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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-02-09 13:57:27 -0800
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@@ -0,0 +1,8440 @@
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59218 ***
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Memoiren Bibliothek
+
+ IV. Serie
+
+ Siebter Band
+
+
+ Der Deutsche Lausbub in Amerika
+
+ * 2ter Teil *
+
+ von
+
+ Erwin Rosen
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Der
+ Deutsche Lausbub
+ in Amerika
+
+ Erinnerungen
+ und Eindrücke
+ von Erwin Rosen
+
+ Zweiter Teil
+
+
+ Dritte Auflage
+
+ Verlag -- Robert Lutz -- Stuttgart
+
+
+
+
+ Alle Rechte vorbehalten.
+ Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart.
+
+
+ Copyright 1912
+ by Robert Lutz, Stuttgart.
+
+
+
+
+Inhalt
+
+
+ Seite
+
+ Bei der amerikanischen Zeitung.
+
+ Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. -- Die armen
+ Teufel von deutschen Journalisten. -- Ein Münchner
+ Zeitungspalast. -- Im amerikanischen Reporterzimmer.
+ -- Wie das Zeitungsbaby sein Handwerk erlernte. --
+ Das Geheimnis der Presse. -- Im Presidio. -- Ich
+ lerne telegraphieren. -- Die Sprache des Kupferdrahts.
+ -- Telegraphisches Lachen. -- Vom großen Lebenswert 21
+
+
+ Reporterdienst.
+
+ Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. -- Der
+ scoop. -- Der verunglückte Dampfer Hongkong. -- Die
+ Männer der schnellen Entschlüsse. -- Wie ein Reporterstück
+ inszeniert wird. -- Auf der Jagd nach der Sensation.
+ -- Im Maschinenraum. -- Wie ich die Kunst des Zuhörens
+ ausübte. -- Der Dämon im Stahl. -- Zeitungskönig Hearst.
+ -- Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und
+ der Hearstschen Gelben Presse. -- Ein schwarzer Tag 38
+
+
+ Das Kommen des Krieges.
+
+ Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. -- Die
+ Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen
+ Insurgenten. -- Die Glückssoldaten der Virginia. --
+ Gespannte Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
+ und Spanien. -- Grausamkeiten. -- Die kubanische Junta
+ in New-York. -- Der Untergang der Maine. -- Der
+ Racheschrei. -- Kriegserklärung. -- Meine große Idee!
+ -- Die große Idee funktioniert nicht! -- Aber ich muß
+ unbedingt nach Kuba 56
+
+
+ Der Lausbub wird Soldat.
+
+ Die verbogene Lebenslinie. -- Ein schneller Entschluß. --
+ Beim Oberleutnant Green vom Signaldienst. -- Ich werde
+ angeworben! -- Abschied von Allan McGrady. -- =B
+ Company= des 1. Infanterieregiments. -- Korporal
+ Jameson. -- Wiggelwaggeln. -- Der sprechende Sonnenspiegel.
+ -- »Ich gehe nach Kuba!« 66
+
+
+ Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.
+
+ Der Krieg des Leichtsinns. -- Aus Leutnants werden
+ Majore. -- Eine kleine Vergeßlichkeit. -- Segenswünsche
+ und Vorschußlorbeer. -- Von lieben diebischen Mägdelein. --
+ Die Armee in Hemdärmeln. -- Das militärische
+ Telegraphenbureau in Tampa. -- Die spanische
+ Gespensterflotte. -- Admiral Cervera in der Falle von
+ Santiago de Cuba. -- Die Depeschenhölle. -- Roosevelts
+ Rauhe Reiter ohne Gäule! -- Auf dem Meer. -- Eine
+ schwäbische Ueberraschung. -- Von redenden Tuchfetzen
+ und sprechenden Wolken. -- Nachtalarm. -- Beginn des
+ Bombardements von Baiquiri 77
+
+
+ Auf kubanischem Boden.
+
+ Die Küste wird bombardiert. -- Theodore Roosevelt und
+ seine Zahnbürste. -- Die Landung. -- Ein Tag ungeduldigen
+ Fluchens. -- Die Arbeit beginnt. -- Tropenregen.
+ -- Meine Hängematte. -- Nachtruhe =à deux=. -- Hunger
+ und Arbeit -- aber ach, was waren das für schöne Zeiten!
+ -- Der Major stiehlt einen Karren. -- Telegraphenbau-Arbeit.
+ -- Palmen und Kletterei. -- Bei den toten rauhen Reitern
+ von =La Quasina=. -- Im Insurgentenlager. -- Der
+ Mangobauch. -- Der Jesus-Christus-General 94
+
+
+ Beim Jesus-Christus-General.
+
+ Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. -- General Shafter,
+ Höchstkommandierender. -- Die Trumpfkarte im
+ Spiel. -- Proviant her! -- Ein sogenannter Spaziergang.
+ -- Die spanische Verteidigungslinie. -- Die Nacht
+ vor der Schlacht. -- Das Telegramm nach Washington.
+ -- Die Regimenter ziehen dem Feind entgegen. 121
+
+
+ Die Schlacht vom San Juan Hügel.
+
+ Der Morgen vor der Schlacht. -- Ein Schattenspiel im
+ Nebel. -- Die Schlacht beginnt. -- Wir legen die Linie
+ nach der Front. -- Meine erste Granate. -- Wie ich das
+ Gruseln lernte. -- Wie andere das Gruseln lernten.
+ -- Auf dem Weg zur Feuerlinie. -- Die Furt. -- Die
+ Panik des 71. Regiments. -- In der Feuerlinie am
+ Waldrand. -- Wir schießen mit. -- Die Schützengräben
+ im San Juan Hügel. -- Der Gnadenschuß. -- Der Angriff
+ ohne Befehl. -- Der San Juan Hügel wird im Sturm
+ genommen. -- Zusammenhänge der Schlacht. -- Bei den
+ spanischen Gefangenen. -- Rum und Zigaretten. -- Am
+ Lagerfeuer. -- Sie begraben die Toten. 136
+
+
+ Der Tag nach der Schlacht.
+
+ Am Lagerfeuer. -- Vom Arbeiten in den Schützengräben.
+ -- Nächtlicher Tropenregen. -- Auf dem Weg zur
+ Front. -- Die spanischen Scharfschützen. -- Der stille
+ Wald. -- Verwesungsgeruch. -- Das Tal der Toten. --
+ Der Kopf. -- Bloßgelegte Gräber. -- Das Kommen des
+ Grauens. -- Das Leichenfeld. -- Im Hauptquartier des
+ linken Flügels. -- Die Schützengräben auf dem Hügel.
+ -- Heftiges Gewehrfeuer in der Sternennacht. -- Mein
+ Maultierritt. -- Vom Feuerschein beim Feind und dem
+ Rätsel der Nachtattacke 169
+
+
+ Der Untergang der spanischen Flotte.
+
+ Jubel in den Schützengräben. -- Der Hafen von Santiago
+ de Cuba. -- Das Felsentor. -- Castillo del Morro. --
+ Das Warten, das Lauern! -- Die Heldentat des Leutnants
+ Hobson. -- Durchbruch des spanischen Geschwaders.
+ -- Die Seeschlacht. -- Die Hölle der fünfunddreißig
+ Minuten. -- Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer
+ in den Grund. -- Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte
+ des Seekriegs. -- Der Mann im Kommandoturm und der
+ Mann hinter der Kanone. -- Was von der Gespensterflotte
+ übrig blieb 193
+
+
+ In den Schützengräben.
+
+ Von Siegesberichten und Sorgen. -- Ein Murren geht durch
+ die Schützengräben. -- Die Meinung des alten Sergeanten.
+ -- Ungeduld! -- Der Humor der Front. -- Krankheit und
+ Schwäche. -- Die berühmten kubanischen Leibschmerzen.
+ -- Fieber und Ruhr. -- Stimmungen und Verstimmungen.
+ -- Ein Freudentag. -- Freund Billy aus Wanderzeit und
+ Eisenbahnfahrt. -- Zwei Gefechtstage. -- Wie ich ein
+ Held sein wollte. -- Der Friedensbaum. -- Die
+ Kapitulation von Santiago de Cuba 207
+
+
+ Nach Santiago de Cuba.
+
+ Das Hauptquartier wird energisch. -- Die Enttäuschung
+ der Männer in den Schützengräben. -- Die verbotene
+ Stadt. -- Wir werden nach Santiago beordert. -- Das
+ Legen der Linie. -- In den spanischen Schützengräben.
+ -- Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern. --
+ In der Stadt. -- Die toten Gäßchen. -- Von Licht
+ und Schatten. -- Das Hauptquartier des Siegers 226
+
+
+ Im Kabelbureau.
+
+ Der spanische Telegraphendirektor. -- Unter Dach und Fach.
+ -- Wir requirieren Wäsche. -- Der wundersame Patio.
+ -- Das große Baden. -- Der brauchbare Antonio. --
+ Wir rüsten ein Mahl. -- =»Caballeros
+ telegraphistas!«= -- »Oh, der verdammte Speck!« --
+ »Man muß ein Loch in die Uhr schießen!« -- Das
+ Feuerrad. -- Im Dunkel 239
+
+
+ Auf der Insel des gelben Fiebers.
+
+ »Ich bin gar nicht tot.« -- Im Hafenhospital von Santiago.
+ -- Die gelbe Flagge im Boot. -- Die Schmerzen im Leib.
+ -- Der sterbende Trompeter. -- Warum ich den Neger
+ erschießen wollte. -- Schlafen, nur schlafen! -- Das
+ Dunkel zwischen Tod und Leben. -- Dr. Gonzales. -- Ich
+ bin Sergeant geworden. -- Das Haus des Elends. --
+ Krankenpfleger und Totengräber. -- Wie der Rauhe Reiter
+ Himmelsblumen pflückte. -- Eine nächtliche Schreckensszene.
+ -- Der Insel der Verdammten wird Hilfe. -- Die
+ Krankenschwestern 255
+
+
+ In der Zeltstadt von Montauk Point.
+
+ Die Friedensbotschaft. -- Ein brutaler Krieg. -- Die böse
+ Lage der amerikanischen Invasionsarmee. -- Auf den
+ General folgt der kaufmännische Organisator. -- Wie
+ die Zeltstadt von Montauk Point erstand. -- Mein
+ letzter Tag in Santiago de Cuba. -- Im Gesundheitslager.
+ -- Die Komplimente des Trusts. -- Wie mir ein Vermögen
+ entging. -- Die New Yorker Invasion. -- Von begeisterten
+ =ladies=. -- Das Sicherheitsventil. -- Wie Leutnant
+ Hobson in der Welle der Hysterie ertrank 287
+
+
+
+
+Vorwort
+
+
+Ich bin der glückliche Besitzer eines kleinen Neffen, der sich bestimmt
+schon den Ehrentitel eines Lausbuben erobert hätte, verlebte er sein
+junges Leben in süddeutschen Landen. Da er das aber nicht tut und
+ein Hamburger Jung' ist, so dünkt ihm der Begriff Lausbub fremd.
+Bald großartig und erstrebenswert, bald verächtlich und gemein. Es
+ist mir passiert, daß ein Haufen von Schulkindern mich achtungsvoll
+anstarrte, während mein Herr Neffe ihnen erklärte, das sei ein
+famoser Lausbubenonkel. Ich mußte es aber auch erleben, daß dieser
+Neffe mir bei passendem Anlaß feindselig entgegendonnerte: »Lausbub
+aus Amerika!« Nicht anders ist es mir ergangen mit großen Leuten. Da
+meinten die einen, dieser Lausbub sei etwas gar Lustiges. Die andern
+aber schüttelten die Köpfe: Wie kann man so geschmacklos sein und sich
+selber einen Lausbuben nennen!
+
+So sei mir gestattet, ein Wörtchen dreinzureden. Wir alle kleben
+an der heimatlichen Scholle, seien wir nun Weltenwanderer oder
+niemals hinausgekommen über den Bannkreis der Vaterstadt; an jener
+Scholle, auf der wir als Kinder spielten. Und mir klingt es aus
+meiner Münchner Jugendzeit herüber: »Du ganz verflixter Lausbub!«
+»A solchener Lausbub!!« Wie lustig das tönt, weiß kein Mensch außer
+mir. So lustig kann es keinem sein, so viele auch gelacht haben mögen
+über das Wörtchen mit den verschiedenen Gesichtern. »Oh du herzig's
+Lausbüble,« kost die süddeutsche Mutter. »Lausbub!« sagt der Vater, und
+der Ton bedeutet den Stock. Entrüstung kann in dem Wort liegen oder
+verblüffte Anerkennung einer besonderen Leistung jungenhaften Tobens
+oder ein Schelten oder eine Resignation. Auf gar keinen Fall aber ist
+ein Lausbub ein Musterknabe. Sondern einer, der eine tiefgewurzelte
+Vorliebe für dumme Streiche hat und einen dicken Schädel und rührige
+Ellbogen.
+
+Lausbub! klingt es herüber aus meiner Jugend.
+
+Und weil das Wörtchen noch ein weites Stück ins Leben hinein auch den
+Mann kennzeichnet, so sonderbar das klingen mag -- dumme Streiche,
+dicken Schädel, rührige Ellbogen! -- so gab es diesen Büchern ihren
+Titel.
+
+ * * * * *
+
+An einem sonnigen Novemberabend im Jahre 1897 saß ich auf der Terrasse
+des Golden Gate Parks in San Franzisko, starrte aufs Meer hinaus,
+träumte von meiner Arbeit, wie das junge Menschen tun, denen die Arbeit
+noch andere Dinge ersetzt, und war stolz wie ein König als jüngster
+Reporter einer großen Zeitung. So unverrückbar stand es fest, das
+Große, das Bleibende: die Zeitung und ich -- ich und die Zeitung --
+das war die Lebenslinie. Sie war es und sie blieb es. Wie krumm sie
+sich aber gestaltete, diese Lebenslinie, wie wackelig, wie verbogen und
+schief, das ist eines der humorvollsten Dinge in einem Leben reich an
+freiwilligem und unfreiwilligem Humor. Wenige Monate darauf war ja die
+Lebenslinie schon vergessen, und der überstolze Reporter steckte im
+blauen Rock der regulären Armee Onkel Sams. Es sollte ihm öfters noch
+ähnlich ergehen mit dieser Lebenslinie ...
+
+Der Lausbub, Farmer, Apotheker, Arbeiter, Fischpökler, Professor,
+Reporter wurde also Soldat und machte den spanisch-amerikanischen Krieg
+auf Kuba mit. Was er dort erlebte und sah, schildert dieses Buch; so
+wie er es damals erlebte und damals sah im Zeichen junger Männlichkeit,
+überschäumend in der Begeisterung, ein Mann zu sein im Krieg.
+
+ Hamburg, im Sommer 1912.
+
+ Erwin Rosen.
+ (Erwin Carlé).
+
+
+
+
+Zweiter Teil
+
+
+
+
+Bei der amerikanischen Zeitung.
+
+ Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. -- Die armen Teufel von
+ deutschen Journalisten. -- Ein Münchner Zeitungspalast. -- Im
+ amerikanischen Reporterzimmer. -- Wie das Zeitungsbaby sein
+ Handwerk erlernte. -- Das Geheimnis der Presse. -- Im Presidio. --
+ Ich lerne telegraphieren. --- Die Sprache des Kupferdrahts. --
+ Telegraphisches Lachen. -- Vom großen Lebenswert.
+
+
+Ein Jahr mag es her sein oder zwei, als ich in meiner Vaterstadt
+München einen alten amerikanischen Zeitungsfreund auf der Straße
+traf. Wir gingen zunächst zum Frühschoppen ins Hofbräuhaus, und gegen
+Ende der zweiten Maß weinte Bob beinahe. Zu traurig fand er es, daß
+einer, dem es einmal vergönnt gewesen war, die Nase in die Welt der
+amerikanischen Zeitung zu stecken, sich nun für deutsche Zeitungen
+plagen und schinden mußte!
+
+Er nahm die Münchner Neuesten Nachrichten vom Tisch und zerknüllte sie.
+
+=»You poor devil!«= sagte er. »Du armer Teufel -- du ganz armer Teufel.
+Euer Bier ist ein Wunder! Eure Gemütlichkeit ist prachtvoll! Eure Kunst
+ist grandios! Aber eure Zeitungen -- großer Gott, Mann, das ist doch
+keine Zeitung -- das ist ja ein Miniaturblättchen -- =damn it=, das
+ganze Dings da, das sich eine Zeitung nennt, hat nicht einmal Raum
+genug für einen einzigen anständigen Prozeßbericht!«
+
+Worauf er des weiteren ausführte, daß es ihm ja an und für sich schon
+unverständlich sei, wie irgend jemand irgend wo anders leben könne als
+in =God's Country=, im Lande Gottes, in den gottbegnadeten Vereinigten
+Staaten, denen zur absoluten Vollkommenheit nichts, aber auch nichts
+fehle, als das nicht weniger gottbegnadete Bier der Kunststadt München.
+Ein ewiges, mit sieben zolldicken Brettern vernageltes Geheimnis jedoch
+sei und bleibe es ihm, daß einer, dem es vergönnt gewesen sei ---- usw.
+usw.
+
+Ich lachte und führte ihn in das Gebäude der Münchner Neuesten
+Nachrichten.
+
+Die Männer der Münchnerin sind allezeit gastfreundlich und gar
+liebenswürdig gegen ihre Mitarbeiter, wovon der, der dieses Buch
+schrieb, ein dankbar Lied zu singen weiß. Bob bekam manches zu sehen
+und manches zu hören. Wir plauderten mit dem Feuilletonredakteur über
+das Wesen des künstlerischen Feuilletons (das dem amerikanischen
+Journalisten ein Buch mit sieben Siegeln ist) -- wir unterhielten
+uns mit dem Mann der inneren Politik über den Leitartikel (der den
+Zeitungen Amerikas etwas völlig Nebensächliches bedeutet) -- wir
+suchten die Lokalredaktion heim, und ihr Schriftleiter benutzte
+natürlich die gute Gelegenheit, ein nettes Interview über die Münchner
+Eindrücke des amerikanischen Journalisten herauszuschinden.
+
+»Gut!« sagte Bob draußen auf dem Korridor. »Verdammt gut! Die Leute
+verstehen ihr Geschäft. Sie haben ihre Arbeit lieb. Schade nur, daß den
+armen Teufeln so lächerlich wenig Zeilenraum zur Verfügung steht.«
+Dann blieb er kopfschüttelnd stehen. »Da sagt man immer, in =Germany=
+seien die Leute so überaus vorsichtig mit ihren Dollars!« brummte er.
+»Aber ich will gehängt werden, wenn's bei uns eine einzige Zeitung
+gibt, die ihre Leute auch nur annähernd so luxuriös beherbergt wie das
+Blättchen da! =It's remarkable!=«
+
+Immer erstaunter wurde sein Kopfschütteln, je mehr der Räume der
+Redaktion er sah. Da waren Möbel, deren jedes Stück ein großer Künstler
+entworfen hatte, und Wunder von künstlerischen Schreibtischen und
+Beleuchtungskörper aus Bronze und kostbare Klubsessel und zauberhafte
+Tapeten und Perserteppiche und Jugendoriginale an den Wänden, und von
+der Hast und der Hetze des Zeitungslebens war äußerlich aber auch
+gar nichts zu sehen. Leise nur wie ein Summen drang das Dröhnen und
+Stampfen der riesigen Rotationsmaschinen aus dem betonumpanzerten
+Erdgeschoß. Dann plauderten wir wieder mit anderen Männern, und Bob
+sah, daß der Zeitungsgeist ein Weltgeist ist und die Zeitungsarbeit
+überall die gleiche, gewaltige, gigantische trotz aller Unterschiede
+der Art und des Formats. Er gluckste vor Wonne, als wir hinübergingen
+in das Reich der »Jugend« und Saal auf Saal der wundervollsten
+Kunstdruckmaschinen durchschritten, der vielen Dutzende stählerner
+Bilderzauberer, die noch viel wunderbarer sind als das größte
+Rotationsungetüm.
+
+»Gut -- gut -- verdammt gut!« sagte Bob. »Aber wenn ich mich nicht sehr
+irre, so habt ihr doch eins nicht: Unseren amerikanischen Reporter ...«
+
+Da lachte ich und gab keine Antwort.
+
+Denn meine Zeiten amerikanischen Reportertums sind mir wie ein liebes
+Märchen erster Jugendliebe, und ein gar verknöcherter Kritikus muß der
+sein, der Zeiten erster Liebe kritisch urteilend betrachtet. Ich glaube
+nicht, daß wir in der deutschen Zeitungswelt gerade amerikanische
+Reporterart haben. Ich weiß nicht einmal, ob es wünschenswert
+wäre, hätten wir sie. Ich weiß nur, daß mein eigenes Erleben als
+zwanzigjähriger Lausbub im amerikanischen Zeitungsdienst mir eines der
+Jugendmärchen bedeutet, von denen man zehrt in den Tagen der Reife.
+
+ * * * * *
+
+Äußerlich war nichts Märchenhaftes daran.
+
+Der Tag eines Reporters beim =San Francisco Examiner= begann mit
+Arbeit, war ausgefüllt mit Arbeit, endete mit Arbeit, und des Nachts
+träumte man von der Arbeit.
+
+Als ich zum erstenmal meinen Platz an einem Ecktisch im Reporterzimmer
+einnahm, kam ich mir so unendlich hilflos, so geistesarm, so über alle
+Maßen unfähig vor, daß ich am liebsten wieder davongelaufen wäre.
+Ich starrte auf das weiße Papier, das vor mir lag, betrachtete das
+Tintenfaß, sah mißtrauisch auf die Schreibmaschine auf dem kleinen
+Tischchen neben mir und wunderte mich, was in Dreikuckucksnamen ich nun
+eigentlich anfangen sollte. Zwölf Männern, dem gesamten Reporterstab
+der Zeitung, war ich hintereinander vorgestellt worden, und ein jeder
+hatte gelächelt und ein jeder irgend etwas Liebenswürdiges gesagt, um
+sich dann in keiner Weise mehr um meine gräßlich verlegene Wenigkeit
+zu bekümmern. So saß ich da, mit dem krampfhaften Gefühl, daß es die
+Aufgabe eines Reporters war, irgend etwas zu schreiben. Aber was, zum
+Teufel?
+
+Ueberall um mich klapperten Schreibmaschinen. Die Türe wurde
+fortwährend aufgerissen, und Leute kamen herein und gingen hinaus.
+Meine neuen Kollegen schwatzten und lachten -- mitten in ihrer Arbeit.
+Wie es möglich sein konnte, in diesem Höllenlärm einen vernünftigen
+Gedanken zu Papier zu bringen, war mir vorläufig ein Rätsel.
+
+Es roch nach frischer Druckerschwärze. Papier bedeckte knöcheltief
+den Boden, allerlei Papier, handbeschrieben, maschinenbeschrieben,
+bedruckt. Die Wände entlang standen zerschnitzelte und
+tintenbeschmierte Pulte und kleine Tischchen, auf denen blanke
+Schreibmaschinen thronten. Die eine Schmalseite des Zimmers nahm der
+Bücherständer ein mit seinen unzähligen Nachschlagewerken. Eine Notiz
+in roter Tinte besagte, daß der Sünder, der dabei ertappt würde, ein
+Buch nicht an seinen richtigen Platz zurückzustellen, zu Pön und Strafe
+jedem Anwesenden ein Glas Bier zu stiften habe. Da waren Telephone
+an den Wänden und der elektrische Meldeapparat der Feuerwehr und
+das Spezialtelephon zum Polizeihauptquartier und eine Karte von San
+Franzisko und ein Tisch stand in der Zimmermitte, fußhoch mit den
+neuesten Zeitungen bedeckt. Ueberall glitzerten elektrische Glühbirnen,
+denn der Raum war zu groß, als daß das einzige Fenster selbst am
+hellsten Sonnentag ihn hätte erleuchten können. Die geweißten Wände
+waren dicht bekritzelt. Gegenüber der Eingangstüre stand in großen
+Lettern:
+
+»Fremdling, der du hier eintrittst, mach schleunigst, daß du wieder
+hinauskommst, denn unsere Zeit brauchen wir selber!«
+
+Und darunter deutete eine roh hingezeichnete Hand auf den großen
+Schreibtisch in der Ecke beim Fenster:
+
+»Allan McGrady, Lokalredakteur, Oberbonze, Hohepriester! Achtung, der
+Kerl beißt!!«
+
+Und mit einemmal waren alle die Männer verschwunden und der Raum leer.
+Nur der Mann, der biß, war noch da. Er sah von seiner Arbeit auf und
+rief mich beim Namen.
+
+»Mr. McGrady?«
+
+Allan McGradys scharfe Augen blinzelten vergnügt über die
+Ränder der goldenen Brille hinweg. Ein Lächeln huschte über das
+scharfgeschnittene, glattrasierte Gesicht. »Sagen Sie lieber gleich Mac
+zu mir, mein Sohn,« meinte er grinsend, »denn in ein paar Tagen tun
+Sie es doch. Hier hat jeder seinen Spitznamen, und ich werde wohl Mac
+genannt werden bis zu meinem seligen Ende. Ihren Spitznamen kann ich
+Ihnen übrigens prophezeien: als jüngster Reporter sind Sie und bleiben
+Sie das =baby= bis Einer kommt, der noch jünger und noch dümmer ist wie
+Sie!«
+
+Ich muß ein sehr verblüfftes Gesicht gemacht haben --
+
+»Wenn ich sage dumm, so meine ich das natürlich nur im Reportersinn,
+und hoffentlich werden Sie auch in diesem Sinne in etlichen Monaten
+nicht mehr dumm sein. Und nun will ich Sie ein bißchen orientieren,
+mein Sohn. Hier gibt's keine Herren und keine Knechte. Wir sind alle
+zusammen Arbeiter im Dienste der Zeitung, und in unserem Leben darf
+und kann es nichts Wichtigeres geben als die Zeitung. Sie ist es, die
+uns vereint. Wir sind eine große Familie. Wir teilen unsere Zigarren
+und unseren Whisky, manchmal sogar unser Geld -- nun, Sie werden das
+sehr bald herausbekommen. Wir sind alle Blutsbrüder. Wenn Sie etwas
+nicht wissen, fragen Sie Ihren Nachbar. Wenn Sie etwas bedrückt, kommen
+Sie zu mir ... Halten Sie vor allem den Kopf hoch und lassen Sie sich
+nicht verblüffen! Sie werden ganz von selber sehen und hören und lernen
+-- und weder ich noch irgend jemand kann Ihnen da viel helfen. Der
+Journalist muß einem im Blut stecken, und wer's nicht in sich hat,
+wird's nie! Und nun --«
+
+Er teilte mir meine erste Arbeit beim Examiner zu.
+
+ * * * * *
+
+Um neun Uhr morgens versammelte sich die Reporterschar im
+Reporterzimmer, während Mac schon eine Viertelstunde vorher sich
+an seinem Schreibtisch eingefunden hatte. Eine selbstverständliche
+Voraussetzung war natürlich, daß jeder der »Herren des Stabes« nicht
+nur das eigene Blatt, sondern auch die anderen Morgenzeitungen San
+Franziskos beim Frühstück gründlich gelesen hatte. Diese morgendliche
+Konferenz hatte immer eine lustige und eine etwas weniger lustige
+Seite. Man lachte und plauderte und spielte allerlei Schabernack, Mac
+so gut wie wir alle, bis er auf einmal zu Mr. Allan McGrady wurde und
+seine berühmte Geste der Ernsthaftigkeit annahm. Er pflegte dann die
+Hände in die Hosentaschen zu stecken.
+
+Kurz, scharf, sacksiedegrob war seine Rede --
+
+»=Baby=!« (Das war ich!) der »=Call=« (das war eine Morgenzeitung San
+Franziskos) hat Ihre Geschichte über den Mann, der total betrunken
+im Citygefängnis eingeliefert wurde und in dessen Taschen man 15
+000 Dollars fand, ebenfalls gebracht. Das ist traurig und von Ihnen
+unrecht. Wenn Ihnen ein Polizeisergeant -- welcher war es?«
+
+»McBride.«
+
+»Aha -- McBride. Wenn Ihnen McBride guten Stoff erzählt, so sorgen Sie
+gefälligst dafür, daß er von da ab seinen Mund hält und vor allem den
+Call-Leuten gegenüber nichts ausplaudert. Wie Sie das machen, ist mir
+egal!«
+
+»Aber Mac, Sie haben neulich doch geschimpft wie unsinnig, als ich dem
+andern Sergeanten fünf Dollars gab, damit ---- «
+
+»Ganz richtig, mein Sohn! Das macht man auch nicht mit Geld, denn Geld
+ist rar, sondern mit Liebenswürdigkeit und Schlauheit. Mann, strengen
+Sie ihren Witz an! Bin ich vielleicht eine Amme und in alle Ewigkeit
+verdammt, Sie an dem Quell der simpelsten Weisheit lutschen zu lassen?«
+
+Ich war tief beschämt.
+
+»Na, die Sache ist übrigens bei uns besser als im =Call=. Johnny (das
+war Chefredakteur Lascelles) läßt Ihnen sagen, die Geschichte sei fidel
+und nicht übel ...«
+
+Das war McGradys Art der Anerkennung.
+
+So wurde allmorgendlich Spalte für Spalte der Arbeit des vorhergehenden
+Tages durchbesprochen und einem immer wieder eingehämmert, daß es für
+den, der im Reporterzimmer hausen wollte, nichts auf der Welt gab
+und geben durfte als ein einziges Interesse und eine einzige Liebe:
+Die Zeitung und die Interessen der Zeitung. Erstens die Zeitung und
+zweitens die Zeitung und drittens überhaupt nichts als die Zeitung!
+
+Der Lausbub fühlte sich in der Luft des Reporterzimmers bald so wohl
+wie ein Fisch im Wasser. Weil er jung war und einen Schuß Enthusiasmus
+im Blut hatte, schien ihm das, was in Wirklichkeit ernstes und hartes
+Schaffen war, ein lustiges, kinderleichtes Spiel. Immer neu und
+eigenartig. Immer lockend. Immer aufregend. Holtergepolter ging's mit
+der Arbeit den ganzen Tag hindurch bis spät in die Nacht hinein. Das
+Zimmerchen in der Donnellystreet bei Madame Legrange sah mich nur zum
+Schlafen. Im Eifer merkte ich gar nicht, daß ich ein »hart gerittener
+Gaul« war und beim Examiner in einem einzigen Tag mehr lernen mußte,
+als das anspruchsvollste Professorenkollegium eines Gymnasiums in einem
+ganzen Wochenpensum verlangt hätte ...
+
+Denn der gute Wille und das bißchen Talent taten's noch lange nicht.
