summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
-rw-r--r--.gitattributes4
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
-rw-r--r--old/60416-0.txt4420
-rw-r--r--old/60416-0.zipbin111275 -> 0 bytes
-rw-r--r--old/60416-h.zipbin191226 -> 0 bytes
-rw-r--r--old/60416-h/60416-h.htm5834
-rw-r--r--old/60416-h/images/cover.jpgbin72974 -> 0 bytes
-rw-r--r--old/60416-h/images/logo50.jpgbin2685 -> 0 bytes
9 files changed, 17 insertions, 10254 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..d7b82bc
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,4 @@
+*.txt text eol=lf
+*.htm text eol=lf
+*.html text eol=lf
+*.md text eol=lf
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..6312041
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..db28a0d
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #60416 (https://www.gutenberg.org/ebooks/60416)
diff --git a/old/60416-0.txt b/old/60416-0.txt
deleted file mode 100644
index 984ad0e..0000000
--- a/old/60416-0.txt
+++ /dev/null
@@ -1,4420 +0,0 @@
-The Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll
-have to check the laws of the country where you are located before using
-this ebook.
-
-
-
-Title: Laubstreu
-
-Author: Irene Forbes-Mosse
-
-Release Date: October 3, 2019 [EBook #60416]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-Irene Forbes-Mosse / Laubstreu
-
-
-
-
- Irene Forbes-Mosse
-
-
- Laubstreu
-
-
- [Illustration]
-
- Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart
- Berlin und Leipzig
- 1923
-
-
-
-
- Alle Rechte vorbehalten
- Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart
-
-
-
-
-Inhalt
-
-
-Der Pelikan 7
-
-Mitleid 21
-
-Wie es die Kinder erlebten 45
-
-Etüde 87
-
-Die Waldschenke 127
-
-Die Verirrten 145
-
-Glückliche Zeiten 159
-
-Zoologie 175
-
-Laubstreu 189
-
-
-
-
- Der Strauch erzittert,
- Wenn ein Vöglein drüber flog,
- Mein Herz erzittert,
- Weil Erinn'rung es durchzog.
-
- _Petöfi_
-
-
-
-
-Der Pelikan
-
-
-Zwei Menschen wanderten im toskanischen Lande. Sie hielten sich fern von
-den großen Städten. Nicht aus Menschenscheu; denn große Liebe ist wie
-der Panzer des Ritters ohne Furcht und ohne Tadel. Aber es war in der
-Frühlingsvollendung ein Ermatten über sie gekommen, und in den kleinen,
-grauen Nestern, wo das Land mit tausend blühenden Obstbäumen, die Hügel
-hinan, gegen die alten Mauern zu Felde zog, ließen sich die letzten
-Tropfen mit trägeren, tieferen Zügen trinken. Hier waren nur einfache
-Menschen, die die Erde umgruben oder vor den Häusern saßen mit ihren
-Handwebstühlen und Korbflechtereien: irgendein graues Steinwappen über
-der Tür deutete wohl zurück in alte, streitsüchtige Zeiten, aber in
-diesem gleichmütigen Sonnenschein dachte man nicht an sie, streichelte
-ein Kätzchen, lächelte einem braunen Mädchen zu, das mit schönen
-überfließenden Kupfergefäßen vom Brunnen kam; da war kein
-Peitschenknallen, kein Menschengedräng, keine großen, weltberühmten
-Bauten, die beiden aus ihrem Behagen aufzuschrecken, wenn sie durch
-das silberne Land schlafwandelten, das sie anzublinzeln schien wie eine
-heimlich Verbündete. Ohne Plan gingen sie, hügelan und hügelab, zwischen
-Mauern auf engen gepflasterten Wegen, über die der Schattentanz der
-Olbäume zitterte, oder die Mauern hörten auf, und man sah weit aus ins
-Grau, ins Silber, von Mandel und Pfirsich und Kirsche weiß und rosig
-getupft; feine Kirchtürme ragten, zart und erlesen, und immer neue Hügel
-taten sich auf, breitschultrig und grau und gütig.
-
-So kamen sie einmal zu einer kleinen Kirche, bei der ein paar verwitterte
-Denksteine standen und lagen, von wildem Salbei umwuchert; seitwärts
-eine niedere Mauer, das Gärtchen umschließend, wo eben der Pfarrer, mit
-geschürztem Kleide, die Gießkanne in der Hand, zwischen Artischocken
-und Brokkoli und süßduftendem Goldlack umherging. Als er die Fremden
-erblickte, kam er herbei, trocknete sich die Hände und stellte seine
-Führerdienste freundlich und selbstverständlich zur Verfügung. Denn in
-dem Kirchlein war ein schönes Grabmal von berühmter Hand, das weiß und
-unverletzt in der Verlassenheit ruhte, wie in Italien nicht selten, wo in
-weltvergessenen Winkeln die zartesten Wunder leben, als sei die Schönheit
-mit zerrissener Perlenschnur durchs Land gegangen, achtlos, wohin die
-schimmernden Tropfen rollten.
-
-Sie traten in die Dämmerung der Kirche. Überall schälte sich der Bewurf
-von den Mauern, daß der zartrosa Ziegel und Überreste früher Fresken
-sichtbar wurden: hier eine flehende Hand, ein Stück blauen Gewands, dort
-ein runder Baumwipfel, mit Früchten und Vögeln beladen. Aber der Altar
-glänzte in neuer Ölfarbe und vergoldetem Zierat, und an den Wänden
-hingen die Stationen des Leidenswegs in grellbunten Bildern. Da -- in einer
-Seitenkapelle -- blieb alles zurück, das Grabmal lag so rührend in seiner
-wehrlosen Schönheit und hatte doch -- wie einst _eine_ reine Jungfrau ihre
-Heimatstadt vor der Pest bewahrte -- die verwitterte Kapelle vor Kelle und
-Kalktopf und schlimmerer Unbill bewahrt.
-
-Eine Schwester hatte es ihrem Bruder errichtet in jener Zeit, da man durch
-Werke selig und unselig wurde und es dafür wohl weniger Gedankensünden
-gegeben hat. Die Furchen des hagern, nachdenklichen Gesichts waren leicht
-bestaubt; in jeder Mantelfalte, zwischen den ums Schwert gefalteten Fingern
-hatte sich Staub angesammelt; so war der Ausdruck, trotz des dämmerigen
-Lichts, deutlich, gleichsam unterstrichen. Es lag freigebige, menschliche
-Güte auf diesen Lippen, ja ein wenig gutmütiger Spott zuckte in der
-Wange, schien hinüberzuwinken in eine spätere Zeit; aber die Stirn war
-entschlossen und sorgenvoll, und die Hände, zum Halten wie zum Geben
-tauglich, würden nicht lange die betende Stellung bewahrt haben, hätten
-sie gefühlt, wie jemand den schönziselierten Schwertknauf berührte.
-
-An der Mauer gegenüber war die Grabstelle der Schwester, eine lateinische
-Inschrift an der Wand, und auf der Erde, da, wo ihr Sarg versenkt war, eine
-Marmorplatte mit eingemeißeltem Wappen und Federgekräusel. Sie hatte nur
-wenig Jahre nach dem Bruder gelebt, seinen Namen geehrt, sein Gut verwaltet
-und hier, bei seiner Ruhestätte, in der spitzfindigen Demut jener Zeit als
-Franziskanerin gekleidet, die ewige Ruhe gefunden, nachdem sie ihr Eigentum
-verteilt und im Hofe ihres Landhauses täglich alle die Elenden, die
-Bettler und Kranken und Krüppel gestärkt und verbunden hatte. Aus den
-alten Scheiben fiel Regenbogenlicht wie ein Schmetterlingsschwarm über die
-Ranken und Zacken des Wappenschilds. Ach, war es nicht schön und stolz,
-nach stillen, nützlichen Jahren hier zu ruhen, dem einen nahe, dem ihr
-ganzes Leben, wie selbstgesponnene und -gewobene Leinwand unter die Füße
-gebreitet war? Was auch sonst ihre kleinen, verbrauchten Jungfrauenhände
-geschafft und gewirkt, wieviel Wunden sie gewaschen, wieviel Brot sie
-verteilt hatten, _diese_ Liebe war der Wein ihres Lebens gewesen ...
-
-Die Frau trat zum Grabmal des Bruders zurück und legte ihre Hand in
-die sanfte Mulde zwischen Schulter und Brustwölbung, erschaffen, um ein
-schlafendes Haupt zu stützen, und bei Frauen eben groß genug, um ein
-Kinderköpfchen aufzunehmen.
-
-Und es ging ihr ein schmerzliches Entzücken durchs Herz, wie eine
-Seligkeit, die man nicht nennen, nicht festhalten kann, kurz vor dem
-Erwachen in der Frühe, wenn der Traumfaden immer feiner wird und abreißt
-ohne Schluß.
-
-Als sie nun wieder aus der Kirche herauskamen, sah die Frau, sich wendend,
-um Abschied zu nehmen, zu einem kindlich in Stein geschnittenen Neste über
-dem Türbogen empor, darin sich ein Pelikan für seine Jungen die Brust
-zerfleischte.
-
-»Das ist,« sprach der Pfarrer, ihrem Blicke folgend, »unsere
-Heilige-Mutter-Kirche, die sich den Sündern und Verirrten hingibt und
-die Traurigen und Mühseligen an ihr Herz nimmt wie der Pelikan seine
-Kinder ...«
-
-Wie katholisch, dachte die Frau. Dieser freundliche Mann will jedem, der
-mit den Wellen kämpft, ein Ruder hinhalten, ihn daran zurückziehen in die
-große Familienarche. Seine Religion hat so viel Winkel und Schnörkel und
-Ruhepunkte wie die alten gotischen Dome, in deren Zacken und Simsen Tauben
-nisten.
-
-Dann schnitt der Pfarrer Goldlack für sie ab, und wie sie so dastand, halb
-noch zurückgewendet, hätte sie in der Demut ihres Herzens am liebsten
-still ein Kreuz geschlagen; auch tat es ihr leid, daß er gemerkt hatte,
-daß sie nicht zu seiner Kirche gehörten, und so gütig und ausführlich
-hatte er ihnen doch alles erklärt. Darum hätte sie das symbolische
-Zeichen, das niemand schaden kann und dem alten Manne heilig war, gern
-angebracht; aber sie war nicht allein und verpaßte den Augenblick,
-und wenn man in Gefühlssachen nachdenkt, so unterläßt man Dinge, die
-eigentlich so einfach sind.
-
-Nach Jahren kam sie allein zurück. Sie bewohnte ein kleines Fremdenheim
-am äußersten Gürtel der Stadt, wo sie in kurzer Zeit ins freie Land
-gelangen konnte. Es war Sommer, und den ganzen Tag ging die Feile der
-Zikaden von den Platanen der Ringstraße. Feigen gab es in Überfluß,
-an jeder hing die reife Süßigkeit wie ein klarer Bernsteintropfen; aber
-Rosen gab es nicht mehr. Die Erde war wie gebacken, die Hecken an den Wegen
-staubgepudert und leblos; auf der Windseite hatten die Zypressen einen
-grauen Überzug, und die Luft schmeckte nach Staub; es würde noch Wochen
-dauern, bis Regen kam. Wenn sie dann am Abend ihr Fenster auftat und die
-noch glühende Luft hereindrang, dachte sie manchesmal an jungen Buchenwald
-in ihrer Heimat, wenn sich die Kronen nach einem Regenschauer dehnen, oder
-an die Wiesen daheim, noch ungemäht, wo zwischen Erlen und Haseln der Bach
-schlüpft, übervoll, durchsichtig braun mit goldenem Sonnengekringel; aber
-doch sehnte sie sich nicht fort. Ihre Bekannten hatten längst die Stadt
-verlassen, aber das Losreißen wurde ihr schwerer denn je, ach, überall
-hatten sich Wurzeln ihres Herzens festgesaugt. Nun war die Zeit, da
-die fliegenden Buden der Limonadenverkäufer aus der Erde schossen, mit
-unzähligen, vielfarbigen Flaschen, mit Papiergirlanden und baumelnden
-Zitronen geschmückt; arme Kinder gingen und kauften sich Eis, löffelweis,
-für zwei Centesimi, und das winzige Schwesterchen, dem ein kleiner
-Papierfächer am Ärmchen hing, leckte zuerst, und der große Bruder leckte
-auch, aber eigentlich tat er nur so, damit das Schwesterchen alles bekäme.
-Die Militärmusik spielte auf den Plätzen, und schöne sonnenbraune
-Ammen, die mit ihren bunten, getollten Haarbändern wie eine Versammlung
-königlicher Georginen breitschultrig auf allen Bänken saßen, die
-Bambini mit den Samtaugen streichelnd und ihre braunen Brüste darreichend,
-schwatzten mit heiseren toskanischen Kehllauten und wiesen beim Lachen ihre
-kleinen, gesunden, feuchtglitzernden Zähne. Aber auch drinnen in der
-Stadt verlegte sich das Leben mehr und mehr auf die Straße. Aus all
-den Rembrandthöhlen der Schuster und Schreiner tauchten alte und junge
-Gestalten und schafften vor offenen Türen; und bei offenen Türen auch
-übte der Barbier seine Kunst aus, in seiner weißen Jacke geschmeidig wie
-ein Hermelin. Als wäre man mitten in eine Komödie von Goldoni geraten,
-oder als sollte im nächsten Augenblick die Musik zum »Liebestrank«
-einsetzen und Doktor Dulcamaras Wunderkarren auf den Platz rollen. Nun war
-die Zeit, daß die Statuen und Gemälde in den verlassenen Galerien ihr
-zu winken schienen: »Wie, du willst gehen? Bleibe, wir sind allein, wir
-wachen und reden, Heidengötter und Christengötter, alle hat uns die
-Schönheit angehaucht mit ihrem unvergänglichen Kuß.« Und um sie alle
-wob die Einsamkeit immer wieder jene feine, befremdende Luftschicht,
-die erlesene Kunstwerke umgibt, anlockend und abwehrend und niemals ganz
-bezwungen.
-
-Aber das liebste von allem waren ihr die stillen Höfe der Kirchen, die
-früher Klöster gewesen sind. Mit ihren großen, schläfrigen Katzen, dem
-heißen sonnigen Fleck in der Mitte und darüber ein Stückchen tiefblauen
-Himmels; plötzlich ein leuchtender Taubenflug, wie rauschte das durchs
-Herz! In den Klosterhöfen schimmerten die fedrigen Sterne an den
-Myrtenbüschen, bitter würzig; aber die Oleanderblüten lagen gebräunt
-und verwundet auf den Steinplatten der Kreuzgänge; unaufhaltsam
-destillierte die Sonne das flüchtige Öl aus Kräutern und Blättern.
-Und stundenlang konnte sie da sitzen, auf einem Mäuerchen, einem
-Säulentrümmer ... bis schließlich der freundliche Kustode kam und sagte,
-es würde geschlossen ...
-
-Es war gegen Abend, als der kleine Einspänner sie nach jenem Kirchlein
-fuhr, das sie seit damals nie wiedergesehen hatte. Die grausamen,
-quälenden Jahre waren nun vorbei, als sie Augen und Ohren zuhielt, nur um
-nicht erinnert zu werden, als sie Ruhe nur fand an Stätten, wo sie früher
-nie gewesen. Jetzt hatte sich etwas geändert. Denn es war so vieles
-seither über sie hereingebraust, Dinge, von denen man weiß, daß sie
-immer in der Welt waren, daß sie niemals unmöglich sind; aber am eigenen
-Weg hatte man sie nie erwartet, und auf einmal sind sie da und legen einem
-die Hand auf die Schulter -- wie wenn einer verhaftet wird, der sich sicher
-fühlte im Menschengewühl. Ach, diese harten, einfachen, trostlosen Dinge,
-die da gestanden hatten und gewartet ... Und jetzt, auf einmal, hatte sie
-Heimweh nach jenem ersten brennenden Leid, heute schien es ihr kostbar,
-denn es war ja so traumhaft verwoben mit Lebensdrang und Ungeduld und
-Entzücken, und nun suchte sie in der Erinnerung, und siehe, der Schmerz
-war dumpfer geworden, aber das Freundliche, das Entzückende jener Tage
-lebte auf, und Stunden gingen an ihr vorüber und lächelten ihr zu, den
-Finger an den Lippen.
-
-Ach damals, wie alles zu versinken schien, jung war damals ihr Herz;
-jeder Nerv hatte sich kläglich gewunden und um Gnade gefleht, wie ein
-verbranntes Kind das Händchen hinhält und nicht glauben will, daß das
-je vorübergehen kann. Aber es hatte sich doch gewandelt; denn die
-großen, harten Dinge waren gekommen und die Zeit war gegangen, grau und
-unbekümmert, und nun war sie wieder hier und witterte und horchte und
-suchte ihr erstes Leid in zitterndem Heimweh. Und fand es wieder an
-abgeschrägten Straßenwinkeln, wo man zwischen Mauern hinuntersieht, und
-ganz in der Ferne sind die unvergessenen Hügel, zart und karg und traurig
-im Abendrot, die Straße führt hin, führt ins Paradies ... fand es
-wieder, wenn sie ein Lorbeerblatt zwischen den Fingern rieb oder wenn am
-Abend der Geruch von schwelendem Rebenholz durch die Luft zog ... fand
-es wieder, wenn sie nachts, halb schon im Schlaf, die ächzenden Karren
-hörte, den heiseren Gesang der Männer, die, einen Grashalm im Mund, auf
-ihren Lasten ausgestreckt, die Pferde im Sternenlicht lenken.
-
-Der Wagen hielt; an dieser Stelle ging das letzte Stückchen Wegs steil
-aufwärts. Die Frau stieg aus; auch damals waren sie hier ausgestiegen,
-um das kleine eifrige Pferd zu schonen. Der Himmel öffnete seine
-Perlmutterschalen über der matt atmenden Welt. Der kleine Garten war leer,
-der Pfarrer nicht zu sehen, aber drinnen in der Kirche putzte eine alte
-Frau den Altar mit Papierlilien. Sie schritt nach der Seitenkapelle. Dort
-war es beinah Nacht, das bunte Fensterglas schwarz, nun die Sonne es nicht
-mehr durchglühte. Aber der stille Mann schimmerte treugeduldig in seiner
-Einsamkeit, und auf seinem Antlitz fand sie das feine, sorgenvolle Lächeln
-wieder, als warte er auf einen Ruf, auf eine Antwort und sähe ein, daß er
-sich für heute bescheiden müsse; ja, noch lebendiger schien ihr der
-Mund, schienen ihr die kraftvollen Hände, als ob das Herz noch immer,
-stillgeschäftig, seine Eimer vollschöpfte und wieder ausgöße in das
-Geäder des ruhenden Leibes. Ja, da war auch die Mulde zwischen Schulter
-und Brust, groß genug, daß man den Kopf hineindrücken konnte, dort Stein
-zu werden in tiefem, wunschlosen Schlaf. Sie fühlte Tränen in der Kehle
-und biß sich auf die Lippen, denn Weinen war ihr keine Erlösung. Schritte
-hallten durch die Kirche, es war die Frau, die zuschließen wollte für
-die Nacht. Da wandte sie sich ab und ging, und hinter ihr blieb der
-Schlummernde allein. Nun stand sie draußen, und die Luft war um sie wie
-linder Atemzug. Über ihr leuchtete das Nest des Pelikans im letzten Licht.
-Da schien ihr, als sei's das Sinnbild der Frauenliebe, die gern das Letzte
-hingibt und ihr Glück bezahlen muß mit Geduld und mit Gefahr.
-
-Ob es uns gutgeschrieben wird, daß wir Menschen alles so teuer erkaufen,
-dachte sie. Wie heißt's doch immer, wenn die Richter mitleidig sind und
-ein Einsehen haben: die Untersuchungshaft soll angerechnet werden ...
-Bei uns daheim hing ein Knüttel am Stadttor, darunter stand: Wer seinen
-Kindern gibt das Brot und leidet später selber Not, den schlag man mit der
-Keule tot. Das war sehr alte, und doch ganz moderne Weisheit, viel moderner
-als deine, alte Pelikanmutter! ... Bin ich meiner Mutter dankbar, daß sie
-mich in dies Leben brachte? dachte sie wieder. Maskenfeste in Labyrinthen,
-hier und da ein Umschlingen, bleibe, ach rede zu mir, dieselbe Sprache
-reden wir ja. Oh, nur bis der Weg sich teilt, dann wieder allein, fremde
-Zungen ... Und wenn man dann nicht mehr zu jemand sagen kann: es war alles
-gut, Nacht und Licht, Süßigkeit und Bitterkeit, nur Dank fühle ich, Dank
-sei dir heute und immer -- oder wenn man im Morgengrauen erwacht und an die
-Augen von Schwerkranken denkt, wie auch sie den Tag erwarteten, der keine
-Hoffnung brachte, und die Fensterscheiben fingen an hell zu werden ... o
-das! Schöne, schöne Erde, warum wird es uns so schwer gemacht!
-
-Der Tag war ganz geschwunden, das steinerne Nest über ihr sah grau und
-geisterhaft in die Luft, wo die Fledermäuse anfingen hin und her zu
-zucken. Unter ihr, im Dunst, erwachten viele Lichter; dort war Leben und
-Lärm, hier oben war es totenstill. Sie dachte an den alten freundlichen
-Pfarrer. Unsere Mutter Kirche, hatte er gesagt. Ob sie wirklich die
-Menschen trösten konnte, wenn sie sich so hineinwühlten, wie Kinder in
-das Kleid der Mutter? Versprach sie ihnen doch so vieles, hatte so schöne,
-schauernde Worte der Verheißung; man _mußte_ ihnen glauben, so schön
-waren sie. Und das eben war es wohl, was die Kirchen immer wieder stützte
-und aufrecht hielt: die Sehnsucht nach den Toten.
-
-Sie ging langsam den steinigen Weg zum Wagen hinunter, zwischen Mauern,
-über denen dunkle Köpfe sichtbar wurden. Ein kleiner Spitz lief oben
-entlang und gab ihr kläffend das Geleit. Das heiße Feilen der Zikaden
-hatte längst aufgehört, aber aus allen Gräben und Mauerritzen zirpten
-nun die Grillen, kühl und zart. Das war wie daheim auf den großen
-Waldwiesen, wo jetzt die Glockenblumen standen und das Zittergras. Sie
-horchte auf und schlug die Hände ineinander. Nun wollte sie heimreisen;
-sie hatte gefunden, was sie suchte. Nur noch vereinzelt klang der
-Grillenton, wurde immer weniger, je mehr sie sich der Stadt näherte. Es
-war ganz dunkel geworden, hier dauerte die Dämmerung nur kurze Zeit. Sie
-saß sehr aufrecht, mit weit offenen Augen. So fuhr sie zurück durch die
-laue, windstille Nacht.
-
-
-
-
-Mitleid
-
-
- _La peine qu'on a n'est rien,
- mais celle qu'on a faite aux autres
- empêche de manger son pain._
-
- _P. Claudel_
-
-Sophie Barnekow hatte geklopft, ohne Antwort zu erhalten; nun öffnete
-sie leise die Tür, um sie aber sofort wieder zu schließen, behutsam, wie
-man's in der Krankenpflege erlernt.
-
-Dort im halbdunkeln Raum, wo die Sonne durch die schräggestellten Läden
-glitt und goldene Leitern auf die Dielen malte, wo der Geruch von Reseda
-und nassem Kies und das leise Klirren von Gießkannen durch die offenen
-Fenster eindrang, saß Meisi, ihre junge Herrin und Schutzbefohlene,
-nicht allein. Neben ihr, die Hände um eine Stuhllehne geschlungen, stand
-Rütten. Ohne die Frau zu berühren. Und doch, hätten sich beide in den
-Armen gelegen, festgeklammert, Blick in Blick getaucht, nicht deutlicher
-hätte es von letztem, bitterstem Abschied reden können.
-
-Von Meisi war nichts zu sehen gewesen als der braune Hinterkopf und das
-feine Genick, da, wo der Haaransatz in warmen goldenen Flaum überging;
-tief auf den Tisch gebeugt. Wie oft befestigte Sophie das kinderweiche und
-doch eigensinnige Haar, mit ganz wenig Nadeln, weil alles gleich Kopfweh
-machte; immer wieder glitten die Zöpfe hinunter, dann mußte Sophie leise
-erinnern: »Liebste, Ihre Haare.« Und auch eben hatte das Ende einer
-Flechte über die Schulter gehangen. Kleine physische Eigentümlichkeiten
-geliebter Menschen können einem ans Herz wachsen und es seltsam wehrlos
-machen, mehr als die Tugenden, die sie besitzen oder die wir ihnen
-andichten. So fuhr's ihr auch jetzt durchs Herz, und was erst Erschrecken
-gewesen, empfand sie nun als tiefe, schmerzende Zärtlichkeit. Sie seufzte
-auf und schlüpfte in ihr Zimmer gegenüber zurück.
-
-Starke Leidenschaften, die ihr Ziel in offenem Aufruhr oder auch durch List
-und Heimlichkeit und manche schmerzliche Selbsterniedrigung zu erreichen
-wissen, waren Sophie fremd geblieben. Sie wußte, es gab dergleichen.
-Aber doch nur so, wie man von Mormonen liest oder von den Bacchanalien
-entarteter Cäsaren. In ihrem klaren, hilfreichen Wesen, ihrem Abscheu
-vor jeder Unsauberkeit und Unordnung war kein Raum für Ungeregeltes; eine
-verbotene Liebe lag ihr im Grunde ebenso fern wie Taschendiebstahl.
-Dabei -- oder vielleicht gerade deshalb -- konnte sie von verblüffender
-Parteilichkeit sein, wenn sich's um Menschen handelte, die sie liebte. Sie
-war aus dem Holze geschnitzt, das gute Royalisten abgibt. Wen sie einmal
-liebte, zu dem hielt sie auch, er mochte tun und lassen, was er wollte;
-das war doch sehr einfach. Und dann -- bei näherem Zusehen müßten gewiß
-Gründe genug zu finden sein, die alles erklären würden; wenn sie selbst
-auch gar nicht danach suchte.
-
-Auf ihrem Bett lag die eben abgelieferte Wäsche. Ihr Blick glitt an einem
-grauen Leinwandkittel entlang, der in seiner knabenhaften Spärlichkeit
-etwas von Meisis Umriß bewahrte. »O du Armes,« sagte sie vor sich hin,
-und ihre Augen fingen an zu brennen. Dann begann sie mit ihren feinen,
-verbrauchten Händen die Sachen zum Ausbessern zurechtzulegen.
-
-Drüben in dem dämmrigen Zimmer war es sehr still. Die leise Stimme
-des Mannes redete in abgebrochenen Sätzen, so von fernher, wie
-Selbstgespräch. Die Frau hörte und hörte auch nicht. Denn ihr war, als
-hätte sie's längst gewußt, daß er einmal so reden und handeln würde.
-Es hing ja alles in ihm -- wie man es sonst nur bei Pflanzen findet -- ganz
-selbstverständlich zusammen; so wie die äußersten Zweiglein einer
-Eiche immer noch die Gewaltsamkeit der Äste, den Eigenwillen der Wurzeln
-ausdrücken. Es waren in diesem Manne wenig Widersprüche, er mußte
-handeln, wie er empfand, mußte dies lieben, weil ihm jenes widerstrebte,
-selbstverständlich und unerbittlich in seinen Neigungen und Abneigungen
-wie ein Tier, wie ein Künstler, wie ein kleines Kind.
-
-Meisi drückte noch immer die Stirn auf den Arm, der sich um die Tischkante
-krampfte; denn sie empfand es dumpf: solange sie nicht aufblickte,
-würde er nicht fortgehen, erst mußte er ihr Einverstehen in ihren Augen
-erzwingen, eher konnte er sie nicht allein lassen, nicht aufhören zu
-reden, zu überzeugen. Und ob ihr auch das Blut in den Ohren rauschte
-und sie kaum verstand, was er sprach: ach, er war doch immer noch da, sie
-atmete den leisen Duft seiner Kleider; eins nur sollte er nicht, nicht
-aus dem Zimmer gehen. Oh, solche Tür, die zufällt, nein, nur das
-nicht. Dableiben, im Zimmer bleiben, er sollte sich auch gar nicht um sie
-kümmern. Am allerseligsten war es doch immer gewesen, wenn sie still
-im Zimmer saß und nur auf die kleinen Geräusche horchte, wenn er den
-Bleistift hinlegte oder wieder ein paar Seiten aufschnitt in dem dicken,
-verzweiflungsvollen Buch, das er las. Über Heimindustrien war's gewesen.
-O Gott, die unglücklichen Menschen, von denen da erzählt wurde; welch
-entsetzliche Winkel gab es in der Welt, warum durfte das sein! Wenn sie ein
-König gewesen wäre, all die stillen, leeren Königsschlösser hätte sie
-den Armen aufgetan, herrlich erwärmt im Winter und im Sommer kühl und
-hallend inmitten heißer brütender Wiesen, mit grünen Schattengängen
-und Nachtigallenschlag. Man dachte nicht genug an andere, wenn man selber
-glücklich war, ach glücklich zum Sterben, als versänke und ertränke man
-in einem riesenhaften Maiblumenstrauß und würde ohnmächtig vor lauter
-Wonne. Ob so arme schmutzige Menschen jemals so etwas hatten? Immer nur
-Ruß und Lärm oder zu Haus zusammengepfercht mit verklebten Fenstern. Und
-alles so häßlich, auch die Kinder, und nichts, auf das sie sich freuen
-konnten morgens beim Erwachen. Aber Gerhard würde etwas ersinnen, um ihnen
-zu helfen, er schien Hilfe auszuströmen wie kluge Ärzte. Natürlich,
-es brauchte alles Zeit, und einstweilen war es doch kein Unrecht, wenn
-Glückliche ihr Glück genossen. Sie wollte niemand etwas wegnehmen, das
-brachte sie gar nicht fertig, es hätte ihr alles vergällt, aber ihn --
-ihn konnte sie nicht hergeben. Sie war abergläubisch geworden. Wenn
-sie etwas Hübsches besaß und jemand bewunderte es, gleich hatte sie's
-hergeschenkt. Hatte vielleicht Gott bestechen wollen mit Opfergaben, damit
-er ihr das Eine, Einzige nicht wegnehme ... ja und nun nahm er es doch.
-
-Immer fester drückte sie die Stirn auf den untergelegten Arm. Wie gern
-hätte sie nach seiner Hand gegriffen, da, ganz nah; aber sie wußte, dann
-würde er sie streicheln und emporziehen und sie mußte noch einmal sagen:
-Nein, nein, ich kann nicht -- ja, und dann würde er gehen.
-
-»Meisi,« sagte die Stimme über ihr, »was hilft das Hinausschieben, es
-geht doch so nicht weiter. Du willst nicht mit mir gehen, und so wie du nun
-einmal bist und wie die Dinge liegen, verstehe ich ja, daß du, der es so
-hart ankommt, Schmerzen zu bereiten ... Und es ist auch begreiflich, daß
-dir _mein_ Schmerz erträglicher scheint, eben weil du ihn teilst, während
-du dort einen tiefen Schnitt tun mußt und deiner Wege gehen. Ja, und auch
-darin hast du recht, wenn du auch sehr zornig warst, als du es sagtest,
-ich sei nicht so schlimm dran wie du, ich hätte meine Freiheit und meine
-Arbeit und mein Bergsteigen. Nun, das Bergsteigen wollen wir fürs erste
-nicht zählen (er lächelte, o so traurig) -- diese Freuden, siehst du,
-waren so eins mit dir, daß das alles zu -- anders wäre. Aber meine
-Arbeit, ja, die wird mir helfen, darauf zähle ich auch. Zuerst wohl nur
-als Betäubung ... aber man muß eben graben und graben, und wenn man nach
-Jahren der Wahrheit um einen Kinderschritt näher gekommen ist, so ist das
-ja wohl auch Glück. Und alles das sag' ich dir, Meisi, damit du ganz ruhig
-seist, was mich angeht.«
-
-Meisi hob ein wenig den Kopf. Sie hatte einen roten Fleck an der Stirn,
-vom Tischrand; es sauste und sang in ihren Ohren. Ach Gott, es war zu Ende,
-ganz und gar, er ging fort. Sein Gepäck, das sie so gut kannte, sie hatte
-ihm ja manchesmal geholfen es auszupacken, die große Ledertasche, die
-so gut roch, und der rauhe Mantel aus ungebleichter Wolle, alles
-würde aufgeladen werden, und er würde dem Maulesel voran den Paß
-hinunterlaufen, als ging es zu einer Bergpartie. Aber den nächsten
-Tag käme er nicht zurück, braungebrannt und freundlich und still, den
-Bergfrieden auf der Stirn und wie das Rieseln der kleinen Bergbäche in der
-Stimme. Sie würde auf der Terrasse hinter dem Gasthaus auf und ab gehen,
-wo der Pfarrer und der Wirt und der kleine italienische Schuster Boccia
-spielten am Abend und auf dem Mäuerchen Kürbisse lagen zum Dörren. Die
-lustigen bayerischen Malerinnen würden herauskommen, Schnaderhupfl und
-Kugelhupfl, wie Gerhard sie nannte, und das junge englische Ehepaar mit dem
-Kätzchen, und sie würden fragen: »Kommt Ihr Freund heut abend zurück?«
-Nein, nicht heut, nicht morgen, nie wieder.
-
-Sie hatte eine besondere, qualvolle Fähigkeit, kommende Trostlosigkeit zu
-wittern, zu schmecken, ihre Kälte im voraus zwischen den Schulterblättern
-zu fühlen. So konnte sie sich sein Zimmer, ach das liebe, liebe Zimmer,
-vorstellen, wenn alles verpackt war und alles wieder fremd geworden,
-schon abgewandt, Menschen und Dinge treulos geworden einander. Ja, dies
-Zusammenschnüren in der Herzgrube, das den Zurückbleibenden schärfer
-anfällt als den, der geht, sie spürte es schon jetzt. Wenn die Dinge
-nachher eintrafen, war's wie ein Erkennen, als hätte man schon die
-Generalprobe dazu erlebt. Dank dieser Fähigkeit konnte sie dann gefaßter
-und umsichtiger sein, als man es ihrem raschen, wechselnden Temperament
-zugetraut hätte.
-
-»Meisi, mein Liebes,« sagte die Stimme, und sie verbarg die Augen wieder
-auf dem Arm -- er sollte nicht darin lesen, nicht ihre Ergebung, ach,
-sie war nicht ergeben, aber auch nicht ihre Hoffnungslosigkeit, die auf
-dasselbe herauskam -- »ich will dich nicht betrüben und unruhig machen;
-wie du geschaffen bist, muß dein Gefühl allein entscheiden. Zerbrechen
-kann ich, will ich dich nicht. Aber denke an eins: es ist _ein_ Ding, für
-einen anderen sterben, rasch, mit geschlossenen Augen ins Feuer hinein;
-aber etwas anderes ist's, für einen anderen verdursten, verkümmern,
-langsam an jedem Nerv den Tod erleiden, Tag für Tag. Da kann Opferfreude
-zu Haß werden, und wo man reichlich geben wollte, gibt man schlechtes
-Maß. Und dann ist nur Bitterkeit und Reue um jeden Sonnenstrahl, um den
-man sich gebracht hat. Darum, wenn du doch den einen, tiefen Schritt tun
-könntest, so sei nur immer gewiß, ich bin da. Aber warte nicht, denn
-es wird immer schwerer und weniger reinlich. Du hast es manchmal hart
-empfunden, daß ich so finster war, und hattest mir doch alles zu Liebe
-getan. Und mußt den Grund doch geahnt haben; brauchst mich ja nur
-anzusehen, so weißt du, was ich denke. Weil du's so gut verstanden hast,
-alles aus dem Weg zu räumen, was dir hier ja nicht schwer wurde, denn wer
-betet dich nicht an, ob es nun Sophie ist oder der alte Pfarrer oder die
-anderen Gäste und der kleine Schuster, der dir Nägel in die Schuhsohlen
-klopft ... Aber auch mit allem, was sich in uns selber gegen uns erhob,
-wußtest du so gut fertig zu werden, immer hattest du ein gutes Wort
-bereit. Wenn ich dich so herumtrippeln sah wie ein Bachstelzchen, besorgt
-und doch triumphierend und immer ganz sicher durch tausend Windungen und
-Verdrehungen deinen Weg findend, und mußte mir sagen, das ist nun die Spur
-von meiner Hand in deinem Leben ... Meisi, laß es klar um uns werden! Ja,
-ja, ich weiß, du hast ein Leben von Szenen und Aufregung gehabt und das
-ewige Ausweichen ist dir Gewohnheit, ach und dein Verlangen nach Ruhe und
-Harmonie wollte sich's auch einmal wohl sein lassen. Da bautest du ein
-Labyrinth, in dem du jeden Ausweg kanntest, und hast unsere Liebe gehütet
-und versteckt und getröstet mit deinen lieben schönen Händen. Aber nun
-geht das nicht mehr, es kommt ein häßlicher Tropfen in unser Bestes.
-Meisi, wie gestern Sophie den Brief hinlegte, ohne dich anzusehen, und du
-stecktest ihn in die Tasche, ohne ein Wort ... ach, mich schüttelte der
-Ekel. Was sag' ich dir da für harte Worte. Und du bist so weich und
-so traurig. Aber ich muß es doch aussprechen, denn du allein mußt ja
-entscheiden. Was brauch' ich dir zu sagen, was du mir bist! Wenn du ins
-Zimmer kommst, ist alles gleich anders; immer ist Festtag um dich her. Wie
-oft hab' ich wachgelegen, ganz früh, wenn du noch schliefst, und die reine
-Morgenluft kam herein und schien eins zu sein mit dir -- und da habe ich
-das Leben gesegnet, das mir so viel geschenkt. Und wenn ich las und schrieb
--- trockenes Zeug -- ach, wie ein süßer Unterton warst du doch immer
-dabei; bei allem, was ich tat. Oft hab' ich über dich gelacht, wenn du bei
-jeder Frage, jedem Fortschritt sagtest: ›Wem wird das nützen?‹ Aber
-es war mir doch lieb an dir, wie deine Tränen der Empörung und deine Art,
-Krankes und Kleines anzufassen und einfache Leute zutraulich zu machen.
-Wenn du sie auch oft recht süß zu beschwindeln wußtest ... nun ja, aber
-du hast sie glücklich gemacht. Und all das Liebe, das du anderen antatest,
-das tatest du mir an, denn auch das machte dich mein, machte mich so
-gänzlich dein, auch wenn ich in einer Gedankenwelt, die dir fremd blieb,
-einherging und meine Erkenntnis ausprobte, einriß und wieder zu neuer
-Überzeugung aufbaute, ohne zu wissen für wen, nur weil's mich trieb. Aber
-du standest und hattest arme Kinder an der Hand und sagtest immer: ›Du
-mußt helfen, du mußt helfen‹ ... Ach, wenn ich doch uns selber helfen
-könnte!«
-
-Seine Stimme wurde noch leiser, es war nur ein Flüstern über ihr, das sie
-mehr fühlte als verstand; an ihrer Schläfe die weiche Haarwelle, alles
-zitterte mit.
-
-»Ich habe dich bewundert, Meisi, denn du bist sehr süß und kostbar, und
-bist auch viel gescheiter, als du dich ausmachst, du Siebenschläfer. Und
-hast mich auch namenlos erbarmt, weil du scheu und verlassen warst, wie
-irgendein Waldtierchen, das eingefangen wurde und nur fortmöchte ins
-Dunkel. Ach, du liebst nicht über dich zu reden, und wenn ich dich frug,
-und war's auch noch so behutsam, da hast du nur gelächelt, wie gequält.
-Aber ich habe dich besser verstanden, als du weißt, und du hast niemand
-so angehört, wie du mein eigen warst. Und darum weiß ich, daß du
-eine Eigenschaft hast, gegen die ich machtlos bin; es ist eine seltsame
-Trägheit, wenn sich's um dein eigenes Glück handelt, und daß du nicht
-kämpfen magst um irgend etwas. Lächelst hinauf und denkst: Ja, der
-schöne Apfel, wenn er doch herunterfiele ... aber es wird ja doch nicht
-geschehen! Nicht weh tun, warten, gegen alle freundlich sein -- ja,
-Meisi, du brächtest es fertig, gegen den Henker freundlich zu sein. Und
-unterdessen rinnt das Leben vorbei. Wenn ich wüßte, daß du irgend etwas
-hättest, eine Arbeit, ein Ziel, etwas, das dich frei und mutig macht, und
-müßt' ich dich dadurch erst recht verlieren, dennoch Meisi, dennoch ...
-Aber ich weiß, daß dir nichts bleibt als Kälte und Leere, und wenn du
-dich hineinfindest, das ist erst recht traurig. Aber eins hast du, haben
-wir, unseren Schmerz, niemand darf die Hand dran legen, heut ist er noch
-unser, gehört uns ganz allein, und darum müssen wir voneinander gehen, wo
-alles noch ganz kostbar ist und es uns so furchtbar wehtut.«
-
-Ein stärkerer Hauch trieb den Resedaduft ins Zimmer, man hörte fernes
-Räderknirschen, ein Hund bellte irgendwo ... es war so still, wie
-verzaubert. Der Mann fuhr sich über die Stirn und wandte sich zum Fenster;
-denn es schluchzte etwas in ihm auf, und er mußte das erst zur Ruhe
-bringen. Meisi kroch noch mehr zusammen, machte sich ganz klein wie ein
-krankes Kätzchen. O wie grauenhaft alles doch war! Sie hatte nicht alles
-verstanden, aber etwas Kaltes saß ihr in der Brust und dehnte sich, wurde
-immer größer, und die Füße waren ihr wie zerschlagen. Wenn er sie doch
-chloroformieren möchte und in einen Wagen packen, nichts fragen, nichts
-sagen, und am nächsten Morgen würde sie an seinem Herzen aufwachen,
-irgendwo über der italienischen Grenze, wo es ganz heiß war und die
-weißen Häuser schliefen und die Zikaden in den Bäumen sägten! Wo man
-den Tag verschlief. Wenn er sie doch ganz rasch nehmen wollte oder ihr
-einen Schlag vor die Stirn geben, daß sie die Besinnung verlöre und gar
-nicht sagen könnte: »Ich will«, oder »Ich will nicht«; wie man
-Tiere betäubt vor dem Töten. Aber er war seit acht Tagen so anders,
-nachdenklich und freudlos, seit sie ihm gesagt, Emmo käme her; es würde
-wohl alles recht schwierig sein; besser, er machte zunächst eine Bergtour,
-aber sie würde schon alles einrichten, auf keinen Fall dürfe er _ganz_
-weg, das hielte sie nicht aus. Wie er sie da angesehen hatte -- ganz
-fremd war sein Gesicht geworden. Und seitdem hatte er ein-, zweimal von
-Entscheidung gesprochen, von Wahrheit, von einem tiefen Schnitt; und den
-sollte sie tun. Und das konnte sie doch nicht. Lieber tausend Lügen als
-eine solche Grausamkeit. Begriff er's denn nicht, wie nötig sie daheim
-war? Ob er erwartete, daß sie ihm das erklären sollte? Sie konnte doch
-von »dort« mit ihm nicht reden. Ach, warum verstand er sie nicht! War
-denn in der Liebe immer ein Teil Tortur? Konnte man sich nie dehnen und
-alles vergessen? Manche Namen, wie sollte sie die vor ihm aussprechen!
-Vergaß sie doch am liebsten, daß es für sie ein Zuhause gab, jetzt, wo
-dies kleine, hellgetünchte Zimmer ihr Heimat geworden. Aber nun sah sie
-alles deutlich: den armen, jähzornigen Menschen, der es so gar nicht
-verstand, mit anderen auf die Länge auszukommen, die Schwägerinnen,
-zarte, verblühte Mädchen, die auf so viel verzichtet hatten ihm zuliebe
-und auch ihr; und dann war da ihr eigenes Vermögen, es war im Gut
-verbuttert worden während der letzten, schlechten Jahre; Emmo würde es
-herauszahlen, »ihr vor die Füße werfen«, ja, so würde er sagen,
-und dann brach alles zusammen. Das alte, einstöckige Haus, jetzt im
-Spätsommer sah's so wohlwollend aus, wie eine alte Frau, die in der Sonne
-sitzt und in allen Runzelchen lächelt. In den Lindengängen war es so
-still, und im Blumenrondell duftete das Heliotrop einsam in der Sonne. Die
-Blumen kamen dankbar in dem leichten, sandigen Boden; die Zimtnelken in den
-Rabatten, in allen Farben, und Skabiosen, wie große Brombeeren; kleine,
-stahlblaue Schmetterlinge flogen drüber hin in der klaren Septemberluft.
-Am Haus die großen Fuchsienbüsche in den grünen Holzkübeln, sie waren
-der Stolz der alten Frau gewesen. Ach Gott, ja, die Gräber im Park, in den
-Birken ... der Wald fing gleich dahinter an mit seinen riesigen Föhren und
-Ameishaufen. Manchmal saßen Eichkatzen auf den Grabsteinen. Ja, das war
-Emmos Heimat, und auch Freda und Mariagnes waren dort aufgewachsen. Das
-mußten sie doch behalten, den großen Saal oben, wo es so hallte, wo noch
-die Efeulauben standen, in denen die Schwägerinnen ihre Puppenkaffees
-gegeben hatten; Freda von kleinauf kränklich, und Mariagnes? So eine arme,
-verbitterte Hofdamenexistenz, Gradnitz bedeutete ihre ganze Jugend, ihr
-letzter Ehrgeiz, das Spalier, an das sich ihr blasses Wesen anklammerte.
-Nein, nein, es war alles Unsinn; fast wallte Zorn in ihr auf, daß Gerhart
-von dem tiefen Schnitt gesprochen, als sei es denkbar. Nur nicht grausam
-sein, nur das nicht. Nachher kam das Mitleid, diese bohrende Qual, und
-machte alles zunichte.
-
-Aber er -- still und ernsthaft dort am Fenster; und »nicht lügen«
-las sie auf seinem Gesicht. Ja, das war so seine Art. Er vertrug nichts
-Schiefes in sich, ebensowenig wie ein schiefhängendes Bild an der Wand.
-Die Tischdecke mit dem häßlichen Muster hatte er gleich hinausgeworfen,
-als sei's ein Feind. So wollte er auch nichts, das ihm ihrer Seele Bild
-verdarb. Ach, was ging sie ihre Seele an! Da war ja so ein Spruch, von der
-Seele, an der man Schaden nimmt, und wenn man auch die Welt gewönne. Sie
-wollte die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte sie sich
-nicht. Vielleicht hatte sie gar keine. Nur ein Herz, und das tat ihr weh.
-Wie doch die Menschen verschieden liebten. Nicht besser, nicht schlechter,
-nur _verschieden_. Ihr war alles so einerlei. In einem Keller, mitten
-zwischen Kohlen und alten Fässern und Kisten würde sie ihn getroffen
-haben und geküßt und gemeint, es sei das Paradies um sie her! Und ebenso
-würde sie das andere ertragen haben und, wenn's nicht anders ging, auch
-Lug und Trug. Aber er litt darunter, er wollte nichts Blindes, Unreines; so
-oder so, da war kein Mittelweg. Und deshalb mußte er nun fort, mußte ihr
-das antun, daß ihr ganzes Leben auf einmal schwer und grau wurde, viel
-grauer als früher, ehe sie ihn gekannt. Ach, es _konnte_ ihm nicht so weh
-tun wie ihr, sonst blieb er eben, oder er kam bald wieder, oder irgendwas
--- aber so -- auf Niewiedersehen? Nicht so weh? Nein, im selben Augenblick
-bat sie ihm den Gedanken ab: der Ausdruck in seinen Augen ...
-
-Morgen ganz früh ging er wohl, oder schon heute abend. Besser heute abend.
-Wie wär' es auch zu ertragen, noch einmal, zum letztenmal, im Speisezimmer
-zu sitzen, die Kehle voll Tränen, und sich Brot anbieten und die
-Speisekarte weitergeben; das Bild von Wilhelm Tell im Kreise der Seinen,
-über das sie so oft gelacht, an der Wand gegenüber, und das offene
-Fenster mit der Aussicht auf die verglühenden Berge ... wie gräßlich
-alles -- oh, zum Sterben ...
-
-Wie sehr hatte sie dieses Land geliebt, ach, alles darin, an seiner
-Hand. Gleich anfangs, als es noch neu und überraschend war, die Wege
-wie Rätsel, so verlockend; immer höher hätte sie steigen mögen, an
-schwierigen Stellen half er ihr und lachte, und sie wünschte sich heimlich
-viel schwierige Stellen, weil er ihr dann die Hand gab, seine starke, warme
-Hand. Wie wonnig war's, wenn dann nach dem Steigen der Pfad am Berggrat
-eben entlang ging. Man schritt aus, so rasch und gesund, jede Sehne spannte
-sich, jedes Gelenk freute sich, bei jeder Biegung des Wegs war es, als
-trete man auf eine Brüstung mit neuem, verändertem Ausblick. Wie sich die
-Wolken im Tal verfingen, wehende Reitermäntel! Die Herdenglocken läuteten
-durch den Nebel. Durch verwitterte Dörfer kamen sie, so totenstill; die
-Leute alle fort beim Heuen, nur einsame Katzen vor verschlossenen Türen.
-Aber wo immer ein kleiner Platz war, da schattete ein Nußbaum, und
-darunter war der Brunnen -- fließendes Bergwasser, stählern, eiskalt,
-unerschöpflich. Wie frisch und wasserklar war auch ihre Liebe auf diesen
-Wanderungen. Etwas Brüderliches war im Zusammenschreiten, Brudergefühl
-mitten in all der heftigsten Zärtlichkeit; ein Verstehen, als hätte man
-sich von Kind auf gekannt. Ja, sie brauchten einander nichts zu nennen, ein
-Blick, ein Aufleuchten, und die Schönheit dieses geliebten Landes schien
-sich zu weiten, sie zu umfangen und näher zusammen zu drängen mit froher,
-zwingender Gewalt. Oh, du tiefe, himmlische Gesundheit erwiederter Liebe!
-
-Aber einmal hatten sie sich doch gezankt. Damals, beim Photographieren.
-Da war eine Bauernfrau, sie wollte ihre Kinder so schrecklich gern
-photographiert haben, und Meisi stellte sie zusammen, auf den Stufen vor
-der Haustür. Die Mutter band ihnen saubere Schürzen um und flocht
-dem kleinen Mädchen die Zöpfe. Und sie freuten sich so und waren ganz
-verschämt vor Stolz, und Meisi mußte ihnen versprechen, ein Bild zu
-schicken, natürlich nur, wenn sie nicht gewackelt hätten -- und die Frau
-diktierte umständlich Namen und Adresse. Dann aber, als sie weitergegangen
-waren, hatte sie ihm eingestanden, der Film sei ja schon zu Ende gewesen,
-aber sie hätte der Frau doch die Bitte nicht abschlagen können, und
-die Freude hätte sie nun doch gehabt. Da lachte er, aber es hatte ihn
-verdrossen, und er sagte etwas, das sie furchtbar ärgerte.
-
-Doch solcher Streit war bald verflogen. Dazu war alles viel zu schön; das
-Bergwasser, die prickelnde Luft und der Atem der Wiesen, tanzendes Licht
-und tanzende Schatten! Und sie zwei, sie zwei, ganz allein mitten drin!
-
-Blauer Enzian! Hochstengelig, am Waldrand gewachsen! Wenn man hineinsah in
-die Kelche -- wurde man selbst zur Biene, zur wohlig saugenden. Ach, und
-später dann, ein Stübchen, ein weißgetünchtes, dorthin gingen die
-Gedanken, atemlos, und standen still ... da war ein tannener Tisch und der
-Krug mit den scharf gezackten Blüten darauf; wie sie erst ertranken in der
-Dämmerung und später dann, als das Licht brannte, ihr Schatten erwachte
-auf der kahlen, reinen Wand!
-
-An jenem Abend waren sie, nach stundenlanger Wanderung, in dem kleinen
-Gasthaus eingekehrt, das sich mit seiner Front über dem Berghang erhob,
-an dem das verwitterte Dorf hinunter kroch im Zickzack, an steiler,
-gepflasterter Straße entlang: Häuser mit uralten Schindeldächern,
-kleinen Terrassen und blumenbunten Altanen, Brunnen, wo Frauen Salat
-wuschen und Kühe tranken, stöhnend vor Behagen. Am einzigen, ebenen
-Platz lag die Posthalterei und, etwas erhöht, die kleine Kirche mit
-ihrem Gräbergarten, wo die Toten in einer Wildnis von Rosenbüschen
-und Butterblumen, zitterndem Hafer und flatterndem Mohn, beim Klang der
-Posthörner eine frohmütige Ruhestatt hatten.
-
-Aber Meisis Zimmer sah nicht auf das Dorf hinab, ihre Fenster waren auf der
-Rückseite des Hauses. Dort lag eine weite Wiese, die sanft abwärts glitt
-in ein anderes, unsichtbares Tal. Da war alles weiß von wildem Kümmel,
-und wie dann der Mond hinter dem Lärchenwald aufging, glitzerten die
-flachen Dolden wie Rauhreif; man hätte sich gescheut hinauszutreten,
-diesen Zauber, diese Heiligkeit zu durchkreuzen.
-
-Meisi hatte auf der Fensterbrüstung gesessen, er hinter ihr. Daran will
-ich denken, wenn ich nicht aus und ein weiß, wenn mich der Kopf brennt,
-dachte sie, und dann hatte sie sich zurückgelehnt und ihren Kopf in die
-kleine Mulde gelegt, zwischen seiner Schulter und Brust; da lag sich's
-still und sicher, und sein Herzschlag ging stark und ruhig. »Nun bin ich
-ein kleines braunes Haus,« hatte sie gesagt, »und deine Schulter ist die
-Bergwand, und deine Stirn ist der Gipfel, und nun sollst du sagen: Frieden
-über dem kleinen Haus!« Wann war das gewesen? Vier Wochen, nicht mehr?
-Wann hatte sie ihn denn _nicht_ gekannt? War's möglich, als sie ganz klein
-war, mit einem Korallenkettchen und einer seidenen Masche im Haar, da ging
-er schon irgendwo in die Schule, und später dann war er Student, und
-eine Zeitlang lebten sie gar nicht weit voneinander und hatten doch nichts
-voneinander gewußt. Und nun wußte sie nur noch von ihm und er war die
-süße unbegreifliche Gegenwart; das Frühere ... ach, alles vergessen, so
-ewig lang war das her!
-
-Aber nun sollte es aus sein. Nie wollte sie die Berge wiedersehen. Ach, wie
-furchtbar ist das in der Welt; mit dem Alter, muß man da immer mehr Umwege
-machen, immer mehr Stätten meiden? Nein, wie ein Messer ins Herz würde
-alles hier sein, wenn sie's je wieder sähe ... Auch Blumen gab es hier,
-kleine braune Orchideen, die wie schwedische Handschuhe rochen und jetzt
-eben, das Reseda, nach dem Gießen, und das Geräusch des eisernen Rechens
-im Kies ... das war nun alles schon verloren, sie mußte es von sich tun,
-sich nicht festklammern, nein, hergeben, hingeben, rasch, rasch. Sie wollte
-nach Hause reisen gleich, morgen schon, irgendein Vorwand würde sich schon
-finden. Denn Emmo durfte hier nicht her, nicht eine einzige Stunde. Wenn
-sie es nun alles hergeben mußte, die Wege hier, die wollte sie allein mit
-ihm gegangen sein, kein fremder Fuß, kein fremder Fuß ... Was hatte
-er doch gesagt: »Unser Schmerz ist kostbar, niemand soll die Hand dran
-legen.«
-
-Ja, zu Haus würde es noch am besten sein. Pflichten sind ja auch ein
-Schlafmittel. So eine Art Stundenplan wollte sie sich machen, Sophie sollte
-ihr alles einteilen helfen. Morgens der Tee -- schrecklich -- aber es war
-wohl am besten gleich von früh an; dann Emmo bei den Büchern helfen, es
-war alles in Konfusion, und er dachte immer gleich, er würde betrogen.
-Dann war Interview mit dem Vatikan (Herr und Frau Inspektor trugen diesen
-Kollektivnamen), und da war auch zu begütigen, denn der Inspektor war
-brummig und unfehlbar, aber er hatte schließlich doch immer recht, und
-deshalb gerade konnte Emmo ihn nicht leiden. Dann ging sie wohl auch zur
-Gemeindeschwester, die Kinder sangen so blöde Liedchen; es waren ein paar
-dabei, die waren schön, mit langen Augenwimpern, aber sie durfte sich
-ihre Vorliebe für sie nicht merken lassen, denn es waren die Kinder vom
-polnischen Knecht, der immer betrunken war, und die Frau stahl wie
-eine Elster ... Dann nachsehen, ob Freda alles hatte, was sie brauchte,
-Mariagnes war versorgt, sie malte vormittags im Freien; ganz modern, lila
-Ackergäule auf gelben Feldern, eigentlich paßte das gar nicht zu ihr ...
-warum malte sie nicht all die süßen, stillen Blumen -- ganz genau,
-wie sie waren -- meinte Meisi -- etwas Schöneres konnte man doch
-nicht erfinden ... Mittagessen! O Gott, die Unterhaltung! Wie so ein
-ausgeleiertes Dorfkarussell, man sieht denselben schäbigen Schimmel immer
-schon von weitem kommen. Hinterher mußte Freda in der Veranda etabliert
-werden, mit Memoirenliteratur, sie hatte eine Passion für Marie
-Antoinette. Sophie machte den Kaffee mit ihren lieben, dünngearbeiteten
-Händen. Später ausgehen mit Emmo oder fahren mit Mariagnes und Emmo, er
-war bei allem dabei, was war zu machen; wie eine Stubenfliege, die sich
-einem immer wieder auf die Nase setzt -- der arme Kerl. Zum Tee kamen
-Pastors, und der Pastor redete über die Begehrlichkeit der unteren
-Klassen, war dabei aber gutmütig und half ihr mit den Landstreichern, die
-Emmo immer gleich dem Gendarmen ausliefern wollte. Die Pastorin war fein
-und leise, sie sagte immer: »Mein lieber Mann«, aber sie hatte
-ein Grübchen, wenn sie lächelte, wie herübergerettet aus ihrer
-Jungmädchenzeit. Ihr kleines Töchterchen hatte sich so furchtbar
-verbrüht und war gestorben unter entsetzlichen Qualen. Aber Sonntags saß
-sie in der vordersten Bank und sah zur Kanzel auf und hörte all die Worte
-mit blassem, geduldigem Gesicht ... Ob das wirklich ein Trost war? Manchmal
-ging Emmo zum Förster, da brauchte sie nicht mit. Aber allein mochte
-sie nicht sitzen. Sophie sollte kommen, ihr die Haare kämmen, das machte
-schön schläfrig, oder sie wollten kramen, die Sachen der Schwiegermutter
-waren noch immer nicht verteilt. Die Mahagonischränke seufzten beim
-Öffnen, als sei's die alte Frau selbst ... Später am Abend saß man unten
-im Gartensaal ... Nachtmotten schwirrten um die hohe Lampe, und Mariagnes
-öffnete den alten Flügel und spielte das Frühlingslied von Grieg und
-blieb im Mittelsatz stecken. Sie wollte lesen, sich Bücher kommen lassen,
-über Chemie und Volksernährung, was hatte er doch gesagt: »Meine
-Gedankenwelt, die dir fremd ist« -- Ja und dann, nachher ... Sophie sollte
-bei ihr sitzen und von ihrer Kinderzeit erzählen, von der kleinen Stadt in
-Friesland, bis sie einschlief ...
-
-Sie stand auf, sah sich um, fröstelte; und weil ihr die Glieder wie
-tot waren, griff sie nach seinem Arm, um aufzustehen. Der stützte sie,
-selbstverständlich wie immer. Nun standen sie beim Fenster, und die
-Abendsonne kam nur noch leise durch den Laden. Da fühlte sie ein Zittern,
-ein Werben in seinem Arm, und schon küßten sie einander, angstvoll und
-rasch, ohne Ruhe, ohne Lust, wie sich Menschen küssen, wenn das Schiff
-im Sinken ist. Aber in ihr wartete etwas und spannte sich, bis in die
-Fingerspitzen, und wollte gezwungen sein, nicht weil sie ihm recht gab,
-sondern weil sie ihn liebte. Aber da löste er leise die Arme, und sie
-fühlte ihre Lippen grau werden: Er hat mich geküßt, wie man seinen
-Koffer zuschließt.
-
-Da trat sie noch näher ans Fenster und stieß rasch den Laden auf, und der
-letzte Abendglanz strömte herein und mit ihm der Duft und der Dunst der
-Wiesen. Wie im Traum, wie jenseits einer Brücke sah sie zurück auf
-ihn, sah die kleine zuckende Falte am Augenlid, die den Augen so große
-Freundlichkeit verlieh; die sie so sehr geliebt.
-
-Heute nacht würde sie die Herdenglocken noch hören, fein und deutlich, am
-Berghang herauf. Aber er nicht mehr; denn er würde im Nachtzug sitzen und
-in der Frühe schon im heißen, schläfrigen Süden sein. Und was war's,
-das schon jetzt in ihrem Herzen zu nagen begann, leise, unerbittlich? War's
-der Groll, daß er sie nicht zu zwingen vermocht, alles zu lassen, um mit
-ihm zu gehen, das ganze Leben?
-
-
-
-
-Wie es die Kinder erlebten
-
-
-Es hatte damit angefangen, daß Tischler Dominik, der im übrigen auch
-Nachtwächter war und den inneren Menschen der Turmuhr in Ordnung zu halten
-hatte, schließlich doch geholt werden mußte; denn es war unausstehlich
-mit der untersten Schieblade der alten Schreibkommode, immer stellte sie
-sich schief; »wie ein eigensinniger Bock,« sagte die Kleudchen, und
-erst durch angestrengtes Rütteln konnte sie in eine normale Lage
-zurückgebracht werden.
-
-»Und da wir schon einmal dabei sind,« sagte der Meister und starrte
-tiefsinnig über seine Stahlbrille ins Weite, »so woll'n wer auch gleich
-das übrije nachsehn, denn so was is eftersmalen en Familjenfehler.«
-
-Ali und Adallah, die meist für Zwillinge gehalten wurden (es war aber ein
-Jahr Altersunterschied), fanden das ja nun äußerst interessant; denn wenn
-dabei auch nur Frau Kleudchens puritanische Nachtjacken, der »Pharus am
-Meere des Lebens« in verschossenem, violettem Einband, ein kleines Paket
-zusammengeschnürter Briefe und eine Feige aus Marmor -- von Papa vor
-Jahren aus Italien heimgebracht -- zum Vorschein kamen: Sachen von
-Erwachsenen, die so kühl feierlich daliegen, wie in Königsgräbern,
-haben immer etwas Apartes an sich, wenn sie plötzlich hervorkommen an die
-Tageshelle.
-
-Aber nun hatte Dominik nach vielem Suchen in seinem Bund klirrender Haken,
-der ihm etwas angenehm Einbrecherhaftes verlieh, auch noch die schräge
-Klappe geöffnet, auf deren braunpolierten Fläche eine Wildschweinsjagd
-in gelbem Holz zwischen vier Tannenbäumen in grünem Holz dargestellt war.
-Dahinter wurden zwei kleine Fächer sichtbar. Das linke enthielt rostige
-Angelhaken, mehrere längliche Garnröllchen und ein dünnes rotes Buch,
-»Des Anglers Vademekum«. Dominik sah zu der Kleudchen hinüber, sie
-wollte etwas sagen, schloß aber wieder den kleinen, vergrämten Mund.
-Dann zog er auch das andere Schiebfach auf; es hatte sich ein Heft darin
-festgeklemmt. Er reichte es der Kleudchen; sie tat einen Blick hinein:
-»Die Wappensammlung vom jungen Herrn,« sagte sie und drückte das Heft
-wie schützend gegen ihr gestricktes Umschlagetuch. Aber unter dem Hefte
-hatte noch etwas gelegen, eine Photographie, vergilbt und verblaßt.
-
-»Das ist die Frau, die bei Papa im Ankleidezimmer hängt,« sagte Ali.
-Seine Augen sahen alles. Ja, es war das nämliche, weichgerundete Gesicht,
-mit leicht zusammengeknifften Lidern, großem, lächelndem Mund, reichem,
-unglaublich reichem Haar, altmodisch kunstvoll aufgesteckt. Aber hier
-hatte sie ein komisches großkariertes Kleid an und einen kleinen Jungen in
-russischem Kittel auf dem Schoß.
-
-»Dah,« sagte Adallah, der oben in der Nase etwas hatte, das demnächst
-operiert werden sollte, »das is Vate's este Fau, abe weh is de Junge?«
-
-»Ihr müßt Mama fragen,« sagte die Kleudchen. Es war dieselbe Abwehr,
-die sie gebrauchte, wenn Adallah allzu genaue Auskunft über gewisse
-naturgeschichtliche Vorgänge von ihr verlangte.
-
-Die Kleudchen hatte jetzt einen roten Fleck auf der Wange und
-telegraphierte mit den Augen. Tischler Dominik gab Ali das Handwerkszeug
-zu tragen und hielt Adallah seine kurze, breite Hand mit dem gespaltenen
-Daumennagel hin: »Nu kommt, Junkerkens,« sagte er einladend, »nu woll'n
-wer'n Leimtopf heißmachen;« und die Aussicht auf eine gemütliche,
-übelriechende Mantscherei ließ für diesmal alle anderen Spekulationen
-erblassen. Und Mama fragen? Ach, das war ja nicht möglich. Fragen konnte
-man Kleudchen oder den Kuhknecht oder Fritz Dralle (Dralle =sen.= war schon
-weniger ratsam), und allenfalls Papa, wenn er sehr guter Laune war; aber
-Mama? Nein, Mama antwortete man, aber fragen, das ging nicht.
-
-Doch es kamen Wiederholungen, allerhand kleine Begebenheiten, die
-auf denselben Punkt zu deuten schienen und sich allmählich zu etwas
-Nebelhaftem verdichteten, von dem die Kinder nicht recht wußten, war es
-Erinnerung an Dinge, die sie schon erlebt hatten, oder Ahnung von etwas,
-das erst kommen sollte: Papa und Mama redeten zusammen, leise und
-erregt, Mamas große Augen wurden dunkel, so als sagten sie »Mut« oder
-»Rechtschaffenheit«; aber sie brach ab, wenn die Kinder ins Zimmer
-traten, und der Blick wurde wieder durchsichtig wie ein geschlossenes
-Fenster. Oder Papa trat plötzlich aus dem unbewohnten Zimmer auf halber
-Treppe, stand, als sähe er nichts, in der schrägen Nachmittagssonne, wo
-es nach Holz roch und nach Kleudchens Vesperkaffee; er, den man sonst
-nur in einer ganz besonderen Luft von Zigaretten und Juchten kannte, im
-Dämmerlicht auf dem Ledersofa ausgestreckt, wo über ihm die Rennpreise,
-die Pokale und silbernen Reitpeitschen aufblitzten, wenn ein Sonnenstrahl
-durch die Läden drang. Papa hatte rote Augen gehabt und zuerst gar nichts
-verstanden, als Ali, die Gelegenheit wahrnehmend, ihn anpiepste: »Ach,
-Papa, Dralle will das Gefleckte versäufen, weil es ein Weibchen ist, und
-es ist doch so wunderschön« -- und Adallah eine Terz höher einstimmte:
-»Ach, nur nicht das Gefleckte, Väterchen, abe das Baune auch nicht!«
-
-Wenn Tante Brunislawa und die Kleudchen beisammen saßen, war ein Gewisper
-und Geseufz; beinahe wie schuldbewußt sahen sie sich um, oder als stünde
-eine Tür ins Dunkle hinter ihnen offen. Tante Brunislawa schien noch
-öfters als sonst mit ihrem Orenburger Schal an allen Türklinken hängen
-zu bleiben, um dann, wenn man sie losgeheddert hatte, ganz verschüchtert
-weiterzuflattern wie eine wunde Schwalbe. War das auch immer so gewesen,
-dies Nach-der-Uhr-sehen, wenn die Postzeit nahte, dieser rasche Blick ins
-Vorzimmer, wo doch nur Papas Zeitungen lagen, oder Rechnungen in blauen
-und grauen Umschlägen, selten nur ein Brief? Und die Stühle und Sessel im
-Wohnzimmer, wenn die Großen weggegangen waren und man kam auf Fußspitzen
-zurück, um den kleinen Zinnjäger zu suchen, der unters Sofa gefallen
-war: standen die sonst auch so kurios zusammen, wie Verschwörer, die
-unterbrochen wurden in heimlichen Gesprächen?
-
-Dazwischen schwand den Kindern wohl tage- und wochenlang dies ungewohnte
-Gefühl, als ob »etwas vorginge«; Papa hatte wirklich das Gefleckte
-begnadigt, und es war, nebst seinem Brüderchen, dem Braunen, zur Sonne
-geworden, um die sich der Knaben Leben drehte, das ja trotz Vater und
-Mutter, trotz der freundlich flatternden Tante Brunislawa und der treuen
-Kleudchen ein seltsam verschwiegenes, heimliches Leben war.
-
-Mama! Ja -- das war viel eiskaltes Wasser in der Frühe und harte Bettchen
-zur Nacht, und beileibe kein Nachtlicht und absolutes, strengstes Verbot,
-das Gefleckte nach oben zu nehmen. Mama war Morgenandacht mit einem
-Hintergrund von Kaffeegeruch und weißen, raschelnden Schürzen, aber nicht
-Abendgebet; letzteres gehörte zu Kleudchens Departement, die sich wie die
-Fledermäuse, denen sie ähnlich sah, mehr in den Dämmerstunden bemerkbar
-machte. Mama bedeutete ferner für Ali Kerbelsuppe und für Adallah
-Apfelreis, beides so über alle Maßen gräßlich, und da war kein
-Entrinnen. Aber Mama bedeutete auch Dinge, die fein waren, wo man sich
-selber fein werden fühlte, wie die dünne, schwingende Gerte in der Hand,
-wenn man aufs Pferd geklettert war und sich zuerst nur festklammerte,
-so gut es ging, denn das einzige, was man absolut nicht durfte, war
-herunterfallen, und dann allmählich, beim Traben, seine Muskeln und
-Gedanken zusammenfand, sich aufreckte und ins Lot kam. Mama sagte: »So
-ist's besser,« wenn man an ihr vorüberkam, dann mußte Dralle die Longe
-weglassen und später noch ritt man mit Mama querfeldein, und das war
-ehrenvoll, aber beileibe nichts zum Lachen. Nur dies Gefühl, als würde
-man feiner und biegsamer und härter dabei, das wuchs und war sonderbar
-ausfüllend und aufregend; man konnte an nichts anderes denken. Überall
-ging's so her, wo Mama dabei war, so mit angespannten Sehnen bis aufs
-letzte Haarbreit; aber doch immer, als dürfe man dabei nicht verweilen,
-als käme viel anderes nach, das noch zu bewältigen sei. Auch wenn Mama
-einen küßte, war das so, hoch oben auf die Stirn, in die Haarwurzeln
-hinein, ganz rasch, wie ein Stoß, und dann weg und was anderes. Neulich
-hatte Ali gezuckt, als der kleine Fuchs beim Striegeln auskeilte. »Ich
-glaube gar, der Junge hat Angst,« sagte Mama, und in ihre Augen kam der
-blaue Funken, der zurücksprang zu den alten, vertriebenen Sachsengöttern,
-die an Pferdeopfern Freude hatten ...
-
-In solch straff gehaltenen Kinderexistenzen entwickelt sich
-Geschwisterliebe nachdrücklicher, wie das Zusammenhalten junger
-Pflanzungen an exponierten Stellen. Ali und Adallah brachten es fertig,
-in ihrem fest eingeteilten Dasein Augenblicke berauschender Opposition zu
-erhaschen, und das ganz absichtslos, denn sie waren gutartige Kinder und,
-ihrem Vater ähnlicher als ihrer Mutter, nervös und rasch aufflammend,
-aber ohne die nötige Ausdauer für ein richtiges Verschwörertum. Mama
-war ungemütlich, wenn auch durchaus nicht unheimlich, denn es gab bei ihr
-keine Überraschungen; hingegen mußte man Papa nur aus dem Wege gehen,
-wenn er gerade seinen Nervenschmerz hatte, sonst aber nahm er für die
-Unterdrückten Partei, konnte einen allerdings im kritischen Augenblick
-unerwartet im Stich lassen. So schlossen sie sich ohne Verabredung eng
-aneinander; sie waren zu klein und zu unklar, um sich über das, was sie
-peinigte, miteinander auszusprechen. Winzige Igel im Nest, alles noch weich
-und verwundbar; ein Rascheln, ein Lufthauch, der Witterung bringt fremder,
-feindlicher Dinge, und sie liegen da, zusammengerollt, mit allen zarten
-Stacheln in der Abwehr, und fühlen, es gibt etwas Schmerzliches, Grausames
-irgendwo, das auch sie in ihrem Schlupfwinkel eines Tages aufspüren wird.
-
-Wie gräßlich zum Beispiel waren doch die Schlachttage! Die kaltblütigen
-Vorbereitungen am Abend vorher, die armen Verurteilten, die ahnungslos --
-wer weiß? -- ihre Henkersmahlzeit verzehrten, die Gänse und Enten, die
-Schweine und, was am schauderhaftesten war, das Kalb! Dieses wurde zwar
-nicht auf dem Gutshof gemördert, aber in aller Frühe, wie aus blutigem
-Nebelgrau hervor, kam ein gräßlicher Mann mit rotem Gesicht, mit
-rotbesudelter Schürze; das Kälbchen mußte heraus, ganz dumm und warm
-und verschlafen, in die kalte, beißende Luft, es stemmte sich, es
-wollte nicht, seine Augen waren voll Entsetzen, es hörte seiner Mutter
-ängstliches Muh. Aber es wurde am Strick fortgezerrt, über die hölzerne
-Brücke, wo seine armen, unbeholfenen Füße polterten. Hatte es nicht
-etwas Revoltierendes, wenn bald darauf die Frühstücksglocke die
-Hausbewohner versammelte und Mama die Morgenandacht hielt? »Also hat
-Gott die Welt geliebt,« las sie. Und derweil wurde das Kälbchen auf der
-Landstraße fortgezerrt, der böse Mann fluchte, es bekam einen Tritt, wenn
-es stehen blieb. Mama dankte für Gottes Hut in der vergangenen Nacht ...
-Ach, die arme Kuh in dem dunkeln, feuchtwarmen Stall; das Kälbchen war
-ihre einzige Freude gewesen; wenn sie es leckte bekamen ihre großen
-düsteren Augen blaue Lichter, ihre Weichen schauderten glückselig, wenn
-das Junge nach dem Euter suchte, es hochstieß beim Saugen. Nun brüllte
-sie, gedehnt, in regelmäßigen Absätzen, man konnte zählen dazwischen.
-Und das würde noch tagelang dauern, sagte der Knecht.
-
-Aber Mama war doch sehr gut dabei. Zu allen Kranken wurde sie geholt, wenn
-es was Ernstes war; sie wußte, was nötig war, und tat alles, ruhig und
-tröstend. Manchmal wachte sie viele Nächte durch bei den Kranken. Und
-wie Fritz Dralle in die Häckselmaschine geraten war, hielt sie seinen
-Arm, während er so entsetzlich stöhnte und Doktor Moldenhauer nähte.
-Sie selbst aber war nie krank. Qualvolles Kopfweh, ja, dann zuckte es im
-Augenlid und in der Schläfe ging's wie ein Hammer, da, wo die blauen
-Adern sind; aber sie gab nicht nach, immer zur Stelle, sommers um sechs
-und winters um sieben. Tante Brunislawa, welche die Cousine der ersten Frau
-war, fuhr schuldbewußt zusammen, wenn Mama sie bei ihren ewigen Patiencen
-ertappte. Und doch sagte Mama nie ein Wort und half Kleudchen mit ihrer
-endlosen Flickarbeit. In Tante Brunislawas Zimmer waren Heiligenbilder,
-goldene mit Schlitzaugen, und weiße mit blauen Mänteln, auf kleinen
-Postamenten; Tante kniete davor und sah zu ihnen auf, mit braunen,
-kurzsichtigen Augen wie Samtpensées. Wo es doch heißt: Du sollst dir kein
-Bildnis machen und keinerlei Gleichnis, dachte Ali. Aber nie sagte Mama
-etwas, eher noch Papa, der Witze machte über Beichtväter und dergleichen.
-Mama _kämpfte_ sogar für Tante um die Kutschpferde, wenn Tante zum Ablaß
-fahren wollte, gar jetzt, wo man sie doch so nötig brauchte, um Wasser zu
-fahren ...
-
-Ali und Adallah mußten sich in Selbstkasteiung üben. Ihre Anzüge und
-Schuhwerk wurden von Dorfkünstlern angefertigt; die Hemden aus grobem
-Leinen scheuerten fürchterlich, solange sie neu waren, auch war ihnen
-nahegelegt worden, den Zucker im Milchkaffee zu sparen zugunsten der
-Stadtmission oder als Beitrag zur Weihnachtsbescherung im Armenhaus.
