·Struve· + +Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt mit meine +eigenen Sorgen. + +·Lohmann· + +Wat vor Sorgen? + +·Struve· + +Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es macht Verjniegen, mit +so 'ne Verantwortung in de Welt rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine +schleppen, denn haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch +'n Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen deiner +Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel an dir tragen, oder so -- +dann wirst mal sehen, wie so 'n Mann zu Mute ist. + +·Sprengel· + +Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was? + +·Struve· + +Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche Leben, der muß +sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches Schnappschloß. -- Da +brauchste bloß 'n paar gesunde Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel +krumm zu biegen, und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de +Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das jar nich uf? + +·Lohmann· (lachend) + +Ne. + +·Struve· + +Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen -- + +·Lohmann· + +Was? + +·Struve· + +Na -- de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen bei jeden +freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe handelt. Da kann dir kein +Teckel an de Beene ... Des is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste +Beersenjeschäft ... Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor +haben? -- Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land. + +·Sprengel· + +Jlickliche Reise. Prost. + +·Struve· + +Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige Kerl, ick wette 'n +Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen könnte man 'rin und 'raus +-- wie de Schwalben. + +·Lohmann· + +Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen. + +·Sprengel· + +Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier. + +·Struve· + +Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er wär's, dann wär' er +noch nich 'raus. + +·Lohmann· + +Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes Mittel +anwenden. (Sehr laut) Fräulein! Wissen Sie vielleicht die Adresse von +'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft? + +·Biegler· + + (der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter + Erwartung dagesessen hat, wendet sich jäh um) + +·Lore· (abweisend) + +Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung? + +·Lohmann· + +Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da kann mal leicht +so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man plötzlich mit Tode abjeht, man +weiß nich, wie? + +·Lore· (abweisend) + +Ich versteh' gar nich, was Sie meinen. + +·Lohmann· + +Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn. + +·Biegler· + + (steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes + Stammeln hervor und setzt sich wieder) + +·Lohmann· + +Hat jesessen. + +·Sprengel· + +Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen? + +·Struve· + +Nu -- die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre blaue +Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es könnt' se ja einer +fir Hausknechte halten. (Lachen) + +·Lohmann· + +Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun und was unternehmen +beim Alten, -- damit er auf'm Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es +wird nötig. + +·Sprengel· + +Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen mit so 'n +plundrigen Kerl. + +·Lohmann· + +Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die Stiebeln ab; -- da +hab' ich auch kein Erbarmen. + +·Biegler· + + (zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob + er sprechen solle, wagt es aber nicht mehr) + +·Sprengel· + +Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is. + +·Lohmann· + +Warum steht er denn nich auf und -- + + +Sechste Szene + + _Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere + Steinmetzen_ (in Feierabendkleidung) + +·Göttlingk· + + (auf den Tisch der Arbeiter weisend) + +Da _sitzt_ se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's wohl nich +eilig genug mit eurem Feierabend -- was? + +·Lohmann· + +Wieso denn? + +·Willig· + +Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, habt ihr auf +Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich? + +·Sprengel· + +Nu, der hängt doch im Flaschenzug. + +·Willig· + +Aber locker hängt er. + +·Lohmann· + +Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. Wenn der Alte +Überstunden zahlen will, gehn wir gleich noch mal 'ran. + +·Göttlingk· + +Husten wird er euch was. + +·Willig· + +Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid ihr +verantwortlich. (Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch) + +·Göttlingk· + +Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, wenn die Steinmetzen +kommen. + +·Lore· + + (die Bier bringt, eilig, ängstlich) + +Hier is, bitte, hier is schon alles. + +·Göttlingk· + +Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, wie der Kerl -- +der -- (Biegler erkennend) Herrgott, wer sitzt denn da? + +·Willig· (rasch) + +Ach, kümmer dich nicht um den. + +·Göttlingk· + +Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die Herren! ~Per +Bacco~, is mir mollig. Ganz fingrig is mir zu Mute. Wollt ihr was +hören? Natürlich, ihr wollt immer was hören. Lore, bring mal -- bringen +Sie mal die Seufzerkiste. + +·Lore· + +Jawohl. (Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm) + +·Ein Steinmetz· + +Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. Ahnste weswegen? + +·Göttlingk· + + (während er die Mandoline stimmt) + +Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal können sich Ereignisse +vorbereiten -- die Welt is eben 'n Affenkäfig. + + +Siebente Szene + + _Die Vorigen._ _Der alte Eichholz_ + +·Eichholz· + + (angezogen wie im ersten Akt) + +Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten Gesellschaft. + +·Göttlingk· + +So in Jala, Papa Eichholz? + +·Eichholz· + +Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen und habe mir +angetan im Schmucke sämtlicher Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir +mal sehn, ob ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande. + +·Lore· (ängstlich) + +Was hast du vor, Vater? + +·Eichholz· + +Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf Ehr' und Jewissen: +Wer is der Kerl? Was is der Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen +Zustande mir sollte -- (bemerkt Biegler) was -- was -- was -- was is +denn das? Is das --? + +·Lore· + +Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum Platz gehört. Weißt +du das nich? + +·Göttlingk· (halblaut zu Lore) + +Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein? + +·Eichholz· + +Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein eigenes Nest +'reinschmutzen, aber wenn du willst mein Fleisch und Blut sein -- (in +ausbrechender Wut) Kerl, dir werd' ich platt schmeißen! Dir bind' ich +'n Mühlstein um'n Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du +blutiger Hund! + +·Biegler· (gequält) + +Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? Ich denk', nu is +genug. + +·Göttlingk· (halblaut zu Lore) + +Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an? + +·Lore· + +Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine fang keinen Zank an. +Sonst mußt du 'raus. + +·Lohmann· (leise) + +Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt. + +·Sprengel· + +Hat sie ganz recht. + +·Eichholz· + +Jawohl. Ich geh' schon. -- Ich werde schon in geeignete Erfahrung +bringen, wer, wer (mit geballter Faust) und wer Blut vergießt, deß -- +Blut -- muß -- -- ich geh' schon, ich geh' schon. Guten Abend, die +hochgeehrte Gesellschaft. (Ab) + + +Achte Szene + + _Die Vorigen_ ohne _Eichholz_ + +·Göttlingk· (leise zu Lore) + +Hast du etwa Durchsteckereien mit dem? + +·Lore· (wendet sich ab) + +·Göttlingk· (verbissen) + +Sieh mal an! (Kehrt auf seinen Platz zurück) Na, lassen wir uns nich +die Laune verderben. (Ergreift die Mandoline, in neuem Argwohn) +Freilich, wissen möchte man doch. + +·Willig· + +Halt bloß Ruhe, Eduard. + +·Die Anderen· + + (die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei) + +·Göttlingk· (an der Mandoline zupfend) + +Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne Menge schöne Lieder, +die mir die schönen Weiber dort unten in schönen Stunden beigebracht +haben ... denn die Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', +Kinder! Wenn man da nich feste 'ranjeht! (Beiläufig, herablassend) Ach, +bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein Lore. + +·Lore· + + (bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas) + +·Göttlingk· + +Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß mit mir war. Ja, +mein geliebter Sohn, Glück bei den Weibsleuten muß der Mensch haben. +Das is der Ausschlag beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, +danke, danke, danke! (Singt und spielt) »~Vè quà una giardiniera, si +chiama Luisella, da sovra all'Arenella~« -- (Abbrechend) Sagt mal, +Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung mal so euer Chef +würde hier auf diesem Steinmetzplatz? + +·Willig· + +Was is das wieder für 'n fauler Witz? + +·Göttlingk· + +Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. Wenn ich da Jimm +drauf hätte. Die Puckligen sind zwar nich gerade mein Jeschmack, aber +wenn so 'n schönes Jeschäft dran hängt, kann man ja auch mal beide +Augen zumachen. + +·Lore· + + (stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des + Entsetzens aus) + +·Sprengel· (halblaut) + +Is 'n Mensch wie 'n Vieh. + +·Willig· (leise) + +Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh? + +·Göttlingk· + + (der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch + hinüber) + +Riskiert da etwa einer zu mucken? Was? + +·Lohmann· + +Wir sind ja ganz still. + +·Göttlingk· + +Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. (Da Lore, den Kopf in den Händen, +noch einmal aufstöhnt) Was ist denn hier los? Was? Was? Was? + +·Biegler· + + (ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, + zaghaft, als traue er seinen erwachenden Kräften nicht) + +Du Schuft! Du Schuft! -- Du Schuft! + +·Göttlingk· (fassungslos vor Erstaunen) + +Was will das Gewächse da? + +·Biegler· + +Du ganz erbärmlicher Schuft! + +·Göttlingk· (Humor heuchelnd) + +Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus quetschen? Nehmt mir +das nicht übel, aber die Handvoll, das lohnt mir nich. Außerdem bin +ich's als Steinmetz mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem -- +Prost! + +·Biegler· (heiser) + +Was du bist, bin ich noch alle Tage. + +·Göttlingk· + +Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen. + +·Biegler· + +Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell is, kann ich's besser. + +·Göttlingk· (aufspringend) + +Du warst das selber, du verfluchter --? + +·Die Anderen· (halten ihn fest) + +Ruhig, ruhig, ruhig. + +·Biegler· + +Aber das is Nebensache. (Auf Lore weisend) Da -- da -- wer steht da? +-- Der sagst du _das_ ins Gesicht? -- Jeder weiß, daß sie 'n Kind von +dir hat. Zum Dank verhunzen tust du sie -- schuriegeln tust du sie ... +Wirst sie -- wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? Du +nichtswürdiger Schuft! Du! + +·Göttlingk· (der sich zu befreien sucht) + +Nu laßt doch los. -- Is bloß 'n Floh, der ganze Kerl, aber das kost't +ihm das Leben. (Reißt sich los und zieht den Dolch heraus) Los sag' +ich, oder -- + +·Die Anderen· (weichen erschrocken zurück) + +·Biegler· + +Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, weil alle +anderen Angst haben? -- Kraft hab' ich keine, Haut und Knochen bin +ich vom langen Hungern, aber -- (er hat den Klopfstein ergriffen, der +auf dem Schanktisch liegen geblieben ist, und hebt ihn hoch) -- _mit +so 'nem Schusterstein hab' ich schon einen erschlagen! Mit so 'nem +Schusterstein hab' ich schon_ -- -- (große Bewegung) Nu komm mal 'ran, +wenn du willst. Komm mal 'ran -- komm mal 'ran! (Dringt auf Göttlingk +ein) + +·Göttlingk· (erschrocken zurückweichend) + +Na, na, na, na. + +·Biegler· + +Komm 'ran -- oder 'raus da -- 'raus da. -- + +·Göttlingk· + +(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück) + +·Biegler· (der ihm gefolgt ist) + +'raus da! 'raus da! + +·Göttlingk· + +Das werd' ich dir -- gedenken. -- (Rettet sich durch die rasch +geöffnete Tür) + +·Biegler· + + (sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er + sieht verständnislos noch einmal um sich, sieht Lore, die + schluchzend, mit verhülltem Gesicht, abgewandt dasteht, sieht + die blassen, entsetzten Gesichter und murmelt, wie wenn er + langsam zu sich käme) + +Was is denn? Was war denn? Was --? (Sein Gesicht verändert sich, er +kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl zusammensinken, +rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier aus, setzt +seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür zurück; -- +sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die ihn +regungslos Anstarrenden -- und geht hinaus) + + (_Der Vorhang fällt_) + + + + +Vierter Akt + + Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den Häusern + des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, der sich + allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem Fenster der + Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach vollendeter + Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. Beim + Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher Biergartenmusik + + +Erste Szene + + _Marie._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + + (in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre + rauchend) + +Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen. + +·Marie· + +Eben sang sie doch noch. + +·Zarncke· + +Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben mit ihrem Bumbum. + +·Marie· + +Ach, ich hör's gerne. + +·Zarncke· + +Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so schön weitab is vom +eigenen Leben ... Da sitzen nu die Menschen in Haufen, stoßen sich, +ärgern sich, beneiden sich, begehren sich, und fünf aufgequollene +Trompeter machen Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe +Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der verfluchten +Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber auch _gar nichts_ von ihr +wissen wollen. ... Was guckste denn immer nach der Lore ihrem Fenster +'rüber? + +·Marie· + +Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch. + +·Zarncke· + +Was denn? ... Daß der Göttlingk da is? + +·Marie· + +Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei ihr gewesen. Seit +seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich kommt er -- Abends um neune -- von +da oben -- die Treppe 'runter. + +·Zarncke· + +Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen gehabt hat. Aber +so käseweiß brauchst du darum doch auch nich zu werden, wenn er nu +wirklich mal hinter dir auftaucht. + +·Marie· (schweratmend) + +Denk doch, was das für die Lore bedeutet. + +·Zarncke· + +Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt dich nich so +'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. Nich mitmachen wollen. +Das zehrt dann am eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut -- und +jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ... + +·Marie· + +O, das freilich. Aber -- gestern muß was passiert sein bei der Lore +drin. + +·Zarncke· + +So? Was denn? + +·Marie· + +Zwischen dem Nachtwächter und -- und -- Göttlingk. + +·Zarncke· + +So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn. + +·Marie· (ängstlich) + +Wieso? + +·Zarncke· + +Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert hat. Deshalb +hab' ich gestern schon den Eichholz 'rausgeschmissen. Das alte Vieh +war ganz rabiat. Irgendwas bereitet sich vor gegen den Biegler. Und +schließlich werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den -- +(Schnalzt) + +·Marie· + +Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. Viel was +Schlimmeres. + +·Zarncke· + +'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm genug ... Von wem weißt +du's denn? Von der Lore? + +·Marie· + +Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht mir heut aus dem +Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer macht immerzu Andeutungen. Aber +was Rechtes kriegt man auch aus _der_ nich 'raus. + +·Zarncke· + +Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. Da wollen wir doch mal +gleich -- (Klingelt) + + +Zweite Szene + + _Die Vorigen._ _Frau Homeyer_ + +·Frau Homeyer· + + (eine Windlampe in der Hand) + +Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... Nein, so im +Dunkeln ...! Wie können Sie bloß? + +·Zarncke· + +Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln gesessen? + +·Frau Homeyer· + +Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann -- der nimmt sich dann so leicht was +'raus -- + +·Zarncke· + +Und mit 'n alten Mann -- das lohnt nich. + +·Frau Homeyer· + +Aber, Herr -- + +·Zarncke· + +Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der Lore gewesen? + +·Frau Homeyer· + +Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte. + +·Zarncke· + +Sie haben doch meiner Tochter erzählt -- + +·Frau Homeyer· + +Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem Fräulein? Und gerade +dem Fräulein? I, da müßt' ich -- (Nimmt das Tischzeug zusammen) + +·Marie· + +Aber Frau Homeyer -- + +·Zarncke· (gleichzeitig) + +Was heißt das: _Gerade_ dem Fräulein? + +·Frau Homeyer· + +Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin sein. Und ich bin +im Gegenteil immer höchst zurückhaltend ... Da bin ich bekannt für. Da +können Sie alle Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse lesen +... Und da soll ich mir gerade _hier_ die Zunge bei verbrennen? ... Das +kann Ihnen wer anders erzählen, Fräulein. Und dann müssen sich auch +nichts draus machen. ... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg +... Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is immer noch das +Beste für 'n ältliches Mädchen. + +·Marie· + +Ja, was hab' _ich_ aber mit dem allen zu tun, Frau Homeyer? + +·Frau Homeyer· + +Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat _manchmal_ mit was nich zu tun, +und kommt _doch_ ins Gerede ... Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich +das freilich nicht gedacht. Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen +(verschämt) immer so zutraulich -- und, wie gesagt, Kavelier. Aber da +könnte ja jeder kommen und -- ach, bitte das Sahnentöpfchen -- und +behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, da könnt' er Herr +sein auf diesem Steinmetzplatz. Ja. + +·Zarncke· + +Was? Was? Was is das? + +·Frau Homeyer· + +Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz unbesorgt sein, +Fräulein, das -- + +·Zarncke· + +Halt! Stopp! 'raus! Weg! + +·Frau Homeyer· + +Aber Herr -- + +·Zarncke· + +Weg, weg, weg, weg! + +·Frau Homeyer· + +Ja, ja, Herrgott! + +·Zarncke· + +Weg! + +·Frau Homeyer· + + (mit dem Tablette ins Innere ab) + + +Dritte Szene + + _Marie._ _Zarncke_ + +·Zarncke· + +Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, Mariechen. Bittst +mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest austapezieren ... Und da +traut sich der Kerl überhaupt noch hierher? -- Da wollen wir mal gleich +-- -- (steht auf) + +·Marie· + + (die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf) + +Nein, Vater, nein! + +·Zarncke· + +Was -- nein? Und wie siehste denn aus? -- Ganz überird'sch! + +·Marie· (in hilflosem Bekennen) + +Vaterchen! + +·Zarncke· + + (nach einem Schweigen hinter sie tretend) + +Miezelchen! (Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise) Haben sie dir +'s Geheimfach aufgebrochen? + +·Marie· (aufschluchzend) + +Nicht ansehn! Nicht ansehn! (Verbirgt das Gesicht in seinem Rock) + +·Zarncke· (sie streichelnd) + +Also _das_ war's? Und was du da drinnen verschlossen hieltst, das wird +dir nu da -- (weist zur Kantine) Ja, wie geht denn das zu? + +·Marie· (von Schluchzen geschüttelt) + +Weiß nicht! Weiß nicht! + +·Zarncke· + +Na, nu laß doch mal meinen Rock los! + +·Marie· + + (verbirgt das Gesicht um so fester) + +·Zarncke· + +Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst mich gar nich ansehn? +Möchtst das Tageslicht nich mehr sehn? Möchtst dir womöglich das Leben +nehmen noch diese Nacht? + +·Marie· (nickt heftig) + +·Zarncke· (lacht und streichelt sie) + +Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen muß, dem 'n Stern vom +Himmel 'runterfällt. (Zum Himmel weisend) Kiek mal hoch! ... Kannst +noch nich? Da sind schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie +stehn da wie für die Ewigkeit. _Und sie fallen alle._ Aber darum +werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, denen sie als +Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... Die Jugend verliert sich +zuerst, aber unser Blick wird um so heller ... Die Freunde zerkrümeln +sich, aber unsere Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, +jeder Gedanke -- jeder Hund -- jeder Stein ... Na -- und die Liebe? -- +Dem einen fällt sie in den Schmutz -- wie dir, dem anderen zerreibt sie +der Alltag; -- rasch oder langsam, es is immer dasselbe, -- aber vor +der Tür lauern schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, +und die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott wird +uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere Herzen schlagen kräftiger +... Kindchen, 's wird noch 'n büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham +brennt ... Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. +Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein Recht war und ist, +dich liebzuhaben und dir zu sagen: Halt still ... Die Stillen sind die +Klugen ... Und nur wer von der Welt _weit, weit_ ab is, der hat sie +ganz. + +·Marie· (sich aufrichtend) + +Vaterchen, hast du das immer gedacht? + +·Zarncke· + +Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die Kranken und die +Alten. Aber die, welche die Jungen und die Gesunden sich zurechtmachen, +is auch nischt wert ... Na -- nu schmunzelst du ja wieder --. + +·Marie· (schluchzt kurz auf) + +·Zarncke· + +Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die Tür hat schon 'n +paarmal geklappt. (Weist nach der Kantine) Da traut sich einer nich an +die frische Luft, eh' wir nich verduftet sind. + +·Marie· + +Die arme Lore! + +·Zarncke· + +Nja. Na, komm. (Beide ins Haus ab) + + +Vierte Szene + + _Eichholz._ _Göttlingk._ _Lore_ + +·Eichholz· + +Scht! Du, Göttlingk! -- Sie sind weg! + +·Göttlingk· (heraustretend) + +Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt -- gewisse Leute in den +Weg gerannt wären -- -- na! Also übers Aufgebot reden wir noch, Lore! + +·Lore· + + (die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos) + +Wie du willst, Eduard. + +·Göttlingk· + +Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden Quetsche. Mein +Handwerkszeug bringt mir morgen der Vater und -- ja, richtig! Die +Mandoline gib mir doch noch mit. + +·Lore· (verschwindet) + + (Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die + Gestalt Zarnckes wird dahinter sichtbar) + +·Göttlingk· (leise) + +Is das nich der Alte da oben? + +·Eichholz· + +Ja, der schläft da. + +·Göttlingk· + +Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. (Das Rouleau wird herabgelassen) + +·Lore· (bringt die Mandoline) + +·Göttlingk· + +So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen. + +·Lore· (ängstlich) + +Vater, es wäre wohl besser, du -- -- + +·Eichholz· (scheltend) + +Was heißt das? Was hast du --? + +·Göttlingk· (gleichzeitig) + +Nu laß doch Vater! ... (Reicht ihr die Hand) Gute Nacht! -- (Da sie in +der Türe stehen bleibt) Nu geh nur! Geh nur! + +·Lore· (tonlos) + +Gute Nacht. (Ab, die Türe hinter sich schließend) + + +Fünfte Szene + + _Eichholz._ _Göttlingk_ + +·Göttlingk· + +Na -- und nu? ... Wir haben drin nich ausreden können, weil uns +die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie denkst du nu über 'ne gute +Streckschicht für den Kerl? + +·Eichholz· + +Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich bin ein zuverlässiger +Mann jewesen und ein -- + +·Göttlingk· + +Ja, ja, ja, ja! + +·Eichholz· + +Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, sie haben mir den +höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, den haben sie mir -- + +·Göttlingk· + +Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation. + +·Eichholz· + +Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund kommt, dann +stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen Brust. + +·Göttlingk· + +Na und dann? + +·Eichholz· + +Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, hab' ich gesagt, es gibt +-- ein Unglück. + +·Göttlingk· + +Ja, mit's Maulwerk. + +·Eichholz· + +So? ... (Zögernd) Du, und was is denn mit dem -- Block? + +·Göttlingk· (lauernd) + +Was für 'n Block? + +·Eichholz· + +Wo du vorhin von sprachst. + +·Göttlingk· + +Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug? + +·Eichholz· + +Ja. + +·Göttlingk· + +Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er bloß auf der Kippe. +Verstehste? Eine Holzsteife -- die kann 'n Kind wegschlagen. -- Und +geht dann einer die Treppe 'rauf -- _muß_ er die Treppe 'rauf? + +·Eichholz· + +Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr aufgestellt. -- + +·Göttlingk· + +Daß da man kein Malheur passiert! + +·Eichholz· + + (argwöhnisch, will nicht verstehn) + +Warum soll -- da gleich -- 'n Malheur passieren? + +·Göttlingk· + +Ach so! ... Scht! Is er das nich? (Man hört rechts das Schließen einer +Tür) + +·Eichholz· + +Ja. + +·Göttlingk· (leiser) + +Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... Kann man da oben irgendwo +'raus? + +·Eichholz· + +Durch die kleine Tür. Immerzu. + +·Göttlingk· + + (ihn nach dem Hintergrunde ziehend) + +Na denn komm! + +·Eichholz· + +Warum nich hier durchs Tor? + +·Göttlingk· + +Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu stehn. -- Komm! (Auf einer +mittleren Treppenstufe hält er inne) Scht! + +·Eichholz· + +Er schließt noch das Sägewerk. + + (Beide verschwinden links oben. -- Während rechts eine schwere + Tür zugeschlossen wird, hört man oben das leise Klirren der + Flaschenzugketten. Dann Stille. Während der folgenden Szene + geht der Mond auf) + + +Sechste Szene + + _Biegler._ Dann _Struve_ + +·Biegler· + + (mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre + umgehängt, erscheint rechts vorne und geht an dem erleuchteten + Kantinenfenster vorbei, dann revidiert er das Schloß des + Magazins und will zur Tür des Wohnhauses hinüber) + +·Struves Stimme· (vom Haustor her) + +He! Scht! Nachtwächter! Biegler! + +·Biegler· + +Wer is da? + +·Struves Stimme· + +'n guter Freund! + +·Biegler· + +Ich hab' keine guten Freunde. + +·Struves Stimme· + +Struve is da. + +·Biegler· + +Struve kann bei Tage kommen. + +·Struves Stimme· + +Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel. + +·Biegler· + +Was is denn? (Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich drehen. +Dann erscheint er zusammen mit Struve) Na? + +·Struve· + +Fsch! Drinne wär' mer ja nu. + +·Biegler· + +Also was willst du? + +·Struve· + +Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. Ick hab' 'n Amt +hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! ... Da muß ick mir iberfihren +können bei Tag und bei Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen +vor lauter Ehrjefihl. Ja. + +·Biegler· + +Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter. + +·Struve· + +Det sagste so in deinen Jemiete. -- Aber wenn du eines Morjens nicht +mehr dabist -- + +·Biegler· + +Wieso? + +·Struve· + +Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns haben se doch aus +denselben Suppentopp jeangelt. + +·Biegler· (bitter) + +Ach so! + +·Struve· + +Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier _nu doch_! + +·Biegler· + +Ja. Das bin ich mir klar. + +·Struve· + +Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen noch ne jroße +Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren derfen. Bloß, daß se +morjen früh zum Alten jehn werden, das hab' ich noch -- + +·Biegler· (in bitterer Erregung) + +Und meinen Austritt fordern? + +·Struve· + +Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran abzählen. + +·Biegler· (verbissen, verzweifelt) + +Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine. + +·Struve· + +Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir -- nich vorher schon dinne +machen wolltst. -- Und darum bin ick eben auch 'n bisken dahinter +jewesen. Deiwel auch! Wenn man so die Verantwortung hat. + +·Biegler· + +Wofür? Für mich? + +·Struve· + +Ne -- aber -- (macht Zeichen nach dem Magazin hin) vor -- -- Ick kenn' +doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen die loofen doch jewissermaßen +hinter einen her. Janz von selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann +man jar nischt vor. + +·Biegler· + +Was denn? Was denn? + +·Struve· + +Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen da muß man +eben 'n Freind haben. Mann mit Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken +ins Jewissen redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und +-- -- was? Wie sagste? + +·Biegler· (mit einem kurzen Lachen) + +Ich sag' jar nischt. + +·Struve· + +Na, nu mal unter uns! -- Wenn du -- und du jehst hier weg, wo wirschte +denn nu hinmachen? + +·Biegler· + +Wer kann das wissen? + +·Struve· + +Nu, setz dir mal bisken hier dal! (Zieht ihn auf den vordersten Block) +Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. Ick bin Verdrauensperson. +Und so. -- Aber _zu_ viel Ehre kann der Mensch auch nich verdragen. Des +drickt aufs Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe -- +jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n bisken klietrig +bist -- weißte! -- -- na? -- Wollen wir zusammen uf de Fahrt steigen? + +·Biegler· + +Was? Du und ich? + +·Struve· + +Nu ja. Mit _die_ Ansichten, wo wir beide vons menschliche Leben haben +-- die _haben_ wir nu mal! Die kann uns keiner nehmen. Die einen +wälzen sich in'n Jolde, wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. +Tagsüber sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen wir uns +'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte ewig 'n krummen Puckel +machen und dir sauer anhauchen lassen und wirscht doch nie mehr im +Leben, wat die andern sind! + +·Biegler· + +Mensch! Da haste recht! + +·Struve· + +Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß _einem_ Jehorsam +schuldig, -- das is der Meilenzeiger ... Na? + +·Biegler· + + (schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß) + +Gut! Wann willst du -- losjehn? + +·Struve· + +Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang. + +·Biegler· (in Erregung) + +Ich muß doch erst -- mit ihm -- reden ... Muß doch kündigen. + +·Struve· + +Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? Und noch eins +sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n tück'sches Luder. Der verjeßt dir die +Blamasche nich. Da kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, +jleich, noch auf'n nichternen Magen. + +·Biegler· (dumpf, entschlossen) + +Mir is alles egal. + +·Struve· + +Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht. + +·Biegler· + +Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit. + +·Struve· + +Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, da stempelt dir 'n +jewesener Oberjeheimrat de piksten Flebben noch heite nacht. Und denn +-- wat willste mit 'n Zeichnisbuch? -- Et steht ja woll jeschrieben: +»Ehrlich währt am längsten« -- aber 'n tichtiger Spitzbube fährt mit +vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! Die schabt sich ab +wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da droppt dir ewig de Nese von wie +bei'n kleinen Swienegel ... Bloß natirlich -- 'n jewisses Anlagekapital +-- det missen wir haben. + +·Biegler· + +Wozu? Woher? + +·Struve· + +Det brauchste überall. -- Ohne 'n Parchentlappen kannste nich uf de +Flohjagd. -- Willste lernen Jold machen? Kleinigkeit! Aber natirlich -- +wenn de keinen Dukaten _hast_, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. +Siehste! Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja nich wie +bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen -- und so -- is ja +alles da. + +·Biegler· + +Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt. + +·Struve· + +Aber Mensch! -- Bejreifst de denn noch immer nich? + +·Biegler· + +Was denn? Na was denn? + +·Struve· + +Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und frag nich immer so +glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. Da kann man doch nischt machen. + +·Biegler· + +Was? Was? Was? + +·Struve· (zaudernd, verlegen) + +Na -- de -- de -- Diamanten. + +·Biegler· + +Die willst du am Ende --? + +·Struve· + +Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n janz reelles +Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle nich mehr. Sonst blamiert +er sich. Na? + +·Biegler· + +Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu Hause. + +·Struve· + +Du bist wohl 'n Schlamassel? + +·Biegler· + +Ich muß jetzt elfe abpfeifen. (Wild) Jeh, oder ich pack' dir ins Jenick. + +·Struve· + +Na -- denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr in dir entteischt. +Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! ... Äh! Is nischt mehr los +mit's menschliche Leben, nich vor und nich hinter de Mauer. + + (Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen) + + +Siebente Szene + + _Lore._ _Biegler_ + +·Lore· + + (tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin) + +Vater, bist du's? + +·Biegler· + +Ich bin's, Fräulein. + +·Lore· (freudig aufschreckend) + +Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn mit -- mit -- noch einem? + +·Biegler· + +Nein. + +·Lore· + +Ach -- 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen -- ja? + +·Biegler· + +Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... das heißt wenn Sie +mir danken wollen etwa -- + +·Lore· + +Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß Gott, Herr Biegler, ich +wollt' Ihnen so gerne helfen. Das war meine einzigste Absicht. Statt +dessen haben Sie mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß +nicht aus, nicht ein. + +·Biegler· + +Was is denn nu? + +·Lore· + +Er -- war -- eben da. + +·Biegler· + +Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein? + +·Lore· (schweigt) + +·Biegler· + +Oder will er noch immer nich? + +·Lore· + +Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... In Arbeit kommt er +nich mehr zurück. + +·Biegler· + +So? Ei, ei! + +·Lore· + +Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er -- + +·Biegler· + +Das kann ihm ja nich fehlen. + +·Lore· + +Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? -- Man hungert, man +hungert nach seinem Glück, jahrelang -- und wie man's endlich hat -- +_so_, zwischen seinen zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, +da _will_ man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is man. Satt. + +·Biegler· + +Wer satt is, soll nich essen. + +·Lore· + +Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das is doch Wahnsinn. Da +drin schläft doch mein Lenchen. + +·Biegler· (erregt, verbissen) + +Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem Schoß zu halten. + +·Lore· (erschrocken) + +Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is Sünde. + +·Biegler· + +Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins Unglück stürzt. + +·Lore· + +Das sagen Sie heute, und gestern -- haben Sie Stellung und alles -- +haben Sie hingegeben -- bloß -- + +·Biegler· + +Gott weiß, wie alles kommt. + +·Lore· + +Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts mehr. Ich laure +bloß immer: Was für 'n Hintergedanken hat er nu? Mit Vater hat er im +Winkel gesessen, weit weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da +die Rede von -- Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu hebt mich die +Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes einredet. + +·Biegler· + +Wem kann der alte Mann denn was tun? + +·Lore· + +Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, was soll ich? Ich +kann ja nich mehr los von ihm. Ich bin jahrelang wie sein Hund zu ihm +gewesen. Ich kann ja nich mehr los von ihm. + +·Biegler· + +Ja, wenn Sie nich _können_. + +·Lore· + +Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir. + +·Biegler· + +Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen! + +·Lore· + +Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie können, was Sie +wollen! Sie -- + +·Biegler· + +Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen Zeit. Ich will +_nich_ bald wieder auf 'ner dreckigen Pritsche liegen, Pennbruder +rechts, Pennbruder links -- wenn nichts Schlimmeres -- und mir die +Augen aus dem Kopf brennen vor -- -- _und muß doch_. + +·Lore· + +Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. Zu Ihresgleichen. + +·Biegler· + +Das _is_ meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich nich. -- Da _gehör'_ +ich hin ... Aus _der_ Welt, wo Sie sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, +da is Krätze und Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, +weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine ewige Seligkeit +um ein gefälschtes Stück Attest. + +·Lore· + +Aber noch sind Sie doch hier. + +·Biegler· + +Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' ich weg. + +·Lore· + +Aber warum denn? Warten Sie doch ab! + +·Biegler· + +Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts Böses. -- Ich geh' +auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem eigenen Munde wissen, was für +einer ich bin, nich einen Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner +Traum gewesen. Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich schon sehr +... Ja, _die Nächte_, wenn der Mondschein überall auf den Blöcken liegt +... Da -- sehn Sie, da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts +wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und hab' _einen_ +gestreichelt und den _andern_ gestreichelt und hab' gedacht: »Wer wird +dich mal behauen -- der Glückliche!« ... Und wenn dann erst alles ganz +still wird -- ringsum auf den Straßen, -- dann sitzt man mitten in der +Welt wie in einem schönen, warmen Mantel -- ganz ruhig und ganz -- -- +ich sagt's Ihnen schon gestern -- aber das kommt erst viel später gegen +Mor -- -- (Hält lauschend in ängstlicher Spannung inne) + +·Lore· + +Was is? + +·Biegler· + + (Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang -- + scheinbar sich entfernend) + +Horchen Sie! Horchen Sie! + +·Lore· + +Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was is denn dabei? + +·Biegler· (leise) + +Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die ziehen hier in +die Runde -- von elfe ab -- immer ums Straßenkarree 'rum -- bis gegen +Morgen. (In Angst) Solang ich die lachen hör', da -- + +·Lore· + +Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan? + +·Biegler· (leise, geheimnisvoll) + +Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch so 'rum. + +·Lore· + +Woher wissen Sie das? + +·Biegler· + +Ich hab' -- sie -- getroffen. + +·Lore· (erschrocken) + +Hier draußen? + +·Biegler· + +Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... Wenn sie mich gesehn hätt' +-- ich hab' mich bloß geschämt, weil ich so abgerissen war, sonst -- +weiß Gott, was ich jetzt schon wär' ... (Er schaudert) Ja, der Hunger +kann viel ... Na -- werden ja sehn! + +·Lore· (erschüttert) + +Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie -- + +·Biegler· + +Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, Sie und der +komische alte Mann da drin. Von jetzt ab hält mir keiner mehr die +Stange hin. Aber gedenken werd' ich's Ihnen -- bis -- ... Fräulein +Lore, es is mein letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch +nich gemacht. + +·Lore· (sich ängstlich umschauend) + +Ach -- noch -- noch -- Wenn ich bloß wüßte, wo er Vater hingeschleppt +hat ... Ich kann die Angst nich los werden, daß, daß -- -- + +·Biegler· + +Na, was denn? + +·Lore· + +Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht -- dort -- ja? + +·Biegler· + +Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ... + +·Lore· + +Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie nich ins Finstre -- +nein? + +·Biegler· (kurz auflachend) + +Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern grault. Und heut +bin ich noch einer ... Heut bin ich noch Mensch ... Morgen munter -- +wieder 'runter -- in den Morast ... (Streckt in tiefer Bewegung die +Hand gegen sie aus) Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ... + +·Lore· (ohne die Hand zu nehmen) + +Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... Schließlich, wenn's +Ihnen die andern verzeihen, warum _müssen_ Sie denn durchaus weg? + +·Biegler· + +Wer wird _mir_ verzeihen? ... Die Steinmetzen haben ja schon beraten, +daß sie morgen zum Alten gehen werden -- und -- + +·Lore· + +Nu ja. + +·Biegler· + +-- und -- + +·Lore· + +Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch gar nich ...? + +·Biegler· + +Was is da viel zu wissen? + +·Lore· + +Herr Biegler, die Steinmetzen _wollen_ morgen zum Alten gehn -- das +is richtig, aber nicht darum, was _Sie_ glauben, sondern weil sie ihm +sagen wollen, daß sie gerne mit Ihnen zusammenarbeiten werden. + +·Biegler· (verständnislos) + +Die Steinmetzen -- wollen -- dem Al-- + +·Lore· + +Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach sind, und weil Ihr +Auftreten gestern ihnen so gut gefallen hat, darum soll Ihr Privatleben +keinen mehr was angehn, haben sie gesagt. + +·Biegler· + +Die Steinmetzen wollen -- die Steinmetzen wollen -- die Steinm-- -- -- +Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen wollen -- ja, warum haben Sie mir +das nich schon früher gesagt? + +·Lore· + +Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... Sie gehen auf alle +Fälle. + +·Biegler· + +Wenn die Steinmetzen _wollen_, warum soll _ich_ denn --? Wenn ich +wieder -- ich soll wieder Krönel und Scharriereisen in die Hand nehmen? +... Ich soll wieder die blaue Schürze -- umbinden -- dürfen? Ich soll +-- soll -- soll -- wieder die blaue Schürze ... (Heimlich, leise, in +Angst) Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. -- Aber -- (Legt +die Hand auf die Lippen) Ich hab' nämlich manchmal solche Anfälle +gehabt (wischt sich über die Stirn) in der Anstalt ... Das find't man +dort sehr oft ... Sind Sie ganz sicher, daß Sie das eben gesagt haben, +daß die Steinmetzen -- morgen -- dem Alten --? + +·Lore· + +Aber Herr Biegler, ja, ja! + +·Biegler· + +Und Sie glauben auch, es kann -- nichts mehr -- dazwischenkommen -- bis +morgen? + +·Lore· + +Was sollt' denn das sein? + +·Biegler· + +Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern -- oder daß der Alte sagt: +»Nein« -- oder daß mir 'n Stein auf'n Kopf fällt -- oder, was weiß ich? + +·Lore· + + (sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise) + +Stein auf'n -- + +·Biegler· (lachend) + +Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich bin immer 'n +tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab' schon zwei Preise gekriegt ... +Ich bin mal vor der ganzen Innung -- bin ich öffentlich belobt worden +... Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon acht Mark fünfzig +pro Tag verdient ... Ich versteh' auch gut in Granit zu arbeiten. +Profile und Alles ... Granit, das wissen Sie ja, das ist das Härteste +... Dabei scheint es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem +geradezu aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... da muß +man -- da muß man -- (vom Glücke überwältigt) Die Steinmetzen -- wollen +-- mit mir -- -- (sinkt lachend und schluchzend auf die Bank, das +Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise) arbeiten -- mit mir -- arbeiten +-- -- + +·Lore· + + (macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln) + +Ach Gott! (um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich) Herr Biegler! ... +Herr Biegler! + +·Biegler· (zu sich kommend) + +Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock -- meine Pfeife? ... Ich bin +ganz, ganz ... die Kontrolluhren hab' ich auch noch nich gestochen! -- +Heut darf ich nichts versäumen, sonst ... Hahaha -- hahahaha! Adieu, +Fräulein Lore. Ich komm' bald wieder. + +·Lore· + +Wo wollen Sie hin, Herr Biegler? + +·Biegler· + +Runde machen -- nach oben -- die Treppe 'rauf ... + +·Lore· (leise) + +Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf! + +·Biegler· + +Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst vor dem Block? + +·Lore· (in wachsender Angst) + +Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen auf Ihr künftiges +Leben -- wenn Sie den Krönel wirklich noch mal führen wollen -- wenn +Sie -- ... _Mein Kind_ hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat +Ihnen Glück gebracht -- darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie wo +anders, aber da _nicht_! + +·Biegler· + +Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe haben -- + +·Lore· + +J, ja, ja, ja. + +·Biegler· + +Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was will! Mir tut keiner +mehr was. Jetzt nich mehr. Nee. + +·Lore· (entschlossen) + +Dann komm' ich mit. + +·Biegler· + +Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern! + +·Lore· (ruft hinauf) + +Is da einer oben? (Schweigen) + +·Biegler· + +Na sehn Sie! + +·Lore· (leise) + +Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann fassen Sie mich mal +um den Leib. Ganz fest. + +·Biegler· + +Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst? + +·Lore· + + (umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme) + +So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann wollen wir doch mal +sehen. + +·Eichholzens Stimme· (von oben) + +Wirste weg da, du -- + +·Göttlingks Stimme· + +Scht! + +·Biegler· + +Nanu! Was is denn _das_? (Er reißt sich los und springt blitzschnell +die Treppenstufen hinan. -- In demselben Augenblicke stürzt dicht +hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und +zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das +ängstliche Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden) + +·Lore· + + (ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, + sinnlos vor Angst, in das Dunkel hinauf) + +Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' dich an. Ich zeig' +dich an. + +·Göttlingks Stimme· + +Schrei nich, du Frauenzimmer! (Man sieht seine Gestalt nach links hin +flüchten und verschwinden) + + +Achte Szene + + _Lore._ _Biegler._ _Eichholz._ Später _Zarncke._ _Marie._ _Frau + Homeyer._ _Zwei Dienstmädchen_ + +·Stimmen von der Straße her· (durcheinander) + +Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord und Totschlag ... Macht +doch mal auf! ... Aufmachen! -- (Man rüttelt am Tor) + +·Biegler· + + (führt unterdessen den Alten die Treppe herab) + +Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. -- Vorsicht! -- + +·Eichholz· (betrunken weinend) + +Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ... + +·Lore· (ihnen entgegen) + +Um Gottes willen, Vater! + +·Biegler· + + (gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore + und ruft nach links hinübergehend atemlos) + +Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. Weiter nichts ... +Weiter is nichts. -- + +·Die Stimmen· (durcheinander) + +Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen mal nachsehen.. +Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen! + +·Biegler· + +Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! (Pfiffe. Gelächter. +Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille) + +·Eichholz· + + (der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich + niedersetzt, derweilen weitergranzend) + +Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs Schafott. + +·Zarncke· + + (hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die + Glastür geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon + hinaus) + +Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn? + +·Lore· + + (mit flehender Gebärde zu Biegler hin) + +Ach bitte, bitte! + +·Zarncke· + +Bekomm' ich keine Antwort? + +·Biegler· + + (nach Atem ringend, mit zitternder Stimme) + +Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe is vom Stapel +gefallen, Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Wie hat denn das passieren können? + +·Biegler· + +Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben sich wohl die Ketten +gelockert. + +·Zarncke· + +Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich verletzt? + +·Lore· + + (Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe) + +Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber schlimm is es nicht, +Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Na wenn's weiter nichts is. + +·Eichholz· (wird allmählich still) + +·Frau Homeyer· + + (in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei + Mägden hinter sich auf die Veranda hinausgetreten) + +O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur passiert. + +·Zarncke· (herunterrufend) + +Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück! + +·Marie· + + (die während des Vorigen in dem -- gleichfalls erhellten -- + Fenster des Wohnzimmers erschienen ist) + +Du, Lore, komm mal her zu mir. + +·Lore· (geht zu ihr) + +·Frau Homeyer· (derweilen) + +Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore gewesen. Da möcht' ich +jeden heiligen Eid drauf schwören. + +·Zarncke· + +Na, wird's bald? + +·Frau Homeyer· (mit den Mägden ab) + +Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja. + +·Marie· (leise) + +Was schriest du da vorhin? Und zu wem? + +·Lore· (bebend) + +Ich? + +·Marie· + +Ich war wach. Mich täuschst du nicht. + +·Zarncke· + +Mariechen. + +·Marie· + +Vaterchen? + +·Zarncke· + +Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können wir uns morgen besehn. Das +heißt, dem Willig werd' ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig +erschreckt, Biegler -- was? + +·Biegler· + + (noch immer zitternd in Erregung) + +Ach -- nich sehr -- Herr Zarncke. + +·Zarncke· + +Na denn: Gute Nacht, Kinder. + +·Lore· + +Gute Nacht, Herr Zarncke. + +·Marie· (gleichzeitig) + +Gute Nacht, Vaterchen. + +·Zarncke· + + (geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür) + +·Lore· (leise) + +Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit gestern. + +·Marie· + +Aber doch nur Gutes? + +·Lore· (fest) + +Ja. Weiß Gott. + +·Marie· (in wehmütiger Güte) + +Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht. + +·Lore· + +Gute Nacht, Mariechen. + +·Marie· (schließt das Fenster. Ab) + + +Neunte Szene + + _Lore._ _Biegler._ _Eichholz_ + + (Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße + haben sich allmählich verloren. Mitternachtsstille) + +·Biegler· + + (sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, + auf die Bank und atmet schwer) + +·Lore· + +Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil geblieben? Is Ihnen auch +nichts geschehn? + +·Biegler· + +Ich muß mich bloß -- 'n bißchen verschnaufen ... ich bin ganz ... + +·Lore· + +Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da nichts getan? + +·Biegler· + +Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen Dreikantigen zu +ziehn. -- Na, kommen Sie noch immer nich los von ihm? + +·Lore· + + (mit einer wilden Gebärde des Befreitseins) + +Ach! + +·Biegler· + +Ja. Dem sein Hund sind Sie _gewesen_, scheint mir. + +·Lore· + +Und meinen alten Vater so zu -- der Schuft! ... Vater! Du mußt zu Bett +gehn, Vater! + +·Eichholz· + + (antwortet nicht, atmet tief im Schlafe) + +·Lore· + +Gott! -- Nu sehn Sie bloß! + +·Biegler· + +Schläft er am Ende? + +·Lore· + +_Dem_ werden Sie doch nichts nachtragen? + +·Biegler· + +Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha. + +·Lore· + +Herr Biegler! + +·Biegler· + +Was, Fräulein Lore? + +·Lore· + +Ich kann nichts sagen -- mir ist das Herz so -- ich kann nicht ... + +·Biegler· + +Aber die Hand können Sie mir geben. (Streckt ihr die Hand entgegen) +Wenn die nu wieder rein wird, dann sind Sie schuld. + +·Lore· + + (weist kopfschüttelnd nach dem Balkon) + +Unser Alterchen da oben is schuld. + +·Biegler· (seine Hand in der ihren) + +Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... Scht! ... Schlägt's da +nich zwölfe? (Man hört die ferne Turmuhr schlagen) Wahrhaftig! Nu muß +ich aber wirklich mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja +gar nich wert, daß ... (Lacht leise und glücklich) Gute Nacht, Fräulein +Lore! + +·Lore· + +Gute Nacht, Herr Biegler. + +·Biegler· (am Fuß der Stufen) + +Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf? + +·Lore· + +_Der_ kommt nie wieder. -- + +·Biegler· (von den Stufen her) + +Gute Nacht! + +·Lore· + +Gute Nacht. + +·Biegler· (verschwindet nach rechts) + +·Lore· + +Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, Vater. (Der Alte rührt +sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen) Vater, hörst du, wie +er pfeift? (Biegler pfeift -- wieder von weiter her) Vater, das Glück +pfeift! Das Glück pfeift! (Sie sinkt schluchzend vor dem Alten nieder, +das Gesicht an seinem Knie verbergend. Der Alte schläft fort. -- Das +Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er sich entfernt) + + (_Der Vorhang fällt langsam_) + +[Illustration] + + + + + +----------------------------------------------------------------+ + | Anmerkungen zur Transkription | + | | + | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen | + | gebräuchlich waren, wie: | + | | + | anderen -- andern | + | besehen -- besehn | + | danach -- darnach | + | Gehen -- Gehn | + | sehen -- sehn | + | | + | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. | + | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: | + | | + | S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert. | + | S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert. | + | S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert. | + | S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert. | + | S. 130 »umso« in »um so« geändert. | + | S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert. | + | | + +----------------------------------------------------------------+ + + + + + +End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN *** + +***** This file should be named 62132-8.txt or 62132-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/2/1/3/62132/ + +Produced by Peter Becker and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was +produced from images generously made available by The +Internet Archive) + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Stein unter Steinen + +Author: Hermann Sudermann + +Release Date: May 14, 2020 [EBook #62132] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN *** + + + + +Produced by Peter Becker and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was +produced from images generously made available by The +Internet Archive) + + + + + + +</pre> + + + +<p class="center p6 big200">Stein unter Steinen</p> + + +<p class="pagebreak center"> +Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger<br /> +Stuttgart und Berlin</p> + +<p class="center big200"> +<span class="u">Hermann Sudermann:</span></p> + + +<div class="center"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Bücher von Hermann Sudermann"> +<tr><td align="left"></td><td align="left">Geheftet</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Im Zwielicht.</b> Zwanglose Geschichten. 30. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Frau Sorge.</b> Roman. 83. bis 87. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Geschwister.</b> Zwei Novellen. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Der Katzensteg.</b> Roman. 61. bis 65. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.50</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Jolanthes Hochzeit.</b> Erzählung. 27. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Es war.</b> Roman. 38. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 5.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die Ehre.</b> Schauspiel in 4 Akten. 32. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Sodoms Ende.</b> Drama in 5 Akten. 23. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Heimat.</b> Schauspiel in 4 Akten. 34. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die Schmetterlingsschlacht.</b> Komödie in 4 Akten 9. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Das Glück im Winkel.</b> Schauspiel in 3 Akten 15. und 16. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Morituri:</b> Teja. Drama in 1 Akt. — Fritzchen. Drama in 1 Akt. — Das Ewig-Männliche. Spiel in 1 Akt. 17. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Johannes.</b> Tragödie in 5 Akten und 1 Vorspiel. 28. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Die drei Reiherfedern.</b> Dramatisches Gedicht in 5 Akten. 14. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Johannisfeuer.</b> Schauspiel in 4 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Es lebe das Leben.</b> Drama in 5 Akten. 20. Aufl.</td><td align="left" valign="bottom">M. 3.—</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Der Sturmgeselle Sokrates.</b> Komödie in 4 Akten. 15. Auflage</td><td align="left" valign="bottom">M. 2.—</td></tr> +</table></div> +<p class="center"> +Die vorstehend verzeichneten Werke sind auch gebunden zu beziehen<br /> +<br /> +Preis für den Einband:<br /> +<br /> +in Leinen 1 Mark, in Halbfranz 1 Mark 50 Pf.<br /> +</p> + + + + +<h1 class="pagebreak">Stein unter Steinen</h1> + +<p class="center p4">Schauspiel in vier Akten</p> + +<p class="center">von</p> + +<p class="center p2 big140">Hermann Sudermann</p> + +<p class="center p2">Elfte Auflage</p> + +<div class="figcenter p4" style="width: 130px;"> +<img src="images/signet.png" width="130" height="125" alt="Signet" /> +</div> + +<p class="center p2">Stuttgart und Berlin 1905</p> + +<p class="center">J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger +</p> + + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_4" id="Seite_4">[S. 4]</a></span></p> + + +<p class="center p6"><span class="antiqua">Copyright, 1905, by Hermann Sudermann</span></p> + +<p class="center">Alle Rechte vorbehalten</p> + + +<p class="center p6">Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_5" id="Seite_5">[S. 5]</a></span></p> + + + + +<h2 class="left">Personen</h2> + + + +<div class="left"> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="Personen"> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Zarncke</b>, Steinmetzmeister.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Marie</b>, seine Tochter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Frau Homeyer</b>, Wirtschafterin bei Zarncke.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Jenisch</b>, Buchhalter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Eichholz</b>, Nachtwächter auf dem Werkplatz.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lore</b>, seine Tochter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Lenchen</b>, deren Kind.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Willig</b>, Polier.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Göttlingk</b>, Steinmetz.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Jakob Biegler</b>.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><b>Reitmaier</b>, Kriminalkommissar.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Lohmann</b>,</td><td align="left">}</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Sprengel</b>,</td><td align="left">}</td><td align="left">Arbeiter.</td></tr> +<tr><td align="left"><b>Struve</b>,</td><td align="left">}</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3">Bildhauer, Steinmetzen, Arbeiter.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3">Mehrere Frauen und Kinder.</td></tr> +<tr><td /></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Ort der Handlung</span>: Berlin.</td></tr> +<tr><td align="left" colspan="3"><span class="gesperrt">Zeit der Handlung</span>: die Gegenwart.</td></tr> +<tr><td /></tr> +</table></div> + +<div style="clear: both;" /> + +<p class="center">Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt liegen drei Wochen, +zwischen den folgenden Akten liegt je ein Tag.</p> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_6" id="Seite_6">[S. 6]</a></span></p> + +<div class="figcenter p6" style="width: 150px;"> +<img src="images/006_deco.png" width="150" height="55" alt="" /> +</div> + + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_7" id="Seite_7">[S. 7]</a></span></p> + + + + +<h2>Erster Akt</h2> + +<p class="directive1">Wohnstube bei Zarncke. In der Mitte des Hintergrundes Tür +nach dem Hausflur. Auf der linken Seite Tür nach Wirtschaftsräumen. +Auf der rechten Seite ein breites Fenster nach +dem Werkplatz führend. Davor, um eine Stufe erhöht, ein +Podium mit bequemem Lehnstuhl und Tischchen. Links vorne +ein Sofa mit Sofatisch und Sesseln. Im Hintergrunde links +von der Tür ein Tischchen mit Wandkonsole darüber, rechts +von der Tür ein Bücherschrank. Altväterisch-behagliche Ausstattung. +Stahlstiche, Photographien, gestickte Sinnsprüche an +den Wänden. Pfeifenständer, Zigarrenschränkchen, Bauer mit +Kanarienvogel etc. etc.</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br /> +</p> + + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(Sechziger, mittelgroß, stark ergraut. Bartfunzeln auf den Backen. Gutmütig-vergnügte +Äuglein. Sprechweise — mit Anklängen ans Niederdeutsche +— weich, bisweilen harmlos polternd, voll stillen Grüblersinnes)</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(Ende der Zwanzig, klein, bucklig. Fahle Krankheitsfarbe. Zwei schöne +Augen voll wehmütig-lachender Güte. Gequetschte Sprache, bisweilen durch +schweres Atmen unterbrochen. Bewegungen tastend, unsicher)</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p class="directive2">(behaglicher, beschränkter Zahlenmensch)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit Jenisch eintretend)</i></p> + +<p>Na, Miezelchen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_8" id="Seite_8">[S. 8]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die im Lehnstuhl sitzt, aufleuchtend)</p> + +<p>Vaterchen! <i>(Will aufstehen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sitzen bleiben! Sitzen bleiben! <i>(Tritt zu ihr hin und küßt +sie auf die Stirn)</i> Läßte dir die Maisonne in 'n Magen +scheinen? Das is recht ... Na, Jenisch, was haben Sie da!</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Die neuen Sandsteinproben aus den Knauerschen +Brüchen, Herr Zarncke. <i>(Reicht ihm die kleinen Blöcke)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(kratzt an den Rändern)</i></p> + +<p>Schreiben Sie man den Leuten, mein Kontorbedarf +an Streusand sei vorläufig noch gedeckt.</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lacht respektvoll)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Zweite Post?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Jawohl. <i>(Reicht ihm ein Paket Geschäftsbriefe)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(setzt sich an den Tisch und läßt die Kuverts durch die Hand gleiten)</p> + +<p>Nischt — nischt — nischt. <i>(Ein Kuvert öffnend)</i> Machen +wir. <i>(Ein zweites)</i> Machen wir desgleichen. »Verein zur +Besserung entlassener Strafgefangener«. Möchten sie mir +mal wieder einen andeichseln? ... Na, wollen mal sehn ... +<i>(Legt das Kuvert beiseite und schiebt Jenisch die anderen Briefe hin)</i> +Zurück zur Beantwortung! ... Und wenn die Leute von +der Polizei kommen wegen heute nacht — das sag' ich +besser draußen. <i>(Zu Marie)</i> Verzeih mal! <i>(Öffnet das Fenster.</i><span class="pagenum"><a name="Seite_9" id="Seite_9">[S. 9]</a></span> +<i>Das klingende Geräusch der Meißelschläge, das Klirren der Flaschenzugketten, +das Quietschen der Windewagen wird hörbar)</i> Sie da! Willig! +Polier! <i>(Lauter)</i> Polier!</p> + +<p class="actor"><b>Stimme des Poliers Willig</b></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn die Leute vom Kriminal kommen, lassen Sie +sie gleich aufs Kontor führen. Ich will nicht, daß sie mir +den Platz rabiat machen mit ihrem dummen Gefrage.</p> + +<p class="actor"><b>Stimme Willigs</b></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachahmend)</i></p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Schließt das Fenster, das Geräusch +hört auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p><em>Mußtest</em> du's denn anzeigen, Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, das frag' ich mich auch. Aber ich kann mir doch +nicht zu nachtschlafender Zeit in meinen Magazinschlössern +rumpulen lassen. Womöglich noch »Schön Dank« sagen ... +Hören Sie mal, Jenisch, euch auf'm Kontor geht's ja +eigentlich nischt an, aber wie denken Sie über den alten +Eichholz?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Ja, Herr Zarncke, wir meinen, er wird sich nich mehr +lange halten lassen. Als Wächter.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, als was denn sonst?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_10" id="Seite_10">[S. 10]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b></p> + +<p>Das weiß ich ja nich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sinekuren gibt's nich bei mir auf'm Platz. Selbst +mein Kanarienfritze hat sein Geschäft. Wenn der nich +singt, dreh' ich ihm den Hals um.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lächelnd)</i></p> + +<p>Na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was ist hier zu na-na-en! <i>(Zärtlich)</i> Du — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Alte hat seine dreißig Dienstjahre. Hat 's Geschäft +groß werden sehen ... Wird mir schwer! <i>(Pause)</i> +Abends, wenn er elfe gepfiffen hat, setzt er sich friedfertig +auf einen Block, und dann sägt er los. <i>(Ahmt einen Schnarchton +nach)</i> Und derweilen pulen mir die Herren Einbrecher +in den Schlössern rum. Mir schwant so was, min Döchting, +diese Instituschon is nich das richtige.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Also, Jenisch, ziehn Sie sich tapfer zurück.</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Adieu, Fräulein Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Adieu, Herr Jenisch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_11" id="Seite_11">[S. 11]</a></span></p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dabei weiß ich genau, wer's gewesen is.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Am Ende gar der — —?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na natürlich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Du weißt ja noch gar nicht, wen ich meine.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p><em>Du</em> meinst den Struve. Und <em>ich</em> mein' den Struve. +Und draußen auf dem Platze meinen sie <em>auch</em> den Struve. +Aber weil sie mich nich blamieren wollen, tun sie, als +hätten sie keinen Dunst ... Wozu hab' ich nu mal den +Besserungspuschel? ... Wenn ich das Luder jetzt nich +wieder raushaue, kriegt er zehn Jahre.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Um Gottes willen!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Fünfmal vorbestraft ... Davon zweimal mit Zuchthaus. +Billiger tun sie's da nich ... Und so 'ne Seele +von Mensch. Als die Steinmetzen neulich für den brustkranken +Emil sammelten — wo er doch als Arbeiter eigentlich +gar nischt mit zu tun hat — Wochenlohn blank auf +den Tisch gelegt. Und muß mausen! ... Nämlich die<span class="pagenum"><a name="Seite_12" id="Seite_12">[S. 12]</a></span> +Diamantsplitter in den neuen Zahnsägen haben's ihm +angetan. Macht er dem Polizeimann dieselbe wehmutsvolle +Gaunerschnauze, die er mir heute gemacht hat, dann +sitzt er schon im Kittchen ... Ach, was hat man für'n +Kreuz mit diesen Kerls! Immer wieder saust man rin.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, manchmal auch nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hm! Der Auschwitz war gut. Dem Blankmann hab' +ich das Leben gerettet. Der Thiele hat sogar Karriere +gemacht. Aber — nee! — nu Schluß! — Ich nehm' nu +nich <em>einen</em> mehr, den mir der Verein zuschanzt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, na!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mariechen, ich schwör' es dir. <i>(Das Kuvert aufnehmend)</i> +Und wenn dies hier — ein Lämmlein is, mit Zucker bestreut, +ich tu's nicht. <i>(Das Kuvert aufreißend)</i> Wollen mal +gleich sehn!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Weißt du, Vaterchen, dann lies lieber nicht. Nachher +ist es ein interessanter Fall, und dann —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Kann's auch ungelesen zurückschicken. <i>(Unschlüssig)</i> +Aber — — — du, klingel mal, daß die Homeyer mir +das Frühstück bringt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(klingelt)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_13" id="Seite_13">[S. 13]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(die Papiere musternd, die in dem Kuvert stecken)</p> + +<p>Da is nu ein ganzes Schicksal drin.