+Eine ungeheure Menge von Material mußte ich verdauen und einen Wust
+faktischen Wissens mir aneignen, vor dem ich entsetzt zurückgefahren
+wäre, hätte ich auch nur eine Ahnung gehabt, daß ich ja gar nicht
+spielte, sondern »büffelte«. Aber die Zeitung hatte ihre eigene
+Art, zu lehren und lernen zu lassen. Sie appellierte an Ehrgeiz und
+Ehrgefühl und Kraft, indem sie Vertrauen schenkte. McGrady ließ es
+mich nie fühlen, daß ich Anfänger und Lehrling war, und seine leitende
+Hand führte weiche Zügel. Vom ersten Tag an bekam ich wie alle
+anderen meine Aufgaben zugeteilt und arbeitete in allen Abteilungen
+des Nachrichtendienstes. Ich wurde aufs Polizeihauptquartier
+geschickt und zu den einzelnen Polizeisergeanten, assistierte bei der
+Berichterstattung in großen Kriminalfällen, wurde bei den lokalen
+politischen Größen eingeführt und im Hafendienst verwendet. Ein
+lächelnd gegebener Rat, wie von Gleichstehendem zu Gleichstehendem, als
+wortkarge Selbstverständlichkeit hingeworfen, eine lustige Derbheit,
+die niemals etwas Verletzendes hatte, ein Wort hier, ein Wink dort,
+die stete Fühlung vor allem mit Männern, die ihre Arbeit kannten und
+liebten und gute Kameraden waren, wie ich sie im Leben selten gefunden,
+zeigten mir bald die richtigen Wege.
+
+Das Problem war einfach genug. Wer Nachrichten einholen wollte, durfte
+sich nicht auf Auge und Ohr verlassen, sondern mußte sehr genau wissen,
+wer die Männer waren, die Nachrichten geben konnten, und was die
+Nachrichten selbst bedeuteten.
+
+»Die Hauptsache müssen wir immer schon wissen, ehe wir zu fragen
+beginnen,« pflegte McGrady trocken zu sagen.
+
+Das war das Grundprinzip und leicht zu begreifen. Wenn ich zum
+erstenmal zu einem hohen Beamten der Stadt geschickt wurde, um eine
+wichtige Auskunft einzuholen, so mußte ich wissen, wer der Mann war,
+was er geleistet hatte, welche Tragweite die Angelegenheit in Frage
+hatte. Das Wissen lieferte die Zeitung selbst. Man drückte auf einen
+elektrischen Knopf, und einer der Pagen erschien. Der bekam einen
+Zettel. Auf diesen Zettel hatte man zum Beispiel geschrieben: John
+McAllister, Schatzmeister San Franziskos. Neubau der Wasserwerke. In
+wenigen Minuten kam der Page zurück, mit zwei blauen Aktenmappen,
+numeriert und überschrieben: Schatzmeister McAllister -- Wasserwerke.
+Ihr Inhalt waren die Ausschnitte aus dem Examiner aus allen Nummern, in
+denen Artikel oder Notizen über McAllister und die Wasserwerke gebracht
+worden waren. Die überflog man und wußte nun über den Mann und die
+Sache, was zu wissen war. Ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert war
+diese ausgezeichnete Registratur, ein wahres Tischlein-deck-dich für
+den Zeitungsmann. Ein Redaktionssekretär hatte tagaus tagein nichts zu
+tun, als jede Zeitungsausgabe in ihren einzelnen Artikeln und Notizen
+zu klassifizieren, zu registrieren, und die Akten in musterhafter
+Ordnung zu halten. Nichts fehlte, von der großen Politik bis zu einer
+Statistik aller Großfeuer. So wurde jede einzelne Arbeitsaufgabe zu
+einer Quelle des Wissens. Man lernte jeden Tag, jede Stunde im Tag.
+
+Die vielen Menschen, mit denen ich zusammenkam, und die vielen
+Dinge, mit denen ich mich beschäftigen mußte, waren wie immer neu
+vorbeihuschende, farbenbunte, lebenspackende Bilder. Die Zeitung wurde
+zum Götzen; das Reporterzimmer zum Heim, in dem man oft aß, immer sein
+Glas Bier trank, wo man sich wohl fühlte wie nirgends. Ich würde jeden
+ausgelacht haben damals, der mir gesagt hätte, daß ich Zeitungsleben
+und Zeitungsarbeit auch nur auf eine kurze Spanne Zeit freiwillig
+aufgeben könnte. Und tat es bald darauf doch ... Es gibt noch stärkere
+Reize. Aber sie sind selten. Wenige Arten tätigen Schaffens wohl
+vermögen einen Menschen so mit Leib und Seele einzufangen wie der
+Zeitungsdienst. Ein Wirbel tollen Lebens war es, in dem ich stand.
+Wenn man arbeitete, hatte man die Wirklichkeit unter den Fingern; die
+Menschen, wie sie lebten, und die Dinge, wie sie sich zutrugen; immer
+neue Menschen und immer andere Dinge. Das Schauen und Erleben, das
+andere Männer der Arbeit in kargen Freistunden suchen mußten, gab die
+Zeitung im Dienst.
+
+Das war das Geheimnis des =San Francisco Examiners=, und es ist und
+bleibt das Geheimnis der Presse -- aller großen Zeitungen aller Länder
+und Sprachen. Die Zeitung bannt die Männer, die ihr dienen, in einen
+Zauberkreis. Sie verlangt Unerhörtes an Arbeitskraft und Hingebung,
+aber Unerhörtes gibt sie auch. Sie schenkt ihren Männern brausendes
+Leben und gewaltige Macht. Das flüchtig hingeschriebene Wort eines
+Zeitungsmannes spricht zu Hunderttausenden. Es vermag hunderttausend
+Meinungen zu beeinflussen, vermag Großes in Gutem und Bösem. Wem
+ihre Spalten offenstehen, der ist Führer und Lenker und Erzieher von
+Tausenden, ohne daß diese Tausende auch nur seinen Namen kennen --
+
+»Wir sind Männer ohne Namen,« sagte Allan McGrady einmal lächelnd
+in einer abendlichen Plauderstunde. »In jedem von uns steckt ein
+Stückchen romantischen Narrentums. Wer kennt uns? Einige Verleger,
+einige Redakteure, einige Freunde vom Bau. Die große Masse, zu der
+wir sprechen, kennt uns nicht. Ob ich unter einen Artikel Allan
+McGrady schreibe oder Hans Jakob Ypsilon, ist ganz gleichgültig -- von
+tausend Lesern sieht kaum einer nach dem Namen. Wir könnten ebensogut
+Nummern tragen. Die Zeitung verschluckt uns mit Haut und Haaren und
+Persönlichkeit.« Er lachte. »Und das bißchen Geld? Du lieber Gott,
+der Mann im Wolkenkratzer da drüben, der altes Eisen billig kauft und
+teuer verkauft, verdient zehnmal mehr als wir alle zusammen. Und wenn
+wir einmal alt werden und nicht mehr können, dann wirft man uns aus
+dem Zeitungstempel und setzt uns auf die Straße. Deswegen sind wir im
+Grunde alle Narren, liebe Kinder. Ich bin ein Narr, und du bist ein
+Narr, Jack Ferguson, und du bist auch ein Narr, =baby=!«
+
+»Würdest du deine Arbeit an der Zeitung aufgeben, Mac, wenn du eine
+Million erbtest?« fragte grinsend Jack Ferguson, der älteste Reporter.
+
+»Nein, natürlich nicht!«
+
+»Siehst du!«
+
+»=Well=, das ist eben das Narrentum!« brummte Allan McGrady.
+
+»Oh nein,« sagte Jack Ferguson fast feierlich. »Es ist mehr. Es ist das
+kuriose Etwas, das den Soldaten vorwärtstreibt. Es ist jenes sonderbare
+Etwas, das hoch über Geld und Geldeswert steht ------ «
+
+»Schrumm, schrumm,« sagte Allan McGrady. »Prosit Kinder!«
+
+Das kuriose Etwas war die Begeisterung. In ihr wurde die Arbeit zum
+Spiel. Zum Sport. Man tat eigentlich nichts anderes den ganzen lieben
+Tag, als nach Arbeit zu suchen und sich der Arbeit zu freuen. Unser
+Vergnügen sogar hing sicherlich irgendwie mit der Zeitung zusammen.
+Wenn man im Reporterzimmer plauderte, unterhielt man sich über die
+neueste Wendung in den politischen Verhältnissen oder über den letzten
+Kriminalfall oder den schwebenden, noch nicht ganz aufgedeckten
+Spitzbubenstreich der Stadtväter San Franziskos. Es war einem eben zur
+Manie geworden, sich nur für das zu interessieren, was die Zeitung
+interessierte.
+
+ * * * * *
+
+Zu all der Arbeit in den Babyzeiten kam noch besonderes technisches
+Lernen, das in sonderbarer Zufälligkeit meine nächste Zukunft stark
+beeinflussen sollte. Ich lernte telegraphieren. Die Examinerleute
+hatten damals die Marotte, die Sprache des Kupferdrahtes gründlich
+zu erlernen, denn das konnte für die Zeitung sehr wichtig sein.
+Unser Lehrmeister war ein liebenswürdiger amerikanischer Offizier,
+Oberleutnant Green, der Chef des militärischen Signaldienstes im
+Departement von Kalifornien. Drei, viermal in der Woche fuhren wir
+zum Presidio, dem Fort beim Goldenen Tor, und arbeiteten dort im
+Signalbureau, bald mit dem Leutnant selbst, bald mit Mr. Hastings,
+einem alten Signalkorpssergeanten.
+
+Nach den ersten Lektionen schon fesselten mich die Geheimnisse der
+Teufelei elektrischen Stromes gewaltig. Der Mechanismus der Instrumente
+war zwar sehr einfach. Die Wechselwirkung zwischen Taster, Strom und
+Magnet hatte nichts besonders Wunderbares. Das mühselige Formen von
+Buchstaben durch Punkte und Striche schien zuerst sogar langweilig.
+Aber sobald ich eine gewisse Fertigkeit erreicht hatte, übte das
+Telegrapheninstrument eine ganz merkwürdige Lockung auf mich aus. Denn
+nun wurde aus den toten Punkten und Strichen lebendige Sprache.
+
+Im Gegensatz zu der in Europa üblichen Art des Telegrammlesens vom
+Papierstreifen oder durch Druckmaschine liest der amerikanische
+Telegraphist fast nur durch Gehör. Das Klicken des Magneten spricht zu
+ihm. Er schreibt das Gehörte nieder wie nach Diktat. Er erreicht dabei
+eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 30 Worten in der Minute, die
+sich bei Benutzung der Schreibmaschine auf vierzig, ja sogar fünfzig
+Worte steigern läßt. Mein Ohr gewöhnte sich sehr rasch an die Sprache
+des Telegraphen. Was zuerst ein mühsames Zählen der Punkte und Striche
+gewesen war, um die einzelnen Buchstaben herauszuhören, wurde bald zum
+Begeistertsein über eine neue, klare, deutliche Schrift. Ich hörte, wie
+ein Telegraphist das lernen muß, nicht mehr die einzelnen Buchstaben,
+sondern deutlich erklang das ganze Wort. Es war genau so wie Lesen
+lernen. Zuerst mußte man sich um den Buchstaben mühen, um dann später
+eine ganze Zeile in einem einzigen Bild in sich aufzunehmen. Ein
+kleines Beispiel:
+
+Wenn ein Telegraphist mit einem andern sich über den Draht hinweg
+unterhält und lachen will, dann klickt er: ha -- ha -- ha. Im
+Morsealphabet sieht das so aus --
+
+
+.... .--ha .... .--ha.
+
+
+Auf dem Papier sind die vier Punkte des h und der Punkt, Strich des
+a etwas Totes und Nichtssagendes. Sobald wir sie aber im Instrument
+erblicken, werden sie lebendig, sind charakteristisch, lösen sofort das
+antwortende Gelächter aus.
+
+Das Telegraphieren war ein famoses neues Spiel. Der empfindliche
+Magnet reagierte so blitzschnell auf jeden Fingerdruck, daß sich
+die anscheinend so komplizierten Morsebuchstaben schneller formen
+ließen als auf dem Papier mit Tinte und Feder. Der Name Erwin in
+Telegraphenschrift sieht sehr verzwickt aus:
+
+
+.Pause . .. Pause .-- -- Pause .. Pause --. Wortpause
+
+
+Telegraphieren läßt er sich in drei Sekunden!!
+
+Nach drei Wochen bereits erwies mir der alte Sergeant Hastings das
+Kompliment, mir lachend zu sagen, daß ich mich jetzt schon bald um eine
+Anstellung bei der =Western Union= (das war die große amerikanische
+Telegraphen-Kompagnie) bewerben könne. So vergnügt war er über seinen
+Lehrmeister-Erfolg, daß er mich dann in die unterirdischen Kasematten
+des Küstenforts führte.
+
+»Aber 's ist strikt privatim!« mahnte er.
+
+So sah ich den berühmten Minentisch der Küstenverteidigung San
+Franziskos. Es war eine =camera obscura=. Auf eine ungeheure, in
+winzige Quadrate eingeteilte Tischplatte in der Kasemattenkammer
+reflektierten die Kameraspiegel ein Stück Meer. Es sah fast unheimlich
+aus, wenn die Segler und die Dampfer im Spiegelbild über die schwarzen
+Linien der Quadrate huschten, die alle Nummern trugen. Es _war_
+unheimlich! Denn in Kriegszeiten bedeutete jedes Quadrat entweder eine
+Torpedomine oder ein Schußfeld, auf das mehrere Geschütze sorgfältig
+einvisiert waren. Glitt nun ein feindliches Schiff über Quadrat 39, so
+drückte der Minenoffizier auf den elektrischen Knopf Nummer 39, und das
+feindliche Schiff flog in die Luft, von einer Mine in Stücke gerissen
+oder von riesigen Sprenggranaten zerfetzt. Theoretisch. Es sah sehr
+schön aus.
+
+Und dann gingen wir in die Kantine.
+
+ * * * * *
+
+Das Zeitungsbaby lernte die ersten Griffe seines neuen Handwerks ...
+Aber weit wichtiger als all das Praktische war der große Lebenswert,
+den die Zeitung wie im Spiel schenkte: Die Begeisterung für die Arbeit!
+
+
+
+
+Reporterdienst.
+
+ Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. -- Der =scoop=. --
+ Der verunglückte Dampfer Hongkong. -- Die Männer der schnellen
+ Entschlüsse. -- Wie ein Reporterstück inszeniert wird. -- Auf der
+ Jagd nach der Sensation. -- Im Maschinenraum. -- Wie ich die Kunst
+ des Zuhörens ausübte. -- Der Dämon im Stahl. -- Zeitungskönig
+ Hearst. -- Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und der
+ Hearstschen Gelben Presse. -- Ein schwarzer Tag.
+
+
+Das Leben des Amerikaners ist Hast und Hetze, nicht aus der
+Lebensnotwendigkeit der Jagd nach dem Dollar nur, sondern weil Hasten
+und Hetzen ihm von Kindesbeinen an gar nichts zu Beklagendes, sondern
+etwas Wunderschönes bedeuten. =Hustle!= ist sein Motto -- rühr' dich,
+rege dich, nütze die Zeit! Und =hustling= verlangt er auch von der
+Zeitung. Der Mann, dem riesige Wolkenkratzer, donnernder Straßenlärm,
+jagende Eile im Stadtbild eine Art Kulturbedürfnis sind, verlangt von
+seiner Zeitung viel Lärm und gewaltigen Spektakel, und die grellen
+Farben, die sein Auge im Tagesleben überall erblickt. Zwei Zoll hoch
+müssen die Ueberschriften sein und gepfeffert in kräftigen Worten,
+so wie seine eigene Ausdrucksweise es ist; übertrieben, wie er gern
+übertreibt, der Mann, der sein Land das Land Gottes nennt, anstatt
+bescheidentlich vom Vaterland zu sprechen wie andere Leute. Die
+Eile, den raschen Entschluß, das schnelle Schaffen, die in seinem
+persönlichen Leben rumoren, will er auch in seiner Zeitung sehen. Ihm
+imponiert das Bild, die Tat, die große Schilderung, das Verblüffende;
+weise Worte möchte er nur gelegentlich und dann mit Vorsicht genießen!
+Rauschendes Leben muß an seinem inneren Ohr vorbeifließen, wenn er in
+den weichen Polstern der Hochbahn New Yorks die Zeitung überfliegt, auf
+daß seine Lektüre im Einklang mit dem Taktschlag seines Tages klinge.
+So ist aus dem hastenden Amerikaner heraus und seiner Liebe für grelle
+Lichter und lauten Lärm die amerikanische Zeitung entstanden.
+
+Ihre Dollarjagd, ihre Hetzerei, ihr Sensationsdrang.
+
+Sieht man aber näher zu und wühlt man sich durch den
+marktschreierischen Wortkram der Ueberschriften und der Floskeln in den
+Aufsätzen, so entdeckt man erstaunt, daß hinter der brutalen Sensation
+eine gründliche, ehrliche, bewunderungswürdige Arbeitsleistung von
+ganz gewaltigen Verhältnissen steckt und zwar häufig gerade da, wo
+der als so leichtsinnig verschrieene Reporter gearbeitet hat. Dieser
+Reporter, der so gut wie die Besten die jungfrische Kraft und den
+Unternehmungsgeist und den Bienenfleiß des Dollarlandes repräsentiert.
+Er ist es, der seiner Zeitung die großen Erfolge verschaffen muß, die
+man in der Zeitungssprache =scoops= nennt. Sie allein machen Eindruck
+auf den modernen Amerikaner; sie allein sichern dem Blatt ein rasches
+Emporschnellen der Zirkulation, ein Wachsen im Ansehen.
+
+=Scoop= heißt wörtlich eine große Schaufel. =To scoop in= bedeutet
+einheimsen, einschaufeln, einsacken, und im übertragenen Sinne will
+der spöttische Zeitungsausdruck besagen: Daß man eine hochwichtige
+Neuigkeit ganz für sich allein, ganz zu allererst eingeheimst,
+eingeschaufelt hat, während die betrübte Konkurrenz wehmütig dasteht
+und den kahlen Boden vierundzwanzig Stunden später nach schäbigen
+Resten absucht. Ich erlebte einen prachtvollen =scoop= beim Examiner.
+Und half mit dabei.
+
+ * * * * *
+
+Frühmorgens war es. Noch hatte die Arbeit nicht begonnen und die
+Reporterfamilie auf der Jagd nach den Ereignissen des Tages sich
+über die Stadt zerstreut, als McGradys Telephon, das von der
+Examinerzentrale nur dann eingeschaltet wurde, wenn es sich um eine
+sehr wichtige Mitteilung handelte, rasselnd erklingelte. Mac nahm den
+Hörer ab:
+
+»Examiner -- Nachrichtendienst.«
+
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+»Jawohl -- Leuchtturmwärter -- Station Goldenes Tor -- ja -- _wie_
+heißt der Dampfer -- die Hongkong? -- jawohl! Anscheinend verunglückt,
+jawohl Wird von einem Trampdampfer eingeschleppt?«
+
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+Pause, lange Pause. Wir alle lauschten in atemloser Spannung. Dann
+fragte Mac weiter:
+
+»Der Dampfer ist nur durch ein gutes Fernrohr sichtbar, sagen Sie?«
+
+-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+
+»Haben Sie die Nachricht einer anderen Zeitung gegeben? -- Nein?
+-- Schön. Erstatten Sie nur die Ihnen dienstlich vorgeschriebenen
+Meldungen an die Behörden und benachrichtigen Sie keine andere Zeitung.
+Ja? Danke. Sie erhalten von uns fünfundzwanzig Dollars. -- Schluß.«
+
+Das Telephon klingelte ab.
+
+Allan McGrady hängte langsam und bedächtig den Hörer auf, ging
+zu seinem Schreibtisch, nahm sich eine Zigarette und zündete sie
+umständlich an, während wir schweigend dastanden. Dann wandte er sich
+um.
+
+»Hayes! Telephonieren Sie doch, bitte, an die
+Schleppdampfergesellschaft. Wir brauchen den schnellsten Schlepper, den
+sie haben. Muß in einer halben Stunde unter Dampf sein. Examinerdienst,
+üblicher Charter für einen Tag. Nein -- warten Sie. Nicht einen,
+sondern zwei Schlepper brauchen wir.«
+
+»Zwei Schlepper -- in einer halben Stunde!« wiederholte Hayes.
+
+»Richtig.« Hayes ging zum Telephon und McGrady klingelte. »Ich lasse
+Mr. Lascelles bitten,« befahl er dem eintretenden Pagen.
+
+Von uns sagte keiner ein Wort, denn jeder wußte, daß es sich um etwas
+Großes handelte; um rasches Denken, um schnelles Disponieren. Daß jede
+Minute und jeder gesprochene Satz kostbar waren. Der Chefredakteur
+kam augenblicklich. Wenn ein Redakteur den andern oder gar den Chef
+»bitten« ließ, anstatt sich selbst zu bemühen, so bedeutete das: Eile,
+Dringend, Expreß!
+
+Die beiden Herren schüttelten sich die Hände.
+
+»Guten Morgen, Lascelles,« sagte McGrady, der nie ruhiger und kühler
+sprach, als wenn er sehr aufgeregt war. »Verzeihen Sie, aber wir haben
+hier eine Sache, die keinen Aufschub duldet.«
+
+Lascelles nickte nur. McGrady fuhr fort:
+
+»Der Leuchtturmwärter von der Goldenen-Tor-Station telephoniert,
+er habe soeben den Dampfer Hongkong der San Franzisko-China-Linie
+gesichtet. Der Dampfer werde von einem kleinen Honolulu-Trampdampfer
+eingeschleppt. Sie alle wissen, daß die Hongkong überfällig ist. Um
+was es sich handelt, läßt sich ja allerdings noch nicht sagen. Mr.
+Lascelles, ich habe zwei Schleppdampfer beordert --«
+
+»Weshalb zwei?«
+
+»Wir haben Eile. Ich möchte vorschlagen, daß wir die Nachmittagsausgabe
+zwei Stunden früher erscheinen lassen mit zwölf bis zwanzig Spalten
+Hongkong an erster Stelle. Ich persönlich bin dafür, alles andere
+Lokale hinauszuwerfen. Nur Hongkong, wichtige Politik, Börse,
+Vermischtes. In zwei Stunden frühestens hat der »=Call=« die Nachricht
+von den Behörden, auf jeden Fall aber nach uns. Selbst wenn es sich nur
+um eine Stunde oder auch eine halbe Stunde Differenz handeln sollte, so
+haben wir doch Vorsprung, und die Leute vom =Call= kommen sicher nicht
+auf den Gedanken, daß wir zwei Stunden früher erscheinen könnten!«
+
+»Teufel -- das können wir aber doch nicht, Mac!«
+
+»Ich meine, es müßte eben gehen,« sagte Allan McGrady nachdenklich.
+»Wir lassen die Setzer und die Maschinenleute der Nachtschicht holen.
+Was Manuskript anbetrifft, so soll der zweite Schlepper die ersten
+Nachrichten übermitteln, sobald es nur irgendwie geht, und der Rest
+muß eben auch im Handumdrehen da sein -- ich kann mich auf meine Leute
+verlassen.« (Es geschah sehr selten, daß McGrady dergleichen sagte,
+aber wenn es geschah, so hätten wir uns in Stücke zerreißen lassen für
+ihn!!)
+
+»Die Möglichkeit des Gelingens ist da,« antwortete Lascelles rasch.
+»=Allright=, Mac. Disponieren Sie. Sie wissen, daß wir gute tausend
+Dollars Extraausgaben riskieren und der alte Mann uns die Hölle heiß
+machen wird, wenn die Sache schief geht. Verfrühte Ausgabe also. Wissen
+Sie was? Es ist neuneinhalb Uhr. Um zwölf Uhr, oder sagen wir halbeins,
+lassen wir ein Extra verteilen: Die Hongkong hilflos eingeschleppt.
+Eines der größten Schiffe der kalifornischen Chinalinie mit knapper Not
+dem Untergang entgangen. Eine Tragödie der See. Siehe ersten Bericht im
+Nachmittags-Examiner. Oder so ähnlich ...«
+
+»Ausgezeichnet!« sagte Mc Grady. »Wenn wir den Anschluß erwischen,
+ist es eine große Sache. Meine Herren, der gesamte Stab geht auf den
+Schleppdampfer mit Ausnahme von Hayes. Hayes -- weinen Sie nicht, Sie
+haben schwierige und verantwortungsvolle Arbeit genug; Sie müssen auf
+die Frisco-China-Linie und zu den Versicherungsgesellschaften. Orders
+kann ich Ihnen kaum geben, meine Herren. Ferguson als der Aelteste wird
+disponieren. Nur ganz allgemein: Wir wenden die natürliche Methode an.
+Die Ereignisse werden photographisch geschildert. Die Schilderung
+beginnt von dem Augenblick an, in dem Sie den Schleppdampfer betreten.
+Diesen ersten Teil soll Ferguson machen. Hetzfahrt und so weiter. Die
+Hongkong wird gesichtet -- Beschreibung, bitte, wie der Kasten aussieht
+-- man klettert an Bord« -- (er lachte) »und wenn einer der Herren
+dabei ins Wasser fallen sollte, wär' das eine schöne Sache --«
+
+Schallendes Gelächter.
+
+»-- und wenn einer der Herren so gütig sein würde, dabei im
+Dienste des Examiners zu ertrinken, so wär' das noch viel schöner
+vom Zeitungsstandpunkt aus!« (Das war Macs gruselige Art von
+Humor.)»Passagiere schildern also -- sie interviewen -- Kapitän,
+Offiziere interviewen -- sehen, was los ist -- sperrt sich der
+Kapitän, so wird ihm unter die Nase gerieben, daß der Examiner und die
+Öffentlichkeit sich nicht bluffen lassen -- die Wahrheit kommt doch an
+den Tag. Los, meine Herren! Ich bitte mir aus, daß flott gearbeitet und
+beim Schreiben auf der Heimfahrt keine Zeit an stilistische Künsteleien
+verplempert wird. Das nötige Zurechtdeichseln besorgen Lascelles und
+ich hier auf der Redaktion. Los!«
+
+»Einen Augenblick!« rief Lascelles. »Zeitungen mitnehmen! Ist gute
+Reklame. Die Passagiere werden sich freuen, nach sechzehn Tagen wieder
+eine Zeitung aus dem Lande Gottes zu sehen!«
+
+Eine Minute später stürmten in Holtergepoltereile zehn Zeitungsmänner
+zum Hafen, und fünfundzwanzig Minuten darauf jagten in sausender
+Fahrt die Hochseeschlepper Furor und Golden Gate durch das
+Schiffahrtsgewimmel der inneren Bai dem Goldenen Tore zu. An den
+Flaggenstangen im Heck flatterten die Hausflaggen der Zeitung
+mit ihrer grellroten Inschrift auf weißem Grund: =San Francisco
+Examiner=. Das Fahrttempo war viel zu schnell für die innere Bai,
+aber der Examiner durfte bei seinen Beziehungen zur Hafenpolizei eine
+kleine Gesetzesübertretung schon riskieren. Die Schiffe, denen wir
+begegneten, wurden aufmerksam, und mehr als einmal schallten brüllende
+Megaphonfragen zu uns herüber, was in Dreikuckucksnamen denn eigentlich
+los sei. Unser Kapitän antwortete gewöhnlich: »Erkundigt euch beim
+nächsten Polizisten!« Oder grimmiger:
+
+»Sind -- in Eile -- haben ---- keine Zeit ---- euch -- was vorzulügen!
+=Goodbye=!!«
+
+Alcatras Island, die winzige, mit Kanonen gespickte Felseninsel im
+Zentrum des Hafens, huschte vorbei; die schmale Bai wurde breiter,
+die Wogen gingen höher. Das Häusermeer verschwand im Dunstkreis. Die
+Fischerflottillen in der äußeren Bai waren bald überholt. Die nackten,
+felsigen Ufer schoben sich näher zusammen.
+
+Wir dampften durch das Goldene Tor. Ferguson hatte, auf einen
+Decksessel hingekauert, schon längst zu schreiben begonnen. Nun sah er
+auf und gab uns seine Instruktionen, die auf eine genaue Verteilung
+der Arbeit hinausliefen. Mir wurde die Beschreibung des Maschinenraums
+zugeteilt, während Ferguson selbst das Interview mit dem Chefingenieur
+der Hongkong übernahm. Aber der blinde Glückszufall hatte mir, dem
+Jüngsten, eine lohnendere Aufgabe gegeben als ihm, dem Alterfahrenen
+... In einer Viertelstunde wurden Rauchwolken sichtbar am Horizont,
+und bald darauf tauchte die schwarze Masse eines Riesenschiffes
+auf, geschleppt von einem winzigen Dampfer. Das war die fünf Tage
+überfällige Hongkong.
+
+ * * * * *
+
+Die elektrischen Lampen glühten im Maschinenraum, aber die gewaltigen
+Feuerlöcher der Kessel lagen grau und leblos da und Stille herrschte.
+Ich kletterte mühselig von Plattform zu Plattform auf den schmalen
+stählernen Leitern.
+
+»'n Morgen,« sagte unten ein alter Mann mit weißen Haaren im blauen
+Maschinistenkittel. Er betrachtete mich vergnügt aus blinzelnden Augen
+und schob bedächtig den Pfeifenstummel aus dem linken Mundwinkel in den
+rechten, während er mit der einen Hand die Lagerung eines sausenden
+Dynamos prüfend betastete und mit der andern ein frischgewaschenes Hemd
+näher an die Feuerung des kleinen Hilfskessels hielt. »Guten Morgen!«
+
+»Erzählen Sie mir alles!« sagte ich.
+
+»Zeitung?«
+
+»Ja -- Examiner.«
+
+»Dacht' ich mir,« grinste der Alte. »Ich bin der dritte Ingenieur
+dieses gesegneten Schiffes, und wie Sie sehen, beschäftige ich
+mich damit, ein bißchen elektrische Kraft zu fabrizieren und die
+Familienwäsche zu trocknen. Mann, hier ist nichts los! Der Laden ist
+zu. Wir haben das Geschäft aus Mangel an Betriebskapital aufgegeben.«
+
+»Weiter!« bat ich geduldig.