-Seitdem tranken sie ihren Kaffee ohne Zucker, hatten sich seiner so
-entwöhnt, daß es sie keine Überwindung kostete, aber sie spürten auch
-weiter keine Freude an ihrem Opfer; vielleicht waren ja auch Opfer nicht
-dazu da.
-
-Alle Donnerstag kam Herr Doktor Löschwitz zum Kaffee. Dies war die
-schlimmste Prüfung; denn weil sie nur einmal wöchentlich stattfand,
-konnte man sich nicht dagegen abstumpfen. Herr Doktor Löschwitz war ein
-gestrandeter, nicht mehr junger Philologe, der vor Jahren Papa durchs
-Abitur gelotst hatte; nun bekam er Kost und Wohnung, zwei Stübchen im
-Seitengebäude, mit dem Blick auf den Hühnerhof. Herr Doktor Löschwitz
-trug eine Art Respirator aus schwarzem Taft über der Nase befestigt, fast
-wie eine kleine Maske; darunter war etwas Schreckliches, das für Herrn
-Doktor Löschwitz den Tod bedeutete; man konnte es ahnen, denn die
-Entzündung hatte schon Wangen und Oberlippe ergriffen. Ali gewann es über
-sich, hinzusehen, er konnte ganz steinern werden, wenn er sich so Gewalt
-antat; aber Adallah wurde rot und blaß und senkte die Augen, sobald nur
-Doktor Löschwitzens Schritt im Flur ertönte. »Albrecht und Adelbert,
-gebt Herrn Doktor Löschwitz die Hand,« sagte Mama, die es gewiß fertig
-gebracht hätte, den armen Lazarus aus dem Gleichnis zu küssen. In aller
-Stille dachte Adallah, das Schicksal zu beschwören. Am Mittwoch schon
-überkam ihn das Grauen; er stand nachts auf, fröstelnd in seinem kurzen
-Hemd stand er auf der Diele und horchte auf die Turmuhr. Wenn er eine ganze
-Stunde reglos ausharrte und immer an das nämliche dachte, würde Doktor
-Löschwitz irgendeine kleine unschädliche Krankheit bekommen, so daß er
-morgen absagen mußte. Aber das Zaubermittel versagte, während es doch
-damals bei dem Kalbe so wunderbar geholfen hatte, und da hatte er doch um
-etwas viel Durchgreifenderes gebetet. Das Kalb hatte etwas mit dem Bein. Es
-lag stöhnend im Stroh, und Adallah hörte den Inspektor zum Knecht sagen,
-es solle den nächsten Morgen geschlachtet werden. Da hatte er denn die
-halbe Nacht auf der kalten Diele gekniet; und wirklich, es half, das Kalb
-war in der Nacht von selbst gestorben, ganz still. O lieber, lieber Gott,
-nein, aber du bist doch wirklich gut, dachte Adallah, als er's erfuhr; als
-müsse er Gott Abbitte leisten für voreilige, abfällige Urteile.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Es war ein glühender, regenloser Sommer, wie es hier die Regel war, aber
-so wie dieses Jahr doch seit langer Zeit nicht. Schon im Mai hatte die
-Dürre eingesetzt, und jetzt war alles verbrannt. Das Akazienlaub hing gelb
-und tot von den Stengeln, die Linden waren auf der Windseite wie versengt.
-Alles schlich matt einher, der Inspektor wie ein schwarzes Gewölk.
-Papa, der, schon ganz elend von all den Hiobsposten, richtig auch
-seinen Nervenschmerz bekommen hatte, ging mit Kölnischwasser und einem
-Zerstäuber durch die Stuben und spritzte die Gardinen an. Tante Brunislawa
-sagte: »Gott, bester Thilo, wenn du doch Patience lernen würdest,
-das beruhigt und die Zeit geht so schön vorbei.« -- »Ja, und die
-Gehirnerweichung tritt ein,« knurrte Papa. Mama schwieg mit hochgezogenen
-Brauen, aber in der Schläfe ging der kleine Hammer.
-
-Pastor Gordon hatte am Vormittag Unterricht gegeben: Kopfrechnen und
-Geographie und natürlich auch Religion; an Alis Horizont machte sich
-außerdem das Lateinische unangenehm bemerkbar.
-
-Mama saß im Vorplatz, der mit Strohmatten, Korbmöbeln und undeutlichen
-Aquarellen an den Wänden als Gartensaal gedacht war; winters über standen
-hier auch die Oleander und Geranien in ihren grünen Kübeln. Sie half der
-Kleudchen beim Erbsenauspahlen; es war die höchste Zeit mit dem Einmachen,
-sie fingen schon an runzlig zu werden. Adallah hätte gern geholfen, er
-liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen, der Küchenjunge im
-Märchen erregte stets seinen unverfälschten Neid; aber nun sollte er
-schon wieder hinaus, und nicht etwa in den Stall zum Gefleckten, das seit
-einigen Tagen wässerige Äugelchen geöffnet hatte und bedeutend klüger
-zu werden versprach als das Braune, sondern ans andere Ende vom Dorf, mit
-einem Paket für die alte Schröder, die doch bloß ächzte und krächzte
-und keine Ruhe ließ, bis man eins von ihren unappetitlichen Malzbonbons
-nahm. So trollte er mißvergnügt von dannen.
-
-Die Erbsen fielen hart wie kleine Kugeln in die Schüssel. Mama blickte
-auf zum Gatten, der in einem Korbsessel lag und sich mit der schmalen,
-sensitiven van-Dyk-Hand ab und zu nervös durchs Haar fuhr, dies allzu
-krause Haar, das die Gerüchte, die über den Stammbaum seiner Großmutter
-umliefen, zu rechtfertigen schien.
-
-»Gordon ist mit den Fortschritten der Kinder nicht recht zufrieden,«
-sagte sie.
-
-»Gott, die armen Bengels« -- der Gatte zuckte übers ganze Gesicht,
-die Fliegen waren heute geradezu ekelhaft -- »bei dieser Hitze auch noch
-lernen! Und dann so langweilig, immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur.
-In der Schule kann man sich doch mal durchschwindeln, und schließlich,
-wenn man kein absolutes Kamel ist, lernt man ja doch das Nötige. Eine
-Schule wäre viel besser für die Jungens.«
-
-»Aber das läßt sich jetzt doch nicht einrichten, Thilo, wo's mit den
-Pferden so knapp ist -- allenfalls hinradeln könnten sie, aber zweimal des
-Tags all die Kilometer -- dazu sind sie doch noch sehr klein ...«
-
-»Ach, so meine ich's nicht, das weißt du ganz gut; Kadettenhaus oder
-Ritterakademie, das ist das einzig wahre für ein paar ordentliche
-Jungens.«
-
-»Die Erfahrungen, die du _damit_ gemacht hast, dürften doch wohl
-genügen.«
-
-Der Gatte murmelte etwas, das wie »Duckmäuserei« klang, und die
-Kleudchen, die, obwohl ganz zur Familie gerechnet, genau wußte, wann sie
-lieber nicht gegenwärtig war, wollte taktvoll mit ihrer Erbsenschüssel
-verschwinden. Er flog ihr nach und öffnete mit gewohnter Ritterlichkeit
-die Türe für sie. Mit seinem etwas zu tief ausgehöhltem Kreuz und der
-geschmeidigen Gebärde erinnerte er an jene tadellos ajustierten Bereiter,
-die im Zirkus zu beiden Seiten des Eingangs stehen und der lächelnden Dame
-im Flitterröckchen mit federnder Eleganz aufs Pferd helfen, die Reitgerte
-überreichen ...
-
-Seine Frau blinzelte an ihm vorbei, auf die hellgetünchte Wand gegenüber:
-»Ich glaube nicht, daß Kinder, deren Selbstbeherrschung täglich geübt
-wird, zu Duckmäusern werden,« sagte sie. »Mein Blut neigt überhaupt
-nicht dazu.« Ihre Stimme bebte, aber sie sammelte ruhig die leeren Schoten
-in ihrem Schoß zusammen und legte sie in den Korb. Dann band sie ihre
-große Hausschürze ab und begann sie zu falten: »Ich habe von Anfang an
-auf Abhärtung, auch in Gefühlssachen, geachtet. Du hast dich nie gefragt,
-ob mich das nicht selber hart ankam. Aber es erschien mir das wichtigste,
-viel wichtiger als alles, was man aus Büchern lernt. Überhaupt meine ich,
-wie einer lernt, ist mehr wert, als was einer lernt. Jedenfalls bild' ich's
-mir ein, und darum muß ich danach handeln. Sonst verlange ich nichts
-für die Kinder. Es sind gute Jungens, nicht unbegabt, aber nichts
-Außergewöhnliches. Vielleicht wären sie besser dran, wenn sie
-Holzpantinen trügen, und so mancher Firlefanz, der ihnen einmal noch das
-Herz schwer machen wird, träte gar nicht erst an sie heran.«
-
-Sie war aufgestanden und hatte vor sich niedergesehen, mechanisch die
-Schürze immer schmaler zusammenlegend; nun blickte sie auf; ihre Augen
-waren warmdunkel geworden und der Klang der Stimme paßte zu den Augen:
-»Eins aber,« sagte sie, »sollen die Kinder haben, ihr Leben soll auf
-klarer Bahn beginnen, sie sollen mit harten Sehnen losgehen und an Wahrheit
-gewöhnt sein; damit, wenn je die Stunde für sie käme, wo es schwer ist,
-sich zur Wahrheit zu bekennen, sie auch dann ... nicht anders könnten. Was
-sie an Hindernissen auf ihrem Weg finden werden, das verfügt unser Herr
-und Gott, was von außen kommt, liegt nicht in unserer Macht. Wir können
-nur den Willen bereiten. Das müssen wir. Denn ich meine, das _ganz_
-Furchtbare, das, was nicht heil zu machen geht, ist, wenn der Hahn kräht
-und einer einsieht, daß er seinen Mann nicht gestanden hat. Erkennen, was
-die Hauptsache ist und was die Nebendinge sind, ja, wer das hat, was kann
-ihm schaden, wer kann ihn besiegen? ...«
-
-Dem Gatten waren solche Aussprachen -- die meistens als Monologe
-verliefen --, wenn seine Frau ihr Veledagesicht aufsetzte und das Gesetz
-verkündete, geradezu fürchterlich. Es fiel ihm ja gar nicht ein, gegen
-ihren Wunsch Entscheidungen zu treffen; man konnte aber doch wohl seine
-Ansicht sagen. Zum Glück kamen derartige Explosionen selten vor; für
-gewöhnlich war Gerta sehr zurückhaltend. Aber er fühlte immer etwas
-durch: Mißtrauen von vornherein und einen kindischen Eigensinn in Dingen,
-über die er kein Wort verlor. Gouvernantenhaft, das drückte es am besten
-aus. Seit der albernen Freundschaft mit den überspannten Livländerinnen
-wurde es immer ärger. Er war gewiß für Religion; mein Gott, wohin
-geriet man auch sonst, schon allein der unteren Klassen halber war sie ganz
-unentbehrlich. Und eine Frau ohne Religion war ja ganz wider die Natur.
-Aber diese Hyperfrommen hatten etwas direkt Aufwieglerisches an sich -- sie
-konnten reden wie die rötesten Sozialdemokraten, geradezu bedenklich;
-und taktlos waren sie auch alle, weil in ihren Augen der höhere Zweck
-die ärgsten moralischen Anrempeleien rechtfertigte -- ja, sogar wenn sie
-schwiegen, brachten sie's fertig, rechthaberisch zu sein.
-
-Er stand auf und sagte: »Wir wollen uns doch nicht über Grundsätze und
-dergleichen ereifern; dazu ist es heute viel zu warm. Jedenfalls, ich bin
-wie eine tote Fliege und gänzlich kampfunfähig. Meine Ansicht in der
-Sache, die uns vor allen andern beschäftigt, kennst du. Möglichste
-Schonung nach allen Seiten. Auch gegen uns selbst. Auch gegen die
-konventionellen Hühneraugen unserer Nachbarn und Standesgenossen. Man lebt
-eben nicht auf einer Robinsoninsel, nur mit einem Lama und einem Papagei.
-Aber die Zeit ist der beste Alliierte, und die Menschen vergessen nur zu
-gern, wenn sie dadurch einer Unbehaglichkeit aus dem Wege gehen können. In
-einigen Jahren kann man das Gras mähen, das darüber gewachsen ist.«
-
-»Ja, in Dingen der Weltklugheit rede ich nicht mit, das liegt mir nicht.
-Hier im Haus aber, wozu das Versteckspiel? Ich will Freud und Leid tragen,
-ohne Scham, wo ich doch keine empfinde. Warum auch, es liegt ja alles so
-einfach. Man macht so oft die Dinge kompliziert, bloß aus Furcht. Und
-ich hasse die Furcht. Es ist etwas Fremdes, es soll nicht an uns heran. O
-Thilo, du _mußt_ mir ja recht geben. Sollen wir denn erröten, wenn das
-Evangelium vom verlorenen Sohn gelesen wird? Was ist uns das Geschwätz von
-Nachbarn und Standesgenossen? Nicht mehr als der Rauch deiner Zigarette.
-Denk an die großen Jagdrennen, früher, oh, wie stolz war ich auf dich,
-Thilo. Immer der erste, kein Gedanken an Gefahr. Willst du dich vor dem
-Gerede mehr fürchten als vor dem irischen Wall in Iffezheim?«
-
-In ihre Augen war feuchter Glanz gekommen, ihre Farbe kam und ging. Ganz
-jung sah sie wieder aus, wie damals ... Schumanns »Widmung« fiel ihm
-plötzlich ein, die sein Vetter Landrat -- Theo mit den Lakritzenaugen --
-am Polterabend hinter der kleinen Bühne gesungen hatte; er hörte noch
-die gaumige Baritonstimme, die ihn damals tief gerührt hatte: »Mein guter
-Geist, mein beßres Ich!« Und an den Tag in Iffezheim hatten ihre Worte
-gemahnt. Eine rasche, heiße Welle des Erinnerns ging ihm durchs Blut.
-Wie sie dort auf einem schmalen Brett gestanden hatte, hochgereckt, in
-dem weißen Sommerkleid, das der Wind fest zurückblies um ihre feinen,
-mädchenhaften Glieder, den Hut etwas nach hinten geschoben, das Haar
-verwirrt um die leuchtende Stirn, und ihre großen reinen Augen so
-strahlend und voll Vertrauen auf seinen Sieg, sie, die in ihrer Unschuld
-doch schließlich auf das Körperliche hereingefallen war und dem
-stählernen, furchtlosen Reiter auch Seelenstärke und Unabhängigkeit
-des Denkens angedichtet hatte; warum eigentlich? Weil er einen geraden,
-guttrainierten Körper besaß und eine gewisse Art physischer Furcht nicht
-kannte? Jugend, Jugend! Von ihrem Glauben getragen war er sich schließlich
-selbst wie ein famoser Kerl vorgekommen, auserwählt, dieses scheue und
-doch unendlich aufrichtige Geschöpf an sich zu fesseln ... Er seufzte
-auf und küßte, sich plötzlich vorbeugend, ihre herabhängende Hand. Der
-Schmerz zog wieder so elend in seinem Genickwirbel. Da stand er auf und
-ging in sein halbdunkles Zimmer zurück, wo auf dem Schreibtisch so viel
-angesammelte, aufgeschobene Arbeit wartete.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Das war am Dienstag gewesen, Mittwoch kam, nicht heißer, das war nicht
-möglich, aber noch bleierner, schon seit dem frühen Morgen. Die Pferde
-fuhren mit großen Tonnen zum See hinunter, es sollte heute wieder im
-Gemüsegarten gegossen werden; Park und Blumen mußte man ihrem Schicksal
-überlassen, da war für diesmal nichts mehr zu machen, die Fliederbüsche
-standen grau und matt und an den Wegrändern häuften sich ihre
-zusammengerollten Blätter, die braunen Grasflächen dehnten sich wie
-schäbige Löwenfelle, und auch die Linden auf der Terrasse ließen
-runzlige Blätter niedersinken; wär' es nicht so furchtbar heiß gewesen,
-es hätte Oktober sein können.
-
-Papa saß unter den Platanen, gerade oberhalb der Wiesen, die sich bis
-zum See erstreckten. Er wurde stets sentimental, wenn er von diesem etwas
-erhöhten Platz die Landschaft überblickte.
-
-»Hier will ich einmal ruhen, unter einem schlichten Stein,« sagte er, und
-seine Stimme bebte ein wenig bei dieser Vorstellung; er legte wie segnend
-die Hand auf Alis kleinen, frischgeschorenen Kopf (Ali wünschte sich in
-solchen pathetischen Momenten klaftertief unter die Erde, das Erhabene lag
-ihm nicht), »das ist das rechte Grab für einen ehrlichen Reitersmann.«
-Papas Augen blickten verschwommen. Nachdem die Post am Vormittag gekommen
-war, war's mit den Nerven ganz bös geworden, da hatte wieder das winzige
-Spritzchen helfen müssen. Ali war gerade dazugekommen. »Sage nichts an
-Mama,« flüsterte Papa und sah sich etwas schuldbewußt um, »du weißt
-ja, wie gut sie ist; sie macht sich dann immer gleich Sorgen. Aber bei dem
-verdammten Bohren ist es nun mal das einzige ...«
-
-Der Himmel über dem See war blauschwarz; er schien sich immer tiefer
-zu senken, der große Roggenschlag jenseits leuchtete fahl, unheimlich
-deutlich unter dem finsteren Gewölk. Papas Hand lag noch immer schwer
-auf Alis braunem Maulwurfsfell. Nun kam der Knecht mit den letzten Tonnen.
-»Heut nacht wird's losgehen, Herr Rittmeister,« sagte er und legte
-militärisch grüßend die Finger an die alte, verfärbte Soldatenmütze.
-Die Räder ächzten, aber das hartgebrannte Wiesenland gab kaum nach unter
-der Last ...
-
-Auf der Terrasse vor der Haustür stand Mama in ihrem leinenen Reitkleid;
-sie hatte eben noch mal nach dem Vorwerk reiten wollen, um die neue
-Mamsell zu beraten: da war eben das Telegramm gekommen. Mit ihrem
-glatt zurückgestrichenen Haar unter der Mütze glich sie einem lang
-aufgeschossenen Jungen, wie sie da an der Rampe lehnte, die Hände in den
-Jackentaschen, der Fuß ungeduldig tappend. Sie händigte ihrem Mann das
-Telegramm ein.
-
-»Der Bote wartet.«
-
-»Mein Gott, warum hast du nicht aufgemacht?«
-
-»Bitte, es ist an dich adressiert,« sagte Mama, die in solchen Dingen
-äußerst empfindlich war; Tante Brunislawas naiv gründliche Art,
-Ansichtspostkarten zu studieren, die nicht an sie gerichtet waren, konnte
-ihr Gänsehaut verursachen.
-
-»Heute, acht Uhr zwanzig,« las Papa leise. Das Blut war ihm zu Kopf
-geschossen. »Laß Dralle rufen, bitte,« sagte er, schon an seiner Tür im
-Erdgeschoß.
-
-»Ich gehe selbst.«
-
-Mama ging hinaus in die bleierne Glut.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Dralle saß in Hemdärmeln und gestreifter Weste auf der Bank vor der
-Sattelkammer und vesperte. »Dralle,« sagte die gnädige Frau, »Sie
-möchten zum Herrn kommen, er braucht Sie heut abend zur Bahn.« Die Hände
-am Gürtel stand sie vor ihm, ganz blaß in der flimmernden Luft. Reglos,
-aber doch bebte alles an ihr. Wäre sie ein junges nervöses Pferd gewesen,
-so hätte der Alte gewußt, was zu tun; mit seiner breiten, ruhigen Hand
-und tiefen Brummstimme verstand er's, allem, was in seine Obhut kam, Ruhe
-und Vertrauen einzuflößen. So aber fuhr er in die Höhe und stand still:
-»Zu Befehl! ...« Aber in seine Augen unter den schräghängenden Lidern
-war der wachsame Hundeblick gekommen, den sie kannte, und der tat ihr wohl.
-Denn der Alte war aus ihrer Heimat, dort im Lüneburgschen, wo die
-Menschen so herrlich mundfaul waren; als sie heiratete, war er, ganz
-selbstverständlich, mitgekommen, der sie als Kind schon reiten und fahren
-gelehrt hatte und wie man sein Pferd selber putzt und sattelt. Zwischen
-ihnen waren nie viel Worte nötig gewesen.
-
-»Ich wollte Ihnen längst schon sagen, Dralle,« fuhr sie etwas unsicher
-fort, und das zuckende Grübchen in der Wange kam und ging, »wie dankbar
-ich Ihnen bin, daß jetzt alles in den Ställen so ruhig und ordentlich
-zugeht, zumal mit den neuen Leuten.« Dann wandte sie sich zum Stall.
-Dorthin ging sie so manchesmal.
-
-Drinnen waren die Fenster verhängt; alles kühl dämmerig und totenstill,
-die Stände leer, die Pferde noch auf dem Felde. In einer Ecke, neben der
-Haferkiste, krochen Erdas Kinder, das Braune und das Gefleckte, auf weichen
-Gummibeinchen im Stroh. Sie stießen flehende Tönchen aus, wie sie Gerda
-kommen sahen, und blickten zu ihr auf mit dem tieftraurigen Blick und den
-sorgenschweren Stirnen, die jungen Hühnerhunden eigen sind. »Ihr Armen,«
-sagte sie, von Mitleid plötzlich überfallen; so etwas Junges, Wehrloses;
-ganz hoffnungslose Augen machten sie ...
-
-Weiter zurück wieherte es leise. Das war Thilos altes Rennpferd, Cara, die
-schon mehrere wertvolle Fohlen gebracht hatte und dort, etwas entfernt von
-den robusteren Stallgenossen, das abgesonderte Dasein einer entthronten
-Königin führte. Feingefesselt, blank und seidig wie reife Edelkastanien
-stand sie in der Box und hatte den schönen, kleinen Kopf über die Wand
-gelegt. »Cara,« sagte die Frau und öffnete, und schon fühlte sie die
-warmen Nüstern an ihrer Wange. Ein Sonnenstrahl schlüpfte herein, die
-großen Pferdeaugen glühten wild und zärtlich auf. Sie stellte sich dicht
-an die alte Mutterstute und drückte das Gesicht in die warme Höhlung
-zwischen Schulter und Hals, wo das Netzwerk der Adern schauerte. Ihr war,
-als stünde sie an eine Schwester gelehnt, die verzaubert war und nicht
-reden konnte, aber alles verstand; alles was kühn und heiß und traurig
-ihr Herz aufrauschen ließ und plötzlich ihren Blick verdunkelte.
-
-»Du und ich, Cara, du und ich --« sagte sie und wußte nicht, daß sie
-gesprochen hatte. Und dann mußte sie gehen, und die alte Cara legte wieder
-den Kopf über die Wand und sah ihr nach, diesmal ohne zu wiehern ...
-
- * * * * *
-
-Die Kinder hatten noch Aufgaben für morgen. Aber sie blieben in dem
-langen, hellen Gang stehen, an dessen äußerstem Ende sich ein hohes
-Fenster nach dem Park zu auftat. Heute waren die weißen Vorhänge
-zugezogen, es herrschte ein totes, weißes Licht; es war ganz still, nicht
-einmal eine Wespe summte. Wie auf dem Meeresgrund, dachte Ali. Er hatte zu
-Weihnachten ein Buch bekommen mit Bildern von Korallen und Seeanemonen, die
-Schatten warfen auf den glatten weißen Sand, viele hundert Faden tief.
-
-Die Kleudchen saß dort am Fenster, klein und dunkel, wie am Ende der Welt,
-vor ihr der Tisch, wo sich sonst die Flickwäsche türmte. Heute stand
-eine Schüssel darauf, und die Kleudchen hatte Minka, ihre kleine, fette
-Wachtelhündin, auf dem Schoß; sie fing ihr die Flöhe.
-
-»Da,« sagte Adallah, der gleich Feuer und Flamme wurde, solche Jagd war
-doch zu interessant, »du mußt den Finger naß machen, Fau Kleudchen, dann
-geht's besser.«
-
-»Ja, die kleinen Schwarzen sind zu fix,« sagte die Kleudchen, »das sind
-die Männchen. Die großen Braunen können nicht so rennen.« Sie steckte
-wieder einen ins Wasser. »Da könnt ihr zappeln,« sagte sie rachsüchtig.
-
-»Fau Kleudchen,« sagte Adallah, »Vate fäht zu Bahn; es is 'n Tegamm
-gekommen.« Die Kleudchen ließ Minka zur Erde gleiten. Ihr kleiner,
-zahnloser Mund schnurrte zart und gramvoll zusammen. Sie blickte vor sich
-hin. Dann stand sie auf und ging mit kleinen, knappen Altweiberschritten
-den Korridor hinunter; der Kamm steckte in der Tasche ihrer schwarzen
-Moiréschürze; Minka watschelte kurzatmig hinterdrein.
-
-»Kinder, Kinder,« sagte die Kleudchen. Und dann: »Macht euch nun an eure
-Aufgaben, nicht wahr?«
-
-Sie ging die Treppe hinauf, es krachte bei jedem Schritt, sie mußte sich
-am Geländer festhalten; auf halber Stiege machte sie halt. Die Kinder
-hörten sie in das verschlossene Zimmer gehn; dann machten sie sich an ihre
-Aufgaben für Herrn Pastor Gordon.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Nun war die abendliche Milchsuppe glücklich vertilgt, ein Gericht der
-Ewigen Wiederkehr, dem ebenso regelmäßig eine Schüssel der Jahreszeit
-entsprechenden Kompotts folgte. Adallah, der Obst nur in rohem, wenn
-möglich unreifem Zustande würdigte, hatte namentlich vor gekochten
-Pflaumen einen Abscheu, während ihnen Ali einen sekundären Reiz abgewann,
-indem er später die Kerne gegen die geschwärzten Ahnenbilder im Korridor
-spuckte. Er hatte sich darin zu einem wahren Scharfschützen ausgebildet.
-
-Auch diesmal räsonierte Adallah leise mufflich vor sich hin, und die
-Kleudchen hatte ein Einsehen und räumte alles ohne Gegenrede weg. Sie
-schien heute nur auf eins zu drängen, daß die Kinder möglichst bald
-schlafen gingen.
-
-Das Gewitter war noch immer zu keinem Entschluß gekommen. Auf der Seeseite
-zuckte es ab und zu fahl auf, und die Haufen dürrer Lindenblätter
-wirbelten plötzlich auseinander, wenn ein kleiner Windstoß sie
-aufkescherte. Die Schwüle hatte sich eine Spur gehoben, wer konnte sagen,
-ob heute nacht noch die Erlösung kam.
-
-Nachdem sie ein wenig an einem Lampenschirm für Papas Geburtstag gepappt
-hatten, gingen die Brüder, ziemlich klebrig und deprimiert, hinauf in den
-Giebel, wo ihr Zimmer war. Sie schliefen dort allein. Es war eine Diele in
-der Mitte, auf welche drei Türen mündeten; ihnen gegenüber ein dem ihren
-ähnlicher Raum, wo Kleudchen die besseren Äpfel und allerhand Kräuter
-verwahrte, Fenchel, Krauseminze und Zitronenmelisse; es roch nach Apotheke
-durch die Türritzen. Im Hintergrund aber war ein Verschlag, wo Koffer
-und Körbe aufgestapelt standen, auch mancherlei ausrangiertes Mobiliar,
-kummervoll aussehende Lehnstühle und Etageren, denen Dominik bei
-Gelegenheit zu neuem Jugendglanze verhalf. Im Dämmerlicht gab es dort
-kuriose Umrisse, Schatten und Geräusche.
-
-Die beiden genossen ihre Freiheit im Giebel, aber es gab auch Momente, wo
-sie lieber unten geschlafen hätten oder im Seitengebäude, wo Kleudchen
-ihr Reich hatte. Aber sie schämten sich, es einzugestehen. »Ich glaube
-gar, ihr habt _Angst_?« würde Mama sagen und die Augenbrauen hochziehen.
-Nein, lieber knackende Schränke und unmotivierte, schlurrende Geräusche
-als das! Heute aber, mit dem Gewitter in den Gliedern, lagen sie recht
-klein und kümmerlich in ihren Bettchen, mit großen Augen zum Gebälk
-aufschauend, wo ein pelziger Nachtschmetterling mit Gebrumm seine Kreise
-zog.
-
- »Will Satan mich verschlingen,
- So laß die Engel singen:
- Dies Kind soll unverletzet sein,«
-
-betete Ali mit Nachdruck; sie hatten beide eine Vorliebe für
-diese hochdramatische Stelle. Und »Amen« klang es leise stockschnupfig
-aus Adallahs Bett an der anderen Wand. Diesem war der Gedanke an »Satan«
-heute abend gar nicht so genußreich wie sonst.
-
-Die Kleudchen sah mit dem Licht in der Hand mehr denn je aus wie eine
-treue, zuverlässige Hexe; den Kindern kam sie vor wie ihre einzige
-Rettungsplanke. Es war einsam und schwül hier oben, und morgen war
-Doktor-Löschwitz-Tag; sie würden wieder mit ihm spazierengehen müssen,
-so langweilig; er wollte nie aus dem stickigen Park heraus. Herr Doktor
-Löschwitz kam stets im Bratenrock, er führte sie bei der Hand, er
-sagte ab und zu: »Nun, meine kleinen Freunde, und was machen die
-Wissenschaften?« oder: »Nun, Freund Albrecht, wie sagt der Lateiner?«
-Lauter so einfältige Fragen, auf die man gar nichts zu antworten wußte;
-aber er ließ nicht los, und seine Hände waren heiß und knöchern in den
-knirschenden Zwirnhandschuhen.
-
-»Frau Kleudchen, bleib doch da,« sagte Adallah weinerlich, er war nun
-schon ganz haltlos. Sie saßen noch aufrecht, vom Beten her; ihre Hälschen
-streckten sich nach ihr aus wie Vogelhälse über den Nestrand. Die
-Kleudchen stand zögernd mit dem Licht; ihr Schatten schwankte langnasig
-über die Tapete. »Ich komme in zehn Minuten und bring' euch noch frisches
-Wasser,« sagte sie. Bis dahin würden sie eingeschlafen sein. Doch die
-beiden wurden wohl schläfrig, aber darunter blieb eine eigentümliche
-Unruhe bestehen. Papa war noch vor dem Abendbrot mit Dralle weggefahren,
-bei der Dürre konnte man den kürzeren Sandweg nicht nehmen. Unten saßen
-jetzt Mama und Herr Pastor, der immer am Mittwoch zum Tee kam. Aber heute
-blieb er nicht, das war seine knappe Art zu reden, auf dem Vorplatz, und
-nun Mamas tönende Stimme: »Ja, da ist der Regenschirm;« und dann ging
-die Haustür und fiel ins Schloß. Nun war es totenstill, nein, war das
-nicht Mama, die im Gartensaal auf und ab ging? Wenn sie ans andere Ende
-kam, drehte sie sich mit einem kleinen Ruck. Abends trug sie immer ein
-seidenes Kleid, und es war ihr im Wege, und dann sagte sie: »Ach, das
-gräßliche Kleid ...«
-
-Ja, die Frau im Gartensaal ging schon eine Weile auf und nieder, die Hände
-auf dem Rücken, den Blick geradeaus, ohne viel zu sehen. Manchmal stand
-sie an der Glastür still und sah in die Finsternis, und wenn ein Blitz
-kam, blieben ihre Augen ruhig, als schauten sie andere Dinge.
-
-Dieser Pastor gehörte also auch zu den Menschen, die »zum Guten« reden.
-Sie hatte Thilo beredet, die Stelle an Gordon zu geben. Seine schottische
-Abkunft, seine hagere, asketische Erscheinung, sein physischer Mut --
-damals, als sich der Bulle losgerissen hatte --, das alles hatte sich
-in ihr mit Vorstellungen von Cromwells ernsten Scharen zu einem Bilde
-puritanischer Einfalt und Furchtlosigkeit gestaltet, das eine heimliche,
-romantische Saite in ihr zum Schwingen brachte. Aber sie wurde seit einiger
-Zeit die Empfindung nicht los, daß Gordon bei allem, was er tat, in seinem
-eigenen Bewußtsein ein unsichtbares Publikum besaß. Es war nicht der
-gewöhnliche, äußerliche Ehrgeiz, den sie durchfühlte, nein, etwas
-Raffinierteres, den Ehrgeiz der Entsagung, der seiner Demut den heimlichen,
-erquickenden Stachel gab. Und sie erkannte, daß er in schwierigen
-Momenten versagen mußte, weil er nicht einfach genug war für all die
-Kompliziertheiten des Lebens.
-
-So hatte sie denn allein, wie sie es gewohnt war, in diesen Tagen tief
-in die letzten Winkel ihres Herzens hineingeleuchtet, eine jener
-Generalrevisionen vorgenommen, wie sie ihr die frommen, livländischen
-Freundinnen als ordentliche und außerordentliche Exerzitien -- ähnlich
-den Alarmübungen der freiwilligen Feuerwehr -- so liebevoll eindringlich
-empfohlen hatten, und wenn sie dabei auch in anderem Geiste verfuhr als die
-sanften Gemeinschaftlerinnen, ihr war solche Übung von Zeit zu Zeit recht.
-In den zehn Jahren, die sie hier lebte, hatte sie Thilo mehr und mehr das
-Geschäftliche, die Rechnerei, die ihn so furchtbar irritierte, abgenommen,
-hatte mit mancher Unordnung und Unredlichkeit aufgeräumt, für die sie ihm
-im stillen schwerere Schuld gab als denen, die träge Vertrauensseligkeit
-in Versuchung führte. Dabei hatte sich ihr Blick geschärft, sich
-gewöhnt, Ursache und Wirkung fast gleichzeitig zu erkennen und
-auseinanderzuhalten. Nun wollte sie auch sich selbst nicht schonen, nein,
-um jeden Preis mit ihrem Gott ins reine kommen. Und da hatte sie manches
-gefunden, was sie beschämte, Selbstüberhebung, Herrschsucht, Heftigkeit,
-sogar gegen Untergebene, die sich nicht wehren konnten -- recht erbärmlich
-war's gewesen; aber Menschenfurcht und Eigennutz waren nicht dabei. Sie
-hatte Thilo angefleht, hatte darum gekämpft, den Fremdgewordenen, das
-zertrümmerte Leben, das heute nur auf wenig Stunden hier einkehren sollte,
-nicht wieder von sich zu lassen. Er hatte doch nun seine Sünde verbüßt,
-nach dem Rechtsspruch, der bei all den braven, hochgeachteten Leuten
-galt, die unversucht in Ehren starben und begraben wurden, und für deren
-Gesetze, die trotz aller Tüftelei nie bis zu den letzten verwirrten
-Wurzeln einer Handlung drangen, sie dieselbe Geringschätzung empfand
-wie ein überzeugter Naturarzt für die Pflaster und Schlafmittel der
-berufsmäßigen Doktoren. Was half's, das Evangelium vom verlorenen Sohn
-zu bekennen, wenn man das Herz nicht hatte zu tun, was jener israelitische
-Vater getan? Aber das war eben die Halbheit, die Willensschwäche,
-dasselbe, was Thilo die unangenehmen Abrechnungen von Woche zu Woche
-verschieben oder ihn zu der feigen Spritze greifen ließ, sobald es
-stärker in der Schulter bohrte, dasselbe, was ihn seine jüdische
-Großmutter verleugnen ließ, aus deren Mitgift doch die Vorwerke
-zurückgekauft, der englische Park und die nunmehr verfallenen Treibhäuser
-angelegt worden waren. Unbegreiflich! Hätte sie auch nur einen Tropfen des
-verpönten Blutes in den Adern gehabt, nie hätte sie's verleugnet. Ach,
-sie hatte sie gesehen, damals, in Livland, diese heimatlosen, jüdischen
-Leute, auf kleinen, öden Bahnhöfen gestrandet, im rieselnden Landregen
-oder in Glut und Staub zusammengekauert, gleich aufgescheuchten
-Nachttieren, denen plötzlich das Licht scharf und ohne Erbarmen in
-die Augen brennt. Diese Kinder, denen das bittere Leben schon so viel
-unkindliche Pfiffigkeit beigebracht hatte, diese engbrüstigen Männer,
-die etwas Weichzähes hatten, Geschöpfe, die sich zugleich anschmiegen
-und festklammern müssen, um zu bestehen; diese uralten Judenmütter,
-unbeweglich, ganz verwittert wie Steinbrüche; nicht ihr eigenes Alter,
-nein, all die tausend Jahre ihres Volkes schienen in ihre Runzeln
-eingezeichnet. Vor wenig Wochen saßen sie zwischen Kindern und
-Kindeskindern, am schöngedeckten Tisch, vor sich den heiligen Leuchter,
-den Kuchen und den Wein, und nun hockten sie hier, die Füße im Graben!
-Oh, ihr Wasser Babylons! Ein junger rothaariger Jude hatte traurig auf
-der Ziehharmonika gespielt. Und sie hatte sich so brennend gewünscht, ein
-großer Maler möchte das malen, wie sie es sah, den flimmernden Staub, die
-trostlose Landstraße, die Jammervollen da am Graben entlang. Aber hinter
-ihnen, riesengroß, geisterhaft, silberglühend in der gelben Mittagsglut,
-ein Kreuz, und unser Herr und Heiland daran, der die blutenden Hände von
-den Nägeln losgerissen hat und hinunterstreckt zu den Ausgewiesenen in
-unendlichem Jammer! Aber sie wurden verleugnet. Und verleugnen kam
-doch gleich nach verraten; ja, war's nicht noch schmählicher, so etwas
-Passives, Bequemes? Man hielt einfach den Mund, wo man hätte reden
-müssen, weiter nichts!
-
-Aber ihre eigenen kleinen Söhne dort oben -- es kam ein kurzes, trockenes
-Aufschluchzen in ihre Kehle --, die sollten unberührt bleiben von der
-Welt. Sie sollten nur wahr sein und deshalb furchtlos, ganz ohne Furcht und
-darum wahr. Vertuschen, schweigen oder sagen: ich kenne ihn nicht -- nein,
-das würde ihren Jungen unmöglich sein; da hatten ihre eigenen Vorfahren
-ein Wort mitzureden, die alten Niedersachsen, die lieber mit ihren toten
-heidnischen Brüdern verdammt sein wollten, als ohne sie himmlische Freuden
-gewinnen. Auf einen Augenblick sprühte der blaue Funken in ihren Augen
-auf, der die Kinder, wenn sie ihn erhaschten, eine fremde, ungezähmte Mama
-ahnen ließ, die ihren eigenen Weg ging, auf den so kleine Jungens nicht
-mitgenommen wurden.
-
-Wahr sein! Ach, nur das, nur das, alles andere legte sie gern in Gottes
-Hand, wollte heiter sein, nicht sorgen um den kommenden Tag, so wie die
-Freundinnen es ihr anempfohlen, deren tiefe Herzensruhe alles um sie her
-glättete und ganz einfach machte. Aber in dieser einen Sache, da mußte
-sie selber Posten stehen, zur Stelle sein mit Augen und Händen und ihrem
-ganzen Verstand; da galt der Spruch, der ihrem Wesen entsprach: Mensch,
-hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Denn sie wußte, wenn es später
-hiermit nicht stimmen sollte, würde sie nie vermögen, sich ein X für ein
-U zu machen, es als eine Schickung hinzunehmen, es dem allwissenden Gott in
-die Schuhe zu schieben, sozusagen.
-
-So ging sie auf und ab. Der lange Raum war halbdunkel, die Lampe über
-dem Teetisch machte nur die eine Ecke hell und heimlich. Aber die Blitze
-zerrissen die Nacht in immer kürzeren Intervallen. Unter ihrem Augenlid
-fing es wieder an zu zucken, das Kleid hing ihr schwer um die Glieder.
-Einmal griff sie nach dem Türpfosten und lehnte den Kopf auf den Arm,
-sekundenlang: wie mochte wohl Frauen zumute sein, die ruhevoll und ohne
-Zweifel den _anderen_ entscheiden ließen und wußten, es würde gut sein,
-was er auch erwählte? So ein Mann wie ein großer schützender Baum!
-Solche Frauen mußten doch einen wunderbaren Frieden haben, so großen
-Frieden, daß die Werktage fast wie Sonntage wurden ... Oh, die dummen,
-schmerzhaft-süßen Gedanken, ganz matt wurde man davon; besser, sie nicht
-weiter zu spinnen.
-
-Neben ihr auf einem Gartentisch standen allerhand blühende Töpfe. Sie
-knipste ein wohlriechendes Geraniumblatt ab und steckte es an den Gürtel,
-die herbe Süße tat ihr wohl. Sie hatte so ganz verschwiegene Vorlieben
-unter den Blumen. Nun war wieder ein Lächeln in ihre Augen gekommen.
-
-Es schlug zehn. Da ging sie zu der erleuchteten Ecke. Mit ihren schönen
-ruhigen Händen zündete sie das Flämmchen unter dem Teewasser an,
-rückte Schüsseln und Blumen zurecht. Gleich würde die arme Brunislawa
-geschlüpft kommen und sich schüchtern und gewichtlos auf der Sofakante
-niederlassen, als hätte sie kein Recht dazu. So überbescheidene Menschen
-waren im Grunde doch nervenangreifend. Ja und nun in ein paar Minuten
-mußte der Wagen da sein.
-
- * * * * *
-
-Ali und Adallah waren, nachdem ihnen die Kleudchen Wasser gebracht, doch
-eingeschlafen. Aber nun wachten sie, ziemlich gleichzeitig, heiß und
-unruhig auf.
-
-Das Gewitter schien jetzt Ernst zu machen. Das war kein Wetterleuchten
-mehr, sondern scharfes, bläuliches Blitzen. Der Donner kam immer näher
-und die Stimme des Windes hatte etwas zornig Pfeifendes, ähnlich wie
-der Bulle, wenn er ganz böse war und den Kopf zwischen die Vorderfüße
-bohrte. Die Fensterflügel zerrten in den Haken, und irgendwo war ein Laden
-locker geworden und klappte mit jedem Windstoß. Man hörte Baumwipfel
-sausen, tief und unheilvoll, Blätter huschten am Fenster vorbei; dann
-war es wieder ganz schwarz. Einmal mischte sich auch Rädergeroll in das
-Donnern. Die Haustür ging, Pferde stampften. »Oooda --« das war Dralles
-Stimme, die Braunen wollten nicht stehen bei dem Blitzen.
-
-Die Kinder lagen steif unter ihren roten Wolldecken; der Wind fuhr ihnen
-abwechselnd heiß und kühl über die Haare. Oh, wenn sie doch jetzt
-unten wären bei den Großen, die gewiß um den runden Tisch, bei Tee und
-Lampenlicht saßen und sich gar nicht fürchteten, oder im Stall, wo Fritz
-Dralle im Verschlag schlief und die Laterne im Pferdedunst zwinkerte und
-Erda in der Kiste lag, das Braune und das Gefleckte liebevoll umringelnd.
-
-Die Blitze folgten einander rascher; der Donner kam jetzt krachend, fast
-gleichzeitig; das war nicht mehr das tiefe Löwengebrüll des Anfangs.
-Unten gingen Türen, man hörte Stimmen, Papa krähend aufgeregt, Tante
-Brunislawas unverkennbarer Klagelaut, so perlhuhnartig, und zwischendurch
-die Kleudchen wie eine besorgte, vernünftige Truthenne: knapp, knapp,
-knapp. »Ich werde selbst hinaufgehen,« das war Mamas weicher Alt, »komm
-auch du, Stanja,« und Papa: »Nein, nein, später,« und wieder Mama:
-»Doch, Thilo, heute.«
-
-Im selben Augenblick fuhr es blau zum Fenster herein; das Zimmer leuchtete
-hell auf, man sah jeden kleinen Riß in der Tapete; ein kurzes, scharfes
-Knistern, als ginge feines Glas entzwei, dem ein ohrenbetäubendes
-Knattern, eine hohe tückische Salve folgte; es roch seltsam schweflig.
-Aber nun prasselten schon die Regenmassen aufs Dach, in die Baumkronen
-hinein; sie wühlten den Kies auf; sie bildeten sofort eine Menge kleiner,
-aufgeregter Ströme, die über die Terrasse liefen, immer eiliger, immer
-wütender, die Brüstung entlang, bis sie Ritzen fanden, zu denen sie
-vereint wie Dachtraufen hinausschossen in den verdorrten, versengten
-Äpfelgarten hinunter.
-
-Adallah hatte aufgeschrien. Ali blickte wie versteint nach der Türe. Dort,
-mit übergehängter Joppe, stand Mama, blaß, mit feuchtem Haar, ihre Augen
-glänzten so sehr, sie lächelte. Würde sie sagen: »Ich glaube gar der
-Junge hat Angst?« Aber sie sagte nichts dergleichen, sie wandte sich
-zurück, ein Fremder stand hinter ihr. »Siehst du, Stanja, deine kleinen
-Brüder sind wach,« sagte sie, »nun müßt ihr gleich Freundschaft
-schließen.« Ein langer, schlaksiger junger Mensch mit fahlem,
-kurzgeschorenem Haar ging verlegen von einem Bett zum anderen. Er murmelte
-»Guten Abend«, er lächelte, aber so als täte es ihm weh.
-
-»Gebt eurem Bruder einen Kuß,« sagte Mama, »denn ihr müßt euch sehr
-freuen, daß er wieder bei uns ist.« Ihre Hände klammerten sich um Alis
-Bettpfosten. Die Hände dort, in die sich nun die kleinen, zerkratzten
-Pfoten ihrer Kinder so zutraulich legten, sie hatten Menschenblut vergossen
-in tierischer Wut. Und bis es soweit kam, hatten sie anderes verübt, was
-die Menschen milder beurteilen und das Gesetz milder bestraft, und das ihr
-viel schrecklicher schien, weil es ihr unbegreiflicher war. War das nun
-ausgelöscht durch die Strafe? Oder blieb einer, der solcher Vergehen
-fähig war, dadurch gezeichnet für immer, zu einer Menschenschicht
-gehörig, die man bedauern, aber nie begreifen konnte? Und schlief
-vielleicht in ihren eigenen kleinen Söhnen ebenso giftiges Samenkorn und
-schlief sich nach Gottes Ratschluß zu Tode oder wachte plötzlich auf, mit
-unbändiger Triebkraft, wenn alles sicher und befestigt schien? Aber war
-das ein Grund, nachsichtiger zu urteilen, weil man selbst oder das eigene
-Fleisch und Blut ähnlich straucheln konnte? Wie die Menschen, die feige
-zu allem schweigen, um ihr eigenes Glashaus nicht zu zertrümmern. Was half
-Denken und Abwägen? Eines war gewiß: er hatte zahlen müssen mit dem, was
-am kostbarsten ist, mit der unwiederbringlichen Zeit, mit Sonne und Luft
-und dem Rausch freier Glieder in der Morgenfrische, dort in der Enge und
-dem Schweigen, bei grauer, eintöniger Arbeit, ohne Kameradschaft, ohne
-helles Ziel. Er hatte gezahlt mit langen Jahren der kurzen Jugendzeit
-und die vergrämten, alten Fältchen an seinem Mund waren die Quittung
-darüber. Aber was an ihr lag, das sollte geschehen, auf daß er noch
-einmal in Klarheit, ohne Vertuschen und gerade darum nicht ganz ohne Stolz,
-sein schweres Leben neu beginnen konnte; und wenn es ihn jetzt in weite
-Ferne führte, auch dort sollte er wissen, daß sie zu ihm stand in seinem
-neuen Leben.
-
-»Wo warst du denn die ganze Zeit?« fragte Adallah, dem der Fremde stumm
-und hilflos über den kleinen Hemdärmel strich.
-
-Der junge Mensch wurde rot, er murmelte den Namen einer fremden Stadt.
-
-»Stanja ist in einer Schule gewesen,« sagte Mama. »Wir Menschen müssen
-alle in die Schule. Aber nun hat er ausgelernt.« (Wie geschraubt das
-klang, dachte sie, gleich als sie's gesagt hatte.)
-
-»Bleibst du nun hier?« piepste Adallah weiter, dem sich schon
-berauschende Aussichten auftaten, Kombinationen von Stanja mit dem Kahn und
-Haselnußexpeditionen mit Stanja und dem Gefleckten.
-
-»Nein, morgen reise ich weiter,« sagte der neue Bruder. Er hatte eine
-verschleierte Stimme, die den Kindern wie ein fremdartiges Instrument
-vorkam; und es war da etwas Nettes mit seinen haselfarbenen, etwas schräg
-gestellten Augen, wenn er beim Lächeln das untere Lid so hochzog.
-
-»Ja, aber du kommst wieder und kommst oft wieder, und schließlich bleibst
-du da und wirst unsere rechte Hand.« Mama hatte ihr leises Mädchenlachen
-und wurde rot. »Du bist ja unser Ältester. Ja, mein Junge,« und sie
-legte ihm die Hand auf die Schulter und strich sanft an seinem Arm herab,
-und aus ihrer Handfläche schoß ein heißer Strahl zurück in ihr
-Herz, »ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, daß du ganz bald
-wiederkommst in dein Elternhaus. Wo auch deine liebe Mutter gelebt hat. Ja
-und siehst du, mir gehorcht man.«
-
-Der blasse Mensch lächelte wieder gequält, es war alles so freundlich
-gemeint, aber oh, beinahe sehnte er sich zurück, dorthin, woher er kam,
-wo er selbstverständlich war und dazu gehörte wie das eiserne Bett, der
-Schemel, der häßliche Blechkrug auf dem Tisch. Und sie fühlte es und
-quälte sich auch. Was half die beste Absicht -- da waren eben noch Wunden.
-Es war, wie wenn man einem Schwerkranken sagt: So, nun schlafe schön,
-morgen ist dir besser; dann lächelten die Kranken auch so mühsam, um
-ihren guten Willen zu beweisen. Wund war alles; was man auch sagte, es war
-zu deutlich. Ach, ihre Hand war nicht leicht genug für so schwere Dinge!
-
-Sie wandte den Kopf dem offenen Fenster zu. Es hatte noch ein paarmal
-geblitzt, aber schwächer; der Donner klang weit ab, als habe das Ungetüm
-mit dem einen Schlag seine Wut verbraucht. Der Regen rauschte nieder in
-großen, ruhigen Wogen, ein unendlicher Segen.
-
-»Lieber Gott, der Roggen!« sagte Mama und horchte auf; ihr Mund bebte ein
-wenig. »Nun ist der Regen noch zur rechten Zeit gekommen.«
-
-Sie ging zum Fenster; sie lehnte sich hin, als wolle sie das Rauschen
-trinken, als sei sie selbst ganz ausgedörrt gewesen. Es war ihr lieb
-dazustehen, unbemerkt; so konnten ihre Augen die beiden brennenden Tränen
-zurücksaugen, ungesehen.
-
-Hinter ihr, bei den kleinen Betten, war nun ein Gewisper und Gekicher
-entstanden; sie merkte es wie im Traum. Und sie stand regungslos, ohne
-sich zu wenden; sie spürte, daß dort etwas vor sich ging, ganz außerhalb
-ihres guten Willens, etwas, das von Recht und Unrecht nicht wußte und
-nicht von Belohnen oder Verzeihen. Nein, ungerufen, sanft erobernd, wie das
-neue Gras hier früher und dort später die verdorrten Stellen durchbricht
-und belebt, heilend wie der Saft, aus der Wunde selbst bereitet, den
-Baumschnitt überzieht, daß er nicht faulen kann. Sie fühlte, sie konnte
-nichts dazu tun; aber abseits stehen, sich nicht drein mischen, nicht
-stören, das konnte sie. Demut! Sie hatte das Wort oft gebraucht, aber
-doch nur auf andere angewandt. Jetzt eben meinte sie, es in sich selbst zu
-erkennen.
-
-Diese ereignisvolle Nacht, die die Kinder im Halbwachen durchlebten, dieses
-Gemisch von Donner und Wagengeroll, die kurze Erscheinung des großen
-Bruders, der von nun an wie ein unsichtbarer Kriegsgott bei allen
-Abenteuern der Schiedsrichter war, und, fast ebenso erstaunlich, Mamas
-Erscheinen hier oben, ihr leiser Duft, ihre Stimme, wie von Regentröpfchen
-durchglitzert, als sie dort am Fenster lehnte, abseits, freundlich, schwach
-erhellt ... das alles wurde für Ali und Adallah zu einem unauflöslichen
-Ganzen, wie Dinge, die man im Nebel gesehen, sich getrennt nicht vorstellen
-kann.
-
-Beinahe das allermerkwürdigste aber war, daß, als sie bei gleichmütigem
-Regenakkompagnement wieder allein lagen, Dralle im Gummimantel erschien,
-naß und wortkarg, aber doch wie ein rechter Himmelsbote, denn er hatte
-das Braune und das Gefleckte auf dem Arm, setzte dieselben auf die beiden
-Bettchen nieder und erklärte, es geschähe dies auf Befehl der gnädigen
-Frau.
-
-
-
-
-Etüde
-
-
-=I=
-
-Wenn am Nachmittag die Sonne durch die Läden drang und goldene Leitern auf
-Tisch und Sessel malte, übte Amsel ihr Adagio. Anfangs ging es glatt, aber
-das war trügerisch, bald wurde es schwarz von kleinen wimmelnden
-Noten, die alle untergebracht sein mußten; da waren die schrecklichsten
-Fallstricke, sogar Triller im Baß, wie eingesperrte Brummfliegen. Aber sie
-arbeitete sich durch, wie ein Maulwurf durch lichtlose Gänge, und dann
-kam die Belohnung, das Allegretto: still gefaßt, auf feinen Füßchen, sah
-sich's versonnen um in dem dämmernden Raum, und irgendwie schien es den
-Ausdruck der Dinge umher zu haben, sich zu vermischen mit dem Duft der
-Herbstveilchen, mit dem sonngebleichten Gelb und Grau der Kretonnerosen;
-eine schöne, weiße Hand leuchtete auf, ein schleifender Schritt kam
-gegangen, ein Lachen war dabei, dunkel und zärtlich.
-
-Die feine, zerbrochene Seele, die über Amsels Kindheit wachte, kam seit
-Jahren an diesen winters so verlassenen Ort, wo für sie in den großen
-Alleen, vor den Säulen des weißen, langgestreckten Kurhauses, die
-Erinnerung wandelte, angetan mit der Krinoline des zweiten Kaiserreichs,
-jener Zeit, da alles jung und erwartungsvoll gewesen und sie selbst, die
-schöne Anselma, den Menschen ins Herz gedrungen war wie ein Wohlgeruch.
-Kalte Winde ließen sie erschauern, für den Süden aber fehlten ihr die
-Mittel, so kam sie, wenn der Herbst zu Ende ging, immer wieder in das
-stillgewordene Tal. Dann taten die großen Gasthäuser die Läden zu,
-in den Gärten roch es nach moderndem Laub, und auf den Wegen war es
-menschenleer, aber oh, so voll von Erinnerung. Sie paßte nicht mehr in
-Menschengewühl; Gespenster, ja, die drängten sich heran, aber wie sanft
-gingen die mit ihr um. Und mehr und mehr zog sie sich zurück; wie ein
-krankes Tier, fühlend, daß der Kampf zu Ende geht, sich unter Hecken in
-eine Mauerritze verkriecht in der stillen Anspruchslosigkeit des Todes.
-
-Schon zum viertenmal war sie in die Villa an der Berglehne eingezogen. Wie
-der Wasserfinder die Quelle, so spürte sie Häuser auf, die bessere Tage
-gekannt und nun, im Alter verwahrlost, einen eigenen Lockreiz hatten. Mit
-silbrigen Dächern, mit schönbemessenen Räumen und schlanken Fenstern
-hinter geflickten Marquisen, träumten sie in der Herbstsonne. Der Hausrat
-alt und fadenscheinig, die Kretonne gedemütigt durch allzuhäufige
-Wäsche; aber da waren noch schöngearbeitete Türschlösser, wie man
-sie nicht mehr macht, schmale Goldleisten faßten die Tapeten ein, Kamine
-warteten auf Winterabende, und hinter weißen Holzpaneelen, die kniehoch
-um die Wände liefen, raschelten die Mäuse. Alles aus einer Zeit, als die
-Häuser fein und zierlich und die Gärten groß waren, und die Menschen
-anmutig, aber ganz ohne Prunk den guten Dingen dieser Welt die Türen
-auftaten. Und wenn das gesternte Parkett in der Sonne knackte, ging ein
-Knistern alter Modenjournale durch die Zimmer und Erinnerung an =Lavande
-ambrée=, von sachttretenden Dienern auf zischende Schaufeln getröpfelt.
-Hier standen noch Hortensien in grünen Holzkübeln und Fuchsien mit ihrem
-feinen Glockenspiel; auf die gefleckten Sandsteinstufen sanken Blätter und
-Beeren, Pappeln säuselten golden in der stillen Luft. Der nächste Sturm
-würde alles mitnehmen, aber noch waren die Tage warm, die Nächte gütig,
-und im Grase lagen süße, wurmstichige Birnchen, und die letzten Wespen
-nagten sich hinein, bis der erste Frost sie lähmte.
-
-An der Wand, gradüber dem Flügel, hing Tante Anselmas Jugendbild. Mit den
-leuchtenden, weich gleitenden Schultern, dem Grübchen in der Wange, dem
-kurzsichtigen, amüsierten Blick zwischen zusammengezogenen Lidern, in
-Spitzenwolken gehüllt, eine Garbe ziemlich unwahrscheinlicher Blumen im
-Arm, einer der schönsten unter den schimmernden Schwänen, wie sie
-einst, unnahbar und doch empfindsam, und alle mit einer leisen
-Familienähnlichkeit, aus Winterhalters Atelier hervorgerauscht kamen.
-Amsel starrte hinauf. Nun waren Wange und Kinn zart gewelkt, wie die
-Ränder der Malmaisonrose, die es so rasch verrät, ob sie am Tage vorher
-gepflückt ward. Aber das Grübchen war noch dasselbe, das kam und ging wie
-Sonnenflecken durch die leisklappenden Jalousien.
-
-Abends, wenn das Lampenlicht die Möbel streichelte und hier und dort ein
-Bildrahmen, ein Türschloß aufglühte, ließ Tante die graue Häkelei
-sinken und ging an den Flügel, auf dem das Bild der schönen,
-unglücklichen Großfürstin stand. Sie blinzelte ihr zu, während sie
-spielte, mit zurückgeneigtem Kopf, die Zigarette im Mundwinkel. Und
-es war, als ob Chopins feines Filigran mit dem Rauchgekräusel
-zusammenflöße, aufstiege in immer leichteren, immer durchsichtigeren
-Spiralen. Amsel saß an der Erde, die Hände um die Knie, und feine Klingen
-stachen ihr ins Herz; denn süß und zögernd ging die Melodie an ihr
-vorbei, und sie hätte bitten mögen: »Bleibe, bleibe,« aber schon war
-sie in breiterflutenden Gewässern untergegangen, Dinge, die wild und
-herrlich waren und vergangen sind, hoch aufrauschend von ritterlichem
-Opfermut und goldenem Leichtsinn ... nur zum Ende noch ein paar Takte wie
-am Anfang, Arme, die sich auftun, schüchtern flehend. Wie stand doch unter
-dem Marienbild, dort in dem kleinen Bergdorf: »Mein armes Kind, wo gehst
-du hin, weißt nicht, daß ich deine Mutter bin?«
-
-Tante Anselma ließ die Hände sinken; die große Müdigkeit war über
-sie gekommen. Stromab; wie leicht ist das, wenn man müde wird; und die
-Mündung war nicht mehr fern.
-
-Wenn sie dann wieder bei ihrem Buche saß, starrte Amsel darauf hin, ohne
-die Blätter zu wenden. Sie mußte an so vieles denken, was ihr Tante
-erzählt hatte und was da, während der Musik, an ihr Herz gepocht hatte,
-wie Zweige ans Fenster pochen, wenn der Wind geht: Tante als kleines Ding
-auf dem Schoß des großen Verbannten, inmitten feurig redender Männer
-und Frauen mit leidvollen, brennenden Augen. Da klirrten Waffen, da zogen
-Revolutionen dröhnend durch die Nacht. Und andere Menschenzüge wanderten,
-stumm, verzweifelt, endlos durch den Schnee, und neben jedem Mann stapfte
-eine Frau ... dann wieder Lichterglanz und Rauschen, und immer tönte
-Musik, wild oder zärtlich, wie hinter einem Vorhang. Die schöne Anselma
-ging durch große Menschenmengen, wie heute durch die Einsamkeit, fein und
-etwas spöttisch und ganz ohne Furcht, Verfolgten und Geächteten hatte
-sie Treue gehalten. Aber auch in die Mächtigen dieser Erde hatte sie
-ihr Vertrauen gesetzt und war nicht getäuscht worden. Folgte sie einer
-Witterung, wie Tiere und wilde Völker sie haben, die sie den einen
-zugänglichen Punkt in eisernen Herzen finden ließ?
-
-Ganz jung war sie mit Onkel verheiratet worden, und mit ihm hatte sie wohl
-so manches durchgemacht. Zeitweise mußten sie auf das verwahrloste Gut
-ziehen, von dem die alte Kammerfrau noch heute mit Schaudern sprach. Dann
-lagen ihre Perlen auf dem Leihhaus, ja schließlich kamen sie nicht
-wieder. Vor ein paar Jahren war Onkel noch einmal aufgetaucht; elegant und
-verwittert und etwas kreuzlahm, mit großen Saphiren an den nikotingelben
-Fingern und der ganzen überströmenden Galanterie des schlechten
-Gewissens. Man saß bei Tische, die Kerzen knisterten, die Malmaisonrosen,
-die er gekauft hatte, in ihrer Mitte. »=Votre fleur, chère amie=,«
-sagte er, und Amsel wand sich; wozu sprach er eigentlich französisch, er
-schnurrte das R so, dann war er ihr erst ganz antipathisch. Von Biarritz
-erzählte er, von Monte Carlo und den »=potins de Florence=«, denn jeden
-Winter war er an einem anderen Ort. Tante sah geistesabwesend vor sich hin;
-es war doch seltsam, dieser fremde Mensch, dessen Namen sie trug ...
-Aber voller Fürsorge war sie doch, konnte sich nicht genug tun an
-Aufmerksamkeiten für seine Gesundheit und sein Behagen. »Der Arme,«
-sagte sie, »er hat sich sehr verändert, und es hat etwas Schmerzliches,
-wenn jemand so begnügsam geworden ist, der früher so verwöhnt war. Ach
-und etwas Nachsicht und Fürsorge, _das_ Kleingeld hat man ja immer übrig.
-Den andern freut es, und er hält es für gutes Gold. Nun, Gott verzeih uns
-allen.« Es lag ihr nun einmal nicht, mit jemand abzurechnen, mit dem
-sie auch nur eine gute Stunde verlebt hatte. »Es ist so schrecklich
-umständlich, Buch zu führen über Recht und Unrecht,« sagte sie; »das
-ist eine Arbeit, die ich gern unserem Herrgott überlasse.«
-
-Nun aber kam Onkel nicht mehr. Tante ließ alljährlich eine Messe für ihn
-lesen, und es war aus irgendeinem Album ein Bild von ihm auferstanden, aus
-seiner schönen Zeit, als =beau ténébreux= an einer Säule lehnend, halb
-Taschenspieler, halb Fürst der Finsternis. Wenig Bekannte nur drangen
-in ihre Einsamkeit; ein paar alte Russinnen, die hier das ganze Jahr
-verbrachten, waren die Getreuesten. Ihr Haus lag rosenumsponnen über
-den großen Klosterwiesen, eingenistet in dem verwilderten Garten, in
-Tulpenbäumen und Linden und riesenhaftem Azaleengebüsch. Ewig froren sie,
-und im Salon flackerte zu allen Jahreszeiten das Feuer im Kamin. Man konnte
-sich kaum zu ihnen durchwinden vor fürstlichen Andenken: Malachittischchen
-und gestickte Wandschirme und lebensgroße Katzen aus Porzellan. Die
-Luft war blau von Zigaretten, und es wurden Bonbonnieren herumgereicht,
-unerhörte Pariser Fondants, die wie Taufkinder in gepolsterten
-Atlasschachteln lagen, rosa oder strohgelb oder pistaziengrün. Dort traf
-man bejahrte Diplomaten, wichtig und geschwollen, voll dunkler Rankünen
-und einer Fülle einbalsamierter Anekdoten. Oh, wie schnatterten die alten
-Russinnen und stießen kleine Schreie aus wie teilnahmsvolle Papageien und
-nannten einander beim Vatersnamen wie in den Büchern von Tourguénief, und
-immer die Zigarette im welken Mund, die Lippen vom ewigen Rauchen schlaff
-geworden, wie bei den drei Spinnerinnen im Märchen, redeten sie von
-Politik und Liebe und Verstorbenen. Amsel saß derweil über juchtenlederne
-Albums gebückt und besah sich die Menschen, wie sie früher ausgesehen
-hatten; Herren, romantisch schmerzlich mit ihren Vatermördern und
-schwarzen Halsbinden, den Zylinder in die Hüfte gestemmt, ein ganzes
-Adagio im Blick; und feine Frauen in seidenen Krinolinkleidern, wie die
-Püppchen, die man aus umgestülpten Mohnblumen macht; elegisch über
-Balustraden gelehnt, eine Weintraube essend: kleine erlöschende
-Gespenster, die in den alten duftenden Büchern langsam vergilbten.
-
-Wenn sie dann wieder daheim waren, konnte es nichts Schöneres geben,
-als wenn Tante »Albumgeschichten« erzählte, gerade jetzt, wo es früh
-dunkelte. Draußen seufzten die Pappeln; die Moderateurlampe stand milde
-auf dem Tisch, von den Rosen löste sich ab und zu ein Blatt, und in der
-Lampe fiel, still und zuverlässig, ein Tropfen Öl in den Behälter.
-In ihrem Schein liefen Herbstmotten über den Tisch, die winzigen,
-perlmutternen und die großen mit weißen Pelzröckchen und Gesichtern wie
-kleine Eulen. Dann erzählte Tante. Und wie sie erzählte, wurden Länder
-und Bauten zu etwas zauberisch Kleidsamem, in dem sie herumging, jung und
-fremd, und war doch wie beim Träumen ganz selbstverständlich, sie durch
-die fernen Perspektiven kommen und schwinden zu sehen. Da war Venedig.
-»Dort sitzt die Markuskirche wie eine große goldene Henne,« sagte sie.
-Und Amsel sah alles in Gedanken, sah die braungoldenen Tiefen, wo die
-Säulen wie Orgeltöne aufsteigen und wieder verschwimmen in Weihrauchblau
-und Schatten, all das wimmelnde, traumartige Gehen und Stehen der Menschen,
-sanftbewegt wie Algen auf dem Meeresgrund. Draußen auf dem Platz
-war Musik. Da saß Tante in einem weißen Kleid mit vielen schwarzen
-Samtbändchen benäht und aß Eis mit den jungen österreichischen
-Offizieren, die so fabelhaft dünne Taillen hatten. Rauschende, wiegende
-Musik. Und Kähne kamen von den Inseln, mit Melonen und Trauben und
-Paradiesäpfeln ganz beladen, tief schwammen sie im Wasser, und andere,
-aus Murano, mit farbig glitzernden Glasperlen, hineingeschüttet wie Sand.
-Einer zog langsam vorüber, mit einer gehäuften Last von schwarzem Schmelz
-und Flitter -- wie funkelte das traurig-prächtig. Wie der Tribut einer
-trauernden Königin sei es gewesen.
-
-Compiègne! Die mächtigen Alleen, die am Ende zusammenliefen in einem
-grüngoldenen Punkt; die uralten Bäume bilden ein Gewölbe, unter dem
-Tante mit der schönen Kaiserin fährt. Beide in bauschenden Kleidern, mit
-gestickten Bolerojäckchen, winzige Barettchen auf dem schweren Haar, eine
-Feder wallt ins Genick. So, immer die breite, dämmrige Allee hinunter,
-trott, trott, mit schweren, glänzenden Karossiers in den grüngoldenen
-Punkt hinein. Dort, in der Sonne, träumt der schlanke Pavillon, mit
-Bildern berühmter Jägerinnen in den Stuck der Wände eingelassen; dort
-liest der feine, ironische Schriftsteller seine Novellen vor; Sehnen und
-Entsagen, wie kühl, wie knapp in Worte gekleidet ... Manchmal kommt auch
-der Kaiser. Fett und müde, mit schweren Augenlidern, man wußte nie,
-schlief er oder hörte er zu. Aber immer ritterlich und voll behäbiger
-Grazie.
-
-Andere Bilder. Tante in Galizien. Um zu sparen. Das war auch eine
-Abwechslung. Nachher konnten wieder Smaragden und Brüsseler Spitzen an die
-Reihe kommen. Ihr war das Lumpenleben recht -- sie lachte zu allem. Nur
-mit der Leibwäsche, ach Gott, ja, da war sie wohl sehr verwöhnt. Madame
-Céline flickte und stopfte, es war so fein, so mürbe. Und dann, daß
-sie immer Blumen haben mußte, auch im Winter ... Aber sonst? »Du lieber
-Gott,« sagte Madame Céline, »Madame gab ja alles her. Es kam ihr nicht
-darauf an, immer dasselbe zu tragen. Wenn sie dann den Hals so reckte,
-was ihr die Leute als Hochmut auslegten, aber es war doch nur, weil sie
-kurzsichtig war -- und groß und schlank in einen Salon hereinglitt -- =une
-déesse, quoi?= -- wer dachte da an Kleider!«
-
-Das Leben auf dem Gute, mit den Tanten, war ein Hauptthema für Madame
-Céline. »=Ah le vilain pays, mademoiselle=,« klagte die kleine
-Französin mit dem verwitterten Gesicht, den rastlosen Augen, dem glatten,
-korrekten =Veuve-d'employé=-Kleide: »Nichts als Stoppeln und Sümpfe und
-=la boue haut comme çà=. Weiden standen an den Landstraßen, schwarz von
-Krähen. Wie sie schrien, die Unglücksvögel. Das Haus, nur ein Stockwerk,
-aber lang wie eine Schlange. Wenn Madame klingelte, mußte ich erst durch
-sechs andere Zimmer, alle gingen ineinander wie ein Korridor. =Le palais
-des taupes, quoi!= Gott, wie es da aussah. Überall lagen die Tanten herum,
-auf allen Sofas, =des vieilles avec des burnous=, mit gelben Babuschen an
-den bloßen Füßen und die Hände voll kostbarer Ringe -- und die Nägel
-gelb von Tabak. Denn immer wickelten sie Zigaretten und spielten Patience,
-schon am Vormittag. =Et toujours un tas de petits chiens= -- unter den
-Plümos, es war wie Erdbeben. Oder sie schlampten im Garten herum in
-Frisierjacken und Papilloten und pflückten Beeren; dann wurde Saft gekocht
-oder Gurkenwasser gegen die Sommersprossen. War das nun ein Milieu für
-meine junge Dame, die an allen Höfen Regen und Sonnenschein gemacht hat
-und in allen Sprachen korrespondierte =avec des personnages illustres=?
-Aber der Engel, sie lachte nur. Abends stieg sie gern auf eine Anhöhe, wo
-eine Windmühle war; da stand sie, und ihr Kleid wehte ... man sah so weit
-ins Land, der Himmel war wie eine Feuersbrunst, die Fohlen liefen herum mit
-wilden Mähnen. =C'est beau=, sagte Madame. Nun ich konnte mir Schöneres
-denken, so ein Apriltag auf den Boulevards, wenn's eben noch geregnet
-hat, aber die Sonne scheint aufs nasse Pflaster, und die Blumenkarren mit
-Veilchen duften so frisch ... Ich wäre dort an Melancholie gestorben, wenn
-nicht der Bücherschrank gewesen wäre. Er roch nach Schimmel, der
-Atem verging einem, wenn man aufschloß. In dem einen Sommer las ich
-zweiunddreißig Bände Paul de Kock. Er rettete mich vor Tiefsinn. Kein
-Wort verstand ich, was diese Wilden sprachen. Die Mädchen gingen mit
-bloßen Beinen und hatten Ketten aus Vogelbeeren um den Hals, aber die
-Betten wurden von Männern gemacht; struppig waren sie =comme le père
-Noël= und hatten außer ihren gestickten Hemden auch nichts Nennenswertes
-an. Es war ja tief drinnen in dem barbarischen Lande, =sur la route de
-Varsovie=. =Si mademoiselle voulait se tolurner un peu=,« sagte Madame
-Céline, denn sie probierte Amsel ein neues Kleid an, aber die Stecknadeln
-in ihrem Munde hinderten nicht ihren Redefluß.
-
-»Am Nachmittag,« fuhr sie fort, »kamen die Nachbarn, geritten und
-gefahren. Dann fuhren die Damen aus dem Mittagsschlaf, =avec des cris de
-paon=, und zogen sich endlich an. Das waren kuriose Toiletten. Aber meine
-junge Dame war immer duftig, und wenn ich die Nacht hätte durchbügeln
-müssen. Damals trug man Mullkleider mit Volants, so etagenweis bis oben
-... Sie sah aus wie eine Glockenblume aus ›=fleurs animées=‹. Dann gab
-es Tee und Framboise und zwanzigerlei Konfitüren, und Melonen, nie sah
-ich solche Melonen. Die Damen schrieben einander Rezepte ab. Wenn dann die
-Lampen kamen, wurden die Karten geholt, sie spielten die halbe Nacht durch.
-Oft flogen Fledermäuse herein, ich hätte geschrien vor Angst, aber die
-Alten banden sich Antimakassars um die Köpfe und spielten ruhig weiter;
-das gab Schattenbilder an der Wand, die reinen Hexen; aber sie blieben
-totenernst dabei. Ihre Tante langweilte das ewige Kartenspielen, sie setzte
-sich an den Flügel, =un Erard passablement vermoulu=, dann sahen die alten
-Damen von den Karten auf und nickten den Takt mit den Köpfen. ›=Ah,
-Beethoven, il n'y a que çà=‹ -- sagten sie. Aber wenn sie Chopin
-spielte, weinten sie, denn sie hatten ihn alle geliebt und an seinem
-Sterbebett gesessen. Junge Herren kamen auch, sie lagen Ihrer Tante zu
-Füßen, wie auch konnte es anders sein! Da war der Stefan Czartorisky,
-Gott, wie distinguiert, =des pieds d'enfant et toujours le mot pour
-rire=. Wir alle beteten ihn an. Aber er hatte eine viel ältere Frau, eine
-häßliche Viper, sie verklatschte meinen Engel, und da gab es dann =des
-embêtements avec Monsieur le comte= ... Zum Herbst wurde es ganz einsam,
-die Wege waren ein Morast. Da saßen sie dann im Salon und stickten auf
-Stramin, Rosen und Pensees, ich seh' das Muster noch, =un vrai cauchemar=;
-›=c'est un peu monotone, ma pauvre Céline=,‹ sagte Madame, wenn ich
-alles wieder auftrennen mußte, denn mit Handarbeiten ist sie nie ein Held
-gewesen. Gott, sie war noch so jung. Man mußte sie lachen hören ... Ja,
-damals waren Sie noch gar nicht auf der Welt! ...«
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Amsels Erziehung war, nächst dem Gott Zufall, einer Reihe mehr oder minder
-verdienstvoller Fräuleins anvertraut, deren Kommen und Gehen durch
-den Wechsel des Aufenthalts bedingt war, aber auch durch plötzliche
-Erkenntnisblitze, daß Tantes Mitleid ihrer Menschenkenntnis Dunst
-vorgemacht hatte. Eine Deutsche, bieder und schwärmerisch, die in Amsels
-Erinnerung mit dem Lied von der Glocke und einer fürchterlichen Brosche
-aus Elfenbein verschmolz, denn beim Hersagen jener ebenso unsterblichen
-wie langatmigen Dichtung hatte sie immer, wie der Vogel auf die Schlange,
-dorthin gestarrt. Einmal gastierte auch eine Pariserin mit dünner
-Taille und kleinen Füßen. Mit ihrem schmalen Kopf, ihren schwarzen,
-zusammengewachsenen Augenbrauen, saß sie wie ein gereizter Schwan, der
-gleich beißen wird, hinter den Büchern. Aber sie verschwand meteorartig.
-»Der himmlische Akzent war Schuld,« hörte Amsel Tante sagen, »der
-ist für mich wie für den Schweizer der Kuhreigen.« Nach ihr kam ein
-Fräulein aus dem Waadtland, mit flachem, kalvinistischem Strohhut und
-hüpfender Intonation, die an Heimweh litt. Sie erzählte vom Pasteur und
-dessen Sohn, =le missionnaire, un jeune homme si bon, si doué=, und
-wie sie zusammen im Frühling in die Berge zogen »=pour cueillir la
-gentiane=«. Durch diese junge Helvetierin wurde Amsel mit der ebenso
-vortrefflichen wie findigen Familie des Robinson Suisse bekannt.
-Nichts brachte diese Menschen außer Fassung. Denn immer, im kritischen
-Augenblick, spürten sie die außergewöhnlichsten Dinge auf, um ihren
-Hunger zu stillen, eßbare Ameisen, Stachelschweine und Schildkröten, oder
-auch Faultiere, die wie Räucherwaren stumpfsinnig an ihrem Aste hängen
-blieben, bis sie gebraucht wurden; von unerhörten Früchten zu schweigen,
-die den Nährwert der Kartoffel mit dem Wohlgeruch der Ananas verbanden.