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Vaterchen, mach dir das Herz nicht schwer. Lies +lieber nich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Man soll zwar keinen von seiner Türe weisen. Na, +wie du meinst. <i>(Legt das Kuvert hin)</i></p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer</span> +</p> + +<p class="directive2">(Frau Homeyer, kraftvolle, hübsche Person, zu Anfang der dreißig. Energische +Bewegungen. Haare kokett gelockt, mit einem Stich ins Gemeine)</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(die Frühstückstablette mit belegten Brötchen und einer Rotweinflasche +hereintragend)</p> + +<p>Schönen guten Morgen wünsch' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wir haben uns ja heut schon gesehn, Homeyerchen.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Wenn auch. Ich sag' noch mal »Guten Morgen«. +Das ziemt sich für mich. <i>(Auf die Tablette weisend)</i> Is alles +gut so?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hm. Fein.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Fräulein Mariechen, was möchten Sie?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_14" id="Seite_14">[S. 14]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Danke. Danke.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Is Ihnen heute wieder nich ganz frisch?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Doch. Doch.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Nu sagen Sie doch. Ich will doch sorgen für Sie. +Ich kann mir gar nich genug tun für Sie.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, Sie sind eine Perle.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Herr Zarncke, ich kümmre mich um keinen Menschen +sein Lob. Ich bin eine ehrbare Witwe. Wer so viel Leid +durchgemacht hat im Leben, wie ich — ach ja!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ihr vieles Leid is Ihnen aber ganz gut bekommen, +hören Sie mal.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach ja. Ich hab' mir ganz gut konserviert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und dann so die ehrbare Lebensweise.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(seufzend)</i></p> + +<p>Ja, ja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_15" id="Seite_15">[S. 15]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hören Sie mal, Kindchen, noch eine Frage: Haben +Sie vielleicht irgend was gehört, heute nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja. Gehört hätt' ich wohl so einiges. — Schritte +und so.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum haben Sie denn nichts davon gemeldet?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Hat mich ja keiner gefragt. Außerdem: ich geb' keinen +an. Ich misch' mich nich in fremde Sachen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So — das sind fremde Sachen für Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Gott! Wo hab' ich denn gedacht, daß es gleich Einbrecher +sind?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, was denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich hab' gedacht: es is eben Frühling, — da werden +die Mannsleute doll —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und die Weibsleute auch.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Von mir können Sie so was nich sagen, Herr Zarncke. +Von dem Tage an, daß mein armer sel'ger Mann —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_16" id="Seite_16">[S. 16]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Scht, scht, scht! <em>Wenn</em>, dann würd's auch nichts ausmachen. +Na — und?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und der alte Eichholz schläft natürlich. <i>(Mit Betonung)</i> +Und die Tochter schläft eben auch. Nu ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach so! Das geht gegen die Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich hab' nichts gesagt. Ich misch' mich in gar nichts. +Laß das Fräulein Lore tun, was sie will. Es braucht +nich jede so'n Wandel zu haben, wie ich. Aber schließlich +läuft auf dem Werkplatz 'n kleines Mädchen rum. Vater +unbekannt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Vater ist nicht unbekannt.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach ja, man nennt ja wohl so gewisse Namen. — +Warum heiratet er sie denn nich?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das geht mich nichts an. Und Sie auch nicht ... +Was hast du, Mariechen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die mit geschlossenen Augen in den Sessel zurückgesunken ist)</p> + +<p>Nichts, Vaterchen. Du weißt ja. Mir wird manchmal +so grasgrün.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_17" id="Seite_17">[S. 17]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(die eilig ein Glas Wasser gefüllt hat)</p> + +<p>Glas Wasser, Fräulein Mariechen? Glas Wasser?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(trinkt — matt)</i></p> + +<p>Danke schön.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Sonst noch Wünsche? ... Nein. <i>(Da niemand antwortet, +ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie.</span> Später <span class="gesperrt">Lenchen</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Miezelchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Verzeih schon, Vaterchen. Es ist wohl der Frühling. +Der macht einem Kopf und Glieder so schwer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, es is der Frühling ... Selbst ich alter Knochen +spür' ihn. Willst nich was essen? Wart, ich bring' dir. Der +Doktor hat gesagt, du sollst eine sitzende Lebensweise +führen, also führe du eine sitzende Lebensweise. <i>(Setzt den +Teller vor sie hin und nimmt ein Brötchen)</i> Ganz lecker! Magst +du das Frauenzimmer eigentlich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach Gott!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_18" id="Seite_18">[S. 18]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich hab' sie so lieb, weil sie mich so hübsch anschwindelt. +Bißchen Kuddelmuddel muß sein um einen 'rum, sonst +weiß man gar nich, daß man lebt ... Jetzt läuft sie auch +hinter dem Göttlingk her. Darum der Haß auf die +Lore ... Ja, der Frühling! ... Und mit dem Arbeiten +gar da geht's bei allen nich ... Sie pfeifen die Sonne +an, und wenn sie Mittags auf den zwei Richtscheiten +liegen, dann sind sie nich hochzukriegen. <i>(Seufzend)</i> Junges +Volk! ... Übrigens, du! Zu der Amsel auf dem Kantinendach +hat sich ein Weibchen gefunden.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(freudig)</i></p> + +<p>Ach! Gott sei Dank. Dann wird sie sich nich mehr +die Seele aus dem Leibe schreien ...</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Andere Leut' schweigen sich die Seele aus dem Leibe.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(betroffen)</i></p> + +<p>Wie meinst du das?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, is doch so ... Schadt nischt! Sein Geheimfach +hat jeder. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hinaushorchend, ruft)</i></p> + +<p>Lenchen! <i>(Sie öffnet das Fenster, der Lärm des Werkplatzes dringt +herein, wie vorhin)</i> Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Die Stimme Lenchens</b> <i>(jubelnd)</i></p> + +<p>Tante Mariechen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_19" id="Seite_19">[S. 19]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Komm ans Fenster! Komm!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tante nennt sie dich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Soll sie nicht, Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja. Kommt auf eins 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Na, kletter hoch!</p> + +<p class="actor"><b>Lenchens</b></p> + +<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p> + +<p>Tag, Tante Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Klettre, Katz! Klettre!</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Mußt helfen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(da Marie eine Bewegung macht, rasch)</p> + +<p>Nicht du! Ich, ich! <i>(Zieht das Kind durch das Fenster herein +und setzt es auf den Boden)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(die Arme um Mariens Knie schlingend)</p> + +<p>Tante Mariechen! Tante Mariechen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_20" id="Seite_20">[S. 20]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie herzend)</i></p> + +<p>Willst 'n Bonbon oder 'ne Butterstulle?</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Butterstulle.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(gibt ihr ein zusammengeklapptes Butterbrot)</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(setzt sich ihr zu Füßen auf die Stufe des Podiums und ißt unbekümmert)</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und das soll nun 'ne Schande sein — so ein Engelskind!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hättst wohl gern so 'n Stückchen Schande an dir?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(inbrünstig)</i></p> + +<p>Ach so gerne, Vaterchen, so gerne!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja! Vielleicht gibt sie's dir!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>So was zu fordern, hätt' ich nicht das Herz. <i>(Streichelt +die Kleine und spricht leise zu ihr)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja! <i>(Geht an den Tisch, trinkt ein Glas Rotwein, sieht verstohlen +nach Marie, nimmt das Kuvert, reißt die Papiere heraus und beginnt zu +lesen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(sieht es, lächelt und macht sich von neuem mit der Kleinen zu schaffen)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_21" id="Seite_21">[S. 21]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(murmelnd)</i></p> + +<p>Zu mir will der Mensch? Warum will der Mensch +gerade zu mir? <i>(Steckt die Papiere heimlich ins Kuvert zurück und +geht erregt im Zimmer umher)</i> Was kann man da machen? Was —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Allen hilfst du! Jeder Verbrecher kann zu deiner +Türe kommen. Hilf doch auch dem Kinde!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, leicht gesagt! ... Wie?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Rede mit Göttlingk wegen Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich <em>hab</em>' mit ihm geredet. Zwingen kann ich ihn +nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Erst wollt' er noch auf die Wanderschaft. Fünf Jahre +ist er weg gewesen. Als Herr ist er wiedergekommen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Herr? ... Künstler! Künstler is er geworden. Dieser +wüste Kerl kann mehr als ... Seinethalben braucht' ich +gar keine Bildhauer mehr. Den schwierigsten Auftrag kann +ich annehmen, seit er da ist.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_22" id="Seite_22">[S. 22]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vater, sprich mit ihm. Nun wird sie auch noch den +Schmerz erleben mit dem Alten. Ich mag das Elend +nicht mehr mit ansehn.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Er sagt, er kann noch nicht. Er hat noch Höheres vor.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Je Höheres er vorhat, desto schlechter wird sie ihm.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Komm' ich ihm grob, dann wirft er mir den Meißel +vor die Füße. Na und dann? ... Weißt du: Sprich du +mit ihm.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Ich? ... Nein, nein, nein.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vaterchen — das — kann ich nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Siehst du. Man kann manches nicht. <i>(Es klopft)</i> +Herein.</p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Eichholz</span><br /> +</p> + +<p class="directive2">(Eichholz: Ende der Sechzig, knickbeinig, würdevoll-finster, mit militärischem +Anflug, alter Schwadroneur, fast weißes, buschiges Haar, Rundbart mit +ausrasierter Oberlippe, Bratenrock mit Ordensschnalle und eisernem Kreuz)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na Eichholz! Ausgeschlafen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_23" id="Seite_23">[S. 23]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(ihm entgegen)</i></p> + +<p>Großvaterchen! Großvaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(will sie nicht sehen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Pscht! Lenchen! Komm her! Großvater hat keine +Zeit. <i>(Sie beginnt zu sticken. Das Kind spielt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und so feierlich! Was is denn los?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Herr Zarncke — ich möchte — freundlichst — um +meine Entlassung gebeten haben.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Marie einen erfreuten Blick wechselnd)</p> + +<p>Sieh mal an!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn ich habe nämlich in Erfahrung gebracht — daß +die Steinmetzen behaupten — <em>wollen</em>, daß ich gewissermaßen +— meines Amtes nicht mehr gewachsen bin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn im Punkte des Ehrgefühls, da laß ich mir nicht +drankommen. Und wenn die Steinmetzjungens sich die +Schnauze verbrennen, damit, daß sie nicht wissen tun,<span class="pagenum"><a name="Seite_24" id="Seite_24">[S. 24]</a></span> +was ein gewissenhafter Mann ist, und was ein sehr tauglicher +Mann ist —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nu kohlt er wieder.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und was ein königstreuer Mann ist ... Und wo ich +mir habe in Ihrem Dienste lädiert, daß ich mir habe nämlich +die Schulterblattmuskeln ausgefallen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich weiß, ich weiß, ich weiß.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und wo ich da immer noch ein wollenes Fellchen, wie +man so sagt, ein Puschemauchen, drum herumtrage, wegen +den Reimantismus, wo ich mir auch im Dienste geholt habe.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja — so Nachts auf dem kalten Stein schl— <i>(sich rasch +verbessernd)</i> sitzen — sitzen, das hält der Kräftigste nicht aus.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich? Sitzen? ... Sitzen? Ich — Nachts? Nu sagen +Sie bloß noch, Herr Zarncke, ich hab' auch die Augen zugemacht, +dann kann ich ruhig jehn, mir aufhängen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, na. Sagt ja keiner. <i>(Zu Marie)</i> Was fängste +da an?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wo ich doch schon Kummer genug hab' — mit meine +Tochter — und hier mit — diese — diese — Mestize.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_25" id="Seite_25">[S. 25]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(hebt erstaunt den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wieso Mestize?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu, was ein ungebührliches Kind is — 's is ja schlimm, +daß man das selber sagen muß, — aber das is doch nich +anders, das is doch eine Mestize.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach, Sie haben wohl ein Indianerbuch gelesen?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, so Sonntagnachmittag, wenn ich 'n freien Momang +habe, dann les' ich wohl sehr gerne in de Indianerbiecher.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nu hören Sie mal, lieber Eichholz, alter Kriegskamerad, +wie wär's, wenn Sie sich mal 'n bißchen mehr +Ruhe gönnten?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, ich bin aber ausgeschlafen so gegen zehne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise zu Marie)</i></p> + +<p>Kunststück! ... Nein, nein, ich meine zur Nachtzeit, +Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, wenn man das so ginge, Herr Zarncke. Aber +was 'n gewissenhafter Wächter is und 'n tauglicher Wächter +is, der hat Ohren, sag' ich Ihnen, der hört den Maulwurf +graben zur nächtlichen Stunde, sag' ich Ihnen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_26" id="Seite_26">[S. 26]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Aber von Einbrechern haben Sie heute nacht nichts +gehört — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Hähähähä! Da lach' ick äwwer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p> + +<p>Heute nacht ist nämlich eingebrochen worden, Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(gekränkt)</i></p> + +<p>Fangen Sie nu auch so an, Herr Zarncke, wie die +Steinmetzjungens?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ernst)</i></p> + +<p>Ich muß wohl, Eichholz.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(versteht, fassungslos)</i></p> + +<p>Ach so! <i>(Sein Gesicht verändert sich)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bittend)</i></p> + +<p>Nu sehn Se mal, alter Freund. Sie gehn auf die +Siebzig. Nu schlafen Sie sich doch mal ordentlich aus. +Im Bett. Verstehen Sie. Im ordentlichen Bett.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(kläglich)</i></p> + +<p>Ich kann gar nich im Bett schlafen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werd' ich Ihnen einen schönen, harten Granitblock +in Ihre Schlafkammer schaffen lassen ... damit Sie +Ihre Bequemlichkeit haben ...</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brütend)</i></p> + +<p>Nja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_27" id="Seite_27">[S. 27]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und Not sollen Sie auch nich leiden. Ich setz' Ihnen +'ne Pension aus ... Können auch wohnen bleiben ... +Bei Tag schustern Sie 'n bißchen oder läuten die Pausen +ab oder helfen Ihrer Tochter in der Kantine.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Und gewöhn' mir das Saufen an.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie werden doch nich.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Herr Zarncke, ich bin ein Mann — hochgeehrt — ich +hab' anno 70 immer mit am Offezierstisch gegessen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja ... Ich bin nie 'n Fettschmecker gewesen und 'n +Saufjee, ich hab' noch nich mal 'n Stückschen Käse ins +Schnapsglas getunkt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Schmeckt ja auch gar nich.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Das is nu Ansichtssache, Herr Zarncke ... Aber +wenn man in eine so lausige Beschaffenheit versetzt wird, +daß das Ehrgefühl im Menschen so sehr gekränkt wird, wo +man doch von seinem redlichen Schustergewerbe nichts +mehr übrig hat wie 'n paar Lederabfälle und zehn steifgewordene +Finger ... und ehe man so'ne Schandpanksjohn +annimmt ...</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_28" id="Seite_28">[S. 28]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie sind ja ein ganz beißiges altes Vieh, hören +Sie mal ...</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich ... ich ... hab'... ich ... <i>(Würgt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, Eichholzchen ... Nu si doch man wedder +good, min Sähn.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(befehlshaberisch)</i></p> + +<p>Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Nein, nein, das Kind bleibt hier.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich und Lenchen — wir gehn jetzt aus'm Haus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn Sie aus dem Hause gehen wollen, Eichholz, +dann kann ich nichts dagegen haben — das heißt, Sie +werden sich ja noch anders besinnen —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Na, glauben Sie, geehrter Herr, ich werd's mit ansehn, +daß irgend so ein hergelaufener Sch — Schlump +jetzt sagen kann, ich bin dem weggejagten Alten da — sein +Nachfolger. Das — nee — nee — nee! Ich hab' noch +'ne kleine Nachrechnung, Herr Zarncke. Wegen ein paar +reparierte Absätze, die schenk' ich Ihnen, Herr Zarncke. Ich +arbeit' nich mehr für Sie ... Guten Morgen, Herr +Zarncke. <i>(Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_29" id="Seite_29">[S. 29]</a></span></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Zarncke. Marie. Lenchen. Später Lore</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verzweifelt)</i></p> + +<p>Na — nu is er rabiat. Nu geht er sausen. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Du warst milde genug, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, wenn's Maschinen wären. Aber jeder is 'n +Mensch. Jeder hat sein Schicksal.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>In sich, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wenn das wahr wäre, dann wär' ich nicht schon so +vielen ihr Schicksal gewesen ... In sich! ... Spreu sind +wir im Winde. Es kommt nur drauf an, von wo er bläst ... +Na — vielleicht kann man's an einem andern wieder gutmachen. +<i>(Nimmt die Papiere)</i> Da wird heute einer kommen. +So einen hatten wir noch nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was hat er denn pekziert?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Frag nicht. Nachher drückt's dich.</p> + +<p class="actor"><b>Lores Stimme</b> <i>(draußen rufend)</i></p> + +<p>Lenchen! Lenchen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_30" id="Seite_30">[S. 30]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(aufhorchend)</i></p> + +<p>Das is Mama. Ich will zu Mama.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(das Fenster öffnend, durch das diesmal kein Geräusch hereindringt)</p> + +<p>Das Kind is bei mir drin, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nach der Uhr sehend)</i></p> + +<p>Alles still? Is schon Frühstückspause?</p> + +<p class="actor"><b>Lores</b></p> + +<p class="directive2">(Kopf erscheint in der Fensteröffnung)</p> + +<p>Dank' schön, Fräulein Mariechen. <i>(Zu Lenchen, die die +Arme ausstreckt, sich vorbeugend)</i> Na, hopp!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du kannst mal 'reinkommen, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wenn ich darf, Herr Zarncke. <i>(Verschwindet)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(schließt das Fenster und beruhigt Lenchen, die weinen will)</p> +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und findet sich der Mann hier 'rein — der Mann +von diesem Brief — Biegler heißt er — dann schick ihn +nicht ins Komptor, dann laß mich lieber rufen. <i>(Es klopft)</i> +Herein!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erscheint in der Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, Lore, ich muß dir was sagen: Vater is von +heute ab —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_31" id="Seite_31">[S. 31]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(Mitte der Zwanzig. Hübsch, vollkräftig mit Spuren seelischen Leidens. +Sprechweise bald ohne Grund erregt, bald scheinbar teilnahmslos. Bewegungen +müde, schwerfällig, jäh in Leidenschaftlichkeit umschlagend. Helle, +schlichte Sommerkleidung des Mädchens aus dem Volke, ein wenig über +dem Habitus der Dienerin stehend)</p> + +<p>Ich weiß schon, Herr Zarncke. Es ging ja schon lang' +nich mehr.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, Gott sei Dank, daß ich mich bei dir nicht zu entschuldigen +brauch'.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie! <i>(Beugt sich rasch nieder, um ihm die Hand zu küssen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, na, na! Und wegen Unterhalt, da — <i>(Beruhigt +sie mit einer Handbewegung)</i> Aber stell ihm die Kümmelflasche +höher. Das rat' ich dir, Kind! <i>(Klopft sie auf die Schulter. Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b> <i>(die Arme hochhebend)</i></p> + +<p>Mama! Mama!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(ihr mit dem Schürzenzipfel den Mund putzend)</p> + +<p>Ich hab' immer Angst, daß ihr ein Steinsplitter ins +Aug' fliegt.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach, sie passen schon auf. Sie haben sie ja alle lieb.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja ... Die andern ja. — Bloß der der nächste +dazu is —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Er wird's nicht zeigen wollen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_32" id="Seite_32">[S. 32]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gestern hat ihr einer 'ne Wippe zurechtgemacht. Und +wie er vorbeikommt, da ruft sie ihn an, er soll sie schaukeln. +Da hat er sie weggeschoben — na wie? 'n jungen Hund +schiebt man nich so.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Das hängt anders zusammen, Lore. So schlecht ist +kein Mensch. Und er sicherlich nicht. Sicherlich nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wenn Sie alles wüßten, Fräulein Mariechen. —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Kannst ruhig »du« sagen. Es hört uns keiner.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, ich verdien's ja nich ... Warum rührst du mich +an? Warum gibst du dich ab mit mir? <i>(Verbirgt den Kopf an +ihrer Stuhllehne)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sie streichelnd)</i></p> + +<p>Na, na, Lore. Als du so groß warst wie die, da hab' +ich dich schon gestreichelt. Dabei lassen wir's auch. <i>(Da +Lenchen weinerlich dazukommt)</i> Du, Lenchen, der weiße Bär ist +ein Eisbär. Und den bind mal nu an die Leine. <i>(Reicht +dem Kinde eine Porzellanfigur und ein Garnknäuel)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, Lenchen, tu das.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(fängt beruhigt von neuem zu spielen an)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_33" id="Seite_33">[S. 33]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und laß uns mal vernünftig reden. Was versteckst +du dich? Warum sagst du nicht ganz offen, daß er der +Vater ist?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verängstigt)</i></p> + +<p>Gott, wie kann ich denn? Er hat's doch verboten.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Warum läßt es dir verbieten?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Als er im Herbst von der Wanderschaft kam, da sagt' +er zu mir: »Willst du, daß ich wieder eintrete auf dem +Platz?« Ich glaub', ich hab' ihm noch die Hände geküßt +in meinem Glück ... Aber eine Bedingung hatte er dabei. +»Mund halten,« sagt' er, »daß keiner was erfährt.« ... +Die's von früher wußten, waren inzwischen weg. Bloß +der Polier ... Und das ist sein Freund. Vater hat er +auch in der Tasche ... Und nun beiß' ich mir rein die +Zunge ab Tag für Tag und denk': Endlich muß das +Schweigen doch ein Ende nehmen. Aber es geschieht +nichts ... Er kommt in die Kantine. Ganz vergnügt. +Bloß nicht allein. Da hütet er sich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was soll er zu dem allem aber für 'n Grund haben?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ich denk' mir, er hat eine andere im Sinn.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(erschreckt, beklommen)</i></p> + +<p>Wen denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_34" id="Seite_34">[S. 34]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vielleicht hat er sich eine aus Mailand mitgebracht, +vielleicht — ach, wer kann wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(auf Lenchen weisend)</i></p> + +<p>Und du meinst, daß auf'm Platz keiner was ahnt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Die denken sich schon ihr Teil. Aber er tut ja doch +mit allen, was er will ... Er ist mehr Herr auf dem +Platz als der Polier. Da wagt keiner zu mucksen ... +Und wenn er ihnen gar was vorsingt, was er da unten +von den Weibern gelernt hat ... Darauf sind sie <em>rein</em> +doll ...</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(träumerisch)</i></p> + +<p>Ja, schön singt er! ... Ach, Lore, was bist du dumm! +<i>(aufschluchzend)</i> Da spielt dein Kind! Dein Kind spielt da. +Und du jammerst.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Mariechen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich zusammenraffend)</i></p> + +<p>Ach, es ist der Frühling ... Es ist der ... Der +macht einen ganz ... Und du jammerst.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit wehem Lächeln)</i></p> + +<p>Ich jammer' ja auch nich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber du schleichst 'rum und quälst dich mit deiner +Schande. — Schande! Was ist Schande? ... Unser Leib +ist ein Tempel ... Und Gebären ist Gottesdienst ... Nur +wenn der Tempel im Bau verpfuscht wurde, dann ist es +schlimm ... dann kommt der Frühling, und das Amselweibchen +baut, und man selbst ist schon Ruine.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_35" id="Seite_35">[S. 35]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Du kannst auch noch glücklich werden, Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ich möcht' schon ... Aber wer wird vorliebnehmen mit +mir? ... Und ich bin so mutig da drinnen! ... Ich möcht' +was verpflanzen von mir in dich. Daß du den Kopf wieder +hebst. — Nicht mehr wie 'n Stein bist in deinem Gram.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lacht bitter)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit sich kämpfend)</i></p> + +<p>Du — soll ich — reden mit ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Du — mit ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne Hoffnung)</i></p> + +<p>Ja, wenn du das willst. Aber noch nicht ... Wart +lieber noch ... Vielleicht, daß er <em>doch</em> —</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(stockend)</i></p> + +<p>Es wird mir — ja nicht — leicht fallen ... Ich kenn' +ihn ja auch kaum mehr — den großen Herrn ... Aber +wenn man was <em>sehr gerne</em> will, dann wird man's doch +auch — können. — Na, freut's dich gar nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die Hand mutlos vor die Stirne legend)</p> + +<p>Ach! ... <i>(Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Herein!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_36" id="Seite_36">[S. 36]</a></span></p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Jakob Biegler</span> +</p> + +<p class="directive2">(Jakob Biegler: Mitte der Dreißig, sehr dürftig, doch nicht schmutzig gekleidet, +Hose von grauem Bauernvelvet, vielfach geflickt und zu kurz. Altes, +blankgewordenes Jakett, gleichfalls geflickt, darunter braune Strickweste. +Defektes Schuhwerk. Wäsche nirgends zu sehn. — Gelbes, zermürbtes +Gesicht mit scheuen Augen und kurzem, wildwachsendem Blondbart. Auftreten +gedrückt, verhetzt, bisweilen in verzweifelte Rauheit umschlagend)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Guten Morgen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Sie wünschen meinen Vater zu sprechen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Herrn Zarncke — möcht' ich sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Heißen Sie Biegler?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(betroffen)</i></p> + +<p>Ach so! — Sie wissen schon. Na — dann — <i>(Macht +eine halbe Wendung zur Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p class="directive2">(ist zu ihm gegangen und streckt die Hand empor)</p> + +<p>Guten Tag!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(seinen Seelenzustand erkennend)</p> + +<p>Mein Vater hat gesagt, wenn jemand mit Namen +Biegler kommt, dann möcht' ich ihn rufen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erleichtert)</i></p> + +<p>Ja, der bin ich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_37" id="Seite_37">[S. 37]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Nu sag doch: Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht das Kind, ein leeres Lächeln geht über sein Gesicht. Er weiß nicht, +was tun)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sie leise zurückrufend)</i></p> + +<p>Lenchen!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nehmen Sie's als gute Vorbedeutung, daß dies Kindchen +Sie willkommen heißt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sie groß an, versteht nicht)</p> + +<p>Erst — muß — ich — Herrn Zarncke — sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufstehend)</i></p> + +<p>Lore, klopf, bitte, im Vorbeigehn bei Vater an <i>(leiser)</i> +und bring dem was zu essen. Er hat's nötig.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p>Komm, Lenchen. <i>(Mit dem Kinde ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nehmen Sie so lange Platz, bitte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich kann auch stehen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_38" id="Seite_38">[S. 38]</a></span></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Zarncke</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(alleingeblieben, wagt sich nicht zu rühren, nur seine Augen wandern umher)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Bieglers Papieren in der Hand)</p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in straffer Haltung, wie er's im Zuchthause gewohnt war)</p> + +<p>Melde Jakob Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is gut, is gut. Sie sind hier nicht im Gefängnis. +Der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangener hat +Sie mir zugeschickt. Stehen Sie unter seiner Fürsorge?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie lange sind Sie 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Vier Monate zehn Tage.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Fünf Jahre haben Sie abgemacht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wegen was?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_39" id="Seite_39">[S. 39]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na — wegen was?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(auf die Papiere weisend)</i></p> + +<p>Steht ja da drin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(fixiert ihn, um sein Schamgefühl zu prüfen)</p> + +<p>Da steht nur der Paragraph. Den kenn' ich nicht auswendig.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen)</i></p> + +<p>Na, ich sprech's nich aus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werd' ich im Strafgesetzbuch nachsehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn Sie wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht zum Bücherschrank, schlägt ein Buch auf und liest)</p> + +<p>Hm. Schlimm. Schlimm.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schlimm. <i>(Pause)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wie is es denn gekommen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wie das so kommt, wenn ein Weib dabei ist.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Aha ... Haben Sie's gut gehabt in Sonnenburg?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_40" id="Seite_40">[S. 40]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Man war ja mit mir zufrieden.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ersparnisse gemacht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jawohl. Fünfundsechzig Mark fünfzig Pfennig.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Noch was da?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Dann säh' ich nich so aus, Herr — Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hat der Verein Ihnen keine Arbeit besorgt?