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If you are not located in the United States, you'll -have to check the laws of the country where you are located before using -this ebook. - - - -Title: Laubstreu - -Author: Irene Forbes-Mosse - -Release Date: October 3, 2019 [EBook #60416] - -Language: German - -Character set encoding: UTF-8 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - - - - -Irene Forbes-Mosse / Laubstreu - - - - - Irene Forbes-Mosse - - - Laubstreu - - - [Illustration] - - Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart - Berlin und Leipzig - 1923 - - - - - Alle Rechte vorbehalten - Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart - - - - -Inhalt - - -Der Pelikan 7 - -Mitleid 21 - -Wie es die Kinder erlebten 45 - -Etüde 87 - -Die Waldschenke 127 - -Die Verirrten 145 - -Glückliche Zeiten 159 - -Zoologie 175 - -Laubstreu 189 - - - - - Der Strauch erzittert, - Wenn ein Vöglein drüber flog, - Mein Herz erzittert, - Weil Erinn'rung es durchzog. - - _Petöfi_ - - - - -Der Pelikan - - -Zwei Menschen wanderten im toskanischen Lande. Sie hielten sich fern von -den großen Städten. Nicht aus Menschenscheu; denn große Liebe ist wie -der Panzer des Ritters ohne Furcht und ohne Tadel. Aber es war in der -Frühlingsvollendung ein Ermatten über sie gekommen, und in den kleinen, -grauen Nestern, wo das Land mit tausend blühenden Obstbäumen, die Hügel -hinan, gegen die alten Mauern zu Felde zog, ließen sich die letzten -Tropfen mit trägeren, tieferen Zügen trinken. Hier waren nur einfache -Menschen, die die Erde umgruben oder vor den Häusern saßen mit ihren -Handwebstühlen und Korbflechtereien: irgendein graues Steinwappen über -der Tür deutete wohl zurück in alte, streitsüchtige Zeiten, aber in -diesem gleichmütigen Sonnenschein dachte man nicht an sie, streichelte -ein Kätzchen, lächelte einem braunen Mädchen zu, das mit schönen -überfließenden Kupfergefäßen vom Brunnen kam; da war kein -Peitschenknallen, kein Menschengedräng, keine großen, weltberühmten -Bauten, die beiden aus ihrem Behagen aufzuschrecken, wenn sie durch -das silberne Land schlafwandelten, das sie anzublinzeln schien wie eine -heimlich Verbündete. Ohne Plan gingen sie, hügelan und hügelab, zwischen -Mauern auf engen gepflasterten Wegen, über die der Schattentanz der -Olbäume zitterte, oder die Mauern hörten auf, und man sah weit aus ins -Grau, ins Silber, von Mandel und Pfirsich und Kirsche weiß und rosig -getupft; feine Kirchtürme ragten, zart und erlesen, und immer neue Hügel -taten sich auf, breitschultrig und grau und gütig. - -So kamen sie einmal zu einer kleinen Kirche, bei der ein paar verwitterte -Denksteine standen und lagen, von wildem Salbei umwuchert; seitwärts -eine niedere Mauer, das Gärtchen umschließend, wo eben der Pfarrer, mit -geschürztem Kleide, die Gießkanne in der Hand, zwischen Artischocken -und Brokkoli und süßduftendem Goldlack umherging. Als er die Fremden -erblickte, kam er herbei, trocknete sich die Hände und stellte seine -Führerdienste freundlich und selbstverständlich zur Verfügung. Denn in -dem Kirchlein war ein schönes Grabmal von berühmter Hand, das weiß und -unverletzt in der Verlassenheit ruhte, wie in Italien nicht selten, wo in -weltvergessenen Winkeln die zartesten Wunder leben, als sei die Schönheit -mit zerrissener Perlenschnur durchs Land gegangen, achtlos, wohin die -schimmernden Tropfen rollten. - -Sie traten in die Dämmerung der Kirche. Überall schälte sich der Bewurf -von den Mauern, daß der zartrosa Ziegel und Überreste früher Fresken -sichtbar wurden: hier eine flehende Hand, ein Stück blauen Gewands, dort -ein runder Baumwipfel, mit Früchten und Vögeln beladen. Aber der Altar -glänzte in neuer Ölfarbe und vergoldetem Zierat, und an den Wänden -hingen die Stationen des Leidenswegs in grellbunten Bildern. Da -- in einer -Seitenkapelle -- blieb alles zurück, das Grabmal lag so rührend in seiner -wehrlosen Schönheit und hatte doch -- wie einst _eine_ reine Jungfrau ihre -Heimatstadt vor der Pest bewahrte -- die verwitterte Kapelle vor Kelle und -Kalktopf und schlimmerer Unbill bewahrt. - -Eine Schwester hatte es ihrem Bruder errichtet in jener Zeit, da man durch -Werke selig und unselig wurde und es dafür wohl weniger Gedankensünden -gegeben hat. Die Furchen des hagern, nachdenklichen Gesichts waren leicht -bestaubt; in jeder Mantelfalte, zwischen den ums Schwert gefalteten Fingern -hatte sich Staub angesammelt; so war der Ausdruck, trotz des dämmerigen -Lichts, deutlich, gleichsam unterstrichen. Es lag freigebige, menschliche -Güte auf diesen Lippen, ja ein wenig gutmütiger Spott zuckte in der -Wange, schien hinüberzuwinken in eine spätere Zeit; aber die Stirn war -entschlossen und sorgenvoll, und die Hände, zum Halten wie zum Geben -tauglich, würden nicht lange die betende Stellung bewahrt haben, hätten -sie gefühlt, wie jemand den schönziselierten Schwertknauf berührte. - -An der Mauer gegenüber war die Grabstelle der Schwester, eine lateinische -Inschrift an der Wand, und auf der Erde, da, wo ihr Sarg versenkt war, eine -Marmorplatte mit eingemeißeltem Wappen und Federgekräusel. Sie hatte nur -wenig Jahre nach dem Bruder gelebt, seinen Namen geehrt, sein Gut verwaltet -und hier, bei seiner Ruhestätte, in der spitzfindigen Demut jener Zeit als -Franziskanerin gekleidet, die ewige Ruhe gefunden, nachdem sie ihr Eigentum -verteilt und im Hofe ihres Landhauses täglich alle die Elenden, die -Bettler und Kranken und Krüppel gestärkt und verbunden hatte. Aus den -alten Scheiben fiel Regenbogenlicht wie ein Schmetterlingsschwarm über die -Ranken und Zacken des Wappenschilds. Ach, war es nicht schön und stolz, -nach stillen, nützlichen Jahren hier zu ruhen, dem einen nahe, dem ihr -ganzes Leben, wie selbstgesponnene und -gewobene Leinwand unter die Füße -gebreitet war? Was auch sonst ihre kleinen, verbrauchten Jungfrauenhände -geschafft und gewirkt, wieviel Wunden sie gewaschen, wieviel Brot sie -verteilt hatten, _diese_ Liebe war der Wein ihres Lebens gewesen ... - -Die Frau trat zum Grabmal des Bruders zurück und legte ihre Hand in -die sanfte Mulde zwischen Schulter und Brustwölbung, erschaffen, um ein -schlafendes Haupt zu stützen, und bei Frauen eben groß genug, um ein -Kinderköpfchen aufzunehmen. - -Und es ging ihr ein schmerzliches Entzücken durchs Herz, wie eine -Seligkeit, die man nicht nennen, nicht festhalten kann, kurz vor dem -Erwachen in der Frühe, wenn der Traumfaden immer feiner wird und abreißt -ohne Schluß. - -Als sie nun wieder aus der Kirche herauskamen, sah die Frau, sich wendend, -um Abschied zu nehmen, zu einem kindlich in Stein geschnittenen Neste über -dem Türbogen empor, darin sich ein Pelikan für seine Jungen die Brust -zerfleischte. - -»Das ist,« sprach der Pfarrer, ihrem Blicke folgend, »unsere -Heilige-Mutter-Kirche, die sich den Sündern und Verirrten hingibt und -die Traurigen und Mühseligen an ihr Herz nimmt wie der Pelikan seine -Kinder ...« - -Wie katholisch, dachte die Frau. Dieser freundliche Mann will jedem, der -mit den Wellen kämpft, ein Ruder hinhalten, ihn daran zurückziehen in die -große Familienarche. Seine Religion hat so viel Winkel und Schnörkel und -Ruhepunkte wie die alten gotischen Dome, in deren Zacken und Simsen Tauben -nisten. - -Dann schnitt der Pfarrer Goldlack für sie ab, und wie sie so dastand, halb -noch zurückgewendet, hätte sie in der Demut ihres Herzens am liebsten -still ein Kreuz geschlagen; auch tat es ihr leid, daß er gemerkt hatte, -daß sie nicht zu seiner Kirche gehörten, und so gütig und ausführlich -hatte er ihnen doch alles erklärt. Darum hätte sie das symbolische -Zeichen, das niemand schaden kann und dem alten Manne heilig war, gern -angebracht; aber sie war nicht allein und verpaßte den Augenblick, -und wenn man in Gefühlssachen nachdenkt, so unterläßt man Dinge, die -eigentlich so einfach sind. - -Nach Jahren kam sie allein zurück. Sie bewohnte ein kleines Fremdenheim -am äußersten Gürtel der Stadt, wo sie in kurzer Zeit ins freie Land -gelangen konnte. Es war Sommer, und den ganzen Tag ging die Feile der -Zikaden von den Platanen der Ringstraße. Feigen gab es in Überfluß, -an jeder hing die reife Süßigkeit wie ein klarer Bernsteintropfen; aber -Rosen gab es nicht mehr. Die Erde war wie gebacken, die Hecken an den Wegen -staubgepudert und leblos; auf der Windseite hatten die Zypressen einen -grauen Überzug, und die Luft schmeckte nach Staub; es würde noch Wochen -dauern, bis Regen kam. Wenn sie dann am Abend ihr Fenster auftat und die -noch glühende Luft hereindrang, dachte sie manchesmal an jungen Buchenwald -in ihrer Heimat, wenn sich die Kronen nach einem Regenschauer dehnen, oder -an die Wiesen daheim, noch ungemäht, wo zwischen Erlen und Haseln der Bach -schlüpft, übervoll, durchsichtig braun mit goldenem Sonnengekringel; aber -doch sehnte sie sich nicht fort. Ihre Bekannten hatten längst die Stadt -verlassen, aber das Losreißen wurde ihr schwerer denn je, ach, überall -hatten sich Wurzeln ihres Herzens festgesaugt. Nun war die Zeit, da -die fliegenden Buden der Limonadenverkäufer aus der Erde schossen, mit -unzähligen, vielfarbigen Flaschen, mit Papiergirlanden und baumelnden -Zitronen geschmückt; arme Kinder gingen und kauften sich Eis, löffelweis, -für zwei Centesimi, und das winzige Schwesterchen, dem ein kleiner -Papierfächer am Ärmchen hing, leckte zuerst, und der große Bruder leckte -auch, aber eigentlich tat er nur so, damit das Schwesterchen alles bekäme. -Die Militärmusik spielte auf den Plätzen, und schöne sonnenbraune -Ammen, die mit ihren bunten, getollten Haarbändern wie eine Versammlung -königlicher Georginen breitschultrig auf allen Bänken saßen, die -Bambini mit den Samtaugen streichelnd und ihre braunen Brüste darreichend, -schwatzten mit heiseren toskanischen Kehllauten und wiesen beim Lachen ihre -kleinen, gesunden, feuchtglitzernden Zähne. Aber auch drinnen in der -Stadt verlegte sich das Leben mehr und mehr auf die Straße. Aus all -den Rembrandthöhlen der Schuster und Schreiner tauchten alte und junge -Gestalten und schafften vor offenen Türen; und bei offenen Türen auch -übte der Barbier seine Kunst aus, in seiner weißen Jacke geschmeidig wie -ein Hermelin. Als wäre man mitten in eine Komödie von Goldoni geraten, -oder als sollte im nächsten Augenblick die Musik zum »Liebestrank« -einsetzen und Doktor Dulcamaras Wunderkarren auf den Platz rollen. Nun war -die Zeit, daß die Statuen und Gemälde in den verlassenen Galerien ihr -zu winken schienen: »Wie, du willst gehen? Bleibe, wir sind allein, wir -wachen und reden, Heidengötter und Christengötter, alle hat uns die -Schönheit angehaucht mit ihrem unvergänglichen Kuß.« Und um sie alle -wob die Einsamkeit immer wieder jene feine, befremdende Luftschicht, -die erlesene Kunstwerke umgibt, anlockend und abwehrend und niemals ganz -bezwungen. - -Aber das liebste von allem waren ihr die stillen Höfe der Kirchen, die -früher Klöster gewesen sind. Mit ihren großen, schläfrigen Katzen, dem -heißen sonnigen Fleck in der Mitte und darüber ein Stückchen tiefblauen -Himmels; plötzlich ein leuchtender Taubenflug, wie rauschte das durchs -Herz! In den Klosterhöfen schimmerten die fedrigen Sterne an den -Myrtenbüschen, bitter würzig; aber die Oleanderblüten lagen gebräunt -und verwundet auf den Steinplatten der Kreuzgänge; unaufhaltsam -destillierte die Sonne das flüchtige Öl aus Kräutern und Blättern. -Und stundenlang konnte sie da sitzen, auf einem Mäuerchen, einem -Säulentrümmer ... bis schließlich der freundliche Kustode kam und sagte, -es würde geschlossen ... - -Es war gegen Abend, als der kleine Einspänner sie nach jenem Kirchlein -fuhr, das sie seit damals nie wiedergesehen hatte. Die grausamen, -quälenden Jahre waren nun vorbei, als sie Augen und Ohren zuhielt, nur um -nicht erinnert zu werden, als sie Ruhe nur fand an Stätten, wo sie früher -nie gewesen. Jetzt hatte sich etwas geändert. Denn es war so vieles -seither über sie hereingebraust, Dinge, von denen man weiß, daß sie -immer in der Welt waren, daß sie niemals unmöglich sind; aber am eigenen -Weg hatte man sie nie erwartet, und auf einmal sind sie da und legen einem -die Hand auf die Schulter -- wie wenn einer verhaftet wird, der sich sicher -fühlte im Menschengewühl. Ach, diese harten, einfachen, trostlosen Dinge, -die da gestanden hatten und gewartet ... Und jetzt, auf einmal, hatte sie -Heimweh nach jenem ersten brennenden Leid, heute schien es ihr kostbar, -denn es war ja so traumhaft verwoben mit Lebensdrang und Ungeduld und -Entzücken, und nun suchte sie in der Erinnerung, und siehe, der Schmerz -war dumpfer geworden, aber das Freundliche, das Entzückende jener Tage -lebte auf, und Stunden gingen an ihr vorüber und lächelten ihr zu, den -Finger an den Lippen. - -Ach damals, wie alles zu versinken schien, jung war damals ihr Herz; -jeder Nerv hatte sich kläglich gewunden und um Gnade gefleht, wie ein -verbranntes Kind das Händchen hinhält und nicht glauben will, daß das -je vorübergehen kann. Aber es hatte sich doch gewandelt; denn die -großen, harten Dinge waren gekommen und die Zeit war gegangen, grau und -unbekümmert, und nun war sie wieder hier und witterte und horchte und -suchte ihr erstes Leid in zitterndem Heimweh. Und fand es wieder an -abgeschrägten Straßenwinkeln, wo man zwischen Mauern hinuntersieht, und -ganz in der Ferne sind die unvergessenen Hügel, zart und karg und traurig -im Abendrot, die Straße führt hin, führt ins Paradies ... fand es -wieder, wenn sie ein Lorbeerblatt zwischen den Fingern rieb oder wenn am -Abend der Geruch von schwelendem Rebenholz durch die Luft zog ... fand -es wieder, wenn sie nachts, halb schon im Schlaf, die ächzenden Karren -hörte, den heiseren Gesang der Männer, die, einen Grashalm im Mund, auf -ihren Lasten ausgestreckt, die Pferde im Sternenlicht lenken. - -Der Wagen hielt; an dieser Stelle ging das letzte Stückchen Wegs steil -aufwärts. Die Frau stieg aus; auch damals waren sie hier ausgestiegen, -um das kleine eifrige Pferd zu schonen. Der Himmel öffnete seine -Perlmutterschalen über der matt atmenden Welt. Der kleine Garten war leer, -der Pfarrer nicht zu sehen, aber drinnen in der Kirche putzte eine alte -Frau den Altar mit Papierlilien. Sie schritt nach der Seitenkapelle. Dort -war es beinah Nacht, das bunte Fensterglas schwarz, nun die Sonne es nicht -mehr durchglühte. Aber der stille Mann schimmerte treugeduldig in seiner -Einsamkeit, und auf seinem Antlitz fand sie das feine, sorgenvolle Lächeln -wieder, als warte er auf einen Ruf, auf eine Antwort und sähe ein, daß er -sich für heute bescheiden müsse; ja, noch lebendiger schien ihr der -Mund, schienen ihr die kraftvollen Hände, als ob das Herz noch immer, -stillgeschäftig, seine Eimer vollschöpfte und wieder ausgöße in das -Geäder des ruhenden Leibes. Ja, da war auch die Mulde zwischen Schulter -und Brust, groß genug, daß man den Kopf hineindrücken konnte, dort Stein -zu werden in tiefem, wunschlosen Schlaf. Sie fühlte Tränen in der Kehle -und biß sich auf die Lippen, denn Weinen war ihr keine Erlösung. Schritte -hallten durch die Kirche, es war die Frau, die zuschließen wollte für -die Nacht. Da wandte sie sich ab und ging, und hinter ihr blieb der -Schlummernde allein. Nun stand sie draußen, und die Luft war um sie wie -linder Atemzug. Über ihr leuchtete das Nest des Pelikans im letzten Licht. -Da schien ihr, als sei's das Sinnbild der Frauenliebe, die gern das Letzte -hingibt und ihr Glück bezahlen muß mit Geduld und mit Gefahr. - -Ob es uns gutgeschrieben wird, daß wir Menschen alles so teuer erkaufen, -dachte sie. Wie heißt's doch immer, wenn die Richter mitleidig sind und -ein Einsehen haben: die Untersuchungshaft soll angerechnet werden ... -Bei uns daheim hing ein Knüttel am Stadttor, darunter stand: Wer seinen -Kindern gibt das Brot und leidet später selber Not, den schlag man mit der -Keule tot. Das war sehr alte, und doch ganz moderne Weisheit, viel moderner -als deine, alte Pelikanmutter! ... Bin ich meiner Mutter dankbar, daß sie -mich in dies Leben brachte? dachte sie wieder. Maskenfeste in Labyrinthen, -hier und da ein Umschlingen, bleibe, ach rede zu mir, dieselbe Sprache -reden wir ja. Oh, nur bis der Weg sich teilt, dann wieder allein, fremde -Zungen ... Und wenn man dann nicht mehr zu jemand sagen kann: es war alles -gut, Nacht und Licht, Süßigkeit und Bitterkeit, nur Dank fühle ich, Dank -sei dir heute und immer -- oder wenn man im Morgengrauen erwacht und an die -Augen von Schwerkranken denkt, wie auch sie den Tag erwarteten, der keine -Hoffnung brachte, und die Fensterscheiben fingen an hell zu werden ... o -das! Schöne, schöne Erde, warum wird es uns so schwer gemacht! - -Der Tag war ganz geschwunden, das steinerne Nest über ihr sah grau und -geisterhaft in die Luft, wo die Fledermäuse anfingen hin und her zu -zucken. Unter ihr, im Dunst, erwachten viele Lichter; dort war Leben und -Lärm, hier oben war es totenstill. Sie dachte an den alten freundlichen -Pfarrer. Unsere Mutter Kirche, hatte er gesagt. Ob sie wirklich die -Menschen trösten konnte, wenn sie sich so hineinwühlten, wie Kinder in -das Kleid der Mutter? Versprach sie ihnen doch so vieles, hatte so schöne, -schauernde Worte der Verheißung; man _mußte_ ihnen glauben, so schön -waren sie. Und das eben war es wohl, was die Kirchen immer wieder stützte -und aufrecht hielt: die Sehnsucht nach den Toten. - -Sie ging langsam den steinigen Weg zum Wagen hinunter, zwischen Mauern, -über denen dunkle Köpfe sichtbar wurden. Ein kleiner Spitz lief oben -entlang und gab ihr kläffend das Geleit. Das heiße Feilen der Zikaden -hatte längst aufgehört, aber aus allen Gräben und Mauerritzen zirpten -nun die Grillen, kühl und zart. Das war wie daheim auf den großen -Waldwiesen, wo jetzt die Glockenblumen standen und das Zittergras. Sie -horchte auf und schlug die Hände ineinander. Nun wollte sie heimreisen; -sie hatte gefunden, was sie suchte. Nur noch vereinzelt klang der -Grillenton, wurde immer weniger, je mehr sie sich der Stadt näherte. Es -war ganz dunkel geworden, hier dauerte die Dämmerung nur kurze Zeit. Sie -saß sehr aufrecht, mit weit offenen Augen. So fuhr sie zurück durch die -laue, windstille Nacht. - - - - -Mitleid - - - _La peine qu'on a n'est rien, - mais celle qu'on a faite aux autres - empêche de manger son pain._ - - _P. Claudel_ - -Sophie Barnekow hatte geklopft, ohne Antwort zu erhalten; nun öffnete -sie leise die Tür, um sie aber sofort wieder zu schließen, behutsam, wie -man's in der Krankenpflege erlernt. - -Dort im halbdunkeln Raum, wo die Sonne durch die schräggestellten Läden -glitt und goldene Leitern auf die Dielen malte, wo der Geruch von Reseda -und nassem Kies und das leise Klirren von Gießkannen durch die offenen -Fenster eindrang, saß Meisi, ihre junge Herrin und Schutzbefohlene, -nicht allein. Neben ihr, die Hände um eine Stuhllehne geschlungen, stand -Rütten. Ohne die Frau zu berühren. Und doch, hätten sich beide in den -Armen gelegen, festgeklammert, Blick in Blick getaucht, nicht deutlicher -hätte es von letztem, bitterstem Abschied reden können. - -Von Meisi war nichts zu sehen gewesen als der braune Hinterkopf und das -feine Genick, da, wo der Haaransatz in warmen goldenen Flaum überging; -tief auf den Tisch gebeugt. Wie oft befestigte Sophie das kinderweiche und -doch eigensinnige Haar, mit ganz wenig Nadeln, weil alles gleich Kopfweh -machte; immer wieder glitten die Zöpfe hinunter, dann mußte Sophie leise -erinnern: »Liebste, Ihre Haare.« Und auch eben hatte das Ende einer -Flechte über die Schulter gehangen. Kleine physische Eigentümlichkeiten -geliebter Menschen können einem ans Herz wachsen und es seltsam wehrlos -machen, mehr als die Tugenden, die sie besitzen oder die wir ihnen -andichten. So fuhr's ihr auch jetzt durchs Herz, und was erst Erschrecken -gewesen, empfand sie nun als tiefe, schmerzende Zärtlichkeit. Sie seufzte -auf und schlüpfte in ihr Zimmer gegenüber zurück. - -Starke Leidenschaften, die ihr Ziel in offenem Aufruhr oder auch durch List -und Heimlichkeit und manche schmerzliche Selbsterniedrigung zu erreichen -wissen, waren Sophie fremd geblieben. Sie wußte, es gab dergleichen. -Aber doch nur so, wie man von Mormonen liest oder von den Bacchanalien -entarteter Cäsaren. In ihrem klaren, hilfreichen Wesen, ihrem Abscheu -vor jeder Unsauberkeit und Unordnung war kein Raum für Ungeregeltes; eine -verbotene Liebe lag ihr im Grunde ebenso fern wie Taschendiebstahl. -Dabei -- oder vielleicht gerade deshalb -- konnte sie von verblüffender -Parteilichkeit sein, wenn sich's um Menschen handelte, die sie liebte. Sie -war aus dem Holze geschnitzt, das gute Royalisten abgibt. Wen sie einmal -liebte, zu dem hielt sie auch, er mochte tun und lassen, was er wollte; -das war doch sehr einfach. Und dann -- bei näherem Zusehen müßten gewiß -Gründe genug zu finden sein, die alles erklären würden; wenn sie selbst -auch gar nicht danach suchte. - -Auf ihrem Bett lag die eben abgelieferte Wäsche. Ihr Blick glitt an einem -grauen Leinwandkittel entlang, der in seiner knabenhaften Spärlichkeit -etwas von Meisis Umriß bewahrte. »O du Armes,« sagte sie vor sich hin, -und ihre Augen fingen an zu brennen. Dann begann sie mit ihren feinen, -verbrauchten Händen die Sachen zum Ausbessern zurechtzulegen. - -Drüben in dem dämmrigen Zimmer war es sehr still. Die leise Stimme -des Mannes redete in abgebrochenen Sätzen, so von fernher, wie -Selbstgespräch. Die Frau hörte und hörte auch nicht. Denn ihr war, als -hätte sie's längst gewußt, daß er einmal so reden und handeln würde. -Es hing ja alles in ihm -- wie man es sonst nur bei Pflanzen findet -- ganz -selbstverständlich zusammen; so wie die äußersten Zweiglein einer -Eiche immer noch die Gewaltsamkeit der Äste, den Eigenwillen der Wurzeln -ausdrücken. Es waren in diesem Manne wenig Widersprüche, er mußte -handeln, wie er empfand, mußte dies lieben, weil ihm jenes widerstrebte, -selbstverständlich und unerbittlich in seinen Neigungen und Abneigungen -wie ein Tier, wie ein Künstler, wie ein kleines Kind. - -Meisi drückte noch immer die Stirn auf den Arm, der sich um die Tischkante -krampfte; denn sie empfand es dumpf: solange sie nicht aufblickte, -würde er nicht fortgehen, erst mußte er ihr Einverstehen in ihren Augen -erzwingen, eher konnte er sie nicht allein lassen, nicht aufhören zu -reden, zu überzeugen. Und ob ihr auch das Blut in den Ohren rauschte -und sie kaum verstand, was er sprach: ach, er war doch immer noch da, sie -atmete den leisen Duft seiner Kleider; eins nur sollte er nicht, nicht -aus dem Zimmer gehen. Oh, solche Tür, die zufällt, nein, nur das -nicht. Dableiben, im Zimmer bleiben, er sollte sich auch gar nicht um sie -kümmern. Am allerseligsten war es doch immer gewesen, wenn sie still -im Zimmer saß und nur auf die kleinen Geräusche horchte, wenn er den -Bleistift hinlegte oder wieder ein paar Seiten aufschnitt in dem dicken, -verzweiflungsvollen Buch, das er las. Über Heimindustrien war's gewesen. -O Gott, die unglücklichen Menschen, von denen da erzählt wurde; welch -entsetzliche Winkel gab es in der Welt, warum durfte das sein! Wenn sie ein -König gewesen wäre, all die stillen, leeren Königsschlösser hätte sie -den Armen aufgetan, herrlich erwärmt im Winter und im Sommer kühl und -hallend inmitten heißer brütender Wiesen, mit grünen Schattengängen -und Nachtigallenschlag. Man dachte nicht genug an andere, wenn man selber -glücklich war, ach glücklich zum Sterben, als versänke und ertränke man -in einem riesenhaften Maiblumenstrauß und würde ohnmächtig vor lauter -Wonne. Ob so arme schmutzige Menschen jemals so etwas hatten? Immer nur -Ruß und Lärm oder zu Haus zusammengepfercht mit verklebten Fenstern. Und -alles so häßlich, auch die Kinder, und nichts, auf das sie sich freuen -konnten morgens beim Erwachen. Aber Gerhard würde etwas ersinnen, um ihnen -zu helfen, er schien Hilfe auszuströmen wie kluge Ärzte. Natürlich, -es brauchte alles Zeit, und einstweilen war es doch kein Unrecht, wenn -Glückliche ihr Glück genossen. Sie wollte niemand etwas wegnehmen, das -brachte sie gar nicht fertig, es hätte ihr alles vergällt, aber ihn -- -ihn konnte sie nicht hergeben. Sie war abergläubisch geworden. Wenn -sie etwas Hübsches besaß und jemand bewunderte es, gleich hatte sie's -hergeschenkt. Hatte vielleicht Gott bestechen wollen mit Opfergaben, damit -er ihr das Eine, Einzige nicht wegnehme ... ja und nun nahm er es doch. - -Immer fester drückte sie die Stirn auf den untergelegten Arm. Wie gern -hätte sie nach seiner Hand gegriffen, da, ganz nah; aber sie wußte, dann -würde er sie streicheln und emporziehen und sie mußte noch einmal sagen: -Nein, nein, ich kann nicht -- ja, und dann würde er gehen. - -»Meisi,« sagte die Stimme über ihr, »was hilft das Hinausschieben, es -geht doch so nicht weiter. Du willst nicht mit mir gehen, und so wie du nun -einmal bist und wie die Dinge liegen, verstehe ich ja, daß du, der es so -hart ankommt, Schmerzen zu bereiten ... Und es ist auch begreiflich, daß -dir _mein_ Schmerz erträglicher scheint, eben weil du ihn teilst, während -du dort einen tiefen Schnitt tun mußt und deiner Wege gehen. Ja, und auch -darin hast du recht, wenn du auch sehr zornig warst, als du es sagtest, -ich sei nicht so schlimm dran wie du, ich hätte meine Freiheit und meine -Arbeit und mein Bergsteigen. Nun, das Bergsteigen wollen wir fürs erste -nicht zählen (er lächelte, o so traurig) -- diese Freuden, siehst du, -waren so eins mit dir, daß das alles zu -- anders wäre. Aber meine -Arbeit, ja, die wird mir helfen, darauf zähle ich auch. Zuerst wohl nur -als Betäubung ... aber man muß eben graben und graben, und wenn man nach -Jahren der Wahrheit um einen Kinderschritt näher gekommen ist, so ist das -ja wohl auch Glück. Und alles das sag' ich dir, Meisi, damit du ganz ruhig -seist, was mich angeht.« - -Meisi hob ein wenig den Kopf. Sie hatte einen roten Fleck an der Stirn, -vom Tischrand; es sauste und sang in ihren Ohren. Ach Gott, es war zu Ende, -ganz und gar, er ging fort. Sein Gepäck, das sie so gut kannte, sie hatte -ihm ja manchesmal geholfen es auszupacken, die große Ledertasche, die -so gut roch, und der rauhe Mantel aus ungebleichter Wolle, alles -würde aufgeladen werden, und er würde dem Maulesel voran den Paß -hinunterlaufen, als ging es zu einer Bergpartie. Aber den nächsten -Tag käme er nicht zurück, braungebrannt und freundlich und still, den -Bergfrieden auf der Stirn und wie das Rieseln der kleinen Bergbäche in der -Stimme. Sie würde auf der Terrasse hinter dem Gasthaus auf und ab gehen, -wo der Pfarrer und der Wirt und der kleine italienische Schuster Boccia -spielten am Abend und auf dem Mäuerchen Kürbisse lagen zum Dörren. Die -lustigen bayerischen Malerinnen würden herauskommen, Schnaderhupfl und -Kugelhupfl, wie Gerhard sie nannte, und das junge englische Ehepaar mit dem -Kätzchen, und sie würden fragen: »Kommt Ihr Freund heut abend zurück?« -Nein, nicht heut, nicht morgen, nie wieder. - -Sie hatte eine besondere, qualvolle Fähigkeit, kommende Trostlosigkeit zu -wittern, zu schmecken, ihre Kälte im voraus zwischen den Schulterblättern -zu fühlen. So konnte sie sich sein Zimmer, ach das liebe, liebe Zimmer, -vorstellen, wenn alles verpackt war und alles wieder fremd geworden, -schon abgewandt, Menschen und Dinge treulos geworden einander. Ja, dies -Zusammenschnüren in der Herzgrube, das den Zurückbleibenden schärfer -anfällt als den, der geht, sie spürte es schon jetzt. Wenn die Dinge -nachher eintrafen, war's wie ein Erkennen, als hätte man schon die -Generalprobe dazu erlebt. Dank dieser Fähigkeit konnte sie dann gefaßter -und umsichtiger sein, als man es ihrem raschen, wechselnden Temperament -zugetraut hätte. - -»Meisi, mein Liebes,« sagte die Stimme, und sie verbarg die Augen wieder -auf dem Arm -- er sollte nicht darin lesen, nicht ihre Ergebung, ach, -sie war nicht ergeben, aber auch nicht ihre Hoffnungslosigkeit, die auf -dasselbe herauskam -- »ich will dich nicht betrüben und unruhig machen; -wie du geschaffen bist, muß dein Gefühl allein entscheiden. Zerbrechen -kann ich, will ich dich nicht. Aber denke an eins: es ist _ein_ Ding, für -einen anderen sterben, rasch, mit geschlossenen Augen ins Feuer hinein; -aber etwas anderes ist's, für einen anderen verdursten, verkümmern, -langsam an jedem Nerv den Tod erleiden, Tag für Tag. Da kann Opferfreude -zu Haß werden, und wo man reichlich geben wollte, gibt man schlechtes -Maß. Und dann ist nur Bitterkeit und Reue um jeden Sonnenstrahl, um den -man sich gebracht hat. Darum, wenn du doch den einen, tiefen Schritt tun -könntest, so sei nur immer gewiß, ich bin da. Aber warte nicht, denn -es wird immer schwerer und weniger reinlich. Du hast es manchmal hart -empfunden, daß ich so finster war, und hattest mir doch alles zu Liebe -getan. Und mußt den Grund doch geahnt haben; brauchst mich ja nur -anzusehen, so weißt du, was ich denke. Weil du's so gut verstanden hast, -alles aus dem Weg zu räumen, was dir hier ja nicht schwer wurde, denn wer -betet dich nicht an, ob es nun Sophie ist oder der alte Pfarrer oder die -anderen Gäste und der kleine Schuster, der dir Nägel in die Schuhsohlen -klopft ... Aber auch mit allem, was sich in uns selber gegen uns erhob, -wußtest du so gut fertig zu werden, immer hattest du ein gutes Wort -bereit. Wenn ich dich so herumtrippeln sah wie ein Bachstelzchen, besorgt -und doch triumphierend und immer ganz sicher durch tausend Windungen und -Verdrehungen deinen Weg findend, und mußte mir sagen, das ist nun die Spur -von meiner Hand in deinem Leben ... Meisi, laß es klar um uns werden! Ja, -ja, ich weiß, du hast ein Leben von Szenen und Aufregung gehabt und das -ewige Ausweichen ist dir Gewohnheit, ach und dein Verlangen nach Ruhe und -Harmonie wollte sich's auch einmal wohl sein lassen. Da bautest du ein -Labyrinth, in dem du jeden Ausweg kanntest, und hast unsere Liebe gehütet -und versteckt und getröstet mit deinen lieben schönen Händen. Aber nun -geht das nicht mehr, es kommt ein häßlicher Tropfen in unser Bestes. -Meisi, wie gestern Sophie den Brief hinlegte, ohne dich anzusehen, und du -stecktest ihn in die Tasche, ohne ein Wort ... ach, mich schüttelte der -Ekel. Was sag' ich dir da für harte Worte. Und du bist so weich und -so traurig. Aber ich muß es doch aussprechen, denn du allein mußt ja -entscheiden. Was brauch' ich dir zu sagen, was du mir bist! Wenn du ins -Zimmer kommst, ist alles gleich anders; immer ist Festtag um dich her. Wie -oft hab' ich wachgelegen, ganz früh, wenn du noch schliefst, und die reine -Morgenluft kam herein und schien eins zu sein mit dir -- und da habe ich -das Leben gesegnet, das mir so viel geschenkt. Und wenn ich las und schrieb --- trockenes Zeug -- ach, wie ein süßer Unterton warst du doch immer -dabei; bei allem, was ich tat. Oft hab' ich über dich gelacht, wenn du bei -jeder Frage, jedem Fortschritt sagtest: ›Wem wird das nützen?‹ Aber -es war mir doch lieb an dir, wie deine Tränen der Empörung und deine Art, -Krankes und Kleines anzufassen und einfache Leute zutraulich zu machen. -Wenn du sie auch oft recht süß zu beschwindeln wußtest ... nun ja, aber -du hast sie glücklich gemacht. Und all das Liebe, das du anderen antatest, -das tatest du mir an, denn auch das machte dich mein, machte mich so -gänzlich dein, auch wenn ich in einer Gedankenwelt, die dir fremd blieb, -einherging und meine Erkenntnis ausprobte, einriß und wieder zu neuer -Überzeugung aufbaute, ohne zu wissen für wen, nur weil's mich trieb. Aber -du standest und hattest arme Kinder an der Hand und sagtest immer: ›Du -mußt helfen, du mußt helfen‹ ... Ach, wenn ich doch uns selber helfen -könnte!« - -Seine Stimme wurde noch leiser, es war nur ein Flüstern über ihr, das sie -mehr fühlte als verstand; an ihrer Schläfe die weiche Haarwelle, alles -zitterte mit. - -»Ich habe dich bewundert, Meisi, denn du bist sehr süß und kostbar, und -bist auch viel gescheiter, als du dich ausmachst, du Siebenschläfer. Und -hast mich auch namenlos erbarmt, weil du scheu und verlassen warst, wie -irgendein Waldtierchen, das eingefangen wurde und nur fortmöchte ins -Dunkel. Ach, du liebst nicht über dich zu reden, und wenn ich dich frug, -und war's auch noch so behutsam, da hast du nur gelächelt, wie gequält. -Aber ich habe dich besser verstanden, als du weißt, und du hast niemand -so angehört, wie du mein eigen warst. Und darum weiß ich, daß du -eine Eigenschaft hast, gegen die ich machtlos bin; es ist eine seltsame -Trägheit, wenn sich's um dein eigenes Glück handelt, und daß du nicht -kämpfen magst um irgend etwas. Lächelst hinauf und denkst: Ja, der -schöne Apfel, wenn er doch herunterfiele ... aber es wird ja doch nicht -geschehen! Nicht weh tun, warten, gegen alle freundlich sein -- ja, -Meisi, du brächtest es fertig, gegen den Henker freundlich zu sein. Und -unterdessen rinnt das Leben vorbei. Wenn ich wüßte, daß du irgend etwas -hättest, eine Arbeit, ein Ziel, etwas, das dich frei und mutig macht, und -müßt' ich dich dadurch erst recht verlieren, dennoch Meisi, dennoch ... -Aber ich weiß, daß dir nichts bleibt als Kälte und Leere, und wenn du -dich hineinfindest, das ist erst recht traurig. Aber eins hast du, haben -wir, unseren Schmerz, niemand darf die Hand dran legen, heut ist er noch -unser, gehört uns ganz allein, und darum müssen wir voneinander gehen, wo -alles noch ganz kostbar ist und es uns so furchtbar wehtut.« - -Ein stärkerer Hauch trieb den Resedaduft ins Zimmer, man hörte fernes -Räderknirschen, ein Hund bellte irgendwo ... es war so still, wie -verzaubert. Der Mann fuhr sich über die Stirn und wandte sich zum Fenster; -denn es schluchzte etwas in ihm auf, und er mußte das erst zur Ruhe -bringen. Meisi kroch noch mehr zusammen, machte sich ganz klein wie ein -krankes Kätzchen. O wie grauenhaft alles doch war! Sie hatte nicht alles -verstanden, aber etwas Kaltes saß ihr in der Brust und dehnte sich, wurde -immer größer, und die Füße waren ihr wie zerschlagen. Wenn er sie doch -chloroformieren möchte und in einen Wagen packen, nichts fragen, nichts -sagen, und am nächsten Morgen würde sie an seinem Herzen aufwachen, -irgendwo über der italienischen Grenze, wo es ganz heiß war und die -weißen Häuser schliefen und die Zikaden in den Bäumen sägten! Wo man -den Tag verschlief. Wenn er sie doch ganz rasch nehmen wollte oder ihr -einen Schlag vor die Stirn geben, daß sie die Besinnung verlöre und gar -nicht sagen könnte: »Ich will«, oder »Ich will nicht«; wie man -Tiere betäubt vor dem Töten. Aber er war seit acht Tagen so anders, -nachdenklich und freudlos, seit sie ihm gesagt, Emmo käme her; es würde -wohl alles recht schwierig sein; besser, er machte zunächst eine Bergtour, -aber sie würde schon alles einrichten, auf keinen Fall dürfe er _ganz_ -weg, das hielte sie nicht aus. Wie er sie da angesehen hatte -- ganz -fremd war sein Gesicht geworden. Und seitdem hatte er ein-, zweimal von -Entscheidung gesprochen, von Wahrheit, von einem tiefen Schnitt; und den -sollte sie tun. Und das konnte sie doch nicht. Lieber tausend Lügen als -eine solche Grausamkeit. Begriff er's denn nicht, wie nötig sie daheim -war? Ob er erwartete, daß sie ihm das erklären sollte? Sie konnte doch -von »dort« mit ihm nicht reden. Ach, warum verstand er sie nicht! War -denn in der Liebe immer ein Teil Tortur? Konnte man sich nie dehnen und -alles vergessen? Manche Namen, wie sollte sie die vor ihm aussprechen! -Vergaß sie doch am liebsten, daß es für sie ein Zuhause gab, jetzt, wo -dies kleine, hellgetünchte Zimmer ihr Heimat geworden. Aber nun sah sie -alles deutlich: den armen, jähzornigen Menschen, der es so gar nicht -verstand, mit anderen auf die Länge auszukommen, die Schwägerinnen, -zarte, verblühte Mädchen, die auf so viel verzichtet hatten ihm zuliebe -und auch ihr; und dann war da ihr eigenes Vermögen, es war im Gut -verbuttert worden während der letzten, schlechten Jahre; Emmo würde es -herauszahlen, »ihr vor die Füße werfen«, ja, so würde er sagen, -und dann brach alles zusammen. Das alte, einstöckige Haus, jetzt im -Spätsommer sah's so wohlwollend aus, wie eine alte Frau, die in der Sonne -sitzt und in allen Runzelchen lächelt. In den Lindengängen war es so -still, und im Blumenrondell duftete das Heliotrop einsam in der Sonne. Die -Blumen kamen dankbar in dem leichten, sandigen Boden; die Zimtnelken in den -Rabatten, in allen Farben, und Skabiosen, wie große Brombeeren; kleine, -stahlblaue Schmetterlinge flogen drüber hin in der klaren Septemberluft. -Am Haus die großen Fuchsienbüsche in den grünen Holzkübeln, sie waren -der Stolz der alten Frau gewesen. Ach Gott, ja, die Gräber im Park, in den -Birken ... der Wald fing gleich dahinter an mit seinen riesigen Föhren und -Ameishaufen. Manchmal saßen Eichkatzen auf den Grabsteinen. Ja, das war -Emmos Heimat, und auch Freda und Mariagnes waren dort aufgewachsen. Das -mußten sie doch behalten, den großen Saal oben, wo es so hallte, wo noch -die Efeulauben standen, in denen die Schwägerinnen ihre Puppenkaffees -gegeben hatten; Freda von kleinauf kränklich, und Mariagnes? So eine arme, -verbitterte Hofdamenexistenz, Gradnitz bedeutete ihre ganze Jugend, ihr -letzter Ehrgeiz, das Spalier, an das sich ihr blasses Wesen anklammerte. -Nein, nein, es war alles Unsinn; fast wallte Zorn in ihr auf, daß Gerhart -von dem tiefen Schnitt gesprochen, als sei es denkbar. Nur nicht grausam -sein, nur das nicht. Nachher kam das Mitleid, diese bohrende Qual, und -machte alles zunichte. - -Aber er -- still und ernsthaft dort am Fenster; und »nicht lügen« -las sie auf seinem Gesicht. Ja, das war so seine Art. Er vertrug nichts -Schiefes in sich, ebensowenig wie ein schiefhängendes Bild an der Wand. -Die Tischdecke mit dem häßlichen Muster hatte er gleich hinausgeworfen, -als sei's ein Feind. So wollte er auch nichts, das ihm ihrer Seele Bild -verdarb. Ach, was ging sie ihre Seele an! Da war ja so ein Spruch, von der -Seele, an der man Schaden nimmt, und wenn man auch die Welt gewönne. Sie -wollte die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte sie sich -nicht. Vielleicht hatte sie gar keine. Nur ein Herz, und das tat ihr weh. -Wie doch die Menschen verschieden liebten. Nicht besser, nicht schlechter, -nur _verschieden_. Ihr war alles so einerlei. In einem Keller, mitten -zwischen Kohlen und alten Fässern und Kisten würde sie ihn getroffen -haben und geküßt und gemeint, es sei das Paradies um sie her! Und ebenso -würde sie das andere ertragen haben und, wenn's nicht anders ging, auch -Lug und Trug. Aber er litt darunter, er wollte nichts Blindes, Unreines; so -oder so, da war kein Mittelweg. Und deshalb mußte er nun fort, mußte ihr -das antun, daß ihr ganzes Leben auf einmal schwer und grau wurde, viel -grauer als früher, ehe sie ihn gekannt. Ach, es _konnte_ ihm nicht so weh -tun wie ihr, sonst blieb er eben, oder er kam bald wieder, oder irgendwas --- aber so -- auf Niewiedersehen? Nicht so weh? Nein, im selben Augenblick -bat sie ihm den Gedanken ab: der Ausdruck in seinen Augen ... - -Morgen ganz früh ging er wohl, oder schon heute abend. Besser heute abend. -Wie wär' es auch zu ertragen, noch einmal, zum letztenmal, im Speisezimmer -zu sitzen, die Kehle voll Tränen, und sich Brot anbieten und die -Speisekarte weitergeben; das Bild von Wilhelm Tell im Kreise der Seinen, -über das sie so oft gelacht, an der Wand gegenüber, und das offene -Fenster mit der Aussicht auf die verglühenden Berge ... wie gräßlich -alles -- oh, zum Sterben ... - -Wie sehr hatte sie dieses Land geliebt, ach, alles darin, an seiner -Hand. Gleich anfangs, als es noch neu und überraschend war, die Wege -wie Rätsel, so verlockend; immer höher hätte sie steigen mögen, an -schwierigen Stellen half er ihr und lachte, und sie wünschte sich heimlich -viel schwierige Stellen, weil er ihr dann die Hand gab, seine starke, warme -Hand. Wie wonnig war's, wenn dann nach dem Steigen der Pfad am Berggrat -eben entlang ging. Man schritt aus, so rasch und gesund, jede Sehne spannte -sich, jedes Gelenk freute sich, bei jeder Biegung des Wegs war es, als -trete man auf eine Brüstung mit neuem, verändertem Ausblick. Wie sich die -Wolken im Tal verfingen, wehende Reitermäntel! Die Herdenglocken läuteten -durch den Nebel. Durch verwitterte Dörfer kamen sie, so totenstill; die -Leute alle fort beim Heuen, nur einsame Katzen vor verschlossenen Türen. -Aber wo immer ein kleiner Platz war, da schattete ein Nußbaum, und -darunter war der Brunnen -- fließendes Bergwasser, stählern, eiskalt, -unerschöpflich. Wie frisch und wasserklar war auch ihre Liebe auf diesen -Wanderungen. Etwas Brüderliches war im Zusammenschreiten, Brudergefühl -mitten in all der heftigsten Zärtlichkeit; ein Verstehen, als hätte man -sich von Kind auf gekannt. Ja, sie brauchten einander nichts zu nennen, ein -Blick, ein Aufleuchten, und die Schönheit dieses geliebten Landes schien -sich zu weiten, sie zu umfangen und näher zusammen zu drängen mit froher, -zwingender Gewalt. Oh, du tiefe, himmlische Gesundheit erwiederter Liebe! - -Aber einmal hatten sie sich doch gezankt. Damals, beim Photographieren. -Da war eine Bauernfrau, sie wollte ihre Kinder so schrecklich gern -photographiert haben, und Meisi stellte sie zusammen, auf den Stufen vor -der Haustür. Die Mutter band ihnen saubere Schürzen um und flocht -dem kleinen Mädchen die Zöpfe. Und sie freuten sich so und waren ganz -verschämt vor Stolz, und Meisi mußte ihnen versprechen, ein Bild zu -schicken, natürlich nur, wenn sie nicht gewackelt hätten -- und die Frau -diktierte umständlich Namen und Adresse. Dann aber, als sie weitergegangen -waren, hatte sie ihm eingestanden, der Film sei ja schon zu Ende gewesen, -aber sie hätte der Frau doch die Bitte nicht abschlagen können, und -die Freude hätte sie nun doch gehabt. Da lachte er, aber es hatte ihn -verdrossen, und er sagte etwas, das sie furchtbar ärgerte. - -Doch solcher Streit war bald verflogen. Dazu war alles viel zu schön; das -Bergwasser, die prickelnde Luft und der Atem der Wiesen, tanzendes Licht -und tanzende Schatten! Und sie zwei, sie zwei, ganz allein mitten drin! - -Blauer Enzian! Hochstengelig, am Waldrand gewachsen! Wenn man hineinsah in -die Kelche -- wurde man selbst zur Biene, zur wohlig saugenden. Ach, und -später dann, ein Stübchen, ein weißgetünchtes, dorthin gingen die -Gedanken, atemlos, und standen still ... da war ein tannener Tisch und der -Krug mit den scharf gezackten Blüten darauf; wie sie erst ertranken in der -Dämmerung und später dann, als das Licht brannte, ihr Schatten erwachte -auf der kahlen, reinen Wand! - -An jenem Abend waren sie, nach stundenlanger Wanderung, in dem kleinen -Gasthaus eingekehrt, das sich mit seiner Front über dem Berghang erhob, -an dem das verwitterte Dorf hinunter kroch im Zickzack, an steiler, -gepflasterter Straße entlang: Häuser mit uralten Schindeldächern, -kleinen Terrassen und blumenbunten Altanen, Brunnen, wo Frauen Salat -wuschen und Kühe tranken, stöhnend vor Behagen. Am einzigen, ebenen -Platz lag die Posthalterei und, etwas erhöht, die kleine Kirche mit -ihrem Gräbergarten, wo die Toten in einer Wildnis von Rosenbüschen -und Butterblumen, zitterndem Hafer und flatterndem Mohn, beim Klang der -Posthörner eine frohmütige Ruhestatt hatten. - -Aber Meisis Zimmer sah nicht auf das Dorf hinab, ihre Fenster waren auf der -Rückseite des Hauses. Dort lag eine weite Wiese, die sanft abwärts glitt -in ein anderes, unsichtbares Tal. Da war alles weiß von wildem Kümmel, -und wie dann der Mond hinter dem Lärchenwald aufging, glitzerten die -flachen Dolden wie Rauhreif; man hätte sich gescheut hinauszutreten, -diesen Zauber, diese Heiligkeit zu durchkreuzen. - -Meisi hatte auf der Fensterbrüstung gesessen, er hinter ihr. Daran will -ich denken, wenn ich nicht aus und ein weiß, wenn mich der Kopf brennt, -dachte sie, und dann hatte sie sich zurückgelehnt und ihren Kopf in die -kleine Mulde gelegt, zwischen seiner Schulter und Brust; da lag sich's -still und sicher, und sein Herzschlag ging stark und ruhig. »Nun bin ich -ein kleines braunes Haus,« hatte sie gesagt, »und deine Schulter ist die -Bergwand, und deine Stirn ist der Gipfel, und nun sollst du sagen: Frieden -über dem kleinen Haus!« Wann war das gewesen? Vier Wochen, nicht mehr? -Wann hatte sie ihn denn _nicht_ gekannt? War's möglich, als sie ganz klein -war, mit einem Korallenkettchen und einer seidenen Masche im Haar, da ging -er schon irgendwo in die Schule, und später dann war er Student, und -eine Zeitlang lebten sie gar nicht weit voneinander und hatten doch nichts -voneinander gewußt. Und nun wußte sie nur noch von ihm und er war die -süße unbegreifliche Gegenwart; das Frühere ... ach, alles vergessen, so -ewig lang war das her! - -Aber nun sollte es aus sein. Nie wollte sie die Berge wiedersehen. Ach, wie -furchtbar ist das in der Welt; mit dem Alter, muß man da immer mehr Umwege -machen, immer mehr Stätten meiden? Nein, wie ein Messer ins Herz würde -alles hier sein, wenn sie's je wieder sähe ... Auch Blumen gab es hier, -kleine braune Orchideen, die wie schwedische Handschuhe rochen und jetzt -eben, das Reseda, nach dem Gießen, und das Geräusch des eisernen Rechens -im Kies ... das war nun alles schon verloren, sie mußte es von sich tun, -sich nicht festklammern, nein, hergeben, hingeben, rasch, rasch. Sie wollte -nach Hause reisen gleich, morgen schon, irgendein Vorwand würde sich schon -finden. Denn Emmo durfte hier nicht her, nicht eine einzige Stunde. Wenn -sie es nun alles hergeben mußte, die Wege hier, die wollte sie allein mit -ihm gegangen sein, kein fremder Fuß, kein fremder Fuß ... Was hatte -er doch gesagt: »Unser Schmerz ist kostbar, niemand soll die Hand dran -legen.« - -Ja, zu Haus würde es noch am besten sein. Pflichten sind ja auch ein -Schlafmittel. So eine Art Stundenplan wollte sie sich machen, Sophie sollte -ihr alles einteilen helfen. Morgens der Tee -- schrecklich -- aber es war -wohl am besten gleich von früh an; dann Emmo bei den Büchern helfen, es -war alles in Konfusion, und er dachte immer gleich, er würde betrogen. -Dann war Interview mit dem Vatikan (Herr und Frau Inspektor trugen diesen -Kollektivnamen), und da war auch zu begütigen, denn der Inspektor war -brummig und unfehlbar, aber er hatte schließlich doch immer recht, und -deshalb gerade konnte Emmo ihn nicht leiden. Dann ging sie wohl auch zur -Gemeindeschwester, die Kinder sangen so blöde Liedchen; es waren ein paar -dabei, die waren schön, mit langen Augenwimpern, aber sie durfte sich -ihre Vorliebe für sie nicht merken lassen, denn es waren die Kinder vom -polnischen Knecht, der immer betrunken war, und die Frau stahl wie -eine Elster ... Dann nachsehen, ob Freda alles hatte, was sie brauchte, -Mariagnes war versorgt, sie malte vormittags im Freien; ganz modern, lila -Ackergäule auf gelben Feldern, eigentlich paßte das gar nicht zu ihr ... -warum malte sie nicht all die süßen, stillen Blumen -- ganz genau, -wie sie waren -- meinte Meisi -- etwas Schöneres konnte man doch -nicht erfinden ... Mittagessen! O Gott, die Unterhaltung! Wie so ein -ausgeleiertes Dorfkarussell, man sieht denselben schäbigen Schimmel immer -schon von weitem kommen. Hinterher mußte Freda in der Veranda etabliert -werden, mit Memoirenliteratur, sie hatte eine Passion für Marie -Antoinette. Sophie machte den Kaffee mit ihren lieben, dünngearbeiteten -Händen. Später ausgehen mit Emmo oder fahren mit Mariagnes und Emmo, er -war bei allem dabei, was war zu machen; wie eine Stubenfliege, die sich -einem immer wieder auf die Nase setzt -- der arme Kerl. Zum Tee kamen -Pastors, und der Pastor redete über die Begehrlichkeit der unteren -Klassen, war dabei aber gutmütig und half ihr mit den Landstreichern, die -Emmo immer gleich dem Gendarmen ausliefern wollte. Die Pastorin war fein -und leise, sie sagte immer: »Mein lieber Mann«, aber sie hatte -ein Grübchen, wenn sie lächelte, wie herübergerettet aus ihrer -Jungmädchenzeit. Ihr kleines Töchterchen hatte sich so furchtbar -verbrüht und war gestorben unter entsetzlichen Qualen. Aber Sonntags saß -sie in der vordersten Bank und sah zur Kanzel auf und hörte all die Worte -mit blassem, geduldigem Gesicht ... Ob das wirklich ein Trost war? Manchmal -ging Emmo zum Förster, da brauchte sie nicht mit. Aber allein mochte -sie nicht sitzen. Sophie sollte kommen, ihr die Haare kämmen, das machte -schön schläfrig, oder sie wollten kramen, die Sachen der Schwiegermutter -waren noch immer nicht verteilt. Die Mahagonischränke seufzten beim -Öffnen, als sei's die alte Frau selbst ... Später am Abend saß man unten -im Gartensaal ... Nachtmotten schwirrten um die hohe Lampe, und Mariagnes -öffnete den alten Flügel und spielte das Frühlingslied von Grieg und -blieb im Mittelsatz stecken. Sie wollte lesen, sich Bücher kommen lassen, -über Chemie und Volksernährung, was hatte er doch gesagt: »Meine -Gedankenwelt, die dir fremd ist« -- Ja und dann, nachher ... Sophie sollte -bei ihr sitzen und von ihrer Kinderzeit erzählen, von der kleinen Stadt in -Friesland, bis sie einschlief ... - -Sie stand auf, sah sich um, fröstelte; und weil ihr die Glieder wie -tot waren, griff sie nach seinem Arm, um aufzustehen. Der stützte sie, -selbstverständlich wie immer. Nun standen sie beim Fenster, und die -Abendsonne kam nur noch leise durch den Laden. Da fühlte sie ein Zittern, -ein Werben in seinem Arm, und schon küßten sie einander, angstvoll und -rasch, ohne Ruhe, ohne Lust, wie sich Menschen küssen, wenn das Schiff -im Sinken ist. Aber in ihr wartete etwas und spannte sich, bis in die -Fingerspitzen, und wollte gezwungen sein, nicht weil sie ihm recht gab, -sondern weil sie ihn liebte. Aber da löste er leise die Arme, und sie -fühlte ihre Lippen grau werden: Er hat mich geküßt, wie man seinen -Koffer zuschließt. - -Da trat sie noch näher ans Fenster und stieß rasch den Laden auf, und der -letzte Abendglanz strömte herein und mit ihm der Duft und der Dunst der -Wiesen. Wie im Traum, wie jenseits einer Brücke sah sie zurück auf -ihn, sah die kleine zuckende Falte am Augenlid, die den Augen so große -Freundlichkeit verlieh; die sie so sehr geliebt. - -Heute nacht würde sie die Herdenglocken noch hören, fein und deutlich, am -Berghang herauf. Aber er nicht mehr; denn er würde im Nachtzug sitzen und -in der Frühe schon im heißen, schläfrigen Süden sein. Und was war's, -das schon jetzt in ihrem Herzen zu nagen begann, leise, unerbittlich? War's -der Groll, daß er sie nicht zu zwingen vermocht, alles zu lassen, um mit -ihm zu gehen, das ganze Leben? - - - - -Wie es die Kinder erlebten - - -Es hatte damit angefangen, daß Tischler Dominik, der im übrigen auch -Nachtwächter war und den inneren Menschen der Turmuhr in Ordnung zu halten -hatte, schließlich doch geholt werden mußte; denn es war unausstehlich -mit der untersten Schieblade der alten Schreibkommode, immer stellte sie -sich schief; »wie ein eigensinniger Bock,« sagte die Kleudchen, und -erst durch angestrengtes Rütteln konnte sie in eine normale Lage -zurückgebracht werden. - -»Und da wir schon einmal dabei sind,« sagte der Meister und starrte -tiefsinnig über seine Stahlbrille ins Weite, »so woll'n wer auch gleich -das übrije nachsehn, denn so was is eftersmalen en Familjenfehler.« - -Ali und Adallah, die meist für Zwillinge gehalten wurden (es war aber ein -Jahr Altersunterschied), fanden das ja nun äußerst interessant; denn wenn -dabei auch nur Frau Kleudchens puritanische Nachtjacken, der »Pharus am -Meere des Lebens« in verschossenem, violettem Einband, ein kleines Paket -zusammengeschnürter Briefe und eine Feige aus Marmor -- von Papa vor -Jahren aus Italien heimgebracht -- zum Vorschein kamen: Sachen von -Erwachsenen, die so kühl feierlich daliegen, wie in Königsgräbern, -haben immer etwas Apartes an sich, wenn sie plötzlich hervorkommen an die -Tageshelle. - -Aber nun hatte Dominik nach vielem Suchen in seinem Bund klirrender Haken, -der ihm etwas angenehm Einbrecherhaftes verlieh, auch noch die schräge -Klappe geöffnet, auf deren braunpolierten Fläche eine Wildschweinsjagd -in gelbem Holz zwischen vier Tannenbäumen in grünem Holz dargestellt war. -Dahinter wurden zwei kleine Fächer sichtbar. Das linke enthielt rostige -Angelhaken, mehrere längliche Garnröllchen und ein dünnes rotes Buch, -»Des Anglers Vademekum«. Dominik sah zu der Kleudchen hinüber, sie -wollte etwas sagen, schloß aber wieder den kleinen, vergrämten Mund. -Dann zog er auch das andere Schiebfach auf; es hatte sich ein Heft darin -festgeklemmt. Er reichte es der Kleudchen; sie tat einen Blick hinein: -»Die Wappensammlung vom jungen Herrn,« sagte sie und drückte das Heft -wie schützend gegen ihr gestricktes Umschlagetuch. Aber unter dem Hefte -hatte noch etwas gelegen, eine Photographie, vergilbt und verblaßt. - -»Das ist die Frau, die bei Papa im Ankleidezimmer hängt,« sagte Ali. -Seine Augen sahen alles. Ja, es war das nämliche, weichgerundete Gesicht, -mit leicht zusammengeknifften Lidern, großem, lächelndem Mund, reichem, -unglaublich reichem Haar, altmodisch kunstvoll aufgesteckt. Aber hier -hatte sie ein komisches großkariertes Kleid an und einen kleinen Jungen in -russischem Kittel auf dem Schoß. - -»Dah,« sagte Adallah, der oben in der Nase etwas hatte, das demnächst -operiert werden sollte, »das is Vate's este Fau, abe weh is de Junge?« - -»Ihr müßt Mama fragen,« sagte die Kleudchen. Es war dieselbe Abwehr, -die sie gebrauchte, wenn Adallah allzu genaue Auskunft über gewisse -naturgeschichtliche Vorgänge von ihr verlangte. - -Die Kleudchen hatte jetzt einen roten Fleck auf der Wange und -telegraphierte mit den Augen. Tischler Dominik gab Ali das Handwerkszeug -zu tragen und hielt Adallah seine kurze, breite Hand mit dem gespaltenen -Daumennagel hin: »Nu kommt, Junkerkens,« sagte er einladend, »nu woll'n -wer'n Leimtopf heißmachen;« und die Aussicht auf eine gemütliche, -übelriechende Mantscherei ließ für diesmal alle anderen Spekulationen -erblassen. Und Mama fragen? Ach, das war ja nicht möglich. Fragen konnte -man Kleudchen oder den Kuhknecht oder Fritz Dralle (Dralle =sen.= war schon -weniger ratsam), und allenfalls Papa, wenn er sehr guter Laune war; aber -Mama? Nein, Mama antwortete man, aber fragen, das ging nicht. - -Doch es kamen Wiederholungen, allerhand kleine Begebenheiten, die -auf denselben Punkt zu deuten schienen und sich allmählich zu etwas -Nebelhaftem verdichteten, von dem die Kinder nicht recht wußten, war es -Erinnerung an Dinge, die sie schon erlebt hatten, oder Ahnung von etwas, -das erst kommen sollte: Papa und Mama redeten zusammen, leise und -erregt, Mamas große Augen wurden dunkel, so als sagten sie »Mut« oder -»Rechtschaffenheit«; aber sie brach ab, wenn die Kinder ins Zimmer -traten, und der Blick wurde wieder durchsichtig wie ein geschlossenes -Fenster. Oder Papa trat plötzlich aus dem unbewohnten Zimmer auf halber -Treppe, stand, als sähe er nichts, in der schrägen Nachmittagssonne, wo -es nach Holz roch und nach Kleudchens Vesperkaffee; er, den man sonst -nur in einer ganz besonderen Luft von Zigaretten und Juchten kannte, im -Dämmerlicht auf dem Ledersofa ausgestreckt, wo über ihm die Rennpreise, -die Pokale und silbernen Reitpeitschen aufblitzten, wenn ein Sonnenstrahl -durch die Läden drang. Papa hatte rote Augen gehabt und zuerst gar nichts -verstanden, als Ali, die Gelegenheit wahrnehmend, ihn anpiepste: »Ach, -Papa, Dralle will das Gefleckte versäufen, weil es ein Weibchen ist, und -es ist doch so wunderschön« -- und Adallah eine Terz höher einstimmte: -»Ach, nur nicht das Gefleckte, Väterchen, abe das Baune auch nicht!« - -Wenn Tante Brunislawa und die Kleudchen beisammen saßen, war ein Gewisper -und Geseufz; beinahe wie schuldbewußt sahen sie sich um, oder als stünde -eine Tür ins Dunkle hinter ihnen offen. Tante Brunislawa schien noch -öfters als sonst mit ihrem Orenburger Schal an allen Türklinken hängen -zu bleiben, um dann, wenn man sie losgeheddert hatte, ganz verschüchtert -weiterzuflattern wie eine wunde Schwalbe. War das auch immer so gewesen, -dies Nach-der-Uhr-sehen, wenn die Postzeit nahte, dieser rasche Blick ins -Vorzimmer, wo doch nur Papas Zeitungen lagen, oder Rechnungen in blauen -und grauen Umschlägen, selten nur ein Brief? Und die Stühle und Sessel im -Wohnzimmer, wenn die Großen weggegangen waren und man kam auf Fußspitzen -zurück, um den kleinen Zinnjäger zu suchen, der unters Sofa gefallen -war: standen die sonst auch so kurios zusammen, wie Verschwörer, die -unterbrochen wurden in heimlichen Gesprächen? - -Dazwischen schwand den Kindern wohl tage- und wochenlang dies ungewohnte -Gefühl, als ob »etwas vorginge«; Papa hatte wirklich das Gefleckte -begnadigt, und es war, nebst seinem Brüderchen, dem Braunen, zur Sonne -geworden, um die sich der Knaben Leben drehte, das ja trotz Vater und -Mutter, trotz der freundlich flatternden Tante Brunislawa und der treuen -Kleudchen ein seltsam verschwiegenes, heimliches Leben war. - -Mama! Ja -- das war viel eiskaltes Wasser in der Frühe und harte Bettchen -zur Nacht, und beileibe kein Nachtlicht und absolutes, strengstes Verbot, -das Gefleckte nach oben zu nehmen. Mama war Morgenandacht mit einem -Hintergrund von Kaffeegeruch und weißen, raschelnden Schürzen, aber nicht -Abendgebet; letzteres gehörte zu Kleudchens Departement, die sich wie die -Fledermäuse, denen sie ähnlich sah, mehr in den Dämmerstunden bemerkbar -machte. Mama bedeutete ferner für Ali Kerbelsuppe und für Adallah -Apfelreis, beides so über alle Maßen gräßlich, und da war kein -Entrinnen. Aber Mama bedeutete auch Dinge, die fein waren, wo man sich -selber fein werden fühlte, wie die dünne, schwingende Gerte in der Hand, -wenn man aufs Pferd geklettert war und sich zuerst nur festklammerte, -so gut es ging, denn das einzige, was man absolut nicht durfte, war -herunterfallen, und dann allmählich, beim Traben, seine Muskeln und -Gedanken zusammenfand, sich aufreckte und ins Lot kam. Mama sagte: »So -ist's besser,« wenn man an ihr vorüberkam, dann mußte Dralle die Longe -weglassen und später noch ritt man mit Mama querfeldein, und das war -ehrenvoll, aber beileibe nichts zum Lachen. Nur dies Gefühl, als würde -man feiner und biegsamer und härter dabei, das wuchs und war sonderbar -ausfüllend und aufregend; man konnte an nichts anderes denken. Überall -ging's so her, wo Mama dabei war, so mit angespannten Sehnen bis aufs -letzte Haarbreit; aber doch immer, als dürfe man dabei nicht verweilen, -als käme viel anderes nach, das noch zu bewältigen sei. Auch wenn Mama -einen küßte, war das so, hoch oben auf die Stirn, in die Haarwurzeln -hinein, ganz rasch, wie ein Stoß, und dann weg und was anderes. Neulich -hatte Ali gezuckt, als der kleine Fuchs beim Striegeln auskeilte. »Ich -glaube gar, der Junge hat Angst,« sagte Mama, und in ihre Augen kam der -blaue Funken, der zurücksprang zu den alten, vertriebenen Sachsengöttern, -die an Pferdeopfern Freude hatten ... - -In solch straff gehaltenen Kinderexistenzen entwickelt sich -Geschwisterliebe nachdrücklicher, wie das Zusammenhalten junger -Pflanzungen an exponierten Stellen. Ali und Adallah brachten es fertig, -in ihrem fest eingeteilten Dasein Augenblicke berauschender Opposition zu -erhaschen, und das ganz absichtslos, denn sie waren gutartige Kinder und, -ihrem Vater ähnlicher als ihrer Mutter, nervös und rasch aufflammend, -aber ohne die nötige Ausdauer für ein richtiges Verschwörertum. Mama -war ungemütlich, wenn auch durchaus nicht unheimlich, denn es gab bei ihr -keine Überraschungen; hingegen mußte man Papa nur aus dem Wege gehen, -wenn er gerade seinen Nervenschmerz hatte, sonst aber nahm er für die -Unterdrückten Partei, konnte einen allerdings im kritischen Augenblick -unerwartet im Stich lassen. So schlossen sie sich ohne Verabredung eng -aneinander; sie waren zu klein und zu unklar, um sich über das, was sie -peinigte, miteinander auszusprechen. Winzige Igel im Nest, alles noch weich -und verwundbar; ein Rascheln, ein Lufthauch, der Witterung bringt fremder, -feindlicher Dinge, und sie liegen da, zusammengerollt, mit allen zarten -Stacheln in der Abwehr, und fühlen, es gibt etwas Schmerzliches, Grausames -irgendwo, das auch sie in ihrem Schlupfwinkel eines Tages aufspüren wird. - -Wie gräßlich zum Beispiel waren doch die Schlachttage! Die kaltblütigen -Vorbereitungen am Abend vorher, die armen Verurteilten, die ahnungslos -- -wer weiß? -- ihre Henkersmahlzeit verzehrten, die Gänse und Enten, die -Schweine und, was am schauderhaftesten war, das Kalb! Dieses wurde zwar -nicht auf dem Gutshof gemördert, aber in aller Frühe, wie aus blutigem -Nebelgrau hervor, kam ein gräßlicher Mann mit rotem Gesicht, mit -rotbesudelter Schürze; das Kälbchen mußte heraus, ganz dumm und warm -und verschlafen, in die kalte, beißende Luft, es stemmte sich, es -wollte nicht, seine Augen waren voll Entsetzen, es hörte seiner Mutter -ängstliches Muh. Aber es wurde am Strick fortgezerrt, über die hölzerne -Brücke, wo seine armen, unbeholfenen Füße polterten. Hatte es nicht -etwas Revoltierendes, wenn bald darauf die Frühstücksglocke die -Hausbewohner versammelte und Mama die Morgenandacht hielt? »Also hat -Gott die Welt geliebt,« las sie. Und derweil wurde das Kälbchen auf der -Landstraße fortgezerrt, der böse Mann fluchte, es bekam einen Tritt, wenn -es stehen blieb. Mama dankte für Gottes Hut in der vergangenen Nacht ... -Ach, die arme Kuh in dem dunkeln, feuchtwarmen Stall; das Kälbchen war -ihre einzige Freude gewesen; wenn sie es leckte bekamen ihre großen -düsteren Augen blaue Lichter, ihre Weichen schauderten glückselig, wenn -das Junge nach dem Euter suchte, es hochstieß beim Saugen. Nun brüllte -sie, gedehnt, in regelmäßigen Absätzen, man konnte zählen dazwischen. -Und das würde noch tagelang dauern, sagte der Knecht. - -Aber Mama war doch sehr gut dabei. Zu allen Kranken wurde sie geholt, wenn -es was Ernstes war; sie wußte, was nötig war, und tat alles, ruhig und -tröstend. Manchmal wachte sie viele Nächte durch bei den Kranken. Und -wie Fritz Dralle in die Häckselmaschine geraten war, hielt sie seinen -Arm, während er so entsetzlich stöhnte und Doktor Moldenhauer nähte. -Sie selbst aber war nie krank. Qualvolles Kopfweh, ja, dann zuckte es im -Augenlid und in der Schläfe ging's wie ein Hammer, da, wo die blauen -Adern sind; aber sie gab nicht nach, immer zur Stelle, sommers um sechs -und winters um sieben. Tante Brunislawa, welche die Cousine der ersten Frau -war, fuhr schuldbewußt zusammen, wenn Mama sie bei ihren ewigen Patiencen -ertappte. Und doch sagte Mama nie ein Wort und half Kleudchen mit ihrer -endlosen Flickarbeit. In Tante Brunislawas Zimmer waren Heiligenbilder, -goldene mit Schlitzaugen, und weiße mit blauen Mänteln, auf kleinen -Postamenten; Tante kniete davor und sah zu ihnen auf, mit braunen, -kurzsichtigen Augen wie Samtpensées. Wo es doch heißt: Du sollst dir kein -Bildnis machen und keinerlei Gleichnis, dachte Ali. Aber nie sagte Mama -etwas, eher noch Papa, der Witze machte über Beichtväter und dergleichen. -Mama _kämpfte_ sogar für Tante um die Kutschpferde, wenn Tante zum Ablaß -fahren wollte, gar jetzt, wo man sie doch so nötig brauchte, um Wasser zu -fahren ... - -Ali und Adallah mußten sich in Selbstkasteiung üben. Ihre Anzüge und -Schuhwerk wurden von Dorfkünstlern angefertigt; die Hemden aus grobem -Leinen scheuerten fürchterlich, solange sie neu waren, auch war ihnen -nahegelegt worden, den Zucker im Milchkaffee zu sparen zugunsten der -Stadtmission oder als Beitrag zur Weihnachtsbescherung im Armenhaus. -Seitdem tranken sie ihren Kaffee ohne Zucker, hatten sich seiner so -entwöhnt, daß es sie keine Überwindung kostete, aber sie spürten auch -weiter keine Freude an ihrem Opfer; vielleicht waren ja auch Opfer nicht -dazu da. - -Alle Donnerstag kam Herr Doktor Löschwitz zum Kaffee. Dies war die -schlimmste Prüfung; denn weil sie nur einmal wöchentlich stattfand, -konnte man sich nicht dagegen abstumpfen. Herr Doktor Löschwitz war ein -gestrandeter, nicht mehr junger Philologe, der vor Jahren Papa durchs -Abitur gelotst hatte; nun bekam er Kost und Wohnung, zwei Stübchen im -Seitengebäude, mit dem Blick auf den Hühnerhof. Herr Doktor Löschwitz -trug eine Art Respirator aus schwarzem Taft über der Nase befestigt, fast -wie eine kleine Maske; darunter war etwas Schreckliches, das für Herrn -Doktor Löschwitz den Tod bedeutete; man konnte es ahnen, denn die -Entzündung hatte schon Wangen und Oberlippe ergriffen. Ali gewann es über -sich, hinzusehen, er konnte ganz steinern werden, wenn er sich so Gewalt -antat; aber Adallah wurde rot und blaß und senkte die Augen, sobald nur -Doktor Löschwitzens Schritt im Flur ertönte. »Albrecht und Adelbert, -gebt Herrn Doktor Löschwitz die Hand,« sagte Mama, die es gewiß fertig -gebracht hätte, den armen Lazarus aus dem Gleichnis zu küssen. In aller -Stille dachte Adallah, das Schicksal zu beschwören. Am Mittwoch schon -überkam ihn das Grauen; er stand nachts auf, fröstelnd in seinem kurzen -Hemd stand er auf der Diele und horchte auf die Turmuhr. Wenn er eine ganze -Stunde reglos ausharrte und immer an das nämliche dachte, würde Doktor -Löschwitz irgendeine kleine unschädliche Krankheit bekommen, so daß er -morgen absagen mußte. Aber das Zaubermittel versagte, während es doch -damals bei dem Kalbe so wunderbar geholfen hatte, und da hatte er doch um -etwas viel Durchgreifenderes gebetet. Das Kalb hatte etwas mit dem Bein. Es -lag stöhnend im Stroh, und Adallah hörte den Inspektor zum Knecht sagen, -es solle den nächsten Morgen geschlachtet werden. Da hatte er denn die -halbe Nacht auf der kalten Diele gekniet; und wirklich, es half, das Kalb -war in der Nacht von selbst gestorben, ganz still. O lieber, lieber Gott, -nein, aber du bist doch wirklich gut, dachte Adallah, als er's erfuhr; als -müsse er Gott Abbitte leisten für voreilige, abfällige Urteile. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Es war ein glühender, regenloser Sommer, wie es hier die Regel war, aber -so wie dieses Jahr doch seit langer Zeit nicht. Schon im Mai hatte die -Dürre eingesetzt, und jetzt war alles verbrannt. Das Akazienlaub hing gelb -und tot von den Stengeln, die Linden waren auf der Windseite wie versengt. -Alles schlich matt einher, der Inspektor wie ein schwarzes Gewölk. -Papa, der, schon ganz elend von all den Hiobsposten, richtig auch -seinen Nervenschmerz bekommen hatte, ging mit Kölnischwasser und einem -Zerstäuber durch die Stuben und spritzte die Gardinen an. Tante Brunislawa -sagte: »Gott, bester Thilo, wenn du doch Patience lernen würdest, -das beruhigt und die Zeit geht so schön vorbei.« -- »Ja, und die -Gehirnerweichung tritt ein,« knurrte Papa. Mama schwieg mit hochgezogenen -Brauen, aber in der Schläfe ging der kleine Hammer. - -Pastor Gordon hatte am Vormittag Unterricht gegeben: Kopfrechnen und -Geographie und natürlich auch Religion; an Alis Horizont machte sich -außerdem das Lateinische unangenehm bemerkbar. - -Mama saß im Vorplatz, der mit Strohmatten, Korbmöbeln und undeutlichen -Aquarellen an den Wänden als Gartensaal gedacht war; winters über standen -hier auch die Oleander und Geranien in ihren grünen Kübeln. Sie half der -Kleudchen beim Erbsenauspahlen; es war die höchste Zeit mit dem Einmachen, -sie fingen schon an runzlig zu werden. Adallah hätte gern geholfen, er -liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen, der Küchenjunge im -Märchen erregte stets seinen unverfälschten Neid; aber nun sollte er -schon wieder hinaus, und nicht etwa in den Stall zum Gefleckten, das seit -einigen Tagen wässerige Äugelchen geöffnet hatte und bedeutend klüger -zu werden versprach als das Braune, sondern ans andere Ende vom Dorf, mit -einem Paket für die alte Schröder, die doch bloß ächzte und krächzte -und keine Ruhe ließ, bis man eins von ihren unappetitlichen Malzbonbons -nahm. So trollte er mißvergnügt von dannen. - -Die Erbsen fielen hart wie kleine Kugeln in die Schüssel. Mama blickte -auf zum Gatten, der in einem Korbsessel lag und sich mit der schmalen, -sensitiven van-Dyk-Hand ab und zu nervös durchs Haar fuhr, dies allzu -krause Haar, das die Gerüchte, die über den Stammbaum seiner Großmutter -umliefen, zu rechtfertigen schien. - -»Gordon ist mit den Fortschritten der Kinder nicht recht zufrieden,« -sagte sie. - -»Gott, die armen Bengels« -- der Gatte zuckte übers ganze Gesicht, -die Fliegen waren heute geradezu ekelhaft -- »bei dieser Hitze auch noch -lernen! Und dann so langweilig, immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur. -In der Schule kann man sich doch mal durchschwindeln, und schließlich, -wenn man kein absolutes Kamel ist, lernt man ja doch das Nötige. Eine -Schule wäre viel besser für die Jungens.« - -»Aber das läßt sich jetzt doch nicht einrichten, Thilo, wo's mit den -Pferden so knapp ist -- allenfalls hinradeln könnten sie, aber zweimal des -Tags all die Kilometer -- dazu sind sie doch noch sehr klein ...« - -»Ach, so meine ich's nicht, das weißt du ganz gut; Kadettenhaus oder -Ritterakademie, das ist das einzig wahre für ein paar ordentliche -Jungens.« - -»Die Erfahrungen, die du _damit_ gemacht hast, dürften doch wohl -genügen.« - -Der Gatte murmelte etwas, das wie »Duckmäuserei« klang, und die -Kleudchen, die, obwohl ganz zur Familie gerechnet, genau wußte, wann sie -lieber nicht gegenwärtig war, wollte taktvoll mit ihrer Erbsenschüssel -verschwinden. Er flog ihr nach und öffnete mit gewohnter Ritterlichkeit -die Türe für sie. Mit seinem etwas zu tief ausgehöhltem Kreuz und der -geschmeidigen Gebärde erinnerte er an jene tadellos ajustierten Bereiter, -die im Zirkus zu beiden Seiten des Eingangs stehen und der lächelnden Dame -im Flitterröckchen mit federnder Eleganz aufs Pferd helfen, die Reitgerte -überreichen ... - -Seine Frau blinzelte an ihm vorbei, auf die hellgetünchte Wand gegenüber: -»Ich glaube nicht, daß Kinder, deren Selbstbeherrschung täglich geübt -wird, zu Duckmäusern werden,« sagte sie. »Mein Blut neigt überhaupt -nicht dazu.« Ihre Stimme bebte, aber sie sammelte ruhig die leeren Schoten -in ihrem Schoß zusammen und legte sie in den Korb. Dann band sie ihre -große Hausschürze ab und begann sie zu falten: »Ich habe von Anfang an -auf Abhärtung, auch in Gefühlssachen, geachtet. Du hast dich nie gefragt, -ob mich das nicht selber hart ankam. Aber es erschien mir das wichtigste, -viel wichtiger als alles, was man aus Büchern lernt. Überhaupt meine ich, -wie einer lernt, ist mehr wert, als was einer lernt. Jedenfalls bild' ich's -mir ein, und darum muß ich danach handeln. Sonst verlange ich nichts -für die Kinder. Es sind gute Jungens, nicht unbegabt, aber nichts -Außergewöhnliches. Vielleicht wären sie besser dran, wenn sie -Holzpantinen trügen, und so mancher Firlefanz, der ihnen einmal noch das -Herz schwer machen wird, träte gar nicht erst an sie heran.« - -Sie war aufgestanden und hatte vor sich niedergesehen, mechanisch die -Schürze immer schmaler zusammenlegend; nun blickte sie auf; ihre Augen -waren warmdunkel geworden und der Klang der Stimme paßte zu den Augen: -»Eins aber,« sagte sie, »sollen die Kinder haben, ihr Leben soll auf -klarer Bahn beginnen, sie sollen mit harten Sehnen losgehen und an Wahrheit -gewöhnt sein; damit, wenn je die Stunde für sie käme, wo es schwer ist, -sich zur Wahrheit zu bekennen, sie auch dann ... nicht anders könnten. Was -sie an Hindernissen auf ihrem Weg finden werden, das verfügt unser Herr -und Gott, was von außen kommt, liegt nicht in unserer Macht. Wir können -nur den Willen bereiten. Das müssen wir. Denn ich meine, das _ganz_ -Furchtbare, das, was nicht heil zu machen geht, ist, wenn der Hahn kräht -und einer einsieht, daß er seinen Mann nicht gestanden hat. Erkennen, was -die Hauptsache ist und was die Nebendinge sind, ja, wer das hat, was kann -ihm schaden, wer kann ihn besiegen? ...« - -Dem Gatten waren solche Aussprachen -- die meistens als Monologe -verliefen --, wenn seine Frau ihr Veledagesicht aufsetzte und das Gesetz -verkündete, geradezu fürchterlich. Es fiel ihm ja gar nicht ein, gegen -ihren Wunsch Entscheidungen zu treffen; man konnte aber doch wohl seine -Ansicht sagen. Zum Glück kamen derartige Explosionen selten vor; für -gewöhnlich war Gerta sehr zurückhaltend. Aber er fühlte immer etwas -durch: Mißtrauen von vornherein und einen kindischen Eigensinn in Dingen, -über die er kein Wort verlor. Gouvernantenhaft, das drückte es am besten -aus. Seit der albernen Freundschaft mit den überspannten Livländerinnen -wurde es immer ärger. Er war gewiß für Religion; mein Gott, wohin -geriet man auch sonst, schon allein der unteren Klassen halber war sie ganz -unentbehrlich. Und eine Frau ohne Religion war ja ganz wider die Natur. -Aber diese Hyperfrommen hatten etwas direkt Aufwieglerisches an sich -- sie -konnten reden wie die rötesten Sozialdemokraten, geradezu bedenklich; -und taktlos waren sie auch alle, weil in ihren Augen der höhere Zweck -die ärgsten moralischen Anrempeleien rechtfertigte -- ja, sogar wenn sie -schwiegen, brachten sie's fertig, rechthaberisch zu sein. - -Er stand auf und sagte: »Wir wollen uns doch nicht über Grundsätze und -dergleichen ereifern; dazu ist es heute viel zu warm. Jedenfalls, ich bin -wie eine tote Fliege und gänzlich kampfunfähig. Meine Ansicht in der -Sache, die uns vor allen andern beschäftigt, kennst du. Möglichste -Schonung nach allen Seiten. Auch gegen uns selbst. Auch gegen die -konventionellen Hühneraugen unserer Nachbarn und Standesgenossen. Man lebt -eben nicht auf einer Robinsoninsel, nur mit einem Lama und einem Papagei. -Aber die Zeit ist der beste Alliierte, und die Menschen vergessen nur zu -gern, wenn sie dadurch einer Unbehaglichkeit aus dem Wege gehen können. In -einigen Jahren kann man das Gras mähen, das darüber gewachsen ist.« - -»Ja, in Dingen der Weltklugheit rede ich nicht mit, das liegt mir nicht. -Hier im Haus aber, wozu das Versteckspiel? Ich will Freud und Leid tragen, -ohne Scham, wo ich doch keine empfinde. Warum auch, es liegt ja alles so -einfach. Man macht so oft die Dinge kompliziert, bloß aus Furcht. Und -ich hasse die Furcht. Es ist etwas Fremdes, es soll nicht an uns heran. O -Thilo, du _mußt_ mir ja recht geben. Sollen wir denn erröten, wenn das -Evangelium vom verlorenen Sohn gelesen wird? Was ist uns das Geschwätz von -Nachbarn und Standesgenossen? Nicht mehr als der Rauch deiner Zigarette. -Denk an die großen Jagdrennen, früher, oh, wie stolz war ich auf dich, -Thilo. Immer der erste, kein Gedanken an Gefahr. Willst du dich vor dem -Gerede mehr fürchten als vor dem irischen Wall in Iffezheim?« - -In ihre Augen war feuchter Glanz gekommen, ihre Farbe kam und ging. Ganz -jung sah sie wieder aus, wie damals ... Schumanns »Widmung« fiel ihm -plötzlich ein, die sein Vetter Landrat -- Theo mit den Lakritzenaugen -- -am Polterabend hinter der kleinen Bühne gesungen hatte; er hörte noch -die gaumige Baritonstimme, die ihn damals tief gerührt hatte: »Mein guter -Geist, mein beßres Ich!« Und an den Tag in Iffezheim hatten ihre Worte -gemahnt. Eine rasche, heiße Welle des Erinnerns ging ihm durchs Blut. -Wie sie dort auf einem schmalen Brett gestanden hatte, hochgereckt, in -dem weißen Sommerkleid, das der Wind fest zurückblies um ihre feinen, -mädchenhaften Glieder, den Hut etwas nach hinten geschoben, das Haar -verwirrt um die leuchtende Stirn, und ihre großen reinen Augen so -strahlend und voll Vertrauen auf seinen Sieg, sie, die in ihrer Unschuld -doch schließlich auf das Körperliche hereingefallen war und dem -stählernen, furchtlosen Reiter auch Seelenstärke und Unabhängigkeit -des Denkens angedichtet hatte; warum eigentlich? Weil er einen geraden, -guttrainierten Körper besaß und eine gewisse Art physischer Furcht nicht -kannte? Jugend, Jugend! Von ihrem Glauben getragen war er sich schließlich -selbst wie ein famoser Kerl vorgekommen, auserwählt, dieses scheue und -doch unendlich aufrichtige Geschöpf an sich zu fesseln ... Er seufzte -auf und küßte, sich plötzlich vorbeugend, ihre herabhängende Hand. Der -Schmerz zog wieder so elend in seinem Genickwirbel. Da stand er auf und -ging in sein halbdunkles Zimmer zurück, wo auf dem Schreibtisch so viel -angesammelte, aufgeschobene Arbeit wartete. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Das war am Dienstag gewesen, Mittwoch kam, nicht heißer, das war nicht -möglich, aber noch bleierner, schon seit dem frühen Morgen. Die Pferde -fuhren mit großen Tonnen zum See hinunter, es sollte heute wieder im -Gemüsegarten gegossen werden; Park und Blumen mußte man ihrem Schicksal -überlassen, da war für diesmal nichts mehr zu machen, die Fliederbüsche -standen grau und matt und an den Wegrändern häuften sich ihre -zusammengerollten Blätter, die braunen Grasflächen dehnten sich wie -schäbige Löwenfelle, und auch die Linden auf der Terrasse ließen -runzlige Blätter niedersinken; wär' es nicht so furchtbar heiß gewesen, -es hätte Oktober sein können. - -Papa saß unter den Platanen, gerade oberhalb der Wiesen, die sich bis -zum See erstreckten. Er wurde stets sentimental, wenn er von diesem etwas -erhöhten Platz die Landschaft überblickte. - -»Hier will ich einmal ruhen, unter einem schlichten Stein,« sagte er, und -seine Stimme bebte ein wenig bei dieser Vorstellung; er legte wie segnend -die Hand auf Alis kleinen, frischgeschorenen Kopf (Ali wünschte sich in -solchen pathetischen Momenten klaftertief unter die Erde, das Erhabene lag -ihm nicht), »das ist das rechte Grab für einen ehrlichen Reitersmann.« -Papas Augen blickten verschwommen. Nachdem die Post am Vormittag gekommen -war, war's mit den Nerven ganz bös geworden, da hatte wieder das winzige -Spritzchen helfen müssen. Ali war gerade dazugekommen. »Sage nichts an -Mama,« flüsterte Papa und sah sich etwas schuldbewußt um, »du weißt -ja, wie gut sie ist; sie macht sich dann immer gleich Sorgen. Aber bei dem -verdammten Bohren ist es nun mal das einzige ...« - -Der Himmel über dem See war blauschwarz; er schien sich immer tiefer -zu senken, der große Roggenschlag jenseits leuchtete fahl, unheimlich -deutlich unter dem finsteren Gewölk. Papas Hand lag noch immer schwer -auf Alis braunem Maulwurfsfell. Nun kam der Knecht mit den letzten Tonnen. -»Heut nacht wird's losgehen, Herr Rittmeister,« sagte er und legte -militärisch grüßend die Finger an die alte, verfärbte Soldatenmütze. -Die Räder ächzten, aber das hartgebrannte Wiesenland gab kaum nach unter -der Last ... - -Auf der Terrasse vor der Haustür stand Mama in ihrem leinenen Reitkleid; -sie hatte eben noch mal nach dem Vorwerk reiten wollen, um die neue -Mamsell zu beraten: da war eben das Telegramm gekommen. Mit ihrem -glatt zurückgestrichenen Haar unter der Mütze glich sie einem lang -aufgeschossenen Jungen, wie sie da an der Rampe lehnte, die Hände in den -Jackentaschen, der Fuß ungeduldig tappend. Sie händigte ihrem Mann das -Telegramm ein. - -»Der Bote wartet.« - -»Mein Gott, warum hast du nicht aufgemacht?« - -»Bitte, es ist an dich adressiert,« sagte Mama, die in solchen Dingen -äußerst empfindlich war; Tante Brunislawas naiv gründliche Art, -Ansichtspostkarten zu studieren, die nicht an sie gerichtet waren, konnte -ihr Gänsehaut verursachen. - -»Heute, acht Uhr zwanzig,« las Papa leise. Das Blut war ihm zu Kopf -geschossen. »Laß Dralle rufen, bitte,« sagte er, schon an seiner Tür im -Erdgeschoß. - -»Ich gehe selbst.« - -Mama ging hinaus in die bleierne Glut. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Dralle saß in Hemdärmeln und gestreifter Weste auf der Bank vor der -Sattelkammer und vesperte. »Dralle,« sagte die gnädige Frau, »Sie -möchten zum Herrn kommen, er braucht Sie heut abend zur Bahn.« Die Hände -am Gürtel stand sie vor ihm, ganz blaß in der flimmernden Luft. Reglos, -aber doch bebte alles an ihr. Wäre sie ein junges nervöses Pferd gewesen, -so hätte der Alte gewußt, was zu tun; mit seiner breiten, ruhigen Hand -und tiefen Brummstimme verstand er's, allem, was in seine Obhut kam, Ruhe -und Vertrauen einzuflößen. So aber fuhr er in die Höhe und stand still: -»Zu Befehl! ...« Aber in seine Augen unter den schräghängenden Lidern -war der wachsame Hundeblick gekommen, den sie kannte, und der tat ihr wohl. -Denn der Alte war aus ihrer Heimat, dort im Lüneburgschen, wo die -Menschen so herrlich mundfaul waren; als sie heiratete, war er, ganz -selbstverständlich, mitgekommen, der sie als Kind schon reiten und fahren -gelehrt hatte und wie man sein Pferd selber putzt und sattelt. Zwischen -ihnen waren nie viel Worte nötig gewesen. - -»Ich wollte Ihnen längst schon sagen, Dralle,« fuhr sie etwas unsicher -fort, und das zuckende Grübchen in der Wange kam und ging, »wie dankbar -ich Ihnen bin, daß jetzt alles in den Ställen so ruhig und ordentlich -zugeht, zumal mit den neuen Leuten.« Dann wandte sie sich zum Stall. -Dorthin ging sie so manchesmal. - -Drinnen waren die Fenster verhängt; alles kühl dämmerig und totenstill, -die Stände leer, die Pferde noch auf dem Felde. In einer Ecke, neben der -Haferkiste, krochen Erdas Kinder, das Braune und das Gefleckte, auf weichen -Gummibeinchen im Stroh. Sie stießen flehende Tönchen aus, wie sie Gerda -kommen sahen, und blickten zu ihr auf mit dem tieftraurigen Blick und den -sorgenschweren Stirnen, die jungen Hühnerhunden eigen sind. »Ihr Armen,« -sagte sie, von Mitleid plötzlich überfallen; so etwas Junges, Wehrloses; -ganz hoffnungslose Augen machten sie ... - -Weiter zurück wieherte es leise. Das war Thilos altes Rennpferd, Cara, die -schon mehrere wertvolle Fohlen gebracht hatte und dort, etwas entfernt von -den robusteren Stallgenossen, das abgesonderte Dasein einer entthronten -Königin führte. Feingefesselt, blank und seidig wie reife Edelkastanien -stand sie in der Box und hatte den schönen, kleinen Kopf über die Wand -gelegt. »Cara,« sagte die Frau und öffnete, und schon fühlte sie die -warmen Nüstern an ihrer Wange. Ein Sonnenstrahl schlüpfte herein, die -großen Pferdeaugen glühten wild und zärtlich auf. Sie stellte sich dicht -an die alte Mutterstute und drückte das Gesicht in die warme Höhlung -zwischen Schulter und Hals, wo das Netzwerk der Adern schauerte. Ihr war, -als stünde sie an eine Schwester gelehnt, die verzaubert war und nicht -reden konnte, aber alles verstand; alles was kühn und heiß und traurig -ihr Herz aufrauschen ließ und plötzlich ihren Blick verdunkelte. - -»Du und ich, Cara, du und ich --« sagte sie und wußte nicht, daß sie -gesprochen hatte. Und dann mußte sie gehen, und die alte Cara legte wieder -den Kopf über die Wand und sah ihr nach, diesmal ohne zu wiehern ... - - * * * * * - -Die Kinder hatten noch Aufgaben für morgen. Aber sie blieben in dem -langen, hellen Gang stehen, an dessen äußerstem Ende sich ein hohes -Fenster nach dem Park zu auftat. Heute waren die weißen Vorhänge -zugezogen, es herrschte ein totes, weißes Licht; es war ganz still, nicht -einmal eine Wespe summte. Wie auf dem Meeresgrund, dachte Ali. Er hatte zu -Weihnachten ein Buch bekommen mit Bildern von Korallen und Seeanemonen, die -Schatten warfen auf den glatten weißen Sand, viele hundert Faden tief. - -Die Kleudchen saß dort am Fenster, klein und dunkel, wie am Ende der Welt, -vor ihr der Tisch, wo sich sonst die Flickwäsche türmte. Heute stand -eine Schüssel darauf, und die Kleudchen hatte Minka, ihre kleine, fette -Wachtelhündin, auf dem Schoß; sie fing ihr die Flöhe. - -»Da,« sagte Adallah, der gleich Feuer und Flamme wurde, solche Jagd war -doch zu interessant, »du mußt den Finger naß machen, Fau Kleudchen, dann -geht's besser.« - -»Ja, die kleinen Schwarzen sind zu fix,« sagte die Kleudchen, »das sind -die Männchen. Die großen Braunen können nicht so rennen.« Sie steckte -wieder einen ins Wasser. »Da könnt ihr zappeln,« sagte sie rachsüchtig. - -»Fau Kleudchen,« sagte Adallah, »Vate fäht zu Bahn; es is 'n Tegamm -gekommen.« Die Kleudchen ließ Minka zur Erde gleiten. Ihr kleiner, -zahnloser Mund schnurrte zart und gramvoll zusammen. Sie blickte vor sich -hin. Dann stand sie auf und ging mit kleinen, knappen Altweiberschritten -den Korridor hinunter; der Kamm steckte in der Tasche ihrer schwarzen -Moiréschürze; Minka watschelte kurzatmig hinterdrein. - -»Kinder, Kinder,« sagte die Kleudchen. Und dann: »Macht euch nun an eure -Aufgaben, nicht wahr?« - -Sie ging die Treppe hinauf, es krachte bei jedem Schritt, sie mußte sich -am Geländer festhalten; auf halber Stiege machte sie halt. Die Kinder -hörten sie in das verschlossene Zimmer gehn; dann machten sie sich an ihre -Aufgaben für Herrn Pastor Gordon. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Nun war die abendliche Milchsuppe glücklich vertilgt, ein Gericht der -Ewigen Wiederkehr, dem ebenso regelmäßig eine Schüssel der Jahreszeit -entsprechenden Kompotts folgte. Adallah, der Obst nur in rohem, wenn -möglich unreifem Zustande würdigte, hatte namentlich vor gekochten -Pflaumen einen Abscheu, während ihnen Ali einen sekundären Reiz abgewann, -indem er später die Kerne gegen die geschwärzten Ahnenbilder im Korridor -spuckte. Er hatte sich darin zu einem wahren Scharfschützen ausgebildet. - -Auch diesmal räsonierte Adallah leise mufflich vor sich hin, und die -Kleudchen hatte ein Einsehen und räumte alles ohne Gegenrede weg. Sie -schien heute nur auf eins zu drängen, daß die Kinder möglichst bald -schlafen gingen. - -Das Gewitter war noch immer zu keinem Entschluß gekommen. Auf der Seeseite -zuckte es ab und zu fahl auf, und die Haufen dürrer Lindenblätter -wirbelten plötzlich auseinander, wenn ein kleiner Windstoß sie -aufkescherte. Die Schwüle hatte sich eine Spur gehoben, wer konnte sagen, -ob heute nacht noch die Erlösung kam. - -Nachdem sie ein wenig an einem Lampenschirm für Papas Geburtstag gepappt -hatten, gingen die Brüder, ziemlich klebrig und deprimiert, hinauf in den -Giebel, wo ihr Zimmer war. Sie schliefen dort allein. Es war eine Diele in -der Mitte, auf welche drei Türen mündeten; ihnen gegenüber ein dem ihren -ähnlicher Raum, wo Kleudchen die besseren Äpfel und allerhand Kräuter -verwahrte, Fenchel, Krauseminze und Zitronenmelisse; es roch nach Apotheke -durch die Türritzen. Im Hintergrund aber war ein Verschlag, wo Koffer -und Körbe aufgestapelt standen, auch mancherlei ausrangiertes Mobiliar, -kummervoll aussehende Lehnstühle und Etageren, denen Dominik bei -Gelegenheit zu neuem Jugendglanze verhalf. Im Dämmerlicht gab es dort -kuriose Umrisse, Schatten und Geräusche. - -Die beiden genossen ihre Freiheit im Giebel, aber es gab auch Momente, wo -sie lieber unten geschlafen hätten oder im Seitengebäude, wo Kleudchen -ihr Reich hatte. Aber sie schämten sich, es einzugestehen. »Ich glaube -gar, ihr habt _Angst_?« würde Mama sagen und die Augenbrauen hochziehen. -Nein, lieber knackende Schränke und unmotivierte, schlurrende Geräusche -als das! Heute aber, mit dem Gewitter in den Gliedern, lagen sie recht -klein und kümmerlich in ihren Bettchen, mit großen Augen zum Gebälk -aufschauend, wo ein pelziger Nachtschmetterling mit Gebrumm seine Kreise -zog. - - »Will Satan mich verschlingen, - So laß die Engel singen: - Dies Kind soll unverletzet sein,« - -betete Ali mit Nachdruck; sie hatten beide eine Vorliebe für -diese hochdramatische Stelle. Und »Amen« klang es leise stockschnupfig -aus Adallahs Bett an der anderen Wand. Diesem war der Gedanke an »Satan« -heute abend gar nicht so genußreich wie sonst. - -Die Kleudchen sah mit dem Licht in der Hand mehr denn je aus wie eine -treue, zuverlässige Hexe; den Kindern kam sie vor wie ihre einzige -Rettungsplanke. Es war einsam und schwül hier oben, und morgen war -Doktor-Löschwitz-Tag; sie würden wieder mit ihm spazierengehen müssen, -so langweilig; er wollte nie aus dem stickigen Park heraus. Herr Doktor -Löschwitz kam stets im Bratenrock, er führte sie bei der Hand, er -sagte ab und zu: »Nun, meine kleinen Freunde, und was machen die -Wissenschaften?« oder: »Nun, Freund Albrecht, wie sagt der Lateiner?« -Lauter so einfältige Fragen, auf die man gar nichts zu antworten wußte; -aber er ließ nicht los, und seine Hände waren heiß und knöchern in den -knirschenden Zwirnhandschuhen. - -»Frau Kleudchen, bleib doch da,« sagte Adallah weinerlich, er war nun -schon ganz haltlos. Sie saßen noch aufrecht, vom Beten her; ihre Hälschen -streckten sich nach ihr aus wie Vogelhälse über den Nestrand. Die -Kleudchen stand zögernd mit dem Licht; ihr Schatten schwankte langnasig -über die Tapete. »Ich komme in zehn Minuten und bring' euch noch frisches -Wasser,« sagte sie. Bis dahin würden sie eingeschlafen sein. Doch die -beiden wurden wohl schläfrig, aber darunter blieb eine eigentümliche -Unruhe bestehen. Papa war noch vor dem Abendbrot mit Dralle weggefahren, -bei der Dürre konnte man den kürzeren Sandweg nicht nehmen. Unten saßen -jetzt Mama und Herr Pastor, der immer am Mittwoch zum Tee kam. Aber heute -blieb er nicht, das war seine knappe Art zu reden, auf dem Vorplatz, und -nun Mamas tönende Stimme: »Ja, da ist der Regenschirm;« und dann ging -die Haustür und fiel ins Schloß. Nun war es totenstill, nein, war das -nicht Mama, die im Gartensaal auf und ab ging? Wenn sie ans andere Ende -kam, drehte sie sich mit einem kleinen Ruck. Abends trug sie immer ein -seidenes Kleid, und es war ihr im Wege, und dann sagte sie: »Ach, das -gräßliche Kleid ...« - -Ja, die Frau im Gartensaal ging schon eine Weile auf und nieder, die Hände -auf dem Rücken, den Blick geradeaus, ohne viel zu sehen. Manchmal stand -sie an der Glastür still und sah in die Finsternis, und wenn ein Blitz -kam, blieben ihre Augen ruhig, als schauten sie andere Dinge. - -Dieser Pastor gehörte also auch zu den Menschen, die »zum Guten« reden. -Sie hatte Thilo beredet, die Stelle an Gordon zu geben. Seine schottische -Abkunft, seine hagere, asketische Erscheinung, sein physischer Mut -- -damals, als sich der Bulle losgerissen hatte --, das alles hatte sich -in ihr mit Vorstellungen von Cromwells ernsten Scharen zu einem Bilde -puritanischer Einfalt und Furchtlosigkeit gestaltet, das eine heimliche, -romantische Saite in ihr zum Schwingen brachte. Aber sie wurde seit einiger -Zeit die Empfindung nicht los, daß Gordon bei allem, was er tat, in seinem -eigenen Bewußtsein ein unsichtbares Publikum besaß. Es war nicht der -gewöhnliche, äußerliche Ehrgeiz, den sie durchfühlte, nein, etwas -Raffinierteres, den Ehrgeiz der Entsagung, der seiner Demut den heimlichen, -erquickenden Stachel gab. Und sie erkannte, daß er in schwierigen -Momenten versagen mußte, weil er nicht einfach genug war für all die -Kompliziertheiten des Lebens. - -So hatte sie denn allein, wie sie es gewohnt war, in diesen Tagen tief -in die letzten Winkel ihres Herzens hineingeleuchtet, eine jener -Generalrevisionen vorgenommen, wie sie ihr die frommen, livländischen -Freundinnen als ordentliche und außerordentliche Exerzitien -- ähnlich -den Alarmübungen der freiwilligen Feuerwehr -- so liebevoll eindringlich -empfohlen hatten, und wenn sie dabei auch in anderem Geiste verfuhr als die -sanften Gemeinschaftlerinnen, ihr war solche Übung von Zeit zu Zeit recht. -In den zehn Jahren, die sie hier lebte, hatte sie Thilo mehr und mehr das -Geschäftliche, die Rechnerei, die ihn so furchtbar irritierte, abgenommen, -hatte mit mancher Unordnung und Unredlichkeit aufgeräumt, für die sie ihm -im stillen schwerere Schuld gab als denen, die träge Vertrauensseligkeit -in Versuchung führte. Dabei hatte sich ihr Blick geschärft, sich -gewöhnt, Ursache und Wirkung fast gleichzeitig zu erkennen und -auseinanderzuhalten. Nun wollte sie auch sich selbst nicht schonen, nein, -um jeden Preis mit ihrem Gott ins reine kommen. Und da hatte sie manches -gefunden, was sie beschämte, Selbstüberhebung, Herrschsucht, Heftigkeit, -sogar gegen Untergebene, die sich nicht wehren konnten -- recht erbärmlich -war's gewesen; aber Menschenfurcht und Eigennutz waren nicht dabei. Sie -hatte Thilo angefleht, hatte darum gekämpft, den Fremdgewordenen, das -zertrümmerte Leben, das heute nur auf wenig Stunden hier einkehren sollte, -nicht wieder von sich zu lassen. Er hatte doch nun seine Sünde verbüßt, -nach dem Rechtsspruch, der bei all den braven, hochgeachteten Leuten -galt, die unversucht in Ehren starben und begraben wurden, und für deren -Gesetze, die trotz aller Tüftelei nie bis zu den letzten verwirrten -Wurzeln einer Handlung drangen, sie dieselbe Geringschätzung empfand -wie ein überzeugter Naturarzt für die Pflaster und Schlafmittel der -berufsmäßigen Doktoren. Was half's, das Evangelium vom verlorenen Sohn -zu bekennen, wenn man das Herz nicht hatte zu tun, was jener israelitische -Vater getan? Aber das war eben die Halbheit, die Willensschwäche, -dasselbe, was Thilo die unangenehmen Abrechnungen von Woche zu Woche -verschieben oder ihn zu der feigen Spritze greifen ließ, sobald es -stärker in der Schulter bohrte, dasselbe, was ihn seine jüdische -Großmutter verleugnen ließ, aus deren Mitgift doch die Vorwerke -zurückgekauft, der englische Park und die nunmehr verfallenen Treibhäuser -angelegt worden waren. Unbegreiflich! Hätte sie auch nur einen Tropfen des -verpönten Blutes in den Adern gehabt, nie hätte sie's verleugnet. Ach, -sie hatte sie gesehen, damals, in Livland, diese heimatlosen, jüdischen -Leute, auf kleinen, öden Bahnhöfen gestrandet, im rieselnden Landregen -oder in Glut und Staub zusammengekauert, gleich aufgescheuchten -Nachttieren, denen plötzlich das Licht scharf und ohne Erbarmen in -die Augen brennt. Diese Kinder, denen das bittere Leben schon so viel -unkindliche Pfiffigkeit beigebracht hatte, diese engbrüstigen Männer, -die etwas Weichzähes hatten, Geschöpfe, die sich zugleich anschmiegen -und festklammern müssen, um zu bestehen; diese uralten Judenmütter, -unbeweglich, ganz verwittert wie Steinbrüche; nicht ihr eigenes Alter, -nein, all die tausend Jahre ihres Volkes schienen in ihre Runzeln -eingezeichnet. Vor wenig Wochen saßen sie zwischen Kindern und -Kindeskindern, am schöngedeckten Tisch, vor sich den heiligen Leuchter, -den Kuchen und den Wein, und nun hockten sie hier, die Füße im Graben! -Oh, ihr Wasser Babylons! Ein junger rothaariger Jude hatte traurig auf -der Ziehharmonika gespielt. Und sie hatte sich so brennend gewünscht, ein -großer Maler möchte das malen, wie sie es sah, den flimmernden Staub, die -trostlose Landstraße, die Jammervollen da am Graben entlang. Aber hinter -ihnen, riesengroß, geisterhaft, silberglühend in der gelben Mittagsglut, -ein Kreuz, und unser Herr und Heiland daran, der die blutenden Hände von -den Nägeln losgerissen hat und hinunterstreckt zu den Ausgewiesenen in -unendlichem Jammer! Aber sie wurden verleugnet. Und verleugnen kam -doch gleich nach verraten; ja, war's nicht noch schmählicher, so etwas -Passives, Bequemes? Man hielt einfach den Mund, wo man hätte reden -müssen, weiter nichts! - -Aber ihre eigenen kleinen Söhne dort oben -- es kam ein kurzes, trockenes -Aufschluchzen in ihre Kehle --, die sollten unberührt bleiben von der -Welt. Sie sollten nur wahr sein und deshalb furchtlos, ganz ohne Furcht und -darum wahr. Vertuschen, schweigen oder sagen: ich kenne ihn nicht -- nein, -das würde ihren Jungen unmöglich sein; da hatten ihre eigenen Vorfahren -ein Wort mitzureden, die alten Niedersachsen, die lieber mit ihren toten -heidnischen Brüdern verdammt sein wollten, als ohne sie himmlische Freuden -gewinnen. Auf einen Augenblick sprühte der blaue Funken in ihren Augen -auf, der die Kinder, wenn sie ihn erhaschten, eine fremde, ungezähmte Mama -ahnen ließ, die ihren eigenen Weg ging, auf den so kleine Jungens nicht -mitgenommen wurden. - -Wahr sein! Ach, nur das, nur das, alles andere legte sie gern in Gottes -Hand, wollte heiter sein, nicht sorgen um den kommenden Tag, so wie die -Freundinnen es ihr anempfohlen, deren tiefe Herzensruhe alles um sie her -glättete und ganz einfach machte. Aber in dieser einen Sache, da mußte -sie selber Posten stehen, zur Stelle sein mit Augen und Händen und ihrem -ganzen Verstand; da galt der Spruch, der ihrem Wesen entsprach: Mensch, -hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Denn sie wußte, wenn es später -hiermit nicht stimmen sollte, würde sie nie vermögen, sich ein X für ein -U zu machen, es als eine Schickung hinzunehmen, es dem allwissenden Gott in -die Schuhe zu schieben, sozusagen. - -So ging sie auf und ab. Der lange Raum war halbdunkel, die Lampe über -dem Teetisch machte nur die eine Ecke hell und heimlich. Aber die Blitze -zerrissen die Nacht in immer kürzeren Intervallen. Unter ihrem Augenlid -fing es wieder an zu zucken, das Kleid hing ihr schwer um die Glieder. -Einmal griff sie nach dem Türpfosten und lehnte den Kopf auf den Arm, -sekundenlang: wie mochte wohl Frauen zumute sein, die ruhevoll und ohne -Zweifel den _anderen_ entscheiden ließen und wußten, es würde gut sein, -was er auch erwählte? So ein Mann wie ein großer schützender Baum! -Solche Frauen mußten doch einen wunderbaren Frieden haben, so großen -Frieden, daß die Werktage fast wie Sonntage wurden ... Oh, die dummen, -schmerzhaft-süßen Gedanken, ganz matt wurde man davon; besser, sie nicht -weiter zu spinnen. - -Neben ihr auf einem Gartentisch standen allerhand blühende Töpfe. Sie -knipste ein wohlriechendes Geraniumblatt ab und steckte es an den Gürtel, -die herbe Süße tat ihr wohl. Sie hatte so ganz verschwiegene Vorlieben -unter den Blumen. Nun war wieder ein Lächeln in ihre Augen gekommen. - -Es schlug zehn. Da ging sie zu der erleuchteten Ecke. Mit ihren schönen -ruhigen Händen zündete sie das Flämmchen unter dem Teewasser an, -rückte Schüsseln und Blumen zurecht. Gleich würde die arme Brunislawa -geschlüpft kommen und sich schüchtern und gewichtlos auf der Sofakante -niederlassen, als hätte sie kein Recht dazu. So überbescheidene Menschen -waren im Grunde doch nervenangreifend. Ja und nun in ein paar Minuten -mußte der Wagen da sein. - - * * * * * - -Ali und Adallah waren, nachdem ihnen die Kleudchen Wasser gebracht, doch -eingeschlafen. Aber nun wachten sie, ziemlich gleichzeitig, heiß und -unruhig auf. - -Das Gewitter schien jetzt Ernst zu machen. Das war kein Wetterleuchten -mehr, sondern scharfes, bläuliches Blitzen. Der Donner kam immer näher -und die Stimme des Windes hatte etwas zornig Pfeifendes, ähnlich wie -der Bulle, wenn er ganz böse war und den Kopf zwischen die Vorderfüße -bohrte. Die Fensterflügel zerrten in den Haken, und irgendwo war ein Laden -locker geworden und klappte mit jedem Windstoß. Man hörte Baumwipfel -sausen, tief und unheilvoll, Blätter huschten am Fenster vorbei; dann -war es wieder ganz schwarz. Einmal mischte sich auch Rädergeroll in das -Donnern. Die Haustür ging, Pferde stampften. »Oooda --« das war Dralles -Stimme, die Braunen wollten nicht stehen bei dem Blitzen. - -Die Kinder lagen steif unter ihren roten Wolldecken; der Wind fuhr ihnen -abwechselnd heiß und kühl über die Haare. Oh, wenn sie doch jetzt -unten wären bei den Großen, die gewiß um den runden Tisch, bei Tee und -Lampenlicht saßen und sich gar nicht fürchteten, oder im Stall, wo Fritz -Dralle im Verschlag schlief und die Laterne im Pferdedunst zwinkerte und -Erda in der Kiste lag, das Braune und das Gefleckte liebevoll umringelnd. - -Die Blitze folgten einander rascher; der Donner kam jetzt krachend, fast -gleichzeitig; das war nicht mehr das tiefe Löwengebrüll des Anfangs. -Unten gingen Türen, man hörte Stimmen, Papa krähend aufgeregt, Tante -Brunislawas unverkennbarer Klagelaut, so perlhuhnartig, und zwischendurch -die Kleudchen wie eine besorgte, vernünftige Truthenne: knapp, knapp, -knapp. »Ich werde selbst hinaufgehen,« das war Mamas weicher Alt, »komm -auch du, Stanja,« und Papa: »Nein, nein, später,« und wieder Mama: -»Doch, Thilo, heute.« - -Im selben Augenblick fuhr es blau zum Fenster herein; das Zimmer leuchtete -hell auf, man sah jeden kleinen Riß in der Tapete; ein kurzes, scharfes -Knistern, als ginge feines Glas entzwei, dem ein ohrenbetäubendes -Knattern, eine hohe tückische Salve folgte; es roch seltsam schweflig. -Aber nun prasselten schon die Regenmassen aufs Dach, in die Baumkronen -hinein; sie wühlten den Kies auf; sie bildeten sofort eine Menge kleiner, -aufgeregter Ströme, die über die Terrasse liefen, immer eiliger, immer -wütender, die Brüstung entlang, bis sie Ritzen fanden, zu denen sie -vereint wie Dachtraufen hinausschossen in den verdorrten, versengten -Äpfelgarten hinunter. - -Adallah hatte aufgeschrien. Ali blickte wie versteint nach der Türe. Dort, -mit übergehängter Joppe, stand Mama, blaß, mit feuchtem Haar, ihre Augen -glänzten so sehr, sie lächelte. Würde sie sagen: »Ich glaube gar der -Junge hat Angst?« Aber sie sagte nichts dergleichen, sie wandte sich -zurück, ein Fremder stand hinter ihr. »Siehst du, Stanja, deine kleinen -Brüder sind wach,« sagte sie, »nun müßt ihr gleich Freundschaft -schließen.« Ein langer, schlaksiger junger Mensch mit fahlem, -kurzgeschorenem Haar ging verlegen von einem Bett zum anderen. Er murmelte -»Guten Abend«, er lächelte, aber so als täte es ihm weh. - -»Gebt eurem Bruder einen Kuß,« sagte Mama, »denn ihr müßt euch sehr -freuen, daß er wieder bei uns ist.« Ihre Hände klammerten sich um Alis -Bettpfosten. Die Hände dort, in die sich nun die kleinen, zerkratzten -Pfoten ihrer Kinder so zutraulich legten, sie hatten Menschenblut vergossen -in tierischer Wut. Und bis es soweit kam, hatten sie anderes verübt, was -die Menschen milder beurteilen und das Gesetz milder bestraft, und das ihr -viel schrecklicher schien, weil es ihr unbegreiflicher war. War das nun -ausgelöscht durch die Strafe? Oder blieb einer, der solcher Vergehen -fähig war, dadurch gezeichnet für immer, zu einer Menschenschicht -gehörig, die man bedauern, aber nie begreifen konnte? Und schlief -vielleicht in ihren eigenen kleinen Söhnen ebenso giftiges Samenkorn und -schlief sich nach Gottes Ratschluß zu Tode oder wachte plötzlich auf, mit -unbändiger Triebkraft, wenn alles sicher und befestigt schien? Aber war -das ein Grund, nachsichtiger zu urteilen, weil man selbst oder das eigene -Fleisch und Blut ähnlich straucheln konnte? Wie die Menschen, die feige -zu allem schweigen, um ihr eigenes Glashaus nicht zu zertrümmern. Was half -Denken und Abwägen? Eines war gewiß: er hatte zahlen müssen mit dem, was -am kostbarsten ist, mit der unwiederbringlichen Zeit, mit Sonne und Luft -und dem Rausch freier Glieder in der Morgenfrische, dort in der Enge und -dem Schweigen, bei grauer, eintöniger Arbeit, ohne Kameradschaft, ohne -helles Ziel. Er hatte gezahlt mit langen Jahren der kurzen Jugendzeit -und die vergrämten, alten Fältchen an seinem Mund waren die Quittung -darüber. Aber was an ihr lag, das sollte geschehen, auf daß er noch -einmal in Klarheit, ohne Vertuschen und gerade darum nicht ganz ohne Stolz, -sein schweres Leben neu beginnen konnte; und wenn es ihn jetzt in weite -Ferne führte, auch dort sollte er wissen, daß sie zu ihm stand in seinem -neuen Leben. - -»Wo warst du denn die ganze Zeit?« fragte Adallah, dem der Fremde stumm -und hilflos über den kleinen Hemdärmel strich. - -Der junge Mensch wurde rot, er murmelte den Namen einer fremden Stadt. - -»Stanja ist in einer Schule gewesen,« sagte Mama. »Wir Menschen müssen -alle in die Schule. Aber nun hat er ausgelernt.« (Wie geschraubt das -klang, dachte sie, gleich als sie's gesagt hatte.) - -»Bleibst du nun hier?« piepste Adallah weiter, dem sich schon -berauschende Aussichten auftaten, Kombinationen von Stanja mit dem Kahn und -Haselnußexpeditionen mit Stanja und dem Gefleckten. - -»Nein, morgen reise ich weiter,« sagte der neue Bruder. Er hatte eine -verschleierte Stimme, die den Kindern wie ein fremdartiges Instrument -vorkam; und es war da etwas Nettes mit seinen haselfarbenen, etwas schräg -gestellten Augen, wenn er beim Lächeln das untere Lid so hochzog. - -»Ja, aber du kommst wieder und kommst oft wieder, und schließlich bleibst -du da und wirst unsere rechte Hand.« Mama hatte ihr leises Mädchenlachen -und wurde rot. »Du bist ja unser Ältester. Ja, mein Junge,« und sie -legte ihm die Hand auf die Schulter und strich sanft an seinem Arm herab, -und aus ihrer Handfläche schoß ein heißer Strahl zurück in ihr -Herz, »ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, daß du ganz bald -wiederkommst in dein Elternhaus. Wo auch deine liebe Mutter gelebt hat. Ja -und siehst du, mir gehorcht man.« - -Der blasse Mensch lächelte wieder gequält, es war alles so freundlich -gemeint, aber oh, beinahe sehnte er sich zurück, dorthin, woher er kam, -wo er selbstverständlich war und dazu gehörte wie das eiserne Bett, der -Schemel, der häßliche Blechkrug auf dem Tisch. Und sie fühlte es und -quälte sich auch. Was half die beste Absicht -- da waren eben noch Wunden. -Es war, wie wenn man einem Schwerkranken sagt: So, nun schlafe schön, -morgen ist dir besser; dann lächelten die Kranken auch so mühsam, um -ihren guten Willen zu beweisen. Wund war alles; was man auch sagte, es war -zu deutlich. Ach, ihre Hand war nicht leicht genug für so schwere Dinge! - -Sie wandte den Kopf dem offenen Fenster zu. Es hatte noch ein paarmal -geblitzt, aber schwächer; der Donner klang weit ab, als habe das Ungetüm -mit dem einen Schlag seine Wut verbraucht. Der Regen rauschte nieder in -großen, ruhigen Wogen, ein unendlicher Segen. - -»Lieber Gott, der Roggen!« sagte Mama und horchte auf; ihr Mund bebte ein -wenig. »Nun ist der Regen noch zur rechten Zeit gekommen.« - -Sie ging zum Fenster; sie lehnte sich hin, als wolle sie das Rauschen -trinken, als sei sie selbst ganz ausgedörrt gewesen. Es war ihr lieb -dazustehen, unbemerkt; so konnten ihre Augen die beiden brennenden Tränen -zurücksaugen, ungesehen. - -Hinter ihr, bei den kleinen Betten, war nun ein Gewisper und Gekicher -entstanden; sie merkte es wie im Traum. Und sie stand regungslos, ohne -sich zu wenden; sie spürte, daß dort etwas vor sich ging, ganz außerhalb -ihres guten Willens, etwas, das von Recht und Unrecht nicht wußte und -nicht von Belohnen oder Verzeihen. Nein, ungerufen, sanft erobernd, wie das -neue Gras hier früher und dort später die verdorrten Stellen durchbricht -und belebt, heilend wie der Saft, aus der Wunde selbst bereitet, den -Baumschnitt überzieht, daß er nicht faulen kann. Sie fühlte, sie konnte -nichts dazu tun; aber abseits stehen, sich nicht drein mischen, nicht -stören, das konnte sie. Demut! Sie hatte das Wort oft gebraucht, aber -doch nur auf andere angewandt. Jetzt eben meinte sie, es in sich selbst zu -erkennen. - -Diese ereignisvolle Nacht, die die Kinder im Halbwachen durchlebten, dieses -Gemisch von Donner und Wagengeroll, die kurze Erscheinung des großen -Bruders, der von nun an wie ein unsichtbarer Kriegsgott bei allen -Abenteuern der Schiedsrichter war, und, fast ebenso erstaunlich, Mamas -Erscheinen hier oben, ihr leiser Duft, ihre Stimme, wie von Regentröpfchen -durchglitzert, als sie dort am Fenster lehnte, abseits, freundlich, schwach -erhellt ... das alles wurde für Ali und Adallah zu einem unauflöslichen -Ganzen, wie Dinge, die man im Nebel gesehen, sich getrennt nicht vorstellen -kann. - -Beinahe das allermerkwürdigste aber war, daß, als sie bei gleichmütigem -Regenakkompagnement wieder allein lagen, Dralle im Gummimantel erschien, -naß und wortkarg, aber doch wie ein rechter Himmelsbote, denn er hatte -das Braune und das Gefleckte auf dem Arm, setzte dieselben auf die beiden -Bettchen nieder und erklärte, es geschähe dies auf Befehl der gnädigen -Frau. - - - - -Etüde - - -=I= - -Wenn am Nachmittag die Sonne durch die Läden drang und goldene Leitern auf -Tisch und Sessel malte, übte Amsel ihr Adagio. Anfangs ging es glatt, aber -das war trügerisch, bald wurde es schwarz von kleinen wimmelnden -Noten, die alle untergebracht sein mußten; da waren die schrecklichsten -Fallstricke, sogar Triller im Baß, wie eingesperrte Brummfliegen. Aber sie -arbeitete sich durch, wie ein Maulwurf durch lichtlose Gänge, und dann -kam die Belohnung, das Allegretto: still gefaßt, auf feinen Füßchen, sah -sich's versonnen um in dem dämmernden Raum, und irgendwie schien es den -Ausdruck der Dinge umher zu haben, sich zu vermischen mit dem Duft der -Herbstveilchen, mit dem sonngebleichten Gelb und Grau der Kretonnerosen; -eine schöne, weiße Hand leuchtete auf, ein schleifender Schritt kam -gegangen, ein Lachen war dabei, dunkel und zärtlich. - -Die feine, zerbrochene Seele, die über Amsels Kindheit wachte, kam seit -Jahren an diesen winters so verlassenen Ort, wo für sie in den großen -Alleen, vor den Säulen des weißen, langgestreckten Kurhauses, die -Erinnerung wandelte, angetan mit der Krinoline des zweiten Kaiserreichs, -jener Zeit, da alles jung und erwartungsvoll gewesen und sie selbst, die -schöne Anselma, den Menschen ins Herz gedrungen war wie ein Wohlgeruch. -Kalte Winde ließen sie erschauern, für den Süden aber fehlten ihr die -Mittel, so kam sie, wenn der Herbst zu Ende ging, immer wieder in das -stillgewordene Tal. Dann taten die großen Gasthäuser die Läden zu, -in den Gärten roch es nach moderndem Laub, und auf den Wegen war es -menschenleer, aber oh, so voll von Erinnerung. Sie paßte nicht mehr in -Menschengewühl; Gespenster, ja, die drängten sich heran, aber wie sanft -gingen die mit ihr um. Und mehr und mehr zog sie sich zurück; wie ein -krankes Tier, fühlend, daß der Kampf zu Ende geht, sich unter Hecken in -eine Mauerritze verkriecht in der stillen Anspruchslosigkeit des Todes. - -Schon zum viertenmal war sie in die Villa an der Berglehne eingezogen. Wie -der Wasserfinder die Quelle, so spürte sie Häuser auf, die bessere Tage -gekannt und nun, im Alter verwahrlost, einen eigenen Lockreiz hatten. Mit -silbrigen Dächern, mit schönbemessenen Räumen und schlanken Fenstern -hinter geflickten Marquisen, träumten sie in der Herbstsonne. Der Hausrat -alt und fadenscheinig, die Kretonne gedemütigt durch allzuhäufige -Wäsche; aber da waren noch schöngearbeitete Türschlösser, wie man -sie nicht mehr macht, schmale Goldleisten faßten die Tapeten ein, Kamine -warteten auf Winterabende, und hinter weißen Holzpaneelen, die kniehoch -um die Wände liefen, raschelten die Mäuse. Alles aus einer Zeit, als die -Häuser fein und zierlich und die Gärten groß waren, und die Menschen -anmutig, aber ganz ohne Prunk den guten Dingen dieser Welt die Türen -auftaten. Und wenn das gesternte Parkett in der Sonne knackte, ging ein -Knistern alter Modenjournale durch die Zimmer und Erinnerung an =Lavande -ambrée=, von sachttretenden Dienern auf zischende Schaufeln getröpfelt. -Hier standen noch Hortensien in grünen Holzkübeln und Fuchsien mit ihrem -feinen Glockenspiel; auf die gefleckten Sandsteinstufen sanken Blätter und -Beeren, Pappeln säuselten golden in der stillen Luft. Der nächste Sturm -würde alles mitnehmen, aber noch waren die Tage warm, die Nächte gütig, -und im Grase lagen süße, wurmstichige Birnchen, und die letzten Wespen -nagten sich hinein, bis der erste Frost sie lähmte. - -An der Wand, gradüber dem Flügel, hing Tante Anselmas Jugendbild. Mit den -leuchtenden, weich gleitenden Schultern, dem Grübchen in der Wange, dem -kurzsichtigen, amüsierten Blick zwischen zusammengezogenen Lidern, in -Spitzenwolken gehüllt, eine Garbe ziemlich unwahrscheinlicher Blumen im -Arm, einer der schönsten unter den schimmernden Schwänen, wie sie -einst, unnahbar und doch empfindsam, und alle mit einer leisen -Familienähnlichkeit, aus Winterhalters Atelier hervorgerauscht kamen. -Amsel starrte hinauf. Nun waren Wange und Kinn zart gewelkt, wie die -Ränder der Malmaisonrose, die es so rasch verrät, ob sie am Tage vorher -gepflückt ward. Aber das Grübchen war noch dasselbe, das kam und ging wie -Sonnenflecken durch die leisklappenden Jalousien. - -Abends, wenn das Lampenlicht die Möbel streichelte und hier und dort ein -Bildrahmen, ein Türschloß aufglühte, ließ Tante die graue Häkelei -sinken und ging an den Flügel, auf dem das Bild der schönen, -unglücklichen Großfürstin stand. Sie blinzelte ihr zu, während sie -spielte, mit zurückgeneigtem Kopf, die Zigarette im Mundwinkel. Und -es war, als ob Chopins feines Filigran mit dem Rauchgekräusel -zusammenflöße, aufstiege in immer leichteren, immer durchsichtigeren -Spiralen. Amsel saß an der Erde, die Hände um die Knie, und feine Klingen -stachen ihr ins Herz; denn süß und zögernd ging die Melodie an ihr -vorbei, und sie hätte bitten mögen: »Bleibe, bleibe,« aber schon war -sie in breiterflutenden Gewässern untergegangen, Dinge, die wild und -herrlich waren und vergangen sind, hoch aufrauschend von ritterlichem -Opfermut und goldenem Leichtsinn ... nur zum Ende noch ein paar Takte wie -am Anfang, Arme, die sich auftun, schüchtern flehend. Wie stand doch unter -dem Marienbild, dort in dem kleinen Bergdorf: »Mein armes Kind, wo gehst -du hin, weißt nicht, daß ich deine Mutter bin?« - -Tante Anselma ließ die Hände sinken; die große Müdigkeit war über -sie gekommen. Stromab; wie leicht ist das, wenn man müde wird; und die -Mündung war nicht mehr fern. - -Wenn sie dann wieder bei ihrem Buche saß, starrte Amsel darauf hin, ohne -die Blätter zu wenden. Sie mußte an so vieles denken, was ihr Tante -erzählt hatte und was da, während der Musik, an ihr Herz gepocht hatte, -wie Zweige ans Fenster pochen, wenn der Wind geht: Tante als kleines Ding -auf dem Schoß des großen Verbannten, inmitten feurig redender Männer -und Frauen mit leidvollen, brennenden Augen. Da klirrten Waffen, da zogen -Revolutionen dröhnend durch die Nacht. Und andere Menschenzüge wanderten, -stumm, verzweifelt, endlos durch den Schnee, und neben jedem Mann stapfte -eine Frau ... dann wieder Lichterglanz und Rauschen, und immer tönte -Musik, wild oder zärtlich, wie hinter einem Vorhang. Die schöne Anselma -ging durch große Menschenmengen, wie heute durch die Einsamkeit, fein und -etwas spöttisch und ganz ohne Furcht, Verfolgten und Geächteten hatte -sie Treue gehalten. Aber auch in die Mächtigen dieser Erde hatte sie -ihr Vertrauen gesetzt und war nicht getäuscht worden. Folgte sie einer -Witterung, wie Tiere und wilde Völker sie haben, die sie den einen -zugänglichen Punkt in eisernen Herzen finden ließ? - -Ganz jung war sie mit Onkel verheiratet worden, und mit ihm hatte sie wohl -so manches durchgemacht. Zeitweise mußten sie auf das verwahrloste Gut -ziehen, von dem die alte Kammerfrau noch heute mit Schaudern sprach. Dann -lagen ihre Perlen auf dem Leihhaus, ja schließlich kamen sie nicht -wieder. Vor ein paar Jahren war Onkel noch einmal aufgetaucht; elegant und -verwittert und etwas kreuzlahm, mit großen Saphiren an den nikotingelben -Fingern und der ganzen überströmenden Galanterie des schlechten -Gewissens. Man saß bei Tische, die Kerzen knisterten, die Malmaisonrosen, -die er gekauft hatte, in ihrer Mitte. »=Votre fleur, chère amie=,« -sagte er, und Amsel wand sich; wozu sprach er eigentlich französisch, er -schnurrte das R so, dann war er ihr erst ganz antipathisch. Von Biarritz -erzählte er, von Monte Carlo und den »=potins de Florence=«, denn jeden -Winter war er an einem anderen Ort. Tante sah geistesabwesend vor sich hin; -es war doch seltsam, dieser fremde Mensch, dessen Namen sie trug ... -Aber voller Fürsorge war sie doch, konnte sich nicht genug tun an -Aufmerksamkeiten für seine Gesundheit und sein Behagen. »Der Arme,« -sagte sie, »er hat sich sehr verändert, und es hat etwas Schmerzliches, -wenn jemand so begnügsam geworden ist, der früher so verwöhnt war. Ach -und etwas Nachsicht und Fürsorge, _das_ Kleingeld hat man ja immer übrig. -Den andern freut es, und er hält es für gutes Gold. Nun, Gott verzeih uns -allen.« Es lag ihr nun einmal nicht, mit jemand abzurechnen, mit dem -sie auch nur eine gute Stunde verlebt hatte. »Es ist so schrecklich -umständlich, Buch zu führen über Recht und Unrecht,« sagte sie; »das -ist eine Arbeit, die ich gern unserem Herrgott überlasse.« - -Nun aber kam Onkel nicht mehr. Tante ließ alljährlich eine Messe für ihn -lesen, und es war aus irgendeinem Album ein Bild von ihm auferstanden, aus -seiner schönen Zeit, als =beau ténébreux= an einer Säule lehnend, halb -Taschenspieler, halb Fürst der Finsternis. Wenig Bekannte nur drangen -in ihre Einsamkeit; ein paar alte Russinnen, die hier das ganze Jahr -verbrachten, waren die Getreuesten. Ihr Haus lag rosenumsponnen über -den großen Klosterwiesen, eingenistet in dem verwilderten Garten, in -Tulpenbäumen und Linden und riesenhaftem Azaleengebüsch. Ewig froren sie, -und im Salon flackerte zu allen Jahreszeiten das Feuer im Kamin. Man konnte -sich kaum zu ihnen durchwinden vor fürstlichen Andenken: Malachittischchen -und gestickte Wandschirme und lebensgroße Katzen aus Porzellan. Die -Luft war blau von Zigaretten, und es wurden Bonbonnieren herumgereicht, -unerhörte Pariser Fondants, die wie Taufkinder in gepolsterten -Atlasschachteln lagen, rosa oder strohgelb oder pistaziengrün. Dort traf -man bejahrte Diplomaten, wichtig und geschwollen, voll dunkler Rankünen -und einer Fülle einbalsamierter Anekdoten. Oh, wie schnatterten die alten -Russinnen und stießen kleine Schreie aus wie teilnahmsvolle Papageien und -nannten einander beim Vatersnamen wie in den Büchern von Tourguénief, und -immer die Zigarette im welken Mund, die Lippen vom ewigen Rauchen schlaff -geworden, wie bei den drei Spinnerinnen im Märchen, redeten sie von -Politik und Liebe und Verstorbenen. Amsel saß derweil über juchtenlederne -Albums gebückt und besah sich die Menschen, wie sie früher ausgesehen -hatten; Herren, romantisch schmerzlich mit ihren Vatermördern und -schwarzen Halsbinden, den Zylinder in die Hüfte gestemmt, ein ganzes -Adagio im Blick; und feine Frauen in seidenen Krinolinkleidern, wie die -Püppchen, die man aus umgestülpten Mohnblumen macht; elegisch über -Balustraden gelehnt, eine Weintraube essend: kleine erlöschende -Gespenster, die in den alten duftenden Büchern langsam vergilbten. - -Wenn sie dann wieder daheim waren, konnte es nichts Schöneres geben, -als wenn Tante »Albumgeschichten« erzählte, gerade jetzt, wo es früh -dunkelte. Draußen seufzten die Pappeln; die Moderateurlampe stand milde -auf dem Tisch, von den Rosen löste sich ab und zu ein Blatt, und in der -Lampe fiel, still und zuverlässig, ein Tropfen Öl in den Behälter. -In ihrem Schein liefen Herbstmotten über den Tisch, die winzigen, -perlmutternen und die großen mit weißen Pelzröckchen und Gesichtern wie -kleine Eulen. Dann erzählte Tante. Und wie sie erzählte, wurden Länder -und Bauten zu etwas zauberisch Kleidsamem, in dem sie herumging, jung und -fremd, und war doch wie beim Träumen ganz selbstverständlich, sie durch -die fernen Perspektiven kommen und schwinden zu sehen. Da war Venedig. -»Dort sitzt die Markuskirche wie eine große goldene Henne,« sagte sie. -Und Amsel sah alles in Gedanken, sah die braungoldenen Tiefen, wo die -Säulen wie Orgeltöne aufsteigen und wieder verschwimmen in Weihrauchblau -und Schatten, all das wimmelnde, traumartige Gehen und Stehen der Menschen, -sanftbewegt wie Algen auf dem Meeresgrund. Draußen auf dem Platz -war Musik. Da saß Tante in einem weißen Kleid mit vielen schwarzen -Samtbändchen benäht und aß Eis mit den jungen österreichischen -Offizieren, die so fabelhaft dünne Taillen hatten. Rauschende, wiegende -Musik. Und Kähne kamen von den Inseln, mit Melonen und Trauben und -Paradiesäpfeln ganz beladen, tief schwammen sie im Wasser, und andere, -aus Murano, mit farbig glitzernden Glasperlen, hineingeschüttet wie Sand. -Einer zog langsam vorüber, mit einer gehäuften Last von schwarzem Schmelz -und Flitter -- wie funkelte das traurig-prächtig. Wie der Tribut einer -trauernden Königin sei es gewesen. - -Compiègne! Die mächtigen Alleen, die am Ende zusammenliefen in einem -grüngoldenen Punkt; die uralten Bäume bilden ein Gewölbe, unter dem -Tante mit der schönen Kaiserin fährt. Beide in bauschenden Kleidern, mit -gestickten Bolerojäckchen, winzige Barettchen auf dem schweren Haar, eine -Feder wallt ins Genick. So, immer die breite, dämmrige Allee hinunter, -trott, trott, mit schweren, glänzenden Karossiers in den grüngoldenen -Punkt hinein. Dort, in der Sonne, träumt der schlanke Pavillon, mit -Bildern berühmter Jägerinnen in den Stuck der Wände eingelassen; dort -liest der feine, ironische Schriftsteller seine Novellen vor; Sehnen und -Entsagen, wie kühl, wie knapp in Worte gekleidet ... Manchmal kommt auch -der Kaiser. Fett und müde, mit schweren Augenlidern, man wußte nie, -schlief er oder hörte er zu. Aber immer ritterlich und voll behäbiger -Grazie. - -Andere Bilder. Tante in Galizien. Um zu sparen. Das war auch eine -Abwechslung. Nachher konnten wieder Smaragden und Brüsseler Spitzen an die -Reihe kommen. Ihr war das Lumpenleben recht -- sie lachte zu allem. Nur -mit der Leibwäsche, ach Gott, ja, da war sie wohl sehr verwöhnt. Madame -Céline flickte und stopfte, es war so fein, so mürbe. Und dann, daß -sie immer Blumen haben mußte, auch im Winter ... Aber sonst? »Du lieber -Gott,« sagte Madame Céline, »Madame gab ja alles her. Es kam ihr nicht -darauf an, immer dasselbe zu tragen. Wenn sie dann den Hals so reckte, -was ihr die Leute als Hochmut auslegten, aber es war doch nur, weil sie -kurzsichtig war -- und groß und schlank in einen Salon hereinglitt -- =une -déesse, quoi?= -- wer dachte da an Kleider!« - -Das Leben auf dem Gute, mit den Tanten, war ein Hauptthema für Madame -Céline. »=Ah le vilain pays, mademoiselle=,« klagte die kleine -Französin mit dem verwitterten Gesicht, den rastlosen Augen, dem glatten, -korrekten =Veuve-d'employé=-Kleide: »Nichts als Stoppeln und Sümpfe und -=la boue haut comme çà =. Weiden standen an den Landstraßen, schwarz von -Krähen. Wie sie schrien, die Unglücksvögel. Das Haus, nur ein Stockwerk, -aber lang wie eine Schlange. Wenn Madame klingelte, mußte ich erst durch -sechs andere Zimmer, alle gingen ineinander wie ein Korridor. =Le palais -des taupes, quoi!= Gott, wie es da aussah. Überall lagen die Tanten herum, -auf allen Sofas, =des vieilles avec des burnous=, mit gelben Babuschen an -den bloßen Füßen und die Hände voll kostbarer Ringe -- und die Nägel -gelb von Tabak. Denn immer wickelten sie Zigaretten und spielten Patience, -schon am Vormittag. =Et toujours un tas de petits chiens= -- unter den -Plümos, es war wie Erdbeben. Oder sie schlampten im Garten herum in -Frisierjacken und Papilloten und pflückten Beeren; dann wurde Saft gekocht -oder Gurkenwasser gegen die Sommersprossen. War das nun ein Milieu für -meine junge Dame, die an allen Höfen Regen und Sonnenschein gemacht hat -und in allen Sprachen korrespondierte =avec des personnages illustres=? -Aber der Engel, sie lachte nur. Abends stieg sie gern auf eine Anhöhe, wo -eine Windmühle war; da stand sie, und ihr Kleid wehte ... man sah so weit -ins Land, der Himmel war wie eine Feuersbrunst, die Fohlen liefen herum mit -wilden Mähnen. =C'est beau=, sagte Madame. Nun ich konnte mir Schöneres -denken, so ein Apriltag auf den Boulevards, wenn's eben noch geregnet -hat, aber die Sonne scheint aufs nasse Pflaster, und die Blumenkarren mit -Veilchen duften so frisch ... Ich wäre dort an Melancholie gestorben, wenn -nicht der Bücherschrank gewesen wäre. Er roch nach Schimmel, der -Atem verging einem, wenn man aufschloß. In dem einen Sommer las ich -zweiunddreißig Bände Paul de Kock. Er rettete mich vor Tiefsinn. Kein -Wort verstand ich, was diese Wilden sprachen. Die Mädchen gingen mit -bloßen Beinen und hatten Ketten aus Vogelbeeren um den Hals, aber die -Betten wurden von Männern gemacht; struppig waren sie =comme le père -Noël= und hatten außer ihren gestickten Hemden auch nichts Nennenswertes -an. Es war ja tief drinnen in dem barbarischen Lande, =sur la route de -Varsovie=. =Si mademoiselle voulait se tolurner un peu=,« sagte Madame -Céline, denn sie probierte Amsel ein neues Kleid an, aber die Stecknadeln -in ihrem Munde hinderten nicht ihren Redefluß. - -»Am Nachmittag,« fuhr sie fort, »kamen die Nachbarn, geritten und -gefahren. Dann fuhren die Damen aus dem Mittagsschlaf, =avec des cris de -paon=, und zogen sich endlich an. Das waren kuriose Toiletten. Aber meine -junge Dame war immer duftig, und wenn ich die Nacht hätte durchbügeln -müssen. Damals trug man Mullkleider mit Volants, so etagenweis bis oben -... Sie sah aus wie eine Glockenblume aus ›=fleurs animées=‹. Dann gab -es Tee und Framboise und zwanzigerlei Konfitüren, und Melonen, nie sah -ich solche Melonen. Die Damen schrieben einander Rezepte ab. Wenn dann die -Lampen kamen, wurden die Karten geholt, sie spielten die halbe Nacht durch. -Oft flogen Fledermäuse herein, ich hätte geschrien vor Angst, aber die -Alten banden sich Antimakassars um die Köpfe und spielten ruhig weiter; -das gab Schattenbilder an der Wand, die reinen Hexen; aber sie blieben -totenernst dabei. Ihre Tante langweilte das ewige Kartenspielen, sie setzte -sich an den Flügel, =un Erard passablement vermoulu=, dann sahen die alten -Damen von den Karten auf und nickten den Takt mit den Köpfen. ›=Ah, -Beethoven, il n'y a que çà =‹ -- sagten sie. Aber wenn sie Chopin -spielte, weinten sie, denn sie hatten ihn alle geliebt und an seinem -Sterbebett gesessen. Junge Herren kamen auch, sie lagen Ihrer Tante zu -Füßen, wie auch konnte es anders sein! Da war der Stefan Czartorisky, -Gott, wie distinguiert, =des pieds d'enfant et toujours le mot pour -rire=. Wir alle beteten ihn an. Aber er hatte eine viel ältere Frau, eine -häßliche Viper, sie verklatschte meinen Engel, und da gab es dann =des -embêtements avec Monsieur le comte= ... Zum Herbst wurde es ganz einsam, -die Wege waren ein Morast. Da saßen sie dann im Salon und stickten auf -Stramin, Rosen und Pensees, ich seh' das Muster noch, =un vrai cauchemar=; -›=c'est un peu monotone, ma pauvre Céline=,‹ sagte Madame, wenn ich -alles wieder auftrennen mußte, denn mit Handarbeiten ist sie nie ein Held -gewesen. Gott, sie war noch so jung. Man mußte sie lachen hören ... Ja, -damals waren Sie noch gar nicht auf der Welt! ...« - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Amsels Erziehung war, nächst dem Gott Zufall, einer Reihe mehr oder minder -verdienstvoller Fräuleins anvertraut, deren Kommen und Gehen durch -den Wechsel des Aufenthalts bedingt war, aber auch durch plötzliche -Erkenntnisblitze, daß Tantes Mitleid ihrer Menschenkenntnis Dunst -vorgemacht hatte. Eine Deutsche, bieder und schwärmerisch, die in Amsels -Erinnerung mit dem Lied von der Glocke und einer fürchterlichen Brosche -aus Elfenbein verschmolz, denn beim Hersagen jener ebenso unsterblichen -wie langatmigen Dichtung hatte sie immer, wie der Vogel auf die Schlange, -dorthin gestarrt. Einmal gastierte auch eine Pariserin mit dünner -Taille und kleinen Füßen. Mit ihrem schmalen Kopf, ihren schwarzen, -zusammengewachsenen Augenbrauen, saß sie wie ein gereizter Schwan, der -gleich beißen wird, hinter den Büchern. Aber sie verschwand meteorartig. -»Der himmlische Akzent war Schuld,« hörte Amsel Tante sagen, »der -ist für mich wie für den Schweizer der Kuhreigen.