-Man brauchte um das leibliche Wohl der Familie wirklich nicht bange
-zu sein. Aber auch für geistige Stärkung sorgte der Himmel. Denn im
-Augenblick tiefster seelischer Depression, als sie mit ihrem Schicksal
-zu hadern begannen, kam von dem unerschöpflichen Wrack eine Bibel
-angeschwommen. Beschämt sanken sie am Strande auf die Knie, und Vater
-Robinson sprach ein Dankgebet. Und das alles in tadellosem Passé Défini
-vorgetragen! Ja, es war beinahe zu viel der Tugendhaftigkeit, so als ob
-einer Lebertran einnähme und dazu auch noch lächeln würde.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Die alten Bäume in der Allee waren braun geworden, kleine Buben
-in gestrickten Mützen suchten Eicheln im dürren Laub, und auf den
-Klosterwiesen, wo die Laienschwestern, großen Elstern gleich, das
-letzte Grumt geharkt hatten, standen nun die Herbstzeitlosen, blaß und
-zerbrechlich. Der blaue Dunst, der klares Wetter verhieß, schlug morgens
-in glitzernden Tröpfchen an den Fensterscheiben nieder. Der Herbst war
-milde hier, der Winter kurz; nur einmal ausschlafen wollte die Erde, nach
-all dem Blühen und Schenken; bald, schon im Februar, fing es wieder an zu
-wispern und zu keimen.
-
-Tante sah still in die Luft. Hier hatte sie als junge leichtherzige Frau
-gute Tage erlebt und dann noch einmal, ein paar Jahre später, als das
-ganz große Glück Besitz nahm von ihrem Geist, ihren Gliedern, von jedem
-seligen Tropfen Bluts. Ach, gut war es gewesen, gut!
-
-Auf der Promenade hatten die kleinen, eleganten Buden geschlossen, nur der
-Mann mit den böhmischen Gläsern und der Mann mit den Kuckucksuhren saßen
-noch hinter ihren Waren wie verklammte Vögel. Und der alte Tiroler mit dem
-Quastenhut und seine stattliche Frau, die allen Fürstlichkeiten der Erde
-Handschuh anprobiert hatte, waren auch noch da, aber sie packten
-ihre Schachteln zusammen. Vor der Bude standen Tisch und Stühle, die
-Blumenverkäuferin kam mit Herbstveilchen und den kleinen, ausdauernden
-Monatsrosen. Tante schwatzte mit ihr. Es ging immer gemütlich zu, wenn
-sie dabei war, das leichte Blut ihrer süddeutschen Mutter redete seine
-Sprache. »Wenn ich nur wüßte, warum es oft bei herzensguten und gar
-nicht dummen Menschen so furchtbar langweilig zugeht,« sagte sie. »Ich
-schwör' dir, Amsel, ich wollt' den Kaiser mit unserer Frau Schwämmle zu
-einem Kaffee bitten und die Stimmung sollte großartig sein. Man muß
-sich nur fest einbilden, daß man sich für die Antworten der Menschen
-interessiert, und das Kuriose ist, daß man es dann schließlich wirklich
-tut. Und ob's nun ein König ist oder eine Waschfrau, alle brauchen sie
-halt Verständnis, aber sie merken's ganz genau, ob es echt ist oder nur
-so Getu. Wenn ich vier Wochen lang Königin wär', ich sag' dir, ich wollte
-die Leute königstoll machen.«
-
-Das Kurhaus lag weiß und langgestreckt im Nachmittagslicht. Tante ging hin
-und her, blieb manchmal stehen. Sie sah da wohl mehr, als für andere
-zu sehen war. Dort, unter dem »russischen Baum«, hatte sie oft mit den
-Cousinen gesessen. Sie spielten Domino mit dem alten galanten Staatsmann,
-und die Adjutanten des Königs stellten sich dazu, schlanke, preußische
-Tannen, und gaben Ratschläge, denn die alten Russinnen nahmen es furchtbar
-ernst mit dem Spiel.
-
-Hier traf sich die Jugend zu Fahrten und Landpartien nach alten
-Jagdschlößchen und Ruinen, wo man auf Türme stieg und in die schauernden
-Wälder niedersah und weit in die Ebene, die glitzernde, in Sonne
-und Dunst. In =Char à bancs= und englischen Mailcoaches, vier- und
-sechsspännig, ging es los. Sie saß meist auf dem Bock neben dem dicken,
-rothalsigen Mister Tomlinson, der seines zarten Töchterchens wegen hier
-lebte ... Es war ein fast traumhaftes Gefühl des Ausruhens neben dem
-vierschrötigen Riesen. Einmal waren sie in ein Wagenknäuel geraten, die
-Pferde bäumten sich, alles schrie und fluchte. Der starke Mann neben ihr
-zupfte kaum ein wenig an den Zügeln, und seine kleinen, hellblauen Augen
-blitzten in dem ziegelroten Gesicht. »=Sit tight, you are quite safe,
-little girl=,« hatte er gesagt, denn in ihrer holden Jugendschlankheit kam
-sie ihm kaum älter vor als sein eigenes kleines Mädchen. Und dann zwang
-er die vier Pferde mit unmerklicher Gewalt, rückwärts zu treten, und
-schon hatte sich das Chaos entwirrt. Ihr war gar nicht bang gewesen, eher
-schläfrig; wenn er dabei war, fühlte sie sich geborgen wie einst als Kind
-in ihrem kleinen Gitterbett. Ach, wie gut war das Leben! An Rebenhügeln
-ging die Straße vorbei, die blauen, duftbestäubten Trauben wurden
-geerntet. Hübsche, sonnverbrannte Mädchen lachten unter roten und gelben
-Kopftüchern. Zwischen den Weinstöcken ragte ein großes graues Kruzifix
-in die Luft, und die Leute setzten ihre schweren Butten zu seinen Füßen
-und wischten sich den Schweiß von Hals und Stirne. Manchmal fuhr man im
-Tal, das Flüßchen hinauf, bis zu dem Wasserfall, wo es Forellen gab und
-säuerlichen Landwein. Wie flammten die Bauerngärtchen, Rosenstöcke ganz
-beladen, Kapuzinerkresse und blaue Winden in luftigem Gerank; große reife
-Kürbisse lagen in der Sonne, und unter den Dächern hingen Girlanden von
-Welschkorn. Aber von den Wiesen kam der Geruch vom zweiten Schnitt, der so
-scharf ins Herz greift, wie Anklammern an ein letztes Glück, und über den
-Höhen lag Dunst, damals wie heute der Bote milder Tage.
-
-Sie hatte das alles ganz unbewußt geschaut und in die Scheuern gesammelt;
-heute zehrte sie davon. An Abende dachte sie zurück bei der berühmten
-Sängerin, die sich in einem Seitental, von Erlen umdämmert, einen kleinen
-Musiktempel erbaut hatte. Mit halbgebrochener Stimme trug sie die alten
-feierlichen Arien vor. Ihre großen, furchtlosen Gebärden, ja ihre
-düstere Häßlichkeit paßten zu der Meisterschaft, mit der sie Licht
-und Schatten breit und unbekümmert hinwarf. Oder sie sang spanische
-Volkslieder mit ihren Töchtern, jungen, mageren Geschöpfen, bräunlich
-wie Hindumädchen, aneinandergelehnt ... Wie das von ihren Lippen kam,
-die heiseren Rufe des Maultiertreibers, der langgezogene Schrei des
-Melonenverkäufers; und die Mutter am Klavier, die mit dunkler Stimme ihren
-Part mehr knurrte als sang ... Zerstoben, verstummt. Wer konnte sie noch
-singen, diese schmerzlich gefaßten Rezitative in königlichem Faltenwurf,
-diese gramvollen Arien, in denen es wetterleuchtet von niedergepreßtem
-Gefühl? Der kleine Musiktempel war abgerissen, das Wohnhaus in andere
-verbaut, die Bäume gefällt. Und daneben, wo der verbannte Dichter wohnte,
-einer der vielen seines Landes, die verfolgt wurden um der Gerechtigkeit
-willen; ja, das Haus war noch da, aber tot, mit geschlossenen Läden, die
-Wege von Moos übersponnen, stand es zwischen großen Platanen über dem
-kleinen Gehölz, wo im Mai die Nachtigallen im Faulbaum schluchzten. Und
-sie dachte an den schönen, grauhaarigen Mann, wie er, weißgekleidet, mit
-schweren und doch weichen Schritten, einem guten Bernhardinerhund ähnlich,
-im Garten auf und ab ging, wenn in dem versumpften Erlenwäldchen, ihm zu
-Füßen, die Frösche quarrten. »=J'aime les grenouilles, ça me rappelle
-la Russie=,« sagte er. Oft plagte ihn die Gicht, dann ruhte er im
-Gartensaal zu ebener Erde, sein Fuß, zu einem unförmigen Bündel
-gewickelt, wie eine gekränkte Gottheit auf einem besonderen Taburett. Die
-Wände mit Büchern austapeziert, das still brennende Kamin und auf dem
-Tisch ein großer Strauß Heliotrop. Dazu rauchte er die kleinen blonden
-Papyros seiner Heimat und bekritzelte lange schmale Papierstreifen, die
-den Teppich bedeckten. Hier waren viele seiner Erzählungen entstanden, mit
-ihrem eigenen, ureigenen Duft wie von Frühlingswald und allerkostbarstem
-Tee. Aber nun hing am Gitter ein Plakat: Baustellen zu verkaufen. Wie lange
-würden sie hier noch rauschen, die Silberpappeln, die Birken und Platanen?
-
-Oh, wie hatten sie damals seine Bücher verschlungen, wie hatten
-sie geschwärmt, gehofft und prophezeit. Musik und Philosophie und
-Menschenrechte, alles wurde leidenschaftlich diskutiert; da war so vieles,
-das zum Licht begehrte, überall schäumten kleine Wirbel über dem
-tiefkochenden Meer. Und vieles war eingetroffen seither, was sie
-herbeigesehnt hatten, aber in plumperen Umrissen, mit Abzügen
-und Zugeständnissen, die ihrem kühnen Hoffen fremd gewesen. Denn
-verwirklichte Ideale sehen wohl immer aus wie die Stiefmutter, die den
-Schmuck der rechten Mutter trägt.
-
-Wo waren sie hin, die zarten, rastlosen Frauen, die sich im milden
-September zusammenfanden, wenn die Trauben so süß und die zweite
-Rosenblüte noch erlesener war als die, die der Juni beschert? Wenn
-Johann Strauß seine Walzer dirigierte, während am Nachthimmel große
-Raketenbündel hoch fuhren und knisternd niedersanken, goldener Hafer
-und blaue strahlende Sterne, zögernd, trauernd um die eigene kurzlebige
-Schönheit? Viele waren tot, ach, wer nannte sie noch? Andere lebten, fern
-von hier, von neuen Pflichten, neuen Generationen beschlagnahmt: Großmama,
-Nonna, =petite tante= ... Ach und jene Allersüßeste, Allerkostbarste,
-deren Herz überschäumte in Bewunderung alles Schönen, in
-leidenschaftlicher Abwehr aller Enge und Halbheit, sie lebte hinter Mauern;
-ja, lebte sie noch? Sie, deren göttlich schöne Füße die Bildhauer toll
-gemacht hatten, ging sie barfuß auf kalten Steinen? »=Diane vaincue=«
-hatten die Freundinnen sie genannt, nach einer tiefgelben Rose, die damals
-neu war; deren schmalen, bräunlichen Knospen sie ähnlich sah. Ach,
-Runzeln und Gebrechen paßten nicht zu ihr, wollte Gott, daß sie
-schon lange in irgendeinem totenstillen Klosterhof lag, wie eine
-Schmetterlingspuppe in ihre kleine braune Kutte gewickelt, dort, wo die
-Zikaden in der Mittagsglut sägen und der Lorbeer die Luft mit bitterem
-Dunst erfüllt!
-
-Ja, sie hatten sich alle mit dem Leben eingerichtet, so oder so, und da
-waren manche, denen das große Glück nie genaht war, oder die es nicht
-erkannt hatten, da waren auch die kleinen Hermeline, die nichts riskieren
-wollen. Aber viele hatte das Leben wissend gemacht. Und ab und zu hörten
-sie voneinander. Sie, die für Zukunftsmusik und Befreiung der Geknechteten
-geschwärmt, die über Tolstoi und Schopenhauer diskutiert hatten, als
-ginge es um ihr Leben, so edelmütig und verschwiegen in der Freundschaft,
-so weich und rückhaltlos in der Liebe ... »=Ma chère belle=,« so fingen
-ihre Briefe an; ja, aber nun mußten sie Brillen aufsetzen, um sie zu
-lesen.
-
-Das große Glück, das nur wenige finden; der einsame Weg, den nur wenige
-gehen! Ach, mit zitternder Hand griff sie ans Herz, den Mund gespannt in
-unvergeßlich süßer Qual: Mein Schmerz, mein Eigen! Und wenn sie die
-Augen schloß, spürte sie mit suchenden Nüstern Heuduft und Jasmin in der
-Sommernacht, spürte die kühle Glätte des Flügels, an den sie die Stirn
-gelehnt hatte -- oh, wie oft --, damals, wenn er ihr mit leichter, fast
-knabenhafter Stimme die neuen Opern sang, welche zu jener Zeit die Welt
-aufwühlten und in feindliche Lager teilten. Ob unter seiner Leitung das
-Orchester zu einem großen, gebändigten Instrument wurde, einer Republik
-der Stimmen, von seines Blutes Rhythmus befeuert und gezügelt, oder ob
-sie beide, träumend, zuhörend, schweigend genossen, es waren dieselben
-Schauer, es war dieselbe Weite und Enge, die sie im Herzen erlitten, eine
-Gemeinschaft, ein äußerstes Durchdringen, das den Menschen in dieser
-unfaßlichsten und doch körperlichsten aller Künste gegeben ist.
-
-Um sie her fielen die Kastanien ins gelbe Laub; unter der Säulenhalle war
-es leer, die Stühle aufeinander getürmt, leer der runde Musiktempel am
-Eingang. »=Si vous n'avez rien à me dire=« -- oh, diese kleine zuckerige
-Melodie! Damals war sie neu, und man spielte sie zum Überdruß. Nun ging
-sie ihr auf einmal durch den Sinn, ein kleines betrübtes Gespenst. Sie
-fühlte ihre Augen brennen und wie ihr Mund sich verzog. Nach Hause, nach
-Hause, die Sonne wärmte nicht mehr.
-
-
-=II=
-
-Amsel war mit Madame Céline einkaufen gegangen. »=D'abord les petites
-brioches pour madame=,« sagte die kleine Französin. Der Sommerkonditor
-Romplemayère, wie Madame Céline es aussprach, hatte sein Zelt schon
-abgerissen, aber sein Rivale, der den märchenhaften Namen Schababerle
-trug, gleich dem Efeu bodenständig, überwinterte hier. Eigentlich müßte
-es umgekehrt sein, hatte Tante gesagt, denn sie fand, daß sie beide
-die Jahreszeit verwechselt hätten. Rumpelmaier war doch sicherlich ein
-Abkömmling von Rumpelstilzchen und paßte daher weit besser zu Schnee und
-Christbäumen und krausem Winterspuk als zu der =Côte d'Azur=. Während
-Schababerle, den konnte man sich nur mit einem Turban denken, wie er
-Sorbet und Limonaden bereitete, kühl-wohlig in der Sommerschwüle, und
-schließlich wurde er Pastetenbäcker des Kalifen und erhielt die jüngste
-Tochter des Großwesirs zur Frau.
-
-Sie gingen durch Gassen und Gäßchen, die den Berg hinaufkletterten, bis
-zum Schloß mit seinen Höfen und Brunnen und überdachten Treppchen und
-der großen Lindenterrasse. Die Tore waren verschlossen, die freundlichen,
-grauhaarigen Lakaien gingen nicht mehr aus und ein, und die Linden standen
-in einem Teppich raschelnder Blätter. Staffeln führten hinab zu kleinen
-Plätzen, wo im Dämmerlicht Brunnen rieselten, an sauberen Häusern
-vorbei mit Transparenten an den Fenstern, hinter denen Waisenratswitwen im
-Lehnstul saßen und sich nicht entschließen konnten Licht zu machen, ehe
-die Laterne an der Ecke brannte; so sahen sie vor sich hin, die Hände im
-Schoß, und sannen über das Alter des Kanarienvogels nach, ihr eigenes
-darüber vergessend. Kuriose Lädchen gab es hier, Althändler, in deren
-Schaufenster stockfleckige Lithographien verblichener Landesväter zwischen
-gestickten Klingelzügen und alten, gedemütigten Regenschirmen lächelten,
-daneben ein Sargtischler, der kleine Sargmodelle ausgestellt hatte, in
-verschiedener Ausstattung, wie für alle verstorbenen Puppen -- geringe
-und vornehme -- der Nachbarschaft. Beim Seifenhändler hingen die großen
-Altarkerzen aus gelbem Wachs, honigduftend, die in kühlen hallenden
-Kirchen von Sommergärten und summenden Bienenkörben erzählen, dazwischen
-die schlanken Kommunionskerzen, symbolisch umwunden mit Weinlaub und
-gläsernen Trauben, und am Griff ein kleines, steifes Spitzentuch für
-die kleinen zerkratzten Hände, die an diesem Tag in weißen
-Baumwollhandschuhchen prangen. Bei der Vogelhändlerin kamen sie vorbei,
-die in der offenen Ladentür saß, ein schwarzes Kaninchen im Schoß,
-und hinter ihr aus dunklen Ecken leises, unaufhörliches Trillern wie aus
-zarten Wasserpfeifen, das war wie im Märchen von Jorinde und Joringel und
-der bösen Zauberin. Zwischen Mauern ging der enge Weg hinab, über die
-hier und dort ein erfrorener Rosenzweig nickte, und Häuser, die auf der
-einen Seite einstöckig kauerten, ragten auf der anderen aus Abgründen. So
-denk' ich mir Capri, sagte Amsel.
-
-Als sie heimkehrten, stand Tante, in ihren großen Orenburger Schal
-gewickelt, am Fenster und sah nach ihr aus. Von den Pappeln segelten
-gelbe, herzförmige Blätter durch die Luft, Schneebeeren lagen weich
-und verregnet auf den Gartenwegen, bald würde nun der Winter kommen, auf
-Samtpfoten, eine große, weiche, weiße Katze.
-
-»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante. »Das alte Murmeltier und
-das kleine Murmeltier, eigentlich beneidenswerte Geschöpfe, so die ganze
-kalte Zeit zu verschlafen, so gut haben wir's nicht, und ein bißchen
-Französisch mußt du auch wieder treiben; der Mensch kann immer noch
-zulernen, und wenn er auch schon siebzehn Jahre alt ist.« Und ein paar
-Tage später sagte sie: »Ich habe Rächerchen gemacht, denn so sprach
-ich's als Kind aus, wenn ich meinem Vater vorlesen mußte; und nun hab'
-ich die Perle gefunden, eine schwarze Perle, denn sie ist Witwe, und nur
-Französinnen verstehen es, so gründlich Witwen zu sein, ich glaube, sie
-genießen das wie ein Moorbad; also, sie heißt Benoît und sieht aus wie
-ein Kokon aus Trauerkrepp, und ihr Seliger war auch Sprachlehrer, ja, sie
-sagte, er sei ein Vater der Syntax gewesen, und das ist doch gewiß eine
-Seltenheit.«
-
-So erschien denn Madame Veuve Benoît in ihrer ganzen überzeugenden
-Witwenhaftigkeit, in einem Trauerschal aus Kaschmir, ein düsteres Gebäude
-auf dem Haupt, von Schleiern umflutet. Am Arm hing ihr ein schwarzer
-Beutel, der ihre Lehrbücher enthielt, wie auch ein Flakon Melissengeist
-und ein Döschen mit Pastillen -- =cachou des orateurs=. Und sie saß da
-wie eine weiße, fette, gutgepflegte Made in all dem raschelnden Krepp und
-hörte lächelnd, aber unbestechlich zu, wie Amsel mit Vokabeln rang, deren
-sie sich wohl nur selten in Gesprächen bedienen würde, =la pelouse= und
-=le bocage=, =le nénuphar=, =le guéridon= und =les brises embaumées=;
-oder über den unberechenbaren Seitensprüngen =des participe passé=
-nachsann, die der verewigte =professeur= in einem schmalen, aber
-inhaltsschweren Bande festgenagelt hatte, dessen Exerzitien Spaziergängen
-zwischen Fußangeln glichen. Zum Schluß wurde sie mit verdienstvollen,
-wenn auch keineswegs kurzweiligen Autoren bekannt gemacht, der gefrorenen
-Langeweile Racines, den Grabreden Bossuets -- =Madame se meurt, Madame est
-morte= -- und den »=Conseils à ma fille=«, die mit dem Satze schlossen:
-»=et maintenant, chère Sophie, pose ta plume et embrassons nous=«; aber
-auch mit Paul und Virginies träumerischem Dasein auf einem tapetenartigen
-Hintergrund von Palmen und Papageien, wo die Mütter des Liebespaars,
-der Lehren Jean Jacques Rousseaus eingedenk, ihre Kinder im Schatten des
-Brotbaums säugten, und später dann Virginies vorbildliche Schamhaftigkeit
-sie lieber ertrinken ließ, als sich den rettenden Armen eines nackten
-Matrosen anzuvertrauen. »=Une des plus admirables pages de la littérature
-française=,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme und nahm einen =cachou
-des orateurs=, und Amsel dachte: würde wohl auch Madame lieber ertrunken
-sein, in all dem nassen Krepp oder würde sie ... aber das war nicht
-auszudenken. Und Tante kam ins Zimmer mit ihrem schleifenden Schritt und
-sagte: »Gott, sind denn diese vortrefflichen Philister immer noch am
-Leben? Mit denen wurde ich ja auch schon geplagt.« Wenn es dunkelte, wurde
-Madame Veuve von Monsieur Jean Claude Benoît =junior= abgeholt, denn der
-Vater der Syntax war auch Vater eines einzigen Sohnes gewesen, eines
-trotz Brille und Bart mädchenhaften Jünglings, der mit einer Neigung zu
-Bronchialkatarrhen behaftet war. Und =ma mère= war in tausend Ängsten:
-»=Mon fils, as-tu mis tes mitaines? Et tes Caoutchoucs, et ton
-cachenez?=« Aber _er_ sagte: »=Vous=« zu =ma mère=, und überhaupt
-verkehrten sie mit der ganzen =urbanité=, wie sie einst dem Hotel
-Rambouillet zur Zierde gereichte, und nie irrten sie sich im Gebrauch des
-=passé défini= oder des noch eindrucksvolleren =passé du subjonctif=.
-Ja, der Vater der Syntax konnte zufrieden sein mit seinen Werken.
-
-Wenn sie dann schließlich unter ihren Regenschirmen fortgeschwankt waren,
-ließ sich Tante in einen Sessel fallen und lachte, lachte, sie
-konnte nicht aufhören, es klang weich und dunkel und aus ihren
-zusammengekniffenen Augen flossen Tränen. »Wie eine wahnsinnige
-Turteltaube,« hatte eine Freundin von ihrem Lachen gesagt; es war
-ansteckend. Und Amsel sah darin ein neues Vorrecht, wie es einer
-heißangebeteten Tante und Patin zukam. Sie selbst fand all diese
-Menschen nur sehr kurios, wie sie in ihrem Leben auftauchten und wieder
-verschwanden, Silhouetten, in ein Schattenhaus zurück. Nur vor einem hatte
-sie eine an Abscheu grenzende Angst: eines dieser fremden Wesen könnte sie
-anrühren oder gar küssen. Denn sie besaß die tiefe, unnahbare Scheu der
-Ausschließlichen, Leidenschaftlichen. Nein, nur Tante durfte sie küssen.
-Ganz kalt wurde sie, zur Eisblume erstarrt, wenn die feinen Lippen sie
-berührten, die schöne Hand über ihr Haar strich. Und sie konnte vor sich
-hinträumen, Heldentaten ersinnen, Schmerzen und Geduldsproben, die sie
-für Tante bestehen würde, unerkannt, schweigend, in unbegreiflich süßer
-Pein.
-
-
-=III=
-
-Es war eine schöne Fahrt gewesen, ein letzter milder Tag, wie ein Geschenk
-über die Erde gekommen. Erst die Allee hinunter an den geschlossenen
-Gasthäusern, den schlafenden Villen, dann an bescheidenen Wirtschaften, an
-spielzeugartigen Schweizerhäuschen vorbei. Ein jedes spannte seine kleine
-Brücke über den seichten, plätschernden Bach, der hier flache grüne
-Ufer hatte. Dann weiter, am Kloster vorüber, durchs Dorf, immer vom
-Flüßchen begleitet, das durch die Wiesen schlüpfte, durch Garnbleichen
-und Sägemühlen. Und nun rechts hinauf, dem Landhaus zu, das einst den
-russischen Cousinen gehörte, wo das große, sengende Glück ihr Herz
-getroffen hatte. Tante war ausgestiegen, die paar Stufen hinauf bis an die
-Gittertür in der Hecke; nun hielt sie sich mit einer Hand am Gitter fest
-und sah, halb zurückgewendet, noch einmal hinunter in das liebe, nie
-vergessene Tal.
-
-Dort, im Grund, sandten kleine geduckte Häuser ihren Rauch empor; am
-Abhang, in den Wiesen, standen Nußbäume, halb entlaubt, Vögelchen
-schlüpften durch die Hecken, es roch nach Moos und Erde. Im Dunst schien
-sich alles zusammenzuschmiegen, so bescheiden und liebreich war ihr
-dies Land noch nie erschienen wie heut in seinen stillen braunen Farben,
-geduldig den Winter erwartend. Kein lauter Ton, nur das Gurgeln kleiner
-Rinnsale im Gras, auf denen rote und braune Blätter schwammen.
-
-Auf dem Fahrweg, der sich in weiter Kurve emporwand, waren Radspuren.
-Damals -- wie kamen sie angefahren, die Freunde und die Fremden, zu dem
-immer fröhlichen Haus, wo sie bei den Cousinen den Sommer verbrachte. Den
-zweiten. Es waren Jahre vergangen, seit sie zum ersten Male hier gewesen,
-sie war feiner noch, ja, und auch härter geworden, wie ein gespannter
-Bogen hart ist; der erste weiche Duft war geschwunden von den Dingen und
-auch von ihr, und oft lag Erwartung in ihren Zügen, als sei ihr Herz
-hellhöriger geworden und horche auf irgend etwas, einen Ton, einen
-Schritt, den Hornruf des Glücks? Und ihr Mund konnte spöttisch
-sein damals, wenn ihre Augen zuviel gesagt hatten, und trotz aller
-Leichtlebigkeit war sie ein verschlossener Schrein. Und dann -- o wie
-unabwendbar war das große Glück auf einmal da!
-
-Sie sah hinauf zu den hohen Glastüren des Musikzimmers, aus denen
-einst Lichterglanz strahlte und Akkorde hinausströmten, all das
-Unaussprechliche, das nur in Klängen Worte fand. Rosen hatten auf den
-Tischen gestanden, und zu den Türen herein atmete Jasmin von allen
-Büschen, aber auf den Wiesen wurde das erste Heu gemacht -- Juniduft,
-unvergeßlicher! Und heute nun stand sie am Gitter, und es war ihr Haus
-nicht mehr. Der Spätherbst war im Land, aber sie witterte die vergangenen
-Sommer, sie suchte in der Luft nach den Harmonien, die seine zaubernden
-Hände, seine nur andeutende Stimme ihr ins Blut, in die Seele gedrängt
-hatten, bis Tag und Nacht zu einem einzigen, seligen Schlafwandeln
-geworden, jede Minute voll bis zum Rande. Bis eines Tags der eine Tropfen
-mehr ihr Herz zum Überfließen brachte. Ein Blick, eine Bewegung ...
-ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, wie bei der Stelle in ihrer
-Lieblingssymphonie, wenn die Hörner einsetzen, leise erst und immer
-drängender, ach unerbittlich in ihrer Süßigkeit; da war nur eins, das
-dieser tiefen Pein Ruhe geben konnte: Hingabe. Denn wie der Durst nach
-Wasser, wie das Fieber nach Schlaf, so begehrt Liebe nach Erfüllung. Ihr
-ganzes Leben wollte sie ihm schenken, alles -- und kein Ende; nie wieder
-hatte sie sich selber angehört.
-
-Aber an das Schwinden ihres Glücks dachte sie heute nicht mehr. Die Ammen
-streichen Bitteres auf die Brust, um die Kinder zu entwöhnen; so entwöhnt
-uns Leid und Verlust vom Leben. Aber, Herr Gott, sie hatte doch einmal
-alles besessen. Gewinnen, verlieren, was sollten die Worte? War er ihr
-nicht eben nahe gewesen? Nur eine große, hilflose Dankbarkeit erfüllte
-sie. Einen Augenblick sah sie hinauf und ihre Augen tranken ... tranken.
-Dann ging sie, ohne sich umzusehen, zum wartenden Wagen zurück.
-
-Am selben Abend ließ sie den alten Badearzt rufen, den sie aus jener Zeit
-her kannte, der aber sonst nicht mehr praktizierte. Er blieb lange mit ihr
-allein. Dann bat er um Schreibzeug und setzte ein Telegramm auf. An den
-berühmten Mann in Heidelberg. Dabei putzte er sich heftig die Nase in ein
-großes rotseidenes Taschentuch. Er sah über die Brille Amsel lang und
-zweifelnd an, als wolle er reden. Aber er seufzte nur und ging.
-
-Der berühmte Mann kam und befahl Ruhe, als ob man bisher in einem
-Vergnügungstaumel gelebt hätte, und abends kam nun Schwester Ludovika und
-löste Madame Céline ab, die vom Aufsitzen und nächtlichen Kaffeetrinken
-elend war. Die Schwester war schlank und durchsichtig mit dunkelumwimperten
-Augen. »Wie Genovefas Hirschkuh,« meinte Tante. »Aber weißt du, Amsel,
-als Kind besaß ich einen Tintenwischer, der stellte eine Nonne dar, mit
-einer Menge Flanellröckchen -- du verstehst -- für die Federn, aber
-sonst nichts, und da dachte ich eigentlich, daß Nonnen gar keine Beine
-hätten.«
-
-Sie lachte mit den Augen und wandte den Kopf dem Licht zu; ihr Haar lag
-schwer und feucht auf den Kissen, im Lampenschein war die Stirne so
-klar nach den Qualen der Nacht. Als sei sie jünger geworden durch die
-Schmerzen.
-
-Amsel führte ihr Leben wie sonst, all ihre kleinen Pflichten, viel Warten
-und Harren. Flüsternde Stimmen legten sich ihr aufs Herz. Da war ein
-schimmernder Punkt am Ende des finstern Ganges: Hoffnung. Dorthin strebte
-sie, jeden Tag ein winziger Schritt. Aber manchmal sah sie das ferne Licht
-nicht mehr.
-
-Heut aber saß Tante endlich wieder im langen Zimmer, wo der Flügel war
-und das Kamin. Neben ihr die kleine Boulekommode, mit offenen Fächern; da
-waren so viele zusammengebundene Briefe. Am Nachmittag war Frau Schwämmle
-dagewesen, hatte köstliche Birnen gebracht und einen großen Busch
-Herbstastern. Zu solchen Visiten preßte sie sich in ein braunes
-Kaschmirkleid, und auf dem glatten Scheitel balancierte dann ein kleiner
-Kapotthut mit schwarzem, nickenden Hafer. »Püh,« sagte sie beim
-Eintreten und riß die Hutbänder unter dem Doppelkinn auf, denn sie war
-vollblütig und erzählte mit finsterer Genugtuung, daß alle in ihrer
-Familie am Schlagfluß stürben. In ihrer Waschküche mußte man
-sie hantieren sehen, in Wolken von Dampf und Seifenschaum, silberne
-Schweißtröpfchen auf der Oberlippe, den Niobebusen ausgebreitet in der
-rosa Kattunjacke, an der viele Knöpfe fehlten. Jedes Jahr kam ein Kind,
-nicht immer um zu bleiben. »Unser Vatter« war Droschkenkutscher. »Ja,
-der Deifel isch en Eichhörnle,« sagte sie, wenn sie neuen Zuwachs
-ankündigte.
-
-Tante hatte ein Briefpaket geöffnet, es stand eine Jahreszahl auf der
-Hülle, verschiedene Handschriften waren darin. Sie blätterte ein wenig,
-dann legte sie's auf die Glut; ein Kräuseln, ein Aufflammen -- pht ... und
-nun war es nicht mehr. Und das Herz zog sich ihr zusammen, denn nun erst
-waren sie ganz tot, die ach so bescheidenen Toten, die nur noch leben vom
-leisen Atem der Erinnerung. Eigentlich eine Hinrichtung, als ließe man vor
-der Abreise einen alten Hund erschießen, damit er nicht in gleichgültige
-Hände falle. Manchmal zögerte sie, glättete die Seiten. Da war der
-englische Freund, der so resigniert und losgelöst über den Zeitverlust
-aller Politik, aller Ambitionen redete, der zart und unaufdringlich jeden
-ihrer Wünsche erriet und erfüllte. Sie hatte sich nichts dabei gedacht:
-sie ganz jung und leichtherzig, er so viel älter. Seine Fürsorge, seine
-väterlich-ironische Art: sie hatte alles für Spielerei gehalten. Und nun
-las sie: »=Oh don't be constant, for the fear of losing you is one of
-your greatest charms=« -- und begriff (denn das Alter macht auch geistig
-fernsichtig), warum er die Tür der Ironie immer offengehalten hatte: um
-sich hinein zu flüchten, weil sie ihn niemals recht verstand.
-
-Hier knisterte der Brief einer alten Freundin, sie auch schon lange tot.
-Damals wurde viel geredet über eine gemeinsame Bekannte. Aber die alte
-Dame hatte nie mit eingestimmt: »=Je sais qu'on me trouve bien large. Non,
-je ne veux être que juste et j'ai horreur de la médisance. A part les
-plaies de Notre Seigneur, auxquelles je crois sans avoir vu, je ne
-veux rien croire sans voir. Je sais que vous pensez de même, car vous
-n'écoutez que votre cœur qui est meilleur conseiller que la tête.=«
-
-Der Brief flackerte auf, sie öffnete einen anderen. »Maria ist in Rom,
-sie ist bei den Karmeliterinnen eingetreten. Der allerstrengste Orden. Sie
-gehen barfuß und dürfen nie, nie wieder heraus. Ihre Augen, ihr Lächeln,
-ihr entzückender Gang, wir werden sie nie wiedersehen. Warum nur? Zu
-bereuen hatte sie nichts, wußte ja gar nicht, was Haß und Sünde sind.
-›=Terra gentile=‹, wie die Italiener sagen. Es ist ein Rätsel ...«
-
-Aber in einem anderen Brief war die Lösung. Da stand mit großen eiligen
-Buchstaben auf vielen kleinen, abgerissenen Blättern, wie man noch rasch
-ein Abschiedswort kritzelt, wenn das Gepäck schon fort ist und sich nur
-noch das winzige Notizbuch in der Tasche findet: »Lebewohl und Dank Dir
-zum letztenmal, Du Einzige, die alles verstehen wird. Immer hatte ich mir
-gewünscht, einmal zu lieben, ohne geliebt zu werden. O ich Unselige, welch
-ein wahnsinniger Wunsch. Nun ist er erfüllt und es ist die Hölle ...«
-
-Da waren Briefe alter Diener, Danksagungen für manche geleistete Hilfe.
-Auch ein armer Tanzlehrer, den sie in seinem Alter und Elend besuchte,
-schrieb: »Heute danke ich Gott und den Grazien, weil noch einmal die
-Anmut unter mein armes Dach gekommen ist. Wie gut werde ich diese Nacht
-schlafen.« Immer wieder fuhren die hungerigen Flammen auf. Nun war nichts
-mehr übrig. »Amsel,« sagte Tante und ihre Lippen bebten, »das waren
-lauter gute Menschen. Ich werde sie nie wiedersehen.«
-
-Amsel kroch ganz nah an sie heran, sie legte den Kopf an ihre Schulter,
-dicht am Hals, und atmete den geliebten Duft, der ein wenig wie
-Bergamottbirnen war. Dies mit anzusehen war eine große Qual gewesen.
-Als ob ein Mensch zur Reise rüstet und sein Hündchen steht dabei mit
-flehenden Augen und weiß ja doch, es wird nicht mitgenommen.
-
-Tante legte die Wange an den kleinen aschblonden Kopf. Armes Kind, es war
-für sie gesorgt, was man in der Welt darunter versteht. Aber sie mußte
-durchs dunkle Tor und das Kind würde allein weitergehn. Würde sie ihr
-sehr fehlen, wenn der erste, scharfe Schmerz vorüber war? Denn sie hatte
-erlebt, wie sich Wunden schließen, die man für unheilbar hielt, und im
-Grunde war sie sehr bescheiden, was sie selbst betraf: warum sollte
-gerade ich unentbehrlich sein? Aber so recht hatte sie das Kind doch nie
-verstanden, denn zwei Schamhafte hören oft aneinander vorbei, gerade weil
-sie dieselbe Sprache sprechen.
-
-Ihre Gedanken gingen wieder zu der schönen Marie, die so sehr geliebt
-worden war, und doch ... was war ihr Leben gewesen? Und plötzlich fing sie
-zu singen an, sang hin zu ihr, die doch unerreichbar war, mit der lieben
-atemlosen Stimme, in der man das arme, arbeitende Herz keuchen hörte:
-
- »=La notte tutti dormono,
- Io non dormo mai ...=«
-
-Ihre Farbe kam und ging, ihre Augen standen voll Tränen. Aber Amsel lag
-wie ein Vogel unter Mutterflügeln; sie horchte auf den geliebten Klang,
-die fremden Worte verstand sie nicht.
-
- »=I quarti d'ora suonano
- Le una, le due, le tre ...
- Ti voglio bene assai,
- Ma tu non pensi a me ...=«
-
-So viele Nächte hatte sie nur halb geschlafen, die Angst im Herzen, sie
-könnte gerufen werden; aber nun kam der Schlaf -- unwiderstehlich. Und
-Tante lächelte, wie der aschblonde Kopf immer schwerer wurde und hinunter
-glitt auf ihren Schoß.
-
-Die Uhr tickte deutlich in der Stille, sie hatte es eilig mit ihrer
-Aufgabe. Und die Rosen dufteten. Schöne, gütige Blumen, wenn sie starben,
-erblühten neue, aber niemals dieselben. Warum sollte ich weiterleben,
-dachte sie, habe ich das ewige Leben mehr verdient als eine Rose? Aber wer
-konnte Recht sprechen, auch über sich selbst? Und alle Schuld war doch
-Strafe zugleich, es ging gerechter her, als man dachte. Etwas Hartes,
-Häßliches getan zu haben, das mußte wohl sein wie ein heimliches
-Gebrechen, wie wenn schöne Frauen häßliche Füße haben: es läßt sie
-nicht froh werden. Hatte sie auch Häßliches und Hartes getan oder
-gedacht in ihrem Leben? Es war wohl ihre große Müdigkeit, sie konnte
-sich durchaus an nichts Böses erinnern, nicht an solches, das ihr andere
-zugefügt, nicht an solches, das andere um ihretwillen erlitten. Neben ihr
-lag ein abgegriffenes Gebetbuch, Maries letztes Geschenk; ohne ein Wort
-dazu war es aus Rom geschickt worden, denn auch das hatte sie nicht
-besitzen dürfen. Da war ein Gebet, es schien ihr soviel menschlicher als
-alle anderen, das Buch öffnete sich von selbst an dieser Stelle, und sie
-las die leicht unterstrichenen Zeilen:
-
-»=O Marie, mère si heureuse dans le Ciel, n'oubliez pas les tristesses
-de la terre. Ayez pitié de ceux qui s'aiment et que Dieu a séparés.
-Ayez pitié de l'isolement du c[oe]ur, si plein d'abattement et même de
-terreur.=« Und etwas weiter: »=Ayez pitié de ceux que nous aimons, o
-Marie, ayez pitié de ceux qui s'aiment, de ceux qui ne savent pas se faire
-aimer.=« Ja das, das mußte das Bitterste sein: =qui ne savent pas se
-faire aimer=. Aber für sie waren diese Worte nicht geschrieben; eins war
-gewiß, sie hatte grenzenlos geliebt und sie war heiß geliebt worden. Und
-als es dann zu Ende ging ... Wenn der Sommer zu Ende geht, nennt man ihn
-darum einen Verräter? ... Und nun kam anderes; etwas Großes, Fremdes
-tat sich auf, es wehte kühl. Schleier fielen auf die Dinge und sie konnte
-nicht mehr greifen und halten; nur noch das Aller-Allernächste war zu
-erkennen.
-
-Ihr Blick ging langsam von einem zum anderen, über ihr Klavier, über die
-Bilder und das Glas mit den Rosen, wie sie standen und dufteten. Und ihr
-schien, als ginge sie selbst, unbeholfen und schon fremd geworden durch die
-bekannten Räume, mühsam Dinge beim Namen nennend, an denen doch ihr Herz
-nicht mehr hing.
-
-
-
-
-Die Waldschenke
-
-
-Von der Brincken unterschrieb sie sich und Freifrau war sie, wenn auch
-nur linkshändig und in Gebundenheit. Der rotköpfige Wirt zog heute noch
-demütig die Zipfelmütze vor ihr, aber wie sie hinaufstieg zu den kleinen
-schattigen Terrassen der Waldschenke, kam ihr mit dem Erinnern an die
-anderen Male, da sie die morschen Holzstufen unter den Füßen gespürt
-hatte, auch dieser Augenblick vor wie etwas schon Erlebtes, etwas,
-das abgetan ist und nur dumpf wehe tut, als würde einem auf den
-eingeschlafenen Fuß getreten. Aber die lange Disziplin, die Gewohnheit
-erwiesener und empfangener Höflichkeit half ihr das Treppchen hinauf.
-
-Unter den düstergrünen Linden und Kastanien war es finster, und der Wirt
-brachte Windlichter und stellte sie auf die graue Holztafel. Unter ihr auf
-einer niederen Terrasse spielten drei Männer Karten, ein vierter stand
-angelehnt, die Pfeife im Mund, und sah zu; das Licht huschte über ihre
-harten, feinen Bauernköpfe und die Stimmen drangen ab und zu herauf. Sie
-hatte den dunklen Reisemantel zurückgeschlagen und stützte das Kinn in
-die schmale, magere Hand. Der breitrandige Federhut warf Schatten über
-Augen, die sich hochzogen, als spotteten sie der eigenen Tränen. Es war
-doch merkwürdig, die erste zu sein bei einem Stelldichein, sie, die sonst
-nie gewartet hatte; aber was lernt ein Mensch nicht alles!
-
-Doch nun kam der Prinz, links, vom Walde her, wo das Forsthaus lag, in
-welchem er abstieg. Mit federndem Schritt und der etwas übertriebenen
-Bonhomie im Ausdruck seines jungen, verlebten Gesichts, mit den hellen,
-schräggestellten Augen, hatte er etwas von einem eleganten jungen Kater,
-der auf allen Dächern Bescheid weiß. Frau von Brincken erhob sich. Er
-wurde sehr rot und sagte: »Ich bitte dich.« Aber die kleine Formalität
-tat ihr wohl; sie liebte es, auch das eigentlich Unkorrekte durch ein
-gewisses Dekorum einzuhegen, abzusondern von den übrigen, landläufigen
-Unkorrektheiten. Er küßte ihre Hand, sagte ein paar liebenswürdige Worte
-über ihr Aussehen, die sie ohne Enthusiasmus entgegennahm, und lehnte sich
-zurück, die Hand in der Hüfte, die schlanke Lässigkeit unterstreichend,
-die ihm durch unzählige Porträte und Photographien beinahe zur Pflicht
-gemacht wurde. Der Wirt kam eilfertig mit eiskaltem Landwein und Kuchen.
-Sie nippte, er stürzte zwei Gläser hinunter. Warum ist keine Musik?
-dachte Frau von Brincken, es ist ja doch Theater, die Terrasse, der Wirt
--- =basso buffo= -- die Statisten ... gleich werden wir aufstehen und
-unser großes Duett singen, Opfer und Entsagung, schmelzend, aber =con
-bravura= ...
-
-Sie sprachen. Er mit forciertem Ungestüm, mit Selbstanklage, die aber doch
-dem Schicksal, das sich ja nicht verteidigen kann, die Hauptschuld zuschob;
-Mitleid und Besorgnis um ihr ferneres Ergehen in jedem Ton. Immer wieder
-der tadellose Kater, leichtsinnig, oberflächlich, wenn man wollte, aber
-doch im geheimsten Winkel seines Bewußtseins: der tadellose. Frau von
-Brincken fühlte, wie sich ganz leise der Gram von ihr löste, ohne daß
-sie selber etwas dazu tat, und diese Operation war nicht unangenehm, wenn
-auch mit einem leichten Frostgefühl verbunden. Mein Gott, waren es denn
-Kleinodien gewesen oder Glasscherben, die sie so lange, so angstvoll
-gehütet? War ihr Schicksal eines der vielen, unfertigen, die der Triebsand
-des Lebens einschluckt, arme, verirrte Reisende, deren protestierende
-Armbewegung aufwärts wie ein anklagender Wegweiser die Verräterei des
-Bodens verkündete? Und nun saßen sie hier und lächelten einander zu, und
-es war, als wenn man mit einem Stückchen Brot im abgestandenen Champagner
-rührt, um ihn noch einmal zum Moussieren zu bringen. Frau von Brincken
-sah das wohl mit ihren klargeweinten Augen, in diesem zweiten, beinahe
-reizvollen Stadium der Enttäuschung, wenn sich die Seele in zwei Hälften
-teilt und die eine leidet und die andere zusieht. Bei jungen Menschen kann
-das ein Vorfrühling sein. Der Schmerz hat die Seele gelockert, Neues kann
-keimen und aufgehen und bringt vollkommene Befreiung, erneuert das Herz
-nicht nur, sondern auch den Geist. Aber sie dachte heute nur an Frieden.
-Wie gut würde Ruhe tun, nachdem sie so lange gekämpft hatte. Wie
-anstrengend war es doch oft gewesen; so mußte den armen Teerosen zumute
-sein in den großen Tafelaufsätzen, alle hatten sie einen Draht durchs
-Herz gezogen ...
-
-Er ahnte wohl ihre Gedanken. Und nun war es fast, als sei _er_ der
-Verstoßene, als schritte sie, einsam und erlesen, von dannen, einem Leben
-entgegen, an das er kein Recht mehr haben würde.
-
-»Unsere liebe alte Waldschenke,« sagte er und seufzte. Er hatte eine
-Vorliebe für die maßvolle Architektur jenes ausklingenden Jahrhunderts
-der Jabots und der Zöpfe. Teilweise wohl aus Widerspruch, weil er bei so
-vielen Enthüllungen fürchterlicher Denkmäler, bei so vielen Einweihungen
-prunkvoller Theater und Kirchen zugegen sein und lobende Worte sprechen
-mußte, war ihm gerade diese Bauart sympathisch, deren stilles
-Behagen, deren karger Zierat uns überkommt wie Resedaduft, mit leisem,
-schwermütigem Wohlgefühl. Das Haus hatte bessere Tage gekannt, sanft
-angelehnt am waldigen Hügel. Die schöngegliederte Tür, die leichten,
-halbverwischten Ornamente der Fenstereinfassungen, das zartsilberne
-Schindeldach, alles redete von einer Zeit, da zierliche Behäbigkeit
-der Form auch das Alltägliche erlesen machte. Heute standen Planwagen
-aufgereiht im weiten Hof, Fässer waren im Torweg aufgestapelt, und vor
-der Einfahrt tranken schwere Pferde gierig am Brunnentrog. Der Prinz neigte
-sich vor: »Durstige Tiere trinken zu sehen, ist doch eine Wonne,« sagte
-er. Frau von Brincken fühlte einen kleinen, süßen Stich ins Herz, und
-ihre Augen wurden groß wie von aufsteigenden Quellen. »Ich will immer
-an Sie denken, Ludwig, wie Sie eben den durstigen Pferden zusahen,« sagte
-sie. »Es gibt viel Durstige -- vergessen Sie's nicht. Ihre Hand weiß so
-schön zu geben, und am meisten habe ich doch wohl Ihre Hände geliebt,
-damals -- ihr Mund bebte ein wenig -- als wir die erste schöne Reise
-machten und am Abend der Korb auf dem Tisch stand mit den herrlichsten,
-kostbarsten Pfirsichen und Trauben aus Eurer Hoheit Treibhäusern. Wir
-konnten es kaum erwarten, waren so heiß und durstig von der langen Fahrt.
-Aber da kamen die Bettler. Ja, Ludwig, und da nahmen Sie den Korb, die
-Pfirsiche, die Trauben, und schenkten alles, alles an die armen Kinder,
-behielten nichts zurück, auch für mich nichts, und gerade das,
-Ludwig ...« Sie wandte sich zur Seite, ihre Augen brannten. »Engel, es
-war ja deine Hand, die mich das Geben lehrte,« sagte er und war wieder
-ganz geschmeidiger Kater, »diese reizende Hand, die ich nicht festhalten
-kann. Aber wenn du mir schreibst, mit unserm lieben kleinen Sternensiegel,
-da kannst du sicher sein, daß mein dankbares Herz deinen leisesten Wunsch
-hören wird, bis in die fernsten Zeiten« ... Fast hätte er gesagt »das
-walte Gott«, denn er war es gewohnt, diese Schlußfloskel ziemlich wahllos
-anzubringen; aber da war auf einmal etwas in ihrem ferngerichteten Blick,
-das ihn ernüchterte.
-
-»Es sind nicht einzelne Wünsche, die ich hegte,« sagte sie, und ihre
-Stimme klang blechern und müde ... »ich hatte Größeres erhofft ... Aber
-Euer Hoheit Leben ist noch lang, es werden so viel Kreuzwege kommen ... oh,
-vergiß nicht die durstigen Pferde,« und sie nannte ihn wieder beim Namen.
-
-Es waren ein paar feine Fältchen an ihrem Munde, und er sah sie genau. Sie
-war ihm rührend wie ein kostbares Porzellanfigürchen, das immer noch
-mit zierlicher Grandezza zum Tanz schreitet, und hat doch leider schon so
-manchen feinen Sprung in der Glasur. Und diese unausbleiblichen kleinen
-Standreden ... nun ja, das war ganz natürlich; erst das Lyrische, und
-dann wird die Dame didaktisch. Er wollte sich gewiß nicht mit Goethe
-vergleichen, der ihm überhaupt vorkam wie ein Menschenfresser mit Orden
-... aber er mußte seit einiger Zeit häufig an Frau von Stein denken. Es
-war eben der Altersunterschied; was konnten sie beide dafür! Es war alles
-bezaubernd gewesen -- war es eigentlich noch. Aber eine Unterbrechung
-... nun, und was an ihm lag, nichts Definitives, setzte er, zur eigenen
-Beruhigung, wie ein kleines Pflaster obendrauf.
-
-Der Wind fuhr durch die Lindenwipfel; schmalgeschweifte Samenhülsen
-segelten herab, sich emsig drehend wie kleine Propeller.
-
-»Sonnenwende,« sagte Frau von Brincken, »das ist eigentlich die
-schwermütigste Jahreszeit. Der Herbst ist noch nicht da mit seinen Farben,
-seiner frischen Nebelluft, aber die Bäume sind es müde geworden, grün zu
-sein. Das war mir als Kind schon die traurigste Zeit, viel ärger als der
-November, den viele so melancholisch finden.«
-
-»Sei froh,« sagte er und dehnte sich hintenüber in seiner
-weidenschlanken Länge, »daß dir so etwas wie der Wechsel der Jahreszeit
-überhaupt damals zum Bewußtsein kam. Unsereiner steckt in solchem Drill,
-daß er das alles nur empfindet wie ein Schauspieler die veränderte
-Dekoration; einmal ist es Schneelandschaft, ein andermal Frühlingswald,
-aber Schneeballen kann man nicht daraus machen und die Rosen sind nur
-gemalt; er darf seinen Spruch hersagen und damit basta. Das Beste noch war
-die Jagd, nicht die großen Hofjagden, nein, allein, oder mit zwei, drei
-Kameraden, und abends dann die gute Müdigkeit am glimmenden Kamin, wo die
-Hunde liegen und im Traum bellen, man raucht seine Shagpfeife, und mein
-wackerer alter Buschmann erzählt Jagdgeschichten ... Rita, einmal waren
-Sie auch dabei, und nun, wirklich, niemals wieder?« Sie sah vor sich
-hin, unter ihren Augen zuckte es ein wenig: Glimmender Kamin, wackerer
-Buschmann, er hat nun einmal Redewendungen wie aus einem Schulaufsatz.
-Darum war's mir immer so peinlich, wenn er schrieb. Seltsam, diese
-Ausdrucksweise, und dabei dieser unfehlbare Geschmack in der Wahl seiner
-Kleidung, er käme sich degradiert vor, wenn er sich in der Farbe der
-Krawatte geirrt hätte ... Dann wurde ihr Blick weich. »Wenn Sie es irgend
-vermeiden können,« sagte sie, »so enttäuschen Sie niemand. Es ist ja
-wohl nicht immer zu vermeiden, aber man sollte es versuchen. Sie gehen oft
-mit Ungestüm auf eine Sache los, dann aber ist sie doch komplizierter,
-als Sie dachten, oder Sie meinen, Sie seien auf Undank und Ungerechtigkeit
-gestoßen, wo es oft nur Ungeschick ist ... dann lassen Sie's fallen. Denn
-es gibt ein Wort, das kennen Sie nicht: Geduld. Es ist auch nicht von Ihnen
-zu verlangen. Die Weltgeschichte wurde Ihnen von Hoflieferanten serviert
-und die Gegenwart ist Ihnen ein Schaufenster, und da liegt alles schön
-aufgebaut und ist alles zu haben.« Er lächelte mühsam, denn er dachte an
-Dinge, die gerade für ihn und seinesgleichen unerreichbar waren. Er hatte
-eine kleine Schwester gehabt, die hätte so schrecklich gern einmal in der
-Hundehütte geschlafen, aber das litt die Erzieherin nicht, und die kleine
-Prinzeß war gestorben, ohne ihren Herzenswunsch erfüllt zu haben. Ja, und
-er hatte wieder andere unerfüllbare Wünsche. Nun, wer weiß, hätte
-er sie erlangt, wären sie wohl bald ihres Reizes verlustig geworden.
-Immerhin, da war so manches, das fernab glitzerte ... jenseits, er würde
-es nie besitzen.
-
-»Ich habe als Kind eine Enttäuschung erlebt,« fuhr sie fort,
-»eigentlich eine Kinderei; aber noch heute, wenn ich Faulbaum rieche,
-kommt es über mich, dies Gefühl der Erwartung, des felsenfesten
-Vertrauens -- und dann auf einmal nichts, eine Leere, ach, ein
-Verratensein ...«
-
-»Wie ging das zu?« frug der Prinz, der Frau von Brincken gegenüber immer
-Interesse zur Schau trug, wenn auch manchmal gerade _die_ Eigenschaft, die
-sie ihm absprach, dazu nötig war.
-
-»Das ging so zu,« sagte sie und sah vor sich hin, und die Erinnerung an
-diese erste Bitterkeit des Lebens stand auf wie eine graue, beklemmende
-Wolke; »wir schwärmten dort in der kleinen Residenz alle für die
-Schauspielerin Weiß. Sie gab das Gretchen und Klärchen, aber auch die
-Königin im Don Carlos und feine Salonrollen, wo sie in entzückenden
-Toiletten traurige und edle Schicksale verkörperte. Wir Schulmädchen
-hingen ihr Maiblumenkränze an die Tür, eine ganz Mutige warf ihr
-sogar Rosen ins offene Parterrefenster, und wenn wir ihr auf der Straße
-begegneten, hatten wir Herzklopfen. Sie wußte das und fand es wohl recht
-abgeschmackt, aber sie lächelte freundlich, wenn wir sie grüßten, und
-schickte uns bisweilen Freibilletts; wir kleinen Beamtentöchter kamen
-ja sonst nicht oft ins Hoftheater. Schließlich lernte ich sie in einem
-kunstfrohen Malerhause kennen. Diese Malersfamilie machte im Frühling mit
-ihren Freunden Landpartien in den herzoglichen Wildpark, es waren lauter
-junge Leute, Maler und Malerinnen, aber auch Musiker, Polytechniker,
-Schauspieler. An jenem Tage war Marie Weiß dabei. Es war so ein richtiger
-Maitag, in den Gärten und auf den Wegen, die zum Wald gingen, blühte der
-Faulbaum, oh, es war betäubend, und drinnen im Wald in dem dürren heißen
-Laub standen die großen, duftlosen Hundsveilchen, die anderen waren schon
-vorüber; und über Bahndämme kamen wir, wie goldene Straßen, das war der
-Ginster -- und überall Zitronenfalter ... Marie Weiß sprach mit mir; sie
-ginge nun in Urlaub, und sie wüßte nicht, ob sie im Herbst wiederkehren
-würde. Das Herz wurde mir wie Blei, was sollte mir das Leben, die Stadt,
-meine Lehrer und Beschäftigungen, wenn dahinter nicht mehr Marie Weiß
-stand? Sie frug mich, wo ich den Sommer über sei, ich sagte es ihr,
-bei einer Tante, die ein Gütchen im Schwarzwald hatte, nicht weit von
-Bühringen. »Nun,« sagte sie, »so um den 20. August herum muß ich nach
-Bühringen; ich bin ja dort geboren, ich brauche allerhand Papiere. Wer
-weiß, vielleicht treffen wir uns?« Sie sah mich so warm und lachend an,
-sie hatte einen wunderschönen großen Mund und grüne Augen mit braunen
-Fleckchen drin, es gibt einen Stein, Moosachat, so ähnlich, und ihr
-dunkles Haar war so reizvoll angewachsen ... Ihr Männer ahnt ja nichts
-von der Hingabe, mit der ein junges, einsames Ding eine berühmte,
-selbständige Frau anbeten kann; man atmet kaum, wie in der Messe, wenn
-eben die Kerzen angezündet werden, ja, man denkt sich aus, was man alles
-für die Angebetete leiden möchte, Nesseln pflücken, was weiß ich für
-Unsinn. Aber ich langweile Sie ...« unterbrach sich Frau von Brincken.
-
-»Nein, nein, sprich weiter,« sagte der Prinz, der an anderes gedacht
-hatte, aber ihre weiche Stimme mit dem leisen südlichen Klang in sich
-einsickern ließ wie ein angenehmes Akkompagnement. Sie merkte es wohl,
-aber sie redete weiter, mehr für sich als für ihn. »Bühringen ist eine
-kleine Stadt, vom Hof meiner Tante sind es drei Stunden zu gehen. Am 19.
-heuchelte ich schreckliches Zahnweh und erhielt die Erlaubnis, nach der
-Stadt zu fahren. Es war ein heißer, luftloser Spätsommer, dieselbe Zeit
-wie jetzt, darum fällt mir's wohl alles wieder ein. Ich war drei Tage
-in Bühringen; am dritten Tag ging ich zurück; Marie Weiß war nicht
-gekommen. Aber diese drei Tage werd' ich nie vergessen, sie waren so
-beklemmend erst und dann so erstickend trostlos, daß sie mich wohl für
-mein ganzes Leben gefeit haben, und dafür muß ich heut vielleicht dankbar
-sein.«
-
-Der Prinz sah rasch zu ihr hinüber. Bis dahin war's ihm vorgekommen,
-als läse sie ihm irgendein Feuilleton vor, es gab jetzt oft solch
-verschwommenes, abschattiertes Zeug, lauter Beschreibungen, und meist
-traurig, man wußte nie recht warum; er las eine gute Detektivgeschichte
-lieber, oder sonst Geschichtliches, woraus man ersah, daß es vorwärts
-ging in der Welt ... Aber eben war ein Ton in ihrer Stimme, der ihm wehtat:
-»Liebe, liebe Rita,« sagte er bewegt, »erzähle mir nur alles, ich kann
-das nachfühlen; meine Jugendzeit hatte auch ihre dornigen Seiten.«
-
-»Hoheit sind gewiß niemals an einem heißen Augustnachmittag in
-kleinstädtischen Anlagen gewesen -- ja, wie kämen Sie auch dorthin! So
-zwischen fünf und sechs, wenn es ganz windstill ist. Da sitzen dann so
-kleine, alte Dämchen und häkeln, die Spatzen schlafen in den Büschen,
-und auf die Wege fallen die ersten welken Blätter -- so wie hier ... Dort
-war ein Bassin, ein längliches Viereck, wo große Goldfische wie fette
-Mohrrüben schwammen, und ein paar Schüler mit roten Mützen spielten
-gelangweilt Verstecken hinter den Büschen und der Riesenbüste des
-Landesvaters, die den Teich übersah; wenn ich nicht irre, ein Großoheim
-Eurer Hoheit, ob seiner Gerechtigkeit und Leutseligkeit bewundert und
-geliebt; er konnte einem leid tun, wie er da immerzu lächeln mußte in der
-heißen Sonne, als träumte er von Veteranenfeiern und Bürgermeistern und
-könnte zu keinem richtigen Nickerchen kommen.«
-
-»Rita, Sie sind goldig,« sagte der Prinz und wollte ihre Hand küssen;
-wenn sie sich -- es war leider selten -- über seine Angehörigen lustig
-machte, kam sie ihm gleich menschlich so viel näher.
-
-»Ach nein, nein,« sagte sie, »die Verzweiflung kommt wieder über mich.
-Hoheit ahnen nicht, wie man noch in der Erinnerung zusammenschrumpft, wie
-man manche Orte, manchen Blumenduft meidet, als säßen Mörder darin,
-die nur warten, um einem ins Herz zu stoßen. Zwei ganze Tage war ich
-in Bühringen, ging die Hauptstraße mit ihrem Kanal zwischen großen,
-staubigen Kastanienbäumen hin und her, saß in der Konditorei, wo es
-Limonade gab und Kuchen unter Glasglocken, wie Reliquien. Dahinter führte
-eine kleine Brücke in den Stadtgarten, und immer wieder, zwischen den
-Zügen, ging ich hin, und war mir anfangs beklommen zumute, so war's mir
-schließlich unerträglich, und doch mit einem Stich ins Komische. Ich saß
-dort wie verhext. Alte Herren mit fetten, asthmatischen Hunden kamen an
-mir vorbei, sie standen in der prallen Sonne und redeten über Steuern
-und Gemeindesachen, und Euer Hoheit hochseliger Oheim lächelte geduldig
-zwischen den Buchsbäumen rechts und links, und die Goldfische schliefen
-im Bassin. In einem Gasthaus in der inneren Stadt war Kaninchenausstellung,
-dahin ging ich den letzten Tag; ich war immer ein Tiernarr; darum wünschte
-ich, ich wäre nicht dort gewesen. Es war ein häßlicher Backsteinbau, und
-überall roch es nach schalem Bier. Droben, in einem dunkelgetäfelten Saal
-mit altdeutschen Trinksprüchen stand Käfig an Käfig. Sie hatten's viel
-zu eng, sie saßen in die Winkel gedrückt mit erschrockenen Augen, es
-war schmutzig in ihren Ställen. Menschen kamen und gingen, die die guten
-weichen Tiere herausnahmen und wogen und ihnen Zigarrenrauch in die Augen
-bliesen, man sah die Herzchen klopfen ... ich war dicht am Weinen und ging
-fort. Ja, und da hatte die Tante geschrieben, wo ich denn bliebe, und da
-mochte ich ihr nichts weiter vorlügen; so eine tüchtige Lüge, einmal,
-wenn's sein muß, gut, aber immer wieder, das ist so läppisch. Ich stand
-am offenen Fenster und packte meine Sachen zusammen; vor der Haustür
-sprach der Wirt mit einem anderen Mann, und da hörte ich, Marie Weiß sei
-schon vor vierzehn Tagen hier gewesen beim Bürgermeister, um Papiere zu
-holen, sie würde heiraten, einen hohen Offizier, der ihr schon lange nahe
-gestanden. Er hat ja dann auch den Abschied genommen, und sie sind sehr
-glücklich zusammen gewesen ... sie hatten einen kleinen Jungen ... Ja, da
-stand ich am Fenster. Dann bin ich zu Fuß heimgegangen, und wie ich über
-die Höhe kam und die Sterne wachten auf und von den Wiesen kam solch
-frischer Hauch -- da war's, als ob etwas von mir abfiel, und ich sagte mir,
-es war zum Sterben, aber ich glaube, nun ist's vorbei ... Aber bisweilen
-kommt es noch so über mich.«
-
-Sie streichelte seine große, schlanke Hand, und dann tat sie einen guten
-Zug aus ihrem Glase. »All die Länder, wo man offenen Wein trinkt,« sagte
-sie, »sollten doch von Rechts wegen gut Freund sein miteinander.«
-
-»Stimmt leider nicht --« sagte er, »aber man könnte es in Erwägung
-ziehen. Völkerbündnisse, je nach Nahrungsmitteln sortiert ....«
-
-Sie trank noch einmal. »So,« sagte sie, »der Wein war gut, und nun ist
-er zu Ende. Nun aber bleiben Sie hier, Ludwig; mein Wagen hält unten beim
-Kapellchen. Sehen Sie mir nach, ich werde geradeaus marschieren, wie kein
-Leibgrenadier es besser kann. Was Tenue betrifft, da kann ich mitreden.«
-
-»Nein, laß mich dich zum Wagen geleiten, Rita, und sprich nicht so -- ja,
-wie soll ich sagen -- höhnisch; du brichst mir das Herz.«
-
-»Ach Gott, von Hohn ist keine Rede,« sagte sie. »Wir sind beide
-betrübte Leute, die ein Einsehen haben. Und glaube mir, =il tempo è
-galantuomo=, du wirst es verwinden und sollst es auch, laß mich nicht in
-einem grämlichen Schleier in deiner Erinnerung stehen. Und habe Dank für
-alles -- hörst du -- für alles ...«
-
-Sie nahm seine Hand und legte die Wange für einen Augenblick hinein, so
-eine Sekunde nur, da war sie wieder jung -- wie ein Kätzchen jung ist,
-jung wie damals, ganz am Anfang, als er sie noch Henrietterl nannte ...
-dann sah sie sich um, aufmerksam; hierher kehrte sie nie zurück. Und
-seltsam, es tat eigentlich nicht weh, nur kühl, kühl war alles. Sie
-merkte, daß sie schon draußen stand im Zuschauerraum, die kleine leere
-Bühne verlassen hatte. Ach, schenkte das Leben vielleicht ganz heimlich,
-gerade dann, wenn es nahm? Oder hatte sie zu sehr geliebt, daß es ihr
-an Kraft zum Schmerz gebrach? Wann würde sie's wissen? Abschied, Opfer,
-höhere Pflicht ... sonderbare Worte. In der Brust ein toter Fleck,
-und hier, was blieb zurück? Ein paar verkohlte Zigaretten, ein kleines
-zertretenes Taschentuch. Und nun kam der Wirt, die Gläser wegzutragen, die
-Windlichter auszulöschen, und morgen sitzen andere Gäste am Tisch, mit
-leichten oder schweren Herzen; was weiß ein Mensch vom andern!
-
-
-
-
-Die Verirrten
-
-
-Das ausgeweidete Reh hing mit verglasten Augen vom Balken herab, von seiner
-Zunge troff langsam ein schwarzer Tropfen auf den Lehmboden nieder.
-
-Nachdem die Frau des wilden Mannes es mit Wacholderreisern ausgelegt hatte,
-wandte sie sich, zum Brunnen zu gehen. Da liefen ihre kleinen Töchter
-auseinander, die in der braunen Dämmerung der Tür gestanden hatten, vom
-Blutduft angelockt.
-
-Aber eine saß auf dem Brunnenrand im letzten Abendglast. An ihren
-baumelnden Füßen hatte sie runde Schuhchen aus Baumrinde, mit bunten
-Wollbändern um die Beine verschnürt.
-
-»Geh heim, Bärhild,« sagte die Frau, »die Abendkost steht auf dem
-Tisch.«
-
-Das Mädchen grinste. Ihre hellen Augen standen ein wenig schräg, wie bei
-Katzen. Um den Hals hatte sie ihren zahmen Marder gelegt, man wußte nicht,
-wer von beiden spitzere Zähne hatte; sonst aber ähnelten sie einander
-nicht, die Kleine breit und stämmig, mit kurzem sehnigen Hals, mit kurzer,
-zerzauster Mähne, rotblond wie alle Töchter des wilden Mannes.
-
-»Jetzt geh ich Schlingen legen,« sagte sie mit rauher Knabenstimme und
-schlüpfte davon.
-
-Die Frau seufzte und bückte sich zu den Blumentöpfen, die beim Brunnen
-standen und einsam dufteten in die Abendstille hinein. Sie beugte
-sich über den Brunnenrand und sah hinunter in die Finsternis. An den
-schleimigen Wänden wuchsen Farn und Moose, nur selten kam ein Lichtstrahl
-und glitzerte sie wach. Hinter ihr lag das Haus gekauert zwischen Weiden
-und Erlen; wohin man trat, gab die schwarze, schwammige Erde nach; im
-ersten Frühling, wenn alles voll gelbstäubender Kätzchen war, drängten
-sich die großen, breitblättrigen Dotterblumen in den Sümpfen zwischen
-den Erlenwurzeln; jetzt waren die Gräben blau von Vergißmeinnicht. Die
-Frau verstand schöne, feste Kränzchen daraus zu binden und hätte sie
-gern ihren kleinen Töchtern aufgesetzt, die aber hatten sie abgeschüttelt
-mit Geschrei. Sie wollten nichts auf ihren wilden Mähnen dulden, nur
-manchmal setzten sie die Kupferreifen auf, die der wilde Mann ihnen
-mitgebracht, fremde Schmiedearbeit aus Norden, wunderliche Zeichen drin
-eingesetzt, sahen aus wie Beile und Galgen.
-
-Ja, wie kam sie zu diesen Wildkatzen, die mit spitzen Zähnchen zur Welt
-gekommen, ihr die Brust zerbissen und ihr Blut getrunken hatten; man hatte
-sie den zottigen Stuten anlegen müssen, die sie mit Stampfen und Schlagen
-in Ordnung hielten; und von der wilden Milch waren sie stark geworden. Nun
-fingen sie sich die Fohlen, ihre Milchbrüder, ein und trabten auf ihnen
-durch Weidengebüsch und seichtes Gewässer und über den toten weißen
-Sand.
-
-Wie anders sah die Erde hier aus als dort, wo sie daheim war. Hier Busch
-und Binsen, düsterer Erlenwald, wo das Wasser zwischen den geschwärzten
-Silberstämmen gluckerte und man die schmalen Dämme kennen mußte, um
-nicht zu versinken. Man konnte sich verkriechen und war doch preisgegeben
-dem Regen, der Schwüle, den Mückenschwärmen im Dunst. Und weiter, da
-hörte auch das niedere Gebüsch auf, die Erde wurde karg und steinig,
-wilde Schafe mit bösen, schwarzen Fratzen schrien in den Wind. Dort
-begannen die großen, verlassenen Steinbrüche mit ihren Höhlen und
-Labyrinthen, ihrem schräg geschichteten Stein, als hätten Riesen sich
-große Stücke herausgeschnitten; Wacholder und Berberitzen wucherten in
-den Narben. Dort war die Welt zu Ende, weiter wußte sie den Weg nicht;
-da war ein strenges Verbot, und niemand, der das Geheimnis nicht kannte,
-hätte aus dem Irrsal heimgefunden. Als Warnung dienten noch die Knochen
-des Trödlers, der es gewagt hatte, und die betrunkenen Hochzeitsgäste,
-die auf eine Wette hin, um abzukürzen, den Weg genommen, sie hatten
-dasselbe Los gehabt.
-
-Daheim, bei ihr, im Hochwald, schlüpfte die Sonne durch das Wipfeldach
-und streichelte den roten Pelz der Eichkatzen, die großen Bäume waren
-ihr Freunde gewesen, wie Helden stiegen die Stämme aus der rostigen
-Blätterdecke. Da war alles redlich. Und ihr Vater, der haßte die Fallen
-und Schlingen. Ein Pfeil ins Herz, ja, das konnte dem freien Wild recht
-sein, und die Mütter und Kinder blieben geschont; aber es gab kein Quälen
-mit zerschmetterten Läufen, kein Würgen und Zerren, keine Todesangst mit
-blutender, flatternder Schwinge. Der Vater! Wie silberweiß war sein Bart,
-wie scharf sein dunkles Auge, wie gut hatte er's immer gemeint.
-
-Die Frau sog die Luft ein; es ging ein süßes Duften über den Geruch der
-Sümpfe, der Gräben voll braunen, faulenden Erlenlaubs dahin. Da hatte
-wohl irgendwo ein Jasminstrauch seine weißen Blumen aufgetan. Und der
-Duft tat ihr weh; denn so hatte der Strauch am Jägerhäuschen geduftet,
-an jenem Tage, als der Jäger nicht heimkam; als wolle er ihr helfen, ihr
-etwas sagen mit seinem Düften: Sie saß den halben Tag dort und sah ihn
-versinken im Dämmergrau und wieder auferstehen im weißen, traurigen
-Mondlicht. Aber der Vater kehrte nicht zurück. Da brach sie sich einen
-blühenden Zweig ab und ging in den großen unbekannten Wald.
-
-Erst war sie mit schweren Füßen, mit schwerem Herzen gegangen, aber um
-sie her all das Summen und Säuseln machte ihr auch den Kummer zum Traum.
-Es ging sich so sacht über das tote braune Laub, gefleckte Salamander
-saßen unter den moosgrünen Steinen wie in Märchenhöhlen, und die Sonne
-glitt an den geraden Buchenstämmen hinab wie einer Mutter Lächeln
-über wohlgeschaffene Söhne. Dann, im Tannenwald, war's noch stiller,
-Bernsteintropfen glühten an den rissigen Rinden, und die Wipfel waren
-reglos. Aber das Schönste war der Abhang, wo die Holzfäller ihr Werk
-getan; da kam der Fingerhut zu seinem Recht; in Völkern stand er zwischen
-den Baumstümpfen und öffnete den warmen Samtschlund der Sonne und den
-Bienen. Und die Stechpalme wucherte und die wilde Himbeere warf die Arme
-aus nach dem Geißblatt, und das war so voll Süßigkeit, kein Bienchen
-konnte dran vorüber. Dort war sie lange gewesen, die Hände um die Kniee
-gespannt, der Berghang ihre Lehne, das Erdbeerkraut ihr Teppich; unter ihr
-die Wiesen lagen im Dunst, und aus dem Wald läutete der Kuckuck tief und
-eindringlich, und weil sonst alles still war, ging sie seiner Stimme nach.
-
-Wie dann der Abend kam, stand sie in einer Lichtung; da war ein Teich und
-spiegelte schwarze Binsen im gelben Widerschein, Libellen standen in der
-Luft mit gläsernen Glotzaugen, das feine Waldgras nickte, die Hummeln
-lagen, vom Tau verklebt, in der Disteln seidenem Schoß. Da legte auch sie
-sich hin auf ihr Bündelchen, und hinter ihr öffnete der schwarze Wald
-seine Hallen.
-
-Trapp, trapp, kamen die wilden Männer geritten, weich schlugen die Hufe
-auf den federnden Waldboden; als sie die Augen auftat, traten sie in die
-Lichtung mit finsterroten Gesichtern im Abendlicht. Stumm und gewaltig
-ritten sie an ihr vorbei, mit harten Stirnen und harten Lippen, leise
-klirrend die Speere und eisenbeschlagenen Knüttel. Aber der zuletzt ritt,
-hielt bei ihr an und streckte die Hand aus. Da streckte auch sie ihre
-kleine Hand empor, und es rieselte ihr durch den Arm bis ins Herz. Und der
-Wald summte um sie her. Da zog er sie hoch und aufs Pferd und nahm sie an
-sich ...
-
-Die Frau beugte sich tiefer über den Brunnen. Da unten wohnte die
-Brunnenfrau, dort ging sie auf goldenen Wiesen mit ihrem kleinen silbernen
-Hund. In hellen Nächten, hieß es, könne man ihr weißes Kopftuch sehen.
-Nun fing es an zu dunkeln; das Haus versank in Grau, in Weiden und Erlen.
-Nur unter dem Dachrand blinkte ein kleines Fenster; dort lagen wohl schon
-ihre kleinen Töchter; sobald die Sonne sank, gingen sie schlafen, aber
-früh, kaum daß der Himmel fahl wurde, liefen sie schon und sammelten sich
-in der taugrauen Wiese, wo man sie schreien und schnattern hörte, ehe sie
-auseinanderstoben.