+
+»Weiter nichts.«
+
+»Propellerbruch, wie ich höre, nicht wahr?«
+
+»Propellerschaftbruch, junger Mann, fachmännisch ausgedrückt,« sagte
+der Alte und drehte seine trocknende Familienwäsche nach der anderen
+Seite. »Das heißt, daß ungefähr in der Mitte zwischen hier und Honolulu
+in zweitausend bis dreitausend Meter Tiefe auf dem Grunde des Meeres
+ein Propeller, ein drei Meter langes Stück Propellerschaft, ungefähr
+sechs Heckplatten mit Zubehör, dreiviertel eines Steuerruders und noch
+verschiedene andere belanglose Kleinigkeiten liegen, alles zusammen
+etwa achtzigtausend Pfund schwer und etliche hunderttausend Dollars
+wert. Das is' alles!«
+
+-- -- -- -- -- -- --
+
+»Wie das passiert ist?« Er spuckte kräftig auf den Boden. »Junger Mann,
+ich bin siebenundzwanzig Jahre lang Maschinist, und trotzdem weiß ich
+das ebensowenig wie Sie. Sehen Sie, ein Propellerschaft ist sozusagen
+'n Luder! 'n dickes, langes Stück Stahl, das vor jeder Ausreise von
+einem halben Dutzend Ingenieuren und mindestens drei Behörden Zoll für
+Zoll abgeklopft und untersucht und begutachtet wird. Das wir während
+der Fahrt pflegen und hätscheln, ölen und salben, als wär's 'n Baby. 'n
+Stück Stahl, das eine Krafteinwirkung von sechstausend Pferdekräften
+und Wasserwiderstände von achtzehntausend Pferdekräften auf seinem
+runden Buckel aushalten muß. 'n Stück Stahl, dem die Kräfte und die
+Widerstände hie und da -- es kommt nicht häufig vor, dem lieben Gott
+sei Dank -- zu viel werden. Dann geht's knax, und der Teufel ist los!«
+
+»Was passiert dann?«
+
+»Oh, nichts von Bedeutung.« Er lachte schallend auf und schlug sich
+aufs Knie. »Es passiert das, was uns passiert ist. Ungefähr das,
+was geschieht, wenn man einer kleinen Katze plötzlich den Schwanz
+abschneidet -- der Schwanz fällt herunter, nicht wahr, und die kleine
+Katze gebärdet sich ungewöhnlich lebendig und aufgeregt. Na, unser
+Propellerschwanz mit einigem Zubehör, das er im Vorbeigehen mitnahm,
+liegt -- =well=, zwischen hier und Honolulu. Die Katze ---- «
+
+»Die Maschinen?«
+
+»-- jawohl -- die Maschinen! -- die Maschinen wurden aufgeregt. Das ist
+ungefähr so, als wenn vier Pferde aus Leibeskräften an einem schweren
+Sandwagen zerrten und plötzlich rissen sämtliche Stränge. Worauf die
+vier Gäule übereinanderpurzeln und mit den Beinen strampeln würden ...
+Um drei Uhr nachts ist es passiert. Ich hatte die Wache, Hand an der
+Drosselung. Drei Sekunden nach dem großen Krach hatte ich abgedrosselt
+und fünfzig Sekunden später das hintere mechanische Sicherheitsschott
+geschlossen. Die drei Sekunden jedoch genügten den Maschinen
+vollkommen, um übereinanderzupurzeln -- Lagerungen verballert,
+Hochdruckzylinder verbogen, Kolben schief, als wären sie besoffen, alle
+Verbindungen gelockert, alle Schrauben heidi -- ein Jammer, junger
+Mann, ein trauriger Jammer. Zum Weinen! Aber das verstehen Sie nicht --
+sind ja kein Maschinenmensch ...«
+
+»Und dann?«
+
+»Schloßen wir den Laden. Ließen Dampf ab, dichteten das
+Kollisionsschott, pumpten das Stück pazifischen Ozean aus, das in den
+Maschinenraum gedrungen war, und stützten unsere armen Maschinen mit
+allerlei Gebälk. Mann, sehen Sie nur hin! Der Hochdruckzylinder sieht
+aus wie 'n Baugerüst -- pfui Deibel! Das erledigt, warteten wir auf
+die göttliche Vorsehung und den dreckigen Trampdampfer, der mit seinem
+bißchen Schleppen ein Riesenvermögen an uns verdient.«
+
+»Darf ich den Maschinenraum ansehen?«
+
+»Kommen Sie! Sie werden sich wundern! Er sieht ungefähr so aus wie ein
+Zwischendeck mit siebenhundert seekranken Chinesen am dritten Tag der
+Ausreise von Hongkong. To -- tal ver -- saut!!«
+
+Seufzend hing er das schon beinahe getrocknete Hemd über eine blanke
+Kupferröhre und führte mich in das Allerinnerste der Hongkong. Ein
+beschwerliches Kriechen war es, schmale Gänge entlang und unter den
+Leibern stählerner Ungeheuer durch. Ein Gewirr von Balken stützte
+die einzelnen Teile der Riesenmaschinen, die der furchtbare Stoß der
+im Augenblick des Bruchs entfesselten widerstandslosen Kräfte völlig
+unbrauchbar gemacht hatte; zerbrochene, verbogene Röhren, geknicktes
+Gestänge, schiefe Stahlsäulen, abgesprungene Harteisenstücke, weißgrau
+an den Bruchrändern, lagen umher.
+
+»Hübsch, nicht?« sagte der alte Mann. »Nun stellen Sie sich, bitte,
+vor, daß ein winzig kleiner Fehler, ein völlig unsichtbarer,
+unentdeckbarer Riß in einem runden Stück Stahl von zwanzig Zoll
+Durchmesser ausreichte, um für eine halbe Million Dollars Maschinen in
+drei Sekunden über den Haufen zu werfen!!«
+
+Da beschloß der Lausbub, seinem Teil des Berichts die Überschrift zu
+geben: Der Dämon im Stahl!
+
+Er fand das sehr schön!!
+
+Während der Furor in einer Wolke von schwarzquellendem Rauch hafenwärts
+sauste, schrieb ich und schrieb und schrieb, denn es war ja so
+leicht. Hatte mir doch das Glück das Schönste und Packendste in einem
+großen Zeitungsereignis bescheert -- den grimmigen düsteren Humor der
+Wirklichkeit ...
+
+Unser =scoop= gelang glänzend. Mit flammenden Überschriften und
+sechzehn Spalten Hongkong erschien der =Examiner= zwei Stunden vor
+dem =Call=. In einer Gesamtzeit von sieben Stunden vom Einlaufen der
+Meldung bis zur Ausgabe der fertigen Zeitung war ein für die Hafenstadt
+unendlich interessantes Ereignis lebendig und exakt geschildert
+worden, in der Ausführlichkeit einer graphischen Darstellung von
+über dreitausend Zeilen Länge. Nichts fehlte. Das Aussehen der
+Hongkong -- der Bericht des Kapitäns -- die Schilderung der Leute des
+Schleppdampfers -- die Szenen des Schreckens der Unglücksnacht.
+
+Es war einer der großen Tage der Zeitung gewesen.
+
+ * * * * *
+
+Der Hongkongbericht war in gekürzter Form nach New York und Chicago an
+das New York-Journal und die Chicago-Dispatch telegraphiert worden,
+denn wir und jene beiden Blätter arbeiteten stets Hand in Hand.
+Gehörten »wir« doch einem gemeinsamen Eigentümer, dem Verleger des New
+York-Journal, William R. Hearst. Als wir uns am nächsten Morgen im
+Reporterzimmer einfanden, hielt uns Mac lachend eine Depesche entgegen.
+Wir lasen:
+
+»Examiner, Frisco. -- Komplimente, Mac. Gute Arbeit. Erwarte
+ausführlichen Bericht. -- Hearst.«
+
+Das war bezeichnend für William R. Hearst, dem nichts zu klein war im
+Zeitungsdienst, um sich nicht persönlich darum zu bekümmern, und nichts
+zu groß, sich mit seinen Zeitungen nicht daran zu wagen. Ich sah Hearst
+erst Jahre später. Aber im Reporterzimmer wimmelte es von Anekdoten
+über den »Alten«. Als Hearsts Vater, der Besitzer des New York-Journal,
+gestorben war und ihm die Zeitung hinterlassen hatte, wurde aus dem
+bedeutungslosen Jungen, der bisher nur durch modische Kleidung und
+grelle Kravatten aufgefallen war, mit einem Schlage ein Arbeiter. Er
+erklärte den redaktionellen und geschäftlichen Leitern seiner Zeitung,
+daß in Zukunft er der Herr sei und sonst niemand. Die wollten sich
+totlachen.
+
+Dann kam das Entsetzen.
+
+Der junge Hearst gönnte sich nicht einmal die Zeit zum Essen -- und
+anderen Leuten erst recht nicht. Zu schlafen schien er überhaupt nicht.
+Er war der Schrecken der Metteure. Er nächtigte im Setzersaale und
+schrieb bis aufs letzte -- i -- Pünktchen die Schriftarten vor, die die
+Ueberschriften der einzelnen Artikel anziehend machen sollten für Seine
+Majestät das Publikum.
+
+Sein Leben gehörte seiner Zeitung. Das folgende wahre Geschichtchen
+illustriert seine Manier vortrefflich. Er gab ein Souper, das sich
+lange ausdehnte. Um drei Uhr morgens brachte ihm ein Bote die erste
+Kopie der Morgenausgabe des Journal, das soeben zur Presse gegangen
+war. Hearst sprang nach einem Blick auf die Zeitung wütend auf,
+ohne seinen verblüfften Gästen auch nur ein Wort der Erklärung zu
+geben, und rannte in die Nacht hinaus. Nach Luft schnappend, kam er
+im Journalgebäude an, ließ die Presse stoppen und telephonierte den
+Chefredakteur herbei.
+
+Alles -- weil die Überschrift des Leitartikels Hearst nicht zugkräftig
+genug war!
+
+Er pflegte stundenlang der Länge nach ausgestreckt in seinem
+Privatkontor auf dem Teppich zu liegen, die Riesenseiten des Journal
+vor sich ausgebreitet, um die Wirkung der »Aufmachung« zu studieren.
+Den großen Eindruck brauchte er -- für die große Masse. Die war sein
+Götze. Er gab Unsummen aus für Spezialdrähte, mietete einen Privatdraht
+zwischen New York und Washington, um die Kongreßdepeschen früher
+zu haben, gewann Generäle und Minister als Mitarbeiter. Er schlug
+die Zeitungen New Yorks wieder und wieder in der Schnelligkeit und
+Ausführlichkeit wichtiger Nachrichten. Der Erfolg bei der großen Masse
+kam fast augenblicklich. Die Auflagenziffern des New York-Journal
+schnellten zu verblüffender Höhe empor, und aus der einen Zeitung wurde
+ein Zeitungssyndikat in New York, Chicago und San Franzisko, mit Hearst
+als Alleinbesitzer. Damals entstand das Wort von der Gelben Presse.
+
+Ueber seine Entstehung habe ich von amerikanischen Zeitungsfreunden
+folgendes Geschichtchen erzählen hören:
+
+Als der deutsche Kaiser der gelben Gefahr sein Zeichentalent widmete
+und die Völker Europas warnte, ihre heiligsten Güter zu wahren, kam
+der Karikaturist einer Washingtoner Zeitung auf die hübsche Idee, die
+kaiserliche Zeichnung, die in Amerika großes Aufsehen und bei der
+Abneigung gegen die gelbe Rasse starken Beifall erregt hatte, polemisch
+zu verwerten. Er zeichnete in einem Bild einen messerschwingenden
+Chinesen, in einem andern Bild daneben den das Journal schwingenden
+Hearst, umgeben von tanzenden Teufelchen, die alle schrien: Sensation!
+Sensation!! Sensation!!! Das eine Bild trug die Ueberschrift: Die Gelbe
+Gefahr Europas! das andere: Die Gelbe Gefahr Amerikas! Die politische
+Welt der Vereinigten Staaten lachte und nannte den Zeitungsmann den
+gelben Hearst und seine Zeitungen die gelben Zeitungen. Die Gelbe
+Presse!
+
+Wie nun das bissige Wortbild auch entstanden sein mag, es kennzeichnet
+mit seinem Vergleich mit der krassesten aller Farben, dem schreienden
+Gelb, den Hunger nach Sensation vorzüglich. Tut auch Unrecht, wie
+alle Schlagworte. Hearst hat starken Einfluß auf die Entwicklung der
+amerikanischen Presse ausgeübt und dem modernen Nachrichtendienst
+unvergeßliche Dienste geleistet. Und lange vor Roosevelt schon kämpfte
+er gegen die Trusts. Seine politische Stellung als einer der Führer der
+demokratischen Partei wird von Jahr zu Jahr stärker.
+
+ * * * * *
+
+Nur einen einzigen Tag in jenen Monaten versäumte ich den
+Zeitungsdienst.
+
+Das war an jenem Tag, als frühmorgens Madame Legrange klopfte und mir
+einen Brief brachte, einen Brief aus Deutschland. Ich freute mich
+gewaltig. Mein wortkarger Vater schrieb mir nur selten, aber zwischen
+den Zeilen der wenigen Briefe konnte ich lesen, daß meine jungenhafte
+Begeisterung im Dienste der Zeitung und mein naives Schildern des
+Lebens um mich ihn freuten. In knappen Worten sprach der Freund zum
+Freund. Nur dann und wann blitzte ein Rat, eine Warnung auf. »Du wirst
+vielleicht nie nach Deutschland zurückkehren, aber vergiß dein Land
+nicht, denn seine Art bleibt deine Art!« schrieb er mir einmal. »Du
+hast es sehr schwer, denn du bist niemand Verantwortung schuldig als
+dir selbst ...« hieß es ein andermal. Vor allem aber verblüffte mich
+die genaue Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse, die aus diesen
+Briefen sprach; eine weit gründlichere und tiefere Kenntnis als die
+meinige, der ich doch im Lande lebte und schaffte. Das flößte mir
+gewaltigen Respekt ein. Wenn das deutsche Heimweh über mich kam, und
+das tat es manchmal, nahmen die Sehnsucht und die Träume die Form an,
+daß ich es mir erträumte, dem Vater einst als erfolgreicher Mann wieder
+gegenüberzutreten. Der Erfolgreiche dem Erfolgreichen. Der Freund dem
+Freund. Der Gleichberechtigte dem Gleichberechtigten.
+
+Und nun las ich und saß erstarrt auf meinem Bett. Mein Vater war tot.
+Gestorben an einer fürchterlichen Krankheit, nach jahrelangem Siechtum,
+das mir auf seinen Befehl verheimlicht worden war. Sie hatten ihn vor
+Wochen schon begraben.
+
+An jenem Tag der Verzweiflung begann ich zu ahnen, was Alleinsein
+im fernen Lande in Wirklichkeit war und was die Bande des Bluts
+bedeuteten, aber Jahre sollten noch vergehen, bis ich verstand, daß
+in dem Grab im Münchner Nordfriedhof mein Allereigenstes lag. Daß aus
+meinem Vater meine Kraft und mein Leichtsinn und meine Art stammte, und
+daß ich dem Mann, der als kriegsinvalider Offizier nach den Feldzügen
+der Jahre 1866 und 1870 frisch und kraftvoll nach einem neuen Leben
+gegriffen und sich als nationalökonomischer und wirtschaftlicher
+Geistesarbeiter einen reichen Wirkungskreis geschaffen hatte, alle
+Zähigkeit des Wollens und Willens verdankte.
+
+
+
+
+Das Kommen des Krieges.
+
+ Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. -- Die
+ Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen Insurgenten. --
+ Die Glückssoldaten in Viriginia. -- Gespannte Beziehungen zwischen
+ den Vereinigten Staaten und Spanien. -- Grausamkeiten. -- Die
+ kubanische Junta und New York. -- Der Untergang der Maine. -- Der
+ Racheschrei. -- Kriegserklärung. -- Meine große Idee! -- Die große
+ Idee funktioniert nicht! -- Aber ich muß unbedingt nach Kuba ...
+
+
+Schweres Kriegsgewölk überschattete im Jahre 1898 die Neue Welt. Unten
+im Süden auf der Insel Kuba tobte seit Jahren ein Kleinkrieg zwischen
+Herren und Knechten, zwischen einer Rasse, die sich im Niedergange
+befand, und bösem Mischblut; zwischen Spaniern und Kubanern. Die reiche
+Insel, das Tabaksland, das Zuckerland war bitterarm geworden unter
+spanischer Mißwirtschaft, und unerträglicher Steuerdruck lastete auf
+ihm. Die spanisch-indianischen Mischlinge, die westindischen Neger
+und Halbneger, nie Freunde harter Arbeit, wurden durch das unfähige
+spanische Beamtentum mit seinem die Hände in den Schoß legenden
+=mañana=-Glauben noch gründlicher verdorben, als sie von Mutter Natur
+aus schon waren. Korruption war überall im Land. Hungersnot folgte auf
+Hungersnot. Bitteres Elend herrschte seit vielen Jahren. Da schlugen
+sich die Mischlinge in die Büsche, und langsam wuchs unter Führung von
+Abenteurern die national-kubanische Erhebung; ein Guerillakrieg, der
+von beiden Seiten mit einer Wildheit und einer Grausamkeit geführt
+wurde, die dem benachbarten Amerika den Atem stocken ließ und ihm eine
+altschmerzende Episode ins Gedächtnis rief, die in den Vereinigten
+Staaten böses Blut gemacht hatte: Das Sterben der Männer der Virginia.
+
+Vor einem Jahrzehnt, denn solange schon wütete der Kleinkrieg zwischen
+Spaniern und Insurgenten, waren amerikanische Glückssoldaten in dem
+Schooner Virginia gen Kuba gesegelt und im Süden gelandet, sich in den
+Reihen der Revolutionäre Ruhm und Glück zu erkämpfen. Ein spanisches
+Kanonenboot fing den Schooner ab. Vierundzwanzig Stunden später
+knallten die Schüsse der spanischen Pelotons, und die Glückssoldaten
+der Virginia waren tot. Amerika zitterte vor Entrüstung, wenn auch
+das amtliche Washington sich wohl oder übel auf den Boden des
+internationalen Rechts stellen und erklären mußte, jene amerikanischen
+Abenteurer hätten den Schutz des Mutterlandes verwirkt, als sie sich
+auf ihre ungesetzliche Unternehmung einließen. Vergessen aber wurden
+die Männer der Virginia nie.
+
+Schon zu Ende des Jahres 1897 waren die Beziehungen zwischen den
+Vereinigten Staaten und Spanien gespannt, denn Washington hatte
+wiederholt energisch darauf hingewiesen, daß in der Tabak-und
+Zuckerindustrie Kubas Millionen amerikanischen Geldes steckten und die
+unhaltbaren Zustände auf der Insel den wirtschaftlichen Interessen
+der Vereinigten Staaten schadeten. Da wurde der spanische General
+Weyler als Generalkapitän auf die Insel gesandt, und der Kampf gegen
+die Insurgenten begann im großen Stil. Der grimmige Soldat ersann das
+System der Blockhauslinien. In Fächerform wurden von den militärisch
+stark besetzten Zentren aus kleine Blockhäuser in das Innere des Landes
+vorgeschoben, um in stetig fortschreitender, geschützter Angriffslinie
+die Revolutionäre zusammenzudrängen und das Land Meile für Meile von
+ihnen zu säubern. Quer über die ganze Breite der Insel schob sich
+die =trocha=. Eine gewaltige Kriegsmaschine war es: Undurchdringbare
+Drahtverhaue verbanden die Blockhäuser. Vor diesem Gürtel kleiner
+Festungen lief eine zweite Linie von Wolfsgruben und Sprengminen, die
+eine bloße Annäherung an die =trocha= schon zu einem tödlichen Wagnis
+machten.
+
+Ein furchtbares Gemetzel begann. Tier kämpfte gegen Tier, denn
+die halbverhungerten, verzweifelten, geächteten Menschen in den
+Wäldern waren zu Tieren geworden, die mit ihren Macheten jeden der
+verhaßten spanischen Soldaten, der ihnen in die Hände fiel, grausam
+abschlachteten, und die erbitterten Spanier zeigten sich nicht weniger
+grausam als jene. Sie schonten weder Weib noch Kind. So tobte der
+Kleinkrieg. Immer wieder wurden die =trocha= da und dort in Kämpfen
+bis aufs Messer von den Insurgenten durchbrochen; hatten doch diese
+menschlichen Gerippe, die wenig mehr besaßen als ihre Waffen, nichts
+zu verlieren und alles zu hoffen. Gefangene wurden von den Spaniern
+ohne weiteres erschossen; zu Dutzenden, zu Hunderten. In New York
+aber sorgte eine kubanische Junta, eine Vertretung der Insurgenten,
+getreulich dafür, daß die amerikanische öffentliche Meinung in Schrift
+und Bild jede Greueltat der spanischen Soldaten erfuhr, während über
+die Schandtaten der Revolutionäre klüglich geschwiegen wurde. Grelle
+Schilderungen von Hunger, Jammer und brutaler Unterdrückung aber
+verfehlen ihre Wirkung auf den Amerikaner nie.
+
+Alles drängte zur Einmischung der Vereinigten Staaten. Der langsam
+erwachende Imperialismus, der eine Ausdehnung der amerikanischen Macht
+forderte und Taten verlangte; das Kapital und starke wirtschaftliche
+Interessen, die nicht nur ihre Geldanlagen auf der Nachbarinsel retten
+wollten, sondern auch von einem amerikanischen Kuba sich goldene Berge
+versprachen; der Zug der öffentlichen Meinung endlich, die die blutigen
+Greuel im Nachbarhause nicht mehr mit ansehen mochte.
+
+Die Stimmung war gespannt zum Platzen.
+
+Da flog am 15. Februar des Jahres 1898 abends 9 Uhr im Hafen von
+Havana der große amerikanische Kreuzer Maine in die Luft und sank
+augenblicklich. Die gesamte Besatzung von über sechshundert Mann ging
+zugrunde.
+
+Jetzt jagten sich die Ereignisse.
+
+Ein Schrei der Entrüstung gellte über Amerika. Rache für die Maine!
+durchbrauste es die Zeitungen; =Remember the Maine!= donnerte es in den
+Massenmeetings. Denn für jeden Amerikaner war es selbstverständlich,
+daß ein heimtückischer spanischer Torpedo die Maine und ihre 600
+Amerikaner in die Luft gesprengt hatte.
+
+Die kubanischen Insurgenten wurden von der Regierung der Vereinigten
+Staaten als kriegführende Partei anerkannt. Scharfer spanischer
+Protest in unziemlichen Ausdrücken. Kurzer Notenwechsel, der die
+Lage nur verschärfte. Am 25. April erklärte das amerikanische
+Repräsentantenhaus, der Senat und der Kongreß, den Kriegszustand mit
+dem Königreich Spanien.
+
+Am selben Tage noch erhielt das amerikanische Geschwader in Ostasien
+unter Admiral Dewey telegraphische Instruktionen. Nach fünf Tagen war
+die spanische Philippinenflotte in der Seeschlacht von Manila am 1. Mai
+1898 vernichtet.
+
+ * * * * *
+
+Der Lausbub wäre nicht das Menschenkind voller Unrast und
+tiefgewurzeltem Drängen nach grellem Erleben gewesen, hätte sich
+nicht inmitten des Kriegslärms sein abenteuerliches Blut geregt. Das
+Soldatenblut vielleicht auch vom Großvater und Vater her, den alten
+Offizieren.
+
+Ich verschlang die sich jagenden Nachrichten und brüllte mit in Jubel
+und Freude, als Lascelles mit der Depesche vom Siege bei Manila ins
+Reporterzimmer stürzte. Kein Stockamerikaner hätte begeisterter
+sein können! Wieder jagten sich die Ereignisse. Mit immer größerer
+Bestimmtheit trat die Nachricht auf, daß eine Amerikanische Armee
+von der Insel Kuba Besitz ergreifen sollte und -- ich wurde sehr
+nachdenklich, ohne eigentlich zu wissen warum. Ich wurde zappelig.
+Wie schal und gleichgültig schien auf einmal das begeisternde
+Reporterleben! Ich wurde unzufrieden. Was scherte mich die Zeitung,
+wenn es Krieg gab! Krieg!! Blutigen Krieg! Kämpfe im tropischen Land!!!
+
+Ich sah mich zwei Nächte hintereinander im unruhigen Traum als kolossal
+tapferen Offizier, der seine Leute im Sturm zum Siege führte ... Und
+am nächsten Morgen kam mir die große Idee! Man mußte die Gelegenheit
+beim Schopfe packen! Die Möglichkeiten des Berufs mußten ausgenutzt
+werden bis zum letzten! Kriegskorrespondent wollte ich sein -- aber
+selbstverständlich -- _Kriegskorrespondent_!!!
+
+Ich drückte mich im Reporterzimmer herum, bis die Kollegen alle
+fort waren. Kaum war der langbeinige Ferguson mit seinen polternden
+Schritten als letzter aus der Türe gestiefelt, als ich schon auf den
+Schreibtisch in der Ecke zuschoß --
+
+»Mac, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte gern in
+einer persönlichen Angelegenheit ...«
+
+»Natürlich, mein Sohn,« unterbrach er mich lachend. »=Allright=!
+Wieviel brauchen Sie denn nun eigentlich?«
+
+»Es -- es handelt sich nicht um Geld, Mac,« stotterte ich.
+
+»Nun, und wo brennt es dann?«
+
+»Krieg -- Kuba ...«
+
+»Kuba, eh? Was in der Hölle haben Sie denn mit Kuba zu tun?«
+
+Aber ich ließ nicht locker. »Glauben Sie wirklich, Mac, daß wir in Kuba
+einfallen werden?«
+
+Er nahm seine goldene Brille ab und putzte sie bedächtig.
+
+»Nun, ich bin nicht der Kriegsminister!« meinte er. »Aber Sie können
+immerhin Ihren letzten Stiefel darauf verwetten, daß die Insel ein
+bißchen besetzt wird von uns, denn sie ist die große Wurst, um die
+man sich zankt. Die Geschichte wird übrigens so ziemlich in Ruhe und
+Frieden ablaufen, denke ich mir. Die Spanier wären Narren, wollten sie
+uns ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Na, es kann auch anders
+kommen. Vor allem aber reden Sie jetzt ruhig heraus, lieber Junge! Was
+wollen Sie eigentlich, zum Teufel? Was haben Sie sich da wieder in den
+Kopf gesetzt??«
+
+»Ich will nach Kuba!«
+
+»Dachte ich mir, =sonny=!«
+
+Ich wußte, daß ich puterrot geworden war und merkte, daß ich
+ungeschickt stotterte in der Aufregung, aber jetzt hieß es reden,
+reden, reden ... »Mac -- helfen Sie mir, Mac! Sie wissen ja nicht,
+wieviel mir daran liegt!! Mein Vater war Offizier -- und ich wollte als
+Junge immer schon Offizier werden und -- Sie verstehen mich vielleicht
+...«
+
+Allan McGrady nickte ernsthaft vor sich hin.
+
+»Legen Sie ein gutes Wort für mich ein beim Alten, Mr. McGrady! Ich
+will gewiß kein Geld verdienen dabei. Nur mitkommen --«
+
+»Pfui, wer wird auf die Preise drücken!«
+
+»Oh, Mac, Sie wissen doch, wie ich es meine.«
+
+»Ich weiß, ich weiß. Und nun Vertrauen gegen Vertrauen, Sie Mann
+der Tollheiten. Zwanzig Jahre bin ich im Zeitungsdienst. Mein Name
+ist nach meiner besten Ueberzeugung etwas wert in der Zeitungswelt
+und beim Alten. Nun sehen Sie: Ich würde drei Finger meiner linken
+Hand hergeben, wenn ich damit erreichen könnte, von Hearst nach Kuba
+geschickt zu werden! Drei Finger, mein Junge! Mit Vergnügen!! Mit
+wonnevoller Wonne!!!«
+
+»Aber --« stotterte ich, aus allen Wolken gefallen. »_Sie_ können das
+doch erreichen!«
+
+Er lachte. »Es ist nett von Ihnen, mir das Unmögliche zuzutrauen.
+Ich könnte mir jedoch mit der gleichen Aussicht auf Erfolg es in
+den Kopf setzen, heute abend um sechs Uhr Präsident der Vereinigten
+Staaten sein zu wollen. Mann, Sie ahnen nicht, was es bedeutet,
+Kriegskorrespondent zu sein. Da schickt man die Auserlesensten der
+Auserlesenen hin. Leute von unermüdlicher Tatkraft, glänzende Federn
+-- Männer, die in jeder Lage einen Ausweg zu finden wissen -- Männer
+mit militärischen Kenntnissen ersten Ranges -- ach du lieber Gott.
+Gibt es da unten wirklich ernsthafte Kämpfe, so sind die Hälfte der
+Kriegskorrespondenten für den Rest ihres Lebens gemachte Männer. Die
+Namen der Glücklichen -- Glück gehört auch dazu! -- werden beinahe
+so berühmt werden wie diejenigen der siegreichen Generale. Schlagen
+wir's uns aus dem Kopf, mein Junge! Für unsere Zeitungen gehen
+selbstverständlich Davis und McCullock nach Kuba, kommt es so weit;
+Davis, der ein großer Schriftsteller und Hearsts Freund ist, und
+McCullock, der beim tollen Mullah im Sudan war! Das ist gar keine
+Frage!«
+
+Da trat Lascelles ein.
+
+»=Good morning=, Mac!« rief er. »Denken Sie mal, der Teufel ist endlich
+los! Washington telegraphiert die Mobilmachung der =National Guard=!
+Bedeutet natürlich, daß Onkel Sam nach Kuba marschiert. Und ich würde
+drei Finger drum geben, stände ich in McCullocks Schuhen!!«
+
+Mac blinzelte mir zu.
+
+Als wolle er sagen: »Siehst du! Da ist noch einer! Einer, der schon
+hoch geklettert ist auf den Sprossen der Zeitungsleiter und trotzdem
+das nicht erreichen kann, was du dir in den dicken Schädel gesetzt
+hast. Du blutiger Anfänger ... du!!«
+
+ * * * * *
+
+Ich schlich mich fort. Miserabel schlecht arbeitete ich an jenem Tag,
+denn in meinem Kopf rumorte und lärmte und hämmerte es: Kuba -- Kuba --
+Krieg ...
+
+Kreuz und quer lief ich durch das flaggengeschmückte San Franzisko.
+Unter aufgeregten Menschen, die von nichts sprachen als vom Krieg
+und von Kuba. Teufel -- Teufel ---- Und immer lauter rumorte in mir
+das trotzige blinde Wollen des Augenblicks, wie es noch hundert Male
+rumort hat in meinem späteren Leben, zum Glück manchmal, manchmal
+zu meinem Unglück. Später, wenn man die wirkliche Kraft gefunden und
+sich rückschauenden Humor eingefangen hat, denkt man gern an solche
+Augenblicke der Tollheit. Hat man sie doch auf Heller und Pfennig
+bezahlt in der Münze des Lebens und das Recht auf fröhliche Erinnerung
+erworben, mag auch die Vernunft sich wehren mit ihrem: Es wäre doch
+besser gewesen, wenn ...
+
+So lief ich umher in den Straßen.
+
+Einem neuen Spielzeug nach, das hüpfende Teufelchen vor mir baumeln
+ließen und das ich nicht erhaschen sollte und das vielleicht nur
+deshalb so begehrenswert schien. Die Sehnsucht gestaltete sich zur
+fixen Idee. Sie wurde zum harten Wollen.
+
+Der Lausbub dachte also nach. Dachte angestrengt nach, vernünftig.
+Ueber die Vernünftigkeit dieses Nachdenkens aber würde jeder andere
+Mensch sich krankgelacht haben: Es bestand im Wesentlichen darin,
+daß ich fortwährend dasselbe dachte -- »Ich will aber nach Kuba! Zum
+Teufel, ich will aber doch nach Kuba!!«
+
+Die kleinen Affären des Lebens, die links und rechts neben Kuba,
+und die schleierhafte Zukunft, die hinter Kuba lag, kümmerten mich
+furchtbar wenig. Sie waren nebensächlich. Erstens wollte ich mit in
+diesen Feldzug, und zweitens mußte ich mit, und drittens ging ich
+überhaupt auf jeden Fall mit! Darüber war ich mir nun klar, und damit
+schien mir die Angelegenheit erledigt.