« Nach ihr kam ein -Fräulein aus dem Waadtland, mit flachem, kalvinistischem Strohhut und -hüpfender Intonation, die an Heimweh litt. Sie erzählte vom Pasteur und -dessen Sohn, =le missionnaire, un jeune homme si bon, si doué=, und -wie sie zusammen im Frühling in die Berge zogen »=pour cueillir la -gentiane=«. Durch diese junge Helvetierin wurde Amsel mit der ebenso -vortrefflichen wie findigen Familie des Robinson Suisse bekannt. -Nichts brachte diese Menschen außer Fassung. Denn immer, im kritischen -Augenblick, spürten sie die außergewöhnlichsten Dinge auf, um ihren -Hunger zu stillen, eßbare Ameisen, Stachelschweine und Schildkröten, oder -auch Faultiere, die wie Räucherwaren stumpfsinnig an ihrem Aste hängen -blieben, bis sie gebraucht wurden; von unerhörten Früchten zu schweigen, -die den Nährwert der Kartoffel mit dem Wohlgeruch der Ananas verbanden. -Man brauchte um das leibliche Wohl der Familie wirklich nicht bange -zu sein. Aber auch für geistige Stärkung sorgte der Himmel. Denn im -Augenblick tiefster seelischer Depression, als sie mit ihrem Schicksal -zu hadern begannen, kam von dem unerschöpflichen Wrack eine Bibel -angeschwommen. Beschämt sanken sie am Strande auf die Knie, und Vater -Robinson sprach ein Dankgebet. Und das alles in tadellosem Passé Défini -vorgetragen! Ja, es war beinahe zu viel der Tugendhaftigkeit, so als ob -einer Lebertran einnähme und dazu auch noch lächeln würde. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Die alten Bäume in der Allee waren braun geworden, kleine Buben -in gestrickten Mützen suchten Eicheln im dürren Laub, und auf den -Klosterwiesen, wo die Laienschwestern, großen Elstern gleich, das -letzte Grumt geharkt hatten, standen nun die Herbstzeitlosen, blaß und -zerbrechlich. Der blaue Dunst, der klares Wetter verhieß, schlug morgens -in glitzernden Tröpfchen an den Fensterscheiben nieder. Der Herbst war -milde hier, der Winter kurz; nur einmal ausschlafen wollte die Erde, nach -all dem Blühen und Schenken; bald, schon im Februar, fing es wieder an zu -wispern und zu keimen. - -Tante sah still in die Luft. Hier hatte sie als junge leichtherzige Frau -gute Tage erlebt und dann noch einmal, ein paar Jahre später, als das -ganz große Glück Besitz nahm von ihrem Geist, ihren Gliedern, von jedem -seligen Tropfen Bluts. Ach, gut war es gewesen, gut! - -Auf der Promenade hatten die kleinen, eleganten Buden geschlossen, nur der -Mann mit den böhmischen Gläsern und der Mann mit den Kuckucksuhren saßen -noch hinter ihren Waren wie verklammte Vögel. Und der alte Tiroler mit dem -Quastenhut und seine stattliche Frau, die allen Fürstlichkeiten der Erde -Handschuh anprobiert hatte, waren auch noch da, aber sie packten -ihre Schachteln zusammen. Vor der Bude standen Tisch und Stühle, die -Blumenverkäuferin kam mit Herbstveilchen und den kleinen, ausdauernden -Monatsrosen. Tante schwatzte mit ihr. Es ging immer gemütlich zu, wenn -sie dabei war, das leichte Blut ihrer süddeutschen Mutter redete seine -Sprache. »Wenn ich nur wüßte, warum es oft bei herzensguten und gar -nicht dummen Menschen so furchtbar langweilig zugeht,« sagte sie. »Ich -schwör' dir, Amsel, ich wollt' den Kaiser mit unserer Frau Schwämmle zu -einem Kaffee bitten und die Stimmung sollte großartig sein. Man muß -sich nur fest einbilden, daß man sich für die Antworten der Menschen -interessiert, und das Kuriose ist, daß man es dann schließlich wirklich -tut. Und ob's nun ein König ist oder eine Waschfrau, alle brauchen sie -halt Verständnis, aber sie merken's ganz genau, ob es echt ist oder nur -so Getu. Wenn ich vier Wochen lang Königin wär', ich sag' dir, ich wollte -die Leute königstoll machen.« - -Das Kurhaus lag weiß und langgestreckt im Nachmittagslicht. Tante ging hin -und her, blieb manchmal stehen. Sie sah da wohl mehr, als für andere -zu sehen war. Dort, unter dem »russischen Baum«, hatte sie oft mit den -Cousinen gesessen. Sie spielten Domino mit dem alten galanten Staatsmann, -und die Adjutanten des Königs stellten sich dazu, schlanke, preußische -Tannen, und gaben Ratschläge, denn die alten Russinnen nahmen es furchtbar -ernst mit dem Spiel. - -Hier traf sich die Jugend zu Fahrten und Landpartien nach alten -Jagdschlößchen und Ruinen, wo man auf Türme stieg und in die schauernden -Wälder niedersah und weit in die Ebene, die glitzernde, in Sonne -und Dunst. In =Char à bancs= und englischen Mailcoaches, vier- und -sechsspännig, ging es los. Sie saß meist auf dem Bock neben dem dicken, -rothalsigen Mister Tomlinson, der seines zarten Töchterchens wegen hier -lebte ... Es war ein fast traumhaftes Gefühl des Ausruhens neben dem -vierschrötigen Riesen. Einmal waren sie in ein Wagenknäuel geraten, die -Pferde bäumten sich, alles schrie und fluchte. Der starke Mann neben ihr -zupfte kaum ein wenig an den Zügeln, und seine kleinen, hellblauen Augen -blitzten in dem ziegelroten Gesicht. »=Sit tight, you are quite safe, -little girl=,« hatte er gesagt, denn in ihrer holden Jugendschlankheit kam -sie ihm kaum älter vor als sein eigenes kleines Mädchen. Und dann zwang -er die vier Pferde mit unmerklicher Gewalt, rückwärts zu treten, und -schon hatte sich das Chaos entwirrt. Ihr war gar nicht bang gewesen, eher -schläfrig; wenn er dabei war, fühlte sie sich geborgen wie einst als Kind -in ihrem kleinen Gitterbett. Ach, wie gut war das Leben! An Rebenhügeln -ging die Straße vorbei, die blauen, duftbestäubten Trauben wurden -geerntet. Hübsche, sonnverbrannte Mädchen lachten unter roten und gelben -Kopftüchern. Zwischen den Weinstöcken ragte ein großes graues Kruzifix -in die Luft, und die Leute setzten ihre schweren Butten zu seinen Füßen -und wischten sich den Schweiß von Hals und Stirne. Manchmal fuhr man im -Tal, das Flüßchen hinauf, bis zu dem Wasserfall, wo es Forellen gab und -säuerlichen Landwein. Wie flammten die Bauerngärtchen, Rosenstöcke ganz -beladen, Kapuzinerkresse und blaue Winden in luftigem Gerank; große reife -Kürbisse lagen in der Sonne, und unter den Dächern hingen Girlanden von -Welschkorn. Aber von den Wiesen kam der Geruch vom zweiten Schnitt, der so -scharf ins Herz greift, wie Anklammern an ein letztes Glück, und über den -Höhen lag Dunst, damals wie heute der Bote milder Tage. - -Sie hatte das alles ganz unbewußt geschaut und in die Scheuern gesammelt; -heute zehrte sie davon. An Abende dachte sie zurück bei der berühmten -Sängerin, die sich in einem Seitental, von Erlen umdämmert, einen kleinen -Musiktempel erbaut hatte. Mit halbgebrochener Stimme trug sie die alten -feierlichen Arien vor. Ihre großen, furchtlosen Gebärden, ja ihre -düstere Häßlichkeit paßten zu der Meisterschaft, mit der sie Licht -und Schatten breit und unbekümmert hinwarf. Oder sie sang spanische -Volkslieder mit ihren Töchtern, jungen, mageren Geschöpfen, bräunlich -wie Hindumädchen, aneinandergelehnt ... Wie das von ihren Lippen kam, -die heiseren Rufe des Maultiertreibers, der langgezogene Schrei des -Melonenverkäufers; und die Mutter am Klavier, die mit dunkler Stimme ihren -Part mehr knurrte als sang ... Zerstoben, verstummt. Wer konnte sie noch -singen, diese schmerzlich gefaßten Rezitative in königlichem Faltenwurf, -diese gramvollen Arien, in denen es wetterleuchtet von niedergepreßtem -Gefühl? Der kleine Musiktempel war abgerissen, das Wohnhaus in andere -verbaut, die Bäume gefällt. Und daneben, wo der verbannte Dichter wohnte, -einer der vielen seines Landes, die verfolgt wurden um der Gerechtigkeit -willen; ja, das Haus war noch da, aber tot, mit geschlossenen Läden, die -Wege von Moos übersponnen, stand es zwischen großen Platanen über dem -kleinen Gehölz, wo im Mai die Nachtigallen im Faulbaum schluchzten. Und -sie dachte an den schönen, grauhaarigen Mann, wie er, weißgekleidet, mit -schweren und doch weichen Schritten, einem guten Bernhardinerhund ähnlich, -im Garten auf und ab ging, wenn in dem versumpften Erlenwäldchen, ihm zu -Füßen, die Frösche quarrten. »=J'aime les grenouilles, ça me rappelle -la Russie=,« sagte er. Oft plagte ihn die Gicht, dann ruhte er im -Gartensaal zu ebener Erde, sein Fuß, zu einem unförmigen Bündel -gewickelt, wie eine gekränkte Gottheit auf einem besonderen Taburett. Die -Wände mit Büchern austapeziert, das still brennende Kamin und auf dem -Tisch ein großer Strauß Heliotrop. Dazu rauchte er die kleinen blonden -Papyros seiner Heimat und bekritzelte lange schmale Papierstreifen, die -den Teppich bedeckten. Hier waren viele seiner Erzählungen entstanden, mit -ihrem eigenen, ureigenen Duft wie von Frühlingswald und allerkostbarstem -Tee. Aber nun hing am Gitter ein Plakat: Baustellen zu verkaufen. Wie lange -würden sie hier noch rauschen, die Silberpappeln, die Birken und Platanen? - -Oh, wie hatten sie damals seine Bücher verschlungen, wie hatten -sie geschwärmt, gehofft und prophezeit. Musik und Philosophie und -Menschenrechte, alles wurde leidenschaftlich diskutiert; da war so vieles, -das zum Licht begehrte, überall schäumten kleine Wirbel über dem -tiefkochenden Meer. Und vieles war eingetroffen seither, was sie -herbeigesehnt hatten, aber in plumperen Umrissen, mit Abzügen -und Zugeständnissen, die ihrem kühnen Hoffen fremd gewesen. Denn -verwirklichte Ideale sehen wohl immer aus wie die Stiefmutter, die den -Schmuck der rechten Mutter trägt. - -Wo waren sie hin, die zarten, rastlosen Frauen, die sich im milden -September zusammenfanden, wenn die Trauben so süß und die zweite -Rosenblüte noch erlesener war als die, die der Juni beschert? Wenn -Johann Strauß seine Walzer dirigierte, während am Nachthimmel große -Raketenbündel hoch fuhren und knisternd niedersanken, goldener Hafer -und blaue strahlende Sterne, zögernd, trauernd um die eigene kurzlebige -Schönheit? Viele waren tot, ach, wer nannte sie noch? Andere lebten, fern -von hier, von neuen Pflichten, neuen Generationen beschlagnahmt: Großmama, -Nonna, =petite tante= ... Ach und jene Allersüßeste, Allerkostbarste, -deren Herz überschäumte in Bewunderung alles Schönen, in -leidenschaftlicher Abwehr aller Enge und Halbheit, sie lebte hinter Mauern; -ja, lebte sie noch? Sie, deren göttlich schöne Füße die Bildhauer toll -gemacht hatten, ging sie barfuß auf kalten Steinen? »=Diane vaincue=« -hatten die Freundinnen sie genannt, nach einer tiefgelben Rose, die damals -neu war; deren schmalen, bräunlichen Knospen sie ähnlich sah. Ach, -Runzeln und Gebrechen paßten nicht zu ihr, wollte Gott, daß sie -schon lange in irgendeinem totenstillen Klosterhof lag, wie eine -Schmetterlingspuppe in ihre kleine braune Kutte gewickelt, dort, wo die -Zikaden in der Mittagsglut sägen und der Lorbeer die Luft mit bitterem -Dunst erfüllt! - -Ja, sie hatten sich alle mit dem Leben eingerichtet, so oder so, und da -waren manche, denen das große Glück nie genaht war, oder die es nicht -erkannt hatten, da waren auch die kleinen Hermeline, die nichts riskieren -wollen. Aber viele hatte das Leben wissend gemacht. Und ab und zu hörten -sie voneinander. Sie, die für Zukunftsmusik und Befreiung der Geknechteten -geschwärmt, die über Tolstoi und Schopenhauer diskutiert hatten, als -ginge es um ihr Leben, so edelmütig und verschwiegen in der Freundschaft, -so weich und rückhaltlos in der Liebe ... »=Ma chère belle=,« so fingen -ihre Briefe an; ja, aber nun mußten sie Brillen aufsetzen, um sie zu -lesen. - -Das große Glück, das nur wenige finden; der einsame Weg, den nur wenige -gehen! Ach, mit zitternder Hand griff sie ans Herz, den Mund gespannt in -unvergeßlich süßer Qual: Mein Schmerz, mein Eigen! Und wenn sie die -Augen schloß, spürte sie mit suchenden Nüstern Heuduft und Jasmin in der -Sommernacht, spürte die kühle Glätte des Flügels, an den sie die Stirn -gelehnt hatte -- oh, wie oft --, damals, wenn er ihr mit leichter, fast -knabenhafter Stimme die neuen Opern sang, welche zu jener Zeit die Welt -aufwühlten und in feindliche Lager teilten. Ob unter seiner Leitung das -Orchester zu einem großen, gebändigten Instrument wurde, einer Republik -der Stimmen, von seines Blutes Rhythmus befeuert und gezügelt, oder ob -sie beide, träumend, zuhörend, schweigend genossen, es waren dieselben -Schauer, es war dieselbe Weite und Enge, die sie im Herzen erlitten, eine -Gemeinschaft, ein äußerstes Durchdringen, das den Menschen in dieser -unfaßlichsten und doch körperlichsten aller Künste gegeben ist. - -Um sie her fielen die Kastanien ins gelbe Laub; unter der Säulenhalle war -es leer, die Stühle aufeinander getürmt, leer der runde Musiktempel am -Eingang. »=Si vous n'avez rien à me dire=« -- oh, diese kleine zuckerige -Melodie! Damals war sie neu, und man spielte sie zum Überdruß. Nun ging -sie ihr auf einmal durch den Sinn, ein kleines betrübtes Gespenst. Sie -fühlte ihre Augen brennen und wie ihr Mund sich verzog. Nach Hause, nach -Hause, die Sonne wärmte nicht mehr. - - -=II= - -Amsel war mit Madame Céline einkaufen gegangen. »=D'abord les petites -brioches pour madame=,« sagte die kleine Französin. Der Sommerkonditor -Romplemayère, wie Madame Céline es aussprach, hatte sein Zelt schon -abgerissen, aber sein Rivale, der den märchenhaften Namen Schababerle -trug, gleich dem Efeu bodenständig, überwinterte hier. Eigentlich müßte -es umgekehrt sein, hatte Tante gesagt, denn sie fand, daß sie beide -die Jahreszeit verwechselt hätten. Rumpelmaier war doch sicherlich ein -Abkömmling von Rumpelstilzchen und paßte daher weit besser zu Schnee und -Christbäumen und krausem Winterspuk als zu der =Côte d'Azur=. Während -Schababerle, den konnte man sich nur mit einem Turban denken, wie er -Sorbet und Limonaden bereitete, kühl-wohlig in der Sommerschwüle, und -schließlich wurde er Pastetenbäcker des Kalifen und erhielt die jüngste -Tochter des Großwesirs zur Frau. - -Sie gingen durch Gassen und Gäßchen, die den Berg hinaufkletterten, bis -zum Schloß mit seinen Höfen und Brunnen und überdachten Treppchen und -der großen Lindenterrasse. Die Tore waren verschlossen, die freundlichen, -grauhaarigen Lakaien gingen nicht mehr aus und ein, und die Linden standen -in einem Teppich raschelnder Blätter. Staffeln führten hinab zu kleinen -Plätzen, wo im Dämmerlicht Brunnen rieselten, an sauberen Häusern -vorbei mit Transparenten an den Fenstern, hinter denen Waisenratswitwen im -Lehnstul saßen und sich nicht entschließen konnten Licht zu machen, ehe -die Laterne an der Ecke brannte; so sahen sie vor sich hin, die Hände im -Schoß, und sannen über das Alter des Kanarienvogels nach, ihr eigenes -darüber vergessend. Kuriose Lädchen gab es hier, Althändler, in deren -Schaufenster stockfleckige Lithographien verblichener Landesväter zwischen -gestickten Klingelzügen und alten, gedemütigten Regenschirmen lächelten, -daneben ein Sargtischler, der kleine Sargmodelle ausgestellt hatte, in -verschiedener Ausstattung, wie für alle verstorbenen Puppen -- geringe -und vornehme -- der Nachbarschaft. Beim Seifenhändler hingen die großen -Altarkerzen aus gelbem Wachs, honigduftend, die in kühlen hallenden -Kirchen von Sommergärten und summenden Bienenkörben erzählen, dazwischen -die schlanken Kommunionskerzen, symbolisch umwunden mit Weinlaub und -gläsernen Trauben, und am Griff ein kleines, steifes Spitzentuch für -die kleinen zerkratzten Hände, die an diesem Tag in weißen -Baumwollhandschuhchen prangen. Bei der Vogelhändlerin kamen sie vorbei, -die in der offenen Ladentür saß, ein schwarzes Kaninchen im Schoß, -und hinter ihr aus dunklen Ecken leises, unaufhörliches Trillern wie aus -zarten Wasserpfeifen, das war wie im Märchen von Jorinde und Joringel und -der bösen Zauberin. Zwischen Mauern ging der enge Weg hinab, über die -hier und dort ein erfrorener Rosenzweig nickte, und Häuser, die auf der -einen Seite einstöckig kauerten, ragten auf der anderen aus Abgründen. So -denk' ich mir Capri, sagte Amsel. - -Als sie heimkehrten, stand Tante, in ihren großen Orenburger Schal -gewickelt, am Fenster und sah nach ihr aus. Von den Pappeln segelten -gelbe, herzförmige Blätter durch die Luft, Schneebeeren lagen weich -und verregnet auf den Gartenwegen, bald würde nun der Winter kommen, auf -Samtpfoten, eine große, weiche, weiße Katze. - -»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante. »Das alte Murmeltier und -das kleine Murmeltier, eigentlich beneidenswerte Geschöpfe, so die ganze -kalte Zeit zu verschlafen, so gut haben wir's nicht, und ein bißchen -Französisch mußt du auch wieder treiben; der Mensch kann immer noch -zulernen, und wenn er auch schon siebzehn Jahre alt ist.« Und ein paar -Tage später sagte sie: »Ich habe Rächerchen gemacht, denn so sprach -ich's als Kind aus, wenn ich meinem Vater vorlesen mußte; und nun hab' -ich die Perle gefunden, eine schwarze Perle, denn sie ist Witwe, und nur -Französinnen verstehen es, so gründlich Witwen zu sein, ich glaube, sie -genießen das wie ein Moorbad; also, sie heißt Benoît und sieht aus wie -ein Kokon aus Trauerkrepp, und ihr Seliger war auch Sprachlehrer, ja, sie -sagte, er sei ein Vater der Syntax gewesen, und das ist doch gewiß eine -Seltenheit.« - -So erschien denn Madame Veuve Benoît in ihrer ganzen überzeugenden -Witwenhaftigkeit, in einem Trauerschal aus Kaschmir, ein düsteres Gebäude -auf dem Haupt, von Schleiern umflutet. Am Arm hing ihr ein schwarzer -Beutel, der ihre Lehrbücher enthielt, wie auch ein Flakon Melissengeist -und ein Döschen mit Pastillen -- =cachou des orateurs=. Und sie saß da -wie eine weiße, fette, gutgepflegte Made in all dem raschelnden Krepp und -hörte lächelnd, aber unbestechlich zu, wie Amsel mit Vokabeln rang, deren -sie sich wohl nur selten in Gesprächen bedienen würde, =la pelouse= und -=le bocage=, =le nénuphar=, =le guéridon= und =les brises embaumées=; -oder über den unberechenbaren Seitensprüngen =des participe passé= -nachsann, die der verewigte =professeur= in einem schmalen, aber -inhaltsschweren Bande festgenagelt hatte, dessen Exerzitien Spaziergängen -zwischen Fußangeln glichen. Zum Schluß wurde sie mit verdienstvollen, -wenn auch keineswegs kurzweiligen Autoren bekannt gemacht, der gefrorenen -Langeweile Racines, den Grabreden Bossuets -- =Madame se meurt, Madame est -morte= -- und den »=Conseils à ma fille=«, die mit dem Satze schlossen: -»=et maintenant, chère Sophie, pose ta plume et embrassons nous=«; aber -auch mit Paul und Virginies träumerischem Dasein auf einem tapetenartigen -Hintergrund von Palmen und Papageien, wo die Mütter des Liebespaars, -der Lehren Jean Jacques Rousseaus eingedenk, ihre Kinder im Schatten des -Brotbaums säugten, und später dann Virginies vorbildliche Schamhaftigkeit -sie lieber ertrinken ließ, als sich den rettenden Armen eines nackten -Matrosen anzuvertrauen. »=Une des plus admirables pages de la littérature -française=,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme und nahm einen =cachou -des orateurs=, und Amsel dachte: würde wohl auch Madame lieber ertrunken -sein, in all dem nassen Krepp oder würde sie ... aber das war nicht -auszudenken. Und Tante kam ins Zimmer mit ihrem schleifenden Schritt und -sagte: »Gott, sind denn diese vortrefflichen Philister immer noch am -Leben? Mit denen wurde ich ja auch schon geplagt.« Wenn es dunkelte, wurde -Madame Veuve von Monsieur Jean Claude Benoît =junior= abgeholt, denn der -Vater der Syntax war auch Vater eines einzigen Sohnes gewesen, eines -trotz Brille und Bart mädchenhaften Jünglings, der mit einer Neigung zu -Bronchialkatarrhen behaftet war. Und =ma mère= war in tausend Ängsten: -»=Mon fils, as-tu mis tes mitaines? Et tes Caoutchoucs, et ton -cachenez?=« Aber _er_ sagte: »=Vous=« zu =ma mère=, und überhaupt -verkehrten sie mit der ganzen =urbanité=, wie sie einst dem Hotel -Rambouillet zur Zierde gereichte, und nie irrten sie sich im Gebrauch des -=passé défini= oder des noch eindrucksvolleren =passé du subjonctif=. -Ja, der Vater der Syntax konnte zufrieden sein mit seinen Werken. - -Wenn sie dann schließlich unter ihren Regenschirmen fortgeschwankt waren, -ließ sich Tante in einen Sessel fallen und lachte, lachte, sie -konnte nicht aufhören, es klang weich und dunkel und aus ihren -zusammengekniffenen Augen flossen Tränen. »Wie eine wahnsinnige -Turteltaube,« hatte eine Freundin von ihrem Lachen gesagt; es war -ansteckend. Und Amsel sah darin ein neues Vorrecht, wie es einer -heißangebeteten Tante und Patin zukam. Sie selbst fand all diese -Menschen nur sehr kurios, wie sie in ihrem Leben auftauchten und wieder -verschwanden, Silhouetten, in ein Schattenhaus zurück. Nur vor einem hatte -sie eine an Abscheu grenzende Angst: eines dieser fremden Wesen könnte sie -anrühren oder gar küssen. Denn sie besaß die tiefe, unnahbare Scheu der -Ausschließlichen, Leidenschaftlichen. Nein, nur Tante durfte sie küssen. -Ganz kalt wurde sie, zur Eisblume erstarrt, wenn die feinen Lippen sie -berührten, die schöne Hand über ihr Haar strich. Und sie konnte vor sich -hinträumen, Heldentaten ersinnen, Schmerzen und Geduldsproben, die sie -für Tante bestehen würde, unerkannt, schweigend, in unbegreiflich süßer -Pein. - - -=III= - -Es war eine schöne Fahrt gewesen, ein letzter milder Tag, wie ein Geschenk -über die Erde gekommen. Erst die Allee hinunter an den geschlossenen -Gasthäusern, den schlafenden Villen, dann an bescheidenen Wirtschaften, an -spielzeugartigen Schweizerhäuschen vorbei. Ein jedes spannte seine kleine -Brücke über den seichten, plätschernden Bach, der hier flache grüne -Ufer hatte. Dann weiter, am Kloster vorüber, durchs Dorf, immer vom -Flüßchen begleitet, das durch die Wiesen schlüpfte, durch Garnbleichen -und Sägemühlen. Und nun rechts hinauf, dem Landhaus zu, das einst den -russischen Cousinen gehörte, wo das große, sengende Glück ihr Herz -getroffen hatte. Tante war ausgestiegen, die paar Stufen hinauf bis an die -Gittertür in der Hecke; nun hielt sie sich mit einer Hand am Gitter fest -und sah, halb zurückgewendet, noch einmal hinunter in das liebe, nie -vergessene Tal. - -Dort, im Grund, sandten kleine geduckte Häuser ihren Rauch empor; am -Abhang, in den Wiesen, standen Nußbäume, halb entlaubt, Vögelchen -schlüpften durch die Hecken, es roch nach Moos und Erde. Im Dunst schien -sich alles zusammenzuschmiegen, so bescheiden und liebreich war ihr -dies Land noch nie erschienen wie heut in seinen stillen braunen Farben, -geduldig den Winter erwartend. Kein lauter Ton, nur das Gurgeln kleiner -Rinnsale im Gras, auf denen rote und braune Blätter schwammen. - -Auf dem Fahrweg, der sich in weiter Kurve emporwand, waren Radspuren. -Damals -- wie kamen sie angefahren, die Freunde und die Fremden, zu dem -immer fröhlichen Haus, wo sie bei den Cousinen den Sommer verbrachte. Den -zweiten. Es waren Jahre vergangen, seit sie zum ersten Male hier gewesen, -sie war feiner noch, ja, und auch härter geworden, wie ein gespannter -Bogen hart ist; der erste weiche Duft war geschwunden von den Dingen und -auch von ihr, und oft lag Erwartung in ihren Zügen, als sei ihr Herz -hellhöriger geworden und horche auf irgend etwas, einen Ton, einen -Schritt, den Hornruf des Glücks? Und ihr Mund konnte spöttisch -sein damals, wenn ihre Augen zuviel gesagt hatten, und trotz aller -Leichtlebigkeit war sie ein verschlossener Schrein. Und dann -- o wie -unabwendbar war das große Glück auf einmal da! - -Sie sah hinauf zu den hohen Glastüren des Musikzimmers, aus denen -einst Lichterglanz strahlte und Akkorde hinausströmten, all das -Unaussprechliche, das nur in Klängen Worte fand. Rosen hatten auf den -Tischen gestanden, und zu den Türen herein atmete Jasmin von allen -Büschen, aber auf den Wiesen wurde das erste Heu gemacht -- Juniduft, -unvergeßlicher! Und heute nun stand sie am Gitter, und es war ihr Haus -nicht mehr. Der Spätherbst war im Land, aber sie witterte die vergangenen -Sommer, sie suchte in der Luft nach den Harmonien, die seine zaubernden -Hände, seine nur andeutende Stimme ihr ins Blut, in die Seele gedrängt -hatten, bis Tag und Nacht zu einem einzigen, seligen Schlafwandeln -geworden, jede Minute voll bis zum Rande. Bis eines Tags der eine Tropfen -mehr ihr Herz zum Überfließen brachte. Ein Blick, eine Bewegung ... -ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, wie bei der Stelle in ihrer -Lieblingssymphonie, wenn die Hörner einsetzen, leise erst und immer -drängender, ach unerbittlich in ihrer Süßigkeit; da war nur eins, das -dieser tiefen Pein Ruhe geben konnte: Hingabe. Denn wie der Durst nach -Wasser, wie das Fieber nach Schlaf, so begehrt Liebe nach Erfüllung. Ihr -ganzes Leben wollte sie ihm schenken, alles -- und kein Ende; nie wieder -hatte sie sich selber angehört. - -Aber an das Schwinden ihres Glücks dachte sie heute nicht mehr. Die Ammen -streichen Bitteres auf die Brust, um die Kinder zu entwöhnen; so entwöhnt -uns Leid und Verlust vom Leben. Aber, Herr Gott, sie hatte doch einmal -alles besessen. Gewinnen, verlieren, was sollten die Worte? War er ihr -nicht eben nahe gewesen? Nur eine große, hilflose Dankbarkeit erfüllte -sie. Einen Augenblick sah sie hinauf und ihre Augen tranken ... tranken. -Dann ging sie, ohne sich umzusehen, zum wartenden Wagen zurück. - -Am selben Abend ließ sie den alten Badearzt rufen, den sie aus jener Zeit -her kannte, der aber sonst nicht mehr praktizierte. Er blieb lange mit ihr -allein. Dann bat er um Schreibzeug und setzte ein Telegramm auf. An den -berühmten Mann in Heidelberg. Dabei putzte er sich heftig die Nase in ein -großes rotseidenes Taschentuch. Er sah über die Brille Amsel lang und -zweifelnd an, als wolle er reden. Aber er seufzte nur und ging. - -Der berühmte Mann kam und befahl Ruhe, als ob man bisher in einem -Vergnügungstaumel gelebt hätte, und abends kam nun Schwester Ludovika und -löste Madame Céline ab, die vom Aufsitzen und nächtlichen Kaffeetrinken -elend war. Die Schwester war schlank und durchsichtig mit dunkelumwimperten -Augen. »Wie Genovefas Hirschkuh,« meinte Tante. »Aber weißt du, Amsel, -als Kind besaß ich einen Tintenwischer, der stellte eine Nonne dar, mit -einer Menge Flanellröckchen -- du verstehst -- für die Federn, aber -sonst nichts, und da dachte ich eigentlich, daß Nonnen gar keine Beine -hätten.« - -Sie lachte mit den Augen und wandte den Kopf dem Licht zu; ihr Haar lag -schwer und feucht auf den Kissen, im Lampenschein war die Stirne so -klar nach den Qualen der Nacht. Als sei sie jünger geworden durch die -Schmerzen. - -Amsel führte ihr Leben wie sonst, all ihre kleinen Pflichten, viel Warten -und Harren. Flüsternde Stimmen legten sich ihr aufs Herz. Da war ein -schimmernder Punkt am Ende des finstern Ganges: Hoffnung. Dorthin strebte -sie, jeden Tag ein winziger Schritt. Aber manchmal sah sie das ferne Licht -nicht mehr. - -Heut aber saß Tante endlich wieder im langen Zimmer, wo der Flügel war -und das Kamin. Neben ihr die kleine Boulekommode, mit offenen Fächern; da -waren so viele zusammengebundene Briefe. Am Nachmittag war Frau Schwämmle -dagewesen, hatte köstliche Birnen gebracht und einen großen Busch -Herbstastern. Zu solchen Visiten preßte sie sich in ein braunes -Kaschmirkleid, und auf dem glatten Scheitel balancierte dann ein kleiner -Kapotthut mit schwarzem, nickenden Hafer. »Püh,« sagte sie beim -Eintreten und riß die Hutbänder unter dem Doppelkinn auf, denn sie war -vollblütig und erzählte mit finsterer Genugtuung, daß alle in ihrer -Familie am Schlagfluß stürben. In ihrer Waschküche mußte man -sie hantieren sehen, in Wolken von Dampf und Seifenschaum, silberne -Schweißtröpfchen auf der Oberlippe, den Niobebusen ausgebreitet in der -rosa Kattunjacke, an der viele Knöpfe fehlten. Jedes Jahr kam ein Kind, -nicht immer um zu bleiben. »Unser Vatter« war Droschkenkutscher. »Ja, -der Deifel isch en Eichhörnle,« sagte sie, wenn sie neuen Zuwachs -ankündigte. - -Tante hatte ein Briefpaket geöffnet, es stand eine Jahreszahl auf der -Hülle, verschiedene Handschriften waren darin. Sie blätterte ein wenig, -dann legte sie's auf die Glut; ein Kräuseln, ein Aufflammen -- pht ... und -nun war es nicht mehr. Und das Herz zog sich ihr zusammen, denn nun erst -waren sie ganz tot, die ach so bescheidenen Toten, die nur noch leben vom -leisen Atem der Erinnerung. Eigentlich eine Hinrichtung, als ließe man vor -der Abreise einen alten Hund erschießen, damit er nicht in gleichgültige -Hände falle. Manchmal zögerte sie, glättete die Seiten. Da war der -englische Freund, der so resigniert und losgelöst über den Zeitverlust -aller Politik, aller Ambitionen redete, der zart und unaufdringlich jeden -ihrer Wünsche erriet und erfüllte. Sie hatte sich nichts dabei gedacht: -sie ganz jung und leichtherzig, er so viel älter. Seine Fürsorge, seine -väterlich-ironische Art: sie hatte alles für Spielerei gehalten. Und nun -las sie: »=Oh don't be constant, for the fear of losing you is one of -your greatest charms=« -- und begriff (denn das Alter macht auch geistig -fernsichtig), warum er die Tür der Ironie immer offengehalten hatte: um -sich hinein zu flüchten, weil sie ihn niemals recht verstand. - -Hier knisterte der Brief einer alten Freundin, sie auch schon lange tot. -Damals wurde viel geredet über eine gemeinsame Bekannte. Aber die alte -Dame hatte nie mit eingestimmt: »=Je sais qu'on me trouve bien large. Non, -je ne veux être que juste et j'ai horreur de la médisance. A part les -plaies de Notre Seigneur, auxquelles je crois sans avoir vu, je ne -veux rien croire sans voir. Je sais que vous pensez de même, car vous -n'écoutez que votre cÅ“ur qui est meilleur conseiller que la tête.=« - -Der Brief flackerte auf, sie öffnete einen anderen. »Maria ist in Rom, -sie ist bei den Karmeliterinnen eingetreten. Der allerstrengste Orden. Sie -gehen barfuß und dürfen nie, nie wieder heraus. Ihre Augen, ihr Lächeln, -ihr entzückender Gang, wir werden sie nie wiedersehen. Warum nur? Zu -bereuen hatte sie nichts, wußte ja gar nicht, was Haß und Sünde sind. -›=Terra gentile=‹, wie die Italiener sagen. Es ist ein Rätsel ...« - -Aber in einem anderen Brief war die Lösung. Da stand mit großen eiligen -Buchstaben auf vielen kleinen, abgerissenen Blättern, wie man noch rasch -ein Abschiedswort kritzelt, wenn das Gepäck schon fort ist und sich nur -noch das winzige Notizbuch in der Tasche findet: »Lebewohl und Dank Dir -zum letztenmal, Du Einzige, die alles verstehen wird. Immer hatte ich mir -gewünscht, einmal zu lieben, ohne geliebt zu werden. O ich Unselige, welch -ein wahnsinniger Wunsch. Nun ist er erfüllt und es ist die Hölle ...« - -Da waren Briefe alter Diener, Danksagungen für manche geleistete Hilfe. -Auch ein armer Tanzlehrer, den sie in seinem Alter und Elend besuchte, -schrieb: »Heute danke ich Gott und den Grazien, weil noch einmal die -Anmut unter mein armes Dach gekommen ist. Wie gut werde ich diese Nacht -schlafen.« Immer wieder fuhren die hungerigen Flammen auf. Nun war nichts -mehr übrig. »Amsel,« sagte Tante und ihre Lippen bebten, »das waren -lauter gute Menschen. Ich werde sie nie wiedersehen.« - -Amsel kroch ganz nah an sie heran, sie legte den Kopf an ihre Schulter, -dicht am Hals, und atmete den geliebten Duft, der ein wenig wie -Bergamottbirnen war. Dies mit anzusehen war eine große Qual gewesen. -Als ob ein Mensch zur Reise rüstet und sein Hündchen steht dabei mit -flehenden Augen und weiß ja doch, es wird nicht mitgenommen. - -Tante legte die Wange an den kleinen aschblonden Kopf. Armes Kind, es war -für sie gesorgt, was man in der Welt darunter versteht. Aber sie mußte -durchs dunkle Tor und das Kind würde allein weitergehn. Würde sie ihr -sehr fehlen, wenn der erste, scharfe Schmerz vorüber war? Denn sie hatte -erlebt, wie sich Wunden schließen, die man für unheilbar hielt, und im -Grunde war sie sehr bescheiden, was sie selbst betraf: warum sollte -gerade ich unentbehrlich sein? Aber so recht hatte sie das Kind doch nie -verstanden, denn zwei Schamhafte hören oft aneinander vorbei, gerade weil -sie dieselbe Sprache sprechen. - -Ihre Gedanken gingen wieder zu der schönen Marie, die so sehr geliebt -worden war, und doch ... was war ihr Leben gewesen? Und plötzlich fing sie -zu singen an, sang hin zu ihr, die doch unerreichbar war, mit der lieben -atemlosen Stimme, in der man das arme, arbeitende Herz keuchen hörte: - - »=La notte tutti dormono, - Io non dormo mai ...=« - -Ihre Farbe kam und ging, ihre Augen standen voll Tränen. Aber Amsel lag -wie ein Vogel unter Mutterflügeln; sie horchte auf den geliebten Klang, -die fremden Worte verstand sie nicht. - - »=I quarti d'ora suonano - Le una, le due, le tre ... - Ti voglio bene assai, - Ma tu non pensi a me ...=« - -So viele Nächte hatte sie nur halb geschlafen, die Angst im Herzen, sie -könnte gerufen werden; aber nun kam der Schlaf -- unwiderstehlich. Und -Tante lächelte, wie der aschblonde Kopf immer schwerer wurde und hinunter -glitt auf ihren Schoß. - -Die Uhr tickte deutlich in der Stille, sie hatte es eilig mit ihrer -Aufgabe. Und die Rosen dufteten. Schöne, gütige Blumen, wenn sie starben, -erblühten neue, aber niemals dieselben. Warum sollte ich weiterleben, -dachte sie, habe ich das ewige Leben mehr verdient als eine Rose? Aber wer -konnte Recht sprechen, auch über sich selbst? Und alle Schuld war doch -Strafe zugleich, es ging gerechter her, als man dachte. Etwas Hartes, -Häßliches getan zu haben, das mußte wohl sein wie ein heimliches -Gebrechen, wie wenn schöne Frauen häßliche Füße haben: es läßt sie -nicht froh werden. Hatte sie auch Häßliches und Hartes getan oder -gedacht in ihrem Leben? Es war wohl ihre große Müdigkeit, sie konnte -sich durchaus an nichts Böses erinnern, nicht an solches, das ihr andere -zugefügt, nicht an solches, das andere um ihretwillen erlitten. Neben ihr -lag ein abgegriffenes Gebetbuch, Maries letztes Geschenk; ohne ein Wort -dazu war es aus Rom geschickt worden, denn auch das hatte sie nicht -besitzen dürfen. Da war ein Gebet, es schien ihr soviel menschlicher als -alle anderen, das Buch öffnete sich von selbst an dieser Stelle, und sie -las die leicht unterstrichenen Zeilen: - -»=O Marie, mère si heureuse dans le Ciel, n'oubliez pas les tristesses -de la terre. Ayez pitié de ceux qui s'aiment et que Dieu a séparés. -Ayez pitié de l'isolement du c[oe]ur, si plein d'abattement et même de -terreur.=« Und etwas weiter: »=Ayez pitié de ceux que nous aimons, o -Marie, ayez pitié de ceux qui s'aiment, de ceux qui ne savent pas se faire -aimer.=« Ja das, das mußte das Bitterste sein: =qui ne savent pas se -faire aimer=. Aber für sie waren diese Worte nicht geschrieben; eins war -gewiß, sie hatte grenzenlos geliebt und sie war heiß geliebt worden. Und -als es dann zu Ende ging ... Wenn der Sommer zu Ende geht, nennt man ihn -darum einen Verräter? ... Und nun kam anderes; etwas Großes, Fremdes -tat sich auf, es wehte kühl. Schleier fielen auf die Dinge und sie konnte -nicht mehr greifen und halten; nur noch das Aller-Allernächste war zu -erkennen. - -Ihr Blick ging langsam von einem zum anderen, über ihr Klavier, über die -Bilder und das Glas mit den Rosen, wie sie standen und dufteten. Und ihr -schien, als ginge sie selbst, unbeholfen und schon fremd geworden durch die -bekannten Räume, mühsam Dinge beim Namen nennend, an denen doch ihr Herz -nicht mehr hing. - - - - -Die Waldschenke - - -Von der Brincken unterschrieb sie sich und Freifrau war sie, wenn auch -nur linkshändig und in Gebundenheit. Der rotköpfige Wirt zog heute noch -demütig die Zipfelmütze vor ihr, aber wie sie hinaufstieg zu den kleinen -schattigen Terrassen der Waldschenke, kam ihr mit dem Erinnern an die -anderen Male, da sie die morschen Holzstufen unter den Füßen gespürt -hatte, auch dieser Augenblick vor wie etwas schon Erlebtes, etwas, -das abgetan ist und nur dumpf wehe tut, als würde einem auf den -eingeschlafenen Fuß getreten. Aber die lange Disziplin, die Gewohnheit -erwiesener und empfangener Höflichkeit half ihr das Treppchen hinauf. - -Unter den düstergrünen Linden und Kastanien war es finster, und der Wirt -brachte Windlichter und stellte sie auf die graue Holztafel. Unter ihr auf -einer niederen Terrasse spielten drei Männer Karten, ein vierter stand -angelehnt, die Pfeife im Mund, und sah zu; das Licht huschte über ihre -harten, feinen Bauernköpfe und die Stimmen drangen ab und zu herauf. Sie -hatte den dunklen Reisemantel zurückgeschlagen und stützte das Kinn in -die schmale, magere Hand. Der breitrandige Federhut warf Schatten über -Augen, die sich hochzogen, als spotteten sie der eigenen Tränen. Es war -doch merkwürdig, die erste zu sein bei einem Stelldichein, sie, die sonst -nie gewartet hatte; aber was lernt ein Mensch nicht alles! - -Doch nun kam der Prinz, links, vom Walde her, wo das Forsthaus lag, in -welchem er abstieg. Mit federndem Schritt und der etwas übertriebenen -Bonhomie im Ausdruck seines jungen, verlebten Gesichts, mit den hellen, -schräggestellten Augen, hatte er etwas von einem eleganten jungen Kater, -der auf allen Dächern Bescheid weiß. Frau von Brincken erhob sich. Er -wurde sehr rot und sagte: »Ich bitte dich.« Aber die kleine Formalität -tat ihr wohl; sie liebte es, auch das eigentlich Unkorrekte durch ein -gewisses Dekorum einzuhegen, abzusondern von den übrigen, landläufigen -Unkorrektheiten. Er küßte ihre Hand, sagte ein paar liebenswürdige Worte -über ihr Aussehen, die sie ohne Enthusiasmus entgegennahm, und lehnte sich -zurück, die Hand in der Hüfte, die schlanke Lässigkeit unterstreichend, -die ihm durch unzählige Porträte und Photographien beinahe zur Pflicht -gemacht wurde. Der Wirt kam eilfertig mit eiskaltem Landwein und Kuchen. -Sie nippte, er stürzte zwei Gläser hinunter. Warum ist keine Musik? -dachte Frau von Brincken, es ist ja doch Theater, die Terrasse, der Wirt --- =basso buffo= -- die Statisten ... gleich werden wir aufstehen und -unser großes Duett singen, Opfer und Entsagung, schmelzend, aber =con -bravura= ... - -Sie sprachen. Er mit forciertem Ungestüm, mit Selbstanklage, die aber doch -dem Schicksal, das sich ja nicht verteidigen kann, die Hauptschuld zuschob; -Mitleid und Besorgnis um ihr ferneres Ergehen in jedem Ton. Immer wieder -der tadellose Kater, leichtsinnig, oberflächlich, wenn man wollte, aber -doch im geheimsten Winkel seines Bewußtseins: der tadellose. Frau von -Brincken fühlte, wie sich ganz leise der Gram von ihr löste, ohne daß -sie selber etwas dazu tat, und diese Operation war nicht unangenehm, wenn -auch mit einem leichten Frostgefühl verbunden. Mein Gott, waren es denn -Kleinodien gewesen oder Glasscherben, die sie so lange, so angstvoll -gehütet? War ihr Schicksal eines der vielen, unfertigen, die der Triebsand -des Lebens einschluckt, arme, verirrte Reisende, deren protestierende -Armbewegung aufwärts wie ein anklagender Wegweiser die Verräterei des -Bodens verkündete? Und nun saßen sie hier und lächelten einander zu, und -es war, als wenn man mit einem Stückchen Brot im abgestandenen Champagner -rührt, um ihn noch einmal zum Moussieren zu bringen. Frau von Brincken -sah das wohl mit ihren klargeweinten Augen, in diesem zweiten, beinahe -reizvollen Stadium der Enttäuschung, wenn sich die Seele in zwei Hälften -teilt und die eine leidet und die andere zusieht. Bei jungen Menschen kann -das ein Vorfrühling sein. Der Schmerz hat die Seele gelockert, Neues kann -keimen und aufgehen und bringt vollkommene Befreiung, erneuert das Herz -nicht nur, sondern auch den Geist. Aber sie dachte heute nur an Frieden. -Wie gut würde Ruhe tun, nachdem sie so lange gekämpft hatte. Wie -anstrengend war es doch oft gewesen; so mußte den armen Teerosen zumute -sein in den großen Tafelaufsätzen, alle hatten sie einen Draht durchs -Herz gezogen ... - -Er ahnte wohl ihre Gedanken. Und nun war es fast, als sei _er_ der -Verstoßene, als schritte sie, einsam und erlesen, von dannen, einem Leben -entgegen, an das er kein Recht mehr haben würde. - -»Unsere liebe alte Waldschenke,« sagte er und seufzte. Er hatte eine -Vorliebe für die maßvolle Architektur jenes ausklingenden Jahrhunderts -der Jabots und der Zöpfe. Teilweise wohl aus Widerspruch, weil er bei so -vielen Enthüllungen fürchterlicher Denkmäler, bei so vielen Einweihungen -prunkvoller Theater und Kirchen zugegen sein und lobende Worte sprechen -mußte, war ihm gerade diese Bauart sympathisch, deren stilles -Behagen, deren karger Zierat uns überkommt wie Resedaduft, mit leisem, -schwermütigem Wohlgefühl. Das Haus hatte bessere Tage gekannt, sanft -angelehnt am waldigen Hügel. Die schöngegliederte Tür, die leichten, -halbverwischten Ornamente der Fenstereinfassungen, das zartsilberne -Schindeldach, alles redete von einer Zeit, da zierliche Behäbigkeit -der Form auch das Alltägliche erlesen machte. Heute standen Planwagen -aufgereiht im weiten Hof, Fässer waren im Torweg aufgestapelt, und vor -der Einfahrt tranken schwere Pferde gierig am Brunnentrog. Der Prinz neigte -sich vor: »Durstige Tiere trinken zu sehen, ist doch eine Wonne,« sagte -er. Frau von Brincken fühlte einen kleinen, süßen Stich ins Herz, und -ihre Augen wurden groß wie von aufsteigenden Quellen. »Ich will immer -an Sie denken, Ludwig, wie Sie eben den durstigen Pferden zusahen,« sagte -sie. »Es gibt viel Durstige -- vergessen Sie's nicht. Ihre Hand weiß so -schön zu geben, und am meisten habe ich doch wohl Ihre Hände geliebt, -damals -- ihr Mund bebte ein wenig -- als wir die erste schöne Reise -machten und am Abend der Korb auf dem Tisch stand mit den herrlichsten, -kostbarsten Pfirsichen und Trauben aus Eurer Hoheit Treibhäusern. Wir -konnten es kaum erwarten, waren so heiß und durstig von der langen Fahrt. -Aber da kamen die Bettler. Ja, Ludwig, und da nahmen Sie den Korb, die -Pfirsiche, die Trauben, und schenkten alles, alles an die armen Kinder, -behielten nichts zurück, auch für mich nichts, und gerade das, -Ludwig ...« Sie wandte sich zur Seite, ihre Augen brannten. »Engel, es -war ja deine Hand, die mich das Geben lehrte,« sagte er und war wieder -ganz geschmeidiger Kater, »diese reizende Hand, die ich nicht festhalten -kann. Aber wenn du mir schreibst, mit unserm lieben kleinen Sternensiegel, -da kannst du sicher sein, daß mein dankbares Herz deinen leisesten Wunsch -hören wird, bis in die fernsten Zeiten« ... Fast hätte er gesagt »das -walte Gott«, denn er war es gewohnt, diese Schlußfloskel ziemlich wahllos -anzubringen; aber da war auf einmal etwas in ihrem ferngerichteten Blick, -das ihn ernüchterte. - -»Es sind nicht einzelne Wünsche, die ich hegte,« sagte sie, und ihre -Stimme klang blechern und müde ... »ich hatte Größeres erhofft ... Aber -Euer Hoheit Leben ist noch lang, es werden so viel Kreuzwege kommen ... oh, -vergiß nicht die durstigen Pferde,« und sie nannte ihn wieder beim Namen. - -Es waren ein paar feine Fältchen an ihrem Munde, und er sah sie genau. Sie -war ihm rührend wie ein kostbares Porzellanfigürchen, das immer noch -mit zierlicher Grandezza zum Tanz schreitet, und hat doch leider schon so -manchen feinen Sprung in der Glasur. Und diese unausbleiblichen kleinen -Standreden ... nun ja, das war ganz natürlich; erst das Lyrische, und -dann wird die Dame didaktisch. Er wollte sich gewiß nicht mit Goethe -vergleichen, der ihm überhaupt vorkam wie ein Menschenfresser mit Orden -... aber er mußte seit einiger Zeit häufig an Frau von Stein denken. Es -war eben der Altersunterschied; was konnten sie beide dafür! Es war alles -bezaubernd gewesen -- war es eigentlich noch. Aber eine Unterbrechung -... nun, und was an ihm lag, nichts Definitives, setzte er, zur eigenen -Beruhigung, wie ein kleines Pflaster obendrauf. - -Der Wind fuhr durch die Lindenwipfel; schmalgeschweifte Samenhülsen -segelten herab, sich emsig drehend wie kleine Propeller. - -»Sonnenwende,« sagte Frau von Brincken, »das ist eigentlich die -schwermütigste Jahreszeit. Der Herbst ist noch nicht da mit seinen Farben, -seiner frischen Nebelluft, aber die Bäume sind es müde geworden, grün zu -sein. Das war mir als Kind schon die traurigste Zeit, viel ärger als der -November, den viele so melancholisch finden.« - -»Sei froh,« sagte er und dehnte sich hintenüber in seiner -weidenschlanken Länge, »daß dir so etwas wie der Wechsel der Jahreszeit -überhaupt damals zum Bewußtsein kam. Unsereiner steckt in solchem Drill, -daß er das alles nur empfindet wie ein Schauspieler die veränderte -Dekoration; einmal ist es Schneelandschaft, ein andermal Frühlingswald, -aber Schneeballen kann man nicht daraus machen und die Rosen sind nur -gemalt; er darf seinen Spruch hersagen und damit basta. Das Beste noch war -die Jagd, nicht die großen Hofjagden, nein, allein, oder mit zwei, drei -Kameraden, und abends dann die gute Müdigkeit am glimmenden Kamin, wo die -Hunde liegen und im Traum bellen, man raucht seine Shagpfeife, und mein -wackerer alter Buschmann erzählt Jagdgeschichten ... Rita, einmal waren -Sie auch dabei, und nun, wirklich, niemals wieder?« Sie sah vor sich -hin, unter ihren Augen zuckte es ein wenig: Glimmender Kamin, wackerer -Buschmann, er hat nun einmal Redewendungen wie aus einem Schulaufsatz. -Darum war's mir immer so peinlich, wenn er schrieb. Seltsam, diese -Ausdrucksweise, und dabei dieser unfehlbare Geschmack in der Wahl seiner -Kleidung, er käme sich degradiert vor, wenn er sich in der Farbe der -Krawatte geirrt hätte ... Dann wurde ihr Blick weich. »Wenn Sie es irgend -vermeiden können,« sagte sie, »so enttäuschen Sie niemand. Es ist ja -wohl nicht immer zu vermeiden, aber man sollte es versuchen. Sie gehen oft -mit Ungestüm auf eine Sache los, dann aber ist sie doch komplizierter, -als Sie dachten, oder Sie meinen, Sie seien auf Undank und Ungerechtigkeit -gestoßen, wo es oft nur Ungeschick ist ... dann lassen Sie's fallen. Denn -es gibt ein Wort, das kennen Sie nicht: Geduld. Es ist auch nicht von Ihnen -zu verlangen. Die Weltgeschichte wurde Ihnen von Hoflieferanten serviert -und die Gegenwart ist Ihnen ein Schaufenster, und da liegt alles schön -aufgebaut und ist alles zu haben.« Er lächelte mühsam, denn er dachte an -Dinge, die gerade für ihn und seinesgleichen unerreichbar waren. Er hatte -eine kleine Schwester gehabt, die hätte so schrecklich gern einmal in der -Hundehütte geschlafen, aber das litt die Erzieherin nicht, und die kleine -Prinzeß war gestorben, ohne ihren Herzenswunsch erfüllt zu haben. Ja, und -er hatte wieder andere unerfüllbare Wünsche. Nun, wer weiß, hätte -er sie erlangt, wären sie wohl bald ihres Reizes verlustig geworden. -Immerhin, da war so manches, das fernab glitzerte ... jenseits, er würde -es nie besitzen. - -»Ich habe als Kind eine Enttäuschung erlebt,« fuhr sie fort, -»eigentlich eine Kinderei; aber noch heute, wenn ich Faulbaum rieche, -kommt es über mich, dies Gefühl der Erwartung, des felsenfesten -Vertrauens -- und dann auf einmal nichts, eine Leere, ach, ein -Verratensein ...« - -»Wie ging das zu?« frug der Prinz, der Frau von Brincken gegenüber immer -Interesse zur Schau trug, wenn auch manchmal gerade _die_ Eigenschaft, die -sie ihm absprach, dazu nötig war. - -»Das ging so zu,« sagte sie und sah vor sich hin, und die Erinnerung an -diese erste Bitterkeit des Lebens stand auf wie eine graue, beklemmende -Wolke; »wir schwärmten dort in der kleinen Residenz alle für die -Schauspielerin Weiß. Sie gab das Gretchen und Klärchen, aber auch die -Königin im Don Carlos und feine Salonrollen, wo sie in entzückenden -Toiletten traurige und edle Schicksale verkörperte. Wir Schulmädchen -hingen ihr Maiblumenkränze an die Tür, eine ganz Mutige warf ihr -sogar Rosen ins offene Parterrefenster, und wenn wir ihr auf der Straße -begegneten, hatten wir Herzklopfen. Sie wußte das und fand es wohl recht -abgeschmackt, aber sie lächelte freundlich, wenn wir sie grüßten, und -schickte uns bisweilen Freibilletts; wir kleinen Beamtentöchter kamen -ja sonst nicht oft ins Hoftheater. Schließlich lernte ich sie in einem -kunstfrohen Malerhause kennen. Diese Malersfamilie machte im Frühling mit -ihren Freunden Landpartien in den herzoglichen Wildpark, es waren lauter -junge Leute, Maler und Malerinnen, aber auch Musiker, Polytechniker, -Schauspieler. An jenem Tage war Marie Weiß dabei. Es war so ein richtiger -Maitag, in den Gärten und auf den Wegen, die zum Wald gingen, blühte der -Faulbaum, oh, es war betäubend, und drinnen im Wald in dem dürren heißen -Laub standen die großen, duftlosen Hundsveilchen, die anderen waren schon -vorüber; und über Bahndämme kamen wir, wie goldene Straßen, das war der -Ginster -- und überall Zitronenfalter ... Marie Weiß sprach mit mir; sie -ginge nun in Urlaub, und sie wüßte nicht, ob sie im Herbst wiederkehren -würde. Das Herz wurde mir wie Blei, was sollte mir das Leben, die Stadt, -meine Lehrer und Beschäftigungen, wenn dahinter nicht mehr Marie Weiß -stand? Sie frug mich, wo ich den Sommer über sei, ich sagte es ihr, -bei einer Tante, die ein Gütchen im Schwarzwald hatte, nicht weit von -Bühringen. »Nun,« sagte sie, »so um den 20. August herum muß ich nach -Bühringen; ich bin ja dort geboren, ich brauche allerhand Papiere. Wer -weiß, vielleicht treffen wir uns?« Sie sah mich so warm und lachend an, -sie hatte einen wunderschönen großen Mund und grüne Augen mit braunen -Fleckchen drin, es gibt einen Stein, Moosachat, so ähnlich, und ihr -dunkles Haar war so reizvoll angewachsen ... Ihr Männer ahnt ja nichts -von der Hingabe, mit der ein junges, einsames Ding eine berühmte, -selbständige Frau anbeten kann; man atmet kaum, wie in der Messe, wenn -eben die Kerzen angezündet werden, ja, man denkt sich aus, was man alles -für die Angebetete leiden möchte, Nesseln pflücken, was weiß ich für -Unsinn. Aber ich langweile Sie ...« unterbrach sich Frau von Brincken. - -»Nein, nein, sprich weiter,« sagte der Prinz, der an anderes gedacht -hatte, aber ihre weiche Stimme mit dem leisen südlichen Klang in sich -einsickern ließ wie ein angenehmes Akkompagnement. Sie merkte es wohl, -aber sie redete weiter, mehr für sich als für ihn. »Bühringen ist eine -kleine Stadt, vom Hof meiner Tante sind es drei Stunden zu gehen. Am 19. -heuchelte ich schreckliches Zahnweh und erhielt die Erlaubnis, nach der -Stadt zu fahren. Es war ein heißer, luftloser Spätsommer, dieselbe Zeit -wie jetzt, darum fällt mir's wohl alles wieder ein. Ich war drei Tage -in Bühringen; am dritten Tag ging ich zurück; Marie Weiß war nicht -gekommen. Aber diese drei Tage werd' ich nie vergessen, sie waren so -beklemmend erst und dann so erstickend trostlos, daß sie mich wohl für -mein ganzes Leben gefeit haben, und dafür muß ich heut vielleicht dankbar -sein.« - -Der Prinz sah rasch zu ihr hinüber. Bis dahin war's ihm vorgekommen, -als läse sie ihm irgendein Feuilleton vor, es gab jetzt oft solch -verschwommenes, abschattiertes Zeug, lauter Beschreibungen, und meist -traurig, man wußte nie recht warum; er las eine gute Detektivgeschichte -lieber, oder sonst Geschichtliches, woraus man ersah, daß es vorwärts -ging in der Welt ... Aber eben war ein Ton in ihrer Stimme, der ihm wehtat: -»Liebe, liebe Rita,« sagte er bewegt, »erzähle mir nur alles, ich kann -das nachfühlen; meine Jugendzeit hatte auch ihre dornigen Seiten.« - -»Hoheit sind gewiß niemals an einem heißen Augustnachmittag in -kleinstädtischen Anlagen gewesen -- ja, wie kämen Sie auch dorthin! So -zwischen fünf und sechs, wenn es ganz windstill ist. Da sitzen dann so -kleine, alte Dämchen und häkeln, die Spatzen schlafen in den Büschen, -und auf die Wege fallen die ersten welken Blätter -- so wie hier ... Dort -war ein Bassin, ein längliches Viereck, wo große Goldfische wie fette -Mohrrüben schwammen, und ein paar Schüler mit roten Mützen spielten -gelangweilt Verstecken hinter den Büschen und der Riesenbüste des -Landesvaters, die den Teich übersah; wenn ich nicht irre, ein Großoheim -Eurer Hoheit, ob seiner Gerechtigkeit und Leutseligkeit bewundert und -geliebt; er konnte einem leid tun, wie er da immerzu lächeln mußte in der -heißen Sonne, als träumte er von Veteranenfeiern und Bürgermeistern und -könnte zu keinem richtigen Nickerchen kommen.« - -»Rita, Sie sind goldig,« sagte der Prinz und wollte ihre Hand küssen; -wenn sie sich -- es war leider selten -- über seine Angehörigen lustig -machte, kam sie ihm gleich menschlich so viel näher. - -»Ach nein, nein,« sagte sie, »die Verzweiflung kommt wieder über mich. -Hoheit ahnen nicht, wie man noch in der Erinnerung zusammenschrumpft, wie -man manche Orte, manchen Blumenduft meidet, als säßen Mörder darin, -die nur warten, um einem ins Herz zu stoßen. Zwei ganze Tage war ich -in Bühringen, ging die Hauptstraße mit ihrem Kanal zwischen großen, -staubigen Kastanienbäumen hin und her, saß in der Konditorei, wo es -Limonade gab und Kuchen unter Glasglocken, wie Reliquien. Dahinter führte -eine kleine Brücke in den Stadtgarten, und immer wieder, zwischen den -Zügen, ging ich hin, und war mir anfangs beklommen zumute, so war's mir -schließlich unerträglich, und doch mit einem Stich ins Komische. Ich saß -dort wie verhext. Alte Herren mit fetten, asthmatischen Hunden kamen an -mir vorbei, sie standen in der prallen Sonne und redeten über Steuern -und Gemeindesachen, und Euer Hoheit hochseliger Oheim lächelte geduldig -zwischen den Buchsbäumen rechts und links, und die Goldfische schliefen -im Bassin. In einem Gasthaus in der inneren Stadt war Kaninchenausstellung, -dahin ging ich den letzten Tag; ich war immer ein Tiernarr; darum wünschte -ich, ich wäre nicht dort gewesen. Es war ein häßlicher Backsteinbau, und -überall roch es nach schalem Bier. Droben, in einem dunkelgetäfelten Saal -mit altdeutschen Trinksprüchen stand Käfig an Käfig. Sie hatten's viel -zu eng, sie saßen in die Winkel gedrückt mit erschrockenen Augen, es -war schmutzig in ihren Ställen. Menschen kamen und gingen, die die guten -weichen Tiere herausnahmen und wogen und ihnen Zigarrenrauch in die Augen -bliesen, man sah die Herzchen klopfen ... ich war dicht am Weinen und ging -fort. Ja, und da hatte die Tante geschrieben, wo ich denn bliebe, und da -mochte ich ihr nichts weiter vorlügen; so eine tüchtige Lüge, einmal, -wenn's sein muß, gut, aber immer wieder, das ist so läppisch. Ich stand -am offenen Fenster und packte meine Sachen zusammen; vor der Haustür -sprach der Wirt mit einem anderen Mann, und da hörte ich, Marie Weiß sei -schon vor vierzehn Tagen hier gewesen beim Bürgermeister, um Papiere zu -holen, sie würde heiraten, einen hohen Offizier, der ihr schon lange nahe -gestanden. Er hat ja dann auch den Abschied genommen, und sie sind sehr -glücklich zusammen gewesen ... sie hatten einen kleinen Jungen ... Ja, da -stand ich am Fenster. Dann bin ich zu Fuß heimgegangen, und wie ich über -die Höhe kam und die Sterne wachten auf und von den Wiesen kam solch -frischer Hauch -- da war's, als ob etwas von mir abfiel, und ich sagte mir, -es war zum Sterben, aber ich glaube, nun ist's vorbei ... Aber bisweilen -kommt es noch so über mich.« - -Sie streichelte seine große, schlanke Hand, und dann tat sie einen guten -Zug aus ihrem Glase. »All die Länder, wo man offenen Wein trinkt,« sagte -sie, »sollten doch von Rechts wegen gut Freund sein miteinander.« - -»Stimmt leider nicht --« sagte er, »aber man könnte es in Erwägung -ziehen. Völkerbündnisse, je nach Nahrungsmitteln sortiert ....« - -Sie trank noch einmal. »So,« sagte sie, »der Wein war gut, und nun ist -er zu Ende. Nun aber bleiben Sie hier, Ludwig; mein Wagen hält unten beim -Kapellchen. Sehen Sie mir nach, ich werde geradeaus marschieren, wie kein -Leibgrenadier es besser kann. Was Tenue betrifft, da kann ich mitreden.« - -»Nein, laß mich dich zum Wagen geleiten, Rita, und sprich nicht so -- ja, -wie soll ich sagen -- höhnisch; du brichst mir das Herz.« - -»Ach Gott, von Hohn ist keine Rede,« sagte sie. »Wir sind beide -betrübte Leute, die ein Einsehen haben. Und glaube mir, =il tempo è -galantuomo=, du wirst es verwinden und sollst es auch, laß mich nicht in -einem grämlichen Schleier in deiner Erinnerung stehen. Und habe Dank für -alles -- hörst du -- für alles ...« - -Sie nahm seine Hand und legte die Wange für einen Augenblick hinein, so -eine Sekunde nur, da war sie wieder jung -- wie ein Kätzchen jung ist, -jung wie damals, ganz am Anfang, als er sie noch Henrietterl nannte ... -dann sah sie sich um, aufmerksam; hierher kehrte sie nie zurück. Und -seltsam, es tat eigentlich nicht weh, nur kühl, kühl war alles. Sie -merkte, daß sie schon draußen stand im Zuschauerraum, die kleine leere -Bühne verlassen hatte. Ach, schenkte das Leben vielleicht ganz heimlich, -gerade dann, wenn es nahm? Oder hatte sie zu sehr geliebt, daß es ihr -an Kraft zum Schmerz gebrach? Wann würde sie's wissen? Abschied, Opfer, -höhere Pflicht ... sonderbare Worte. In der Brust ein toter Fleck, -und hier, was blieb zurück? Ein paar verkohlte Zigaretten, ein kleines -zertretenes Taschentuch. Und nun kam der Wirt, die Gläser wegzutragen, die -Windlichter auszulöschen, und morgen sitzen andere Gäste am Tisch, mit -leichten oder schweren Herzen; was weiß ein Mensch vom andern! - - - - -Die Verirrten - - -Das ausgeweidete Reh hing mit verglasten Augen vom Balken herab, von seiner -Zunge troff langsam ein schwarzer Tropfen auf den Lehmboden nieder. - -Nachdem die Frau des wilden Mannes es mit Wacholderreisern ausgelegt hatte, -wandte sie sich, zum Brunnen zu gehen. Da liefen ihre kleinen Töchter -auseinander, die in der braunen Dämmerung der Tür gestanden hatten, vom -Blutduft angelockt. - -Aber eine saß auf dem Brunnenrand im letzten Abendglast. An ihren -baumelnden Füßen hatte sie runde Schuhchen aus Baumrinde, mit bunten -Wollbändern um die Beine verschnürt. - -»Geh heim, Bärhild,« sagte die Frau, »die Abendkost steht auf dem -Tisch.« - -Das Mädchen grinste. Ihre hellen Augen standen ein wenig schräg, wie bei -Katzen. Um den Hals hatte sie ihren zahmen Marder gelegt, man wußte nicht, -wer von beiden spitzere Zähne hatte; sonst aber ähnelten sie einander -nicht, die Kleine breit und stämmig, mit kurzem sehnigen Hals, mit kurzer, -zerzauster Mähne, rotblond wie alle Töchter des wilden Mannes. - -»Jetzt geh ich Schlingen legen,« sagte sie mit rauher Knabenstimme und -schlüpfte davon. - -Die Frau seufzte und bückte sich zu den Blumentöpfen, die beim Brunnen -standen und einsam dufteten in die Abendstille hinein. Sie beugte -sich über den Brunnenrand und sah hinunter in die Finsternis. An den -schleimigen Wänden wuchsen Farn und Moose, nur selten kam ein Lichtstrahl -und glitzerte sie wach. Hinter ihr lag das Haus gekauert zwischen Weiden -und Erlen; wohin man trat, gab die schwarze, schwammige Erde nach; im -ersten Frühling, wenn alles voll gelbstäubender Kätzchen war, drängten -sich die großen, breitblättrigen Dotterblumen in den Sümpfen zwischen -den Erlenwurzeln; jetzt waren die Gräben blau von Vergißmeinnicht. Die -Frau verstand schöne, feste Kränzchen daraus zu binden und hätte sie -gern ihren kleinen Töchtern aufgesetzt, die aber hatten sie abgeschüttelt -mit Geschrei. Sie wollten nichts auf ihren wilden Mähnen dulden, nur -manchmal setzten sie die Kupferreifen auf, die der wilde Mann ihnen -mitgebracht, fremde Schmiedearbeit aus Norden, wunderliche Zeichen drin -eingesetzt, sahen aus wie Beile und Galgen. - -Ja, wie kam sie zu diesen Wildkatzen, die mit spitzen Zähnchen zur Welt -gekommen, ihr die Brust zerbissen und ihr Blut getrunken hatten; man hatte -sie den zottigen Stuten anlegen müssen, die sie mit Stampfen und Schlagen -in Ordnung hielten; und von der wilden Milch waren sie stark geworden. Nun -fingen sie sich die Fohlen, ihre Milchbrüder, ein und trabten auf ihnen -durch Weidengebüsch und seichtes Gewässer und über den toten weißen -Sand. - -Wie anders sah die Erde hier aus als dort, wo sie daheim war. Hier Busch -und Binsen, düsterer Erlenwald, wo das Wasser zwischen den geschwärzten -Silberstämmen gluckerte und man die schmalen Dämme kennen mußte, um -nicht zu versinken. Man konnte sich verkriechen und war doch preisgegeben -dem Regen, der Schwüle, den Mückenschwärmen im Dunst. Und weiter, da -hörte auch das niedere Gebüsch auf, die Erde wurde karg und steinig, -wilde Schafe mit bösen, schwarzen Fratzen schrien in den Wind. Dort -begannen die großen, verlassenen Steinbrüche mit ihren Höhlen und -Labyrinthen, ihrem schräg geschichteten Stein, als hätten Riesen sich -große Stücke herausgeschnitten; Wacholder und Berberitzen wucherten in -den Narben. Dort war die Welt zu Ende, weiter wußte sie den Weg nicht; -da war ein strenges Verbot, und niemand, der das Geheimnis nicht kannte, -hätte aus dem Irrsal heimgefunden. Als Warnung dienten noch die Knochen -des Trödlers, der es gewagt hatte, und die betrunkenen Hochzeitsgäste, -die auf eine Wette hin, um abzukürzen, den Weg genommen, sie hatten -dasselbe Los gehabt. - -Daheim, bei ihr, im Hochwald, schlüpfte die Sonne durch das Wipfeldach -und streichelte den roten Pelz der Eichkatzen, die großen Bäume waren -ihr Freunde gewesen, wie Helden stiegen die Stämme aus der rostigen -Blätterdecke. Da war alles redlich. Und ihr Vater, der haßte die Fallen -und Schlingen. Ein Pfeil ins Herz, ja, das konnte dem freien Wild recht -sein, und die Mütter und Kinder blieben geschont; aber es gab kein Quälen -mit zerschmetterten Läufen, kein Würgen und Zerren, keine Todesangst mit -blutender, flatternder Schwinge. Der Vater! Wie silberweiß war sein Bart, -wie scharf sein dunkles Auge, wie gut hatte er's immer gemeint. - -Die Frau sog die Luft ein; es ging ein süßes Duften über den Geruch der -Sümpfe, der Gräben voll braunen, faulenden Erlenlaubs dahin. Da hatte -wohl irgendwo ein Jasminstrauch seine weißen Blumen aufgetan. Und der -Duft tat ihr weh; denn so hatte der Strauch am Jägerhäuschen geduftet, -an jenem Tage, als der Jäger nicht heimkam; als wolle er ihr helfen, ihr -etwas sagen mit seinem Düften: Sie saß den halben Tag dort und sah ihn -versinken im Dämmergrau und wieder auferstehen im weißen, traurigen -Mondlicht. Aber der Vater kehrte nicht zurück. Da brach sie sich einen -blühenden Zweig ab und ging in den großen unbekannten Wald. - -Erst war sie mit schweren Füßen, mit schwerem Herzen gegangen, aber um -sie her all das Summen und Säuseln machte ihr auch den Kummer zum Traum. -Es ging sich so sacht über das tote braune Laub, gefleckte Salamander -saßen unter den moosgrünen Steinen wie in Märchenhöhlen, und die Sonne -glitt an den geraden Buchenstämmen hinab wie einer Mutter Lächeln -über wohlgeschaffene Söhne. Dann, im Tannenwald, war's noch stiller, -Bernsteintropfen glühten an den rissigen Rinden, und die Wipfel waren -reglos. Aber das Schönste war der Abhang, wo die Holzfäller ihr Werk -getan; da kam der Fingerhut zu seinem Recht; in Völkern stand er zwischen -den Baumstümpfen und öffnete den warmen Samtschlund der Sonne und den -Bienen. Und die Stechpalme wucherte und die wilde Himbeere warf die Arme -aus nach dem Geißblatt, und das war so voll Süßigkeit, kein Bienchen -konnte dran vorüber. Dort war sie lange gewesen, die Hände um die Kniee -gespannt, der Berghang ihre Lehne, das Erdbeerkraut ihr Teppich; unter ihr -die Wiesen lagen im Dunst, und aus dem Wald läutete der Kuckuck tief und -eindringlich, und weil sonst alles still war, ging sie seiner Stimme nach. - -Wie dann der Abend kam, stand sie in einer Lichtung; da war ein Teich und -spiegelte schwarze Binsen im gelben Widerschein, Libellen standen in der -Luft mit gläsernen Glotzaugen, das feine Waldgras nickte, die Hummeln -lagen, vom Tau verklebt, in der Disteln seidenem Schoß. Da legte auch sie -sich hin auf ihr Bündelchen, und hinter ihr öffnete der schwarze Wald -seine Hallen. - -Trapp, trapp, kamen die wilden Männer geritten, weich schlugen die Hufe -auf den federnden Waldboden; als sie die Augen auftat, traten sie in die -Lichtung mit finsterroten Gesichtern im Abendlicht. Stumm und gewaltig -ritten sie an ihr vorbei, mit harten Stirnen und harten Lippen, leise -klirrend die Speere und eisenbeschlagenen Knüttel. Aber der zuletzt ritt, -hielt bei ihr an und streckte die Hand aus. Da streckte auch sie ihre -kleine Hand empor, und es rieselte ihr durch den Arm bis ins Herz. Und der -Wald summte um sie her. Da zog er sie hoch und aufs Pferd und nahm sie an -sich ... - -Die Frau beugte sich tiefer über den Brunnen. Da unten wohnte die -Brunnenfrau, dort ging sie auf goldenen Wiesen mit ihrem kleinen silbernen -Hund. In hellen Nächten, hieß es, könne man ihr weißes Kopftuch sehen. -Nun fing es an zu dunkeln; das Haus versank in Grau, in Weiden und Erlen. -Nur unter dem Dachrand blinkte ein kleines Fenster; dort lagen wohl schon -ihre kleinen Töchter; sobald die Sonne sank, gingen sie schlafen, aber -früh, kaum daß der Himmel fahl wurde, liefen sie schon und sammelten sich -in der taugrauen Wiese, wo man sie schreien und schnattern hörte, ehe sie -auseinanderstoben. - -Die Frau ging ins Haus zurück. Heute nacht wollte der Mann heimkehren von -einem Beutezug; da mußte sie auf sein und helfen, die Säcke verstauen an -geheimen Plätzen; sie setzte sich an den Herd, um die Kittel ihrer kleinen -Töchter zu flicken, aber die Arbeit sank ihr in den Schoß, und sie -lauschte den Geräuschen der Nacht, all dem Seufzen und Knarren draußen -in den Bäumen und drinnen im Gebälk. Nun wurden die Nachtvögel in den -Wipfeln lebendig, sie wanden sich durch die Äste, plump und seidenweich, -bis sie sich aufschwingen konnten, lautlos in die freie Finsternis. Sie -wußten, wo die wolligen Junghasen lagen, die sie heimtrugen zu ihrer -eigenen Brut, die mit bösen, gelben Augen nach frischem Fleisch schrie. -Und durch die Baumwurzeln schlüpften Marder und Wiesel, sie hatten ihre -Gänge und Höhlen, ihre Vorräte und Kinderstuben wie die Menschen, und -wenn ihre Wege sich kreuzten, gab es da unten einen kurzen, bitteren Kampf -mit heißem Gefauch, die Erde schluckte ein wenig Blut, aber darüber lag -verschwiegen der moosige Teppich mit tausend nickenden Flockblumen, die -faulenden Blätter des Vorjahrs, durch die sich die gelben Taubnesseln -drängten. - -Durch den Ladenausschnitt kam ein Mondstrahl und tastete über Bank und -Tisch und über die Hände in ihrem Schoß; da stützte sie den schmalen -Kopf und dachte an die Abende daheim, wie sie auch dasaß und die Quelle im -Dunkeln hörte, und dann des Vaters Schritt, immer näher, bis er die Tür -auftat und sein weißer Bart im Monde noch weißer war. - -Wie sie so gesessen ist, hat sie auf einmal wirkliche Schritte gehört, -viele kleine Schritte und Klopfen an der Tür, und wie sie geöffnet hat, -haben da vier kleine Buben gestanden, einer immer ein wenig kleiner als -der andere, und der kleinste wie ein kleiner Kater, man hätte ihn in der -Schürze tragen mögen; die baten um Einlaß. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Die Bübchen hatten die Schüssel geleert, die sie ihnen hingestellt, -saßen mit schweren Augenlidern um die kleine Öllampe und erzählten -weinerlich von Mutter und Vater und wie sie in die Irre gegangen seien. Die -Frau ging von einem zum anderen, streichelte dem den Kopf, rückte dem das -Halstuch zurecht, beugte sich verstohlen über sie, immer wieder mußte sie -den Dunst ihrer braunen Hälschen einatmen, wie er sie aus dem Ausschnitt -ihrer Kittel ankam, diesen Duft, in den sich ein Ruch mischte von Harz und -Kohlenmeilern und fetter ungebleichter Schafwolle. Ach, und ihre singende -Sprechweise war wie Amselzwitschern. Von einem guten, geplagten Vater, von -einer harten geplagten Mutter erzählten sie, von dem Hündchen Strupp und -den Meilern tief im Wald, von Bucheckern und Pilzen, und sie meinte, wieder -tief drinnen zu stehen, die Füße im Heidelbeerkraut, die Sonnenstrahlen -um sie her, als würde das Licht zur Orgel ... Aber auch von einem Dorf -erzählten sie, wo sie zur Schule gingen, früh, wenn es kaum Tag war, die -einsame Straße hin, wo Krähen auf verschneiten Steinhaufen saßen und -schweren Flugs in die graue Luft stießen. Manchmal kam ein Planwagen und -der Fuhrmann ließ sie aufsteigen, da kauerten sie unter dem Zeltdach im -Stroh, über ihnen die schwankende Laterne, wo das irdene Geschirr verpackt -lag, oder zwischen Mehlsäcken, und schliefen und träumten von frischem -Brot. Die Kinder waren so müde, sie nickten beim Erzählen ein, und auf -einmal fuhr die Frau zusammen und sagte: »Ihr dürft nicht hier bleiben, o -um Heilands Namen, Ihr müßt fort, kommt, wir müssen gehen ...« - -Denn sie meinte, sie habe die Treppe knarren hören, und sie rannte die -morschen Stufen hinauf, wo in der großen, niederen Stube ihre kleinen -Töchter schliefen. Aber die rührten sich nicht, lagen nebeneinander im -Mondlicht, mit zurückgebogenen schneeweißen Gurgeln; und ihre Zähne -glitzerten und der laue Atem ging aus und ein. - -Draußen wußte sie keinen sicheren Winkel; die bösen Hunde spürten alles -auf. Da brachte sie die Kinder in die Kammer, wo das ausgeweidete Reh hing, -dort war Holz aufgestapelt, ein gutes Versteck. Dort würde sie keiner -wittern vor Wildgeruch. Aber still sollten sie sein wie die Mäuse. Ach, -durch die Nacht meinte sie schon die rauhe Stimme zu hören, und das Pferd, -wie es müde, mit gebeugtem Kopf, die Hufe aus den schmatzenden Pfützen -zog. So hüllte sie sich ganz in eine graue Decke ein, die nur ihre dunklen -Augen freiließ, daß er das Beben ihres Mundes nicht gewahr werde, und zog -den schweren Riegel zurück, als er näher kam. - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Wie dann der wilde Mann, von Wein beschwert, eingeschlafen war, winkte -die Frau den kleinen Buben, und sie krochen aus ihrem Versteck hervor -mit ängstlichen Augen. Da drückte sie sie ans Herz, die kleinen runden -Köpfe, und küßte sie ins Genick und sog noch einmal den Duft ihrer -sonnverbrannten Hälschen. Dann aber, den Finger am Mund, ging sie -vor ihnen her, wo das Wasser zwischen den Erlen gluckste und der Mond -schmalfingerig durch die Zweige griff. Und weiter, wo nur noch Gebüsch war -und seichte, silberne Pfützen, wo der tote weiße Sand begann und der Pfad -mählich aufstieg und dann am Rande des Steinbruchs vorbei, wo der Wind -durch die Hallen und Höhlen fuhr und schwarze Gewässer tief unten -heraufstarrten zum Mond. wie Seelen, die kein Lichtstrahl mehr erhellen -kann ... dort ging die Frau und trug den kleinsten im Arm, ein anderer -hielt sie am Kleid und die größten folgten ihr nach; an Abgründen und -Kreuzwegen kamen sie vorbei, aber keines sprach ein Wort; sie gingen mit -blassem Angesicht, und die Frau irrte sich nicht und hielt auch nirgends -an; sie sah nur gerade in die Luft, denn ihr Herz war ihr zum Wegweiser -geworden. Dann, allgemach, senkte sich der Weg, die Steinbrüche blieben -liegen, und schon schimmerte die Landstraße und ging von Nebelgrau zu -Nebelgrau, aber in der Ferne blinkten Lichter ... Da kniete sie vor den -Kleinen nieder und küßte sie, so jammervoll, und wies sie den Weg und -flüsterte ihnen zu, guten Rat oder waren's nur Töne, wie brütende, -säugende Tiere sie ausstoßen, in Angst und Liebe. Und wandte sich ab -von ihnen in scharfem Schmerz, die nun still und ernsthaft im Mondlicht -weiterstapften, kleine Buben, die so große Schatten warfen. - -Vor ihr der Weg stieg wieder an, den sie zurückgehen mußte; erst durch -Wiesen, wo hier und dort ein Steinblock lag, weich eingebettet im feuchten -Thymian, dann aber karg, umlagert von Geröll, graues Gesträuch klomm -aus den Fugen. Dem Steinbruch zu wand sich der Pfad zurück, schon wieder -fühlte sie den kalten Wind aus den Höhlen, der ihr das Kleid um die Knie -straffte. Wie schwer waren ihr die Füße, wie leer das Herz. Daheim? Dort -würden die bösen Hunde im Verschlag winseln, dort stand der Brunnen, das -Haus, grau im ersten fahlen Licht. O Herzeleid, o Ersticken. - -Gradaus ging sie mit weiten Augen, die Hände über dem erstorbenen Herzen, -und wie der Kreuzweg kam, redete der Wegweiser in ihrem Herzen nicht mehr. -Hinauf ging der Pfad, so steil, so steinig; war das der, den sie gekommen? -Und der andere führte hinunter ins Geklüft, der ging sich leichter. Im -Steinbruch wisperte es und seufzte, und immer tiefer ging sie hinein, und -der graue Nebel rollte hinter ihr zusammen. - - - - -Glückliche Zeiten - -Ein zeitlose Geschichte - -(Für Agnes und Else und andere artige Kinder) - - -Also -- da war einmal eine Prinzessin, die hatte sich im Walde verirrt und -da begegnete ihr ein Drache, der sie sehr erschreckte. Aber so greulich er -auch aussah, so hatte er doch ein mitleidiges Herz, und wie er sie weinen -sah, nahm er sie mit in seine Höhle. Als sie nun einige Tage bei ihm -gewesen war, gefiel sie ihm so gut, daß er sie nicht weglassen wollte, -denn er führte ein einsames Leben, und etwas Jugend tat ihm wohl. So wurde -die Prinzessin Stütze des Drachen mit Familienanschluß, aber was die -Familie angeht, da war nur der Drache, denn er war ein alter Junggeselle, -hatte auch keine Dienerschaft, darum war auch alles so verwahrlost, ja -es sah recht unordentlich aus in der Höhle; aber das sollte ja nun die -Prinzessin mit feinem Geschmack anders gestalten, und sie tat auch, was sie -konnte, mit Girlanden und Waldblumenbuketts. Als nun die Prinzessin einige -Zeit bei dem Drachen gewesen war und sich an mancherlei hatte gewöhnen -müssen, begann sie, denn obgleich sie eine Prinzessin war, fehlte ihr doch -nicht der Sinn dafür, die komischen Seiten ihrer Umgebung zu erkennen. -Es war dabei manches schlimm genug. Wie zum Beispiel das Schnarchen des -Drachen, wenn er sich schamlos dem Mittagsschlaf hingab, denn er gehörte -zum Geschlecht der Suppenbläser und stieß abwechselnd aus dem rechten -und linken Nasenloch greuliche Dämpfe aus. Hypochondrisch veranlagt wie -er war, litt er an beständiger Angst vor Erkältungen, die ihn zu -den seltsamsten Maßregeln greifen ließ. So hatte er sich eines Tages -ausgeklügelt, der Besitz zweier Nasenlöcher bilde eine stete Gefahr -für das katarrhalisch disponierte Individuum, da sich das Gehirn zwischen -diesen beiden Korridoren in fortwährender Zugluft befände. Deshalb hatte -er, trotz ernstlicher Gegenvorstellungen der Prinzessin, das eine Nasenloch -mit Moos verstopft, was eine Anschwellung der Gesichtshälfte, verbunden -mit heftiger Migräne, zur Folge gehabt hatte. Nachts hörte die Prinzessin -den Drachen in seinen großen Filzparisern durch alle Gänge schlurren, um -nachzusehen, ob auch alles zu sei, und bei dem geringsten Wetterumschlag -trank er einen abscheulichen Tee aus Baumrinde, zog Pulswärmer an und -umwickelte sich den Hals mit einem alten himbeerfarbenen Cachenez, was -zu seiner Hautfarbe äußerst fatal aussah und den Schönheitssinn der -Prinzessin, die früher beim Hofmaler Weichschnabel aquarelliert hatte, -empfindlich verletzte. Angenehm war es auch nicht, dabei sitzen zu müssen, -wenn der Drache Makkaroni fraß. Diese hingen ihm dann wie Schlangen zu -beiden Seiten des Maules herab, und mit den Pfoten stopfte er nach; die -Prinzessin mußte wegsehen, sonst verging ihr der ohnedies zarte Appetit. - -Abends legte der Drachen Patience. Seine Klauen waren nie ganz rein; er -tunkte sie ab und zu in den Sumpf und meinte damit ein übriges getan zu -haben; und der Prinzessin blieb auch hier nichts anderes, als emsig an -ihren Binsenkörbchen zu flechten, um nur nicht hinsehen zu müssen. Diese -zum Sammeln von Erdbeeren bestimmten Behälter häuften sich in einer Ecke -der Höhle an. Es gab keine Erdbeeren in diesem Walde, und so waren sie -eigentlich zwecklos. Einmal ertappte sich die Prinzessin bei dem Gedanken, -man könne sie ja auf einen Basar für Ferienkolonien geben, denn die -Handarbeiten fürstlicher Frauen fanden bei solchen gemeinnützigen -Veranstaltungen stets reißenden Absatz. Hier freilich türmten sie sich -als Angebot ohne Nachfrage im Hintergrund der Drachenwohnung auf. - -Alles in allem aber war die Prinzessin auf bestem Wege, sich den -ungewohnten Lebensbedingungen anzupassen. Alles was recht ist, dachte -sie (diese Redewendung hatte sie von einer bayerischen Kinderfrau -aufgeschnappt), aber dies absolute =sans gêne=, diese Dehnbarkeit in der -Zeiteinteilung (zum Beispiel das Mittagessen, das, ebenso unberechenbar wie -das Osterfest, bald früh, bald spät stattfand), die schönen, ausgiebigen -Schläfchen unter den Tannen ... das alles ließ ihr das frühere -Leben, die Residenz im Stadtschloß, wie auch die sogenannte ländliche -Zwanglosigkeit der sommerlichen Monrepos' und Sorgenfreis wie öde -Korrektionshäuser erscheinen, wenn sie auch ab und zu nach ihrer Zofe -Fanny mit dem Manikürekasten, nach ihrer silbernen Badewanne und schönen -schaumigen Frühstückschokolade Sehnsucht verspürte. - -Manchmal ging der alte Drache aus, um andere Drachen, die wie nie -abgelöste Schildwachen vor ihren Schatzkammern lagen, zu besuchen. Er -selbst war ein freier Drache, sozusagen ein Finanzminister im Ruhestand, -der keine Rechenschaft mehr abzulegen hat, nur die Prinzessin war sein -Schatz; und da er von Natur mißtrauisch war, nahm er sie wenn irgend -möglich zu diesen Besuchen mit. Dann tranken die Drachen Meth, priemten -und spuckten und spielten Karten, wobei sie sich gräßlich beschimpften -und mit den Trümpfen auf den Tisch schlugen, daß es dröhnte. Aber -allmählich gewöhnte sie sich an den Humor dieser Sonderlinge, ein Gemisch -von abgestandenen Börsenwitzen und alemannischer Vierschrötigkeit, -das aber zu den alten warzigen Herren paßte, wie die Verwünschungen -cholerischer Propheten zu den Steinfratzen gotischer Kathedralen. -- -- -- - -Eines Tages nun, es war zu Frühlingsanfang, sah der Drache, nachdem er -sein Mittagessen bewältigt hatte, gerührten Auges zu, wie die Prinzessin, -nachdem sie einen Rest geschmorter Pilze und das übrige Blaubeerkompott -weggeräumt hatte, mit ihren kleinen rauhgewordenen Händen den -Eichelkaffee filtrierte. Ach, das war doch alles keine Arbeit für eine -Prinzessin, dachte er beschämt und fühlte, wie sich seine kleinen -grünen Plieraugen mit Tränen füllten, die er verstohlen mit den Klauen -wegwischte, wenn sie auf seinen höckerigen Lederwangen niederflossen, die -an ein Reisenecessaire aus Krokodilhaut erinnerten, nur daß sie nicht so -schön poliert waren wie diese Erzeugnisse einer raffinierten Kultur. - -Draußen zwitscherten die Buchfinken in den knospenden Büschen und suchten -nach gegabelten Ästen, ihre Nester darin zu befestigen. Durch das dürre -Laub streckten Tausende von Anemonen ihre weißen, feingeäderten Kelche, -die im Frühlingswind schwankten, und überall, wo immer ein feuchtes -Fleckchen zu finden war, hatte die Sonne es aufgespürt und blitzte darin -wie in Glasscherben; durch die kahlen Baumwipfel sah man den blauen Himmel -mit vielen kleinen, runden Lämmerwölkchen schimmern, es roch nach Erde -und nach Moos, und aus den Sümpfen kamen bedächtig die Kröten gewandert -und trugen, wie einst die Weiber von Weinsberg, eine jede ihren kleinen -Ehemann auf dem Rücken. Da auf einmal fühlte die Prinzessin ein so tiefes -Mitleid mit dem armen Drachen, der so alt und schäbig mitten in dem -hellen Frühlingswetter dasaß, und den man eigentlich in eine chemische -Reinigungsanstalt hätte schicken müssen. Er würde nie eine Drachin und -liebe kleine Drachen sein eigen nennen, dazu war er doch viel zu alt und -häßlich, und wenn sie einmal befreit würde, bliebe er allein zurück und -hätte niemand, der sich um ihn kümmern würde; denn wenn sie ihn -mitnahm, kam er doch nur in den Zoologischen Garten, wo ihn die Kinder -mit Sonnenschirmen und Stöcken ärgern würden und er eine betonierte -Felsenhöhle bekäme -- die reine Attrappe, und alle Tage abgekochte -Mohrrüben, die er nicht leiden konnte. Armer, alter Drache! Und sie hatte -während der ganzen Zeit kein böses Wörtchen von ihm zu hören bekommen -und hatte doch selber -- besonders im ersten halben Jahr -- nichts getan, -als die Nase rümpfen über das Essen und die mangelhafte Einrichtung; und -er gab es doch, so gut er's hatte! Da neigte sie sich über ihn und kraute -ihn ein wenig hinter den Ohren, wozu er die Mundwinkel hochzog und ein -Gesicht machte wie Wagnerianer, wenn das Lied von den Winterstürmen und -dem Wonnemond losgeht, legte ihre Samtwange auf sein runzeliges Haupt -und aus ihren schönen Augen rollte eine Träne. Und dann küßte sie ihn -mitten auf sein grünpatiniertes Nasenbein. - -Aber im selben Augenblick geschah ein furchtbarer Donnerstoß, die -Erde schwankte, Bäume und Gestein drängten sich zusammen oder sanken -auseinander, ihre Farben verwandelten sich, das Dach der Höhle hob und -wölbte sich, und Bäume wurden zu Säulen; es war, als wirbelte ein -Kaleidoskop um sie her, und wie sie wieder zur Besinnung kam, saß ein -schöner, wohlerzogener Prinz in entzückender Uniform, mit Ordenskette -und blitzendem Stern ihr zur Seite, in leuchtendem Saal, und alles war -verwandelt, ihr Kuß hatte den Zauber gelöst, nur die Erdbeerkörbchen -standen noch da, waren nun aber aus Goldgeflecht, und in jedem lagen, wie -Ostereier, vier bunte, leuchtende Steine. - -Schöne Damen kamen paarweis geschritten, mit demütigen Schwanenhälsen -und hoffärtigen Schleppen, sie hielten ihre Kleider mit spitzen Fingern -und versanken wie sterbende Springbrunnen, wenn sie vor Prinz und -Prinzessin vorüberzogen. Da waren Herolde, angetan mit historischen -Wappenröcken, mit Locken und spitzen Bärten, gerade wie Kartenkönige, -nur daß sie Beine hatten; schöne kleine Pagen mit Krone und Zepter auf -seidenen Kissen, süß lächelnde Kammerfrauen mit reizenden Hündchen, -auch eine kleine Mohrin war dabei. Auf den Galerien aber hinter goldenen -Gittern bliesen und fiedelten die Musikanten, daß es eine Lust war, -und das silberne Haar des Kapellmeisters wehte nach allen Seiten vor -Begeisterung ... Nun zogen die Köche vorbei, weißgekleidet, feist und -glatt, mit Kochlöffeln und blanken Messern im Gurt, und hinter ihnen -die Küchenjungen, wie ein Echo in kleinem Format, dann der Troß der -Stallmeister, der Jäger und Hornisten, die Treiber und Hundejungen mit -Peitschen und Netzen, und schließlich auch das Aschenweib, das nur dazu -da war, die Asche aus den Kaminen fortzutragen, grau und zerzaust wie -eine mauserige Krähe. Aber ganz zuletzt kam die Märchenerzählerin der -fürstlichen Kinder, die war so uralt, daß sie die Leute in den Märchen -persönlich gekannt hatte; klein und gebückt trippelte sie vorüber in -spitzem Hut und grünem Mäntelchen. - -Alle machten ihre Reverenz, die Prinzessin mußte in einem fort lächeln -und nicken, und nun kamen drei Hofprediger mit feierlichem Glockengeläut -und begrüßten das fürstliche Paar im Namen des Höchsten mit überaus -herzlichen Gebärden ihrer kleinen, weißen, wohlgenährten Hände, wie -segnende Maulwürfe. Die Bäume rauschten, die Brunnen sprangen und tanzten -und die Glockentöne waren rund und tief wie die Glocken selbst; aber die -Sonne blies die Backen auf und posaunte auf ihre Weise mit langen, heißen -Stößen. Und dann wurde die Hochzeit gefeiert. -- - -Aber als sie nun viele Jahre König und Königin gewesen waren, dachte -die Königin manchmal zurück an ihre Höhle. Nun war sie bequem und dick -geworden, und die schönste Stunde des Tages war die von drei bis vier, -wenn sie ihr Korsett auszog und sich mit einem Roman auf den Diwan legte. -Die Kammerfrau holte ihr die herrlichsten Schmöker aus der Leihbibliothek, -denn der König ließ sie durch den Hofbibliothekar ausschließlich mit -Memoirenliteratur versorgen; aus diesen Produkten des =ancien régime= -hoffte er, daß sie den Geist feiner =répartie=, der ihr von der Natur -versagt war, erlerne. Sie gestand es sich kaum ein, aber eigentlich -hatte sie dies Leben gründlich satt mit seinen Denkmalsenthüllungen -und Audienzen, wo die Menschen immer ganz kleine Mündchen machten, als -könnten sie nur Tütü sagen. Die Tage waren so künstlich zugeschnitten, -jede Stunde fügte sich in die andere ein wie bei einem Geduldspiel, da war -keine Ritze, wo die kleinste Maus hätte durchschlüpfen können, und nun -überkam sie oft ein Verlangen nach anderem, wie ein wohlerzogener Knabe -aus guter Familie, der in eine Hafenstadt kommt, voll neidischer Wonne -nach den schmutzigen Schiffsjungen auf den Heringsbooten schielt. Der alte -Drache -- ja es war merkwürdig, wie bald er sich in alles gefügt hatte. -Wenn sie an seine Filzpariser dachte! Nun, er hatte sich ja auch viel -gründlicher als Drache ausgelebt. Nun war er ein kleiner, trockener, -ältlicher Herr geworden, mit einer irritierenden Art sich zu räuspern, -und all die Vorschriften der Etikette waren ihm unentbehrlich wie eine -hygienische Unterbekleidung. Neuerdings konnte er sich ganz merkwürdig -über die kleinsten Mißgriffe aufregen, so neulich, als die Zuckerzange -nicht gleich bei der Hand war. Da hatten seine Augen Drachengift -geschossen, wie sie es damals, in der Höhle, nie getan. Der Lakai -schlotterte und der Oberhofmarschall fühlte die Fundamente seines Daseins -wanken. Aber die Königin konnte nicht an sich halten; sie lachte in ihrer -unpassend explosiven Art und bekam einen ganz roten Kopf: »Lieber Mann,« -sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen -- denn sie mußte -beim Lachen immer weinen -- »als wir noch in der Drachenhöhle lebten, -hast du deinen Zucker abgebissen und den Kaffee trankst du aus der -Untertasse wie eine Waschfrau.« Alles war wie versteinert, denn die -unselige Drachenepisode wurde ja totgeschwiegen und jede Anspielung darauf -als grobe Taktlosigkeit empfunden; eine Zeit eisiger Ungnade war die Folge -dieser übelangebrachten Reminiszenzen. Seitdem versuchte die Königin ihre -seelischen Aufwallungen zu unterdrücken, aber wenn sie im halbverdunkelten -Boudoir der Ruhe pflegte, kam es über sie, und vor ihren geschlossenen -Augen stand die Höhle wieder auf, braungrün und verräuchert, ach, und so -traulich! - -Heut gerade war ein schläferiger Sonntagsnachmittag, dessen freundliche -Langeweile durch die Ritzen der Jalousien drang. Die Wache auf dem -Rondellplatz vor dem Schloß war eben aufgezogen, die Kommandoworte, das -Trommeln verhallte, und nun begannen die beiden Schildwachen ihr Auf und -Ab, bis zur nächsten Ablösung. Nettgekleidete Bürgerfamilien wanderten -auf den Kiespfaden und bewunderten die schönen Teppichbeete, die den Neid -zugereister Hofgärtner erregten. Weiter ab, unter den Kastanienbäumen -wandelten Landgerichtsräte und Gymnasiallehrer, und bleiche, -schwärmerische Jünglinge saßen auf den Bänken und lasen in -Reklambändchen. Die kleinen Knaben und Mädchen aber freuten sich ihrer -roten Luftballons, und alles strömte dem Schloßgarten zu, der Sonntags -dem Publikum offenstand. Die fürstliche Frau hatte es sich leicht gemacht. -Das Korsett lag, gedemütigt wie ein verabschiedeter Zeremonienmeister, auf -dem Teppich, ihre Füße dehnten sich in weiten, gelben Babuschen, und sie -begann eben den zweiten Band vom Geheimnis der alten Mamsell. Aber sogar -dieses ganz neue, ungemein fesselnde Werk konnte die Gedanken nicht bannen. -Hatte sie nicht eben, in der Ferne, einen leisen Kuckucksruf gehört? Es -war das freilich die Schwarzwälderuhr des Türhüters gewesen, die man in -der sonntäglichen Stille schlagen hörte, aber auch die stammte aus dem -Walde, darum war wohl ihr Ton so echt; mit einemmal wuchs ihre Sehnsucht -riesengroß; sie mußte den Wald wiedersehen, ob sie gleich ahnte, daß -es dort nicht mehr sein würde wie einst. Ohne Zaudern zog sie sich an und -band einen grünen Schleier über den Hut, von der glänzenden Sorte, die -sich Donna Maria nannte und damals Mode war. Das Glück war ihr hold, denn -die Lakaien, die im Treppenhaus, bei schläferigem Fliegengesumm Dienst -hatten, glaubten, sie ginge in den Privatgarten; als sie aber an die Tür -kam, die zu ihm führte, saß da der alte Türhüter und war über dem -Sonntagsblättchen eingenickt: so schlüpfte sie hinaus. - -Niemand gab auf sie acht, als sie den Schloßpark durchquerte, denn sie -ging nur selten zu Fuß; träge und fett, wie sie war, fuhr sie stets in -der Karosse. Auch sah sie in ihrem Alter der Frau Hofkonditor Butterweck -ähnlich, und in ihrem einfachen Anzug galt sie den Spaziergängern wohl -für diese, wenn sie sich überhaupt nach ihr umsahen. So wanderte sie -unerkannt, wie irgendeine behäbige Bürgersfrau, durch den Schloßgarten, -zum äußeren Tore hinaus und eine lange Rüsterallee hinunter, an deren -einer Seite Seildreher ihre Werkstatt hatten, wo man sie wochentags sehen -konnte, die Schürze voller Werg, aus dem sie, rückwärtsschreitend, wie -Kreuzspinnen, ihre langen Seile drehten. Nach längerem Gehen, das ihr -manchen Seufzer entriß, denn es war ihren Füßen eine ungewohnte Fron, -lenkte ein Weg seitab in den Wald, oder vielmehr dorthin, wo er früher -gestanden hatte. Denn es war freilich alles anders geworden. Da -waren Bänke und Wegweiser und kleine Buden, wo man Himbeerwasser -und Sandtörtchen kaufen konnte, die reliquienhaft unter Glasstürzen -schimmelten; ach und eine ganze Straße von blitzblanken Villas mit Erkern -und Türmen und gotischen Fenstern war entstanden, wo pensionierte -Generale ihren Ruhestand verlebten, sich der Rosenkultur widmeten und die -Blattläuse mit Ausdauer und Tabakslösung bekämpften. Ach, wo war das -Dickicht von einst? Den Krötensumpf hatte man ausgetrocknet, Kinder in -schottischkarierten Kleidern und schrecklichen Schürzen aus -Wachstuch spielten dort im Sand, ja der Platz hieß sogar nach ihr, -Karoline-Amalien-Platz, denn in ihrer Familie hatten die Frauen alle so -schreckliche Namen, und die Männer hießen Adolf oder Emil oder Ferdinand, -was auch nicht hübsch war. Auch ihr Drache hieß Ferdinand. Ach, wo waren -die Drachen geblieben! Tot oder ausgewandert? Oder hatte sie alles nur -geträumt? Dort, die alte Eiche, oh, sie erkannte sie wieder; wie oft hatte -sie dort gesessen und den sich paarenden Eichkätzchen zugeschaut, wie sie -sich haschten, immer um den Baum herum. Einmal noch wollte sie seine -Rinde streicheln. Aber was hing dort an seinem Stamm? War's ein -Muttergotteshäuschen? Dann würde dort auch eine Bank sein, oh, wie -brannten ihre Füße, wie gut würde man sitzen unter dem breiten Geäst. -Da ging sie näher, aber es war kein Muttergotteshäuschen, sondern -ein lackierter Kasten war aufgehängt am Eichenstamm, und es stand -daraufgeschrieben: Gegen Einwurf eines Fünfzigpfennigstücks eine Tafel -echt deutsche Familienschokolade. Über dem Kasten aber war noch ein -Blechschild mit deutender Hand: Restaurant Drachenhöhle, Kegelbahn, Kaffee -und Bier. Zehn Minuten. Da fühlte sie Erbarmen mit dem Baum und mit sich -und mit all den alten vertriebenen Drachen; und mußte weinen. Aber wenn -sie weinte, ging das nie ohne vielfaches Nasenputzen vor sich, daß sie -ganz rot und verschwollen aussah, und das war ja auch nicht königlich. - -Als sie sich ausgeweint hatte, ging sie langsam, denn die Füße taten ihr -weh, in ihr kühles Königsschloß zurück, wo man sie bereits vermißt -hatte und ihr Hofstaat im Begriff stand, den Schloßpark nach ihr -abzusuchen. - - - - -Zoologie - -In Erinnerung eines kleinen Tiergartens, der verschwunden ist - - -=I= - -Die Kastellanin - -Damals war ich oft bei der Känguruhmutter. Sie hatte liebe, staubige, -kurzsichtige Augen, als hätte sie bei Lampenlicht zuviel schwarze -Strümpfe gestopft, und einen verschwiegenen Zug an den Mundwinkeln wie -alte Kinderfrauen, die in der Familie geblieben sind und vieles haben -mitansehen müssen. Sie hätte einen kleinen Kapotthut tragen sollen, mit -Glaskirschen oder Samtpensees und eine Mantille; und Klatschkaffees geben -und immer wieder nötigen, man möge doch zugreifen: »Denn es ist -alles mit reiner Butter, meine Damen, Kokos und Margarine und all diese -schrecklichen Erfindungen dürften Sie umsonst in meiner Speisekammer -suchen; einfach aber prima das ist mein Wahlspruch.« - -Die Känguruhmutter und ich, wir verstanden uns. Wenn sie mich sah, kam -sie gesprungen. Aber gleichsam entschuldigend, sie könne nun einmal -nicht anders. Ich brachte ihr das Angebackene vom Schokoladenpudding. -Süßigkeiten und ihr Kuhlchen im Heu, das war ihr Schönstes. Ich -konnte das begreifen. Es kommt einmal die Zeit, wo man Äußerlichkeiten -verachtet. Und dann offenbart das Leben andere, stillere Reize. - -Als ich Frau Känguruh kennen lernte, hatte sie ein ganzes Schurzfell -voll Kinder, das letzte Andenken von dem Herrn Känguruh, der selber im -australischen Busch geblieben war. Wie ein Briefträger zur Neujahrszeit -lief sie daher, aber statt Päckchen und Kreuzbandsendungen waren es kleine -Känguruhs, die aus ihrer Tasche kullerten. »Nun ist mir leichter,« -sagte sie, als die Kleinen größer geworden, zu groß für den Schlafsack, -»aber nun friert mich beständig. Ja, ja, die Kinder gehören der Mutter, -doch nur so lange sie klein sind.« Denn ihre Schwäche waren wohl gewisse, -etwas rührselige Gemeinplätze. Damals schon hätte ich ihr gern ein -Schaltuch geschenkt. - -Später dann wanderten ihre Kinder aus, in andere Gärten, und sie blieb -allein. Mit den übrigen Nachbarn konnte sie sich nicht anfreunden. Es -fehlte die Resonanz. Sie bezog ein leidlich großes Quartier, mit einer -Trauerweide in der Mitte und ihrem Borkenhäuschen in einer Ecke, das mich -immer an eine alte illustrierte Ausgabe von =Paul et Virginie= erinnerte, -die wir auf dem Lande besaßen. Aber mit zwei Sprüngen war sie doch -gleich am anderen Ende. Und das nagte an ihr. Bis sie dann älter wurde und -ruhiger. - -»Sie glauben nicht, was ich früher für ein Temperament hatte,« sagte -sie. »Aber nun ist man ja zufrieden, wenn man sein Essen hat und sein -Plätzchen im Grünen.« - -Die Känguruhmutter wäre eine entzückende Kastellanin gewesen. Im grauen, -gehäkelten Seelenwärmer, den Schlüsselbund am Gürtel, wie wäre sie -emsig die weißen, hallenden Treppen auf und ab gerannt; wie pflichttreu -hätte sie Staub gewischt. Wie hätte sie andachtsvoll die seufzenden -Mahagonisekretärs geöffnet und aus der griechischen Tempelarchitektur -im Hintergrund jene schicksalsschwere Wedgwoodtasse hervorgeholt und -den Auserwählten gezeigt, wie auch das Original des berühmten, -herzzerreißenden Sonetts, das der Dichterfürst damals, am Tag der -Abreise, auf einen alten Brief gekritzelt hatte! - -Wie würde sie mit der Überzeugungskraft steter Wiederholung, all die -längst berichtigten Unwahrheiten über das Damenporträt im fürstlichen -Alkoven den lauschenden Amerikanern versetzt haben, die gläubig und -starr, in riesenhaften grauen Filzschuhen einen Halbkreis um sie bildeten, -hypnotisierten Strandläufern vergleichbar! Und mit welcher Ehrfurcht -würde sie den weißen Überzug eines Tapisseriesessels gelüftet und mit -leiser Stimme versichert haben, die übrigen elf seien genau ebenso -und alle, alle seien sie von der Hand der hochseligen Maria Pawlowna -gestickt ... - - -=II= - -Das Marmutzchen - -Ganz im Dunkeln, hoch oben in einem Winkel hockt das Marmutzchen. Aber -eigentlich heißt es Lemur und lebt in Madagaskar, wo ich auch leben -möchte, denn ich glaube, ich könnte alles Böse vergessen, wenn ich eine -Schar solcher Marmutzchen mein eigen nennte. Oder auch nur eins. Sie -haben buschige Schwänze, wie Eichkaterchen, nur viel länger; spitze -Schnäuzchen und spitze Öhrchen mit kleinen Haarbüscheln, große, große -Glühaugen und kleine streichelnde Hände wie Affen. Aber sie sind nur -Halbaffen und es wird gar kein Aufhebens mit ihnen gemacht. - -Sie sollten ganz große Käfige haben -- so groß wie der Käfig vom -Lämmergeier --, um von einem Baum zum anderen zu springen, und überall -kleine, verschwiegene Höhlen für Familienglück, und Bananen und Kirschen -in Fülle. Sie machen den Menschen nichts nach wie die wirklichen Affen, -die so traurig und beschämend sind, denn man taugt doch, weiß Gott, nicht -zum Vorbild; nein, sie haben gar nichts vom Menschen, bis auf die kleinen -schwarzen Hände, die innen kühl und zart und faltig sind; so wie ich mir -Rumpelstiltzchens Hände denke. - -Armer kleiner Lemur, ganz allein in seinem finsteren Winkel. Und dann -pfeife ich -- die ersten zwei Takte der Serenade aus Don Juan, und er -klettert herunter und läßt sich krauen, so gut es durch das Gitter geht. -Ach, wenn man doch Gottvater wäre, oder vielleicht besser noch Direktor -des Zoologischen Gartens, da könnte man dem Marmutzchen noch glückliche -Tage schaffen, ehe es stirbt. Denn schon ist es alt, sein Pelz ist schäbig -geworden und die großen Glühaugen werden trübe, die kleinen Händchen -können sich nicht mehr festhalten. O Wälder Madagaskars, o flüsterndes -Schilfrohr, wo sich die Bäume im Abendrot der Sümpfe spiegeln ... Möchte -die Seele des armen Marmutzchen zurückfinden in euer Dämmergrün, auf -den Lianen schaukeln, die sich von Ast zu Ast schlingen, wenn die laue -Luft durch die Wipfel geht und in der Lichtung der Mond über die Gräser -trippelt. - - -=III= - -Vom Seelöwen - -Ich sagte zum Seelöwen: »Ihre schlichte Haartracht eignet sich wunderbar -für das Element, in dem Sie leben. Aber es gehört Ihre Kopfform dazu, um -so, aller Einrahmung bar, zu bestehen.« - -Der Seelöwe schniefte. Ich wollte ihm mein Taschentuch geben, aber es war -doch besser, nichts zu bemerken. Er hatte sich in seinem nassen Dekolleté -ganz über die steinerne Brüstung seines Behälters gelehnt; mit der -unbekümmerten Schamlosigkeit einer alten, fetten Palastdame, die einsam in -der Hofloge einer kleinen Residenzstadt thront, wo die besseren Damen sonst -nur in Seidenblusen, hoch herauf, erscheinen. - -»Ihre abfallenden Schultern,« fuhr ich fort, »würden den seligen -Winterhalter zu unsterblichen Werken begeistert haben. In meiner Kindheit -war sein Ruhm auf dem Höhepunkt und die stolzesten Fürstinnen bestürmten -sein Atelier. Schultern wie die Ihrigen waren damals Vorschrift; an ihnen -rieselten die Mantillen nieder wie elegische Wasserfälle. Ja gewiß, er -würde Sie gemalt haben, am Arm ein Körbchen mit ganz unwahrscheinlichen -Weintrauben, bläulicher Parknebel und irgend etwas Gerafftes im -Hintergrund. Vielleicht auch eine Balustrade. Solche lächelnden Damen -hingen dann im Dämmerlicht in Salons mit Boulemöbeln, die sich immer kalt -anfühlten, und karmesinfarbenen Sesseln und Sofas, wo die kleinen -Mädchen Clementi übten oder etwas Leichteres von Chopin, zur -Weihnachtsüberraschung für den Vater. Die Sonne glitzerte ab und zu in -den Kristallkronen und alle Samstag kam der kleine asthmatische Uhrmacher -und zog stöhnend die schwarze Marmorpendüle auf. Die Dame an der Wand sah -lächelnd vor sich hin. Eine Tante, die im Ausland gestorben war ...« - -»Sagen Sie mir,« sprach ich zum Seelöwen, »wenn Sie so vor sich -hinsehen, kurzsichtig vor lauter Weitsichtigkeit, was ist's, das sich in -Ihnen spiegelt? Die matte, tausendmal durchatmete Luft dieses Gartens weckt -die Sehnsucht, aber tötet sie nicht die Erinnerung? Wenn Sie doch sprechen -könnten! Stundenlang wollte ich Sie hinter Ihren kleinen Ohrlöchern -krauen, wenn Sie mir von damals erzählen wollten, von den grünen, -unmenschlichen Mondnächten über den Klippen, oder von der Tiefe, wohin -die Stürme nicht mehr dringen, wo man zwischen Seepflanzen schwimmt, die -beinah Tiere sind, die sich zusammenziehen und wieder auftun wie Fäustchen -saugender Kinder. O wie begreife ich nun Ihr Schniefen, aus dem ich Ihnen -beinah einen Vorwurf gemacht hätte. Ja, Sie fahren auf den Grund, Sie -suchen, aber da ist nichts, alles zementiert, nur verfaulte Äpfel und -aufgeweichte Brotrinden, womit Unwissende Ihr Becken verunreinigten; und -dann fahren Sie hoch und prusten, und suchen in der Luft nach Salz, nach -treibendem Seegrasduft ... Ja, und dann schwillt Ihr Hals an, mehr und mehr -und pendelt wie irrsinnig von links nach rechts, Ihr kleiner Schlangenkopf -biegt hintenüber, Ihr glitzernder Rachen öffnet sich und schleudert den -Schrei hinaus, zweimal, dreimal, den großen, harten, heiseren Schrei, der -Ihre glatten, gehorsamen Weibchen vor sich hertrieb, im Morgengrau, der -Sandbank zu ... O Salz, Salzschaum in den Bartstacheln, gutes, beißendes -Salz, das durch die kleinen, runden Naslöcher hochgepumpt, das Hirn spült -und als eisklare Träne zurückrinnt in den tropfenden Bart. Ach, ich -fühle es wohl, Sie sind hier gänzlich deplaciert. Aber wer wäre es nicht -in einem Gefängnis ...! - -Wie Sie diese Philister verachten müssen mit ihren Kuchentüten und -Sonnenschirmen, mit ihren Brautpaaren und Kindern, die nicht gehorchen und -doch vor allem Furcht haben. Wie erbärmlich ist dies Geschlecht, das seine -Glieder versteckt und unter Wasser erstickt! - -Sie in ihrem Niedergang sind jedenfalls ehrlich, leben nur noch für den -Augenblick, wenn der Mann in der blauen Jacke Ihren Eimer voll kleiner, -weißbäuchiger Fische in das Bassin schüttet. Und im übrigen grunzen -Sie in der Sprache der Meergötter, die niemand versteht, und machen -Wassergymnastik, und es wäre zu wünschen, Wagners Rheintöchter hätten -Sie zum Lehrmeister gehabt. - -Meine Hochachtung. Aber ich will gehen. Es hat mich alles etwas deprimiert. -Wenn möglich, bringe ich Ihnen das nächstemal einen Seefisch. Seien Sie -mir gegrüßt!« - - -=IV= - -Myra - -Es ging gegen Abend und ich wollte gehen, aber da lernte ich eine Amme -kennen, ach, eine verzweifelte Amme, denn sie durfte nicht mehr zu ihrem -Pflegekind. Manchmal hört man Mütter sagen, daß sie ihre Kinder vor -Liebe fressen möchten, aber hier war es der Säugling, der die Mutter -fressen würde. Ziemlich gelangweilt saß er hinter den Gitterstäben. Eine -ganze Weile hatte er mit der dummen Holzkugel gespielt, denn das wurde von -ihm erwartet. Was aber nun? Ab und zu blinzelte er hinunter zu ihr, die aus -verschleierten Goldtopasen unverwandt zu ihm aufsah und nur ab und zu einen -kurzen, sehnsüchtigen Blaff ausstieß. Er aber kniff die Augen zu; sein -Schmerz war schon von der Watte Gewohnheit umwickelt; er träumte von -seiner neuesten Entdeckung: Beefsteak. - -Der Wärter kam und scheuchte sie hinaus; aber die Türen blieben der -Wärme wegen geöffnet, so kehrte sie immer wieder auf ihren Platz vor dem -Käfig zurück. »Ja, das Vieh kann einem dauern,« sagte der Mann. »Nun -sind es schon vier Wochen, daß Cäsar =II.= entwöhnt ist, aber sie gibt -noch immer keine Ruhe. Und gelitten hat sie auch, sie schwoll so furchtbar -an und hatte richtig Milchfieber. Wir wollten ihr kleine Hunde anlegen, -damit ihr leichter würde, die Jungen von der Polarhündin, die eingegangen -ist. Mein Kollege hat alles versucht, aber nein, sie ließ sie nicht -ankommen; sie ist nun mal an Löwen gewöhnt.« - -Ich sah ihn an. »Ja, dies ist das drittemal, daß sie bei Löwen Amme ist. -So eine gibt's bald nicht wieder. Aber jedesmal ist's beinah zum Sterben -mit dem Absetzen, bis sie sich drein ergibt.« - - -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- - -Wieviel vernünftiger, dachte ich, handeln die Menschen. Ein deutlicher -Fingerzeig, daß sie zum Herrschen erkoren sind. Da war Teresina, die -Toskanerin. Sie kam, vom deutschen Arzt unter vielen Aspirantinnen -auserwählt, zu meiner jungen Freundin, die sanft und erschöpft in ihren -schönen Kissen lag. Teresina schien eine Bettlerin -- sie kam in Lumpen. -»Das,« sagte der blonde Germane, »darf Sie nicht irremachen, meine -Gnädigste. Zu Haus hat sie Schränke voll Kleider und Wäsche. Dies ist -hier nun einmal Geschäftsusance. Aber sehen Sie her ... ist sie nicht -prachtvoll? =Apri=,« sagte er kurz und geschäftsmäßig. - -Teresina öffnete ihr grobes und zerrissenes Hemd. Maria Beata wunderte -sich. Sie hatte mehr erwartet. Gerade hier in der Heimat Michelangelos. -»Klein,« sagte sie schüchtern. »Klein?« wiederholte der Blondbärtige -verächtlich. »Juno könnte stolz sein auf eine solche Brust. Man bringe -den Säugling,« setzte er sachlich hinzu. - -Der Säugling wurde gebracht, von Maria Beata mit großen ängstlichen -Augen verfolgt, ähnlich einer Katze, die zusehen muß, wie man ihre -Jungen aus dem Neste hebt, um sie teils zum Leben, teils zum Stadtbach zu -verurteilen. »Lege ihn an,« sprach der Teutone zur Toskanerin. - -»=Tesoro mio=,« schrie Teresina auf, kaum daß sie ihn im Arm hatte. Und -nun kam der Paroxysmus: »=Subito si è attacato, povero bimbo, ma che -tu hai patito la fame? Ah birbone, ah figlio d'un cane, ma che tu sei -'na sanguesuga? Eh Coccodrillo, eh rospo di macchia, ma la guardi come -poppa!=« Denn in jenem Lande versteckt sich mütterlicher Enthusiasmus -schamhaft unter Injurien. Aber schon leckten ihre Augen gleich braunen -Schlängelchen der Liebe und Eifersucht an den rosigen Gliedern ihres -kleinen Milchsohns auf und nieder. Und Maria Beata erkannte, daß hier eine -Mitregentin sei. - -Als nach neun Monaten Teresina, mit einem rhapsodischen Zeugnis und -zahllosen Geschenken versehen, das Haus der =Tedeschi= verließ, war -dem ein kurzer aber rasender Schmerzensausbruch vorangegangen. Aber der -Kopfputz aus dunkelroten, getollten Seidenbändern, der sie in eine Dahlie -verwandelt hatte, die zitternden Silbernadeln und Korallenketten, die -gestickten Busentücher und großen Musselinschürzen, die Hemden und -Röcke, die Schuhe und Zwickelstrümpfe: alles ging mit, alles kam in den -großen Cassettone zu Füßen von Teresinas mächtigem Ehebett. Und das war -tröstlich. Ja, nun ging es heim zum =Marito=, der vor Porta Romana eine -Droschke innehatte mit einem einäugigen Schimmelchen, =la Stellina= -benannt, das mit grüner, heimlich ausgeraufter Gerste gefüttert wurde. -Heim in den kleinen Vorort, wo die Frauen so gemütlich in Nachtjacken vor -ihren Haustüren sitzen, mit Strohflechterei beschäftigt; wo es sich so -nett und gründlich mit den Nachbarinnen tratscht, während über einem an -den Hausmauern in praller Sonne, in vielen winzigen Käfigen, die kleinen, -geblendeten Vögel unaufhörlich trillern, weil sie ja nicht wissen -können, ob Tag oder Nacht ist. - -»Ich habe sie gleich wieder vorgemerkt,« sprach der blonde deutsche Arzt. -»Beim Principe O. hat soeben Donna Faustina, die älteste Tochter, sich -vermählt. Ich denke, das kann gerade stimmen. Es ist immer gut für solche -Fälle gerüstet zu sein. Und Teresina ist meine beste Nummer.« - -Die schöne Ausstattung von Maria Beata würde natürlich verkauft oder -im Cassettone verschwinden und Teresina würde auch dort ärmlich und -abgerissen zum Antritt erscheinen, aber im Besitz ihrer göttlichen Brust -und ihrer Zeugnisse auch dort ihre Mitbewerberinnen aus dem Felde schlagen. -Um dann, den kleinen Principe im Arm, als königliche Dahlie in den -historischen Gärten der fürstlichen Villa auf und nieder zu gehen; -gefürchtet und geehrt ... - - * * * * * - -Ich kam noch einmal durchs Raubtierhaus. Cäsar =II.= trank gerade Milch -aus einer Blechschüssel; aber er schien nicht recht bei der Sache: noch -war ihm der Wärter das heutige Beefsteak schuldig. Myra aber, die Dogge, -wurde soeben beim Halsband hinausgeschleift. Sie stemmte sich mit allen -vier Pfoten, sie wandte den Kopf rückwärts, anklagend, verzweifelt, und -ihre armen runzligen Zitzen baumelten leer und sinnlos wie ein Glockenspiel -ohne Klöppel. - - - - -Laubstreu - - -Novembertage! Wie liebe ich euch, dort in meiner Kinderheimat ... -Ergreifend wie das allererste Frühjahr und ihm ähnlich. Wie sie daliegt -die Erde und uns anblickt, ganz arm, sie, die alles gegeben hat, so wird -sie daliegen, wenn der Schnee geschmolzen ist; still atmend unter -braunem Laubgemoder, die Büsche noch kahl, und hier und dort wird eine -verschrumpfte rote Beere leuchten, die die Vögel unter dem Schnee nicht -erspäht hatten. Nur der Geruch wird anders sein, und wo der Fuß in -faulenden Blättern wühlt, wird er am Grabenrand kleine Primelvereine -aufstören, noch in sich geduckt und ängstlich, und alles, was heute -glitzert, wird auch dann glitzern, aber anders, froh und bänglich, und -jeder Sonnenstrahl, der sich in Wasserlachen spiegelt, wird anders in den -Spiegel sehen. Aber die Hügel werden so wie heut am blassen Himmel liegen, -dasselbe zartgegliederte Gezweig der Wipfel, wie Seegräser im klaren -Meerwasser, bräunlich-rosig und ganz still: es könnten Fischchen darin -ein und aus schwimmen! - -Dort bist du schön, November, schön wie verwelkende Frauen, denen Liebe -und Leid die Zeichen grub, alternde Frauen, die noch lächeln können wie -Mädchen, die mütterlich sind wie schlanke schauernde Hirschkühe; die ein -wohlriechendes Blatt mit den Fingern reiben, behutsam und begehrlich nach -den feinen und flüchtigen Dingen dieser irdischen Bescherung. - -Mütterchen Heimat! wie die Russen sagen, die so weich das Herz -streichelnde Worte haben, als hätten Kinder sie erfunden; Mütterchen -Heimat! Wie schön war der Tag, als ich zum letztenmal hinaufstieg auf den -Berg, der mir als Kind ebenso unerreichbar schien wie der Chimborasso: -erst durch feuchte, reifgraue Wiesen, an Kohlgärten und Kartoffelfeldern -vorbei, wo Feuer knisterten und der weiße Rauch rein und bitter in die -Luft schwelte. Vor mir die Höhen, braunviolett, schon entlaubt, nur hie -und da, am Waldrand, eine Buche, aufflammend wie der Engel mit feurigem -Schwert. - -Die Birnbäume in den Wiesen -- o ihr guten Holzbirnchen, die ihr den Mund -zusammenzieht und doch süß seid unter eurer Herbigkeit -- ließen ihre -roten Blätter fallen, die schmalen Wasserrinnen im Grase trugen sie fort -mit leisem Gluckgluck; Karren, mit Rüben beladen, kamen des Wegs, die -kleinen kurzbeinigen Kühe dampften in der Herbstluft, rötlich und weiß, -mit nassen rosa Schnuten und faltigen Wampen, blondbewimpert wie Rubenssche -Göttinnen. Dann tat sich der Wald auf und sein Wohlgeruch war wie ein -Rausch. An der Erde, an den Abhängen, auf allen Pfaden lag das Laub, -fußhoch; Leute harkten es herunter von den Hängen, soweit man durch die -Stämme sah; zu hohen Haufen türmten sie's, der Duft von Pilzen und Erde -und Gärung wurde immer stärker. Das wären Raschelnester gewesen für -kleine Waldgötter mit Zottelbeinchen, sich darin einzuwühlen, bis nur die -spitzen, bepelzten Ohren heraussahen; aber nun sollten die kleinen blonden -Kühe darauf liegen, im Winter, in den warmen, dunstigen Ställen, wenn der -Laternenschein über den Schnee huscht und der Rauch vom Dache aufsteigt, -zum Zeichen, daß dort Menschen wohnen. - -Der kleine Pfad war ganz schlüpfrig von den Blättern, immer höher -zickzackte er; hier war nur junger Buchenbestand, glatte Stämme in grauer -Atlashaut, ihnen zu Füßen der rostrote Teppich -- und ein Sonnenstrahl -ging vor mir her. Ganz droben begann wieder der Tannen Reich, ihre Wurzeln -deckte Moos und Sauerklee, und Brombeeren wucherten da, die im Schatten -grün geblieben; noch ein paar Schritte, und vor mir stand der plumpe, -runde Turm. 1837 war über seiner Tür eingemeißelt, und ich sah sie hier -wandeln, Mamas mit Krinolinen und komischen Sonnenschirmchen, wie man -sie auf Porzellanvasen vor Königsschlössern wandeln sieht, und Papas in -schachbrettartigen Beinkleidern, mit erstickenden Halsbinden und grauen -Zylinderhüten; und die artigen Kinder erst! Wie die Bilder in »=les -petites filles modèles=«, mit Pamelahüten und gestickten Höschen, mit -Reifen und roten Luftballons! Der Turmwart kam und erzählte, daß -sein Großvater der erste Turmwart gewesen. Er wohnte noch in demselben -strohgedeckten kleinfenstrigen Häuschen, und seine dicke Frau kam und rief -zu Kaffee und Zwetschgenkuchen. In der Küche war aufgetischt, und dort -lief eine alte, zutrauliche Hasenmutter herum, deren dunkles Fell wie -von Rauhreif übersilbert war, das schnuppernde Näschen und die glatten -Hängeohren aber kohlschwarzer Spiegelsamt. Sie war's gewöhnt, auf den -Schoß genommen zu werden, man reichte sie herum wie eine Wärmflasche, und -dann trank sie Milchkaffee aus der Untertasse, wie ein Christenmensch! -Dann ging der Turmwart auf den Turm, und ich sah ihn in der düstern -Wendeltreppe verschwinden, wo an den Balken die Fledermäuse schon im -Winterschlaf hingen, zusammengerollt wie alte schwarze Glacéhandschuhe. - -Alte Städtchen, an Bergen gelegen, haben in ihren Ausläufern -halbländliche Wege und Gassen, die die Kirche, den Markt und die Schule -mit den bäuerlichen Anwesen, den Wiesen und Äckern verbinden. Durch -solche Wege kam ich herunter, im Nebel, an Werkstätten und Holzplätzen -und fließenden Brünnchen vorüber, die in diesem quellenreichen Land -durch eiserne Schlangenköpfchen in verwitterte Tröge rauschen, eiskalt -mit einem Moosgeschmack vom Walde her. »Hähnchen und Hühnchen wollten -zusammen auf den Nußberg« -- so geht das Märchen an, das unvergeßliche; -und durch solche Wege und Gäßchen sind Hähnchen und Hühnchen gewiß -auch gekommen. Die Laternen schimmerten dunstig, Gaslaternen, die ein -buckliges Männchen anzündete. Kleine, altväterische Häuser standen -hinter Holzstaketen; in den niederen Stuben, hinter Geranien und -Fuchsien kam Licht durch die Scheiben; nun saßen drin die Menschen beim -Kartoffelsalat und tranken gelben Landwein aus dicken, grünlichen Gläsern -dazu. Auch unsere Waschfrau wohnte da; in ihrer geblümten Kattunjacke, -die Brille auf der Nase, wie eine kleine, aufmerksame Eule, stand sie und -bügelte bei der himmelblauen Lampe. Ihr Kätzchen kam aus dem Gebüsch -und lief eine Weile vor mir her mit kleinen, lockenden Turteltaubentönen. -Alles war so heimlich, so lockend, die goldenen Ritzen in den Läden, der -Schein, der über die Schwellen glitt, Laternen an Gartentoren, wo hohe -Bäume Unverständliches rauschten, und die Stimme des Kätzchens, das sich -im Dunkeln an mir rieb, sobald ich stille stand; alles, als müßt es mir -etwas sagen. - -Weiter unten, wo die reichen Leute wohnen, wird gebaut und eingerissen; wo -einst Wiesen waren mit großen Margueriten und Zittergras und alle Gräben -voll himmlischen Vergißmeinnichts, da steht jetzt Haus an Haus, die -Häuser groß und die Gärten klein ... früher war's umgekehrt. Und so -vieles fand ich nicht mehr. Feine, einstöckige Häuser mit geschweiften, -silbernen Schieferdächern, nach der Straße waren Mauern, von Efeu -überhangen, aber dahinter wußte man -- da war ein alter Garten, voll -Platanen und rauschender Silberpappeln und Azaleengebüsch, die Wege ganz -vermoost, und braune Schnecken krochen drüber hin -- =la limace -- le -limaçon= lernte ich, die eine hat ein Schneckenhaus und die andere nicht --- ja, wo ist das alles hin? Muttergotteshäuschen mit Bänken, damit die -armen Frauen ihre Körbe absetzen und ein wenig verschnaufen konnten ... Da -war auch sonst ein kleiner, schattiger Friedhof; nicht der berühmte alte -am Berghang, nein, ein ganz kleiner, noch älterer, abseits, im Tal; -im Frühling voll Jasminduft und Finkengesang, im Herbst rostbraun vom -Blätterfall und von zutraulichen Amseln bevölkert, der gab Kunde von -denen, die von hier nicht mehr heimgekehrt sind. Hier lagen sie aus aller -Herren Ländern, sogar unter russischen Kreuzen mit ihren Schrägbalken und -unverständlichen Inschriften; aber manchmal waren sie ins Französische -übersetzt und kündeten, daß da ein =Chevalier de l'Ordre de Saint -André= von seinem hoffentlich verdienstvollen Leben ausruhte, oder -ein armer junger Dmitri, eine sanfte Hélène, =ravie à ses parents -inconsolables à l'âge de dixneuf ans=, sich hier zu Tode gehustet hatten. -Denn Davos und Arosa waren damals noch nicht erfunden, und aus weiter Ferne -kamen sie angereist, denen der Tod seine Rosen auf die Wangen geküßt -hatte, und mußten dableiben, weil ihre Kraft sie verließ. »=Sacred to -the memory of Anne, the dearly beloved wife ... aged twentytwo ...=« Eine -schöne, breitschulterige Muttergottes, die einen rechten Königsmantel -von Efeu trug, hütete den Eingang und sagte: Fürchtet Euch nicht. Kinder -spielten zwischen den Gräbern, alte Großmütter saßen dort und strickten -... Ja, das ist nun verschwunden und vieles ist neu und fremd geworden, und -es ist wie mit geliebten Menschen, die sich verändert haben; man liebt sie -noch -- ach Gott, Liebe hat ja wohl auch neun Leben wie die Katzen -- aber -man wird ihrer nicht mehr froh. - -Aber droben am Waldrand ist noch vieles geblieben wie es war; es riecht wie -damals nach Erde und Moos und schwelendem Kartoffelkraut, und der Umriß -der Hügel ist derselbe, über denen die Sterne stehen, so altbekannt -- -die ewig geheimnisvolle, goldene Schrift ... Die Augen füllen sich -mit Tränen, seid ihr's, bist du's? Und man wittert in die Luft wie ein -Jagdhund, der den Dunst seines Herrn erkennt. Die Karren kehren heim aus -dem Wald, mit Laubstreu hochbeladen, all das Laub, das im Frühling seine -spitzen, seidigen Knospen aufgetan, mit dem Wind gestichelt hatte, dankbar -der Sonne, dem Leben. Nun ist es vermodert und wird die Erde düngen, wird -geben, nachdem es genommen. - -Mütterchen Heimat, sanft gehst du um mit deinen Kindern. Hier ist -Laubstreu für deine Erde! - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Buchende an den Buchanfang verschoben. - -Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. - -Symbole für abweichende Schriftarten: - - _gesperrt_ : =Antiqua= . - -Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen (z. B. Gerda -- Gerta), mit -folgenden Ausnahmen, - - Seite 33: - ";" eingefügt - (seit sie ihm gesagt, Emmo käme her;) - - Seite 36: - "," eingefügt - (die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte) - - Seite 58: - "deratige" geändert in "derartige" - (er liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen) - - Seite 59: - "Intensivkul ur" geändert in "Intensivkultur" - (immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur) - - Seite 94: - "«," geändert in ",«" - (»Der Arme,« sagte sie) - - Seite 112: - "«," geändert in ",«" - (»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante.) - - Seite 114: - "«," geändert in ",«" - (,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme) - - Seite 130: - "in" geändert in "ein" - (das eigentlich Unkorrekte durch ein gewisses Dekorum) - - Seite 136: - Absatz eingefügt vor "»Wie" - (»Wie ging das zu?« frug der Prinz) - - Seite 140: - "," hinter "nein, nein" eingefügt - (»Ach nein, nein,« sagte sie) - - Seite 155: - "." entfernt hinter "Mond" - (heraufstarrten zum Mond wie Seelen) - - Seite 155: - ".." geändert in "..." - (mehr erhellen kann ... dort ging die Frau) - - Seite 168: - "dielen" geändert in "diesen" - (aus diesen Produkten des =ancien régime= hoffte er) - - Seite 178: - "," eingefügt - (die Kinder gehören der Mutter, doch nur so lange) - - Seite 183: - "gänglich" geändert in "gänzlich" - (Sie sind hier gänzlich deplaciert) - - Seite 197: - "," hinter "dem" entfernt - (dankbar der Sonne, dem Leben) - - Seite 197: - "," eingefügt - (und wird die Erde düngen,) ] - - - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU *** - -***** This file should be named 60416-0.txt or 60416-0.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/0/4/1/60416/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll -have to check the laws of the country where you are located before using -this ebook. - - - -Title: Laubstreu - -Author: Irene Forbes-Mosse - -Release Date: October 3, 2019 [EBook #60416] - -Language: German - -Character set encoding: ISO-8859-1 - -*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU *** - - - - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - - - - - -</pre> - - - -<p class="ce fss"><span class="ge">Irene Forbes-Mosse / Laubstreu</span></p> - -<hr class="pb hrhead" /> - -<p class="ce mt2 fsl"><span class="ge"><b>Irene Forbes-Mosse</b></span></p> - -<h1><span class="ge">Laubstreu</span></h1> - -<p class="ce mt4"><img src="images/logo50.jpg" alt="" /></p> - -<hr class="hrhead" /> - -<p class="ce"><span class="ge">Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart<br /> -Berlin und Leipzig<br /> -1923</span></p> - - -<p class="ce mt2">✶<br /> -<span class="fss ge">Alle Rechte vorbehalten<br /> -Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart</span></p> - - - - -<h2>Inhalt</h2> - - -<table summary="" border="0" cellpadding="1"> -<tr> - <td class="tdl">Der Pelikan</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_007">7</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Mitleid</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_021">21</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Wie es die Kinder erlebten   </td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_045">45</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Etüde</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_087">87</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Die Waldschenke</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_127">127</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Die Verirrten</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_145">145</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Glückliche Zeiten</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_159">159</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Zoologie</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_175">175</a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Laubstreu</td> - <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_189">189</a></td> -</tr> -</table> - -<p class="ce">✶</p> - -<table class="pb mt4" summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0"> -<tr> - <td class="tdl" colspan="2"> Der Strauch erzittert,<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl" colspan="2">Wenn ein Vöglein drüber flog,</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl" colspan="2"> Mein Herz erzittert,</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl" colspan="2">Weil Erinn'rung es durchzog.</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdr" colspan="2"><span class="ge">Petöfi</span></td> -</tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -Der Pelikan</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -Zwei Menschen wanderten im toskanischen Lande. -Sie hielten sich fern von den großen Städten. Nicht aus -Menschenscheu; denn große Liebe ist wie der Panzer -des Ritters ohne Furcht und ohne Tadel. Aber es war -in der Frühlingsvollendung ein Ermatten über sie gekommen, -und in den kleinen, grauen Nestern, wo das -Land mit tausend blühenden Obstbäumen, die Hügel -hinan, gegen die alten Mauern zu Felde zog, ließen sich -die letzten Tropfen mit trägeren, tieferen Zügen trinken. -Hier waren nur einfache Menschen, die die Erde umgruben -oder vor den Häusern saßen mit ihren Handwebstühlen -und Korbflechtereien: irgendein graues Steinwappen -über der Tür deutete wohl zurück in alte, streitsüchtige -Zeiten, aber in diesem gleichmütigen Sonnenschein -dachte man nicht an sie, streichelte ein Kätzchen, -lächelte einem braunen Mädchen zu, das mit schönen -überfließenden Kupfergefäßen vom Brunnen kam; da -war kein Peitschenknallen, kein Menschengedräng, keine -großen, weltberühmten Bauten, die beiden aus ihrem -Behagen aufzuschrecken, wenn sie durch das silberne -Land schlafwandelten, das sie anzublinzeln schien wie -eine heimlich Verbündete. Ohne Plan gingen sie, -hügelan und hügelab, zwischen Mauern auf engen -gepflasterten Wegen, über die der Schattentanz der -Olbäume zitterte, oder die Mauern hörten auf, und -man sah weit aus ins Grau, ins Silber, von Mandel -und Pfirsich und Kirsche weiß und rosig getupft; -feine Kirchtürme ragten, zart und erlesen, und immer -<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -neue Hügel taten sich auf, breitschultrig und grau -und gütig.</p> - -<p>So kamen sie einmal zu einer kleinen Kirche, bei der -ein paar verwitterte Denksteine standen und lagen, von -wildem Salbei umwuchert; seitwärts eine niedere Mauer, -das Gärtchen umschließend, wo eben der Pfarrer, mit -geschürztem Kleide, die Gießkanne in der Hand, zwischen -Artischocken und Brokkoli und süßduftendem Goldlack -umherging. Als er die Fremden erblickte, kam er herbei, -trocknete sich die Hände und stellte seine Führerdienste -freundlich und selbstverständlich zur Verfügung. Denn -in dem Kirchlein war ein schönes Grabmal von berühmter -Hand, das weiß und unverletzt in der Verlassenheit -ruhte, wie in Italien nicht selten, wo in weltvergessenen -Winkeln die zartesten Wunder leben, als sei die Schönheit -mit zerrissener Perlenschnur durchs Land gegangen, -achtlos, wohin die schimmernden Tropfen rollten.</p> - -<p>Sie traten in die Dämmerung der Kirche. Überall -schälte sich der Bewurf von den Mauern, daß der -zartrosa Ziegel und Überreste früher Fresken sichtbar -wurden: hier eine flehende Hand, ein Stück blauen Gewands, -dort ein runder Baumwipfel, mit Früchten und -Vögeln beladen. Aber der Altar glänzte in neuer Ölfarbe -und vergoldetem Zierat, und an den Wänden hingen die -Stationen des Leidenswegs in grellbunten Bildern. -Da – in einer Seitenkapelle – blieb alles zurück, das -Grabmal lag so rührend in seiner wehrlosen Schönheit -und hatte doch – wie einst <em class="ge">eine</em> reine Jungfrau ihre -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -Heimatstadt vor der Pest bewahrte – die verwitterte -Kapelle vor Kelle und Kalktopf und schlimmerer Unbill -bewahrt.</p> - -<p>Eine Schwester hatte es ihrem Bruder errichtet in -jener Zeit, da man durch Werke selig und unselig wurde -und es dafür wohl weniger Gedankensünden gegeben hat. -Die Furchen des hagern, nachdenklichen Gesichts waren -leicht bestaubt; in jeder Mantelfalte, zwischen den ums -Schwert gefalteten Fingern hatte sich Staub angesammelt; -so war der Ausdruck, trotz des dämmerigen Lichts, deutlich, -gleichsam unterstrichen. Es lag freigebige, menschliche -Güte auf diesen Lippen, ja ein wenig gutmütiger -Spott zuckte in der Wange, schien hinüberzuwinken in -eine spätere Zeit; aber die Stirn war entschlossen und -sorgenvoll, und die Hände, zum Halten wie zum Geben -tauglich, würden nicht lange die betende Stellung bewahrt -haben, hätten sie gefühlt, wie jemand den schönziselierten -Schwertknauf berührte.</p> - -<p>An der Mauer gegenüber war die Grabstelle der -Schwester, eine lateinische Inschrift an der Wand, und -auf der Erde, da, wo ihr Sarg versenkt war, eine Marmorplatte -mit eingemeißeltem Wappen und Federgekräusel. -Sie hatte nur wenig Jahre nach dem Bruder gelebt, -seinen Namen geehrt, sein Gut verwaltet und hier, bei -seiner Ruhestätte, in der spitzfindigen Demut jener Zeit -als Franziskanerin gekleidet, die ewige Ruhe gefunden, -nachdem sie ihr Eigentum verteilt und im Hofe ihres -Landhauses täglich alle die Elenden, die Bettler und -<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -Kranken und Krüppel gestärkt und verbunden hatte. Aus -den alten Scheiben fiel Regenbogenlicht wie ein Schmetterlingsschwarm -über die Ranken und Zacken des Wappenschilds. -Ach, war es nicht schön und stolz, nach stillen, nützlichen -Jahren hier zu ruhen, dem einen nahe, dem ihr -ganzes Leben, wie selbstgesponnene und -gewobene Leinwand -unter die Füße gebreitet war? Was auch sonst ihre -kleinen, verbrauchten Jungfrauenhände geschafft und gewirkt, -wieviel Wunden sie gewaschen, wieviel Brot sie -verteilt hatten, <em class="ge">diese</em> Liebe war der Wein ihres Lebens -gewesen ...</p> - -<p>Die Frau trat zum Grabmal des Bruders zurück und -legte ihre Hand in die sanfte Mulde zwischen Schulter und -Brustwölbung, erschaffen, um ein schlafendes Haupt zu -stützen, und bei Frauen eben groß genug, um ein Kinderköpfchen -aufzunehmen.</p> - -<p>Und es ging ihr ein schmerzliches Entzücken durchs -Herz, wie eine Seligkeit, die man nicht nennen, nicht festhalten -kann, kurz vor dem Erwachen in der Frühe, wenn -der Traumfaden immer feiner wird und abreißt ohne -Schluß.</p> - -<p>Als sie nun wieder aus der Kirche herauskamen, sah -die Frau, sich wendend, um Abschied zu nehmen, zu einem -kindlich in Stein geschnittenen Neste über dem Türbogen -empor, darin sich ein Pelikan für seine Jungen die -Brust zerfleischte.</p> - -<p>»Das ist,« sprach der Pfarrer, ihrem Blicke folgend, -»unsere Heilige-Mutter-Kirche, die sich den Sündern und -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -Verirrten hingibt und die Traurigen und Mühseligen an -ihr Herz nimmt wie der Pelikan seine Kinder ...«</p> - -<p>Wie katholisch, dachte die Frau. Dieser freundliche -Mann will jedem, der mit den Wellen kämpft, ein Ruder -hinhalten, ihn daran zurückziehen in die große Familienarche. -Seine Religion hat so viel Winkel und Schnörkel -und Ruhepunkte wie die alten gotischen Dome, in deren -Zacken und Simsen Tauben nisten.