-
-Die Frau ging ins Haus zurück. Heute nacht wollte der Mann heimkehren von
-einem Beutezug; da mußte sie auf sein und helfen, die Säcke verstauen an
-geheimen Plätzen; sie setzte sich an den Herd, um die Kittel ihrer kleinen
-Töchter zu flicken, aber die Arbeit sank ihr in den Schoß, und sie
-lauschte den Geräuschen der Nacht, all dem Seufzen und Knarren draußen
-in den Bäumen und drinnen im Gebälk. Nun wurden die Nachtvögel in den
-Wipfeln lebendig, sie wanden sich durch die Äste, plump und seidenweich,
-bis sie sich aufschwingen konnten, lautlos in die freie Finsternis. Sie
-wußten, wo die wolligen Junghasen lagen, die sie heimtrugen zu ihrer
-eigenen Brut, die mit bösen, gelben Augen nach frischem Fleisch schrie.
-Und durch die Baumwurzeln schlüpften Marder und Wiesel, sie hatten ihre
-Gänge und Höhlen, ihre Vorräte und Kinderstuben wie die Menschen, und
-wenn ihre Wege sich kreuzten, gab es da unten einen kurzen, bitteren Kampf
-mit heißem Gefauch, die Erde schluckte ein wenig Blut, aber darüber lag
-verschwiegen der moosige Teppich mit tausend nickenden Flockblumen, die
-faulenden Blätter des Vorjahrs, durch die sich die gelben Taubnesseln
-drängten.
-
-Durch den Ladenausschnitt kam ein Mondstrahl und tastete über Bank und
-Tisch und über die Hände in ihrem Schoß; da stützte sie den schmalen
-Kopf und dachte an die Abende daheim, wie sie auch dasaß und die Quelle im
-Dunkeln hörte, und dann des Vaters Schritt, immer näher, bis er die Tür
-auftat und sein weißer Bart im Monde noch weißer war.
-
-Wie sie so gesessen ist, hat sie auf einmal wirkliche Schritte gehört,
-viele kleine Schritte und Klopfen an der Tür, und wie sie geöffnet hat,
-haben da vier kleine Buben gestanden, einer immer ein wenig kleiner als
-der andere, und der kleinste wie ein kleiner Kater, man hätte ihn in der
-Schürze tragen mögen; die baten um Einlaß.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Die Bübchen hatten die Schüssel geleert, die sie ihnen hingestellt,
-saßen mit schweren Augenlidern um die kleine Öllampe und erzählten
-weinerlich von Mutter und Vater und wie sie in die Irre gegangen seien. Die
-Frau ging von einem zum anderen, streichelte dem den Kopf, rückte dem das
-Halstuch zurecht, beugte sich verstohlen über sie, immer wieder mußte sie
-den Dunst ihrer braunen Hälschen einatmen, wie er sie aus dem Ausschnitt
-ihrer Kittel ankam, diesen Duft, in den sich ein Ruch mischte von Harz und
-Kohlenmeilern und fetter ungebleichter Schafwolle. Ach, und ihre singende
-Sprechweise war wie Amselzwitschern. Von einem guten, geplagten Vater, von
-einer harten geplagten Mutter erzählten sie, von dem Hündchen Strupp und
-den Meilern tief im Wald, von Bucheckern und Pilzen, und sie meinte, wieder
-tief drinnen zu stehen, die Füße im Heidelbeerkraut, die Sonnenstrahlen
-um sie her, als würde das Licht zur Orgel ... Aber auch von einem Dorf
-erzählten sie, wo sie zur Schule gingen, früh, wenn es kaum Tag war, die
-einsame Straße hin, wo Krähen auf verschneiten Steinhaufen saßen und
-schweren Flugs in die graue Luft stießen. Manchmal kam ein Planwagen und
-der Fuhrmann ließ sie aufsteigen, da kauerten sie unter dem Zeltdach im
-Stroh, über ihnen die schwankende Laterne, wo das irdene Geschirr verpackt
-lag, oder zwischen Mehlsäcken, und schliefen und träumten von frischem
-Brot. Die Kinder waren so müde, sie nickten beim Erzählen ein, und auf
-einmal fuhr die Frau zusammen und sagte: »Ihr dürft nicht hier bleiben, o
-um Heilands Namen, Ihr müßt fort, kommt, wir müssen gehen ...«
-
-Denn sie meinte, sie habe die Treppe knarren hören, und sie rannte die
-morschen Stufen hinauf, wo in der großen, niederen Stube ihre kleinen
-Töchter schliefen. Aber die rührten sich nicht, lagen nebeneinander im
-Mondlicht, mit zurückgebogenen schneeweißen Gurgeln; und ihre Zähne
-glitzerten und der laue Atem ging aus und ein.
-
-Draußen wußte sie keinen sicheren Winkel; die bösen Hunde spürten alles
-auf. Da brachte sie die Kinder in die Kammer, wo das ausgeweidete Reh hing,
-dort war Holz aufgestapelt, ein gutes Versteck. Dort würde sie keiner
-wittern vor Wildgeruch. Aber still sollten sie sein wie die Mäuse. Ach,
-durch die Nacht meinte sie schon die rauhe Stimme zu hören, und das Pferd,
-wie es müde, mit gebeugtem Kopf, die Hufe aus den schmatzenden Pfützen
-zog. So hüllte sie sich ganz in eine graue Decke ein, die nur ihre dunklen
-Augen freiließ, daß er das Beben ihres Mundes nicht gewahr werde, und zog
-den schweren Riegel zurück, als er näher kam.
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Wie dann der wilde Mann, von Wein beschwert, eingeschlafen war, winkte
-die Frau den kleinen Buben, und sie krochen aus ihrem Versteck hervor
-mit ängstlichen Augen. Da drückte sie sie ans Herz, die kleinen runden
-Köpfe, und küßte sie ins Genick und sog noch einmal den Duft ihrer
-sonnverbrannten Hälschen. Dann aber, den Finger am Mund, ging sie
-vor ihnen her, wo das Wasser zwischen den Erlen gluckste und der Mond
-schmalfingerig durch die Zweige griff. Und weiter, wo nur noch Gebüsch war
-und seichte, silberne Pfützen, wo der tote weiße Sand begann und der Pfad
-mählich aufstieg und dann am Rande des Steinbruchs vorbei, wo der Wind
-durch die Hallen und Höhlen fuhr und schwarze Gewässer tief unten
-heraufstarrten zum Mond. wie Seelen, die kein Lichtstrahl mehr erhellen
-kann ... dort ging die Frau und trug den kleinsten im Arm, ein anderer
-hielt sie am Kleid und die größten folgten ihr nach; an Abgründen und
-Kreuzwegen kamen sie vorbei, aber keines sprach ein Wort; sie gingen mit
-blassem Angesicht, und die Frau irrte sich nicht und hielt auch nirgends
-an; sie sah nur gerade in die Luft, denn ihr Herz war ihr zum Wegweiser
-geworden. Dann, allgemach, senkte sich der Weg, die Steinbrüche blieben
-liegen, und schon schimmerte die Landstraße und ging von Nebelgrau zu
-Nebelgrau, aber in der Ferne blinkten Lichter ... Da kniete sie vor den
-Kleinen nieder und küßte sie, so jammervoll, und wies sie den Weg und
-flüsterte ihnen zu, guten Rat oder waren's nur Töne, wie brütende,
-säugende Tiere sie ausstoßen, in Angst und Liebe. Und wandte sich ab
-von ihnen in scharfem Schmerz, die nun still und ernsthaft im Mondlicht
-weiterstapften, kleine Buben, die so große Schatten warfen.
-
-Vor ihr der Weg stieg wieder an, den sie zurückgehen mußte; erst durch
-Wiesen, wo hier und dort ein Steinblock lag, weich eingebettet im feuchten
-Thymian, dann aber karg, umlagert von Geröll, graues Gesträuch klomm
-aus den Fugen. Dem Steinbruch zu wand sich der Pfad zurück, schon wieder
-fühlte sie den kalten Wind aus den Höhlen, der ihr das Kleid um die Knie
-straffte. Wie schwer waren ihr die Füße, wie leer das Herz. Daheim? Dort
-würden die bösen Hunde im Verschlag winseln, dort stand der Brunnen, das
-Haus, grau im ersten fahlen Licht. O Herzeleid, o Ersticken.
-
-Gradaus ging sie mit weiten Augen, die Hände über dem erstorbenen Herzen,
-und wie der Kreuzweg kam, redete der Wegweiser in ihrem Herzen nicht mehr.
-Hinauf ging der Pfad, so steil, so steinig; war das der, den sie gekommen?
-Und der andere führte hinunter ins Geklüft, der ging sich leichter. Im
-Steinbruch wisperte es und seufzte, und immer tiefer ging sie hinein, und
-der graue Nebel rollte hinter ihr zusammen.
-
-
-
-
-Glückliche Zeiten
-
-Ein zeitlose Geschichte
-
-(Für Agnes und Else und andere artige Kinder)
-
-
-Also -- da war einmal eine Prinzessin, die hatte sich im Walde verirrt und
-da begegnete ihr ein Drache, der sie sehr erschreckte. Aber so greulich er
-auch aussah, so hatte er doch ein mitleidiges Herz, und wie er sie weinen
-sah, nahm er sie mit in seine Höhle. Als sie nun einige Tage bei ihm
-gewesen war, gefiel sie ihm so gut, daß er sie nicht weglassen wollte,
-denn er führte ein einsames Leben, und etwas Jugend tat ihm wohl. So wurde
-die Prinzessin Stütze des Drachen mit Familienanschluß, aber was die
-Familie angeht, da war nur der Drache, denn er war ein alter Junggeselle,
-hatte auch keine Dienerschaft, darum war auch alles so verwahrlost, ja
-es sah recht unordentlich aus in der Höhle; aber das sollte ja nun die
-Prinzessin mit feinem Geschmack anders gestalten, und sie tat auch, was sie
-konnte, mit Girlanden und Waldblumenbuketts. Als nun die Prinzessin einige
-Zeit bei dem Drachen gewesen war und sich an mancherlei hatte gewöhnen
-müssen, begann sie, denn obgleich sie eine Prinzessin war, fehlte ihr doch
-nicht der Sinn dafür, die komischen Seiten ihrer Umgebung zu erkennen.
-Es war dabei manches schlimm genug. Wie zum Beispiel das Schnarchen des
-Drachen, wenn er sich schamlos dem Mittagsschlaf hingab, denn er gehörte
-zum Geschlecht der Suppenbläser und stieß abwechselnd aus dem rechten
-und linken Nasenloch greuliche Dämpfe aus. Hypochondrisch veranlagt wie
-er war, litt er an beständiger Angst vor Erkältungen, die ihn zu
-den seltsamsten Maßregeln greifen ließ. So hatte er sich eines Tages
-ausgeklügelt, der Besitz zweier Nasenlöcher bilde eine stete Gefahr
-für das katarrhalisch disponierte Individuum, da sich das Gehirn zwischen
-diesen beiden Korridoren in fortwährender Zugluft befände. Deshalb hatte
-er, trotz ernstlicher Gegenvorstellungen der Prinzessin, das eine Nasenloch
-mit Moos verstopft, was eine Anschwellung der Gesichtshälfte, verbunden
-mit heftiger Migräne, zur Folge gehabt hatte. Nachts hörte die Prinzessin
-den Drachen in seinen großen Filzparisern durch alle Gänge schlurren, um
-nachzusehen, ob auch alles zu sei, und bei dem geringsten Wetterumschlag
-trank er einen abscheulichen Tee aus Baumrinde, zog Pulswärmer an und
-umwickelte sich den Hals mit einem alten himbeerfarbenen Cachenez, was
-zu seiner Hautfarbe äußerst fatal aussah und den Schönheitssinn der
-Prinzessin, die früher beim Hofmaler Weichschnabel aquarelliert hatte,
-empfindlich verletzte. Angenehm war es auch nicht, dabei sitzen zu müssen,
-wenn der Drache Makkaroni fraß. Diese hingen ihm dann wie Schlangen zu
-beiden Seiten des Maules herab, und mit den Pfoten stopfte er nach; die
-Prinzessin mußte wegsehen, sonst verging ihr der ohnedies zarte Appetit.
-
-Abends legte der Drachen Patience. Seine Klauen waren nie ganz rein; er
-tunkte sie ab und zu in den Sumpf und meinte damit ein übriges getan zu
-haben; und der Prinzessin blieb auch hier nichts anderes, als emsig an
-ihren Binsenkörbchen zu flechten, um nur nicht hinsehen zu müssen. Diese
-zum Sammeln von Erdbeeren bestimmten Behälter häuften sich in einer Ecke
-der Höhle an. Es gab keine Erdbeeren in diesem Walde, und so waren sie
-eigentlich zwecklos. Einmal ertappte sich die Prinzessin bei dem Gedanken,
-man könne sie ja auf einen Basar für Ferienkolonien geben, denn die
-Handarbeiten fürstlicher Frauen fanden bei solchen gemeinnützigen
-Veranstaltungen stets reißenden Absatz. Hier freilich türmten sie sich
-als Angebot ohne Nachfrage im Hintergrund der Drachenwohnung auf.
-
-Alles in allem aber war die Prinzessin auf bestem Wege, sich den
-ungewohnten Lebensbedingungen anzupassen. Alles was recht ist, dachte
-sie (diese Redewendung hatte sie von einer bayerischen Kinderfrau
-aufgeschnappt), aber dies absolute =sans gêne=, diese Dehnbarkeit in der
-Zeiteinteilung (zum Beispiel das Mittagessen, das, ebenso unberechenbar wie
-das Osterfest, bald früh, bald spät stattfand), die schönen, ausgiebigen
-Schläfchen unter den Tannen ... das alles ließ ihr das frühere
-Leben, die Residenz im Stadtschloß, wie auch die sogenannte ländliche
-Zwanglosigkeit der sommerlichen Monrepos' und Sorgenfreis wie öde
-Korrektionshäuser erscheinen, wenn sie auch ab und zu nach ihrer Zofe
-Fanny mit dem Manikürekasten, nach ihrer silbernen Badewanne und schönen
-schaumigen Frühstückschokolade Sehnsucht verspürte.
-
-Manchmal ging der alte Drache aus, um andere Drachen, die wie nie
-abgelöste Schildwachen vor ihren Schatzkammern lagen, zu besuchen. Er
-selbst war ein freier Drache, sozusagen ein Finanzminister im Ruhestand,
-der keine Rechenschaft mehr abzulegen hat, nur die Prinzessin war sein
-Schatz; und da er von Natur mißtrauisch war, nahm er sie wenn irgend
-möglich zu diesen Besuchen mit. Dann tranken die Drachen Meth, priemten
-und spuckten und spielten Karten, wobei sie sich gräßlich beschimpften
-und mit den Trümpfen auf den Tisch schlugen, daß es dröhnte. Aber
-allmählich gewöhnte sie sich an den Humor dieser Sonderlinge, ein Gemisch
-von abgestandenen Börsenwitzen und alemannischer Vierschrötigkeit,
-das aber zu den alten warzigen Herren paßte, wie die Verwünschungen
-cholerischer Propheten zu den Steinfratzen gotischer Kathedralen. -- -- --
-
-Eines Tages nun, es war zu Frühlingsanfang, sah der Drache, nachdem er
-sein Mittagessen bewältigt hatte, gerührten Auges zu, wie die Prinzessin,
-nachdem sie einen Rest geschmorter Pilze und das übrige Blaubeerkompott
-weggeräumt hatte, mit ihren kleinen rauhgewordenen Händen den
-Eichelkaffee filtrierte. Ach, das war doch alles keine Arbeit für eine
-Prinzessin, dachte er beschämt und fühlte, wie sich seine kleinen
-grünen Plieraugen mit Tränen füllten, die er verstohlen mit den Klauen
-wegwischte, wenn sie auf seinen höckerigen Lederwangen niederflossen, die
-an ein Reisenecessaire aus Krokodilhaut erinnerten, nur daß sie nicht so
-schön poliert waren wie diese Erzeugnisse einer raffinierten Kultur.
-
-Draußen zwitscherten die Buchfinken in den knospenden Büschen und suchten
-nach gegabelten Ästen, ihre Nester darin zu befestigen. Durch das dürre
-Laub streckten Tausende von Anemonen ihre weißen, feingeäderten Kelche,
-die im Frühlingswind schwankten, und überall, wo immer ein feuchtes
-Fleckchen zu finden war, hatte die Sonne es aufgespürt und blitzte darin
-wie in Glasscherben; durch die kahlen Baumwipfel sah man den blauen Himmel
-mit vielen kleinen, runden Lämmerwölkchen schimmern, es roch nach Erde
-und nach Moos, und aus den Sümpfen kamen bedächtig die Kröten gewandert
-und trugen, wie einst die Weiber von Weinsberg, eine jede ihren kleinen
-Ehemann auf dem Rücken. Da auf einmal fühlte die Prinzessin ein so tiefes
-Mitleid mit dem armen Drachen, der so alt und schäbig mitten in dem
-hellen Frühlingswetter dasaß, und den man eigentlich in eine chemische
-Reinigungsanstalt hätte schicken müssen. Er würde nie eine Drachin und
-liebe kleine Drachen sein eigen nennen, dazu war er doch viel zu alt und
-häßlich, und wenn sie einmal befreit würde, bliebe er allein zurück und
-hätte niemand, der sich um ihn kümmern würde; denn wenn sie ihn
-mitnahm, kam er doch nur in den Zoologischen Garten, wo ihn die Kinder
-mit Sonnenschirmen und Stöcken ärgern würden und er eine betonierte
-Felsenhöhle bekäme -- die reine Attrappe, und alle Tage abgekochte
-Mohrrüben, die er nicht leiden konnte. Armer, alter Drache! Und sie hatte
-während der ganzen Zeit kein böses Wörtchen von ihm zu hören bekommen
-und hatte doch selber -- besonders im ersten halben Jahr -- nichts getan,
-als die Nase rümpfen über das Essen und die mangelhafte Einrichtung; und
-er gab es doch, so gut er's hatte! Da neigte sie sich über ihn und kraute
-ihn ein wenig hinter den Ohren, wozu er die Mundwinkel hochzog und ein
-Gesicht machte wie Wagnerianer, wenn das Lied von den Winterstürmen und
-dem Wonnemond losgeht, legte ihre Samtwange auf sein runzeliges Haupt
-und aus ihren schönen Augen rollte eine Träne. Und dann küßte sie ihn
-mitten auf sein grünpatiniertes Nasenbein.
-
-Aber im selben Augenblick geschah ein furchtbarer Donnerstoß, die
-Erde schwankte, Bäume und Gestein drängten sich zusammen oder sanken
-auseinander, ihre Farben verwandelten sich, das Dach der Höhle hob und
-wölbte sich, und Bäume wurden zu Säulen; es war, als wirbelte ein
-Kaleidoskop um sie her, und wie sie wieder zur Besinnung kam, saß ein
-schöner, wohlerzogener Prinz in entzückender Uniform, mit Ordenskette
-und blitzendem Stern ihr zur Seite, in leuchtendem Saal, und alles war
-verwandelt, ihr Kuß hatte den Zauber gelöst, nur die Erdbeerkörbchen
-standen noch da, waren nun aber aus Goldgeflecht, und in jedem lagen, wie
-Ostereier, vier bunte, leuchtende Steine.
-
-Schöne Damen kamen paarweis geschritten, mit demütigen Schwanenhälsen
-und hoffärtigen Schleppen, sie hielten ihre Kleider mit spitzen Fingern
-und versanken wie sterbende Springbrunnen, wenn sie vor Prinz und
-Prinzessin vorüberzogen. Da waren Herolde, angetan mit historischen
-Wappenröcken, mit Locken und spitzen Bärten, gerade wie Kartenkönige,
-nur daß sie Beine hatten; schöne kleine Pagen mit Krone und Zepter auf
-seidenen Kissen, süß lächelnde Kammerfrauen mit reizenden Hündchen,
-auch eine kleine Mohrin war dabei. Auf den Galerien aber hinter goldenen
-Gittern bliesen und fiedelten die Musikanten, daß es eine Lust war,
-und das silberne Haar des Kapellmeisters wehte nach allen Seiten vor
-Begeisterung ... Nun zogen die Köche vorbei, weißgekleidet, feist und
-glatt, mit Kochlöffeln und blanken Messern im Gurt, und hinter ihnen
-die Küchenjungen, wie ein Echo in kleinem Format, dann der Troß der
-Stallmeister, der Jäger und Hornisten, die Treiber und Hundejungen mit
-Peitschen und Netzen, und schließlich auch das Aschenweib, das nur dazu
-da war, die Asche aus den Kaminen fortzutragen, grau und zerzaust wie
-eine mauserige Krähe. Aber ganz zuletzt kam die Märchenerzählerin der
-fürstlichen Kinder, die war so uralt, daß sie die Leute in den Märchen
-persönlich gekannt hatte; klein und gebückt trippelte sie vorüber in
-spitzem Hut und grünem Mäntelchen.
-
-Alle machten ihre Reverenz, die Prinzessin mußte in einem fort lächeln
-und nicken, und nun kamen drei Hofprediger mit feierlichem Glockengeläut
-und begrüßten das fürstliche Paar im Namen des Höchsten mit überaus
-herzlichen Gebärden ihrer kleinen, weißen, wohlgenährten Hände, wie
-segnende Maulwürfe. Die Bäume rauschten, die Brunnen sprangen und tanzten
-und die Glockentöne waren rund und tief wie die Glocken selbst; aber die
-Sonne blies die Backen auf und posaunte auf ihre Weise mit langen, heißen
-Stößen. Und dann wurde die Hochzeit gefeiert. --
-
-Aber als sie nun viele Jahre König und Königin gewesen waren, dachte
-die Königin manchmal zurück an ihre Höhle. Nun war sie bequem und dick
-geworden, und die schönste Stunde des Tages war die von drei bis vier,
-wenn sie ihr Korsett auszog und sich mit einem Roman auf den Diwan legte.
-Die Kammerfrau holte ihr die herrlichsten Schmöker aus der Leihbibliothek,
-denn der König ließ sie durch den Hofbibliothekar ausschließlich mit
-Memoirenliteratur versorgen; aus diesen Produkten des =ancien régime=
-hoffte er, daß sie den Geist feiner =répartie=, der ihr von der Natur
-versagt war, erlerne. Sie gestand es sich kaum ein, aber eigentlich
-hatte sie dies Leben gründlich satt mit seinen Denkmalsenthüllungen
-und Audienzen, wo die Menschen immer ganz kleine Mündchen machten, als
-könnten sie nur Tütü sagen. Die Tage waren so künstlich zugeschnitten,
-jede Stunde fügte sich in die andere ein wie bei einem Geduldspiel, da war
-keine Ritze, wo die kleinste Maus hätte durchschlüpfen können, und nun
-überkam sie oft ein Verlangen nach anderem, wie ein wohlerzogener Knabe
-aus guter Familie, der in eine Hafenstadt kommt, voll neidischer Wonne
-nach den schmutzigen Schiffsjungen auf den Heringsbooten schielt. Der alte
-Drache -- ja es war merkwürdig, wie bald er sich in alles gefügt hatte.
-Wenn sie an seine Filzpariser dachte! Nun, er hatte sich ja auch viel
-gründlicher als Drache ausgelebt. Nun war er ein kleiner, trockener,
-ältlicher Herr geworden, mit einer irritierenden Art sich zu räuspern,
-und all die Vorschriften der Etikette waren ihm unentbehrlich wie eine
-hygienische Unterbekleidung. Neuerdings konnte er sich ganz merkwürdig
-über die kleinsten Mißgriffe aufregen, so neulich, als die Zuckerzange
-nicht gleich bei der Hand war. Da hatten seine Augen Drachengift
-geschossen, wie sie es damals, in der Höhle, nie getan. Der Lakai
-schlotterte und der Oberhofmarschall fühlte die Fundamente seines Daseins
-wanken. Aber die Königin konnte nicht an sich halten; sie lachte in ihrer
-unpassend explosiven Art und bekam einen ganz roten Kopf: »Lieber Mann,«
-sagte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen -- denn sie mußte
-beim Lachen immer weinen -- »als wir noch in der Drachenhöhle lebten,
-hast du deinen Zucker abgebissen und den Kaffee trankst du aus der
-Untertasse wie eine Waschfrau.« Alles war wie versteinert, denn die
-unselige Drachenepisode wurde ja totgeschwiegen und jede Anspielung darauf
-als grobe Taktlosigkeit empfunden; eine Zeit eisiger Ungnade war die Folge
-dieser übelangebrachten Reminiszenzen. Seitdem versuchte die Königin ihre
-seelischen Aufwallungen zu unterdrücken, aber wenn sie im halbverdunkelten
-Boudoir der Ruhe pflegte, kam es über sie, und vor ihren geschlossenen
-Augen stand die Höhle wieder auf, braungrün und verräuchert, ach, und so
-traulich!
-
-Heut gerade war ein schläferiger Sonntagsnachmittag, dessen freundliche
-Langeweile durch die Ritzen der Jalousien drang. Die Wache auf dem
-Rondellplatz vor dem Schloß war eben aufgezogen, die Kommandoworte, das
-Trommeln verhallte, und nun begannen die beiden Schildwachen ihr Auf und
-Ab, bis zur nächsten Ablösung. Nettgekleidete Bürgerfamilien wanderten
-auf den Kiespfaden und bewunderten die schönen Teppichbeete, die den Neid
-zugereister Hofgärtner erregten. Weiter ab, unter den Kastanienbäumen
-wandelten Landgerichtsräte und Gymnasiallehrer, und bleiche,
-schwärmerische Jünglinge saßen auf den Bänken und lasen in
-Reklambändchen. Die kleinen Knaben und Mädchen aber freuten sich ihrer
-roten Luftballons, und alles strömte dem Schloßgarten zu, der Sonntags
-dem Publikum offenstand. Die fürstliche Frau hatte es sich leicht gemacht.
-Das Korsett lag, gedemütigt wie ein verabschiedeter Zeremonienmeister, auf
-dem Teppich, ihre Füße dehnten sich in weiten, gelben Babuschen, und sie
-begann eben den zweiten Band vom Geheimnis der alten Mamsell. Aber sogar
-dieses ganz neue, ungemein fesselnde Werk konnte die Gedanken nicht bannen.
-Hatte sie nicht eben, in der Ferne, einen leisen Kuckucksruf gehört? Es
-war das freilich die Schwarzwälderuhr des Türhüters gewesen, die man in
-der sonntäglichen Stille schlagen hörte, aber auch die stammte aus dem
-Walde, darum war wohl ihr Ton so echt; mit einemmal wuchs ihre Sehnsucht
-riesengroß; sie mußte den Wald wiedersehen, ob sie gleich ahnte, daß
-es dort nicht mehr sein würde wie einst. Ohne Zaudern zog sie sich an und
-band einen grünen Schleier über den Hut, von der glänzenden Sorte, die
-sich Donna Maria nannte und damals Mode war. Das Glück war ihr hold, denn
-die Lakaien, die im Treppenhaus, bei schläferigem Fliegengesumm Dienst
-hatten, glaubten, sie ginge in den Privatgarten; als sie aber an die Tür
-kam, die zu ihm führte, saß da der alte Türhüter und war über dem
-Sonntagsblättchen eingenickt: so schlüpfte sie hinaus.
-
-Niemand gab auf sie acht, als sie den Schloßpark durchquerte, denn sie
-ging nur selten zu Fuß; träge und fett, wie sie war, fuhr sie stets in
-der Karosse. Auch sah sie in ihrem Alter der Frau Hofkonditor Butterweck
-ähnlich, und in ihrem einfachen Anzug galt sie den Spaziergängern wohl
-für diese, wenn sie sich überhaupt nach ihr umsahen. So wanderte sie
-unerkannt, wie irgendeine behäbige Bürgersfrau, durch den Schloßgarten,
-zum äußeren Tore hinaus und eine lange Rüsterallee hinunter, an deren
-einer Seite Seildreher ihre Werkstatt hatten, wo man sie wochentags sehen
-konnte, die Schürze voller Werg, aus dem sie, rückwärtsschreitend, wie
-Kreuzspinnen, ihre langen Seile drehten. Nach längerem Gehen, das ihr
-manchen Seufzer entriß, denn es war ihren Füßen eine ungewohnte Fron,
-lenkte ein Weg seitab in den Wald, oder vielmehr dorthin, wo er früher
-gestanden hatte. Denn es war freilich alles anders geworden. Da
-waren Bänke und Wegweiser und kleine Buden, wo man Himbeerwasser
-und Sandtörtchen kaufen konnte, die reliquienhaft unter Glasstürzen
-schimmelten; ach und eine ganze Straße von blitzblanken Villas mit Erkern
-und Türmen und gotischen Fenstern war entstanden, wo pensionierte
-Generale ihren Ruhestand verlebten, sich der Rosenkultur widmeten und die
-Blattläuse mit Ausdauer und Tabakslösung bekämpften. Ach, wo war das
-Dickicht von einst? Den Krötensumpf hatte man ausgetrocknet, Kinder in
-schottischkarierten Kleidern und schrecklichen Schürzen aus
-Wachstuch spielten dort im Sand, ja der Platz hieß sogar nach ihr,
-Karoline-Amalien-Platz, denn in ihrer Familie hatten die Frauen alle so
-schreckliche Namen, und die Männer hießen Adolf oder Emil oder Ferdinand,
-was auch nicht hübsch war. Auch ihr Drache hieß Ferdinand. Ach, wo waren
-die Drachen geblieben! Tot oder ausgewandert? Oder hatte sie alles nur
-geträumt? Dort, die alte Eiche, oh, sie erkannte sie wieder; wie oft hatte
-sie dort gesessen und den sich paarenden Eichkätzchen zugeschaut, wie sie
-sich haschten, immer um den Baum herum. Einmal noch wollte sie seine
-Rinde streicheln. Aber was hing dort an seinem Stamm? War's ein
-Muttergotteshäuschen? Dann würde dort auch eine Bank sein, oh, wie
-brannten ihre Füße, wie gut würde man sitzen unter dem breiten Geäst.
-Da ging sie näher, aber es war kein Muttergotteshäuschen, sondern
-ein lackierter Kasten war aufgehängt am Eichenstamm, und es stand
-daraufgeschrieben: Gegen Einwurf eines Fünfzigpfennigstücks eine Tafel
-echt deutsche Familienschokolade. Über dem Kasten aber war noch ein
-Blechschild mit deutender Hand: Restaurant Drachenhöhle, Kegelbahn, Kaffee
-und Bier. Zehn Minuten. Da fühlte sie Erbarmen mit dem Baum und mit sich
-und mit all den alten vertriebenen Drachen; und mußte weinen. Aber wenn
-sie weinte, ging das nie ohne vielfaches Nasenputzen vor sich, daß sie
-ganz rot und verschwollen aussah, und das war ja auch nicht königlich.
-
-Als sie sich ausgeweint hatte, ging sie langsam, denn die Füße taten ihr
-weh, in ihr kühles Königsschloß zurück, wo man sie bereits vermißt
-hatte und ihr Hofstaat im Begriff stand, den Schloßpark nach ihr
-abzusuchen.
-
-
-
-
-Zoologie
-
-In Erinnerung eines kleinen Tiergartens, der verschwunden ist
-
-
-=I=
-
-Die Kastellanin
-
-Damals war ich oft bei der Känguruhmutter. Sie hatte liebe, staubige,
-kurzsichtige Augen, als hätte sie bei Lampenlicht zuviel schwarze
-Strümpfe gestopft, und einen verschwiegenen Zug an den Mundwinkeln wie
-alte Kinderfrauen, die in der Familie geblieben sind und vieles haben
-mitansehen müssen. Sie hätte einen kleinen Kapotthut tragen sollen, mit
-Glaskirschen oder Samtpensees und eine Mantille; und Klatschkaffees geben
-und immer wieder nötigen, man möge doch zugreifen: »Denn es ist
-alles mit reiner Butter, meine Damen, Kokos und Margarine und all diese
-schrecklichen Erfindungen dürften Sie umsonst in meiner Speisekammer
-suchen; einfach aber prima das ist mein Wahlspruch.«
-
-Die Känguruhmutter und ich, wir verstanden uns. Wenn sie mich sah, kam
-sie gesprungen. Aber gleichsam entschuldigend, sie könne nun einmal
-nicht anders. Ich brachte ihr das Angebackene vom Schokoladenpudding.
-Süßigkeiten und ihr Kuhlchen im Heu, das war ihr Schönstes. Ich
-konnte das begreifen. Es kommt einmal die Zeit, wo man Äußerlichkeiten
-verachtet. Und dann offenbart das Leben andere, stillere Reize.
-
-Als ich Frau Känguruh kennen lernte, hatte sie ein ganzes Schurzfell
-voll Kinder, das letzte Andenken von dem Herrn Känguruh, der selber im
-australischen Busch geblieben war. Wie ein Briefträger zur Neujahrszeit
-lief sie daher, aber statt Päckchen und Kreuzbandsendungen waren es kleine
-Känguruhs, die aus ihrer Tasche kullerten. »Nun ist mir leichter,«
-sagte sie, als die Kleinen größer geworden, zu groß für den Schlafsack,
-»aber nun friert mich beständig. Ja, ja, die Kinder gehören der Mutter,
-doch nur so lange sie klein sind.« Denn ihre Schwäche waren wohl gewisse,
-etwas rührselige Gemeinplätze. Damals schon hätte ich ihr gern ein
-Schaltuch geschenkt.
-
-Später dann wanderten ihre Kinder aus, in andere Gärten, und sie blieb
-allein. Mit den übrigen Nachbarn konnte sie sich nicht anfreunden. Es
-fehlte die Resonanz. Sie bezog ein leidlich großes Quartier, mit einer
-Trauerweide in der Mitte und ihrem Borkenhäuschen in einer Ecke, das mich
-immer an eine alte illustrierte Ausgabe von =Paul et Virginie= erinnerte,
-die wir auf dem Lande besaßen. Aber mit zwei Sprüngen war sie doch
-gleich am anderen Ende. Und das nagte an ihr. Bis sie dann älter wurde und
-ruhiger.
-
-»Sie glauben nicht, was ich früher für ein Temperament hatte,« sagte
-sie. »Aber nun ist man ja zufrieden, wenn man sein Essen hat und sein
-Plätzchen im Grünen.«
-
-Die Känguruhmutter wäre eine entzückende Kastellanin gewesen. Im grauen,
-gehäkelten Seelenwärmer, den Schlüsselbund am Gürtel, wie wäre sie
-emsig die weißen, hallenden Treppen auf und ab gerannt; wie pflichttreu
-hätte sie Staub gewischt. Wie hätte sie andachtsvoll die seufzenden
-Mahagonisekretärs geöffnet und aus der griechischen Tempelarchitektur
-im Hintergrund jene schicksalsschwere Wedgwoodtasse hervorgeholt und
-den Auserwählten gezeigt, wie auch das Original des berühmten,
-herzzerreißenden Sonetts, das der Dichterfürst damals, am Tag der
-Abreise, auf einen alten Brief gekritzelt hatte!
-
-Wie würde sie mit der Überzeugungskraft steter Wiederholung, all die
-längst berichtigten Unwahrheiten über das Damenporträt im fürstlichen
-Alkoven den lauschenden Amerikanern versetzt haben, die gläubig und
-starr, in riesenhaften grauen Filzschuhen einen Halbkreis um sie bildeten,
-hypnotisierten Strandläufern vergleichbar! Und mit welcher Ehrfurcht
-würde sie den weißen Überzug eines Tapisseriesessels gelüftet und mit
-leiser Stimme versichert haben, die übrigen elf seien genau ebenso
-und alle, alle seien sie von der Hand der hochseligen Maria Pawlowna
-gestickt ...
-
-
-=II=
-
-Das Marmutzchen
-
-Ganz im Dunkeln, hoch oben in einem Winkel hockt das Marmutzchen. Aber
-eigentlich heißt es Lemur und lebt in Madagaskar, wo ich auch leben
-möchte, denn ich glaube, ich könnte alles Böse vergessen, wenn ich eine
-Schar solcher Marmutzchen mein eigen nennte. Oder auch nur eins. Sie
-haben buschige Schwänze, wie Eichkaterchen, nur viel länger; spitze
-Schnäuzchen und spitze Öhrchen mit kleinen Haarbüscheln, große, große
-Glühaugen und kleine streichelnde Hände wie Affen. Aber sie sind nur
-Halbaffen und es wird gar kein Aufhebens mit ihnen gemacht.
-
-Sie sollten ganz große Käfige haben -- so groß wie der Käfig vom
-Lämmergeier --, um von einem Baum zum anderen zu springen, und überall
-kleine, verschwiegene Höhlen für Familienglück, und Bananen und Kirschen
-in Fülle. Sie machen den Menschen nichts nach wie die wirklichen Affen,
-die so traurig und beschämend sind, denn man taugt doch, weiß Gott, nicht
-zum Vorbild; nein, sie haben gar nichts vom Menschen, bis auf die kleinen
-schwarzen Hände, die innen kühl und zart und faltig sind; so wie ich mir
-Rumpelstiltzchens Hände denke.
-
-Armer kleiner Lemur, ganz allein in seinem finsteren Winkel. Und dann
-pfeife ich -- die ersten zwei Takte der Serenade aus Don Juan, und er
-klettert herunter und läßt sich krauen, so gut es durch das Gitter geht.
-Ach, wenn man doch Gottvater wäre, oder vielleicht besser noch Direktor
-des Zoologischen Gartens, da könnte man dem Marmutzchen noch glückliche
-Tage schaffen, ehe es stirbt. Denn schon ist es alt, sein Pelz ist schäbig
-geworden und die großen Glühaugen werden trübe, die kleinen Händchen
-können sich nicht mehr festhalten. O Wälder Madagaskars, o flüsterndes
-Schilfrohr, wo sich die Bäume im Abendrot der Sümpfe spiegeln ... Möchte
-die Seele des armen Marmutzchen zurückfinden in euer Dämmergrün, auf
-den Lianen schaukeln, die sich von Ast zu Ast schlingen, wenn die laue
-Luft durch die Wipfel geht und in der Lichtung der Mond über die Gräser
-trippelt.
-
-
-=III=
-
-Vom Seelöwen
-
-Ich sagte zum Seelöwen: »Ihre schlichte Haartracht eignet sich wunderbar
-für das Element, in dem Sie leben. Aber es gehört Ihre Kopfform dazu, um
-so, aller Einrahmung bar, zu bestehen.«
-
-Der Seelöwe schniefte. Ich wollte ihm mein Taschentuch geben, aber es war
-doch besser, nichts zu bemerken. Er hatte sich in seinem nassen Dekolleté
-ganz über die steinerne Brüstung seines Behälters gelehnt; mit der
-unbekümmerten Schamlosigkeit einer alten, fetten Palastdame, die einsam in
-der Hofloge einer kleinen Residenzstadt thront, wo die besseren Damen sonst
-nur in Seidenblusen, hoch herauf, erscheinen.
-
-»Ihre abfallenden Schultern,« fuhr ich fort, »würden den seligen
-Winterhalter zu unsterblichen Werken begeistert haben. In meiner Kindheit
-war sein Ruhm auf dem Höhepunkt und die stolzesten Fürstinnen bestürmten
-sein Atelier. Schultern wie die Ihrigen waren damals Vorschrift; an ihnen
-rieselten die Mantillen nieder wie elegische Wasserfälle. Ja gewiß, er
-würde Sie gemalt haben, am Arm ein Körbchen mit ganz unwahrscheinlichen
-Weintrauben, bläulicher Parknebel und irgend etwas Gerafftes im
-Hintergrund. Vielleicht auch eine Balustrade. Solche lächelnden Damen
-hingen dann im Dämmerlicht in Salons mit Boulemöbeln, die sich immer kalt
-anfühlten, und karmesinfarbenen Sesseln und Sofas, wo die kleinen
-Mädchen Clementi übten oder etwas Leichteres von Chopin, zur
-Weihnachtsüberraschung für den Vater. Die Sonne glitzerte ab und zu in
-den Kristallkronen und alle Samstag kam der kleine asthmatische Uhrmacher
-und zog stöhnend die schwarze Marmorpendüle auf. Die Dame an der Wand sah
-lächelnd vor sich hin. Eine Tante, die im Ausland gestorben war ...«
-
-»Sagen Sie mir,« sprach ich zum Seelöwen, »wenn Sie so vor sich
-hinsehen, kurzsichtig vor lauter Weitsichtigkeit, was ist's, das sich in
-Ihnen spiegelt? Die matte, tausendmal durchatmete Luft dieses Gartens weckt
-die Sehnsucht, aber tötet sie nicht die Erinnerung? Wenn Sie doch sprechen
-könnten! Stundenlang wollte ich Sie hinter Ihren kleinen Ohrlöchern
-krauen, wenn Sie mir von damals erzählen wollten, von den grünen,
-unmenschlichen Mondnächten über den Klippen, oder von der Tiefe, wohin
-die Stürme nicht mehr dringen, wo man zwischen Seepflanzen schwimmt, die
-beinah Tiere sind, die sich zusammenziehen und wieder auftun wie Fäustchen
-saugender Kinder. O wie begreife ich nun Ihr Schniefen, aus dem ich Ihnen
-beinah einen Vorwurf gemacht hätte. Ja, Sie fahren auf den Grund, Sie
-suchen, aber da ist nichts, alles zementiert, nur verfaulte Äpfel und
-aufgeweichte Brotrinden, womit Unwissende Ihr Becken verunreinigten; und
-dann fahren Sie hoch und prusten, und suchen in der Luft nach Salz, nach
-treibendem Seegrasduft ... Ja, und dann schwillt Ihr Hals an, mehr und mehr
-und pendelt wie irrsinnig von links nach rechts, Ihr kleiner Schlangenkopf
-biegt hintenüber, Ihr glitzernder Rachen öffnet sich und schleudert den
-Schrei hinaus, zweimal, dreimal, den großen, harten, heiseren Schrei, der
-Ihre glatten, gehorsamen Weibchen vor sich hertrieb, im Morgengrau, der
-Sandbank zu ... O Salz, Salzschaum in den Bartstacheln, gutes, beißendes
-Salz, das durch die kleinen, runden Naslöcher hochgepumpt, das Hirn spült
-und als eisklare Träne zurückrinnt in den tropfenden Bart. Ach, ich
-fühle es wohl, Sie sind hier gänzlich deplaciert. Aber wer wäre es nicht
-in einem Gefängnis ...!
-
-Wie Sie diese Philister verachten müssen mit ihren Kuchentüten und
-Sonnenschirmen, mit ihren Brautpaaren und Kindern, die nicht gehorchen und
-doch vor allem Furcht haben. Wie erbärmlich ist dies Geschlecht, das seine
-Glieder versteckt und unter Wasser erstickt!
-
-Sie in ihrem Niedergang sind jedenfalls ehrlich, leben nur noch für den
-Augenblick, wenn der Mann in der blauen Jacke Ihren Eimer voll kleiner,
-weißbäuchiger Fische in das Bassin schüttet. Und im übrigen grunzen
-Sie in der Sprache der Meergötter, die niemand versteht, und machen
-Wassergymnastik, und es wäre zu wünschen, Wagners Rheintöchter hätten
-Sie zum Lehrmeister gehabt.
-
-Meine Hochachtung. Aber ich will gehen. Es hat mich alles etwas deprimiert.
-Wenn möglich, bringe ich Ihnen das nächstemal einen Seefisch. Seien Sie
-mir gegrüßt!«
-
-
-=IV=
-
-Myra
-
-Es ging gegen Abend und ich wollte gehen, aber da lernte ich eine Amme
-kennen, ach, eine verzweifelte Amme, denn sie durfte nicht mehr zu ihrem
-Pflegekind. Manchmal hört man Mütter sagen, daß sie ihre Kinder vor
-Liebe fressen möchten, aber hier war es der Säugling, der die Mutter
-fressen würde. Ziemlich gelangweilt saß er hinter den Gitterstäben. Eine
-ganze Weile hatte er mit der dummen Holzkugel gespielt, denn das wurde von
-ihm erwartet. Was aber nun? Ab und zu blinzelte er hinunter zu ihr, die aus
-verschleierten Goldtopasen unverwandt zu ihm aufsah und nur ab und zu einen
-kurzen, sehnsüchtigen Blaff ausstieß. Er aber kniff die Augen zu; sein
-Schmerz war schon von der Watte Gewohnheit umwickelt; er träumte von
-seiner neuesten Entdeckung: Beefsteak.
-
-Der Wärter kam und scheuchte sie hinaus; aber die Türen blieben der
-Wärme wegen geöffnet, so kehrte sie immer wieder auf ihren Platz vor dem
-Käfig zurück. »Ja, das Vieh kann einem dauern,« sagte der Mann. »Nun
-sind es schon vier Wochen, daß Cäsar =II.= entwöhnt ist, aber sie gibt
-noch immer keine Ruhe. Und gelitten hat sie auch, sie schwoll so furchtbar
-an und hatte richtig Milchfieber. Wir wollten ihr kleine Hunde anlegen,
-damit ihr leichter würde, die Jungen von der Polarhündin, die eingegangen
-ist. Mein Kollege hat alles versucht, aber nein, sie ließ sie nicht
-ankommen; sie ist nun mal an Löwen gewöhnt.«
-
-Ich sah ihn an. »Ja, dies ist das drittemal, daß sie bei Löwen Amme ist.
-So eine gibt's bald nicht wieder. Aber jedesmal ist's beinah zum Sterben
-mit dem Absetzen, bis sie sich drein ergibt.«
-
- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Wieviel vernünftiger, dachte ich, handeln die Menschen. Ein deutlicher
-Fingerzeig, daß sie zum Herrschen erkoren sind. Da war Teresina, die
-Toskanerin. Sie kam, vom deutschen Arzt unter vielen Aspirantinnen
-auserwählt, zu meiner jungen Freundin, die sanft und erschöpft in ihren
-schönen Kissen lag. Teresina schien eine Bettlerin -- sie kam in Lumpen.
-»Das,« sagte der blonde Germane, »darf Sie nicht irremachen, meine
-Gnädigste. Zu Haus hat sie Schränke voll Kleider und Wäsche. Dies ist
-hier nun einmal Geschäftsusance. Aber sehen Sie her ... ist sie nicht
-prachtvoll? =Apri=,« sagte er kurz und geschäftsmäßig.
-
-Teresina öffnete ihr grobes und zerrissenes Hemd. Maria Beata wunderte
-sich. Sie hatte mehr erwartet. Gerade hier in der Heimat Michelangelos.
-»Klein,« sagte sie schüchtern. »Klein?« wiederholte der Blondbärtige
-verächtlich. »Juno könnte stolz sein auf eine solche Brust. Man bringe
-den Säugling,« setzte er sachlich hinzu.
-
-Der Säugling wurde gebracht, von Maria Beata mit großen ängstlichen
-Augen verfolgt, ähnlich einer Katze, die zusehen muß, wie man ihre
-Jungen aus dem Neste hebt, um sie teils zum Leben, teils zum Stadtbach zu
-verurteilen. »Lege ihn an,« sprach der Teutone zur Toskanerin.
-
-»=Tesoro mio=,« schrie Teresina auf, kaum daß sie ihn im Arm hatte. Und
-nun kam der Paroxysmus: »=Subito si è attacato, povero bimbo, ma che
-tu hai patito la fame? Ah birbone, ah figlio d'un cane, ma che tu sei
-'na sanguesuga? Eh Coccodrillo, eh rospo di macchia, ma la guardi come
-poppa!=« Denn in jenem Lande versteckt sich mütterlicher Enthusiasmus
-schamhaft unter Injurien. Aber schon leckten ihre Augen gleich braunen
-Schlängelchen der Liebe und Eifersucht an den rosigen Gliedern ihres
-kleinen Milchsohns auf und nieder. Und Maria Beata erkannte, daß hier eine
-Mitregentin sei.
-
-Als nach neun Monaten Teresina, mit einem rhapsodischen Zeugnis und
-zahllosen Geschenken versehen, das Haus der =Tedeschi= verließ, war
-dem ein kurzer aber rasender Schmerzensausbruch vorangegangen. Aber der
-Kopfputz aus dunkelroten, getollten Seidenbändern, der sie in eine Dahlie
-verwandelt hatte, die zitternden Silbernadeln und Korallenketten, die
-gestickten Busentücher und großen Musselinschürzen, die Hemden und
-Röcke, die Schuhe und Zwickelstrümpfe: alles ging mit, alles kam in den
-großen Cassettone zu Füßen von Teresinas mächtigem Ehebett. Und das war
-tröstlich. Ja, nun ging es heim zum =Marito=, der vor Porta Romana eine
-Droschke innehatte mit einem einäugigen Schimmelchen, =la Stellina=
-benannt, das mit grüner, heimlich ausgeraufter Gerste gefüttert wurde.
-Heim in den kleinen Vorort, wo die Frauen so gemütlich in Nachtjacken vor
-ihren Haustüren sitzen, mit Strohflechterei beschäftigt; wo es sich so
-nett und gründlich mit den Nachbarinnen tratscht, während über einem an
-den Hausmauern in praller Sonne, in vielen winzigen Käfigen, die kleinen,
-geblendeten Vögel unaufhörlich trillern, weil sie ja nicht wissen
-können, ob Tag oder Nacht ist.
-
-»Ich habe sie gleich wieder vorgemerkt,« sprach der blonde deutsche Arzt.
-»Beim Principe O. hat soeben Donna Faustina, die älteste Tochter, sich
-vermählt. Ich denke, das kann gerade stimmen. Es ist immer gut für solche
-Fälle gerüstet zu sein. Und Teresina ist meine beste Nummer.«
-
-Die schöne Ausstattung von Maria Beata würde natürlich verkauft oder
-im Cassettone verschwinden und Teresina würde auch dort ärmlich und
-abgerissen zum Antritt erscheinen, aber im Besitz ihrer göttlichen Brust
-und ihrer Zeugnisse auch dort ihre Mitbewerberinnen aus dem Felde schlagen.
-Um dann, den kleinen Principe im Arm, als königliche Dahlie in den
-historischen Gärten der fürstlichen Villa auf und nieder zu gehen;
-gefürchtet und geehrt ...
-
- * * * * *
-
-Ich kam noch einmal durchs Raubtierhaus. Cäsar =II.= trank gerade Milch
-aus einer Blechschüssel; aber er schien nicht recht bei der Sache: noch
-war ihm der Wärter das heutige Beefsteak schuldig. Myra aber, die Dogge,
-wurde soeben beim Halsband hinausgeschleift. Sie stemmte sich mit allen
-vier Pfoten, sie wandte den Kopf rückwärts, anklagend, verzweifelt, und
-ihre armen runzligen Zitzen baumelten leer und sinnlos wie ein Glockenspiel
-ohne Klöppel.
-
-
-
-
-Laubstreu
-
-
-Novembertage! Wie liebe ich euch, dort in meiner Kinderheimat ...
-Ergreifend wie das allererste Frühjahr und ihm ähnlich. Wie sie daliegt
-die Erde und uns anblickt, ganz arm, sie, die alles gegeben hat, so wird
-sie daliegen, wenn der Schnee geschmolzen ist; still atmend unter
-braunem Laubgemoder, die Büsche noch kahl, und hier und dort wird eine
-verschrumpfte rote Beere leuchten, die die Vögel unter dem Schnee nicht
-erspäht hatten. Nur der Geruch wird anders sein, und wo der Fuß in
-faulenden Blättern wühlt, wird er am Grabenrand kleine Primelvereine
-aufstören, noch in sich geduckt und ängstlich, und alles, was heute
-glitzert, wird auch dann glitzern, aber anders, froh und bänglich, und
-jeder Sonnenstrahl, der sich in Wasserlachen spiegelt, wird anders in den
-Spiegel sehen. Aber die Hügel werden so wie heut am blassen Himmel liegen,
-dasselbe zartgegliederte Gezweig der Wipfel, wie Seegräser im klaren
-Meerwasser, bräunlich-rosig und ganz still: es könnten Fischchen darin
-ein und aus schwimmen!
-
-Dort bist du schön, November, schön wie verwelkende Frauen, denen Liebe
-und Leid die Zeichen grub, alternde Frauen, die noch lächeln können wie
-Mädchen, die mütterlich sind wie schlanke schauernde Hirschkühe; die ein
-wohlriechendes Blatt mit den Fingern reiben, behutsam und begehrlich nach
-den feinen und flüchtigen Dingen dieser irdischen Bescherung.
-
-Mütterchen Heimat! wie die Russen sagen, die so weich das Herz
-streichelnde Worte haben, als hätten Kinder sie erfunden; Mütterchen
-Heimat! Wie schön war der Tag, als ich zum letztenmal hinaufstieg auf den
-Berg, der mir als Kind ebenso unerreichbar schien wie der Chimborasso:
-erst durch feuchte, reifgraue Wiesen, an Kohlgärten und Kartoffelfeldern
-vorbei, wo Feuer knisterten und der weiße Rauch rein und bitter in die
-Luft schwelte. Vor mir die Höhen, braunviolett, schon entlaubt, nur hie
-und da, am Waldrand, eine Buche, aufflammend wie der Engel mit feurigem
-Schwert.
-
-Die Birnbäume in den Wiesen -- o ihr guten Holzbirnchen, die ihr den Mund
-zusammenzieht und doch süß seid unter eurer Herbigkeit -- ließen ihre
-roten Blätter fallen, die schmalen Wasserrinnen im Grase trugen sie fort
-mit leisem Gluckgluck; Karren, mit Rüben beladen, kamen des Wegs, die
-kleinen kurzbeinigen Kühe dampften in der Herbstluft, rötlich und weiß,
-mit nassen rosa Schnuten und faltigen Wampen, blondbewimpert wie Rubenssche
-Göttinnen. Dann tat sich der Wald auf und sein Wohlgeruch war wie ein
-Rausch. An der Erde, an den Abhängen, auf allen Pfaden lag das Laub,
-fußhoch; Leute harkten es herunter von den Hängen, soweit man durch die
-Stämme sah; zu hohen Haufen türmten sie's, der Duft von Pilzen und Erde
-und Gärung wurde immer stärker. Das wären Raschelnester gewesen für
-kleine Waldgötter mit Zottelbeinchen, sich darin einzuwühlen, bis nur die
-spitzen, bepelzten Ohren heraussahen; aber nun sollten die kleinen blonden
-Kühe darauf liegen, im Winter, in den warmen, dunstigen Ställen, wenn der
-Laternenschein über den Schnee huscht und der Rauch vom Dache aufsteigt,
-zum Zeichen, daß dort Menschen wohnen.
-
-Der kleine Pfad war ganz schlüpfrig von den Blättern, immer höher
-zickzackte er; hier war nur junger Buchenbestand, glatte Stämme in grauer
-Atlashaut, ihnen zu Füßen der rostrote Teppich -- und ein Sonnenstrahl
-ging vor mir her. Ganz droben begann wieder der Tannen Reich, ihre Wurzeln
-deckte Moos und Sauerklee, und Brombeeren wucherten da, die im Schatten
-grün geblieben; noch ein paar Schritte, und vor mir stand der plumpe,
-runde Turm. 1837 war über seiner Tür eingemeißelt, und ich sah sie hier
-wandeln, Mamas mit Krinolinen und komischen Sonnenschirmchen, wie man
-sie auf Porzellanvasen vor Königsschlössern wandeln sieht, und Papas in
-schachbrettartigen Beinkleidern, mit erstickenden Halsbinden und grauen
-Zylinderhüten; und die artigen Kinder erst! Wie die Bilder in »=les
-petites filles modèles=«, mit Pamelahüten und gestickten Höschen, mit
-Reifen und roten Luftballons! Der Turmwart kam und erzählte, daß
-sein Großvater der erste Turmwart gewesen. Er wohnte noch in demselben
-strohgedeckten kleinfenstrigen Häuschen, und seine dicke Frau kam und rief
-zu Kaffee und Zwetschgenkuchen. In der Küche war aufgetischt, und dort
-lief eine alte, zutrauliche Hasenmutter herum, deren dunkles Fell wie
-von Rauhreif übersilbert war, das schnuppernde Näschen und die glatten
-Hängeohren aber kohlschwarzer Spiegelsamt. Sie war's gewöhnt, auf den
-Schoß genommen zu werden, man reichte sie herum wie eine Wärmflasche, und
-dann trank sie Milchkaffee aus der Untertasse, wie ein Christenmensch!
-Dann ging der Turmwart auf den Turm, und ich sah ihn in der düstern
-Wendeltreppe verschwinden, wo an den Balken die Fledermäuse schon im
-Winterschlaf hingen, zusammengerollt wie alte schwarze Glacéhandschuhe.
-
-Alte Städtchen, an Bergen gelegen, haben in ihren Ausläufern
-halbländliche Wege und Gassen, die die Kirche, den Markt und die Schule
-mit den bäuerlichen Anwesen, den Wiesen und Äckern verbinden. Durch
-solche Wege kam ich herunter, im Nebel, an Werkstätten und Holzplätzen
-und fließenden Brünnchen vorüber, die in diesem quellenreichen Land
-durch eiserne Schlangenköpfchen in verwitterte Tröge rauschen, eiskalt
-mit einem Moosgeschmack vom Walde her. »Hähnchen und Hühnchen wollten
-zusammen auf den Nußberg« -- so geht das Märchen an, das unvergeßliche;
-und durch solche Wege und Gäßchen sind Hähnchen und Hühnchen gewiß
-auch gekommen. Die Laternen schimmerten dunstig, Gaslaternen, die ein
-buckliges Männchen anzündete. Kleine, altväterische Häuser standen
-hinter Holzstaketen; in den niederen Stuben, hinter Geranien und
-Fuchsien kam Licht durch die Scheiben; nun saßen drin die Menschen beim
-Kartoffelsalat und tranken gelben Landwein aus dicken, grünlichen Gläsern
-dazu. Auch unsere Waschfrau wohnte da; in ihrer geblümten Kattunjacke,
-die Brille auf der Nase, wie eine kleine, aufmerksame Eule, stand sie und
-bügelte bei der himmelblauen Lampe. Ihr Kätzchen kam aus dem Gebüsch
-und lief eine Weile vor mir her mit kleinen, lockenden Turteltaubentönen.
-Alles war so heimlich, so lockend, die goldenen Ritzen in den Läden, der
-Schein, der über die Schwellen glitt, Laternen an Gartentoren, wo hohe
-Bäume Unverständliches rauschten, und die Stimme des Kätzchens, das sich
-im Dunkeln an mir rieb, sobald ich stille stand; alles, als müßt es mir
-etwas sagen.
-
-Weiter unten, wo die reichen Leute wohnen, wird gebaut und eingerissen; wo
-einst Wiesen waren mit großen Margueriten und Zittergras und alle Gräben
-voll himmlischen Vergißmeinnichts, da steht jetzt Haus an Haus, die
-Häuser groß und die Gärten klein ... früher war's umgekehrt. Und so
-vieles fand ich nicht mehr. Feine, einstöckige Häuser mit geschweiften,
-silbernen Schieferdächern, nach der Straße waren Mauern, von Efeu
-überhangen, aber dahinter wußte man -- da war ein alter Garten, voll
-Platanen und rauschender Silberpappeln und Azaleengebüsch, die Wege ganz
-vermoost, und braune Schnecken krochen drüber hin -- =la limace -- le
-limaçon= lernte ich, die eine hat ein Schneckenhaus und die andere nicht
--- ja, wo ist das alles hin? Muttergotteshäuschen mit Bänken, damit die
-armen Frauen ihre Körbe absetzen und ein wenig verschnaufen konnten ... Da
-war auch sonst ein kleiner, schattiger Friedhof; nicht der berühmte alte
-am Berghang, nein, ein ganz kleiner, noch älterer, abseits, im Tal;
-im Frühling voll Jasminduft und Finkengesang, im Herbst rostbraun vom
-Blätterfall und von zutraulichen Amseln bevölkert, der gab Kunde von
-denen, die von hier nicht mehr heimgekehrt sind. Hier lagen sie aus aller
-Herren Ländern, sogar unter russischen Kreuzen mit ihren Schrägbalken und
-unverständlichen Inschriften; aber manchmal waren sie ins Französische
-übersetzt und kündeten, daß da ein =Chevalier de l'Ordre de Saint
-André= von seinem hoffentlich verdienstvollen Leben ausruhte, oder
-ein armer junger Dmitri, eine sanfte Hélène, =ravie à ses parents
-inconsolables à l'âge de dixneuf ans=, sich hier zu Tode gehustet hatten.
-Denn Davos und Arosa waren damals noch nicht erfunden, und aus weiter Ferne
-kamen sie angereist, denen der Tod seine Rosen auf die Wangen geküßt
-hatte, und mußten dableiben, weil ihre Kraft sie verließ. »=Sacred to
-the memory of Anne, the dearly beloved wife ... aged twentytwo ...=« Eine
-schöne, breitschulterige Muttergottes, die einen rechten Königsmantel
-von Efeu trug, hütete den Eingang und sagte: Fürchtet Euch nicht. Kinder
-spielten zwischen den Gräbern, alte Großmütter saßen dort und strickten
-... Ja, das ist nun verschwunden und vieles ist neu und fremd geworden, und
-es ist wie mit geliebten Menschen, die sich verändert haben; man liebt sie
-noch -- ach Gott, Liebe hat ja wohl auch neun Leben wie die Katzen -- aber
-man wird ihrer nicht mehr froh.
-
-Aber droben am Waldrand ist noch vieles geblieben wie es war; es riecht wie
-damals nach Erde und Moos und schwelendem Kartoffelkraut, und der Umriß
-der Hügel ist derselbe, über denen die Sterne stehen, so altbekannt --
-die ewig geheimnisvolle, goldene Schrift ... Die Augen füllen sich
-mit Tränen, seid ihr's, bist du's? Und man wittert in die Luft wie ein
-Jagdhund, der den Dunst seines Herrn erkennt. Die Karren kehren heim aus
-dem Wald, mit Laubstreu hochbeladen, all das Laub, das im Frühling seine
-spitzen, seidigen Knospen aufgetan, mit dem Wind gestichelt hatte, dankbar
-der Sonne, dem Leben. Nun ist es vermodert und wird die Erde düngen, wird
-geben, nachdem es genommen.
-
-Mütterchen Heimat, sanft gehst du um mit deinen Kindern. Hier ist
-Laubstreu für deine Erde!
-
-
-
-
-[ Hinweise zur Transkription
-
-
-Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Buchende an den Buchanfang verschoben.
-
-Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
-
-Symbole für abweichende Schriftarten:
-
- _gesperrt_ : =Antiqua= .
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
-einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen (z. B. Gerda -- Gerta), mit
-folgenden Ausnahmen,
-
- Seite 33:
- ";" eingefügt
- (seit sie ihm gesagt, Emmo käme her;)
-
- Seite 36:
- "," eingefügt
- (die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte)
-
- Seite 58:
- "deratige" geändert in "derartige"
- (er liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen)
-
- Seite 59:
- "Intensivkul ur" geändert in "Intensivkultur"
- (immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur)
-
- Seite 94:
- "«," geändert in ",«"
- (»Der Arme,« sagte sie)
-
- Seite 112:
- "«," geändert in ",«"
- (»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante.)
-
- Seite 114:
- "«," geändert in ",«"
- (,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme)
-
- Seite 130:
- "in" geändert in "ein"
- (das eigentlich Unkorrekte durch ein gewisses Dekorum)
-
- Seite 136:
- Absatz eingefügt vor "»Wie"
- (»Wie ging das zu?« frug der Prinz)
-
- Seite 140:
- "," hinter "nein, nein" eingefügt
- (»Ach nein, nein,« sagte sie)
-
- Seite 155:
- "." entfernt hinter "Mond"
- (heraufstarrten zum Mond wie Seelen)
-
- Seite 155:
- ".." geändert in "..."
- (mehr erhellen kann ... dort ging die Frau)
-
- Seite 168:
- "dielen" geändert in "diesen"
- (aus diesen Produkten des =ancien régime= hoffte er)
-
- Seite 178:
- "," eingefügt
- (die Kinder gehören der Mutter, doch nur so lange)
-
- Seite 183:
- "gänglich" geändert in "gänzlich"
- (Sie sind hier gänzlich deplaciert)
-
- Seite 197:
- "," hinter "dem" entfernt
- (dankbar der Sonne, dem Leben)
-
- Seite 197:
- "," eingefügt
- (und wird die Erde düngen,) ]
-
-
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU ***
-
-***** This file should be named 60416-0.txt or 60416-0.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/6/0/4/1/60416/
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
-royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
-of this license, apply to copying and distributing Project
-Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
-and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
-specific permission. If you do not charge anything for copies of this
-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
-for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
-performances and research. They may be modified and printed and given
-away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
-not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
-trademark license, especially commercial redistribution.
-
-START: FULL LICENSE
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
-PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
-
-To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
-distribution of electronic works, by using or distributing this work
-(or any other work associated in any way with the phrase "Project
-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
-Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
-www.gutenberg.org/license.
-
-Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
-Gutenberg-tm electronic works
-
-1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
-electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
-and accept all the terms of this license and intellectual property
-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
-the terms of this agreement, you must cease using and return or
-destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
-possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
-Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
-by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
-person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
-1.E.8.
-
-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
-agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
-electronic works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
-works in the collection are in the public domain in the United
-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
-United States and you are located in the United States, we do not
-claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
-displaying or creating derivative works based on the work as long as
-all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
-that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
-free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
-works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
-Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
-comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
-same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
-you share it without charge with others.
-
-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
-in a constant state of change. If you are outside the United States,
-check the laws of your country in addition to the terms of this
-agreement before downloading, copying, displaying, performing,
-distributing or creating derivative works based on this work or any
-other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
-representations concerning the copyright status of any work in any
-country outside the United States.
-
-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
-
-1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
-immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
-prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
-on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
-phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
-performed, viewed, copied or distributed:
-
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
- most other parts of the world at no cost and with almost no
- restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
- under the terms of the Project Gutenberg License included with this
- eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
- United States, you'll have to check the laws of the country where you
- are located before using this ebook.
-
-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
-derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
-copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
-the United States without paying any fees or charges. If you are
-redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
-Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
-either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
-obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
-trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
-additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
-will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
-posted with the permission of the copyright holder found at the
-beginning of this work.
-
-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
-
-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
-
-1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
-any word processing or hypertext form. However, if you provide access
-to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
-other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
-version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
-(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
-to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
-of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
-Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
-full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
-
-1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
-access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
-provided that
-
-* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation."
-
-* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.
-
-* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.
-
-* You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
-
-1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
-Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
-are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
-from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
-Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
-trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
-
-1.F.
-
-1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
-effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
-works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
-Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
-electronic works, and the medium on which they may be stored, may
-contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
-or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
-intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
-other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
-cannot be read by your equipment.
-
-1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
-TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
-
-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium
-with your written explanation. The person or entity that provided you
-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
-For additional contact information:
-
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
diff --git a/old/60416-0.zip b/old/60416-0.zip
deleted file mode 100644
index 19ad0c3..0000000
--- a/old/60416-0.zip
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/60416-h.zip b/old/60416-h.zip
deleted file mode 100644
index a51754a..0000000
--- a/old/60416-h.zip
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/60416-h/60416-h.htm b/old/60416-h/60416-h.htm
deleted file mode 100644
index 6efcf8c..0000000
--- a/old/60416-h/60416-h.htm
+++ /dev/null
@@ -1,5834 +0,0 @@
-
-
-<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN"
- "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd">
-
-<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xml:lang="de" lang="de">
-
-<head>
-<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=iso-8859-1" />
-<meta http-equiv="Content-Style-Type" content="text/css" />
-
-<title>The Project Gutenberg eBook of
-Laubstreu
-by
-Irene Forbes-Mosse</title>
-
-<link rel="coverpage" href="images/cover.jpg" />
-<style type="text/css">
-
-body {margin-left: 10%; margin-right: 10%;}
-
-h1 {font-size: 200%; text-align: center; font-weight: bold; margin-top: 2em; line-height: 1.5;}
-h2 {font-size: 125%; text-align: center; font-weight: normal; margin-top: 6em; margin-bottom: 1.5em; line-height: 1.5; page-break-before: always;}
-h3 {font-size: 110%; text-align: center; font-weight: normal; margin-top: 2em; margin-bottom: 1.5em; line-height: 1;}
-
-p {text-indent: 1em; text-align: justify; margin-top: 0.75em; margin-bottom: 0.75em;}
-
-hr {width: 30%; margin-top: 2em; margin-bottom: 1.5em; page-break-before: avoid;}
-.hr60 {width: 60%; margin-top: 2em; margin-bottom: 1.5em; page-break-before: avoid;}
-.hrhead {width: 18em; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em; page-break-before: avoid;}
-
-img {padding: 0;}
-
-.ce {text-align: center; text-indent: 0;}
-.ci {margin-left: 5%; margin-right: 5%; text-indent: 0;}
-.ge {font-style: normal; letter-spacing: .12em; padding-left: .12em;}
-.in0 {text-indent: 0;}
-.nd {text-decoration: none;}
-.pb {page-break-before: always;}
-
-.fsl {font-size: 125%;}
-.fss {font-size: 85%;}
-
-.mt2 {margin-top: 2em;}
-.mt4 {margin-top: 4em;}
-
-table {margin-left: auto; margin-right: auto;}
-.tdl {text-align: left; vertical-align: top;}
-.tdr {text-align: right; vertical-align: bottom; white-space: nowrap;}
-
-a[title].pagenum {position: absolute; right:3%;}
-
-a[title].pagenum:after {
- content: attr(title);
- border: 1px solid silver;
- display: inline;
- font-size: x-small;
- text-align: right;
- color: #808080;
- background-color: inherit;
- font-style: normal;
- padding: 1px 4px 1px 4px;
- font-variant: normal;
- font-weight: normal;
- text-decoration: none;
- text-indent: 0;
- letter-spacing: 0;
-}
-
-</style>
-</head>
-
-
-<body>
-
-
-<pre>
-
-The Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll
-have to check the laws of the country where you are located before using
-this ebook.
-
-
-
-Title: Laubstreu
-
-Author: Irene Forbes-Mosse
-
-Release Date: October 3, 2019 [EBook #60416]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU ***
-
-
-
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-
-
-
-
-
-</pre>
-
-
-
-<p class="ce fss"><span class="ge">Irene Forbes-Mosse / Laubstreu</span></p>
-
-<hr class="pb hrhead" />
-
-<p class="ce mt2 fsl"><span class="ge"><b>Irene Forbes-Mosse</b></span></p>
-
-<h1><span class="ge">Laubstreu</span></h1>
-
-<p class="ce mt4"><img src="images/logo50.jpg" alt="" /></p>
-
-<hr class="hrhead" />
-
-<p class="ce"><span class="ge">Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart<br />
-Berlin und Leipzig<br />
-1923</span></p>
-
-
-<p class="ce mt2">&#10038;<br />
-<span class="fss ge">Alle Rechte vorbehalten<br />
-Druck der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart</span></p>
-
-
-
-
-<h2>Inhalt</h2>
-
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="1">
-<tr>
- <td class="tdl">Der Pelikan</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_007">7</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Mitleid</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_021">21</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Wie es die Kinder erlebten&emsp;&emsp;&emsp;</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_045">45</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Etüde</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_087">87</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Die Waldschenke</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_127">127</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Die Verirrten</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_145">145</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Glückliche Zeiten</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_159">159</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Zoologie</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_175">175</a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Laubstreu</td>
- <td class="tdr"><a class="nd" href="#page_189">189</a></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="ce">&#10038;</p>
-
-<table class="pb mt4" summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0">
-<tr>
- <td class="tdl" colspan="2">&emsp;Der Strauch erzittert,<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl" colspan="2">Wenn ein Vöglein drüber flog,</td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl" colspan="2">&emsp;Mein Herz erzittert,</td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl" colspan="2">Weil Erinn'rung es durchzog.</td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdr" colspan="2"><span class="ge">Petöfi</span></td>
-</tr>
-</table>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a>
-Der Pelikan</h2>
-
-
-<p><a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a>
-Zwei Menschen wanderten im toskanischen Lande.
-Sie hielten sich fern von den großen Städten. Nicht aus
-Menschenscheu; denn große Liebe ist wie der Panzer
-des Ritters ohne Furcht und ohne Tadel. Aber es war
-in der Frühlingsvollendung ein Ermatten über sie gekommen,
-und in den kleinen, grauen Nestern, wo das
-Land mit tausend blühenden Obstbäumen, die Hügel
-hinan, gegen die alten Mauern zu Felde zog, ließen sich
-die letzten Tropfen mit trägeren, tieferen Zügen trinken.
-Hier waren nur einfache Menschen, die die Erde umgruben
-oder vor den Häusern saßen mit ihren Handwebstühlen
-und Korbflechtereien: irgendein graues Steinwappen
-über der Tür deutete wohl zurück in alte, streitsüchtige
-Zeiten, aber in diesem gleichmütigen Sonnenschein
-dachte man nicht an sie, streichelte ein Kätzchen,
-lächelte einem braunen Mädchen zu, das mit schönen
-überfließenden Kupfergefäßen vom Brunnen kam; da
-war kein Peitschenknallen, kein Menschengedräng, keine
-großen, weltberühmten Bauten, die beiden aus ihrem
-Behagen aufzuschrecken, wenn sie durch das silberne
-Land schlafwandelten, das sie anzublinzeln schien wie
-eine heimlich Verbündete. Ohne Plan gingen sie,
-hügelan und hügelab, zwischen Mauern auf engen
-gepflasterten Wegen, über die der Schattentanz der
-Olbäume zitterte, oder die Mauern hörten auf, und
-man sah weit aus ins Grau, ins Silber, von Mandel
-und Pfirsich und Kirsche weiß und rosig getupft;
-feine Kirchtürme ragten, zart und erlesen, und immer
-<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a>
-neue Hügel taten sich auf, breitschultrig und grau
-und gütig.</p>
-
-<p>So kamen sie einmal zu einer kleinen Kirche, bei der
-ein paar verwitterte Denksteine standen und lagen, von
-wildem Salbei umwuchert; seitwärts eine niedere Mauer,
-das Gärtchen umschließend, wo eben der Pfarrer, mit
-geschürztem Kleide, die Gießkanne in der Hand, zwischen
-Artischocken und Brokkoli und süßduftendem Goldlack
-umherging. Als er die Fremden erblickte, kam er herbei,
-trocknete sich die Hände und stellte seine Führerdienste
-freundlich und selbstverständlich zur Verfügung. Denn
-in dem Kirchlein war ein schönes Grabmal von berühmter
-Hand, das weiß und unverletzt in der Verlassenheit
-ruhte, wie in Italien nicht selten, wo in weltvergessenen
-Winkeln die zartesten Wunder leben, als sei die Schönheit
-mit zerrissener Perlenschnur durchs Land gegangen,
-achtlos, wohin die schimmernden Tropfen rollten.</p>
-
-<p>Sie traten in die Dämmerung der Kirche. Überall
-schälte sich der Bewurf von den Mauern, daß der
-zartrosa Ziegel und Überreste früher Fresken sichtbar
-wurden: hier eine flehende Hand, ein Stück blauen Gewands,
-dort ein runder Baumwipfel, mit Früchten und
-Vögeln beladen. Aber der Altar glänzte in neuer Ölfarbe
-und vergoldetem Zierat, und an den Wänden hingen die
-Stationen des Leidenswegs in grellbunten Bildern.
-Da &ndash; in einer Seitenkapelle &ndash; blieb alles zurück, das
-Grabmal lag so rührend in seiner wehrlosen Schönheit
-und hatte doch &ndash; wie einst <em class="ge">eine</em> reine Jungfrau ihre
-<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a>
-Heimatstadt vor der Pest bewahrte &ndash; die verwitterte
-Kapelle vor Kelle und Kalktopf und schlimmerer Unbill
-bewahrt.</p>
-
-<p>Eine Schwester hatte es ihrem Bruder errichtet in
-jener Zeit, da man durch Werke selig und unselig wurde
-und es dafür wohl weniger Gedankensünden gegeben hat.
-Die Furchen des hagern, nachdenklichen Gesichts waren
-leicht bestaubt; in jeder Mantelfalte, zwischen den ums
-Schwert gefalteten Fingern hatte sich Staub angesammelt;
-so war der Ausdruck, trotz des dämmerigen Lichts, deutlich,
-gleichsam unterstrichen. Es lag freigebige, menschliche
-Güte auf diesen Lippen, ja ein wenig gutmütiger
-Spott zuckte in der Wange, schien hinüberzuwinken in
-eine spätere Zeit; aber die Stirn war entschlossen und
-sorgenvoll, und die Hände, zum Halten wie zum Geben
-tauglich, würden nicht lange die betende Stellung bewahrt
-haben, hätten sie gefühlt, wie jemand den schönziselierten
-Schwertknauf berührte.</p>
-
-<p>An der Mauer gegenüber war die Grabstelle der
-Schwester, eine lateinische Inschrift an der Wand, und
-auf der Erde, da, wo ihr Sarg versenkt war, eine Marmorplatte
-mit eingemeißeltem Wappen und Federgekräusel.
-Sie hatte nur wenig Jahre nach dem Bruder gelebt,
-seinen Namen geehrt, sein Gut verwaltet und hier, bei
-seiner Ruhestätte, in der spitzfindigen Demut jener Zeit
-als Franziskanerin gekleidet, die ewige Ruhe gefunden,
-nachdem sie ihr Eigentum verteilt und im Hofe ihres
-Landhauses täglich alle die Elenden, die Bettler und
-<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a>
-Kranken und Krüppel gestärkt und verbunden hatte. Aus
-den alten Scheiben fiel Regenbogenlicht wie ein Schmetterlingsschwarm
-über die Ranken und Zacken des Wappenschilds.