+
+Ich -- mußte -- unbedingt -- nach -- Kuba!!
+
+
+
+
+Der Lausbub wird Soldat.
+
+ Die verbogene Lebenslinie. -- Ein schneller Entschluß. -- Beim
+ Oberleutnant Green vom Signaldienst. -- Ich werde angeworben!
+ -- Abschied von Allan McGrady. -- =B Company= des 1.
+ Infanterieregiments. -- Korporal Jameson. -- Wiggelwaggeln. --
+ Der sprechende Sonnenspiegel. -- »Ich gehe nach Kuba!«
+
+
+Daß meine Verhältnisse sich völlig ändern würden, der mühsam
+erarbeitete erste Lebenserfolg völlig über den Haufen geworfen wurde,
+die Zukunft sich anders gestalten mußte -- an meine ganze schöne
+Lebenslinie dachte ich auch nicht einen Augenblick lang. Her nur mit
+dem praktischen Trotz, der törichte Wünsche in Wirklichkeit umsetzt!
+
+Ich ging zum Oberleutnant Green ins Presidio.
+
+»Hoffentlich kommen Sie nicht in beruflicher Angelegenheit,« sagte
+er lächelnd, als ich in das kleine Signalbureau im Adjutanturgebäude
+trat, »denn nicht ein Wörtchen könnte ich Ihnen in diesen Zeiten sagen.
+Befehl von Washington!«
+
+»Das wäre an und für sich schon eine Neuigkeit im Zeitungssinne!«
+lachte ich. »Aber ich komme mit einer persönlichen Bitte ...« Und ich
+erzählte ihm, was ich mit Allan Mc Grady gesprochen hatte und erklärte,
+daß ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt hätte, den Feldzug
+mitzumachen. Der Offizier hörte aufmerksam zu.
+
+»Sie wollen also Soldat werden?«
+
+»Ja.«
+
+»Und Ihr Beruf?«
+
+»Auf den pfeif' ich!«
+
+»Hm. Haben Sie sich da in Ihrer Enttäuschung über die
+Kriegskorrespondentengeschichte nicht in eine Idee verrannt, deren
+Tragweite Sie nicht übersehen? Würden Sie sich unter allen Umständen
+anwerben lassen, auch wenn ich nicht helfe?«
+
+»Ja, unter allen Umständen.«
+
+»Schön. Wie alt sind Sie?«
+
+»Zwanzig Jahre und drei Monate.«
+
+»Hm. Das Gesetz schreibt zwar ein Alter von 21 Jahren vor, aber um
+der paar Monate willen wollen wir uns nicht streiten. Ich will Ihnen
+helfen. Sie scheinen ja ernstlich genug zu wollen, und des Menschen
+Wille ist sein Himmelreich. Unter den besonderen Umständen wird Ihnen
+übrigens eine kurze Dienstzeit in der blauen Jacke Onkel Sams gar nicht
+schaden. Nun hören Sie, bitte, genau zu. Was ich Ihnen jetzt sage, ist
+vertraulich: Wir könnten Sie im Korps gebrauchen, und das wäre wohl
+auch das Beste für Sie, schon weil die Arbeit sehr interessant ist.
+Telegraphieren können Sie ja schon. Der Haken ist nur der, daß ich zur
+Anwerbung nicht autorisiert bin. Der Signalkorpsdienst der Vereinigten
+Staaten besteht augenblicklich nur aus etwa dreißig Offizieren und
+etlichen fünfzig Sergeanten. Mannschaft haben wir vorläufig gar nicht.
+Ich erwarte jedoch von Stunde zu Stunde die Order, die ein Signalkorps
+im größeren Stil für den Krieg organisiert. Sie lassen sich also jetzt
+für das hiesige Regiment, das 1. Infanterieregiment, anwerben. Ich
+werde dafür sorgen, daß Sie sofort zum Telegraphendienst abkommandiert
+werden, und sobald das neue Signalkorps autorisiert ist, werde ich Sie
+versetzen lassen. Abgemacht?«
+
+»Ja.«
+
+»Schön. Sie müssen sich auf drei Jahre verpflichten, aber eine
+vorherige Entlassung würde keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen,
+wenn Sie eine solche nach Beendigung des Feldzugs wünschen.«
+
+Ich horchte auf, denn das war es gerade, was ich wollte!
+
+»Abgemacht?«
+
+»Ja.«
+
+»=Well=, ich hoffe, daß Sie den Schritt, den Sie heute unternehmen,
+nicht bereuen werden. Und nun wollen wir die Sache ins Reine bringen.
+Warten Sie hier einen Augenblick, bitte. Ich werde den Adjutanten
+verständigen, der Sie formell anwerben wird.«
+
+Nach kurzer Zeit kam er wieder. »Kommen Sie mit, bitte!«
+
+Wir gingen über den Korridor ins Adjutanturzimmer. Dort saß an einem
+Schreibtisch ein junger Leutnant, und an einem großen Tisch arbeiteten
+zwei Sergeanten. Fast gleichzeitig mit uns trat ein Militärarzt ins
+Zimmer, der mich in einen Nebenraum winkte. Ich mußte mich auskleiden
+und wurde untersucht. Das war in wenigen Minuten geschehen. Dann
+ging's wieder ins andere Zimmer, und der Leutnant stellte mir die
+knappen geschäftsmäßigen Fragen der Anwerbung.
+
+»Sie wollen freiwillig in den Kriegsdienst der Vereinigten Staaten
+treten?«
+
+ * * * * *
+
+»Es ist keinerlei Zwang auf Sie ausgeübt worden?«
+
+ * * * * *
+
+»Sie sind nicht verheiratet?«
+
+ * * * * *
+
+»Sie sind im Besitz der amerikanischen Bürgerpapiere?« (Oberleutnant
+Green flüsterte da dem Adjutanten etwas zu, und ich glaubte zu
+verstehen: Ist =allright= -- ich bürge für den Mann.) Der Werbeoffizier
+wartete keine Antwort ab. »Natürlich. Sie stammen aber von deutschen
+Eltern, nicht wahr?«
+
+So kam ich um die Notwendigkeit herum, meine Absicht, Bürger der
+Vereinigten Staaten werden zu wollen, feierlich beschwören zu müssen.
+Da ich diese Absicht durchaus nicht hatte, so erfreute mich das
+ungemein. Wäre es aber notwendig gewesen, so hätte ich damals sieben
+Bürgererklärungen abgegeben und sieben Eide geschworen, nicht nur
+einen. Ich wollte doch nach Kuba!
+
+Fünf Minuten später hatte ich dem Adjutanten die kurzen Worte des
+Fahneneids nachgesprochen und war Soldat in =Company B, 1st Regiment,
+U. S. Infantry= -- bis um acht Uhr morgens des nächsten Tages beurlaubt,
+um meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
+
+ * * * * *
+
+Allan McGrady fiel beinahe vom Stuhl --
+
+»Heh? Sagen Sie das noch einmal!« schrie er.
+
+»Ich habe mich im Presidio anwerben lassen. Ich wollte nun einmal nach
+Kuba ...«
+
+»Ist also kein schlechter Witz?«
+
+»Nein.«
+
+»Sie Dickschädel -- Sie ganz unglaublicher Dickschädel! Ich pflege mir
+meine Entschlüsse gerade auch nicht vier Wochen lang zu überlegen, aber
+das bricht doch den Rekord! Läuft das Söhnchen hin und wird Soldat!
+Mir nichts, dir nichts! Weshalb sind Sie denn eigentlich nicht zu mir
+gekommen? Hätten mir doch wenigstens sagen können, was Sie vor hatten!
+So viel Vertrauen zu mir hätten Sie doch wenigstens haben können!«
+
+Ich versuchte, ihm zu erklären, daß das alles sehr plötzlich gegangen
+war.
+
+»Verdammt plötzlich!« rief McGrady. »Verdammt unüberlegt. Sie haben
+sich in die Nesseln gesetzt! Aber ich werde dafür sorgen, daß Ihnen
+aus Ihrem Anstellungsvertrag mit dem Examiner keine Schwierigkeiten
+erwachsen. Schließlich hat jeder Dickkopf das Recht, sich den Schädel
+an derjenigen Mauer einzurennen, die ihm am besten gefällt!«
+
+Er lachte und nickte vor sich hin. »Im Grunde verstehe ich Sie ja. Ich
+glaube überhaupt, daß in mir ein besonderes Verständnis ist für -- nun,
+sagen wir, unschilderbare Sausewinde Ihres Schlags; die Götter mögen
+wissen, weshalb und woher. Also: Die Dummheit haben Sie nun einmal
+gemacht, denn eine Dummheit ist es vom Standpunkte der Vernunft.
+Eines möchte ich Ihnen aber sagen, mein Junge -- sorgen Sie dafür, daß
+Sie so schnell als möglich wieder aus der Uniform schlüpfen, wenn die
+Geschichte vorbei ist! Sie sind viel zu jung, als daß man auch nur eine
+Ahnung haben könnte, was aus Ihnen noch werden wird, aber -- well, das
+ist alles Unsinn! Lassen Sie von sich hören, =sonny=!«
+
+»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mac.«
+
+Und der gereifte Mann, der mir stets ein väterlicher Freund gewesen
+war, schüttelte mir die Hand. Der Amerikaner hatte Verständnis für den
+abenteuerlichen Drang und dessen Wert im Leben. In der alten Heimat
+drüben hätten sie mich einen leichtsinnigen Narren genannt; mehr noch,
+einen Verlorenen, der eine gesicherte soziale Stellung um einer Laune
+willen wegwarf. Ich wollte aber auf meine eigene Fasson selig oder
+unselig werden ...
+
+»Uebrigens wollte ich auch als Soldat für den Examiner schreiben über
+--«
+
+Mac unterbrach mich. »Werden verdammt wenig Zeit und Gelegenheit dazu
+haben! Lassen Sie aber von sich hören. Kommen Sie wieder, so wartet
+hier ein Platz für Sie; gegen Zeilengeld im schlimmsten Fall.«
+
+Noch ein Händedruck.
+
+Ich habe Allan McGrady nie wieder gesehen.
+
+ * * * * *
+
+=»B« Company= des ersten regulären Infanterieregiments war auf voller
+Kriegsstärke und ich der einzige Rekrut. Meine Ausbildung drängte sich
+in Tage zusammen, und wenn der Lausbub auch Lust und Talent gehabt
+hätte, zu nachdenklicher Besinnung zu kommen, so würde er doch ganz
+gewiß keine Zeit dazu gehabt haben.
+
+Ein neues Spiel begann. Ein Wirrwarr neuen Lernens. Der alte Korporal
+meiner »=squad=« wurde dazu abkommandiert, mich in seine besondere
+Obhut zu nehmen. Zum Uniformdepot ging es zuerst, und in einer Stunde
+war ich ein bewaffneter und uniformierter blauer Junge Onkel Sams
+geworden. Hellblaue Hosen, knappe dunkelblaue Jacke, Mütze. Alles
+neu, aus ausgezeichnetem Stoff, gut sitzend. Die Sparsamkeiten der
+Alten Welt, deren Armeen ihre Uniformen von Soldatengeneration auf
+Soldatengeneration vererben, liebt der Amerikaner nicht. Dafür bezahlt
+er für seine kleine Armee ein Militärbudget, das fast so hoch ist
+wie diejenigen der europäischen Mächte ... Mein Bett, die »=bunk=«,
+wurde mir angewiesen im Mannschaftszimmer, mit nagelneuen Wolldecken
+und nagelneuem Bettzeug. Dann marschierte mich der alte Korporal nach
+einem einsamen schattigen Fleckchen in einer Eichenallee beim großen
+Paradefeld des Presidio, und heiße Arbeit begann. Leibesübungen.
+Kommandodrill. Gewehrgriffe. Arbeit von morgens bis abends, aber
+Arbeit, die mir genau die gleiche Freude machte wie das Lernen auf der
+Texasfarm und in der Texasapotheke und bei der San Franziskozeitung,
+denn wie jenes weckte sie den Ehrgeiz, sich geschickt und rasch
+auffassend zu zeigen. Und dann war's eine kleine Episode. Das
+Große lag im Kommenden. Fabelhaft rasch ging's mit der Ausbildung.
+Korporal Jameson, der schnauzbärtige alte Kalifornier, verstand sein
+Soldatenmetier von Grund auf und hielt sich nicht mit langweiligen
+Wiederholungen auf, sobald er merkte, daß der neue Kompagnierekrut
+begriffen hatte.
+
+»=You're allright=,« sagte er. »Lesen Sie das Zeug selber!« Und gab mir
+sein =Manual of Infantry-Drill=, das Infanteriereglement. Da suchte ich
+mir die einfachen Anweisungen für den Kompagniedrill heraus, während er
+gemütlich seine Zigarette rauchte, und dann probierten wir's praktisch.
+
+Wenn ein einziger alter Unteroffizier sich Tag auf Tag einzig
+und allein nur mit der Ausbildung eines einzigen jungen Soldaten
+beschäftigt, der weder dumm noch faul ist, so können Wunder an
+Schnelligkeit erzielt werden. Zehn Stunden und mehr im Tag wurde
+gearbeitet. Zu dem Infanteriedrill kam während zwei Stunden des
+Nachmittags Unterweisung im Signaldienst durch den Signalsergeanten
+Hastings. In Flaggensignalen vor allem, denn so einfach auch der Code
+des »Wiggelwaggelns« war, so erforderte es doch viel Uebung des Auges
+und beim Gebrauch des Feldstechers. Aber es war sehr interessant.
+Die großen Signalflaggen, zwei Meter beinahe im Quadrat und an einer
+drei Meter langen Stange befestigt, bildeten die Buchstaben durch ein
+Geschwungenwerden nach rechts und nach links. Die rechte Seite hieß
+2, die linke 1. So bedeutete ein einmaliges Schwingen nach rechts
+den Buchstaben =c=. Aber in der Signalsprache sagte man nicht =c=,
+sondern 2. Alle Buchstaben waren Kombinationen dieser beiden Ziffern.
+22, also ein zweimaliges Schwingen nach rechts, bedeutete a; 11, ein
+zweimaliges Schwingen nach links, bedeutete n; 212, rechts -- links
+-- rechts war =m=. Eine Pause, ein gerades Emporhalten der Flagge vor
+dem Leib trennte die einzelnen Buchstaben. Ein gerades Niederschwingen
+der Flagge auf den Boden zeigte das Ende eines Wortes an; ein
+zweimaliges Niederschwingen den Schluß eines Satzes; ein dreimaliges
+den Schluß der Depesche. Die Flaggen, die je nach der Witterung, der
+Sichtigkeit und dem Hintergrund aus Rot mit weißem oder Weiß mit rotem
+Zentrum bestanden, waren auf sehr große Entfernungen sichtbar. Wir
+verständigten uns mühelos vom Presidiohügel nach dem Meeresstrand
+hinunter, eine Entfernung von fast zwei Kilometern.
+
+Noch viel mehr Freude machte mir der Heliographendienst, denn hier
+konnte eine Geschwindigkeit erzielt werden, die dem Telegraphieren
+wenig nachstand. Es war ein raffiniertes kleines Instrument, dieser
+sprechende Sonnenspiegel -- zwei auf einer stählernen Querstange
+angebrachte Spiegel, die sich durch ein Präzisionswerk von Schrauben
+nach jeder Richtung hin einstellen ließen. Der eine Spiegel wurde
+durch Korn und Kimme wie bei einem Gewehr scharf auf den Empfänger
+einvisiert, der andere so, daß er die Sonnenstrahlen direkt auffing.
+Die beiden Spiegel ergänzten sich und warfen nach den feststehenden
+Regeln der Lichtspiegelung und ihrer Brechungswinkel zusammen ein
+glänzendes Licht in Form einer großen künstlichen Sonnenscheibe nach
+dem anvisierten Punkt.
+
+Vor den Spiegeln stand eine Deckplatte, die durch leichten Fingerdruck
+geöffnet und geschlossen werden konnte. Mit langen und kurzen
+Lichtblitzen übermittelte man so die Buchstaben des Morsealphabets.
+
+Daneben kamen Uebungen im Legen und Verbinden von Telegraphen-und
+Telephonleitungen und das interessante Anzapfen, das »Melken« der
+städtischen Drähte auf offener Straße mit unseren Taschenapparaten.
+
+Der Signalrekrut wurde auf den Krieg vorbereitet.
+
+Holtergepolterarbeit war es, mit viel Aufregung und mit vielem Lernen.
+Und mir gefiel es immer besser im Soldatenrock.
+
+Von meinen Freunden beim Examiner hörte ich nur ein einziges Mal.
+
+Das war an einem Nachmittag, als ich auf Jamesons Kommandos voller
+Eifer mit Holzpatronen »schnellfeuerte«. Da tauchten am Alleerand zwei
+Gestalten auf, und als ich hinsah, erkannte ich Ferguson und Hayes.
+Gemütlich kauerten sie sich unter eine Eiche und sahen zu.
+
+»Wohl Freunde von Ihnen?« fragte der Sergeant leise. »Ja? Dann wollen
+wir Schluß machen!« Wie alle Sergeanten witterte Jameson Bier!
+»Weggetreten!« kommandierte er.
+
+Zwei Stunden später brachte ich meine Freunde zum Fortausgang.
+
+»Freund, Sie sind ein großer Narr!« sagte Ferguson. »Aber wenn ich so
+jung wäre wie Sie, hätte ich's vielleicht auch so gemacht. Viel Glück!«
+
+Ich aber dachte: »Der Narr bist du, guter alter Ferguson. Du mußt in
+San Franzisko bleiben -- und ich gehe nach Kuba!«
+
+
+
+
+Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.
+
+ Der Krieg des Leichtsinns. -- Aus Leutnants werden Majore. --
+ Eine kleine Vergeßlichkeit. -- Segenswünsche und Vorschußlorbeer.
+ -- Von lieben diebischen Mägdelein. -- Die Armee in Hemdärmeln. --
+ Das militärische Telegraphenbureau in Tampa. -- Die spanische
+ Gespensterflotte. -- Admiral Cervera in der Falle von Santiago de
+ Cuba. -- Die Depeschenhölle. -- Roosevelts Rauhe Reiter ohne
+ Gäule! -- Auf dem Meer. -- Eine schwäbische Ueberraschung. -- Von
+ redenden Tuchfetzen und sprechenden Wolken. -- Nachtalarm. --
+ Beginn des Bombardements von Baiquiri.
+
+
+Das Kriegsfieber schüttelte Amerika.
+
+Ein guter Mann, so sagen kluge Frauen, muß wie ein Kind sein, in seinem
+Tiefsten, Innersten, Wahrsten. Unter der männlichen Oberfläche, die
+in der Welt draußen ein einheitliches Gefüge von Kraft und Arbeit
+scheint, versteckt sich das große Kind mit dem Lachen und Weinen des
+Kindes, dem aufstampfenden Trotz und der Weichheit, dem Begehren nach
+Spielzeug, dem begeisterten Haschen nach allem Neuen, dem Leichtsinn,
+den Ungezogenheiten. Dies Kindsein liegt tief in der Natur der Männer
+des amerikanischen Reichs; tiefer als in irgend einem anderen großen
+Volk. Das Draufgängertum, das Jungfrische, das Kindliche. Die Männer,
+die später die Kosten des Panamakanalbaus um die Kleinigkeit von 500
+Millionen unterschätzten, weil sie viel zu begierig nach dem neuen
+Spielzeug waren, sich bei langweiligem Rechnen lange aufzuhalten,
+sprangen mit gleichem Unbekümmertsein in Kriegstrubel und Kriegsgefahr.
+
+In Tagen wurde eine Armee aus dem Boden gestampft. Der Miliz mit
+ihrem ausgezeichneten Menschenmaterial fehlte es an Offizieren.
+Da beförderten die amerikanischen Kinder ganz einfach fast jeden
+Offizier der regulären Armee um einen, zwei, oft drei Grade, machten
+die Leutnants zu Majoren, die alterfahrenen Sergeanten zu Leutnants,
+und steckten sie in die Milizregimenter. Die Glückssoldaten holte
+man herbei, die in den südamerikanischen Revolutionen Truppen
+geführt und Pulver gerochen hatten. Ein Roosevelt pfiff auf sein
+Ministerportefeuille und wurde aus dem Unterstaatssekretär der
+Marine ein einfacher Reiteroberst, der Rauhe Reiter warb. Zeltlager
+erstanden überall im Land. Millionen von Goldstücken wurden mit
+vollen Händen hinausgeschleudert, den Kriegsbedarf über Nacht zu
+schaffen. Es fehlte an Torpedojägern, an Depeschenbooten. Da kaufte
+man für Unsummen die schnellsten Hochseeschlepper und die flinksten
+Privat-Yachten der amerikanischen Häfen, armierte sie mit Geschützen
+-- und die Flottenergänzung war fertig. Man verschwendete Millionen an
+die Ausrüstung der Invasionsarmee -- und die großen Kinder vergaßen
+ganz, ihr auch nur eine einzige Feldbäckerei, eine einzige Kaffeemühle
+zu beschaffen. Schiffszwieback, fetten Chicagospeck, ungebrannten
+Kaffee gab man ihr mit als Tropenkost! Hätten die Kämpfe um Santiago
+nur drei Wochen länger gedauert, so wäre auch der letzte Mann von
+Zwanzigtausend von der Speckruhr gepackt worden. Die leichtsinnigen
+Kinder, die sich auf die deckende Macht an Menschen und Gold ihres
+Landes verließen, rechneten ja gar nicht damit, daß der Feldzug länger
+als einige Wochen dauern könnte. Gelandet -- gesiegt -- die Spanier
+über den Haufen geworfen! So rechnete man! Beinahe -- _beinahe_ -- wäre
+es anders gekommen!
+
+Ein Krieg des Leichtsinns und des Optimismus.
+
+ * * * * *
+
+General Shafter, der kommandierende General des Departements der
+pazifischen Küste, war zum Höchstkommandierenden der Invasionsarmee
+ernannt worden. Mein Oberleutnant Green zum Oberst und Chef des
+Signaldienstes. Zwölf Stunden nach Eintreffen der Marschorder zogen
+der Stab des Kommandierenden und das erste Infanterieregiment
+durch das flaggenwimmelnde, jubelnde San Franzisko, und auf der
+=Southern Pacific= ging es gen Süden und Osten, vom Stillen Ozean zum
+Atlantischen Meer, nach Tampa in Florida. Dort konzentrierte sich die
+Invasionsarmee.
+
+Im Schlafwagen fuhren wir! Selten wohl ist eine Armee so teuer, so
+bequem, so schnell befördert worden. An den Hauptstationen hatten die
+begeisterten Bürger riesige Tische aufgestellt und sie mit guten Sachen
+beladen, und wenn der Zug hielt, dann konnte man sich einfach nicht
+retten vor händeschüttelnden Männern, die einem Zigarren in die Taschen
+stopften, und alten Damen, die einen mit Delikatessen und frommen
+Segenswünschen überschütteten. Es war wie eine Fahrt durchs Märchenland
+inmitten von lauter Knusperhäuschen, die man nur anzubeißen brauchte.
+Von den Härten kriegerischer Zeiten hat in jenen Tagen gewiß kein
+einziger Mann der Zwanzigtausend, die auf Schnellzügen nach Florida
+eilten, auch nur das Geringste verspürt. Nichts war zu gut und zu teuer
+für die blauen Jungens.
+
+Es gab Vorschußlorbeer in gehäuften Massen. Wer eine Uniform trug,
+wurde verhätschelt -- besonders von der jungen Weiblichkeit. Onkel Sams
+Töchter hatten es sich in ihrer glühenden Begeisterung in die Köpfchen
+gesetzt, sich wenigstens kriegerische Trophäen unter die Kopfkissen zu
+stecken und vom Krieg zu träumen, konnten sie selbst nicht kämpfen. In
+Scharen überfielen sie unseren Zug an jeder Haltestelle und geizten
+nicht mit Küssen und Versprechungen, für uns zu beten. Das war sehr
+angenehm. Ich bin leider nie wieder in meinem Leben von so vielen
+holdseligen Mägdelein geküßt worden.
+
+Weniger angenehm jedoch war, daß die Frauenzimmerchen dabei stahlen
+wie die Raben! Sie mausten die Patronen aus den Gürteln und schnitten
+einem beim Küssen heimtückischerweise die blanken Knöpfe von der
+Uniform. Am zweiten Tag hatte ich überhaupt keine Knöpfe mehr am Rock
+und mußte mir Sicherheitsnadeln erbetteln, meine Blöße zu decken. Die
+farbiggestickten Flaggen an den Aermeln, das Abzeichen des Signalkorps,
+und die Messingflaggen an der Mütze gingen schon am ersten Tag heidi.
+Aber es war dennoch sehr schön.
+
+Knöpfe konnten ja telegraphisch nachbeordert werden.
+
+So zogen wir gegen Tampa, den berühmten Winterbadeort der
+amerikanischen Millionäre, und -- schnappten entsetzt nach Luft. Tampa
+mochte ja ein Traum von Schönheit sein im Winter -- jetzt, im Sommer,
+konnte man es ein Vorgemach der Hölle nennen. Wir zogen uns schleunigst
+die Röcke aus und nahmen sie so bald nicht wieder in Gebrauch. Sobald
+-- das heißt, vier Monate lang, denn kurz darauf in Kuba trug man
+erst recht keinen Rock. Man nannte uns schwitzende Gesellen die Armee
+in Hemdärmeln! Feuchtheiß war die Luft und heiß der gelbe Sand und
+lauwarm das Wasser des Meeres am Strand. Sengende Hitze lagerte über
+den Tausenden von Zelten, die das Städtchen umrahmten, und es mag
+ungemütlich genug gewesen sein in den winzigen Segeltuchhütten. Dagegen
+hatten wir vom Signaldienst das große Los gezogen. Wir wohnten vornehm
+im Tampahotel, das sonst nur Millionäre beherbergte.
+
+Im Privatbureau des Hotelbesitzers war der militärische
+Telegraphendienst eingerichtet worden.
+
+Dort hauste der Teufel der Aufregung.
+
+Während der Tage des Wartens auf das Einschiffen lebten wir
+Telegraphisten in ständigem Hasten. Das Signaldetachement bestand aus
+Oberst Green, dem Major Stevens, vom Artillerieleutnant drei Grade
+höher befördert, dem Leutnant Burnell, vom Signalsergeanten befördert,
+sieben Sergeanten und vierzig Mann. Ich gehörte zu der Stabsabteilung
+von sechzehn Mann unter Major Stevens. Die übrigen, von denen wir
+völlig getrennt waren, bildeten das Ballon-Detachement. Wir Signalleute
+waren sehr selbständig, denn die Offiziere wurden durch den geheimen
+Nachrichtendienst, die Verhandlungen mit kubanischen Insurgenten,
+das Dechiffrieren ganz in Anspruch genommen. Die Verantwortung
+des eigentlichen telegraphischen Dienstes war uns ganz allein
+aufgehalst. Das Arbeiten mit den vorzüglichen Apparaten und der gut
+funktionierenden Linie bot freilich äußerlich keine Schwierigkeiten.
+Aber man lebte in einer Luft furchtbarer Aufregung. Wir sechzehn Mann,
+drei Sergeanten darunter, hatten vier Morseapparate und vier =long
+distance= Telephone zu bedienen. Die Arbeit hetzte. Es schwirrte von
+Depeschen aus Washington. Die Rapportmeldungen jagten sich, wurden
+doch alle Telegraphenleitungen, nach dem Norden sowohl wie besonders
+nach den kleinen Floridainseln, militärisch überwacht, um ein Anzapfen
+des Drahtes durch Spione zu verhindern, und die Führer der Patrouillen
+mußten sich in bestimmten Zeitabständen melden. Ein unbeschreiblicher
+Wirrwarr von Ausrüstungsfragen, Personalangelegenheiten,
+Chiffretelegrammen huschte über den Draht. Tag und Nacht arbeiteten wir
+im Schweiße unserer Angesichter. Kaum Zeit zum Schlafen fanden wir.
+Jeder Einzelne von uns war gewarnt worden, daß jede Nachlässigkeit im
+Aufnehmen von Meldungen durch ein Kriegsgericht schwer bestraft werden
+würde. Verrat von Telegrammen wurde mit Erschießen bedroht.
+
+Aber mit keinem Zeitungskönig hätt' ich getauscht!
+
+Denn keiner in der Armee außer den höchsten Offizieren konnte dem
+Pulsschlag der Ereignisse so lauschen wie wir Signalleute.
+
+Unsere gierigste Neugier galt den Telephonen. Ueber sie kamen die
+wichtigsten Depeschen, telegraphisch abgeklopft zur Vorsicht, mit einem
+Bleistift am Schallbecher, im Armeecode, der sich vom üblichen Morse
+etwas unterschied. Die Meldungen der Flotte.
+
+In den Tagen des Hangens und Bangens in Tampa galten alle Hoffnungen
+und alle Befürchtungen den Nachrichten vom Meer. Die spanische Flotte
+in Westindien war verschwunden. Man wußte, daß kurz vor Ausbruch
+des Krieges in den kubanischen Gewässern nur einige Stationsschiffe
+gewesen waren, ein starkes Geschwader aber unter Admiral Cervera
+auf hoher See kreuzte. Nach diesem spanischen Geschwader suchten
+seit vielen Tagen in nimmerendender Jagd die gesamten atlantischen
+Seestreitkräfte der Vereinigten Staaten. Torpedoboote und Torpedojäger
+huschten von kubanischem Hafen zu kubanischem Hafen. Die Linienschiffe
+patrouillierten den Ozean weithin ab. Cervera und seine Flotte
+blieben verschwunden -- und waren doch wieder gegenwärtig wie ein
+aus dem Nichts drohendes Gespenst. Die Kenntnis ihrer Stellung, ihre
+Vernichtung war der Angelpunkt, um den alles sich drehte. Schien
+doch ein Transport von zwanzigtausend Mann in ungeschützten Schiffen
+selbst unter stärkster Flottenbedeckung ein =va banque= Spiel,
+solange die Gefahr bestand, daß Cervera die in sich selbst wehrlosen
+Truppenschiffe angreifen würde. Bis eine Seeschlacht geschlagen war,
+konnten alle Transportschiffe gesunken sein!
+
+Tag für Tag kamen und gingen die Gerüchte und die falschen Meldungen.
+Da telephonierte ein Torpedojäger von einer der winzigen Floridainseln,
+siebzig Seemeilen südlich seien starke Rauchwolken gesichtet worden;
+Bericht folge. Drei Stunden später kam zum Herzbrechen enttäuschend
+die Aufklärung: Englischer Kohlentramp! Beschlagnahmt! Oder es hieß:
+Gestern gemeldeter Radius abgesucht. Erfolglos ...
+
+Von Stunde zu Stunde stieg die Aufregung in Tampa. In dem kleinen
+Vorzimmer des Telegraphenraums warteten ständig Offiziere des
+Generalstabs auf die neuesten Drahtmeldungen, und selten verging ein
+halber Tag, in dem nicht die unsinnigsten Gerüchte umherschwirrten.