</p> - -<p>Dann schnitt der Pfarrer Goldlack für sie ab, und wie -sie so dastand, halb noch zurückgewendet, hätte sie in der -Demut ihres Herzens am liebsten still ein Kreuz geschlagen; -auch tat es ihr leid, daß er gemerkt hatte, daß sie nicht zu -seiner Kirche gehörten, und so gütig und ausführlich hatte -er ihnen doch alles erklärt. Darum hätte sie das symbolische -Zeichen, das niemand schaden kann und dem alten -Manne heilig war, gern angebracht; aber sie war nicht -allein und verpaßte den Augenblick, und wenn man in -Gefühlssachen nachdenkt, so unterläßt man Dinge, die -eigentlich so einfach sind.</p> - -<p>Nach Jahren kam sie allein zurück. Sie bewohnte ein -kleines Fremdenheim am äußersten Gürtel der Stadt, -wo sie in kurzer Zeit ins freie Land gelangen konnte. Es -war Sommer, und den ganzen Tag ging die Feile der -Zikaden von den Platanen der Ringstraße. Feigen gab -es in Überfluß, an jeder hing die reife Süßigkeit wie ein -klarer Bernsteintropfen; aber Rosen gab es nicht mehr. -Die Erde war wie gebacken, die Hecken an den Wegen -staubgepudert und leblos; auf der Windseite hatten die -<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -Zypressen einen grauen Überzug, und die Luft schmeckte -nach Staub; es würde noch Wochen dauern, bis Regen -kam. Wenn sie dann am Abend ihr Fenster auftat und -die noch glühende Luft hereindrang, dachte sie manchesmal -an jungen Buchenwald in ihrer Heimat, wenn sich -die Kronen nach einem Regenschauer dehnen, oder an -die Wiesen daheim, noch ungemäht, wo zwischen Erlen -und Haseln der Bach schlüpft, übervoll, durchsichtig braun -mit goldenem Sonnengekringel; aber doch sehnte sie sich -nicht fort. Ihre Bekannten hatten längst die Stadt verlassen, -aber das Losreißen wurde ihr schwerer denn je, -ach, überall hatten sich Wurzeln ihres Herzens festgesaugt. -Nun war die Zeit, da die fliegenden Buden der Limonadenverkäufer -aus der Erde schossen, mit unzähligen, -vielfarbigen Flaschen, mit Papiergirlanden und baumelnden -Zitronen geschmückt; arme Kinder gingen und -kauften sich Eis, löffelweis, für zwei Centesimi, und das -winzige Schwesterchen, dem ein kleiner Papierfächer am -Ärmchen hing, leckte zuerst, und der große Bruder leckte -auch, aber eigentlich tat er nur so, damit das Schwesterchen -alles bekäme. Die Militärmusik spielte auf den -Plätzen, und schöne sonnenbraune Ammen, die mit ihren -bunten, getollten Haarbändern wie eine Versammlung -königlicher Georginen breitschultrig auf allen Bänken -saßen, die Bambini mit den Samtaugen streichelnd und -ihre braunen Brüste darreichend, schwatzten mit heiseren -toskanischen Kehllauten und wiesen beim Lachen ihre -kleinen, gesunden, feuchtglitzernden Zähne. Aber auch -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -drinnen in der Stadt verlegte sich das Leben mehr und -mehr auf die Straße. Aus all den Rembrandthöhlen der -Schuster und Schreiner tauchten alte und junge Gestalten -und schafften vor offenen Türen; und bei offenen Türen -auch übte der Barbier seine Kunst aus, in seiner weißen -Jacke geschmeidig wie ein Hermelin. Als wäre man mitten -in eine Komödie von Goldoni geraten, oder als sollte im -nächsten Augenblick die Musik zum »Liebestrank« einsetzen -und Doktor Dulcamaras Wunderkarren auf den -Platz rollen. Nun war die Zeit, daß die Statuen und Gemälde -in den verlassenen Galerien ihr zu winken schienen: -»Wie, du willst gehen? Bleibe, wir sind allein, wir wachen -und reden, Heidengötter und Christengötter, alle hat uns -die Schönheit angehaucht mit ihrem unvergänglichen -Kuß.« Und um sie alle wob die Einsamkeit immer wieder -jene feine, befremdende Luftschicht, die erlesene Kunstwerke -umgibt, anlockend und abwehrend und niemals -ganz bezwungen.</p> - -<p>Aber das liebste von allem waren ihr die stillen Höfe -der Kirchen, die früher Klöster gewesen sind. Mit ihren -großen, schläfrigen Katzen, dem heißen sonnigen Fleck in -der Mitte und darüber ein Stückchen tiefblauen Himmels; -plötzlich ein leuchtender Taubenflug, wie rauschte das -durchs Herz! In den Klosterhöfen schimmerten die fedrigen -Sterne an den Myrtenbüschen, bitter würzig; aber -die Oleanderblüten lagen gebräunt und verwundet auf -den Steinplatten der Kreuzgänge; unaufhaltsam destillierte -die Sonne das flüchtige Öl aus Kräutern und -<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -Blättern. Und stundenlang konnte sie da sitzen, auf einem -Mäuerchen, einem Säulentrümmer ... bis schließlich -der freundliche Kustode kam und sagte, es würde geschlossen ...</p> - -<p>Es war gegen Abend, als der kleine Einspänner sie nach -jenem Kirchlein fuhr, das sie seit damals nie wiedergesehen -hatte. Die grausamen, quälenden Jahre waren nun -vorbei, als sie Augen und Ohren zuhielt, nur um nicht -erinnert zu werden, als sie Ruhe nur fand an Stätten, -wo sie früher nie gewesen. Jetzt hatte sich etwas geändert. -Denn es war so vieles seither über sie hereingebraust, -Dinge, von denen man weiß, daß sie immer in der Welt -waren, daß sie niemals unmöglich sind; aber am eigenen -Weg hatte man sie nie erwartet, und auf einmal sind -sie da und legen einem die Hand auf die Schulter – wie -wenn einer verhaftet wird, der sich sicher fühlte im -Menschengewühl. Ach, diese harten, einfachen, trostlosen -Dinge, die da gestanden hatten und gewartet ... Und -jetzt, auf einmal, hatte sie Heimweh nach jenem ersten -brennenden Leid, heute schien es ihr kostbar, denn es -war ja so traumhaft verwoben mit Lebensdrang und Ungeduld -und Entzücken, und nun suchte sie in der Erinnerung, -und siehe, der Schmerz war dumpfer geworden, -aber das Freundliche, das Entzückende jener Tage lebte -auf, und Stunden gingen an ihr vorüber und lächelten -ihr zu, den Finger an den Lippen.</p> - -<p>Ach damals, wie alles zu versinken schien, jung war -damals ihr Herz; jeder Nerv hatte sich kläglich gewunden -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -und um Gnade gefleht, wie ein verbranntes Kind das -Händchen hinhält und nicht glauben will, daß das je vorübergehen -kann. Aber es hatte sich doch gewandelt; denn -die großen, harten Dinge waren gekommen und die Zeit -war gegangen, grau und unbekümmert, und nun war sie -wieder hier und witterte und horchte und suchte ihr erstes -Leid in zitterndem Heimweh. Und fand es wieder an -abgeschrägten Straßenwinkeln, wo man zwischen Mauern -hinuntersieht, und ganz in der Ferne sind die unvergessenen -Hügel, zart und karg und traurig im Abendrot, -die Straße führt hin, führt ins Paradies ... fand es -wieder, wenn sie ein Lorbeerblatt zwischen den Fingern -rieb oder wenn am Abend der Geruch von schwelendem -Rebenholz durch die Luft zog ... fand es wieder, wenn -sie nachts, halb schon im Schlaf, die ächzenden Karren -hörte, den heiseren Gesang der Männer, die, einen Grashalm -im Mund, auf ihren Lasten ausgestreckt, die Pferde -im Sternenlicht lenken.</p> - -<p>Der Wagen hielt; an dieser Stelle ging das letzte Stückchen -Wegs steil aufwärts. Die Frau stieg aus; auch damals -waren sie hier ausgestiegen, um das kleine eifrige Pferd -zu schonen. Der Himmel öffnete seine Perlmutterschalen -über der matt atmenden Welt. Der kleine Garten war -leer, der Pfarrer nicht zu sehen, aber drinnen in der Kirche -putzte eine alte Frau den Altar mit Papierlilien. Sie -schritt nach der Seitenkapelle. Dort war es beinah Nacht, -das bunte Fensterglas schwarz, nun die Sonne es nicht -mehr durchglühte. Aber der stille Mann schimmerte treugeduldig -<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -in seiner Einsamkeit, und auf seinem Antlitz -fand sie das feine, sorgenvolle Lächeln wieder, als warte -er auf einen Ruf, auf eine Antwort und sähe ein, daß -er sich für heute bescheiden müsse; ja, noch lebendiger -schien ihr der Mund, schienen ihr die kraftvollen Hände, -als ob das Herz noch immer, stillgeschäftig, seine Eimer -vollschöpfte und wieder ausgöße in das Geäder des -ruhenden Leibes. Ja, da war auch die Mulde zwischen -Schulter und Brust, groß genug, daß man den Kopf hineindrücken -konnte, dort Stein zu werden in tiefem, -wunschlosen Schlaf. Sie fühlte Tränen in der Kehle und -biß sich auf die Lippen, denn Weinen war ihr keine Erlösung. -Schritte hallten durch die Kirche, es war die -Frau, die zuschließen wollte für die Nacht. Da wandte -sie sich ab und ging, und hinter ihr blieb der Schlummernde -allein. Nun stand sie draußen, und die Luft war um sie -wie linder Atemzug. Über ihr leuchtete das Nest des -Pelikans im letzten Licht. Da schien ihr, als sei's das -Sinnbild der Frauenliebe, die gern das Letzte hingibt -und ihr Glück bezahlen muß mit Geduld und mit -Gefahr.</p> - -<p>Ob es uns gutgeschrieben wird, daß wir Menschen alles -so teuer erkaufen, dachte sie. Wie heißt's doch immer, -wenn die Richter mitleidig sind und ein Einsehen haben: -die Untersuchungshaft soll angerechnet werden ... Bei -uns daheim hing ein Knüttel am Stadttor, darunter -stand: Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet -später selber Not, den schlag man mit der Keule tot. Das -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -war sehr alte, und doch ganz moderne Weisheit, viel -moderner als deine, alte Pelikanmutter! ... Bin ich -meiner Mutter dankbar, daß sie mich in dies Leben -brachte? dachte sie wieder. Maskenfeste in Labyrinthen, -hier und da ein Umschlingen, bleibe, ach rede zu mir, -dieselbe Sprache reden wir ja. Oh, nur bis der Weg sich -teilt, dann wieder allein, fremde Zungen ... Und wenn -man dann nicht mehr zu jemand sagen kann: es war alles -gut, Nacht und Licht, Süßigkeit und Bitterkeit, nur Dank -fühle ich, Dank sei dir heute und immer – oder wenn -man im Morgengrauen erwacht und an die Augen von -Schwerkranken denkt, wie auch sie den Tag erwarteten, -der keine Hoffnung brachte, und die Fensterscheiben fingen -an hell zu werden ... o das! Schöne, schöne Erde, warum -wird es uns so schwer gemacht!</p> - -<p>Der Tag war ganz geschwunden, das steinerne Nest -über ihr sah grau und geisterhaft in die Luft, wo die -Fledermäuse anfingen hin und her zu zucken. Unter ihr, -im Dunst, erwachten viele Lichter; dort war Leben und -Lärm, hier oben war es totenstill. Sie dachte an den -alten freundlichen Pfarrer. Unsere Mutter Kirche, hatte -er gesagt. Ob sie wirklich die Menschen trösten konnte, -wenn sie sich so hineinwühlten, wie Kinder in das Kleid -der Mutter? Versprach sie ihnen doch so vieles, hatte so -schöne, schauernde Worte der Verheißung; man <em class="ge">mußte</em> -ihnen glauben, so schön waren sie. Und das eben war es -wohl, was die Kirchen immer wieder stützte und aufrecht -hielt: die Sehnsucht nach den Toten.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -Sie ging langsam den steinigen Weg zum Wagen hinunter, -zwischen Mauern, über denen dunkle Köpfe sichtbar -wurden. Ein kleiner Spitz lief oben entlang und gab -ihr kläffend das Geleit. Das heiße Feilen der Zikaden -hatte längst aufgehört, aber aus allen Gräben und Mauerritzen -zirpten nun die Grillen, kühl und zart. Das war wie -daheim auf den großen Waldwiesen, wo jetzt die Glockenblumen -standen und das Zittergras. Sie horchte auf und -schlug die Hände ineinander. Nun wollte sie heimreisen; -sie hatte gefunden, was sie suchte. Nur noch vereinzelt -klang der Grillenton, wurde immer weniger, je mehr sie -sich der Stadt näherte. Es war ganz dunkel geworden, -hier dauerte die Dämmerung nur kurze Zeit. Sie saß -sehr aufrecht, mit weit offenen Augen. So fuhr sie zurück -durch die laue, windstille Nacht.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -Mitleid</h2> - - -<table width="100%" summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0"> -<colgroup> - <col width="9999" /> - <col width="auto" /> - <col width="auto" /> -</colgroup> -<tr> - <td class="tdl"> <a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a></td> - <td class="tdl" colspan="2"><i> La peine qu'on a n'est rien,<br /> - mais celle qu'on a faite aux autres<br /> - empêche de manger son pain.</i></td> -</tr> -<tr> - <td> </td> - <td class="tdr" colspan="2"><i>P. Claudel</i></td> -</tr> -</table> - - -<p>Sophie Barnekow hatte geklopft, ohne Antwort zu -erhalten; nun öffnete sie leise die Tür, um sie aber -sofort wieder zu schließen, behutsam, wie man's in der -Krankenpflege erlernt.</p> - -<p>Dort im halbdunkeln Raum, wo die Sonne durch die -schräggestellten Läden glitt und goldene Leitern auf die -Dielen malte, wo der Geruch von Reseda und nassem -Kies und das leise Klirren von Gießkannen durch die -offenen Fenster eindrang, saß Meisi, ihre junge Herrin -und Schutzbefohlene, nicht allein. Neben ihr, die Hände -um eine Stuhllehne geschlungen, stand Rütten. Ohne -die Frau zu berühren. Und doch, hätten sich beide in den -Armen gelegen, festgeklammert, Blick in Blick getaucht, -nicht deutlicher hätte es von letztem, bitterstem Abschied -reden können.</p> - -<p>Von Meisi war nichts zu sehen gewesen als der braune -Hinterkopf und das feine Genick, da, wo der Haaransatz -in warmen goldenen Flaum überging; tief auf den Tisch -gebeugt. Wie oft befestigte Sophie das kinderweiche und -doch eigensinnige Haar, mit ganz wenig Nadeln, weil -alles gleich Kopfweh machte; immer wieder glitten die -Zöpfe hinunter, dann mußte Sophie leise erinnern: -»Liebste, Ihre Haare.« Und auch eben hatte das Ende -einer Flechte über die Schulter gehangen. Kleine -physische Eigentümlichkeiten geliebter Menschen können -<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -einem ans Herz wachsen und es seltsam wehrlos machen, -mehr als die Tugenden, die sie besitzen oder die wir ihnen -andichten. So fuhr's ihr auch jetzt durchs Herz, und was -erst Erschrecken gewesen, empfand sie nun als tiefe, -schmerzende Zärtlichkeit. Sie seufzte auf und schlüpfte in -ihr Zimmer gegenüber zurück.</p> - -<p>Starke Leidenschaften, die ihr Ziel in offenem Aufruhr -oder auch durch List und Heimlichkeit und manche schmerzliche -Selbsterniedrigung zu erreichen wissen, waren -Sophie fremd geblieben. Sie wußte, es gab dergleichen. -Aber doch nur so, wie man von Mormonen liest oder von -den Bacchanalien entarteter Cäsaren. In ihrem klaren, -hilfreichen Wesen, ihrem Abscheu vor jeder Unsauberkeit -und Unordnung war kein Raum für Ungeregeltes; eine -verbotene Liebe lag ihr im Grunde ebenso fern wie -Taschendiebstahl. Dabei – oder vielleicht gerade deshalb -– konnte sie von verblüffender Parteilichkeit sein, -wenn sich's um Menschen handelte, die sie liebte. Sie war -aus dem Holze geschnitzt, das gute Royalisten abgibt. Wen -sie einmal liebte, zu dem hielt sie auch, er mochte tun und -lassen, was er wollte; das war doch sehr einfach. Und -dann – bei näherem Zusehen müßten gewiß Gründe -genug zu finden sein, die alles erklären würden; wenn sie -selbst auch gar nicht danach suchte.</p> - -<p>Auf ihrem Bett lag die eben abgelieferte Wäsche. Ihr -Blick glitt an einem grauen Leinwandkittel entlang, der -in seiner knabenhaften Spärlichkeit etwas von Meisis -Umriß bewahrte. »O du Armes,« sagte sie vor sich hin, -<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -und ihre Augen fingen an zu brennen. Dann begann sie -mit ihren feinen, verbrauchten Händen die Sachen zum -Ausbessern zurechtzulegen.</p> - -<p>Drüben in dem dämmrigen Zimmer war es sehr still. -Die leise Stimme des Mannes redete in abgebrochenen -Sätzen, so von fernher, wie Selbstgespräch. Die Frau -hörte und hörte auch nicht. Denn ihr war, als hätte sie's -längst gewußt, daß er einmal so reden und handeln würde. -Es hing ja alles in ihm – wie man es sonst nur bei -Pflanzen findet – ganz selbstverständlich zusammen; so -wie die äußersten Zweiglein einer Eiche immer noch die -Gewaltsamkeit der Äste, den Eigenwillen der Wurzeln -ausdrücken. Es waren in diesem Manne wenig Widersprüche, -er mußte handeln, wie er empfand, mußte dies -lieben, weil ihm jenes widerstrebte, selbstverständlich und -unerbittlich in seinen Neigungen und Abneigungen wie -ein Tier, wie ein Künstler, wie ein kleines Kind.</p> - -<p>Meisi drückte noch immer die Stirn auf den Arm, der -sich um die Tischkante krampfte; denn sie empfand es -dumpf: solange sie nicht aufblickte, würde er nicht fortgehen, -erst mußte er ihr Einverstehen in ihren Augen erzwingen, -eher konnte er sie nicht allein lassen, nicht aufhören -zu reden, zu überzeugen. Und ob ihr auch das Blut -in den Ohren rauschte und sie kaum verstand, was er -sprach: ach, er war doch immer noch da, sie atmete den -leisen Duft seiner Kleider; eins nur sollte er nicht, nicht -aus dem Zimmer gehen. Oh, solche Tür, die zufällt, -nein, nur das nicht. Dableiben, im Zimmer bleiben, er -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -sollte sich auch gar nicht um sie kümmern. Am allerseligsten -war es doch immer gewesen, wenn sie still im -Zimmer saß und nur auf die kleinen Geräusche horchte, -wenn er den Bleistift hinlegte oder wieder ein paar -Seiten aufschnitt in dem dicken, verzweiflungsvollen Buch, -das er las. Über Heimindustrien war's gewesen. O Gott, -die unglücklichen Menschen, von denen da erzählt wurde; -welch entsetzliche Winkel gab es in der Welt, warum -durfte das sein! Wenn sie ein König gewesen wäre, all -die stillen, leeren Königsschlösser hätte sie den Armen -aufgetan, herrlich erwärmt im Winter und im Sommer -kühl und hallend inmitten heißer brütender Wiesen, mit -grünen Schattengängen und Nachtigallenschlag. Man -dachte nicht genug an andere, wenn man selber glücklich -war, ach glücklich zum Sterben, als versänke und ertränke -man in einem riesenhaften Maiblumenstrauß und würde -ohnmächtig vor lauter Wonne. Ob so arme schmutzige -Menschen jemals so etwas hatten? Immer nur Ruß und -Lärm oder zu Haus zusammengepfercht mit verklebten -Fenstern. Und alles so häßlich, auch die Kinder, und nichts, -auf das sie sich freuen konnten morgens beim Erwachen. -Aber Gerhard würde etwas ersinnen, um ihnen zu helfen, -er schien Hilfe auszuströmen wie kluge Ärzte. Natürlich, -es brauchte alles Zeit, und einstweilen war es doch kein -Unrecht, wenn Glückliche ihr Glück genossen. Sie wollte -niemand etwas wegnehmen, das brachte sie gar nicht -fertig, es hätte ihr alles vergällt, aber ihn – ihn konnte -sie nicht hergeben. Sie war abergläubisch geworden. -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -Wenn sie etwas Hübsches besaß und jemand bewunderte -es, gleich hatte sie's hergeschenkt. Hatte vielleicht Gott bestechen -wollen mit Opfergaben, damit er ihr das Eine, -Einzige nicht wegnehme ... ja und nun nahm er es doch.</p> - -<p>Immer fester drückte sie die Stirn auf den untergelegten -Arm. Wie gern hätte sie nach seiner Hand gegriffen, -da, ganz nah; aber sie wußte, dann würde er sie -streicheln und emporziehen und sie mußte noch einmal -sagen: Nein, nein, ich kann nicht – ja, und dann würde -er gehen.</p> - -<p>»Meisi,« sagte die Stimme über ihr, »was hilft das -Hinausschieben, es geht doch so nicht weiter. Du willst -nicht mit mir gehen, und so wie du nun einmal bist und -wie die Dinge liegen, verstehe ich ja, daß du, der es so -hart ankommt, Schmerzen zu bereiten ... Und es ist -auch begreiflich, daß dir <em class="ge">mein</em> Schmerz erträglicher -scheint, eben weil du ihn teilst, während du dort einen -tiefen Schnitt tun mußt und deiner Wege gehen. Ja, und -auch darin hast du recht, wenn du auch sehr zornig warst, -als du es sagtest, ich sei nicht so schlimm dran wie du, ich -hätte meine Freiheit und meine Arbeit und mein Bergsteigen. -Nun, das Bergsteigen wollen wir fürs erste nicht -zählen (er lächelte, o so traurig) – diese Freuden, siehst -du, waren so eins mit dir, daß das alles zu – anders -wäre. Aber meine Arbeit, ja, die wird mir helfen, darauf -zähle ich auch. Zuerst wohl nur als Betäubung ... aber -man muß eben graben und graben, und wenn man nach -Jahren der Wahrheit um einen Kinderschritt näher gekommen -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -ist, so ist das ja wohl auch Glück. Und -alles das sag' ich dir, Meisi, damit du ganz ruhig seist, -was mich angeht.«</p> - -<p>Meisi hob ein wenig den Kopf. Sie hatte einen roten -Fleck an der Stirn, vom Tischrand; es sauste und sang in -ihren Ohren. Ach Gott, es war zu Ende, ganz und gar, -er ging fort. Sein Gepäck, das sie so gut kannte, sie hatte -ihm ja manchesmal geholfen es auszupacken, die große -Ledertasche, die so gut roch, und der rauhe Mantel aus -ungebleichter Wolle, alles würde aufgeladen werden, und -er würde dem Maulesel voran den Paß hinunterlaufen, -als ging es zu einer Bergpartie. Aber den nächsten Tag -käme er nicht zurück, braungebrannt und freundlich und -still, den Bergfrieden auf der Stirn und wie das Rieseln -der kleinen Bergbäche in der Stimme. Sie würde auf -der Terrasse hinter dem Gasthaus auf und ab gehen, wo -der Pfarrer und der Wirt und der kleine italienische -Schuster Boccia spielten am Abend und auf dem Mäuerchen -Kürbisse lagen zum Dörren. Die lustigen bayerischen -Malerinnen würden herauskommen, Schnaderhupfl und -Kugelhupfl, wie Gerhard sie nannte, und das junge englische -Ehepaar mit dem Kätzchen, und sie würden fragen: -»Kommt Ihr Freund heut abend zurück?« Nein, nicht -heut, nicht morgen, nie wieder.</p> - -<p>Sie hatte eine besondere, qualvolle Fähigkeit, kommende -Trostlosigkeit zu wittern, zu schmecken, ihre Kälte -im voraus zwischen den Schulterblättern zu fühlen. So -konnte sie sich sein Zimmer, ach das liebe, liebe Zimmer, -<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -vorstellen, wenn alles verpackt war und alles wieder fremd -geworden, schon abgewandt, Menschen und Dinge treulos -geworden einander. Ja, dies Zusammenschnüren in -der Herzgrube, das den Zurückbleibenden schärfer anfällt -als den, der geht, sie spürte es schon jetzt. Wenn die Dinge -nachher eintrafen, war's wie ein Erkennen, als hätte -man schon die Generalprobe dazu erlebt. Dank dieser -Fähigkeit konnte sie dann gefaßter und umsichtiger sein, -als man es ihrem raschen, wechselnden Temperament zugetraut -hätte.</p> - -<p>»Meisi, mein Liebes,« sagte die Stimme, und sie verbarg -die Augen wieder auf dem Arm – er sollte nicht -darin lesen, nicht ihre Ergebung, ach, sie war nicht ergeben, -aber auch nicht ihre Hoffnungslosigkeit, die auf -dasselbe herauskam – »ich will dich nicht betrüben und -unruhig machen; wie du geschaffen bist, muß dein Gefühl -allein entscheiden. Zerbrechen kann ich, will ich dich nicht. -Aber denke an eins: es ist <em class="ge">ein</em> Ding, für einen anderen -sterben, rasch, mit geschlossenen Augen ins Feuer hinein; -aber etwas anderes ist's, für einen anderen verdursten, -verkümmern, langsam an jedem Nerv den Tod erleiden, -Tag für Tag. Da kann Opferfreude zu Haß werden, und -wo man reichlich geben wollte, gibt man schlechtes Maß. -Und dann ist nur Bitterkeit und Reue um jeden Sonnenstrahl, -um den man sich gebracht hat. Darum, wenn du -doch den einen, tiefen Schritt tun könntest, so sei nur -immer gewiß, ich bin da. Aber warte nicht, denn es wird -immer schwerer und weniger reinlich. Du hast es manchmal -<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -hart empfunden, daß ich so finster war, und hattest -mir doch alles zu Liebe getan. Und mußt den Grund doch -geahnt haben; brauchst mich ja nur anzusehen, so weißt -du, was ich denke. Weil du's so gut verstanden hast, alles -aus dem Weg zu räumen, was dir hier ja nicht schwer -wurde, denn wer betet dich nicht an, ob es nun Sophie -ist oder der alte Pfarrer oder die anderen Gäste und der -kleine Schuster, der dir Nägel in die Schuhsohlen klopft ... -Aber auch mit allem, was sich in uns selber gegen uns erhob, -wußtest du so gut fertig zu werden, immer hattest -du ein gutes Wort bereit. Wenn ich dich so herumtrippeln -sah wie ein Bachstelzchen, besorgt und doch triumphierend -und immer ganz sicher durch tausend Windungen und -Verdrehungen deinen Weg findend, und mußte mir sagen, -das ist nun die Spur von meiner Hand in deinem -Leben ... Meisi, laß es klar um uns werden! Ja, ja, ich -weiß, du hast ein Leben von Szenen und Aufregung gehabt -und das ewige Ausweichen ist dir Gewohnheit, ach -und dein Verlangen nach Ruhe und Harmonie wollte -sich's auch einmal wohl sein lassen. Da bautest du ein -Labyrinth, in dem du jeden Ausweg kanntest, und hast -unsere Liebe gehütet und versteckt und getröstet mit -deinen lieben schönen Händen. Aber nun geht das nicht -mehr, es kommt ein häßlicher Tropfen in unser Bestes. -Meisi, wie gestern Sophie den Brief hinlegte, ohne dich -anzusehen, und du stecktest ihn in die Tasche, ohne ein -Wort ... ach, mich schüttelte der Ekel. Was sag' ich dir da -für harte Worte. Und du bist so weich und so traurig. Aber -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -ich muß es doch aussprechen, denn du allein mußt ja entscheiden. -Was brauch' ich dir zu sagen, was du mir bist! -Wenn du ins Zimmer kommst, ist alles gleich anders; -immer ist Festtag um dich her. Wie oft hab' ich wachgelegen, -ganz früh, wenn du noch schliefst, und die reine -Morgenluft kam herein und schien eins zu sein mit dir – -und da habe ich das Leben gesegnet, das mir so viel geschenkt. -Und wenn ich las und schrieb – trockenes Zeug – -ach, wie ein süßer Unterton warst du doch immer dabei; -bei allem, was ich tat. Oft hab' ich über dich gelacht, wenn -du bei jeder Frage, jedem Fortschritt sagtest: ›Wem wird -das nützen?‹ Aber es war mir doch lieb an dir, wie deine -Tränen der Empörung und deine Art, Krankes und -Kleines anzufassen und einfache Leute zutraulich zu -machen. Wenn du sie auch oft recht süß zu beschwindeln -wußtest ... nun ja, aber du hast sie glücklich gemacht. -Und all das Liebe, das du anderen antatest, das tatest -du mir an, denn auch das machte dich mein, machte mich -so gänzlich dein, auch wenn ich in einer Gedankenwelt, -die dir fremd blieb, einherging und meine Erkenntnis -ausprobte, einriß und wieder zu neuer Überzeugung aufbaute, -ohne zu wissen für wen, nur weil's mich trieb. -Aber du standest und hattest arme Kinder an der Hand -und sagtest immer: ›Du mußt helfen, du mußt helfen‹ ... -Ach, wenn ich doch uns selber helfen könnte!«</p> - -<p>Seine Stimme wurde noch leiser, es war nur ein -Flüstern über ihr, das sie mehr fühlte als verstand; an -ihrer Schläfe die weiche Haarwelle, alles zitterte mit.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -»Ich habe dich bewundert, Meisi, denn du bist sehr süß -und kostbar, und bist auch viel gescheiter, als du dich ausmachst, -du Siebenschläfer. Und hast mich auch namenlos -erbarmt, weil du scheu und verlassen warst, wie irgendein -Waldtierchen, das eingefangen wurde und nur fortmöchte -ins Dunkel. Ach, du liebst nicht über dich zu reden, -und wenn ich dich frug, und war's auch noch so behutsam, -da hast du nur gelächelt, wie gequält. Aber ich habe dich -besser verstanden, als du weißt, und du hast niemand -so angehört, wie du mein eigen warst. Und darum weiß -ich, daß du eine Eigenschaft hast, gegen die ich machtlos -bin; es ist eine seltsame Trägheit, wenn sich's um dein -eigenes Glück handelt, und daß du nicht kämpfen magst -um irgend etwas. Lächelst hinauf und denkst: Ja, der -schöne Apfel, wenn er doch herunterfiele ... aber es -wird ja doch nicht geschehen! Nicht weh tun, warten, -gegen alle freundlich sein – ja, Meisi, du brächtest es -fertig, gegen den Henker freundlich zu sein. Und unterdessen -rinnt das Leben vorbei. Wenn ich wüßte, daß du -irgend etwas hättest, eine Arbeit, ein Ziel, etwas, das -dich frei und mutig macht, und müßt' ich dich dadurch -erst recht verlieren, dennoch Meisi, dennoch ... Aber ich -weiß, daß dir nichts bleibt als Kälte und Leere, und wenn -du dich hineinfindest, das ist erst recht traurig. Aber eins -hast du, haben wir, unseren Schmerz, niemand darf die -Hand dran legen, heut ist er noch unser, gehört uns ganz -allein, und darum müssen wir voneinander gehen, wo -alles noch ganz kostbar ist und es uns so furchtbar wehtut.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -Ein stärkerer Hauch trieb den Resedaduft ins Zimmer, -man hörte fernes Räderknirschen, ein Hund bellte irgendwo -... es war so still, wie verzaubert. Der Mann fuhr -sich über die Stirn und wandte sich zum Fenster; denn -es schluchzte etwas in ihm auf, und er mußte das erst zur -Ruhe bringen. Meisi kroch noch mehr zusammen, machte -sich ganz klein wie ein krankes Kätzchen. O wie grauenhaft -alles doch war! Sie hatte nicht alles verstanden, -aber etwas Kaltes saß ihr in der Brust und dehnte sich, -wurde immer größer, und die Füße waren ihr wie zerschlagen. -Wenn er sie doch chloroformieren möchte und -in einen Wagen packen, nichts fragen, nichts sagen, und -am nächsten Morgen würde sie an seinem Herzen aufwachen, -irgendwo über der italienischen Grenze, wo es -ganz heiß war und die weißen Häuser schliefen und die -Zikaden in den Bäumen sägten! Wo man den Tag verschlief. -Wenn er sie doch ganz rasch nehmen wollte oder -ihr einen Schlag vor die Stirn geben, daß sie die Besinnung -verlöre und gar nicht sagen könnte: »Ich will«, -oder »Ich will nicht«; wie man Tiere betäubt vor dem -Töten. Aber er war seit acht Tagen so anders, nachdenklich -und freudlos, seit sie ihm gesagt, Emmo käme her; -es würde wohl alles recht schwierig sein; besser, er machte -zunächst eine Bergtour, aber sie würde schon alles einrichten, -auf keinen Fall dürfe er <em class="ge">ganz</em> weg, das hielte -sie nicht aus. Wie er sie da angesehen hatte – ganz fremd -war sein Gesicht geworden. Und seitdem hatte er ein-, -zweimal von Entscheidung gesprochen, von Wahrheit, -<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a> -von einem tiefen Schnitt; und den sollte sie tun. Und -das konnte sie doch nicht. Lieber tausend Lügen als eine -solche Grausamkeit. Begriff er's denn nicht, wie nötig -sie daheim war? Ob er erwartete, daß sie ihm das erklären -sollte? Sie konnte doch von »dort« mit ihm nicht -reden. Ach, warum verstand er sie nicht! War denn in -der Liebe immer ein Teil Tortur? Konnte man sich nie -dehnen und alles vergessen? Manche Namen, wie sollte -sie die vor ihm aussprechen! Vergaß sie doch am liebsten, -daß es für sie ein Zuhause gab, jetzt, wo dies kleine, hellgetünchte -Zimmer ihr Heimat geworden. Aber nun sah -sie alles deutlich: den armen, jähzornigen Menschen, der -es so gar nicht verstand, mit anderen auf die Länge auszukommen, -die Schwägerinnen, zarte, verblühte Mädchen, -die auf so viel verzichtet hatten ihm zuliebe und -auch ihr; und dann war da ihr eigenes Vermögen, es -war im Gut verbuttert worden während der letzten, -schlechten Jahre; Emmo würde es herauszahlen, »ihr -vor die Füße werfen«, ja, so würde er sagen, und dann -brach alles zusammen. Das alte, einstöckige Haus, jetzt -im Spätsommer sah's so wohlwollend aus, wie eine -alte Frau, die in der Sonne sitzt und in allen Runzelchen -lächelt. In den Lindengängen war es so still, und im -Blumenrondell duftete das Heliotrop einsam in der -Sonne. Die Blumen kamen dankbar in dem leichten, -sandigen Boden; die Zimtnelken in den Rabatten, in -allen Farben, und Skabiosen, wie große Brombeeren; -kleine, stahlblaue Schmetterlinge flogen drüber hin in -<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -der klaren Septemberluft. Am Haus die großen Fuchsienbüsche -in den grünen Holzkübeln, sie waren der Stolz -der alten Frau gewesen. Ach Gott, ja, die Gräber im -Park, in den Birken ... der Wald fing gleich dahinter -an mit seinen riesigen Föhren und Ameishaufen. Manchmal -saßen Eichkatzen auf den Grabsteinen. Ja, das war -Emmos Heimat, und auch Freda und Mariagnes waren -dort aufgewachsen. Das mußten sie doch behalten, den -großen Saal oben, wo es so hallte, wo noch die Efeulauben -standen, in denen die Schwägerinnen ihre -Puppenkaffees gegeben hatten; Freda von kleinauf -kränklich, und Mariagnes? So eine arme, verbitterte -Hofdamenexistenz, Gradnitz bedeutete ihre ganze Jugend, -ihr letzter Ehrgeiz, das Spalier, an das sich ihr blasses -Wesen anklammerte. Nein, nein, es war alles Unsinn; -fast wallte Zorn in ihr auf, daß Gerhart von dem tiefen -Schnitt gesprochen, als sei es denkbar. Nur nicht grausam -sein, nur das nicht. Nachher kam das Mitleid, diese -bohrende Qual, und machte alles zunichte.</p> - -<p>Aber er – still und ernsthaft dort am Fenster; und -»nicht lügen« las sie auf seinem Gesicht. Ja, das war so -seine Art. Er vertrug nichts Schiefes in sich, ebensowenig -wie ein schiefhängendes Bild an der Wand. Die Tischdecke -mit dem häßlichen Muster hatte er gleich hinausgeworfen, -als sei's ein Feind. So wollte er auch nichts, -das ihm ihrer Seele Bild verdarb. Ach, was ging sie ihre -Seele an! Da war ja so ein Spruch, von der Seele, an -der man Schaden nimmt, und wenn man auch die Welt -<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -gewönne. Sie wollte die Welt gewiß nicht gewinnen, -aber um ihre Seele sorgte sie sich nicht. Vielleicht hatte -sie gar keine. Nur ein Herz, und das tat ihr weh. Wie -doch die Menschen verschieden liebten. Nicht besser, nicht -schlechter, nur <em class="ge">verschieden</em>. Ihr war alles so einerlei. -In einem Keller, mitten zwischen Kohlen und alten -Fässern und Kisten würde sie ihn getroffen haben und -geküßt und gemeint, es sei das Paradies um sie her! -Und ebenso würde sie das andere ertragen haben und, -wenn's nicht anders ging, auch Lug und Trug. Aber er -litt darunter, er wollte nichts Blindes, Unreines; so oder -so, da war kein Mittelweg. Und deshalb mußte er nun -fort, mußte ihr das antun, daß ihr ganzes Leben auf -einmal schwer und grau wurde, viel grauer als früher, -ehe sie ihn gekannt. Ach, es <em class="ge">konnte</em> ihm nicht so weh -tun wie ihr, sonst blieb er eben, oder er kam bald wieder, -oder irgendwas – aber so – auf Niewiedersehen? Nicht -so weh? Nein, im selben Augenblick bat sie ihm den Gedanken -ab: der Ausdruck in seinen Augen ...</p> - -<p>Morgen ganz früh ging er wohl, oder schon heute -abend. Besser heute abend. Wie wär' es auch zu ertragen, -noch einmal, zum letztenmal, im Speisezimmer zu sitzen, -die Kehle voll Tränen, und sich Brot anbieten und die -Speisekarte weitergeben; das Bild von Wilhelm Tell im -Kreise der Seinen, über das sie so oft gelacht, an der -Wand gegenüber, und das offene Fenster mit der Aussicht -auf die verglühenden Berge ... wie gräßlich alles – -oh, zum Sterben ...</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -Wie sehr hatte sie dieses Land geliebt, ach, alles darin, -an seiner Hand. Gleich anfangs, als es noch neu und -überraschend war, die Wege wie Rätsel, so verlockend; -immer höher hätte sie steigen mögen, an schwierigen -Stellen half er ihr und lachte, und sie wünschte sich heimlich -viel schwierige Stellen, weil er ihr dann die Hand -gab, seine starke, warme Hand. Wie wonnig war's, wenn -dann nach dem Steigen der Pfad am Berggrat eben -entlang ging. Man schritt aus, so rasch und gesund, jede -Sehne spannte sich, jedes Gelenk freute sich, bei jeder -Biegung des Wegs war es, als trete man auf eine -Brüstung mit neuem, verändertem Ausblick. Wie sich -die Wolken im Tal verfingen, wehende Reitermäntel! -Die Herdenglocken läuteten durch den Nebel. Durch verwitterte -Dörfer kamen sie, so totenstill; die Leute alle -fort beim Heuen, nur einsame Katzen vor verschlossenen -Türen. Aber wo immer ein kleiner Platz war, da schattete -ein Nußbaum, und darunter war der Brunnen – fließendes -Bergwasser, stählern, eiskalt, unerschöpflich. Wie -frisch und wasserklar war auch ihre Liebe auf diesen -Wanderungen. Etwas Brüderliches war im Zusammenschreiten, -Brudergefühl mitten in all der heftigsten Zärtlichkeit; -ein Verstehen, als hätte man sich von Kind auf -gekannt. Ja, sie brauchten einander nichts zu nennen, ein -Blick, ein Aufleuchten, und die Schönheit dieses geliebten -Landes schien sich zu weiten, sie zu umfangen und näher -zusammen zu drängen mit froher, zwingender Gewalt. -Oh, du tiefe, himmlische Gesundheit erwiederter Liebe!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -Aber einmal hatten sie sich doch gezankt. Damals, -beim Photographieren. Da war eine Bauernfrau, sie -wollte ihre Kinder so schrecklich gern photographiert haben, -und Meisi stellte sie zusammen, auf den Stufen vor der -Haustür. Die Mutter band ihnen saubere Schürzen um -und flocht dem kleinen Mädchen die Zöpfe. Und sie -freuten sich so und waren ganz verschämt vor Stolz, und -Meisi mußte ihnen versprechen, ein Bild zu schicken, -natürlich nur, wenn sie nicht gewackelt hätten – und die -Frau diktierte umständlich Namen und Adresse. Dann -aber, als sie weitergegangen waren, hatte sie ihm eingestanden, -der Film sei ja schon zu Ende gewesen, aber -sie hätte der Frau doch die Bitte nicht abschlagen können, -und die Freude hätte sie nun doch gehabt. Da lachte er, -aber es hatte ihn verdrossen, und er sagte etwas, das sie -furchtbar ärgerte.</p> - -<p>Doch solcher Streit war bald verflogen. Dazu war -alles viel zu schön; das Bergwasser, die prickelnde Luft -und der Atem der Wiesen, tanzendes Licht und tanzende -Schatten! Und sie zwei, sie zwei, ganz allein mitten -drin!</p> - -<p>Blauer Enzian! Hochstengelig, am Waldrand gewachsen! -Wenn man hineinsah in die Kelche – wurde -man selbst zur Biene, zur wohlig saugenden. Ach, und -später dann, ein Stübchen, ein weißgetünchtes, dorthin -gingen die Gedanken, atemlos, und standen still ... da -war ein tannener Tisch und der Krug mit den scharf gezackten -Blüten darauf; wie sie erst ertranken in der -<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -Dämmerung und später dann, als das Licht brannte, ihr -Schatten erwachte auf der kahlen, reinen Wand!</p> - -<p>An jenem Abend waren sie, nach stundenlanger Wanderung, -in dem kleinen Gasthaus eingekehrt, das sich mit -seiner Front über dem Berghang erhob, an dem das -verwitterte Dorf hinunter kroch im Zickzack, an steiler, -gepflasterter Straße entlang: Häuser mit uralten Schindeldächern, -kleinen Terrassen und blumenbunten Altanen, -Brunnen, wo Frauen Salat wuschen und Kühe tranken, -stöhnend vor Behagen. Am einzigen, ebenen Platz -lag die Posthalterei und, etwas erhöht, die kleine -Kirche mit ihrem Gräbergarten, wo die Toten in einer -Wildnis von Rosenbüschen und Butterblumen, zitterndem -Hafer und flatterndem Mohn, beim Klang der Posthörner -eine frohmütige Ruhestatt hatten.</p> - -<p>Aber Meisis Zimmer sah nicht auf das Dorf hinab, -ihre Fenster waren auf der Rückseite des Hauses. Dort -lag eine weite Wiese, die sanft abwärts glitt in ein anderes, -unsichtbares Tal. Da war alles weiß von wildem Kümmel, -und wie dann der Mond hinter dem Lärchenwald aufging, -glitzerten die flachen Dolden wie Rauhreif; man -hätte sich gescheut hinauszutreten, diesen Zauber, diese -Heiligkeit zu durchkreuzen.</p> - -<p>Meisi hatte auf der Fensterbrüstung gesessen, er hinter -ihr. Daran will ich denken, wenn ich nicht aus und ein -weiß, wenn mich der Kopf brennt, dachte sie, und dann -hatte sie sich zurückgelehnt und ihren Kopf in die kleine -Mulde gelegt, zwischen seiner Schulter und Brust; da -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -lag sich's still und sicher, und sein Herzschlag ging stark -und ruhig. »Nun bin ich ein kleines braunes Haus,« hatte -sie gesagt, »und deine Schulter ist die Bergwand, und -deine Stirn ist der Gipfel, und nun sollst du sagen: -Frieden über dem kleinen Haus!« Wann war das gewesen? -Vier Wochen, nicht mehr? Wann hatte sie ihn -denn <em class="ge">nicht</em> gekannt? War's möglich, als sie ganz klein -war, mit einem Korallenkettchen und einer seidenen -Masche im Haar, da ging er schon irgendwo in die Schule, -und später dann war er Student, und eine Zeitlang -lebten sie gar nicht weit voneinander und hatten doch -nichts voneinander gewußt. Und nun wußte sie nur noch -von ihm und er war die süße unbegreifliche Gegenwart; -das Frühere ... ach, alles vergessen, so ewig lang war -das her!</p> - -<p>Aber nun sollte es aus sein. Nie wollte sie die Berge -wiedersehen. Ach, wie furchtbar ist das in der Welt; mit -dem Alter, muß man da immer mehr Umwege machen, -immer mehr Stätten meiden? Nein, wie ein Messer ins -Herz würde alles hier sein, wenn sie's je wieder sähe ... -Auch Blumen gab es hier, kleine braune Orchideen, die -wie schwedische Handschuhe rochen und jetzt eben, das -Reseda, nach dem Gießen, und das Geräusch des eisernen -Rechens im Kies ... das war nun alles schon verloren, -sie mußte es von sich tun, sich nicht festklammern, nein, -hergeben, hingeben, rasch, rasch. Sie wollte nach Hause -reisen gleich, morgen schon, irgendein Vorwand würde sich -schon finden. Denn Emmo durfte hier nicht her, nicht -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -eine einzige Stunde. Wenn sie es nun alles hergeben -mußte, die Wege hier, die wollte sie allein mit ihm gegangen -sein, kein fremder Fuß, kein fremder Fuß ... -Was hatte er doch gesagt: »Unser Schmerz ist kostbar, -niemand soll die Hand dran legen.«</p> - -<p>Ja, zu Haus würde es noch am besten sein. Pflichten -sind ja auch ein Schlafmittel. So eine Art Stundenplan -wollte sie sich machen, Sophie sollte ihr alles einteilen -helfen. Morgens der Tee – schrecklich – aber es war -wohl am besten gleich von früh an; dann Emmo bei den -Büchern helfen, es war alles in Konfusion, und er dachte -immer gleich, er würde betrogen. Dann war Interview -mit dem Vatikan (Herr und Frau Inspektor trugen diesen -Kollektivnamen), und da war auch zu begütigen, denn -der Inspektor war brummig und unfehlbar, aber er hatte -schließlich doch immer recht, und deshalb gerade konnte -Emmo ihn nicht leiden. Dann ging sie wohl auch zur Gemeindeschwester, -die Kinder sangen so blöde Liedchen; es -waren ein paar dabei, die waren schön, mit langen Augenwimpern, -aber sie durfte sich ihre Vorliebe für sie nicht -merken lassen, denn es waren die Kinder vom polnischen -Knecht, der immer betrunken war, und die Frau stahl wie -eine Elster ... Dann nachsehen, ob Freda alles hatte, -was sie brauchte, Mariagnes war versorgt, sie malte vormittags -im Freien; ganz modern, lila Ackergäule auf -gelben Feldern, eigentlich paßte das gar nicht zu ihr ... -warum malte sie nicht all die süßen, stillen Blumen – -ganz genau, wie sie waren – meinte Meisi – etwas -<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -Schöneres konnte man doch nicht erfinden ... Mittagessen! -O Gott, die Unterhaltung! Wie so ein ausgeleiertes -Dorfkarussell, man sieht denselben schäbigen -Schimmel immer schon von weitem kommen. Hinterher -mußte Freda in der Veranda etabliert werden, mit -Memoirenliteratur, sie hatte eine Passion für Marie -Antoinette. Sophie machte den Kaffee mit ihren lieben, -dünngearbeiteten Händen. Später ausgehen mit Emmo -oder fahren mit Mariagnes und Emmo, er war bei -allem dabei, was war zu machen; wie eine Stubenfliege, -die sich einem immer wieder auf die Nase setzt – der -arme Kerl. Zum Tee kamen Pastors, und der Pastor -redete über die Begehrlichkeit der unteren Klassen, war -dabei aber gutmütig und half ihr mit den Landstreichern, -die Emmo immer gleich dem Gendarmen ausliefern -wollte. Die Pastorin war fein und leise, sie sagte immer: -»Mein lieber Mann«, aber sie hatte ein Grübchen, wenn -sie lächelte, wie herübergerettet aus ihrer Jungmädchenzeit. -Ihr kleines Töchterchen hatte sich so furchtbar verbrüht -und war gestorben unter entsetzlichen Qualen. Aber -Sonntags saß sie in der vordersten Bank und sah zur -Kanzel auf und hörte all die Worte mit blassem, geduldigem -Gesicht ... Ob das wirklich ein Trost war? -Manchmal ging Emmo zum Förster, da brauchte sie nicht -mit. Aber allein mochte sie nicht sitzen. Sophie sollte -kommen, ihr die Haare kämmen, das machte schön -schläfrig, oder sie wollten kramen, die Sachen der -Schwiegermutter waren noch immer nicht verteilt. Die -<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -Mahagonischränke seufzten beim Öffnen, als sei's die -alte Frau selbst ... Später am Abend saß man unten im -Gartensaal ... Nachtmotten schwirrten um die hohe -Lampe, und Mariagnes öffnete den alten Flügel und -spielte das Frühlingslied von Grieg und blieb im Mittelsatz -stecken. Sie wollte lesen, sich Bücher kommen lassen, -über Chemie und Volksernährung, was hatte er doch gesagt: -»Meine Gedankenwelt, die dir fremd ist« – Ja und -dann, nachher ... Sophie sollte bei ihr sitzen und von -ihrer Kinderzeit erzählen, von der kleinen Stadt in Friesland, -bis sie einschlief ...</p> - -<p>Sie stand auf, sah sich um, fröstelte; und weil ihr die -Glieder wie tot waren, griff sie nach seinem Arm, um -aufzustehen. Der stützte sie, selbstverständlich wie immer. -Nun standen sie beim Fenster, und die Abendsonne kam -nur noch leise durch den Laden. Da fühlte sie ein Zittern, -ein Werben in seinem Arm, und schon küßten sie einander, -angstvoll und rasch, ohne Ruhe, ohne Lust, wie sich -Menschen küssen, wenn das Schiff im Sinken ist. Aber in -ihr wartete etwas und spannte sich, bis in die Fingerspitzen, -und wollte gezwungen sein, nicht weil sie ihm -recht gab, sondern weil sie ihn liebte. Aber da löste er -leise die Arme, und sie fühlte ihre Lippen grau werden: -Er hat mich geküßt, wie man seinen Koffer zuschließt.</p> - -<p>Da trat sie noch näher ans Fenster und stieß rasch den -Laden auf, und der letzte Abendglanz strömte herein und -mit ihm der Duft und der Dunst der Wiesen. Wie im -Traum, wie jenseits einer Brücke sah sie zurück auf ihn, -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -sah die kleine zuckende Falte am Augenlid, die den Augen -so große Freundlichkeit verlieh; die sie so sehr geliebt.</p> - -<p>Heute nacht würde sie die Herdenglocken noch hören, -fein und deutlich, am Berghang herauf. Aber er nicht -mehr; denn er würde im Nachtzug sitzen und in der Frühe -schon im heißen, schläfrigen Süden sein. Und was war's, -das schon jetzt in ihrem Herzen zu nagen begann, leise, unerbittlich? -War's der Groll, daß er sie nicht zu zwingen -vermocht, alles zu lassen, um mit ihm zu gehen, das -ganze Leben?</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -Wie es die Kinder erlebten</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Es hatte damit angefangen, daß Tischler Dominik, der -im übrigen auch Nachtwächter war und den inneren -Menschen der Turmuhr in Ordnung zu halten hatte, -schließlich doch geholt werden mußte; denn es war unausstehlich -mit der untersten Schieblade der alten Schreibkommode, -immer stellte sie sich schief; »wie ein eigensinniger -Bock,« sagte die Kleudchen, und erst durch angestrengtes -Rütteln konnte sie in eine normale Lage -zurückgebracht werden.</p> - -<p>»Und da wir schon einmal dabei sind,« sagte der Meister -und starrte tiefsinnig über seine Stahlbrille ins Weite, -»so woll'n wer auch gleich das übrije nachsehn, denn so -was is eftersmalen en Familjenfehler.«</p> - -<p>Ali und Adallah, die meist für Zwillinge gehalten -wurden (es war aber ein Jahr Altersunterschied), fanden -das ja nun äußerst interessant; denn wenn dabei auch -nur Frau Kleudchens puritanische Nachtjacken, der -»Pharus am Meere des Lebens« in verschossenem, violettem -Einband, ein kleines Paket zusammengeschnürter -Briefe und eine Feige aus Marmor – von Papa vor -Jahren aus Italien heimgebracht – zum Vorschein -kamen: Sachen von Erwachsenen, die so kühl feierlich -daliegen, wie in Königsgräbern, haben immer etwas -Apartes an sich, wenn sie plötzlich hervorkommen an die -Tageshelle.</p> - -<p>Aber nun hatte Dominik nach vielem Suchen in seinem -Bund klirrender Haken, der ihm etwas angenehm Einbrecherhaftes -verlieh, auch noch die schräge Klappe geöffnet, -<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -auf deren braunpolierten Fläche eine Wildschweinsjagd -in gelbem Holz zwischen vier Tannenbäumen in -grünem Holz dargestellt war. Dahinter wurden zwei -kleine Fächer sichtbar. Das linke enthielt rostige Angelhaken, -mehrere längliche Garnröllchen und ein dünnes -rotes Buch, »Des Anglers Vademekum«. Dominik sah -zu der Kleudchen hinüber, sie wollte etwas sagen, schloß -aber wieder den kleinen, vergrämten Mund. Dann zog -er auch das andere Schiebfach auf; es hatte sich ein Heft -darin festgeklemmt. Er reichte es der Kleudchen; sie tat -einen Blick hinein: »Die Wappensammlung vom jungen -Herrn,« sagte sie und drückte das Heft wie schützend gegen -ihr gestricktes Umschlagetuch. Aber unter dem Hefte hatte -noch etwas gelegen, eine Photographie, vergilbt und -verblaßt.</p> - -<p>»Das ist die Frau, die bei Papa im Ankleidezimmer -hängt,« sagte Ali. Seine Augen sahen alles. Ja, es war -das nämliche, weichgerundete Gesicht, mit leicht zusammengeknifften -Lidern, großem, lächelndem Mund, -reichem, unglaublich reichem Haar, altmodisch kunstvoll -aufgesteckt. Aber hier hatte sie ein komisches großkariertes -Kleid an und einen kleinen Jungen in russischem -Kittel auf dem Schoß.</p> - -<p>»Dah,« sagte Adallah, der oben in der Nase etwas -hatte, das demnächst operiert werden sollte, »das is Vate's -este Fau, abe weh is de Junge?«</p> - -<p>»Ihr müßt Mama fragen,« sagte die Kleudchen. Es -war dieselbe Abwehr, die sie gebrauchte, wenn Adallah -<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -allzu genaue Auskunft über gewisse naturgeschichtliche -Vorgänge von ihr verlangte.</p> - -<p>Die Kleudchen hatte jetzt einen roten Fleck auf der -Wange und telegraphierte mit den Augen. Tischler -Dominik gab Ali das Handwerkszeug zu tragen und hielt -Adallah seine kurze, breite Hand mit dem gespaltenen -Daumennagel hin: »Nu kommt, Junkerkens,« sagte er -einladend, »nu woll'n wer'n Leimtopf heißmachen;« -und die Aussicht auf eine gemütliche, übelriechende -Mantscherei ließ für diesmal alle anderen Spekulationen -erblassen. Und Mama fragen? Ach, das war ja nicht möglich. -Fragen konnte man Kleudchen oder den Kuhknecht -oder Fritz Dralle (Dralle <i>sen.</i> war schon weniger ratsam), -und allenfalls Papa, wenn er sehr guter Laune war; -aber Mama? Nein, Mama antwortete man, aber fragen, -das ging nicht.</p> - -<p>Doch es kamen Wiederholungen, allerhand kleine Begebenheiten, -die auf denselben Punkt zu deuten schienen -und sich allmählich zu etwas Nebelhaftem verdichteten, -von dem die Kinder nicht recht wußten, war es Erinnerung -an Dinge, die sie schon erlebt hatten, oder Ahnung -von etwas, das erst kommen sollte: Papa und Mama -redeten zusammen, leise und erregt, Mamas große -Augen wurden dunkel, so als sagten sie »Mut« oder -»Rechtschaffenheit«; aber sie brach ab, wenn die Kinder -ins Zimmer traten, und der Blick wurde wieder durchsichtig -wie ein geschlossenes Fenster. Oder Papa trat -plötzlich aus dem unbewohnten Zimmer auf halber -<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -Treppe, stand, als sähe er nichts, in der schrägen Nachmittagssonne, -wo es nach Holz roch und nach Kleudchens -Vesperkaffee; er, den man sonst nur in einer ganz besonderen -Luft von Zigaretten und Juchten kannte, im -Dämmerlicht auf dem Ledersofa ausgestreckt, wo über -ihm die Rennpreise, die Pokale und silbernen Reitpeitschen -aufblitzten, wenn ein Sonnenstrahl durch die -Läden drang. Papa hatte rote Augen gehabt und zuerst -gar nichts verstanden, als Ali, die Gelegenheit wahrnehmend, -ihn anpiepste: »Ach, Papa, Dralle will das -Gefleckte versäufen, weil es ein Weibchen ist, und es ist -doch so wunderschön« – und Adallah eine Terz höher -einstimmte: »Ach, nur nicht das Gefleckte, Väterchen, -abe das Baune auch nicht!«</p> - -<p>Wenn Tante Brunislawa und die Kleudchen beisammen -saßen, war ein Gewisper und Geseufz; beinahe -wie schuldbewußt sahen sie sich um, oder als stünde eine -Tür ins Dunkle hinter ihnen offen. Tante Brunislawa -schien noch öfters als sonst mit ihrem Orenburger Schal -an allen Türklinken hängen zu bleiben, um dann, wenn -man sie losgeheddert hatte, ganz verschüchtert weiterzuflattern -wie eine wunde Schwalbe. War das auch -immer so gewesen, dies Nach-der-Uhr-sehen, wenn die -Postzeit nahte, dieser rasche Blick ins Vorzimmer, wo -doch nur Papas Zeitungen lagen, oder Rechnungen in -blauen und grauen Umschlägen, selten nur ein Brief? -Und die Stühle und Sessel im Wohnzimmer, wenn die -Großen weggegangen waren und man kam auf Fußspitzen -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -zurück, um den kleinen Zinnjäger zu suchen, der -unters Sofa gefallen war: standen die sonst auch so kurios -zusammen, wie Verschwörer, die unterbrochen wurden -in heimlichen Gesprächen?</p> - -<p>Dazwischen schwand den Kindern wohl tage- und -wochenlang dies ungewohnte Gefühl, als ob »etwas vorginge«; -Papa hatte wirklich das Gefleckte begnadigt, und -es war, nebst seinem Brüderchen, dem Braunen, zur -Sonne geworden, um die sich der Knaben Leben drehte, -das ja trotz Vater und Mutter, trotz der freundlich -flatternden Tante Brunislawa und der treuen Kleudchen -ein seltsam verschwiegenes, heimliches Leben war.</p> - -<p>Mama! Ja – das war viel eiskaltes Wasser in der -Frühe und harte Bettchen zur Nacht, und beileibe kein -Nachtlicht und absolutes, strengstes Verbot, das Gefleckte -nach oben zu nehmen. Mama war Morgenandacht mit -einem Hintergrund von Kaffeegeruch und weißen, raschelnden -Schürzen, aber nicht Abendgebet; letzteres gehörte -zu Kleudchens Departement, die sich wie die Fledermäuse, -denen sie ähnlich sah, mehr in den Dämmerstunden -bemerkbar machte. Mama bedeutete ferner für -Ali Kerbelsuppe und für Adallah Apfelreis, beides so -über alle Maßen gräßlich, und da war kein Entrinnen. -Aber Mama bedeutete auch Dinge, die fein waren, wo -man sich selber fein werden fühlte, wie die dünne, -schwingende Gerte in der Hand, wenn man aufs Pferd -geklettert war und sich zuerst nur festklammerte, so gut es -ging, denn das einzige, was man absolut nicht durfte, -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -war herunterfallen, und dann allmählich, beim Traben, -seine Muskeln und Gedanken zusammenfand, sich aufreckte -und ins Lot kam. Mama sagte: »So ist's besser,« -wenn man an ihr vorüberkam, dann mußte Dralle die -Longe weglassen und später noch ritt man mit Mama -querfeldein, und das war ehrenvoll, aber beileibe nichts -zum Lachen. Nur dies Gefühl, als würde man feiner und -biegsamer und härter dabei, das wuchs und war sonderbar -ausfüllend und aufregend; man konnte an nichts -anderes denken. Überall ging's so her, wo Mama dabei -war, so mit angespannten Sehnen bis aufs letzte Haarbreit; -aber doch immer, als dürfe man dabei nicht verweilen, -als käme viel anderes nach, das noch zu bewältigen -sei. Auch wenn Mama einen küßte, war das so, -hoch oben auf die Stirn, in die Haarwurzeln hinein, ganz -rasch, wie ein Stoß, und dann weg und was anderes. -Neulich hatte Ali gezuckt, als der kleine Fuchs beim -Striegeln auskeilte. »Ich glaube gar, der Junge hat -Angst,« sagte Mama, und in ihre Augen kam der blaue -Funken, der zurücksprang zu den alten, vertriebenen -Sachsengöttern, die an Pferdeopfern Freude hatten ...</p> - -<p>In solch straff gehaltenen Kinderexistenzen entwickelt -sich Geschwisterliebe nachdrücklicher, wie das Zusammenhalten -junger Pflanzungen an exponierten Stellen. Ali -und Adallah brachten es fertig, in ihrem fest eingeteilten -Dasein Augenblicke berauschender Opposition zu erhaschen, -und das ganz absichtslos, denn sie waren gutartige -Kinder und, ihrem Vater ähnlicher als ihrer -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -Mutter, nervös und rasch aufflammend, aber ohne die -nötige Ausdauer für ein richtiges Verschwörertum. -Mama war ungemütlich, wenn auch durchaus nicht unheimlich, -denn es gab bei ihr keine Überraschungen; hingegen -mußte man Papa nur aus dem Wege gehen, wenn -er gerade seinen Nervenschmerz hatte, sonst aber nahm -er für die Unterdrückten Partei, konnte einen allerdings -im kritischen Augenblick unerwartet im Stich lassen. So -schlossen sie sich ohne Verabredung eng aneinander; sie -waren zu klein und zu unklar, um sich über das, was sie -peinigte, miteinander auszusprechen. Winzige Igel im -Nest, alles noch weich und verwundbar; ein Rascheln, ein -Lufthauch, der Witterung bringt fremder, feindlicher -Dinge, und sie liegen da, zusammengerollt, mit allen -zarten Stacheln in der Abwehr, und fühlen, es gibt -etwas Schmerzliches, Grausames irgendwo, das auch -sie in ihrem Schlupfwinkel eines Tages aufspüren wird.</p> - -<p>Wie gräßlich zum Beispiel waren doch die Schlachttage! -Die kaltblütigen Vorbereitungen am Abend vorher, -die armen Verurteilten, die ahnungslos – wer weiß? – -ihre Henkersmahlzeit verzehrten, die Gänse und Enten, -die Schweine und, was am schauderhaftesten war, das -Kalb! Dieses wurde zwar nicht auf dem Gutshof gemördert, -aber in aller Frühe, wie aus blutigem Nebelgrau -hervor, kam ein gräßlicher Mann mit rotem Gesicht, -mit rotbesudelter Schürze; das Kälbchen mußte heraus, -ganz dumm und warm und verschlafen, in die kalte, -beißende Luft, es stemmte sich, es wollte nicht, seine -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -Augen waren voll Entsetzen, es hörte seiner Mutter ängstliches -Muh. Aber es wurde am Strick fortgezerrt, über -die hölzerne Brücke, wo seine armen, unbeholfenen Füße -polterten. Hatte es nicht etwas Revoltierendes, wenn -bald darauf die Frühstücksglocke die Hausbewohner versammelte -und Mama die Morgenandacht hielt? »Also -hat Gott die Welt geliebt,« las sie. Und derweil wurde -das Kälbchen auf der Landstraße fortgezerrt, der böse -Mann fluchte, es bekam einen Tritt, wenn es stehen blieb. -Mama dankte für Gottes Hut in der vergangenen -Nacht ... Ach, die arme Kuh in dem dunkeln, feuchtwarmen -Stall; das Kälbchen war ihre einzige Freude -gewesen; wenn sie es leckte bekamen ihre großen -düsteren Augen blaue Lichter, ihre Weichen schauderten -glückselig, wenn das Junge nach dem Euter suchte, -es hochstieß beim Saugen. Nun brüllte sie, gedehnt, in -regelmäßigen Absätzen, man konnte zählen dazwischen. -Und das würde noch tagelang dauern, sagte der -Knecht.</p> - -<p>Aber Mama war doch sehr gut dabei. Zu allen Kranken -wurde sie geholt, wenn es was Ernstes war; sie wußte, -was nötig war, und tat alles, ruhig und tröstend. Manchmal -wachte sie viele Nächte durch bei den Kranken. Und -wie Fritz Dralle in die Häckselmaschine geraten war, hielt -sie seinen Arm, während er so entsetzlich stöhnte und -Doktor Moldenhauer nähte. Sie selbst aber war nie -krank. Qualvolles Kopfweh, ja, dann zuckte es im Augenlid -und in der Schläfe ging's wie ein Hammer, da, wo die -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -blauen Adern sind; aber sie gab nicht nach, immer zur -Stelle, sommers um sechs und winters um sieben. Tante -Brunislawa, welche die Cousine der ersten Frau war, -fuhr schuldbewußt zusammen, wenn Mama sie bei ihren -ewigen Patiencen ertappte. Und doch sagte Mama nie -ein Wort und half Kleudchen mit ihrer endlosen Flickarbeit. -In Tante Brunislawas Zimmer waren Heiligenbilder, -goldene mit Schlitzaugen, und weiße mit blauen -Mänteln, auf kleinen Postamenten; Tante kniete davor -und sah zu ihnen auf, mit braunen, kurzsichtigen Augen -wie Samtpensées. Wo es doch heißt: Du sollst dir kein -Bildnis machen und keinerlei Gleichnis, dachte Ali. Aber -nie sagte Mama etwas, eher noch Papa, der Witze machte -über Beichtväter und dergleichen. Mama <em class="ge">kämpfte</em> sogar -für Tante um die Kutschpferde, wenn Tante zum Ablaß -fahren wollte, gar jetzt, wo man sie doch so nötig -brauchte, um Wasser zu fahren ...</p> - -<p>Ali und Adallah mußten sich in Selbstkasteiung üben. -Ihre Anzüge und Schuhwerk wurden von Dorfkünstlern -angefertigt; die Hemden aus grobem Leinen scheuerten -fürchterlich, solange sie neu waren, auch war ihnen nahegelegt -worden, den Zucker im Milchkaffee zu sparen zugunsten -der Stadtmission oder als Beitrag zur Weihnachtsbescherung -im Armenhaus. Seitdem tranken sie ihren -Kaffee ohne Zucker, hatten sich seiner so entwöhnt, daß -es sie keine Überwindung kostete, aber sie spürten auch -weiter keine Freude an ihrem Opfer; vielleicht waren -ja auch Opfer nicht dazu da.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -Alle Donnerstag kam Herr Doktor Löschwitz zum -Kaffee. Dies war die schlimmste Prüfung; denn weil sie -nur einmal wöchentlich stattfand, konnte man sich nicht -dagegen abstumpfen. Herr Doktor Löschwitz war ein gestrandeter, -nicht mehr junger Philologe, der vor Jahren -Papa durchs Abitur gelotst hatte; nun bekam er Kost -und Wohnung, zwei Stübchen im Seitengebäude, mit -dem Blick auf den Hühnerhof. Herr Doktor Löschwitz trug -eine Art Respirator aus schwarzem Taft über der Nase -befestigt, fast wie eine kleine Maske; darunter war etwas -Schreckliches, das für Herrn Doktor Löschwitz den Tod -bedeutete; man konnte es ahnen, denn die Entzündung -hatte schon Wangen und Oberlippe ergriffen. Ali gewann -es über sich, hinzusehen, er konnte ganz steinern -werden, wenn er sich so Gewalt antat; aber Adallah -wurde rot und blaß und senkte die Augen, sobald nur -Doktor Löschwitzens Schritt im Flur ertönte. »Albrecht -und Adelbert, gebt Herrn Doktor Löschwitz die Hand,« -sagte Mama, die es gewiß fertig gebracht hätte, den -armen Lazarus aus dem Gleichnis zu küssen. In aller -Stille dachte Adallah, das Schicksal zu beschwören. Am -Mittwoch schon überkam ihn das Grauen; er stand nachts -auf, fröstelnd in seinem kurzen Hemd stand er auf der -Diele und horchte auf die Turmuhr. Wenn er eine ganze -Stunde reglos ausharrte und immer an das nämliche -dachte, würde Doktor Löschwitz irgendeine kleine unschädliche -Krankheit bekommen, so daß er morgen absagen -mußte. Aber das Zaubermittel versagte, während -<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -es doch damals bei dem Kalbe so wunderbar geholfen -hatte, und da hatte er doch um etwas viel Durchgreifenderes -gebetet. Das Kalb hatte etwas mit dem Bein. -Es lag stöhnend im Stroh, und Adallah hörte den Inspektor -zum Knecht sagen, es solle den nächsten Morgen -geschlachtet werden. Da hatte er denn die halbe Nacht -auf der kalten Diele gekniet; und wirklich, es half, das -Kalb war in der Nacht von selbst gestorben, ganz still. -O lieber, lieber Gott, nein, aber du bist doch wirklich gut, -dachte Adallah, als er's erfuhr; als müsse er Gott Abbitte -leisten für voreilige, abfällige Urteile.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Es war ein glühender, regenloser Sommer, wie es -hier die Regel war, aber so wie dieses Jahr doch seit -langer Zeit nicht. Schon im Mai hatte die Dürre eingesetzt, -und jetzt war alles verbrannt. Das Akazienlaub hing -gelb und tot von den Stengeln, die Linden waren auf -der Windseite wie versengt. Alles schlich matt einher, der -Inspektor wie ein schwarzes Gewölk. Papa, der, schon -ganz elend von all den Hiobsposten, richtig auch seinen -Nervenschmerz bekommen hatte, ging mit Kölnischwasser -und einem Zerstäuber durch die Stuben und spritzte die -Gardinen an. Tante Brunislawa sagte: »Gott, bester -Thilo, wenn du doch Patience lernen würdest, das beruhigt -und die Zeit geht so schön vorbei.« – »Ja, und -die Gehirnerweichung tritt ein,« knurrte Papa. Mama -schwieg mit hochgezogenen Brauen, aber in der Schläfe -ging der kleine Hammer.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -Pastor Gordon hatte am Vormittag Unterricht gegeben: -Kopfrechnen und Geographie und natürlich auch Religion; -an Alis Horizont machte sich außerdem das Lateinische -unangenehm bemerkbar.