-Ach, war es nicht schön und stolz, nach stillen, nützlichen
-Jahren hier zu ruhen, dem einen nahe, dem ihr
-ganzes Leben, wie selbstgesponnene und -gewobene Leinwand
-unter die Füße gebreitet war? Was auch sonst ihre
-kleinen, verbrauchten Jungfrauenhände geschafft und gewirkt,
-wieviel Wunden sie gewaschen, wieviel Brot sie
-verteilt hatten, <em class="ge">diese</em> Liebe war der Wein ihres Lebens
-gewesen&nbsp;...</p>
-
-<p>Die Frau trat zum Grabmal des Bruders zurück und
-legte ihre Hand in die sanfte Mulde zwischen Schulter und
-Brustwölbung, erschaffen, um ein schlafendes Haupt zu
-stützen, und bei Frauen eben groß genug, um ein Kinderköpfchen
-aufzunehmen.</p>
-
-<p>Und es ging ihr ein schmerzliches Entzücken durchs
-Herz, wie eine Seligkeit, die man nicht nennen, nicht festhalten
-kann, kurz vor dem Erwachen in der Frühe, wenn
-der Traumfaden immer feiner wird und abreißt ohne
-Schluß.</p>
-
-<p>Als sie nun wieder aus der Kirche herauskamen, sah
-die Frau, sich wendend, um Abschied zu nehmen, zu einem
-kindlich in Stein geschnittenen Neste über dem Türbogen
-empor, darin sich ein Pelikan für seine Jungen die
-Brust zerfleischte.</p>
-
-<p>»Das ist,« sprach der Pfarrer, ihrem Blicke folgend,
-»unsere Heilige-Mutter-Kirche, die sich den Sündern und
-<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a>
-Verirrten hingibt und die Traurigen und Mühseligen an
-ihr Herz nimmt wie der Pelikan seine Kinder&nbsp;...«</p>
-
-<p>Wie katholisch, dachte die Frau. Dieser freundliche
-Mann will jedem, der mit den Wellen kämpft, ein Ruder
-hinhalten, ihn daran zurückziehen in die große Familienarche.
-Seine Religion hat so viel Winkel und Schnörkel
-und Ruhepunkte wie die alten gotischen Dome, in deren
-Zacken und Simsen Tauben nisten.</p>
-
-<p>Dann schnitt der Pfarrer Goldlack für sie ab, und wie
-sie so dastand, halb noch zurückgewendet, hätte sie in der
-Demut ihres Herzens am liebsten still ein Kreuz geschlagen;
-auch tat es ihr leid, daß er gemerkt hatte, daß sie nicht zu
-seiner Kirche gehörten, und so gütig und ausführlich hatte
-er ihnen doch alles erklärt. Darum hätte sie das symbolische
-Zeichen, das niemand schaden kann und dem alten
-Manne heilig war, gern angebracht; aber sie war nicht
-allein und verpaßte den Augenblick, und wenn man in
-Gefühlssachen nachdenkt, so unterläßt man Dinge, die
-eigentlich so einfach sind.</p>
-
-<p>Nach Jahren kam sie allein zurück. Sie bewohnte ein
-kleines Fremdenheim am äußersten Gürtel der Stadt,
-wo sie in kurzer Zeit ins freie Land gelangen konnte. Es
-war Sommer, und den ganzen Tag ging die Feile der
-Zikaden von den Platanen der Ringstraße. Feigen gab
-es in Überfluß, an jeder hing die reife Süßigkeit wie ein
-klarer Bernsteintropfen; aber Rosen gab es nicht mehr.
-Die Erde war wie gebacken, die Hecken an den Wegen
-staubgepudert und leblos; auf der Windseite hatten die
-<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a>
-Zypressen einen grauen Überzug, und die Luft schmeckte
-nach Staub; es würde noch Wochen dauern, bis Regen
-kam. Wenn sie dann am Abend ihr Fenster auftat und
-die noch glühende Luft hereindrang, dachte sie manchesmal
-an jungen Buchenwald in ihrer Heimat, wenn sich
-die Kronen nach einem Regenschauer dehnen, oder an
-die Wiesen daheim, noch ungemäht, wo zwischen Erlen
-und Haseln der Bach schlüpft, übervoll, durchsichtig braun
-mit goldenem Sonnengekringel; aber doch sehnte sie sich
-nicht fort. Ihre Bekannten hatten längst die Stadt verlassen,
-aber das Losreißen wurde ihr schwerer denn je,
-ach, überall hatten sich Wurzeln ihres Herzens festgesaugt.
-Nun war die Zeit, da die fliegenden Buden der Limonadenverkäufer
-aus der Erde schossen, mit unzähligen,
-vielfarbigen Flaschen, mit Papiergirlanden und baumelnden
-Zitronen geschmückt; arme Kinder gingen und
-kauften sich Eis, löffelweis, für zwei Centesimi, und das
-winzige Schwesterchen, dem ein kleiner Papierfächer am
-Ärmchen hing, leckte zuerst, und der große Bruder leckte
-auch, aber eigentlich tat er nur so, damit das Schwesterchen
-alles bekäme. Die Militärmusik spielte auf den
-Plätzen, und schöne sonnenbraune Ammen, die mit ihren
-bunten, getollten Haarbändern wie eine Versammlung
-königlicher Georginen breitschultrig auf allen Bänken
-saßen, die Bambini mit den Samtaugen streichelnd und
-ihre braunen Brüste darreichend, schwatzten mit heiseren
-toskanischen Kehllauten und wiesen beim Lachen ihre
-kleinen, gesunden, feuchtglitzernden Zähne. Aber auch
-<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a>
-drinnen in der Stadt verlegte sich das Leben mehr und
-mehr auf die Straße. Aus all den Rembrandthöhlen der
-Schuster und Schreiner tauchten alte und junge Gestalten
-und schafften vor offenen Türen; und bei offenen Türen
-auch übte der Barbier seine Kunst aus, in seiner weißen
-Jacke geschmeidig wie ein Hermelin. Als wäre man mitten
-in eine Komödie von Goldoni geraten, oder als sollte im
-nächsten Augenblick die Musik zum »Liebestrank« einsetzen
-und Doktor Dulcamaras Wunderkarren auf den
-Platz rollen. Nun war die Zeit, daß die Statuen und Gemälde
-in den verlassenen Galerien ihr zu winken schienen:
-»Wie, du willst gehen? Bleibe, wir sind allein, wir wachen
-und reden, Heidengötter und Christengötter, alle hat uns
-die Schönheit angehaucht mit ihrem unvergänglichen
-Kuß.« Und um sie alle wob die Einsamkeit immer wieder
-jene feine, befremdende Luftschicht, die erlesene Kunstwerke
-umgibt, anlockend und abwehrend und niemals
-ganz bezwungen.</p>
-
-<p>Aber das liebste von allem waren ihr die stillen Höfe
-der Kirchen, die früher Klöster gewesen sind. Mit ihren
-großen, schläfrigen Katzen, dem heißen sonnigen Fleck in
-der Mitte und darüber ein Stückchen tiefblauen Himmels;
-plötzlich ein leuchtender Taubenflug, wie rauschte das
-durchs Herz! In den Klosterhöfen schimmerten die fedrigen
-Sterne an den Myrtenbüschen, bitter würzig; aber
-die Oleanderblüten lagen gebräunt und verwundet auf
-den Steinplatten der Kreuzgänge; unaufhaltsam destillierte
-die Sonne das flüchtige Öl aus Kräutern und
-<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a>
-Blättern. Und stundenlang konnte sie da sitzen, auf einem
-Mäuerchen, einem Säulentrümmer ... bis schließlich
-der freundliche Kustode kam und sagte, es würde geschlossen&nbsp;...</p>
-
-<p>Es war gegen Abend, als der kleine Einspänner sie nach
-jenem Kirchlein fuhr, das sie seit damals nie wiedergesehen
-hatte. Die grausamen, quälenden Jahre waren nun
-vorbei, als sie Augen und Ohren zuhielt, nur um nicht
-erinnert zu werden, als sie Ruhe nur fand an Stätten,
-wo sie früher nie gewesen. Jetzt hatte sich etwas geändert.
-Denn es war so vieles seither über sie hereingebraust,
-Dinge, von denen man weiß, daß sie immer in der Welt
-waren, daß sie niemals unmöglich sind; aber am eigenen
-Weg hatte man sie nie erwartet, und auf einmal sind
-sie da und legen einem die Hand auf die Schulter &ndash; wie
-wenn einer verhaftet wird, der sich sicher fühlte im
-Menschengewühl. Ach, diese harten, einfachen, trostlosen
-Dinge, die da gestanden hatten und gewartet ... Und
-jetzt, auf einmal, hatte sie Heimweh nach jenem ersten
-brennenden Leid, heute schien es ihr kostbar, denn es
-war ja so traumhaft verwoben mit Lebensdrang und Ungeduld
-und Entzücken, und nun suchte sie in der Erinnerung,
-und siehe, der Schmerz war dumpfer geworden,
-aber das Freundliche, das Entzückende jener Tage lebte
-auf, und Stunden gingen an ihr vorüber und lächelten
-ihr zu, den Finger an den Lippen.</p>
-
-<p>Ach damals, wie alles zu versinken schien, jung war
-damals ihr Herz; jeder Nerv hatte sich kläglich gewunden
-<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a>
-und um Gnade gefleht, wie ein verbranntes Kind das
-Händchen hinhält und nicht glauben will, daß das je vorübergehen
-kann. Aber es hatte sich doch gewandelt; denn
-die großen, harten Dinge waren gekommen und die Zeit
-war gegangen, grau und unbekümmert, und nun war sie
-wieder hier und witterte und horchte und suchte ihr erstes
-Leid in zitterndem Heimweh. Und fand es wieder an
-abgeschrägten Straßenwinkeln, wo man zwischen Mauern
-hinuntersieht, und ganz in der Ferne sind die unvergessenen
-Hügel, zart und karg und traurig im Abendrot,
-die Straße führt hin, führt ins Paradies ... fand es
-wieder, wenn sie ein Lorbeerblatt zwischen den Fingern
-rieb oder wenn am Abend der Geruch von schwelendem
-Rebenholz durch die Luft zog ... fand es wieder, wenn
-sie nachts, halb schon im Schlaf, die ächzenden Karren
-hörte, den heiseren Gesang der Männer, die, einen Grashalm
-im Mund, auf ihren Lasten ausgestreckt, die Pferde
-im Sternenlicht lenken.</p>
-
-<p>Der Wagen hielt; an dieser Stelle ging das letzte Stückchen
-Wegs steil aufwärts. Die Frau stieg aus; auch damals
-waren sie hier ausgestiegen, um das kleine eifrige Pferd
-zu schonen. Der Himmel öffnete seine Perlmutterschalen
-über der matt atmenden Welt. Der kleine Garten war
-leer, der Pfarrer nicht zu sehen, aber drinnen in der Kirche
-putzte eine alte Frau den Altar mit Papierlilien. Sie
-schritt nach der Seitenkapelle. Dort war es beinah Nacht,
-das bunte Fensterglas schwarz, nun die Sonne es nicht
-mehr durchglühte. Aber der stille Mann schimmerte treugeduldig
-<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a>
-in seiner Einsamkeit, und auf seinem Antlitz
-fand sie das feine, sorgenvolle Lächeln wieder, als warte
-er auf einen Ruf, auf eine Antwort und sähe ein, daß
-er sich für heute bescheiden müsse; ja, noch lebendiger
-schien ihr der Mund, schienen ihr die kraftvollen Hände,
-als ob das Herz noch immer, stillgeschäftig, seine Eimer
-vollschöpfte und wieder ausgöße in das Geäder des
-ruhenden Leibes. Ja, da war auch die Mulde zwischen
-Schulter und Brust, groß genug, daß man den Kopf hineindrücken
-konnte, dort Stein zu werden in tiefem,
-wunschlosen Schlaf. Sie fühlte Tränen in der Kehle und
-biß sich auf die Lippen, denn Weinen war ihr keine Erlösung.
-Schritte hallten durch die Kirche, es war die
-Frau, die zuschließen wollte für die Nacht. Da wandte
-sie sich ab und ging, und hinter ihr blieb der Schlummernde
-allein. Nun stand sie draußen, und die Luft war um sie
-wie linder Atemzug. Über ihr leuchtete das Nest des
-Pelikans im letzten Licht. Da schien ihr, als sei's das
-Sinnbild der Frauenliebe, die gern das Letzte hingibt
-und ihr Glück bezahlen muß mit Geduld und mit
-Gefahr.</p>
-
-<p>Ob es uns gutgeschrieben wird, daß wir Menschen alles
-so teuer erkaufen, dachte sie. Wie heißt's doch immer,
-wenn die Richter mitleidig sind und ein Einsehen haben:
-die Untersuchungshaft soll angerechnet werden ... Bei
-uns daheim hing ein Knüttel am Stadttor, darunter
-stand: Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet
-später selber Not, den schlag man mit der Keule tot. Das
-<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a>
-war sehr alte, und doch ganz moderne Weisheit, viel
-moderner als deine, alte Pelikanmutter! ... Bin ich
-meiner Mutter dankbar, daß sie mich in dies Leben
-brachte? dachte sie wieder. Maskenfeste in Labyrinthen,
-hier und da ein Umschlingen, bleibe, ach rede zu mir,
-dieselbe Sprache reden wir ja. Oh, nur bis der Weg sich
-teilt, dann wieder allein, fremde Zungen ... Und wenn
-man dann nicht mehr zu jemand sagen kann: es war alles
-gut, Nacht und Licht, Süßigkeit und Bitterkeit, nur Dank
-fühle ich, Dank sei dir heute und immer &ndash; oder wenn
-man im Morgengrauen erwacht und an die Augen von
-Schwerkranken denkt, wie auch sie den Tag erwarteten,
-der keine Hoffnung brachte, und die Fensterscheiben fingen
-an hell zu werden ... o das! Schöne, schöne Erde, warum
-wird es uns so schwer gemacht!</p>
-
-<p>Der Tag war ganz geschwunden, das steinerne Nest
-über ihr sah grau und geisterhaft in die Luft, wo die
-Fledermäuse anfingen hin und her zu zucken. Unter ihr,
-im Dunst, erwachten viele Lichter; dort war Leben und
-Lärm, hier oben war es totenstill. Sie dachte an den
-alten freundlichen Pfarrer. Unsere Mutter Kirche, hatte
-er gesagt. Ob sie wirklich die Menschen trösten konnte,
-wenn sie sich so hineinwühlten, wie Kinder in das Kleid
-der Mutter? Versprach sie ihnen doch so vieles, hatte so
-schöne, schauernde Worte der Verheißung; man <em class="ge">mußte</em>
-ihnen glauben, so schön waren sie. Und das eben war es
-wohl, was die Kirchen immer wieder stützte und aufrecht
-hielt: die Sehnsucht nach den Toten.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a>
-Sie ging langsam den steinigen Weg zum Wagen hinunter,
-zwischen Mauern, über denen dunkle Köpfe sichtbar
-wurden. Ein kleiner Spitz lief oben entlang und gab
-ihr kläffend das Geleit. Das heiße Feilen der Zikaden
-hatte längst aufgehört, aber aus allen Gräben und Mauerritzen
-zirpten nun die Grillen, kühl und zart. Das war wie
-daheim auf den großen Waldwiesen, wo jetzt die Glockenblumen
-standen und das Zittergras. Sie horchte auf und
-schlug die Hände ineinander. Nun wollte sie heimreisen;
-sie hatte gefunden, was sie suchte. Nur noch vereinzelt
-klang der Grillenton, wurde immer weniger, je mehr sie
-sich der Stadt näherte. Es war ganz dunkel geworden,
-hier dauerte die Dämmerung nur kurze Zeit. Sie saß
-sehr aufrecht, mit weit offenen Augen. So fuhr sie zurück
-durch die laue, windstille Nacht.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a>
-Mitleid</h2>
-
-
-<table width="100%" summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0">
-<colgroup>
- <col width="9999" />
- <col width="auto" />
- <col width="auto" />
-</colgroup>
-<tr>
- <td class="tdl">&nbsp;<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a></td>
- <td class="tdl" colspan="2"><i>&emsp;La&nbsp;peine&nbsp;qu'on&nbsp;a&nbsp;n'est&nbsp;rien,<br />
- mais&nbsp;celle&nbsp;qu'on&nbsp;a&nbsp;faite&nbsp;aux&nbsp;autres<br />
- empêche&nbsp;de&nbsp;manger&nbsp;son&nbsp;pain.</i></td>
-</tr>
-<tr>
- <td>&nbsp;</td>
- <td class="tdr" colspan="2"><i>P. Claudel</i></td>
-</tr>
-</table>
-
-
-<p>Sophie Barnekow hatte geklopft, ohne Antwort zu
-erhalten; nun öffnete sie leise die Tür, um sie aber
-sofort wieder zu schließen, behutsam, wie man's in der
-Krankenpflege erlernt.</p>
-
-<p>Dort im halbdunkeln Raum, wo die Sonne durch die
-schräggestellten Läden glitt und goldene Leitern auf die
-Dielen malte, wo der Geruch von Reseda und nassem
-Kies und das leise Klirren von Gießkannen durch die
-offenen Fenster eindrang, saß Meisi, ihre junge Herrin
-und Schutzbefohlene, nicht allein. Neben ihr, die Hände
-um eine Stuhllehne geschlungen, stand Rütten. Ohne
-die Frau zu berühren. Und doch, hätten sich beide in den
-Armen gelegen, festgeklammert, Blick in Blick getaucht,
-nicht deutlicher hätte es von letztem, bitterstem Abschied
-reden können.</p>
-
-<p>Von Meisi war nichts zu sehen gewesen als der braune
-Hinterkopf und das feine Genick, da, wo der Haaransatz
-in warmen goldenen Flaum überging; tief auf den Tisch
-gebeugt. Wie oft befestigte Sophie das kinderweiche und
-doch eigensinnige Haar, mit ganz wenig Nadeln, weil
-alles gleich Kopfweh machte; immer wieder glitten die
-Zöpfe hinunter, dann mußte Sophie leise erinnern:
-»Liebste, Ihre Haare.« Und auch eben hatte das Ende
-einer Flechte über die Schulter gehangen. Kleine
-physische Eigentümlichkeiten geliebter Menschen können
-<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a>
-einem ans Herz wachsen und es seltsam wehrlos machen,
-mehr als die Tugenden, die sie besitzen oder die wir ihnen
-andichten. So fuhr's ihr auch jetzt durchs Herz, und was
-erst Erschrecken gewesen, empfand sie nun als tiefe,
-schmerzende Zärtlichkeit. Sie seufzte auf und schlüpfte in
-ihr Zimmer gegenüber zurück.</p>
-
-<p>Starke Leidenschaften, die ihr Ziel in offenem Aufruhr
-oder auch durch List und Heimlichkeit und manche schmerzliche
-Selbsterniedrigung zu erreichen wissen, waren
-Sophie fremd geblieben. Sie wußte, es gab dergleichen.
-Aber doch nur so, wie man von Mormonen liest oder von
-den Bacchanalien entarteter Cäsaren. In ihrem klaren,
-hilfreichen Wesen, ihrem Abscheu vor jeder Unsauberkeit
-und Unordnung war kein Raum für Ungeregeltes; eine
-verbotene Liebe lag ihr im Grunde ebenso fern wie
-Taschendiebstahl. Dabei &ndash; oder vielleicht gerade deshalb
-&ndash; konnte sie von verblüffender Parteilichkeit sein,
-wenn sich's um Menschen handelte, die sie liebte. Sie war
-aus dem Holze geschnitzt, das gute Royalisten abgibt. Wen
-sie einmal liebte, zu dem hielt sie auch, er mochte tun und
-lassen, was er wollte; das war doch sehr einfach. Und
-dann &ndash; bei näherem Zusehen müßten gewiß Gründe
-genug zu finden sein, die alles erklären würden; wenn sie
-selbst auch gar nicht danach suchte.</p>
-
-<p>Auf ihrem Bett lag die eben abgelieferte Wäsche. Ihr
-Blick glitt an einem grauen Leinwandkittel entlang, der
-in seiner knabenhaften Spärlichkeit etwas von Meisis
-Umriß bewahrte. »O du Armes,« sagte sie vor sich hin,
-<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a>
-und ihre Augen fingen an zu brennen. Dann begann sie
-mit ihren feinen, verbrauchten Händen die Sachen zum
-Ausbessern zurechtzulegen.</p>
-
-<p>Drüben in dem dämmrigen Zimmer war es sehr still.
-Die leise Stimme des Mannes redete in abgebrochenen
-Sätzen, so von fernher, wie Selbstgespräch. Die Frau
-hörte und hörte auch nicht. Denn ihr war, als hätte sie's
-längst gewußt, daß er einmal so reden und handeln würde.
-Es hing ja alles in ihm &ndash; wie man es sonst nur bei
-Pflanzen findet &ndash; ganz selbstverständlich zusammen; so
-wie die äußersten Zweiglein einer Eiche immer noch die
-Gewaltsamkeit der Äste, den Eigenwillen der Wurzeln
-ausdrücken. Es waren in diesem Manne wenig Widersprüche,
-er mußte handeln, wie er empfand, mußte dies
-lieben, weil ihm jenes widerstrebte, selbstverständlich und
-unerbittlich in seinen Neigungen und Abneigungen wie
-ein Tier, wie ein Künstler, wie ein kleines Kind.</p>
-
-<p>Meisi drückte noch immer die Stirn auf den Arm, der
-sich um die Tischkante krampfte; denn sie empfand es
-dumpf: solange sie nicht aufblickte, würde er nicht fortgehen,
-erst mußte er ihr Einverstehen in ihren Augen erzwingen,
-eher konnte er sie nicht allein lassen, nicht aufhören
-zu reden, zu überzeugen. Und ob ihr auch das Blut
-in den Ohren rauschte und sie kaum verstand, was er
-sprach: ach, er war doch immer noch da, sie atmete den
-leisen Duft seiner Kleider; eins nur sollte er nicht, nicht
-aus dem Zimmer gehen. Oh, solche Tür, die zufällt,
-nein, nur das nicht. Dableiben, im Zimmer bleiben, er
-<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a>
-sollte sich auch gar nicht um sie kümmern. Am allerseligsten
-war es doch immer gewesen, wenn sie still im
-Zimmer saß und nur auf die kleinen Geräusche horchte,
-wenn er den Bleistift hinlegte oder wieder ein paar
-Seiten aufschnitt in dem dicken, verzweiflungsvollen Buch,
-das er las. Über Heimindustrien war's gewesen. O Gott,
-die unglücklichen Menschen, von denen da erzählt wurde;
-welch entsetzliche Winkel gab es in der Welt, warum
-durfte das sein! Wenn sie ein König gewesen wäre, all
-die stillen, leeren Königsschlösser hätte sie den Armen
-aufgetan, herrlich erwärmt im Winter und im Sommer
-kühl und hallend inmitten heißer brütender Wiesen, mit
-grünen Schattengängen und Nachtigallenschlag. Man
-dachte nicht genug an andere, wenn man selber glücklich
-war, ach glücklich zum Sterben, als versänke und ertränke
-man in einem riesenhaften Maiblumenstrauß und würde
-ohnmächtig vor lauter Wonne. Ob so arme schmutzige
-Menschen jemals so etwas hatten? Immer nur Ruß und
-Lärm oder zu Haus zusammengepfercht mit verklebten
-Fenstern. Und alles so häßlich, auch die Kinder, und nichts,
-auf das sie sich freuen konnten morgens beim Erwachen.
-Aber Gerhard würde etwas ersinnen, um ihnen zu helfen,
-er schien Hilfe auszuströmen wie kluge Ärzte. Natürlich,
-es brauchte alles Zeit, und einstweilen war es doch kein
-Unrecht, wenn Glückliche ihr Glück genossen. Sie wollte
-niemand etwas wegnehmen, das brachte sie gar nicht
-fertig, es hätte ihr alles vergällt, aber ihn &ndash; ihn konnte
-sie nicht hergeben. Sie war abergläubisch geworden.
-<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a>
-Wenn sie etwas Hübsches besaß und jemand bewunderte
-es, gleich hatte sie's hergeschenkt. Hatte vielleicht Gott bestechen
-wollen mit Opfergaben, damit er ihr das Eine,
-Einzige nicht wegnehme ... ja und nun nahm er es doch.</p>
-
-<p>Immer fester drückte sie die Stirn auf den untergelegten
-Arm. Wie gern hätte sie nach seiner Hand gegriffen,
-da, ganz nah; aber sie wußte, dann würde er sie
-streicheln und emporziehen und sie mußte noch einmal
-sagen: Nein, nein, ich kann nicht &ndash; ja, und dann würde
-er gehen.</p>
-
-<p>»Meisi,« sagte die Stimme über ihr, »was hilft das
-Hinausschieben, es geht doch so nicht weiter. Du willst
-nicht mit mir gehen, und so wie du nun einmal bist und
-wie die Dinge liegen, verstehe ich ja, daß du, der es so
-hart ankommt, Schmerzen zu bereiten ... Und es ist
-auch begreiflich, daß dir <em class="ge">mein</em> Schmerz erträglicher
-scheint, eben weil du ihn teilst, während du dort einen
-tiefen Schnitt tun mußt und deiner Wege gehen. Ja, und
-auch darin hast du recht, wenn du auch sehr zornig warst,
-als du es sagtest, ich sei nicht so schlimm dran wie du, ich
-hätte meine Freiheit und meine Arbeit und mein Bergsteigen.
-Nun, das Bergsteigen wollen wir fürs erste nicht
-zählen (er lächelte, o so traurig) &ndash; diese Freuden, siehst
-du, waren so eins mit dir, daß das alles zu &ndash; anders
-wäre. Aber meine Arbeit, ja, die wird mir helfen, darauf
-zähle ich auch. Zuerst wohl nur als Betäubung ... aber
-man muß eben graben und graben, und wenn man nach
-Jahren der Wahrheit um einen Kinderschritt näher gekommen
-<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a>
-ist, so ist das ja wohl auch Glück. Und
-alles das sag' ich dir, Meisi, damit du ganz ruhig seist,
-was mich angeht.«</p>
-
-<p>Meisi hob ein wenig den Kopf. Sie hatte einen roten
-Fleck an der Stirn, vom Tischrand; es sauste und sang in
-ihren Ohren. Ach Gott, es war zu Ende, ganz und gar,
-er ging fort. Sein Gepäck, das sie so gut kannte, sie hatte
-ihm ja manchesmal geholfen es auszupacken, die große
-Ledertasche, die so gut roch, und der rauhe Mantel aus
-ungebleichter Wolle, alles würde aufgeladen werden, und
-er würde dem Maulesel voran den Paß hinunterlaufen,
-als ging es zu einer Bergpartie. Aber den nächsten Tag
-käme er nicht zurück, braungebrannt und freundlich und
-still, den Bergfrieden auf der Stirn und wie das Rieseln
-der kleinen Bergbäche in der Stimme. Sie würde auf
-der Terrasse hinter dem Gasthaus auf und ab gehen, wo
-der Pfarrer und der Wirt und der kleine italienische
-Schuster Boccia spielten am Abend und auf dem Mäuerchen
-Kürbisse lagen zum Dörren. Die lustigen bayerischen
-Malerinnen würden herauskommen, Schnaderhupfl und
-Kugelhupfl, wie Gerhard sie nannte, und das junge englische
-Ehepaar mit dem Kätzchen, und sie würden fragen:
-»Kommt Ihr Freund heut abend zurück?« Nein, nicht
-heut, nicht morgen, nie wieder.</p>
-
-<p>Sie hatte eine besondere, qualvolle Fähigkeit, kommende
-Trostlosigkeit zu wittern, zu schmecken, ihre Kälte
-im voraus zwischen den Schulterblättern zu fühlen. So
-konnte sie sich sein Zimmer, ach das liebe, liebe Zimmer,
-<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a>
-vorstellen, wenn alles verpackt war und alles wieder fremd
-geworden, schon abgewandt, Menschen und Dinge treulos
-geworden einander. Ja, dies Zusammenschnüren in
-der Herzgrube, das den Zurückbleibenden schärfer anfällt
-als den, der geht, sie spürte es schon jetzt. Wenn die Dinge
-nachher eintrafen, war's wie ein Erkennen, als hätte
-man schon die Generalprobe dazu erlebt. Dank dieser
-Fähigkeit konnte sie dann gefaßter und umsichtiger sein,
-als man es ihrem raschen, wechselnden Temperament zugetraut
-hätte.</p>
-
-<p>»Meisi, mein Liebes,« sagte die Stimme, und sie verbarg
-die Augen wieder auf dem Arm &ndash; er sollte nicht
-darin lesen, nicht ihre Ergebung, ach, sie war nicht ergeben,
-aber auch nicht ihre Hoffnungslosigkeit, die auf
-dasselbe herauskam &ndash; »ich will dich nicht betrüben und
-unruhig machen; wie du geschaffen bist, muß dein Gefühl
-allein entscheiden. Zerbrechen kann ich, will ich dich nicht.
-Aber denke an eins: es ist <em class="ge">ein</em> Ding, für einen anderen
-sterben, rasch, mit geschlossenen Augen ins Feuer hinein;
-aber etwas anderes ist's, für einen anderen verdursten,
-verkümmern, langsam an jedem Nerv den Tod erleiden,
-Tag für Tag. Da kann Opferfreude zu Haß werden, und
-wo man reichlich geben wollte, gibt man schlechtes Maß.
-Und dann ist nur Bitterkeit und Reue um jeden Sonnenstrahl,
-um den man sich gebracht hat. Darum, wenn du
-doch den einen, tiefen Schritt tun könntest, so sei nur
-immer gewiß, ich bin da. Aber warte nicht, denn es wird
-immer schwerer und weniger reinlich. Du hast es manchmal
-<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a>
-hart empfunden, daß ich so finster war, und hattest
-mir doch alles zu Liebe getan. Und mußt den Grund doch
-geahnt haben; brauchst mich ja nur anzusehen, so weißt
-du, was ich denke. Weil du's so gut verstanden hast, alles
-aus dem Weg zu räumen, was dir hier ja nicht schwer
-wurde, denn wer betet dich nicht an, ob es nun Sophie
-ist oder der alte Pfarrer oder die anderen Gäste und der
-kleine Schuster, der dir Nägel in die Schuhsohlen klopft ...
-Aber auch mit allem, was sich in uns selber gegen uns erhob,
-wußtest du so gut fertig zu werden, immer hattest
-du ein gutes Wort bereit. Wenn ich dich so herumtrippeln
-sah wie ein Bachstelzchen, besorgt und doch triumphierend
-und immer ganz sicher durch tausend Windungen und
-Verdrehungen deinen Weg findend, und mußte mir sagen,
-das ist nun die Spur von meiner Hand in deinem
-Leben ... Meisi, laß es klar um uns werden! Ja, ja, ich
-weiß, du hast ein Leben von Szenen und Aufregung gehabt
-und das ewige Ausweichen ist dir Gewohnheit, ach
-und dein Verlangen nach Ruhe und Harmonie wollte
-sich's auch einmal wohl sein lassen. Da bautest du ein
-Labyrinth, in dem du jeden Ausweg kanntest, und hast
-unsere Liebe gehütet und versteckt und getröstet mit
-deinen lieben schönen Händen. Aber nun geht das nicht
-mehr, es kommt ein häßlicher Tropfen in unser Bestes.
-Meisi, wie gestern Sophie den Brief hinlegte, ohne dich
-anzusehen, und du stecktest ihn in die Tasche, ohne ein
-Wort ... ach, mich schüttelte der Ekel. Was sag' ich dir da
-für harte Worte. Und du bist so weich und so traurig. Aber
-<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a>
-ich muß es doch aussprechen, denn du allein mußt ja entscheiden.
-Was brauch' ich dir zu sagen, was du mir bist!
-Wenn du ins Zimmer kommst, ist alles gleich anders;
-immer ist Festtag um dich her. Wie oft hab' ich wachgelegen,
-ganz früh, wenn du noch schliefst, und die reine
-Morgenluft kam herein und schien eins zu sein mit dir &ndash;
-und da habe ich das Leben gesegnet, das mir so viel geschenkt.
-Und wenn ich las und schrieb &ndash; trockenes Zeug &ndash;
-ach, wie ein süßer Unterton warst du doch immer dabei;
-bei allem, was ich tat. Oft hab' ich über dich gelacht, wenn
-du bei jeder Frage, jedem Fortschritt sagtest: &rsaquo;Wem wird
-das nützen?&lsaquo; Aber es war mir doch lieb an dir, wie deine
-Tränen der Empörung und deine Art, Krankes und
-Kleines anzufassen und einfache Leute zutraulich zu
-machen. Wenn du sie auch oft recht süß zu beschwindeln
-wußtest ... nun ja, aber du hast sie glücklich gemacht.
-Und all das Liebe, das du anderen antatest, das tatest
-du mir an, denn auch das machte dich mein, machte mich
-so gänzlich dein, auch wenn ich in einer Gedankenwelt,
-die dir fremd blieb, einherging und meine Erkenntnis
-ausprobte, einriß und wieder zu neuer Überzeugung aufbaute,
-ohne zu wissen für wen, nur weil's mich trieb.
-Aber du standest und hattest arme Kinder an der Hand
-und sagtest immer: &rsaquo;Du mußt helfen, du mußt helfen&lsaquo; ...
-Ach, wenn ich doch uns selber helfen könnte!«</p>
-
-<p>Seine Stimme wurde noch leiser, es war nur ein
-Flüstern über ihr, das sie mehr fühlte als verstand; an
-ihrer Schläfe die weiche Haarwelle, alles zitterte mit.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a>
-»Ich habe dich bewundert, Meisi, denn du bist sehr süß
-und kostbar, und bist auch viel gescheiter, als du dich ausmachst,
-du Siebenschläfer. Und hast mich auch namenlos
-erbarmt, weil du scheu und verlassen warst, wie irgendein
-Waldtierchen, das eingefangen wurde und nur fortmöchte
-ins Dunkel. Ach, du liebst nicht über dich zu reden,
-und wenn ich dich frug, und war's auch noch so behutsam,
-da hast du nur gelächelt, wie gequält. Aber ich habe dich
-besser verstanden, als du weißt, und du hast niemand
-so angehört, wie du mein eigen warst. Und darum weiß
-ich, daß du eine Eigenschaft hast, gegen die ich machtlos
-bin; es ist eine seltsame Trägheit, wenn sich's um dein
-eigenes Glück handelt, und daß du nicht kämpfen magst
-um irgend etwas. Lächelst hinauf und denkst: Ja, der
-schöne Apfel, wenn er doch herunterfiele ... aber es
-wird ja doch nicht geschehen! Nicht weh tun, warten,
-gegen alle freundlich sein &ndash; ja, Meisi, du brächtest es
-fertig, gegen den Henker freundlich zu sein. Und unterdessen
-rinnt das Leben vorbei. Wenn ich wüßte, daß du
-irgend etwas hättest, eine Arbeit, ein Ziel, etwas, das
-dich frei und mutig macht, und müßt' ich dich dadurch
-erst recht verlieren, dennoch Meisi, dennoch ... Aber ich
-weiß, daß dir nichts bleibt als Kälte und Leere, und wenn
-du dich hineinfindest, das ist erst recht traurig. Aber eins
-hast du, haben wir, unseren Schmerz, niemand darf die
-Hand dran legen, heut ist er noch unser, gehört uns ganz
-allein, und darum müssen wir voneinander gehen, wo
-alles noch ganz kostbar ist und es uns so furchtbar wehtut.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a>
-Ein stärkerer Hauch trieb den Resedaduft ins Zimmer,
-man hörte fernes Räderknirschen, ein Hund bellte irgendwo
-... es war so still, wie verzaubert. Der Mann fuhr
-sich über die Stirn und wandte sich zum Fenster; denn
-es schluchzte etwas in ihm auf, und er mußte das erst zur
-Ruhe bringen. Meisi kroch noch mehr zusammen, machte
-sich ganz klein wie ein krankes Kätzchen. O wie grauenhaft
-alles doch war! Sie hatte nicht alles verstanden,
-aber etwas Kaltes saß ihr in der Brust und dehnte sich,
-wurde immer größer, und die Füße waren ihr wie zerschlagen.
-Wenn er sie doch chloroformieren möchte und
-in einen Wagen packen, nichts fragen, nichts sagen, und
-am nächsten Morgen würde sie an seinem Herzen aufwachen,
-irgendwo über der italienischen Grenze, wo es
-ganz heiß war und die weißen Häuser schliefen und die
-Zikaden in den Bäumen sägten! Wo man den Tag verschlief.
-Wenn er sie doch ganz rasch nehmen wollte oder
-ihr einen Schlag vor die Stirn geben, daß sie die Besinnung
-verlöre und gar nicht sagen könnte: »Ich will«,
-oder »Ich will nicht«; wie man Tiere betäubt vor dem
-Töten. Aber er war seit acht Tagen so anders, nachdenklich
-und freudlos, seit sie ihm gesagt, Emmo käme her;
-es würde wohl alles recht schwierig sein; besser, er machte
-zunächst eine Bergtour, aber sie würde schon alles einrichten,
-auf keinen Fall dürfe er <em class="ge">ganz</em> weg, das hielte
-sie nicht aus. Wie er sie da angesehen hatte &ndash; ganz fremd
-war sein Gesicht geworden. Und seitdem hatte er ein-,
-zweimal von Entscheidung gesprochen, von Wahrheit,
-<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a>
-von einem tiefen Schnitt; und den sollte sie tun. Und
-das konnte sie doch nicht. Lieber tausend Lügen als eine
-solche Grausamkeit. Begriff er's denn nicht, wie nötig
-sie daheim war? Ob er erwartete, daß sie ihm das erklären
-sollte? Sie konnte doch von »dort« mit ihm nicht
-reden. Ach, warum verstand er sie nicht! War denn in
-der Liebe immer ein Teil Tortur? Konnte man sich nie
-dehnen und alles vergessen? Manche Namen, wie sollte
-sie die vor ihm aussprechen! Vergaß sie doch am liebsten,
-daß es für sie ein Zuhause gab, jetzt, wo dies kleine, hellgetünchte
-Zimmer ihr Heimat geworden. Aber nun sah
-sie alles deutlich: den armen, jähzornigen Menschen, der
-es so gar nicht verstand, mit anderen auf die Länge auszukommen,
-die Schwägerinnen, zarte, verblühte Mädchen,
-die auf so viel verzichtet hatten ihm zuliebe und
-auch ihr; und dann war da ihr eigenes Vermögen, es
-war im Gut verbuttert worden während der letzten,
-schlechten Jahre; Emmo würde es herauszahlen, »ihr
-vor die Füße werfen«, ja, so würde er sagen, und dann
-brach alles zusammen. Das alte, einstöckige Haus, jetzt
-im Spätsommer sah's so wohlwollend aus, wie eine
-alte Frau, die in der Sonne sitzt und in allen Runzelchen
-lächelt. In den Lindengängen war es so still, und im
-Blumenrondell duftete das Heliotrop einsam in der
-Sonne. Die Blumen kamen dankbar in dem leichten,
-sandigen Boden; die Zimtnelken in den Rabatten, in
-allen Farben, und Skabiosen, wie große Brombeeren;
-kleine, stahlblaue Schmetterlinge flogen drüber hin in
-<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a>
-der klaren Septemberluft. Am Haus die großen Fuchsienbüsche
-in den grünen Holzkübeln, sie waren der Stolz
-der alten Frau gewesen. Ach Gott, ja, die Gräber im
-Park, in den Birken ... der Wald fing gleich dahinter
-an mit seinen riesigen Föhren und Ameishaufen. Manchmal
-saßen Eichkatzen auf den Grabsteinen. Ja, das war
-Emmos Heimat, und auch Freda und Mariagnes waren
-dort aufgewachsen. Das mußten sie doch behalten, den
-großen Saal oben, wo es so hallte, wo noch die Efeulauben
-standen, in denen die Schwägerinnen ihre
-Puppenkaffees gegeben hatten; Freda von kleinauf
-kränklich, und Mariagnes? So eine arme, verbitterte
-Hofdamenexistenz, Gradnitz bedeutete ihre ganze Jugend,
-ihr letzter Ehrgeiz, das Spalier, an das sich ihr blasses
-Wesen anklammerte. Nein, nein, es war alles Unsinn;
-fast wallte Zorn in ihr auf, daß Gerhart von dem tiefen
-Schnitt gesprochen, als sei es denkbar. Nur nicht grausam
-sein, nur das nicht. Nachher kam das Mitleid, diese
-bohrende Qual, und machte alles zunichte.</p>
-
-<p>Aber er &ndash; still und ernsthaft dort am Fenster; und
-»nicht lügen« las sie auf seinem Gesicht. Ja, das war so
-seine Art. Er vertrug nichts Schiefes in sich, ebensowenig
-wie ein schiefhängendes Bild an der Wand. Die Tischdecke
-mit dem häßlichen Muster hatte er gleich hinausgeworfen,
-als sei's ein Feind. So wollte er auch nichts,
-das ihm ihrer Seele Bild verdarb. Ach, was ging sie ihre
-Seele an! Da war ja so ein Spruch, von der Seele, an
-der man Schaden nimmt, und wenn man auch die Welt
-<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a>
-gewönne. Sie wollte die Welt gewiß nicht gewinnen,
-aber um ihre Seele sorgte sie sich nicht. Vielleicht hatte
-sie gar keine. Nur ein Herz, und das tat ihr weh. Wie
-doch die Menschen verschieden liebten. Nicht besser, nicht
-schlechter, nur <em class="ge">verschieden</em>. Ihr war alles so einerlei.
-In einem Keller, mitten zwischen Kohlen und alten
-Fässern und Kisten würde sie ihn getroffen haben und
-geküßt und gemeint, es sei das Paradies um sie her!
-Und ebenso würde sie das andere ertragen haben und,
-wenn's nicht anders ging, auch Lug und Trug. Aber er
-litt darunter, er wollte nichts Blindes, Unreines; so oder
-so, da war kein Mittelweg. Und deshalb mußte er nun
-fort, mußte ihr das antun, daß ihr ganzes Leben auf
-einmal schwer und grau wurde, viel grauer als früher,
-ehe sie ihn gekannt. Ach, es <em class="ge">konnte</em> ihm nicht so weh
-tun wie ihr, sonst blieb er eben, oder er kam bald wieder,
-oder irgendwas &ndash; aber so &ndash; auf Niewiedersehen? Nicht
-so weh? Nein, im selben Augenblick bat sie ihm den Gedanken
-ab: der Ausdruck in seinen Augen&nbsp;...</p>
-
-<p>Morgen ganz früh ging er wohl, oder schon heute
-abend. Besser heute abend. Wie wär' es auch zu ertragen,
-noch einmal, zum letztenmal, im Speisezimmer zu sitzen,
-die Kehle voll Tränen, und sich Brot anbieten und die
-Speisekarte weitergeben; das Bild von Wilhelm Tell im
-Kreise der Seinen, über das sie so oft gelacht, an der
-Wand gegenüber, und das offene Fenster mit der Aussicht
-auf die verglühenden Berge ... wie gräßlich alles &ndash;
-oh, zum Sterben&nbsp;...</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a>
-Wie sehr hatte sie dieses Land geliebt, ach, alles darin,
-an seiner Hand. Gleich anfangs, als es noch neu und
-überraschend war, die Wege wie Rätsel, so verlockend;
-immer höher hätte sie steigen mögen, an schwierigen
-Stellen half er ihr und lachte, und sie wünschte sich heimlich
-viel schwierige Stellen, weil er ihr dann die Hand
-gab, seine starke, warme Hand. Wie wonnig war's, wenn
-dann nach dem Steigen der Pfad am Berggrat eben
-entlang ging. Man schritt aus, so rasch und gesund, jede
-Sehne spannte sich, jedes Gelenk freute sich, bei jeder
-Biegung des Wegs war es, als trete man auf eine
-Brüstung mit neuem, verändertem Ausblick. Wie sich
-die Wolken im Tal verfingen, wehende Reitermäntel!
-Die Herdenglocken läuteten durch den Nebel. Durch verwitterte
-Dörfer kamen sie, so totenstill; die Leute alle
-fort beim Heuen, nur einsame Katzen vor verschlossenen
-Türen. Aber wo immer ein kleiner Platz war, da schattete
-ein Nußbaum, und darunter war der Brunnen &ndash; fließendes
-Bergwasser, stählern, eiskalt, unerschöpflich. Wie
-frisch und wasserklar war auch ihre Liebe auf diesen
-Wanderungen. Etwas Brüderliches war im Zusammenschreiten,
-Brudergefühl mitten in all der heftigsten Zärtlichkeit;
-ein Verstehen, als hätte man sich von Kind auf
-gekannt. Ja, sie brauchten einander nichts zu nennen, ein
-Blick, ein Aufleuchten, und die Schönheit dieses geliebten
-Landes schien sich zu weiten, sie zu umfangen und näher
-zusammen zu drängen mit froher, zwingender Gewalt.
-Oh, du tiefe, himmlische Gesundheit erwiederter Liebe!</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a>
-Aber einmal hatten sie sich doch gezankt. Damals,
-beim Photographieren. Da war eine Bauernfrau, sie
-wollte ihre Kinder so schrecklich gern photographiert haben,
-und Meisi stellte sie zusammen, auf den Stufen vor der
-Haustür. Die Mutter band ihnen saubere Schürzen um
-und flocht dem kleinen Mädchen die Zöpfe. Und sie
-freuten sich so und waren ganz verschämt vor Stolz, und
-Meisi mußte ihnen versprechen, ein Bild zu schicken,
-natürlich nur, wenn sie nicht gewackelt hätten &ndash; und die
-Frau diktierte umständlich Namen und Adresse. Dann
-aber, als sie weitergegangen waren, hatte sie ihm eingestanden,
-der Film sei ja schon zu Ende gewesen, aber
-sie hätte der Frau doch die Bitte nicht abschlagen können,
-und die Freude hätte sie nun doch gehabt. Da lachte er,
-aber es hatte ihn verdrossen, und er sagte etwas, das sie
-furchtbar ärgerte.</p>
-
-<p>Doch solcher Streit war bald verflogen. Dazu war
-alles viel zu schön; das Bergwasser, die prickelnde Luft
-und der Atem der Wiesen, tanzendes Licht und tanzende
-Schatten! Und sie zwei, sie zwei, ganz allein mitten
-drin!</p>
-
-<p>Blauer Enzian! Hochstengelig, am Waldrand gewachsen!
-Wenn man hineinsah in die Kelche &ndash; wurde
-man selbst zur Biene, zur wohlig saugenden. Ach, und
-später dann, ein Stübchen, ein weißgetünchtes, dorthin
-gingen die Gedanken, atemlos, und standen still ... da
-war ein tannener Tisch und der Krug mit den scharf gezackten
-Blüten darauf; wie sie erst ertranken in der
-<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a>
-Dämmerung und später dann, als das Licht brannte, ihr
-Schatten erwachte auf der kahlen, reinen Wand!</p>
-
-<p>An jenem Abend waren sie, nach stundenlanger Wanderung,
-in dem kleinen Gasthaus eingekehrt, das sich mit
-seiner Front über dem Berghang erhob, an dem das
-verwitterte Dorf hinunter kroch im Zickzack, an steiler,
-gepflasterter Straße entlang: Häuser mit uralten Schindeldächern,
-kleinen Terrassen und blumenbunten Altanen,
-Brunnen, wo Frauen Salat wuschen und Kühe tranken,
-stöhnend vor Behagen. Am einzigen, ebenen Platz
-lag die Posthalterei und, etwas erhöht, die kleine
-Kirche mit ihrem Gräbergarten, wo die Toten in einer
-Wildnis von Rosenbüschen und Butterblumen, zitterndem
-Hafer und flatterndem Mohn, beim Klang der Posthörner
-eine frohmütige Ruhestatt hatten.</p>
-
-<p>Aber Meisis Zimmer sah nicht auf das Dorf hinab,
-ihre Fenster waren auf der Rückseite des Hauses. Dort
-lag eine weite Wiese, die sanft abwärts glitt in ein anderes,
-unsichtbares Tal. Da war alles weiß von wildem Kümmel,
-und wie dann der Mond hinter dem Lärchenwald aufging,
-glitzerten die flachen Dolden wie Rauhreif; man
-hätte sich gescheut hinauszutreten, diesen Zauber, diese
-Heiligkeit zu durchkreuzen.</p>
-
-<p>Meisi hatte auf der Fensterbrüstung gesessen, er hinter
-ihr. Daran will ich denken, wenn ich nicht aus und ein
-weiß, wenn mich der Kopf brennt, dachte sie, und dann
-hatte sie sich zurückgelehnt und ihren Kopf in die kleine
-Mulde gelegt, zwischen seiner Schulter und Brust; da
-<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a>
-lag sich's still und sicher, und sein Herzschlag ging stark
-und ruhig. »Nun bin ich ein kleines braunes Haus,« hatte
-sie gesagt, »und deine Schulter ist die Bergwand, und
-deine Stirn ist der Gipfel, und nun sollst du sagen:
-Frieden über dem kleinen Haus!« Wann war das gewesen?
-Vier Wochen, nicht mehr? Wann hatte sie ihn
-denn <em class="ge">nicht</em> gekannt? War's möglich, als sie ganz klein
-war, mit einem Korallenkettchen und einer seidenen
-Masche im Haar, da ging er schon irgendwo in die Schule,
-und später dann war er Student, und eine Zeitlang
-lebten sie gar nicht weit voneinander und hatten doch
-nichts voneinander gewußt. Und nun wußte sie nur noch
-von ihm und er war die süße unbegreifliche Gegenwart;
-das Frühere ... ach, alles vergessen, so ewig lang war
-das her!</p>
-
-<p>Aber nun sollte es aus sein. Nie wollte sie die Berge
-wiedersehen. Ach, wie furchtbar ist das in der Welt; mit
-dem Alter, muß man da immer mehr Umwege machen,
-immer mehr Stätten meiden? Nein, wie ein Messer ins
-Herz würde alles hier sein, wenn sie's je wieder sähe ...
-Auch Blumen gab es hier, kleine braune Orchideen, die
-wie schwedische Handschuhe rochen und jetzt eben, das
-Reseda, nach dem Gießen, und das Geräusch des eisernen
-Rechens im Kies ... das war nun alles schon verloren,
-sie mußte es von sich tun, sich nicht festklammern, nein,
-hergeben, hingeben, rasch, rasch. Sie wollte nach Hause
-reisen gleich, morgen schon, irgendein Vorwand würde sich
-schon finden. Denn Emmo durfte hier nicht her, nicht
-<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a>
-eine einzige Stunde. Wenn sie es nun alles hergeben
-mußte, die Wege hier, die wollte sie allein mit ihm gegangen
-sein, kein fremder Fuß, kein fremder Fuß ...
-Was hatte er doch gesagt: »Unser Schmerz ist kostbar,
-niemand soll die Hand dran legen.«</p>
-
-<p>Ja, zu Haus würde es noch am besten sein. Pflichten
-sind ja auch ein Schlafmittel. So eine Art Stundenplan
-wollte sie sich machen, Sophie sollte ihr alles einteilen
-helfen. Morgens der Tee &ndash; schrecklich &ndash; aber es war
-wohl am besten gleich von früh an; dann Emmo bei den
-Büchern helfen, es war alles in Konfusion, und er dachte
-immer gleich, er würde betrogen. Dann war Interview
-mit dem Vatikan (Herr und Frau Inspektor trugen diesen
-Kollektivnamen), und da war auch zu begütigen, denn
-der Inspektor war brummig und unfehlbar, aber er hatte
-schließlich doch immer recht, und deshalb gerade konnte
-Emmo ihn nicht leiden. Dann ging sie wohl auch zur Gemeindeschwester,
-die Kinder sangen so blöde Liedchen; es
-waren ein paar dabei, die waren schön, mit langen Augenwimpern,
-aber sie durfte sich ihre Vorliebe für sie nicht
-merken lassen, denn es waren die Kinder vom polnischen
-Knecht, der immer betrunken war, und die Frau stahl wie
-eine Elster ... Dann nachsehen, ob Freda alles hatte,
-was sie brauchte, Mariagnes war versorgt, sie malte vormittags
-im Freien; ganz modern, lila Ackergäule auf
-gelben Feldern, eigentlich paßte das gar nicht zu ihr ...
-warum malte sie nicht all die süßen, stillen Blumen &ndash;
-ganz genau, wie sie waren &ndash; meinte Meisi &ndash; etwas
-<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a>
-Schöneres konnte man doch nicht erfinden ... Mittagessen!
-O Gott, die Unterhaltung! Wie so ein ausgeleiertes
-Dorfkarussell, man sieht denselben schäbigen
-Schimmel immer schon von weitem kommen. Hinterher
-mußte Freda in der Veranda etabliert werden, mit
-Memoirenliteratur, sie hatte eine Passion für Marie
-Antoinette. Sophie machte den Kaffee mit ihren lieben,
-dünngearbeiteten Händen. Später ausgehen mit Emmo
-oder fahren mit Mariagnes und Emmo, er war bei
-allem dabei, was war zu machen; wie eine Stubenfliege,
-die sich einem immer wieder auf die Nase setzt &ndash; der
-arme Kerl. Zum Tee kamen Pastors, und der Pastor
-redete über die Begehrlichkeit der unteren Klassen, war
-dabei aber gutmütig und half ihr mit den Landstreichern,
-die Emmo immer gleich dem Gendarmen ausliefern
-wollte. Die Pastorin war fein und leise, sie sagte immer:
-»Mein lieber Mann«, aber sie hatte ein Grübchen, wenn
-sie lächelte, wie herübergerettet aus ihrer Jungmädchenzeit.
-Ihr kleines Töchterchen hatte sich so furchtbar verbrüht
-und war gestorben unter entsetzlichen Qualen. Aber
-Sonntags saß sie in der vordersten Bank und sah zur
-Kanzel auf und hörte all die Worte mit blassem, geduldigem
-Gesicht ... Ob das wirklich ein Trost war?
-Manchmal ging Emmo zum Förster, da brauchte sie nicht
-mit. Aber allein mochte sie nicht sitzen. Sophie sollte
-kommen, ihr die Haare kämmen, das machte schön
-schläfrig, oder sie wollten kramen, die Sachen der
-Schwiegermutter waren noch immer nicht verteilt. Die
-<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a>
-Mahagonischränke seufzten beim Öffnen, als sei's die
-alte Frau selbst ... Später am Abend saß man unten im
-Gartensaal ... Nachtmotten schwirrten um die hohe
-Lampe, und Mariagnes öffnete den alten Flügel und
-spielte das Frühlingslied von Grieg und blieb im Mittelsatz
-stecken. Sie wollte lesen, sich Bücher kommen lassen,
-über Chemie und Volksernährung, was hatte er doch gesagt:
-»Meine Gedankenwelt, die dir fremd ist« &ndash; Ja und
-dann, nachher ... Sophie sollte bei ihr sitzen und von
-ihrer Kinderzeit erzählen, von der kleinen Stadt in Friesland,
-bis sie einschlief&nbsp;...</p>
-
-<p>Sie stand auf, sah sich um, fröstelte; und weil ihr die
-Glieder wie tot waren, griff sie nach seinem Arm, um
-aufzustehen. Der stützte sie, selbstverständlich wie immer.
-Nun standen sie beim Fenster, und die Abendsonne kam
-nur noch leise durch den Laden. Da fühlte sie ein Zittern,
-ein Werben in seinem Arm, und schon küßten sie einander,
-angstvoll und rasch, ohne Ruhe, ohne Lust, wie sich
-Menschen küssen, wenn das Schiff im Sinken ist. Aber in
-ihr wartete etwas und spannte sich, bis in die Fingerspitzen,
-und wollte gezwungen sein, nicht weil sie ihm
-recht gab, sondern weil sie ihn liebte. Aber da löste er
-leise die Arme, und sie fühlte ihre Lippen grau werden:
-Er hat mich geküßt, wie man seinen Koffer zuschließt.</p>
-
-<p>Da trat sie noch näher ans Fenster und stieß rasch den
-Laden auf, und der letzte Abendglanz strömte herein und
-mit ihm der Duft und der Dunst der Wiesen. Wie im
-Traum, wie jenseits einer Brücke sah sie zurück auf ihn,
-<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a>
-sah die kleine zuckende Falte am Augenlid, die den Augen
-so große Freundlichkeit verlieh; die sie so sehr geliebt.</p>
-
-<p>Heute nacht würde sie die Herdenglocken noch hören,
-fein und deutlich, am Berghang herauf. Aber er nicht
-mehr; denn er würde im Nachtzug sitzen und in der Frühe
-schon im heißen, schläfrigen Süden sein. Und was war's,
-das schon jetzt in ihrem Herzen zu nagen begann, leise, unerbittlich?
-War's der Groll, daß er sie nicht zu zwingen
-vermocht, alles zu lassen, um mit ihm zu gehen, das
-ganze Leben?</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a>
-Wie es die Kinder erlebten</h2>
-
-
-<p><a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a>
-Es hatte damit angefangen, daß Tischler Dominik, der
-im übrigen auch Nachtwächter war und den inneren
-Menschen der Turmuhr in Ordnung zu halten hatte,
-schließlich doch geholt werden mußte; denn es war unausstehlich
-mit der untersten Schieblade der alten Schreibkommode,
-immer stellte sie sich schief; »wie ein eigensinniger
-Bock,« sagte die Kleudchen, und erst durch angestrengtes
-Rütteln konnte sie in eine normale Lage
-zurückgebracht werden.</p>
-
-<p>»Und da wir schon einmal dabei sind,« sagte der Meister
-und starrte tiefsinnig über seine Stahlbrille ins Weite,
-»so woll'n wer auch gleich das übrije nachsehn, denn so
-was is eftersmalen en Familjenfehler.«</p>
-
-<p>Ali und Adallah, die meist für Zwillinge gehalten
-wurden (es war aber ein Jahr Altersunterschied), fanden
-das ja nun äußerst interessant; denn wenn dabei auch
-nur Frau Kleudchens puritanische Nachtjacken, der
-»Pharus am Meere des Lebens« in verschossenem, violettem
-Einband, ein kleines Paket zusammengeschnürter
-Briefe und eine Feige aus Marmor &ndash; von Papa vor
-Jahren aus Italien heimgebracht &ndash; zum Vorschein
-kamen: Sachen von Erwachsenen, die so kühl feierlich
-daliegen, wie in Königsgräbern, haben immer etwas
-Apartes an sich, wenn sie plötzlich hervorkommen an die
-Tageshelle.</p>
-
-<p>Aber nun hatte Dominik nach vielem Suchen in seinem
-Bund klirrender Haken, der ihm etwas angenehm Einbrecherhaftes
-verlieh, auch noch die schräge Klappe geöffnet,
-<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a>
-auf deren braunpolierten Fläche eine Wildschweinsjagd
-in gelbem Holz zwischen vier Tannenbäumen in
-grünem Holz dargestellt war. Dahinter wurden zwei
-kleine Fächer sichtbar. Das linke enthielt rostige Angelhaken,
-mehrere längliche Garnröllchen und ein dünnes
-rotes Buch, »Des Anglers Vademekum«. Dominik sah
-zu der Kleudchen hinüber, sie wollte etwas sagen, schloß
-aber wieder den kleinen, vergrämten Mund. Dann zog
-er auch das andere Schiebfach auf; es hatte sich ein Heft
-darin festgeklemmt. Er reichte es der Kleudchen; sie tat
-einen Blick hinein: »Die Wappensammlung vom jungen
-Herrn,« sagte sie und drückte das Heft wie schützend gegen
-ihr gestricktes Umschlagetuch. Aber unter dem Hefte hatte
-noch etwas gelegen, eine Photographie, vergilbt und
-verblaßt.</p>
-
-<p>»Das ist die Frau, die bei Papa im Ankleidezimmer
-hängt,« sagte Ali. Seine Augen sahen alles. Ja, es war
-das nämliche, weichgerundete Gesicht, mit leicht zusammengeknifften
-Lidern, großem, lächelndem Mund,
-reichem, unglaublich reichem Haar, altmodisch kunstvoll
-aufgesteckt. Aber hier hatte sie ein komisches großkariertes
-Kleid an und einen kleinen Jungen in russischem
-Kittel auf dem Schoß.</p>
-
-<p>»Dah,« sagte Adallah, der oben in der Nase etwas
-hatte, das demnächst operiert werden sollte, »das is Vate's
-este Fau, abe weh is de Junge?«</p>
-
-<p>»Ihr müßt Mama fragen,« sagte die Kleudchen. Es
-war dieselbe Abwehr, die sie gebrauchte, wenn Adallah
-<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a>
-allzu genaue Auskunft über gewisse naturgeschichtliche
-Vorgänge von ihr verlangte.</p>
-
-<p>Die Kleudchen hatte jetzt einen roten Fleck auf der
-Wange und telegraphierte mit den Augen. Tischler
-Dominik gab Ali das Handwerkszeug zu tragen und hielt
-Adallah seine kurze, breite Hand mit dem gespaltenen
-Daumennagel hin: »Nu kommt, Junkerkens,« sagte er
-einladend, »nu woll'n wer'n Leimtopf heißmachen;«
-und die Aussicht auf eine gemütliche, übelriechende
-Mantscherei ließ für diesmal alle anderen Spekulationen
-erblassen. Und Mama fragen? Ach, das war ja nicht möglich.
-Fragen konnte man Kleudchen oder den Kuhknecht
-oder Fritz Dralle (Dralle <i>sen.</i> war schon weniger ratsam),
-und allenfalls Papa, wenn er sehr guter Laune war;
-aber Mama? Nein, Mama antwortete man, aber fragen,
-das ging nicht.</p>
-
-<p>Doch es kamen Wiederholungen, allerhand kleine Begebenheiten,
-die auf denselben Punkt zu deuten schienen
-und sich allmählich zu etwas Nebelhaftem verdichteten,
-von dem die Kinder nicht recht wußten, war es Erinnerung
-an Dinge, die sie schon erlebt hatten, oder Ahnung
-von etwas, das erst kommen sollte: Papa und Mama
-redeten zusammen, leise und erregt, Mamas große
-Augen wurden dunkel, so als sagten sie »Mut« oder
-»Rechtschaffenheit«; aber sie brach ab, wenn die Kinder
-ins Zimmer traten, und der Blick wurde wieder durchsichtig
-wie ein geschlossenes Fenster. Oder Papa trat
-plötzlich aus dem unbewohnten Zimmer auf halber
-<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a>
-Treppe, stand, als sähe er nichts, in der schrägen Nachmittagssonne,
-wo es nach Holz roch und nach Kleudchens
-Vesperkaffee; er, den man sonst nur in einer ganz besonderen
-Luft von Zigaretten und Juchten kannte, im
-Dämmerlicht auf dem Ledersofa ausgestreckt, wo über
-ihm die Rennpreise, die Pokale und silbernen Reitpeitschen
-aufblitzten, wenn ein Sonnenstrahl durch die
-Läden drang. Papa hatte rote Augen gehabt und zuerst
-gar nichts verstanden, als Ali, die Gelegenheit wahrnehmend,
-ihn anpiepste: »Ach, Papa, Dralle will das
-Gefleckte versäufen, weil es ein Weibchen ist, und es ist
-doch so wunderschön« &ndash; und Adallah eine Terz höher
-einstimmte: »Ach, nur nicht das Gefleckte, Väterchen,
-abe das Baune auch nicht!«</p>
-
-<p>Wenn Tante Brunislawa und die Kleudchen beisammen
-saßen, war ein Gewisper und Geseufz; beinahe
-wie schuldbewußt sahen sie sich um, oder als stünde eine
-Tür ins Dunkle hinter ihnen offen. Tante Brunislawa
-schien noch öfters als sonst mit ihrem Orenburger Schal
-an allen Türklinken hängen zu bleiben, um dann, wenn
-man sie losgeheddert hatte, ganz verschüchtert weiterzuflattern
-wie eine wunde Schwalbe. War das auch
-immer so gewesen, dies Nach-der-Uhr-sehen, wenn die
-Postzeit nahte, dieser rasche Blick ins Vorzimmer, wo
-doch nur Papas Zeitungen lagen, oder Rechnungen in
-blauen und grauen Umschlägen, selten nur ein Brief?
-Und die Stühle und Sessel im Wohnzimmer, wenn die
-Großen weggegangen waren und man kam auf Fußspitzen
-<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a>
-zurück, um den kleinen Zinnjäger zu suchen, der
-unters Sofa gefallen war: standen die sonst auch so kurios
-zusammen, wie Verschwörer, die unterbrochen wurden
-in heimlichen Gesprächen?</p>
-
-<p>Dazwischen schwand den Kindern wohl tage- und
-wochenlang dies ungewohnte Gefühl, als ob »etwas vorginge«;
-Papa hatte wirklich das Gefleckte begnadigt, und
-es war, nebst seinem Brüderchen, dem Braunen, zur
-Sonne geworden, um die sich der Knaben Leben drehte,
-das ja trotz Vater und Mutter, trotz der freundlich
-flatternden Tante Brunislawa und der treuen Kleudchen
-ein seltsam verschwiegenes, heimliches Leben war.</p>
-
-<p>Mama! Ja &ndash; das war viel eiskaltes Wasser in der
-Frühe und harte Bettchen zur Nacht, und beileibe kein
-Nachtlicht und absolutes, strengstes Verbot, das Gefleckte
-nach oben zu nehmen. Mama war Morgenandacht mit
-einem Hintergrund von Kaffeegeruch und weißen, raschelnden
-Schürzen, aber nicht Abendgebet; letzteres gehörte
-zu Kleudchens Departement, die sich wie die Fledermäuse,
-denen sie ähnlich sah, mehr in den Dämmerstunden
-bemerkbar machte. Mama bedeutete ferner für
-Ali Kerbelsuppe und für Adallah Apfelreis, beides so
-über alle Maßen gräßlich, und da war kein Entrinnen.
-Aber Mama bedeutete auch Dinge, die fein waren, wo
-man sich selber fein werden fühlte, wie die dünne,
-schwingende Gerte in der Hand, wenn man aufs Pferd
-geklettert war und sich zuerst nur festklammerte, so gut es
-ging, denn das einzige, was man absolut nicht durfte,
-<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a>
-war herunterfallen, und dann allmählich, beim Traben,
-seine Muskeln und Gedanken zusammenfand, sich aufreckte
-und ins Lot kam. Mama sagte: »So ist's besser,«
-wenn man an ihr vorüberkam, dann mußte Dralle die
-Longe weglassen und später noch ritt man mit Mama
-querfeldein, und das war ehrenvoll, aber beileibe nichts
-zum Lachen. Nur dies Gefühl, als würde man feiner und
-biegsamer und härter dabei, das wuchs und war sonderbar
-ausfüllend und aufregend; man konnte an nichts
-anderes denken. Überall ging's so her, wo Mama dabei
-war, so mit angespannten Sehnen bis aufs letzte Haarbreit;
-aber doch immer, als dürfe man dabei nicht verweilen,
-als käme viel anderes nach, das noch zu bewältigen
-sei. Auch wenn Mama einen küßte, war das so,
-hoch oben auf die Stirn, in die Haarwurzeln hinein, ganz
-rasch, wie ein Stoß, und dann weg und was anderes.
-Neulich hatte Ali gezuckt, als der kleine Fuchs beim
-Striegeln auskeilte. »Ich glaube gar, der Junge hat
-Angst,« sagte Mama, und in ihre Augen kam der blaue
-Funken, der zurücksprang zu den alten, vertriebenen
-Sachsengöttern, die an Pferdeopfern Freude hatten&nbsp;...</p>
-
-<p>In solch straff gehaltenen Kinderexistenzen entwickelt
-sich Geschwisterliebe nachdrücklicher, wie das Zusammenhalten
-junger Pflanzungen an exponierten Stellen. Ali
-und Adallah brachten es fertig, in ihrem fest eingeteilten
-Dasein Augenblicke berauschender Opposition zu erhaschen,
-und das ganz absichtslos, denn sie waren gutartige
-Kinder und, ihrem Vater ähnlicher als ihrer
-<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a>
-Mutter, nervös und rasch aufflammend, aber ohne die
-nötige Ausdauer für ein richtiges Verschwörertum.
-Mama war ungemütlich, wenn auch durchaus nicht unheimlich,
-denn es gab bei ihr keine Überraschungen; hingegen
-mußte man Papa nur aus dem Wege gehen, wenn
-er gerade seinen Nervenschmerz hatte, sonst aber nahm
-er für die Unterdrückten Partei, konnte einen allerdings
-im kritischen Augenblick unerwartet im Stich lassen. So
-schlossen sie sich ohne Verabredung eng aneinander; sie
-waren zu klein und zu unklar, um sich über das, was sie
-peinigte, miteinander auszusprechen. Winzige Igel im
-Nest, alles noch weich und verwundbar; ein Rascheln, ein
-Lufthauch, der Witterung bringt fremder, feindlicher
-Dinge, und sie liegen da, zusammengerollt, mit allen
-zarten Stacheln in der Abwehr, und fühlen, es gibt
-etwas Schmerzliches, Grausames irgendwo, das auch
-sie in ihrem Schlupfwinkel eines Tages aufspüren wird.</p>
-
-<p>Wie gräßlich zum Beispiel waren doch die Schlachttage!
-Die kaltblütigen Vorbereitungen am Abend vorher,
-die armen Verurteilten, die ahnungslos &ndash; wer weiß? &ndash;
-ihre Henkersmahlzeit verzehrten, die Gänse und Enten,
-die Schweine und, was am schauderhaftesten war, das
-Kalb! Dieses wurde zwar nicht auf dem Gutshof gemördert,
-aber in aller Frühe, wie aus blutigem Nebelgrau
-hervor, kam ein gräßlicher Mann mit rotem Gesicht,
-mit rotbesudelter Schürze; das Kälbchen mußte heraus,
-ganz dumm und warm und verschlafen, in die kalte,
-beißende Luft, es stemmte sich, es wollte nicht, seine
-<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a>
-Augen waren voll Entsetzen, es hörte seiner Mutter ängstliches
-Muh. Aber es wurde am Strick fortgezerrt, über
-die hölzerne Brücke, wo seine armen, unbeholfenen Füße
-polterten. Hatte es nicht etwas Revoltierendes, wenn
-bald darauf die Frühstücksglocke die Hausbewohner versammelte
-und Mama die Morgenandacht hielt? »Also
-hat Gott die Welt geliebt,« las sie. Und derweil wurde
-das Kälbchen auf der Landstraße fortgezerrt, der böse
-Mann fluchte, es bekam einen Tritt, wenn es stehen blieb.
-Mama dankte für Gottes Hut in der vergangenen
-Nacht ... Ach, die arme Kuh in dem dunkeln, feuchtwarmen
-Stall; das Kälbchen war ihre einzige Freude
-gewesen; wenn sie es leckte bekamen ihre großen
-düsteren Augen blaue Lichter, ihre Weichen schauderten
-glückselig, wenn das Junge nach dem Euter suchte,
-es hochstieß beim Saugen. Nun brüllte sie, gedehnt, in
-regelmäßigen Absätzen, man konnte zählen dazwischen.
-Und das würde noch tagelang dauern, sagte der
-Knecht.</p>
-
-<p>Aber Mama war doch sehr gut dabei. Zu allen Kranken
-wurde sie geholt, wenn es was Ernstes war; sie wußte,
-was nötig war, und tat alles, ruhig und tröstend. Manchmal
-wachte sie viele Nächte durch bei den Kranken. Und
-wie Fritz Dralle in die Häckselmaschine geraten war, hielt
-sie seinen Arm, während er so entsetzlich stöhnte und
-Doktor Moldenhauer nähte. Sie selbst aber war nie
-krank. Qualvolles Kopfweh, ja, dann zuckte es im Augenlid
-und in der Schläfe ging's wie ein Hammer, da, wo die
-<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a>
-blauen Adern sind; aber sie gab nicht nach, immer zur
-Stelle, sommers um sechs und winters um sieben. Tante
-Brunislawa, welche die Cousine der ersten Frau war,
-fuhr schuldbewußt zusammen, wenn Mama sie bei ihren
-ewigen Patiencen ertappte. Und doch sagte Mama nie
-ein Wort und half Kleudchen mit ihrer endlosen Flickarbeit.
-In Tante Brunislawas Zimmer waren Heiligenbilder,
-goldene mit Schlitzaugen, und weiße mit blauen
-Mänteln, auf kleinen Postamenten; Tante kniete davor
-und sah zu ihnen auf, mit braunen, kurzsichtigen Augen
-wie Samtpensées. Wo es doch heißt: Du sollst dir kein
-Bildnis machen und keinerlei Gleichnis, dachte Ali. Aber
-nie sagte Mama etwas, eher noch Papa, der Witze machte
-über Beichtväter und dergleichen. Mama <em class="ge">kämpfte</em> sogar
-für Tante um die Kutschpferde, wenn Tante zum Ablaß
-fahren wollte, gar jetzt, wo man sie doch so nötig
-brauchte, um Wasser zu fahren&nbsp;...</p>
-
-<p>Ali und Adallah mußten sich in Selbstkasteiung üben.
-Ihre Anzüge und Schuhwerk wurden von Dorfkünstlern
-angefertigt; die Hemden aus grobem Leinen scheuerten
-fürchterlich, solange sie neu waren, auch war ihnen nahegelegt
-worden, den Zucker im Milchkaffee zu sparen zugunsten
-der Stadtmission oder als Beitrag zur Weihnachtsbescherung
-im Armenhaus. Seitdem tranken sie ihren
-Kaffee ohne Zucker, hatten sich seiner so entwöhnt, daß
-es sie keine Überwindung kostete, aber sie spürten auch
-weiter keine Freude an ihrem Opfer; vielleicht waren
-ja auch Opfer nicht dazu da.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a>
-Alle Donnerstag kam Herr Doktor Löschwitz zum
-Kaffee. Dies war die schlimmste Prüfung; denn weil sie
-nur einmal wöchentlich stattfand, konnte man sich nicht
-dagegen abstumpfen. Herr Doktor Löschwitz war ein gestrandeter,
-nicht mehr junger Philologe, der vor Jahren
-Papa durchs Abitur gelotst hatte; nun bekam er Kost
-und Wohnung, zwei Stübchen im Seitengebäude, mit
-dem Blick auf den Hühnerhof. Herr Doktor Löschwitz trug
-eine Art Respirator aus schwarzem Taft über der Nase
-befestigt, fast wie eine kleine Maske; darunter war etwas
-Schreckliches, das für Herrn Doktor Löschwitz den Tod
-bedeutete; man konnte es ahnen, denn die Entzündung
-hatte schon Wangen und Oberlippe ergriffen. Ali gewann
-es über sich, hinzusehen, er konnte ganz steinern
-werden, wenn er sich so Gewalt antat; aber Adallah
-wurde rot und blaß und senkte die Augen, sobald nur
-Doktor Löschwitzens Schritt im Flur ertönte. »Albrecht
-und Adelbert, gebt Herrn Doktor Löschwitz die Hand,«
-sagte Mama, die es gewiß fertig gebracht hätte, den
-armen Lazarus aus dem Gleichnis zu küssen. In aller
-Stille dachte Adallah, das Schicksal zu beschwören. Am
-Mittwoch schon überkam ihn das Grauen; er stand nachts
-auf, fröstelnd in seinem kurzen Hemd stand er auf der
-Diele und horchte auf die Turmuhr. Wenn er eine ganze
-Stunde reglos ausharrte und immer an das nämliche
-dachte, würde Doktor Löschwitz irgendeine kleine unschädliche
-Krankheit bekommen, so daß er morgen absagen
-mußte. Aber das Zaubermittel versagte, während
-<a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a>
-es doch damals bei dem Kalbe so wunderbar geholfen
-hatte, und da hatte er doch um etwas viel Durchgreifenderes
-gebetet. Das Kalb hatte etwas mit dem Bein.
-Es lag stöhnend im Stroh, und Adallah hörte den Inspektor
-zum Knecht sagen, es solle den nächsten Morgen
-geschlachtet werden. Da hatte er denn die halbe Nacht
-auf der kalten Diele gekniet; und wirklich, es half, das
-Kalb war in der Nacht von selbst gestorben, ganz still.
-O lieber, lieber Gott, nein, aber du bist doch wirklich gut,
-dachte Adallah, als er's erfuhr; als müsse er Gott Abbitte
-leisten für voreilige, abfällige Urteile.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Es war ein glühender, regenloser Sommer, wie es
-hier die Regel war, aber so wie dieses Jahr doch seit
-langer Zeit nicht. Schon im Mai hatte die Dürre eingesetzt,
-und jetzt war alles verbrannt. Das Akazienlaub hing
-gelb und tot von den Stengeln, die Linden waren auf
-der Windseite wie versengt. Alles schlich matt einher, der
-Inspektor wie ein schwarzes Gewölk. Papa, der, schon
-ganz elend von all den Hiobsposten, richtig auch seinen
-Nervenschmerz bekommen hatte, ging mit Kölnischwasser
-und einem Zerstäuber durch die Stuben und spritzte die
-Gardinen an. Tante Brunislawa sagte: »Gott, bester
-Thilo, wenn du doch Patience lernen würdest, das beruhigt
-und die Zeit geht so schön vorbei.« &ndash; »Ja, und
-die Gehirnerweichung tritt ein,« knurrte Papa. Mama
-schwieg mit hochgezogenen Brauen, aber in der Schläfe
-ging der kleine Hammer.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a>
-Pastor Gordon hatte am Vormittag Unterricht gegeben:
-Kopfrechnen und Geographie und natürlich auch Religion;
-an Alis Horizont machte sich außerdem das Lateinische
-unangenehm bemerkbar.</p>
-
-<p>Mama saß im Vorplatz, der mit Strohmatten, Korbmöbeln
-und undeutlichen Aquarellen an den Wänden als
-Gartensaal gedacht war; winters über standen hier auch
-die Oleander und Geranien in ihren grünen Kübeln.