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Zweimal haben sie mich aufs Land geschickt. Einmal +als Hofgänger, das zweite Mal als Kuhfutterer.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na — und?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ausgerissen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in erregter Verteidigung)</i></p> + +<p>Ich hielt nicht aus. Ich — ich — ich —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werden Sie auch bei mir nich aushalten.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_41" id="Seite_41">[S. 41]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hier steht: auf Ihre besondere Bitte schickt man Sie +zu mir. Was wollen Sie gerade bei mir?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie nicht antworten ... Was sind Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zaudernd, nach innerem Kampfe)</p> + +<p>Steinmetz.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach so! — <em>Darum</em>! Hier steht doch — Arbeiter. +<i>(Sieht nach)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Weil ich als Arbeiter gegangen bin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum denn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer wird mich nehmen — als Steinmetz?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie hätten doch probieren können!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Probiert hab' ich genug.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und überall abgewiesen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_42" id="Seite_42">[S. 42]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Einmal wurd' ich eingestellt ... Zwei Tag' später kam's +'raus. Da lag ich schon auf der Straße.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum sind Sie denn nicht schon früher zu mir gekommen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wußten Sie, daß ich Strafentlassene nehme?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, die Herren haben's mir gesagt.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wollten Sie nich?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zögernd)</i></p> + +<p>Nein.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt)</i></p> + +<p>Nachher wird's doch nichts — — —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und jetzt wollen Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Als Steinmetz will ich auch nicht. Nich als Steinmetz. +— Wenn ich bloß 'ne Arbeitsstelle hätte, als Schleifer oder +beim Flaschenzug, wo keiner was fragt.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_43" id="Seite_43">[S. 43]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich werd' mit dem Polier sprechen. Wenn ich drauf +besteh' — Sie können auch als Steinmetz eintreten.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verängstigt)</i></p> + +<p>Nein, nein, nein ... dann kommt's 'raus ... dann is +wieder alles ... Bloß auf den Werkplatz will ich ... Bloß +w—wenn ich den — Klippelschlag hören kann. Bloß von +weitem.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie waren wohl ein <em>guter</em> Steinmetz?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach! <i>(Zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(voll wärmerer Anteilnahme)</i></p> + +<p>Hm. <i>(Es klopft)</i> Herein.</p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lore</span> (mit einem Teller, worauf Butterbrot)<br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke, Fräulein Mariechen hat +befohlen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Essen Sie.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gierig nach dem Teller sehend)</p> + +<p>Danke! Ich hab' — keinen — Hunger.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise, mitleidig)</i></p> + +<p>Essen Sie nur.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_44" id="Seite_44">[S. 44]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(blickt sich scheu um, will ein Butterbrot nehmen, sieht Zarncke fragend an)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, ja, Sie dürfen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und schlingt das Butterbrot herunter)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, Lore, hol mal das Wasserglas.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(holt das Wasserglas vom Nähtisch)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(Rotwein eingießend)</i></p> + +<p>Bring ihm das. — Übrigens: wie trägt's denn der +Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott, Herr Zarncke, er schimpft ... Ja, was ich fragen +wollte: darf er den Dienst noch tun, bis ein Nachfolger +da ist?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit einem Blick nach Biegler hin)</p> + +<p>Nachfolger hab' ich schon.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(dem Blick folgend)</i></p> + +<p>Ach so.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gefällt er dir?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, is 'n armer Mensch!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sag's nicht, wie du ihn hier gefunden hast.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nein, nein. <i>(Stellt das Glas neben Biegler, ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_45" id="Seite_45">[S. 45]</a></span></p> + + +<h3>Zehnte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(würgt eiligst den letzten Bissen hinunter und stellt sich in Positur)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie dürfen auch 'n Schluck von dem Wein trinken.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. <i>(Äugt zweifelnd nach dem Glase)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Haben Sie keinen Durst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Erst geben Sie mir — Wein zu trinken, und dann +nehmen Sie mich <em>doch</em> nich. Hä.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Erst trinken Sie mal.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(dreht sich der Wand zu und trinkt zögernd, verstohlen)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Auf den Steinmetzplatz <em>wollen</em> Sie. Aber gewissermaßen +im verborgenen. So daß keiner was erfährt, daß +Sie keinem Rede zu stehen brauchen — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>So was Schönes gibt's ja nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_46" id="Seite_46">[S. 46]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Vielleicht <em>doch</em>. Wollen Sie Wächter werden bei mir +auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in staunendem Nicht-glauben-wollen)</p> + +<p>Herr Zarncke!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das is doch 'n Vertrauensposten.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ja, das is es.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Da müssen manche sogar Kaution stellen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(bejahend)</i></p> + +<p>Hm ... Und wenn Sie Mittags ausgeschlafen haben, +können Sie unter den Arbeitern mithelfen ... da fragt +Sie keiner ... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wird ja nicht lange dauern —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das wird ganz von Ihnen abhängen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Dann kommen die Schutzleute — und recherchieren ... +Und dann is aus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie wissen doch, daß solange der Verein die Fürsorge +für Sie übernimmt, die Polizei sich mit Ihnen nichts zu +schaffen macht.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_47" id="Seite_47">[S. 47]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(fatalistisch)</i></p> + +<p>Die Schutzleute — kommen doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Zu mir nicht ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die Schutzleute kommen doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So hören Sie doch. Hierher kommt kein Schutzmann +recherchieren. Das hab' ich mir ein für allemal verbeten. +Und daß die Herren vom Verein, wenn <em>die</em> kommen, Sie +nicht verraten werden, das können Sie sich doch denken. +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das wär' ja ein solches Glück, wie man sich gar nich — +<i>(Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht zur Tür und öffnet sie)</p> + + +<h3>Elfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Jenisch</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(ihm den Eintritt versperrend)</i></p> + +<p>Was gibt's?</p> + +<p class="actor"><b>Jenisch</b> <i>(vom Hausflur her)</i></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke — die Polizei is da — +wegen —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zuckt heftig in die Höhe und macht eine unwillkürliche Bewegung, als +wolle er sich verstecken)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_48" id="Seite_48">[S. 48]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is gut. Soll 'n Augenblick warten. Komme gleich. +<i>(Schlägt die Türe zu)</i></p> + + +<h3>Zwölfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na ruhig, ruhig, ruhig!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich wild umschauend)</i></p> + +<p>Die Schutzleute kommen überall — die —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Unsinn! Diese Nacht is eingebrochen worden bei mir. +Deshalb kommen sie. Und eben deshalb sollen Sie auch +Nachtwächter werden. Verstanden?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(würgend)</i></p> + +<p>Herr Zarncke — ich muß — ich — dank' Ihnen auch +schön fürs Glas Wein ... ich ... kann nich in Dienst ... +ich muß — wieder weg.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p> + +<p>Ja, zwingen kann ich Sie nich ... <i>(Nach einem Schweigen)</i> +Haben Sie denn andere Arbeit in Aussicht?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verneint)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wer nicht Arbeit hat von euch, wird abgeschoben von +der Polizei ... Unbarmherzig ... Wissen Sie das?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bejaht)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_49" id="Seite_49">[S. 49]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na und dann?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Schließlich zieht der Verein auch noch seine Hand von +Ihnen — und was dann?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt die Achseln)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(plötzlich seinen Ton ändernd)</p> + +<p>Nu komm mal her, min Sähn. Komm, komm, komm, +komm. <i>(Zieht ihn nach vorne)</i> Bienchen hast du doch keine?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schüttelt den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na dann setz dir mal. <i>(Zieht ihn in einen Stuhl)</i> Du bist +nu man büschen verbiestert, min Sähn ... Wat dir da im +Kopp spukt, das will ich gar nich wissen ... Is auch ganz +egal. Nu laß man schon büschen sorgen für dich. <i>(Strenge)</i> +Und jetzt geschieht folgendes: Du kriegst mal zuerst 'n Anzug +von mir ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(an sich niedersehend, freudig)</p> + +<p>Ja, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Du, du hast ja gar nich mal 'n Hemde an!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig, voll Ehrgefühl)</i></p> + +<p>Jawohl — hab' ich. <i>(Reißt, um das Hemde zu zeigen, die +Strickweste auf)</i> Da! <i>(Beschämt)</i> Bloß — Kragen hab' ich nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_50" id="Seite_50">[S. 50]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Also das kriegste alles auch. Und 'n warmen Mantel. +Denn Nachts is noch kalt ... Und dann kriegst du 'ne +Pfeife und 'ne Schnarre. Und die Kontrolluhren, die bis +zum Abend ankommen, die erklär' ich dir. Wohnen tust du +drüben im Sägewerk. Und essen tust du in der Kantine +bei der Lore, die dir das Butterbrot gebracht hat. Verstehste?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(wie vorhin)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und nun kümmerst du dich um Dodt und Deiwel nich +mehr. Und so wollen wir langsam wieder 'n Menschen +aus dir machen. Hä?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt willenlos)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na also.</p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br /> +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_51" id="Seite_51">[S. 51]</a></span></p> + + + + +<h2>Zweiter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Der Werkplatz. Links das <span class="gesperrt">Wohnhaus</span> mit vorspringender +<span class="gesperrt">Veranda</span> und einem Balkon darüber, zu dem aus dem +oberen Stockwerk eine Glastür führt. Zu ebener Erde ein +Fenster. Rechts die <span class="gesperrt">Kantine</span> mit einer Tür in der Seitenwand +und einem nach der Rampe zu gerichteten Fenster, +vor dem eine Bank steht. Hinter der Kantine, ein wenig +vorspringend, das <span class="gesperrt">Magazin</span>, mit einer Tür und einer daneben +angebrachten Glocke. — Im Hintergrunde rechtwinklig +zum Magazin ein offener, von Holzpfeilern getragener +<span class="gesperrt">Schuppen</span>, der sich mit seiner Hinterwand an die senkrechte +Erhöhung lehnt, welche den hinteren Teil des Werkplatzes +bildet und zu der in der Mitte des Hintergrundes +eine schmale Treppe emporführt. Links von der Treppe +mehrere hochaufgestapelte Steinblöcke, welche die Höhe des +hinteren Teiles übersteigen. Über einem der Stapel ein +<span class="gesperrt">Kran</span>. Eine schmale <span class="gesperrt">Feldbahn</span> zum Transport der Blöcke +führt an den Stapeln, der Treppe und dem Schuppen +vorüber quer über die Bühne. Blöcke liegen überall verstreut. +An den Wänden des Schuppens und der Häuser +stehen und hängen, wo nur ein Platz sich findet, Gipsmodelle: +Figuren, Reliefs, Ornamentstücke. Die Veranda ist mit +Schlingpflanzen bewachsen, ein Baum neigt sich über ihr +Dach. Das Kantinenfenster schmücken Blumentöpfe. Den +<span class="gesperrt">Prospekt</span> bildet eine großstädtische Häuserreihe, die jenseits +der am Werkplatz entlangführenden Straße gedacht ist. Ein +Kirchturm ragt aus der Ferne herüber</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1">(Beim Aufgehen des Vorhangs zeigt der Platz ein überaus +reiches Arbeitsleben. Vor den Blöcken arbeiten <span class="gesperrt">Steinmetzen</span><span class="pagenum"><a name="Seite_52" id="Seite_52">[S. 52]</a></span> +oder <span class="gesperrt">Bildhauer</span>, die ersteren mit blauer Schürze, +die letzteren mit langem, weißgrauem Kittel und Papier- +oder sog. Raffaelmütze bekleidet. Der Kran ist im Gange. +Niedrige Wagen transportieren Blöcke vorüber. Hilfeleistende +<span class="gesperrt">Arbeiter</span> in beliebigem Werktagsanzug. Mittagsstimmung)</p> + +<p class="directive1">Vorne rechts <span class="gesperrt">Göttlingk</span> in Steinmetzentracht vor einem +Blocke — ein Gipsmodell daneben. Der Polier <span class="gesperrt">Willig</span> an +einem anderen Blocke, messend. Unter den Arbeitern, die +sich hinten zu schaffen machen, <span class="gesperrt">Lohmann</span>, <span class="gesperrt">Sprengel</span>, +<span class="gesperrt">Struve</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(stämmig, mittelgroß, Stiernacken, blonder, schön geringelter Schnauzbart, +Haar in geschniegeltem Bogen in die Stirn heruntergestrichen. Spielt den +Kraftmenschen, großsprecherisch, übermütig, brutaler Charmeur. Er arbeitet +mit Meißel und Klippel und singt dazu)</p> + +<p>Na — nun kommt auch noch die Sonne angekrochen. +He, ihr Zitronenschleifer da hinten, hab' ich euch nich gesagt, +ihr sollt mir den Block in den Schuppen schaffen? — +Lohmann, Sprengel, ihr andern, immer 'ran!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Du, Göttlingk, schnauz hier nicht so viel. Sag's +lieber mir.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Du hast mir gar nischt zu befehlen, mein Sohn.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Und du hast denen nischt zu befehlen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn sie so dumm sind und gehorchen. <i>(Lohmann, +Sprengel und ein dritter Arbeiter sind nach vorn gekommen)</i> Da, wie +sie anhampeln! Hab du sie man so an der Strippe wie +ich. <i>(Befehlshaberisch)</i> Also nu los!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_53" id="Seite_53">[S. 53]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Warten Sie man bißchen, hochgeborner Herr. Zehn +Finger hat jeder zu verlieren. <i>(Stemmt ein Brecheisen ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Brecheisen weg! Ihr werd't mir die Kanten abstoßen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Ohne Brecheisen geht's nich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So? Hä! Wenn ihr man stramme Kerls wärt, ihr +Volk ... <i>(Faßt mit an)</i> <span class="antiqua">Uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt +weiter)</i> Na, geht's oder nich?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie so scheen ausländsch kommandieren! +Sagst du zum Hund »kusch«, dann kuscht er. Bloß weil +er's Franzesch so gern hat.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Noch mal: <span class="antiqua">uno</span> — <span class="antiqua">due</span> — <span class="antiqua">tre</span>! <i>(Der Block rückt wieder)</i> +Ja, ja, Kerlchens. Grips im Kopp und Marks in de +Knochen. Das ist die Hauptsache.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Und 's Messer im Sack nich zu vergessen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Lassen Sie man mein Messer in Ruh, mein alter +Sohn. <i>(Zieht ein Dolchmesser aus einer Lederhülse, die er am Leibgurt +unter dem Kittel befestigt hat)</i> Das is dreikantig geschliffen.<span class="pagenum"><a name="Seite_54" id="Seite_54">[S. 54]</a></span> +Das schlupft <i>(schnalzt, das Messer vorstoßend, mit den Lippen)</i> wie 'n +Küßchen ... Tut gar nich weh. Will einer probieren?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p class="directive2">(der mißbilligend zugehört hat)</p> + +<p>Du — Göttlingk!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(zu ihm herübertretend)</i></p> + +<p>Hä?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(hinter ihm her, ingrimmig)</i></p> + +<p>So 'n Paradehengst! <i>(Die andern lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Mach dich nich immer mit den Kerls gemein. Laß +sie ihre Arbeit verrichten. Und damit gut!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(großspurig)</i></p> + +<p>Pöh! Ich bin nu mal so 'ne leutselige Natur.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Mußte immer Bewunderer haben?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(wendet sich lachend zum Stein zurück und kommandiert weiter)</p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span> (ist aus der Veranda getreten)<br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Polier!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(respektvoll)</i></p> + +<p>Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is was zu melden?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_55" id="Seite_55">[S. 55]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Nein, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was tut der Kran da?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er holt die Quadern fürs Sägewerk.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bis morgen abend muß auch der Oberkirchner Block +dort an der Treppe 'runtergeschafft werden, damit er Montag +in Arbeit genommen werden kann.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Sehr wohl, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie is die Verteilung heute?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Elf Steinmetzen auf'm Platz, fünfzehn draußen auf'm +Bau, vier Bildhauer auf'm Platz, sechs auf'm Bau.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wo is der Göttlingk heute?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Da is er ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(den Stein betrachtend, dessen senkrechte mit Ornamenten bedeckte Seite +jetzt oben liegt)</p> + +<p>Donnerschock! <span class="antiqua">Per Bacco!</span> Den ganzen Dreckplatz soll +der Deiwel holen! Du, Polier, komm mal her.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_56" id="Seite_56">[S. 56]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was schimpfen Sie denn heute so wild um sich, +Göttlingk?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(lüftet einigermaßen verlegen die Mütze)</p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke, aber das soll wirklich der +Deibel holen. Wie ich den Block drehen lass', da seh' ich, +daß von gestern auf heute eine fremde Hand daran 'rumgemurkst +hat.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(stutzt, ein Verdacht steigt in ihm auf)</p> + +<p>Ach, Sie werden sich täuschen. <i>(Tritt hinzu)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Weil mir das schon einmal passiert war, hab' ich mir +zu Feierabend immer 'n Zeichen gemacht ... Da, bitte!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(den Stein betrachtend)</i></p> + +<p>Von dem Blaustrich an?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(nachdenklich, lächelnd)</i></p> + +<p>Hm. So! — Das is aber nich schlecht gemacht. Da +ist Schwung drin. Wenn sich die Heinzelmännchen extra +für Sie bemühen, Göttlingk!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn ich das Heinzelmännchen treff', dann gibt's eins +zwischen de Rippen ... Was is das für'n Nachtwächter, +der Kerl, der jetzt Nachmittags hier 'rumschleicht, wenn er +so was zulassen kann? ... Das ist schlimmer wie Einbruch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_57" id="Seite_57">[S. 57]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(der abzulenken sucht)</i></p> + +<p>Was hat denn der Nachtwächter damit zu tun? Wenn's +finster is, kann man nich arbeiten.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Verzeihung, Herr Zarncke. Um fünfe, da is es schon +lang hell.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(beruhigend)</i></p> + +<p>Ich werd' den Mann hernach mal fragen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(murmelnd)</i></p> + +<p>Das besorg' ich schon selber.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(mit Willig nach vorne kommend)</p> + +<p>Sagen Sie mal, Polier, wie macht sich der Nachtwächter +im übrigen auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Der Mann ist fügsam und ordentlich und kann sich +an Fleiß nicht genug tun. Aber — schwach, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Tja!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Und dann — 'n bißchen sonderbar.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Inwiefern? <i>(Ringsum ertönen Mittagssignale)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er hält sich immer abseits. Gibt kaum Antwort. +Manche fangen ihn schon zu verulken an.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_58" id="Seite_58">[S. 58]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dulden Sie das nich, Willig!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Ja, da kann ich nich viel machen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Warum läutet denn der Eichholz nich Mittag? +Eichholz!</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(zur Kantinentür laufend)</i></p> + +<p>Eichholz!</p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen</span>. <span class="gesperrt">Eichholz</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(angeheitert)</i></p> + +<p>Haben bloß zu befehlen, Herr Zarncke! Wie der Blitz +bin ich da — ja! <i>(Läutet die Glocke, die am Magazin hängt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sieht kopfschüttelnd zu)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Er is jetzt immer im halben Dusel.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(sich umschauend)</i></p> + +<p>Na — schläft der — faule Hund — noch?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Möchten Sie nu mal den Frauen das Tor aufschließen?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(brummend nach links)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Nu geht er noch in die Destille!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Is das ein Elend!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_59" id="Seite_59">[S. 59]</a></span></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Mehrere Frauen.</span> Später <span class="gesperrt">Lore</span><br /> +</p> + + +<p class="directive2">(Sämtliche Arbeiter haben ihre Werkzeuge niedergelegt, einzelne gehen zu +den Wasserleitungshähnen, die im Schuppen angebracht sind und waschen +sich. Andere holen dicke Butterstullen und Blechkannen hervor und beginnen +zu essen. Frauen kommen von links mit Eßkörben und begrüßen +ihre Männer. Einzelne haben auch ihre Kinder mitgebracht, die sich mit +den Eltern um den Eßkorb gruppieren)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(begrüßt eines und das andere, teilt Bonbons aus, wünscht den Frauen +»Guten Tag« und spricht einige Worte zu den Männern)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(erscheint in der Tür der Kantine und geht zu verschiedenen der Bildhauer +und Steinmetzen)</p> + +<p>Bitte zu Mittag. — Bitte zu Tisch. — Zu Tisch +möcht' ich bitten. <i>(Lauter)</i> Wem kann ich Bier 'rausschicken?</p> + +<p class="actor"><b>Einzelne Stimmen</b></p> + +<p>Hier. Ich. — Mir eins.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zählt die Stimmen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(betrachtet murrend seinen Block)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(an ihn herantretend, leise zaghaft)</p> + +<p>Kommst nich auch, Eduard?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(sich umschauend, unwirsch)</i> +Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst mich nich »du« +nennen auf'm Platz?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> +Verzeih! Ich hab' vergessen. <i>(Zur Kantine ab)</i></p> + +<p class="directive2">(Verschiedene Bildhauer und Steinmetzen gehn zur Kantine, darunter +Göttlingk)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_60" id="Seite_60">[S. 60]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gehn Sie auch zu Tisch, Willig. Übrigens hören Sie +mal: Mit dem Struve steht's schlecht. Den wird uns das +Kriminal bald abholen.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ach, schicken Sie ihn mir mal, — ja?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="directive2">(Struve steht von einem hinteren Steine auf, wo er unbemerkt gesessen +hat. Willig spricht im Vorbeigehn zu ihm und weist nach vorne, dann geht +er in die Kantine ab)</p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Willig</span>. <span class="gesperrt">Struve</span> (nach vorne +kommend) +</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(Mann in den Vierzigern. Ergrauendes Haar, blank und gelockt. Bartstoppeln. +Verschmitzte Äuglein. Ein Zug drolliger Heuchelei um die +Mundwinkel. Arbeitskleidung mit wollenem Halstuch und Holzpantinen. +Trägt einen Deckelnapf in der einen, eine faustdicke Butterstulle mit +Taschenmesser in der andern Hand. Bei dem Versuch, die Mütze abzunehmen, +fällt ihm das Butterbrot auf die Erde)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sachte, sachte! Nu is die janze Pastete in den Sand +gefallen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(das Butterbrot an den Hosen abwischend)</p> + +<p>Das macht nichts, Herr Zarncke. »Mit ne Ladung +Sand — schmeckt selbst 'n alter Strohsack pikant,« sagten +wir immer uf de hohe Schule.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_61" id="Seite_61">[S. 61]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, nu werden Sie ja bald wieder drinsitzen in Ihre +hohe Schule.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Herr Zarncke, was kann man machen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mensch, wenn's mir nich so leid täte um Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu haben Se man guten Mut, Herr Zarncke ... +Mir hat's auch mal leid getan. Aber nu is schon egal.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Na, sind Sie's nu gewesen oder nich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Zarncke, wenn ich gleich hier meinen Totenschein +in die Hand nehm' —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>So 'n Halunke wie Sie! ... Sie wissen doch, die +Untersuchung geht weiter?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, die Polente schnüffelt ja alle Tage hier 'rum.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sagen Sie mal, können Sie nu wirklich keinen Zeugen +dafür beibringen, wo Sie in den Stunden des Einbruchs +gewesen sind?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was man so nennt: einen Aal-ibi, Herr Zarncke?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_62" id="Seite_62">[S. 62]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Jawohl.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, sehn Sie mal, was 'n wirklich reeller Aal-ibi is — +der kost't nich unter fünfzig Mark. Wo soll ich fünfzig +Mark hernehmen, Herr Zarncke?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>So?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>So 'ne Brieder, die schon wegen Meineid verschütt +jejangen sind, die tun's auch billiger ... Meechens auch. +Aber die kriegen's vor Gerichte hernach mit die Heulerei ... +Nee, das sind alles keine reelle Sachen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, und wenn sie Sie nu gleich mitnehmen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>»Der Gerechte muß viel leiden,« so steht in de Psalmen +geschrieben.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hören Se auf mit Ihre dämliche Muckerei. Glaubt +Ihnen ja doch keiner ... Mensch, Mensch, wie hau' ich +Sie nu 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Hätten gar nicht anzeigen müssen. Sehn Se, nu +sitzen Se drin, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(das Fenster öffnend)</i></p> + +<p>Vaterchen, kommst nich zu Tisch?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_63" id="Seite_63">[S. 63]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Gleich, Miezelchen ... Also ich werd' mal nachdenken. +Vielleicht fällt mir noch was ein.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ganz wie Sie meinen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ulkiges Huhn! ... Hier haben Sie 'ne Zigarre. <i>(Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Danke, Herr Zarncke. <i>(Die Zigarre einsteckend)</i> Ja, ja. +Sie rüsten sich wider die Seele des Gerechten und — <i>(sieht, +daß Zarncke inzwischen weggegangen ist)</i> Ach so! <i>(Setzt sich auf den +vordersten Block, kratzt an seinem Butterbrot und fängt an zu essen)</i></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Struve. Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel</span>, <span class="gesperrt">ein dritter Arbeiter</span>, +die essend auf dem Block hinter ihm sitzen +</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na, wie lange werden sie dich deinen Knast Brot +noch 'runterfuttern lassen, Struve, ehe sie dich inlochen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(achselzuckend)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nachher gibt's zu Mittag wieder »Rumfutsch« und +»blauen Heinerich«. Ei weh.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, babbelt nich von so hohe Sachen. Das +versteht ihr nich.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_64" id="Seite_64">[S. 64]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Der tut sich noch dicke auf sein Zuchthaus.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ob. Da kommt ihr noch lange nich rin. Da +sind bloß <em>feine</em> Leute drin. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Drum heißt es auch die hohe Schule.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Jawoll. Da lernt man was. Hast du überhaupt 'ne +Kleiderbürschte? Die hat mir der Staat immer franko +geliefert. Aus lauter persönlicher Hochachtung ... Oder +gar 'ne Zahnbürschte? Aber ich — siehste! ... Kiek dir +mal an, wie der Dreck an dir 'rumklebt ... Aber <em>wir</em> +machen dort zu Mittag immer Toi—lette. Und Handtuch +tragen wir immer auf'n Arm, da laufen wir den janzen +Tag mit 'rum. Vor lauter Feinheit. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Überhaupt, was bist du hier? Und was bin ich hier? +Und was sind wir alle hier? ... Dreck sind wir. Hoch +über dir kommen erst die Steinmetzen ... und da hoch +drüber die Bildhauer. Und denn <em>noch</em> höher der Polier ... +Und <em>denn</em> gar erst ... ach! Dort hab' ich immer in de +erschte Klasse gearbeit't ... Weiße Binde hab' ich tragen +dürfen. Tischältster bin ich gewesen. Das is mehr wie +der Polier. Das is wie 'n Jeneral ... Das kannste alles<span class="pagenum"><a name="Seite_65" id="Seite_65">[S. 65]</a></span> +werden, wenn de ins Zuchthaus kommst ... Karri—ere +kannste machen. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(singt spottend)</i></p> + +<div class="poem"><div class="stanza"> +<span class="i0">Liebes Kind, nu weine nich,<br /></span> +<span class="i0">Mittags jibt's den blauen Heinerich;<br /></span> +<span class="i0">Stehst du mit dem Schien auf du und du,<br /></span> +<span class="i0">Kriegste auch 'n halben Hering zu.<br /></span> +</div></div> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ja. Verdient euch mal erst 'n halben Schwimmling. +Ihr geht hier zur Lore und schnauzt: Hering — +aber 'n milchernen — mit Zwiebel — viel Zwiebel ... +janzen Berg Zwiebel, und dann schmeckt er noch nich mal +... Ich sag' euch: ... wollt ihr 'n wirklichen duften, +leckern Schwimmling, da müßt ihr in de Anstaltsküche +kommen. Die verstehn det Jeheimnis ... Da kitzelt euch +die Schnauze von — noch Abends beis Einschlafen. So +viel scheener ist da alles. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wenn da alles so viel scheener is, wat machste denn +nich wieder hin?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Da hast <em>du</em> doch freien Angtree.