</p> - -<p>Mama saß im Vorplatz, der mit Strohmatten, Korbmöbeln -und undeutlichen Aquarellen an den Wänden als -Gartensaal gedacht war; winters über standen hier auch -die Oleander und Geranien in ihren grünen Kübeln. -Sie half der Kleudchen beim Erbsenauspahlen; es war -die höchste Zeit mit dem Einmachen, sie fingen schon an -runzlig zu werden. Adallah hätte gern geholfen, er liebte -derartige Beschäftigungen über die Maßen, der Küchenjunge -im Märchen erregte stets seinen unverfälschten -Neid; aber nun sollte er schon wieder hinaus, und nicht -etwa in den Stall zum Gefleckten, das seit einigen Tagen -wässerige Äugelchen geöffnet hatte und bedeutend klüger -zu werden versprach als das Braune, sondern ans andere -Ende vom Dorf, mit einem Paket für die alte Schröder, -die doch bloß ächzte und krächzte und keine Ruhe ließ, bis -man eins von ihren unappetitlichen Malzbonbons nahm. -So trollte er mißvergnügt von dannen.</p> - -<p>Die Erbsen fielen hart wie kleine Kugeln in die Schüssel. -Mama blickte auf zum Gatten, der in einem Korbsessel -lag und sich mit der schmalen, sensitiven van-Dyk-Hand -ab und zu nervös durchs Haar fuhr, dies allzu -krause Haar, das die Gerüchte, die über den Stammbaum -seiner Großmutter umliefen, zu rechtfertigen -schien.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a> -»Gordon ist mit den Fortschritten der Kinder nicht -recht zufrieden,« sagte sie.</p> - -<p>»Gott, die armen Bengels« – der Gatte zuckte übers -ganze Gesicht, die Fliegen waren heute geradezu ekelhaft -– »bei dieser Hitze auch noch lernen! Und dann so -langweilig, immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur. -In der Schule kann man sich doch mal durchschwindeln, -und schließlich, wenn man kein absolutes Kamel ist, lernt -man ja doch das Nötige. Eine Schule wäre viel besser -für die Jungens.«</p> - -<p>»Aber das läßt sich jetzt doch nicht einrichten, Thilo, -wo's mit den Pferden so knapp ist – allenfalls hinradeln -könnten sie, aber zweimal des Tags all die Kilometer – -dazu sind sie doch noch sehr klein ...«</p> - -<p>»Ach, so meine ich's nicht, das weißt du ganz gut; -Kadettenhaus oder Ritterakademie, das ist das einzig -wahre für ein paar ordentliche Jungens.«</p> - -<p>»Die Erfahrungen, die du <em class="ge">damit</em> gemacht hast, dürften -doch wohl genügen.«</p> - -<p>Der Gatte murmelte etwas, das wie »Duckmäuserei« -klang, und die Kleudchen, die, obwohl ganz zur Familie -gerechnet, genau wußte, wann sie lieber nicht gegenwärtig -war, wollte taktvoll mit ihrer Erbsenschüssel verschwinden. -Er flog ihr nach und öffnete mit gewohnter -Ritterlichkeit die Türe für sie. Mit seinem etwas zu tief -ausgehöhltem Kreuz und der geschmeidigen Gebärde -erinnerte er an jene tadellos ajustierten Bereiter, die im -Zirkus zu beiden Seiten des Eingangs stehen und der -<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a> -lächelnden Dame im Flitterröckchen mit federnder Eleganz -aufs Pferd helfen, die Reitgerte überreichen ...</p> - -<p>Seine Frau blinzelte an ihm vorbei, auf die hellgetünchte -Wand gegenüber: »Ich glaube nicht, daß -Kinder, deren Selbstbeherrschung täglich geübt wird, zu -Duckmäusern werden,« sagte sie. »Mein Blut neigt überhaupt -nicht dazu.« Ihre Stimme bebte, aber sie sammelte -ruhig die leeren Schoten in ihrem Schoß zusammen und -legte sie in den Korb. Dann band sie ihre große Hausschürze -ab und begann sie zu falten: »Ich habe von Anfang -an auf Abhärtung, auch in Gefühlssachen, geachtet. -Du hast dich nie gefragt, ob mich das nicht selber hart -ankam. Aber es erschien mir das wichtigste, viel wichtiger -als alles, was man aus Büchern lernt. Überhaupt meine -ich, wie einer lernt, ist mehr wert, als was einer lernt. -Jedenfalls bild' ich's mir ein, und darum muß ich danach -handeln. Sonst verlange ich nichts für die Kinder. Es -sind gute Jungens, nicht unbegabt, aber nichts Außergewöhnliches. -Vielleicht wären sie besser dran, wenn sie -Holzpantinen trügen, und so mancher Firlefanz, der -ihnen einmal noch das Herz schwer machen wird, träte -gar nicht erst an sie heran.«</p> - -<p>Sie war aufgestanden und hatte vor sich niedergesehen, -mechanisch die Schürze immer schmaler zusammenlegend; -nun blickte sie auf; ihre Augen waren warmdunkel -geworden und der Klang der Stimme paßte zu -den Augen: »Eins aber,« sagte sie, »sollen die Kinder -haben, ihr Leben soll auf klarer Bahn beginnen, sie sollen -<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a> -mit harten Sehnen losgehen und an Wahrheit gewöhnt -sein; damit, wenn je die Stunde für sie käme, wo es -schwer ist, sich zur Wahrheit zu bekennen, sie auch dann ... -nicht anders könnten. Was sie an Hindernissen auf ihrem -Weg finden werden, das verfügt unser Herr und Gott, -was von außen kommt, liegt nicht in unserer Macht. Wir -können nur den Willen bereiten. Das müssen wir. Denn -ich meine, das <em class="ge">ganz</em> Furchtbare, das, was nicht heil zu -machen geht, ist, wenn der Hahn kräht und einer einsieht, -daß er seinen Mann nicht gestanden hat. Erkennen, -was die Hauptsache ist und was die Nebendinge sind, ja, -wer das hat, was kann ihm schaden, wer kann ihn besiegen? ...«</p> - -<p>Dem Gatten waren solche Aussprachen – die meistens -als Monologe verliefen –, wenn seine Frau ihr Veledagesicht -aufsetzte und das Gesetz verkündete, geradezu fürchterlich. -Es fiel ihm ja gar nicht ein, gegen ihren Wunsch -Entscheidungen zu treffen; man konnte aber doch wohl -seine Ansicht sagen. Zum Glück kamen derartige Explosionen -selten vor; für gewöhnlich war Gerta sehr zurückhaltend. -Aber er fühlte immer etwas durch: Mißtrauen -von vornherein und einen kindischen Eigensinn in Dingen, -über die er kein Wort verlor. Gouvernantenhaft, das -drückte es am besten aus. Seit der albernen Freundschaft -mit den überspannten Livländerinnen wurde es immer -ärger. Er war gewiß für Religion; mein Gott, wohin -geriet man auch sonst, schon allein der unteren Klassen -halber war sie ganz unentbehrlich. Und eine Frau ohne -<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a> -Religion war ja ganz wider die Natur. Aber diese Hyperfrommen -hatten etwas direkt Aufwieglerisches an sich – -sie konnten reden wie die rötesten Sozialdemokraten, -geradezu bedenklich; und taktlos waren sie auch alle, weil -in ihren Augen der höhere Zweck die ärgsten moralischen -Anrempeleien rechtfertigte – ja, sogar wenn sie schwiegen, -brachten sie's fertig, rechthaberisch zu sein.</p> - -<p>Er stand auf und sagte: »Wir wollen uns doch nicht -über Grundsätze und dergleichen ereifern; dazu ist es -heute viel zu warm. Jedenfalls, ich bin wie eine tote -Fliege und gänzlich kampfunfähig. Meine Ansicht in der -Sache, die uns vor allen andern beschäftigt, kennst du. -Möglichste Schonung nach allen Seiten. Auch gegen uns -selbst. Auch gegen die konventionellen Hühneraugen -unserer Nachbarn und Standesgenossen. Man lebt eben -nicht auf einer Robinsoninsel, nur mit einem Lama und -einem Papagei. Aber die Zeit ist der beste Alliierte, und -die Menschen vergessen nur zu gern, wenn sie dadurch -einer Unbehaglichkeit aus dem Wege gehen können. In -einigen Jahren kann man das Gras mähen, das darüber -gewachsen ist.«</p> - -<p>»Ja, in Dingen der Weltklugheit rede ich nicht mit, -das liegt mir nicht. Hier im Haus aber, wozu das Versteckspiel? -Ich will Freud und Leid tragen, ohne Scham, wo -ich doch keine empfinde. Warum auch, es liegt ja alles -so einfach. Man macht so oft die Dinge kompliziert, bloß -aus Furcht. Und ich hasse die Furcht. Es ist etwas Fremdes, -es soll nicht an uns heran. O Thilo, du <em class="ge">mußt</em> mir ja -<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a> -recht geben. Sollen wir denn erröten, wenn das Evangelium -vom verlorenen Sohn gelesen wird? Was ist uns -das Geschwätz von Nachbarn und Standesgenossen? -Nicht mehr als der Rauch deiner Zigarette. Denk an die -großen Jagdrennen, früher, oh, wie stolz war ich auf -dich, Thilo. Immer der erste, kein Gedanken an Gefahr. -Willst du dich vor dem Gerede mehr fürchten als vor dem -irischen Wall in Iffezheim?«</p> - -<p>In ihre Augen war feuchter Glanz gekommen, ihre -Farbe kam und ging. Ganz jung sah sie wieder aus, wie -damals ... Schumanns »Widmung« fiel ihm plötzlich -ein, die sein Vetter Landrat – Theo mit den Lakritzenaugen -– am Polterabend hinter der kleinen Bühne gesungen -hatte; er hörte noch die gaumige Baritonstimme, -die ihn damals tief gerührt hatte: »Mein guter Geist, -mein beßres Ich!« Und an den Tag in Iffezheim hatten -ihre Worte gemahnt. Eine rasche, heiße Welle des Erinnerns -ging ihm durchs Blut. Wie sie dort auf einem -schmalen Brett gestanden hatte, hochgereckt, in dem -weißen Sommerkleid, das der Wind fest zurückblies um -ihre feinen, mädchenhaften Glieder, den Hut etwas nach -hinten geschoben, das Haar verwirrt um die leuchtende -Stirn, und ihre großen reinen Augen so strahlend und -voll Vertrauen auf seinen Sieg, sie, die in ihrer Unschuld -doch schließlich auf das Körperliche hereingefallen war -und dem stählernen, furchtlosen Reiter auch Seelenstärke -und Unabhängigkeit des Denkens angedichtet hatte; -warum eigentlich? Weil er einen geraden, guttrainierten -<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a> -Körper besaß und eine gewisse Art physischer Furcht nicht -kannte? Jugend, Jugend! Von ihrem Glauben getragen -war er sich schließlich selbst wie ein famoser Kerl vorgekommen, -auserwählt, dieses scheue und doch unendlich -aufrichtige Geschöpf an sich zu fesseln ... Er seufzte auf -und küßte, sich plötzlich vorbeugend, ihre herabhängende -Hand. Der Schmerz zog wieder so elend in seinem Genickwirbel. -Da stand er auf und ging in sein halbdunkles -Zimmer zurück, wo auf dem Schreibtisch so viel angesammelte, -aufgeschobene Arbeit wartete.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Das war am Dienstag gewesen, Mittwoch kam, nicht -heißer, das war nicht möglich, aber noch bleierner, schon -seit dem frühen Morgen. Die Pferde fuhren mit großen -Tonnen zum See hinunter, es sollte heute wieder im -Gemüsegarten gegossen werden; Park und Blumen -mußte man ihrem Schicksal überlassen, da war für diesmal -nichts mehr zu machen, die Fliederbüsche standen -grau und matt und an den Wegrändern häuften sich ihre -zusammengerollten Blätter, die braunen Grasflächen -dehnten sich wie schäbige Löwenfelle, und auch die Linden -auf der Terrasse ließen runzlige Blätter niedersinken; -wär' es nicht so furchtbar heiß gewesen, es hätte Oktober -sein können.</p> - -<p>Papa saß unter den Platanen, gerade oberhalb der -Wiesen, die sich bis zum See erstreckten. Er wurde stets -sentimental, wenn er von diesem etwas erhöhten Platz -die Landschaft überblickte.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a> -»Hier will ich einmal ruhen, unter einem schlichten -Stein,« sagte er, und seine Stimme bebte ein wenig bei -dieser Vorstellung; er legte wie segnend die Hand auf -Alis kleinen, frischgeschorenen Kopf (Ali wünschte sich in -solchen pathetischen Momenten klaftertief unter die Erde, -das Erhabene lag ihm nicht), »das ist das rechte Grab -für einen ehrlichen Reitersmann.« Papas Augen blickten -verschwommen. Nachdem die Post am Vormittag gekommen -war, war's mit den Nerven ganz bös geworden, -da hatte wieder das winzige Spritzchen helfen müssen. -Ali war gerade dazugekommen. »Sage nichts an Mama,« -flüsterte Papa und sah sich etwas schuldbewußt um, -»du weißt ja, wie gut sie ist; sie macht sich dann immer -gleich Sorgen. Aber bei dem verdammten Bohren ist es -nun mal das einzige ...«</p> - -<p>Der Himmel über dem See war blauschwarz; er schien -sich immer tiefer zu senken, der große Roggenschlag jenseits -leuchtete fahl, unheimlich deutlich unter dem -finsteren Gewölk. Papas Hand lag noch immer schwer -auf Alis braunem Maulwurfsfell. Nun kam der Knecht -mit den letzten Tonnen. »Heut nacht wird's losgehen, -Herr Rittmeister,« sagte er und legte militärisch grüßend -die Finger an die alte, verfärbte Soldatenmütze. Die -Räder ächzten, aber das hartgebrannte Wiesenland gab -kaum nach unter der Last ...</p> - -<p>Auf der Terrasse vor der Haustür stand Mama in -ihrem leinenen Reitkleid; sie hatte eben noch mal nach -dem Vorwerk reiten wollen, um die neue Mamsell zu -<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a> -beraten: da war eben das Telegramm gekommen. Mit -ihrem glatt zurückgestrichenen Haar unter der Mütze glich -sie einem lang aufgeschossenen Jungen, wie sie da an der -Rampe lehnte, die Hände in den Jackentaschen, der Fuß -ungeduldig tappend. Sie händigte ihrem Mann das -Telegramm ein.</p> - -<p>»Der Bote wartet.«</p> - -<p>»Mein Gott, warum hast du nicht aufgemacht?«</p> - -<p>»Bitte, es ist an dich adressiert,« sagte Mama, die in -solchen Dingen äußerst empfindlich war; Tante Brunislawas -naiv gründliche Art, Ansichtspostkarten zu studieren, -die nicht an sie gerichtet waren, konnte ihr Gänsehaut -verursachen.</p> - -<p>»Heute, acht Uhr zwanzig,« las Papa leise. Das Blut -war ihm zu Kopf geschossen. »Laß Dralle rufen, bitte,« -sagte er, schon an seiner Tür im Erdgeschoß.</p> - -<p>»Ich gehe selbst.«</p> - -<p>Mama ging hinaus in die bleierne Glut.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Dralle saß in Hemdärmeln und gestreifter Weste auf -der Bank vor der Sattelkammer und vesperte. »Dralle,« -sagte die gnädige Frau, »Sie möchten zum Herrn kommen, -er braucht Sie heut abend zur Bahn.« Die Hände -am Gürtel stand sie vor ihm, ganz blaß in der flimmernden -Luft. Reglos, aber doch bebte alles an ihr. Wäre sie ein -junges nervöses Pferd gewesen, so hätte der Alte gewußt, -was zu tun; mit seiner breiten, ruhigen Hand und -tiefen Brummstimme verstand er's, allem, was in seine -<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a> -Obhut kam, Ruhe und Vertrauen einzuflößen. So aber -fuhr er in die Höhe und stand still: »Zu Befehl! ...« -Aber in seine Augen unter den schräghängenden Lidern -war der wachsame Hundeblick gekommen, den sie kannte, -und der tat ihr wohl. Denn der Alte war aus ihrer -Heimat, dort im Lüneburgschen, wo die Menschen so -herrlich mundfaul waren; als sie heiratete, war er, ganz -selbstverständlich, mitgekommen, der sie als Kind schon -reiten und fahren gelehrt hatte und wie man sein Pferd -selber putzt und sattelt. Zwischen ihnen waren nie viel -Worte nötig gewesen.</p> - -<p>»Ich wollte Ihnen längst schon sagen, Dralle,« fuhr sie -etwas unsicher fort, und das zuckende Grübchen in der -Wange kam und ging, »wie dankbar ich Ihnen bin, daß -jetzt alles in den Ställen so ruhig und ordentlich zugeht, -zumal mit den neuen Leuten.« Dann wandte sie sich zum -Stall. Dorthin ging sie so manchesmal.</p> - -<p>Drinnen waren die Fenster verhängt; alles kühl -dämmerig und totenstill, die Stände leer, die Pferde -noch auf dem Felde. In einer Ecke, neben der Haferkiste, -krochen Erdas Kinder, das Braune und das Gefleckte, -auf weichen Gummibeinchen im Stroh. Sie stießen -flehende Tönchen aus, wie sie Gerda kommen sahen, und -blickten zu ihr auf mit dem tieftraurigen Blick und den -sorgenschweren Stirnen, die jungen Hühnerhunden eigen -sind. »Ihr Armen,« sagte sie, von Mitleid plötzlich überfallen; -so etwas Junges, Wehrloses; ganz hoffnungslose -Augen machten sie ...</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a> -Weiter zurück wieherte es leise. Das war Thilos altes -Rennpferd, Cara, die schon mehrere wertvolle Fohlen -gebracht hatte und dort, etwas entfernt von den robusteren -Stallgenossen, das abgesonderte Dasein einer -entthronten Königin führte. Feingefesselt, blank und -seidig wie reife Edelkastanien stand sie in der Box und -hatte den schönen, kleinen Kopf über die Wand gelegt. -»Cara,« sagte die Frau und öffnete, und schon fühlte sie -die warmen Nüstern an ihrer Wange. Ein Sonnenstrahl -schlüpfte herein, die großen Pferdeaugen glühten wild -und zärtlich auf. Sie stellte sich dicht an die alte Mutterstute -und drückte das Gesicht in die warme Höhlung -zwischen Schulter und Hals, wo das Netzwerk der Adern -schauerte. Ihr war, als stünde sie an eine Schwester gelehnt, -die verzaubert war und nicht reden konnte, aber -alles verstand; alles was kühn und heiß und traurig ihr -Herz aufrauschen ließ und plötzlich ihren Blick verdunkelte.</p> - -<p>»Du und ich, Cara, du und ich –« sagte sie und wußte -nicht, daß sie gesprochen hatte. Und dann mußte sie -gehen, und die alte Cara legte wieder den Kopf über die -Wand und sah ihr nach, diesmal ohne zu wiehern ...</p> - -<hr /> - -<p>Die Kinder hatten noch Aufgaben für morgen. Aber -sie blieben in dem langen, hellen Gang stehen, an dessen -äußerstem Ende sich ein hohes Fenster nach dem Park -zu auftat. Heute waren die weißen Vorhänge zugezogen, -es herrschte ein totes, weißes Licht; es war ganz still, -nicht einmal eine Wespe summte. Wie auf dem Meeresgrund, -<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a> -dachte Ali. Er hatte zu Weihnachten ein Buch bekommen -mit Bildern von Korallen und Seeanemonen, -die Schatten warfen auf den glatten weißen Sand, viele -hundert Faden tief.</p> - -<p>Die Kleudchen saß dort am Fenster, klein und dunkel, -wie am Ende der Welt, vor ihr der Tisch, wo sich sonst die -Flickwäsche türmte. Heute stand eine Schüssel darauf, und -die Kleudchen hatte Minka, ihre kleine, fette Wachtelhündin, -auf dem Schoß; sie fing ihr die Flöhe.</p> - -<p>»Da,« sagte Adallah, der gleich Feuer und Flamme -wurde, solche Jagd war doch zu interessant, »du mußt den -Finger naß machen, Fau Kleudchen, dann geht's besser.«</p> - -<p>»Ja, die kleinen Schwarzen sind zu fix,« sagte die -Kleudchen, »das sind die Männchen. Die großen Braunen -können nicht so rennen.« Sie steckte wieder einen ins -Wasser. »Da könnt ihr zappeln,« sagte sie rachsüchtig.</p> - -<p>»Fau Kleudchen,« sagte Adallah, »Vate fäht zu Bahn; -es is 'n Tegamm gekommen.« Die Kleudchen ließ -Minka zur Erde gleiten. Ihr kleiner, zahnloser Mund -schnurrte zart und gramvoll zusammen. Sie blickte vor -sich hin. Dann stand sie auf und ging mit kleinen, knappen -Altweiberschritten den Korridor hinunter; der Kamm -steckte in der Tasche ihrer schwarzen Moiréschürze; Minka -watschelte kurzatmig hinterdrein.</p> - -<p>»Kinder, Kinder,« sagte die Kleudchen. Und dann: -»Macht euch nun an eure Aufgaben, nicht wahr?«</p> - -<p>Sie ging die Treppe hinauf, es krachte bei jedem Schritt, -sie mußte sich am Geländer festhalten; auf halber Stiege -<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -machte sie halt. Die Kinder hörten sie in das verschlossene -Zimmer gehn; dann machten sie sich an ihre Aufgaben -für Herrn Pastor Gordon.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Nun war die abendliche Milchsuppe glücklich vertilgt, -ein Gericht der Ewigen Wiederkehr, dem ebenso regelmäßig -eine Schüssel der Jahreszeit entsprechenden -Kompotts folgte. Adallah, der Obst nur in rohem, wenn -möglich unreifem Zustande würdigte, hatte namentlich -vor gekochten Pflaumen einen Abscheu, während ihnen -Ali einen sekundären Reiz abgewann, indem er später -die Kerne gegen die geschwärzten Ahnenbilder im -Korridor spuckte. Er hatte sich darin zu einem wahren -Scharfschützen ausgebildet.</p> - -<p>Auch diesmal räsonierte Adallah leise mufflich vor -sich hin, und die Kleudchen hatte ein Einsehen und räumte -alles ohne Gegenrede weg. Sie schien heute nur auf eins -zu drängen, daß die Kinder möglichst bald schlafen gingen.</p> - -<p>Das Gewitter war noch immer zu keinem Entschluß -gekommen. Auf der Seeseite zuckte es ab und zu fahl auf, -und die Haufen dürrer Lindenblätter wirbelten plötzlich -auseinander, wenn ein kleiner Windstoß sie aufkescherte. -Die Schwüle hatte sich eine Spur gehoben, wer konnte -sagen, ob heute nacht noch die Erlösung kam.</p> - -<p>Nachdem sie ein wenig an einem Lampenschirm für -Papas Geburtstag gepappt hatten, gingen die Brüder, -ziemlich klebrig und deprimiert, hinauf in den Giebel, -wo ihr Zimmer war. Sie schliefen dort allein. Es war eine -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -Diele in der Mitte, auf welche drei Türen mündeten; -ihnen gegenüber ein dem ihren ähnlicher Raum, wo -Kleudchen die besseren Äpfel und allerhand Kräuter verwahrte, -Fenchel, Krauseminze und Zitronenmelisse; es -roch nach Apotheke durch die Türritzen. Im Hintergrund -aber war ein Verschlag, wo Koffer und Körbe aufgestapelt -standen, auch mancherlei ausrangiertes Mobiliar, -kummervoll aussehende Lehnstühle und Etageren, denen -Dominik bei Gelegenheit zu neuem Jugendglanze verhalf. -Im Dämmerlicht gab es dort kuriose Umrisse, -Schatten und Geräusche.</p> - -<p>Die beiden genossen ihre Freiheit im Giebel, aber es -gab auch Momente, wo sie lieber unten geschlafen hätten -oder im Seitengebäude, wo Kleudchen ihr Reich hatte. -Aber sie schämten sich, es einzugestehen. »Ich glaube gar, -ihr habt <em class="ge">Angst</em>?« würde Mama sagen und die Augenbrauen -hochziehen. Nein, lieber knackende Schränke und -unmotivierte, schlurrende Geräusche als das! Heute aber, -mit dem Gewitter in den Gliedern, lagen sie recht klein -und kümmerlich in ihren Bettchen, mit großen Augen -zum Gebälk aufschauend, wo ein pelziger Nachtschmetterling -mit Gebrumm seine Kreise zog.</p> - -<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0"> -<tr> - <td class="tdl">»Will Satan mich verschlingen,</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">So laß die Engel singen:</td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl">Dies Kind soll unverletzet sein,«</td> -</tr> -</table> - -<p class="in0">betete Ali mit Nachdruck; sie hatten beide eine Vorliebe -für diese hochdramatische Stelle. Und »Amen« klang es -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -leise stockschnupfig aus Adallahs Bett an der anderen -Wand. Diesem war der Gedanke an »Satan« heute -abend gar nicht so genußreich wie sonst.</p> - -<p>Die Kleudchen sah mit dem Licht in der Hand mehr -denn je aus wie eine treue, zuverlässige Hexe; den -Kindern kam sie vor wie ihre einzige Rettungsplanke. -Es war einsam und schwül hier oben, und morgen war -Doktor-Löschwitz-Tag; sie würden wieder mit ihm -spazierengehen müssen, so langweilig; er wollte nie aus -dem stickigen Park heraus. Herr Doktor Löschwitz kam -stets im Bratenrock, er führte sie bei der Hand, er sagte -ab und zu: »Nun, meine kleinen Freunde, und was -machen die Wissenschaften?« oder: »Nun, Freund Albrecht, -wie sagt der Lateiner?« Lauter so einfältige Fragen, auf -die man gar nichts zu antworten wußte; aber er ließ nicht -los, und seine Hände waren heiß und knöchern in den -knirschenden Zwirnhandschuhen.</p> - -<p>»Frau Kleudchen, bleib doch da,« sagte Adallah weinerlich, -er war nun schon ganz haltlos. Sie saßen noch aufrecht, -vom Beten her; ihre Hälschen streckten sich nach ihr -aus wie Vogelhälse über den Nestrand. Die Kleudchen -stand zögernd mit dem Licht; ihr Schatten schwankte -langnasig über die Tapete. »Ich komme in zehn Minuten -und bring' euch noch frisches Wasser,« sagte sie. Bis dahin -würden sie eingeschlafen sein. Doch die beiden wurden -wohl schläfrig, aber darunter blieb eine eigentümliche -Unruhe bestehen. Papa war noch vor dem Abendbrot mit -Dralle weggefahren, bei der Dürre konnte man den -<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a> -kürzeren Sandweg nicht nehmen. Unten saßen jetzt -Mama und Herr Pastor, der immer am Mittwoch zum -Tee kam. Aber heute blieb er nicht, das war seine knappe -Art zu reden, auf dem Vorplatz, und nun Mamas -tönende Stimme: »Ja, da ist der Regenschirm;« und -dann ging die Haustür und fiel ins Schloß. Nun war es -totenstill, nein, war das nicht Mama, die im Gartensaal -auf und ab ging? Wenn sie ans andere Ende kam, drehte -sie sich mit einem kleinen Ruck. Abends trug sie immer -ein seidenes Kleid, und es war ihr im Wege, und dann -sagte sie: »Ach, das gräßliche Kleid ...«</p> - -<p>Ja, die Frau im Gartensaal ging schon eine Weile auf -und nieder, die Hände auf dem Rücken, den Blick geradeaus, -ohne viel zu sehen. Manchmal stand sie an der Glastür -still und sah in die Finsternis, und wenn ein Blitz kam, -blieben ihre Augen ruhig, als schauten sie andere Dinge.</p> - -<p>Dieser Pastor gehörte also auch zu den Menschen, die -»zum Guten« reden. Sie hatte Thilo beredet, die Stelle -an Gordon zu geben. Seine schottische Abkunft, seine -hagere, asketische Erscheinung, sein physischer Mut – damals, -als sich der Bulle losgerissen hatte –, das alles -hatte sich in ihr mit Vorstellungen von Cromwells ernsten -Scharen zu einem Bilde puritanischer Einfalt und -Furchtlosigkeit gestaltet, das eine heimliche, romantische -Saite in ihr zum Schwingen brachte. Aber sie wurde -seit einiger Zeit die Empfindung nicht los, daß Gordon -bei allem, was er tat, in seinem eigenen Bewußtsein ein -unsichtbares Publikum besaß. Es war nicht der gewöhnliche, -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -äußerliche Ehrgeiz, den sie durchfühlte, nein, etwas -Raffinierteres, den Ehrgeiz der Entsagung, der seiner -Demut den heimlichen, erquickenden Stachel gab. Und -sie erkannte, daß er in schwierigen Momenten versagen -mußte, weil er nicht einfach genug war für all die -Kompliziertheiten des Lebens.</p> - -<p>So hatte sie denn allein, wie sie es gewohnt war, in -diesen Tagen tief in die letzten Winkel ihres Herzens -hineingeleuchtet, eine jener Generalrevisionen vorgenommen, -wie sie ihr die frommen, livländischen Freundinnen -als ordentliche und außerordentliche Exerzitien – ähnlich -den Alarmübungen der freiwilligen Feuerwehr – so liebevoll -eindringlich empfohlen hatten, und wenn sie dabei -auch in anderem Geiste verfuhr als die sanften Gemeinschaftlerinnen, -ihr war solche Übung von Zeit zu Zeit -recht. In den zehn Jahren, die sie hier lebte, hatte sie -Thilo mehr und mehr das Geschäftliche, die Rechnerei, -die ihn so furchtbar irritierte, abgenommen, hatte mit -mancher Unordnung und Unredlichkeit aufgeräumt, für -die sie ihm im stillen schwerere Schuld gab als denen, die -träge Vertrauensseligkeit in Versuchung führte. Dabei -hatte sich ihr Blick geschärft, sich gewöhnt, Ursache und -Wirkung fast gleichzeitig zu erkennen und auseinanderzuhalten. -Nun wollte sie auch sich selbst nicht schonen, -nein, um jeden Preis mit ihrem Gott ins reine kommen. -Und da hatte sie manches gefunden, was sie beschämte, -Selbstüberhebung, Herrschsucht, Heftigkeit, sogar gegen -Untergebene, die sich nicht wehren konnten – recht erbärmlich -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -war's gewesen; aber Menschenfurcht und Eigennutz -waren nicht dabei. Sie hatte Thilo angefleht, hatte -darum gekämpft, den Fremdgewordenen, das zertrümmerte -Leben, das heute nur auf wenig Stunden hier einkehren -sollte, nicht wieder von sich zu lassen. Er hatte doch -nun seine Sünde verbüßt, nach dem Rechtsspruch, der -bei all den braven, hochgeachteten Leuten galt, die unversucht -in Ehren starben und begraben wurden, und für -deren Gesetze, die trotz aller Tüftelei nie bis zu den letzten -verwirrten Wurzeln einer Handlung drangen, sie dieselbe -Geringschätzung empfand wie ein überzeugter Naturarzt -für die Pflaster und Schlafmittel der berufsmäßigen -Doktoren. Was half's, das Evangelium vom verlorenen -Sohn zu bekennen, wenn man das Herz nicht hatte zu -tun, was jener israelitische Vater getan? Aber das war -eben die Halbheit, die Willensschwäche, dasselbe, was -Thilo die unangenehmen Abrechnungen von Woche zu -Woche verschieben oder ihn zu der feigen Spritze greifen -ließ, sobald es stärker in der Schulter bohrte, dasselbe, -was ihn seine jüdische Großmutter verleugnen ließ, aus -deren Mitgift doch die Vorwerke zurückgekauft, der englische -Park und die nunmehr verfallenen Treibhäuser angelegt -worden waren. Unbegreiflich! Hätte sie auch nur -einen Tropfen des verpönten Blutes in den Adern gehabt, -nie hätte sie's verleugnet. Ach, sie hatte sie gesehen, -damals, in Livland, diese heimatlosen, jüdischen Leute, -auf kleinen, öden Bahnhöfen gestrandet, im rieselnden -Landregen oder in Glut und Staub zusammengekauert, -<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -gleich aufgescheuchten Nachttieren, denen plötzlich das -Licht scharf und ohne Erbarmen in die Augen brennt. -Diese Kinder, denen das bittere Leben schon so viel unkindliche -Pfiffigkeit beigebracht hatte, diese engbrüstigen -Männer, die etwas Weichzähes hatten, Geschöpfe, die -sich zugleich anschmiegen und festklammern müssen, um -zu bestehen; diese uralten Judenmütter, unbeweglich, -ganz verwittert wie Steinbrüche; nicht ihr eigenes Alter, -nein, all die tausend Jahre ihres Volkes schienen in ihre -Runzeln eingezeichnet. Vor wenig Wochen saßen sie -zwischen Kindern und Kindeskindern, am schöngedeckten -Tisch, vor sich den heiligen Leuchter, den Kuchen und den -Wein, und nun hockten sie hier, die Füße im Graben! -Oh, ihr Wasser Babylons! Ein junger rothaariger Jude -hatte traurig auf der Ziehharmonika gespielt. Und sie -hatte sich so brennend gewünscht, ein großer Maler -möchte das malen, wie sie es sah, den flimmernden Staub, -die trostlose Landstraße, die Jammervollen da am -Graben entlang. Aber hinter ihnen, riesengroß, geisterhaft, -silberglühend in der gelben Mittagsglut, ein Kreuz, -und unser Herr und Heiland daran, der die blutenden -Hände von den Nägeln losgerissen hat und hinunterstreckt -zu den Ausgewiesenen in unendlichem Jammer! -Aber sie wurden verleugnet. Und verleugnen kam -doch gleich nach verraten; ja, war's nicht noch schmählicher, -so etwas Passives, Bequemes? Man hielt -einfach den Mund, wo man hätte reden müssen, weiter -nichts!</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -Aber ihre eigenen kleinen Söhne dort oben – es kam -ein kurzes, trockenes Aufschluchzen in ihre Kehle –, die -sollten unberührt bleiben von der Welt. Sie sollten nur -wahr sein und deshalb furchtlos, ganz ohne Furcht und -darum wahr. Vertuschen, schweigen oder sagen: ich kenne -ihn nicht – nein, das würde ihren Jungen unmöglich -sein; da hatten ihre eigenen Vorfahren ein Wort mitzureden, -die alten Niedersachsen, die lieber mit ihren -toten heidnischen Brüdern verdammt sein wollten, als -ohne sie himmlische Freuden gewinnen. Auf einen Augenblick -sprühte der blaue Funken in ihren Augen auf, der -die Kinder, wenn sie ihn erhaschten, eine fremde, ungezähmte -Mama ahnen ließ, die ihren eigenen Weg -ging, auf den so kleine Jungens nicht mitgenommen -wurden.</p> - -<p>Wahr sein! Ach, nur das, nur das, alles andere legte -sie gern in Gottes Hand, wollte heiter sein, nicht sorgen -um den kommenden Tag, so wie die Freundinnen es ihr -anempfohlen, deren tiefe Herzensruhe alles um sie her -glättete und ganz einfach machte. Aber in dieser einen -Sache, da mußte sie selber Posten stehen, zur Stelle sein -mit Augen und Händen und ihrem ganzen Verstand; -da galt der Spruch, der ihrem Wesen entsprach: Mensch, -hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Denn sie wußte, wenn -es später hiermit nicht stimmen sollte, würde sie nie vermögen, -sich ein X für ein U zu machen, es als eine -Schickung hinzunehmen, es dem allwissenden Gott in die -Schuhe zu schieben, sozusagen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -So ging sie auf und ab. Der lange Raum war halbdunkel, -die Lampe über dem Teetisch machte nur die eine -Ecke hell und heimlich. Aber die Blitze zerrissen die Nacht -in immer kürzeren Intervallen. Unter ihrem Augenlid -fing es wieder an zu zucken, das Kleid hing ihr schwer um -die Glieder. Einmal griff sie nach dem Türpfosten und -lehnte den Kopf auf den Arm, sekundenlang: wie mochte -wohl Frauen zumute sein, die ruhevoll und ohne Zweifel -den <em class="ge">anderen</em> entscheiden ließen und wußten, es würde -gut sein, was er auch erwählte? So ein Mann wie ein -großer schützender Baum! Solche Frauen mußten doch -einen wunderbaren Frieden haben, so großen Frieden, -daß die Werktage fast wie Sonntage wurden ... Oh, die -dummen, schmerzhaft-süßen Gedanken, ganz matt wurde -man davon; besser, sie nicht weiter zu spinnen.</p> - -<p>Neben ihr auf einem Gartentisch standen allerhand -blühende Töpfe. Sie knipste ein wohlriechendes Geraniumblatt -ab und steckte es an den Gürtel, die herbe -Süße tat ihr wohl. Sie hatte so ganz verschwiegene Vorlieben -unter den Blumen. Nun war wieder ein Lächeln -in ihre Augen gekommen.</p> - -<p>Es schlug zehn. Da ging sie zu der erleuchteten Ecke. -Mit ihren schönen ruhigen Händen zündete sie das -Flämmchen unter dem Teewasser an, rückte Schüsseln -und Blumen zurecht. Gleich würde die arme Brunislawa -geschlüpft kommen und sich schüchtern und gewichtlos -auf der Sofakante niederlassen, als hätte sie kein Recht -dazu. So überbescheidene Menschen waren im Grunde -<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -doch nervenangreifend. Ja und nun in ein paar Minuten -mußte der Wagen da sein.</p> - -<hr /> - -<p>Ali und Adallah waren, nachdem ihnen die Kleudchen -Wasser gebracht, doch eingeschlafen. Aber nun wachten -sie, ziemlich gleichzeitig, heiß und unruhig auf.</p> - -<p>Das Gewitter schien jetzt Ernst zu machen. Das war -kein Wetterleuchten mehr, sondern scharfes, bläuliches -Blitzen. Der Donner kam immer näher und die Stimme -des Windes hatte etwas zornig Pfeifendes, ähnlich wie -der Bulle, wenn er ganz böse war und den Kopf zwischen -die Vorderfüße bohrte. Die Fensterflügel zerrten in den -Haken, und irgendwo war ein Laden locker geworden und -klappte mit jedem Windstoß. Man hörte Baumwipfel -sausen, tief und unheilvoll, Blätter huschten am Fenster -vorbei; dann war es wieder ganz schwarz. Einmal mischte -sich auch Rädergeroll in das Donnern. Die Haustür ging, -Pferde stampften. »Oooda –« das war Dralles Stimme, -die Braunen wollten nicht stehen bei dem Blitzen.</p> - -<p>Die Kinder lagen steif unter ihren roten Wolldecken; -der Wind fuhr ihnen abwechselnd heiß und kühl über die -Haare. Oh, wenn sie doch jetzt unten wären bei den -Großen, die gewiß um den runden Tisch, bei Tee und -Lampenlicht saßen und sich gar nicht fürchteten, oder im -Stall, wo Fritz Dralle im Verschlag schlief und die -Laterne im Pferdedunst zwinkerte und Erda in der -Kiste lag, das Braune und das Gefleckte liebevoll umringelnd.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -Die Blitze folgten einander rascher; der Donner kam -jetzt krachend, fast gleichzeitig; das war nicht mehr das -tiefe Löwengebrüll des Anfangs. Unten gingen Türen, -man hörte Stimmen, Papa krähend aufgeregt, Tante -Brunislawas unverkennbarer Klagelaut, so perlhuhnartig, -und zwischendurch die Kleudchen wie eine besorgte, vernünftige -Truthenne: knapp, knapp, knapp. »Ich werde -selbst hinaufgehen,« das war Mamas weicher Alt, -»komm auch du, Stanja,« und Papa: »Nein, nein, -später,« und wieder Mama: »Doch, Thilo, heute.«</p> - -<p>Im selben Augenblick fuhr es blau zum Fenster herein; -das Zimmer leuchtete hell auf, man sah jeden kleinen -Riß in der Tapete; ein kurzes, scharfes Knistern, als ginge -feines Glas entzwei, dem ein ohrenbetäubendes Knattern, -eine hohe tückische Salve folgte; es roch seltsam schweflig. -Aber nun prasselten schon die Regenmassen aufs Dach, -in die Baumkronen hinein; sie wühlten den Kies auf; sie -bildeten sofort eine Menge kleiner, aufgeregter Ströme, -die über die Terrasse liefen, immer eiliger, immer -wütender, die Brüstung entlang, bis sie Ritzen fanden, -zu denen sie vereint wie Dachtraufen hinausschossen in -den verdorrten, versengten Äpfelgarten hinunter.</p> - -<p>Adallah hatte aufgeschrien. Ali blickte wie versteint -nach der Türe. Dort, mit übergehängter Joppe, stand -Mama, blaß, mit feuchtem Haar, ihre Augen glänzten -so sehr, sie lächelte. Würde sie sagen: »Ich glaube gar -der Junge hat Angst?« Aber sie sagte nichts dergleichen, -sie wandte sich zurück, ein Fremder stand hinter ihr. -<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -»Siehst du, Stanja, deine kleinen Brüder sind wach,« -sagte sie, »nun müßt ihr gleich Freundschaft schließen.« -Ein langer, schlaksiger junger Mensch mit fahlem, kurzgeschorenem -Haar ging verlegen von einem Bett zum -anderen. Er murmelte »Guten Abend«, er lächelte, -aber so als täte es ihm weh.</p> - -<p>»Gebt eurem Bruder einen Kuß,« sagte Mama, »denn -ihr müßt euch sehr freuen, daß er wieder bei uns ist.« -Ihre Hände klammerten sich um Alis Bettpfosten. Die -Hände dort, in die sich nun die kleinen, zerkratzten Pfoten -ihrer Kinder so zutraulich legten, sie hatten Menschenblut -vergossen in tierischer Wut. Und bis es soweit kam, -hatten sie anderes verübt, was die Menschen milder beurteilen -und das Gesetz milder bestraft, und das ihr viel -schrecklicher schien, weil es ihr unbegreiflicher war. War -das nun ausgelöscht durch die Strafe? Oder blieb einer, -der solcher Vergehen fähig war, dadurch gezeichnet für -immer, zu einer Menschenschicht gehörig, die man bedauern, -aber nie begreifen konnte? Und schlief vielleicht -in ihren eigenen kleinen Söhnen ebenso giftiges Samenkorn -und schlief sich nach Gottes Ratschluß zu Tode oder -wachte plötzlich auf, mit unbändiger Triebkraft, wenn -alles sicher und befestigt schien? Aber war das ein Grund, -nachsichtiger zu urteilen, weil man selbst oder das eigene -Fleisch und Blut ähnlich straucheln konnte? Wie die -Menschen, die feige zu allem schweigen, um ihr eigenes -Glashaus nicht zu zertrümmern. Was half Denken und -Abwägen? Eines war gewiß: er hatte zahlen müssen mit -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -dem, was am kostbarsten ist, mit der unwiederbringlichen -Zeit, mit Sonne und Luft und dem Rausch freier Glieder -in der Morgenfrische, dort in der Enge und dem Schweigen, -bei grauer, eintöniger Arbeit, ohne Kameradschaft, -ohne helles Ziel. Er hatte gezahlt mit langen Jahren der -kurzen Jugendzeit und die vergrämten, alten Fältchen -an seinem Mund waren die Quittung darüber. Aber was -an ihr lag, das sollte geschehen, auf daß er noch einmal -in Klarheit, ohne Vertuschen und gerade darum nicht -ganz ohne Stolz, sein schweres Leben neu beginnen -konnte; und wenn es ihn jetzt in weite Ferne führte, -auch dort sollte er wissen, daß sie zu ihm stand in seinem -neuen Leben.</p> - -<p>»Wo warst du denn die ganze Zeit?« fragte Adallah, -dem der Fremde stumm und hilflos über den kleinen -Hemdärmel strich.</p> - -<p>Der junge Mensch wurde rot, er murmelte den Namen -einer fremden Stadt.</p> - -<p>»Stanja ist in einer Schule gewesen,« sagte Mama. -»Wir Menschen müssen alle in die Schule. Aber nun hat -er ausgelernt.« (Wie geschraubt das klang, dachte sie, -gleich als sie's gesagt hatte.)</p> - -<p>»Bleibst du nun hier?« piepste Adallah weiter, dem -sich schon berauschende Aussichten auftaten, Kombinationen -von Stanja mit dem Kahn und Haselnußexpeditionen -mit Stanja und dem Gefleckten.</p> - -<p>»Nein, morgen reise ich weiter,« sagte der neue Bruder. -Er hatte eine verschleierte Stimme, die den Kindern -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -wie ein fremdartiges Instrument vorkam; und es war -da etwas Nettes mit seinen haselfarbenen, etwas schräg -gestellten Augen, wenn er beim Lächeln das untere Lid -so hochzog.</p> - -<p>»Ja, aber du kommst wieder und kommst oft wieder, -und schließlich bleibst du da und wirst unsere rechte Hand.« -Mama hatte ihr leises Mädchenlachen und wurde rot. -»Du bist ja unser Ältester. Ja, mein Junge,« und sie legte -ihm die Hand auf die Schulter und strich sanft an seinem -Arm herab, und aus ihrer Handfläche schoß ein heißer -Strahl zurück in ihr Herz, »ich habe mir nun einmal in -den Kopf gesetzt, daß du ganz bald wiederkommst in dein -Elternhaus. Wo auch deine liebe Mutter gelebt hat. Ja -und siehst du, mir gehorcht man.«</p> - -<p>Der blasse Mensch lächelte wieder gequält, es war -alles so freundlich gemeint, aber oh, beinahe sehnte er -sich zurück, dorthin, woher er kam, wo er selbstverständlich -war und dazu gehörte wie das eiserne Bett, der Schemel, -der häßliche Blechkrug auf dem Tisch. Und sie fühlte es -und quälte sich auch. Was half die beste Absicht – da -waren eben noch Wunden. Es war, wie wenn man -einem Schwerkranken sagt: So, nun schlafe schön, morgen -ist dir besser; dann lächelten die Kranken auch so mühsam, -um ihren guten Willen zu beweisen. Wund war alles; -was man auch sagte, es war zu deutlich. Ach, ihre Hand -war nicht leicht genug für so schwere Dinge!</p> - -<p>Sie wandte den Kopf dem offenen Fenster zu. Es -hatte noch ein paarmal geblitzt, aber schwächer; der -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -Donner klang weit ab, als habe das Ungetüm mit dem -einen Schlag seine Wut verbraucht. Der Regen rauschte -nieder in großen, ruhigen Wogen, ein unendlicher -Segen.</p> - -<p>»Lieber Gott, der Roggen!« sagte Mama und horchte -auf; ihr Mund bebte ein wenig. »Nun ist der Regen noch -zur rechten Zeit gekommen.«</p> - -<p>Sie ging zum Fenster; sie lehnte sich hin, als wolle sie -das Rauschen trinken, als sei sie selbst ganz ausgedörrt -gewesen. Es war ihr lieb dazustehen, unbemerkt; so -konnten ihre Augen die beiden brennenden Tränen zurücksaugen, -ungesehen.</p> - -<p>Hinter ihr, bei den kleinen Betten, war nun ein Gewisper -und Gekicher entstanden; sie merkte es wie im -Traum. Und sie stand regungslos, ohne sich zu wenden; -sie spürte, daß dort etwas vor sich ging, ganz außerhalb -ihres guten Willens, etwas, das von Recht und Unrecht -nicht wußte und nicht von Belohnen oder Verzeihen. -Nein, ungerufen, sanft erobernd, wie das neue Gras -hier früher und dort später die verdorrten Stellen durchbricht -und belebt, heilend wie der Saft, aus der Wunde -selbst bereitet, den Baumschnitt überzieht, daß er nicht -faulen kann. Sie fühlte, sie konnte nichts dazu tun; -aber abseits stehen, sich nicht drein mischen, nicht stören, -das konnte sie. Demut! Sie hatte das Wort oft gebraucht, -aber doch nur auf andere angewandt. Jetzt eben meinte -sie, es in sich selbst zu erkennen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -Diese ereignisvolle Nacht, die die Kinder im Halbwachen -durchlebten, dieses Gemisch von Donner und -Wagengeroll, die kurze Erscheinung des großen Bruders, -der von nun an wie ein unsichtbarer Kriegsgott bei allen -Abenteuern der Schiedsrichter war, und, fast ebenso erstaunlich, -Mamas Erscheinen hier oben, ihr leiser Duft, -ihre Stimme, wie von Regentröpfchen durchglitzert, als -sie dort am Fenster lehnte, abseits, freundlich, schwach erhellt -... das alles wurde für Ali und Adallah zu einem -unauflöslichen Ganzen, wie Dinge, die man im Nebel -gesehen, sich getrennt nicht vorstellen kann.</p> - -<p>Beinahe das allermerkwürdigste aber war, daß, als -sie bei gleichmütigem Regenakkompagnement wieder -allein lagen, Dralle im Gummimantel erschien, naß und -wortkarg, aber doch wie ein rechter Himmelsbote, denn -er hatte das Braune und das Gefleckte auf dem Arm, -setzte dieselben auf die beiden Bettchen nieder und erklärte, -es geschähe dies auf Befehl der gnädigen Frau.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -Etüde</h2> - - -<h3><a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -<i>I</i></h3> - -<p>Wenn am Nachmittag die Sonne durch die Läden -drang und goldene Leitern auf Tisch und Sessel -malte, übte Amsel ihr Adagio. Anfangs ging es glatt, -aber das war trügerisch, bald wurde es schwarz von kleinen -wimmelnden Noten, die alle untergebracht sein mußten; -da waren die schrecklichsten Fallstricke, sogar Triller im -Baß, wie eingesperrte Brummfliegen. Aber sie arbeitete -sich durch, wie ein Maulwurf durch lichtlose Gänge, und -dann kam die Belohnung, das Allegretto: still gefaßt, -auf feinen Füßchen, sah sich's versonnen um in dem -dämmernden Raum, und irgendwie schien es den Ausdruck -der Dinge umher zu haben, sich zu vermischen mit -dem Duft der Herbstveilchen, mit dem sonngebleichten -Gelb und Grau der Kretonnerosen; eine schöne, weiße -Hand leuchtete auf, ein schleifender Schritt kam gegangen, -ein Lachen war dabei, dunkel und zärtlich.</p> - -<p>Die feine, zerbrochene Seele, die über Amsels Kindheit -wachte, kam seit Jahren an diesen winters so verlassenen -Ort, wo für sie in den großen Alleen, vor den Säulen -des weißen, langgestreckten Kurhauses, die Erinnerung -wandelte, angetan mit der Krinoline des zweiten Kaiserreichs, -jener Zeit, da alles jung und erwartungsvoll gewesen -und sie selbst, die schöne Anselma, den Menschen -ins Herz gedrungen war wie ein Wohlgeruch. Kalte -Winde ließen sie erschauern, für den Süden aber fehlten -ihr die Mittel, so kam sie, wenn der Herbst zu Ende ging, -<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -immer wieder in das stillgewordene Tal. Dann taten die -großen Gasthäuser die Läden zu, in den Gärten roch es -nach moderndem Laub, und auf den Wegen war es -menschenleer, aber oh, so voll von Erinnerung. Sie -paßte nicht mehr in Menschengewühl; Gespenster, ja, -die drängten sich heran, aber wie sanft gingen die mit ihr -um. Und mehr und mehr zog sie sich zurück; wie ein krankes -Tier, fühlend, daß der Kampf zu Ende geht, sich unter -Hecken in eine Mauerritze verkriecht in der stillen Anspruchslosigkeit -des Todes.</p> - -<p>Schon zum viertenmal war sie in die Villa an der -Berglehne eingezogen. Wie der Wasserfinder die Quelle, -so spürte sie Häuser auf, die bessere Tage gekannt und -nun, im Alter verwahrlost, einen eigenen Lockreiz hatten. -Mit silbrigen Dächern, mit schönbemessenen Räumen und -schlanken Fenstern hinter geflickten Marquisen, träumten -sie in der Herbstsonne. Der Hausrat alt und fadenscheinig, -die Kretonne gedemütigt durch allzuhäufige Wäsche; -aber da waren noch schöngearbeitete Türschlösser, wie -man sie nicht mehr macht, schmale Goldleisten faßten die -Tapeten ein, Kamine warteten auf Winterabende, und -hinter weißen Holzpaneelen, die kniehoch um die Wände -liefen, raschelten die Mäuse. Alles aus einer Zeit, als die -Häuser fein und zierlich und die Gärten groß waren, und -die Menschen anmutig, aber ganz ohne Prunk den guten -Dingen dieser Welt die Türen auftaten. Und wenn das -gesternte Parkett in der Sonne knackte, ging ein Knistern -alter Modenjournale durch die Zimmer und Erinnerung -<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -an <i>Lavande ambrée</i>, von sachttretenden Dienern auf -zischende Schaufeln getröpfelt. Hier standen noch Hortensien -in grünen Holzkübeln und Fuchsien mit ihrem -feinen Glockenspiel; auf die gefleckten Sandsteinstufen -sanken Blätter und Beeren, Pappeln säuselten golden -in der stillen Luft. Der nächste Sturm würde alles mitnehmen, -aber noch waren die Tage warm, die Nächte -gütig, und im Grase lagen süße, wurmstichige Birnchen, -und die letzten Wespen nagten sich hinein, bis der erste -Frost sie lähmte.</p> - -<p>An der Wand, gradüber dem Flügel, hing Tante -Anselmas Jugendbild. Mit den leuchtenden, weich -gleitenden Schultern, dem Grübchen in der Wange, dem -kurzsichtigen, amüsierten Blick zwischen zusammengezogenen -Lidern, in Spitzenwolken gehüllt, eine Garbe -ziemlich unwahrscheinlicher Blumen im Arm, einer der -schönsten unter den schimmernden Schwänen, wie sie -einst, unnahbar und doch empfindsam, und alle mit einer -leisen Familienähnlichkeit, aus Winterhalters Atelier -hervorgerauscht kamen. Amsel starrte hinauf. Nun waren -Wange und Kinn zart gewelkt, wie die Ränder der Malmaisonrose, -die es so rasch verrät, ob sie am Tage vorher -gepflückt ward. Aber das Grübchen war noch dasselbe, -das kam und ging wie Sonnenflecken durch die leisklappenden -Jalousien.</p> - -<p>Abends, wenn das Lampenlicht die Möbel streichelte -und hier und dort ein Bildrahmen, ein Türschloß aufglühte, -ließ Tante die graue Häkelei sinken und ging an -<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -den Flügel, auf dem das Bild der schönen, unglücklichen -Großfürstin stand. Sie blinzelte ihr zu, während sie spielte, -mit zurückgeneigtem Kopf, die Zigarette im Mundwinkel. -Und es war, als ob Chopins feines Filigran mit dem -Rauchgekräusel zusammenflöße, aufstiege in immer leichteren, -immer durchsichtigeren Spiralen. Amsel saß an der -Erde, die Hände um die Knie, und feine Klingen stachen -ihr ins Herz; denn süß und zögernd ging die Melodie an -ihr vorbei, und sie hätte bitten mögen: »Bleibe, bleibe,« -aber schon war sie in breiterflutenden Gewässern untergegangen, -Dinge, die wild und herrlich waren und vergangen -sind, hoch aufrauschend von ritterlichem Opfermut -und goldenem Leichtsinn ... nur zum Ende noch -ein paar Takte wie am Anfang, Arme, die sich auftun, -schüchtern flehend. Wie stand doch unter dem Marienbild, -dort in dem kleinen Bergdorf: »Mein armes Kind, -wo gehst du hin, weißt nicht, daß ich deine Mutter bin?«</p> - -<p>Tante Anselma ließ die Hände sinken; die große Müdigkeit -war über sie gekommen. Stromab; wie leicht ist das, -wenn man müde wird; und die Mündung war nicht -mehr fern.</p> - -<p>Wenn sie dann wieder bei ihrem Buche saß, starrte -Amsel darauf hin, ohne die Blätter zu wenden. Sie mußte -an so vieles denken, was ihr Tante erzählt hatte und -was da, während der Musik, an ihr Herz gepocht hatte, -wie Zweige ans Fenster pochen, wenn der Wind geht: -Tante als kleines Ding auf dem Schoß des großen Verbannten, -inmitten feurig redender Männer und Frauen -<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a> -mit leidvollen, brennenden Augen. Da klirrten Waffen, -da zogen Revolutionen dröhnend durch die Nacht. Und -andere Menschenzüge wanderten, stumm, verzweifelt, -endlos durch den Schnee, und neben jedem Mann stapfte -eine Frau ... dann wieder Lichterglanz und Rauschen, -und immer tönte Musik, wild oder zärtlich, wie hinter -einem Vorhang. Die schöne Anselma ging durch große -Menschenmengen, wie heute durch die Einsamkeit, fein -und etwas spöttisch und ganz ohne Furcht, Verfolgten -und Geächteten hatte sie Treue gehalten. Aber auch in -die Mächtigen dieser Erde hatte sie ihr Vertrauen gesetzt -und war nicht getäuscht worden. Folgte sie einer Witterung, -wie Tiere und wilde Völker sie haben, die sie den -einen zugänglichen Punkt in eisernen Herzen finden ließ?</p> - -<p>Ganz jung war sie mit Onkel verheiratet worden, und -mit ihm hatte sie wohl so manches durchgemacht. Zeitweise -mußten sie auf das verwahrloste Gut ziehen, von -dem die alte Kammerfrau noch heute mit Schaudern -sprach. Dann lagen ihre Perlen auf dem Leihhaus, ja -schließlich kamen sie nicht wieder. Vor ein paar Jahren -war Onkel noch einmal aufgetaucht; elegant und verwittert -und etwas kreuzlahm, mit großen Saphiren an -den nikotingelben Fingern und der ganzen überströmenden -Galanterie des schlechten Gewissens. Man saß bei -Tische, die Kerzen knisterten, die Malmaisonrosen, die er -gekauft hatte, in ihrer Mitte. »<i>Votre fleur, chère -amie</i>,« sagte er, und Amsel wand sich; wozu sprach er -eigentlich französisch, er schnurrte das R so, dann war er -<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -ihr erst ganz antipathisch. Von Biarritz erzählte er, von -Monte Carlo und den »<i>potins de Florence</i>«, denn jeden -Winter war er an einem anderen Ort. Tante sah geistesabwesend -vor sich hin; es war doch seltsam, dieser fremde -Mensch, dessen Namen sie trug ... Aber voller Fürsorge -war sie doch, konnte sich nicht genug tun an Aufmerksamkeiten -für seine Gesundheit und sein Behagen. »Der -Arme,« sagte sie, »er hat sich sehr verändert, und es hat -etwas Schmerzliches, wenn jemand so begnügsam geworden -ist, der früher so verwöhnt war. Ach und etwas -Nachsicht und Fürsorge, <em class="ge">das</em> Kleingeld hat man ja immer -übrig. Den andern freut es, und er hält es für gutes Gold. -Nun, Gott verzeih uns allen.« Es lag ihr nun einmal -nicht, mit jemand abzurechnen, mit dem sie auch nur eine -gute Stunde verlebt hatte. »Es ist so schrecklich umständlich, -Buch zu führen über Recht und Unrecht,« sagte sie; -»das ist eine Arbeit, die ich gern unserem Herrgott überlasse.«</p> - -<p>Nun aber kam Onkel nicht mehr. Tante ließ alljährlich -eine Messe für ihn lesen, und es war aus irgendeinem -Album ein Bild von ihm auferstanden, aus seiner schönen -Zeit, als <i>beau ténébreux</i> an einer Säule lehnend, halb -Taschenspieler, halb Fürst der Finsternis. Wenig Bekannte -nur drangen in ihre Einsamkeit; ein paar alte -Russinnen, die hier das ganze Jahr verbrachten, waren -die Getreuesten. Ihr Haus lag rosenumsponnen über den -großen Klosterwiesen, eingenistet in dem verwilderten -Garten, in Tulpenbäumen und Linden und riesenhaftem -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -Azaleengebüsch. Ewig froren sie, und im Salon flackerte -zu allen Jahreszeiten das Feuer im Kamin. Man konnte -sich kaum zu ihnen durchwinden vor fürstlichen Andenken: -Malachittischchen und gestickte Wandschirme und lebensgroße -Katzen aus Porzellan. Die Luft war blau von -Zigaretten, und es wurden Bonbonnieren herumgereicht, -unerhörte Pariser Fondants, die wie Taufkinder in gepolsterten -Atlasschachteln lagen, rosa oder strohgelb oder -pistaziengrün. Dort traf man bejahrte Diplomaten, -wichtig und geschwollen, voll dunkler Rankünen und einer -Fülle einbalsamierter Anekdoten. Oh, wie schnatterten -die alten Russinnen und stießen kleine Schreie aus wie -teilnahmsvolle Papageien und nannten einander beim -Vatersnamen wie in den Büchern von Tourguénief, und -immer die Zigarette im welken Mund, die Lippen vom -ewigen Rauchen schlaff geworden, wie bei den drei -Spinnerinnen im Märchen, redeten sie von Politik und -Liebe und Verstorbenen. Amsel saß derweil über juchtenlederne -Albums gebückt und besah sich die Menschen, wie sie -früher ausgesehen hatten; Herren, romantisch schmerzlich -mit ihren Vatermördern und schwarzen Halsbinden, den -Zylinder in die Hüfte gestemmt, ein ganzes Adagio im -Blick; und feine Frauen in seidenen Krinolinkleidern, -wie die Püppchen, die man aus umgestülpten Mohnblumen -macht; elegisch über Balustraden gelehnt, -eine Weintraube essend: kleine erlöschende Gespenster, -die in den alten duftenden Büchern langsam vergilbten.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -Wenn sie dann wieder daheim waren, konnte es nichts -Schöneres geben, als wenn Tante »Albumgeschichten« erzählte, -gerade jetzt, wo es früh dunkelte. Draußen seufzten -die Pappeln; die Moderateurlampe stand milde auf dem -Tisch, von den Rosen löste sich ab und zu ein Blatt, und -in der Lampe fiel, still und zuverlässig, ein Tropfen Öl -in den Behälter. In ihrem Schein liefen Herbstmotten -über den Tisch, die winzigen, perlmutternen und die großen -mit weißen Pelzröckchen und Gesichtern wie kleine Eulen. -Dann erzählte Tante. Und wie sie erzählte, wurden -Länder und Bauten zu etwas zauberisch Kleidsamem, -in dem sie herumging, jung und fremd, und war doch wie -beim Träumen ganz selbstverständlich, sie durch die fernen -Perspektiven kommen und schwinden zu sehen. Da war -Venedig. »Dort sitzt die Markuskirche wie eine große -goldene Henne,« sagte sie. Und Amsel sah alles in Gedanken, -sah die braungoldenen Tiefen, wo die Säulen -wie Orgeltöne aufsteigen und wieder verschwimmen in -Weihrauchblau und Schatten, all das wimmelnde, -traumartige Gehen und Stehen der Menschen, sanftbewegt -wie Algen auf dem Meeresgrund. Draußen -auf dem Platz war Musik. Da saß Tante in einem -weißen Kleid mit vielen schwarzen Samtbändchen -benäht und aß Eis mit den jungen österreichischen Offizieren, -die so fabelhaft dünne Taillen hatten. Rauschende, -wiegende Musik. Und Kähne kamen von den Inseln, mit -Melonen und Trauben und Paradiesäpfeln ganz beladen, -tief schwammen sie im Wasser, und andere, aus -<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a> -Murano, mit farbig glitzernden Glasperlen, hineingeschüttet -wie Sand. Einer zog langsam vorüber, mit einer -gehäuften Last von schwarzem Schmelz und Flitter – -wie funkelte das traurig-prächtig. Wie der Tribut einer -trauernden Königin sei es gewesen.</p> - -<p>Compiègne! Die mächtigen Alleen, die am Ende zusammenliefen -in einem grüngoldenen Punkt; die uralten -Bäume bilden ein Gewölbe, unter dem Tante mit -der schönen Kaiserin fährt. Beide in bauschenden Kleidern, -mit gestickten Bolerojäckchen, winzige Barettchen auf dem -schweren Haar, eine Feder wallt ins Genick. So, immer -die breite, dämmrige Allee hinunter, trott, trott, mit -schweren, glänzenden Karossiers in den grüngoldenen -Punkt hinein. Dort, in der Sonne, träumt der schlanke -Pavillon, mit Bildern berühmter Jägerinnen in den -Stuck der Wände eingelassen; dort liest der feine, ironische -Schriftsteller seine Novellen vor; Sehnen und Entsagen, -wie kühl, wie knapp in Worte gekleidet ... Manchmal -kommt auch der Kaiser. Fett und müde, mit schweren -Augenlidern, man wußte nie, schlief er oder hörte er zu. -Aber immer ritterlich und voll behäbiger Grazie.</p> - -<p>Andere Bilder. Tante in Galizien. Um zu sparen. Das -war auch eine Abwechslung. Nachher konnten wieder -Smaragden und Brüsseler Spitzen an die Reihe kommen. -Ihr war das Lumpenleben recht – sie lachte zu allem. -Nur mit der Leibwäsche, ach Gott, ja, da war sie wohl -sehr verwöhnt. Madame Céline flickte und stopfte, es -war so fein, so mürbe. Und dann, daß sie immer Blumen -<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -haben mußte, auch im Winter ... Aber sonst? »Du lieber -Gott,« sagte Madame Céline, »Madame gab ja alles her. -Es kam ihr nicht darauf an, immer dasselbe zu tragen. -Wenn sie dann den Hals so reckte, was ihr die Leute als -Hochmut auslegten, aber es war doch nur, weil sie kurzsichtig -war – und groß und schlank in einen Salon hereinglitt -– <i>une déesse, quoi?</i> – wer dachte da an Kleider!«</p> - -<p>Das Leben auf dem Gute, mit den Tanten, war ein -Hauptthema für Madame Céline. »<i>Ah le vilain pays, -mademoiselle</i>,« klagte die kleine Französin mit dem verwitterten -Gesicht, den rastlosen Augen, dem glatten, -korrekten <i>Veuve-d'employé</i>-Kleide: »Nichts als Stoppeln -und Sümpfe und <i>la boue haut comme çà</i>. Weiden -standen an den Landstraßen, schwarz von Krähen. Wie -sie schrien, die Unglücksvögel. Das Haus, nur ein Stockwerk, -aber lang wie eine Schlange. Wenn Madame -klingelte, mußte ich erst durch sechs andere Zimmer, alle -gingen ineinander wie ein Korridor. <i>Le palais des taupes, -quoi!</i> Gott, wie es da aussah. Überall lagen die Tanten -herum, auf allen Sofas, <i>des vieilles avec des burnous</i>, -mit gelben Babuschen an den bloßen Füßen und die -Hände voll kostbarer Ringe – und die Nägel gelb von -Tabak. Denn immer wickelten sie Zigaretten und spielten -Patience, schon am Vormittag. <i>Et toujours un tas de -petits chiens</i> – unter den Plümos, es war wie Erdbeben. -Oder sie schlampten im Garten herum in Frisierjacken -und Papilloten und pflückten Beeren; dann wurde -Saft gekocht oder Gurkenwasser gegen die Sommersprossen. -<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -War das nun ein Milieu für meine junge Dame, -die an allen Höfen Regen und Sonnenschein gemacht -hat und in allen Sprachen korrespondierte <i>avec des -personnages illustres</i>? Aber der Engel, sie lachte nur. -Abends stieg sie gern auf eine Anhöhe, wo eine Windmühle -war; da stand sie, und ihr Kleid wehte ... man -sah so weit ins Land, der Himmel war wie eine Feuersbrunst, -die Fohlen liefen herum mit wilden Mähnen. -<i>C'est beau</i>, sagte Madame. Nun ich konnte mir Schöneres -denken, so ein Apriltag auf den Boulevards, wenn's -eben noch geregnet hat, aber die Sonne scheint aufs nasse -Pflaster, und die Blumenkarren mit Veilchen duften so -frisch ... Ich wäre dort an Melancholie gestorben, wenn -nicht der Bücherschrank gewesen wäre. Er roch nach -Schimmel, der Atem verging einem, wenn man aufschloß. -In dem einen Sommer las ich zweiunddreißig -Bände Paul de Kock. Er rettete mich vor Tiefsinn. Kein -Wort verstand ich, was diese Wilden sprachen. Die Mädchen -gingen mit bloßen Beinen und hatten Ketten aus -Vogelbeeren um den Hals, aber die Betten wurden von -Männern gemacht; struppig waren sie <i>comme le père -Noël</i> und hatten außer ihren gestickten Hemden auch -nichts Nennenswertes an. Es war ja tief drinnen in dem -barbarischen Lande, <i>sur la route de Varsovie</i>. <i>Si mademoiselle -voulait se tolurner un peu</i>,« sagte Madame -Céline, denn sie probierte Amsel ein neues Kleid an, -aber die Stecknadeln in ihrem Munde hinderten nicht -ihren Redefluß.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -»Am Nachmittag,« fuhr sie fort, »kamen die Nachbarn, -geritten und gefahren. Dann fuhren die Damen aus dem -Mittagsschlaf, <i>avec des cris de paon</i>, und zogen sich -endlich an. Das waren kuriose Toiletten. Aber meine -junge Dame war immer duftig, und wenn ich die Nacht -hätte durchbügeln müssen. Damals trug man Mullkleider -mit Volants, so etagenweis bis oben ... Sie sah aus -wie eine Glockenblume aus ›<i>fleurs animées</i>‹. Dann gab -es Tee und Framboise und zwanzigerlei Konfitüren, und -Melonen, nie sah ich solche Melonen. Die Damen schrieben -einander Rezepte ab. Wenn dann die Lampen kamen, -wurden die Karten geholt, sie spielten die halbe Nacht -durch. Oft flogen Fledermäuse herein, ich hätte geschrien -vor Angst, aber die Alten banden sich Antimakassars um -die Köpfe und spielten ruhig weiter; das gab Schattenbilder -an der Wand, die reinen Hexen; aber sie blieben -totenernst dabei. Ihre Tante langweilte das ewige -Kartenspielen, sie setzte sich an den Flügel, <i>un Erard -passablement vermoulu</i>, dann sahen die alten Damen -von den Karten auf und nickten den Takt mit den Köpfen. -›<i>Ah, Beethoven, il n'y a que çà</i>‹ – sagten sie. Aber wenn -sie Chopin spielte, weinten sie, denn sie hatten ihn alle -geliebt und an seinem Sterbebett gesessen. Junge Herren -kamen auch, sie lagen Ihrer Tante zu Füßen, wie auch -konnte es anders sein! Da war der Stefan Czartorisky, -Gott, wie distinguiert, <i>des pieds d'enfant et toujours -le mot pour rire</i>. Wir alle beteten ihn an. Aber er hatte -eine viel ältere Frau, eine häßliche Viper, sie verklatschte -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -meinen Engel, und da gab es dann <i>des embêtements -avec Monsieur le comte</i> ... Zum Herbst wurde es ganz -einsam, die Wege waren ein Morast. Da saßen sie dann -im Salon und stickten auf Stramin, Rosen und Pensees, -ich seh' das Muster noch, <i>un vrai cauchemar</i>; ›<i>c'est un -peu monotone, ma pauvre Céline</i>,‹ sagte Madame, wenn -ich alles wieder auftrennen mußte, denn mit Handarbeiten -ist sie nie ein Held gewesen. Gott, sie war noch -so jung. Man mußte sie lachen hören ... Ja, damals -waren Sie noch gar nicht auf der Welt! ...«</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Amsels Erziehung war, nächst dem Gott Zufall, einer -Reihe mehr oder minder verdienstvoller Fräuleins anvertraut, -deren Kommen und Gehen durch den Wechsel -des Aufenthalts bedingt war, aber auch durch plötzliche -Erkenntnisblitze, daß Tantes Mitleid ihrer Menschenkenntnis -Dunst vorgemacht hatte. Eine Deutsche, bieder -und schwärmerisch, die in Amsels Erinnerung mit dem -Lied von der Glocke und einer fürchterlichen Brosche aus -Elfenbein verschmolz, denn beim Hersagen jener ebenso -unsterblichen wie langatmigen Dichtung hatte sie immer, -wie der Vogel auf die Schlange, dorthin gestarrt. Einmal -gastierte auch eine Pariserin mit dünner Taille und kleinen -Füßen. Mit ihrem schmalen Kopf, ihren schwarzen, zusammengewachsenen -Augenbrauen, saß sie wie ein gereizter -Schwan, der gleich beißen wird, hinter den -Büchern. Aber sie verschwand meteorartig. »Der himmlische -Akzent war Schuld,« hörte Amsel Tante sagen, »der -<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a> -ist für mich wie für den Schweizer der Kuhreigen.