-Sie half der Kleudchen beim Erbsenauspahlen; es war
-die höchste Zeit mit dem Einmachen, sie fingen schon an
-runzlig zu werden. Adallah hätte gern geholfen, er liebte
-derartige Beschäftigungen über die Maßen, der Küchenjunge
-im Märchen erregte stets seinen unverfälschten
-Neid; aber nun sollte er schon wieder hinaus, und nicht
-etwa in den Stall zum Gefleckten, das seit einigen Tagen
-wässerige Äugelchen geöffnet hatte und bedeutend klüger
-zu werden versprach als das Braune, sondern ans andere
-Ende vom Dorf, mit einem Paket für die alte Schröder,
-die doch bloß ächzte und krächzte und keine Ruhe ließ, bis
-man eins von ihren unappetitlichen Malzbonbons nahm.
-So trollte er mißvergnügt von dannen.</p>
-
-<p>Die Erbsen fielen hart wie kleine Kugeln in die Schüssel.
-Mama blickte auf zum Gatten, der in einem Korbsessel
-lag und sich mit der schmalen, sensitiven van-Dyk-Hand
-ab und zu nervös durchs Haar fuhr, dies allzu
-krause Haar, das die Gerüchte, die über den Stammbaum
-seiner Großmutter umliefen, zu rechtfertigen
-schien.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a>
-»Gordon ist mit den Fortschritten der Kinder nicht
-recht zufrieden,« sagte sie.</p>
-
-<p>»Gott, die armen Bengels« &ndash; der Gatte zuckte übers
-ganze Gesicht, die Fliegen waren heute geradezu ekelhaft
-&ndash; »bei dieser Hitze auch noch lernen! Und dann so
-langweilig, immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur.
-In der Schule kann man sich doch mal durchschwindeln,
-und schließlich, wenn man kein absolutes Kamel ist, lernt
-man ja doch das Nötige. Eine Schule wäre viel besser
-für die Jungens.«</p>
-
-<p>»Aber das läßt sich jetzt doch nicht einrichten, Thilo,
-wo's mit den Pferden so knapp ist &ndash; allenfalls hinradeln
-könnten sie, aber zweimal des Tags all die Kilometer &ndash;
-dazu sind sie doch noch sehr klein&nbsp;...«</p>
-
-<p>»Ach, so meine ich's nicht, das weißt du ganz gut;
-Kadettenhaus oder Ritterakademie, das ist das einzig
-wahre für ein paar ordentliche Jungens.«</p>
-
-<p>»Die Erfahrungen, die du <em class="ge">damit</em> gemacht hast, dürften
-doch wohl genügen.«</p>
-
-<p>Der Gatte murmelte etwas, das wie »Duckmäuserei«
-klang, und die Kleudchen, die, obwohl ganz zur Familie
-gerechnet, genau wußte, wann sie lieber nicht gegenwärtig
-war, wollte taktvoll mit ihrer Erbsenschüssel verschwinden.
-Er flog ihr nach und öffnete mit gewohnter
-Ritterlichkeit die Türe für sie. Mit seinem etwas zu tief
-ausgehöhltem Kreuz und der geschmeidigen Gebärde
-erinnerte er an jene tadellos ajustierten Bereiter, die im
-Zirkus zu beiden Seiten des Eingangs stehen und der
-<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a>
-lächelnden Dame im Flitterröckchen mit federnder Eleganz
-aufs Pferd helfen, die Reitgerte überreichen&nbsp;...</p>
-
-<p>Seine Frau blinzelte an ihm vorbei, auf die hellgetünchte
-Wand gegenüber: »Ich glaube nicht, daß
-Kinder, deren Selbstbeherrschung täglich geübt wird, zu
-Duckmäusern werden,« sagte sie. »Mein Blut neigt überhaupt
-nicht dazu.« Ihre Stimme bebte, aber sie sammelte
-ruhig die leeren Schoten in ihrem Schoß zusammen und
-legte sie in den Korb. Dann band sie ihre große Hausschürze
-ab und begann sie zu falten: »Ich habe von Anfang
-an auf Abhärtung, auch in Gefühlssachen, geachtet.
-Du hast dich nie gefragt, ob mich das nicht selber hart
-ankam. Aber es erschien mir das wichtigste, viel wichtiger
-als alles, was man aus Büchern lernt. Überhaupt meine
-ich, wie einer lernt, ist mehr wert, als was einer lernt.
-Jedenfalls bild' ich's mir ein, und darum muß ich danach
-handeln. Sonst verlange ich nichts für die Kinder. Es
-sind gute Jungens, nicht unbegabt, aber nichts Außergewöhnliches.
-Vielleicht wären sie besser dran, wenn sie
-Holzpantinen trügen, und so mancher Firlefanz, der
-ihnen einmal noch das Herz schwer machen wird, träte
-gar nicht erst an sie heran.«</p>
-
-<p>Sie war aufgestanden und hatte vor sich niedergesehen,
-mechanisch die Schürze immer schmaler zusammenlegend;
-nun blickte sie auf; ihre Augen waren warmdunkel
-geworden und der Klang der Stimme paßte zu
-den Augen: »Eins aber,« sagte sie, »sollen die Kinder
-haben, ihr Leben soll auf klarer Bahn beginnen, sie sollen
-<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a>
-mit harten Sehnen losgehen und an Wahrheit gewöhnt
-sein; damit, wenn je die Stunde für sie käme, wo es
-schwer ist, sich zur Wahrheit zu bekennen, sie auch dann ...
-nicht anders könnten. Was sie an Hindernissen auf ihrem
-Weg finden werden, das verfügt unser Herr und Gott,
-was von außen kommt, liegt nicht in unserer Macht. Wir
-können nur den Willen bereiten. Das müssen wir. Denn
-ich meine, das <em class="ge">ganz</em> Furchtbare, das, was nicht heil zu
-machen geht, ist, wenn der Hahn kräht und einer einsieht,
-daß er seinen Mann nicht gestanden hat. Erkennen,
-was die Hauptsache ist und was die Nebendinge sind, ja,
-wer das hat, was kann ihm schaden, wer kann ihn besiegen?&nbsp;...«</p>
-
-<p>Dem Gatten waren solche Aussprachen &ndash; die meistens
-als Monologe verliefen&nbsp;&ndash;, wenn seine Frau ihr Veledagesicht
-aufsetzte und das Gesetz verkündete, geradezu fürchterlich.
-Es fiel ihm ja gar nicht ein, gegen ihren Wunsch
-Entscheidungen zu treffen; man konnte aber doch wohl
-seine Ansicht sagen. Zum Glück kamen derartige Explosionen
-selten vor; für gewöhnlich war Gerta sehr zurückhaltend.
-Aber er fühlte immer etwas durch: Mißtrauen
-von vornherein und einen kindischen Eigensinn in Dingen,
-über die er kein Wort verlor. Gouvernantenhaft, das
-drückte es am besten aus. Seit der albernen Freundschaft
-mit den überspannten Livländerinnen wurde es immer
-ärger. Er war gewiß für Religion; mein Gott, wohin
-geriet man auch sonst, schon allein der unteren Klassen
-halber war sie ganz unentbehrlich. Und eine Frau ohne
-<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a>
-Religion war ja ganz wider die Natur. Aber diese Hyperfrommen
-hatten etwas direkt Aufwieglerisches an sich &ndash;
-sie konnten reden wie die rötesten Sozialdemokraten,
-geradezu bedenklich; und taktlos waren sie auch alle, weil
-in ihren Augen der höhere Zweck die ärgsten moralischen
-Anrempeleien rechtfertigte &ndash; ja, sogar wenn sie schwiegen,
-brachten sie's fertig, rechthaberisch zu sein.</p>
-
-<p>Er stand auf und sagte: »Wir wollen uns doch nicht
-über Grundsätze und dergleichen ereifern; dazu ist es
-heute viel zu warm. Jedenfalls, ich bin wie eine tote
-Fliege und gänzlich kampfunfähig. Meine Ansicht in der
-Sache, die uns vor allen andern beschäftigt, kennst du.
-Möglichste Schonung nach allen Seiten. Auch gegen uns
-selbst. Auch gegen die konventionellen Hühneraugen
-unserer Nachbarn und Standesgenossen. Man lebt eben
-nicht auf einer Robinsoninsel, nur mit einem Lama und
-einem Papagei. Aber die Zeit ist der beste Alliierte, und
-die Menschen vergessen nur zu gern, wenn sie dadurch
-einer Unbehaglichkeit aus dem Wege gehen können. In
-einigen Jahren kann man das Gras mähen, das darüber
-gewachsen ist.«</p>
-
-<p>»Ja, in Dingen der Weltklugheit rede ich nicht mit,
-das liegt mir nicht. Hier im Haus aber, wozu das Versteckspiel?
-Ich will Freud und Leid tragen, ohne Scham, wo
-ich doch keine empfinde. Warum auch, es liegt ja alles
-so einfach. Man macht so oft die Dinge kompliziert, bloß
-aus Furcht. Und ich hasse die Furcht. Es ist etwas Fremdes,
-es soll nicht an uns heran. O Thilo, du <em class="ge">mußt</em> mir ja
-<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a>
-recht geben. Sollen wir denn erröten, wenn das Evangelium
-vom verlorenen Sohn gelesen wird? Was ist uns
-das Geschwätz von Nachbarn und Standesgenossen?
-Nicht mehr als der Rauch deiner Zigarette. Denk an die
-großen Jagdrennen, früher, oh, wie stolz war ich auf
-dich, Thilo. Immer der erste, kein Gedanken an Gefahr.
-Willst du dich vor dem Gerede mehr fürchten als vor dem
-irischen Wall in Iffezheim?«</p>
-
-<p>In ihre Augen war feuchter Glanz gekommen, ihre
-Farbe kam und ging. Ganz jung sah sie wieder aus, wie
-damals ... Schumanns »Widmung« fiel ihm plötzlich
-ein, die sein Vetter Landrat &ndash; Theo mit den Lakritzenaugen
-&ndash; am Polterabend hinter der kleinen Bühne gesungen
-hatte; er hörte noch die gaumige Baritonstimme,
-die ihn damals tief gerührt hatte: »Mein guter Geist,
-mein beßres Ich!« Und an den Tag in Iffezheim hatten
-ihre Worte gemahnt. Eine rasche, heiße Welle des Erinnerns
-ging ihm durchs Blut. Wie sie dort auf einem
-schmalen Brett gestanden hatte, hochgereckt, in dem
-weißen Sommerkleid, das der Wind fest zurückblies um
-ihre feinen, mädchenhaften Glieder, den Hut etwas nach
-hinten geschoben, das Haar verwirrt um die leuchtende
-Stirn, und ihre großen reinen Augen so strahlend und
-voll Vertrauen auf seinen Sieg, sie, die in ihrer Unschuld
-doch schließlich auf das Körperliche hereingefallen war
-und dem stählernen, furchtlosen Reiter auch Seelenstärke
-und Unabhängigkeit des Denkens angedichtet hatte;
-warum eigentlich? Weil er einen geraden, guttrainierten
-<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a>
-Körper besaß und eine gewisse Art physischer Furcht nicht
-kannte? Jugend, Jugend! Von ihrem Glauben getragen
-war er sich schließlich selbst wie ein famoser Kerl vorgekommen,
-auserwählt, dieses scheue und doch unendlich
-aufrichtige Geschöpf an sich zu fesseln ... Er seufzte auf
-und küßte, sich plötzlich vorbeugend, ihre herabhängende
-Hand. Der Schmerz zog wieder so elend in seinem Genickwirbel.
-Da stand er auf und ging in sein halbdunkles
-Zimmer zurück, wo auf dem Schreibtisch so viel angesammelte,
-aufgeschobene Arbeit wartete.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Das war am Dienstag gewesen, Mittwoch kam, nicht
-heißer, das war nicht möglich, aber noch bleierner, schon
-seit dem frühen Morgen. Die Pferde fuhren mit großen
-Tonnen zum See hinunter, es sollte heute wieder im
-Gemüsegarten gegossen werden; Park und Blumen
-mußte man ihrem Schicksal überlassen, da war für diesmal
-nichts mehr zu machen, die Fliederbüsche standen
-grau und matt und an den Wegrändern häuften sich ihre
-zusammengerollten Blätter, die braunen Grasflächen
-dehnten sich wie schäbige Löwenfelle, und auch die Linden
-auf der Terrasse ließen runzlige Blätter niedersinken;
-wär' es nicht so furchtbar heiß gewesen, es hätte Oktober
-sein können.</p>
-
-<p>Papa saß unter den Platanen, gerade oberhalb der
-Wiesen, die sich bis zum See erstreckten. Er wurde stets
-sentimental, wenn er von diesem etwas erhöhten Platz
-die Landschaft überblickte.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a>
-»Hier will ich einmal ruhen, unter einem schlichten
-Stein,« sagte er, und seine Stimme bebte ein wenig bei
-dieser Vorstellung; er legte wie segnend die Hand auf
-Alis kleinen, frischgeschorenen Kopf (Ali wünschte sich in
-solchen pathetischen Momenten klaftertief unter die Erde,
-das Erhabene lag ihm nicht), »das ist das rechte Grab
-für einen ehrlichen Reitersmann.« Papas Augen blickten
-verschwommen. Nachdem die Post am Vormittag gekommen
-war, war's mit den Nerven ganz bös geworden,
-da hatte wieder das winzige Spritzchen helfen müssen.
-Ali war gerade dazugekommen. »Sage nichts an Mama,«
-flüsterte Papa und sah sich etwas schuldbewußt um,
-»du weißt ja, wie gut sie ist; sie macht sich dann immer
-gleich Sorgen. Aber bei dem verdammten Bohren ist es
-nun mal das einzige&nbsp;...«</p>
-
-<p>Der Himmel über dem See war blauschwarz; er schien
-sich immer tiefer zu senken, der große Roggenschlag jenseits
-leuchtete fahl, unheimlich deutlich unter dem
-finsteren Gewölk. Papas Hand lag noch immer schwer
-auf Alis braunem Maulwurfsfell. Nun kam der Knecht
-mit den letzten Tonnen. »Heut nacht wird's losgehen,
-Herr Rittmeister,« sagte er und legte militärisch grüßend
-die Finger an die alte, verfärbte Soldatenmütze. Die
-Räder ächzten, aber das hartgebrannte Wiesenland gab
-kaum nach unter der Last&nbsp;...</p>
-
-<p>Auf der Terrasse vor der Haustür stand Mama in
-ihrem leinenen Reitkleid; sie hatte eben noch mal nach
-dem Vorwerk reiten wollen, um die neue Mamsell zu
-<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a>
-beraten: da war eben das Telegramm gekommen. Mit
-ihrem glatt zurückgestrichenen Haar unter der Mütze glich
-sie einem lang aufgeschossenen Jungen, wie sie da an der
-Rampe lehnte, die Hände in den Jackentaschen, der Fuß
-ungeduldig tappend. Sie händigte ihrem Mann das
-Telegramm ein.</p>
-
-<p>»Der Bote wartet.«</p>
-
-<p>»Mein Gott, warum hast du nicht aufgemacht?«</p>
-
-<p>»Bitte, es ist an dich adressiert,« sagte Mama, die in
-solchen Dingen äußerst empfindlich war; Tante Brunislawas
-naiv gründliche Art, Ansichtspostkarten zu studieren,
-die nicht an sie gerichtet waren, konnte ihr Gänsehaut
-verursachen.</p>
-
-<p>»Heute, acht Uhr zwanzig,« las Papa leise. Das Blut
-war ihm zu Kopf geschossen. »Laß Dralle rufen, bitte,«
-sagte er, schon an seiner Tür im Erdgeschoß.</p>
-
-<p>»Ich gehe selbst.«</p>
-
-<p>Mama ging hinaus in die bleierne Glut.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Dralle saß in Hemdärmeln und gestreifter Weste auf
-der Bank vor der Sattelkammer und vesperte. »Dralle,«
-sagte die gnädige Frau, »Sie möchten zum Herrn kommen,
-er braucht Sie heut abend zur Bahn.« Die Hände
-am Gürtel stand sie vor ihm, ganz blaß in der flimmernden
-Luft. Reglos, aber doch bebte alles an ihr. Wäre sie ein
-junges nervöses Pferd gewesen, so hätte der Alte gewußt,
-was zu tun; mit seiner breiten, ruhigen Hand und
-tiefen Brummstimme verstand er's, allem, was in seine
-<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a>
-Obhut kam, Ruhe und Vertrauen einzuflößen. So aber
-fuhr er in die Höhe und stand still: »Zu Befehl!&nbsp;...«
-Aber in seine Augen unter den schräghängenden Lidern
-war der wachsame Hundeblick gekommen, den sie kannte,
-und der tat ihr wohl. Denn der Alte war aus ihrer
-Heimat, dort im Lüneburgschen, wo die Menschen so
-herrlich mundfaul waren; als sie heiratete, war er, ganz
-selbstverständlich, mitgekommen, der sie als Kind schon
-reiten und fahren gelehrt hatte und wie man sein Pferd
-selber putzt und sattelt. Zwischen ihnen waren nie viel
-Worte nötig gewesen.</p>
-
-<p>»Ich wollte Ihnen längst schon sagen, Dralle,« fuhr sie
-etwas unsicher fort, und das zuckende Grübchen in der
-Wange kam und ging, »wie dankbar ich Ihnen bin, daß
-jetzt alles in den Ställen so ruhig und ordentlich zugeht,
-zumal mit den neuen Leuten.« Dann wandte sie sich zum
-Stall. Dorthin ging sie so manchesmal.</p>
-
-<p>Drinnen waren die Fenster verhängt; alles kühl
-dämmerig und totenstill, die Stände leer, die Pferde
-noch auf dem Felde. In einer Ecke, neben der Haferkiste,
-krochen Erdas Kinder, das Braune und das Gefleckte,
-auf weichen Gummibeinchen im Stroh. Sie stießen
-flehende Tönchen aus, wie sie Gerda kommen sahen, und
-blickten zu ihr auf mit dem tieftraurigen Blick und den
-sorgenschweren Stirnen, die jungen Hühnerhunden eigen
-sind. »Ihr Armen,« sagte sie, von Mitleid plötzlich überfallen;
-so etwas Junges, Wehrloses; ganz hoffnungslose
-Augen machten sie&nbsp;...</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a>
-Weiter zurück wieherte es leise. Das war Thilos altes
-Rennpferd, Cara, die schon mehrere wertvolle Fohlen
-gebracht hatte und dort, etwas entfernt von den robusteren
-Stallgenossen, das abgesonderte Dasein einer
-entthronten Königin führte. Feingefesselt, blank und
-seidig wie reife Edelkastanien stand sie in der Box und
-hatte den schönen, kleinen Kopf über die Wand gelegt.
-»Cara,« sagte die Frau und öffnete, und schon fühlte sie
-die warmen Nüstern an ihrer Wange. Ein Sonnenstrahl
-schlüpfte herein, die großen Pferdeaugen glühten wild
-und zärtlich auf. Sie stellte sich dicht an die alte Mutterstute
-und drückte das Gesicht in die warme Höhlung
-zwischen Schulter und Hals, wo das Netzwerk der Adern
-schauerte. Ihr war, als stünde sie an eine Schwester gelehnt,
-die verzaubert war und nicht reden konnte, aber
-alles verstand; alles was kühn und heiß und traurig ihr
-Herz aufrauschen ließ und plötzlich ihren Blick verdunkelte.</p>
-
-<p>»Du und ich, Cara, du und ich&nbsp;&ndash;« sagte sie und wußte
-nicht, daß sie gesprochen hatte. Und dann mußte sie
-gehen, und die alte Cara legte wieder den Kopf über die
-Wand und sah ihr nach, diesmal ohne zu wiehern&nbsp;...</p>
-
-<hr />
-
-<p>Die Kinder hatten noch Aufgaben für morgen. Aber
-sie blieben in dem langen, hellen Gang stehen, an dessen
-äußerstem Ende sich ein hohes Fenster nach dem Park
-zu auftat. Heute waren die weißen Vorhänge zugezogen,
-es herrschte ein totes, weißes Licht; es war ganz still,
-nicht einmal eine Wespe summte. Wie auf dem Meeresgrund,
-<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a>
-dachte Ali. Er hatte zu Weihnachten ein Buch bekommen
-mit Bildern von Korallen und Seeanemonen,
-die Schatten warfen auf den glatten weißen Sand, viele
-hundert Faden tief.</p>
-
-<p>Die Kleudchen saß dort am Fenster, klein und dunkel,
-wie am Ende der Welt, vor ihr der Tisch, wo sich sonst die
-Flickwäsche türmte. Heute stand eine Schüssel darauf, und
-die Kleudchen hatte Minka, ihre kleine, fette Wachtelhündin,
-auf dem Schoß; sie fing ihr die Flöhe.</p>
-
-<p>»Da,« sagte Adallah, der gleich Feuer und Flamme
-wurde, solche Jagd war doch zu interessant, »du mußt den
-Finger naß machen, Fau Kleudchen, dann geht's besser.«</p>
-
-<p>»Ja, die kleinen Schwarzen sind zu fix,« sagte die
-Kleudchen, »das sind die Männchen. Die großen Braunen
-können nicht so rennen.« Sie steckte wieder einen ins
-Wasser. »Da könnt ihr zappeln,« sagte sie rachsüchtig.</p>
-
-<p>»Fau Kleudchen,« sagte Adallah, »Vate fäht zu Bahn;
-es is 'n Tegamm gekommen.« Die Kleudchen ließ
-Minka zur Erde gleiten. Ihr kleiner, zahnloser Mund
-schnurrte zart und gramvoll zusammen. Sie blickte vor
-sich hin. Dann stand sie auf und ging mit kleinen, knappen
-Altweiberschritten den Korridor hinunter; der Kamm
-steckte in der Tasche ihrer schwarzen Moiréschürze; Minka
-watschelte kurzatmig hinterdrein.</p>
-
-<p>»Kinder, Kinder,« sagte die Kleudchen. Und dann:
-»Macht euch nun an eure Aufgaben, nicht wahr?«</p>
-
-<p>Sie ging die Treppe hinauf, es krachte bei jedem Schritt,
-sie mußte sich am Geländer festhalten; auf halber Stiege
-<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a>
-machte sie halt. Die Kinder hörten sie in das verschlossene
-Zimmer gehn; dann machten sie sich an ihre Aufgaben
-für Herrn Pastor Gordon.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Nun war die abendliche Milchsuppe glücklich vertilgt,
-ein Gericht der Ewigen Wiederkehr, dem ebenso regelmäßig
-eine Schüssel der Jahreszeit entsprechenden
-Kompotts folgte. Adallah, der Obst nur in rohem, wenn
-möglich unreifem Zustande würdigte, hatte namentlich
-vor gekochten Pflaumen einen Abscheu, während ihnen
-Ali einen sekundären Reiz abgewann, indem er später
-die Kerne gegen die geschwärzten Ahnenbilder im
-Korridor spuckte. Er hatte sich darin zu einem wahren
-Scharfschützen ausgebildet.</p>
-
-<p>Auch diesmal räsonierte Adallah leise mufflich vor
-sich hin, und die Kleudchen hatte ein Einsehen und räumte
-alles ohne Gegenrede weg. Sie schien heute nur auf eins
-zu drängen, daß die Kinder möglichst bald schlafen gingen.</p>
-
-<p>Das Gewitter war noch immer zu keinem Entschluß
-gekommen. Auf der Seeseite zuckte es ab und zu fahl auf,
-und die Haufen dürrer Lindenblätter wirbelten plötzlich
-auseinander, wenn ein kleiner Windstoß sie aufkescherte.
-Die Schwüle hatte sich eine Spur gehoben, wer konnte
-sagen, ob heute nacht noch die Erlösung kam.</p>
-
-<p>Nachdem sie ein wenig an einem Lampenschirm für
-Papas Geburtstag gepappt hatten, gingen die Brüder,
-ziemlich klebrig und deprimiert, hinauf in den Giebel,
-wo ihr Zimmer war. Sie schliefen dort allein. Es war eine
-<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a>
-Diele in der Mitte, auf welche drei Türen mündeten;
-ihnen gegenüber ein dem ihren ähnlicher Raum, wo
-Kleudchen die besseren Äpfel und allerhand Kräuter verwahrte,
-Fenchel, Krauseminze und Zitronenmelisse; es
-roch nach Apotheke durch die Türritzen. Im Hintergrund
-aber war ein Verschlag, wo Koffer und Körbe aufgestapelt
-standen, auch mancherlei ausrangiertes Mobiliar,
-kummervoll aussehende Lehnstühle und Etageren, denen
-Dominik bei Gelegenheit zu neuem Jugendglanze verhalf.
-Im Dämmerlicht gab es dort kuriose Umrisse,
-Schatten und Geräusche.</p>
-
-<p>Die beiden genossen ihre Freiheit im Giebel, aber es
-gab auch Momente, wo sie lieber unten geschlafen hätten
-oder im Seitengebäude, wo Kleudchen ihr Reich hatte.
-Aber sie schämten sich, es einzugestehen. »Ich glaube gar,
-ihr habt <em class="ge">Angst</em>?« würde Mama sagen und die Augenbrauen
-hochziehen. Nein, lieber knackende Schränke und
-unmotivierte, schlurrende Geräusche als das! Heute aber,
-mit dem Gewitter in den Gliedern, lagen sie recht klein
-und kümmerlich in ihren Bettchen, mit großen Augen
-zum Gebälk aufschauend, wo ein pelziger Nachtschmetterling
-mit Gebrumm seine Kreise zog.</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0">
-<tr>
- <td class="tdl">»Will Satan mich verschlingen,</td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">So laß die Engel singen:</td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl">Dies Kind soll unverletzet sein,«</td>
-</tr>
-</table>
-
-<p class="in0">betete Ali mit Nachdruck; sie hatten beide eine Vorliebe
-für diese hochdramatische Stelle. Und »Amen« klang es
-<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a>
-leise stockschnupfig aus Adallahs Bett an der anderen
-Wand. Diesem war der Gedanke an »Satan« heute
-abend gar nicht so genußreich wie sonst.</p>
-
-<p>Die Kleudchen sah mit dem Licht in der Hand mehr
-denn je aus wie eine treue, zuverlässige Hexe; den
-Kindern kam sie vor wie ihre einzige Rettungsplanke.
-Es war einsam und schwül hier oben, und morgen war
-Doktor-Löschwitz-Tag; sie würden wieder mit ihm
-spazierengehen müssen, so langweilig; er wollte nie aus
-dem stickigen Park heraus. Herr Doktor Löschwitz kam
-stets im Bratenrock, er führte sie bei der Hand, er sagte
-ab und zu: »Nun, meine kleinen Freunde, und was
-machen die Wissenschaften?« oder: »Nun, Freund Albrecht,
-wie sagt der Lateiner?« Lauter so einfältige Fragen, auf
-die man gar nichts zu antworten wußte; aber er ließ nicht
-los, und seine Hände waren heiß und knöchern in den
-knirschenden Zwirnhandschuhen.</p>
-
-<p>»Frau Kleudchen, bleib doch da,« sagte Adallah weinerlich,
-er war nun schon ganz haltlos. Sie saßen noch aufrecht,
-vom Beten her; ihre Hälschen streckten sich nach ihr
-aus wie Vogelhälse über den Nestrand. Die Kleudchen
-stand zögernd mit dem Licht; ihr Schatten schwankte
-langnasig über die Tapete. »Ich komme in zehn Minuten
-und bring' euch noch frisches Wasser,« sagte sie. Bis dahin
-würden sie eingeschlafen sein. Doch die beiden wurden
-wohl schläfrig, aber darunter blieb eine eigentümliche
-Unruhe bestehen. Papa war noch vor dem Abendbrot mit
-Dralle weggefahren, bei der Dürre konnte man den
-<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a>
-kürzeren Sandweg nicht nehmen. Unten saßen jetzt
-Mama und Herr Pastor, der immer am Mittwoch zum
-Tee kam. Aber heute blieb er nicht, das war seine knappe
-Art zu reden, auf dem Vorplatz, und nun Mamas
-tönende Stimme: »Ja, da ist der Regenschirm;« und
-dann ging die Haustür und fiel ins Schloß. Nun war es
-totenstill, nein, war das nicht Mama, die im Gartensaal
-auf und ab ging? Wenn sie ans andere Ende kam, drehte
-sie sich mit einem kleinen Ruck. Abends trug sie immer
-ein seidenes Kleid, und es war ihr im Wege, und dann
-sagte sie: »Ach, das gräßliche Kleid&nbsp;...«</p>
-
-<p>Ja, die Frau im Gartensaal ging schon eine Weile auf
-und nieder, die Hände auf dem Rücken, den Blick geradeaus,
-ohne viel zu sehen. Manchmal stand sie an der Glastür
-still und sah in die Finsternis, und wenn ein Blitz kam,
-blieben ihre Augen ruhig, als schauten sie andere Dinge.</p>
-
-<p>Dieser Pastor gehörte also auch zu den Menschen, die
-»zum Guten« reden. Sie hatte Thilo beredet, die Stelle
-an Gordon zu geben. Seine schottische Abkunft, seine
-hagere, asketische Erscheinung, sein physischer Mut &ndash; damals,
-als sich der Bulle losgerissen hatte&nbsp;&ndash;, das alles
-hatte sich in ihr mit Vorstellungen von Cromwells ernsten
-Scharen zu einem Bilde puritanischer Einfalt und
-Furchtlosigkeit gestaltet, das eine heimliche, romantische
-Saite in ihr zum Schwingen brachte. Aber sie wurde
-seit einiger Zeit die Empfindung nicht los, daß Gordon
-bei allem, was er tat, in seinem eigenen Bewußtsein ein
-unsichtbares Publikum besaß. Es war nicht der gewöhnliche,
-<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a>
-äußerliche Ehrgeiz, den sie durchfühlte, nein, etwas
-Raffinierteres, den Ehrgeiz der Entsagung, der seiner
-Demut den heimlichen, erquickenden Stachel gab. Und
-sie erkannte, daß er in schwierigen Momenten versagen
-mußte, weil er nicht einfach genug war für all die
-Kompliziertheiten des Lebens.</p>
-
-<p>So hatte sie denn allein, wie sie es gewohnt war, in
-diesen Tagen tief in die letzten Winkel ihres Herzens
-hineingeleuchtet, eine jener Generalrevisionen vorgenommen,
-wie sie ihr die frommen, livländischen Freundinnen
-als ordentliche und außerordentliche Exerzitien &ndash; ähnlich
-den Alarmübungen der freiwilligen Feuerwehr &ndash; so liebevoll
-eindringlich empfohlen hatten, und wenn sie dabei
-auch in anderem Geiste verfuhr als die sanften Gemeinschaftlerinnen,
-ihr war solche Übung von Zeit zu Zeit
-recht. In den zehn Jahren, die sie hier lebte, hatte sie
-Thilo mehr und mehr das Geschäftliche, die Rechnerei,
-die ihn so furchtbar irritierte, abgenommen, hatte mit
-mancher Unordnung und Unredlichkeit aufgeräumt, für
-die sie ihm im stillen schwerere Schuld gab als denen, die
-träge Vertrauensseligkeit in Versuchung führte. Dabei
-hatte sich ihr Blick geschärft, sich gewöhnt, Ursache und
-Wirkung fast gleichzeitig zu erkennen und auseinanderzuhalten.
-Nun wollte sie auch sich selbst nicht schonen,
-nein, um jeden Preis mit ihrem Gott ins reine kommen.
-Und da hatte sie manches gefunden, was sie beschämte,
-Selbstüberhebung, Herrschsucht, Heftigkeit, sogar gegen
-Untergebene, die sich nicht wehren konnten &ndash; recht erbärmlich
-<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a>
-war's gewesen; aber Menschenfurcht und Eigennutz
-waren nicht dabei. Sie hatte Thilo angefleht, hatte
-darum gekämpft, den Fremdgewordenen, das zertrümmerte
-Leben, das heute nur auf wenig Stunden hier einkehren
-sollte, nicht wieder von sich zu lassen. Er hatte doch
-nun seine Sünde verbüßt, nach dem Rechtsspruch, der
-bei all den braven, hochgeachteten Leuten galt, die unversucht
-in Ehren starben und begraben wurden, und für
-deren Gesetze, die trotz aller Tüftelei nie bis zu den letzten
-verwirrten Wurzeln einer Handlung drangen, sie dieselbe
-Geringschätzung empfand wie ein überzeugter Naturarzt
-für die Pflaster und Schlafmittel der berufsmäßigen
-Doktoren. Was half's, das Evangelium vom verlorenen
-Sohn zu bekennen, wenn man das Herz nicht hatte zu
-tun, was jener israelitische Vater getan? Aber das war
-eben die Halbheit, die Willensschwäche, dasselbe, was
-Thilo die unangenehmen Abrechnungen von Woche zu
-Woche verschieben oder ihn zu der feigen Spritze greifen
-ließ, sobald es stärker in der Schulter bohrte, dasselbe,
-was ihn seine jüdische Großmutter verleugnen ließ, aus
-deren Mitgift doch die Vorwerke zurückgekauft, der englische
-Park und die nunmehr verfallenen Treibhäuser angelegt
-worden waren. Unbegreiflich! Hätte sie auch nur
-einen Tropfen des verpönten Blutes in den Adern gehabt,
-nie hätte sie's verleugnet. Ach, sie hatte sie gesehen,
-damals, in Livland, diese heimatlosen, jüdischen Leute,
-auf kleinen, öden Bahnhöfen gestrandet, im rieselnden
-Landregen oder in Glut und Staub zusammengekauert,
-<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a>
-gleich aufgescheuchten Nachttieren, denen plötzlich das
-Licht scharf und ohne Erbarmen in die Augen brennt.
-Diese Kinder, denen das bittere Leben schon so viel unkindliche
-Pfiffigkeit beigebracht hatte, diese engbrüstigen
-Männer, die etwas Weichzähes hatten, Geschöpfe, die
-sich zugleich anschmiegen und festklammern müssen, um
-zu bestehen; diese uralten Judenmütter, unbeweglich,
-ganz verwittert wie Steinbrüche; nicht ihr eigenes Alter,
-nein, all die tausend Jahre ihres Volkes schienen in ihre
-Runzeln eingezeichnet. Vor wenig Wochen saßen sie
-zwischen Kindern und Kindeskindern, am schöngedeckten
-Tisch, vor sich den heiligen Leuchter, den Kuchen und den
-Wein, und nun hockten sie hier, die Füße im Graben!
-Oh, ihr Wasser Babylons! Ein junger rothaariger Jude
-hatte traurig auf der Ziehharmonika gespielt. Und sie
-hatte sich so brennend gewünscht, ein großer Maler
-möchte das malen, wie sie es sah, den flimmernden Staub,
-die trostlose Landstraße, die Jammervollen da am
-Graben entlang. Aber hinter ihnen, riesengroß, geisterhaft,
-silberglühend in der gelben Mittagsglut, ein Kreuz,
-und unser Herr und Heiland daran, der die blutenden
-Hände von den Nägeln losgerissen hat und hinunterstreckt
-zu den Ausgewiesenen in unendlichem Jammer!
-Aber sie wurden verleugnet. Und verleugnen kam
-doch gleich nach verraten; ja, war's nicht noch schmählicher,
-so etwas Passives, Bequemes? Man hielt
-einfach den Mund, wo man hätte reden müssen, weiter
-nichts!</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a>
-Aber ihre eigenen kleinen Söhne dort oben &ndash; es kam
-ein kurzes, trockenes Aufschluchzen in ihre Kehle&nbsp;&ndash;, die
-sollten unberührt bleiben von der Welt. Sie sollten nur
-wahr sein und deshalb furchtlos, ganz ohne Furcht und
-darum wahr. Vertuschen, schweigen oder sagen: ich kenne
-ihn nicht &ndash; nein, das würde ihren Jungen unmöglich
-sein; da hatten ihre eigenen Vorfahren ein Wort mitzureden,
-die alten Niedersachsen, die lieber mit ihren
-toten heidnischen Brüdern verdammt sein wollten, als
-ohne sie himmlische Freuden gewinnen. Auf einen Augenblick
-sprühte der blaue Funken in ihren Augen auf, der
-die Kinder, wenn sie ihn erhaschten, eine fremde, ungezähmte
-Mama ahnen ließ, die ihren eigenen Weg
-ging, auf den so kleine Jungens nicht mitgenommen
-wurden.</p>
-
-<p>Wahr sein! Ach, nur das, nur das, alles andere legte
-sie gern in Gottes Hand, wollte heiter sein, nicht sorgen
-um den kommenden Tag, so wie die Freundinnen es ihr
-anempfohlen, deren tiefe Herzensruhe alles um sie her
-glättete und ganz einfach machte. Aber in dieser einen
-Sache, da mußte sie selber Posten stehen, zur Stelle sein
-mit Augen und Händen und ihrem ganzen Verstand;
-da galt der Spruch, der ihrem Wesen entsprach: Mensch,
-hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Denn sie wußte, wenn
-es später hiermit nicht stimmen sollte, würde sie nie vermögen,
-sich ein X für ein U zu machen, es als eine
-Schickung hinzunehmen, es dem allwissenden Gott in die
-Schuhe zu schieben, sozusagen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a>
-So ging sie auf und ab. Der lange Raum war halbdunkel,
-die Lampe über dem Teetisch machte nur die eine
-Ecke hell und heimlich. Aber die Blitze zerrissen die Nacht
-in immer kürzeren Intervallen. Unter ihrem Augenlid
-fing es wieder an zu zucken, das Kleid hing ihr schwer um
-die Glieder. Einmal griff sie nach dem Türpfosten und
-lehnte den Kopf auf den Arm, sekundenlang: wie mochte
-wohl Frauen zumute sein, die ruhevoll und ohne Zweifel
-den <em class="ge">anderen</em> entscheiden ließen und wußten, es würde
-gut sein, was er auch erwählte? So ein Mann wie ein
-großer schützender Baum! Solche Frauen mußten doch
-einen wunderbaren Frieden haben, so großen Frieden,
-daß die Werktage fast wie Sonntage wurden ... Oh, die
-dummen, schmerzhaft-süßen Gedanken, ganz matt wurde
-man davon; besser, sie nicht weiter zu spinnen.</p>
-
-<p>Neben ihr auf einem Gartentisch standen allerhand
-blühende Töpfe. Sie knipste ein wohlriechendes Geraniumblatt
-ab und steckte es an den Gürtel, die herbe
-Süße tat ihr wohl. Sie hatte so ganz verschwiegene Vorlieben
-unter den Blumen. Nun war wieder ein Lächeln
-in ihre Augen gekommen.</p>
-
-<p>Es schlug zehn. Da ging sie zu der erleuchteten Ecke.
-Mit ihren schönen ruhigen Händen zündete sie das
-Flämmchen unter dem Teewasser an, rückte Schüsseln
-und Blumen zurecht. Gleich würde die arme Brunislawa
-geschlüpft kommen und sich schüchtern und gewichtlos
-auf der Sofakante niederlassen, als hätte sie kein Recht
-dazu. So überbescheidene Menschen waren im Grunde
-<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a>
-doch nervenangreifend. Ja und nun in ein paar Minuten
-mußte der Wagen da sein.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Ali und Adallah waren, nachdem ihnen die Kleudchen
-Wasser gebracht, doch eingeschlafen. Aber nun wachten
-sie, ziemlich gleichzeitig, heiß und unruhig auf.</p>
-
-<p>Das Gewitter schien jetzt Ernst zu machen. Das war
-kein Wetterleuchten mehr, sondern scharfes, bläuliches
-Blitzen. Der Donner kam immer näher und die Stimme
-des Windes hatte etwas zornig Pfeifendes, ähnlich wie
-der Bulle, wenn er ganz böse war und den Kopf zwischen
-die Vorderfüße bohrte. Die Fensterflügel zerrten in den
-Haken, und irgendwo war ein Laden locker geworden und
-klappte mit jedem Windstoß. Man hörte Baumwipfel
-sausen, tief und unheilvoll, Blätter huschten am Fenster
-vorbei; dann war es wieder ganz schwarz. Einmal mischte
-sich auch Rädergeroll in das Donnern. Die Haustür ging,
-Pferde stampften. »Oooda&nbsp;&ndash;« das war Dralles Stimme,
-die Braunen wollten nicht stehen bei dem Blitzen.</p>
-
-<p>Die Kinder lagen steif unter ihren roten Wolldecken;
-der Wind fuhr ihnen abwechselnd heiß und kühl über die
-Haare. Oh, wenn sie doch jetzt unten wären bei den
-Großen, die gewiß um den runden Tisch, bei Tee und
-Lampenlicht saßen und sich gar nicht fürchteten, oder im
-Stall, wo Fritz Dralle im Verschlag schlief und die
-Laterne im Pferdedunst zwinkerte und Erda in der
-Kiste lag, das Braune und das Gefleckte liebevoll umringelnd.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a>
-Die Blitze folgten einander rascher; der Donner kam
-jetzt krachend, fast gleichzeitig; das war nicht mehr das
-tiefe Löwengebrüll des Anfangs. Unten gingen Türen,
-man hörte Stimmen, Papa krähend aufgeregt, Tante
-Brunislawas unverkennbarer Klagelaut, so perlhuhnartig,
-und zwischendurch die Kleudchen wie eine besorgte, vernünftige
-Truthenne: knapp, knapp, knapp. »Ich werde
-selbst hinaufgehen,« das war Mamas weicher Alt,
-»komm auch du, Stanja,« und Papa: »Nein, nein,
-später,« und wieder Mama: »Doch, Thilo, heute.«</p>
-
-<p>Im selben Augenblick fuhr es blau zum Fenster herein;
-das Zimmer leuchtete hell auf, man sah jeden kleinen
-Riß in der Tapete; ein kurzes, scharfes Knistern, als ginge
-feines Glas entzwei, dem ein ohrenbetäubendes Knattern,
-eine hohe tückische Salve folgte; es roch seltsam schweflig.
-Aber nun prasselten schon die Regenmassen aufs Dach,
-in die Baumkronen hinein; sie wühlten den Kies auf; sie
-bildeten sofort eine Menge kleiner, aufgeregter Ströme,
-die über die Terrasse liefen, immer eiliger, immer
-wütender, die Brüstung entlang, bis sie Ritzen fanden,
-zu denen sie vereint wie Dachtraufen hinausschossen in
-den verdorrten, versengten Äpfelgarten hinunter.</p>
-
-<p>Adallah hatte aufgeschrien. Ali blickte wie versteint
-nach der Türe. Dort, mit übergehängter Joppe, stand
-Mama, blaß, mit feuchtem Haar, ihre Augen glänzten
-so sehr, sie lächelte. Würde sie sagen: »Ich glaube gar
-der Junge hat Angst?« Aber sie sagte nichts dergleichen,
-sie wandte sich zurück, ein Fremder stand hinter ihr.
-<a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a>
-»Siehst du, Stanja, deine kleinen Brüder sind wach,«
-sagte sie, »nun müßt ihr gleich Freundschaft schließen.«
-Ein langer, schlaksiger junger Mensch mit fahlem, kurzgeschorenem
-Haar ging verlegen von einem Bett zum
-anderen. Er murmelte »Guten Abend«, er lächelte,
-aber so als täte es ihm weh.</p>
-
-<p>»Gebt eurem Bruder einen Kuß,« sagte Mama, »denn
-ihr müßt euch sehr freuen, daß er wieder bei uns ist.«
-Ihre Hände klammerten sich um Alis Bettpfosten. Die
-Hände dort, in die sich nun die kleinen, zerkratzten Pfoten
-ihrer Kinder so zutraulich legten, sie hatten Menschenblut
-vergossen in tierischer Wut. Und bis es soweit kam,
-hatten sie anderes verübt, was die Menschen milder beurteilen
-und das Gesetz milder bestraft, und das ihr viel
-schrecklicher schien, weil es ihr unbegreiflicher war. War
-das nun ausgelöscht durch die Strafe? Oder blieb einer,
-der solcher Vergehen fähig war, dadurch gezeichnet für
-immer, zu einer Menschenschicht gehörig, die man bedauern,
-aber nie begreifen konnte? Und schlief vielleicht
-in ihren eigenen kleinen Söhnen ebenso giftiges Samenkorn
-und schlief sich nach Gottes Ratschluß zu Tode oder
-wachte plötzlich auf, mit unbändiger Triebkraft, wenn
-alles sicher und befestigt schien? Aber war das ein Grund,
-nachsichtiger zu urteilen, weil man selbst oder das eigene
-Fleisch und Blut ähnlich straucheln konnte? Wie die
-Menschen, die feige zu allem schweigen, um ihr eigenes
-Glashaus nicht zu zertrümmern. Was half Denken und
-Abwägen? Eines war gewiß: er hatte zahlen müssen mit
-<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a>
-dem, was am kostbarsten ist, mit der unwiederbringlichen
-Zeit, mit Sonne und Luft und dem Rausch freier Glieder
-in der Morgenfrische, dort in der Enge und dem Schweigen,
-bei grauer, eintöniger Arbeit, ohne Kameradschaft,
-ohne helles Ziel. Er hatte gezahlt mit langen Jahren der
-kurzen Jugendzeit und die vergrämten, alten Fältchen
-an seinem Mund waren die Quittung darüber. Aber was
-an ihr lag, das sollte geschehen, auf daß er noch einmal
-in Klarheit, ohne Vertuschen und gerade darum nicht
-ganz ohne Stolz, sein schweres Leben neu beginnen
-konnte; und wenn es ihn jetzt in weite Ferne führte,
-auch dort sollte er wissen, daß sie zu ihm stand in seinem
-neuen Leben.</p>
-
-<p>»Wo warst du denn die ganze Zeit?« fragte Adallah,
-dem der Fremde stumm und hilflos über den kleinen
-Hemdärmel strich.</p>
-
-<p>Der junge Mensch wurde rot, er murmelte den Namen
-einer fremden Stadt.</p>
-
-<p>»Stanja ist in einer Schule gewesen,« sagte Mama.
-»Wir Menschen müssen alle in die Schule. Aber nun hat
-er ausgelernt.« (Wie geschraubt das klang, dachte sie,
-gleich als sie's gesagt hatte.)</p>
-
-<p>»Bleibst du nun hier?« piepste Adallah weiter, dem
-sich schon berauschende Aussichten auftaten, Kombinationen
-von Stanja mit dem Kahn und Haselnußexpeditionen
-mit Stanja und dem Gefleckten.</p>
-
-<p>»Nein, morgen reise ich weiter,« sagte der neue Bruder.
-Er hatte eine verschleierte Stimme, die den Kindern
-<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a>
-wie ein fremdartiges Instrument vorkam; und es war
-da etwas Nettes mit seinen haselfarbenen, etwas schräg
-gestellten Augen, wenn er beim Lächeln das untere Lid
-so hochzog.</p>
-
-<p>»Ja, aber du kommst wieder und kommst oft wieder,
-und schließlich bleibst du da und wirst unsere rechte Hand.«
-Mama hatte ihr leises Mädchenlachen und wurde rot.
-»Du bist ja unser Ältester. Ja, mein Junge,« und sie legte
-ihm die Hand auf die Schulter und strich sanft an seinem
-Arm herab, und aus ihrer Handfläche schoß ein heißer
-Strahl zurück in ihr Herz, »ich habe mir nun einmal in
-den Kopf gesetzt, daß du ganz bald wiederkommst in dein
-Elternhaus. Wo auch deine liebe Mutter gelebt hat. Ja
-und siehst du, mir gehorcht man.«</p>
-
-<p>Der blasse Mensch lächelte wieder gequält, es war
-alles so freundlich gemeint, aber oh, beinahe sehnte er
-sich zurück, dorthin, woher er kam, wo er selbstverständlich
-war und dazu gehörte wie das eiserne Bett, der Schemel,
-der häßliche Blechkrug auf dem Tisch. Und sie fühlte es
-und quälte sich auch. Was half die beste Absicht &ndash; da
-waren eben noch Wunden. Es war, wie wenn man
-einem Schwerkranken sagt: So, nun schlafe schön, morgen
-ist dir besser; dann lächelten die Kranken auch so mühsam,
-um ihren guten Willen zu beweisen. Wund war alles;
-was man auch sagte, es war zu deutlich. Ach, ihre Hand
-war nicht leicht genug für so schwere Dinge!</p>
-
-<p>Sie wandte den Kopf dem offenen Fenster zu. Es
-hatte noch ein paarmal geblitzt, aber schwächer; der
-<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a>
-Donner klang weit ab, als habe das Ungetüm mit dem
-einen Schlag seine Wut verbraucht. Der Regen rauschte
-nieder in großen, ruhigen Wogen, ein unendlicher
-Segen.</p>
-
-<p>»Lieber Gott, der Roggen!« sagte Mama und horchte
-auf; ihr Mund bebte ein wenig. »Nun ist der Regen noch
-zur rechten Zeit gekommen.«</p>
-
-<p>Sie ging zum Fenster; sie lehnte sich hin, als wolle sie
-das Rauschen trinken, als sei sie selbst ganz ausgedörrt
-gewesen. Es war ihr lieb dazustehen, unbemerkt; so
-konnten ihre Augen die beiden brennenden Tränen zurücksaugen,
-ungesehen.</p>
-
-<p>Hinter ihr, bei den kleinen Betten, war nun ein Gewisper
-und Gekicher entstanden; sie merkte es wie im
-Traum. Und sie stand regungslos, ohne sich zu wenden;
-sie spürte, daß dort etwas vor sich ging, ganz außerhalb
-ihres guten Willens, etwas, das von Recht und Unrecht
-nicht wußte und nicht von Belohnen oder Verzeihen.
-Nein, ungerufen, sanft erobernd, wie das neue Gras
-hier früher und dort später die verdorrten Stellen durchbricht
-und belebt, heilend wie der Saft, aus der Wunde
-selbst bereitet, den Baumschnitt überzieht, daß er nicht
-faulen kann. Sie fühlte, sie konnte nichts dazu tun;
-aber abseits stehen, sich nicht drein mischen, nicht stören,
-das konnte sie. Demut! Sie hatte das Wort oft gebraucht,
-aber doch nur auf andere angewandt. Jetzt eben meinte
-sie, es in sich selbst zu erkennen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a>
-Diese ereignisvolle Nacht, die die Kinder im Halbwachen
-durchlebten, dieses Gemisch von Donner und
-Wagengeroll, die kurze Erscheinung des großen Bruders,
-der von nun an wie ein unsichtbarer Kriegsgott bei allen
-Abenteuern der Schiedsrichter war, und, fast ebenso erstaunlich,
-Mamas Erscheinen hier oben, ihr leiser Duft,
-ihre Stimme, wie von Regentröpfchen durchglitzert, als
-sie dort am Fenster lehnte, abseits, freundlich, schwach erhellt
-... das alles wurde für Ali und Adallah zu einem
-unauflöslichen Ganzen, wie Dinge, die man im Nebel
-gesehen, sich getrennt nicht vorstellen kann.</p>
-
-<p>Beinahe das allermerkwürdigste aber war, daß, als
-sie bei gleichmütigem Regenakkompagnement wieder
-allein lagen, Dralle im Gummimantel erschien, naß und
-wortkarg, aber doch wie ein rechter Himmelsbote, denn
-er hatte das Braune und das Gefleckte auf dem Arm,
-setzte dieselben auf die beiden Bettchen nieder und erklärte,
-es geschähe dies auf Befehl der gnädigen Frau.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a>
-Etüde</h2>
-
-
-<h3><a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a>
-<i>I</i></h3>
-
-<p>Wenn am Nachmittag die Sonne durch die Läden
-drang und goldene Leitern auf Tisch und Sessel
-malte, übte Amsel ihr Adagio. Anfangs ging es glatt,
-aber das war trügerisch, bald wurde es schwarz von kleinen
-wimmelnden Noten, die alle untergebracht sein mußten;
-da waren die schrecklichsten Fallstricke, sogar Triller im
-Baß, wie eingesperrte Brummfliegen. Aber sie arbeitete
-sich durch, wie ein Maulwurf durch lichtlose Gänge, und
-dann kam die Belohnung, das Allegretto: still gefaßt,
-auf feinen Füßchen, sah sich's versonnen um in dem
-dämmernden Raum, und irgendwie schien es den Ausdruck
-der Dinge umher zu haben, sich zu vermischen mit
-dem Duft der Herbstveilchen, mit dem sonngebleichten
-Gelb und Grau der Kretonnerosen; eine schöne, weiße
-Hand leuchtete auf, ein schleifender Schritt kam gegangen,
-ein Lachen war dabei, dunkel und zärtlich.</p>
-
-<p>Die feine, zerbrochene Seele, die über Amsels Kindheit
-wachte, kam seit Jahren an diesen winters so verlassenen
-Ort, wo für sie in den großen Alleen, vor den Säulen
-des weißen, langgestreckten Kurhauses, die Erinnerung
-wandelte, angetan mit der Krinoline des zweiten Kaiserreichs,
-jener Zeit, da alles jung und erwartungsvoll gewesen
-und sie selbst, die schöne Anselma, den Menschen
-ins Herz gedrungen war wie ein Wohlgeruch. Kalte
-Winde ließen sie erschauern, für den Süden aber fehlten
-ihr die Mittel, so kam sie, wenn der Herbst zu Ende ging,
-<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a>
-immer wieder in das stillgewordene Tal. Dann taten die
-großen Gasthäuser die Läden zu, in den Gärten roch es
-nach moderndem Laub, und auf den Wegen war es
-menschenleer, aber oh, so voll von Erinnerung. Sie
-paßte nicht mehr in Menschengewühl; Gespenster, ja,
-die drängten sich heran, aber wie sanft gingen die mit ihr
-um. Und mehr und mehr zog sie sich zurück; wie ein krankes
-Tier, fühlend, daß der Kampf zu Ende geht, sich unter
-Hecken in eine Mauerritze verkriecht in der stillen Anspruchslosigkeit
-des Todes.</p>
-
-<p>Schon zum viertenmal war sie in die Villa an der
-Berglehne eingezogen. Wie der Wasserfinder die Quelle,
-so spürte sie Häuser auf, die bessere Tage gekannt und
-nun, im Alter verwahrlost, einen eigenen Lockreiz hatten.
-Mit silbrigen Dächern, mit schönbemessenen Räumen und
-schlanken Fenstern hinter geflickten Marquisen, träumten
-sie in der Herbstsonne. Der Hausrat alt und fadenscheinig,
-die Kretonne gedemütigt durch allzuhäufige Wäsche;
-aber da waren noch schöngearbeitete Türschlösser, wie
-man sie nicht mehr macht, schmale Goldleisten faßten die
-Tapeten ein, Kamine warteten auf Winterabende, und
-hinter weißen Holzpaneelen, die kniehoch um die Wände
-liefen, raschelten die Mäuse. Alles aus einer Zeit, als die
-Häuser fein und zierlich und die Gärten groß waren, und
-die Menschen anmutig, aber ganz ohne Prunk den guten
-Dingen dieser Welt die Türen auftaten. Und wenn das
-gesternte Parkett in der Sonne knackte, ging ein Knistern
-alter Modenjournale durch die Zimmer und Erinnerung
-<a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a>
-an <i>Lavande ambrée</i>, von sachttretenden Dienern auf
-zischende Schaufeln getröpfelt. Hier standen noch Hortensien
-in grünen Holzkübeln und Fuchsien mit ihrem
-feinen Glockenspiel; auf die gefleckten Sandsteinstufen
-sanken Blätter und Beeren, Pappeln säuselten golden
-in der stillen Luft. Der nächste Sturm würde alles mitnehmen,
-aber noch waren die Tage warm, die Nächte
-gütig, und im Grase lagen süße, wurmstichige Birnchen,
-und die letzten Wespen nagten sich hinein, bis der erste
-Frost sie lähmte.</p>
-
-<p>An der Wand, gradüber dem Flügel, hing Tante
-Anselmas Jugendbild. Mit den leuchtenden, weich
-gleitenden Schultern, dem Grübchen in der Wange, dem
-kurzsichtigen, amüsierten Blick zwischen zusammengezogenen
-Lidern, in Spitzenwolken gehüllt, eine Garbe
-ziemlich unwahrscheinlicher Blumen im Arm, einer der
-schönsten unter den schimmernden Schwänen, wie sie
-einst, unnahbar und doch empfindsam, und alle mit einer
-leisen Familienähnlichkeit, aus Winterhalters Atelier
-hervorgerauscht kamen. Amsel starrte hinauf. Nun waren
-Wange und Kinn zart gewelkt, wie die Ränder der Malmaisonrose,
-die es so rasch verrät, ob sie am Tage vorher
-gepflückt ward. Aber das Grübchen war noch dasselbe,
-das kam und ging wie Sonnenflecken durch die leisklappenden
-Jalousien.</p>
-
-<p>Abends, wenn das Lampenlicht die Möbel streichelte
-und hier und dort ein Bildrahmen, ein Türschloß aufglühte,
-ließ Tante die graue Häkelei sinken und ging an
-<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a>
-den Flügel, auf dem das Bild der schönen, unglücklichen
-Großfürstin stand. Sie blinzelte ihr zu, während sie spielte,
-mit zurückgeneigtem Kopf, die Zigarette im Mundwinkel.
-Und es war, als ob Chopins feines Filigran mit dem
-Rauchgekräusel zusammenflöße, aufstiege in immer leichteren,
-immer durchsichtigeren Spiralen. Amsel saß an der
-Erde, die Hände um die Knie, und feine Klingen stachen
-ihr ins Herz; denn süß und zögernd ging die Melodie an
-ihr vorbei, und sie hätte bitten mögen: »Bleibe, bleibe,«
-aber schon war sie in breiterflutenden Gewässern untergegangen,
-Dinge, die wild und herrlich waren und vergangen
-sind, hoch aufrauschend von ritterlichem Opfermut
-und goldenem Leichtsinn ... nur zum Ende noch
-ein paar Takte wie am Anfang, Arme, die sich auftun,
-schüchtern flehend. Wie stand doch unter dem Marienbild,
-dort in dem kleinen Bergdorf: »Mein armes Kind,
-wo gehst du hin, weißt nicht, daß ich deine Mutter bin?«</p>
-
-<p>Tante Anselma ließ die Hände sinken; die große Müdigkeit
-war über sie gekommen. Stromab; wie leicht ist das,
-wenn man müde wird; und die Mündung war nicht
-mehr fern.</p>
-
-<p>Wenn sie dann wieder bei ihrem Buche saß, starrte
-Amsel darauf hin, ohne die Blätter zu wenden. Sie mußte
-an so vieles denken, was ihr Tante erzählt hatte und
-was da, während der Musik, an ihr Herz gepocht hatte,
-wie Zweige ans Fenster pochen, wenn der Wind geht:
-Tante als kleines Ding auf dem Schoß des großen Verbannten,
-inmitten feurig redender Männer und Frauen
-<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a>
-mit leidvollen, brennenden Augen. Da klirrten Waffen,
-da zogen Revolutionen dröhnend durch die Nacht. Und
-andere Menschenzüge wanderten, stumm, verzweifelt,
-endlos durch den Schnee, und neben jedem Mann stapfte
-eine Frau ... dann wieder Lichterglanz und Rauschen,
-und immer tönte Musik, wild oder zärtlich, wie hinter
-einem Vorhang. Die schöne Anselma ging durch große
-Menschenmengen, wie heute durch die Einsamkeit, fein
-und etwas spöttisch und ganz ohne Furcht, Verfolgten
-und Geächteten hatte sie Treue gehalten. Aber auch in
-die Mächtigen dieser Erde hatte sie ihr Vertrauen gesetzt
-und war nicht getäuscht worden. Folgte sie einer Witterung,
-wie Tiere und wilde Völker sie haben, die sie den
-einen zugänglichen Punkt in eisernen Herzen finden ließ?</p>
-
-<p>Ganz jung war sie mit Onkel verheiratet worden, und
-mit ihm hatte sie wohl so manches durchgemacht. Zeitweise
-mußten sie auf das verwahrloste Gut ziehen, von
-dem die alte Kammerfrau noch heute mit Schaudern
-sprach. Dann lagen ihre Perlen auf dem Leihhaus, ja
-schließlich kamen sie nicht wieder. Vor ein paar Jahren
-war Onkel noch einmal aufgetaucht; elegant und verwittert
-und etwas kreuzlahm, mit großen Saphiren an
-den nikotingelben Fingern und der ganzen überströmenden
-Galanterie des schlechten Gewissens. Man saß bei
-Tische, die Kerzen knisterten, die Malmaisonrosen, die er
-gekauft hatte, in ihrer Mitte. »<i>Votre fleur, chère
-amie</i>,« sagte er, und Amsel wand sich; wozu sprach er
-eigentlich französisch, er schnurrte das R so, dann war er
-<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a>
-ihr erst ganz antipathisch. Von Biarritz erzählte er, von
-Monte Carlo und den »<i>potins de Florence</i>«, denn jeden
-Winter war er an einem anderen Ort. Tante sah geistesabwesend
-vor sich hin; es war doch seltsam, dieser fremde
-Mensch, dessen Namen sie trug ... Aber voller Fürsorge
-war sie doch, konnte sich nicht genug tun an Aufmerksamkeiten
-für seine Gesundheit und sein Behagen. »Der
-Arme,« sagte sie, »er hat sich sehr verändert, und es hat
-etwas Schmerzliches, wenn jemand so begnügsam geworden
-ist, der früher so verwöhnt war. Ach und etwas
-Nachsicht und Fürsorge, <em class="ge">das</em> Kleingeld hat man ja immer
-übrig. Den andern freut es, und er hält es für gutes Gold.
-Nun, Gott verzeih uns allen.« Es lag ihr nun einmal
-nicht, mit jemand abzurechnen, mit dem sie auch nur eine
-gute Stunde verlebt hatte. »Es ist so schrecklich umständlich,
-Buch zu führen über Recht und Unrecht,« sagte sie;
-»das ist eine Arbeit, die ich gern unserem Herrgott überlasse.«</p>
-
-<p>Nun aber kam Onkel nicht mehr. Tante ließ alljährlich
-eine Messe für ihn lesen, und es war aus irgendeinem
-Album ein Bild von ihm auferstanden, aus seiner schönen
-Zeit, als <i>beau ténébreux</i> an einer Säule lehnend, halb
-Taschenspieler, halb Fürst der Finsternis. Wenig Bekannte
-nur drangen in ihre Einsamkeit; ein paar alte
-Russinnen, die hier das ganze Jahr verbrachten, waren
-die Getreuesten. Ihr Haus lag rosenumsponnen über den
-großen Klosterwiesen, eingenistet in dem verwilderten
-Garten, in Tulpenbäumen und Linden und riesenhaftem
-<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a>
-Azaleengebüsch. Ewig froren sie, und im Salon flackerte
-zu allen Jahreszeiten das Feuer im Kamin. Man konnte
-sich kaum zu ihnen durchwinden vor fürstlichen Andenken:
-Malachittischchen und gestickte Wandschirme und lebensgroße
-Katzen aus Porzellan. Die Luft war blau von
-Zigaretten, und es wurden Bonbonnieren herumgereicht,
-unerhörte Pariser Fondants, die wie Taufkinder in gepolsterten
-Atlasschachteln lagen, rosa oder strohgelb oder
-pistaziengrün. Dort traf man bejahrte Diplomaten,
-wichtig und geschwollen, voll dunkler Rankünen und einer
-Fülle einbalsamierter Anekdoten. Oh, wie schnatterten
-die alten Russinnen und stießen kleine Schreie aus wie
-teilnahmsvolle Papageien und nannten einander beim
-Vatersnamen wie in den Büchern von Tourguénief, und
-immer die Zigarette im welken Mund, die Lippen vom
-ewigen Rauchen schlaff geworden, wie bei den drei
-Spinnerinnen im Märchen, redeten sie von Politik und
-Liebe und Verstorbenen. Amsel saß derweil über juchtenlederne
-Albums gebückt und besah sich die Menschen, wie sie
-früher ausgesehen hatten; Herren, romantisch schmerzlich
-mit ihren Vatermördern und schwarzen Halsbinden, den
-Zylinder in die Hüfte gestemmt, ein ganzes Adagio im
-Blick; und feine Frauen in seidenen Krinolinkleidern,
-wie die Püppchen, die man aus umgestülpten Mohnblumen
-macht; elegisch über Balustraden gelehnt,
-eine Weintraube essend: kleine erlöschende Gespenster,
-die in den alten duftenden Büchern langsam vergilbten.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a>
-Wenn sie dann wieder daheim waren, konnte es nichts
-Schöneres geben, als wenn Tante »Albumgeschichten« erzählte,
-gerade jetzt, wo es früh dunkelte. Draußen seufzten
-die Pappeln; die Moderateurlampe stand milde auf dem
-Tisch, von den Rosen löste sich ab und zu ein Blatt, und
-in der Lampe fiel, still und zuverlässig, ein Tropfen Öl
-in den Behälter. In ihrem Schein liefen Herbstmotten
-über den Tisch, die winzigen, perlmutternen und die großen
-mit weißen Pelzröckchen und Gesichtern wie kleine Eulen.
-Dann erzählte Tante. Und wie sie erzählte, wurden
-Länder und Bauten zu etwas zauberisch Kleidsamem,
-in dem sie herumging, jung und fremd, und war doch wie
-beim Träumen ganz selbstverständlich, sie durch die fernen
-Perspektiven kommen und schwinden zu sehen. Da war
-Venedig. »Dort sitzt die Markuskirche wie eine große
-goldene Henne,« sagte sie. Und Amsel sah alles in Gedanken,
-sah die braungoldenen Tiefen, wo die Säulen
-wie Orgeltöne aufsteigen und wieder verschwimmen in
-Weihrauchblau und Schatten, all das wimmelnde,
-traumartige Gehen und Stehen der Menschen, sanftbewegt
-wie Algen auf dem Meeresgrund. Draußen
-auf dem Platz war Musik. Da saß Tante in einem
-weißen Kleid mit vielen schwarzen Samtbändchen
-benäht und aß Eis mit den jungen österreichischen Offizieren,
-die so fabelhaft dünne Taillen hatten. Rauschende,
-wiegende Musik. Und Kähne kamen von den Inseln, mit
-Melonen und Trauben und Paradiesäpfeln ganz beladen,
-tief schwammen sie im Wasser, und andere, aus
-<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a>
-Murano, mit farbig glitzernden Glasperlen, hineingeschüttet
-wie Sand. Einer zog langsam vorüber, mit einer
-gehäuften Last von schwarzem Schmelz und Flitter &ndash;
-wie funkelte das traurig-prächtig. Wie der Tribut einer
-trauernden Königin sei es gewesen.</p>
-
-<p>Compiègne! Die mächtigen Alleen, die am Ende zusammenliefen
-in einem grüngoldenen Punkt; die uralten
-Bäume bilden ein Gewölbe, unter dem Tante mit
-der schönen Kaiserin fährt. Beide in bauschenden Kleidern,
-mit gestickten Bolerojäckchen, winzige Barettchen auf dem
-schweren Haar, eine Feder wallt ins Genick. So, immer
-die breite, dämmrige Allee hinunter, trott, trott, mit
-schweren, glänzenden Karossiers in den grüngoldenen
-Punkt hinein. Dort, in der Sonne, träumt der schlanke
-Pavillon, mit Bildern berühmter Jägerinnen in den
-Stuck der Wände eingelassen; dort liest der feine, ironische
-Schriftsteller seine Novellen vor; Sehnen und Entsagen,
-wie kühl, wie knapp in Worte gekleidet ... Manchmal
-kommt auch der Kaiser. Fett und müde, mit schweren
-Augenlidern, man wußte nie, schlief er oder hörte er zu.
-Aber immer ritterlich und voll behäbiger Grazie.</p>
-
-<p>Andere Bilder. Tante in Galizien. Um zu sparen. Das
-war auch eine Abwechslung. Nachher konnten wieder
-Smaragden und Brüsseler Spitzen an die Reihe kommen.
-Ihr war das Lumpenleben recht &ndash; sie lachte zu allem.
-Nur mit der Leibwäsche, ach Gott, ja, da war sie wohl
-sehr verwöhnt. Madame Céline flickte und stopfte, es
-war so fein, so mürbe. Und dann, daß sie immer Blumen
-<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a>
-haben mußte, auch im Winter ... Aber sonst? »Du lieber
-Gott,« sagte Madame Céline, »Madame gab ja alles her.
-Es kam ihr nicht darauf an, immer dasselbe zu tragen.
-Wenn sie dann den Hals so reckte, was ihr die Leute als
-Hochmut auslegten, aber es war doch nur, weil sie kurzsichtig
-war &ndash; und groß und schlank in einen Salon hereinglitt
-&ndash; <i>une déesse, quoi?</i> &ndash; wer dachte da an Kleider!«</p>
-
-<p>Das Leben auf dem Gute, mit den Tanten, war ein
-Hauptthema für Madame Céline. »<i>Ah le vilain pays,
-mademoiselle</i>,« klagte die kleine Französin mit dem verwitterten
-Gesicht, den rastlosen Augen, dem glatten,
-korrekten <i>Veuve-d'employé</i>-Kleide: »Nichts als Stoppeln
-und Sümpfe und <i>la boue haut comme çà</i>. Weiden
-standen an den Landstraßen, schwarz von Krähen. Wie
-sie schrien, die Unglücksvögel. Das Haus, nur ein Stockwerk,
-aber lang wie eine Schlange. Wenn Madame
-klingelte, mußte ich erst durch sechs andere Zimmer, alle
-gingen ineinander wie ein Korridor. <i>Le palais des taupes,
-quoi!</i> Gott, wie es da aussah. Überall lagen die Tanten
-herum, auf allen Sofas, <i>des vieilles avec des burnous</i>,
-mit gelben Babuschen an den bloßen Füßen und die
-Hände voll kostbarer Ringe &ndash; und die Nägel gelb von
-Tabak. Denn immer wickelten sie Zigaretten und spielten
-Patience, schon am Vormittag. <i>Et toujours un tas de
-petits chiens</i> &ndash; unter den Plümos, es war wie Erdbeben.
-Oder sie schlampten im Garten herum in Frisierjacken
-und Papilloten und pflückten Beeren; dann wurde
-Saft gekocht oder Gurkenwasser gegen die Sommersprossen.
-<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a>
-War das nun ein Milieu für meine junge Dame,
-die an allen Höfen Regen und Sonnenschein gemacht
-hat und in allen Sprachen korrespondierte <i>avec des
-personnages illustres</i>? Aber der Engel, sie lachte nur.
-Abends stieg sie gern auf eine Anhöhe, wo eine Windmühle
-war; da stand sie, und ihr Kleid wehte ... man
-sah so weit ins Land, der Himmel war wie eine Feuersbrunst,
-die Fohlen liefen herum mit wilden Mähnen.
-<i>C'est beau</i>, sagte Madame. Nun ich konnte mir Schöneres
-denken, so ein Apriltag auf den Boulevards, wenn's
-eben noch geregnet hat, aber die Sonne scheint aufs nasse
-Pflaster, und die Blumenkarren mit Veilchen duften so
-frisch ... Ich wäre dort an Melancholie gestorben, wenn
-nicht der Bücherschrank gewesen wäre. Er roch nach
-Schimmel, der Atem verging einem, wenn man aufschloß.
-In dem einen Sommer las ich zweiunddreißig
-Bände Paul de Kock. Er rettete mich vor Tiefsinn. Kein
-Wort verstand ich, was diese Wilden sprachen. Die Mädchen
-gingen mit bloßen Beinen und hatten Ketten aus
-Vogelbeeren um den Hals, aber die Betten wurden von
-Männern gemacht; struppig waren sie <i>comme le père
-Noël</i> und hatten außer ihren gestickten Hemden auch
-nichts Nennenswertes an. Es war ja tief drinnen in dem
-barbarischen Lande, <i>sur la route de Varsovie</i>. <i>Si mademoiselle
-voulait se tolurner un peu</i>,« sagte Madame
-Céline, denn sie probierte Amsel ein neues Kleid an,
-aber die Stecknadeln in ihrem Munde hinderten nicht
-ihren Redefluß.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a>
-»Am Nachmittag,« fuhr sie fort, »kamen die Nachbarn,
-geritten und gefahren. Dann fuhren die Damen aus dem
-Mittagsschlaf, <i>avec des cris de paon</i>, und zogen sich
-endlich an. Das waren kuriose Toiletten. Aber meine
-junge Dame war immer duftig, und wenn ich die Nacht
-hätte durchbügeln müssen. Damals trug man Mullkleider
-mit Volants, so etagenweis bis oben ... Sie sah aus
-wie eine Glockenblume aus &rsaquo;<i>fleurs animées</i>&lsaquo;. Dann gab
-es Tee und Framboise und zwanzigerlei Konfitüren, und
-Melonen, nie sah ich solche Melonen. Die Damen schrieben
-einander Rezepte ab. Wenn dann die Lampen kamen,
-wurden die Karten geholt, sie spielten die halbe Nacht
-durch. Oft flogen Fledermäuse herein, ich hätte geschrien
-vor Angst, aber die Alten banden sich Antimakassars um
-die Köpfe und spielten ruhig weiter; das gab Schattenbilder
-an der Wand, die reinen Hexen; aber sie blieben
-totenernst dabei. Ihre Tante langweilte das ewige
-Kartenspielen, sie setzte sich an den Flügel, <i>un Erard
-passablement vermoulu</i>, dann sahen die alten Damen
-von den Karten auf und nickten den Takt mit den Köpfen.
-&rsaquo;<i>Ah, Beethoven, il n'y a que çà</i>&lsaquo; &ndash; sagten sie. Aber wenn
-sie Chopin spielte, weinten sie, denn sie hatten ihn alle
-geliebt und an seinem Sterbebett gesessen. Junge Herren
-kamen auch, sie lagen Ihrer Tante zu Füßen, wie auch
-konnte es anders sein! Da war der Stefan Czartorisky,
-Gott, wie distinguiert, <i>des pieds d'enfant et toujours
-le mot pour rire</i>. Wir alle beteten ihn an. Aber er hatte
-eine viel ältere Frau, eine häßliche Viper, sie verklatschte
-<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a>
-meinen Engel, und da gab es dann <i>des embêtements
-avec Monsieur le comte</i> ... Zum Herbst wurde es ganz
-einsam, die Wege waren ein Morast. Da saßen sie dann
-im Salon und stickten auf Stramin, Rosen und Pensees,
-ich seh' das Muster noch, <i>un vrai cauchemar</i>; &rsaquo;<i>c'est un
-peu monotone, ma pauvre Céline</i>,&lsaquo; sagte Madame, wenn
-ich alles wieder auftrennen mußte, denn mit Handarbeiten
-ist sie nie ein Held gewesen. Gott, sie war noch
-so jung. Man mußte sie lachen hören ... Ja, damals
-waren Sie noch gar nicht auf der Welt!&nbsp;...«</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Amsels Erziehung war, nächst dem Gott Zufall, einer
-Reihe mehr oder minder verdienstvoller Fräuleins anvertraut,
-deren Kommen und Gehen durch den Wechsel
-des Aufenthalts bedingt war, aber auch durch plötzliche
-Erkenntnisblitze, daß Tantes Mitleid ihrer Menschenkenntnis
-Dunst vorgemacht hatte. Eine Deutsche, bieder
-und schwärmerisch, die in Amsels Erinnerung mit dem
-Lied von der Glocke und einer fürchterlichen Brosche aus
-Elfenbein verschmolz, denn beim Hersagen jener ebenso
-unsterblichen wie langatmigen Dichtung hatte sie immer,
-wie der Vogel auf die Schlange, dorthin gestarrt. Einmal
-gastierte auch eine Pariserin mit dünner Taille und kleinen
-Füßen. Mit ihrem schmalen Kopf, ihren schwarzen, zusammengewachsenen
-Augenbrauen, saß sie wie ein gereizter
-Schwan, der gleich beißen wird, hinter den
-Büchern. Aber sie verschwand meteorartig. »Der himmlische
-Akzent war Schuld,« hörte Amsel Tante sagen, »der
-<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a>
-ist für mich wie für den Schweizer der Kuhreigen.« Nach
-ihr kam ein Fräulein aus dem Waadtland, mit flachem,
-kalvinistischem Strohhut und hüpfender Intonation, die
-an Heimweh litt. Sie erzählte vom Pasteur und dessen
-Sohn, <i>le missionnaire, un jeune homme si bon, si doué</i>,
-und wie sie zusammen im Frühling in die Berge zogen
-»<i>pour cueillir la gentiane</i>«. Durch diese junge Helvetierin
-wurde Amsel mit der ebenso vortrefflichen wie findigen
-Familie des Robinson Suisse bekannt. Nichts brachte
-diese Menschen außer Fassung. Denn immer, im kritischen
-Augenblick, spürten sie die außergewöhnlichsten Dinge
-auf, um ihren Hunger zu stillen, eßbare Ameisen, Stachelschweine
-und Schildkröten, oder auch Faultiere, die wie
-Räucherwaren stumpfsinnig an ihrem Aste hängen blieben,
-bis sie gebraucht wurden; von unerhörten Früchten zu
-schweigen, die den Nährwert der Kartoffel mit dem
-Wohlgeruch der Ananas verbanden. Man brauchte um
-das leibliche Wohl der Familie wirklich nicht bange zu
-sein. Aber auch für geistige Stärkung sorgte der Himmel.