+Bald sollte ein spanisches Torpedoboot unweit Tampas gesichtet worden
+sein -- bald gar eine entscheidende Seeschlacht geschlagen ... Draußen
+aber in Port Tampa an den riesigen Kais harrten in langen Reihen die
+schwarzen Kolosse der Transportdampfer, ständig unter Dampf.
+
+Bis das Gespenst beschworen wurde.
+
+An einem heißen Sonnenmorgen kam, wieder von einer der kleinen Inseln
+bei Key West, eine Depeschenboot-Meldung der Flotte übers Telephon:
+
+_Gesuchtes Santiago!_
+
+In den Hafen von Santiago de Cuba hatte sich die spanische
+Westindienflotte geflüchtet, um zu kohlen und zu reparieren. Und saß in
+der Falle! Jener Hafen lag weit inland, und seine Einfahrtstraße war
+so schmal, daß zwei Schiffe sie nicht gleichzeitig passieren konnten
+-- vor dem Hafen aber lag nun das starke atlantische Geschwader der
+Vereinigten Staaten. Die spanische Flotte konnte nicht heraus. Die
+amerikanische nicht hinein. Die Spanier durften den Durchbruch kaum
+wagen, hätten sie sich doch einzeln Schiff für Schiff angreifen lassen
+müssen; die amerikanische Einfahrt hinderten Seeminen und die Kanonen
+des Morrokastells am Hafeneingang.
+
+Sergeant Souder hatte die Depesche dem Kommandierenden gebracht. Eine
+Viertelstunde später stürmte ein Generalstabsoffizier herein, schloß
+vorsichtig die Türe und erklärte uns halblaut, daß derjenige um seinen
+Kopf rede, der auch nur den Namen Santiago de Cuba erwähnen würde. Als
+er gegangen war, sahen wir uns mit glänzenden Augen an, und der alte
+Sergeant Hastings ließ eisige Limonade bringen mit sehr viel Sodawasser
+und sehr wenig Sherry, denn er und wir alle wußten, daß jetzt harte
+Arbeit kam. Es dauerte auch nur Minuten, bis Oberst Green erschien
+und den telegraphischen Befehl an alle Hauptstationen gab: Draht nach
+Washington frei bis auf weitere Order! Damit war aller Privatverkehr
+und jeder amtliche Verkehr der Zwischenstationen ausgeschaltet. Eine
+Depesche konnte wenige Minuten nach Abgang von Tampa schon im Weißen
+Haus in Washington vom Präsidenten und vom Kriegsminister gelesen
+werden.
+
+Während der nächsten zwanzig Stunden war das Telegraphenzimmer
+eine Hölle. Schweißtriefend saßen wir vor den Apparaten, uns jede
+halbe Stunde ablösend, und sandten und empfingen die endlosen
+Chiffretelegramme.
+
+Die Würfel der Entscheidung waren im Rollen.
+
+ * * * * *
+
+Shafters Armee sollte Santiago de Cuba angreifen. Wenn diese Festung
+fiel, war die spanische Flotte den vereinigten amerikanischen
+Streitkräften zu Wasser und zu Lande ausgeliefert.
+
+Revolver umgeschnallt, den Krag-Jörgensen Karabiner zur Hand, Tornister
+neben uns, so arbeiteten wir bis zur letzten Minute, während die Armee
+sich einschiffte. Als die letzten gingen wir an Bord. Je zwei von
+uns waren auf ein Transportschiff zum Signaldienst während der Fahrt
+kommandiert worden. Den Namen meines Dampfers habe ich vergessen, das
+Schiff aber und seinen Kapitän nicht. Es war eines der kleinsten,
+vollbepackt mit Maultieren, die zum Lastentransport verwendet werden
+sollten; den einzigen Vierfüßlern der Invasionsarmee außer ganz wenigen
+Pferden für den Stab.
+
+Die Pferde der Kavallerie mußten auf Shafters Befehl in Tampa
+zurückgelassen werden, weil unsere Kundschafter gemeldet hatten, daß
+Kavallerie in dem Kriegsgelände keine Verwendung finden könne. Teddy
+Roosevelt und seine Rauhen Reiter von Cowboys stellten sicherlich ein
+Kavallerieregiment dar, nach dem jeder Kavalleriegeneral sich die
+Finger geschleckt hätte, und ihren Weltruhm haben er und sein Regiment
+ehrlich und ernsthaft verdient. Aber komisch bleibt es doch, daß der
+berühmte Rauhe Reiter Name mit Gäulen so gar nichts zu tun hat. Als
+Infanteristen kämpften sie und fluchten sehr, weil der kurze Karabiner
+viel schlechter schoß als das Infanteriegewehr.
+
+Sergeant Souder und ich kletterten über den schmalen Laufsteg an
+Bord unseres Dampfers und suchten, wie das selbstverständlich war,
+sofort den Kapitän auf. Während wir die Treppe zur Kommandobrücke
+hinaufstiegen, gellten die Dampfpfeifen, und die Transportflotte setzte
+sich in Bewegung.
+
+»Runter mit euch!« schrie der Kapitän. »Hab keine Zeit! Auf der
+Kommandobrücke habt ihr überhaupt nichts zu suchen!«
+
+»Ein nervöser Herr!« lächelte Souder, und wir stiegen wieder auf Deck.
+
+Eine Stunde später -- wir beobachteten durch unsere Feldstecher das
+majestätische Schauspiel der dahindampfenden Truppenschiffe und
+Kreuzer, über fünfzig an der Zahl -- kam Mr. Kapitän auf Deck und
+sprach uns ungnädig an:
+
+»Signalkorps?«
+
+»Jawohl.«
+
+»Auf meiner Kommandobrücke habt ihr nichts zu suchen -- mein
+Signalisieren kann ich selber besorgen. Verstanden?«
+
+Souder grinste.
+
+»Ich fürchte, Sie irren sich,« sagte er gelassen. »Ich und mein
+Kamerad sind für den militärischen Signaldienst auf diesem Schiff
+verantwortlich und müssen schon bitten, auf die Kommandobrücke
+zugelassen zu werden. Vom Deck sind Flaggen nicht sichtbar. Sie haben
+doch sicherlich entsprechende Befehle erhalten, Herr Kapitän?«
+
+»Hier kommandiere und signalisiere ich!« schrie der cholerische Herr.
+
+In mir aber war ein großes Lachen, hatte ich doch den deutschen Akzent
+herausgehört und freute mich über den deutschen Dickschädel.
+
+»Weshalb sind Sie eigentlich so wütend, Kapitän?« fragte _ich_ ganz
+ernsthaft in deutscher Sprache.
+
+»Jesses noi!« schrie er. Das kleine Männchen war wie umgewandelt.
+»Jetzt isch der Aff von 'm Signaliste au no deutsch -- noi! Wo kommet
+denn Sie her?«
+
+»Das ist eine furchtbar lange Geschichte,« sagte ich, wieder sehr
+ernsthaft. »Aber seien Sie doch friedlich. Wir tun hier nur unsere
+Pflicht. Es wäre Ihnen doch sehr unangenehm, wenn wir uns mit dem
+Flaggschiff in Verbindung setzen und uns beschweren müßten. Sie sind
+doch benachrichtigt worden, daß das Signalkorps den Signaldienst
+übernimmt?«
+
+»Ha -- freili! Wisset Se, i ha' ja auch nix dagege'! I bin nur aus 'm
+Häusle g'wese, weil die Offizier' mi chikaniert habe. Ha! Signalisiere
+Se, soviel Se wöllet! Ha! 's freut mi!«
+
+Um die Geschichte kurz zu machen -- Mr. Kapitän war ein Württemberger,
+auf allerlei Umwegen in die Dienste einer New Orleans'er Reederei und
+jetzt als Kapitän des gecharterten Dampfers in die Dienste Onkel Sams
+geraten. Fortan aber schliefen Souder und ich in der besten Kabine
+und wurden genährt wie zwei Herrgötter in Frankreich -- einschließlich
+gelegentlicher Flaschen Sekt. Der Lausbub hatte wiederum Glück gehabt!
+
+Souder entweder oder ich, alle beide meistens, waren Tag und Nacht
+auf der Kommandobrücke. Wären wir nicht so begeistert, so aufgeregt,
+so gierig nach Nachrichten gewesen, so hätten wir wahrscheinlich
+furchtbar geflucht über das Unwesen des Signalisierens der Marine.
+Nie ließen die Flaggen einem Ruhe! Ich weiß nicht, wie das bei
+anderen Flotten gehalten wird, aber die Amerikaner jedenfalls waren
+darin ekelhaft. Entweder wollte man von uns wissen, wie's um die
+Gesundheit der Maultiere stünde, oder man wiggwaggelte unter dem
+dringenden Alarmsignal, der Dampfer habe wenigstens fünf Meter zu wenig
+Kielabstand, oder irgend jemand sandte seine Komplimente und wünschte
+zu erfahren, weshalb das Antwortssignal auf die Depesche vorhin nicht
+prompter gegeben worden sei. Außerdem sausten beständig die flinken
+Torpedoboote um uns herum und trompeteten alle Augenblicke irgend
+etwas Ueberflüssiges durch ihre Megaphone, um auch ihren Senf dazu zu
+geben. Der cholerische Schwabe wurde beinahe verrückt vor Wut. Wir aber
+lernten Geduld und Humor und ärgerten gelegentlich das Flaggschiff,
+indem »=Souder, 1st class sergeant U. S. Signalcorps= im Auftrage des
+Kapitäns in Kommando des Truppenschiffs so und so« Anweisungen für die
+Behandlung eines fiktiven kranken Maulesels erbat, dem wir natürlich
+die scheußlichsten Symptome andichteten. Dann lachte die gesamte
+Flotte und signalisierte (durchaus unoffiziell zwar) schlechte Witze
+und gänzlich unausführbare Ratschläge. Die Kinder, die gute Männer doch
+sein sollen, wollten ihr Spielzeug haben, selbst in ernstesten Zeiten.
+
+In hetzender Fahrt jagte die Transportflotte gen Süden.
+
+Vier Tage lang dauerte die Meerfahrt, und jede Stunde der vier
+Tage war Aufregung und nichts als Aufregung. Mit jeder Minute
+geizten Souder und ich, die wir nicht oben auf der Brücke zubringen
+konnten; mit Essenszeit und Schlafensstunden. Jede Flagge, die an
+den Signalleinen emporstieg, war ein nervös erregendes Ereignis,
+das von unbeschreiblicher Wichtigkeit sein konnte, und jeder bloße
+Dienstrapport stellte eine bittere Enttäuschung dar, weil man ständig
+in atemraubender Gier auf das Große wartete.
+
+Märchenhaft schienen mir die bunten Tuchfetzen der Signalflaggen. Sie
+sprachen und erzählten. Sie befahlen und lachten. Sie waren es, die
+den starren Schiffsmassen Leben einhauchten und der schwimmenden Stadt
+auf dem Meer die Gesetze diktierten. In den Nächten aber leuchtete und
+funkelte und glitzerte es tageshell in Fluten von Licht. Kein dunkles
+Fleckchen ließen die gewaltigen Scheinwerfer der Kriegsschiffe auf dem
+weiten Wasserkreis, in dem wir schwammen, und in unablässiger Bewegung
+hoben und senkten und kreuzten sich die weißen Lichtbündel, um dann
+auf einmal kerzengerade nach oben sich auf eine Wolke zu richten. Dann
+sprach die Wolke. Sie blitzte grell auf -- lang -- kurz ------ kurz
+... kurz ... lang ... -- und aus dem Aufleuchten formten sich, so
+leicht lesbar wie Schrift, die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die
+Depeschen. Und wir starrten in das Licht um uns und suchten angstvoll
+nach dem tiefroten Aufglühen an den Schiffsmasten, das nach dem
+Geheimcode Gefahr bedeutete.
+
+Nur einmal während der Fahrt wurde das nächtliche Alarmsignal gegeben.
+Souder schlief und ich hatte die Wache, als spät nach Mitternacht
+plötzlich fünfhundert Meter etwa vor uns die drei Gefahrlaternen wie
+winzige glühende Punkte aufflammten.
+
+»Alarm!« schrie ich, und der Kapitän stürzte aus dem Steuerhaus.
+
+Da begann der Scheinwerfer zu reden:
+
+»Langsamste Fahrt -- Indiana -- Ponton verloren -- Kollisionsgefahr --«
+
+»Teufel --« schrie der Kapitän, und gellend hallten seine schrillen
+Kommandos in die Nacht, den Ausguck zu verdreifachen, während der
+erste Offizier auf der Brücke den Befehl zum Abstoppen der Maschinen
+hinunterklingelte.
+
+Lange Minuten des Harrens. Wir alle wußten, um was es sich handelte.
+Der Kreuzer Indiana schleppte einen ungeheuren Landungsponton aus
+schweren Balken, der zum Ausschiffen der Geschütze benützt werden
+sollte. Oft genug hatten wir über das ungefüge Anhängsel des
+Kriegsschiffes gelacht. In dem hohen Seegang war die Schlepptrosse
+gerissen, und irgendwo inmitten der Flotte trieb nun die Holzmasse des
+Pontons, mächtig genug, im Zusammenprall ein Schiff leck zu stoßen.
+Die Truppenschiffe kamen zum Stillstand, und die Torpedojäger und
+Depeschenboote sausten im Scheinwerferlicht umher, nach dem Durchgänger
+zu suchen. Die Minuten vergingen. Dann auf einmal wimmelte es wieder
+von Signalen: Dem Befehl zur Weiterfahrt. Man gab den Ponton verloren,
+froh genug, daß er schon weit hinten im Kielwasser schwimmen mußte und
+wenigstens keine Gefahr mehr bedeutete.
+
+ * * * * *
+
+Frühmorgens kurz nach Sonnenaufgang am fünften Tag tauchte, ein
+gelbgrauer Streifen, die Küste Kubas auf. Wir rannten wie besessen nach
+unseren Kabinen, Waffen und Tornister auf die Brücke zu holen, um jeden
+Augenblick zur Ausschiffung bereit zu sein. Doch die Eile war sehr
+überflüssig. Noch achtundvierzig Stunden lang kreuzte die Flotte an
+der Santiagoküste, untertags so nahe, daß die hellen Sandstreifen und
+die dunklen Wäldermassen klar zu unterscheiden waren; in den Nächten
+weit draußen im Meer. Am dritten Tag aber in der Frühe dampfte die
+Schiffsmasse in nächste Nähe der Küste, die Kriegsschiffe weit voran.
+Immer näher kamen wir.
+
+»Anker werfen! Transportschiffe in Kiellinie!« befahlen jetzt die
+Flaggen.
+
+Auf den Kriegsschiffen aber wurde es lebendig. Bunte Wimpel stiegen an
+den Masten empor, nur der Marine verständlich. In ungeheuren Kreisen
+dampften die Linienschiffe und die Kreuzer, Schiff dicht hinter
+Schiff, die Küste entlang. Umruderten uns, um sich in Gefechtsstellung
+zu entwickeln, kehrten wieder zurück. In ganz langsamer Fahrt. Ich
+suchte mit dem Feldstecher den Strand ab. Glatt und ruhig spielte das
+Meer an der schmalen, gelben Sandlinie, von der Hügel mit dichtem
+Buschwerk aufstiegen bis an den Horizont. Im Vordergrund überspannte
+eine eiserne Brücke eine kleine Schlucht von grellgelbem Gestein. Ihr
+Gittergefüge sah sonderbar zierlich und gebrechlich aus und schien zu
+schwanken, zu zittern in der flimmernden Sonnenglut. Auf der Brücke
+stand ein Frachtwagen, hoch beladen mit Felsblöcken. Links daneben
+ragte aus dem Buschwerk ein winzig kleines Häuschen.
+
+Kreis auf Kreis zogen die Kriegsschiffe.
+
+Da -- eine weiße Dampfwolke schoß aus einem großen Kreuzer, und ein
+furchtbares Krachen ließ mich zusammenfahren ...
+
+
+
+
+Auf kubanischem Boden.
+
+ Die Küste wird bombardiert. -- Theodore Roosevelt und seine
+ Zahnbürste. -- Die Landung. -- Ein Tag ungeduldigen Fluchens. --
+ Die Arbeit beginnt. -- Tropenregen. -- Meine Hängematte. --
+ Nachtruhe =à deux=. -- Hunger und Arbeit -- aber ach, was waren
+ das für schöne Zeiten! -- Der Major stiehlt einen Karren. --
+ Telegraphenbau-Arbeit. -- Palmen und Kletterei. -- Bei den toten
+ Rauhen Reitern von =La Quasina=. -- Im Insurgentenlager. -- Der
+ Mangobauch. -- Der Jesus-Christus-General.
+
+
+Dichter Rauch und greller Feuerschein quoll aus allen Kriegsschiffen.
+Ohrenbetäubend war das Krachen. Der Schiffsboden, auf dem ich stand,
+bebte und zitterte, trotzdem wir mehrere hundert Meter entfernt lagen.
+Schuß krachte auf Schuß. In das dumpfe Dröhnen der schweren Geschütze
+rasselte grell der hellere Klang der Schnellfeuerkanonen; wie grausiger
+Donnerschlag und hallendes Stahlklirren, als ob Riesenschmiede auf
+überirdischem Amboß hämmerten. Man konnte nicht denken -- man mußte
+nur stehen und starren. Aus dem Dröhnen heraus gellte es schrill in
+scharfen Mißtönen; ein Surren, ein Zischen, ein Gebrause. Schuß --
+Schuß -- Schuß -- Dutzende, Hunderte von Explosionen ... Schuß --
+Schuß ------ und die Minuten wurden zu Ewigkeiten. Heulend jagten die
+Stahlmassen durch die Luft und stürzten sich auf den Sand und das
+Buschwerk da drüben, die so still dalagen wie ein wehrloses Ding, das
+ein Starker zu Boden geschlagen hat und nach Gefallen zerhämmert.
+Nichts regte sich. Nirgends war Bewegung an Land. Nur das Buschwerk
+duckte und zitterte und wand sich wie ein Getreidefeld im Hagelschauer
+unter dem Sturm von Geschossen. In ungeheuren Rissen zerfetzten
+die Granaten den Buschwald, und blanke Erdstreifen tauchten auf im
+schwarzen Busch, wenn Dampf und Staub der Explosionen verweht waren.
+Aeste wurden durch die Luft geschleudert. Erdmassen spritzten empor.
+Ueberall, an vielen Stellen zugleich.
+
+Und dann wurde es mit einem Schlag still, und schwere Rauchschwaden,
+weiß und grau und fahlgelb, wälzten sich übers Meer, daß einem der
+beißende Pulvergeruch giftig und atembeklemmend in Augen und Lungen
+drang. An Land regte sich nichts.
+
+Der kommandierende General signalisierte: »Befehle abwarten!«
+
+Wir starrten und starrten, und auf einmal regte es sich auf dem Wasser.
+Die Dampfbarkassen der Kriegsschiffe schossen herbei, und Dutzende von
+Booten, in denen es von Waffen glitzerte, huschten dem Lande zu. Die
+landenden Truppen kamen alle von einem einzigen großen Transportschiff
+... Souder sprang nach seiner Kabine und holte die Liste der Schiffe
+und Truppen.
+
+»Roosevelt ist's!« rief er. »Die Rauhen Reiter!«
+
+ * * * * *
+
+So landete Theodore Roosevelt mit seinem Regiment als Erster auf
+kubanischem Boden. Er hatte es durchgesetzt, daß ihm die Ehre der
+Vorhut zugeteilt wurde. Man hat Roosevelt oft genug nachgesagt, daß
+er auch als Reiteroberst der praktische Politiker geblieben sei, der
+vortreffliche Regisseur, der sich und seine Leute geschickt in Szene zu
+setzen wußte mit vollberechneten Effekten. Sicherlich zu unrecht. Der
+Mann, der in sein Leben eine so gewaltige Fülle von Sehen und Schaffen
+und Erfolg hineindrängte, wie wenige Männer seiner Zeit, und einer
+der berühmtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten werden sollte,
+ahnte damals gewiß nicht, daß jeder Schritt auf kubanischem Boden ihn
+dem Präsidentenstuhl näher brachte. Er lebte nur. Er lebte das tätige
+Leben. Er war mit Leib und Seele Soldat. Der Name der Rauhen Reiter,
+die erst für diesen Krieg angeworben waren, hatte in der Armee bereits
+Märchenklang. In Tampa schon waren sie berühmt geworden. Selbst die
+alten Regulären aus den Indianerkriegen hatten einen Heidenrespekt
+vor dem Regiment, das sich aus den besten Reitern und den sichersten
+Schützen des ganzen Landes zusammensetzte, den Cowboys, den westlichen
+Grenzern und -- den Söhnen der amerikanischen Millionäre. Aber auch
+die mußten »Qualitäten« haben. Kein Mann wurde aufgenommen, der nicht
+vorzüglich ritt und besser schoß. Die jungen Millionäre warfen, und das
+schien den alten Regulären am märchenhaftesten, links und rechts mit
+Gold um sich, und wer in Tampa Tabak brauchte oder Durst hatte, der
+ging nur geruhig ins Rauhe Reiterlager. Ein sonderbares Regiment ...
+Um Roosevelt selbst kümmerte sich die Armee wenig. Berühmt machte ihn
+erst seine Zahnbürste!
+
+Als er eingebootet wurde, schrie ihm sein Bursche nach: »Wie ist das
+mit Ihrem Gepäck, Herr Oberst?«
+
+Roosevelt, der Brotsack und Offizierstornister umgeschnallt trug, wie
+jeder Soldat, rief zurück:
+
+»Was zum Kuckuck soll ich mit Gepäck? Doch -- eh -- gib mir meine
+Zahnbürste!«
+
+Diese nützliche Notwendigkeit eines reinlichen Menschen steckte Oberst
+Roosevelt grinsend in das Band seines Rauhen Reiterhuts und bemerkte
+dabei, das sei das einzig wirklich nötige persönliche Gepäck. Für alles
+andere müsse schon der Herr Generalquartiermeister sorgen! Und fortan
+trugen Kind und Kegel, Mann und Offizier der kubanischen Armee Onkel
+Sams als besonderes Symbol im Hutband die Zahnbürste.
+
+Der Mann mit der Originalzahnbürste und seine Leute aber machten
+nicht nur ihrem Vorschußruhm große Ehre als tolle Draufgänger und
+zähe Kämpfer, sondern hatten auch unverschämtes Glück, denn überall
+waren sie dabei, wo es wirklich der Mühe wert war. Bei La Quasina,
+in der ersten Schützenlinie der Schlacht vom San Juan Hügel, und im
+Nahkampf um das Blockhaus. In den ersten Tagen dagegen entging das
+Rauhe Reiter-Regiment nur mit knapper Not einer Katastrophe. Die
+stürmisch vordrängende Roosevelt-Vorhut fiel in einen Hinterhalt wenige
+Kilometer vom Strand und hatte schwere Verluste, ehe es ihr nach kurzem
+Feuerkampf gelang, die Spanier zurückzuwerfen.
+
+Den ganzen Tag über waren die Boote hin und hergefahren zwischen
+Schiffen und Strand, in langen Ketten, von Barkassen geschleppt. Ein
+Regiment nach dem andern wurde gelandet; reguläre Kavallerie, zwei
+Infanterieregimenter. Bunt wie eine scheckige Kuh war die »Segurança«,
+das Transportschiff des kommandierenden Generals, von Flaggenwimpeln
+und flatternd geschwungenen Signalfahnen. Doch die Befehle galten stets
+anderen Schiffen.
+
+»6tes Kavallerieregiment ausbooten!«
+
+»7te Infanterie an Land!«
+
+Für uns aber kam kein Befehl. Mit brennenden Augen sahen Souder und
+ich durch die Feldstecher und fluchten so grimmige Flüche, daß der
+kleine Schwabenkapitän uns schmunzelnd erklärte, er könne ja auch
+allerhand leisten, aber das sei der Limit! Wir verwünschten den
+kommandierenden General zehntausend Klafter tief unter den Boden,
+und seinem Generalstab flehten wir Pest und Verdammnis an den Hals.
+Dasitzen müssen an Bord der alten Maultierfähre! Warten müssen, während
+lumpige Freiwilligenregimenter an Land durften! Wir kochten vor Wut.
+Wir zappelten in kindischer Ungeduld und tanzten Tänze des Jähzorns auf
+der Brücke. Endlich hielt es Souder nicht mehr aus. Gegen Abend, als
+auf der Segurança eine Pause in dem ewigen Signalisieren eingetreten
+war, rief er privatim ihren Signaldienst an:
+
+»=Seg S O -- P P P= -- Segurança Signal Office -- Privat, privat,
+privat ...« »Sergeant Hastings hat Dienst!« sagte er zu mir. »Guter
+alter Junge, der Hastings. Wird uns schon sagen, was los ist --«
+
+=Seg S O= antwortete prompt: »=I -- I= -- jawohl, jawohl!«
+
+Worauf Souder flaggte:
+
+»Privat! -- Wann -- geht -- Signalstab -- an -- Land?«
+
+Und sofort kam die bissige Antwort: »=Hell knows -- we do not -- you --
+go -- to hell -- no time -- to answer fools' questions.= -- Das weiß
+die Hölle; wir nicht. Fahrt zur Hölle -- wir haben keine Zeit, jedes
+Narren Fragen zu beantworten!«
+
+Souder sprang kerzengerade in die Luft: »Ich bring Hastings um,« schrie
+er, »wenn ich ihn erwische! Ich schieß ihn tot! Sieben Löcher mach ich
+ihm in den Bauch! Aber ich hab es immer schon gesagt, daß Hastings ein
+gemeiner Kerl ist!«
+
+Zu dem Schaden aber hatten wir noch den Spott, denn jedes gesegnete
+Schiff im Umkreis rief uns an und signalisierte: =ha -- ha --
+ha!= Hahaha aber bedeutet auf telegraphisch ein ganz großes
+Gelächter. Woraus ersichtlich ist, daß Soldaten in Kriegszeiten
+keine Sonntagsschüler sind und sich nicht immer einer gewählten und
+einwandfreien Sprache befleißigen; man spricht scharf und handelt
+scharf in solchen Zeiten großer Aufregung. Und dann waren ja weder
+Damen noch geistliche Herren anwesend.
+
+Und wir warteten. Wir warteten scheußlich lange. Eine Nacht noch und
+fast einen Tag. Während der Nacht aber konnten wir uns wenigstens --
+auf dem Umwege über Blinklampen -- mit Hastings privatim unterhalten,
+der besserer Laune geworden war. Teile der Blockadeflotte hatten, so
+erzählte er, bei Cabañas und Aguadores in Scheinangriffen die Küste
+ebenfalls bombardiert -- bei Cabañas waren sogar Truppen gelandet
+worden, um die Aufmerksamkeit der Spanier von uns abzulenken -- die
+Rauhen Reiter sollten auf spanische Schützenlinien gestoßen sein und
+Verluste erlitten haben -- ebenso reguläre Kavallerie. Da wurden
+wir natürlich noch zappeliger, und von Schlaf war gar keine Rede.
+Gestiefelt und karabinerumhangen hockten wir auf der Brücke, wartend,
+wartend, und tranken aus unseren Blechbechern die Flasche Mumm extra
+dry, die der gute Kapitän uns zum Abschied spendierte, so gleichgültig,
+als sei das edle Getränk Wasser gewesen.
+
+Der Morgen verging. Der halbe Nachmittag noch. Souder und ich wurden
+hysterisch. Knurrten wie bissige junge Hunde und suchten verzweifelt
+uns die Augen fast aus dem Kopf nach dem Signal, nach dem verdammten
+Signal. Da plötzlich hob sich an Bord der Segurança die rote
+Korpsflagge mit dem weißen Innenquadrat wieder und rief uns an:
+
+»Signaldienstbefehl -- Signalkorps an Bord Segurança!«
+
+»=I -- I= -- jawohl, jawohl!«
+
+Seine Abschiedsgrüße mußte uns der lachende Kapitän nachschreien, in
+solch lächerlicher Geschwindigkeit sausten wir auf Deck und übers
+Fallreep in das längst wartende Boot ------
+
+Auf der Segurança gab uns Oberst Green seine Anweisungen:
+
+»Vier Kilometer östlich von hier ist,« so erklärte er ungefähr, »von
+der Marine das Haitikabel aufgefischt und die Verbindung mit Washington
+hergestellt worden. Telegraphisten der Marine sind dabei, die Linie
+unter Benützung der alten spanischen Leitung hierher zu verlängern.
+Den Kabeldienst übernehmen Kabelexperten. Unsere Aufgabe ist es,
+telegraphische und telephonische Verbindung mit der Vorpostenlinie
+herzustellen. Im Einzelnen habe ich euch nur zu sagen: Ich verlasse
+mich auf jeden von euch. Wir werden schwere Arbeit haben. Ihr werdet
+ganz selbständig arbeiten müssen. Eure Befehle erhaltet ihr über den
+Draht. Offizieren der Truppen werdet ihr im Notfalle sagen, daß ihr
+strengsten Befehl habt, Anweisungen nur von euren Signaloffizieren
+entgegenzunehmen. Depeschen dürfen nur angenommen werden, wenn der
+aufgebende Offizier, ganz gleichgültig welchen Ranges, sie schriftlich
+gibt und unterzeichnet. Mündliche Nachrichten werden unter keinen
+Umständen weder über den Telegraphen noch übers Telephon befördert.
+Kommandierenden Offizieren, denen ihr begegnet, werdet ihr melden, der
+Chef des Signaldienstes lasse sie bitten, dafür zu sorgen, daß die
+Truppen die Drähte nicht beschädigen. Das wäre alles. Noch eins -- ich
+verbitte mir jede überflüssige Schießerei! Dazu seid ihr nicht da!«
+
+Da kam sich der Lausbub kolossal wichtig vor.
+
+ * * * * *
+
+Die See ging hoch, und längs des Strandes hatte sich eine ungemütliche
+Brandungslinie entwickelt. Unsere Boote wurden umhergeschleudert,
+als wären sie Eierschalen. Geradeaus am Strand zu landen war
+unmöglich. So mußten wir uns der alten Landungsbrücke bedienen, und
+die lag gute zwei Meter über dem Wasserspiegel. Es war jedesmal ein
+Kunststück, sich von dem stampfenden Boot emporzuschwingen. Stunden
+brauchten wir, um die Hunderte von schweren Rollen dünnen isolierten
+Kupferdrahtes an Land zu schaffen, die Telephone, die kombinierten
+Telephon-und Telegraphenapparate, die Trockenbatterien, die Flaggen.
+Ein unbeschreiblicher Wirrwarr herrschte am Strand. Ueberall waren
+Säcke, Kisten, Munition aufgestapelt, und zwischen diesen Bergen von
+Kriegsmaterial rannten aufgeregte Offiziere umher, die den Proviant
+für ihre Schwadronen und Kompagnien haben wollten. Wir errichteten
+sofort dicht am Strand die Telegraphenstation mit einer Hauptbatterie
+und waren kaum fertig mit Zeltbauen und Aufstellen des Apparats, als
+urplötzlich die Dunkelheit hereinbrach und weiteres Arbeiten unmöglich
+machte. Mit der Dunkelheit kam Regen. Nein, nicht Regen -- der Ausdruck
+ist viel zu schwach -- sondern ein Wolkenbruch. Nein, nicht ein
+Wolkenbruch. Sondern es regnete, wie es in den Tropen regnet. Das waren
+nicht Wassertropfen, sondern dicke Wasserschnüre, Schnur an Schnur.