« Nach -ihr kam ein Fräulein aus dem Waadtland, mit flachem, -kalvinistischem Strohhut und hüpfender Intonation, die -an Heimweh litt. Sie erzählte vom Pasteur und dessen -Sohn, <i>le missionnaire, un jeune homme si bon, si doué</i>, -und wie sie zusammen im Frühling in die Berge zogen -»<i>pour cueillir la gentiane</i>«. Durch diese junge Helvetierin -wurde Amsel mit der ebenso vortrefflichen wie findigen -Familie des Robinson Suisse bekannt. Nichts brachte -diese Menschen außer Fassung. Denn immer, im kritischen -Augenblick, spürten sie die außergewöhnlichsten Dinge -auf, um ihren Hunger zu stillen, eßbare Ameisen, Stachelschweine -und Schildkröten, oder auch Faultiere, die wie -Räucherwaren stumpfsinnig an ihrem Aste hängen blieben, -bis sie gebraucht wurden; von unerhörten Früchten zu -schweigen, die den Nährwert der Kartoffel mit dem -Wohlgeruch der Ananas verbanden. Man brauchte um -das leibliche Wohl der Familie wirklich nicht bange zu -sein. Aber auch für geistige Stärkung sorgte der Himmel. -Denn im Augenblick tiefster seelischer Depression, als sie -mit ihrem Schicksal zu hadern begannen, kam von dem -unerschöpflichen Wrack eine Bibel angeschwommen. Beschämt -sanken sie am Strande auf die Knie, und Vater -Robinson sprach ein Dankgebet. Und das alles in tadellosem -Passé Défini vorgetragen! Ja, es war beinahe zu -viel der Tugendhaftigkeit, so als ob einer Lebertran einnähme -und dazu auch noch lächeln würde.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p><a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -Die alten Bäume in der Allee waren braun geworden, -kleine Buben in gestrickten Mützen suchten Eicheln im -dürren Laub, und auf den Klosterwiesen, wo die Laienschwestern, -großen Elstern gleich, das letzte Grumt geharkt -hatten, standen nun die Herbstzeitlosen, blaß und -zerbrechlich. Der blaue Dunst, der klares Wetter verhieß, -schlug morgens in glitzernden Tröpfchen an den Fensterscheiben -nieder. Der Herbst war milde hier, der Winter -kurz; nur einmal ausschlafen wollte die Erde, nach all -dem Blühen und Schenken; bald, schon im Februar, fing -es wieder an zu wispern und zu keimen.</p> - -<p>Tante sah still in die Luft. Hier hatte sie als junge leichtherzige -Frau gute Tage erlebt und dann noch einmal, -ein paar Jahre später, als das ganz große Glück Besitz -nahm von ihrem Geist, ihren Gliedern, von jedem seligen -Tropfen Bluts. Ach, gut war es gewesen, gut!</p> - -<p>Auf der Promenade hatten die kleinen, eleganten -Buden geschlossen, nur der Mann mit den böhmischen -Gläsern und der Mann mit den Kuckucksuhren saßen noch -hinter ihren Waren wie verklammte Vögel. Und der alte -Tiroler mit dem Quastenhut und seine stattliche Frau, -die allen Fürstlichkeiten der Erde Handschuh anprobiert -hatte, waren auch noch da, aber sie packten ihre Schachteln -zusammen. Vor der Bude standen Tisch und Stühle, die -Blumenverkäuferin kam mit Herbstveilchen und den -kleinen, ausdauernden Monatsrosen. Tante schwatzte mit -ihr. Es ging immer gemütlich zu, wenn sie dabei war, -das leichte Blut ihrer süddeutschen Mutter redete seine -<a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a> -Sprache. »Wenn ich nur wüßte, warum es oft bei herzensguten -und gar nicht dummen Menschen so furchtbar langweilig -zugeht,« sagte sie. »Ich schwör' dir, Amsel, ich -wollt' den Kaiser mit unserer Frau Schwämmle zu einem -Kaffee bitten und die Stimmung sollte großartig sein. -Man muß sich nur fest einbilden, daß man sich für die -Antworten der Menschen interessiert, und das Kuriose ist, -daß man es dann schließlich wirklich tut. Und ob's nun -ein König ist oder eine Waschfrau, alle brauchen sie halt -Verständnis, aber sie merken's ganz genau, ob es echt -ist oder nur so Getu. Wenn ich vier Wochen lang Königin -wär', ich sag' dir, ich wollte die Leute königstoll machen.«</p> - -<p>Das Kurhaus lag weiß und langgestreckt im Nachmittagslicht. -Tante ging hin und her, blieb manchmal -stehen. Sie sah da wohl mehr, als für andere zu sehen -war. Dort, unter dem »russischen Baum«, hatte sie oft -mit den Cousinen gesessen. Sie spielten Domino mit dem -alten galanten Staatsmann, und die Adjutanten des -Königs stellten sich dazu, schlanke, preußische Tannen, -und gaben Ratschläge, denn die alten Russinnen nahmen -es furchtbar ernst mit dem Spiel.</p> - -<p>Hier traf sich die Jugend zu Fahrten und Landpartien -nach alten Jagdschlößchen und Ruinen, wo man auf -Türme stieg und in die schauernden Wälder niedersah -und weit in die Ebene, die glitzernde, in Sonne und -Dunst. In <i>Char à bancs</i> und englischen Mailcoaches, vier- -und sechsspännig, ging es los. Sie saß meist auf dem Bock -neben dem dicken, rothalsigen Mister Tomlinson, der -<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -seines zarten Töchterchens wegen hier lebte ... Es war -ein fast traumhaftes Gefühl des Ausruhens neben dem -vierschrötigen Riesen. Einmal waren sie in ein Wagenknäuel -geraten, die Pferde bäumten sich, alles schrie -und fluchte. Der starke Mann neben ihr zupfte kaum ein -wenig an den Zügeln, und seine kleinen, hellblauen -Augen blitzten in dem ziegelroten Gesicht. »<i>Sit tight, -you are quite safe, little girl</i>,« hatte er gesagt, denn in -ihrer holden Jugendschlankheit kam sie ihm kaum älter -vor als sein eigenes kleines Mädchen. Und dann zwang -er die vier Pferde mit unmerklicher Gewalt, rückwärts -zu treten, und schon hatte sich das Chaos entwirrt. Ihr -war gar nicht bang gewesen, eher schläfrig; wenn er -dabei war, fühlte sie sich geborgen wie einst als Kind in -ihrem kleinen Gitterbett. Ach, wie gut war das Leben! -An Rebenhügeln ging die Straße vorbei, die blauen, -duftbestäubten Trauben wurden geerntet. Hübsche, sonnverbrannte -Mädchen lachten unter roten und gelben -Kopftüchern. Zwischen den Weinstöcken ragte ein großes -graues Kruzifix in die Luft, und die Leute setzten ihre -schweren Butten zu seinen Füßen und wischten sich den -Schweiß von Hals und Stirne. Manchmal fuhr man im -Tal, das Flüßchen hinauf, bis zu dem Wasserfall, wo es -Forellen gab und säuerlichen Landwein. Wie flammten -die Bauerngärtchen, Rosenstöcke ganz beladen, Kapuzinerkresse -und blaue Winden in luftigem Gerank; große reife -Kürbisse lagen in der Sonne, und unter den Dächern -hingen Girlanden von Welschkorn. Aber von den Wiesen -<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -kam der Geruch vom zweiten Schnitt, der so scharf ins -Herz greift, wie Anklammern an ein letztes Glück, und -über den Höhen lag Dunst, damals wie heute der Bote -milder Tage.</p> - -<p>Sie hatte das alles ganz unbewußt geschaut und in -die Scheuern gesammelt; heute zehrte sie davon. An -Abende dachte sie zurück bei der berühmten Sängerin, -die sich in einem Seitental, von Erlen umdämmert, einen -kleinen Musiktempel erbaut hatte. Mit halbgebrochener -Stimme trug sie die alten feierlichen Arien vor. Ihre -großen, furchtlosen Gebärden, ja ihre düstere Häßlichkeit -paßten zu der Meisterschaft, mit der sie Licht und Schatten -breit und unbekümmert hinwarf. Oder sie sang spanische -Volkslieder mit ihren Töchtern, jungen, mageren Geschöpfen, -bräunlich wie Hindumädchen, aneinandergelehnt -... Wie das von ihren Lippen kam, die heiseren -Rufe des Maultiertreibers, der langgezogene Schrei des -Melonenverkäufers; und die Mutter am Klavier, die -mit dunkler Stimme ihren Part mehr knurrte als sang ... -Zerstoben, verstummt. Wer konnte sie noch singen, diese -schmerzlich gefaßten Rezitative in königlichem Faltenwurf, -diese gramvollen Arien, in denen es wetterleuchtet -von niedergepreßtem Gefühl? Der kleine Musiktempel -war abgerissen, das Wohnhaus in andere verbaut, die -Bäume gefällt. Und daneben, wo der verbannte Dichter -wohnte, einer der vielen seines Landes, die verfolgt -wurden um der Gerechtigkeit willen; ja, das Haus war -noch da, aber tot, mit geschlossenen Läden, die Wege -<a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -von Moos übersponnen, stand es zwischen großen -Platanen über dem kleinen Gehölz, wo im Mai die -Nachtigallen im Faulbaum schluchzten. Und sie dachte -an den schönen, grauhaarigen Mann, wie er, weißgekleidet, -mit schweren und doch weichen Schritten, einem -guten Bernhardinerhund ähnlich, im Garten auf und -ab ging, wenn in dem versumpften Erlenwäldchen, ihm -zu Füßen, die Frösche quarrten. »<i>J'aime les grenouilles, -ça me rappelle la Russie</i>,« sagte er. Oft plagte ihn die -Gicht, dann ruhte er im Gartensaal zu ebener Erde, sein -Fuß, zu einem unförmigen Bündel gewickelt, wie eine -gekränkte Gottheit auf einem besonderen Taburett. Die -Wände mit Büchern austapeziert, das still brennende -Kamin und auf dem Tisch ein großer Strauß Heliotrop. -Dazu rauchte er die kleinen blonden Papyros seiner -Heimat und bekritzelte lange schmale Papierstreifen, die -den Teppich bedeckten. Hier waren viele seiner Erzählungen -entstanden, mit ihrem eigenen, ureigenen Duft -wie von Frühlingswald und allerkostbarstem Tee. Aber -nun hing am Gitter ein Plakat: Baustellen zu verkaufen. -Wie lange würden sie hier noch rauschen, die Silberpappeln, -die Birken und Platanen?</p> - -<p>Oh, wie hatten sie damals seine Bücher verschlungen, -wie hatten sie geschwärmt, gehofft und prophezeit. Musik -und Philosophie und Menschenrechte, alles wurde leidenschaftlich -diskutiert; da war so vieles, das zum Licht begehrte, -überall schäumten kleine Wirbel über dem tiefkochenden -Meer. Und vieles war eingetroffen seither, -<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -was sie herbeigesehnt hatten, aber in plumperen Umrissen, -mit Abzügen und Zugeständnissen, die ihrem -kühnen Hoffen fremd gewesen. Denn verwirklichte Ideale -sehen wohl immer aus wie die Stiefmutter, die den -Schmuck der rechten Mutter trägt.</p> - -<p>Wo waren sie hin, die zarten, rastlosen Frauen, die -sich im milden September zusammenfanden, wenn die -Trauben so süß und die zweite Rosenblüte noch erlesener -war als die, die der Juni beschert? Wenn Johann Strauß -seine Walzer dirigierte, während am Nachthimmel große -Raketenbündel hoch fuhren und knisternd niedersanken, -goldener Hafer und blaue strahlende Sterne, zögernd, -trauernd um die eigene kurzlebige Schönheit? Viele -waren tot, ach, wer nannte sie noch? Andere lebten, fern -von hier, von neuen Pflichten, neuen Generationen beschlagnahmt: -Großmama, Nonna, <i>petite tante</i> ... Ach -und jene Allersüßeste, Allerkostbarste, deren Herz überschäumte -in Bewunderung alles Schönen, in leidenschaftlicher -Abwehr aller Enge und Halbheit, sie lebte hinter -Mauern; ja, lebte sie noch? Sie, deren göttlich schöne -Füße die Bildhauer toll gemacht hatten, ging sie barfuß -auf kalten Steinen? »<i>Diane vaincue</i>« hatten die Freundinnen -sie genannt, nach einer tiefgelben Rose, die damals -neu war; deren schmalen, bräunlichen Knospen sie -ähnlich sah. Ach, Runzeln und Gebrechen paßten nicht zu -ihr, wollte Gott, daß sie schon lange in irgendeinem totenstillen -Klosterhof lag, wie eine Schmetterlingspuppe in -ihre kleine braune Kutte gewickelt, dort, wo die Zikaden -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -in der Mittagsglut sägen und der Lorbeer die Luft mit -bitterem Dunst erfüllt!</p> - -<p>Ja, sie hatten sich alle mit dem Leben eingerichtet, so -oder so, und da waren manche, denen das große Glück -nie genaht war, oder die es nicht erkannt hatten, da waren -auch die kleinen Hermeline, die nichts riskieren wollen. -Aber viele hatte das Leben wissend gemacht. Und ab und -zu hörten sie voneinander. Sie, die für Zukunftsmusik -und Befreiung der Geknechteten geschwärmt, die über -Tolstoi und Schopenhauer diskutiert hatten, als ginge es -um ihr Leben, so edelmütig und verschwiegen in der -Freundschaft, so weich und rückhaltlos in der Liebe ... -»<i>Ma chère belle</i>,« so fingen ihre Briefe an; ja, aber nun -mußten sie Brillen aufsetzen, um sie zu lesen.</p> - -<p>Das große Glück, das nur wenige finden; der einsame -Weg, den nur wenige gehen! Ach, mit zitternder Hand -griff sie ans Herz, den Mund gespannt in unvergeßlich -süßer Qual: Mein Schmerz, mein Eigen! Und wenn sie -die Augen schloß, spürte sie mit suchenden Nüstern Heuduft -und Jasmin in der Sommernacht, spürte die kühle -Glätte des Flügels, an den sie die Stirn gelehnt hatte – -oh, wie oft –, damals, wenn er ihr mit leichter, fast -knabenhafter Stimme die neuen Opern sang, welche zu -jener Zeit die Welt aufwühlten und in feindliche Lager -teilten. Ob unter seiner Leitung das Orchester zu einem -großen, gebändigten Instrument wurde, einer Republik -der Stimmen, von seines Blutes Rhythmus befeuert und -gezügelt, oder ob sie beide, träumend, zuhörend, schweigend -<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -genossen, es waren dieselben Schauer, es war dieselbe -Weite und Enge, die sie im Herzen erlitten, eine -Gemeinschaft, ein äußerstes Durchdringen, das den Menschen -in dieser unfaßlichsten und doch körperlichsten aller -Künste gegeben ist.</p> - -<p>Um sie her fielen die Kastanien ins gelbe Laub; unter -der Säulenhalle war es leer, die Stühle aufeinander -getürmt, leer der runde Musiktempel am Eingang. »<i>Si -vous n'avez rien à me dire</i>« – oh, diese kleine zuckerige -Melodie! Damals war sie neu, und man spielte sie zum -Überdruß. Nun ging sie ihr auf einmal durch den Sinn, -ein kleines betrübtes Gespenst. Sie fühlte ihre Augen -brennen und wie ihr Mund sich verzog. Nach Hause, nach -Hause, die Sonne wärmte nicht mehr.</p> - - -<h3><i>II</i></h3> - -<p>Amsel war mit Madame Céline einkaufen gegangen. -»<i>D'abord les petites brioches pour madame</i>,« sagte die -kleine Französin. Der Sommerkonditor Romplemayère, -wie Madame Céline es aussprach, hatte sein Zelt schon -abgerissen, aber sein Rivale, der den märchenhaften -Namen Schababerle trug, gleich dem Efeu bodenständig, -überwinterte hier. Eigentlich müßte es umgekehrt sein, -hatte Tante gesagt, denn sie fand, daß sie beide die Jahreszeit -verwechselt hätten. Rumpelmaier war doch sicherlich -ein Abkömmling von Rumpelstilzchen und paßte daher -weit besser zu Schnee und Christbäumen und krausem -<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -Winterspuk als zu der <i>Côte d'Azur</i>. Während Schababerle, -den konnte man sich nur mit einem Turban denken, wie -er Sorbet und Limonaden bereitete, kühl-wohlig in der -Sommerschwüle, und schließlich wurde er Pastetenbäcker -des Kalifen und erhielt die jüngste Tochter des Großwesirs -zur Frau.</p> - -<p>Sie gingen durch Gassen und Gäßchen, die den Berg -hinaufkletterten, bis zum Schloß mit seinen Höfen und -Brunnen und überdachten Treppchen und der großen -Lindenterrasse. Die Tore waren verschlossen, die freundlichen, -grauhaarigen Lakaien gingen nicht mehr aus und -ein, und die Linden standen in einem Teppich raschelnder -Blätter. Staffeln führten hinab zu kleinen Plätzen, -wo im Dämmerlicht Brunnen rieselten, an sauberen -Häusern vorbei mit Transparenten an den Fenstern, -hinter denen Waisenratswitwen im Lehnstul saßen und -sich nicht entschließen konnten Licht zu machen, ehe die -Laterne an der Ecke brannte; so sahen sie vor sich hin, -die Hände im Schoß, und sannen über das Alter des -Kanarienvogels nach, ihr eigenes darüber vergessend. -Kuriose Lädchen gab es hier, Althändler, in deren Schaufenster -stockfleckige Lithographien verblichener Landesväter -zwischen gestickten Klingelzügen und alten, gedemütigten -Regenschirmen lächelten, daneben ein Sargtischler, -der kleine Sargmodelle ausgestellt hatte, in verschiedener -Ausstattung, wie für alle verstorbenen Puppen -– geringe und vornehme – der Nachbarschaft. Beim -Seifenhändler hingen die großen Altarkerzen aus gelbem -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -Wachs, honigduftend, die in kühlen hallenden Kirchen -von Sommergärten und summenden Bienenkörben -erzählen, dazwischen die schlanken Kommunionskerzen, -symbolisch umwunden mit Weinlaub und gläsernen -Trauben, und am Griff ein kleines, steifes Spitzentuch -für die kleinen zerkratzten Hände, die an diesem Tag -in weißen Baumwollhandschuhchen prangen. Bei der -Vogelhändlerin kamen sie vorbei, die in der offenen -Ladentür saß, ein schwarzes Kaninchen im Schoß, und -hinter ihr aus dunklen Ecken leises, unaufhörliches Trillern -wie aus zarten Wasserpfeifen, das war wie im -Märchen von Jorinde und Joringel und der bösen Zauberin. -Zwischen Mauern ging der enge Weg hinab, -über die hier und dort ein erfrorener Rosenzweig nickte, -und Häuser, die auf der einen Seite einstöckig kauerten, -ragten auf der anderen aus Abgründen. So denk' ich -mir Capri, sagte Amsel.</p> - -<p>Als sie heimkehrten, stand Tante, in ihren großen Orenburger -Schal gewickelt, am Fenster und sah nach ihr -aus. Von den Pappeln segelten gelbe, herzförmige -Blätter durch die Luft, Schneebeeren lagen weich und -verregnet auf den Gartenwegen, bald würde nun der -Winter kommen, auf Samtpfoten, eine große, weiche, -weiße Katze.</p> - -<p>»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante. »Das -alte Murmeltier und das kleine Murmeltier, eigentlich -beneidenswerte Geschöpfe, so die ganze kalte Zeit zu -verschlafen, so gut haben wir's nicht, und ein bißchen -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -Französisch mußt du auch wieder treiben; der Mensch -kann immer noch zulernen, und wenn er auch schon -siebzehn Jahre alt ist.« Und ein paar Tage später sagte -sie: »Ich habe Rächerchen gemacht, denn so sprach ich's -als Kind aus, wenn ich meinem Vater vorlesen mußte; -und nun hab' ich die Perle gefunden, eine schwarze Perle, -denn sie ist Witwe, und nur Französinnen verstehen es, -so gründlich Witwen zu sein, ich glaube, sie genießen -das wie ein Moorbad; also, sie heißt Benoît und sieht -aus wie ein Kokon aus Trauerkrepp, und ihr Seliger war -auch Sprachlehrer, ja, sie sagte, er sei ein Vater der Syntax -gewesen, und das ist doch gewiß eine Seltenheit.«</p> - -<p>So erschien denn Madame Veuve Benoît in ihrer -ganzen überzeugenden Witwenhaftigkeit, in einem -Trauerschal aus Kaschmir, ein düsteres Gebäude auf dem -Haupt, von Schleiern umflutet. Am Arm hing ihr ein -schwarzer Beutel, der ihre Lehrbücher enthielt, wie auch -ein Flakon Melissengeist und ein Döschen mit Pastillen -– <i>cachou des orateurs</i>. Und sie saß da wie eine weiße, -fette, gutgepflegte Made in all dem raschelnden Krepp -und hörte lächelnd, aber unbestechlich zu, wie Amsel -mit Vokabeln rang, deren sie sich wohl nur selten in Gesprächen -bedienen würde, <i>la pelouse</i> und <i>le bocage</i>, <i>le -nénuphar</i>, <i>le guéridon</i> und <i>les brises embaumées</i>; oder -über den unberechenbaren Seitensprüngen <i>des participe -passé</i> nachsann, die der verewigte <i>professeur</i> in -einem schmalen, aber inhaltsschweren Bande festgenagelt -hatte, dessen Exerzitien Spaziergängen zwischen -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -Fußangeln glichen. Zum Schluß wurde sie mit verdienstvollen, -wenn auch keineswegs kurzweiligen Autoren -bekannt gemacht, der gefrorenen Langeweile Racines, -den Grabreden Bossuets – <i>Madame se meurt, Madame -est morte</i> – und den »<i>Conseils à ma fille</i>«, die -mit dem Satze schlossen: »<i>et maintenant, chère Sophie, -pose ta plume et embrassons nous</i>«; aber auch mit Paul -und Virginies träumerischem Dasein auf einem tapetenartigen -Hintergrund von Palmen und Papageien, wo -die Mütter des Liebespaars, der Lehren Jean Jacques -Rousseaus eingedenk, ihre Kinder im Schatten des -Brotbaums säugten, und später dann Virginies vorbildliche -Schamhaftigkeit sie lieber ertrinken ließ, als sich -den rettenden Armen eines nackten Matrosen anzuvertrauen. -»<i>Une des plus admirables pages de la littérature -française</i>,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme -und nahm einen <i>cachou des orateurs</i>, und Amsel -dachte: würde wohl auch Madame lieber ertrunken sein, -in all dem nassen Krepp oder würde sie ... aber das -war nicht auszudenken. Und Tante kam ins Zimmer -mit ihrem schleifenden Schritt und sagte: »Gott, sind -denn diese vortrefflichen Philister immer noch am Leben? -Mit denen wurde ich ja auch schon geplagt.« Wenn -es dunkelte, wurde Madame Veuve von Monsieur Jean -Claude Benoît <i>junior</i> abgeholt, denn der Vater der Syntax -war auch Vater eines einzigen Sohnes gewesen, -eines trotz Brille und Bart mädchenhaften Jünglings, -der mit einer Neigung zu Bronchialkatarrhen behaftet -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -war. Und <i>ma mère</i> war in tausend Ängsten: »<i>Mon fils, -as-tu mis tes mitaines? Et tes Caoutchoucs, et -ton cachenez?</i>« Aber <em class="ge">er</em> sagte: »<i>Vous</i>« zu <i>ma mère</i>, und -überhaupt verkehrten sie mit der ganzen <i>urbanité</i>, wie -sie einst dem Hotel Rambouillet zur Zierde gereichte, -und nie irrten sie sich im Gebrauch des <i>passé défini</i> oder -des noch eindrucksvolleren <i>passé du subjonctif</i>. Ja, -der Vater der Syntax konnte zufrieden sein mit seinen -Werken.</p> - -<p>Wenn sie dann schließlich unter ihren Regenschirmen -fortgeschwankt waren, ließ sich Tante in einen Sessel -fallen und lachte, lachte, sie konnte nicht aufhören, es -klang weich und dunkel und aus ihren zusammengekniffenen -Augen flossen Tränen. »Wie eine wahnsinnige -Turteltaube,« hatte eine Freundin von ihrem Lachen -gesagt; es war ansteckend. Und Amsel sah darin ein -neues Vorrecht, wie es einer heißangebeteten Tante -und Patin zukam. Sie selbst fand all diese Menschen nur -sehr kurios, wie sie in ihrem Leben auftauchten und -wieder verschwanden, Silhouetten, in ein Schattenhaus -zurück. Nur vor einem hatte sie eine an Abscheu -grenzende Angst: eines dieser fremden Wesen könnte sie -anrühren oder gar küssen. Denn sie besaß die tiefe, unnahbare -Scheu der Ausschließlichen, Leidenschaftlichen. -Nein, nur Tante durfte sie küssen. Ganz kalt wurde sie, -zur Eisblume erstarrt, wenn die feinen Lippen sie berührten, -die schöne Hand über ihr Haar strich. Und sie -konnte vor sich hinträumen, Heldentaten ersinnen, -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -Schmerzen und Geduldsproben, die sie für Tante -bestehen würde, unerkannt, schweigend, in unbegreiflich -süßer Pein.</p> - - -<h3><i>III</i></h3> - -<p>Es war eine schöne Fahrt gewesen, ein letzter milder -Tag, wie ein Geschenk über die Erde gekommen. Erst -die Allee hinunter an den geschlossenen Gasthäusern, den -schlafenden Villen, dann an bescheidenen Wirtschaften, -an spielzeugartigen Schweizerhäuschen vorbei. Ein -jedes spannte seine kleine Brücke über den seichten, -plätschernden Bach, der hier flache grüne Ufer hatte. -Dann weiter, am Kloster vorüber, durchs Dorf, immer -vom Flüßchen begleitet, das durch die Wiesen schlüpfte, -durch Garnbleichen und Sägemühlen. Und nun rechts -hinauf, dem Landhaus zu, das einst den russischen Cousinen -gehörte, wo das große, sengende Glück ihr Herz -getroffen hatte. Tante war ausgestiegen, die paar Stufen -hinauf bis an die Gittertür in der Hecke; nun hielt sie -sich mit einer Hand am Gitter fest und sah, halb zurückgewendet, -noch einmal hinunter in das liebe, nie vergessene -Tal.</p> - -<p>Dort, im Grund, sandten kleine geduckte Häuser ihren -Rauch empor; am Abhang, in den Wiesen, standen Nußbäume, -halb entlaubt, Vögelchen schlüpften durch die -Hecken, es roch nach Moos und Erde. Im Dunst schien -sich alles zusammenzuschmiegen, so bescheiden und liebreich -war ihr dies Land noch nie erschienen wie heut -<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -in seinen stillen braunen Farben, geduldig den Winter -erwartend. Kein lauter Ton, nur das Gurgeln kleiner -Rinnsale im Gras, auf denen rote und braune Blätter -schwammen.</p> - -<p>Auf dem Fahrweg, der sich in weiter Kurve emporwand, -waren Radspuren. Damals – wie kamen sie angefahren, -die Freunde und die Fremden, zu dem immer -fröhlichen Haus, wo sie bei den Cousinen den Sommer -verbrachte. Den zweiten. Es waren Jahre vergangen, -seit sie zum ersten Male hier gewesen, sie war feiner noch, -ja, und auch härter geworden, wie ein gespannter -Bogen hart ist; der erste weiche Duft war geschwunden -von den Dingen und auch von ihr, und oft lag Erwartung -in ihren Zügen, als sei ihr Herz hellhöriger -geworden und horche auf irgend etwas, einen Ton, einen -Schritt, den Hornruf des Glücks? Und ihr Mund konnte -spöttisch sein damals, wenn ihre Augen zuviel gesagt -hatten, und trotz aller Leichtlebigkeit war sie ein verschlossener -Schrein. Und dann – o wie unabwendbar -war das große Glück auf einmal da!</p> - -<p>Sie sah hinauf zu den hohen Glastüren des Musikzimmers, -aus denen einst Lichterglanz strahlte und -Akkorde hinausströmten, all das Unaussprechliche, das -nur in Klängen Worte fand. Rosen hatten auf den -Tischen gestanden, und zu den Türen herein atmete -Jasmin von allen Büschen, aber auf den Wiesen wurde -das erste Heu gemacht – Juniduft, unvergeßlicher! Und -heute nun stand sie am Gitter, und es war ihr Haus -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -nicht mehr. Der Spätherbst war im Land, aber sie -witterte die vergangenen Sommer, sie suchte in der -Luft nach den Harmonien, die seine zaubernden Hände, -seine nur andeutende Stimme ihr ins Blut, in die Seele -gedrängt hatten, bis Tag und Nacht zu einem einzigen, -seligen Schlafwandeln geworden, jede Minute voll bis -zum Rande. Bis eines Tags der eine Tropfen mehr ihr -Herz zum Überfließen brachte. Ein Blick, eine Bewegung -... ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, wie bei -der Stelle in ihrer Lieblingssymphonie, wenn die Hörner -einsetzen, leise erst und immer drängender, ach unerbittlich -in ihrer Süßigkeit; da war nur eins, das -dieser tiefen Pein Ruhe geben konnte: Hingabe. Denn -wie der Durst nach Wasser, wie das Fieber nach -Schlaf, so begehrt Liebe nach Erfüllung. Ihr ganzes -Leben wollte sie ihm schenken, alles – und kein Ende; -nie wieder hatte sie sich selber angehört.</p> - -<p>Aber an das Schwinden ihres Glücks dachte sie heute -nicht mehr. Die Ammen streichen Bitteres auf die Brust, -um die Kinder zu entwöhnen; so entwöhnt uns Leid -und Verlust vom Leben. Aber, Herr Gott, sie hatte -doch einmal alles besessen. Gewinnen, verlieren, was -sollten die Worte? War er ihr nicht eben nahe gewesen? -Nur eine große, hilflose Dankbarkeit erfüllte sie. Einen -Augenblick sah sie hinauf und ihre Augen tranken ... -tranken. Dann ging sie, ohne sich umzusehen, zum wartenden -Wagen zurück.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -Am selben Abend ließ sie den alten Badearzt rufen, -den sie aus jener Zeit her kannte, der aber sonst nicht -mehr praktizierte. Er blieb lange mit ihr allein. Dann -bat er um Schreibzeug und setzte ein Telegramm auf. -An den berühmten Mann in Heidelberg. Dabei putzte -er sich heftig die Nase in ein großes rotseidenes Taschentuch. -Er sah über die Brille Amsel lang und -zweifelnd an, als wolle er reden. Aber er seufzte nur -und ging.</p> - -<p>Der berühmte Mann kam und befahl Ruhe, als ob -man bisher in einem Vergnügungstaumel gelebt hätte, -und abends kam nun Schwester Ludovika und löste -Madame Céline ab, die vom Aufsitzen und nächtlichen -Kaffeetrinken elend war. Die Schwester war schlank -und durchsichtig mit dunkelumwimperten Augen. »Wie -Genovefas Hirschkuh,« meinte Tante. »Aber weißt du, -Amsel, als Kind besaß ich einen Tintenwischer, der stellte -eine Nonne dar, mit einer Menge Flanellröckchen – -du verstehst – für die Federn, aber sonst nichts, und -da dachte ich eigentlich, daß Nonnen gar keine Beine -hätten.«</p> - -<p>Sie lachte mit den Augen und wandte den Kopf dem -Licht zu; ihr Haar lag schwer und feucht auf den Kissen, -im Lampenschein war die Stirne so klar nach den -Qualen der Nacht. Als sei sie jünger geworden durch -die Schmerzen.</p> - -<p>Amsel führte ihr Leben wie sonst, all ihre kleinen -Pflichten, viel Warten und Harren. Flüsternde Stimmen -<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -legten sich ihr aufs Herz. Da war ein schimmernder -Punkt am Ende des finstern Ganges: Hoffnung. Dorthin -strebte sie, jeden Tag ein winziger Schritt. Aber -manchmal sah sie das ferne Licht nicht mehr.</p> - -<p>Heut aber saß Tante endlich wieder im langen Zimmer, -wo der Flügel war und das Kamin. Neben ihr die -kleine Boulekommode, mit offenen Fächern; da waren -so viele zusammengebundene Briefe. Am Nachmittag -war Frau Schwämmle dagewesen, hatte köstliche Birnen -gebracht und einen großen Busch Herbstastern. Zu -solchen Visiten preßte sie sich in ein braunes Kaschmirkleid, -und auf dem glatten Scheitel balancierte dann -ein kleiner Kapotthut mit schwarzem, nickenden Hafer. -»Püh,« sagte sie beim Eintreten und riß die Hutbänder -unter dem Doppelkinn auf, denn sie war vollblütig und -erzählte mit finsterer Genugtuung, daß alle in ihrer -Familie am Schlagfluß stürben. In ihrer Waschküche -mußte man sie hantieren sehen, in Wolken von Dampf -und Seifenschaum, silberne Schweißtröpfchen auf der -Oberlippe, den Niobebusen ausgebreitet in der rosa -Kattunjacke, an der viele Knöpfe fehlten. Jedes Jahr -kam ein Kind, nicht immer um zu bleiben. »Unser Vatter« -war Droschkenkutscher. »Ja, der Deifel isch en Eichhörnle,« -sagte sie, wenn sie neuen Zuwachs ankündigte.</p> - -<p>Tante hatte ein Briefpaket geöffnet, es stand eine -Jahreszahl auf der Hülle, verschiedene Handschriften -waren darin. Sie blätterte ein wenig, dann legte sie's -auf die Glut; ein Kräuseln, ein Aufflammen – pht ... -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -und nun war es nicht mehr. Und das Herz zog sich ihr -zusammen, denn nun erst waren sie ganz tot, die ach so -bescheidenen Toten, die nur noch leben vom leisen Atem -der Erinnerung. Eigentlich eine Hinrichtung, als ließe -man vor der Abreise einen alten Hund erschießen, damit -er nicht in gleichgültige Hände falle. Manchmal zögerte -sie, glättete die Seiten. Da war der englische Freund, -der so resigniert und losgelöst über den Zeitverlust aller -Politik, aller Ambitionen redete, der zart und unaufdringlich -jeden ihrer Wünsche erriet und erfüllte. Sie -hatte sich nichts dabei gedacht: sie ganz jung und leichtherzig, -er so viel älter. Seine Fürsorge, seine väterlich-ironische -Art: sie hatte alles für Spielerei gehalten. Und -nun las sie: »<i>Oh don't be constant, for the fear of losing -you is one of your greatest charms</i>« – und begriff -(denn das Alter macht auch geistig fernsichtig), warum er -die Tür der Ironie immer offengehalten hatte: um -sich hinein zu flüchten, weil sie ihn niemals recht verstand.</p> - -<p>Hier knisterte der Brief einer alten Freundin, sie auch -schon lange tot. Damals wurde viel geredet über eine -gemeinsame Bekannte. Aber die alte Dame hatte nie -mit eingestimmt: »<i>Je sais qu'on me trouve bien large. -Non, je ne veux être que juste et j'ai horreur de la -médisance. A part les plaies de Notre Seigneur, auxquelles -je crois sans avoir vu, je ne veux rien croire -sans voir. Je sais que vous pensez de même, car vous -n'écoutez que votre cœur qui est meilleur conseiller -que la tête.</i>«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -Der Brief flackerte auf, sie öffnete einen anderen. -»Maria ist in Rom, sie ist bei den Karmeliterinnen eingetreten. -Der allerstrengste Orden. Sie gehen barfuß -und dürfen nie, nie wieder heraus. Ihre Augen, ihr -Lächeln, ihr entzückender Gang, wir werden sie nie -wiedersehen. Warum nur? Zu bereuen hatte sie nichts, -wußte ja gar nicht, was Haß und Sünde sind. ›<i>Terra -gentile</i>‹, wie die Italiener sagen. Es ist ein Rätsel ...«</p> - -<p>Aber in einem anderen Brief war die Lösung. -Da stand mit großen eiligen Buchstaben auf vielen -kleinen, abgerissenen Blättern, wie man noch rasch ein -Abschiedswort kritzelt, wenn das Gepäck schon fort ist -und sich nur noch das winzige Notizbuch in der Tasche -findet: »Lebewohl und Dank Dir zum letztenmal, Du -Einzige, die alles verstehen wird. Immer hatte ich mir -gewünscht, einmal zu lieben, ohne geliebt zu werden. -O ich Unselige, welch ein wahnsinniger Wunsch. Nun -ist er erfüllt und es ist die Hölle ...«</p> - -<p>Da waren Briefe alter Diener, Danksagungen für -manche geleistete Hilfe. Auch ein armer Tanzlehrer, den -sie in seinem Alter und Elend besuchte, schrieb: »Heute -danke ich Gott und den Grazien, weil noch einmal die -Anmut unter mein armes Dach gekommen ist. Wie gut -werde ich diese Nacht schlafen.« Immer wieder fuhren -die hungerigen Flammen auf. Nun war nichts mehr -übrig. »Amsel,« sagte Tante und ihre Lippen bebten, -»das waren lauter gute Menschen. Ich werde sie nie -wiedersehen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -Amsel kroch ganz nah an sie heran, sie legte den -Kopf an ihre Schulter, dicht am Hals, und atmete den -geliebten Duft, der ein wenig wie Bergamottbirnen war. -Dies mit anzusehen war eine große Qual gewesen. -Als ob ein Mensch zur Reise rüstet und sein Hündchen -steht dabei mit flehenden Augen und weiß ja doch, es -wird nicht mitgenommen.</p> - -<p>Tante legte die Wange an den kleinen aschblonden -Kopf. Armes Kind, es war für sie gesorgt, was man in -der Welt darunter versteht. Aber sie mußte durchs dunkle -Tor und das Kind würde allein weitergehn. Würde -sie ihr sehr fehlen, wenn der erste, scharfe Schmerz vorüber -war? Denn sie hatte erlebt, wie sich Wunden -schließen, die man für unheilbar hielt, und im Grunde -war sie sehr bescheiden, was sie selbst betraf: warum -sollte gerade ich unentbehrlich sein? Aber so recht hatte -sie das Kind doch nie verstanden, denn zwei Schamhafte -hören oft aneinander vorbei, gerade weil sie dieselbe -Sprache sprechen.</p> - -<p>Ihre Gedanken gingen wieder zu der schönen Marie, -die so sehr geliebt worden war, und doch ... was war -ihr Leben gewesen? Und plötzlich fing sie zu singen -an, sang hin zu ihr, die doch unerreichbar war, mit der -lieben atemlosen Stimme, in der man das arme, arbeitende -Herz keuchen hörte:</p> - -<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0"> -<tr> - <td class="tdl"><i>»La notte tutti dormono,</i></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl"><i>Io non dormo mai ...«</i></td> -</tr> -</table> - -<p><a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -Ihre Farbe kam und ging, ihre Augen standen voll -Tränen. Aber Amsel lag wie ein Vogel unter Mutterflügeln; -sie horchte auf den geliebten Klang, die fremden -Worte verstand sie nicht.</p> - -<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0"> -<tr> - <td class="tdl"><i>»I quarti d'ora suonano</i></td> -</tr> -<tr> -<td class="tdl"><i>Le una, le due, le tre ...</i></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl"><i>Ti voglio bene assai,</i></td> -</tr> -<tr> - <td class="tdl"><i>Ma tu non pensi a me ...«</i></td> -</tr> -</table> - -<p>So viele Nächte hatte sie nur halb geschlafen, die -Angst im Herzen, sie könnte gerufen werden; aber nun -kam der Schlaf – unwiderstehlich. Und Tante lächelte, -wie der aschblonde Kopf immer schwerer wurde und -hinunter glitt auf ihren Schoß.</p> - -<p>Die Uhr tickte deutlich in der Stille, sie hatte es eilig -mit ihrer Aufgabe. Und die Rosen dufteten. Schöne, -gütige Blumen, wenn sie starben, erblühten neue, aber -niemals dieselben. Warum sollte ich weiterleben, dachte -sie, habe ich das ewige Leben mehr verdient als eine -Rose? Aber wer konnte Recht sprechen, auch über sich -selbst? Und alle Schuld war doch Strafe zugleich, es -ging gerechter her, als man dachte. Etwas Hartes, Häßliches -getan zu haben, das mußte wohl sein wie ein -heimliches Gebrechen, wie wenn schöne Frauen häßliche -Füße haben: es läßt sie nicht froh werden. Hatte -sie auch Häßliches und Hartes getan oder gedacht in -ihrem Leben? Es war wohl ihre große Müdigkeit, sie -<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -konnte sich durchaus an nichts Böses erinnern, nicht an -solches, das ihr andere zugefügt, nicht an solches, das -andere um ihretwillen erlitten. Neben ihr lag ein abgegriffenes -Gebetbuch, Maries letztes Geschenk; ohne -ein Wort dazu war es aus Rom geschickt worden, denn -auch das hatte sie nicht besitzen dürfen. Da war ein -Gebet, es schien ihr soviel menschlicher als alle anderen, -das Buch öffnete sich von selbst an dieser Stelle, und -sie las die leicht unterstrichenen Zeilen:</p> - -<p>»<i>O Marie, mère si heureuse dans le Ciel, n'oubliez -pas les tristesses de la terre. Ayez pitié de ceux qui -s'aiment et que Dieu a séparés. Ayez pitié de l'isolement -du c[oe]ur, si plein d'abattement et même de -terreur.</i>« Und etwas weiter: »<i>Ayez pitié de ceux que -nous aimons, o Marie, ayez pitié de ceux qui s'aiment, -de ceux qui ne savent pas se faire aimer.</i>« Ja das, das -mußte das Bitterste sein: <i>qui ne savent pas se faire -aimer</i>. Aber für sie waren diese Worte nicht geschrieben; -eins war gewiß, sie hatte grenzenlos geliebt und sie -war heiß geliebt worden. Und als es dann zu Ende -ging ... Wenn der Sommer zu Ende geht, nennt man -ihn darum einen Verräter? ... Und nun kam anderes; -etwas Großes, Fremdes tat sich auf, es wehte kühl. -Schleier fielen auf die Dinge und sie konnte nicht mehr -greifen und halten; nur noch das Aller-Allernächste -war zu erkennen.</p> - -<p>Ihr Blick ging langsam von einem zum anderen, über -ihr Klavier, über die Bilder und das Glas mit den -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -Rosen, wie sie standen und dufteten. Und ihr schien, -als ginge sie selbst, unbeholfen und schon fremd geworden -durch die bekannten Räume, mühsam Dinge beim -Namen nennend, an denen doch ihr Herz nicht mehr -hing.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -Die Waldschenke</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -Von der Brincken unterschrieb sie sich und Freifrau -war sie, wenn auch nur linkshändig und in Gebundenheit. -Der rotköpfige Wirt zog heute noch demütig die -Zipfelmütze vor ihr, aber wie sie hinaufstieg zu den kleinen -schattigen Terrassen der Waldschenke, kam ihr mit dem -Erinnern an die anderen Male, da sie die morschen Holzstufen -unter den Füßen gespürt hatte, auch dieser Augenblick -vor wie etwas schon Erlebtes, etwas, das abgetan ist -und nur dumpf wehe tut, als würde einem auf den eingeschlafenen -Fuß getreten. Aber die lange Disziplin, die -Gewohnheit erwiesener und empfangener Höflichkeit half -ihr das Treppchen hinauf.</p> - -<p>Unter den düstergrünen Linden und Kastanien war es -finster, und der Wirt brachte Windlichter und stellte sie -auf die graue Holztafel. Unter ihr auf einer niederen -Terrasse spielten drei Männer Karten, ein vierter stand -angelehnt, die Pfeife im Mund, und sah zu; das Licht -huschte über ihre harten, feinen Bauernköpfe und die -Stimmen drangen ab und zu herauf. Sie hatte den dunklen -Reisemantel zurückgeschlagen und stützte das Kinn in -die schmale, magere Hand. Der breitrandige Federhut -warf Schatten über Augen, die sich hochzogen, als spotteten -sie der eigenen Tränen. Es war doch merkwürdig, -die erste zu sein bei einem Stelldichein, sie, die sonst nie -gewartet hatte; aber was lernt ein Mensch nicht alles!</p> - -<p>Doch nun kam der Prinz, links, vom Walde her, wo das -Forsthaus lag, in welchem er abstieg. Mit federndem -Schritt und der etwas übertriebenen Bonhomie im Ausdruck -<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -seines jungen, verlebten Gesichts, mit den hellen, -schräggestellten Augen, hatte er etwas von einem eleganten -jungen Kater, der auf allen Dächern Bescheid -weiß. Frau von Brincken erhob sich. Er wurde sehr rot -und sagte: »Ich bitte dich.« Aber die kleine Formalität tat -ihr wohl; sie liebte es, auch das eigentlich Unkorrekte -durch ein gewisses Dekorum einzuhegen, abzusondern von -den übrigen, landläufigen Unkorrektheiten. Er küßte ihre -Hand, sagte ein paar liebenswürdige Worte über ihr -Aussehen, die sie ohne Enthusiasmus entgegennahm, und -lehnte sich zurück, die Hand in der Hüfte, die schlanke -Lässigkeit unterstreichend, die ihm durch unzählige Porträte -und Photographien beinahe zur Pflicht gemacht -wurde. Der Wirt kam eilfertig mit eiskaltem Landwein -und Kuchen. Sie nippte, er stürzte zwei Gläser hinunter. -Warum ist keine Musik? dachte Frau von Brincken, es ist -ja doch Theater, die Terrasse, der Wirt – <i>basso buffo</i> – -die Statisten ... gleich werden wir aufstehen und unser -großes Duett singen, Opfer und Entsagung, schmelzend, -aber <i>con bravura</i> ...</p> - -<p>Sie sprachen. Er mit forciertem Ungestüm, mit Selbstanklage, -die aber doch dem Schicksal, das sich ja nicht verteidigen -kann, die Hauptschuld zuschob; Mitleid und Besorgnis -um ihr ferneres Ergehen in jedem Ton. Immer -wieder der tadellose Kater, leichtsinnig, oberflächlich, -wenn man wollte, aber doch im geheimsten Winkel seines -Bewußtseins: der tadellose. Frau von Brincken fühlte, -wie sich ganz leise der Gram von ihr löste, ohne daß sie -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -selber etwas dazu tat, und diese Operation war nicht unangenehm, -wenn auch mit einem leichten Frostgefühl -verbunden. Mein Gott, waren es denn Kleinodien gewesen -oder Glasscherben, die sie so lange, so angstvoll -gehütet? War ihr Schicksal eines der vielen, unfertigen, -die der Triebsand des Lebens einschluckt, arme, verirrte -Reisende, deren protestierende Armbewegung aufwärts -wie ein anklagender Wegweiser die Verräterei des Bodens -verkündete? Und nun saßen sie hier und lächelten einander -zu, und es war, als wenn man mit einem Stückchen -Brot im abgestandenen Champagner rührt, um ihn noch -einmal zum Moussieren zu bringen. Frau von Brincken -sah das wohl mit ihren klargeweinten Augen, in diesem -zweiten, beinahe reizvollen Stadium der Enttäuschung, -wenn sich die Seele in zwei Hälften teilt und die eine -leidet und die andere zusieht. Bei jungen Menschen kann -das ein Vorfrühling sein. Der Schmerz hat die Seele -gelockert, Neues kann keimen und aufgehen und bringt -vollkommene Befreiung, erneuert das Herz nicht nur, sondern -auch den Geist. Aber sie dachte heute nur an Frieden. -Wie gut würde Ruhe tun, nachdem sie so lange gekämpft -hatte. Wie anstrengend war es doch oft gewesen; so mußte -den armen Teerosen zumute sein in den großen Tafelaufsätzen, -alle hatten sie einen Draht durchs Herz gezogen ...</p> - -<p>Er ahnte wohl ihre Gedanken. Und nun war es fast, als -sei <em class="ge">er</em> der Verstoßene, als schritte sie, einsam und erlesen, -von dannen, einem Leben entgegen, an das er kein Recht -mehr haben würde.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a> -»Unsere liebe alte Waldschenke,« sagte er und seufzte. -Er hatte eine Vorliebe für die maßvolle Architektur jenes -ausklingenden Jahrhunderts der Jabots und der Zöpfe. -Teilweise wohl aus Widerspruch, weil er bei so vielen -Enthüllungen fürchterlicher Denkmäler, bei so vielen Einweihungen -prunkvoller Theater und Kirchen zugegen -sein und lobende Worte sprechen mußte, war ihm gerade -diese Bauart sympathisch, deren stilles Behagen, deren -karger Zierat uns überkommt wie Resedaduft, mit leisem, -schwermütigem Wohlgefühl. Das Haus hatte bessere -Tage gekannt, sanft angelehnt am waldigen Hügel. Die -schöngegliederte Tür, die leichten, halbverwischten Ornamente -der Fenstereinfassungen, das zartsilberne Schindeldach, -alles redete von einer Zeit, da zierliche Behäbigkeit -der Form auch das Alltägliche erlesen machte. Heute -standen Planwagen aufgereiht im weiten Hof, Fässer -waren im Torweg aufgestapelt, und vor der Einfahrt -tranken schwere Pferde gierig am Brunnentrog. Der -Prinz neigte sich vor: »Durstige Tiere trinken zu sehen, -ist doch eine Wonne,« sagte er. Frau von Brincken fühlte -einen kleinen, süßen Stich ins Herz, und ihre Augen -wurden groß wie von aufsteigenden Quellen. »Ich will -immer an Sie denken, Ludwig, wie Sie eben den durstigen -Pferden zusahen,« sagte sie. »Es gibt viel Durstige -– vergessen Sie's nicht. Ihre Hand weiß so schön zu -geben, und am meisten habe ich doch wohl Ihre Hände -geliebt, damals – ihr Mund bebte ein wenig – als wir -die erste schöne Reise machten und am Abend der Korb -<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -auf dem Tisch stand mit den herrlichsten, kostbarsten -Pfirsichen und Trauben aus Eurer Hoheit Treibhäusern. -Wir konnten es kaum erwarten, waren so heiß und durstig -von der langen Fahrt. Aber da kamen die Bettler. Ja, -Ludwig, und da nahmen Sie den Korb, die Pfirsiche, die -Trauben, und schenkten alles, alles an die armen Kinder, -behielten nichts zurück, auch für mich nichts, und gerade -das, Ludwig ...« Sie wandte sich zur Seite, ihre Augen -brannten. »Engel, es war ja deine Hand, die mich das -Geben lehrte,« sagte er und war wieder ganz geschmeidiger -Kater, »diese reizende Hand, die ich nicht festhalten kann. -Aber wenn du mir schreibst, mit unserm lieben kleinen -Sternensiegel, da kannst du sicher sein, daß mein dankbares -Herz deinen leisesten Wunsch hören wird, bis in die -fernsten Zeiten« ... Fast hätte er gesagt »das walte Gott«, -denn er war es gewohnt, diese Schlußfloskel ziemlich -wahllos anzubringen; aber da war auf einmal etwas in -ihrem ferngerichteten Blick, das ihn ernüchterte.</p> - -<p>»Es sind nicht einzelne Wünsche, die ich hegte,« sagte -sie, und ihre Stimme klang blechern und müde ... »ich -hatte Größeres erhofft ... Aber Euer Hoheit Leben ist -noch lang, es werden so viel Kreuzwege kommen ... -oh, vergiß nicht die durstigen Pferde,« und sie nannte ihn -wieder beim Namen.</p> - -<p>Es waren ein paar feine Fältchen an ihrem Munde, -und er sah sie genau. Sie war ihm rührend wie ein kostbares -Porzellanfigürchen, das immer noch mit zierlicher -Grandezza zum Tanz schreitet, und hat doch leider schon -<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a> -so manchen feinen Sprung in der Glasur. Und diese unausbleiblichen -kleinen Standreden ... nun ja, das war -ganz natürlich; erst das Lyrische, und dann wird die Dame -didaktisch. Er wollte sich gewiß nicht mit Goethe vergleichen, -der ihm überhaupt vorkam wie ein Menschenfresser -mit Orden ... aber er mußte seit einiger Zeit -häufig an Frau von Stein denken. Es war eben der Altersunterschied; -was konnten sie beide dafür! Es war alles -bezaubernd gewesen – war es eigentlich noch. Aber eine -Unterbrechung ... nun, und was an ihm lag, nichts Definitives, -setzte er, zur eigenen Beruhigung, wie ein kleines -Pflaster obendrauf.</p> - -<p>Der Wind fuhr durch die Lindenwipfel; schmalgeschweifte -Samenhülsen segelten herab, sich emsig drehend -wie kleine Propeller.</p> - -<p>»Sonnenwende,« sagte Frau von Brincken, »das ist -eigentlich die schwermütigste Jahreszeit. Der Herbst ist -noch nicht da mit seinen Farben, seiner frischen Nebelluft, -aber die Bäume sind es müde geworden, grün zu -sein. Das war mir als Kind schon die traurigste Zeit, viel -ärger als der November, den viele so melancholisch -finden.«</p> - -<p>»Sei froh,« sagte er und dehnte sich hintenüber in seiner -weidenschlanken Länge, »daß dir so etwas wie der Wechsel -der Jahreszeit überhaupt damals zum Bewußtsein kam. -Unsereiner steckt in solchem Drill, daß er das alles nur -empfindet wie ein Schauspieler die veränderte Dekoration; -einmal ist es Schneelandschaft, ein andermal -<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -Frühlingswald, aber Schneeballen kann man nicht daraus -machen und die Rosen sind nur gemalt; er darf seinen -Spruch hersagen und damit basta. Das Beste noch war -die Jagd, nicht die großen Hofjagden, nein, allein, oder -mit zwei, drei Kameraden, und abends dann die gute -Müdigkeit am glimmenden Kamin, wo die Hunde liegen -und im Traum bellen, man raucht seine Shagpfeife, und -mein wackerer alter Buschmann erzählt Jagdgeschichten -... Rita, einmal waren Sie auch dabei, und nun, wirklich, -niemals wieder?« Sie sah vor sich hin, unter ihren Augen -zuckte es ein wenig: Glimmender Kamin, wackerer Buschmann, -er hat nun einmal Redewendungen wie aus einem -Schulaufsatz. Darum war's mir immer so peinlich, wenn -er schrieb. Seltsam, diese Ausdrucksweise, und dabei -dieser unfehlbare Geschmack in der Wahl seiner Kleidung, -er käme sich degradiert vor, wenn er sich in der Farbe -der Krawatte geirrt hätte ... Dann wurde ihr Blick weich. -»Wenn Sie es irgend vermeiden können,« sagte sie, »so -enttäuschen Sie niemand. Es ist ja wohl nicht immer zu -vermeiden, aber man sollte es versuchen. Sie gehen oft -mit Ungestüm auf eine Sache los, dann aber ist sie doch -komplizierter, als Sie dachten, oder Sie meinen, Sie -seien auf Undank und Ungerechtigkeit gestoßen, wo es oft -nur Ungeschick ist ... dann lassen Sie's fallen. Denn es -gibt ein Wort, das kennen Sie nicht: Geduld. Es ist auch -nicht von Ihnen zu verlangen. Die Weltgeschichte wurde -Ihnen von Hoflieferanten serviert und die Gegenwart -ist Ihnen ein Schaufenster, und da liegt alles schön aufgebaut -<a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -und ist alles zu haben.« Er lächelte mühsam, denn -er dachte an Dinge, die gerade für ihn und seinesgleichen -unerreichbar waren. Er hatte eine kleine Schwester gehabt, -die hätte so schrecklich gern einmal in der Hundehütte -geschlafen, aber das litt die Erzieherin nicht, und die -kleine Prinzeß war gestorben, ohne ihren Herzenswunsch -erfüllt zu haben. Ja, und er hatte wieder andere unerfüllbare -Wünsche. Nun, wer weiß, hätte er sie erlangt, wären -sie wohl bald ihres Reizes verlustig geworden. Immerhin, -da war so manches, das fernab glitzerte ... jenseits, er -würde es nie besitzen.</p> - -<p>»Ich habe als Kind eine Enttäuschung erlebt,« fuhr sie -fort, »eigentlich eine Kinderei; aber noch heute, wenn ich -Faulbaum rieche, kommt es über mich, dies Gefühl der -Erwartung, des felsenfesten Vertrauens – und dann -auf einmal nichts, eine Leere, ach, ein Verratensein ...«</p> - -<p>»Wie ging das zu?« frug der Prinz, der Frau von Brincken -gegenüber immer Interesse zur Schau trug, wenn auch -manchmal gerade <em class="ge">die</em> Eigenschaft, die sie ihm absprach, -dazu nötig war.</p> - -<p>»Das ging so zu,« sagte sie und sah vor sich hin, und die -Erinnerung an diese erste Bitterkeit des Lebens stand auf -wie eine graue, beklemmende Wolke; »wir schwärmten -dort in der kleinen Residenz alle für die Schauspielerin -Weiß. Sie gab das Gretchen und Klärchen, aber auch die -Königin im Don Carlos und feine Salonrollen, wo sie in -entzückenden Toiletten traurige und edle Schicksale verkörperte. -Wir Schulmädchen hingen ihr Maiblumenkränze -<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -an die Tür, eine ganz Mutige warf ihr sogar Rosen -ins offene Parterrefenster, und wenn wir ihr auf der -Straße begegneten, hatten wir Herzklopfen. Sie wußte -das und fand es wohl recht abgeschmackt, aber sie lächelte -freundlich, wenn wir sie grüßten, und schickte uns bisweilen -Freibilletts; wir kleinen Beamtentöchter kamen ja sonst -nicht oft ins Hoftheater. Schließlich lernte ich sie in einem -kunstfrohen Malerhause kennen. Diese Malersfamilie -machte im Frühling mit ihren Freunden Landpartien in -den herzoglichen Wildpark, es waren lauter junge Leute, -Maler und Malerinnen, aber auch Musiker, Polytechniker, -Schauspieler. An jenem Tage war Marie Weiß -dabei. Es war so ein richtiger Maitag, in den Gärten und -auf den Wegen, die zum Wald gingen, blühte der Faulbaum, -oh, es war betäubend, und drinnen im Wald in dem -dürren heißen Laub standen die großen, duftlosen Hundsveilchen, -die anderen waren schon vorüber; und über -Bahndämme kamen wir, wie goldene Straßen, das war -der Ginster – und überall Zitronenfalter ... Marie -Weiß sprach mit mir; sie ginge nun in Urlaub, und sie -wüßte nicht, ob sie im Herbst wiederkehren würde. Das -Herz wurde mir wie Blei, was sollte mir das Leben, die -Stadt, meine Lehrer und Beschäftigungen, wenn dahinter -nicht mehr Marie Weiß stand? Sie frug mich, wo -ich den Sommer über sei, ich sagte es ihr, bei einer Tante, -die ein Gütchen im Schwarzwald hatte, nicht weit von -Bühringen. »Nun,« sagte sie, »so um den 20. August -herum muß ich nach Bühringen; ich bin ja dort geboren, -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -ich brauche allerhand Papiere. Wer weiß, vielleicht -treffen wir uns?« Sie sah mich so warm und lachend an, -sie hatte einen wunderschönen großen Mund und grüne -Augen mit braunen Fleckchen drin, es gibt einen Stein, -Moosachat, so ähnlich, und ihr dunkles Haar war so reizvoll -angewachsen ... Ihr Männer ahnt ja nichts von der Hingabe, -mit der ein junges, einsames Ding eine berühmte, -selbständige Frau anbeten kann; man atmet kaum, wie in -der Messe, wenn eben die Kerzen angezündet werden, ja, -man denkt sich aus, was man alles für die Angebetete leiden -möchte, Nesseln pflücken, was weiß ich für Unsinn. Aber -ich langweile Sie ...« unterbrach sich Frau von Brincken.</p> - -<p>»Nein, nein, sprich weiter,« sagte der Prinz, der an -anderes gedacht hatte, aber ihre weiche Stimme mit dem -leisen südlichen Klang in sich einsickern ließ wie ein angenehmes -Akkompagnement. Sie merkte es wohl, aber -sie redete weiter, mehr für sich als für ihn. »Bühringen ist -eine kleine Stadt, vom Hof meiner Tante sind es drei -Stunden zu gehen. Am 19. heuchelte ich schreckliches -Zahnweh und erhielt die Erlaubnis, nach der Stadt zu -fahren. Es war ein heißer, luftloser Spätsommer, dieselbe -Zeit wie jetzt, darum fällt mir's wohl alles wieder ein. -Ich war drei Tage in Bühringen; am dritten Tag ging -ich zurück; Marie Weiß war nicht gekommen. Aber diese -drei Tage werd' ich nie vergessen, sie waren so beklemmend -erst und dann so erstickend trostlos, daß sie mich wohl für -mein ganzes Leben gefeit haben, und dafür muß ich -heut vielleicht dankbar sein.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -Der Prinz sah rasch zu ihr hinüber. Bis dahin war's -ihm vorgekommen, als läse sie ihm irgendein Feuilleton -vor, es gab jetzt oft solch verschwommenes, abschattiertes -Zeug, lauter Beschreibungen, und meist traurig, man -wußte nie recht warum; er las eine gute Detektivgeschichte -lieber, oder sonst Geschichtliches, woraus man ersah, daß es -vorwärts ging in der Welt ... Aber eben war ein Ton -in ihrer Stimme, der ihm wehtat: »Liebe, liebe Rita,« -sagte er bewegt, »erzähle mir nur alles, ich kann das nachfühlen; -meine Jugendzeit hatte auch ihre dornigen -Seiten.«</p> - -<p>»Hoheit sind gewiß niemals an einem heißen Augustnachmittag -in kleinstädtischen Anlagen gewesen – ja, wie -kämen Sie auch dorthin! So zwischen fünf und sechs, -wenn es ganz windstill ist. Da sitzen dann so kleine, alte -Dämchen und häkeln, die Spatzen schlafen in den Büschen, -und auf die Wege fallen die ersten welken Blätter – so -wie hier ... Dort war ein Bassin, ein längliches Viereck, -wo große Goldfische wie fette Mohrrüben schwammen, -und ein paar Schüler mit roten Mützen spielten gelangweilt -Verstecken hinter den Büschen und der Riesenbüste -des Landesvaters, die den Teich übersah; wenn ich nicht -irre, ein Großoheim Eurer Hoheit, ob seiner Gerechtigkeit -und Leutseligkeit bewundert und geliebt; er konnte einem -leid tun, wie er da immerzu lächeln mußte in der heißen -Sonne, als träumte er von Veteranenfeiern und Bürgermeistern -und könnte zu keinem richtigen Nickerchen -kommen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -»Rita, Sie sind goldig,« sagte der Prinz und wollte ihre -Hand küssen; wenn sie sich – es war leider selten – über -seine Angehörigen lustig machte, kam sie ihm gleich menschlich -so viel näher.</p> - -<p>»Ach nein, nein,« sagte sie, »die Verzweiflung kommt -wieder über mich. Hoheit ahnen nicht, wie man noch in -der Erinnerung zusammenschrumpft, wie man manche -Orte, manchen Blumenduft meidet, als säßen Mörder -darin, die nur warten, um einem ins Herz zu stoßen. -Zwei ganze Tage war ich in Bühringen, ging die Hauptstraße -mit ihrem Kanal zwischen großen, staubigen Kastanienbäumen -hin und her, saß in der Konditorei, wo es -Limonade gab und Kuchen unter Glasglocken, wie Reliquien. -Dahinter führte eine kleine Brücke in den Stadtgarten, -und immer wieder, zwischen den Zügen, ging -ich hin, und war mir anfangs beklommen zumute, so -war's mir schließlich unerträglich, und doch mit einem -Stich ins Komische. Ich saß dort wie verhext. Alte Herren -mit fetten, asthmatischen Hunden kamen an mir vorbei, sie -standen in der prallen Sonne und redeten über Steuern -und Gemeindesachen, und Euer Hoheit hochseliger Oheim -lächelte geduldig zwischen den Buchsbäumen rechts und -links, und die Goldfische schliefen im Bassin. In einem -Gasthaus in der inneren Stadt war Kaninchenausstellung, -dahin ging ich den letzten Tag; ich war immer ein -Tiernarr; darum wünschte ich, ich wäre nicht dort gewesen. -Es war ein häßlicher Backsteinbau, und überall roch es nach -schalem Bier. Droben, in einem dunkelgetäfelten Saal -<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -mit altdeutschen Trinksprüchen stand Käfig an Käfig. -Sie hatten's viel zu eng, sie saßen in die Winkel gedrückt -mit erschrockenen Augen, es war schmutzig in ihren -Ställen. Menschen kamen und gingen, die die guten -weichen Tiere herausnahmen und wogen und ihnen -Zigarrenrauch in die Augen bliesen, man sah die Herzchen -klopfen ... ich war dicht am Weinen und ging fort. Ja, -und da hatte die Tante geschrieben, wo ich denn bliebe, -und da mochte ich ihr nichts weiter vorlügen; so eine -tüchtige Lüge, einmal, wenn's sein muß, gut, aber immer -wieder, das ist so läppisch. Ich stand am offenen Fenster -und packte meine Sachen zusammen; vor der Haustür -sprach der Wirt mit einem anderen Mann, und da hörte ich, -Marie Weiß sei schon vor vierzehn Tagen hier gewesen beim -Bürgermeister, um Papiere zu holen, sie würde heiraten, -einen hohen Offizier, der ihr schon lange nahe gestanden. -Er hat ja dann auch den Abschied genommen, und sie sind -sehr glücklich zusammen gewesen ... sie hatten einen -kleinen Jungen ... Ja, da stand ich am Fenster. Dann bin -ich zu Fuß heimgegangen, und wie ich über die Höhe kam -und die Sterne wachten auf und von den Wiesen kam solch -frischer Hauch – da war's, als ob etwas von mir abfiel, und -ich sagte mir, es war zum Sterben, aber ich glaube, nun -ist's vorbei ... Aber bisweilen kommt es noch so über mich.«</p> - -<p>Sie streichelte seine große, schlanke Hand, und dann tat -sie einen guten Zug aus ihrem Glase. »All die Länder, -wo man offenen Wein trinkt,« sagte sie, »sollten doch -von Rechts wegen gut Freund sein miteinander.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -»Stimmt leider nicht –« sagte er, »aber man könnte es -in Erwägung ziehen. Völkerbündnisse, je nach Nahrungsmitteln -sortiert ....«</p> - -<p>Sie trank noch einmal. »So,« sagte sie, »der Wein -war gut, und nun ist er zu Ende. Nun aber bleiben Sie -hier, Ludwig; mein Wagen hält unten beim Kapellchen. -Sehen Sie mir nach, ich werde geradeaus marschieren, -wie kein Leibgrenadier es besser kann. Was Tenue betrifft, -da kann ich mitreden.«</p> - -<p>»Nein, laß mich dich zum Wagen geleiten, Rita, und -sprich nicht so – ja, wie soll ich sagen – höhnisch; du -brichst mir das Herz.«</p> - -<p>»Ach Gott, von Hohn ist keine Rede,« sagte sie. »Wir -sind beide betrübte Leute, die ein Einsehen haben. Und -glaube mir, <i>il tempo è galantuomo</i>, du wirst es verwinden -und sollst es auch, laß mich nicht in einem grämlichen -Schleier in deiner Erinnerung stehen. Und habe -Dank für alles – hörst du – für alles ...«</p> - -<p>Sie nahm seine Hand und legte die Wange für einen -Augenblick hinein, so eine Sekunde nur, da war sie wieder -jung – wie ein Kätzchen jung ist, jung wie damals, ganz -am Anfang, als er sie noch Henrietterl nannte ... dann -sah sie sich um, aufmerksam; hierher kehrte sie nie zurück. -Und seltsam, es tat eigentlich nicht weh, nur kühl, kühl war -alles. Sie merkte, daß sie schon draußen stand im Zuschauerraum, -die kleine leere Bühne verlassen hatte. Ach, schenkte -das Leben vielleicht ganz heimlich, gerade dann, wenn es -nahm? Oder hatte sie zu sehr geliebt, daß es ihr an Kraft -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -zum Schmerz gebrach? Wann würde sie's wissen? Abschied, -Opfer, höhere Pflicht ... sonderbare Worte. In -der Brust ein toter Fleck, und hier, was blieb zurück? -Ein paar verkohlte Zigaretten, ein kleines zertretenes -Taschentuch. Und nun kam der Wirt, die Gläser wegzutragen, -die Windlichter auszulöschen, und morgen -sitzen andere Gäste am Tisch, mit leichten oder schweren -Herzen; was weiß ein Mensch vom andern!</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a> -Die Verirrten</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -Das ausgeweidete Reh hing mit verglasten Augen -vom Balken herab, von seiner Zunge troff langsam ein -schwarzer Tropfen auf den Lehmboden nieder.</p> - -<p>Nachdem die Frau des wilden Mannes es mit Wacholderreisern -ausgelegt hatte, wandte sie sich, zum Brunnen zu -gehen. Da liefen ihre kleinen Töchter auseinander, die in -der braunen Dämmerung der Tür gestanden hatten, vom -Blutduft angelockt.</p> - -<p>Aber eine saß auf dem Brunnenrand im letzten Abendglast. -An ihren baumelnden Füßen hatte sie runde -Schuhchen aus Baumrinde, mit bunten Wollbändern um -die Beine verschnürt.</p> - -<p>»Geh heim, Bärhild,« sagte die Frau, »die Abendkost -steht auf dem Tisch.«</p> - -<p>Das Mädchen grinste. Ihre hellen Augen standen ein -wenig schräg, wie bei Katzen. Um den Hals hatte sie ihren -zahmen Marder gelegt, man wußte nicht, wer von beiden -spitzere Zähne hatte; sonst aber ähnelten sie einander -nicht, die Kleine breit und stämmig, mit kurzem sehnigen -Hals, mit kurzer, zerzauster Mähne, rotblond wie alle -Töchter des wilden Mannes.</p> - -<p>»Jetzt geh ich Schlingen legen,« sagte sie mit rauher -Knabenstimme und schlüpfte davon.</p> - -<p>Die Frau seufzte und bückte sich zu den Blumentöpfen, -die beim Brunnen standen und einsam dufteten in die -Abendstille hinein. Sie beugte sich über den Brunnenrand -und sah hinunter in die Finsternis. An den schleimigen -Wänden wuchsen Farn und Moose, nur selten -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -kam ein Lichtstrahl und glitzerte sie wach. Hinter ihr lag -das Haus gekauert zwischen Weiden und Erlen; wohin -man trat, gab die schwarze, schwammige Erde nach; im -ersten Frühling, wenn alles voll gelbstäubender Kätzchen -war, drängten sich die großen, breitblättrigen Dotterblumen -in den Sümpfen zwischen den Erlenwurzeln; -jetzt waren die Gräben blau von Vergißmeinnicht. Die -Frau verstand schöne, feste Kränzchen daraus zu binden -und hätte sie gern ihren kleinen Töchtern aufgesetzt, die -aber hatten sie abgeschüttelt mit Geschrei. Sie wollten -nichts auf ihren wilden Mähnen dulden, nur manchmal -setzten sie die Kupferreifen auf, die der wilde Mann ihnen -mitgebracht, fremde Schmiedearbeit aus Norden, wunderliche -Zeichen drin eingesetzt, sahen aus wie Beile -und Galgen.</p> - -<p>Ja, wie kam sie zu diesen Wildkatzen, die mit spitzen -Zähnchen zur Welt gekommen, ihr die Brust zerbissen und -ihr Blut getrunken hatten; man hatte sie den zottigen -Stuten anlegen müssen, die sie mit Stampfen und Schlagen -in Ordnung hielten; und von der wilden Milch waren sie -stark geworden. Nun fingen sie sich die Fohlen, ihre Milchbrüder, -ein und trabten auf ihnen durch Weidengebüsch -und seichtes Gewässer und über den toten weißen Sand.</p> - -<p>Wie anders sah die Erde hier aus als dort, wo sie daheim -war. Hier Busch und Binsen, düsterer Erlenwald, wo das -Wasser zwischen den geschwärzten Silberstämmen gluckerte -und man die schmalen Dämme kennen mußte, um nicht -zu versinken. Man konnte sich verkriechen und war doch -<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -preisgegeben dem Regen, der Schwüle, den Mückenschwärmen -im Dunst. Und weiter, da hörte auch das -niedere Gebüsch auf, die Erde wurde karg und -steinig, wilde Schafe mit bösen, schwarzen Fratzen -schrien in den Wind. Dort begannen die großen, verlassenen -Steinbrüche mit ihren Höhlen und Labyrinthen, -ihrem schräg geschichteten Stein, als hätten -Riesen sich große Stücke herausgeschnitten; Wacholder -und Berberitzen wucherten in den Narben. Dort war die -Welt zu Ende, weiter wußte sie den Weg nicht; da war -ein strenges Verbot, und niemand, der das Geheimnis -nicht kannte, hätte aus dem Irrsal heimgefunden. Als -Warnung dienten noch die Knochen des Trödlers, der -es gewagt hatte, und die betrunkenen Hochzeitsgäste, die -auf eine Wette hin, um abzukürzen, den Weg genommen, -sie hatten dasselbe Los gehabt.