-Denn im Augenblick tiefster seelischer Depression, als sie
-mit ihrem Schicksal zu hadern begannen, kam von dem
-unerschöpflichen Wrack eine Bibel angeschwommen. Beschämt
-sanken sie am Strande auf die Knie, und Vater
-Robinson sprach ein Dankgebet. Und das alles in tadellosem
-Passé Défini vorgetragen! Ja, es war beinahe zu
-viel der Tugendhaftigkeit, so als ob einer Lebertran einnähme
-und dazu auch noch lächeln würde.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p><a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a>
-Die alten Bäume in der Allee waren braun geworden,
-kleine Buben in gestrickten Mützen suchten Eicheln im
-dürren Laub, und auf den Klosterwiesen, wo die Laienschwestern,
-großen Elstern gleich, das letzte Grumt geharkt
-hatten, standen nun die Herbstzeitlosen, blaß und
-zerbrechlich. Der blaue Dunst, der klares Wetter verhieß,
-schlug morgens in glitzernden Tröpfchen an den Fensterscheiben
-nieder. Der Herbst war milde hier, der Winter
-kurz; nur einmal ausschlafen wollte die Erde, nach all
-dem Blühen und Schenken; bald, schon im Februar, fing
-es wieder an zu wispern und zu keimen.</p>
-
-<p>Tante sah still in die Luft. Hier hatte sie als junge leichtherzige
-Frau gute Tage erlebt und dann noch einmal,
-ein paar Jahre später, als das ganz große Glück Besitz
-nahm von ihrem Geist, ihren Gliedern, von jedem seligen
-Tropfen Bluts. Ach, gut war es gewesen, gut!</p>
-
-<p>Auf der Promenade hatten die kleinen, eleganten
-Buden geschlossen, nur der Mann mit den böhmischen
-Gläsern und der Mann mit den Kuckucksuhren saßen noch
-hinter ihren Waren wie verklammte Vögel. Und der alte
-Tiroler mit dem Quastenhut und seine stattliche Frau,
-die allen Fürstlichkeiten der Erde Handschuh anprobiert
-hatte, waren auch noch da, aber sie packten ihre Schachteln
-zusammen. Vor der Bude standen Tisch und Stühle, die
-Blumenverkäuferin kam mit Herbstveilchen und den
-kleinen, ausdauernden Monatsrosen. Tante schwatzte mit
-ihr. Es ging immer gemütlich zu, wenn sie dabei war,
-das leichte Blut ihrer süddeutschen Mutter redete seine
-<a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a>
-Sprache. »Wenn ich nur wüßte, warum es oft bei herzensguten
-und gar nicht dummen Menschen so furchtbar langweilig
-zugeht,« sagte sie. »Ich schwör' dir, Amsel, ich
-wollt' den Kaiser mit unserer Frau Schwämmle zu einem
-Kaffee bitten und die Stimmung sollte großartig sein.
-Man muß sich nur fest einbilden, daß man sich für die
-Antworten der Menschen interessiert, und das Kuriose ist,
-daß man es dann schließlich wirklich tut. Und ob's nun
-ein König ist oder eine Waschfrau, alle brauchen sie halt
-Verständnis, aber sie merken's ganz genau, ob es echt
-ist oder nur so Getu. Wenn ich vier Wochen lang Königin
-wär', ich sag' dir, ich wollte die Leute königstoll machen.«</p>
-
-<p>Das Kurhaus lag weiß und langgestreckt im Nachmittagslicht.
-Tante ging hin und her, blieb manchmal
-stehen. Sie sah da wohl mehr, als für andere zu sehen
-war. Dort, unter dem »russischen Baum«, hatte sie oft
-mit den Cousinen gesessen. Sie spielten Domino mit dem
-alten galanten Staatsmann, und die Adjutanten des
-Königs stellten sich dazu, schlanke, preußische Tannen,
-und gaben Ratschläge, denn die alten Russinnen nahmen
-es furchtbar ernst mit dem Spiel.</p>
-
-<p>Hier traf sich die Jugend zu Fahrten und Landpartien
-nach alten Jagdschlößchen und Ruinen, wo man auf
-Türme stieg und in die schauernden Wälder niedersah
-und weit in die Ebene, die glitzernde, in Sonne und
-Dunst. In <i>Char à bancs</i> und englischen Mailcoaches, vier-
-und sechsspännig, ging es los. Sie saß meist auf dem Bock
-neben dem dicken, rothalsigen Mister Tomlinson, der
-<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a>
-seines zarten Töchterchens wegen hier lebte ... Es war
-ein fast traumhaftes Gefühl des Ausruhens neben dem
-vierschrötigen Riesen. Einmal waren sie in ein Wagenknäuel
-geraten, die Pferde bäumten sich, alles schrie
-und fluchte. Der starke Mann neben ihr zupfte kaum ein
-wenig an den Zügeln, und seine kleinen, hellblauen
-Augen blitzten in dem ziegelroten Gesicht. »<i>Sit tight,
-you are quite safe, little girl</i>,« hatte er gesagt, denn in
-ihrer holden Jugendschlankheit kam sie ihm kaum älter
-vor als sein eigenes kleines Mädchen. Und dann zwang
-er die vier Pferde mit unmerklicher Gewalt, rückwärts
-zu treten, und schon hatte sich das Chaos entwirrt. Ihr
-war gar nicht bang gewesen, eher schläfrig; wenn er
-dabei war, fühlte sie sich geborgen wie einst als Kind in
-ihrem kleinen Gitterbett. Ach, wie gut war das Leben!
-An Rebenhügeln ging die Straße vorbei, die blauen,
-duftbestäubten Trauben wurden geerntet. Hübsche, sonnverbrannte
-Mädchen lachten unter roten und gelben
-Kopftüchern. Zwischen den Weinstöcken ragte ein großes
-graues Kruzifix in die Luft, und die Leute setzten ihre
-schweren Butten zu seinen Füßen und wischten sich den
-Schweiß von Hals und Stirne. Manchmal fuhr man im
-Tal, das Flüßchen hinauf, bis zu dem Wasserfall, wo es
-Forellen gab und säuerlichen Landwein. Wie flammten
-die Bauerngärtchen, Rosenstöcke ganz beladen, Kapuzinerkresse
-und blaue Winden in luftigem Gerank; große reife
-Kürbisse lagen in der Sonne, und unter den Dächern
-hingen Girlanden von Welschkorn. Aber von den Wiesen
-<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a>
-kam der Geruch vom zweiten Schnitt, der so scharf ins
-Herz greift, wie Anklammern an ein letztes Glück, und
-über den Höhen lag Dunst, damals wie heute der Bote
-milder Tage.</p>
-
-<p>Sie hatte das alles ganz unbewußt geschaut und in
-die Scheuern gesammelt; heute zehrte sie davon. An
-Abende dachte sie zurück bei der berühmten Sängerin,
-die sich in einem Seitental, von Erlen umdämmert, einen
-kleinen Musiktempel erbaut hatte. Mit halbgebrochener
-Stimme trug sie die alten feierlichen Arien vor. Ihre
-großen, furchtlosen Gebärden, ja ihre düstere Häßlichkeit
-paßten zu der Meisterschaft, mit der sie Licht und Schatten
-breit und unbekümmert hinwarf. Oder sie sang spanische
-Volkslieder mit ihren Töchtern, jungen, mageren Geschöpfen,
-bräunlich wie Hindumädchen, aneinandergelehnt
-... Wie das von ihren Lippen kam, die heiseren
-Rufe des Maultiertreibers, der langgezogene Schrei des
-Melonenverkäufers; und die Mutter am Klavier, die
-mit dunkler Stimme ihren Part mehr knurrte als sang ...
-Zerstoben, verstummt. Wer konnte sie noch singen, diese
-schmerzlich gefaßten Rezitative in königlichem Faltenwurf,
-diese gramvollen Arien, in denen es wetterleuchtet
-von niedergepreßtem Gefühl? Der kleine Musiktempel
-war abgerissen, das Wohnhaus in andere verbaut, die
-Bäume gefällt. Und daneben, wo der verbannte Dichter
-wohnte, einer der vielen seines Landes, die verfolgt
-wurden um der Gerechtigkeit willen; ja, das Haus war
-noch da, aber tot, mit geschlossenen Läden, die Wege
-<a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a>
-von Moos übersponnen, stand es zwischen großen
-Platanen über dem kleinen Gehölz, wo im Mai die
-Nachtigallen im Faulbaum schluchzten. Und sie dachte
-an den schönen, grauhaarigen Mann, wie er, weißgekleidet,
-mit schweren und doch weichen Schritten, einem
-guten Bernhardinerhund ähnlich, im Garten auf und
-ab ging, wenn in dem versumpften Erlenwäldchen, ihm
-zu Füßen, die Frösche quarrten. »<i>J'aime les grenouilles,
-ça me rappelle la Russie</i>,« sagte er. Oft plagte ihn die
-Gicht, dann ruhte er im Gartensaal zu ebener Erde, sein
-Fuß, zu einem unförmigen Bündel gewickelt, wie eine
-gekränkte Gottheit auf einem besonderen Taburett. Die
-Wände mit Büchern austapeziert, das still brennende
-Kamin und auf dem Tisch ein großer Strauß Heliotrop.
-Dazu rauchte er die kleinen blonden Papyros seiner
-Heimat und bekritzelte lange schmale Papierstreifen, die
-den Teppich bedeckten. Hier waren viele seiner Erzählungen
-entstanden, mit ihrem eigenen, ureigenen Duft
-wie von Frühlingswald und allerkostbarstem Tee. Aber
-nun hing am Gitter ein Plakat: Baustellen zu verkaufen.
-Wie lange würden sie hier noch rauschen, die Silberpappeln,
-die Birken und Platanen?</p>
-
-<p>Oh, wie hatten sie damals seine Bücher verschlungen,
-wie hatten sie geschwärmt, gehofft und prophezeit. Musik
-und Philosophie und Menschenrechte, alles wurde leidenschaftlich
-diskutiert; da war so vieles, das zum Licht begehrte,
-überall schäumten kleine Wirbel über dem tiefkochenden
-Meer. Und vieles war eingetroffen seither,
-<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a>
-was sie herbeigesehnt hatten, aber in plumperen Umrissen,
-mit Abzügen und Zugeständnissen, die ihrem
-kühnen Hoffen fremd gewesen. Denn verwirklichte Ideale
-sehen wohl immer aus wie die Stiefmutter, die den
-Schmuck der rechten Mutter trägt.</p>
-
-<p>Wo waren sie hin, die zarten, rastlosen Frauen, die
-sich im milden September zusammenfanden, wenn die
-Trauben so süß und die zweite Rosenblüte noch erlesener
-war als die, die der Juni beschert? Wenn Johann Strauß
-seine Walzer dirigierte, während am Nachthimmel große
-Raketenbündel hoch fuhren und knisternd niedersanken,
-goldener Hafer und blaue strahlende Sterne, zögernd,
-trauernd um die eigene kurzlebige Schönheit? Viele
-waren tot, ach, wer nannte sie noch? Andere lebten, fern
-von hier, von neuen Pflichten, neuen Generationen beschlagnahmt:
-Großmama, Nonna, <i>petite tante</i> ... Ach
-und jene Allersüßeste, Allerkostbarste, deren Herz überschäumte
-in Bewunderung alles Schönen, in leidenschaftlicher
-Abwehr aller Enge und Halbheit, sie lebte hinter
-Mauern; ja, lebte sie noch? Sie, deren göttlich schöne
-Füße die Bildhauer toll gemacht hatten, ging sie barfuß
-auf kalten Steinen? »<i>Diane vaincue</i>« hatten die Freundinnen
-sie genannt, nach einer tiefgelben Rose, die damals
-neu war; deren schmalen, bräunlichen Knospen sie
-ähnlich sah. Ach, Runzeln und Gebrechen paßten nicht zu
-ihr, wollte Gott, daß sie schon lange in irgendeinem totenstillen
-Klosterhof lag, wie eine Schmetterlingspuppe in
-ihre kleine braune Kutte gewickelt, dort, wo die Zikaden
-<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a>
-in der Mittagsglut sägen und der Lorbeer die Luft mit
-bitterem Dunst erfüllt!</p>
-
-<p>Ja, sie hatten sich alle mit dem Leben eingerichtet, so
-oder so, und da waren manche, denen das große Glück
-nie genaht war, oder die es nicht erkannt hatten, da waren
-auch die kleinen Hermeline, die nichts riskieren wollen.
-Aber viele hatte das Leben wissend gemacht. Und ab und
-zu hörten sie voneinander. Sie, die für Zukunftsmusik
-und Befreiung der Geknechteten geschwärmt, die über
-Tolstoi und Schopenhauer diskutiert hatten, als ginge es
-um ihr Leben, so edelmütig und verschwiegen in der
-Freundschaft, so weich und rückhaltlos in der Liebe ...
-»<i>Ma chère belle</i>,« so fingen ihre Briefe an; ja, aber nun
-mußten sie Brillen aufsetzen, um sie zu lesen.</p>
-
-<p>Das große Glück, das nur wenige finden; der einsame
-Weg, den nur wenige gehen! Ach, mit zitternder Hand
-griff sie ans Herz, den Mund gespannt in unvergeßlich
-süßer Qual: Mein Schmerz, mein Eigen! Und wenn sie
-die Augen schloß, spürte sie mit suchenden Nüstern Heuduft
-und Jasmin in der Sommernacht, spürte die kühle
-Glätte des Flügels, an den sie die Stirn gelehnt hatte &ndash;
-oh, wie oft&nbsp;&ndash;, damals, wenn er ihr mit leichter, fast
-knabenhafter Stimme die neuen Opern sang, welche zu
-jener Zeit die Welt aufwühlten und in feindliche Lager
-teilten. Ob unter seiner Leitung das Orchester zu einem
-großen, gebändigten Instrument wurde, einer Republik
-der Stimmen, von seines Blutes Rhythmus befeuert und
-gezügelt, oder ob sie beide, träumend, zuhörend, schweigend
-<a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a>
-genossen, es waren dieselben Schauer, es war dieselbe
-Weite und Enge, die sie im Herzen erlitten, eine
-Gemeinschaft, ein äußerstes Durchdringen, das den Menschen
-in dieser unfaßlichsten und doch körperlichsten aller
-Künste gegeben ist.</p>
-
-<p>Um sie her fielen die Kastanien ins gelbe Laub; unter
-der Säulenhalle war es leer, die Stühle aufeinander
-getürmt, leer der runde Musiktempel am Eingang. »<i>Si
-vous n'avez rien à me dire</i>« &ndash; oh, diese kleine zuckerige
-Melodie! Damals war sie neu, und man spielte sie zum
-Überdruß. Nun ging sie ihr auf einmal durch den Sinn,
-ein kleines betrübtes Gespenst. Sie fühlte ihre Augen
-brennen und wie ihr Mund sich verzog. Nach Hause, nach
-Hause, die Sonne wärmte nicht mehr.</p>
-
-
-<h3><i>II</i></h3>
-
-<p>Amsel war mit Madame Céline einkaufen gegangen.
-»<i>D'abord les petites brioches pour madame</i>,« sagte die
-kleine Französin. Der Sommerkonditor Romplemayère,
-wie Madame Céline es aussprach, hatte sein Zelt schon
-abgerissen, aber sein Rivale, der den märchenhaften
-Namen Schababerle trug, gleich dem Efeu bodenständig,
-überwinterte hier. Eigentlich müßte es umgekehrt sein,
-hatte Tante gesagt, denn sie fand, daß sie beide die Jahreszeit
-verwechselt hätten. Rumpelmaier war doch sicherlich
-ein Abkömmling von Rumpelstilzchen und paßte daher
-weit besser zu Schnee und Christbäumen und krausem
-<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a>
-Winterspuk als zu der <i>Côte d'Azur</i>. Während Schababerle,
-den konnte man sich nur mit einem Turban denken, wie
-er Sorbet und Limonaden bereitete, kühl-wohlig in der
-Sommerschwüle, und schließlich wurde er Pastetenbäcker
-des Kalifen und erhielt die jüngste Tochter des Großwesirs
-zur Frau.</p>
-
-<p>Sie gingen durch Gassen und Gäßchen, die den Berg
-hinaufkletterten, bis zum Schloß mit seinen Höfen und
-Brunnen und überdachten Treppchen und der großen
-Lindenterrasse. Die Tore waren verschlossen, die freundlichen,
-grauhaarigen Lakaien gingen nicht mehr aus und
-ein, und die Linden standen in einem Teppich raschelnder
-Blätter. Staffeln führten hinab zu kleinen Plätzen,
-wo im Dämmerlicht Brunnen rieselten, an sauberen
-Häusern vorbei mit Transparenten an den Fenstern,
-hinter denen Waisenratswitwen im Lehnstul saßen und
-sich nicht entschließen konnten Licht zu machen, ehe die
-Laterne an der Ecke brannte; so sahen sie vor sich hin,
-die Hände im Schoß, und sannen über das Alter des
-Kanarienvogels nach, ihr eigenes darüber vergessend.
-Kuriose Lädchen gab es hier, Althändler, in deren Schaufenster
-stockfleckige Lithographien verblichener Landesväter
-zwischen gestickten Klingelzügen und alten, gedemütigten
-Regenschirmen lächelten, daneben ein Sargtischler,
-der kleine Sargmodelle ausgestellt hatte, in verschiedener
-Ausstattung, wie für alle verstorbenen Puppen
-&ndash; geringe und vornehme &ndash; der Nachbarschaft. Beim
-Seifenhändler hingen die großen Altarkerzen aus gelbem
-<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a>
-Wachs, honigduftend, die in kühlen hallenden Kirchen
-von Sommergärten und summenden Bienenkörben
-erzählen, dazwischen die schlanken Kommunionskerzen,
-symbolisch umwunden mit Weinlaub und gläsernen
-Trauben, und am Griff ein kleines, steifes Spitzentuch
-für die kleinen zerkratzten Hände, die an diesem Tag
-in weißen Baumwollhandschuhchen prangen. Bei der
-Vogelhändlerin kamen sie vorbei, die in der offenen
-Ladentür saß, ein schwarzes Kaninchen im Schoß, und
-hinter ihr aus dunklen Ecken leises, unaufhörliches Trillern
-wie aus zarten Wasserpfeifen, das war wie im
-Märchen von Jorinde und Joringel und der bösen Zauberin.
-Zwischen Mauern ging der enge Weg hinab,
-über die hier und dort ein erfrorener Rosenzweig nickte,
-und Häuser, die auf der einen Seite einstöckig kauerten,
-ragten auf der anderen aus Abgründen. So denk' ich
-mir Capri, sagte Amsel.</p>
-
-<p>Als sie heimkehrten, stand Tante, in ihren großen Orenburger
-Schal gewickelt, am Fenster und sah nach ihr
-aus. Von den Pappeln segelten gelbe, herzförmige
-Blätter durch die Luft, Schneebeeren lagen weich und
-verregnet auf den Gartenwegen, bald würde nun der
-Winter kommen, auf Samtpfoten, eine große, weiche,
-weiße Katze.</p>
-
-<p>»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante. »Das
-alte Murmeltier und das kleine Murmeltier, eigentlich
-beneidenswerte Geschöpfe, so die ganze kalte Zeit zu
-verschlafen, so gut haben wir's nicht, und ein bißchen
-<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a>
-Französisch mußt du auch wieder treiben; der Mensch
-kann immer noch zulernen, und wenn er auch schon
-siebzehn Jahre alt ist.« Und ein paar Tage später sagte
-sie: »Ich habe Rächerchen gemacht, denn so sprach ich's
-als Kind aus, wenn ich meinem Vater vorlesen mußte;
-und nun hab' ich die Perle gefunden, eine schwarze Perle,
-denn sie ist Witwe, und nur Französinnen verstehen es,
-so gründlich Witwen zu sein, ich glaube, sie genießen
-das wie ein Moorbad; also, sie heißt Benoît und sieht
-aus wie ein Kokon aus Trauerkrepp, und ihr Seliger war
-auch Sprachlehrer, ja, sie sagte, er sei ein Vater der Syntax
-gewesen, und das ist doch gewiß eine Seltenheit.«</p>
-
-<p>So erschien denn Madame Veuve Benoît in ihrer
-ganzen überzeugenden Witwenhaftigkeit, in einem
-Trauerschal aus Kaschmir, ein düsteres Gebäude auf dem
-Haupt, von Schleiern umflutet. Am Arm hing ihr ein
-schwarzer Beutel, der ihre Lehrbücher enthielt, wie auch
-ein Flakon Melissengeist und ein Döschen mit Pastillen
-&ndash; <i>cachou des orateurs</i>. Und sie saß da wie eine weiße,
-fette, gutgepflegte Made in all dem raschelnden Krepp
-und hörte lächelnd, aber unbestechlich zu, wie Amsel
-mit Vokabeln rang, deren sie sich wohl nur selten in Gesprächen
-bedienen würde, <i>la pelouse</i> und <i>le bocage</i>, <i>le
-nénuphar</i>, <i>le guéridon</i> und <i>les brises embaumées</i>; oder
-über den unberechenbaren Seitensprüngen <i>des participe
-passé</i> nachsann, die der verewigte <i>professeur</i> in
-einem schmalen, aber inhaltsschweren Bande festgenagelt
-hatte, dessen Exerzitien Spaziergängen zwischen
-<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a>
-Fußangeln glichen. Zum Schluß wurde sie mit verdienstvollen,
-wenn auch keineswegs kurzweiligen Autoren
-bekannt gemacht, der gefrorenen Langeweile Racines,
-den Grabreden Bossuets &ndash; <i>Madame se meurt, Madame
-est morte</i> &ndash; und den »<i>Conseils à ma fille</i>«, die
-mit dem Satze schlossen: »<i>et maintenant, chère Sophie,
-pose ta plume et embrassons nous</i>«; aber auch mit Paul
-und Virginies träumerischem Dasein auf einem tapetenartigen
-Hintergrund von Palmen und Papageien, wo
-die Mütter des Liebespaars, der Lehren Jean Jacques
-Rousseaus eingedenk, ihre Kinder im Schatten des
-Brotbaums säugten, und später dann Virginies vorbildliche
-Schamhaftigkeit sie lieber ertrinken ließ, als sich
-den rettenden Armen eines nackten Matrosen anzuvertrauen.
-»<i>Une des plus admirables pages de la littérature
-française</i>,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme
-und nahm einen <i>cachou des orateurs</i>, und Amsel
-dachte: würde wohl auch Madame lieber ertrunken sein,
-in all dem nassen Krepp oder würde sie ... aber das
-war nicht auszudenken. Und Tante kam ins Zimmer
-mit ihrem schleifenden Schritt und sagte: »Gott, sind
-denn diese vortrefflichen Philister immer noch am Leben?
-Mit denen wurde ich ja auch schon geplagt.« Wenn
-es dunkelte, wurde Madame Veuve von Monsieur Jean
-Claude Benoît <i>junior</i> abgeholt, denn der Vater der Syntax
-war auch Vater eines einzigen Sohnes gewesen,
-eines trotz Brille und Bart mädchenhaften Jünglings,
-der mit einer Neigung zu Bronchialkatarrhen behaftet
-<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a>
-war. Und <i>ma mère</i> war in tausend Ängsten: »<i>Mon fils,
-as-tu mis tes mitaines? Et tes Caoutchoucs, et
-ton cachenez?</i>« Aber <em class="ge">er</em> sagte: »<i>Vous</i>« zu <i>ma mère</i>, und
-überhaupt verkehrten sie mit der ganzen <i>urbanité</i>, wie
-sie einst dem Hotel Rambouillet zur Zierde gereichte,
-und nie irrten sie sich im Gebrauch des <i>passé défini</i> oder
-des noch eindrucksvolleren <i>passé du subjonctif</i>. Ja,
-der Vater der Syntax konnte zufrieden sein mit seinen
-Werken.</p>
-
-<p>Wenn sie dann schließlich unter ihren Regenschirmen
-fortgeschwankt waren, ließ sich Tante in einen Sessel
-fallen und lachte, lachte, sie konnte nicht aufhören, es
-klang weich und dunkel und aus ihren zusammengekniffenen
-Augen flossen Tränen. »Wie eine wahnsinnige
-Turteltaube,« hatte eine Freundin von ihrem Lachen
-gesagt; es war ansteckend. Und Amsel sah darin ein
-neues Vorrecht, wie es einer heißangebeteten Tante
-und Patin zukam. Sie selbst fand all diese Menschen nur
-sehr kurios, wie sie in ihrem Leben auftauchten und
-wieder verschwanden, Silhouetten, in ein Schattenhaus
-zurück. Nur vor einem hatte sie eine an Abscheu
-grenzende Angst: eines dieser fremden Wesen könnte sie
-anrühren oder gar küssen. Denn sie besaß die tiefe, unnahbare
-Scheu der Ausschließlichen, Leidenschaftlichen.
-Nein, nur Tante durfte sie küssen. Ganz kalt wurde sie,
-zur Eisblume erstarrt, wenn die feinen Lippen sie berührten,
-die schöne Hand über ihr Haar strich. Und sie
-konnte vor sich hinträumen, Heldentaten ersinnen,
-<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a>
-Schmerzen und Geduldsproben, die sie für Tante
-bestehen würde, unerkannt, schweigend, in unbegreiflich
-süßer Pein.</p>
-
-
-<h3><i>III</i></h3>
-
-<p>Es war eine schöne Fahrt gewesen, ein letzter milder
-Tag, wie ein Geschenk über die Erde gekommen. Erst
-die Allee hinunter an den geschlossenen Gasthäusern, den
-schlafenden Villen, dann an bescheidenen Wirtschaften,
-an spielzeugartigen Schweizerhäuschen vorbei. Ein
-jedes spannte seine kleine Brücke über den seichten,
-plätschernden Bach, der hier flache grüne Ufer hatte.
-Dann weiter, am Kloster vorüber, durchs Dorf, immer
-vom Flüßchen begleitet, das durch die Wiesen schlüpfte,
-durch Garnbleichen und Sägemühlen. Und nun rechts
-hinauf, dem Landhaus zu, das einst den russischen Cousinen
-gehörte, wo das große, sengende Glück ihr Herz
-getroffen hatte. Tante war ausgestiegen, die paar Stufen
-hinauf bis an die Gittertür in der Hecke; nun hielt sie
-sich mit einer Hand am Gitter fest und sah, halb zurückgewendet,
-noch einmal hinunter in das liebe, nie vergessene
-Tal.</p>
-
-<p>Dort, im Grund, sandten kleine geduckte Häuser ihren
-Rauch empor; am Abhang, in den Wiesen, standen Nußbäume,
-halb entlaubt, Vögelchen schlüpften durch die
-Hecken, es roch nach Moos und Erde. Im Dunst schien
-sich alles zusammenzuschmiegen, so bescheiden und liebreich
-war ihr dies Land noch nie erschienen wie heut
-<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a>
-in seinen stillen braunen Farben, geduldig den Winter
-erwartend. Kein lauter Ton, nur das Gurgeln kleiner
-Rinnsale im Gras, auf denen rote und braune Blätter
-schwammen.</p>
-
-<p>Auf dem Fahrweg, der sich in weiter Kurve emporwand,
-waren Radspuren. Damals &ndash; wie kamen sie angefahren,
-die Freunde und die Fremden, zu dem immer
-fröhlichen Haus, wo sie bei den Cousinen den Sommer
-verbrachte. Den zweiten. Es waren Jahre vergangen,
-seit sie zum ersten Male hier gewesen, sie war feiner noch,
-ja, und auch härter geworden, wie ein gespannter
-Bogen hart ist; der erste weiche Duft war geschwunden
-von den Dingen und auch von ihr, und oft lag Erwartung
-in ihren Zügen, als sei ihr Herz hellhöriger
-geworden und horche auf irgend etwas, einen Ton, einen
-Schritt, den Hornruf des Glücks? Und ihr Mund konnte
-spöttisch sein damals, wenn ihre Augen zuviel gesagt
-hatten, und trotz aller Leichtlebigkeit war sie ein verschlossener
-Schrein. Und dann &ndash; o wie unabwendbar
-war das große Glück auf einmal da!</p>
-
-<p>Sie sah hinauf zu den hohen Glastüren des Musikzimmers,
-aus denen einst Lichterglanz strahlte und
-Akkorde hinausströmten, all das Unaussprechliche, das
-nur in Klängen Worte fand. Rosen hatten auf den
-Tischen gestanden, und zu den Türen herein atmete
-Jasmin von allen Büschen, aber auf den Wiesen wurde
-das erste Heu gemacht &ndash; Juniduft, unvergeßlicher! Und
-heute nun stand sie am Gitter, und es war ihr Haus
-<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a>
-nicht mehr. Der Spätherbst war im Land, aber sie
-witterte die vergangenen Sommer, sie suchte in der
-Luft nach den Harmonien, die seine zaubernden Hände,
-seine nur andeutende Stimme ihr ins Blut, in die Seele
-gedrängt hatten, bis Tag und Nacht zu einem einzigen,
-seligen Schlafwandeln geworden, jede Minute voll bis
-zum Rande. Bis eines Tags der eine Tropfen mehr ihr
-Herz zum Überfließen brachte. Ein Blick, eine Bewegung
-... ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, wie bei
-der Stelle in ihrer Lieblingssymphonie, wenn die Hörner
-einsetzen, leise erst und immer drängender, ach unerbittlich
-in ihrer Süßigkeit; da war nur eins, das
-dieser tiefen Pein Ruhe geben konnte: Hingabe. Denn
-wie der Durst nach Wasser, wie das Fieber nach
-Schlaf, so begehrt Liebe nach Erfüllung. Ihr ganzes
-Leben wollte sie ihm schenken, alles &ndash; und kein Ende;
-nie wieder hatte sie sich selber angehört.</p>
-
-<p>Aber an das Schwinden ihres Glücks dachte sie heute
-nicht mehr. Die Ammen streichen Bitteres auf die Brust,
-um die Kinder zu entwöhnen; so entwöhnt uns Leid
-und Verlust vom Leben. Aber, Herr Gott, sie hatte
-doch einmal alles besessen. Gewinnen, verlieren, was
-sollten die Worte? War er ihr nicht eben nahe gewesen?
-Nur eine große, hilflose Dankbarkeit erfüllte sie. Einen
-Augenblick sah sie hinauf und ihre Augen tranken ...
-tranken. Dann ging sie, ohne sich umzusehen, zum wartenden
-Wagen zurück.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a>
-Am selben Abend ließ sie den alten Badearzt rufen,
-den sie aus jener Zeit her kannte, der aber sonst nicht
-mehr praktizierte. Er blieb lange mit ihr allein. Dann
-bat er um Schreibzeug und setzte ein Telegramm auf.
-An den berühmten Mann in Heidelberg. Dabei putzte
-er sich heftig die Nase in ein großes rotseidenes Taschentuch.
-Er sah über die Brille Amsel lang und
-zweifelnd an, als wolle er reden. Aber er seufzte nur
-und ging.</p>
-
-<p>Der berühmte Mann kam und befahl Ruhe, als ob
-man bisher in einem Vergnügungstaumel gelebt hätte,
-und abends kam nun Schwester Ludovika und löste
-Madame Céline ab, die vom Aufsitzen und nächtlichen
-Kaffeetrinken elend war. Die Schwester war schlank
-und durchsichtig mit dunkelumwimperten Augen. »Wie
-Genovefas Hirschkuh,« meinte Tante. »Aber weißt du,
-Amsel, als Kind besaß ich einen Tintenwischer, der stellte
-eine Nonne dar, mit einer Menge Flanellröckchen &ndash;
-du verstehst &ndash; für die Federn, aber sonst nichts, und
-da dachte ich eigentlich, daß Nonnen gar keine Beine
-hätten.«</p>
-
-<p>Sie lachte mit den Augen und wandte den Kopf dem
-Licht zu; ihr Haar lag schwer und feucht auf den Kissen,
-im Lampenschein war die Stirne so klar nach den
-Qualen der Nacht. Als sei sie jünger geworden durch
-die Schmerzen.</p>
-
-<p>Amsel führte ihr Leben wie sonst, all ihre kleinen
-Pflichten, viel Warten und Harren. Flüsternde Stimmen
-<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a>
-legten sich ihr aufs Herz. Da war ein schimmernder
-Punkt am Ende des finstern Ganges: Hoffnung. Dorthin
-strebte sie, jeden Tag ein winziger Schritt. Aber
-manchmal sah sie das ferne Licht nicht mehr.</p>
-
-<p>Heut aber saß Tante endlich wieder im langen Zimmer,
-wo der Flügel war und das Kamin. Neben ihr die
-kleine Boulekommode, mit offenen Fächern; da waren
-so viele zusammengebundene Briefe. Am Nachmittag
-war Frau Schwämmle dagewesen, hatte köstliche Birnen
-gebracht und einen großen Busch Herbstastern. Zu
-solchen Visiten preßte sie sich in ein braunes Kaschmirkleid,
-und auf dem glatten Scheitel balancierte dann
-ein kleiner Kapotthut mit schwarzem, nickenden Hafer.
-»Püh,« sagte sie beim Eintreten und riß die Hutbänder
-unter dem Doppelkinn auf, denn sie war vollblütig und
-erzählte mit finsterer Genugtuung, daß alle in ihrer
-Familie am Schlagfluß stürben. In ihrer Waschküche
-mußte man sie hantieren sehen, in Wolken von Dampf
-und Seifenschaum, silberne Schweißtröpfchen auf der
-Oberlippe, den Niobebusen ausgebreitet in der rosa
-Kattunjacke, an der viele Knöpfe fehlten. Jedes Jahr
-kam ein Kind, nicht immer um zu bleiben. »Unser Vatter«
-war Droschkenkutscher. »Ja, der Deifel isch en Eichhörnle,«
-sagte sie, wenn sie neuen Zuwachs ankündigte.</p>
-
-<p>Tante hatte ein Briefpaket geöffnet, es stand eine
-Jahreszahl auf der Hülle, verschiedene Handschriften
-waren darin. Sie blätterte ein wenig, dann legte sie's
-auf die Glut; ein Kräuseln, ein Aufflammen &ndash; pht ...
-<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a>
-und nun war es nicht mehr. Und das Herz zog sich ihr
-zusammen, denn nun erst waren sie ganz tot, die ach so
-bescheidenen Toten, die nur noch leben vom leisen Atem
-der Erinnerung. Eigentlich eine Hinrichtung, als ließe
-man vor der Abreise einen alten Hund erschießen, damit
-er nicht in gleichgültige Hände falle. Manchmal zögerte
-sie, glättete die Seiten. Da war der englische Freund,
-der so resigniert und losgelöst über den Zeitverlust aller
-Politik, aller Ambitionen redete, der zart und unaufdringlich
-jeden ihrer Wünsche erriet und erfüllte. Sie
-hatte sich nichts dabei gedacht: sie ganz jung und leichtherzig,
-er so viel älter. Seine Fürsorge, seine väterlich-ironische
-Art: sie hatte alles für Spielerei gehalten. Und
-nun las sie: »<i>Oh don't be constant, for the fear of losing
-you is one of your greatest charms</i>« &ndash; und begriff
-(denn das Alter macht auch geistig fernsichtig), warum er
-die Tür der Ironie immer offengehalten hatte: um
-sich hinein zu flüchten, weil sie ihn niemals recht verstand.</p>
-
-<p>Hier knisterte der Brief einer alten Freundin, sie auch
-schon lange tot. Damals wurde viel geredet über eine
-gemeinsame Bekannte. Aber die alte Dame hatte nie
-mit eingestimmt: »<i>Je sais qu'on me trouve bien large.
-Non, je ne veux être que juste et j'ai horreur de la
-médisance. A part les plaies de Notre Seigneur, auxquelles
-je crois sans avoir vu, je ne veux rien croire
-sans voir. Je sais que vous pensez de même, car vous
-n'écoutez que votre c&oelig;ur qui est meilleur conseiller
-que la tête.</i>«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a>
-Der Brief flackerte auf, sie öffnete einen anderen.
-»Maria ist in Rom, sie ist bei den Karmeliterinnen eingetreten.
-Der allerstrengste Orden. Sie gehen barfuß
-und dürfen nie, nie wieder heraus. Ihre Augen, ihr
-Lächeln, ihr entzückender Gang, wir werden sie nie
-wiedersehen. Warum nur? Zu bereuen hatte sie nichts,
-wußte ja gar nicht, was Haß und Sünde sind. &rsaquo;<i>Terra
-gentile</i>&lsaquo;, wie die Italiener sagen. Es ist ein Rätsel&nbsp;...«</p>
-
-<p>Aber in einem anderen Brief war die Lösung.
-Da stand mit großen eiligen Buchstaben auf vielen
-kleinen, abgerissenen Blättern, wie man noch rasch ein
-Abschiedswort kritzelt, wenn das Gepäck schon fort ist
-und sich nur noch das winzige Notizbuch in der Tasche
-findet: »Lebewohl und Dank Dir zum letztenmal, Du
-Einzige, die alles verstehen wird. Immer hatte ich mir
-gewünscht, einmal zu lieben, ohne geliebt zu werden.
-O ich Unselige, welch ein wahnsinniger Wunsch. Nun
-ist er erfüllt und es ist die Hölle&nbsp;...«</p>
-
-<p>Da waren Briefe alter Diener, Danksagungen für
-manche geleistete Hilfe. Auch ein armer Tanzlehrer, den
-sie in seinem Alter und Elend besuchte, schrieb: »Heute
-danke ich Gott und den Grazien, weil noch einmal die
-Anmut unter mein armes Dach gekommen ist. Wie gut
-werde ich diese Nacht schlafen.« Immer wieder fuhren
-die hungerigen Flammen auf. Nun war nichts mehr
-übrig. »Amsel,« sagte Tante und ihre Lippen bebten,
-»das waren lauter gute Menschen. Ich werde sie nie
-wiedersehen.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a>
-Amsel kroch ganz nah an sie heran, sie legte den
-Kopf an ihre Schulter, dicht am Hals, und atmete den
-geliebten Duft, der ein wenig wie Bergamottbirnen war.
-Dies mit anzusehen war eine große Qual gewesen.
-Als ob ein Mensch zur Reise rüstet und sein Hündchen
-steht dabei mit flehenden Augen und weiß ja doch, es
-wird nicht mitgenommen.</p>
-
-<p>Tante legte die Wange an den kleinen aschblonden
-Kopf. Armes Kind, es war für sie gesorgt, was man in
-der Welt darunter versteht. Aber sie mußte durchs dunkle
-Tor und das Kind würde allein weitergehn. Würde
-sie ihr sehr fehlen, wenn der erste, scharfe Schmerz vorüber
-war? Denn sie hatte erlebt, wie sich Wunden
-schließen, die man für unheilbar hielt, und im Grunde
-war sie sehr bescheiden, was sie selbst betraf: warum
-sollte gerade ich unentbehrlich sein? Aber so recht hatte
-sie das Kind doch nie verstanden, denn zwei Schamhafte
-hören oft aneinander vorbei, gerade weil sie dieselbe
-Sprache sprechen.</p>
-
-<p>Ihre Gedanken gingen wieder zu der schönen Marie,
-die so sehr geliebt worden war, und doch ... was war
-ihr Leben gewesen? Und plötzlich fing sie zu singen
-an, sang hin zu ihr, die doch unerreichbar war, mit der
-lieben atemlosen Stimme, in der man das arme, arbeitende
-Herz keuchen hörte:</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0">
-<tr>
- <td class="tdl"><i>»La notte tutti dormono,</i></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl"><i>Io non dormo mai ...«</i></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a>
-Ihre Farbe kam und ging, ihre Augen standen voll
-Tränen. Aber Amsel lag wie ein Vogel unter Mutterflügeln;
-sie horchte auf den geliebten Klang, die fremden
-Worte verstand sie nicht.</p>
-
-<table summary="" border="0" cellpadding="1" cellspacing="0">
-<tr>
- <td class="tdl"><i>»I quarti d'ora suonano</i></td>
-</tr>
-<tr>
-<td class="tdl"><i>Le una, le due, le tre ...</i></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl"><i>Ti voglio bene assai,</i></td>
-</tr>
-<tr>
- <td class="tdl"><i>Ma tu non pensi a me ...«</i></td>
-</tr>
-</table>
-
-<p>So viele Nächte hatte sie nur halb geschlafen, die
-Angst im Herzen, sie könnte gerufen werden; aber nun
-kam der Schlaf &ndash; unwiderstehlich. Und Tante lächelte,
-wie der aschblonde Kopf immer schwerer wurde und
-hinunter glitt auf ihren Schoß.</p>
-
-<p>Die Uhr tickte deutlich in der Stille, sie hatte es eilig
-mit ihrer Aufgabe. Und die Rosen dufteten. Schöne,
-gütige Blumen, wenn sie starben, erblühten neue, aber
-niemals dieselben. Warum sollte ich weiterleben, dachte
-sie, habe ich das ewige Leben mehr verdient als eine
-Rose? Aber wer konnte Recht sprechen, auch über sich
-selbst? Und alle Schuld war doch Strafe zugleich, es
-ging gerechter her, als man dachte. Etwas Hartes, Häßliches
-getan zu haben, das mußte wohl sein wie ein
-heimliches Gebrechen, wie wenn schöne Frauen häßliche
-Füße haben: es läßt sie nicht froh werden. Hatte
-sie auch Häßliches und Hartes getan oder gedacht in
-ihrem Leben? Es war wohl ihre große Müdigkeit, sie
-<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a>
-konnte sich durchaus an nichts Böses erinnern, nicht an
-solches, das ihr andere zugefügt, nicht an solches, das
-andere um ihretwillen erlitten. Neben ihr lag ein abgegriffenes
-Gebetbuch, Maries letztes Geschenk; ohne
-ein Wort dazu war es aus Rom geschickt worden, denn
-auch das hatte sie nicht besitzen dürfen. Da war ein
-Gebet, es schien ihr soviel menschlicher als alle anderen,
-das Buch öffnete sich von selbst an dieser Stelle, und
-sie las die leicht unterstrichenen Zeilen:</p>
-
-<p>»<i>O Marie, mère si heureuse dans le Ciel, n'oubliez
-pas les tristesses de la terre. Ayez pitié de ceux qui
-s'aiment et que Dieu a séparés. Ayez pitié de l'isolement
-du c[oe]ur, si plein d'abattement et même de
-terreur.</i>« Und etwas weiter: »<i>Ayez pitié de ceux que
-nous aimons, o Marie, ayez pitié de ceux qui s'aiment,
-de ceux qui ne savent pas se faire aimer.</i>« Ja das, das
-mußte das Bitterste sein: <i>qui ne savent pas se faire
-aimer</i>. Aber für sie waren diese Worte nicht geschrieben;
-eins war gewiß, sie hatte grenzenlos geliebt und sie
-war heiß geliebt worden. Und als es dann zu Ende
-ging ... Wenn der Sommer zu Ende geht, nennt man
-ihn darum einen Verräter? ... Und nun kam anderes;
-etwas Großes, Fremdes tat sich auf, es wehte kühl.
-Schleier fielen auf die Dinge und sie konnte nicht mehr
-greifen und halten; nur noch das Aller-Allernächste
-war zu erkennen.</p>
-
-<p>Ihr Blick ging langsam von einem zum anderen, über
-ihr Klavier, über die Bilder und das Glas mit den
-<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a>
-Rosen, wie sie standen und dufteten. Und ihr schien,
-als ginge sie selbst, unbeholfen und schon fremd geworden
-durch die bekannten Räume, mühsam Dinge beim
-Namen nennend, an denen doch ihr Herz nicht mehr
-hing.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a>
-Die Waldschenke</h2>
-
-
-<p><a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a>
-Von der Brincken unterschrieb sie sich und Freifrau
-war sie, wenn auch nur linkshändig und in Gebundenheit.
-Der rotköpfige Wirt zog heute noch demütig die
-Zipfelmütze vor ihr, aber wie sie hinaufstieg zu den kleinen
-schattigen Terrassen der Waldschenke, kam ihr mit dem
-Erinnern an die anderen Male, da sie die morschen Holzstufen
-unter den Füßen gespürt hatte, auch dieser Augenblick
-vor wie etwas schon Erlebtes, etwas, das abgetan ist
-und nur dumpf wehe tut, als würde einem auf den eingeschlafenen
-Fuß getreten. Aber die lange Disziplin, die
-Gewohnheit erwiesener und empfangener Höflichkeit half
-ihr das Treppchen hinauf.</p>
-
-<p>Unter den düstergrünen Linden und Kastanien war es
-finster, und der Wirt brachte Windlichter und stellte sie
-auf die graue Holztafel. Unter ihr auf einer niederen
-Terrasse spielten drei Männer Karten, ein vierter stand
-angelehnt, die Pfeife im Mund, und sah zu; das Licht
-huschte über ihre harten, feinen Bauernköpfe und die
-Stimmen drangen ab und zu herauf. Sie hatte den dunklen
-Reisemantel zurückgeschlagen und stützte das Kinn in
-die schmale, magere Hand. Der breitrandige Federhut
-warf Schatten über Augen, die sich hochzogen, als spotteten
-sie der eigenen Tränen. Es war doch merkwürdig,
-die erste zu sein bei einem Stelldichein, sie, die sonst nie
-gewartet hatte; aber was lernt ein Mensch nicht alles!</p>
-
-<p>Doch nun kam der Prinz, links, vom Walde her, wo das
-Forsthaus lag, in welchem er abstieg. Mit federndem
-Schritt und der etwas übertriebenen Bonhomie im Ausdruck
-<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a>
-seines jungen, verlebten Gesichts, mit den hellen,
-schräggestellten Augen, hatte er etwas von einem eleganten
-jungen Kater, der auf allen Dächern Bescheid
-weiß. Frau von Brincken erhob sich. Er wurde sehr rot
-und sagte: »Ich bitte dich.« Aber die kleine Formalität tat
-ihr wohl; sie liebte es, auch das eigentlich Unkorrekte
-durch ein gewisses Dekorum einzuhegen, abzusondern von
-den übrigen, landläufigen Unkorrektheiten. Er küßte ihre
-Hand, sagte ein paar liebenswürdige Worte über ihr
-Aussehen, die sie ohne Enthusiasmus entgegennahm, und
-lehnte sich zurück, die Hand in der Hüfte, die schlanke
-Lässigkeit unterstreichend, die ihm durch unzählige Porträte
-und Photographien beinahe zur Pflicht gemacht
-wurde. Der Wirt kam eilfertig mit eiskaltem Landwein
-und Kuchen. Sie nippte, er stürzte zwei Gläser hinunter.
-Warum ist keine Musik? dachte Frau von Brincken, es ist
-ja doch Theater, die Terrasse, der Wirt &ndash; <i>basso buffo</i> &ndash;
-die Statisten ... gleich werden wir aufstehen und unser
-großes Duett singen, Opfer und Entsagung, schmelzend,
-aber <i>con bravura</i>&nbsp;...</p>
-
-<p>Sie sprachen. Er mit forciertem Ungestüm, mit Selbstanklage,
-die aber doch dem Schicksal, das sich ja nicht verteidigen
-kann, die Hauptschuld zuschob; Mitleid und Besorgnis
-um ihr ferneres Ergehen in jedem Ton. Immer
-wieder der tadellose Kater, leichtsinnig, oberflächlich,
-wenn man wollte, aber doch im geheimsten Winkel seines
-Bewußtseins: der tadellose. Frau von Brincken fühlte,
-wie sich ganz leise der Gram von ihr löste, ohne daß sie
-<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a>
-selber etwas dazu tat, und diese Operation war nicht unangenehm,
-wenn auch mit einem leichten Frostgefühl
-verbunden. Mein Gott, waren es denn Kleinodien gewesen
-oder Glasscherben, die sie so lange, so angstvoll
-gehütet? War ihr Schicksal eines der vielen, unfertigen,
-die der Triebsand des Lebens einschluckt, arme, verirrte
-Reisende, deren protestierende Armbewegung aufwärts
-wie ein anklagender Wegweiser die Verräterei des Bodens
-verkündete? Und nun saßen sie hier und lächelten einander
-zu, und es war, als wenn man mit einem Stückchen
-Brot im abgestandenen Champagner rührt, um ihn noch
-einmal zum Moussieren zu bringen. Frau von Brincken
-sah das wohl mit ihren klargeweinten Augen, in diesem
-zweiten, beinahe reizvollen Stadium der Enttäuschung,
-wenn sich die Seele in zwei Hälften teilt und die eine
-leidet und die andere zusieht. Bei jungen Menschen kann
-das ein Vorfrühling sein. Der Schmerz hat die Seele
-gelockert, Neues kann keimen und aufgehen und bringt
-vollkommene Befreiung, erneuert das Herz nicht nur, sondern
-auch den Geist. Aber sie dachte heute nur an Frieden.
-Wie gut würde Ruhe tun, nachdem sie so lange gekämpft
-hatte. Wie anstrengend war es doch oft gewesen; so mußte
-den armen Teerosen zumute sein in den großen Tafelaufsätzen,
-alle hatten sie einen Draht durchs Herz gezogen&nbsp;...</p>
-
-<p>Er ahnte wohl ihre Gedanken. Und nun war es fast, als
-sei <em class="ge">er</em> der Verstoßene, als schritte sie, einsam und erlesen,
-von dannen, einem Leben entgegen, an das er kein Recht
-mehr haben würde.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a>
-»Unsere liebe alte Waldschenke,« sagte er und seufzte.
-Er hatte eine Vorliebe für die maßvolle Architektur jenes
-ausklingenden Jahrhunderts der Jabots und der Zöpfe.
-Teilweise wohl aus Widerspruch, weil er bei so vielen
-Enthüllungen fürchterlicher Denkmäler, bei so vielen Einweihungen
-prunkvoller Theater und Kirchen zugegen
-sein und lobende Worte sprechen mußte, war ihm gerade
-diese Bauart sympathisch, deren stilles Behagen, deren
-karger Zierat uns überkommt wie Resedaduft, mit leisem,
-schwermütigem Wohlgefühl. Das Haus hatte bessere
-Tage gekannt, sanft angelehnt am waldigen Hügel. Die
-schöngegliederte Tür, die leichten, halbverwischten Ornamente
-der Fenstereinfassungen, das zartsilberne Schindeldach,
-alles redete von einer Zeit, da zierliche Behäbigkeit
-der Form auch das Alltägliche erlesen machte. Heute
-standen Planwagen aufgereiht im weiten Hof, Fässer
-waren im Torweg aufgestapelt, und vor der Einfahrt
-tranken schwere Pferde gierig am Brunnentrog. Der
-Prinz neigte sich vor: »Durstige Tiere trinken zu sehen,
-ist doch eine Wonne,« sagte er. Frau von Brincken fühlte
-einen kleinen, süßen Stich ins Herz, und ihre Augen
-wurden groß wie von aufsteigenden Quellen. »Ich will
-immer an Sie denken, Ludwig, wie Sie eben den durstigen
-Pferden zusahen,« sagte sie. »Es gibt viel Durstige
-&ndash; vergessen Sie's nicht. Ihre Hand weiß so schön zu
-geben, und am meisten habe ich doch wohl Ihre Hände
-geliebt, damals &ndash; ihr Mund bebte ein wenig &ndash; als wir
-die erste schöne Reise machten und am Abend der Korb
-<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a>
-auf dem Tisch stand mit den herrlichsten, kostbarsten
-Pfirsichen und Trauben aus Eurer Hoheit Treibhäusern.
-Wir konnten es kaum erwarten, waren so heiß und durstig
-von der langen Fahrt. Aber da kamen die Bettler. Ja,
-Ludwig, und da nahmen Sie den Korb, die Pfirsiche, die
-Trauben, und schenkten alles, alles an die armen Kinder,
-behielten nichts zurück, auch für mich nichts, und gerade
-das, Ludwig&nbsp;...« Sie wandte sich zur Seite, ihre Augen
-brannten. »Engel, es war ja deine Hand, die mich das
-Geben lehrte,« sagte er und war wieder ganz geschmeidiger
-Kater, »diese reizende Hand, die ich nicht festhalten kann.
-Aber wenn du mir schreibst, mit unserm lieben kleinen
-Sternensiegel, da kannst du sicher sein, daß mein dankbares
-Herz deinen leisesten Wunsch hören wird, bis in die
-fernsten Zeiten« ... Fast hätte er gesagt »das walte Gott«,
-denn er war es gewohnt, diese Schlußfloskel ziemlich
-wahllos anzubringen; aber da war auf einmal etwas in
-ihrem ferngerichteten Blick, das ihn ernüchterte.</p>
-
-<p>»Es sind nicht einzelne Wünsche, die ich hegte,« sagte
-sie, und ihre Stimme klang blechern und müde ... »ich
-hatte Größeres erhofft ... Aber Euer Hoheit Leben ist
-noch lang, es werden so viel Kreuzwege kommen ...
-oh, vergiß nicht die durstigen Pferde,« und sie nannte ihn
-wieder beim Namen.</p>
-
-<p>Es waren ein paar feine Fältchen an ihrem Munde,
-und er sah sie genau. Sie war ihm rührend wie ein kostbares
-Porzellanfigürchen, das immer noch mit zierlicher
-Grandezza zum Tanz schreitet, und hat doch leider schon
-<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a>
-so manchen feinen Sprung in der Glasur. Und diese unausbleiblichen
-kleinen Standreden ... nun ja, das war
-ganz natürlich; erst das Lyrische, und dann wird die Dame
-didaktisch. Er wollte sich gewiß nicht mit Goethe vergleichen,
-der ihm überhaupt vorkam wie ein Menschenfresser
-mit Orden ... aber er mußte seit einiger Zeit
-häufig an Frau von Stein denken. Es war eben der Altersunterschied;
-was konnten sie beide dafür! Es war alles
-bezaubernd gewesen &ndash; war es eigentlich noch. Aber eine
-Unterbrechung ... nun, und was an ihm lag, nichts Definitives,
-setzte er, zur eigenen Beruhigung, wie ein kleines
-Pflaster obendrauf.</p>
-
-<p>Der Wind fuhr durch die Lindenwipfel; schmalgeschweifte
-Samenhülsen segelten herab, sich emsig drehend
-wie kleine Propeller.</p>
-
-<p>»Sonnenwende,« sagte Frau von Brincken, »das ist
-eigentlich die schwermütigste Jahreszeit. Der Herbst ist
-noch nicht da mit seinen Farben, seiner frischen Nebelluft,
-aber die Bäume sind es müde geworden, grün zu
-sein. Das war mir als Kind schon die traurigste Zeit, viel
-ärger als der November, den viele so melancholisch
-finden.«</p>
-
-<p>»Sei froh,« sagte er und dehnte sich hintenüber in seiner
-weidenschlanken Länge, »daß dir so etwas wie der Wechsel
-der Jahreszeit überhaupt damals zum Bewußtsein kam.
-Unsereiner steckt in solchem Drill, daß er das alles nur
-empfindet wie ein Schauspieler die veränderte Dekoration;
-einmal ist es Schneelandschaft, ein andermal
-<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a>
-Frühlingswald, aber Schneeballen kann man nicht daraus
-machen und die Rosen sind nur gemalt; er darf seinen
-Spruch hersagen und damit basta. Das Beste noch war
-die Jagd, nicht die großen Hofjagden, nein, allein, oder
-mit zwei, drei Kameraden, und abends dann die gute
-Müdigkeit am glimmenden Kamin, wo die Hunde liegen
-und im Traum bellen, man raucht seine Shagpfeife, und
-mein wackerer alter Buschmann erzählt Jagdgeschichten
-... Rita, einmal waren Sie auch dabei, und nun, wirklich,
-niemals wieder?« Sie sah vor sich hin, unter ihren Augen
-zuckte es ein wenig: Glimmender Kamin, wackerer Buschmann,
-er hat nun einmal Redewendungen wie aus einem
-Schulaufsatz. Darum war's mir immer so peinlich, wenn
-er schrieb. Seltsam, diese Ausdrucksweise, und dabei
-dieser unfehlbare Geschmack in der Wahl seiner Kleidung,
-er käme sich degradiert vor, wenn er sich in der Farbe
-der Krawatte geirrt hätte ... Dann wurde ihr Blick weich.
-»Wenn Sie es irgend vermeiden können,« sagte sie, »so
-enttäuschen Sie niemand. Es ist ja wohl nicht immer zu
-vermeiden, aber man sollte es versuchen. Sie gehen oft
-mit Ungestüm auf eine Sache los, dann aber ist sie doch
-komplizierter, als Sie dachten, oder Sie meinen, Sie
-seien auf Undank und Ungerechtigkeit gestoßen, wo es oft
-nur Ungeschick ist ... dann lassen Sie's fallen. Denn es
-gibt ein Wort, das kennen Sie nicht: Geduld. Es ist auch
-nicht von Ihnen zu verlangen. Die Weltgeschichte wurde
-Ihnen von Hoflieferanten serviert und die Gegenwart
-ist Ihnen ein Schaufenster, und da liegt alles schön aufgebaut
-<a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a>
-und ist alles zu haben.« Er lächelte mühsam, denn
-er dachte an Dinge, die gerade für ihn und seinesgleichen
-unerreichbar waren. Er hatte eine kleine Schwester gehabt,
-die hätte so schrecklich gern einmal in der Hundehütte
-geschlafen, aber das litt die Erzieherin nicht, und die
-kleine Prinzeß war gestorben, ohne ihren Herzenswunsch
-erfüllt zu haben. Ja, und er hatte wieder andere unerfüllbare
-Wünsche. Nun, wer weiß, hätte er sie erlangt, wären
-sie wohl bald ihres Reizes verlustig geworden. Immerhin,
-da war so manches, das fernab glitzerte ... jenseits, er
-würde es nie besitzen.</p>
-
-<p>»Ich habe als Kind eine Enttäuschung erlebt,« fuhr sie
-fort, »eigentlich eine Kinderei; aber noch heute, wenn ich
-Faulbaum rieche, kommt es über mich, dies Gefühl der
-Erwartung, des felsenfesten Vertrauens &ndash; und dann
-auf einmal nichts, eine Leere, ach, ein Verratensein&nbsp;...«</p>
-
-<p>»Wie ging das zu?« frug der Prinz, der Frau von Brincken
-gegenüber immer Interesse zur Schau trug, wenn auch
-manchmal gerade <em class="ge">die</em> Eigenschaft, die sie ihm absprach,
-dazu nötig war.</p>
-
-<p>»Das ging so zu,« sagte sie und sah vor sich hin, und die
-Erinnerung an diese erste Bitterkeit des Lebens stand auf
-wie eine graue, beklemmende Wolke; »wir schwärmten
-dort in der kleinen Residenz alle für die Schauspielerin
-Weiß. Sie gab das Gretchen und Klärchen, aber auch die
-Königin im Don Carlos und feine Salonrollen, wo sie in
-entzückenden Toiletten traurige und edle Schicksale verkörperte.
-Wir Schulmädchen hingen ihr Maiblumenkränze
-<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a>
-an die Tür, eine ganz Mutige warf ihr sogar Rosen
-ins offene Parterrefenster, und wenn wir ihr auf der
-Straße begegneten, hatten wir Herzklopfen. Sie wußte
-das und fand es wohl recht abgeschmackt, aber sie lächelte
-freundlich, wenn wir sie grüßten, und schickte uns bisweilen
-Freibilletts; wir kleinen Beamtentöchter kamen ja sonst
-nicht oft ins Hoftheater. Schließlich lernte ich sie in einem
-kunstfrohen Malerhause kennen. Diese Malersfamilie
-machte im Frühling mit ihren Freunden Landpartien in
-den herzoglichen Wildpark, es waren lauter junge Leute,
-Maler und Malerinnen, aber auch Musiker, Polytechniker,
-Schauspieler. An jenem Tage war Marie Weiß
-dabei. Es war so ein richtiger Maitag, in den Gärten und
-auf den Wegen, die zum Wald gingen, blühte der Faulbaum,
-oh, es war betäubend, und drinnen im Wald in dem
-dürren heißen Laub standen die großen, duftlosen Hundsveilchen,
-die anderen waren schon vorüber; und über
-Bahndämme kamen wir, wie goldene Straßen, das war
-der Ginster &ndash; und überall Zitronenfalter ... Marie
-Weiß sprach mit mir; sie ginge nun in Urlaub, und sie
-wüßte nicht, ob sie im Herbst wiederkehren würde. Das
-Herz wurde mir wie Blei, was sollte mir das Leben, die
-Stadt, meine Lehrer und Beschäftigungen, wenn dahinter
-nicht mehr Marie Weiß stand? Sie frug mich, wo
-ich den Sommer über sei, ich sagte es ihr, bei einer Tante,
-die ein Gütchen im Schwarzwald hatte, nicht weit von
-Bühringen. »Nun,« sagte sie, »so um den 20.&nbsp;August
-herum muß ich nach Bühringen; ich bin ja dort geboren,
-<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a>
-ich brauche allerhand Papiere. Wer weiß, vielleicht
-treffen wir uns?« Sie sah mich so warm und lachend an,
-sie hatte einen wunderschönen großen Mund und grüne
-Augen mit braunen Fleckchen drin, es gibt einen Stein,
-Moosachat, so ähnlich, und ihr dunkles Haar war so reizvoll
-angewachsen ... Ihr Männer ahnt ja nichts von der Hingabe,
-mit der ein junges, einsames Ding eine berühmte,
-selbständige Frau anbeten kann; man atmet kaum, wie in
-der Messe, wenn eben die Kerzen angezündet werden, ja,
-man denkt sich aus, was man alles für die Angebetete leiden
-möchte, Nesseln pflücken, was weiß ich für Unsinn. Aber
-ich langweile Sie&nbsp;...« unterbrach sich Frau von Brincken.</p>
-
-<p>»Nein, nein, sprich weiter,« sagte der Prinz, der an
-anderes gedacht hatte, aber ihre weiche Stimme mit dem
-leisen südlichen Klang in sich einsickern ließ wie ein angenehmes
-Akkompagnement. Sie merkte es wohl, aber
-sie redete weiter, mehr für sich als für ihn. »Bühringen ist
-eine kleine Stadt, vom Hof meiner Tante sind es drei
-Stunden zu gehen. Am 19. heuchelte ich schreckliches
-Zahnweh und erhielt die Erlaubnis, nach der Stadt zu
-fahren. Es war ein heißer, luftloser Spätsommer, dieselbe
-Zeit wie jetzt, darum fällt mir's wohl alles wieder ein.
-Ich war drei Tage in Bühringen; am dritten Tag ging
-ich zurück; Marie Weiß war nicht gekommen. Aber diese
-drei Tage werd' ich nie vergessen, sie waren so beklemmend
-erst und dann so erstickend trostlos, daß sie mich wohl für
-mein ganzes Leben gefeit haben, und dafür muß ich
-heut vielleicht dankbar sein.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a>
-Der Prinz sah rasch zu ihr hinüber. Bis dahin war's
-ihm vorgekommen, als läse sie ihm irgendein Feuilleton
-vor, es gab jetzt oft solch verschwommenes, abschattiertes
-Zeug, lauter Beschreibungen, und meist traurig, man
-wußte nie recht warum; er las eine gute Detektivgeschichte
-lieber, oder sonst Geschichtliches, woraus man ersah, daß es
-vorwärts ging in der Welt ... Aber eben war ein Ton
-in ihrer Stimme, der ihm wehtat: »Liebe, liebe Rita,«
-sagte er bewegt, »erzähle mir nur alles, ich kann das nachfühlen;
-meine Jugendzeit hatte auch ihre dornigen
-Seiten.«</p>
-
-<p>»Hoheit sind gewiß niemals an einem heißen Augustnachmittag
-in kleinstädtischen Anlagen gewesen &ndash; ja, wie
-kämen Sie auch dorthin! So zwischen fünf und sechs,
-wenn es ganz windstill ist. Da sitzen dann so kleine, alte
-Dämchen und häkeln, die Spatzen schlafen in den Büschen,
-und auf die Wege fallen die ersten welken Blätter &ndash; so
-wie hier ... Dort war ein Bassin, ein längliches Viereck,
-wo große Goldfische wie fette Mohrrüben schwammen,
-und ein paar Schüler mit roten Mützen spielten gelangweilt
-Verstecken hinter den Büschen und der Riesenbüste
-des Landesvaters, die den Teich übersah; wenn ich nicht
-irre, ein Großoheim Eurer Hoheit, ob seiner Gerechtigkeit
-und Leutseligkeit bewundert und geliebt; er konnte einem
-leid tun, wie er da immerzu lächeln mußte in der heißen
-Sonne, als träumte er von Veteranenfeiern und Bürgermeistern
-und könnte zu keinem richtigen Nickerchen
-kommen.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a>
-»Rita, Sie sind goldig,« sagte der Prinz und wollte ihre
-Hand küssen; wenn sie sich &ndash; es war leider selten &ndash; über
-seine Angehörigen lustig machte, kam sie ihm gleich menschlich
-so viel näher.</p>
-
-<p>»Ach nein, nein,« sagte sie, »die Verzweiflung kommt
-wieder über mich. Hoheit ahnen nicht, wie man noch in
-der Erinnerung zusammenschrumpft, wie man manche
-Orte, manchen Blumenduft meidet, als säßen Mörder
-darin, die nur warten, um einem ins Herz zu stoßen.
-Zwei ganze Tage war ich in Bühringen, ging die Hauptstraße
-mit ihrem Kanal zwischen großen, staubigen Kastanienbäumen
-hin und her, saß in der Konditorei, wo es
-Limonade gab und Kuchen unter Glasglocken, wie Reliquien.
-Dahinter führte eine kleine Brücke in den Stadtgarten,
-und immer wieder, zwischen den Zügen, ging
-ich hin, und war mir anfangs beklommen zumute, so
-war's mir schließlich unerträglich, und doch mit einem
-Stich ins Komische. Ich saß dort wie verhext. Alte Herren
-mit fetten, asthmatischen Hunden kamen an mir vorbei, sie
-standen in der prallen Sonne und redeten über Steuern
-und Gemeindesachen, und Euer Hoheit hochseliger Oheim
-lächelte geduldig zwischen den Buchsbäumen rechts und
-links, und die Goldfische schliefen im Bassin. In einem
-Gasthaus in der inneren Stadt war Kaninchenausstellung,
-dahin ging ich den letzten Tag; ich war immer ein
-Tiernarr; darum wünschte ich, ich wäre nicht dort gewesen.
-Es war ein häßlicher Backsteinbau, und überall roch es nach
-schalem Bier. Droben, in einem dunkelgetäfelten Saal
-<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a>
-mit altdeutschen Trinksprüchen stand Käfig an Käfig.
-Sie hatten's viel zu eng, sie saßen in die Winkel gedrückt
-mit erschrockenen Augen, es war schmutzig in ihren
-Ställen. Menschen kamen und gingen, die die guten
-weichen Tiere herausnahmen und wogen und ihnen
-Zigarrenrauch in die Augen bliesen, man sah die Herzchen
-klopfen ... ich war dicht am Weinen und ging fort. Ja,
-und da hatte die Tante geschrieben, wo ich denn bliebe,
-und da mochte ich ihr nichts weiter vorlügen; so eine
-tüchtige Lüge, einmal, wenn's sein muß, gut, aber immer
-wieder, das ist so läppisch. Ich stand am offenen Fenster
-und packte meine Sachen zusammen; vor der Haustür
-sprach der Wirt mit einem anderen Mann, und da hörte ich,
-Marie Weiß sei schon vor vierzehn Tagen hier gewesen beim
-Bürgermeister, um Papiere zu holen, sie würde heiraten,
-einen hohen Offizier, der ihr schon lange nahe gestanden.
-Er hat ja dann auch den Abschied genommen, und sie sind
-sehr glücklich zusammen gewesen ... sie hatten einen
-kleinen Jungen ... Ja, da stand ich am Fenster. Dann bin
-ich zu Fuß heimgegangen, und wie ich über die Höhe kam
-und die Sterne wachten auf und von den Wiesen kam solch
-frischer Hauch &ndash; da war's, als ob etwas von mir abfiel, und
-ich sagte mir, es war zum Sterben, aber ich glaube, nun
-ist's vorbei ... Aber bisweilen kommt es noch so über mich.«</p>
-
-<p>Sie streichelte seine große, schlanke Hand, und dann tat
-sie einen guten Zug aus ihrem Glase. »All die Länder,
-wo man offenen Wein trinkt,« sagte sie, »sollten doch
-von Rechts wegen gut Freund sein miteinander.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a>
-»Stimmt leider nicht&nbsp;&ndash;« sagte er, »aber man könnte es
-in Erwägung ziehen. Völkerbündnisse, je nach Nahrungsmitteln
-sortiert&nbsp;....«</p>
-
-<p>Sie trank noch einmal. »So,« sagte sie, »der Wein
-war gut, und nun ist er zu Ende. Nun aber bleiben Sie
-hier, Ludwig; mein Wagen hält unten beim Kapellchen.
-Sehen Sie mir nach, ich werde geradeaus marschieren,
-wie kein Leibgrenadier es besser kann. Was Tenue betrifft,
-da kann ich mitreden.«</p>
-
-<p>»Nein, laß mich dich zum Wagen geleiten, Rita, und
-sprich nicht so &ndash; ja, wie soll ich sagen &ndash; höhnisch; du
-brichst mir das Herz.«</p>
-
-<p>»Ach Gott, von Hohn ist keine Rede,« sagte sie. »Wir
-sind beide betrübte Leute, die ein Einsehen haben. Und
-glaube mir, <i>il tempo è galantuomo</i>, du wirst es verwinden
-und sollst es auch, laß mich nicht in einem grämlichen
-Schleier in deiner Erinnerung stehen. Und habe
-Dank für alles &ndash; hörst du &ndash; für alles&nbsp;...«</p>
-
-<p>Sie nahm seine Hand und legte die Wange für einen
-Augenblick hinein, so eine Sekunde nur, da war sie wieder
-jung &ndash; wie ein Kätzchen jung ist, jung wie damals, ganz
-am Anfang, als er sie noch Henrietterl nannte ... dann
-sah sie sich um, aufmerksam; hierher kehrte sie nie zurück.
-Und seltsam, es tat eigentlich nicht weh, nur kühl, kühl war
-alles. Sie merkte, daß sie schon draußen stand im Zuschauerraum,
-die kleine leere Bühne verlassen hatte. Ach, schenkte
-das Leben vielleicht ganz heimlich, gerade dann, wenn es
-nahm? Oder hatte sie zu sehr geliebt, daß es ihr an Kraft
-<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a>
-zum Schmerz gebrach? Wann würde sie's wissen? Abschied,
-Opfer, höhere Pflicht ... sonderbare Worte. In
-der Brust ein toter Fleck, und hier, was blieb zurück?
-Ein paar verkohlte Zigaretten, ein kleines zertretenes
-Taschentuch. Und nun kam der Wirt, die Gläser wegzutragen,
-die Windlichter auszulöschen, und morgen
-sitzen andere Gäste am Tisch, mit leichten oder schweren
-Herzen; was weiß ein Mensch vom andern!</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a>
-Die Verirrten</h2>
-
-
-<p><a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a>
-Das ausgeweidete Reh hing mit verglasten Augen
-vom Balken herab, von seiner Zunge troff langsam ein
-schwarzer Tropfen auf den Lehmboden nieder.</p>
-
-<p>Nachdem die Frau des wilden Mannes es mit Wacholderreisern
-ausgelegt hatte, wandte sie sich, zum Brunnen zu
-gehen. Da liefen ihre kleinen Töchter auseinander, die in
-der braunen Dämmerung der Tür gestanden hatten, vom
-Blutduft angelockt.</p>
-
-<p>Aber eine saß auf dem Brunnenrand im letzten Abendglast.
-An ihren baumelnden Füßen hatte sie runde
-Schuhchen aus Baumrinde, mit bunten Wollbändern um
-die Beine verschnürt.</p>
-
-<p>»Geh heim, Bärhild,« sagte die Frau, »die Abendkost
-steht auf dem Tisch.«</p>
-
-<p>Das Mädchen grinste. Ihre hellen Augen standen ein
-wenig schräg, wie bei Katzen. Um den Hals hatte sie ihren
-zahmen Marder gelegt, man wußte nicht, wer von beiden
-spitzere Zähne hatte; sonst aber ähnelten sie einander
-nicht, die Kleine breit und stämmig, mit kurzem sehnigen
-Hals, mit kurzer, zerzauster Mähne, rotblond wie alle
-Töchter des wilden Mannes.</p>
-
-<p>»Jetzt geh ich Schlingen legen,« sagte sie mit rauher
-Knabenstimme und schlüpfte davon.</p>
-
-<p>Die Frau seufzte und bückte sich zu den Blumentöpfen,
-die beim Brunnen standen und einsam dufteten in die
-Abendstille hinein. Sie beugte sich über den Brunnenrand
-und sah hinunter in die Finsternis. An den schleimigen
-Wänden wuchsen Farn und Moose, nur selten
-<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a>
-kam ein Lichtstrahl und glitzerte sie wach. Hinter ihr lag
-das Haus gekauert zwischen Weiden und Erlen; wohin
-man trat, gab die schwarze, schwammige Erde nach; im
-ersten Frühling, wenn alles voll gelbstäubender Kätzchen
-war, drängten sich die großen, breitblättrigen Dotterblumen
-in den Sümpfen zwischen den Erlenwurzeln;
-jetzt waren die Gräben blau von Vergißmeinnicht. Die
-Frau verstand schöne, feste Kränzchen daraus zu binden
-und hätte sie gern ihren kleinen Töchtern aufgesetzt, die
-aber hatten sie abgeschüttelt mit Geschrei. Sie wollten
-nichts auf ihren wilden Mähnen dulden, nur manchmal
-setzten sie die Kupferreifen auf, die der wilde Mann ihnen
-mitgebracht, fremde Schmiedearbeit aus Norden, wunderliche
-Zeichen drin eingesetzt, sahen aus wie Beile
-und Galgen.</p>
-
-<p>Ja, wie kam sie zu diesen Wildkatzen, die mit spitzen
-Zähnchen zur Welt gekommen, ihr die Brust zerbissen und
-ihr Blut getrunken hatten; man hatte sie den zottigen
-Stuten anlegen müssen, die sie mit Stampfen und Schlagen
-in Ordnung hielten; und von der wilden Milch waren sie
-stark geworden. Nun fingen sie sich die Fohlen, ihre Milchbrüder,
-ein und trabten auf ihnen durch Weidengebüsch
-und seichtes Gewässer und über den toten weißen Sand.</p>
-
-<p>Wie anders sah die Erde hier aus als dort, wo sie daheim
-war. Hier Busch und Binsen, düsterer Erlenwald, wo das
-Wasser zwischen den geschwärzten Silberstämmen gluckerte
-und man die schmalen Dämme kennen mußte, um nicht
-zu versinken. Man konnte sich verkriechen und war doch
-<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a>
-preisgegeben dem Regen, der Schwüle, den Mückenschwärmen
-im Dunst. Und weiter, da hörte auch das
-niedere Gebüsch auf, die Erde wurde karg und
-steinig, wilde Schafe mit bösen, schwarzen Fratzen
-schrien in den Wind. Dort begannen die großen, verlassenen
-Steinbrüche mit ihren Höhlen und Labyrinthen,
-ihrem schräg geschichteten Stein, als hätten
-Riesen sich große Stücke herausgeschnitten; Wacholder
-und Berberitzen wucherten in den Narben. Dort war die
-Welt zu Ende, weiter wußte sie den Weg nicht; da war
-ein strenges Verbot, und niemand, der das Geheimnis
-nicht kannte, hätte aus dem Irrsal heimgefunden. Als
-Warnung dienten noch die Knochen des Trödlers, der
-es gewagt hatte, und die betrunkenen Hochzeitsgäste, die
-auf eine Wette hin, um abzukürzen, den Weg genommen,
-sie hatten dasselbe Los gehabt.</p>
-
-<p>Daheim, bei ihr, im Hochwald, schlüpfte die Sonne
-durch das Wipfeldach und streichelte den roten Pelz
-der Eichkatzen, die großen Bäume waren ihr Freunde
-gewesen, wie Helden stiegen die Stämme aus der rostigen
-Blätterdecke. Da war alles redlich. Und ihr Vater, der
-haßte die Fallen und Schlingen. Ein Pfeil ins Herz, ja,
-das konnte dem freien Wild recht sein, und die Mütter
-und Kinder blieben geschont; aber es gab kein Quälen
-mit zerschmetterten Läufen, kein Würgen und Zerren,
-keine Todesangst mit blutender, flatternder Schwinge.