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, ick werd' euch mal was erzählen: Dicht +an de große Außenmauer in Waldheim — da steht nämlich +'ne alte Linde ... Und von de Fisintation aus, was +nämlich der Arbeitssaal is, da siehste 'n janzes kleines +Stückschen von ... Und von'n Spazierhof aus, wo du +immer sechs Schritt hintern Vordermann herzoddelst, <i>(stolz)</i> +bloß nicht wir von de erste Klasse, wir jingen natierlich<span class="pagenum"><a name="Seite_66" id="Seite_66">[S. 66]</a></span> +immer zu zweie — wenn du da — und du huppst in die +Höh', dann siehst wieder 'n andern Stückschen — so sechzig +bis achtzig Blätter, wodran du immer jenau wissen kannst, +was für Jahreszeit is ... Und nun hat uns immer und +ewig der Deibel geplagt, daß wir auch mal den <em>janzen</em> +Lindenbaum sehen wollten, denn der soll nämlich der +scheenste Lindenbaum sein, wo's auf de Welt überhaupt +jibt. Das soll schon in de Geschichtsbicher stehn ... +Na, und wo nu endlich der Tag da is von de Entlassung, +und wo einem das Herz bis in'n Kopp 'raufbummert — +und wo nu das innere Tor aufjeschlossen wird — na, da +is er nu — und da is er 'n janz jemeiner oller, ekliger +Lindenbaum. Na — und so war denn hernach alles — +janze Freiheit.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu — wenn du das nu schon weißt? —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was hilft da viel — wissen. Der Mensch is 'n dämliches +Vieh. Wie ich 's zweite Mal drinsaß, da war der +olle, dämliche Lindenbaum noch viel scheener geworden.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Ja, wenn's so is.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Überhaupt — ihr Schafsköppe mit eure sogenannte +Freiheit! — Geschunden! hin und her geschmissen! Liegste +im Sonnenschein uf ne scheene Planke, kriegste den Holzbock +in de Waden; haste keene Arbeit, kannste jehn den +Chausseegraben austapezieren. Willste mal geradaus — +jeder Mensch will mal geradaus — und als dir kommt<span class="pagenum"><a name="Seite_67" id="Seite_67">[S. 67]</a></span> +nu 'ne verschlossene Tür in de Quere — und du willst +<em>doch</em> geradaus, dann stecken sie dir ins Kittchen. Das +heißt nu Freiheit. Kindersch, ick hust' auf eure Freiheit. +Seine Ordnung muß der Mensch haben. Seine Ordnung +hat der Mensch bloß allein im Zuchthaus.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Mir hat überhaupt bloß <em>eins</em> gefehlt. Dann wär' +ich auch janz komplett jlücklich gewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Das war wohl eene Braut?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p><em>Zwei</em> Brauten?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na was denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(träumerisch)</i></p> + +<p>Das war 'n Rasierspiegel ... Wenn ich <em>den</em> noch +hätt' gehabt — —</p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span> (von rechts) +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(in anständiger Arbeitskleidung. Sein Bart ist gestutzt, sein Aussehen gebessert, +aber sein Benehmen noch scheu und unumgänglich, voll immer +neu aufflackernden Mißtrauens. Er setzt sich auf die Bank vor das +Kantinenfenster)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_68" id="Seite_68">[S. 68]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Kiekt mal den da! ... Was <em>is</em> das eigentlich für +'ne Sorte? Reden <em>tut</em> er nich, »guten Tag« <em>sagt</em> er nich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gewahrend, daß man sich mit ihm beschäftigt, unfreundlich, dumpf)</p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na sagt ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>War auch danach. Guten Tag, hochwohlgeborener +Herr Nachtrat! ... Kommen der Herr Dunkelmann 'n +bißchen de Sonne revindieren?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mensch, nu red doch was!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was soll ich reden?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mach doch 'n Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich weiß keinen Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Der Kerl is trocken wie Galgenholz.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu sag bloß, Mensch, wie amesierste dir nu so die +lange Nacht über? Putzte de Sterne blank? Ziepste dir +an de Barthaare? Wirfste de Meechens, wo auf de Straße +vorbeigehn, Klamotten auf'n Kopp? ... Irgend was muß +der Mensch doch zu tun haben de lange Nacht über!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_69" id="Seite_69">[S. 69]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach, ich hab' immer zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Tranig is das Luder.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wat huckste da uf de Banke? Warum jehste nich ze +Mittag?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Jetzt essen doch die — Steinmetzen. Da kann ich +doch nich auch essen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu dann komm doch mal her so lang ... Na — los!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erhebt sich zögernd)</i></p> + +<p>Was soll ich bei euch?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Trink mal aus meine Buddel. Prost.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Danke. Ich trinke keinen Schnaps.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ach, du bist wohl auch so 'n Pinkelinker? So 'n +Pumpengenie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Sonst habt ihr nichts zu wollen von mir?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Nu huck dir doch mal erst dal. <i>(Zieht ihn auf den Block +nieder)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_70" id="Seite_70">[S. 70]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(weiterrückend)</i></p> + +<p>Setzen Sie sich ruhig in die Sonne, verehrte Schattenpflanze.</p> + +<p class="directive2">(Lachen)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich tu' dir doch nichts, warum uzt du mir?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Ich uz' dir doch gar nich. Ich schmeichel' mir bloß +so an dir ran.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sag mal, Mensch, was biste vorher gewesen? Eh' +du hier Nachtwächter wurdst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erschreckend)</i></p> + +<p>Ich? — Ich bin Arbeiter.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Kirschenpflücker vor de Wintermonate — hä?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Du kommst mir nämlich so bekannt vor, weißte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(angstvoll)</i></p> + +<p>Ich — dir? Nee — daß ich nich —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nich, als ob ich dir kennen tu'. Aber du hast so 'ne +Art ... Bei uns in Waldheim da hatten wir so 'n paar. +Wir nennten se immer »de blamierten Förschten«. — Du, +wo liegt denn dein Förschtentum?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_71" id="Seite_71">[S. 71]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Markgraf von Brandenburg, Fürstbischof von Moabit, +Edler Herr von und zu Sonnenburg.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zuckt zusammen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Du plinkst ja immer so mit 'n rechten Vorderarm.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Laß ihm man in Ruh. Das is 'n guter Kerl ... +der is bloß verschüchtert.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(gutmütig)</i></p> + +<p>Ich mach' ja auch bloß 'n Witz.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Da — willste 'ne Zijarre?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verblüfft)</i></p> + +<p>Wieso — gibst — du mir —?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kannst nehmen ... die is jut ... die hat mir der +Alte vorher geschonken.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(noch immer verwundert, sein Gesicht erhellt sich)</p> + +<p>Na, denn dank' schön ... Ich werd' mir denn auch +später — revanschieren.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p class="directive2">(ihn auf die Schulter klopfend)</p> + +<p>Na, meinen wir's denn nu so beese?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit glücklichem Gesicht)</i></p> + +<p>Nee! Wahrhaftigen Gott nich!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_72" id="Seite_72">[S. 72]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Na siehste! <i>(Nach links weisend, wo Eichholz sichtbar wird)</i> Aber +vor dem Alten nimm dir in acht. Der is dir nich jrien.</p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(vollends angetrunken)</i></p> + +<p>Ich bin ein Mann — hochgeehrt, — ich brauch' nich — +Kartoffelsuppe aus'n Steinguttopp — fressen! Morjen, +die Gesellschaft! Morjen, die hochgeehrte Gesellschaft! +<i>(Biegler bemerkend)</i> Was? — Was will der Hund? Der +schmalbauchige Hund? M — M — Mantel hat er ihm +geschenkt — mit blanke Knöppe — wie 'n Offezier! Was +is der Kerl überhaupt? Wo kommt der verhungerte Kerl her?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Das geht dir jar nischt an. Wenn er man seine +Pflicht tut.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Pflicht tut? Hähähä! Der is bloß zum Rausfuttern +hier. Der is hier auf Eichelmast wie de Nuck-Nuck-Schweinchen. +Wann hab' ich mal blanke Knöppe gekriegt? Kerl, +durch was für Pfiffe und Kniffe bist du auf den Posten +gekommen? Zieh mal vom Leder, du Hund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Lassen Sie mich in Ruh. Ich habe mit Ihnen nichts +zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Was krauchste immer bei meine Tochter 'rum? Dir +jibt se 'n Porzellanteller. Du wirst noch mal — platzen<span class="pagenum"><a name="Seite_73" id="Seite_73">[S. 73]</a></span> +— wie 'n Bovist. Und dann wird man an dem Gestanke +erkennen, wer du bist. Mensch, ich hab' 'ne Faust wie +'ne Ramme! <i>(Dringt auf ihn ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stößt ihn fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(zurücktaumelnd)</i></p> + +<p>Was — hauen — tust du mir alten Mann?</p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span> und <span class="gesperrt">andere Bildhauer</span> und +<span class="gesperrt">Steinmetzen</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Was is hier los?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(keuchend)</i></p> + +<p>H—h—hauen — m—m—ir—!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wer hat den alten Mann gehauen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Is ja alles Blech!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Werd' ich nu bald Antwort kriegen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(kleinlaut)</i></p> + +<p>Hier hat überhaupt keiner gehauen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(mit erhobener Faust)</i></p> + +<p>Der Hund! — der verhungerte — <i>(Einige der Umstehenden +führen ihn nach hinten)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_74" id="Seite_74">[S. 74]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Sieh mal an! ... Kommen Sie mal ran, Sie! +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich tu' hier, was ich zu tun habe. Sie gehn mich +nischt an.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das werd' ich Ihnen mal gleich beweisen. Eins — +zwei — <i>(pfeift)</i></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Da geh man schon. — Jegen den Großschnauz kommste +nich auf.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Der sticht mit's dreikant'ge Messer.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn ich »drei« sag' —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(blaß, schwer atmend)</i></p> + +<p>Sie können — ja auch zu mir kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(pfeifend)</i></p> + +<p>Ich warte.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung, zitternd)</i></p> + +<p>Da lassen — sich man — die Zeit — nich lang werden.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(lachen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(in Wut)</i></p> + +<p>Wer riskiert hier zu lachen? ... Soll ich meine +Pfeife mit euch stoppen, Kerls? <i>(Das Lederfutteral nach vorne +ziehend)</i> Soll ich euch mal die Hühneraugen barbieren? +<i>(Da Lohmann, Sprengel, Struve sich vor Biegler gestellt haben)</i> Aus +dem Weg hier!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_75" id="Seite_75">[S. 75]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(sich umschauend)</i></p> + +<p>Wo is denn der Polier?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jetzt bin ich hier der Polier. <i>(Wild)</i> Aus dem Weg +hier — oder —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(vortretend)</i></p> + +<p>Laßt man. Wegen mir soll hier keiner Ungelegenheiten +haben. —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(befriedigt)</i></p> + +<p>Na, da hätten wir ja das Gewächse. <i>(Setzt sich, raucht)</i> +Immer parieren, Kinderchen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Also ich wär' ja nu da.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das seh' ich. Was den alten Knackstiebel betrifft, +den wollen wir mal auf sich beruhen lassen. Aber wir +haben noch 'n Hühnchen zu pflücken, wir beide. Sie +sind doch der neue, krumme Kerl von Nachtwächter?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Neu bin ich hier ... Krumm bin ich wohl auch.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(auflachend)</i></p> + +<p>Und Nachtwächter auch?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dann kieken sich mal hier diesen Block an. Na — +soll ich Sie bei den Ohren nehmen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_76" id="Seite_76">[S. 76]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p> + +<p>Was — is — denn — mit dem Block?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Sie sind verantwortlich für das, was hier über Nacht +geschieht. Ich frag' Sie: Wer hat da an meinem Block +rumgemurkst?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sehr bestürzt)</i></p> + +<p>Das —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das — weiß ich — doch — nich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Seht euch mal das böse Gewissen an.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Nu sei doch frech! Schmeiß ihm doch Staub ins Gesichte.</p> + + +<h3>Zehnte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Frau Homeyer. Marie</span><br /> +</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(geht quer über den Platz zu der Gruppe hin)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(sich rasch vom Wüterich in den Schwerenöter verwandelnd)</p> + +<p>Oi, da kommt ja hoher Besuch, feiner Besuch, pikefeiner +Besuch. Nu, mein süßes, strammes Frau Homeyerchen, +mein —</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(ihn abwehrend)</i></p> + +<p>Man wird schließlich nich mal mehr unbelästigt auf +den Platz kommen können.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_77" id="Seite_77">[S. 77]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber Kindchen, Puppechen! Sie waren doch sonst +nich so. Ich hab' Ihnen doch manches liebe Mal in +Ihren warmen, sanften Oberarm gekniffen.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und haben immer noch von mir auf die Finger gekriegt.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber gelächelt haben Sie dazu — so sieß! <i>(Schmachtend)</i> +Ach, wie so sieß!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach, Sie sollten sich was schämen. Dort vor der Tür +steht das Fräulein. Das will Sie sprechen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das Fräulein — mich? — Mich — das —? So! +Na! Sie, Nachtwächter, Sie können abrutschen. Aber +Sie werden mir noch Rede stehn. Verstanden? —</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Hab man keine Bange vor dem!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Und wenn du für irgend was 'n Zeugen brauchst, ick +beschwör' alles ... Unbesehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich dank' euch schön.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(dreht eitel seinen Schnurrbart)</p> + +<p>Na, bin ich nu nobel genug fürs Fräulein? <i>(Geht +nach vorne links)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_78" id="Seite_78">[S. 78]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(schaut verliebt hinter ihm her, einer der Steinmetzen umfaßt sie von +hinten, sie schlägt nach ihm, die andern lachen, sie geht nach links)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach der Kantine ab)</i></p> + + +<h3>Elfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Marie. Göttlingk.</span> Die anderen im Hintergrund +</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(ist bebend die Stufen heruntergestiegen und streicht sich, wie um sich Mut +zu machen, mit der Hand übers Gesicht)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(linkisch, mit durchbrechender Frechheit)</p> + +<p>Mahlzeit, Fräulein.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Gesegnete Mahlzeit!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Möchte mir die ergebenste Frage erlauben, womit ich +dem Fräulein dienen kann?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Herr Göttlingk, Sie sind lange weg gewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Jawohl, bißchen de Welt besehen. Aber nu bin +ich schon lange wieder da.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Das freut mich, daß Sie wieder da sind, Herr Göttlingk.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu, das is ja höchst schmeichelhaft für mich. Danke +schön.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_79" id="Seite_79">[S. 79]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(rasch, ängstlich)</i></p> + +<p>Nein, nein, der Lore wegen.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Der Lore wegen. Ach so ... Na, das geht so seinen +Weg.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Was für 'n Weg, Herr Göttlingk?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wissen Sie was, Fräulein Mariechen? Beunruhigen +Sie sich darüber nicht. Da sind Sie viel zu fein zu. — +Das sind solche Geschichten.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Sie wissen wohl gar nicht, Herr Göttlingk, wie lieb +Sie die Lore hat?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Mädchen mit 'n Kind hat einen immer lieb. Dafür +sorgt schon der liebe Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ihn bestürzt anstarrend)</i></p> + +<p>Herr Göttlingk, so schlecht können Sie doch gar nicht +sein. Wenn die andern auch sagen, Sie seien gewalttätig +und — Ich habe Sie immer für einen guten und edeln +Menschen gehalten.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na, macht sich!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und ich weiß, aus Ihrem Singen spricht ein weiches +Herz. Ich habe Ihnen immer mit Freuden zugehört.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So? Na, ich hab' auch sozusagen immer extra für +Sie gesungen, Fräulein Mariechen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_80" id="Seite_80">[S. 80]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tödlich erschrocken)</i></p> + +<p>Wieso — für — mich?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu, weil ich schon weiß, daß Sie dann immer 's +Fenster aufmachen. Also müssen Sie's doch gerne haben. +Ich tu' immer, was Sie gerne haben. Jawohl. Mach' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(außer Fassung)</i></p> + +<p>Es handelt — sich hier — aber gar nicht — um mich.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(in trumpfender Männlichkeit)</p> + +<p>Warum eigentlich nich, Fräulein Mariechen? Warum +soll es sich nich auch 'n mal um Sie handeln?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(sprachlos, ratlos, schließt für einen Augenblick die Augen, dann — da sie +Zarnckes Stimme in der Veranda hört, eilt sie hilfesuchend auf ihn zu)</p> + +<p>Vaterchen! Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(seinen Schnurrbart drehend)</i></p> + +<p>Sieh mal an! Sieh mal an! <i>(Geht nach hinten)</i></p> + + +<h3>Zwölfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Zarncke. Kriminalkommissar +Reitmaier</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, was denn, Miezelchen? <i>(Ruft)</i> Frau Homeyer! +<i>(Sie hängt in seinem Arm, er streichelt ihre Wange und übergibt sie dann +Frau Homeyer, die für einen Augenblick in der Tür erscheint)</i> Sie +werden entschuldigen, Herr Kommissar! Sie is 'n bißchen +kränklich ...</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_81" id="Seite_81">[S. 81]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p class="directive2">(Mann Mitte der Vierzig, rund, breitschultrig, strohblonder Schnauzbart, +Pincenez. Gemachte Jovialität, die gelegentlich in brutale Schärfe umschlägt. +Ein wenig Bierbruder mit Ausblick zum Offiziertypus)</p> + +<p>Ach, es ist mir ja immer höchst fatal, wenn ich so das +Privatleben der Herrschaften stören muß. Ich werd' Sie +auch nicht lange aufhalten. Ich bin nur beauftragt worden, +mal 'n bißchen nachzuhören, was mein Kollege vom +Revier da — — Haben Sie man keine Bange. Ich bin +'ne menschenfreundliche Natur. Ich mach' das alles gemütlich. +Die Herren Spitzbuben — die sind mir so wie 'ne +große Familie.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(erfreut, bewundernd)</i></p> + +<p>Ach — ne — wirklich?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bieder)</i></p> + +<p>Ja, darf ich wohl sagen: Wie meine Familie! Na, +kann man den Onkel mal 'n bißchen sehn?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(sich von einer Gruppe im Hintergrunde lösend)</p> + +<p>Jawohl, Herr Zarncke. <i>(Leise)</i> Ei weh, Kindersch. Da +is der Reitmaier vom Präsidium. Das is 'n fauler +Junge. <i>(Kommt nach vorn)</i></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(die Arme ausbreitend)</i></p> + +<p>Herr Gott, das is ja mein guter, alter Struve.... +Na, lieber Freund!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gerührt)</i></p> + +<p>Ach, der Herr Kommissar! Ne, is das 'ne Freude!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Na, Menschenskind, wir haben uns ja so lange nich +gesehn.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_82" id="Seite_82">[S. 82]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Herr Kommissar. Es hat mir auch immer was +gefehlt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu sagen Sie mal, alter Sohn, was <em>haben</em> Se denn +nu wieder ausgefressen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar, es tut mir ja leid. Aber ich bin +eben scharf in de Besserung. Diesmal kann ich wirklich +nich — nich — dienen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(überzeugt)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja. Also, Sie sind's nich gewesen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar, und wenn ich hier gleich meinen +Totenschein in die Hand nehm' —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nich schon Totenschein! Pfui! — Mann wie Sie muß +leben!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Aber wenn sich's machen läßt, Herr Kommissar, im +Zuchthaus. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(zu Zarncke)</i></p> + +<p>Er is bitter gestimmt. <i>(Beruhigend)</i> Na, na, na, es +is da bloß noch 'ne kleine Formensache. Nichts von Bedeutung! +Ne! <i>(Zieht sein Notizbuch)</i> Sagen Sie mal, wo +waren Sie denn nu in der Nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, Gott, Herr Kommissar. Wo man so is. Uf 'ne +Banke. Oder so.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_83" id="Seite_83">[S. 83]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(bedauernd)</i></p> + +<p>Warum <em>waren</em> Se nu nich in Ihre Schlafstelle?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, warum <em>war</em> ich nich in meine Schlafstelle? Hätt' +ich gewußt, daß schlechte Menschen hier bei Herrn Zarncke +einbrechen würden, hätt' ich mir gleich um halb zehne in +de Klappe gelegt. Wegen den Aal—ibi.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Natürlich! <i>(Leise)</i> Das is 'n abgefeimtes Luder! — +Da Sie das aber selbstredend nicht wissen konnten, so +gingen Sie zu — in den bekannten Lehmannschen Keller, +wo wir ja auch schon zusammen gesessen haben. Is da +'s Bier immer noch so gut?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Danke. Ja. Es jeht.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Da waren Sie bis — zehn Minuten nach zwölfe. +Und dann waren Sie mit Ihrem Freund Kuntze — ja, +wo waren Sie da?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, wo war ich da? Ich bin — spazieren jewesen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(klagend)</i></p> + +<p>Nämlich, denken sich mal, Ihr armer Freund Kuntze +sitzt schon wieder feste!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Das is dem Kerl recht. Der is zu dumm.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Aber es is doch schade. Na — und als Sie sich dann +getrennt hatten, was taten Sie dann?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_84" id="Seite_84">[S. 84]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ach, Herr Kommissar, ich bin so 'n weiches Jemiete. +Ick hab' mir so, wie ick schon sagte, in'n Humboldthain +bisken uf die Banke jesetzt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und gesprochen haben Sie mit niemandem?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>I wo wer' ick doch. Dabei kann man so leicht in +schlechte Jesellschaft kommen. Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(triumphierend, leise)</i></p> + +<p>Den kriegen Sie nich!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und dann sind Sie nach Hause gegangen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja, ick wollte eijentlich noch 'n bisken die Vögelchens +singen hören. Aber <span class="antiqua">pee à pee</span> bin ick denn zu Hause +jejangen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Der Kerl hat ein Schwein. Weder die Stunde des +Einbruchs noch die Zeit seines Heimkommens sind festzustellen. +Aber — — <i>(laut)</i> Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herr Kommissar!</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ja, noch eins. <i>(Wieder leise)</i> In dem Magazin — haben +Sie da Sachen von Wert?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>O ja. Da bewahr' ich unter anderm die Zahnsägen auf.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_85" id="Seite_85">[S. 85]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Und die sind wertvoll?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Einige davon sind mit Diamantsplittern besetzt.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ah! Wußte der Struve davon?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(mit reserviertem Lächeln)</i></p> + +<p>Ja, das weiß ich nicht, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Struve, wo ist hier das Magazin?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Das Magazin? <i>(Nach rechts weisend)</i> Na da is es ja.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Was is denn da so drin?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Was wird denn da so drin sein? Vielleicht überführen +Sie sich mal, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(schärfer)</i></p> + +<p>Wissen Sie, was Zahnsägen sind?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Zahnsägen? Ja. Das sind Zahnsägen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Wo werden die über Nacht aufbewahrt?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_86" id="Seite_86">[S. 86]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(rufend)</i></p> + +<p>Du, Lohmann, wo werden doch die Zahnsägen aufbewahrt?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(ärgerlich)</i></p> + +<p>Sie haben hier zu antworten und keine Fragen zu +stellen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(auf die Umstehenden weisend, von denen sich einige allgemach näher herangedrängt +haben)</p> + +<p>Stören Sie die Leute, Herr Kommissar?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Durchaus nicht. Durchaus nicht. <i>(Leiser)</i> Sie sehn +übrigens — <i>(zu Struve streng)</i> treten Sie mal zurück! — +<i>(leiser)</i> daß an das Subjekt nicht 'ranzukommen ist.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(zaghaft, bittend)</i></p> + +<p>Ach, dann lassen Sie ihn doch laufen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu ja, <em>Sie</em> sind ja bekannt dafür, daß es Ihnen +Vergnügen macht, dergleichen Volk bei sich unterkriechen +zu lassen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Vergnügen? Es is wohl mehr eine Abbitte an den +lieben Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(immer noch leise)</i></p> + +<p>Weitere Verdachtsmomente als seine Bescholtenheit +liegen nicht vor. Ich könnte jetzt noch die Leute hier vernehmen. +Vorher aber möcht' ich mal an <em>Sie</em> die Frage +richten, ob Sie nach Ihren Beobachtungen den Kerl für +verdächtig halten oder nicht?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_87" id="Seite_87">[S. 87]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(verlegen)</i></p> + +<p>Ja, da is schwer —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Trotzdem möcht' ich sehr bitten, der Wahrheit gemäß —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(in die Enge getrieben)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja. Einen Augenblick. Polier! Geben Sie +doch mal — <i>(spricht leise weiter)</i></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p class="directive2">(der sich inzwischen unter den Umstehenden eingefunden hat, holt eine Anzahl +Schlüssel aus der Hosentasche und reicht ihm einen davon)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Struve! ... Sehen Sie mal hier diesen Schlüssel. +Kennen Sie den?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das ist der Magazinschlüssel. Den übergeb' ich Ihnen +hiermit. Verstehn Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Falls der Herr Kommissar Sie hier läßt, werden <em>Sie</em> +mir von jetzt ab für die Sicherheit der Sachen — einstehn. +Verstanden?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Erlauben Sie mal, Herr Zarncke! Was bedeutet +denn das?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_88" id="Seite_88">[S. 88]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das ist meine Antwort, Herr Kommissar. Entnehmen +Sie daraus, was Sie wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Sie — vertrauen — <em>dem</em> den —? Hähähä! Erlauben +Sie mal. — Hähähä. Pardon, das ist zu spaßhaft. <i>(Immer +lachend)</i> Na dann will ich auch nicht weiter stören. Das +kann dann mein Kollege vom Revier zu Ende führen! ... +Aber wenn Ihnen man die Passion für solche schweren +Jungens nich noch mal sauer aufstoßen wird ... denn +außerdem haben Sie ja auch noch 'n Mörder bei sich. Und +weiß Gott, was —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sehr erschrocken)</i></p> + +<p><em>Mörder?</em> <i>(Große Bewegung unter den Zuhörern, die sich während +der Folgezeit über den ganzen Platz fortpflanzt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Nu ja — den —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(rasch, mit Nachdruck)</i></p> + +<p>Das ist ein Irrtum, Herr Kommissar.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Erlauben Sie mal —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(ihn bei Seite nehmend, erregt)</p> + +<p>Erstens ist der Mann nicht wegen Mordes, sondern +wegen Totschlags verurteilt worden —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Menschenblut is Menschenblut.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_89" id="Seite_89">[S. 89]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Menschenblut hat auch so einer in den Adern. Und +das braucht ihm nicht unnütz vergiftet zu werden. Wissen +Sie, daß Sie dem Manne, der sich zu mir gerettet hat, +wie 'n Stück Vieh von der Schlachtbank, daß Sie <em>dem</em> +das Weiterexistieren auf dem Platze wahrscheinlich unmöglich +gemacht haben?</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Ich? Wieso? Bitte!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(auf die erregten Gruppen weisend)</p> + +<p>Da sehn Sie! Die werden's bald 'raushaben, wer der +»Mörder« ist. Anstatt hier rücksichtsvoll —</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b> <i>(brutal)</i></p> + +<p>Ach was! Da müßt' ich viel Zeit haben, auf solchen +— Auswurf — Rücksicht zu nehmen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, sehr verwandtschaftlich reden Sie nu gerade <em>nicht</em> +von Ihrer werten Familie.</p> + +<p class="actor"><b>Reitmaier</b></p> + +<p>Was für Familie? ... Ach so! <i>(Scharf)</i> Ich empfehle +mich Ihnen, Herr Zarncke. <i>(Ab nach links)</i></p> + + +<h3>Dreizehnte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Reitmaier</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(der einen Augenblick kopfschüttelnd dagestanden hat, laut)</p> + +<p>Hört mal, Kinder! Das — mit dem — Mörder — +das muß 'ne Verwechslung sein. Das — ja —!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_90" id="Seite_90">[S. 90]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(vor sich hin)</i></p> + +<p>Na na!</p> + +<p class="actor"><b>Andere</b></p> + +<p class="directive2">(geben ebenfalls durch Mienen und Gebärden ihrem Zweifel Ausdruck)</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Struve!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p class="directive2">(der seinen Schlüssel kopfschüttelnd besehen hat)</p> + +<p>Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Diesmal hab' ich Sie noch 'rausgehauen. Nu benehmen +Sie sich auch darnach.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ja w— w— w—</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wenn nu gesetzten Falls — und es is <em>doch</em> nu ein +anderer gewesen —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie, bilden Sie sich keine Schwachheiten ein .... +Und?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und — nu ja — und der andere der kommt nu mal +wieder — —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Dann werden <em>Sie</em> eingesteckt. Verlassen sich drauf. <i>(Ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(nach der Kantine weisend)</i></p> + +<p>Nu selbstverständlich is er's. Wer denn sonst?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(nach Struve hin)</i></p> + +<p>An <em>den</em> hat man sich schließlich gewöhnt, — aber +<em>Mörder</em>! Ne.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_91" id="Seite_91">[S. 91]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Du, Struve, komm mal her. <i>(Struve geht zu ihnen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Scht. Da is er.</p> + + +<h3>Vierzehnte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> Gleich darauf <span class="gesperrt">Lore</span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(hat drei Zigarren in der Hand, die er besieht)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit einem kleinen Teller, worauf noch eine Zigarre)</p> + +<p>Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(sich umwendend)</i></p> + +<p>Ja?