</p> - -<p>Daheim, bei ihr, im Hochwald, schlüpfte die Sonne -durch das Wipfeldach und streichelte den roten Pelz -der Eichkatzen, die großen Bäume waren ihr Freunde -gewesen, wie Helden stiegen die Stämme aus der rostigen -Blätterdecke. Da war alles redlich. Und ihr Vater, der -haßte die Fallen und Schlingen. Ein Pfeil ins Herz, ja, -das konnte dem freien Wild recht sein, und die Mütter -und Kinder blieben geschont; aber es gab kein Quälen -mit zerschmetterten Läufen, kein Würgen und Zerren, -keine Todesangst mit blutender, flatternder Schwinge. -Der Vater! Wie silberweiß war sein Bart, wie scharf -sein dunkles Auge, wie gut hatte er's immer gemeint.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -Die Frau sog die Luft ein; es ging ein süßes Duften -über den Geruch der Sümpfe, der Gräben voll braunen, -faulenden Erlenlaubs dahin. Da hatte wohl irgendwo -ein Jasminstrauch seine weißen Blumen aufgetan. Und -der Duft tat ihr weh; denn so hatte der Strauch am -Jägerhäuschen geduftet, an jenem Tage, als der Jäger -nicht heimkam; als wolle er ihr helfen, ihr etwas sagen -mit seinem Düften: Sie saß den halben Tag dort und sah -ihn versinken im Dämmergrau und wieder auferstehen -im weißen, traurigen Mondlicht. Aber der Vater kehrte -nicht zurück. Da brach sie sich einen blühenden Zweig ab -und ging in den großen unbekannten Wald.</p> - -<p>Erst war sie mit schweren Füßen, mit schwerem Herzen -gegangen, aber um sie her all das Summen und Säuseln -machte ihr auch den Kummer zum Traum. Es ging sich -so sacht über das tote braune Laub, gefleckte Salamander -saßen unter den moosgrünen Steinen wie in Märchenhöhlen, -und die Sonne glitt an den geraden Buchenstämmen -hinab wie einer Mutter Lächeln über wohlgeschaffene -Söhne. Dann, im Tannenwald, war's noch -stiller, Bernsteintropfen glühten an den rissigen Rinden, -und die Wipfel waren reglos. Aber das Schönste war der -Abhang, wo die Holzfäller ihr Werk getan; da kam der -Fingerhut zu seinem Recht; in Völkern stand er zwischen -den Baumstümpfen und öffnete den warmen Samtschlund -der Sonne und den Bienen. Und die Stechpalme -wucherte und die wilde Himbeere warf die Arme aus -nach dem Geißblatt, und das war so voll Süßigkeit, kein -<a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -Bienchen konnte dran vorüber. Dort war sie lange gewesen, -die Hände um die Kniee gespannt, der Berghang -ihre Lehne, das Erdbeerkraut ihr Teppich; unter ihr -die Wiesen lagen im Dunst, und aus dem Wald läutete -der Kuckuck tief und eindringlich, und weil sonst alles still -war, ging sie seiner Stimme nach.</p> - -<p>Wie dann der Abend kam, stand sie in einer Lichtung; -da war ein Teich und spiegelte schwarze Binsen im -gelben Widerschein, Libellen standen in der Luft mit -gläsernen Glotzaugen, das feine Waldgras nickte, die -Hummeln lagen, vom Tau verklebt, in der Disteln seidenem -Schoß. Da legte auch sie sich hin auf ihr Bündelchen, -und hinter ihr öffnete der schwarze Wald seine -Hallen.</p> - -<p>Trapp, trapp, kamen die wilden Männer geritten, -weich schlugen die Hufe auf den federnden Waldboden; -als sie die Augen auftat, traten sie in die Lichtung mit -finsterroten Gesichtern im Abendlicht. Stumm und gewaltig -ritten sie an ihr vorbei, mit harten Stirnen und -harten Lippen, leise klirrend die Speere und eisenbeschlagenen -Knüttel. Aber der zuletzt ritt, hielt bei ihr an -und streckte die Hand aus. Da streckte auch sie ihre kleine -Hand empor, und es rieselte ihr durch den Arm bis ins -Herz. Und der Wald summte um sie her. Da zog er sie -hoch und aufs Pferd und nahm sie an sich ...</p> - -<p>Die Frau beugte sich tiefer über den Brunnen. Da -unten wohnte die Brunnenfrau, dort ging sie auf goldenen -Wiesen mit ihrem kleinen silbernen Hund. In -<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a> -hellen Nächten, hieß es, könne man ihr weißes Kopftuch -sehen. Nun fing es an zu dunkeln; das Haus versank in -Grau, in Weiden und Erlen. Nur unter dem Dachrand -blinkte ein kleines Fenster; dort lagen wohl schon ihre -kleinen Töchter; sobald die Sonne sank, gingen sie schlafen, -aber früh, kaum daß der Himmel fahl wurde, liefen sie -schon und sammelten sich in der taugrauen Wiese, wo -man sie schreien und schnattern hörte, ehe sie auseinanderstoben.</p> - -<p>Die Frau ging ins Haus zurück. Heute nacht wollte -der Mann heimkehren von einem Beutezug; da mußte sie -auf sein und helfen, die Säcke verstauen an geheimen -Plätzen; sie setzte sich an den Herd, um die Kittel ihrer -kleinen Töchter zu flicken, aber die Arbeit sank ihr in den -Schoß, und sie lauschte den Geräuschen der Nacht, all -dem Seufzen und Knarren draußen in den Bäumen -und drinnen im Gebälk. Nun wurden die Nachtvögel in -den Wipfeln lebendig, sie wanden sich durch die Äste, -plump und seidenweich, bis sie sich aufschwingen konnten, -lautlos in die freie Finsternis. Sie wußten, wo die wolligen -Junghasen lagen, die sie heimtrugen zu ihrer eigenen -Brut, die mit bösen, gelben Augen nach frischem Fleisch -schrie. Und durch die Baumwurzeln schlüpften Marder -und Wiesel, sie hatten ihre Gänge und Höhlen, ihre Vorräte -und Kinderstuben wie die Menschen, und wenn ihre -Wege sich kreuzten, gab es da unten einen kurzen, bitteren -Kampf mit heißem Gefauch, die Erde schluckte ein wenig -Blut, aber darüber lag verschwiegen der moosige Teppich -<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -mit tausend nickenden Flockblumen, die faulenden Blätter -des Vorjahrs, durch die sich die gelben Taubnesseln -drängten.</p> - -<p>Durch den Ladenausschnitt kam ein Mondstrahl und -tastete über Bank und Tisch und über die Hände in -ihrem Schoß; da stützte sie den schmalen Kopf und dachte -an die Abende daheim, wie sie auch dasaß und die -Quelle im Dunkeln hörte, und dann des Vaters Schritt, -immer näher, bis er die Tür auftat und sein weißer -Bart im Monde noch weißer war.</p> - -<p>Wie sie so gesessen ist, hat sie auf einmal wirkliche -Schritte gehört, viele kleine Schritte und Klopfen an -der Tür, und wie sie geöffnet hat, haben da vier kleine -Buben gestanden, einer immer ein wenig kleiner als -der andere, und der kleinste wie ein kleiner Kater, man -hätte ihn in der Schürze tragen mögen; die baten um -Einlaß.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Die Bübchen hatten die Schüssel geleert, die sie ihnen -hingestellt, saßen mit schweren Augenlidern um die -kleine Öllampe und erzählten weinerlich von Mutter -und Vater und wie sie in die Irre gegangen seien. Die -Frau ging von einem zum anderen, streichelte dem den -Kopf, rückte dem das Halstuch zurecht, beugte sich verstohlen -über sie, immer wieder mußte sie den Dunst -ihrer braunen Hälschen einatmen, wie er sie aus dem -Ausschnitt ihrer Kittel ankam, diesen Duft, in den sich -ein Ruch mischte von Harz und Kohlenmeilern und fetter -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -ungebleichter Schafwolle. Ach, und ihre singende Sprechweise -war wie Amselzwitschern. Von einem guten, geplagten -Vater, von einer harten geplagten Mutter erzählten -sie, von dem Hündchen Strupp und den Meilern -tief im Wald, von Bucheckern und Pilzen, und sie -meinte, wieder tief drinnen zu stehen, die Füße im -Heidelbeerkraut, die Sonnenstrahlen um sie her, als -würde das Licht zur Orgel ... Aber auch von einem -Dorf erzählten sie, wo sie zur Schule gingen, früh, wenn -es kaum Tag war, die einsame Straße hin, wo Krähen -auf verschneiten Steinhaufen saßen und schweren Flugs -in die graue Luft stießen. Manchmal kam ein Planwagen -und der Fuhrmann ließ sie aufsteigen, da kauerten -sie unter dem Zeltdach im Stroh, über ihnen die -schwankende Laterne, wo das irdene Geschirr verpackt -lag, oder zwischen Mehlsäcken, und schliefen und träumten -von frischem Brot. Die Kinder waren so müde, sie -nickten beim Erzählen ein, und auf einmal fuhr die Frau -zusammen und sagte: »Ihr dürft nicht hier bleiben, o -um Heilands Namen, Ihr müßt fort, kommt, wir müssen -gehen ...«</p> - -<p>Denn sie meinte, sie habe die Treppe knarren hören, -und sie rannte die morschen Stufen hinauf, wo in der -großen, niederen Stube ihre kleinen Töchter schliefen. -Aber die rührten sich nicht, lagen nebeneinander im -Mondlicht, mit zurückgebogenen schneeweißen Gurgeln; -und ihre Zähne glitzerten und der laue Atem ging aus -und ein.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -Draußen wußte sie keinen sicheren Winkel; die bösen -Hunde spürten alles auf. Da brachte sie die Kinder in -die Kammer, wo das ausgeweidete Reh hing, dort war -Holz aufgestapelt, ein gutes Versteck. Dort würde -sie keiner wittern vor Wildgeruch. Aber still sollten sie -sein wie die Mäuse. Ach, durch die Nacht meinte sie -schon die rauhe Stimme zu hören, und das Pferd, wie -es müde, mit gebeugtem Kopf, die Hufe aus den schmatzenden -Pfützen zog. So hüllte sie sich ganz in eine graue -Decke ein, die nur ihre dunklen Augen freiließ, daß er -das Beben ihres Mundes nicht gewahr werde, und zog -den schweren Riegel zurück, als er näher kam.</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Wie dann der wilde Mann, von Wein beschwert, -eingeschlafen war, winkte die Frau den kleinen Buben, -und sie krochen aus ihrem Versteck hervor mit ängstlichen -Augen. Da drückte sie sie ans Herz, die kleinen -runden Köpfe, und küßte sie ins Genick und sog noch einmal -den Duft ihrer sonnverbrannten Hälschen. Dann -aber, den Finger am Mund, ging sie vor ihnen her, wo -das Wasser zwischen den Erlen gluckste und der Mond -schmalfingerig durch die Zweige griff. Und weiter, wo -nur noch Gebüsch war und seichte, silberne Pfützen, wo -der tote weiße Sand begann und der Pfad mählich -aufstieg und dann am Rande des Steinbruchs vorbei, -wo der Wind durch die Hallen und Höhlen fuhr und -schwarze Gewässer tief unten heraufstarrten zum Mond -wie Seelen, die kein Lichtstrahl mehr erhellen kann ... -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -dort ging die Frau und trug den kleinsten im Arm, ein -anderer hielt sie am Kleid und die größten folgten ihr -nach; an Abgründen und Kreuzwegen kamen sie vorbei, -aber keines sprach ein Wort; sie gingen mit blassem -Angesicht, und die Frau irrte sich nicht und hielt auch -nirgends an; sie sah nur gerade in die Luft, denn ihr -Herz war ihr zum Wegweiser geworden. Dann, allgemach, -senkte sich der Weg, die Steinbrüche blieben -liegen, und schon schimmerte die Landstraße und ging -von Nebelgrau zu Nebelgrau, aber in der Ferne blinkten -Lichter ... Da kniete sie vor den Kleinen nieder -und küßte sie, so jammervoll, und wies sie den Weg -und flüsterte ihnen zu, guten Rat oder waren's nur -Töne, wie brütende, säugende Tiere sie ausstoßen, in -Angst und Liebe. Und wandte sich ab von ihnen in scharfem -Schmerz, die nun still und ernsthaft im Mondlicht -weiterstapften, kleine Buben, die so große Schatten warfen.</p> - -<p>Vor ihr der Weg stieg wieder an, den sie zurückgehen -mußte; erst durch Wiesen, wo hier und dort ein Steinblock -lag, weich eingebettet im feuchten Thymian, dann -aber karg, umlagert von Geröll, graues Gesträuch -klomm aus den Fugen. Dem Steinbruch zu wand sich -der Pfad zurück, schon wieder fühlte sie den kalten Wind -aus den Höhlen, der ihr das Kleid um die Knie straffte. -Wie schwer waren ihr die Füße, wie leer das Herz. -Daheim? Dort würden die bösen Hunde im Verschlag -winseln, dort stand der Brunnen, das Haus, grau im -ersten fahlen Licht. O Herzeleid, o Ersticken.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -Gradaus ging sie mit weiten Augen, die Hände über -dem erstorbenen Herzen, und wie der Kreuzweg kam, -redete der Wegweiser in ihrem Herzen nicht mehr. Hinauf -ging der Pfad, so steil, so steinig; war das der, den -sie gekommen? Und der andere führte hinunter ins Geklüft, -der ging sich leichter. Im Steinbruch wisperte es -und seufzte, und immer tiefer ging sie hinein, und der -graue Nebel rollte hinter ihr zusammen.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -Glückliche Zeiten</h2> - -<p class="ce">Ein zeitlose Geschichte</p> - -<p class="ce">(Für Agnes und Else und andere artige Kinder)</p> - - -<p class="mt2"><a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -Also – da war einmal eine Prinzessin, die hatte -sich im Walde verirrt und da begegnete ihr ein Drache, -der sie sehr erschreckte. Aber so greulich er auch aussah, -so hatte er doch ein mitleidiges Herz, und wie er sie -weinen sah, nahm er sie mit in seine Höhle. Als sie nun -einige Tage bei ihm gewesen war, gefiel sie ihm so gut, -daß er sie nicht weglassen wollte, denn er führte ein -einsames Leben, und etwas Jugend tat ihm wohl. So -wurde die Prinzessin Stütze des Drachen mit Familienanschluß, -aber was die Familie angeht, da war nur -der Drache, denn er war ein alter Junggeselle, hatte -auch keine Dienerschaft, darum war auch alles so verwahrlost, -ja es sah recht unordentlich aus in der Höhle; -aber das sollte ja nun die Prinzessin mit feinem Geschmack -anders gestalten, und sie tat auch, was sie konnte, -mit Girlanden und Waldblumenbuketts. Als nun die -Prinzessin einige Zeit bei dem Drachen gewesen war -und sich an mancherlei hatte gewöhnen müssen, begann -sie, denn obgleich sie eine Prinzessin war, fehlte ihr doch -nicht der Sinn dafür, die komischen Seiten ihrer Umgebung -zu erkennen. Es war dabei manches schlimm genug. -Wie zum Beispiel das Schnarchen des Drachen, wenn -er sich schamlos dem Mittagsschlaf hingab, denn er gehörte -zum Geschlecht der Suppenbläser und stieß abwechselnd -aus dem rechten und linken Nasenloch greuliche -Dämpfe aus. Hypochondrisch veranlagt wie er -war, litt er an beständiger Angst vor Erkältungen, die -ihn zu den seltsamsten Maßregeln greifen ließ. So hatte -<a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -er sich eines Tages ausgeklügelt, der Besitz zweier Nasenlöcher -bilde eine stete Gefahr für das katarrhalisch disponierte -Individuum, da sich das Gehirn zwischen -diesen beiden Korridoren in fortwährender Zugluft befände. -Deshalb hatte er, trotz ernstlicher Gegenvorstellungen -der Prinzessin, das eine Nasenloch mit -Moos verstopft, was eine Anschwellung der Gesichtshälfte, -verbunden mit heftiger Migräne, zur Folge -gehabt hatte. Nachts hörte die Prinzessin den Drachen -in seinen großen Filzparisern durch alle Gänge schlurren, -um nachzusehen, ob auch alles zu sei, und bei dem geringsten -Wetterumschlag trank er einen abscheulichen Tee -aus Baumrinde, zog Pulswärmer an und umwickelte -sich den Hals mit einem alten himbeerfarbenen Cachenez, -was zu seiner Hautfarbe äußerst fatal aussah und -den Schönheitssinn der Prinzessin, die früher beim Hofmaler -Weichschnabel aquarelliert hatte, empfindlich verletzte. -Angenehm war es auch nicht, dabei sitzen zu müssen, -wenn der Drache Makkaroni fraß. Diese hingen ihm -dann wie Schlangen zu beiden Seiten des Maules -herab, und mit den Pfoten stopfte er nach; die Prinzessin -mußte wegsehen, sonst verging ihr der ohnedies -zarte Appetit.</p> - -<p>Abends legte der Drachen Patience. Seine Klauen -waren nie ganz rein; er tunkte sie ab und zu in den -Sumpf und meinte damit ein übriges getan zu haben; -und der Prinzessin blieb auch hier nichts anderes, als -emsig an ihren Binsenkörbchen zu flechten, um nur -<a class="pagenum" id="page_163" title="163"> </a> -nicht hinsehen zu müssen. Diese zum Sammeln von -Erdbeeren bestimmten Behälter häuften sich in einer -Ecke der Höhle an. Es gab keine Erdbeeren in diesem -Walde, und so waren sie eigentlich zwecklos. Einmal -ertappte sich die Prinzessin bei dem Gedanken, man -könne sie ja auf einen Basar für Ferienkolonien geben, -denn die Handarbeiten fürstlicher Frauen fanden bei -solchen gemeinnützigen Veranstaltungen stets reißenden -Absatz. Hier freilich türmten sie sich als Angebot -ohne Nachfrage im Hintergrund der Drachenwohnung auf.</p> - -<p>Alles in allem aber war die Prinzessin auf bestem -Wege, sich den ungewohnten Lebensbedingungen anzupassen. -Alles was recht ist, dachte sie (diese Redewendung -hatte sie von einer bayerischen Kinderfrau -aufgeschnappt), aber dies absolute <i>sans gêne</i>, diese Dehnbarkeit -in der Zeiteinteilung (zum Beispiel das Mittagessen, -das, ebenso unberechenbar wie das Osterfest, -bald früh, bald spät stattfand), die schönen, ausgiebigen -Schläfchen unter den Tannen ... das alles ließ ihr das -frühere Leben, die Residenz im Stadtschloß, wie auch -die sogenannte ländliche Zwanglosigkeit der sommerlichen -Monrepos' und Sorgenfreis wie öde Korrektionshäuser -erscheinen, wenn sie auch ab und zu nach ihrer -Zofe Fanny mit dem Manikürekasten, nach ihrer silbernen -Badewanne und schönen schaumigen Frühstückschokolade -Sehnsucht verspürte.</p> - -<p>Manchmal ging der alte Drache aus, um andere -Drachen, die wie nie abgelöste Schildwachen vor ihren -<a class="pagenum" id="page_164" title="164"> </a> -Schatzkammern lagen, zu besuchen. Er selbst war ein -freier Drache, sozusagen ein Finanzminister im Ruhestand, -der keine Rechenschaft mehr abzulegen hat, nur -die Prinzessin war sein Schatz; und da er von Natur -mißtrauisch war, nahm er sie wenn irgend möglich zu -diesen Besuchen mit. Dann tranken die Drachen Meth, -priemten und spuckten und spielten Karten, wobei sie -sich gräßlich beschimpften und mit den Trümpfen auf -den Tisch schlugen, daß es dröhnte. Aber allmählich gewöhnte -sie sich an den Humor dieser Sonderlinge, ein -Gemisch von abgestandenen Börsenwitzen und alemannischer -Vierschrötigkeit, das aber zu den alten warzigen -Herren paßte, wie die Verwünschungen cholerischer -Propheten zu den Steinfratzen gotischer Kathedralen. – – –</p> - -<p>Eines Tages nun, es war zu Frühlingsanfang, -sah der Drache, nachdem er sein Mittagessen bewältigt -hatte, gerührten Auges zu, wie die Prinzessin, nachdem -sie einen Rest geschmorter Pilze und das übrige Blaubeerkompott -weggeräumt hatte, mit ihren kleinen rauhgewordenen -Händen den Eichelkaffee filtrierte. Ach, das -war doch alles keine Arbeit für eine Prinzessin, dachte -er beschämt und fühlte, wie sich seine kleinen grünen -Plieraugen mit Tränen füllten, die er verstohlen mit -den Klauen wegwischte, wenn sie auf seinen höckerigen -Lederwangen niederflossen, die an ein Reisenecessaire aus -Krokodilhaut erinnerten, nur daß sie nicht so schön poliert -waren wie diese Erzeugnisse einer raffinierten Kultur.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_165" title="165"> </a> -Draußen zwitscherten die Buchfinken in den knospenden -Büschen und suchten nach gegabelten Ästen, ihre -Nester darin zu befestigen. Durch das dürre Laub streckten -Tausende von Anemonen ihre weißen, feingeäderten -Kelche, die im Frühlingswind schwankten, und überall, -wo immer ein feuchtes Fleckchen zu finden war, -hatte die Sonne es aufgespürt und blitzte darin wie in -Glasscherben; durch die kahlen Baumwipfel sah man -den blauen Himmel mit vielen kleinen, runden Lämmerwölkchen -schimmern, es roch nach Erde und nach Moos, -und aus den Sümpfen kamen bedächtig die Kröten -gewandert und trugen, wie einst die Weiber von Weinsberg, -eine jede ihren kleinen Ehemann auf dem Rücken. -Da auf einmal fühlte die Prinzessin ein so tiefes Mitleid -mit dem armen Drachen, der so alt und schäbig -mitten in dem hellen Frühlingswetter dasaß, und den -man eigentlich in eine chemische Reinigungsanstalt hätte -schicken müssen. Er würde nie eine Drachin und liebe -kleine Drachen sein eigen nennen, dazu war er doch -viel zu alt und häßlich, und wenn sie einmal befreit -würde, bliebe er allein zurück und hätte niemand, der -sich um ihn kümmern würde; denn wenn sie ihn mitnahm, -kam er doch nur in den Zoologischen Garten, wo -ihn die Kinder mit Sonnenschirmen und Stöcken ärgern -würden und er eine betonierte Felsenhöhle bekäme – -die reine Attrappe, und alle Tage abgekochte Mohrrüben, -die er nicht leiden konnte. Armer, alter Drache! -Und sie hatte während der ganzen Zeit kein böses Wörtchen -<a class="pagenum" id="page_166" title="166"> </a> -von ihm zu hören bekommen und hatte doch selber -– besonders im ersten halben Jahr – nichts getan, -als die Nase rümpfen über das Essen und die mangelhafte -Einrichtung; und er gab es doch, so gut er's hatte! -Da neigte sie sich über ihn und kraute ihn ein wenig -hinter den Ohren, wozu er die Mundwinkel hochzog und -ein Gesicht machte wie Wagnerianer, wenn das Lied -von den Winterstürmen und dem Wonnemond losgeht, -legte ihre Samtwange auf sein runzeliges Haupt -und aus ihren schönen Augen rollte eine Träne. Und -dann küßte sie ihn mitten auf sein grünpatiniertes -Nasenbein.</p> - -<p>Aber im selben Augenblick geschah ein furchtbarer -Donnerstoß, die Erde schwankte, Bäume und Gestein -drängten sich zusammen oder sanken auseinander, ihre -Farben verwandelten sich, das Dach der Höhle hob und -wölbte sich, und Bäume wurden zu Säulen; es war, -als wirbelte ein Kaleidoskop um sie her, und wie sie -wieder zur Besinnung kam, saß ein schöner, wohlerzogener -Prinz in entzückender Uniform, mit Ordenskette -und blitzendem Stern ihr zur Seite, in leuchtendem -Saal, und alles war verwandelt, ihr Kuß hatte den -Zauber gelöst, nur die Erdbeerkörbchen standen noch -da, waren nun aber aus Goldgeflecht, und in jedem -lagen, wie Ostereier, vier bunte, leuchtende Steine.</p> - -<p>Schöne Damen kamen paarweis geschritten, mit demütigen -Schwanenhälsen und hoffärtigen Schleppen, -sie hielten ihre Kleider mit spitzen Fingern und versanken -<a class="pagenum" id="page_167" title="167"> </a> -wie sterbende Springbrunnen, wenn sie vor Prinz und -Prinzessin vorüberzogen. Da waren Herolde, angetan -mit historischen Wappenröcken, mit Locken und spitzen -Bärten, gerade wie Kartenkönige, nur daß sie Beine -hatten; schöne kleine Pagen mit Krone und Zepter -auf seidenen Kissen, süß lächelnde Kammerfrauen mit -reizenden Hündchen, auch eine kleine Mohrin war dabei. -Auf den Galerien aber hinter goldenen Gittern -bliesen und fiedelten die Musikanten, daß es eine Lust -war, und das silberne Haar des Kapellmeisters wehte -nach allen Seiten vor Begeisterung ... Nun zogen die -Köche vorbei, weißgekleidet, feist und glatt, mit Kochlöffeln -und blanken Messern im Gurt, und hinter ihnen -die Küchenjungen, wie ein Echo in kleinem Format, -dann der Troß der Stallmeister, der Jäger und Hornisten, -die Treiber und Hundejungen mit Peitschen und -Netzen, und schließlich auch das Aschenweib, das nur -dazu da war, die Asche aus den Kaminen fortzutragen, -grau und zerzaust wie eine mauserige Krähe. Aber ganz -zuletzt kam die Märchenerzählerin der fürstlichen Kinder, -die war so uralt, daß sie die Leute in den Märchen -persönlich gekannt hatte; klein und gebückt trippelte sie -vorüber in spitzem Hut und grünem Mäntelchen.</p> - -<p>Alle machten ihre Reverenz, die Prinzessin mußte in -einem fort lächeln und nicken, und nun kamen drei Hofprediger -mit feierlichem Glockengeläut und begrüßten -das fürstliche Paar im Namen des Höchsten mit überaus -herzlichen Gebärden ihrer kleinen, weißen, wohlgenährten -<a class="pagenum" id="page_168" title="168"> </a> -Hände, wie segnende Maulwürfe. Die Bäume -rauschten, die Brunnen sprangen und tanzten und die -Glockentöne waren rund und tief wie die Glocken selbst; -aber die Sonne blies die Backen auf und posaunte auf -ihre Weise mit langen, heißen Stößen. Und dann wurde -die Hochzeit gefeiert. –</p> - -<p>Aber als sie nun viele Jahre König und Königin gewesen -waren, dachte die Königin manchmal zurück an -ihre Höhle. Nun war sie bequem und dick geworden, und -die schönste Stunde des Tages war die von drei bis vier, -wenn sie ihr Korsett auszog und sich mit einem Roman -auf den Diwan legte. Die Kammerfrau holte ihr die -herrlichsten Schmöker aus der Leihbibliothek, denn der -König ließ sie durch den Hofbibliothekar ausschließlich -mit Memoirenliteratur versorgen; aus diesen Produkten -des <i>ancien régime</i> hoffte er, daß sie den Geist -feiner <i>répartie</i>, der ihr von der Natur versagt war, erlerne. -Sie gestand es sich kaum ein, aber eigentlich -hatte sie dies Leben gründlich satt mit seinen Denkmalsenthüllungen -und Audienzen, wo die Menschen immer -ganz kleine Mündchen machten, als könnten sie nur -Tütü sagen. Die Tage waren so künstlich zugeschnitten, -jede Stunde fügte sich in die andere ein wie bei einem -Geduldspiel, da war keine Ritze, wo die kleinste Maus -hätte durchschlüpfen können, und nun überkam sie oft -ein Verlangen nach anderem, wie ein wohlerzogener -Knabe aus guter Familie, der in eine Hafenstadt kommt, -voll neidischer Wonne nach den schmutzigen Schiffsjungen -<a class="pagenum" id="page_169" title="169"> </a> -auf den Heringsbooten schielt. Der alte Drache -– ja es war merkwürdig, wie bald er sich in alles gefügt -hatte. Wenn sie an seine Filzpariser dachte! Nun, -er hatte sich ja auch viel gründlicher als Drache ausgelebt. -Nun war er ein kleiner, trockener, ältlicher Herr -geworden, mit einer irritierenden Art sich zu räuspern, -und all die Vorschriften der Etikette waren ihm unentbehrlich -wie eine hygienische Unterbekleidung. Neuerdings -konnte er sich ganz merkwürdig über die kleinsten -Mißgriffe aufregen, so neulich, als die Zuckerzange nicht -gleich bei der Hand war. Da hatten seine Augen Drachengift -geschossen, wie sie es damals, in der Höhle, nie getan. -Der Lakai schlotterte und der Oberhofmarschall -fühlte die Fundamente seines Daseins wanken. Aber -die Königin konnte nicht an sich halten; sie lachte in -ihrer unpassend explosiven Art und bekam einen ganz -roten Kopf: »Lieber Mann,« sagte sie und wischte sich die -Tränen aus den Augen – denn sie mußte beim Lachen -immer weinen – »als wir noch in der Drachenhöhle -lebten, hast du deinen Zucker abgebissen und den Kaffee -trankst du aus der Untertasse wie eine Waschfrau.« Alles -war wie versteinert, denn die unselige Drachenepisode -wurde ja totgeschwiegen und jede Anspielung darauf -als grobe Taktlosigkeit empfunden; eine Zeit eisiger Ungnade -war die Folge dieser übelangebrachten Reminiszenzen. -Seitdem versuchte die Königin ihre seelischen -Aufwallungen zu unterdrücken, aber wenn sie im halbverdunkelten -Boudoir der Ruhe pflegte, kam es über -<a class="pagenum" id="page_170" title="170"> </a> -sie, und vor ihren geschlossenen Augen stand die Höhle -wieder auf, braungrün und verräuchert, ach, und so -traulich!</p> - -<p>Heut gerade war ein schläferiger Sonntagsnachmittag, -dessen freundliche Langeweile durch die Ritzen -der Jalousien drang. Die Wache auf dem Rondellplatz -vor dem Schloß war eben aufgezogen, die Kommandoworte, -das Trommeln verhallte, und nun begannen die -beiden Schildwachen ihr Auf und Ab, bis zur nächsten -Ablösung. Nettgekleidete Bürgerfamilien wanderten -auf den Kiespfaden und bewunderten die schönen Teppichbeete, -die den Neid zugereister Hofgärtner erregten. -Weiter ab, unter den Kastanienbäumen wandelten Landgerichtsräte -und Gymnasiallehrer, und bleiche, schwärmerische -Jünglinge saßen auf den Bänken und lasen in -Reklambändchen. Die kleinen Knaben und Mädchen -aber freuten sich ihrer roten Luftballons, und alles -strömte dem Schloßgarten zu, der Sonntags dem Publikum -offenstand. Die fürstliche Frau hatte es sich leicht -gemacht. Das Korsett lag, gedemütigt wie ein verabschiedeter -Zeremonienmeister, auf dem Teppich, ihre -Füße dehnten sich in weiten, gelben Babuschen, und -sie begann eben den zweiten Band vom Geheimnis der -alten Mamsell. Aber sogar dieses ganz neue, ungemein -fesselnde Werk konnte die Gedanken nicht bannen. Hatte -sie nicht eben, in der Ferne, einen leisen Kuckucksruf gehört? -Es war das freilich die Schwarzwälderuhr des -Türhüters gewesen, die man in der sonntäglichen Stille -<a class="pagenum" id="page_171" title="171"> </a> -schlagen hörte, aber auch die stammte aus dem Walde, -darum war wohl ihr Ton so echt; mit einemmal wuchs -ihre Sehnsucht riesengroß; sie mußte den Wald wiedersehen, -ob sie gleich ahnte, daß es dort nicht mehr sein -würde wie einst. Ohne Zaudern zog sie sich an und band -einen grünen Schleier über den Hut, von der glänzenden -Sorte, die sich Donna Maria nannte und damals -Mode war. Das Glück war ihr hold, denn die Lakaien, -die im Treppenhaus, bei schläferigem Fliegengesumm -Dienst hatten, glaubten, sie ginge in den Privatgarten; -als sie aber an die Tür kam, die zu ihm führte, saß da -der alte Türhüter und war über dem Sonntagsblättchen -eingenickt: so schlüpfte sie hinaus.</p> - -<p>Niemand gab auf sie acht, als sie den Schloßpark -durchquerte, denn sie ging nur selten zu Fuß; träge und -fett, wie sie war, fuhr sie stets in der Karosse. Auch sah -sie in ihrem Alter der Frau Hofkonditor Butterweck -ähnlich, und in ihrem einfachen Anzug galt sie den -Spaziergängern wohl für diese, wenn sie sich überhaupt -nach ihr umsahen. So wanderte sie unerkannt, wie -irgendeine behäbige Bürgersfrau, durch den Schloßgarten, -zum äußeren Tore hinaus und eine lange Rüsterallee -hinunter, an deren einer Seite Seildreher ihre -Werkstatt hatten, wo man sie wochentags sehen konnte, -die Schürze voller Werg, aus dem sie, rückwärtsschreitend, -wie Kreuzspinnen, ihre langen Seile drehten. -Nach längerem Gehen, das ihr manchen Seufzer entriß, -denn es war ihren Füßen eine ungewohnte Fron, -<a class="pagenum" id="page_172" title="172"> </a> -lenkte ein Weg seitab in den Wald, oder vielmehr dorthin, -wo er früher gestanden hatte. Denn es war freilich -alles anders geworden. Da waren Bänke und Wegweiser -und kleine Buden, wo man Himbeerwasser und -Sandtörtchen kaufen konnte, die reliquienhaft unter -Glasstürzen schimmelten; ach und eine ganze Straße -von blitzblanken Villas mit Erkern und Türmen und -gotischen Fenstern war entstanden, wo pensionierte -Generale ihren Ruhestand verlebten, sich der Rosenkultur -widmeten und die Blattläuse mit Ausdauer und -Tabakslösung bekämpften. Ach, wo war das Dickicht von -einst? Den Krötensumpf hatte man ausgetrocknet, Kinder -in schottischkarierten Kleidern und schrecklichen -Schürzen aus Wachstuch spielten dort im Sand, ja der -Platz hieß sogar nach ihr, Karoline-Amalien-Platz, denn -in ihrer Familie hatten die Frauen alle so schreckliche -Namen, und die Männer hießen Adolf oder Emil oder -Ferdinand, was auch nicht hübsch war. Auch ihr Drache -hieß Ferdinand. Ach, wo waren die Drachen geblieben! -Tot oder ausgewandert? Oder hatte sie alles nur geträumt? -Dort, die alte Eiche, oh, sie erkannte sie wieder; -wie oft hatte sie dort gesessen und den sich paarenden -Eichkätzchen zugeschaut, wie sie sich haschten, immer um -den Baum herum. Einmal noch wollte sie seine Rinde -streicheln. Aber was hing dort an seinem Stamm? War's -ein Muttergotteshäuschen? Dann würde dort auch eine -Bank sein, oh, wie brannten ihre Füße, wie gut würde -man sitzen unter dem breiten Geäst. Da ging sie näher, -<a class="pagenum" id="page_173" title="173"> </a> -aber es war kein Muttergotteshäuschen, sondern ein -lackierter Kasten war aufgehängt am Eichenstamm, und -es stand daraufgeschrieben: Gegen Einwurf eines Fünfzigpfennigstücks -eine Tafel echt deutsche Familienschokolade. -Über dem Kasten aber war noch ein Blechschild mit deutender -Hand: Restaurant Drachenhöhle, Kegelbahn, -Kaffee und Bier. Zehn Minuten. Da fühlte sie Erbarmen -mit dem Baum und mit sich und mit all den alten vertriebenen -Drachen; und mußte weinen. Aber wenn sie -weinte, ging das nie ohne vielfaches Nasenputzen vor -sich, daß sie ganz rot und verschwollen aussah, und das -war ja auch nicht königlich.</p> - -<p>Als sie sich ausgeweint hatte, ging sie langsam, denn -die Füße taten ihr weh, in ihr kühles Königsschloß zurück, -wo man sie bereits vermißt hatte und ihr Hofstaat im -Begriff stand, den Schloßpark nach ihr abzusuchen.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_175" title="175"> </a> -Zoologie</h2> - -<p class="ce">In Erinnerung eines kleinen Tiergartens,<br /> -der verschwunden ist</p> - - -<h3><a class="pagenum" id="page_177" title="177"> </a> -<i>I</i><br /> -  -<br />Die Kastellanin</h3> - -<p>Damals war ich oft bei der Känguruhmutter. Sie hatte -liebe, staubige, kurzsichtige Augen, als hätte sie bei -Lampenlicht zuviel schwarze Strümpfe gestopft, und -einen verschwiegenen Zug an den Mundwinkeln wie -alte Kinderfrauen, die in der Familie geblieben sind und -vieles haben mitansehen müssen. Sie hätte einen kleinen -Kapotthut tragen sollen, mit Glaskirschen oder Samtpensees -und eine Mantille; und Klatschkaffees geben -und immer wieder nötigen, man möge doch zugreifen: -»Denn es ist alles mit reiner Butter, meine Damen, -Kokos und Margarine und all diese schrecklichen Erfindungen -dürften Sie umsonst in meiner Speisekammer -suchen; einfach aber prima das ist mein Wahlspruch.«</p> - -<p>Die Känguruhmutter und ich, wir verstanden uns. Wenn -sie mich sah, kam sie gesprungen. Aber gleichsam entschuldigend, -sie könne nun einmal nicht anders. Ich -brachte ihr das Angebackene vom Schokoladenpudding. -Süßigkeiten und ihr Kuhlchen im Heu, das war ihr Schönstes. -Ich konnte das begreifen. Es kommt einmal die -Zeit, wo man Äußerlichkeiten verachtet. Und dann offenbart -das Leben andere, stillere Reize.</p> - -<p>Als ich Frau Känguruh kennen lernte, hatte sie ein -ganzes Schurzfell voll Kinder, das letzte Andenken von -dem Herrn Känguruh, der selber im australischen Busch -geblieben war. Wie ein Briefträger zur Neujahrszeit lief -<a class="pagenum" id="page_178" title="178"> </a> -sie daher, aber statt Päckchen und Kreuzbandsendungen -waren es kleine Känguruhs, die aus ihrer Tasche kullerten. -»Nun ist mir leichter,« sagte sie, als die Kleinen größer -geworden, zu groß für den Schlafsack, »aber nun friert -mich beständig. Ja, ja, die Kinder gehören der Mutter, -doch nur so lange sie klein sind.« Denn ihre Schwäche -waren wohl gewisse, etwas rührselige Gemeinplätze. -Damals schon hätte ich ihr gern ein Schaltuch -geschenkt.</p> - -<p>Später dann wanderten ihre Kinder aus, in andere -Gärten, und sie blieb allein. Mit den übrigen Nachbarn -konnte sie sich nicht anfreunden. Es fehlte die Resonanz. -Sie bezog ein leidlich großes Quartier, mit einer Trauerweide -in der Mitte und ihrem Borkenhäuschen in einer -Ecke, das mich immer an eine alte illustrierte Ausgabe -von <i>Paul et Virginie</i> erinnerte, die wir auf dem Lande -besaßen. Aber mit zwei Sprüngen war sie doch gleich am -anderen Ende. Und das nagte an ihr. Bis sie dann älter -wurde und ruhiger.</p> - -<p>»Sie glauben nicht, was ich früher für ein Temperament -hatte,« sagte sie. »Aber nun ist man ja zufrieden, -wenn man sein Essen hat und sein Plätzchen im Grünen.«</p> - -<p>Die Känguruhmutter wäre eine entzückende Kastellanin -gewesen. Im grauen, gehäkelten Seelenwärmer, -den Schlüsselbund am Gürtel, wie wäre sie emsig die -weißen, hallenden Treppen auf und ab gerannt; wie -pflichttreu hätte sie Staub gewischt. Wie hätte sie andachtsvoll -die seufzenden Mahagonisekretärs geöffnet -<a class="pagenum" id="page_179" title="179"> </a> -und aus der griechischen Tempelarchitektur im Hintergrund -jene schicksalsschwere Wedgwoodtasse hervorgeholt -und den Auserwählten gezeigt, wie auch das -Original des berühmten, herzzerreißenden Sonetts, das -der Dichterfürst damals, am Tag der Abreise, auf einen -alten Brief gekritzelt hatte!</p> - -<p>Wie würde sie mit der Überzeugungskraft steter -Wiederholung, all die längst berichtigten Unwahrheiten -über das Damenporträt im fürstlichen Alkoven den lauschenden -Amerikanern versetzt haben, die gläubig und -starr, in riesenhaften grauen Filzschuhen einen Halbkreis -um sie bildeten, hypnotisierten Strandläufern vergleichbar! -Und mit welcher Ehrfurcht würde sie den -weißen Überzug eines Tapisseriesessels gelüftet und mit -leiser Stimme versichert haben, die übrigen elf seien -genau ebenso und alle, alle seien sie von der Hand der -hochseligen Maria Pawlowna gestickt ...</p> - - -<h3><i>II</i><br /> -  -<br />Das Marmutzchen</h3> - -<p>Ganz im Dunkeln, hoch oben in einem Winkel hockt -das Marmutzchen. Aber eigentlich heißt es Lemur und -lebt in Madagaskar, wo ich auch leben möchte, denn ich -glaube, ich könnte alles Böse vergessen, wenn ich eine -Schar solcher Marmutzchen mein eigen nennte. Oder -auch nur eins. Sie haben buschige Schwänze, wie Eichkaterchen, -nur viel länger; spitze Schnäuzchen und spitze -<a class="pagenum" id="page_180" title="180"> </a> -Öhrchen mit kleinen Haarbüscheln, große, große Glühaugen -und kleine streichelnde Hände wie Affen. Aber -sie sind nur Halbaffen und es wird gar kein Aufhebens -mit ihnen gemacht.</p> - -<p>Sie sollten ganz große Käfige haben – so groß wie -der Käfig vom Lämmergeier –, um von einem Baum -zum anderen zu springen, und überall kleine, verschwiegene -Höhlen für Familienglück, und Bananen und Kirschen -in Fülle. Sie machen den Menschen nichts nach -wie die wirklichen Affen, die so traurig und beschämend -sind, denn man taugt doch, weiß Gott, nicht zum Vorbild; -nein, sie haben gar nichts vom Menschen, bis auf -die kleinen schwarzen Hände, die innen kühl und zart -und faltig sind; so wie ich mir Rumpelstiltzchens Hände -denke.</p> - -<p>Armer kleiner Lemur, ganz allein in seinem finsteren -Winkel. Und dann pfeife ich – die ersten zwei Takte -der Serenade aus Don Juan, und er klettert herunter -und läßt sich krauen, so gut es durch das Gitter geht. Ach, -wenn man doch Gottvater wäre, oder vielleicht besser -noch Direktor des Zoologischen Gartens, da könnte man -dem Marmutzchen noch glückliche Tage schaffen, ehe es -stirbt. Denn schon ist es alt, sein Pelz ist schäbig geworden -und die großen Glühaugen werden trübe, die kleinen -Händchen können sich nicht mehr festhalten. O Wälder -Madagaskars, o flüsterndes Schilfrohr, wo sich die Bäume -im Abendrot der Sümpfe spiegeln ... Möchte die -Seele des armen Marmutzchen zurückfinden in euer -<a class="pagenum" id="page_181" title="181"> </a> -Dämmergrün, auf den Lianen schaukeln, die sich von Ast -zu Ast schlingen, wenn die laue Luft durch die Wipfel -geht und in der Lichtung der Mond über die Gräser trippelt.</p> - - -<h3><i>III</i><br /> -  -<br />Vom Seelöwen</h3> - -<p>Ich sagte zum Seelöwen: »Ihre schlichte Haartracht -eignet sich wunderbar für das Element, in dem Sie -leben. Aber es gehört Ihre Kopfform dazu, um so, aller -Einrahmung bar, zu bestehen.«</p> - -<p>Der Seelöwe schniefte. Ich wollte ihm mein Taschentuch -geben, aber es war doch besser, nichts zu bemerken. -Er hatte sich in seinem nassen Dekolleté ganz über die -steinerne Brüstung seines Behälters gelehnt; mit der -unbekümmerten Schamlosigkeit einer alten, fetten Palastdame, -die einsam in der Hofloge einer kleinen Residenzstadt -thront, wo die besseren Damen sonst nur in -Seidenblusen, hoch herauf, erscheinen.</p> - -<p>»Ihre abfallenden Schultern,« fuhr ich fort, »würden -den seligen Winterhalter zu unsterblichen Werken begeistert -haben. In meiner Kindheit war sein Ruhm auf -dem Höhepunkt und die stolzesten Fürstinnen bestürmten -sein Atelier. Schultern wie die Ihrigen waren damals -Vorschrift; an ihnen rieselten die Mantillen nieder wie -elegische Wasserfälle. Ja gewiß, er würde Sie gemalt -haben, am Arm ein Körbchen mit ganz unwahrscheinlichen -Weintrauben, bläulicher Parknebel und irgend -<a class="pagenum" id="page_182" title="182"> </a> -etwas Gerafftes im Hintergrund. Vielleicht auch eine -Balustrade. Solche lächelnden Damen hingen dann im -Dämmerlicht in Salons mit Boulemöbeln, die sich immer -kalt anfühlten, und karmesinfarbenen Sesseln und Sofas, -wo die kleinen Mädchen Clementi übten oder etwas -Leichteres von Chopin, zur Weihnachtsüberraschung für -den Vater. Die Sonne glitzerte ab und zu in den Kristallkronen -und alle Samstag kam der kleine asthmatische -Uhrmacher und zog stöhnend die schwarze Marmorpendüle -auf. Die Dame an der Wand sah lächelnd vor sich -hin. Eine Tante, die im Ausland gestorben war ...«</p> - -<p>»Sagen Sie mir,« sprach ich zum Seelöwen, »wenn -Sie so vor sich hinsehen, kurzsichtig vor lauter Weitsichtigkeit, -was ist's, das sich in Ihnen spiegelt? Die matte, -tausendmal durchatmete Luft dieses Gartens weckt die -Sehnsucht, aber tötet sie nicht die Erinnerung? Wenn -Sie doch sprechen könnten! Stundenlang wollte ich Sie -hinter Ihren kleinen Ohrlöchern krauen, wenn Sie mir -von damals erzählen wollten, von den grünen, unmenschlichen -Mondnächten über den Klippen, oder von der Tiefe, -wohin die Stürme nicht mehr dringen, wo man zwischen -Seepflanzen schwimmt, die beinah Tiere sind, die sich -zusammenziehen und wieder auftun wie Fäustchen saugender -Kinder. O wie begreife ich nun Ihr Schniefen, -aus dem ich Ihnen beinah einen Vorwurf gemacht hätte. -Ja, Sie fahren auf den Grund, Sie suchen, aber da ist -nichts, alles zementiert, nur verfaulte Äpfel und aufgeweichte -Brotrinden, womit Unwissende Ihr Becken verunreinigten; -<a class="pagenum" id="page_183" title="183"> </a> -und dann fahren Sie hoch und prusten, und -suchen in der Luft nach Salz, nach treibendem Seegrasduft -... Ja, und dann schwillt Ihr Hals an, mehr und -mehr und pendelt wie irrsinnig von links nach rechts, -Ihr kleiner Schlangenkopf biegt hintenüber, Ihr glitzernder -Rachen öffnet sich und schleudert den Schrei hinaus, -zweimal, dreimal, den großen, harten, heiseren Schrei, -der Ihre glatten, gehorsamen Weibchen vor sich hertrieb, -im Morgengrau, der Sandbank zu ... O Salz, -Salzschaum in den Bartstacheln, gutes, beißendes Salz, -das durch die kleinen, runden Naslöcher hochgepumpt, -das Hirn spült und als eisklare Träne zurückrinnt in den -tropfenden Bart. Ach, ich fühle es wohl, Sie sind hier -gänzlich deplaciert. Aber wer wäre es nicht in einem -Gefängnis ...!</p> - -<p>Wie Sie diese Philister verachten müssen mit ihren -Kuchentüten und Sonnenschirmen, mit ihren Brautpaaren -und Kindern, die nicht gehorchen und doch vor -allem Furcht haben. Wie erbärmlich ist dies Geschlecht, -das seine Glieder versteckt und unter Wasser erstickt!</p> - -<p>Sie in ihrem Niedergang sind jedenfalls ehrlich, leben -nur noch für den Augenblick, wenn der Mann in der -blauen Jacke Ihren Eimer voll kleiner, weißbäuchiger -Fische in das Bassin schüttet. Und im übrigen grunzen -Sie in der Sprache der Meergötter, die niemand versteht, -und machen Wassergymnastik, und es wäre zu wünschen, -Wagners Rheintöchter hätten Sie zum Lehrmeister -gehabt.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_184" title="184"> </a> -Meine Hochachtung. Aber ich will gehen. Es hat mich -alles etwas deprimiert. Wenn möglich, bringe ich Ihnen -das nächstemal einen Seefisch. Seien Sie mir gegrüßt!«</p> - - -<h3><i>IV</i><br /> -  -<br />Myra</h3> - -<p>Es ging gegen Abend und ich wollte gehen, aber da -lernte ich eine Amme kennen, ach, eine verzweifelte -Amme, denn sie durfte nicht mehr zu ihrem Pflegekind. -Manchmal hört man Mütter sagen, daß sie ihre Kinder -vor Liebe fressen möchten, aber hier war es der Säugling, -der die Mutter fressen würde. Ziemlich gelangweilt -saß er hinter den Gitterstäben. Eine ganze Weile hatte -er mit der dummen Holzkugel gespielt, denn das wurde -von ihm erwartet. Was aber nun? Ab und zu blinzelte -er hinunter zu ihr, die aus verschleierten Goldtopasen -unverwandt zu ihm aufsah und nur ab und zu einen -kurzen, sehnsüchtigen Blaff ausstieß. Er aber kniff die -Augen zu; sein Schmerz war schon von der Watte Gewohnheit -umwickelt; er träumte von seiner neuesten -Entdeckung: Beefsteak.</p> - -<p>Der Wärter kam und scheuchte sie hinaus; aber die -Türen blieben der Wärme wegen geöffnet, so kehrte sie -immer wieder auf ihren Platz vor dem Käfig zurück. -»Ja, das Vieh kann einem dauern,« sagte der Mann. -»Nun sind es schon vier Wochen, daß Cäsar <i>II.</i> entwöhnt -ist, aber sie gibt noch immer keine Ruhe. Und gelitten -<a class="pagenum" id="page_185" title="185"> </a> -hat sie auch, sie schwoll so furchtbar an und hatte richtig -Milchfieber. Wir wollten ihr kleine Hunde anlegen, damit -ihr leichter würde, die Jungen von der Polarhündin, -die eingegangen ist. Mein Kollege hat alles versucht, -aber nein, sie ließ sie nicht ankommen; sie ist nun mal an -Löwen gewöhnt.«</p> - -<p>Ich sah ihn an. »Ja, dies ist das drittemal, daß sie bei -Löwen Amme ist. So eine gibt's bald nicht wieder. Aber -jedesmal ist's beinah zum Sterben mit dem Absetzen, -bis sie sich drein ergibt.«</p> - -<hr class="hr60" /> - -<p>Wieviel vernünftiger, dachte ich, handeln die Menschen. -Ein deutlicher Fingerzeig, daß sie zum Herrschen -erkoren sind. Da war Teresina, die Toskanerin. Sie kam, -vom deutschen Arzt unter vielen Aspirantinnen auserwählt, -zu meiner jungen Freundin, die sanft und erschöpft -in ihren schönen Kissen lag. Teresina schien eine -Bettlerin – sie kam in Lumpen. »Das,« sagte der blonde -Germane, »darf Sie nicht irremachen, meine Gnädigste. -Zu Haus hat sie Schränke voll Kleider und Wäsche. Dies -ist hier nun einmal Geschäftsusance. Aber sehen Sie -her ... ist sie nicht prachtvoll? <i>Apri</i>,« sagte er kurz und -geschäftsmäßig.</p> - -<p>Teresina öffnete ihr grobes und zerrissenes Hemd. -Maria Beata wunderte sich. Sie hatte mehr erwartet. -Gerade hier in der Heimat Michelangelos. »Klein,« -sagte sie schüchtern. »Klein?« wiederholte der Blondbärtige -verächtlich. »Juno könnte stolz sein auf eine -<a class="pagenum" id="page_186" title="186"> </a> -solche Brust. Man bringe den Säugling,« setzte er sachlich -hinzu.</p> - -<p>Der Säugling wurde gebracht, von Maria Beata mit -großen ängstlichen Augen verfolgt, ähnlich einer Katze, -die zusehen muß, wie man ihre Jungen aus dem Neste -hebt, um sie teils zum Leben, teils zum Stadtbach zu verurteilen. -»Lege ihn an,« sprach der Teutone zur Toskanerin.</p> - -<p>»<i>Tesoro mio</i>,« schrie Teresina auf, kaum daß sie ihn im -Arm hatte. Und nun kam der Paroxysmus: »<i>Subito si -è attacato, povero bimbo, ma che tu hai patito la fame? -Ah birbone, ah figlio d'un cane, ma che tu sei 'na -sanguesuga? Eh Coccodrillo, eh rospo di macchia, ma -la guardi come poppa!</i>« Denn in jenem Lande versteckt -sich mütterlicher Enthusiasmus schamhaft unter Injurien. -Aber schon leckten ihre Augen gleich braunen -Schlängelchen der Liebe und Eifersucht an den rosigen -Gliedern ihres kleinen Milchsohns auf und nieder. Und -Maria Beata erkannte, daß hier eine Mitregentin sei.</p> - -<p>Als nach neun Monaten Teresina, mit einem rhapsodischen -Zeugnis und zahllosen Geschenken versehen, -das Haus der <i>Tedeschi</i> verließ, war dem ein kurzer aber -rasender Schmerzensausbruch vorangegangen. Aber der -Kopfputz aus dunkelroten, getollten Seidenbändern, der -sie in eine Dahlie verwandelt hatte, die zitternden Silbernadeln -und Korallenketten, die gestickten Busentücher -und großen Musselinschürzen, die Hemden und Röcke, -die Schuhe und Zwickelstrümpfe: alles ging mit, alles -kam in den großen Cassettone zu Füßen von Teresinas -<a class="pagenum" id="page_187" title="187"> </a> -mächtigem Ehebett. Und das war tröstlich. Ja, nun ging -es heim zum <i>Marito</i>, der vor Porta Romana eine Droschke -innehatte mit einem einäugigen Schimmelchen, <i>la -Stellina</i> benannt, das mit grüner, heimlich ausgeraufter -Gerste gefüttert wurde. Heim in den kleinen Vorort, wo -die Frauen so gemütlich in Nachtjacken vor ihren Haustüren -sitzen, mit Strohflechterei beschäftigt; wo es sich so -nett und gründlich mit den Nachbarinnen tratscht, während -über einem an den Hausmauern in praller Sonne, in -vielen winzigen Käfigen, die kleinen, geblendeten Vögel -unaufhörlich trillern, weil sie ja nicht wissen können, ob -Tag oder Nacht ist.</p> - -<p>»Ich habe sie gleich wieder vorgemerkt,« sprach der -blonde deutsche Arzt. »Beim Principe O. hat soeben -Donna Faustina, die älteste Tochter, sich vermählt. Ich -denke, das kann gerade stimmen. Es ist immer gut für -solche Fälle gerüstet zu sein. Und Teresina ist meine beste -Nummer.«</p> - -<p>Die schöne Ausstattung von Maria Beata würde natürlich -verkauft oder im Cassettone verschwinden und Teresina -würde auch dort ärmlich und abgerissen zum Antritt -erscheinen, aber im Besitz ihrer göttlichen Brust und ihrer -Zeugnisse auch dort ihre Mitbewerberinnen aus dem -Felde schlagen. Um dann, den kleinen Principe im Arm, -als königliche Dahlie in den historischen Gärten der fürstlichen -Villa auf und nieder zu gehen; gefürchtet und -geehrt ...</p> - -<hr /> - -<p><a class="pagenum" id="page_188" title="188"> </a> -Ich kam noch einmal durchs Raubtierhaus. Cäsar <i>II.</i> -trank gerade Milch aus einer Blechschüssel; aber er schien -nicht recht bei der Sache: noch war ihm der Wärter das -heutige Beefsteak schuldig. Myra aber, die Dogge, wurde -soeben beim Halsband hinausgeschleift. Sie stemmte sich -mit allen vier Pfoten, sie wandte den Kopf rückwärts, -anklagend, verzweifelt, und ihre armen runzligen Zitzen -baumelten leer und sinnlos wie ein Glockenspiel ohne -Klöppel.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_189" title="189"> </a> -Laubstreu</h2> - - -<p><a class="pagenum" id="page_191" title="191"> </a> -Novembertage! Wie liebe ich euch, dort in meiner -Kinderheimat ... Ergreifend wie das allererste Frühjahr -und ihm ähnlich. Wie sie daliegt die Erde und uns -anblickt, ganz arm, sie, die alles gegeben hat, so wird sie -daliegen, wenn der Schnee geschmolzen ist; still atmend -unter braunem Laubgemoder, die Büsche noch kahl, und -hier und dort wird eine verschrumpfte rote Beere leuchten, -die die Vögel unter dem Schnee nicht erspäht hatten. -Nur der Geruch wird anders sein, und wo der Fuß in -faulenden Blättern wühlt, wird er am Grabenrand kleine -Primelvereine aufstören, noch in sich geduckt und ängstlich, -und alles, was heute glitzert, wird auch dann glitzern, -aber anders, froh und bänglich, und jeder Sonnenstrahl, -der sich in Wasserlachen spiegelt, wird anders in den -Spiegel sehen. Aber die Hügel werden so wie heut am -blassen Himmel liegen, dasselbe zartgegliederte Gezweig -der Wipfel, wie Seegräser im klaren Meerwasser, -bräunlich-rosig und ganz still: es könnten Fischchen darin -ein und aus schwimmen!</p> - -<p>Dort bist du schön, November, schön wie verwelkende -Frauen, denen Liebe und Leid die Zeichen grub, alternde -Frauen, die noch lächeln können wie Mädchen, die mütterlich -sind wie schlanke schauernde Hirschkühe; die ein wohlriechendes -Blatt mit den Fingern reiben, behutsam und -begehrlich nach den feinen und flüchtigen Dingen dieser -irdischen Bescherung.</p> - -<p>Mütterchen Heimat! wie die Russen sagen, die so weich -das Herz streichelnde Worte haben, als hätten Kinder sie -<a class="pagenum" id="page_192" title="192"> </a> -erfunden; Mütterchen Heimat! Wie schön war der Tag, -als ich zum letztenmal hinaufstieg auf den Berg, der -mir als Kind ebenso unerreichbar schien wie der Chimborasso: -erst durch feuchte, reifgraue Wiesen, an Kohlgärten -und Kartoffelfeldern vorbei, wo Feuer knisterten -und der weiße Rauch rein und bitter in die Luft schwelte. -Vor mir die Höhen, braunviolett, schon entlaubt, nur -hie und da, am Waldrand, eine Buche, aufflammend wie -der Engel mit feurigem Schwert.</p> - -<p>Die Birnbäume in den Wiesen – o ihr guten Holzbirnchen, -die ihr den Mund zusammenzieht und doch süß -seid unter eurer Herbigkeit – ließen ihre roten Blätter -fallen, die schmalen Wasserrinnen im Grase trugen sie -fort mit leisem Gluckgluck; Karren, mit Rüben beladen, -kamen des Wegs, die kleinen kurzbeinigen Kühe dampften -in der Herbstluft, rötlich und weiß, mit nassen rosa Schnuten -und faltigen Wampen, blondbewimpert wie Rubenssche -Göttinnen. Dann tat sich der Wald auf und sein -Wohlgeruch war wie ein Rausch. An der Erde, an den -Abhängen, auf allen Pfaden lag das Laub, fußhoch; -Leute harkten es herunter von den Hängen, soweit man -durch die Stämme sah; zu hohen Haufen türmten sie's, -der Duft von Pilzen und Erde und Gärung wurde -immer stärker. Das wären Raschelnester gewesen für -kleine Waldgötter mit Zottelbeinchen, sich darin einzuwühlen, -bis nur die spitzen, bepelzten Ohren heraussahen; -aber nun sollten die kleinen blonden Kühe darauf -liegen, im Winter, in den warmen, dunstigen Ställen, -<a class="pagenum" id="page_193" title="193"> </a> -wenn der Laternenschein über den Schnee huscht und -der Rauch vom Dache aufsteigt, zum Zeichen, daß dort -Menschen wohnen.</p> - -<p>Der kleine Pfad war ganz schlüpfrig von den Blättern, -immer höher zickzackte er; hier war nur junger Buchenbestand, -glatte Stämme in grauer Atlashaut, ihnen zu -Füßen der rostrote Teppich – und ein Sonnenstrahl -ging vor mir her. Ganz droben begann wieder der Tannen -Reich, ihre Wurzeln deckte Moos und Sauerklee, und -Brombeeren wucherten da, die im Schatten grün geblieben; -noch ein paar Schritte, und vor mir stand -der plumpe, runde Turm. 1837 war über seiner Tür eingemeißelt, -und ich sah sie hier wandeln, Mamas mit -Krinolinen und komischen Sonnenschirmchen, wie man -sie auf Porzellanvasen vor Königsschlössern wandeln -sieht, und Papas in schachbrettartigen Beinkleidern, mit -erstickenden Halsbinden und grauen Zylinderhüten; -und die artigen Kinder erst! Wie die Bilder in »<i>les petites -filles modèles</i>«, mit Pamelahüten und gestickten -Höschen, mit Reifen und roten Luftballons! Der Turmwart -kam und erzählte, daß sein Großvater der erste -Turmwart gewesen. Er wohnte noch in demselben strohgedeckten -kleinfenstrigen Häuschen, und seine dicke Frau -kam und rief zu Kaffee und Zwetschgenkuchen. In der -Küche war aufgetischt, und dort lief eine alte, zutrauliche -Hasenmutter herum, deren dunkles Fell wie von Rauhreif -übersilbert war, das schnuppernde Näschen und die -glatten Hängeohren aber kohlschwarzer Spiegelsamt. -<a class="pagenum" id="page_194" title="194"> </a> -Sie war's gewöhnt, auf den Schoß genommen zu werden, -man reichte sie herum wie eine Wärmflasche, und dann -trank sie Milchkaffee aus der Untertasse, wie ein Christenmensch! -Dann ging der Turmwart auf den Turm, und -ich sah ihn in der düstern Wendeltreppe verschwinden, -wo an den Balken die Fledermäuse schon im Winterschlaf -hingen, zusammengerollt wie alte schwarze Glacéhandschuhe.</p> - -<p>Alte Städtchen, an Bergen gelegen, haben in ihren -Ausläufern halbländliche Wege und Gassen, die die -Kirche, den Markt und die Schule mit den bäuerlichen -Anwesen, den Wiesen und Äckern verbinden. Durch solche -Wege kam ich herunter, im Nebel, an Werkstätten und -Holzplätzen und fließenden Brünnchen vorüber, die in -diesem quellenreichen Land durch eiserne Schlangenköpfchen -in verwitterte Tröge rauschen, eiskalt mit einem -Moosgeschmack vom Walde her. »Hähnchen und Hühnchen -wollten zusammen auf den Nußberg« – so geht -das Märchen an, das unvergeßliche; und durch solche -Wege und Gäßchen sind Hähnchen und Hühnchen gewiß -auch gekommen. Die Laternen schimmerten dunstig, Gaslaternen, -die ein buckliges Männchen anzündete. Kleine, -altväterische Häuser standen hinter Holzstaketen; in den -niederen Stuben, hinter Geranien und Fuchsien kam -Licht durch die Scheiben; nun saßen drin die Menschen -beim Kartoffelsalat und tranken gelben Landwein aus -dicken, grünlichen Gläsern dazu. Auch unsere Waschfrau -wohnte da; in ihrer geblümten Kattunjacke, die Brille -<a class="pagenum" id="page_195" title="195"> </a> -auf der Nase, wie eine kleine, aufmerksame Eule, stand -sie und bügelte bei der himmelblauen Lampe. Ihr Kätzchen -kam aus dem Gebüsch und lief eine Weile vor mir -her mit kleinen, lockenden Turteltaubentönen. Alles war -so heimlich, so lockend, die goldenen Ritzen in den Läden, -der Schein, der über die Schwellen glitt, Laternen an -Gartentoren, wo hohe Bäume Unverständliches rauschten, -und die Stimme des Kätzchens, das sich im Dunkeln -an mir rieb, sobald ich stille stand; alles, als müßt es mir -etwas sagen.</p> - -<p>Weiter unten, wo die reichen Leute wohnen, wird gebaut -und eingerissen; wo einst Wiesen waren mit großen -Margueriten und Zittergras und alle Gräben voll himmlischen -Vergißmeinnichts, da steht jetzt Haus an Haus, -die Häuser groß und die Gärten klein ... früher war's -umgekehrt. Und so vieles fand ich nicht mehr. Feine, einstöckige -Häuser mit geschweiften, silbernen Schieferdächern, -nach der Straße waren Mauern, von Efeu überhangen, -aber dahinter wußte man – da war ein alter -Garten, voll Platanen und rauschender Silberpappeln -und Azaleengebüsch, die Wege ganz vermoost, und braune -Schnecken krochen drüber hin – <i>la limace – le limaçon</i> -lernte ich, die eine hat ein Schneckenhaus und die andere -nicht – ja, wo ist das alles hin? Muttergotteshäuschen -mit Bänken, damit die armen Frauen ihre Körbe absetzen -und ein wenig verschnaufen konnten ... Da war -auch sonst ein kleiner, schattiger Friedhof; nicht der berühmte -alte am Berghang, nein, ein ganz kleiner, noch -<a class="pagenum" id="page_196" title="196"> </a> -älterer, abseits, im Tal; im Frühling voll Jasminduft -und Finkengesang, im Herbst rostbraun vom Blätterfall -und von zutraulichen Amseln bevölkert, der gab Kunde -von denen, die von hier nicht mehr heimgekehrt sind. -Hier lagen sie aus aller Herren Ländern, sogar unter -russischen Kreuzen mit ihren Schrägbalken und unverständlichen -Inschriften; aber manchmal waren sie ins Französische -übersetzt und kündeten, daß da ein <i>Chevalier de -l'Ordre de Saint André</i> von seinem hoffentlich verdienstvollen -Leben ausruhte, oder ein armer junger Dmitri, eine -sanfte Hélène, <i>ravie à ses parents inconsolables à l'âge -de dixneuf ans</i>, sich hier zu Tode gehustet hatten. Denn -Davos und Arosa waren damals noch nicht erfunden, -und aus weiter Ferne kamen sie angereist, denen der -Tod seine Rosen auf die Wangen geküßt hatte, und -mußten dableiben, weil ihre Kraft sie verließ. »<i>Sacred -to the memory of Anne, the dearly beloved wife ... -aged twentytwo ...</i>« Eine schöne, breitschulterige Muttergottes, -die einen rechten Königsmantel von Efeu trug, -hütete den Eingang und sagte: Fürchtet Euch nicht. Kinder -spielten zwischen den Gräbern, alte Großmütter saßen -dort und strickten ... Ja, das ist nun verschwunden und -vieles ist neu und fremd geworden, und es ist wie mit -geliebten Menschen, die sich verändert haben; man liebt -sie noch – ach Gott, Liebe hat ja wohl auch neun Leben -wie die Katzen – aber man wird ihrer nicht mehr froh.</p> - -<p>Aber droben am Waldrand ist noch vieles geblieben -wie es war; es riecht wie damals nach Erde und Moos -<a class="pagenum" id="page_197" title="197"> </a> -und schwelendem Kartoffelkraut, und der Umriß der -Hügel ist derselbe, über denen die Sterne stehen, so altbekannt -– die ewig geheimnisvolle, goldene Schrift ... -Die Augen füllen sich mit Tränen, seid ihr's, bist du's? -Und man wittert in die Luft wie ein Jagdhund, der den -Dunst seines Herrn erkennt. Die Karren kehren heim -aus dem Wald, mit Laubstreu hochbeladen, all das Laub, -das im Frühling seine spitzen, seidigen Knospen aufgetan, -mit dem Wind gestichelt hatte, dankbar der Sonne, dem -Leben. Nun ist es vermodert und wird die Erde düngen, -wird geben, nachdem es genommen.</p> - -<p>Mütterchen Heimat, sanft gehst du um mit deinen -Kindern. Hier ist Laubstreu für deine Erde!</p> - -<hr /> - - - - -<h2>Hinweise zur Transkription</h2> - - -<p class="in0">Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Buchende an den Buchanfang verschoben.</p> - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich -uneinheitlicher Schreibweisen (z. B. Gerda – Gerta), mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_033">33</a>:<br /> -";" eingefügt<br /> -(seit sie ihm gesagt, Emmo käme her;)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_036">36</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_058">58</a>:<br /> -"deratige" geändert in "derartige"<br /> -(er liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_059">59</a>:<br /> -"Intensivkul ur" geändert in "Intensivkultur"<br /> -(immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_094">94</a>:<br /> -"«," geändert in ",«"<br /> -(»Der Arme,« sagte sie)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_112">112</a>:<br /> -"«," geändert in ",«"<br /> -(»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante.)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_114">114</a>:<br /> -"«," geändert in ",«"<br /> -(,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_130">130</a>:<br /> -"in" geändert in "ein"<br /> -(das eigentlich Unkorrekte durch ein gewisses Dekorum)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_136">136</a>:<br /> -Absatz eingefügt vor "»Wie"<br /> -(»Wie ging das zu?« frug der Prinz)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_140">140</a>:<br /> -"," hinter "nein, nein" eingefügt<br /> -(»Ach nein, nein,« sagte sie)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_155">155</a>:<br /> -"." entfernt hinter "Mond"<br /> -(heraufstarrten zum Mond wie Seelen)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_155">155</a>:<br /> -".." geändert in "..."<br /> -(mehr erhellen kann ... dort ging die Frau)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_168">168</a>:<br /> -"dielen" geändert in "diesen"<br /> -(aus diesen Produkten des <i>ancien régime</i> hoffte er)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_178">178</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(die Kinder gehören der Mutter, doch nur so lange)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_183">183</a>:<br /> -"gänglich" geändert in "gänzlich"<br /> -(Sie sind hier gänzlich deplaciert)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_197">197</a>:<br /> -"," hinter "dem" entfernt<br /> -(dankbar der Sonne, dem Leben)</p> - -<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_197">197</a>:<br /> -"," eingefügt<br /> -(und wird die Erde düngen,)</p> - - -<hr /> - - - - - - - - -<pre> - - - - - -End of the Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse - -*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU *** - -***** This file should be named 60416-h.htm or 60416-h.zip ***** -This and all associated files of various formats will be found in: - http://www.gutenberg.org/6/0/4/1/60416/ - -Produced by the Online Distributed Proofreading Team at -http://www.pgdp.net (This book was produced from images -made available by the HathiTrust Digital Library.) - - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Information about the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state's laws. - -The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the -mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its -volunteers and employees are scattered throughout numerous -locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt -Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to -date contact information can be found at the Foundation's web site and -official page at www.gutenberg.org/contact - -For additional contact information: - - Dr. Gregory B. Newby - Chief Executive and Director - gbnewby@pglaf.org - -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg -Literary Archive Foundation - -Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide -spread public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. - -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. 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Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. - -Most people start at our Web site which has the main PG search -facility: www.gutenberg.org - -This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. - - - -</pre> - -</body> -</html> - - diff --git a/old/60416-h/images/cover.jpg b/old/60416-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index fd204be..0000000 --- a/old/60416-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/60416-h/images/logo50.jpg b/old/60416-h/images/logo50.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 30def6d..0000000 --- a/old/60416-h/images/logo50.jpg +++ /dev/null |