-Der Vater! Wie silberweiß war sein Bart, wie scharf
-sein dunkles Auge, wie gut hatte er's immer gemeint.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a>
-Die Frau sog die Luft ein; es ging ein süßes Duften
-über den Geruch der Sümpfe, der Gräben voll braunen,
-faulenden Erlenlaubs dahin. Da hatte wohl irgendwo
-ein Jasminstrauch seine weißen Blumen aufgetan. Und
-der Duft tat ihr weh; denn so hatte der Strauch am
-Jägerhäuschen geduftet, an jenem Tage, als der Jäger
-nicht heimkam; als wolle er ihr helfen, ihr etwas sagen
-mit seinem Düften: Sie saß den halben Tag dort und sah
-ihn versinken im Dämmergrau und wieder auferstehen
-im weißen, traurigen Mondlicht. Aber der Vater kehrte
-nicht zurück. Da brach sie sich einen blühenden Zweig ab
-und ging in den großen unbekannten Wald.</p>
-
-<p>Erst war sie mit schweren Füßen, mit schwerem Herzen
-gegangen, aber um sie her all das Summen und Säuseln
-machte ihr auch den Kummer zum Traum. Es ging sich
-so sacht über das tote braune Laub, gefleckte Salamander
-saßen unter den moosgrünen Steinen wie in Märchenhöhlen,
-und die Sonne glitt an den geraden Buchenstämmen
-hinab wie einer Mutter Lächeln über wohlgeschaffene
-Söhne. Dann, im Tannenwald, war's noch
-stiller, Bernsteintropfen glühten an den rissigen Rinden,
-und die Wipfel waren reglos. Aber das Schönste war der
-Abhang, wo die Holzfäller ihr Werk getan; da kam der
-Fingerhut zu seinem Recht; in Völkern stand er zwischen
-den Baumstümpfen und öffnete den warmen Samtschlund
-der Sonne und den Bienen. Und die Stechpalme
-wucherte und die wilde Himbeere warf die Arme aus
-nach dem Geißblatt, und das war so voll Süßigkeit, kein
-<a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a>
-Bienchen konnte dran vorüber. Dort war sie lange gewesen,
-die Hände um die Kniee gespannt, der Berghang
-ihre Lehne, das Erdbeerkraut ihr Teppich; unter ihr
-die Wiesen lagen im Dunst, und aus dem Wald läutete
-der Kuckuck tief und eindringlich, und weil sonst alles still
-war, ging sie seiner Stimme nach.</p>
-
-<p>Wie dann der Abend kam, stand sie in einer Lichtung;
-da war ein Teich und spiegelte schwarze Binsen im
-gelben Widerschein, Libellen standen in der Luft mit
-gläsernen Glotzaugen, das feine Waldgras nickte, die
-Hummeln lagen, vom Tau verklebt, in der Disteln seidenem
-Schoß. Da legte auch sie sich hin auf ihr Bündelchen,
-und hinter ihr öffnete der schwarze Wald seine
-Hallen.</p>
-
-<p>Trapp, trapp, kamen die wilden Männer geritten,
-weich schlugen die Hufe auf den federnden Waldboden;
-als sie die Augen auftat, traten sie in die Lichtung mit
-finsterroten Gesichtern im Abendlicht. Stumm und gewaltig
-ritten sie an ihr vorbei, mit harten Stirnen und
-harten Lippen, leise klirrend die Speere und eisenbeschlagenen
-Knüttel. Aber der zuletzt ritt, hielt bei ihr an
-und streckte die Hand aus. Da streckte auch sie ihre kleine
-Hand empor, und es rieselte ihr durch den Arm bis ins
-Herz. Und der Wald summte um sie her. Da zog er sie
-hoch und aufs Pferd und nahm sie an sich&nbsp;...</p>
-
-<p>Die Frau beugte sich tiefer über den Brunnen. Da
-unten wohnte die Brunnenfrau, dort ging sie auf goldenen
-Wiesen mit ihrem kleinen silbernen Hund. In
-<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a>
-hellen Nächten, hieß es, könne man ihr weißes Kopftuch
-sehen. Nun fing es an zu dunkeln; das Haus versank in
-Grau, in Weiden und Erlen. Nur unter dem Dachrand
-blinkte ein kleines Fenster; dort lagen wohl schon ihre
-kleinen Töchter; sobald die Sonne sank, gingen sie schlafen,
-aber früh, kaum daß der Himmel fahl wurde, liefen sie
-schon und sammelten sich in der taugrauen Wiese, wo
-man sie schreien und schnattern hörte, ehe sie auseinanderstoben.</p>
-
-<p>Die Frau ging ins Haus zurück. Heute nacht wollte
-der Mann heimkehren von einem Beutezug; da mußte sie
-auf sein und helfen, die Säcke verstauen an geheimen
-Plätzen; sie setzte sich an den Herd, um die Kittel ihrer
-kleinen Töchter zu flicken, aber die Arbeit sank ihr in den
-Schoß, und sie lauschte den Geräuschen der Nacht, all
-dem Seufzen und Knarren draußen in den Bäumen
-und drinnen im Gebälk. Nun wurden die Nachtvögel in
-den Wipfeln lebendig, sie wanden sich durch die Äste,
-plump und seidenweich, bis sie sich aufschwingen konnten,
-lautlos in die freie Finsternis. Sie wußten, wo die wolligen
-Junghasen lagen, die sie heimtrugen zu ihrer eigenen
-Brut, die mit bösen, gelben Augen nach frischem Fleisch
-schrie. Und durch die Baumwurzeln schlüpften Marder
-und Wiesel, sie hatten ihre Gänge und Höhlen, ihre Vorräte
-und Kinderstuben wie die Menschen, und wenn ihre
-Wege sich kreuzten, gab es da unten einen kurzen, bitteren
-Kampf mit heißem Gefauch, die Erde schluckte ein wenig
-Blut, aber darüber lag verschwiegen der moosige Teppich
-<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a>
-mit tausend nickenden Flockblumen, die faulenden Blätter
-des Vorjahrs, durch die sich die gelben Taubnesseln
-drängten.</p>
-
-<p>Durch den Ladenausschnitt kam ein Mondstrahl und
-tastete über Bank und Tisch und über die Hände in
-ihrem Schoß; da stützte sie den schmalen Kopf und dachte
-an die Abende daheim, wie sie auch dasaß und die
-Quelle im Dunkeln hörte, und dann des Vaters Schritt,
-immer näher, bis er die Tür auftat und sein weißer
-Bart im Monde noch weißer war.</p>
-
-<p>Wie sie so gesessen ist, hat sie auf einmal wirkliche
-Schritte gehört, viele kleine Schritte und Klopfen an
-der Tür, und wie sie geöffnet hat, haben da vier kleine
-Buben gestanden, einer immer ein wenig kleiner als
-der andere, und der kleinste wie ein kleiner Kater, man
-hätte ihn in der Schürze tragen mögen; die baten um
-Einlaß.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Die Bübchen hatten die Schüssel geleert, die sie ihnen
-hingestellt, saßen mit schweren Augenlidern um die
-kleine Öllampe und erzählten weinerlich von Mutter
-und Vater und wie sie in die Irre gegangen seien. Die
-Frau ging von einem zum anderen, streichelte dem den
-Kopf, rückte dem das Halstuch zurecht, beugte sich verstohlen
-über sie, immer wieder mußte sie den Dunst
-ihrer braunen Hälschen einatmen, wie er sie aus dem
-Ausschnitt ihrer Kittel ankam, diesen Duft, in den sich
-ein Ruch mischte von Harz und Kohlenmeilern und fetter
-<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a>
-ungebleichter Schafwolle. Ach, und ihre singende Sprechweise
-war wie Amselzwitschern. Von einem guten, geplagten
-Vater, von einer harten geplagten Mutter erzählten
-sie, von dem Hündchen Strupp und den Meilern
-tief im Wald, von Bucheckern und Pilzen, und sie
-meinte, wieder tief drinnen zu stehen, die Füße im
-Heidelbeerkraut, die Sonnenstrahlen um sie her, als
-würde das Licht zur Orgel ... Aber auch von einem
-Dorf erzählten sie, wo sie zur Schule gingen, früh, wenn
-es kaum Tag war, die einsame Straße hin, wo Krähen
-auf verschneiten Steinhaufen saßen und schweren Flugs
-in die graue Luft stießen. Manchmal kam ein Planwagen
-und der Fuhrmann ließ sie aufsteigen, da kauerten
-sie unter dem Zeltdach im Stroh, über ihnen die
-schwankende Laterne, wo das irdene Geschirr verpackt
-lag, oder zwischen Mehlsäcken, und schliefen und träumten
-von frischem Brot. Die Kinder waren so müde, sie
-nickten beim Erzählen ein, und auf einmal fuhr die Frau
-zusammen und sagte: »Ihr dürft nicht hier bleiben, o
-um Heilands Namen, Ihr müßt fort, kommt, wir müssen
-gehen&nbsp;...«</p>
-
-<p>Denn sie meinte, sie habe die Treppe knarren hören,
-und sie rannte die morschen Stufen hinauf, wo in der
-großen, niederen Stube ihre kleinen Töchter schliefen.
-Aber die rührten sich nicht, lagen nebeneinander im
-Mondlicht, mit zurückgebogenen schneeweißen Gurgeln;
-und ihre Zähne glitzerten und der laue Atem ging aus
-und ein.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a>
-Draußen wußte sie keinen sicheren Winkel; die bösen
-Hunde spürten alles auf. Da brachte sie die Kinder in
-die Kammer, wo das ausgeweidete Reh hing, dort war
-Holz aufgestapelt, ein gutes Versteck. Dort würde
-sie keiner wittern vor Wildgeruch. Aber still sollten sie
-sein wie die Mäuse. Ach, durch die Nacht meinte sie
-schon die rauhe Stimme zu hören, und das Pferd, wie
-es müde, mit gebeugtem Kopf, die Hufe aus den schmatzenden
-Pfützen zog. So hüllte sie sich ganz in eine graue
-Decke ein, die nur ihre dunklen Augen freiließ, daß er
-das Beben ihres Mundes nicht gewahr werde, und zog
-den schweren Riegel zurück, als er näher kam.</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Wie dann der wilde Mann, von Wein beschwert,
-eingeschlafen war, winkte die Frau den kleinen Buben,
-und sie krochen aus ihrem Versteck hervor mit ängstlichen
-Augen. Da drückte sie sie ans Herz, die kleinen
-runden Köpfe, und küßte sie ins Genick und sog noch einmal
-den Duft ihrer sonnverbrannten Hälschen. Dann
-aber, den Finger am Mund, ging sie vor ihnen her, wo
-das Wasser zwischen den Erlen gluckste und der Mond
-schmalfingerig durch die Zweige griff. Und weiter, wo
-nur noch Gebüsch war und seichte, silberne Pfützen, wo
-der tote weiße Sand begann und der Pfad mählich
-aufstieg und dann am Rande des Steinbruchs vorbei,
-wo der Wind durch die Hallen und Höhlen fuhr und
-schwarze Gewässer tief unten heraufstarrten zum Mond
-wie Seelen, die kein Lichtstrahl mehr erhellen kann ...
-<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a>
-dort ging die Frau und trug den kleinsten im Arm, ein
-anderer hielt sie am Kleid und die größten folgten ihr
-nach; an Abgründen und Kreuzwegen kamen sie vorbei,
-aber keines sprach ein Wort; sie gingen mit blassem
-Angesicht, und die Frau irrte sich nicht und hielt auch
-nirgends an; sie sah nur gerade in die Luft, denn ihr
-Herz war ihr zum Wegweiser geworden. Dann, allgemach,
-senkte sich der Weg, die Steinbrüche blieben
-liegen, und schon schimmerte die Landstraße und ging
-von Nebelgrau zu Nebelgrau, aber in der Ferne blinkten
-Lichter ... Da kniete sie vor den Kleinen nieder
-und küßte sie, so jammervoll, und wies sie den Weg
-und flüsterte ihnen zu, guten Rat oder waren's nur
-Töne, wie brütende, säugende Tiere sie ausstoßen, in
-Angst und Liebe. Und wandte sich ab von ihnen in scharfem
-Schmerz, die nun still und ernsthaft im Mondlicht
-weiterstapften, kleine Buben, die so große Schatten warfen.</p>
-
-<p>Vor ihr der Weg stieg wieder an, den sie zurückgehen
-mußte; erst durch Wiesen, wo hier und dort ein Steinblock
-lag, weich eingebettet im feuchten Thymian, dann
-aber karg, umlagert von Geröll, graues Gesträuch
-klomm aus den Fugen. Dem Steinbruch zu wand sich
-der Pfad zurück, schon wieder fühlte sie den kalten Wind
-aus den Höhlen, der ihr das Kleid um die Knie straffte.
-Wie schwer waren ihr die Füße, wie leer das Herz.
-Daheim? Dort würden die bösen Hunde im Verschlag
-winseln, dort stand der Brunnen, das Haus, grau im
-ersten fahlen Licht. O Herzeleid, o Ersticken.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a>
-Gradaus ging sie mit weiten Augen, die Hände über
-dem erstorbenen Herzen, und wie der Kreuzweg kam,
-redete der Wegweiser in ihrem Herzen nicht mehr. Hinauf
-ging der Pfad, so steil, so steinig; war das der, den
-sie gekommen? Und der andere führte hinunter ins Geklüft,
-der ging sich leichter. Im Steinbruch wisperte es
-und seufzte, und immer tiefer ging sie hinein, und der
-graue Nebel rollte hinter ihr zusammen.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a>
-Glückliche Zeiten</h2>
-
-<p class="ce">Ein zeitlose Geschichte</p>
-
-<p class="ce">(Für Agnes und Else und andere artige Kinder)</p>
-
-
-<p class="mt2"><a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a>
-Also &ndash; da war einmal eine Prinzessin, die hatte
-sich im Walde verirrt und da begegnete ihr ein Drache,
-der sie sehr erschreckte. Aber so greulich er auch aussah,
-so hatte er doch ein mitleidiges Herz, und wie er sie
-weinen sah, nahm er sie mit in seine Höhle. Als sie nun
-einige Tage bei ihm gewesen war, gefiel sie ihm so gut,
-daß er sie nicht weglassen wollte, denn er führte ein
-einsames Leben, und etwas Jugend tat ihm wohl. So
-wurde die Prinzessin Stütze des Drachen mit Familienanschluß,
-aber was die Familie angeht, da war nur
-der Drache, denn er war ein alter Junggeselle, hatte
-auch keine Dienerschaft, darum war auch alles so verwahrlost,
-ja es sah recht unordentlich aus in der Höhle;
-aber das sollte ja nun die Prinzessin mit feinem Geschmack
-anders gestalten, und sie tat auch, was sie konnte,
-mit Girlanden und Waldblumenbuketts. Als nun die
-Prinzessin einige Zeit bei dem Drachen gewesen war
-und sich an mancherlei hatte gewöhnen müssen, begann
-sie, denn obgleich sie eine Prinzessin war, fehlte ihr doch
-nicht der Sinn dafür, die komischen Seiten ihrer Umgebung
-zu erkennen. Es war dabei manches schlimm genug.
-Wie zum Beispiel das Schnarchen des Drachen, wenn
-er sich schamlos dem Mittagsschlaf hingab, denn er gehörte
-zum Geschlecht der Suppenbläser und stieß abwechselnd
-aus dem rechten und linken Nasenloch greuliche
-Dämpfe aus. Hypochondrisch veranlagt wie er
-war, litt er an beständiger Angst vor Erkältungen, die
-ihn zu den seltsamsten Maßregeln greifen ließ. So hatte
-<a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a>
-er sich eines Tages ausgeklügelt, der Besitz zweier Nasenlöcher
-bilde eine stete Gefahr für das katarrhalisch disponierte
-Individuum, da sich das Gehirn zwischen
-diesen beiden Korridoren in fortwährender Zugluft befände.
-Deshalb hatte er, trotz ernstlicher Gegenvorstellungen
-der Prinzessin, das eine Nasenloch mit
-Moos verstopft, was eine Anschwellung der Gesichtshälfte,
-verbunden mit heftiger Migräne, zur Folge
-gehabt hatte. Nachts hörte die Prinzessin den Drachen
-in seinen großen Filzparisern durch alle Gänge schlurren,
-um nachzusehen, ob auch alles zu sei, und bei dem geringsten
-Wetterumschlag trank er einen abscheulichen Tee
-aus Baumrinde, zog Pulswärmer an und umwickelte
-sich den Hals mit einem alten himbeerfarbenen Cachenez,
-was zu seiner Hautfarbe äußerst fatal aussah und
-den Schönheitssinn der Prinzessin, die früher beim Hofmaler
-Weichschnabel aquarelliert hatte, empfindlich verletzte.
-Angenehm war es auch nicht, dabei sitzen zu müssen,
-wenn der Drache Makkaroni fraß. Diese hingen ihm
-dann wie Schlangen zu beiden Seiten des Maules
-herab, und mit den Pfoten stopfte er nach; die Prinzessin
-mußte wegsehen, sonst verging ihr der ohnedies
-zarte Appetit.</p>
-
-<p>Abends legte der Drachen Patience. Seine Klauen
-waren nie ganz rein; er tunkte sie ab und zu in den
-Sumpf und meinte damit ein übriges getan zu haben;
-und der Prinzessin blieb auch hier nichts anderes, als
-emsig an ihren Binsenkörbchen zu flechten, um nur
-<a class="pagenum" id="page_163" title="163"> </a>
-nicht hinsehen zu müssen. Diese zum Sammeln von
-Erdbeeren bestimmten Behälter häuften sich in einer
-Ecke der Höhle an. Es gab keine Erdbeeren in diesem
-Walde, und so waren sie eigentlich zwecklos. Einmal
-ertappte sich die Prinzessin bei dem Gedanken, man
-könne sie ja auf einen Basar für Ferienkolonien geben,
-denn die Handarbeiten fürstlicher Frauen fanden bei
-solchen gemeinnützigen Veranstaltungen stets reißenden
-Absatz. Hier freilich türmten sie sich als Angebot
-ohne Nachfrage im Hintergrund der Drachenwohnung auf.</p>
-
-<p>Alles in allem aber war die Prinzessin auf bestem
-Wege, sich den ungewohnten Lebensbedingungen anzupassen.
-Alles was recht ist, dachte sie (diese Redewendung
-hatte sie von einer bayerischen Kinderfrau
-aufgeschnappt), aber dies absolute <i>sans gêne</i>, diese Dehnbarkeit
-in der Zeiteinteilung (zum Beispiel das Mittagessen,
-das, ebenso unberechenbar wie das Osterfest,
-bald früh, bald spät stattfand), die schönen, ausgiebigen
-Schläfchen unter den Tannen ... das alles ließ ihr das
-frühere Leben, die Residenz im Stadtschloß, wie auch
-die sogenannte ländliche Zwanglosigkeit der sommerlichen
-Monrepos' und Sorgenfreis wie öde Korrektionshäuser
-erscheinen, wenn sie auch ab und zu nach ihrer
-Zofe Fanny mit dem Manikürekasten, nach ihrer silbernen
-Badewanne und schönen schaumigen Frühstückschokolade
-Sehnsucht verspürte.</p>
-
-<p>Manchmal ging der alte Drache aus, um andere
-Drachen, die wie nie abgelöste Schildwachen vor ihren
-<a class="pagenum" id="page_164" title="164"> </a>
-Schatzkammern lagen, zu besuchen. Er selbst war ein
-freier Drache, sozusagen ein Finanzminister im Ruhestand,
-der keine Rechenschaft mehr abzulegen hat, nur
-die Prinzessin war sein Schatz; und da er von Natur
-mißtrauisch war, nahm er sie wenn irgend möglich zu
-diesen Besuchen mit. Dann tranken die Drachen Meth,
-priemten und spuckten und spielten Karten, wobei sie
-sich gräßlich beschimpften und mit den Trümpfen auf
-den Tisch schlugen, daß es dröhnte. Aber allmählich gewöhnte
-sie sich an den Humor dieser Sonderlinge, ein
-Gemisch von abgestandenen Börsenwitzen und alemannischer
-Vierschrötigkeit, das aber zu den alten warzigen
-Herren paßte, wie die Verwünschungen cholerischer
-Propheten zu den Steinfratzen gotischer Kathedralen.&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Eines Tages nun, es war zu Frühlingsanfang,
-sah der Drache, nachdem er sein Mittagessen bewältigt
-hatte, gerührten Auges zu, wie die Prinzessin, nachdem
-sie einen Rest geschmorter Pilze und das übrige Blaubeerkompott
-weggeräumt hatte, mit ihren kleinen rauhgewordenen
-Händen den Eichelkaffee filtrierte. Ach, das
-war doch alles keine Arbeit für eine Prinzessin, dachte
-er beschämt und fühlte, wie sich seine kleinen grünen
-Plieraugen mit Tränen füllten, die er verstohlen mit
-den Klauen wegwischte, wenn sie auf seinen höckerigen
-Lederwangen niederflossen, die an ein Reisenecessaire aus
-Krokodilhaut erinnerten, nur daß sie nicht so schön poliert
-waren wie diese Erzeugnisse einer raffinierten Kultur.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_165" title="165"> </a>
-Draußen zwitscherten die Buchfinken in den knospenden
-Büschen und suchten nach gegabelten Ästen, ihre
-Nester darin zu befestigen. Durch das dürre Laub streckten
-Tausende von Anemonen ihre weißen, feingeäderten
-Kelche, die im Frühlingswind schwankten, und überall,
-wo immer ein feuchtes Fleckchen zu finden war,
-hatte die Sonne es aufgespürt und blitzte darin wie in
-Glasscherben; durch die kahlen Baumwipfel sah man
-den blauen Himmel mit vielen kleinen, runden Lämmerwölkchen
-schimmern, es roch nach Erde und nach Moos,
-und aus den Sümpfen kamen bedächtig die Kröten
-gewandert und trugen, wie einst die Weiber von Weinsberg,
-eine jede ihren kleinen Ehemann auf dem Rücken.
-Da auf einmal fühlte die Prinzessin ein so tiefes Mitleid
-mit dem armen Drachen, der so alt und schäbig
-mitten in dem hellen Frühlingswetter dasaß, und den
-man eigentlich in eine chemische Reinigungsanstalt hätte
-schicken müssen. Er würde nie eine Drachin und liebe
-kleine Drachen sein eigen nennen, dazu war er doch
-viel zu alt und häßlich, und wenn sie einmal befreit
-würde, bliebe er allein zurück und hätte niemand, der
-sich um ihn kümmern würde; denn wenn sie ihn mitnahm,
-kam er doch nur in den Zoologischen Garten, wo
-ihn die Kinder mit Sonnenschirmen und Stöcken ärgern
-würden und er eine betonierte Felsenhöhle bekäme &ndash;
-die reine Attrappe, und alle Tage abgekochte Mohrrüben,
-die er nicht leiden konnte. Armer, alter Drache!
-Und sie hatte während der ganzen Zeit kein böses Wörtchen
-<a class="pagenum" id="page_166" title="166"> </a>
-von ihm zu hören bekommen und hatte doch selber
-&ndash; besonders im ersten halben Jahr &ndash; nichts getan,
-als die Nase rümpfen über das Essen und die mangelhafte
-Einrichtung; und er gab es doch, so gut er's hatte!
-Da neigte sie sich über ihn und kraute ihn ein wenig
-hinter den Ohren, wozu er die Mundwinkel hochzog und
-ein Gesicht machte wie Wagnerianer, wenn das Lied
-von den Winterstürmen und dem Wonnemond losgeht,
-legte ihre Samtwange auf sein runzeliges Haupt
-und aus ihren schönen Augen rollte eine Träne. Und
-dann küßte sie ihn mitten auf sein grünpatiniertes
-Nasenbein.</p>
-
-<p>Aber im selben Augenblick geschah ein furchtbarer
-Donnerstoß, die Erde schwankte, Bäume und Gestein
-drängten sich zusammen oder sanken auseinander, ihre
-Farben verwandelten sich, das Dach der Höhle hob und
-wölbte sich, und Bäume wurden zu Säulen; es war,
-als wirbelte ein Kaleidoskop um sie her, und wie sie
-wieder zur Besinnung kam, saß ein schöner, wohlerzogener
-Prinz in entzückender Uniform, mit Ordenskette
-und blitzendem Stern ihr zur Seite, in leuchtendem
-Saal, und alles war verwandelt, ihr Kuß hatte den
-Zauber gelöst, nur die Erdbeerkörbchen standen noch
-da, waren nun aber aus Goldgeflecht, und in jedem
-lagen, wie Ostereier, vier bunte, leuchtende Steine.</p>
-
-<p>Schöne Damen kamen paarweis geschritten, mit demütigen
-Schwanenhälsen und hoffärtigen Schleppen,
-sie hielten ihre Kleider mit spitzen Fingern und versanken
-<a class="pagenum" id="page_167" title="167"> </a>
-wie sterbende Springbrunnen, wenn sie vor Prinz und
-Prinzessin vorüberzogen. Da waren Herolde, angetan
-mit historischen Wappenröcken, mit Locken und spitzen
-Bärten, gerade wie Kartenkönige, nur daß sie Beine
-hatten; schöne kleine Pagen mit Krone und Zepter
-auf seidenen Kissen, süß lächelnde Kammerfrauen mit
-reizenden Hündchen, auch eine kleine Mohrin war dabei.
-Auf den Galerien aber hinter goldenen Gittern
-bliesen und fiedelten die Musikanten, daß es eine Lust
-war, und das silberne Haar des Kapellmeisters wehte
-nach allen Seiten vor Begeisterung ... Nun zogen die
-Köche vorbei, weißgekleidet, feist und glatt, mit Kochlöffeln
-und blanken Messern im Gurt, und hinter ihnen
-die Küchenjungen, wie ein Echo in kleinem Format,
-dann der Troß der Stallmeister, der Jäger und Hornisten,
-die Treiber und Hundejungen mit Peitschen und
-Netzen, und schließlich auch das Aschenweib, das nur
-dazu da war, die Asche aus den Kaminen fortzutragen,
-grau und zerzaust wie eine mauserige Krähe. Aber ganz
-zuletzt kam die Märchenerzählerin der fürstlichen Kinder,
-die war so uralt, daß sie die Leute in den Märchen
-persönlich gekannt hatte; klein und gebückt trippelte sie
-vorüber in spitzem Hut und grünem Mäntelchen.</p>
-
-<p>Alle machten ihre Reverenz, die Prinzessin mußte in
-einem fort lächeln und nicken, und nun kamen drei Hofprediger
-mit feierlichem Glockengeläut und begrüßten
-das fürstliche Paar im Namen des Höchsten mit überaus
-herzlichen Gebärden ihrer kleinen, weißen, wohlgenährten
-<a class="pagenum" id="page_168" title="168"> </a>
-Hände, wie segnende Maulwürfe. Die Bäume
-rauschten, die Brunnen sprangen und tanzten und die
-Glockentöne waren rund und tief wie die Glocken selbst;
-aber die Sonne blies die Backen auf und posaunte auf
-ihre Weise mit langen, heißen Stößen. Und dann wurde
-die Hochzeit gefeiert.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Aber als sie nun viele Jahre König und Königin gewesen
-waren, dachte die Königin manchmal zurück an
-ihre Höhle. Nun war sie bequem und dick geworden, und
-die schönste Stunde des Tages war die von drei bis vier,
-wenn sie ihr Korsett auszog und sich mit einem Roman
-auf den Diwan legte. Die Kammerfrau holte ihr die
-herrlichsten Schmöker aus der Leihbibliothek, denn der
-König ließ sie durch den Hofbibliothekar ausschließlich
-mit Memoirenliteratur versorgen; aus diesen Produkten
-des <i>ancien régime</i> hoffte er, daß sie den Geist
-feiner <i>répartie</i>, der ihr von der Natur versagt war, erlerne.
-Sie gestand es sich kaum ein, aber eigentlich
-hatte sie dies Leben gründlich satt mit seinen Denkmalsenthüllungen
-und Audienzen, wo die Menschen immer
-ganz kleine Mündchen machten, als könnten sie nur
-Tütü sagen. Die Tage waren so künstlich zugeschnitten,
-jede Stunde fügte sich in die andere ein wie bei einem
-Geduldspiel, da war keine Ritze, wo die kleinste Maus
-hätte durchschlüpfen können, und nun überkam sie oft
-ein Verlangen nach anderem, wie ein wohlerzogener
-Knabe aus guter Familie, der in eine Hafenstadt kommt,
-voll neidischer Wonne nach den schmutzigen Schiffsjungen
-<a class="pagenum" id="page_169" title="169"> </a>
-auf den Heringsbooten schielt. Der alte Drache
-&ndash; ja es war merkwürdig, wie bald er sich in alles gefügt
-hatte. Wenn sie an seine Filzpariser dachte! Nun,
-er hatte sich ja auch viel gründlicher als Drache ausgelebt.
-Nun war er ein kleiner, trockener, ältlicher Herr
-geworden, mit einer irritierenden Art sich zu räuspern,
-und all die Vorschriften der Etikette waren ihm unentbehrlich
-wie eine hygienische Unterbekleidung. Neuerdings
-konnte er sich ganz merkwürdig über die kleinsten
-Mißgriffe aufregen, so neulich, als die Zuckerzange nicht
-gleich bei der Hand war. Da hatten seine Augen Drachengift
-geschossen, wie sie es damals, in der Höhle, nie getan.
-Der Lakai schlotterte und der Oberhofmarschall
-fühlte die Fundamente seines Daseins wanken. Aber
-die Königin konnte nicht an sich halten; sie lachte in
-ihrer unpassend explosiven Art und bekam einen ganz
-roten Kopf: »Lieber Mann,« sagte sie und wischte sich die
-Tränen aus den Augen &ndash; denn sie mußte beim Lachen
-immer weinen &ndash; »als wir noch in der Drachenhöhle
-lebten, hast du deinen Zucker abgebissen und den Kaffee
-trankst du aus der Untertasse wie eine Waschfrau.« Alles
-war wie versteinert, denn die unselige Drachenepisode
-wurde ja totgeschwiegen und jede Anspielung darauf
-als grobe Taktlosigkeit empfunden; eine Zeit eisiger Ungnade
-war die Folge dieser übelangebrachten Reminiszenzen.
-Seitdem versuchte die Königin ihre seelischen
-Aufwallungen zu unterdrücken, aber wenn sie im halbverdunkelten
-Boudoir der Ruhe pflegte, kam es über
-<a class="pagenum" id="page_170" title="170"> </a>
-sie, und vor ihren geschlossenen Augen stand die Höhle
-wieder auf, braungrün und verräuchert, ach, und so
-traulich!</p>
-
-<p>Heut gerade war ein schläferiger Sonntagsnachmittag,
-dessen freundliche Langeweile durch die Ritzen
-der Jalousien drang. Die Wache auf dem Rondellplatz
-vor dem Schloß war eben aufgezogen, die Kommandoworte,
-das Trommeln verhallte, und nun begannen die
-beiden Schildwachen ihr Auf und Ab, bis zur nächsten
-Ablösung. Nettgekleidete Bürgerfamilien wanderten
-auf den Kiespfaden und bewunderten die schönen Teppichbeete,
-die den Neid zugereister Hofgärtner erregten.
-Weiter ab, unter den Kastanienbäumen wandelten Landgerichtsräte
-und Gymnasiallehrer, und bleiche, schwärmerische
-Jünglinge saßen auf den Bänken und lasen in
-Reklambändchen. Die kleinen Knaben und Mädchen
-aber freuten sich ihrer roten Luftballons, und alles
-strömte dem Schloßgarten zu, der Sonntags dem Publikum
-offenstand. Die fürstliche Frau hatte es sich leicht
-gemacht. Das Korsett lag, gedemütigt wie ein verabschiedeter
-Zeremonienmeister, auf dem Teppich, ihre
-Füße dehnten sich in weiten, gelben Babuschen, und
-sie begann eben den zweiten Band vom Geheimnis der
-alten Mamsell. Aber sogar dieses ganz neue, ungemein
-fesselnde Werk konnte die Gedanken nicht bannen. Hatte
-sie nicht eben, in der Ferne, einen leisen Kuckucksruf gehört?
-Es war das freilich die Schwarzwälderuhr des
-Türhüters gewesen, die man in der sonntäglichen Stille
-<a class="pagenum" id="page_171" title="171"> </a>
-schlagen hörte, aber auch die stammte aus dem Walde,
-darum war wohl ihr Ton so echt; mit einemmal wuchs
-ihre Sehnsucht riesengroß; sie mußte den Wald wiedersehen,
-ob sie gleich ahnte, daß es dort nicht mehr sein
-würde wie einst. Ohne Zaudern zog sie sich an und band
-einen grünen Schleier über den Hut, von der glänzenden
-Sorte, die sich Donna Maria nannte und damals
-Mode war. Das Glück war ihr hold, denn die Lakaien,
-die im Treppenhaus, bei schläferigem Fliegengesumm
-Dienst hatten, glaubten, sie ginge in den Privatgarten;
-als sie aber an die Tür kam, die zu ihm führte, saß da
-der alte Türhüter und war über dem Sonntagsblättchen
-eingenickt: so schlüpfte sie hinaus.</p>
-
-<p>Niemand gab auf sie acht, als sie den Schloßpark
-durchquerte, denn sie ging nur selten zu Fuß; träge und
-fett, wie sie war, fuhr sie stets in der Karosse. Auch sah
-sie in ihrem Alter der Frau Hofkonditor Butterweck
-ähnlich, und in ihrem einfachen Anzug galt sie den
-Spaziergängern wohl für diese, wenn sie sich überhaupt
-nach ihr umsahen. So wanderte sie unerkannt, wie
-irgendeine behäbige Bürgersfrau, durch den Schloßgarten,
-zum äußeren Tore hinaus und eine lange Rüsterallee
-hinunter, an deren einer Seite Seildreher ihre
-Werkstatt hatten, wo man sie wochentags sehen konnte,
-die Schürze voller Werg, aus dem sie, rückwärtsschreitend,
-wie Kreuzspinnen, ihre langen Seile drehten.
-Nach längerem Gehen, das ihr manchen Seufzer entriß,
-denn es war ihren Füßen eine ungewohnte Fron,
-<a class="pagenum" id="page_172" title="172"> </a>
-lenkte ein Weg seitab in den Wald, oder vielmehr dorthin,
-wo er früher gestanden hatte. Denn es war freilich
-alles anders geworden. Da waren Bänke und Wegweiser
-und kleine Buden, wo man Himbeerwasser und
-Sandtörtchen kaufen konnte, die reliquienhaft unter
-Glasstürzen schimmelten; ach und eine ganze Straße
-von blitzblanken Villas mit Erkern und Türmen und
-gotischen Fenstern war entstanden, wo pensionierte
-Generale ihren Ruhestand verlebten, sich der Rosenkultur
-widmeten und die Blattläuse mit Ausdauer und
-Tabakslösung bekämpften. Ach, wo war das Dickicht von
-einst? Den Krötensumpf hatte man ausgetrocknet, Kinder
-in schottischkarierten Kleidern und schrecklichen
-Schürzen aus Wachstuch spielten dort im Sand, ja der
-Platz hieß sogar nach ihr, Karoline-Amalien-Platz, denn
-in ihrer Familie hatten die Frauen alle so schreckliche
-Namen, und die Männer hießen Adolf oder Emil oder
-Ferdinand, was auch nicht hübsch war. Auch ihr Drache
-hieß Ferdinand. Ach, wo waren die Drachen geblieben!
-Tot oder ausgewandert? Oder hatte sie alles nur geträumt?
-Dort, die alte Eiche, oh, sie erkannte sie wieder;
-wie oft hatte sie dort gesessen und den sich paarenden
-Eichkätzchen zugeschaut, wie sie sich haschten, immer um
-den Baum herum. Einmal noch wollte sie seine Rinde
-streicheln. Aber was hing dort an seinem Stamm? War's
-ein Muttergotteshäuschen? Dann würde dort auch eine
-Bank sein, oh, wie brannten ihre Füße, wie gut würde
-man sitzen unter dem breiten Geäst. Da ging sie näher,
-<a class="pagenum" id="page_173" title="173"> </a>
-aber es war kein Muttergotteshäuschen, sondern ein
-lackierter Kasten war aufgehängt am Eichenstamm, und
-es stand daraufgeschrieben: Gegen Einwurf eines Fünfzigpfennigstücks
-eine Tafel echt deutsche Familienschokolade.
-Über dem Kasten aber war noch ein Blechschild mit deutender
-Hand: Restaurant Drachenhöhle, Kegelbahn,
-Kaffee und Bier. Zehn Minuten. Da fühlte sie Erbarmen
-mit dem Baum und mit sich und mit all den alten vertriebenen
-Drachen; und mußte weinen. Aber wenn sie
-weinte, ging das nie ohne vielfaches Nasenputzen vor
-sich, daß sie ganz rot und verschwollen aussah, und das
-war ja auch nicht königlich.</p>
-
-<p>Als sie sich ausgeweint hatte, ging sie langsam, denn
-die Füße taten ihr weh, in ihr kühles Königsschloß zurück,
-wo man sie bereits vermißt hatte und ihr Hofstaat im
-Begriff stand, den Schloßpark nach ihr abzusuchen.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_175" title="175"> </a>
-Zoologie</h2>
-
-<p class="ce">In Erinnerung eines kleinen Tiergartens,<br />
-der verschwunden ist</p>
-
-
-<h3><a class="pagenum" id="page_177" title="177"> </a>
-<i>I</i><br />
-&emsp;
-<br />Die Kastellanin</h3>
-
-<p>Damals war ich oft bei der Känguruhmutter. Sie hatte
-liebe, staubige, kurzsichtige Augen, als hätte sie bei
-Lampenlicht zuviel schwarze Strümpfe gestopft, und
-einen verschwiegenen Zug an den Mundwinkeln wie
-alte Kinderfrauen, die in der Familie geblieben sind und
-vieles haben mitansehen müssen. Sie hätte einen kleinen
-Kapotthut tragen sollen, mit Glaskirschen oder Samtpensees
-und eine Mantille; und Klatschkaffees geben
-und immer wieder nötigen, man möge doch zugreifen:
-»Denn es ist alles mit reiner Butter, meine Damen,
-Kokos und Margarine und all diese schrecklichen Erfindungen
-dürften Sie umsonst in meiner Speisekammer
-suchen; einfach aber prima das ist mein Wahlspruch.«</p>
-
-<p>Die Känguruhmutter und ich, wir verstanden uns. Wenn
-sie mich sah, kam sie gesprungen. Aber gleichsam entschuldigend,
-sie könne nun einmal nicht anders. Ich
-brachte ihr das Angebackene vom Schokoladenpudding.
-Süßigkeiten und ihr Kuhlchen im Heu, das war ihr Schönstes.
-Ich konnte das begreifen. Es kommt einmal die
-Zeit, wo man Äußerlichkeiten verachtet. Und dann offenbart
-das Leben andere, stillere Reize.</p>
-
-<p>Als ich Frau Känguruh kennen lernte, hatte sie ein
-ganzes Schurzfell voll Kinder, das letzte Andenken von
-dem Herrn Känguruh, der selber im australischen Busch
-geblieben war. Wie ein Briefträger zur Neujahrszeit lief
-<a class="pagenum" id="page_178" title="178"> </a>
-sie daher, aber statt Päckchen und Kreuzbandsendungen
-waren es kleine Känguruhs, die aus ihrer Tasche kullerten.
-»Nun ist mir leichter,« sagte sie, als die Kleinen größer
-geworden, zu groß für den Schlafsack, »aber nun friert
-mich beständig. Ja, ja, die Kinder gehören der Mutter,
-doch nur so lange sie klein sind.« Denn ihre Schwäche
-waren wohl gewisse, etwas rührselige Gemeinplätze.
-Damals schon hätte ich ihr gern ein Schaltuch
-geschenkt.</p>
-
-<p>Später dann wanderten ihre Kinder aus, in andere
-Gärten, und sie blieb allein. Mit den übrigen Nachbarn
-konnte sie sich nicht anfreunden. Es fehlte die Resonanz.
-Sie bezog ein leidlich großes Quartier, mit einer Trauerweide
-in der Mitte und ihrem Borkenhäuschen in einer
-Ecke, das mich immer an eine alte illustrierte Ausgabe
-von <i>Paul et Virginie</i> erinnerte, die wir auf dem Lande
-besaßen. Aber mit zwei Sprüngen war sie doch gleich am
-anderen Ende. Und das nagte an ihr. Bis sie dann älter
-wurde und ruhiger.</p>
-
-<p>»Sie glauben nicht, was ich früher für ein Temperament
-hatte,« sagte sie. »Aber nun ist man ja zufrieden,
-wenn man sein Essen hat und sein Plätzchen im Grünen.«</p>
-
-<p>Die Känguruhmutter wäre eine entzückende Kastellanin
-gewesen. Im grauen, gehäkelten Seelenwärmer,
-den Schlüsselbund am Gürtel, wie wäre sie emsig die
-weißen, hallenden Treppen auf und ab gerannt; wie
-pflichttreu hätte sie Staub gewischt. Wie hätte sie andachtsvoll
-die seufzenden Mahagonisekretärs geöffnet
-<a class="pagenum" id="page_179" title="179"> </a>
-und aus der griechischen Tempelarchitektur im Hintergrund
-jene schicksalsschwere Wedgwoodtasse hervorgeholt
-und den Auserwählten gezeigt, wie auch das
-Original des berühmten, herzzerreißenden Sonetts, das
-der Dichterfürst damals, am Tag der Abreise, auf einen
-alten Brief gekritzelt hatte!</p>
-
-<p>Wie würde sie mit der Überzeugungskraft steter
-Wiederholung, all die längst berichtigten Unwahrheiten
-über das Damenporträt im fürstlichen Alkoven den lauschenden
-Amerikanern versetzt haben, die gläubig und
-starr, in riesenhaften grauen Filzschuhen einen Halbkreis
-um sie bildeten, hypnotisierten Strandläufern vergleichbar!
-Und mit welcher Ehrfurcht würde sie den
-weißen Überzug eines Tapisseriesessels gelüftet und mit
-leiser Stimme versichert haben, die übrigen elf seien
-genau ebenso und alle, alle seien sie von der Hand der
-hochseligen Maria Pawlowna gestickt&nbsp;...</p>
-
-
-<h3><i>II</i><br />
-&emsp;
-<br />Das Marmutzchen</h3>
-
-<p>Ganz im Dunkeln, hoch oben in einem Winkel hockt
-das Marmutzchen. Aber eigentlich heißt es Lemur und
-lebt in Madagaskar, wo ich auch leben möchte, denn ich
-glaube, ich könnte alles Böse vergessen, wenn ich eine
-Schar solcher Marmutzchen mein eigen nennte. Oder
-auch nur eins. Sie haben buschige Schwänze, wie Eichkaterchen,
-nur viel länger; spitze Schnäuzchen und spitze
-<a class="pagenum" id="page_180" title="180"> </a>
-Öhrchen mit kleinen Haarbüscheln, große, große Glühaugen
-und kleine streichelnde Hände wie Affen. Aber
-sie sind nur Halbaffen und es wird gar kein Aufhebens
-mit ihnen gemacht.</p>
-
-<p>Sie sollten ganz große Käfige haben &ndash; so groß wie
-der Käfig vom Lämmergeier&nbsp;&ndash;, um von einem Baum
-zum anderen zu springen, und überall kleine, verschwiegene
-Höhlen für Familienglück, und Bananen und Kirschen
-in Fülle. Sie machen den Menschen nichts nach
-wie die wirklichen Affen, die so traurig und beschämend
-sind, denn man taugt doch, weiß Gott, nicht zum Vorbild;
-nein, sie haben gar nichts vom Menschen, bis auf
-die kleinen schwarzen Hände, die innen kühl und zart
-und faltig sind; so wie ich mir Rumpelstiltzchens Hände
-denke.</p>
-
-<p>Armer kleiner Lemur, ganz allein in seinem finsteren
-Winkel. Und dann pfeife ich &ndash; die ersten zwei Takte
-der Serenade aus Don Juan, und er klettert herunter
-und läßt sich krauen, so gut es durch das Gitter geht. Ach,
-wenn man doch Gottvater wäre, oder vielleicht besser
-noch Direktor des Zoologischen Gartens, da könnte man
-dem Marmutzchen noch glückliche Tage schaffen, ehe es
-stirbt. Denn schon ist es alt, sein Pelz ist schäbig geworden
-und die großen Glühaugen werden trübe, die kleinen
-Händchen können sich nicht mehr festhalten. O Wälder
-Madagaskars, o flüsterndes Schilfrohr, wo sich die Bäume
-im Abendrot der Sümpfe spiegeln ... Möchte die
-Seele des armen Marmutzchen zurückfinden in euer
-<a class="pagenum" id="page_181" title="181"> </a>
-Dämmergrün, auf den Lianen schaukeln, die sich von Ast
-zu Ast schlingen, wenn die laue Luft durch die Wipfel
-geht und in der Lichtung der Mond über die Gräser trippelt.</p>
-
-
-<h3><i>III</i><br />
-&emsp;
-<br />Vom Seelöwen</h3>
-
-<p>Ich sagte zum Seelöwen: »Ihre schlichte Haartracht
-eignet sich wunderbar für das Element, in dem Sie
-leben. Aber es gehört Ihre Kopfform dazu, um so, aller
-Einrahmung bar, zu bestehen.«</p>
-
-<p>Der Seelöwe schniefte. Ich wollte ihm mein Taschentuch
-geben, aber es war doch besser, nichts zu bemerken.
-Er hatte sich in seinem nassen Dekolleté ganz über die
-steinerne Brüstung seines Behälters gelehnt; mit der
-unbekümmerten Schamlosigkeit einer alten, fetten Palastdame,
-die einsam in der Hofloge einer kleinen Residenzstadt
-thront, wo die besseren Damen sonst nur in
-Seidenblusen, hoch herauf, erscheinen.</p>
-
-<p>»Ihre abfallenden Schultern,« fuhr ich fort, »würden
-den seligen Winterhalter zu unsterblichen Werken begeistert
-haben. In meiner Kindheit war sein Ruhm auf
-dem Höhepunkt und die stolzesten Fürstinnen bestürmten
-sein Atelier. Schultern wie die Ihrigen waren damals
-Vorschrift; an ihnen rieselten die Mantillen nieder wie
-elegische Wasserfälle. Ja gewiß, er würde Sie gemalt
-haben, am Arm ein Körbchen mit ganz unwahrscheinlichen
-Weintrauben, bläulicher Parknebel und irgend
-<a class="pagenum" id="page_182" title="182"> </a>
-etwas Gerafftes im Hintergrund. Vielleicht auch eine
-Balustrade. Solche lächelnden Damen hingen dann im
-Dämmerlicht in Salons mit Boulemöbeln, die sich immer
-kalt anfühlten, und karmesinfarbenen Sesseln und Sofas,
-wo die kleinen Mädchen Clementi übten oder etwas
-Leichteres von Chopin, zur Weihnachtsüberraschung für
-den Vater. Die Sonne glitzerte ab und zu in den Kristallkronen
-und alle Samstag kam der kleine asthmatische
-Uhrmacher und zog stöhnend die schwarze Marmorpendüle
-auf. Die Dame an der Wand sah lächelnd vor sich
-hin. Eine Tante, die im Ausland gestorben war&nbsp;...«</p>
-
-<p>»Sagen Sie mir,« sprach ich zum Seelöwen, »wenn
-Sie so vor sich hinsehen, kurzsichtig vor lauter Weitsichtigkeit,
-was ist's, das sich in Ihnen spiegelt? Die matte,
-tausendmal durchatmete Luft dieses Gartens weckt die
-Sehnsucht, aber tötet sie nicht die Erinnerung? Wenn
-Sie doch sprechen könnten! Stundenlang wollte ich Sie
-hinter Ihren kleinen Ohrlöchern krauen, wenn Sie mir
-von damals erzählen wollten, von den grünen, unmenschlichen
-Mondnächten über den Klippen, oder von der Tiefe,
-wohin die Stürme nicht mehr dringen, wo man zwischen
-Seepflanzen schwimmt, die beinah Tiere sind, die sich
-zusammenziehen und wieder auftun wie Fäustchen saugender
-Kinder. O wie begreife ich nun Ihr Schniefen,
-aus dem ich Ihnen beinah einen Vorwurf gemacht hätte.
-Ja, Sie fahren auf den Grund, Sie suchen, aber da ist
-nichts, alles zementiert, nur verfaulte Äpfel und aufgeweichte
-Brotrinden, womit Unwissende Ihr Becken verunreinigten;
-<a class="pagenum" id="page_183" title="183"> </a>
-und dann fahren Sie hoch und prusten, und
-suchen in der Luft nach Salz, nach treibendem Seegrasduft
-... Ja, und dann schwillt Ihr Hals an, mehr und
-mehr und pendelt wie irrsinnig von links nach rechts,
-Ihr kleiner Schlangenkopf biegt hintenüber, Ihr glitzernder
-Rachen öffnet sich und schleudert den Schrei hinaus,
-zweimal, dreimal, den großen, harten, heiseren Schrei,
-der Ihre glatten, gehorsamen Weibchen vor sich hertrieb,
-im Morgengrau, der Sandbank zu ... O Salz,
-Salzschaum in den Bartstacheln, gutes, beißendes Salz,
-das durch die kleinen, runden Naslöcher hochgepumpt,
-das Hirn spült und als eisklare Träne zurückrinnt in den
-tropfenden Bart. Ach, ich fühle es wohl, Sie sind hier
-gänzlich deplaciert. Aber wer wäre es nicht in einem
-Gefängnis&nbsp;...!</p>
-
-<p>Wie Sie diese Philister verachten müssen mit ihren
-Kuchentüten und Sonnenschirmen, mit ihren Brautpaaren
-und Kindern, die nicht gehorchen und doch vor
-allem Furcht haben. Wie erbärmlich ist dies Geschlecht,
-das seine Glieder versteckt und unter Wasser erstickt!</p>
-
-<p>Sie in ihrem Niedergang sind jedenfalls ehrlich, leben
-nur noch für den Augenblick, wenn der Mann in der
-blauen Jacke Ihren Eimer voll kleiner, weißbäuchiger
-Fische in das Bassin schüttet. Und im übrigen grunzen
-Sie in der Sprache der Meergötter, die niemand versteht,
-und machen Wassergymnastik, und es wäre zu wünschen,
-Wagners Rheintöchter hätten Sie zum Lehrmeister
-gehabt.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_184" title="184"> </a>
-Meine Hochachtung. Aber ich will gehen. Es hat mich
-alles etwas deprimiert. Wenn möglich, bringe ich Ihnen
-das nächstemal einen Seefisch. Seien Sie mir gegrüßt!«</p>
-
-
-<h3><i>IV</i><br />
-&emsp;
-<br />Myra</h3>
-
-<p>Es ging gegen Abend und ich wollte gehen, aber da
-lernte ich eine Amme kennen, ach, eine verzweifelte
-Amme, denn sie durfte nicht mehr zu ihrem Pflegekind.
-Manchmal hört man Mütter sagen, daß sie ihre Kinder
-vor Liebe fressen möchten, aber hier war es der Säugling,
-der die Mutter fressen würde. Ziemlich gelangweilt
-saß er hinter den Gitterstäben. Eine ganze Weile hatte
-er mit der dummen Holzkugel gespielt, denn das wurde
-von ihm erwartet. Was aber nun? Ab und zu blinzelte
-er hinunter zu ihr, die aus verschleierten Goldtopasen
-unverwandt zu ihm aufsah und nur ab und zu einen
-kurzen, sehnsüchtigen Blaff ausstieß. Er aber kniff die
-Augen zu; sein Schmerz war schon von der Watte Gewohnheit
-umwickelt; er träumte von seiner neuesten
-Entdeckung: Beefsteak.</p>
-
-<p>Der Wärter kam und scheuchte sie hinaus; aber die
-Türen blieben der Wärme wegen geöffnet, so kehrte sie
-immer wieder auf ihren Platz vor dem Käfig zurück.
-»Ja, das Vieh kann einem dauern,« sagte der Mann.
-»Nun sind es schon vier Wochen, daß Cäsar <i>II.</i> entwöhnt
-ist, aber sie gibt noch immer keine Ruhe. Und gelitten
-<a class="pagenum" id="page_185" title="185"> </a>
-hat sie auch, sie schwoll so furchtbar an und hatte richtig
-Milchfieber. Wir wollten ihr kleine Hunde anlegen, damit
-ihr leichter würde, die Jungen von der Polarhündin,
-die eingegangen ist. Mein Kollege hat alles versucht,
-aber nein, sie ließ sie nicht ankommen; sie ist nun mal an
-Löwen gewöhnt.«</p>
-
-<p>Ich sah ihn an. »Ja, dies ist das drittemal, daß sie bei
-Löwen Amme ist. So eine gibt's bald nicht wieder. Aber
-jedesmal ist's beinah zum Sterben mit dem Absetzen,
-bis sie sich drein ergibt.«</p>
-
-<hr class="hr60" />
-
-<p>Wieviel vernünftiger, dachte ich, handeln die Menschen.
-Ein deutlicher Fingerzeig, daß sie zum Herrschen
-erkoren sind. Da war Teresina, die Toskanerin. Sie kam,
-vom deutschen Arzt unter vielen Aspirantinnen auserwählt,
-zu meiner jungen Freundin, die sanft und erschöpft
-in ihren schönen Kissen lag. Teresina schien eine
-Bettlerin &ndash; sie kam in Lumpen. »Das,« sagte der blonde
-Germane, »darf Sie nicht irremachen, meine Gnädigste.
-Zu Haus hat sie Schränke voll Kleider und Wäsche. Dies
-ist hier nun einmal Geschäftsusance. Aber sehen Sie
-her ... ist sie nicht prachtvoll? <i>Apri</i>,« sagte er kurz und
-geschäftsmäßig.</p>
-
-<p>Teresina öffnete ihr grobes und zerrissenes Hemd.
-Maria Beata wunderte sich. Sie hatte mehr erwartet.
-Gerade hier in der Heimat Michelangelos. »Klein,«
-sagte sie schüchtern. »Klein?« wiederholte der Blondbärtige
-verächtlich. »Juno könnte stolz sein auf eine
-<a class="pagenum" id="page_186" title="186"> </a>
-solche Brust. Man bringe den Säugling,« setzte er sachlich
-hinzu.</p>
-
-<p>Der Säugling wurde gebracht, von Maria Beata mit
-großen ängstlichen Augen verfolgt, ähnlich einer Katze,
-die zusehen muß, wie man ihre Jungen aus dem Neste
-hebt, um sie teils zum Leben, teils zum Stadtbach zu verurteilen.
-»Lege ihn an,« sprach der Teutone zur Toskanerin.</p>
-
-<p>»<i>Tesoro mio</i>,« schrie Teresina auf, kaum daß sie ihn im
-Arm hatte. Und nun kam der Paroxysmus: »<i>Subito si
-è attacato, povero bimbo, ma che tu hai patito la fame?
-Ah birbone, ah figlio d'un cane, ma che tu sei 'na
-sanguesuga? Eh Coccodrillo, eh rospo di macchia, ma
-la guardi come poppa!</i>« Denn in jenem Lande versteckt
-sich mütterlicher Enthusiasmus schamhaft unter Injurien.
-Aber schon leckten ihre Augen gleich braunen
-Schlängelchen der Liebe und Eifersucht an den rosigen
-Gliedern ihres kleinen Milchsohns auf und nieder. Und
-Maria Beata erkannte, daß hier eine Mitregentin sei.</p>
-
-<p>Als nach neun Monaten Teresina, mit einem rhapsodischen
-Zeugnis und zahllosen Geschenken versehen,
-das Haus der <i>Tedeschi</i> verließ, war dem ein kurzer aber
-rasender Schmerzensausbruch vorangegangen. Aber der
-Kopfputz aus dunkelroten, getollten Seidenbändern, der
-sie in eine Dahlie verwandelt hatte, die zitternden Silbernadeln
-und Korallenketten, die gestickten Busentücher
-und großen Musselinschürzen, die Hemden und Röcke,
-die Schuhe und Zwickelstrümpfe: alles ging mit, alles
-kam in den großen Cassettone zu Füßen von Teresinas
-<a class="pagenum" id="page_187" title="187"> </a>
-mächtigem Ehebett. Und das war tröstlich. Ja, nun ging
-es heim zum <i>Marito</i>, der vor Porta Romana eine Droschke
-innehatte mit einem einäugigen Schimmelchen, <i>la
-Stellina</i> benannt, das mit grüner, heimlich ausgeraufter
-Gerste gefüttert wurde. Heim in den kleinen Vorort, wo
-die Frauen so gemütlich in Nachtjacken vor ihren Haustüren
-sitzen, mit Strohflechterei beschäftigt; wo es sich so
-nett und gründlich mit den Nachbarinnen tratscht, während
-über einem an den Hausmauern in praller Sonne, in
-vielen winzigen Käfigen, die kleinen, geblendeten Vögel
-unaufhörlich trillern, weil sie ja nicht wissen können, ob
-Tag oder Nacht ist.</p>
-
-<p>»Ich habe sie gleich wieder vorgemerkt,« sprach der
-blonde deutsche Arzt. »Beim Principe O. hat soeben
-Donna Faustina, die älteste Tochter, sich vermählt. Ich
-denke, das kann gerade stimmen. Es ist immer gut für
-solche Fälle gerüstet zu sein. Und Teresina ist meine beste
-Nummer.«</p>
-
-<p>Die schöne Ausstattung von Maria Beata würde natürlich
-verkauft oder im Cassettone verschwinden und Teresina
-würde auch dort ärmlich und abgerissen zum Antritt
-erscheinen, aber im Besitz ihrer göttlichen Brust und ihrer
-Zeugnisse auch dort ihre Mitbewerberinnen aus dem
-Felde schlagen. Um dann, den kleinen Principe im Arm,
-als königliche Dahlie in den historischen Gärten der fürstlichen
-Villa auf und nieder zu gehen; gefürchtet und
-geehrt&nbsp;...</p>
-
-<hr />
-
-<p><a class="pagenum" id="page_188" title="188"> </a>
-Ich kam noch einmal durchs Raubtierhaus. Cäsar <i>II.</i>
-trank gerade Milch aus einer Blechschüssel; aber er schien
-nicht recht bei der Sache: noch war ihm der Wärter das
-heutige Beefsteak schuldig. Myra aber, die Dogge, wurde
-soeben beim Halsband hinausgeschleift. Sie stemmte sich
-mit allen vier Pfoten, sie wandte den Kopf rückwärts,
-anklagend, verzweifelt, und ihre armen runzligen Zitzen
-baumelten leer und sinnlos wie ein Glockenspiel ohne
-Klöppel.</p>
-
-
-
-
-<h2><a class="pagenum" id="page_189" title="189"> </a>
-Laubstreu</h2>
-
-
-<p><a class="pagenum" id="page_191" title="191"> </a>
-Novembertage! Wie liebe ich euch, dort in meiner
-Kinderheimat ... Ergreifend wie das allererste Frühjahr
-und ihm ähnlich. Wie sie daliegt die Erde und uns
-anblickt, ganz arm, sie, die alles gegeben hat, so wird sie
-daliegen, wenn der Schnee geschmolzen ist; still atmend
-unter braunem Laubgemoder, die Büsche noch kahl, und
-hier und dort wird eine verschrumpfte rote Beere leuchten,
-die die Vögel unter dem Schnee nicht erspäht hatten.
-Nur der Geruch wird anders sein, und wo der Fuß in
-faulenden Blättern wühlt, wird er am Grabenrand kleine
-Primelvereine aufstören, noch in sich geduckt und ängstlich,
-und alles, was heute glitzert, wird auch dann glitzern,
-aber anders, froh und bänglich, und jeder Sonnenstrahl,
-der sich in Wasserlachen spiegelt, wird anders in den
-Spiegel sehen. Aber die Hügel werden so wie heut am
-blassen Himmel liegen, dasselbe zartgegliederte Gezweig
-der Wipfel, wie Seegräser im klaren Meerwasser,
-bräunlich-rosig und ganz still: es könnten Fischchen darin
-ein und aus schwimmen!</p>
-
-<p>Dort bist du schön, November, schön wie verwelkende
-Frauen, denen Liebe und Leid die Zeichen grub, alternde
-Frauen, die noch lächeln können wie Mädchen, die mütterlich
-sind wie schlanke schauernde Hirschkühe; die ein wohlriechendes
-Blatt mit den Fingern reiben, behutsam und
-begehrlich nach den feinen und flüchtigen Dingen dieser
-irdischen Bescherung.</p>
-
-<p>Mütterchen Heimat! wie die Russen sagen, die so weich
-das Herz streichelnde Worte haben, als hätten Kinder sie
-<a class="pagenum" id="page_192" title="192"> </a>
-erfunden; Mütterchen Heimat! Wie schön war der Tag,
-als ich zum letztenmal hinaufstieg auf den Berg, der
-mir als Kind ebenso unerreichbar schien wie der Chimborasso:
-erst durch feuchte, reifgraue Wiesen, an Kohlgärten
-und Kartoffelfeldern vorbei, wo Feuer knisterten
-und der weiße Rauch rein und bitter in die Luft schwelte.
-Vor mir die Höhen, braunviolett, schon entlaubt, nur
-hie und da, am Waldrand, eine Buche, aufflammend wie
-der Engel mit feurigem Schwert.</p>
-
-<p>Die Birnbäume in den Wiesen &ndash; o ihr guten Holzbirnchen,
-die ihr den Mund zusammenzieht und doch süß
-seid unter eurer Herbigkeit &ndash; ließen ihre roten Blätter
-fallen, die schmalen Wasserrinnen im Grase trugen sie
-fort mit leisem Gluckgluck; Karren, mit Rüben beladen,
-kamen des Wegs, die kleinen kurzbeinigen Kühe dampften
-in der Herbstluft, rötlich und weiß, mit nassen rosa Schnuten
-und faltigen Wampen, blondbewimpert wie Rubenssche
-Göttinnen. Dann tat sich der Wald auf und sein
-Wohlgeruch war wie ein Rausch. An der Erde, an den
-Abhängen, auf allen Pfaden lag das Laub, fußhoch;
-Leute harkten es herunter von den Hängen, soweit man
-durch die Stämme sah; zu hohen Haufen türmten sie's,
-der Duft von Pilzen und Erde und Gärung wurde
-immer stärker. Das wären Raschelnester gewesen für
-kleine Waldgötter mit Zottelbeinchen, sich darin einzuwühlen,
-bis nur die spitzen, bepelzten Ohren heraussahen;
-aber nun sollten die kleinen blonden Kühe darauf
-liegen, im Winter, in den warmen, dunstigen Ställen,
-<a class="pagenum" id="page_193" title="193"> </a>
-wenn der Laternenschein über den Schnee huscht und
-der Rauch vom Dache aufsteigt, zum Zeichen, daß dort
-Menschen wohnen.</p>
-
-<p>Der kleine Pfad war ganz schlüpfrig von den Blättern,
-immer höher zickzackte er; hier war nur junger Buchenbestand,
-glatte Stämme in grauer Atlashaut, ihnen zu
-Füßen der rostrote Teppich &ndash; und ein Sonnenstrahl
-ging vor mir her. Ganz droben begann wieder der Tannen
-Reich, ihre Wurzeln deckte Moos und Sauerklee, und
-Brombeeren wucherten da, die im Schatten grün geblieben;
-noch ein paar Schritte, und vor mir stand
-der plumpe, runde Turm. 1837 war über seiner Tür eingemeißelt,
-und ich sah sie hier wandeln, Mamas mit
-Krinolinen und komischen Sonnenschirmchen, wie man
-sie auf Porzellanvasen vor Königsschlössern wandeln
-sieht, und Papas in schachbrettartigen Beinkleidern, mit
-erstickenden Halsbinden und grauen Zylinderhüten;
-und die artigen Kinder erst! Wie die Bilder in »<i>les petites
-filles modèles</i>«, mit Pamelahüten und gestickten
-Höschen, mit Reifen und roten Luftballons! Der Turmwart
-kam und erzählte, daß sein Großvater der erste
-Turmwart gewesen. Er wohnte noch in demselben strohgedeckten
-kleinfenstrigen Häuschen, und seine dicke Frau
-kam und rief zu Kaffee und Zwetschgenkuchen. In der
-Küche war aufgetischt, und dort lief eine alte, zutrauliche
-Hasenmutter herum, deren dunkles Fell wie von Rauhreif
-übersilbert war, das schnuppernde Näschen und die
-glatten Hängeohren aber kohlschwarzer Spiegelsamt.
-<a class="pagenum" id="page_194" title="194"> </a>
-Sie war's gewöhnt, auf den Schoß genommen zu werden,
-man reichte sie herum wie eine Wärmflasche, und dann
-trank sie Milchkaffee aus der Untertasse, wie ein Christenmensch!
-Dann ging der Turmwart auf den Turm, und
-ich sah ihn in der düstern Wendeltreppe verschwinden,
-wo an den Balken die Fledermäuse schon im Winterschlaf
-hingen, zusammengerollt wie alte schwarze Glacéhandschuhe.</p>
-
-<p>Alte Städtchen, an Bergen gelegen, haben in ihren
-Ausläufern halbländliche Wege und Gassen, die die
-Kirche, den Markt und die Schule mit den bäuerlichen
-Anwesen, den Wiesen und Äckern verbinden. Durch solche
-Wege kam ich herunter, im Nebel, an Werkstätten und
-Holzplätzen und fließenden Brünnchen vorüber, die in
-diesem quellenreichen Land durch eiserne Schlangenköpfchen
-in verwitterte Tröge rauschen, eiskalt mit einem
-Moosgeschmack vom Walde her. »Hähnchen und Hühnchen
-wollten zusammen auf den Nußberg« &ndash; so geht
-das Märchen an, das unvergeßliche; und durch solche
-Wege und Gäßchen sind Hähnchen und Hühnchen gewiß
-auch gekommen. Die Laternen schimmerten dunstig, Gaslaternen,
-die ein buckliges Männchen anzündete. Kleine,
-altväterische Häuser standen hinter Holzstaketen; in den
-niederen Stuben, hinter Geranien und Fuchsien kam
-Licht durch die Scheiben; nun saßen drin die Menschen
-beim Kartoffelsalat und tranken gelben Landwein aus
-dicken, grünlichen Gläsern dazu. Auch unsere Waschfrau
-wohnte da; in ihrer geblümten Kattunjacke, die Brille
-<a class="pagenum" id="page_195" title="195"> </a>
-auf der Nase, wie eine kleine, aufmerksame Eule, stand
-sie und bügelte bei der himmelblauen Lampe. Ihr Kätzchen
-kam aus dem Gebüsch und lief eine Weile vor mir
-her mit kleinen, lockenden Turteltaubentönen. Alles war
-so heimlich, so lockend, die goldenen Ritzen in den Läden,
-der Schein, der über die Schwellen glitt, Laternen an
-Gartentoren, wo hohe Bäume Unverständliches rauschten,
-und die Stimme des Kätzchens, das sich im Dunkeln
-an mir rieb, sobald ich stille stand; alles, als müßt es mir
-etwas sagen.</p>
-
-<p>Weiter unten, wo die reichen Leute wohnen, wird gebaut
-und eingerissen; wo einst Wiesen waren mit großen
-Margueriten und Zittergras und alle Gräben voll himmlischen
-Vergißmeinnichts, da steht jetzt Haus an Haus,
-die Häuser groß und die Gärten klein ... früher war's
-umgekehrt. Und so vieles fand ich nicht mehr. Feine, einstöckige
-Häuser mit geschweiften, silbernen Schieferdächern,
-nach der Straße waren Mauern, von Efeu überhangen,
-aber dahinter wußte man &ndash; da war ein alter
-Garten, voll Platanen und rauschender Silberpappeln
-und Azaleengebüsch, die Wege ganz vermoost, und braune
-Schnecken krochen drüber hin &ndash; <i>la limace &ndash; le limaçon</i>
-lernte ich, die eine hat ein Schneckenhaus und die andere
-nicht &ndash; ja, wo ist das alles hin? Muttergotteshäuschen
-mit Bänken, damit die armen Frauen ihre Körbe absetzen
-und ein wenig verschnaufen konnten ... Da war
-auch sonst ein kleiner, schattiger Friedhof; nicht der berühmte
-alte am Berghang, nein, ein ganz kleiner, noch
-<a class="pagenum" id="page_196" title="196"> </a>
-älterer, abseits, im Tal; im Frühling voll Jasminduft
-und Finkengesang, im Herbst rostbraun vom Blätterfall
-und von zutraulichen Amseln bevölkert, der gab Kunde
-von denen, die von hier nicht mehr heimgekehrt sind.
-Hier lagen sie aus aller Herren Ländern, sogar unter
-russischen Kreuzen mit ihren Schrägbalken und unverständlichen
-Inschriften; aber manchmal waren sie ins Französische
-übersetzt und kündeten, daß da ein <i>Chevalier de
-l'Ordre de Saint André</i> von seinem hoffentlich verdienstvollen
-Leben ausruhte, oder ein armer junger Dmitri, eine
-sanfte Hélène, <i>ravie à ses parents inconsolables à l'âge
-de dixneuf ans</i>, sich hier zu Tode gehustet hatten. Denn
-Davos und Arosa waren damals noch nicht erfunden,
-und aus weiter Ferne kamen sie angereist, denen der
-Tod seine Rosen auf die Wangen geküßt hatte, und
-mußten dableiben, weil ihre Kraft sie verließ. »<i>Sacred
-to the memory of Anne, the dearly beloved wife ...
-aged twentytwo&nbsp;...</i>« Eine schöne, breitschulterige Muttergottes,
-die einen rechten Königsmantel von Efeu trug,
-hütete den Eingang und sagte: Fürchtet Euch nicht. Kinder
-spielten zwischen den Gräbern, alte Großmütter saßen
-dort und strickten ... Ja, das ist nun verschwunden und
-vieles ist neu und fremd geworden, und es ist wie mit
-geliebten Menschen, die sich verändert haben; man liebt
-sie noch &ndash; ach Gott, Liebe hat ja wohl auch neun Leben
-wie die Katzen &ndash; aber man wird ihrer nicht mehr froh.</p>
-
-<p>Aber droben am Waldrand ist noch vieles geblieben
-wie es war; es riecht wie damals nach Erde und Moos
-<a class="pagenum" id="page_197" title="197"> </a>
-und schwelendem Kartoffelkraut, und der Umriß der
-Hügel ist derselbe, über denen die Sterne stehen, so altbekannt
-&ndash; die ewig geheimnisvolle, goldene Schrift ...
-Die Augen füllen sich mit Tränen, seid ihr's, bist du's?
-Und man wittert in die Luft wie ein Jagdhund, der den
-Dunst seines Herrn erkennt. Die Karren kehren heim
-aus dem Wald, mit Laubstreu hochbeladen, all das Laub,
-das im Frühling seine spitzen, seidigen Knospen aufgetan,
-mit dem Wind gestichelt hatte, dankbar der Sonne, dem
-Leben. Nun ist es vermodert und wird die Erde düngen,
-wird geben, nachdem es genommen.</p>
-
-<p>Mütterchen Heimat, sanft gehst du um mit deinen
-Kindern. Hier ist Laubstreu für deine Erde!</p>
-
-<hr />
-
-
-
-
-<h2>Hinweise zur Transkription</h2>
-
-
-<p class="in0">Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Buchende an den Buchanfang verschoben.</p>
-
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
-uneinheitlicher Schreibweisen (z.&nbsp;B. Gerda &ndash; Gerta), mit folgenden Ausnahmen,</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_033">33</a>:<br />
-";" eingefügt<br />
-(seit sie ihm gesagt, Emmo käme her;)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_036">36</a>:<br />
-"," eingefügt<br />
-(die Welt gewiß nicht gewinnen, aber um ihre Seele sorgte)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_058">58</a>:<br />
-"deratige" geändert in "derartige"<br />
-(er liebte derartige Beschäftigungen über die Maßen)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_059">59</a>:<br />
-"Intensivkul ur" geändert in "Intensivkultur"<br />
-(immer nur zu zweien, so 'ne Intensivkultur)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_094">94</a>:<br />
-"«," geändert in ",«"<br />
-(»Der Arme,« sagte sie)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_112">112</a>:<br />
-"«," geändert in ",«"<br />
-(»Nun wollen wir uns einwintern,« sagte Tante.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_114">114</a>:<br />
-"«," geändert in ",«"<br />
-(,« sagte Madame Benoît mit Grabesstimme)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_130">130</a>:<br />
-"in" geändert in "ein"<br />
-(das eigentlich Unkorrekte durch ein gewisses Dekorum)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_136">136</a>:<br />
-Absatz eingefügt vor "»Wie"<br />
-(»Wie ging das zu?« frug der Prinz)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_140">140</a>:<br />
-"," hinter "nein, nein" eingefügt<br />
-(»Ach nein, nein,« sagte sie)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_155">155</a>:<br />
-"." entfernt hinter "Mond"<br />
-(heraufstarrten zum Mond wie Seelen)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_155">155</a>:<br />
-".." geändert in "..."<br />
-(mehr erhellen kann ... dort ging die Frau)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_168">168</a>:<br />
-"dielen" geändert in "diesen"<br />
-(aus diesen Produkten des <i>ancien régime</i> hoffte er)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_178">178</a>:<br />
-"," eingefügt<br />
-(die Kinder gehören der Mutter, doch nur so lange)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_183">183</a>:<br />
-"gänglich" geändert in "gänzlich"<br />
-(Sie sind hier gänzlich deplaciert)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_197">197</a>:<br />
-"," hinter "dem" entfernt<br />
-(dankbar der Sonne, dem Leben)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_197">197</a>:<br />
-"," eingefügt<br />
-(und wird die Erde düngen,)</p>
-
-
-<hr />
-
-
-
-
-
-
-
-
-<pre>
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Laubstreu, by Irene Forbes-Mosse
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LAUBSTREU ***
-
-***** This file should be named 60416-h.htm or 60416-h.zip *****
-This and all associated files of various formats will be found in:
- http://www.gutenberg.org/6/0/4/1/60416/
-
-Produced by the Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net (This book was produced from images
-made available by the HathiTrust Digital Library.)
-
-
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.
-
-Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
-royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
-of this license, apply to copying and distributing Project
-Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
-concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
-and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
-specific permission. If you do not charge anything for copies of this
-eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
-for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
-performances and research. They may be modified and printed and given
-away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
-not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
-trademark license, especially commercial redistribution.
-
-START: FULL LICENSE
-
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
-PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
-
-To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
-distribution of electronic works, by using or distributing this work
-(or any other work associated in any way with the phrase "Project
-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
-Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
-www.gutenberg.org/license.
-
-Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
-Gutenberg-tm electronic works
-
-1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
-electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
-and accept all the terms of this license and intellectual property
-(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
-the terms of this agreement, you must cease using and return or
-destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
-possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
-Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
-by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
-person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
-1.E.8.
-
-1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
-agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
-electronic works. See paragraph 1.E below.
-
-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
-works in the collection are in the public domain in the United
-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
-United States and you are located in the United States, we do not
-claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
-displaying or creating derivative works based on the work as long as
-all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
-that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
-free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
-works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
-Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
-comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
-same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
-you share it without charge with others.
-
-1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
-in a constant state of change. If you are outside the United States,
-check the laws of your country in addition to the terms of this
-agreement before downloading, copying, displaying, performing,
-distributing or creating derivative works based on this work or any
-other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
-representations concerning the copyright status of any work in any
-country outside the United States.
-
-1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
-
-1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
-immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
-prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
-on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
-phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
-performed, viewed, copied or distributed:
-
- This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
- most other parts of the world at no cost and with almost no
- restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
- under the terms of the Project Gutenberg License included with this
- eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
- United States, you'll have to check the laws of the country where you
- are located before using this ebook.
-
-1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
-derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
-copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
-the United States without paying any fees or charges. If you are
-redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
-Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
-either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
-obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
-trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
-additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
-will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
-posted with the permission of the copyright holder found at the
-beginning of this work.
-
-1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
-
-1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.
-
-1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
-any word processing or hypertext form. However, if you provide access
-to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
-other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
-version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
-(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
-to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
-of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
-Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
-full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.
-
-1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
-
-1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
-access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
-provided that
-
-* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation."
-
-* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.
-
-* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.
-
-* You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.
-
-1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
-Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
-are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
-from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
-Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
-trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
-
-1.F.
-
-1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
-effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
-works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
-Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
-electronic works, and the medium on which they may be stored, may
-contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
-or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
-intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
-other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
-cannot be read by your equipment.
-
-1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
-TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
-INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
-DAMAGE.
-
-1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium
-with your written explanation. The person or entity that provided you
-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.
-
-1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
-
-1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.
-
-1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause.
-
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
-
-Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.
-
-The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact
-
-For additional contact information:
-
- Dr. Gregory B. Newby
- Chief Executive and Director
- gbnewby@pglaf.org
-
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation
-
-Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit www.gutenberg.org/donate
-
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-
-Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-
-Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.
-
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-
-Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-
-Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org
-
-This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-
-
-
-</pre>
-
-</body>
-</html>
-
-
diff --git a/old/60416-h/images/cover.jpg b/old/60416-h/images/cover.jpg
deleted file mode 100644
index fd204be..0000000
--- a/old/60416-h/images/cover.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/60416-h/images/logo50.jpg b/old/60416-h/images/logo50.jpg
deleted file mode 100644
index 30def6d..0000000
--- a/old/60416-h/images/logo50.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