+
+Souder und ich hatten vorher schon unser winziges Soldatenzelt
+aufgebaut, von dem er die Hälfte trug und ich die Hälfte, und kamen uns
+sehr schlau vor, als wir bei den ersten Tropfen schleunigst unter Dach
+krochen. Aber ach -- was war ein Zelt gegen diese Wassermassen! Der
+angeblich wasserdichte Segeltuchstoff gab nach einer Minute schon den
+hoffnungslosen Widerstand auf ...
+
+»Teufel -- rück' ein wenig!« schrie Souder. »Mir läuft ein Bach, ein
+richtiger, gesegneter Bach, am Hals herunter!«
+
+»Reg' dich nicht auf um Kleinigkeiten,« erwiderte ich erbost. »Ich --
+liege -- in -- einem -- See! Rück' du!«
+
+Doch das konnte er ebensowenig wie ich. Wir füllten das winzige Zelt ja
+bis zum letzten Winkel. Oben regnete es herein. Von vorne und hinten
+kamen, klatsch, klatsch, die Güsse. Unten rieselte ein Bach.
+
+»=Oh hell!=« sagte der Sergeant, sprang auf und warf dabei das Zelt um,
+daß unsere stützenden Karabiner ins Wasser plumpsten. »Nässer können
+wir doch nicht werden!«
+
+Und ich sah erstaunt, wie er sich Rock, Hose, Stiefel, Gamaschen, Hemd
+herunterriß und splitternackt dastand. »Ich nehme ein Bad!« grinste
+er. »Gratis. Passende Gelegenheit. Ein kubanisches Brausebad --
+=Shampooing= obendrein -- kost' sonst einen Dollar fufzig ... Wie nett,
+daß der Regen hierzulande wenigstens warm ist!«
+
+Ich machte es ihm schleunigst nach, und als kurz darauf unser Major
+Stevens, im Gummimantel, eine Magnesiumfackel in der Rechten, in dem
+Miniatursee einhertappte, riß er die Augen gewaltig weit auf.
+
+»Eh -- wer ist das? -- eh, Souder -- Carlé -- seid ihr verrückt
+geworden? -- na, Jungens, das ist nicht übel!« Wir splitternackten
+Kubakämpfer standen ganz mechanisch stramm! »Rührt euch, rührt euch,
+Kinder, bei allem was lustig ist! Und nun versucht eben, zu schlafen,
+so gut es geht. Ich habe für uns alle Gummiponchos besorgt, und das
+nächstemal seid ihr besser daran. =Good night!=«
+
+Nach wenigen Minuten hörte der Regen auf, und erst als wir in unsere
+triefenden Kleider krochen, fiel mir Esel ein, daß ich mir ja in Tampa
+eine wundervolle, sündhaft teure Hängematte gekauft hatte! Aus Seide!
+So dünn, daß ich sie bequem in der Tasche tragen konnte. Sie sollte mir
+noch unschätzbare Dienste leisten. Später bekam ich heraus, daß in der
+ganzen Armee außer mir nur der kommandierende General noch so schlau
+gewesen war, für die so naheliegende Bequemlichkeit einer Hängematte zu
+sorgen. Ich band das seidige Ding an zwei Bäumchen fest und kletterte
+vergnügt hinein.
+
+»Das ist Seide, nicht wahr?« fragte Souder, mich und meine Hängematte
+mit seiner Signallaterne bedächtig ableuchtend. »Stark? Fest?«
+
+»Unzerreißbar!« sagte ich stolz.
+
+»=Very good!=«
+
+Und im gleichen Augenblick war er zu mir hineingeklettert, so entrüstet
+ich auch protestierte, und seine patschnassen, schwerbestiefelten Füße
+suchten sich mit göttlicher Ungeniertheit ihre Ruhepunkte in der Gegend
+meiner Ohren. So lagen wir und rauchten noch lange nassen Tabak aus
+nassen Pfeifen. Ach, was waren das für schöne Zeiten! Täte ich heute
+dergleichen, so würde ich mir wahrscheinlich keuchenden Husten, eine
+schwere Bronchitis und eine tödliche Lungenentzündung holen. Ach, was
+waren das für schöne Zeiten!!
+
+Die Kavallerieschwadron im Dickicht nebenan leistete auch für uns die
+Dienste einer Weckuhr.
+
+ =I can't get 'em up,
+ I can't get 'em up,
+ I can't get 'em up in the morning!=
+
+»Sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf des
+Morgens ...«
+
+»Heiliger Moses!« keuchte Souder, als er hinplumpste.
+
+»Großer Cäsar!« schrie ich und kollerte neben ihn.
+
+Denn steif wie ein Stock war der eine wie der andere, er und ich; kaum
+bewegungsfähig, wie nässeverschimmelt, wie verrostet. Die Kleider
+mußten getrocknet sein über Nacht, aber sie waren schon wieder feucht
+und klebrig geworden im Morgentau. Wir stampften umher und stellten mit
+inniger Genugtuung fest, daß in nächster Nachbarschaft noch vierzehn
+andere Gestalten täuschend ähnlich schwankten und stampften, der Major
+darunter so gut wie der Leutnant. Geteilte Unbequemlichkeit ist halbe
+Unbequemlichkeit. Wir sahen freilich nur die Oberkörper der Gestalten.
+Ihre Beine sahen wir nicht. Die ahnten wir nur. Sie steckten wie
+auch die unsern in den dickgelben Schwaden des Bodennebels, aus dem
+stickige Moderluft heraufdrang, übelriechend, boshaft, giftig -- in
+Rauch aufgelöste Pestilenz. Da kroch über das struppige Buschwerk ein
+glühendroter Fetzen Sonne --
+
+»Wer -- hat -- eine Kaffeemühle?« schrie der alte Sergeant Hastings.
+
+»Deine Großmutter -- zu Hause!« war Souders prompte Antwort.
+
+Aber das Lachen verging ihm bald, als wir selbander unsere Brotsäcke
+und Tornister untersuchten und entsetzt den breiigen Inhalt beguckten.
+Die hochfeinen =sandwiches= des guten Schwabenkapitäns hatten sich
+in ihre Moleküle aufgelöst -- in Brei -- Brei -- fleischfaserigen
+Brei. Doch ein hungriger Magen macht erfinderisch, und wir gingen zum
+Bach. Der Brei schwamm fort. Als Niederschlag blieb, was sonst noch
+im Brotsack geblieben war: die vier Pfund fetten Specks der eisernen
+Ration, ihre zwei Dutzend Schiffszwiebacke, die selbst eine Nacht
+im Brei nicht hatte erweichen können, und ihre grünen Kaffeebohnen,
+ein halbes Pfund. Salz und Zucker dagegen waren beim Teufel. Wir
+nahmen unsere Feldbratpfanne, rösteten vorerst den grünen Kaffee über
+offenem Feuer (es wurde nichts Rechtes!) und unterhielten uns dabei
+gegen alle Disziplin darüber, wer wohl der verantwortliche Schafskopf
+sein könne -- verantwortlich dafür, daß einer eisernen Ration grüne,
+ungeröstete Kaffeebohnen beigegeben wurden! Mit dem Rösten ging es ja
+noch halbwegs. Aber die Kaffeemühle! Der verantwortliche Schafskopf
+hatte obendrein vergessen, der Armee auch nur eine einzige Kaffeemühle
+mitzugeben! Souder zerklopfte kurzentschlossen seine Bohnen im
+Blechtopf mit einem Stein, und ich mußte anerkennen, daß es einen
+besseren Ausweg nicht gab. So bereiteten wir vier Wochen lang das
+unentbehrliche Getränk eines Soldaten im Krieg -- wir und die gesamte
+Armee! Wenn die Flüche, die damals auf den =commissary general=, den
+Chef des Armeeverpflegungswesens, herabgeflucht wurden, wörtlich in
+Erfüllung gegangen wären, so hätten zwanzigtausend separate Teufel ihn
+siebenmal zwanzigtausendmal separat holen müssen ... Wir brieten uns
+Speck. Wir zerbissen die infam harten Zwiebacke.
+
+Leutnant Burnell und sechs Mann blieben bei der Station zurück, um den
+Kabelleuten entgegenzuarbeiten. Major Stevens und zehn Mann (dabei
+waren Souder und ich) bildeten den eigentlichen Telegraphenbaudienst
+der Armee -- elf -- _elf_ -- Mann! Ganze elf Mann!! Wir waren am
+Aufbrechen, als ein Meldereiter für die Segurança herbeijagte, der
+sich bei uns einen Augenblick verschnaufte und erzählte, daß bei La
+Quasina, sechs Kilometer in Front etwa, gestern das erste Gefecht
+stattgefunden hatte. Nach schweren Verlusten hatten die Rauhen Reiter
+und reguläre Kavallerie unter General Young die Spanier aus ihrer
+ersten Verteidigungsstellung geworfen. Die Vorposten standen jetzt eine
+halbe englische Meile über La Quasina hinaus.
+
+Wir brüllten uns heiser vor Begeisterung.
+
+Der Major aber durchstöberte mit Hastings, dem dienstältesten
+Sergeanten, all das aufgestapelte Material zum Linienbau; den
+Haufen von Drahtrollen, die Telephone, die Kombinationsapparate, die
+Trockenbatterien, die Eisenstangen für die Erdleitung.
+
+»Wo sind denn die Werkzeuge?« fragte er kopfschüttelnd.
+
+»Wir haben keine!« antwortete der alte Hastings.
+
+»Was?« rief der Major, »keine Drahtzwicker? Keine Klemmzangen? Keinen
+Gummi zum Isolieren?«
+
+»Nix, Herr Major!« sagte Hastings. »Wir konnten in Tampa nichts
+geliefert bekommen. Wir haben keine Werkzeuge. Ich persönlich besitze
+eine Beißzange, die ich auf der Segurança -- hm -- gefunden habe ...«
+
+»Na, hätten Sie da nicht noch mehr finden können?« brummte der Major.
+
+Er kopfschüttelte immer mehr und betrachtete den Haufen von Drahtrollen
+und rechnete mit den Sergeanten, wieviel Kilometer Draht wir elf
+Mann außer den Instrumenten tragen konnten. Sechs bis acht Kilometer
+höchstens. Transportmittel gab es ja nicht in diesem Krieg von
+leichtsinnigen Kindern. Dann war er auf einmal verschwunden. Ebenso
+plötzlich aber kam er wieder, im Schweiße seines Angesichts einen
+großen Proviantkarren vor sich herschiebend.
+
+»Los, Jungens!« keuchte er. »Los -- ehe sie uns erwischen!«
+
+Denn: Der Herr Major hatte unten am Strand den Karren -- gestohlen!
+
+Für die gute Sache! Von da ab hätten wir uns für diesen Mann
+totschlagen lassen. Das war ein Mann! Vielleicht erzähle ich
+später einmal, wie Major Gustave W. S. Stevens das Schatzamt des
+Signaldienstes bemogelte, um das Geld für die ersten Flugversuche der
+Armee zu schaffen, das der Kriegsminister und der Chef des Signalstabs
+nicht hergeben wollten. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.
+
+Der Major zog seinen Uniformrock mit den schön glänzenden
+Silberstreifen und den goldenen Adlern aus und arbeitete so hart wie
+wir daran, die Instrumente und den kostbaren Draht auf dem Karren
+zu verstauen. Unterdessen hatten Leutnant Burnell und seine Leute
+die ersten fünfzig Meter Draht gelegt und die Verbindung mit dem
+Stationsinstrument hergestellt.
+
+Vorwärts ging es jetzt. Der Pfad, der den Hügel hinaufführte, war ein
+armseliges Weglein kaum zwei Meter breit und so tief verschlammt vom
+Regen der Nacht und den Fußtritten von Tausenden, daß man einsank
+bis zu den Knöcheln. Und vollgestopft von Truppen. Infanteristen.
+Batterien, deren Mannschaften langsam und mühselig Zoll für Zoll die
+Geschütze vorwärtsschoben, denn die Gäule konnten es nicht schaffen.
+Links und rechts aber vom Weg starrte der Buschurwald mit seinen
+verrankten, verschlungenen, verdornten Gewächsen, die so fest waren wie
+eine Mauer und uns keinen Schritt weit eindringen ließen.
+
+»Platz!« schrie Major Stevens. »Spezialdienst. Signalkorps!«
+
+Die Infanterie duckte sich an die Wegseite, und holtergepolter
+jagten wir vorbei mit unserem Karren. Wir hatten uns lange Stangen
+mit gabeligen Enden geschnitten und warfen den ausgezeichnet
+isolierten Leitungsdraht einfach über das Urgebüsch, nur alle
+hundert Meter spannend und festknüpfend. Rasch kamen wir vorwärts,
+rascher als die Infanterie. Die marschierte nur, während uns die
+Neugier vorwärtspeitschte. Dann kamen wir zu den Geschützen und wären
+beinahe stecken geblieben, konnten doch die schweren Stahlmassen in
+dem engen Pfad nicht ausweichen, wollten auch gar nicht, oder ihre
+Herren vielmehr wollten nicht, denn Offiziere und Kanoniere spuckten
+ohnehin schon Galle über den miserablen Weg und pfiffen natürlich auf
+Telegraphendrähte und derlei Belanglosigkeiten. Wie es uns gelang,
+an den Kanonen vorbeizukommen, ist mir heute noch ein halbes Rätsel.
+Ich weiß nur, daß der Major fluchte und puffte wie ein Hausknecht,
+daß wir den Draht und die Instrumente abluden und sie im Laufschritt
+vorwärtsschleppten, daß wir den gestohlenen Karren auseinanderlegten
+und ihn stückweise über die Köpfe der Artillerie hinwegtrugen. Dagegen
+weiß ich noch ganz genau, daß ich an einer Ecke einem unverschämten
+Artilleristen, der mich absichtlich behinderte, eine schwere Drahtrolle
+gewaltig um den Schädel schlug ... Wie roh das war! Wie leid mir das
+tut in der Erinnerung! Aber -- ach, was waren das für schöne Zeiten!
+
+Jetzt brannte die Sonne kerzengerade hernieder, als hätte sie sich
+das Weglein und nur das Weglein zum Heizen ausgesucht, und dampfende,
+ekelfeuchte Hitze hüllte uns ein, vermengt mit giftigen Modergerüchen
+aus dem tausendjährigen Dschungel zur Seite, dem Hexenkessel mit
+seinen häßlichen Dämpfen aus faulender Feuchtigkeit und schwärzendem
+Heißsein. Dicht, starr, stand der Urwald. Der Gedanke stieg in mir auf,
+wie es überhaupt möglich sein konnte, in dieser eingekeilten Enge einen
+Feind anzugreifen oder von einem Feind angegriffen zu werden; eine
+Schützenlinie zu entwickeln, vorwärtszustürmen. Da ich zwanzig Jahre
+alt und neugierig war, befragte ich den Major darüber, als er neben mir
+schritt. In Tampa hatten wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Aber die
+wenigen Stunden schon auf kubanischem Boden hatten zwischen ihm und
+uns jene eigentümliche Verbindung des Vertrauens hergestellt, die von
+Mann zu Mann überspringt nur in Zeiten männlicher Höchstleistung, wenn
+jeder, der Führer und der Geführte, hergibt, was in ihm ist. Er war
+unser und wir waren sein. Darüber redete man nicht. Das fühlte man. Man
+stand zusammen und man fiel zusammen. In unserem Schneid und unserer
+Arbeit lag seine Hoffnung auf Glück und Ehren -- und aus seinen Händen
+nur konnte unser Lohn gegeben werden.
+
+Die Disziplin litt nicht darunter, wenn auch die äußerlichen
+Unterschiede zwischen Mann und Offizier sich als äußerlich und
+belanglos verwischten.
+
+»=Well=,« sagte er lächelnd, »es ist eine scheußliche Gegend, wie Sie
+ganz richtig bemerken. Ich bin von Hause aus Artillerist und kann mir
+lebhaft vorstellen, daß es höllisch unangenehm wäre, würden wir jetzt
+mit Schrapnell überschüttet!«
+
+Ich wurde puterrot. »Ich hatte -- aber -- durchaus -- nicht Angst!«
+stammelte ich.
+
+»Nein, mein Sohn. Weiß ich. Nebenbei bemerkt gibt es keinen Menschen,
+der unter Schrapnellfeuer nicht Angst haben würde. Und weiterhin
+nebenbei bemerkt sind wir nach meiner Karte in einer Viertelstunde aus
+dem Busch heraus. =Well= -- haben Sie eigentlich Tabak? Ich muß vorhin
+mein Etui verloren haben --«
+
+In Bächlein rannte der Schweiß an uns herab, und ich war kaum weniger
+naß als nach dem Wolkenbruch in der Nacht vorher. Wir segneten den
+schlauen Major und seine Karre aus dankbaren Herzen und schmissen
+alles, was nicht niet und nagelfest war, auf das Vehikel; Brotsäcke und
+Röcke und Tornister und Wolldecken und Telegraphenapparate. Aber es war
+noch immer zu heiß. Einer machte den Anfang, als wir einmal hielten und
+Luft schnappten, und die andern machten es ihm schleunigst nach: Ein
+schamhaftes Verschwinden hinter einen dicken Baum! Und -- Strümpfe?
+Ueberflüssig, weg damit. Unterhemd? Lächerlich, weg damit. Unterhosen?
+Unglaublich bei dieser Hitze, weg damit. Jetzt war uns wöhler! Instinkt
+hatte uns wie zwanzigtausend anderen Simplizität in der Vereinfachung
+der Felduniform gelehrt, die in Zukunft aus Stiefeln, Gamaschen,
+Reithose, blauem Flanellhemd, Schlapphut bestand, und sonst aus nichts.
+Das war genug und übergenug! Viele von den Offizieren ließen sich die
+Schulterstreifen aufs blaue Flanellhemd nähen ... Nur keinen Rock in
+dem Backofen!
+
+Jeder einzelne Mann tat sein Bestes. Sicherlich stellte es eine
+respektable Leistung dar, beim Linienbauen die marschierenden Truppen
+weit zu überholen. Der Draht funktionierte ausgezeichnet. Wir setzten
+uns jede halbe Stunde in Verbindung mit Leutnant Burnell in Baiquiri,
+der uns an Neuigkeiten meldete, daß der Hauptlandungspunkt von nun an
+Siboney sei, wenige Kilometer westlich von Baiquiri. Er lasse zwei Mann
+zum Stationsdienst zurück und werde mit den übrigen von Siboney eine
+Drahtlinie zum Kreuzungspunkt der beiden Straßen bei La Quasina legen.
+
+Da weitete sich das Weglein, und der Busch wurde niedriger, dürftiger,
+bis plötzlich der Schlick des Pfades sich in weichen Moosboden
+verwandelte. Rings um uns reckten sich schlanke braune Stämme mit
+fächerigen Wipfeln empor; ein Hain von Kokospalmen.
+
+»Teufel!« sagte Major Stevens.
+
+»Tausend Teufel!« -- sagten wir ...
+
+Denn die luftige Schönheit machte auf uns nicht den geringsten
+Eindruck, sintemalen sie schwere und langwierige Arbeit bedeutete.
+War es doch nun vorläufig zu Ende mit dem wunderschön bequemen und
+schnellen Aufwerfen des Drahts auf den dichten Busch. Den Draht einfach
+auf den Boden zu legen, ging nicht. Die nachmarschierenden Truppen
+hätten ihn zertrampelt, zerrissen. Und nicht einmal Klettereisen hatten
+wir!
+
+»Nun, dann klettern wir eben so!« sagte der Major. »Souder, holen Sie
+mir doch aus dem Baum da ein halbes Dutzend Kokosnüsse -- und Sie,
+Hastings, telegraphieren, bitte, dem Leutnant Burnell, daß wir frische
+Kokosmilch trinken und lebhaft bedauern, ihn nicht einladen zu können.«
+
+Schallendes Gelächter. Die gute Laune war wieder da.
+
+Es läßt sich außerordentlich schwer vorstellen, was es heißt, als
+todmüder, abgearbeiteter, hitzeerschöpfter Mensch mit schweren
+Drahtrollen Kokospalmen hinaufzukrabbeln; ich wenigstens packte mit
+Händen und Füßen und Knien ums liebe Leben zu und war schlapp wie ein
+nasses Handtuch nach dem dritten Baum. So lernten wir die relative
+Wichtigkeit der Werte für die Bedürfnisse des Augenblicks fein
+unterscheiden und waren entsprechend froh, als der dreckige Schlamm
+und der stinkende Dschungel wieder kamen. Bedeuteten sie doch flottes
+Vorwärtskommen für uns. Lichter aber war es. Man konnte wenigstens
+sehen. Man hatte Ausblick über den niedrigen Busch und das wuchernde
+Gras hinweg auf üppige Baumgruppen tiefen Grüns und sanftansteigende
+Hügel im Vordergrund.
+
+In dem Schlamm des schmalen Weges aber, bei einem Grasbüschel hier,
+in einer kleinen Bodensenkung dort, an Baumstämmen glitzerten
+gelbmetallisch blanke Patronenhülsen und mehrten sich zu vielen
+Hülsenhäuflein, als wir uns vorwärtsarbeiteten. Unser Lachen und
+Geschwatze war plötzlich verstummt. Ein zertrampelter grauer Schlapphut
+lag am Weg -- dort eine Wolldecke -- dort ein Tornister, von dessen
+Segeltuchbraun tiefdunkel und bedeutungsvoll rostfarbene große Flecke
+scharf abstachen. Und da leuchtete aus tiefem Gras und dornigem
+Gestrüpp blanke Erde, frisch aufgeworfen, und aus den lehmigen
+Erdschollen ragte Griff und Klinge eines Offizierssäbels. Ungeschickte
+Hände hatten das Soldatengrab mit Steinen und Holzstückchen umrahmt.
+Man sah der Arbeit die hastende Eile an. Ein zweites Hügelchen
+frischer Erde kam, ein drittes; Dutzende jetzt auf einmal. Ein Hut
+lag auf dem einen, ein Reiterhandschuh auf dem andern, ein Symbol zum
+Wiedererkennen auf jedem ...
+
+Feierlich und langsam erhob der Major die Rechte zum Hut und grüßte,
+hochaufgerichtet, kerzengerade, als sei er auf Parade, die Männer, die
+da unter dem Boden lagen, gestorben für ihr Land. Ein jeder von uns
+verstand. Alle Hände hoben sich zum Salut für die toten Rauhen Reiter.
+
+Wir waren bei La Quasina.
+
+Dicht bei den Gräbern kampierten wir in dieser Nacht. Im
+Dämmerungsgrauen, als ich die Wache beim Instrument hatte, meldete der
+Draht: »Der kommandierende General wird morgen sein Hauptquartier in
+die Vorposten verlegen. Das Signaldetachement erwartet den General auf
+der Straße von La Quasina-El Pozo, an einem Punkt, der telegraphisch
+mitgeteilt werden wird. Die Linie ist bis tausend Yards über La Quasina
+hinaus fertigzustellen.«
+
+Ich weckte den Major.
+
+»Das hätte Zeit gehabt bis zur Reveille ...« brummte er.
+
+ * * * * *
+
+»=Señor!=«
+
+»=Señores!=«
+
+»Ich -- Kohlenmann -- Keywestdampfer ... drei Jahr, =damn= -- ich fein
+Englisch sprechen ---- «
+
+»Ein klein Biskuit, =señor=, please!«
+
+»=Eviva el Cuba Libre= und gut' =Americanos=« -- und eine Skeletthand
+steckte mir eine kohlschwarze Riesenzigarre in den Mund.
+
+»=Plenty= Hunger -- Biskuits =bueno=, aber nix gut die amerikanisch'
+Speck ... =damn= Speck --«
+
+Sie zeterten und schrien und kreischten und gestikulierten. »Piff,
+piff!« zischte der eine, mit den Händen die Gebärde des Anlegens
+und Zielens machend, »hé -- piff, piff, piff, piff ... o -- hé.
+=Espagnoles= dort« (er deutete in den Busch) -- =Americanos= piff,
+piff, 'urrah, viel 'urrah, viel laufen, =Espagnoles= weg. =Plenty
+bueno!=« Ein anderer brüllte: »Da -- da vorne -- =Señores= werden sehen
+-- der =commandante= -- der große Garcia -- =el liberator= ...«
+
+Wir standen und starrten. Das also waren kubanische Insurgenten, und
+so sahen begeisterte Freiheitskämpfer aus und so schnatterten sie, die
+Heroen, die den Tod dem Knechttum vorzogen. Achtundvierzig Stunden
+später überzeugten wir uns, ein wie erbärmlich feiges und faules
+Gesindel diese berühmten, todesmutigen Freiheitskämpfer in Wirklichkeit
+waren. Aber wenn ich schaudernd an die traurigen Gestalten denke, so
+möchte ich die überharten Worte bedauern, mit denen wir vollsaftigen,
+kraftvollen Männer damals die ausgehungerten Männlein überschütteten.
+Sie taugten ja nicht zum Kämpfen und Arbeiten. Das waren keine Menschen
+mehr. Nicht einmal Tiere. Sondern wandernde Skelette. Sie hatten sich
+ein Lager in den Busch hineingehauen und aus Zweigen ein dürftiges
+Obdach zusammengeflickt. In Fetzen schlotterten ihnen die Jacken und
+die Hosen aus schmutziggrauem, dünnem Baumwollstoff um die abgemagerten
+Glieder, und viele hatten nicht einmal eine Jacke, sondern liefen mit
+bloßem Oberkörper umher. So winzig, so krank, so schwach sahen die
+kleinen Männlein aus, die viele Monate lang Tag für Tag gehungert
+hatten, daß ich mir dachte:
+
+Ein einziger Faustschlag, und nicht einmal ein kräftiger, und =Señor
+Insurgente= ist außer Gefecht gesetzt!
+
+Wie arme verkrüppelte Kinder sahen sie aus, die Krieg spielten -- die
+man bemitleiden mußte ob des Gewichts des Säbels, den sie an einem
+Strick umgeschnallt trugen. Eine schwere und furchtbare Waffe war
+dieser Säbel, Machete genannt; eine Art zum Säbel verlängerten Messers,
+das nichts ähnlicher sah als dem biederen Küchenmesser deutscher
+Hausfrauen, freilich ins Riesenhafte vergrößert. Ein gerader Säbel
+mit plumpem Holzgriff und breiter Klinge, haarscharf geschliffen.
+Vorzüglich waren auch die Gewehre dieser Jammergestalten: Moderne
+Mauserschnellfeurer, deutsches Modell 88, und amerikanische Winchesters
+mit kupferumhüllten Geschossen. Die Männer aber hinter diesen Gewehren
+waren sicherlich nichts wert.
+
+Die armen, armen Teufel!
+
+Sie bissen gierig in die steinharten Schiffszwiebacke, die wir ihnen
+schenkten, und schnatterten dabei über Hunger und Elend. Eine Handvoll
+Reis, ein Brotfladen waren Seltenheiten gewesen monatelang; von
+Früchten und Beeren hatten sie sich ernährt.
+
+Ein Weib schlich herbei, mit gekrümmter Hand um einen Zwieback
+bettelnd. Um ihren Körper war rockartig ein Fetzen schmutzigen
+Baumwollstoffs geschlungen, die bloßen Brüste hingen schlaff und
+verdorrt weit herab, die hungrigen Augen lagen tief in den Höhlen. An
+den Rockfetzen aber klammerte sich ein fürchterliches menschliches
+Wesen.
+
+Ein nacktes Kind, ein Mannkind, drei Jahre alt vielleicht, das -- auf
+den dürren Zündholzbeinen des Elends einen fürchterlichen Falstaffbauch
+trug. Winzige Glieder, ein spitziger, magerer Kopf, und ein
+Zuckerhutleib, der in seiner Aufgedunsenheit den Nabel weit vordrängte.
+Ein Monstrum, ekelerregend, Mitleid heischend.
+
+»=Nix bueno= -- Mangobauch!« erklärte die Mutter.
+
+Der Major, der Spanisch verstand, schenkte dem Weib einen blanken
+Silberdollar und sprach mit ihr. Er erklärte uns das Monstrum. Die
+Fruchtnahrung, die auf Erwachsene abmagernd wirkte, führte bei Kindern
+zu schweren Verdauungsstörungen, weil nur ungeheure Mengen den steten
+Hunger sättigen konnten. Daher der Bauch, das Aufgedunsensein.
+Obendrein war die häufigste Frucht, der orangenartige Mango, stark
+terpentinhaltig und wurde von einem kindlichen Magen schwer verdaut.
+Daher der Name Mangobauch. Zu Hunderten sahen wir später um Santiago
+die mißgestalteten kleinen Geschöpfe, die so ausgehungert waren,
+daß sie fraßen wie Tiere und an unseren Lagerfeuern Mahlzeiten
+hinabschlangen, die ein ausgewachsener hungriger Mann nie hätte
+bewältigen können.
+
+Noch lange kreischten sie uns nach, die kubanischen Insurgenten:
+
+»=Eviva los Americanos -- Cuba Libre!=«
+
+Das arme Kind aber heulte zum Steinerweichen in gellenden Mißtönen.
+Verschwanden doch mit uns die schönen, schönen Biskuits; infam harte,
+kaum genießbare Schiffszwiebacke für uns, köstliche Leckerbissen für
+das im Walde gezeugte Geschöpf des Jammers.
+
+ * * * * *
+
+Der Pfad war wieder das alte verschlammte, schmale Weglein, eingerahmt
+von undurchdringlichem Gestrüpp. Wir konnten den Draht wieder mit
+unseren Stangen aufwerfen und kamen rasch vorwärts. Da erschallte
+dumpfes Pferdegetrappel und drei Reiter trabten herbei.
+
+»Der kommandierende General!« meldete der führende Korporal kurz, einen
+Augenblick seinen Gaul einzügelnd.
+
+Bald darauf kam das Hauptquartier. General Shafter, der
+Höchstkommandierende, saß in einem winzigen Wägelchen, das zwei
+Maultiere zogen und ein Kavallerist lenkte. Der Stab ritt hinterdrein
+im Gänsemarsch, denn so schmal war der Saumpfad, daß zwei Pferde, die
+Reiter trugen, kaum nebeneinander schreiten konnten.
+
+Die Kolossalgestalt des Generals lehnte erschöpft im Sitz. Auf Shafters
+Knien lag eine Karte. Der Wagen hielt, als der Major vortrat und seine
+Meldung erstattete:
+
+»Ein Offizier, drei Sergeanten, sieben Mann des Signaldetachements.
+Linie von Baiquiri bis hierher vollendet und in guter Ordnung.«
+
+Der kommandierende General nickte und sagte mit einer Stimme, die so
+kinderartig hell und schrill war, daß sie weithin gellte:
+
+»Sehr -- gut -- Major. Bei Jesus Christus -- das -- haben -- Sie -- gut
+-- gemacht, Major. Sie folgen, Major, und bleiben -- im Hauptquartier
+-- bis -- auf -- weitere Orders -- Jesus Christus!«
+
+Und das Wägelchen rollte weiter. Ein halber =troop=, eine halbe
+Schwadron der 6ten Regulären Kavallerie bildete die Eskorte des
+Höchstkommandierenden.