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie haben doch <em>vier</em> Zigarren bezahlt und bloß dreie +genommen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so. Ja. Danke. <i>(Nimmt die Zigarre)</i> Es war ja +auch noch 'n vierter dabei. <i>(Mit glücklichem Lächeln)</i> Ich hab' +nämlich — jetzt — auch — <em>Freunde</em> hier.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erfreut)</i></p> + +<p>Ach, sehn Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Freunde — hab' ich. Drei Stück. Ja ... Und +da will ich mich doch mit Zigarren revanschieren. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Na sehn Sie. Hab' ich Ihnen nich immer gesagt: +Es is nich so schlimm, — sie tun Ihnen nichts?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_92" id="Seite_92">[S. 92]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, ja, Fräulein! Wenn Sie mir nicht hätten immer +Mut gemacht.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(herüberrufend)</i></p> + +<p>Sie, Lore, was machen Sie sich da mit dem Kerl zu +schaffen? Das ist kein Umgang für Sie. — Lassen Sie +den mal hübsch laufen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zusammenschreckend)</i></p> + +<p>Ja ... ja, ja. <i>(Steht unschlüssig)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(die Zähne zusammenbeißend)</i></p> + +<p>Der kann mich nich leiden. Gehn Sie man schon ... +Ich hab' ja auch noch — <em>Freunde</em>. <i>(Lore ab)</i> <i>(Er breitet seine +Zigarren fächerförmig in der Linken aus und tritt zu Lohmann, der zuerst +mit Struve gesprochen und dessen Gruppe sich dann aufgelöst hat)</i> Du +— willste nich — eine Zigarre von mir — rauchen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(verächtlich)</i></p> + +<p>Nee. <i>(Tritt von ihm fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(steht einen Augenblick wie erstarrt, dann geht er zu Sprengel, sehr zaghaft)</p> + +<p>Ach — bitte — ich hätt' — ne Zigarre — für —</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Du kannst deine Zigarren für dich behalten. <i>(Tritt +gleichfalls von ihm fort)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(reibt sich fassungslos die Stirn; eine verzweifelte Wildheit kommt über +ihn; er geht zu Struve — voll Angst und Ingrimm)</p> + +<p>Du hast mir vorhin ne Zigarre gegeben —</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(gutherzig abwehrend)</i></p> + +<p>Laß man! Laß man! ... Es is nich, weil ich stolz +bin, weil ich nu den — Magazinschlüssel hab' ... aber —<span class="pagenum"><a name="Seite_93" id="Seite_93">[S. 93]</a></span> +ich kann mir nich — ausschließen, — ich muß machen wie +die andern.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wa — was hab' ich — euch denn — ...?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sag mal, wie alt bist du?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Vierunddreißig.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und da haben sie dich schon 'rausgelassen? So früh +lassen sie einen wie du — sonst doch nich los ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht ihn entsetzt an, wirft einen wilden, verängstigten Blick auf die ihn +rings Beobachtenden und versteht)</p> + +<p>Ach so ... Ach so.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(ist zu Lohmann zurückgetreten)</i></p> + +<p>Ich sag' euch bloß: det stimmt <em>nich</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wer soll's denn sonsten sein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(auf die Bank der Kantine sinkend)</p> + +<p>Ach so!</p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>) +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_94" id="Seite_94">[S. 94]</a></span></p> + + + + +<h2>Dritter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Die Kantine. Deren Wände sind aus Fachwerk gebildet. +Die Decke ist niedrig und verräuchert. Auf der rechten Seite +die Tür zum Werkplatz. Im Hintergrunde rechts das Fenster, +im Hintergrunde links das Büfett mit einem Schanktisch davor. +— Auf der linken Seite eine Tür zu Schlafräumen. — +In der Mitte unter der Hängelampe ein Tisch mit Stühlen, +links vorne ein Sofa mit Tisch und Stühlen, rechts vorne +Tisch mit Stühlen. Vor dem Fenster Schustergerät. In der +Ecke rechts hinten ein eiserner Ofen.</p> + +<p class="directive1">Das Ganze trotz des ärmlichen oder vielmehr provisorischen +Charakters sauber und beinahe freundlich. Blumentöpfe auf +den Tischen und vor dem Fenster. Blitzblankes Gerät auf +dem Schanktisch, darunter ein verzinkter Wasserwärmer. +Plakate und Bilder ohne Rahmen sind als zufälliger Schmuck +an die Wände geheftet. Die »Platzordnung« unter Glas und +Rahmen hängt neben der Eingangstür. Über dem Büfett +eine Uhr; neben ihm eine Mandoline</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore</span> hinter dem Schanktisch mit einer Handarbeit beschäftigt. +Der alte <span class="gesperrt">Eichholz</span> auf dem Sofa schlafend. <span class="gesperrt">Lenchen</span> an +dem Schusterschemel</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(schnarcht)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was machst du da, Lenchen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_95" id="Seite_95">[S. 95]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Ich spiel' mit Großvatern seine Schuhmacherspielsachen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Zerbrich ihm man nich seine Glasglocke.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Nein, nein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(sieht nach der Uhr und geht dann zum Sofa)</p> + +<p>Vater — Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(brummt aus dem Schlafe, ohne sich zu rühren)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, du mußt aufstehn.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(im Halbschlaf)</i></p> + +<p>Wieso denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Es is Sonnabend heute. Nach der Lohnzahlung — +du weißt ja — dann wird's noch einmal voll hier.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, ja ... Na ja ... <i>(Richtet sich auf und reckt die Glieder)</i> +Ich muß ja auch noch gehn, mir neues Verschmierpech +besorgen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Laß doch, Vater, das eilt ja nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu ja. Ich arbeit' ja <em>doch</em> nich. Ich bin 'n altes +Faultier, sagt meine Tochter. <i>(Rülpst)</i> Dein Kümmel is<span class="pagenum"><a name="Seite_96" id="Seite_96">[S. 96]</a></span> +das reine Rattengift. — Meine Leber kriegt schon harte +Stellen von. Ich muß mal baldigst gehn, mich an einen +Mäßigkeitsvereine zu beteiligen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach ja, das wär' ganz gut, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wär' ganz gut. Wär' ganz gut. Was weißt du, was +mir gut is? Ich freß nich mehr aus'n Steinguttopp. +Das laß dir gesagt sein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, das is ja alles Einbildung, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Denn was bin ich? ... Stück Vieh auf'm Schindanger +bin ich ... Wenn sie mich schon wegjagen tun um — +um — um 'n Mörder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abwehrend)</i></p> + +<p>Ach!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Auf meinem Platz sitzt 'n Mörder. Das halt' ich nich +aus. Da jeh' ich ins Wasser. Da nehm' ich eine Jiftpille +zu mir. Und dann verkauf' ich mir an die Annetomie ... +Damit du nichts zu erben kriegst, du Biest. Nich mal +meinen Leichnam.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(lächelnd)</i></p> + +<p>Ich will ja auch nichts, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wenn du hättest Ehre in deinem Herzen, dann schmißt +du den Kerl 'raus und scheuerst mit Karbol die Stelle,<span class="pagenum"><a name="Seite_97" id="Seite_97">[S. 97]</a></span> +wo er gestanden hat. Statt dessen frißt er sich hier rund +an deine Karbonade.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gönn ihm doch sein bißchen Essen, Vater. Und ob +er wirklich <em>der</em> is, von dem der Kommissär gestern gesprochen +hat, das weiß ja keiner.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich hab's immer gesagt: der Kerl hat Mörderaugen +im Kopp. Heute is nu jeder so klug.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was sind denn Mörderaugen, Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Die sind wie beim Fisch. Da sitzt ein Stein drin. +Und das is der Tod. Und wegen so einen — haben sie — +mir — <i>(Weint)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p> + +<p>Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(weinend)</i></p> + +<p>Das halt' ich nich aus. Da werde ich verrückt von. +Einer muß hin. Er oder ich. Tot oder lebendig. Der +muß verrecken, der Hund, der Bluthund, der — der — +<i>(Kläglich)</i> Ich hab' so 'n Leberstechen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Geh, leg dich aufs Bett, Vater.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Das hat er mir schon mit seinen bösen Blick anjetan, +daß ich nicht werde jenesen meines Leidens ... Ich hab' +so 'n Leberstechen. <i>(Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_98" id="Seite_98">[S. 98]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sieht ihm seufzend nach)</i></p> + +<p>Lenchen, du bist ein kluges Kind. Geh mit Großvater. +Und wenn er weint, dann ruf.</p> + +<p class="actor"><b>Lenchen</b></p> + +<p>Ja, Mamachen. <i>(Von Lore zur Tür geleitet, ab. Es klopft)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herein!</p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Marie</span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>'n Tag, Lore. Du hast wohl schon sehr auf mich gewartet?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(gedrückt)</i></p> + +<p>Ach! Jetzt hatt' ich schon aufgehört.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Wußtest du's, daß ich gestern mit ihm gesprochen +hatte?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Die anderen erzählten sich's.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Und du fragst gar nicht? Dachtst dir wohl schon, +daß ich keine guten Nachrichten bringe?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mutlos)</i></p> + +<p>Gott, als Sie gestern abend nicht kamen. Und heute +vormittag nicht. Wollen sich nich setzen, Mariechen?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_99" id="Seite_99">[S. 99]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Danke. <i>(Setzt sich)</i> Hast du gehört, wie schön die Amsel +singt auf deinem Dach? Mitten in all dem Lärm. Täusch' +ich mich, oder pfeift sie fröhlicher, seit sie ihr Nest hat? +Es is wirklich so, als ob das Glück pfeift ... Auf deinem +Dach, Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Für mich pfeift kein Glück.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Wer weiß? ... <i>(Zögernd)</i> Lore, ich will dir was gestehn: +Ich hab' Vater gebeten, daß er ihm am nächsten +Termin kündigt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Warum haben Sie das getan? Wenn er gehen will, +dann soll er gehn. Aber nicht fortjagen. Nicht um meinetwillen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Lore. Ich hab' auch Vater gebeten, daß er ihm dann +sagt, daß er dir 'ne Aussteuer geben wird.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich will keine Aussteuer. Die heilt nichts und macht +nichts gut. Ich will nichts.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Denn sieh mal: Er ist ehrgeizig. Er will eine Frau, +die wohlhabend ist. Darauf geht er aus.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Woher wissen Sie das?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_100" id="Seite_100">[S. 100]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(stockend, mit abgewandtem Gesicht)</p> + +<p>Nun, das — merkt — man doch.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Zuzutrauen ist es ihm schon. Aber so himmlisch gut +Herr Zarncke is, wohlhabend, wie <em>er</em> meint, kann ich ja +doch nie werden.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(mit geheimnisvollem Lächeln)</p> + +<p>Nun — wer weiß?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Denn erspart hab' ich nichts. Ich verdien' hier gerade +das tägliche Brot.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(mit unterdrückter Erregung)</i></p> + +<p>Sieh mal, Lore, was ich dir schon immer mal hab' +sagen wollen: Lange leben werd' ich nicht, <i>(langsam, mit Betonung)</i> +und — dein Lenchen — hab' ich <em>sehr lieb</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach langem Schweigen)</i></p> + +<p>Mein Kind hast du — so lieb?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Mein Lenchen hast du so lieb?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(aufschreiend)</i></p> + +<p>Dann geb' ich's dir. Dann nimm's als dein eigen. +Wozu soll sie sich durchschleppen mit mir durch all den +Jammer, wenn sie <em>das</em> haben kann? <i>(schluchzt)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_101" id="Seite_101">[S. 101]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Lore, hör mal! ... Vor zwei Tagen — da hätt' ich noch +ja und »Schön dank« gesagt. Aber jetzt — seh' ich die Dinge +— anders an. Denn, sieh mal! So ein — Kindchen — +muß doch zuerst mal — seinen Vater haben ... Nicht wahr?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in neuem Erstaunen)</i></p> + +<p>Marie, Marie! Wenn ich das recht versteh'! ... Das +glaub' ich nicht! Das ist zu viel! Das ist zu viel! Und +das kann auch nicht zum Guten sein. Nie im Leben. Nie.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Warum nicht?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Weil — weil ... Der — der <em>will</em> mich nicht mehr. +Dem bin ich <em>doch</em> bloß 'ne Kette am Bein. Weiter nichts.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Auch wenn er weiß, was Lenchen mal zu erwarten +hat? Und wovon er doch der Verwalter sein wird?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Mein Gott, mein Gott, mein Gott!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nur wie das wird, wenn ich früher sterbe als Vater, +das weiß ich nicht. Denn wollen <em>wird</em> er ja nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nein, nein, nein! Es wird nichts. Es kann auch +nicht. Und es schadet auch gar nichts, wenn's — nichts — +wird. — Man is ja längst schon viel zu mürbe. Und +vielleicht ist einem ganz, ganz was anders bestimmt, wo +<em>nicht</em> so viel Tränen drauf liegen. Aber 'ne Viertelstunde +lang mal froh gewesen sein und ein Mensch, nicht bloß<span class="pagenum"><a name="Seite_102" id="Seite_102">[S. 102]</a></span> +ein Stein, den man hin und her stößt, ach, das tut so gut, +so gut, so gut! <i>(Sinkt lachend und weinend vor ihr nieder und küßt +ihr die Hände)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Laß doch! Steh auf! Mir scheint, es kommt wer. +<i>(Lore steht auf)</i></p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, scheu)</i></p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p class="actor"><b>Marie.</b></p> + +<p>Guten Tag, Herr Biegler. Ist denn schon Feierabend?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Geht's Ihnen gut?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Danke.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Adieu, Herr Biegler. Adieu, Lore! <i>(ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Lore. Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(setzt sich an den Mitteltisch)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(geht zum Büfett, schenkt aus dem Wärmekessel einen Topf mit Kaffee ein, +bricht eine Fünfpfennigsemmel ab und bringt sie nach dem Tisch links)</p> + +<p>Setzen sich lieber hierher, Herr Biegler. Das da is +ja der Steinmetzentisch, und die Bildhauer kommen nich +nach der Auszahlung. Die sind zu große Herren.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_103" id="Seite_103">[S. 103]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich geh' so wie so gleich fort. <i>(Setzt sich links)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Warum sind Sie eigentlich nich bei der Wochenauszahlung?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich — krieg' — monatlich. <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(immer in freudiger Erregung)</p> + +<p>Ich weiß nicht; Sie kommen mir heut so anders vor, +Herr Biegler. Sie reden gar nich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich red' ja — auch sonst nich — viel.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wissen Sie, mir is nämlich heute ganz was — ganz +was — Besonderes — passiert.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was Gut's?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nickt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Da gratulier' ich.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, es is nichts zu gratulieren. Es wird sich nichts +ändern. Aber es is doch wie 'n heller Schein. — Und da +möcht' ich, daß es auch andern so geht. Ihnen auch.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(schwer atmend)</i></p> + +<p>Danke!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler — ach, Herr Biegler, wozu sollen wir<span class="pagenum"><a name="Seite_104" id="Seite_104">[S. 104]</a></span> +erst viel Versteck spielen. Ich weiß ja, was Sie quält — +seit gestern.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sich in Erstaunen jäh umwendend)</p> + +<p>Und da reden Sie noch mit mir?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja — is es denn wahr?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nach einer Pause, schwer)</i></p> + +<p>Die Herren Geschworenen haben die Frage — ob's +Notwehr gewesen is oder nich — verneint ... Und nu +lassen Sie mich meinen Kaffee austrinken. <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(nach innerem Kampfe)</i></p> + +<p>Herr Biegler! ... Sündig sind wir alle ... Ich auch.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter lachend)</i></p> + +<p>Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(zaghaft)</i></p> + +<p>Sie wissen doch!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, Ohren hab' ich auch ... <i>(in Wut auffahrend)</i> Und +wenn ich erst wieder Fleisch hätt' auf den Armen, dann +würd' ich den Kerl — —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ruhig, Herr Biegler, ruhig, ruhig! Sie wollen doch +nich, daß ich Angst hab' vor Ihnen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(hastig seinen Kaffee trinkend)</i></p> + +<p>Ich geh' schon. Ich geh' schon.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, wollen Sie nich mal Ihr Herz erleichtern?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_105" id="Seite_105">[S. 105]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(unschlüssig, mit dankbarem Aufblick)</p> + +<p>Ach! ... <i>(hart)</i> Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott, Herr Biegler, gut tät's Ihnen schon! Man +wird ja so wie so wie'n Stein! Die Steinmetzen erzählen +nämlich: Der Stein wird durch Druck. Wissen Sie?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das sollt' ich wohl wissen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, Hunderttausende und Millionen Jahre müssen die +drüberliegenden Schichten drücken, dann wird die lebendige +Erde zu Stein ... Beim Menschen dauert's nich so +lang. Das hab' ich ausprobiert. 'n paar Jährchen Druck +— immer derselbe Druck. Das genügt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p> + +<p>Ob's genügt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Man lacht und man weint und man schläft und man +arbeitet — ach, lustig sein kann man sogar — man is +überhaupt ein Mensch wie andere und is doch lang keiner +mehr ... Drin im Innersten lebt man gar nich mehr ... +Man is willenlos wie 'n Stein ... Man läßt sich mit +dem Fuß stoßen wie 'n Stein. Man wird gegen alles +gleichgültig wie 'n Stein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(eifrig)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, — so is es, — ja, ja.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_106" id="Seite_106">[S. 106]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber heut is wieder Leben in mich gekommen. So +sehr hat mich was gefreut ... Gestern war ich wie Sie. +Aber heut kann ich Ihnen was helfen. Bloß Vertrauen +müssen Sie haben, daß ich's auch wirklich will.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das hätt' ich schon — aber — <i>(vor sich hinbrütend)</i> ich muß +ja wohl wieder weg.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich denk', Sie waren zufrieden.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn sie mich in Ruh' gelassen hätten — <em>alle</em> — +im Himmel wär' ich gewesen. Morgens — so gegen zweie +— da is mir leicht geworden ... dann kann keiner kommen +und was von mir wollen. — <em>Doch!</em> — Einer <em>kann</em> +kommen ... Die kann <em>immer</em> kommen. Sie <em>is</em> noch +nich — aber sie kann.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mit beruhigendem Lächeln)</i></p> + +<p>Na wer denn, wer denn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so — ich soll ja mein Herz erleichtern.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nicht — wenn Sie nich wollen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wissen Sie, wie's nu werden wird? ... Vors erste +schieben sie sich so langsam von einem weg ... Man will +<em>mit</em> anfassen, und dann is man allein. Und dann geht's<span class="pagenum"><a name="Seite_107" id="Seite_107">[S. 107]</a></span> +Gerede los um einen rum. Da heißt es: »Na, habt ihr +auch schon euer Leben versichert?« Und da heißt es: »Wenn +sich gewisse Brieder nich bald dinne machen, dann werden +wir den Platz schwarz stellen.« Und dann fliegt 'n Stück +Holz. Und dann fliegt 'n Stein. Und dann kommen <em>Sie</em> +eines Tags und sagen: »Es tut mir leid, Herr Biegler, +aber Sie müssen wo anders essen, es is wegen der Leute.«</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schüttelt heftig den Kopf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na warten Sie man. Und schließlich kommt der +Prinzipal und sagt: »Hier is Ihr Buch. Sie können gehen.« +Und man weiß, daß man nu wieder ins Hungerland zieht, +wo kein warmes Mittag is und kein Bett, und man sagt +noch: »Gott sei Dank.«</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, es is schrecklich.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Unser Pastor in der Anstalt hat immer gesagt: »Seid +froh, daß ihr sühnen könnt« ... »Sühnen« heißt das schöne +Wort ... Das haben die Herren extra für uns erfunden +... Ja, was soll ich nu alles sühnen? ... Daß der Weg +mich in <em>die</em> Schlafstelle geführt hat — und gerade in <em>die</em>? +... Daß die Frau jung war — mit Flunkeraugen — und +daß sie immer <em>so</em> machte <i>(haucht mit spitzem Munde)</i>, wenn sie +hinten an mir vorbeiging. Und wenn ich gesagt hab': +»Was machen Sie da?« dann hat sie mich mit den blanken +Zähnen angelacht und gesagt: »Ich kann's in den Tod nich +leiden, wenn auf dem Rockkragen 'ne Feder sitzt« ... Und +der Mann hat noch mitgelacht, wenn's mir schon heiß und +kalt das Genick 'runterlief ... Ja, so kommt so was ... +Er war Schuster. Wie Ihr Vater ... Mit den Schustern<span class="pagenum"><a name="Seite_108" id="Seite_108">[S. 108]</a></span> +hab' ich kein Glück ... Nu, da wissen Sie ja auch, was +'n Klopfstein is ... <i>(Zum Gerätschemel gehend)</i> Da liegt er ja! +<i>(Bringt den Stein.)</i> Sehn Sie sich den an! Bißchen kleiner war +er — aber groß genug. Dann wie der Mann mich eines +Tages abgefaßt hat — mit ihr — — und auf mich zugekommen +is, Messer in der Hand, da hab' ich gedacht: +was machen? Was hab' ich gemacht? <em>So!</em> <i>(Hebt den Stein +hoch)</i> ... Und mit eins hat er langgelegen. Das Ganze +hat gedauert, wie wenn einer bis drei zählt ... Weil der +nu da lang lag, darum war mein Leben verdorben. Nu +sagt der Pastor: »sühnen!« Ja, nun sühne mal, wenn der +Wahnsinn schon hinter dir sitzt ... Was kann ein zu +Schanden geprügelter Hund viel sühnen? Seine Wunden +kann er sich lecken ... Mehr kann er nich.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(mitleidig)</i></p> + +<p>Mein lieber Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p><em>Ihr</em> lieber Gott is nich <em>mein</em> lieber Gott. Sonst +ließ' er <em>das</em> nich zu ... Ja, nu werd' ich gehn ... die +ersten müssen gleich kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p> + +<p>Sie sollen <em>nicht</em> gehn, Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in flackernder Angst)</i></p> + +<p>Ich hab' mein Vesper getrunken. Ich hab' hier nichts +mehr zu tun.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie sollen dableiben. Was auch geschehen mag, Sie +sollen dableiben. Ich setz' Ihnen ein Glas Bier hin wie +den andern. Das trinken Sie aus und kümmern sich um +nichts.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_109" id="Seite_109">[S. 109]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Um Gottes willen. Hier? Hier? Wieso denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sehn Sie denn das nicht? Je mehr Sie sich verkriechen, +desto mehr sind <em>die</em> von Ihrer Schuld überzeugt. +Und das darf nicht sein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn's nu aber doch wahr is?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Das geht keinen was an. Außer Herrn Zarncke und +mir weiß keiner was. Und wir halten reinen Mund. Wenn +<em>die</em> sehn, daß Sie keinem aus dem Wege gehn, dann wird +das Getratsche langsam wieder einschlafen ... Aber nichts +gestehn! Sich nich verschnappen! Sonst ist alles aus ... +Wissen Sie noch, wie Sie waren, als ich Ihnen das erste +Butterbrot brachte?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(nickt voll Grauen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>So sehn Sie in vier Wochen wieder aus, wenn Sie +sich jetzt wegjagen lassen. Es geht um Ihr Leben, Herr +Biegler. <i>(Hinaushorchend)</i> Ich glaube, Sie kommen schon. +Da setzen Sie sich hin. Und wer Sie anlappt, dem zeigen +Sie die Zähne.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(stammelnd)</i></p> + +<p>Ach ich — m — mir bl — eibt ja jedes Wort in der +Kehle.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Soll nicht. Darf nicht. Sie müssen. Müssen, Herr +Biegler, müssen!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_110" id="Seite_110">[S. 110]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Und 's kann sein, wer's will? Ja?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(stutzend, dann stark)</i></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, zagend)</i></p> + +<p>Na, is gut. <i>(Setzt sich auf seinen Platz zurück)</i></p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Lohmann.</span> <span class="gesperrt">Sprengel.</span> <span class="gesperrt">Struve.</span><br /> +<span class="gesperrt">Drei andere Arbeiter</span><br /> +</p> + + +<p class="directive2">(Die Eintretenden begrüßen Lore, die rasch hinter den Schanktisch getreten +ist, mit einem brummigen »Guten Tag« und setzen sich an den Tisch rechts)</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Glas Bier!</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Mir auch.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Jedem eins.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Kiekt mal, wer da huckt!</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Mir wundert, daß er sich nich aufs Ehrensofa geschmissen +hat. Das ist doch extra für ihm hingebaut.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Der Mensch sitzt, wo er kann. — Laß ihm sitzen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(Bier bringend)</i></p> + +<p>Wohl bekomm's!</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Danke. <i>(Nach Biegler hinüber)</i> Jemütlich is anders. Prost! +<i>(Sie stoßen an)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_111" id="Seite_111">[S. 111]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(bringt auch Biegler ein Glas Bier)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wird der hier nu auch den Stammgast spielen?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Struve, du verstehst dir ja auf so 'ne Brieder. Graul +ihm mal 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, laßt mir in Ruh. Ick bin jetzt so beschäftigt +mit meine eigenen Sorgen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wat vor Sorgen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wat vor Sorgen? Des fragste noch? Glaubste, es +macht Verjniegen, mit so 'ne Verantwortung in de Welt +rumzuloofen? Wenn du jehst bloß Steine schleppen, denn +haste jar keene Verantwortung, dafür biste aber auch 'n +Lump. Wenn du aber wirst jeehrt sein durch das Vertrauen +deiner Mitbürger, wenn du wirst 'n Magazinschlüssel +an dir tragen, oder so — dann wirst mal sehen, +wie so 'n Mann zu Mute ist.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Dir is des wohl zu Koppe gestiegen? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Denn wer eine jewisse Erfahrung hat von's menschliche +Leben, der muß sich doch sagen: det is 'n janz jewehnliches +Schnappschloß. — Da brauchste bloß 'n paar gesunde +Zähne zu, um 'n vierzölligen Drahtnagel krumm zu biegen,<span class="pagenum"><a name="Seite_112" id="Seite_112">[S. 112]</a></span> +und denn biste schon drinne. Immer so mitten mang de +Diamanten. Kindersch, um Gottes willen, regt eich das +jar nich uf?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Ne.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und jesetztenfalls und du hast se nu ausgebrochen —</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na — de Diamanten, denn kannste se jehn ruhig verschärfen +bei jeden freindlichen Mann, wo mit blanke Knöppe +handelt. Da kann dir kein Teckel an de Beene ... Des +is 'ne aufjelegte Sache. Des reinste Beersenjeschäft ... +Kindersch und da soll ick die Verantwortung vor haben? — +Ne, des halt' ich nich aus. Da zieh' ick über Land.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Jlickliche Reise. Prost.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und was der Nachtwächter da is, der schlappohrige +Kerl, ick wette 'n Hering jegen 'n Löffel Jritze, dessentwegen +könnte man 'rin und 'raus — wie de Schwalben.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Der blieht da nu so 'rum. Wie so 'n Maibliemchen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Abjebrieht is er wohl. Sonst säß' er nich hier.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Kindersch, ick sag' eich immerzu. Wenn er und er +wär's, dann wär' er noch nich 'raus.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_113" id="Seite_113">[S. 113]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Jedenfalls wollen wir da mal ein jelinde blasenziehendes +Mittel anwenden. <i>(Sehr laut)</i> Fräulein! Wissen +Sie vielleicht die Adresse von 'ne leistungsfähige Lebensversicherungsgesellschaft?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(der solange scheinbar teilnahmslos, doch in gespannter Erwartung dagesessen +hat, wendet sich jäh um)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p> + +<p>Was soll ich mit 'ne Lebensversicherung?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Nu, 's is doch jetzt nich janz jeheier auf'n Platz. Da +kann mal leicht so 'n kleiner Kuhhandel kommen, wo man +plötzlich mit Tode abjeht, man weiß nich, wie?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(abweisend)</i></p> + +<p>Ich versteh' gar nich, was Sie meinen.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Diejenigen, wo's anjeht, die werden mir schon verstehn.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(steht auf, will reden, bringt aber nur ein unartikuliertes Stammeln hervor +und setzt sich wieder)</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Hat jesessen.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Wo bleiben übrigens heite die Steinmetzen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu — die müssen sich doch erst ausputzen. Mit ihre +blaue Kalikoschirzen trauen die sich nich uf de Straße. Es +könnt' se ja einer fir Hausknechte halten. <i>(Lachen)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_114" id="Seite_114">[S. 114]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Jedenfalls müßt' man sich mit denen zusammentun +und was unternehmen beim Alten, — damit er auf'm +Platz 'n bißchen ausräuchern läßt. Es wird nötig.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Fang nich schon wieder an, Mensch ... hab doch Erbarmen +mit so 'n plundrigen Kerl.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wenn ich in 'n Modder trete, dann wisch' ich mir die +Stiebeln ab; — da hab' ich auch kein Erbarmen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(zittert und atmet schwer. Er ringt mit sich, unschlüssig, ob er sprechen +solle, wagt es aber nicht mehr)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Kein Mensch weiß, ob er's wirklich is.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Warum steht er denn nich auf und —</p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Die Vorigen. Willig. Göttlingk und andere +Steinmetzen</span> (in Feierabendkleidung) +</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(auf den Tisch der Arbeiter weisend)</p> + +<p>Da <em>sitzt</em> se ja, die janze feine Familie ... Ihr kriegt's +wohl nich eilig genug mit eurem Feierabend — was?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wieso denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_115" id="Seite_115">[S. 115]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Den großen Oberkirchner Block, links von der Treppe, +habt ihr auf Hochkant stehn lassen. Wißt ihr das nich?</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Nu, der hängt doch im Flaschenzug.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Aber locker hängt er.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Bis wir den 'runterkriegen, dauert's zwanzig Minuten. +Wenn der Alte Überstunden zahlen will, gehn wir gleich +noch mal 'ran.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Husten wird er euch was.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Jedenfalls steift ihn noch ab. Wenn was passiert, seid +ihr verantwortlich. <i>(Setzt sich zu den Steinmetzen an den Mitteltisch)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na, Lore, Sie könnten ruhig 'n bißchen fixer sein, +wenn die Steinmetzen kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die Bier bringt, eilig, ängstlich)</p> + +<p>Hier is, bitte, hier is schon alles.