+
+So sah ich zum erstenmal den Jesus-Christus-General.
+
+
+
+
+Beim Jesus-Christus-General.
+
+ Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. -- General Shafter,
+ Höchstkommandierender. -- Die Trumpfkarte im Spiel. -- Proviant
+ her! -- Ein sogenannter Spaziergang. -- Die spanische
+ Verteidigungslinie. -- Die Nacht vor der Schlacht. -- Das
+ Telegramm nach Washington. -- Die Regimenter ziehen dem Feind
+ entgegen.
+
+
+Auf einer Strecke von kaum einer halben englischen Meile passierte uns
+Unglück auf Unglück. Mit einemmal funktionierten die Apparate nicht
+mehr, als wir wieder Baiquiri andrahten wollten, und der Major mußte
+Hastings und zwei Mann zurückschicken, nach dem Schaden zu suchen.
+Sie fanden ihn zum Glück bald: ganz in der Nähe des Insurgentenlagers
+war der Draht zerrissen. Dann kamen fünfmal hintereinander lichte
+Waldstellen, die langwieriges Klettern und Drahtspannen erforderten.
+So wurde es Nachmittag, bis wir endlich das Hauptquartier inmitten der
+Vorposten erreichten, erschöpft, todmüde. Oberst Green mit dem ihm
+persönlich attachierten Signalsergeanten kam uns entgegen.
+
+»Schlafen, Leute!« befahl er. »Myers, holen Sie Kaffee, da hinten beim
+Kochfeuer. Und dann wird sofort geschlafen!«
+
+Das Signalzelt war bereits errichtet und das Instrument drinnen
+aufgebaut worden. Den Dienst übernahm der Sergeant Oberst Greens. Wir
+anderen aber tranken gierig heißen Kaffee, wickelten uns in unsere
+Decken und legten uns Mann neben Mann dicht um die Außenwand des
+Zeltes; in unseren feuchten, durchschwitzten Kleidern, den patschnassen
+Stiefeln, in die der Schlamm trotz allen festen Geschnürtseins
+eingedrungen war. Ich war so müde ... »Stiefel ausziehen!« rief
+die scharfe Stimme des Majors -- »runter mit den Stiefeln!« Und
+widerwillig zog ich sie aus. Ich war so ------ Die Augen konnte ich
+kaum offenhalten und nicht der Mühe wert war es mir, den Wirrwarr um
+mich zu betrachten. Da standen riesige Zelte und Pferde wieherten im
+Hintergrund und viele Offiziere kamen und gingen und ... schlafen, nur
+schlafen! Ich schob mir den Tornister unter den Kopf und wickelte mich
+fest ein. Da begann das Instrument drinnen zu sprechen in scharfem
+Ticktack. Klick, klick, klick -- klack, klack -- kurz, kurz, kurz, --
+lang, lang -- aber die klingenden Punkte und Striche flossen in ein
+nichtssagendes Geklapper zusammen für mein müdes Hirn -- klick, klick,
+klack ... da war ich eingeschlafen.
+
+ * * * * *
+
+Das Hauptquartier lag dicht am Weg, an dem ewigen Schlammpfad, den
+keiner der Männer von Kuba je vergessen wird. Gegenüber ragte der
+dornige Busch. Die Zelte standen in einer Lichtung, in der einmal
+ein Haus gewesen sein mußte, denn verwittertes Gebälk lag umher,
+und gegen das Weglein zu trotzte noch ein Stück Zaun aus verfaulten
+Pfosten und verrostetem Stacheldraht. Das Signalzelt war dicht beim
+Eingang aufgebaut. In Linie, nicht weit davon, schimmerte weißgrau
+das Dutzend Zelte des Stabes, und hinter ihnen erhoben sich die
+winzigen Segeltuchhütten der trooper der 6ten Kavallerie. In der Mitte,
+fünfzig Schritte vor uns, stand das Zelt des kommandierenden Generals.
+Zwei Pfostenpaare waren kreuzweise in den Boden geschlagen und eine
+Hängematte an ihnen befestigt. In dieser lag krank und mürrisch General
+Shafter, der Befehlshaber der Armee, der alte Indianerkämpfer, der
+Mann, den der amerikanische Reguläre niemals anders nannte als den
+»Jesus-Christus-General«. Es sind später viel Steine geworfen worden
+auf diesen Mann; einen Zauderer hat man ihn genannt und Schlimmeres
+in seinem Land. Ein Zauderer war er. Aber die Schimpfer vergaßen,
+daß auf seinen Schultern und nur auf seinen Schultern die ungeheure
+Verantwortung für das Leben von vielen Menschen und die Ehre einer
+Flagge ruhten, die gar arg bedroht waren durch den Leichtsinn, der
+in Hast und Aufregung die Sorge für eine Armee sehr leicht genommen
+hatte. Doch das verstand ich erst später. Wenn ich von General Shafter
+in diesen Seiten erzähle, so darf der Leser nicht vergessen, daß ich
+versuche, ganz einfach zu schildern, was der Lausbub im Soldatenrock
+damals sah -- das wirkliche Sehen und Hören. Der Jesus-Christus-General
+hatte für mich Zwanzigjährigen im Lager damals und im Feld später
+nicht viel von der Glorie des Leiters einer kämpfenden Armee, sondern
+ich sah mit meinen jungen Augen nur das Allzumenschliche des Kranken
+und Uebererregten. Der Mann heute versteht. Daß jene Tage in Kuba dem
+amerikanischen Invasionsheer keine Katastrophe brachten sondern Siege,
+ist für den nüchternen Beurteiler ein Wunder. Und Shafter wußte das!
+Als einziger vielleicht. Er wußte, daß kein Proviant da war -- er
+wußte, daß alle Vorteile des Geländes auf der Seite des auch numerisch
+starken Gegners lagen. Er wußte recht gut, weshalb er zauderte. Dennoch
+gebe ich meine Eindrücke ungeschminkt wieder, denn über das Persönliche
+weit hinaus zeigen sie etwas einzig Dastehendes in der modernen
+Kriegsgeschichte: Eine Schlacht, einen Feldzug, der nicht von Generalen
+gewonnen wurde, sondern von einzelnen Häufchen tapferer, zäher
+Männer, die in jungenhafter Begeisterung fröhlich drauf losgingen,
+ohne sich viel um Befehle zu scheren. Das Männliche, das Tüchtige des
+Einzelnen war Trumpf und gewinnende Karte in dem riskanten Spiel dieses
+sonderbaren Krieges.
+
+ * * * * *
+
+Dutzende Male brachte ich dem General Shafter Depeschen an jenem 30.
+Juni des Jahres 1898, und jedesmal sagte er mit der gleichen dünnen,
+schrillen Falsettostimme, die einem durch Mark und Bein drang:
+
+»Jesus Christus -- was gibt's?«
+
+Es ist kaum möglich, das Scharfe, Ungeduldige wiederzugeben, das in
+dem ewig wiederkehrenden Ausruf lag, der dem General seinen Beinamen
+eingetragen hatte. Frömmlern gab es später nach dem Kriege, als von
+Shafters Eigenheiten erzählt und geschrieben wurde, Veranlassung, ihn
+als gotteslästerlichen Frevler zu verdammen.
+
+»Lasse Oberst Green bitten -- Jesus Christus -- marsch, Mann -- halten
+Sie sich nicht mit Salutieren auf -- Jesus Christus!«
+
+Immer Jesus Christus ----
+
+Hunderte Male gellte es so. Und jedesmal fuhr ich zusammen, wenn die
+schneidende Stimme erklang.
+
+General Shafter war ein Koloß. Aechzend lag die unförmliche Gestalt
+in der Hängematte, auf viele Kissen zurückgelehnt, fluchend wie ein
+Dragoner. Die Stimme gellte vor Wut und Ungeduld. Aber im nächsten
+Augenblick konnte sie, wenn auch schrill und nervös, liebenswürdig zu
+einem Adjutanten sagen: »Lassen Sie sich ablösen, lieber Jameson --
+Jesus Christus, Sie müssen ja todmüde sein!«
+
+Der General war entweder schon vom Fieber gepackt oder wenigstens
+durch die tropische Hitze furchtbar mitgenommen. Seinen gewaltigen
+Schädel bedeckte ein Handtuch, auf dem Eisstücke lagen, und neben der
+Hängematte stand ein Kocheimer mit Eis gefüllt. Dennoch gönnte sich
+Shafter nicht einen Augenblick Ruhe an jenem 30. Juni. Es war ein
+Hetzen und Hasten, ein Kommen und Gehen. Stets umstanden Adjutanten
+die Hängematte, Bleistifte und Befehlsformulare in den Händen, und
+die hohen Offiziere des Generalstabs schienen fortwährend Vortrag zu
+halten. Wir hörten häufig ganze Sätze herüberhallen und verstanden, so
+schwer jede Kombination für einen Uneingeweihten auch war, daß es sich
+um Meinungsverschiedenheiten handeln mußte. Es lag wie Elektrizität
+in der Luft. Wie schwüle Spannung. Alle Augenblicke kamen Shafters
+Adjutanten gelaufen mit Telegrammen an den Generalquartiermeister in
+Siboney, die in schärfster Fassung Proviant und Munition verlangten.
+Einmal hieß es ungefähr so:
+
+»Kommandierender General befiehlt Herbeischaffung Proviants für Front,
+ganz gleichgültig, ob Straße verstopft; Truppen müssen Straße freigeben
+-- mitsendet energischen Offizier ...«
+
+Schwer mußten Sorge und Verantwortung auf General Shafter liegen.
+
+ * * * * *
+
+Major Stevens winkte von seinem Zelt. Ich sprang hinzu.
+
+»Treten Sie ein,« befahl er. »So! Holen Sie sich unauffällig Karabiner,
+Revolver und Feldstecher. Tun Sie, als ob Sie das Gewehr putzen
+wollten. Gehen Sie langsam den Pfad aufwärts. Sie treffen mich etwa
+hundert Yards weiter oben. Verstanden?«
+
+»=Yes, sir.=«
+
+»Sie sprechen mit Niemanden über diese Sache. Verstanden?«
+
+»=Yes, sir.=«
+
+Klopfenden Herzens wartete ich an der bezeichneten Stelle, bis der
+Major aus dem Gebüsch trat.
+
+»So! Es wäre mir lieb, wenn Sie mich auf einem kleinen Spaziergang
+begleiten würden,« sagte er, »weil ich annehme, daß Sie nach Ihrer
+zivilen Stellung Augen im Kopfe haben, die sehen können. Nun hören
+Sie: Wir wissen im Grunde gar nichts. Wir wissen den Teufel, was da
+vorne los ist. Ich will aber was wissen. Offiziell ist ein Vorgehen
+über die Vorposten hinaus strengstens verboten. Wir gehen jetzt
+zusammen spazieren und werden uns über die Vorposten hinaus verlaufen.
+Verstanden?«
+
+»=Yes, sir.=«
+
+»Schön. Die Karte hier ist miserabel, aber immerhin geht daraus hervor,
+daß hier -- sehen Sie? -- bei El Pozo -- das ist 'ne alte Zuckermühle
+--, wo unsere Spitze steht und das eigentliche Santiagotal beginnt,
+Plantagen sind, die ein Erklettern des Hügels da -- sehen Sie? --
+gestatten sollten. Durch den Busch kämen wir nie hindurch!«
+
+Da kam ich mir wieder kolossal wichtig vor ...
+
+Wir marschierten in scharfem Tempo etwa zwei Kilometer weit den Pfad
+entlang, kamen in einen Mangowald, kreuzten einen kleinen Bach,
+passierten an Infanteriepatrouillen vorbei, wurden dutzende Male
+angerufen. Dann bogen wir scharf links ab. Wir waren jetzt inmitten
+hohen wuchernden Grases und mächtiger Baumgruppen. Hinter der zweiten
+Baumgruppe schon trat ein Kavallerieleutnant hervor, mit dem der Major
+leise sprach. Ich hörte den Leutnant sagen:
+
+»Auf Ihre Verantwortung, Major. Meine Leute kann ich instruieren. Aber
+wenn Sie den Rückweg verfehlen, riskieren Sie, von anderen unserer
+Posten über den Haufen geschossen zu werden!«
+
+Da kam ich mir noch viel wichtiger vor!
+
+Nun begleitete uns der Leutnant.
+
+Der lichte Wald wurde noch dünner, die Baumgruppen spärlicher. Vor uns
+lag eine schmale Fläche niederen Grases. Drüben war Gestrüpp.
+
+»Halt!« rief eine Stimme.
+
+»Freunde ...« antwortete der Leutnant. »Einer vor!« rief die Stimme
+wieder. Der Leutnant ging vor, um die Losung zu geben, die »Shafter und
+Santiago« lautete, und dann sahen wir eine Soldatengestalt aufspringen,
+die flach am Boden gelegen hatte. Der junge Offizier instruierte den
+Posten, daß der Herr Major und der Signalmann rekognoszieren würden
+und daß er auf unsere Rückkehr achten müsse. Wir würden am jenseitigen
+Gestrüpprand laut »Washington« rufen und dann aufrecht über die
+Grasfläche laufen.
+
+»Los!« sagte der Major. »Ich wette meinen Kopf, daß innerhalb
+fünfhundert Yards überhaupt kein Spanier ist, sonst wäre die Schießerei
+schon längst losgegangen!«
+
+Aber trotzdem verzichteten wir, ohne ein Wort darüber zu verlieren, auf
+falsches Schamgefühl und krochen sehr vorsichtig auf dem Bauch durchs
+Gras, uns innig und liebevoll an Mutter Erde anschmiegend.
+
+»Sehen Sie was?«
+
+»Nein, Major.«
+
+Wir kamen der Gestrüpplinie näher und suchten Busch für Busch mit
+unseren Feldstechern ab. Vorne links, dreihundert Meter vielleicht
+entfernt, stieg ein Hügel empor, der erste einer sich weithin
+erstreckenden langen Hügelkette. Auf den steuerten wir zu, immer auf
+dem Bauche rutschend. Wir sahen nichts und hörten nichts. So gelangten
+wir bis zum unteren Hügelrand. Wohl eine Viertelstunde lang lagen wir
+hinter einem Baum und suchten den Weg durch die Gläser ab. Dann krochen
+wir wieder vorwärts, uns mit Händen und Füßen einkrallend, denn der
+Abhang war steil.
+
+»Suchen Sie die Kuppe ab!« flüsterte der Major.
+
+Ich machte einen Bogen hin, einen Bogen her. Sah nichts.
+
+»Nichts?«
+
+»Nein.«
+
+»Großer Gott! Eine einzige spanische Batterie hier oben könnte uns den
+Teufel zu schaffen machen!«
+
+»Es ist unglaublich!« Er kauerte hinter einen Busch und schob
+vorsichtig die Zweige auseinander. »So! ich kann sehen! Decken Sie mir
+den Rücken und achten Sie auf jedes Geräusch!« Ewigkeiten schien mir
+sein Schauen zu dauern. Auf dem Bauche liegend starrte ich um mich, daß
+mir die Augen tränten, bis endlich der Major leise pfiff und aus dem
+Busch zu mir kroch. »Nehmen Sie meine Stelle ein,« sagte er. »Sehen Sie
+sich zuerst die Karte an. Wir sind im Santiagotal ... Dies hier ist
+das San Juan Flüßchen. Auf diesem Hügel sind wir. Nun passen Sie auf:
+Sie werden in viertausend Yards Entfernung etwa in ganz unbestimmten
+Umrissen Gebäude sehen. Das ist Santiago de Cuba. Das Glitzernde
+zwischen den beiden Waldlisièren ist das Flüßchen. Suchen Sie das
+ganze Vorgelände ab, ob Sie Truppen oder irgend etwas Bewegliches
+entdecken können.«
+
+Ich kroch in den Busch, mich im Blattwerk deckend, und guckte zuerst
+mit bloßen Augen, dann durch das Glas. Gestrüpp -- Wald -- helle Flecke
+-- wellige kleine Hügel, die wie in Nebel eingehüllt zu sein schienen
+-- ein grauer Streifen am Horizont, auf dem ich im Glas deutlich die
+Rote Kreuzflagge unterschied. Dann suchte ich, zitternd vor Aufregung,
+die hellen Flecke ab, und mir schien, als ob ich einmal oder zweimal
+auf dem Grasfleck vor einem der kleinen Hügel ein Glitzern sähe.
+
+»Bei den Hügeln dort -- dicht beim Flüßchen!« murmelte ich.
+
+»Richtig!« sagte der Major. »Dort bewegen sich zweifellos spanische
+Truppen. Aber suchen Sie vor allem das nähere Vorgelände ab!«
+
+Ich suchte und suchte, Busch bei Busch, Fleck bei Fleck. Das schmale
+Tal erstreckte sich, ein schwer übersehbarer Geländemischmasch von
+Gestrüpp und wirklichem Wald und hellen freien Grasstrecken in fast
+immer gleicher Breite von sechs-oder siebenhundert Metern, bis an den
+grauen Streifen, der Santiago bedeutete. Seine Breite trennte uns von
+unseren Vorposten, die drüben auf der welligen Talgrenze am Waldrand
+standen. Das Flimmern dort vorne konnte ich wieder deutlich wahrnehmen.
+Sonst sah ich nichts. Der Major war zu mir gekrochen.
+
+»Noch etwas gesehen?«
+
+»Nein, Major.«
+
+»Wie weit schätzen Sie die Entfernung bis zu der Wellenlinie, wo Sie
+das Flimmern sehen?«
+
+»Dreitausend Yards.«
+
+»Hm. Zweitausendfünfhundert!« brummte er. »Ich denke, wir haben genug
+gesehen.«
+
+Dann ging es zurück. Ich war jetzt gründlich nervös geworden und ich
+glaube, dem Major ging es ebenso, denn im gleichen Impuls verzichteten
+wir auf das langsame Kriechen und rannten in langen Sprüngen von Baum
+zu Baum und von Busch zu Busch der auffälligen Gruppe von Mangobäumen
+zu, die wir uns wohl gemerkt hatten. Am Gestrüpprand brüllten wir laut:
+
+»Washington!«
+
+»Freunde ...« hallte es herüber, und wir schnellten uns vorwärts im
+Gras, so schnell uns nur die Beine laufen wollten, sehr froh, wieder im
+Schutze der Vorposten zu sein.
+
+»Prosit!« sagte der Major und reichte mir seine Feldflasche. »Bitte,
+trinken Sie mit Andacht, denn das ist ewigalter Kentuckywhisky, und die
+Götter mögen wissen, wann uns ein solcher Trunk wieder beschert wird.«
+
+Er lachte ein unfröhliches Lachen. »Uebrigens haben wir unsere Hälse
+umsonst riskiert. Die San Juan Verteidigungsstellung -- das ist dort,
+wo wir das Flimmern sahen -- ist dem Hauptquartier bekannt. Halten
+Sie nur den Mund über unseren Spaziergang, sonst werden wir auch noch
+ausgelacht! Ich hatte gehofft, auf der Hügelkette da drüben Artillerie
+zu entdecken -- na, und damit ist's Essig gewesen! Die Geschichte war
+also umsonst.«
+
+Da kam ich mir gar nicht mehr wichtig vor.
+
+ * * * * *
+
+Die Pechfackel auf dem alten Zaunpfosten warf feuerrotes, flackerndes
+Licht über die Zelte des Hauptquartiers. General Shafter saß auf einem
+Feldstuhl, gegen die Zeltwand gelehnt, und sah mit seinen scharfen
+grauen Augen von einem zum andern der Offiziere, die ihn umstanden. Auf
+großen Kisten links und rechts neben ihm brannten in Flaschenhälsen
+Kerzen. Um ein Uhr nachts übernahm ich den Hilfsdienst beim Instrument,
+zusammen mit Souder, und wenige Minuten später brachte ich dem General
+eine Depesche. Vom Generalquartiermeister in Siboney, der den Abgang
+eines Maultiertransports mit Infanteriemunition meldete.
+
+»Jesus Christus, was warten Sie noch, Mensch!« herrschte Shafter mich
+an.
+
+»Die Unterschrift, General.«
+
+»Unterzeichnen Sie!« befahl er einem Adjutanten, der nun seinen Namen
+in mein Depeschenbuch kritzelte. »Marsch, Signalmann!«
+
+Ein sacksiedegrober Herr, der Jesus-Christus-General!
+
+Eine Viertelstunde verging. Da kam der Major zu uns ins Signalzelt
+gekrochen und sagte, gemütlich dahockend, auf den schwarzen
+Schnurrbart beißend, wie das seine Art war: »Hm -- Souder -- Carlé --
+nein, kann euch nicht brauchen -- sollt bei mir bleiben. Sie können
+nachher Hastings wecken, Carlé, und ihn in mein Zelt schicken. Der
+rechte Flügel, Kinder, greift bei Tagesanbruch an, und General Chaffee
+braucht Flaggenmänner. Ich werde Hastings hinschicken und zwei Mann.
+Wir werden ebenfalls bei Tagesanbruch losmarschieren und die Linie
+im Santiagotal legen und bei Gott, ich glaube, wir haben das bessere
+Teil erwählt wie Martha in der Bibel. Müßte mich sehr irren, wenn sich
+die Hauptaffäre nicht bei unseren Hügeln« -- er zwinkerte mir zu --
+»abspielt. Mund halten, Kinder! Ich bitte mir übrigens aus, daß morgen
+flott gearbeitet wird!«
+
+» ... Jesus Christus!« gellte es herüber vom Zelt des Kommandierenden.
+
+Und dann brachte ein Adjutant eine Depesche, die merkwürdigerweise
+nicht chiffriert war. So ungefähr lautete sie:
+
+»Kommandierender General der Armee, Washington. -- Greife bei
+Tagesanbruch an. Brauche Verstärkungen, Proviant, Hospitalschiff. --
+Shafter.«
+
+Da schien es uns, als wollten die Minuten so gar nicht vergehen,
+und wir fluchten fürchterlich über den Kleinkram von Depeschen nach
+Siboney, die alle mehr Proviant, mehr Munition forderten. Souder,
+der ein Künstler im Bearbeiten des Tasters war, telegraphierte mit
+fabelhafter Geschwindigkeit, wollte er doch die Arbeit loswerden und
+schwatzen. Zwanzig Minuten lang hielt es der Sergeant in Siboney aus,
+dann unterbrach er:
+
+»=p p p= Privat. Höll' und Verdammnis, seid ihr verrückt geworden? Ich
+komm' nicht mehr mit -- hab doch keine Schreibmaschine hier -- muß
+bleistiftkritzeln -- lang -- samer!!«
+
+»Arbeite, mein Sohn!« antwortete Souder. »Und sei nicht so verdammt
+vertraulich. Wir sind in den Vorposten und du bist sicher vom Schuß --
+also arbeite wenigstens, Freund!«
+
+»Warte -- wenn ich dich erwische ...« kam es wütig klickend zurück.
+
+Woraus hervorgehen mag, daß wir nicht etwa letztwillige Verfügungen
+trafen und uns gegenseitig letzte Lebewohlbriefe an unsere Bräute
+anvertrauten, wie das in frommen Bilderbüchern von Soldaten vor der
+Schlacht berichtet wird, sondern daß wir uns einfach bodenlos freuten
+-- wie kleine Jungens, denen die Mama gesagt hat: »In fünf Minuten
+dürft ihr auf die Straße und Indianer spielen!«
+
+ * * * * *
+
+Die tief heruntergebrannte Pechfackel loderte. Auf dem schlammigen
+Weglein draußen zog es immerwährend, ohne Aufenthalt, vorbei von
+Männern, so müde, daß sie gebeugt schritten. Regiment auf Regiment
+passierte. Mann hinter Mann, so schmal war der Pfad. Graubärtige
+Obersten -- Rekruten mit Kindergesichtern. Bodenlos war das Weglein
+geworden, und die Füße der keuchenden Menschen machten bei jedem
+Schritt und Tritt ein merkwürdig plumpsendes, saugendes Geräusch, wenn
+sich die Stiefel aus dem zähhaltenden Schlick befreiten.
+
+Regiment auf Regiment zog vorbei, dem Feind entgegen.
+
+
+
+
+Die Schlacht vom San Juan Hügel.
+
+ Der Morgen der Schlacht. -- Ein Schattenspiel im Nebel. -- Die
+ Schlacht beginnt. -- Wir legen die Linie nach der Front. -- Meine
+ erste Granate. -- Wie ich das Gruseln lernte. -- Wie andere das
+ Gruseln lernten. -- Auf dem Weg zur Feuerlinie. -- Die Furt. --
+ Die Panik des 71. Regiments. -- In der Feuerlinie am Waldrand. --
+ Wir schießen mit. -- Die Schützengräben im San Juan Hügel. -- Der
+ Gnadenschuß. -- Der Angriff ohne Befehl. -- Der San Juan Hügel
+ wird im Sturm genommen. -- Zusammenhänge der Schlacht. -- Bei den
+ spanischen Gefangenen. -- Rum und Zigaretten. -- Am Lagerfeuer. --
+ Sie begraben die Toten.
+
+
+Die Nacht ging zu Ende. Graugelbe Bodennebel flossen über die Lichtung
+hin, in wellender, wogender Masse, wie Wasserfluten sich übers Land
+ergießen. Menschen und Zelte standen auf einem Nichts; auf dampfigem,
+zitterigem, schwadigem Rauch. Es war bitter kalt. In tiefer Stille
+lag das Hauptquartier, in dumpfes, nächtliches Grau noch gehüllt.
+Gleich trüben Schatten die Zelte. Totenstill war es. Nur in dem
+mächtigen gelben Fleck dort bei dem großen Mangobaum, dem Zelt des
+kommandierenden Generals, war schwaches Licht und lautloses Leben.
+Gespenstisch leuchtete dort Kerzenschein durch die Zeltwände, immer
+wieder unterbrochen von einem Schatten. Da drinnen ging ein Mann auf
+und ab in rastlosem Hin und Her.
+
+Das war General Shafter.
+
+Langsam stiegen die Nebel. Schwaden auf Schwaden lösten sich, in
+weißgrauen Dunst verwallend. Wie Dampf umhüllte es die Zeltmassen und
+schwebte höher und höher. Wie dünner Regen fast fiel der Morgentau, und
+frostig schlichen Kälte und Feuchtigkeit in die Haut.
+
+Da leuchtete warm und rot ein Feuer auf, draußen am Lagerrand.
+
+»Gott sei dank!« Souder nahm unsere Blechbecher und ging.
+
+»Kaffee!« sagte er, als er wiederkam. »Wollen zuerst die Feldflaschen
+füllen!«
+
+»Gute Idee,« murmelte ich.
+
+Ich holte noch zwei Becher. Der dampfendheiße Trank vertrieb uns rasch
+das nasse, klebrige Gefühl und die Uebernächtigkeit. Wir aßen einen
+Zwieback, zündeten die Pfeifen an. Immer mehr und mehr lichtete sich
+das trübe Grau. Da -- da -- was war das? -- Souder und ich sprangen auf.
+
+»Was war das?« flüsterte er.
+
+»Still -- still!«
+
+Kaum hörbar, wie aus ewigweiter Ferne, gespenstisch leise, erklang es
+in dumpfem Schallen -- krang -- krang, krang ... tacktacktack.....
+leise, ganz leise, als ob Erbsen auf einen Blechteller geworfen würden.
+Ein wenig lauter nun, dann schwächer wieder, mit Pausen von Sekunden --
+jetzt in vollerem Klang, und doch schwach und ferne wie abgedämpfter
+Trommelwirbel. Gewehrfeuer. Deutlich erkennbares Geknatter. Nichts
+regte sich um uns. Jeder schien zu stehen und zu lauschen.
+Mäuschenstill war es. Bis die klare Stimme eines Offiziers schallend
+rief:
+
+»Das ist General Chaffee!«
+
+Und im gleichen Augenblick, als folge dem Blitz der Donnerschlag,
+ergellten schrill jauchzende Jubelrufe, geschrien von den Männern des
+Hauptquartiers ... hei -- ih -- hei -- iiii -- ih!
+
+Aus der Stille wurde Bewegung, Wirrwarr.
+
+Offiziere eilten hin und her, scharfe Kommandorufe befahlen das Satteln
+der Pferde. Unser Major kam gerannt, im Laufen eine Pappschachtel
+aufreißend und sich die Revolverpatronen in die Taschen stopfend.
+
+»Signaldetachement -- =attention=!« befahl er. »Myers und Bruning
+bleiben hier. Myers, Sie überbringen dem Stabssergeanten den
+Befehl, für unsere neue Linie gleichzeitig ein Telephon und einen
+Taschenapparat einzuschalten, die je nach Funktionieren ausgewechselt
+werden. Abtreten! Die übrigen -- attention!« Er inspizierte uns rasch
+und lächelte, als er sah, daß wir uns alle Taschen mit Patronen für
+unsere Karabiner und Revolver gefüllt hatten. »Jeder Mann trägt eine
+Rolle Draht! Los!«
+
+Und hinaus ging es auf den schlammigen Pfad, der jetzt öde und
+verlassen dalag; im Laufschritt, in langen Sprüngen, immer vorwärts mit
+dem Draht, den unsere Stangen hoch ins Gebüsch schleuderten. Nichts
+behinderte uns. Die Truppen waren schon in Front. So ging es rasch
+und glatt mit der Arbeit, und als wir nach den ersten tausend Yards
+die Linie prüften, war alles in Ordnung; das Hauptquartier meldete
+sich sofort. Weiter! Das dumpfe Geknatter des Feuergefechts in der
+Ferne hörten wir kaum noch in dem Lärm der Arbeit, als es auf einmal
+schrill und klar irgendwo vorne knallte -- kreng, kreng ... in scharfem
+Gerassel -- kreng, kreng, kreng -- bing ...
+
+»Vorwärts!« schrie der Major. »Vorwärts, Kinder -- wir wollen dabei
+sein!«
+
+Länger wurden die Sprünge. Keinem Menschen begegneten wir auf dem
+Weglein, obgleich das Feuern aus nächster Nähe zu kommen schien. Der
+Schlammpfad verbreiterte sich zu einem breiten Morast, in tausende von
+Löchern und Erhöhungen zertrampelt von Tausenden von Tritten, um eine
+Ecke ging es, und aus dem Halbdunkel, der Stille des Waldwegs wurde
+flutende Helle, dröhnender Lärm.
+
+Von der Kuppe des Hügels da drüben schossen weiße Dampfwolken, und
+dumpfes Gekrache erschütterte die Luft. Nun Stille. In grellem
+Sonnenlicht lag breit der Weg da, frei und offen auf einer Strecke von
+mehreren hundert Metern, dann in dunkler Waldlinie sich verlierend.