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Aber freilich, wenn man sich mit solchem Volk abgibt, +wie der Kerl — der — <i>(Biegler erkennend)</i> Herrgott, wer sitzt +denn da?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_116" id="Seite_116">[S. 116]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(rasch)</i></p> + +<p>Ach, kümmer dich nicht um den.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Hast recht. So 'n Geschmeiß existiert nich. Prost, die +Herren! <span class="antiqua">Per Bacco</span>, is mir mollig. Ganz fingrig is mir +zu Mute. Wollt ihr was hören? Natürlich, ihr wollt +immer was hören. Lore, bring mal — bringen Sie mal +die Seufzerkiste.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Jawohl. <i>(Holt die Mandoline von der Wand und bringt sie ihm)</i></p> + +<p class="actor"><b>Ein Steinmetz</b></p> + +<p>Du, der Alte war doch heute so extra süß mit dir. +Ahnste weswegen?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(während er die Mandoline stimmt)</p> + +<p>Tja, lieber Sohn, wer kann das wissen? Manchmal +können sich Ereignisse vorbereiten — die Welt is eben 'n +Affenkäfig.</p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Der alte Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(angezogen wie im ersten Akt)</p> + +<p>Einen guten Feierabend wünsch' ich der hochgeehrten +Gesellschaft.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So in Jala, Papa Eichholz?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_117" id="Seite_117">[S. 117]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Jawohl. Mein Manschettenhemde hab' ich mir angezogen +und habe mir angetan im Schmucke sämtlicher +Orden und Ehrenzeichen. Nu wollen wir mal sehn, ob +ein alter Krieger noch was gilt in seinem Vaterlande.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Was hast du vor, Vater?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Zuerst bejeb' ich mir zum Alten und frag' ihn auf +Ehr' und Jewissen: Wer is der Kerl? Was is der +Kerl? ... Und wenn er in meinen unjewissen Zustande +mir sollte — <i>(bemerkt Biegler)</i> was — was — was — was is +denn das? Is das —?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, hier darf jeder sein Bier trinken, der zum +Platz gehört. Weißt du das nich?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p> + +<p>Was mischst du dich da eigentlich immer 'rein?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Was man so sagt, der Wiedehopf, der läßt in sein +eigenes Nest 'reinschmutzen, aber wenn du willst mein +Fleisch und Blut sein — <i>(in ausbrechender Wut)</i> Kerl, dir werd' +ich platt schmeißen! Dir bind' ich 'n Mühlstein um'n +Hals, dir, dir ... Blut muß fließen, du Hund, du blutiger +Hund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(gequält)</i></p> + +<p>Fräulein, soll ich nu immer noch länger hier bleiben? +Ich denk', nu is genug.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_118" id="Seite_118">[S. 118]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(halblaut zu Lore)</i></p> + +<p>Nanu? Was geht dich dem Kerl sein Hierbleiben an?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater, tu, was du willst, aber hier in der Kantine +fang keinen Zank an. Sonst mußt du 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Sieh mal, wie sie sich auf dem seine Seite schmeißt.</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b></p> + +<p>Hat sie ganz recht.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Jawohl. Ich geh' schon. — Ich werde schon in geeignete +Erfahrung bringen, wer, wer <i>(mit geballter Faust)</i> und +wer Blut vergießt, deß — Blut — muß — — ich geh' +schon, ich geh' schon. Guten Abend, die hochgeehrte Gesellschaft. +<i>(Ab)</i></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen</span> ohne <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise zu Lore)</i></p> + +<p>Hast du etwa Durchsteckereien mit dem?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(wendet sich ab)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(verbissen)</i></p> + +<p>Sieh mal an! <i>(Kehrt auf seinen Platz zurück)</i> Na, lassen wir +uns nich die Laune verderben. <i>(Ergreift die Mandoline, in +neuem Argwohn)</i> Freilich, wissen möchte man doch.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_119" id="Seite_119">[S. 119]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Halt bloß Ruhe, Eduard.</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b></p> + +<p class="directive2">(die am Steinmetztische sitzen, stimmen ihm bei)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(an der Mandoline zupfend)</i></p> + +<p>Na also, was soll ich euch singen? Ich weiß 'ne +Menge schöne Lieder, die mir die schönen Weiber dort +unten in schönen Stunden beigebracht haben ... denn die +Weibsleut' da unten! Überhaupt die Weibsleut', Kinder! +Wenn man da nich feste 'ranjeht! <i>(Beiläufig, herablassend)</i> +Ach, bringen Sie mir doch noch 'n Glas Bier, Fräulein +Lore.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(bebend vor Erregung, holt sein leeres Glas)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Du fragtest vorhin, warum der Alte heute so süß +mit mir war. Ja, mein geliebter Sohn, Glück bei den +Weibsleuten muß der Mensch haben. Das is der Ausschlag +beim Rosinenhandel ... Danke, mein Fräulein, danke, +danke, danke! <i>(Singt und spielt)</i> »<span class="antiqua">Vè quà una giardiniera, si +chiama Luisella, da sovra all'Arenella</span>« — <i>(Abbrechend)</i> Sagt +mal, Herrschaften, wie wär's, wenn ich zur Abwechslung +mal so euer Chef würde hier auf diesem Steinmetzplatz?</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b></p> + +<p>Was is das wieder für 'n fauler Witz?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, das Leben macht manchmal so 'ne faulen Witze. +Wenn ich da Jimm drauf hätte. Die Puckligen sind zwar<span class="pagenum"><a name="Seite_120" id="Seite_120">[S. 120]</a></span> +nich gerade mein Jeschmack, aber wenn so 'n schönes Jeschäft +dran hängt, kann man ja auch mal beide Augen zumachen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(stößt einen unartikulierten Laut des Abscheus und des Entsetzens aus)</p> + +<p class="actor"><b>Sprengel</b> <i>(halblaut)</i></p> + +<p>Is 'n Mensch wie 'n Vieh.</p> + +<p class="actor"><b>Willig</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Läßte nu nich mal mehr die Krüppel in Ruh?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(der das allgemeine Murren bemerkt hat, zum Arbeitstisch hinüber)</p> + +<p>Riskiert da etwa einer zu mucken? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Lohmann</b></p> + +<p>Wir sind ja ganz still.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Möcht' ich mir auch ausgebeten haben. <i>(Da Lore, den +Kopf in den Händen, noch einmal aufstöhnt)</i> Was ist denn hier los? +Was? Was? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(ist in zitternder Erregung langsam aufgestanden, leise, zaghaft, als traue +er seinen erwachenden Kräften nicht)</p> + +<p>Du Schuft! Du Schuft! — Du Schuft!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(fassungslos vor Erstaunen)</i></p> + +<p>Was will das Gewächse da?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Du ganz erbärmlicher Schuft!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_121" id="Seite_121">[S. 121]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(Humor heuchelnd)</i></p> + +<p>Kinder, der is übergeschnappt. Soll ich den zu Mus +quetschen? Nehmt mir das nicht übel, aber die Handvoll, +das lohnt mir nich. Außerdem bin ich's als Steinmetz +mir und euch schuldig, mich nich mit erst wem — Prost!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(heiser)</i></p> + +<p>Was du bist, bin ich noch alle Tage.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dem Kerl muß man doch 'ne Zwangsjacke anlegen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' zum Spaß deine Arbeit getan. Wenn's hell +is, kann ich's besser.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(aufspringend)</i></p> + +<p>Du warst das selber, du verfluchter —?</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(halten ihn fest)</i></p> + +<p>Ruhig, ruhig, ruhig.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber das is Nebensache. <i>(Auf Lore weisend)</i> Da — da +— wer steht da? — Der sagst du <em>das</em> ins Gesicht? — +Jeder weiß, daß sie 'n Kind von dir hat. Zum Dank +verhunzen tust du sie — schuriegeln tust du sie ... Wirst +sie — wirst sie ehrlich machen? Wirst sie ehrlich machen? +Du nichtswürdiger Schuft! Du!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_122" id="Seite_122">[S. 122]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(der sich zu befreien sucht)</i></p> + +<p>Nu laßt doch los. — Is bloß 'n Floh, der ganze +Kerl, aber das kost't ihm das Leben. <i>(Reißt sich los und zieht +den Dolch heraus)</i> Los sag' ich, oder —</p> + +<p class="actor"><b>Die Anderen</b> <i>(weichen erschrocken zurück)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Du meinst, ich hab' Angst vor deiner einzinkigen Gabel, +weil alle anderen Angst haben? — Kraft hab' ich keine, +Haut und Knochen bin ich vom langen Hungern, aber — +<i>(er hat den Klopfstein ergriffen, der auf dem Schanktisch liegen geblieben +ist, und hebt ihn hoch)</i> — <em>mit so 'nem Schusterstein hab' ich +schon einen erschlagen! Mit so 'nem Schusterstein +hab' ich schon</em> — — <i>(große Bewegung)</i> Nu komm mal 'ran, +wenn du willst. Komm mal 'ran — komm mal 'ran! <i>(Dringt +auf Göttlingk ein)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(erschrocken zurückweichend)</i></p> + +<p>Na, na, na, na.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Komm 'ran — oder 'raus da — 'raus da. —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p><i>(weicht, unverständliche Worte stammelnd, bis zur Tür zurück)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(der ihm gefolgt ist)</i></p> + +<p>'raus da! 'raus da!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Das werd' ich dir — gedenken. — <i>(Rettet sich durch die +rasch geöffnete Tür)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_123" id="Seite_123">[S. 123]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sich wirr um und wankt zu seinem Tische zurück. Er sieht verständnislos +noch einmal um sich, sieht Lore, die schluchzend, mit verhülltem +Gesicht, abgewandt dasteht, sieht die blassen, entsetzten Gesichter und +murmelt, wie wenn er langsam zu sich käme)</p> + +<p>Was is denn? Was war denn? Was —? <i>(Sein Gesicht +verändert sich, er kämpft mit dem Schluchzen und will auf seinem Stuhl +zusammensinken, rafft sich aber mit letzter Kraft empor, trinkt sein Bier +aus, setzt seine Mütze auf und schreitet mit geballten Fäusten zur Tür +zurück; — sich umwendend wirft er einen fragenden, trotzigen Blick auf die +ihn regungslos Anstarrenden — und geht hinaus)</i></p> + +<p class="directive1"> +(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt</span>)<br /> +</p> + +<hr class="chap" /> + +<p class="pagebreak"><span class="pagenum"><a name="Seite_124" id="Seite_124">[S. 124]</a></span></p> + + + + +<h2>Vierter Akt</h2> + + +<p class="directive1">Szenerie des zweiten. Spätabendbeleuchtung. Über den +Häusern des Hintergrundes ein glühender Streif Abendrot, +der sich allmählich verliert. Vor der Veranda unter dem +Fenster der Zarnckeschen Wohnung ein gedeckter Tisch nach +vollendeter Abendmahlzeit. Das Fenster der Kantine ist erleuchtet. +Beim Aufgehen des Vorhangs ertönt von irgendwoher +Biergartenmusik</p> + + +<h3>Erste Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(in einem Korbstuhl behaglich ausgestreckt, eine Zigarre rauchend)</p> + +<p>Siehste, nu is unsre Amsel auch schon schlafen gegangen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Eben sang sie doch noch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bald werden sie nu auch im »Gambrinus« Ruhe geben +mit ihrem Bumbum.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ach, ich hör's gerne.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich auch ... Und weißt du, warum? Weil es so +schön weitab is vom eigenen Leben ... Da sitzen nu die<span class="pagenum"><a name="Seite_125" id="Seite_125">[S. 125]</a></span> +Menschen in Haufen, stoßen sich, ärgern sich, beneiden sich, +begehren sich, und fünf aufgequollene Trompeter machen +Musike zu ... Man is doch wahrhaftig wie der liebe +Herrgott in seiner Stille ... Sechs Tage hat er an der +verfluchten Welt 'rumgebastelt, am siebenten hat er aber +auch <em>gar nichts</em> von ihr wissen wollen. ... Was guckste +denn immer nach der Lore ihrem Fenster 'rüber?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ja, Vaterchen, merkwürdig is es doch.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was denn? ... Daß der Göttlingk da is?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Den ganzen Winter ist er Sonntags nicht einmal bei +ihr gewesen. Seit seiner Rückkehr nicht. Und plötzlich +kommt er — Abends um neune — von da oben — die +Treppe 'runter.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Der Deibel mag wissen, was er da oben zu suchen +gehabt hat. Aber so käseweiß brauchst du darum doch +auch nich zu werden, wenn er nu wirklich mal hinter dir +auftaucht.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schweratmend)</i></p> + +<p>Denk doch, was das für die Lore bedeutet.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Hör mal, Kindchen, hab die Lore lieb! Aber du mußt +dich nich so 'reinbegeben in das, was rings um uns geschieht. +Nich mitmachen wollen. Das zehrt dann am<span class="pagenum"><a name="Seite_126" id="Seite_126">[S. 126]</a></span> +eigenen Leben. Es bleibe jeder in seiner Haut — und +jeder hüte den Schlüssel zu seinem Geheimfach ...</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>O, das freilich. Aber — gestern muß was passiert +sein bei der Lore drin.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So? Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Zwischen dem Nachtwächter und — und — Göttlingk.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>So? Hm. Das war ja nu leider vorauszusehn.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Wieso?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben 'rausgekriegt, daß der arme Kerl was pekziert +hat. Deshalb hab' ich gestern schon den Eichholz +'rausgeschmissen. Das alte Vieh war ganz rabiat. Irgendwas +bereitet sich vor gegen den Biegler. Und schließlich +werd' ich noch klein beigeben müssen. Schad um den — +<i>(Schnalzt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nein, nein, es scheint was anderes. Was Schlimmeres. +Viel was Schlimmeres.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>'n Menschen ins Verderben zu jagen is schlimm +genug ... Von wem weißt du's denn? Von der Lore?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Nein. Das ist es eben, was mich ängstigt. Die geht +mir heut aus dem Wege, wo sie kann ... Und die Homeyer<span class="pagenum"><a name="Seite_127" id="Seite_127">[S. 127]</a></span> +macht immerzu Andeutungen. Aber was Rechtes kriegt +man auch aus <em>der</em> nich 'raus.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wenn das Schwatzweib schon sein Maul hält. +Da wollen wir doch mal gleich — <i>(Klingelt)</i></p> + + +<h3>Zweite Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Die Vorigen.</span> <span class="gesperrt">Frau Homeyer</span></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(eine Windlampe in der Hand)</p> + +<p>Gotte, Gotte, ich wart' schon immer mit der Lampe ... +Nein, so im Dunkeln ...! Wie können Sie bloß?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben wohl noch nie zu zweien im Dunkeln +gesessen?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ach nein doch! Mit 'n jungen Mann — der nimmt +sich dann so leicht was 'raus —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und mit 'n alten Mann — das lohnt nich.</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Aber, Herr —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sagen Sie mal, Sie, was is denn gestern bei der +Lore gewesen?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Bei der Lore? I, daß ich nicht wüßte.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_128" id="Seite_128">[S. 128]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Sie haben doch meiner Tochter erzählt —</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ich? Ach nein, das muß ein Irrtum sein. Ich, dem +Fräulein? Und gerade dem Fräulein? I, da müßt' +ich — <i>(Nimmt das Tischzeug zusammen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber Frau Homeyer —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Was heißt das: <em>Gerade</em> dem Fräulein?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Nu ja. Da müßt' ich doch sozusagen eine Schwätzerin +sein. Und ich bin im Gegenteil immer höchst zurückhaltend +... Da bin ich bekannt für. Da können Sie alle +Mannsleute fragen. Da können Sie meine Zeugnisse +lesen ... Und da soll ich mir gerade <em>hier</em> die Zunge bei +verbrennen? ... Das kann Ihnen wer anders erzählen, +Fräulein. Und dann müssen sich auch nichts draus machen. +... Die Männer sind immer mit dem Maul vorneweg ... +Ehrbar sein und sein Myrtenbäumchen pflegen, das is +immer noch das Beste für 'n ältliches Mädchen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ja, was hab' <em>ich</em> aber mit dem allen zu tun, Frau +Homeyer?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja, Fräulein Mariechen, der Mensch hat <em>manchmal</em> +mit was nich zu tun, und kommt <em>doch</em> ins Gerede ...<span class="pagenum"><a name="Seite_129" id="Seite_129">[S. 129]</a></span> +Von dem Herrn Göttlingk hätt' ich das freilich nicht gedacht. +Der is sonst immer 'n Kavelier gewesen <i>(verschämt)</i> +immer so zutraulich — und, wie gesagt, Kavelier. Aber +da könnte ja jeder kommen und — ach, bitte das Sahnentöpfchen +— und behaupten, er braucht' bloß die Hand auszustrecken, +da könnt' er Herr sein auf diesem Steinmetzplatz. +Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was? Was? Was is das?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Und es glaubt ihm auch keiner. Da können Sie ganz +unbesorgt sein, Fräulein, das —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Halt! Stopp! 'raus! Weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Aber Herr —</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Weg, weg, weg, weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p>Ja, ja, Herrgott!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Weg!</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(mit dem Tablette ins Innere ab)</p> + + +<h3>Dritte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Marie.</span> <span class="gesperrt">Zarncke</span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Das haste wahrhaftig um den Lumpen nich verdient, +Mariechen. Bittst mich noch, ich soll helfen, ihm sein Nest<span class="pagenum"><a name="Seite_130" id="Seite_130">[S. 130]</a></span> +austapezieren ... Und da traut sich der Kerl überhaupt +noch hierher? — Da wollen wir mal gleich — — <i>(steht auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die, ins Leere starrend, regungslos dagesessen hat, fährt auf)</p> + +<p>Nein, Vater, nein!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Was — nein? Und wie siehste denn aus? — Ganz +überird'sch!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in hilflosem Bekennen)</i></p> + +<p>Vaterchen!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(nach einem Schweigen hinter sie tretend)</p> + +<p>Miezelchen! <i>(Die Hand auf ihren Scheitel legend, leise)</i> Haben +sie dir 's Geheimfach aufgebrochen?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(aufschluchzend)</i></p> + +<p>Nicht ansehn! Nicht ansehn! <i>(Verbirgt das Gesicht in +seinem Rock)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(sie streichelnd)</i></p> + +<p>Also <em>das</em> war's? Und was du da drinnen verschlossen +hieltst, das wird dir nu da — <i>(weist zur Kantine)</i> Ja, wie +geht denn das zu?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(von Schluchzen geschüttelt)</i></p> + +<p>Weiß nicht! Weiß nicht!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, nu laß doch mal meinen Rock los!</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(verbirgt das Gesicht um so fester)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_131" id="Seite_131">[S. 131]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Willst nich? ... Schämst dich so sehr? ... Kannst +mich gar nich ansehn? Möchtst das Tageslicht nich mehr +sehn? Möchtst dir womöglich das Leben nehmen noch +diese Nacht?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(nickt heftig)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(lacht und streichelt sie)</i></p> + +<p>Und machst doch nur durch, was jeder durchmachen +muß, dem 'n Stern vom Himmel 'runterfällt. <i>(Zum Himmel +weisend)</i> Kiek mal hoch! ... Kannst noch nich? Da sind +schon 'n paar. Und dahinter noch Milliarden. Sie stehn +da wie für die Ewigkeit. <em>Und sie fallen alle.</em> Aber +darum werden wir Menschen nich ärmer ... Höchstens die, +denen sie als Zwanzigmarkstücke in die Tasche fallen ... +Die Jugend verliert sich zuerst, aber unser Blick wird +um so heller ... Die Freunde zerkrümeln sich, aber unsere +Freundschaft wird alles, was mit uns reden kann, jeder +Gedanke — jeder Hund — jeder Stein ... Na — und +die Liebe? — Dem einen fällt sie in den Schmutz — wie +dir, dem anderen zerreibt sie der Alltag; — rasch oder +langsam, es is immer dasselbe, — aber vor der Tür lauern +schon wieder viele, die wollen sehr liebgehabt sein, und +die brauchen's den Deiwel wie nötig ... Selbst der Herrgott +wird uns aus unseren Herzen gerissen, aber unsere +Herzen schlagen kräftiger ... Kindchen, 's wird noch 'n +büschen weh tun 'ne Zeit lang ... Scham brennt ... +Aber seines guten Rechts soll sich der Mensch nicht schämen. +Und dein Recht war's ... Ja war's ... Wie's mein +Recht war und ist, dich liebzuhaben und dir zu sagen: +Halt still ... Die Stillen sind die Klugen ... Und nur +wer von der Welt <em>weit, weit</em> ab is, der hat sie ganz.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_132" id="Seite_132">[S. 132]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(sich aufrichtend)</i></p> + +<p>Vaterchen, hast du das immer gedacht?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Ich geb' zu, Kindchen, es is 'ne Weisheit für die +Kranken und die Alten. Aber die, welche die Jungen und +die Gesunden sich zurechtmachen, is auch nischt wert ... +Na — nu schmunzelst du ja wieder —.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schluchzt kurz auf)</i></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nich, nich, nich ... Und komm 'rauf ... Mir is, die +Tür hat schon 'n paarmal geklappt. <i>(Weist nach der Kantine)</i> +Da traut sich einer nich an die frische Luft, eh' wir nich +verduftet sind.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Die arme Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Nja. Na, komm. <i>(Beide ins Haus ab)</i></p> + + +<h3>Vierte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk.</span> <span class="gesperrt">Lore</span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Scht! Du, Göttlingk! — Sie sind weg!</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(heraustretend)</i></p> + +<p>Es war auch hohe Zeit! ... Denn wenn mir jetzt — +gewisse Leute in den Weg gerannt wären — — na! Also +übers Aufgebot reden wir noch, Lore!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_133" id="Seite_133">[S. 133]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(die in der Tür geblieben ist, matt, freudlos)</p> + +<p>Wie du willst, Eduard.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Dann wollen wir also Schluß machen mit dieser elenden +Quetsche. Mein Handwerkszeug bringt mir morgen +der Vater und — ja, richtig! Die Mandoline gib mir +doch noch mit.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(verschwindet)</i></p> + +<p class="directive2">(Die halboffene Glastür über der Veranda hat sich erhellt. Die Gestalt +Zarnckes wird dahinter sichtbar)</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Is das nich der Alte da oben?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja, der schläft da.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Scht! Na, endlich macht er die Türe zu. <i>(Das Rouleau +wird herabgelassen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bringt die Mandoline)</i></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>So ... Vater begleitet mich noch ein Stückschen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ängstlich)</i></p> + +<p>Vater, es wäre wohl besser, du — —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(scheltend)</i></p> + +<p>Was heißt das? Was hast du —?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_134" id="Seite_134">[S. 134]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Nu laß doch Vater! ... <i>(Reicht ihr die Hand)</i> Gute +Nacht! — <i>(Da sie in der Türe stehen bleibt)</i> Nu geh nur! +Geh nur!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(tonlos)</i></p> + +<p>Gute Nacht. <i>(Ab, die Türe hinter sich schließend)</i></p> + + +<h3>Fünfte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Eichholz.</span> <span class="gesperrt">Göttlingk</span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na — und nu? ... Wir haben drin nich ausreden +können, weil uns die Lore ewig auf den Hacken saß. Wie +denkst du nu über 'ne gute Streckschicht für den Kerl?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ich bin immer ein ehrenwerter Mann jewesen, ich +bin ein zuverlässiger Mann jewesen und ein —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Aber sie haben mir die Seele aus dem Leibe gezogen, +sie haben mir den höllischen Geier, welcher heißt Hadramoth, +den haben sie mir —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Nu quatsche nich. Komm mal mit 'rüber in die Destillation.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Hier steh' ich, hier jeh' ich nich weg. Sobald der Hund +kommt, dann stürz' ich mir los auf ihm. Brust gegen +Brust.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_135" id="Seite_135">[S. 135]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Na und dann?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Dann? Ich hab' dem Alten gesagt: Herr Zarncke, +hab' ich gesagt, es gibt — ein Unglück.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ja, mit's Maulwerk.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>So? ... <i>(Zögernd)</i> Du, und was is denn mit dem — +Block?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(lauernd)</i></p> + +<p>Was für 'n Block?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Wo du vorhin von sprachst.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ach so ... Siehst du den da oben im Flaschenzug?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Wenn da einer die Ketten aushängt, dann steht er +bloß auf der Kippe. Verstehste? Eine Holzsteife — die +kann 'n Kind wegschlagen. — Und geht dann einer die +Treppe 'rauf — <em>muß</em> er die Treppe 'rauf?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Nu jewiß. Der Alte hat doch dahinter 'ne Kontrolluhr +aufgestellt. —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_136" id="Seite_136">[S. 136]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Daß da man kein Malheur passiert!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(argwöhnisch, will nicht verstehn)</p> + +<p>Warum soll — da gleich — 'n Malheur passieren?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Ach so! ... Scht! Is er das nich? <i>(Man hört rechts das +Schließen einer Tür)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b> <i>(leiser)</i></p> + +<p>Nu komm ... Drüben trinken wir noch eins ... +Kann man da oben irgendwo 'raus?</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Durch die kleine Tür. Immerzu.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p class="directive2">(ihn nach dem Hintergrunde ziehend)</p> + +<p>Na denn komm!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Warum nich hier durchs Tor?</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingk</b></p> + +<p>Komm, komm, komm ... Da scheint auch wer zu +stehn. — Komm! <i>(Auf einer mittleren Treppenstufe hält er inne)</i> Scht!</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p>Er schließt noch das Sägewerk.</p> + +<p class="directive2">(Beide verschwinden links oben. — Während rechts eine schwere Tür zugeschlossen +wird, hört man oben das leise Klirren der Flaschenzugketten. +Dann Stille. Während der folgenden Szene geht der Mond auf)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_137" id="Seite_137">[S. 137]</a></span></p> + + +<h3>Sechste Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Biegler.</span> Dann <span class="gesperrt">Struve</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(mit Schlüsselbund und schwerem Stock, eine Schnarre umgehängt, erscheint +rechts vorne und geht an dem erleuchteten Kantinenfenster vorbei, +dann revidiert er das Schloß des Magazins und will zur Tür des Wohnhauses +hinüber)</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b> <i>(vom Haustor her)</i></p> + +<p>He! Scht! Nachtwächter! Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer is da?</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>'n guter Freund!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' keine guten Freunde.</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>Struve is da.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Struve kann bei Tage kommen.</p> + +<p class="actor"><b>Struves Stimme</b></p> + +<p>Mach auf, sonst reiß' ich an de Klingel.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is denn? <i>(Er geht aufmachen. Man hört den Schlüssel sich +drehen. Dann erscheint er zusammen mit Struve)</i> Na?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Fsch! Drinne wär' mer ja nu.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_138" id="Seite_138">[S. 138]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Also was willst du?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Sachte, sachte, sachte! ... Ick jeheer' hier zu's Haus. +Ick hab' 'n Amt hier ... 'n Vertrauensposten! Jawoll! +... Da muß ick mir iberfihren können bei Tag und bei +Nachte ... Ick kann schon jar nich mehr schlafen vor +lauter Ehrjefihl. Ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na, schlaf man. Ich geh' ja hier als Wächter.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Det sagste so in deinen Jemiete. — Aber wenn du +eines Morjens nicht mehr dabist —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wieso?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, Mensch, Kohlege, wir beid' kennen uns doch. Uns +haben se doch aus denselben Suppentopp jeangelt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(bitter)</i></p> + +<p>Ach so!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Und diesentwegen biste dir doch klar: Weg mußte hier +<em>nu doch</em>!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Das bin ich mir klar.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Als du jestern 'raus warst, da haben die Steinmetzen +noch ne jroße Beratung jehabt. Da haben wer nich zuheeren<span class="pagenum"><a name="Seite_139" id="Seite_139">[S. 139]</a></span> +derfen. Bloß, daß se morjen früh zum Alten jehn +werden, das hab' ich noch —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in bitterer Erregung)</i></p> + +<p>Und meinen Austritt fordern?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Wer zufällig fünf Finger hat, kann sich das ja dran +abzählen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verbissen, verzweifelt)</i></p> + +<p>Ich wart's gar nich ab. Ich geh' alleine.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Da wärste ja auch scheen dumm, wenn du dir — nich +vorher schon dinne machen wolltst. — Und darum bin ick +eben auch 'n bisken dahinter jewesen. Deiwel auch! Wenn +man so die Verantwortung hat.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wofür? Für mich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne — aber — <i>(macht Zeichen nach dem Magazin hin)</i> vor +— — Ick kenn' doch 's menschliche Leben. So 'ne Sachen +die loofen doch jewissermaßen hinter einen her. Janz von +selber. Wie wenn se Beene hätten. Da kann man jar +nischt vor.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was denn? Was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, du weißt schon. Aber in so 'ne menschliche Versuchungen +da muß man eben 'n Freind haben. Mann mit<span class="pagenum"><a name="Seite_140" id="Seite_140">[S. 140]</a></span> +Ehrjefihl. Und so. Wo einem 'n bisken ins Jewissen +redt ... Denn der Fallstricke des Teufels sind viele, und +— — was? Wie sagste?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(mit einem kurzen Lachen)</i></p> + +<p>Ich sag' jar nischt.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na, nu mal unter uns! — Wenn du — und du jehst +hier weg, wo wirschte denn nu hinmachen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer kann das wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu, setz dir mal bisken hier dal! <i>(Zieht ihn auf den vordersten +Block)</i> Sieh mal, mir jeht hier ja so weit janz jut. +Ick bin Verdrauensperson. Und so. — Aber <em>zu</em> viel Ehre +kann der Mensch auch nich verdragen. Des drickt aufs +Jemiet, weißte ... Und weil ich dir nu mal so liebhabe — +jewissermaßen, und weil de iberhaupt noch im janzen 'n +bisken klietrig bist — weißte! — — na? — Wollen wir +zusammen uf de Fahrt steigen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was? Du und ich?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Nu ja. Mit <em>die</em> Ansichten, wo wir beide vons +menschliche Leben haben — die <em>haben</em> wir nu mal! Die +kann uns keiner nehmen. Die einen wälzen sich in'n Jolde, +wir wälzen uns in'n jrienen Chausseejraben. Tagsüber +sehn wir mal bisken nach, wo wat los is, Abends saufen +wir uns 'n verjnichten Teng ins Jesichte. Hier mußte<span class="pagenum"><a name="Seite_141" id="Seite_141">[S. 141]</a></span> +ewig 'n krummen Puckel machen und dir sauer anhauchen +lassen und wirscht doch nie mehr im Leben, wat die +andern sind!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Mensch! Da haste recht!</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Draußen veracht' dir keiner ... Und da biste bloß +<em>einem</em> Jehorsam schuldig, — das is der Meilenzeiger +... Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(schaut abschiednehmend um sich, mit hartem Entschluß)</p> + +<p>Gut! Wann willst du — losjehn?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Losjehn? ... Jleich. Uf'n Momang.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(in Erregung)</i></p> + +<p>Ich muß doch erst — mit ihm — reden ... Muß +doch kündigen.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ach! Sei doch kein Milchkalb! Wird er dir viel kündigen? +Und noch eins sag' ich dir: Der Jöttlingk is 'n +tück'sches Luder. Der verjeßt dir die Blamasche nich. Da +kannste morjen drei Zoll Stahl ins Leib kriegen, jleich, +noch auf'n nichternen Magen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(dumpf, entschlossen)</i></p> + +<p>Mir is alles egal.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Ne, ne, ne, ne. Komm jleich. Nimm dir in acht.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Zeugnisbuch muß ich haben. Dann komm' ich mit.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_142" id="Seite_142">[S. 142]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Zeichnisbuch? Ick weeß 'ne Penne hier in de Jegend, +da stempelt dir 'n jewesener Oberjeheimrat de piksten +Flebben noch heite nacht. Und denn — wat willste mit +'n Zeichnisbuch? — Et steht ja woll jeschrieben: »Ehrlich +währt am längsten« — aber 'n tichtiger Spitzbube fährt +mit vier Hengsten. Und iberhaupt mit die olle Tugend! +Die schabt sich ab wie 'ne dreck'ge Scheierbürschte. Da +droppt dir ewig de Nese von wie bei'n kleinen Swienegel +... Bloß natirlich — 'n jewisses Anlagekapital — +det missen wir haben.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wozu? Woher?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Det brauchste überall. — Ohne 'n Parchentlappen +kannste nich uf de Flohjagd. — Willste lernen Jold machen? +Kleinigkeit! Aber natirlich — wenn de keinen Dukaten +<em>hast</em>, kannste auch keinen Dukaten beschneiden. Siehste! +Das is der Witz ... Na, Jott sei Dank, bei uns is ja +nich wie bei arme Leit' ... Kleines Vermeegen zum Anfangen +— und so — is ja alles da.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich krieg' noch nich mal 's volle Monatsjehalt.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Aber Mensch! — Bejreifst de denn noch immer nich?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was denn? Na was denn?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_143" id="Seite_143">[S. 143]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Herrgott! Schon doch 'n bisken mein Ehrjefihl und +frag nich immer so glup'sch. Aber se sind doch nu mal da. +Da kann man doch nischt machen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was? Was? Was?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b> <i>(zaudernd, verlegen)</i></p> + +<p>Na — de — de — Diamanten.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die willst du am Ende —?</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Die brechen wir doch jetzt jleich aus. Det is doch 'n +janz reelles Jeschäftsprinzip. Anzeigen kann uns der Olle +nich mehr. Sonst blamiert er sich. Na?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ach so einer bist du! Na, dann jeh man wieder zu +Hause.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Du bist wohl 'n Schlamassel?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich muß jetzt elfe abpfeifen. <i>(Wild)</i> Jeh, oder ich +pack' dir ins Jenick.</p> + +<p class="actor"><b>Struve</b></p> + +<p>Na — denn mach's gut! ... Ick hab' mir aber sehr +in dir entteischt. Den Vorwurf kann ick dir nich ersparen! +... Äh! Is nischt mehr los mit's menschliche +Leben, nich vor und nich hinter de Mauer.</p> + +<p class="directive2">(Ab, von Biegler gefolgt. Man hört das Tor auf- und zuschließen)</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_144" id="Seite_144">[S. 144]</a></span></p> + + +<h3>Siebente Szene</h3> + +<p class="directive1"> +<span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler</span> +</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(tritt aus der Kantinentür und lauscht nach links hin)</p> + +<p>Vater, bist du's?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich bin's, Fräulein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(freudig aufschreckend)</i></p> + +<p>Ach Sie sind's ... Haben Sie Vater nich gesehn +mit — mit — noch einem?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nein.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach — 'n paar Augenblicke könnt' ich Sie sprechen +— ja?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich möcht' Sie ja auch noch sprechen, bevor ich ... +das heißt wenn Sie mir danken wollen etwa —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Danken darf ich Ihnen wohl noch nich mal! Weiß +Gott, Herr Biegler, ich wollt' Ihnen so gerne helfen. +Das war meine einzigste Absicht. Statt dessen haben Sie +mir geholfen. Nu helfen Sie mir auch weiter. Ich weiß +nicht aus, nicht ein.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is denn nu?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Er — war — eben da.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_145" id="Seite_145">[S. 145]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aha ... Na, wann wird Hochzeit sein?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(schweigt)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Oder will er noch immer nich?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja, ja, er will ... Er sagt wenigstens, er will ... +In Arbeit kommt er nich mehr zurück.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>So? Ei, ei!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber sobald er was andres gefunden hat, sagt er —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das kann ihm ja nich fehlen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, sagen Sie mir, is denn das möglich? — +Man hungert, man hungert nach seinem Glück, jahrelang +— und wie man's endlich hat — <em>so</em>, zwischen seinen +zwei Händen, da is es mit einem Mal keins mehr, da +<em>will</em> man gar nich mehr, da is man satt, satt. Satt is +man. Satt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer satt is, soll nich essen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich kann doch nicht »nein« sagen zu ihm ... Das +is doch Wahnsinn. Da drin schläft doch mein Lenchen.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_146" id="Seite_146">[S. 146]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(erregt, verbissen)</i></p> + +<p>Mancher Mann wär' glücklich, Ihr Lenchen auf dem +Schoß zu halten.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Herr Biegler, so etwas darf ich nich denken. Das is +Sünde.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Sünde is, wenn man sich mit sehenden Augen ins +Unglück stürzt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Das sagen Sie heute, und gestern — haben Sie +Stellung und alles — haben Sie hingegeben — bloß —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Gott weiß, wie alles kommt.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, wenn ich reden dürfte! Ich glaub' ihm ja nichts +mehr. Ich laure bloß immer: Was für 'n Hintergedanken +hat er nu? Mit Vater hat er im Winkel gesessen, weit +weg, damit ich nichts hören soll ... Es war da die +Rede von — Gott, Sie wissen ja, wie Vater is. Nu +hebt mich die Angst, daß er ihm irgend was Schlimmes +einredet.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wem kann der alte Mann denn was tun?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vielleicht irr' ich mich auch. Ach, sagen Sie mir, +was soll ich? Ich kann ja nich mehr los von ihm. Ich +bin jahrelang wie sein Hund zu ihm gewesen. Ich kann +ja nich mehr los von ihm.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_147" id="Seite_147">[S. 147]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, wenn Sie nich <em>können</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, lieber Herr Biegler, helfen Sie mir.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Helfen! Ich weiß mir alleine nich zu helfen!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie sind stark. Das weiß ich seit gestern. Sie +können, was Sie wollen! Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Hähähähä! Weil ich 'n Stein gefunden hab' zur richtgen +Zeit. Ich will <em>nich</em> bald wieder auf 'ner dreckigen +Pritsche liegen, Pennbruder rechts, Pennbruder links — +wenn nichts Schlimmeres — und mir die Augen aus dem +Kopf brennen vor — — <em>und muß doch</em>.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie können doch auch da gehn, wo Sie hingehören. +Zu Ihresgleichen.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Das <em>is</em> meinesgleichen, Fräulein Lore. Irren sich +nich. — Da <em>gehör'</em> ich hin ... Aus <em>der</em> Welt, wo Sie +sind, da bin ich 'raus. Wo ich lebe, da is Krätze und +Fuselgestank, da spuckt man sich auf die wunden Füße, +weil man kein Geld zu Salbe hat, da verkauft man seine +ewige Seligkeit um ein gefälschtes Stück Attest.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber noch sind Sie doch hier.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_148" id="Seite_148">[S. 148]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schon so gut wie nich mehr. Morgen früh geh' +ich weg.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber warum denn? Warten Sie doch ab!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich wart' gar nichts mehr ab. Nichts Gutes, nichts +Böses. — Ich geh' auf alle Fälle ... Nu sie aus meinem +eigenen Munde wissen, was für einer ich bin, nich einen +Tag mehr ... Dies is bloß wie 'n schöner Traum gewesen. +Der is nu aus ... Ach, bangen werd' ich mich +schon sehr ... Ja, <em>die Nächte</em>, wenn der Mondschein +überall auf den Blöcken liegt ... Da — sehn Sie, +da ... Bei Tag sind sie man grau ... Aber Nachts +wie Carrara ... Manchmal bin ich so 'rumgegangen und +hab' <em>einen</em> gestreichelt und den <em>andern</em> gestreichelt und +hab' gedacht: »Wer wird dich mal behauen — der Glückliche!« +... Und wenn dann erst alles ganz still wird +— ringsum auf den Straßen, — dann sitzt man mitten +in der Welt wie in einem schönen, warmen Mantel — +ganz ruhig und ganz — — ich sagt's Ihnen schon gestern +— aber das kommt erst viel später gegen Mor — — <i>(Hält +lauschend in ängstlicher Spannung inne)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was is?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(Man hört links Gelächter von Frauenstimmen und Singsang — scheinbar +sich entfernend)</p> + +<p>Horchen Sie! Horchen Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nun ja. Da lachen 'n paar auf der Straße. Was +is denn dabei?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_149" id="Seite_149">[S. 149]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Das sind die Mädchen, die unter Aufsicht stehn. Die +ziehen hier in die Runde — von elfe ab — immer ums +Straßenkarree 'rum — bis gegen Morgen. <i>(In Angst)</i> Solang +ich die lachen hör', da —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was haben Ihnen denn die armen Weiber getan?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(leise, geheimnisvoll)</i></p> + +<p>Sie is drunter. Ja, sie, sie ... die geht jetzt auch +so 'rum.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Woher wissen Sie das?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich hab' — sie — getroffen.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschrocken)</i></p> + +<p>Hier draußen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ne ... Bevor ich herkam. Oben im Norden ... +Wenn sie mich gesehn hätt' — ich hab' mich bloß geschämt, +weil ich so abgerissen war, sonst — weiß Gott, was ich +jetzt schon wär' ... <i>(Er schaudert)</i> Ja, der Hunger kann viel ... +Na — werden ja sehn!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(erschüttert)</i></p> + +<p>Aber Sie haben doch Ihren guten Willen, Sie —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is guter Wille? Mein guter Wille sind Sie gewesen, +Sie und der komische alte Mann da drin. Von jetzt +ab hält mir keiner mehr die Stange hin. Aber gedenken<span class="pagenum"><a name="Seite_150" id="Seite_150">[S. 150]</a></span> +werd' ich's Ihnen — bis — ... Fräulein Lore, es is mein +letzter Dienst heute. Ich hab' die Elf-Uhr-Runde noch nich +gemacht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(sich ängstlich umschauend)</i></p> + +<p>Ach — noch — noch — Wenn ich bloß wüßte, wo er +Vater hingeschleppt hat ... Ich kann die Angst nich los +werden, daß, daß — —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na, was denn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, nehmen Sie sich vor dem Block in acht — +dort — ja?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja, ja, der hängt locker, ich weiß ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Und bleiben Sie wenigstens im Mondschein. Gehn Sie +nich ins Finstre — nein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(kurz auflachend)</i></p> + +<p>Das wär' 'n richtiger Wächter, der sich vorm Finstern +grault. Und heut bin ich noch einer ... Heut bin ich +noch Mensch ... Morgen munter — wieder 'runter — in +den Morast ... <i>(Streckt in tiefer Bewegung die Hand gegen sie aus)</i> +Gut soll's Ihnen gehn, Fräulein Lore ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ohne die Hand zu nehmen)</i></p> + +<p>Ja, Herr Biegler, wenn's Ihnen hier so gefällt ... +Schließlich, wenn's Ihnen die andern verzeihen, warum +<em>müssen</em> Sie denn durchaus weg?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wer wird <em>mir</em> verzeihen? ... Die Steinmetzen haben +ja schon beraten, daß sie morgen zum Alten gehen werden +— und —</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_151" id="Seite_151">[S. 151]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Nu ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>— und —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ach, Sie denken wohl ...? Ach, Sie wissen noch +gar nich ...?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was is da viel zu wissen?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler, die Steinmetzen <em>wollen</em> morgen zum +Alten gehn — das is richtig, aber nicht darum, was <em>Sie</em> +glauben, sondern weil sie ihm sagen wollen, daß sie gerne +mit Ihnen zusammenarbeiten werden.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verständnislos)</i></p> + +<p>Die Steinmetzen — wollen — dem Al—</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ja. Weil Sie ja bewiesen haben, daß Sie vom Fach +sind, und weil Ihr Auftreten gestern ihnen so gut gefallen +hat, darum soll Ihr Privatleben keinen mehr was angehn, +haben sie gesagt.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Die Steinmetzen wollen — die Steinmetzen wollen +— die Steinm— — — Gott, Gott, Gott! ... Die Steinmetzen +wollen — ja, warum haben Sie mir das nich schon +früher gesagt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Sie sagten doch, Sie warten gar nichts mehr ab ... +Sie gehen auf alle Fälle.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_152" id="Seite_152">[S. 152]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn die Steinmetzen <em>wollen</em>, warum soll <em>ich</em> +denn —? Wenn ich wieder — ich soll wieder Krönel +und Scharriereisen in die Hand nehmen? ... Ich soll +wieder die blaue Schürze — umbinden — dürfen? Ich +soll — soll — soll — wieder die blaue Schürze ... <i>(Heimlich, +leise, in Angst)</i> Fräulein Lore, ich will Ihnen was anvertrauen. +— Aber — <i>(Legt die Hand auf die Lippen)</i> Ich hab' nämlich manchmal +solche Anfälle gehabt <i>(wischt sich über die Stirn)</i> in der Anstalt +... Das find't man dort sehr oft ... Sind Sie ganz +sicher, daß Sie das eben gesagt haben, daß die Steinmetzen +— morgen — dem Alten —?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber Herr Biegler, ja, ja!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Und Sie glauben auch, es kann — nichts mehr — +dazwischenkommen — bis morgen?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was sollt' denn das sein?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nu, daß die Steinmetzen ihren Sinn ändern — oder +daß der Alte sagt: »Nein« — oder daß mir 'n Stein auf'n +Kopf fällt — oder, was weiß ich?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(sieht sich erschrocken nach der Treppe um, leise)</p> + +<p>Stein auf'n —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(lachend)</i></p> + +<p>Ach, wissen Sie, das wär' wirklich schade. Denn ich +bin immer 'n tüchtiger Arbeiter gewesen ... Ich hab'<span class="pagenum"><a name="Seite_153" id="Seite_153">[S. 153]</a></span> +schon zwei Preise gekriegt ... Ich bin mal vor der +ganzen Innung — bin ich öffentlich belobt worden ... +Gespart hab' ich auch mal ... Ich hab' mal schon +acht Mark fünfzig pro Tag verdient ... Ich versteh' auch +gut in Granit zu arbeiten. Profile und Alles ... Granit, +das wissen Sie ja, das ist das Härteste ... Dabei scheint +es einem manchmal wie Gallert ... weicht einem geradezu +aus. Man kann da mit dem Spitzeisen gar nich 'ran ... +da muß man — da muß man — <i>(vom Glücke überwältigt)</i> Die +Steinmetzen — wollen — mit mir — — <i>(sinkt lachend und +schluchzend auf die Bank, das Gesicht gegen die Mauer gelehnt, leise)</i> +arbeiten — mit mir — arbeiten — —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(macht mitleidig einen Versuch, seinen Rücken zu streicheln)</p> + +<p>Ach Gott! <i>(um ihn zu erwecken, ein wenig ängstlich)</i> Herr +Biegler! ... Herr Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(zu sich kommend)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, ja! Wo hab' ich meinen Stock — meine +Pfeife? ... Ich bin ganz, ganz ... die Kontrolluhren +hab' ich auch noch nich gestochen! — Heut darf ich nichts +versäumen, sonst ... Hahaha — hahahaha! Adieu, Fräulein +Lore. Ich komm' bald wieder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Wo wollen Sie hin, Herr Biegler?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Runde machen — nach oben — die Treppe 'rauf ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler. Nich die Treppe 'rauf!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_154" id="Seite_154">[S. 154]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Warum denn nich? Haben Sie immer noch Angst +vor dem Block?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(in wachsender Angst)</i></p> + +<p>Gehn Sie nich, Herr Biegler! Wenn Sie sich freuen +auf Ihr künftiges Leben — wenn Sie den Krönel wirklich +noch mal führen wollen — wenn Sie — ... <em>Mein Kind</em> +hat Ihnen das erste Willkommen gesagt, das hat Ihnen +Glück gebracht — darum ... ach, gehn Sie nich! Gehn Sie +wo anders, aber da <em>nicht</em>!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Fräulein Lore, Sie werden ja wohl Ihre Gründe +haben —</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>J, ja, ja, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber sein Sie ganz ruhig! Nu kann geschehn, was +will! Mir tut keiner mehr was. Jetzt nich mehr. Nee.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(entschlossen)</i></p> + +<p>Dann komm' ich mit.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Gut! Kommen Sie mit. Gehn wir alle beide nachtwächtern!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ruft hinauf)</i></p> + +<p>Is da einer oben? <i>(Schweigen)</i></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Na sehn Sie!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Herr Biegler, wenn wir die Treppe 'raufgehn, dann +fassen Sie mich mal um den Leib. Ganz fest.</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_155" id="Seite_155">[S. 155]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich soll Sie umfassen? Das is doch nich Ihr Ernst?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(umschlingt ihn rasch, mit erhobener Stimme)</p> + +<p>So werden wir jetzt die Treppe 'raufgehn. Und dann +wollen wir doch mal sehen.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholzens Stimme</b> <i>(von oben)</i></p> + +<p>Wirste weg da, du —</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p> + +<p>Scht!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Nanu! Was is denn <em>das</em>? <i>(Er reißt sich los und springt +blitzschnell die Treppenstufen hinan. — In demselben Augenblicke stürzt +dicht hinter ihm der Block mit Getöse herunter, prallt gegen die Stufen und +zerschellt am Boden. Eine Staubwolke wirbelt auf. Man hört oben das ängstliche +Granzen des alten Eichholz und ein Stöhnen wie von Ringenden)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(ist mit einem Schreckensruf zurückgewichen und schreit, sinnlos vor Angst, +in das Dunkel hinauf)</p> + +<p>Tu ihm nichts, Eduard. Ich zeig' dich an. Ich zeig' +dich an. Ich zeig' dich an.</p> + +<p class="actor"><b>Göttlingks Stimme</b></p> + +<p>Schrei nich, du Frauenzimmer! <i>(Man sieht seine Gestalt nach +links hin flüchten und verschwinden)</i></p> + + +<h3>Achte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz.</span> Später <span class="gesperrt">Zarncke.</span> <span class="gesperrt">Marie.</span> +<span class="gesperrt">Frau Homeyer.</span> <span class="gesperrt">Zwei Dienstmädchen</span></p> + +<p class="actor"><b>Stimmen von der Straße her</b> <i>(durcheinander)</i></p> + +<p>Was ist da los? Was is da geschehn? Da is Mord +und Totschlag ... Macht doch mal auf! ... Aufmachen! — +<i>(Man rüttelt am Tor)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_156" id="Seite_156">[S. 156]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(führt unterdessen den Alten die Treppe herab)</p> + +<p>Vorsicht! ... Da sind Stufen zerbrochen. — Vorsicht! —</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(betrunken weinend)</i></p> + +<p>Ich bin unschuldig. Ich hab' nichts getan ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(ihnen entgegen)</i></p> + +<p>Um Gottes willen, Vater!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(gibt den Alten, der sich nicht aufrecht halten kann, an Lore und ruft nach +links hinübergehend atemlos)</p> + +<p>Was wollen Sie hier? 'n Stein is 'runtergefallen. +Weiter nichts ... Weiter is nichts. —</p> + +<p class="actor"><b>Die Stimmen</b> <i>(durcheinander)</i></p> + +<p>Nu machen Sie doch mal das Tor auf ... Wollen +mal nachsehen.. Geschwindelt wird nicht ... Aufmachen!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Hier wird nichts aufgemacht. Gehen Sie Ihrer Wege! +<i>(Pfiffe. Gelächter. Abgerissene Rufe. Dann allmählich Stille)</i></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(der von Lore zu dem vordersten Block geführt wird, wo er sich niedersetzt, +derweilen weitergranzend)</p> + +<p>Ich bin nu auch 'n Mörder. Ich komm' nu aufs +Schafott.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(hat derweilen Licht gemacht, das Rouleau hochgezogen und die Glastür +geöffnet, dann tritt er im Schlafrock auf den Balkon hinaus)</p> + +<p>Was is da unten? Is da ein Unglück geschehn?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit flehender Gebärde zu Biegler hin)</p> + +<p>Ach bitte, bitte!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_157" id="Seite_157">[S. 157]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Bekomm' ich keine Antwort?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(nach Atem ringend, mit zitternder Stimme)</p> + +<p>Der Oberkirchner Sandsteinblock links an der Treppe +is vom Stapel gefallen, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Wie hat denn das passieren können?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Er stand auf Hochkant im Flaschenzug. Da haben +sich wohl die Ketten gelockert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Und was klagt der alte Eichholz so? Hat er sich +verletzt?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(Angst und Erregung niederzwingend, mit geheuchelter Ruhe)</p> + +<p>Er hat sich wohl 'n bißchen weh getan ... Aber +schlimm is es nicht, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na wenn's weiter nichts is.</p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b> <i>(wird allmählich still)</i></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b></p> + +<p class="directive2">(in Nachtjacke mit einem dunkeln Tuch darüber, ist mit zwei Mägden hinter +sich auf die Veranda hinausgetreten)</p> + +<p>O Gott, o Gott, o Gott, da is gewiß 'n Malheur +passiert.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b> <i>(herunterrufend)</i></p> + +<p>Nichts is passiert. Geht mal alle ins Haus zurück!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_158" id="Seite_158">[S. 158]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p class="directive2">(die während des Vorigen in dem — gleichfalls erhellten — Fenster des +Wohnzimmers erschienen ist)</p> + +<p>Du, Lore, komm mal her zu mir.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(geht zu ihr)</i></p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(derweilen)</i></p> + +<p>Da is sicher wieder 'n fremder Mann bei der Lore +gewesen. Da möcht' ich jeden heiligen Eid drauf schwören.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na, wird's bald?</p> + +<p class="actor"><b>Frau Homeyer</b> <i>(mit den Mägden ab)</i></p> + +<p>Ja, ja, ja, geh' schon. Herrgott, ja.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Was schriest du da vorhin? Und zu wem?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(bebend)</i></p> + +<p>Ich?</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Ich war wach. Mich täuschst du nicht.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Vaterchen?</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Geh nu man auch zu Bett. Den Schaden können +wir uns morgen besehn. Das heißt, dem Willig werd' +ich aufs Dach steigen. Haben sich wohl tüchtig erschreckt, +Biegler — was?</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_159" id="Seite_159">[S. 159]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(noch immer zitternd in Erregung)</p> + +<p>Ach — nich sehr — Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p>Na denn: Gute Nacht, Kinder.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Herr Zarncke.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(gleichzeitig)</i></p> + +<p>Gute Nacht, Vaterchen.</p> + +<p class="actor"><b>Zarncke</b></p> + +<p class="directive2">(geht ins Zimmer zurück und schließt die Glastür)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(leise)</i></p> + +<p>Morgen erzähl' ich dir alles. Es is viel geschehn seit +gestern.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b></p> + +<p>Aber doch nur Gutes?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b> <i>(fest)</i></p> + +<p>Ja. Weiß Gott.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(in wehmütiger Güte)</i></p> + +<p>Na, dann freut's mich auch. Gute Nacht.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Mariechen.</p> + +<p class="actor"><b>Marie</b> <i>(schließt das Fenster. Ab)</i></p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_160" id="Seite_160">[S. 160]</a></span></p> + + +<h3>Neunte Szene</h3> + + +<p class="directive1"><span class="gesperrt">Lore.</span> <span class="gesperrt">Biegler.</span> <span class="gesperrt">Eichholz</span></p> + +<p class="directive2">(Fenster und Glastür verdunkeln sich. Die Stimmen der Straße haben sich +allmählich verloren. Mitternachtsstille)</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p class="directive2">(sinkt, von den Folgen der ausgestandenen Erregung überwältigt, auf die +Bank und atmet schwer)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Was is Ihnen, Herr Biegler? Sind Sie ganz heil +geblieben? Is Ihnen auch nichts geschehn?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ich muß mich bloß — 'n bißchen verschnaufen ... +ich bin ganz ...</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Aber Sie rangen doch mit ihm? Hat er Ihnen da +nichts getan?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Er hat nich mal mehr so viel Courage gehabt, seinen +Dreikantigen zu ziehn. — Na, kommen Sie noch immer +nich los von ihm?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(mit einer wilden Gebärde des Befreitseins)</p> + +<p>Ach!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Ja. Dem sein Hund sind Sie <em>gewesen</em>, scheint mir.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Und meinen alten Vater so zu — der Schuft! ... +Vater! Du mußt zu Bett gehn, Vater!</p> + +<p><span class="pagenum"><a name="Seite_161" id="Seite_161">[S. 161]</a></span></p> + +<p class="actor"><b>Eichholz</b></p> + +<p class="directive2">(antwortet nicht, atmet tief im Schlafe)</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gott! — Nu sehn Sie bloß!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Schläft er am Ende?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p><em>Dem</em> werden Sie doch nichts nachtragen?</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Wenn er mir nichts nachträgt. Hahaha.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Herr Biegler!</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Was, Fräulein Lore?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Ich kann nichts sagen — mir ist das Herz so — ich +kann nicht ...</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b></p> + +<p>Aber die Hand können Sie mir geben. <i>(Streckt ihr die +Hand entgegen)</i> Wenn die nu wieder rein wird, dann sind +Sie schuld.</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p class="directive2">(weist kopfschüttelnd nach dem Balkon)</p> + +<p>Unser Alterchen da oben is schuld.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(seine Hand in der ihren)</i></p> + +<p>Ja, wie's auch wird, dem wollen wir danken ... +Scht! ... Schlägt's da nich zwölfe? <i>(Man hört die ferne</i><span class="pagenum"><a name="Seite_162" id="Seite_162">[S. 162]</a></span> +<i>Turmuhr schlagen)</i> Wahrhaftig! Nu muß ich aber wirklich +mal Runde machen und abpfeifen ... Sonst bin ich ja gar +nich wert, daß ... <i>(Lacht leise und glücklich)</i> Gute Nacht, Fräulein +Lore!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht, Herr Biegler.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(am Fuß der Stufen)</i></p> + +<p>Na, nu kann ich ja wohl ruhig die Treppe 'rauf?</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p><em>Der</em> kommt nie wieder. —</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(von den Stufen her)</i></p> + +<p>Gute Nacht!</p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Gute Nacht.</p> + +<p class="actor"><b>Biegler</b> <i>(verschwindet nach rechts)</i></p> + +<p class="actor"><b>Lore</b></p> + +<p>Vater! ... Nu mußte aber wirklich schlafen gehn, +Vater. <i>(Der Alte rührt sich nicht. Man hört Biegler dreimal kurz pfeifen)</i> +Vater, hörst du, wie er pfeift? <i>(Biegler pfeift — wieder von weiter +her)</i> Vater, das Glück pfeift! Das Glück pfeift! <i>(Sie sinkt +schluchzend vor dem Alten nieder, das Gesicht an seinem Knie verbergend. +Der Alte schläft fort. — Das Pfeifen Bieglers tönt leiser, je weiter er +sich entfernt)</i></p> + +<p class="directive2">(<span class="gesperrt">Der Vorhang fällt langsam</span>)</p> + +<div class="figcenter" style="width: 100px;"> +<img src="images/162_deco.png" width="100" height="43" alt="" /> +</div> + + +<div class="transnote pagebreak"> +<h2>Anmerkungen zur Transkription</h2> + +Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen +gebräuchlich waren, wie: + +<ul class="index"> +<li>anderen — andern</li> +<li>besehen — besehn</li> +<li>danach — darnach</li> +<li>Gehen — Gehn</li> +<li>sehen — sehn</li> +</ul> + + +Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. +Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: + +<ul class="index"> +<li>S. 31 »teilnahmlos« in »teilnahmslos« geändert.</li> +<li>S. 66 »austapenzieren« in »austapezieren« geändert.</li> +<li>S. 71 »verschüchert« in »verschüchtert« geändert.</li> +<li>S. 76 »pike-pikefeiner« in »pikefeiner« geändert.</li> +<li>S. 130 »umso« in »um so« geändert.</li> +<li>S. 156 »der Lore von« in »der von Lore« geändert.</li> +</ul> + +</div> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of Project Gutenberg's Stein unter Steinen, by Hermann Sudermann + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK STEIN UNTER STEINEN *** + +***** This file should be named 62132-h.htm or 62132-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/2/1/3/62132/ + +Produced by Peter Becker and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was +produced from images generously made available by The +Internet Archive) + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted +with the permission of the copyright holder, your use and distribution +must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any +additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms +will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works +posted with the permission of the copyright holder found at the +beginning of this work. + +1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm +License terms from this work, or any files containing a part of this +work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. + +1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this +electronic work, or any part of this electronic work, without +prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with +active links or immediate access to the full terms of the Project +Gutenberg-tm License. + +1.E.6. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org + + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Donations are accepted in a number of other +ways including checks, online payments and credit card donations. To +donate, please visit: www.gutenberg.org/donate + +Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. + +Professor Michael S. Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + + + +</pre> + +</body> +</html> diff --git a/old/62132-h/images/006_deco.png b/old/62132-h/images/006_deco.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..6ffc13f --- /dev/null +++ b/old/62132-h/images/006_deco.png diff --git a/old/62132-h/images/162_deco.png b/old/62132-h/images/162_deco.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c1a5790 --- /dev/null +++ b/old/62132-h/images/162_deco.png diff --git a/old/62132-h/images/cover.jpg b/old/62132-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..2fbce2b --- /dev/null +++ b/old/62132-h/images/cover.jpg diff --git a/old/62132-h/images/signet.png b/old/62132-h/images/signet.png Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..3d7e8f3 --- /dev/null +++ b/old/62132-h/images/signet.png |