+Grasland säumte ihn; ein Busch, ein Mangobaum hie und da. Dicht an
+der Wegbiegung floß träge ein Bach von schmutziggelbem Wasser, das
+San Juan Flüßchen. Zwei Bretter führten über das Wässerlein zu einem
+engen Pfad durch niedriges Gebüsch auf den Hügel. Rechts bog der breite
+Weg ab, das Tal entlang; links führte der Fußpfad zum Hügel. Zwischen
+beiden, ganz im Vordergrund, erhob sich verwittertes altes Gemäuer mit
+allerlei Maschinen, die Ueberreste der alten Zuckermühle von El Pozo.
+Im nächsten Augenblick jagten Reiter an uns vorbei auf das Gemäuer zu,
+sprangen ab, rissen Karten aus den Taschen. Das war der Generalstab.
+
+Bang! krachte ein Geschütz auf dem Hügel.
+
+»Ruhig, Kinder -- ruhig!« sagte der Major. »Der Draht wird von dem
+Mangobaum dort über den Bach gespannt ---- in dem Einschnitt drüben
+errichten wir die Station -- Carlé, bringen Sie das Telephon hinüber
+und stellen Sie die Verbindung her!«
+
+Ich nahm den Apparat und ging zum Steg. Auf den Brettern zauderte ich
+einen Augenblick, denn ich war wie ausgetrocknet vor Durst, hatte
+ich doch den Kaffee in der Feldflasche schon längst ausgetrunken und
+brannte ja die Sonne so glühend heiß herab trotz des frühen Morgens,
+daß der Schweiß in Strömen an mir herunterlief. Aber das Wasser
+da unten, pfui Teufel, nein, das Wasser da unten sah denn doch zu
+schmutzig aus. Ich zauderte -- zauderte ---- und der Durst siegte glatt
+mit sieben Längen über Appetitlichkeit und Vernunft, denn der Lausbub
+beugte sich schleunigst nieder, Blechbecher in der Hand; tauchte ein,
+lüpfte den gefüllten Becher empor und sah in maßlosem Erstaunen, daß
+aus den beiden Seiten dünne Wasserstrahlen spritzten. Links ein Loch,
+rechts ein Loch; eingebeult das eine, ausgebeult und zerfetzt das
+andere. Da -- da war ja eine Kugel durchgefahren! Ich starrte verblüfft
+den Becher an und blieb wie angenagelt stehen. Eine Kugel durch meinen
+Becher gefahren! Während er an meiner Brottasche hing! Und ich hatte
+nichts gemerkt!
+
+»Schmeiß 'n weg -- taugt nichts mehr!« rief Souder, als ob ich das
+nicht selber gewußt hätte.
+
+Nachträglichen Schrecken aber empfand ich nicht und auch dann noch
+nicht, als es über meinem Kopf gellend daherfuhr, doch unwillkürlich
+duckte ich mich. Denn was das unheimliche Sausen da oben bedeutete,
+verstand ich sofort, und jeder andere hätte es verstanden -- s --
+ss -- sss -- surrr -- ssss -------- N -- nein, es läßt sich nicht
+wiedergeben, dieses sausende unheimliche Schwirren, dieses Surren,
+dieses gellende Dahergepfiffenkommen. Aber ich fürchtete mich ganz
+bestimmt noch nicht, sondern trug behutsam das schwere Telephon an
+seinen Platz, wenn ich auch gar zu gern auf irgend etwas losgeballert
+hätte, damit auch andere Leute es sausen und schwirren hörten. Ich nahm
+meinen Karabiner von der Schulter. Der Major sah mir lächelnd zu und
+zerkaute seinen Schnurrbart.
+
+»Warten, warten!« sagte er leise. »Hat noch gar keinen Sinn. Wir kommen
+schon noch daran.«
+
+Im gleichen Augenblick fror ihm das Lächeln fest und seine Augen
+wurden starr. Aber er blieb kerzengerade stehen. Ich fühlte, wie ich
+totenblaß wurde. Mit gellendem Geheul kam da etwas herangejagt, etwas
+Fürchterliches -- sss -- ssss -- hui. iih.. iiiiih ... schrillend
+wie eine Dampfpfeife -- entsetzlich -- ich glaubte den Luftdruck zu
+verspüren -- ich hatte so fürchterliche Angst, daß ich am liebsten
+hinausgebrüllt hätte in Furcht und Grauen wie ein wildes Tier,
+hätte ich nur gekonnt. Aber ich konnte nicht. Der Hals war mir wie
+zugeschnürt. In meiner Kehle steckte ein großes rundes Ding, das mich
+würgte und drosselte und ersticken wollte, während eine eiserne Faust
+mir auf den Schädel schlug. Ich -- wollte -- schreien -- ich -- konnte
+nicht!
+
+Und es war herangeheult und schlug krachend ein. Flammen sprühten auf,
+und ich wurde zu Boden geschleudert ...
+
+Ich spuckte die Erde aus.
+
+»Pfui Deibel,« sagte der Major und diesmal lachte er nicht, »das war
+eine Granate!«
+
+»F -- f -- furchtbar!« stotterte ich.
+
+Und schämte mich nicht zum Sagen, als die klaren harten Augen des
+Majors mich scharf ansahen, denn ich hatte, als echter Junge, eine
+bodenlose Angst, er könne mir die blasse, schlotternde Furcht angemerkt
+haben. Heutzutage würde ich mich schleunigst und gänzlich =sans gêne=
+tief in Mutter Erde einkratzen, wenn Granaten in der Nachbarschaft
+umherheulten -- aber -- aber mir scheint, Krieg läßt sich doch
+am besten führen mit Zwanzigjährigen und den Urimpulsen, die vom
+Urmenschen her in junger Männlichkeit schlummern. In den nächsten
+dreißig Sekunden müssen gewaltige Erregungen an meinen jungen Nerven
+gezerrt haben. Ich weiß noch ganz genau, daß ich an allen Gliedern
+zitterte und am liebsten geheult hätte. Daß ich krampfhaft nach Luft
+schnappte. Daß mir zum Erbrechen übel war. Daß aber die Eitelkeit in
+mir sich auf einmal wehrte, und daß ich mich bolzengerade aufrichtete,
+als es wieder heulend daherkam -- und doch war es nur eine Komödie,
+die ich mir selber vorspielte -- denn ich fürchtete mich wirklich! Ich
+fürchtete mich schandbar!! Die Granate schlug ein. Ziemlich weit weg
+von uns diesmal.
+
+Da kam der Umschwung.
+
+Bang -- bang -- krachten die Geschütze der amerikanischen Batterie auf
+der Hügelkuppe dicht vor uns.
+
+Fünfzig Meter hinter den Geschützen am Kuppenrand lag ein alter
+Stall, oder was das Ding sein mochte, ein halbzerfallenes, niedriges
+Holzgebäude jedenfalls, und auf dem flachen Dach drängte sich eine
+Menge halbnackter Kubaner, die bei jedem Schuß der Batterie ein
+infernalisches Freudengebrüll ausstießen und mit Händen und Beinen
+zappelten in unheiligem Vergnügen. Einen greulichen Skandal machten
+sie. Ich sah ganz mechanisch hin (dennoch schlotterte in mir die
+Angst!) und empfand ebenso mechanisch die Abneigung des weißen Mannes
+gegen derlei südländische Hanswurstiaden. Während ich guckte, kam
+es wieder dahergeheult und -- schlug feuerspeiend und dampfsprühend
+mitten in das Dach, mitten in die gestikulierenden, tanzenden,
+schreienden Söhne der Perle des Südens hinein ... und den Bruchteil
+einer Sekunde später sah das Dach genau so aus wie das gute alte
+Sprungbrett im Ungererbad in Schwabing, wenn an heißen Augusttagen wir
+Jungens uns zum Sprung drängten: Die Señores hopsten. Sie machten die
+erstaunlichsten Kopfsprünge. Sie schienen in geradezu wahnsinniger Eile
+den interessanten Ausblicksort zu verlassen. Es schlenkerte nur so in
+der Luft von kubanischen Freiheitskämpfern. So schnell ist nirgends in
+der Welt jemals eine randalierende Galerie geräumt worden!
+
+Da lachte ich, daß mir die Tränen in die Augen kamen, und lachte und
+lachte, und lachen hätte ich müssen, wenn auch der heulende Dämon
+aus der Maschine mit seinem grimmigen Kriegshumor zwanzig zeternden
+Hampelmännern den Garaus gemacht hätte. Merkwürdigerweise war aber
+nicht ein einziger der Spektakler verletzt worden, wie uns zehn Minuten
+später ein Artillerieleutnant lachend erzählte. Der Major lachte
+auch. Das ganze Detachement lachte. Und in diesem Lachen starb meine
+schlotternde Furcht eines rechtzeitigen Todes; man kann nicht lachen
+und sich fürchten zugleich. Aber in meinem Hals brannte und würgte
+etwas, und die Kehle war mir wie ausgedörrt. Ich sprang die wenigen
+Schritte zum Bachufer hin, warf mich in den zähen gelben Lehm auf den
+Bauch, steckte den Kopf ins Wasser und trank gierig wie ein Tier in
+langen Zügen das schmutzige, lauwarme Zeug --
+
+»Carlé!« rief der Major scharf.
+
+Ich trank und trank.
+
+»Carlé! Lassen Sie den Unsinn! Sie holen sich bestimmt das Fieber!«
+
+Er schüttelte mißbilligend den Kopf, als ich ein wenig beschämt
+zurückkam, mir den Schmutz von Hemd und Hosen reibend, und brummte
+irgend etwas über die verdammte Wassersauferei. Aber in seinen Augen
+war ein Lächeln ...
+
+Die Batterie droben feuerte jetzt nur selten, vereinzelte Schüsse in
+langen Zwischenräumen, und die spanischen Geschütze schwiegen ganz.
+Hie und da summte und surrte es über unseren Köpfen. Im Wald knallten
+vereinzelte Schüsse.
+
+Den schmalen, steilen Hügelpfad herab kamen Kanoniere, halb kletternd,
+halb rutschend, irgend etwas mit sich zerrend; ein graues bündeliges
+Etwas. Als sie die Krümmung im Gestrüpp erreicht hatten, wo der
+Pfad breiter und ebener wurde, hoben sie das graue Bündel auf ihre
+Schultern und schritten langsam näher, behutsam, als trügen sie eine
+schwere Last. Der eine, ein Korporal, salutierte den Major: »Kanonier
+von der Batterie Grimes, =sir=,« meldete er. »Kanonier Johnson,
+=sir=. Herzschuß. Ich habe Order, =sir=, den Toten am Hügelrand zu
+begraben.« Er schlug die Zipfel des Bündels zurück, und da lag in der
+grauen Armeewolldecke ein toter Mann. Aus dem bläulichen, furchtbar
+verzerrten Gesicht starrten weitoffen tiefbraune Augen, als könnten
+sie noch sehen. »Herzschuß, sir,« sagte der Korporal. »Stand neben
+mir. Sprang in die Luft und war tot.« Sie hatten dem Toten Jacke und
+Hemd aufgerissen, und der Korporal deutete feierlich auf den winzigen
+schwarzen Punkt unter der linken Brustwarze, der sich scharf von der
+weißen Haut abhob. Wir grüßten stumm, während die Kanoniere ihre Last
+wieder aufnahmen und im Gebüsch verschwanden.
+
+Es war sonderbar still geworden; nur dann und wann kam das
+peitschenartige Schallen aus dem Wald. Ich sah mich um. Jede Farbe,
+jeder Gegenstand, jeder Schatten trat klar und scharf hervor im grellen
+Sonnenlicht; knallgelb der breite, verlassene Weg, hellgrün das
+üppige Gras am Wegrand, dunkler die mächtigen Wipfel der Gruppen von
+Mangobäumen, leuchtend dazwischen am Weg und im Gras allerlei bunte
+Flecke, blau und weiß und grau. Das weiße Segeltuch der Tornister
+und das Grau der Soldatendecken und das Blau der Uniformröcke, die
+überall umherlagen am Weg entlang. Die zur Front eilenden Truppen
+hatten alles weggeworfen, was sie irgendwie entbehren konnten, und
+mehr. Beim Gemäuer der alten verfallenen Zuckermühle, deren rostige
+Maschinenreste rot glänzten in der Sonne, standen in kleinen Gruppen
+die Generalstabsoffiziere, über Karten gebeugt. Ein Pferd wieherte
+leise. Weiter weg graste friedlich ein Maultier und wedelte krampfhaft
+mit dem geschorenen Schwanzstummel, sich die Fliegen zu verscheuchen.
+Da kam es wieder herangeheult und schlug in Dampf und Flammen ein,
+keine zwanzig Schritt weg von der nützlichen Mißgeburt aus Pferd
+und Esel, die ihre berühmte Indolenz sogar im Granatfeuer glänzend
+bewährte. Denn Mr. Maultier wedelte eifrig weiter mit dem Schwanz und
+ließ sich nicht eine Sekunde lang in der angenehmen Beschäftigung des
+Grasens stören.
+
+»Bravo!« rief Souder. »Das is 'n richtiges, approbiertes,
+Geschützfeuer-stubenreines, verdammt famoses, altes Onkel-Sam-Maultier
+-- hurräh -- schert sich den Teufel um die alten Granaten -- hurräh!!«
+
+Schallendes Gelächter.
+
+Oberst Green kam von der Zuckermühle herbeigeschritten, begrüßte
+unseren Major, flüsterte mit ihm und breitete eine Karte auf den
+Knien aus, hier und dorthin deutend. Ich verstand: »-- spanische
+Batterie feuert mit rauchlosem Pulver -- noch nicht entdeckt -- jawohl,
+überhaupt nur ein einziger Weg -- natürlich verstopft -- nein, Major,
+hat vorläufig noch gar keinen Sinn -- Sie kämen wahrscheinlich gar
+nicht durch mit Ihren Leuten -- wie meinen Sie? -- Hm ...« Dann sprach
+der Major eifrig auf ihn ein, und der Oberst nickte und ging wieder.
+
+»Achtung!« befahl der Major laut. »Sergeant Ryan -- Sie übernehmen die
+Station! Sie bleiben unter allen Umständen beim Apparat und sind mir
+für alle Meldungen verantwortlich. Den Befehl zur Verlängerung der
+Linie bis zum Waldrand dort erhalten Sie von Oberst Green persönlich
+und lassen dann den Draht von drei Mann über die Mangobäume den Weg
+entlang legen. Ich werde nun den geeigneten Platz zur Anlage der
+nächsten Station in der Feuerlinie feststellen. Mit mir kommen --« und
+suchend glitt sein Auge von einem zum andern.
+
+Da sahen wir ihn hungrig an wie gierige Hunde, die lechzend darauf
+warten, wem wohl von ihnen der Herr den Brocken zuwirft.
+
+»Mit mir kommen Souder und Carlé. Eine Signalflagge, Karabiner,
+Revolver, Feldflasche, Glas -- sonst nichts!«
+
+»=Oh hell= ...« murmelte einer der Enttäuschten.
+
+ * * * * *
+
+In zehn Minuten hatten wir den Waldrand erreicht und marschierten nun
+wieder auf dem alten Dreckpfad, der uns schon so vertraut geworden war.
+Die starre Gebüschwand freilich war verschwunden, denn links und rechts
+lag zwar rankenversponnener Urwald, verwuchert von Schlinggewächsen,
+aber ein Stück weit wenigstens konnte man hineinsehen. Da und dort im
+Schlamm steckte ein Tornister, eine Wolldecke, ein Hut. Wir sprangen
+vorwärts, so rasch es gehen wollte in der dörrenden Hitze. Immer noch
+knallten nur vereinzelte Schüsse. Nach einigen hundert Metern kamen
+uns Verwundete entgegen mit blutigen Verbänden um Köpfe und Glieder,
+langsam zurückstolpernd, aber wir sahen kaum hin, denn brennende
+Neugierde und hetzende Ungeduld trieben uns vorwärts. Ein Toter
+lag am Wegrand, die Knie emporgezogen, die Arme lang ausgestreckt.
+Die glasigen Augen schienen starr in den Schlamm zu blicken. Der
+Pfad krümmte sich. An der Ecke, aus den Bäumen, flatterte die Rote
+Kreuzfahne, und am Boden kauerten stöhnende Gestalten, zwischen denen
+Aerzte hin und her eilten. Die Verbände glänzten grell weiß. Wir
+eilten weiter. Das Gewehrfeuer wurde heftiger und schien von überall
+zu kommen; von vorne und von links und von rechts; über unseren Köpfen
+sauste es zischend und surrend und dumpf aufklatschend in Laub und
+Bäumen. Ein Verwundeter blieb stehen, salutierte täppisch und riß die
+Kleider auf, uns in groteskem Stolz eine winzige Schußstelle im Bauch
+unter dem Nabel zeigend.
+
+»Teufel,« sagte er. »Es tut gar nicht weh! Wo is -- mm -- das
+Hospital?«
+
+Ich deutete rückwärts. Und grinsend schritt der Schwerverwundete dahin,
+nachdem er sich noch Feuer für seine Pfeife von Souder hatte geben
+lassen ... »=Good God!=« sagte der Major leise.
+
+Ah -- und nun fing der Tanz an -- racktacktacktack -- rack -- kreng,
+kreng ... schweres rollendes Feuer irgendwo da vorne, klar und hell
+dazwischen Salven. Ueberall um uns schlug es ein in die Bäume. Zu sehen
+aber war nichts -- gar nichts ... Doch! Wieder krümmte sich der Weg,
+und zwischen den Bäumen schimmerte es blau und stählern von Truppen und
+dröhnte von Lärm und Geschrei.
+
+»Laufschritt -- Laufschritt ...« rief der Major.
+
+Ein Leutnant hinkte herbei, eine blutige Binde um den Fuß.
+
+»Schwer verwundet?«
+
+»Nein, Herr Major. Knöchel kaputt.«
+
+»Tut mir leid, tut mir sehr leid. Was sind das für Truppen?«
+
+»71tes Freiwilligen-Regiment. Das New Yorker Regiment, Major.«
+
+»Ich danke sehr.«
+
+Und weiter ging es im Laufschritt, und nach drei Minuten waren wir
+mitten -- in einem Tollhaus. Unter Wahnsinnigen, unter Menschen, die
+Waffen trugen und jung waren, und dennoch kreischten in fürchterlicher
+Angst wie Weiber. Sie stießen sich und drängten sich und schrien und
+duckten und hielten die Hände schützend vor die Köpfe, irgend eine
+unsichtbare Gefahr abzuwehren. Der Weg war völlig verstopft. Ein
+panikgeschüttelter Menschenhaufe wogte hin und her, den Offiziere
+vergeblich vorwärts zu treiben versuchten. Eine Kette hatten sie
+gebildet, die Kapitäne und Oberleutnants und Leutnants, und fluchten
+und schrien und hieben mit den flachen Säbeln drein. Ich starrte.
+Irgend etwas war da -- irgend etwas ...
+
+»Pack, Pack -- verfluchtes Pack!« zischte der Major.
+
+Da warf dicht vor uns ein Korporal mit gellem Schrei die Arme empor,
+stürzte schwer zu Boden, und die Soldaten um ihn wichen entsetzt
+zurück. »Revolver 'raus, Kinder!« schrie der Major. »Mir nach!«
+
+»Platz!! _Platz!!! Zurück in die Bäume!!_!«
+
+Was alle Drohungen und alles Gebrüll der eigenen Offiziere nicht
+vermocht hatten, erzielte das messerscharfe, schrille Kommando mit
+seiner klaren, bestimmten Weisung. Links und rechts von uns taumelte es
+in die Bäume, und langsam wurde der Weg frei.
+
+Ich sah tiefen Schlamm -- sonnenfunkelndes Wasser ... Wir drängten
+uns vorwärts. Der Pfad senkte sich abschüssig und verlor sich in
+einen breiten Bach schmutzigen Wassers. Mitten im Wasser lag ein
+toter Soldat, und dicht am Bachrand kauerten Leichen -- drei -- fünf
+-- sieben ---- im Knäuel, hingeschleudert von den Geschossen; das
+Flüßchen war unter scharfem feindlichem Feuer. Die New Yorker zeterten.
+Hinter uns kam es herangerasselt, und in scharfem Tempo jagte die
+Maschinengeschütz-Abteilung herbei, Reguläre im Laufschritt, drei
+Gatlingkanonen vorwärtsschiebend und stoßend und zerrend. Hop -- hinein
+ins Wasser -- hop -- waren sie hinüber, ohne einen einzigen Mann
+verloren zu haben. Wir mit ihnen. Drüben ertönte eine laute Stimme:
+
+»Re -- gu -- läre! -- auf mein Kommando -- zu Zweien reiht euch ein --
+im Laufschritt -- vorwärts marsch ... marsch -- eins, zwei -- eins,
+zwei -- eins, zwei ...«
+
+Und in scharfem Takt trippelte, als sei sie auf Parade, eine halbe
+Kompagnie regulärer Infanterie heran, geführt von einem blutjungen
+Leutnant, trippelte im gleichen Takt hinein ins Wasser, trippelte
+heraus -- Das panikbefallene New Yorker Regiment aber steckte immer
+noch unter den Bäumen.
+
+Der tückische Zufall des Kriegs hatte es gefügt, daß scharfes,
+indirektes spanisches Feuer sich auf die von überall völlig unsichtbare
+San Juan Furt im Walde konzentrierte, gerade in dem Augenblick, als
+die New Yorker Freiwilligen ins Wasser marschierten. Die ersten waren
+weggefegt worden, in einem Haufen, und da und dort noch im Regiment
+stürzten Getroffene. Die Spitze drängte zurück und die Panik war da.
+Die Soldaten, die im Gedräng nichts mehr sehen, den unsichtbaren Feind
+nicht erblicken konnten, wurden wie toll vor Angst.
+
+Der Major war stehengeblieben und kaute auf den Schnurrbart. »Sie
+erinnern sich doch,« sagte er, »an das Flüßchen, das wir gestern vom
+Hügel aus sahen?«
+
+»Jawohl, Major.«
+
+»Na, das hier ist's. Haben Sie eine Ahnung, ob wir links abgekommen
+sind? Ich glaube, ja. Die erste Wegkrümmung war nach links, die zweite
+ebenfalls, nicht wahr?«
+
+»Jawohl. Die Hügel, die wir sahen, müssen schräg vorne rechts sein.«
+
+»Glaub' ich auch. Hm. Sagen Sie einmal, wie ist Ihnen zumute?«
+
+»Ich -- ich möchte etwas sehen!« stotterte ich.
+
+Er lachte. »Und Sie, Souder?«
+
+»Wenn der Herr Major gestatten -- ich finde, es ist eine verdammte
+Gemeinheit, da im Wald stecken zu müssen und beschossen zu werden und
+nicht ein einziges Mal selber schießen zu dürfen. Und ich bin froh, daß
+ich über dem Wasser bin!«
+
+»Ich auch -- Teufel, ich auch!« lachte der Major. »Na, Kinder, ich bin
+zufrieden mit euch und ich werde noch viel zufriedener sein, wenn ihr
+möglichst wenig plaudert. Wir hätten eigentlich schon längst zur Linie
+zurückkehren sollen und haben hier gar nichts zu schaffen. Ich muß mir
+da erst eine faustdicke Lüge ausdenken, um -- na ja. Wollen uns noch
+ein bißchen umgucken!«
+
+Und er lachte. Ein Spitzbubenlachen ...
+
+Verschwunden waren die harten, energischen Linien aus seinem
+scharfgeschnittenen Gesicht, das der dichte schwarze Schnurrbart älter
+erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war, und verschwunden die
+abwehrende Würde des Aelteren und Befehlenden. So jung ich war, so
+begriff ich doch, daß in ihm das Gleiche vorging wie in mir; daß die
+Neugierde ihn plagte bis zum Bersten und die jungenhafte Sehnsucht,
+dabei zu sein. Ein Junge war er jetzt wie ich -- wie Souder ---- ein
+Junge, der es ebenfalls als eine »verdammte Gemeinheit« empfand, da im
+Wald zu stecken und -- _nicht sehen zu dürfen_.
+
+Fortgesetzt pfiff es über uns dahin.
+
+Der Schlammweg war noch da, aber im Walddunkel blitzten helle
+Strecken auf im Sonnenlicht. Es wurde immer lichter. Die Bäume wichen
+auseinander und bildeten Gruppen, und scharfausgeprägte Lichtflecke
+im Gesichtskreis ließen freies Grasland ahnen. Da fuhr ich auf einmal
+zusammen, denn in das Knattern hinein dröhnte es in rasselnder
+Fürchterlichkeit.
+
+»Die Gatlings!« schrie der Major. »Jungens, wir sind da!« Er riß das
+Glas hervor. »Rechts! Vorwärts -- vorwärts!«
+
+Wir stürmten zwischen den Bäumen dahin, stolperten über Wurzeln und
+Ranken, tappten im tiefen Gras und waren am Waldrand, mitten in langer
+Schützenlinie, umtost von einer Hölle dröhnenden Geknatters.
+
+Mit blitzartiger Geschwindigkeit warfen wir uns zu Boden, denn jetzt
+pfiff es nicht mehr angenehm hoch oben in den Bäumen dahin, sondern
+dicht an den Ohren vorbei. Ich befühlte verstohlen meine linke
+Ohrmuschel -- n -- nein -- es war nichts -- aber es mußte scheußlich
+nahe gewesen sein! Dann räkelte ich mich und streckte mich und bohrte
+mit meiner Körperschwere, um mich der schützenden Erde so nahe
+anzuschmiegen, als es nur irgendwie möglich war.
+
+Rechts lag der Major, links Souder. Schienen sich auch recht wohl zu
+fühlen am Erdenbusen, lagen wenigstens sehr flach da! Ich hob den Kopf
+ein wenig und sah -- nichts. Dicht vor meiner Nase war eine winzige,
+wellenartige, grasbewachsene Bodenerhöhung, was mir sehr zweckmäßig
+schien, aber -- zum Kuckuck, ich wollte doch etwas sehen! Langsam
+streckte ich die Hand vor, jeden Augenblick erwartend, daß eine Kugel
+hineinfuhr, und kratzte mir einen runden Ausschnitt in die schützende
+Deckung. Und nun vergaß ich auf einmal die wiedergeborene Angst und
+starrte wie gebannt in die Sonnenhelle hinaus. Zehn Schritte vor mir
+lag ein toter Regulärer, auf dem Rücken, zusammengekrümmt, das Gewehr
+noch in den Fäusten über dem Leib. Sein Schädel war eine einzige
+Blutmasse.
+
+Vor mir konnte ich eine weite, freie Strecke überblicken. Gras,
+Gestrüpp, ein paar Bäume. Dahinter erhob sich, dreihundert Meter etwa
+entfernt, ein massiger Hügel, an den links und rechts sich andere Hügel
+anschlossen. Es war der San Juan-Hügel. Ich sah durch das Glas. Auf
+dem Hügel rührte sich nichts, aber ich konnte braune Linien entdecken,
+über denen Dunstfäden schwebten. Das waren Schützengräben. Dunst von
+rauchschwachem Pulver. Oben auf der Kuppe des Hügels, im Gestrüpp,
+stand ein Blockhaus.
+
+Neben mir schoß etwas vorwärts; der Major war es, der in zwei Sätzen
+zu dem Toten sprang, sich neben ihn hinwarf -- ah, jetzt griff er nach
+dem Gewehr in seinen Händen und hakte ihm den Patronengürtel aus, dann
+eilig mit seiner Beute zurückkriechend ... Da schob ich den Karabiner
+vor -- bang -- auf die braune Linie dort im Hügel -- bang -- bang.
+
+Neue fünf Patronen. Auch der Major und Souder gaben Schuß auf Schuß
+ab. Ich feuerte und feuerte. Und unaufhörlich kam es herangesaust und
+schlug dumpf ein irgendwo.
+
+Mein Karabinerlauf war heiß geworden. Ich sah um mich. Die Männer der
+Schützenlinie lagen im Gras nach links und nach rechts den Waldrand
+entlang, so weit man sehen konnte. In dichten Haufen hier, vereinzelt
+dort, feuernd, was die Gewehre hergaben. Links, zwanzig, dreißig
+Schritte vor mir, hockte hinter dem dicken Stamm eines Mangobaums ein
+Trompetersergeant, der mit rasender Schnelligkeit schoß. Die glänzende
+Signaltrompete auf seinem Rücken leuchtete wie flackerndes Licht. Und
+Lärm überall --
+
+Stöhnen -- Schreie ----
+
+Jetzt ein Brüllen, daß der Atem mir stockte. Ein wahnsinniges Aufheulen
+-- und ein Mensch sprang empor wie ein Ball und wälzte sich im Gras vor
+der Feuerlinie, sprang wieder auf und brüllte mit einer Stimme, die
+nichts Menschliches mehr hatte:
+
+»M -- mein L -- leib -- das bre -- ennt! -- oah.. oh ...«
+
+Das furchtbare Ding tanzte und sprang und brüllte wie ein Tier -- und
+dann gellte es auf einmal, so überlaut, so entsetzlich, als dränge alle
+Höllenpein und aller Schmerzensjammer sich in einen einzigen Aufschrei:
+
+»=K -- i -- ii -- ll me! K -- ii -- ll me!= Tötet mich -- Freunde,
+tötet mich!«
+
+Ich war auf die Knie geschnellt und hob den Karabiner, aber der Lauf
+zitterte und wackelte wie ein Grashalm im Wind. Das fürchterliche Ding
+vor mir schoß noch einmal auf, taumelte, brach zusammen und lag still
+da. Viele Gnadenschüsse hatten seinen Jammer geendet.
+
+»Ruhe!« kommandierte eine scharfe Stimme.
+
+»Zur Hölle mit der Ruhe!« schrie es in Antwort.
+
+Und plötzlich, als sei das ein Signal gewesen, sprach und schrie ein
+jeder, daß das Stimmengewirr den Feuerlärm übertönte. Die überspannten
+Nerven waren am Zerreißen, und die Spannung machte sich Luft.
+
+»'ran an die Bande da drüben!« schrie einer links. »Hier ist 6te
+Kavallerie.«
+
+»Hier ist 1te Infanterie --«
+
+»Bei Gott, sollen wir Reguläre uns hier verpfeffern lassen?«
+
+Bajonette wurden herausgerissen und schnappten klirrend in die Federn
+an den Gewehrläufen ein. Der Major zog seinen Revolver.
+
+»Schnellfeuer!!« schrie irgend jemand.
+
+Rasselnd rollte das Feuer mit furchtbarer Geschwindigkeit aus
+dem Waldrand. Wie von selbst eine Pause nun. Da schrie der
+Trompetersergeant gellend:
+
+»Jungens -- Reguläre -- gebt ihnen -- Hölle --«
+
+Und er sprang zehn, zwölf Meter weit vor und warf sich hin. Andere
+folgten -- warfen sich hin -- weiter unten andere -- warfen sich hin,
+feuerten ... Auf einmal lag ich ebenfalls ein Stückchen weiter vorne
+und pumpte das Karabinermagazin leer. Noch weiter vorne sah ich den
+Major. Dann rannte es neben mir, und ich lief mit, die Augen immer auf
+dem Major, und holte ihn ein und warf mich hin, weil die anderen sich
+hinwarfen, und feuerte, weil die anderen feuerten.
+
+»Gebt -- ihnen -- Hölle!« brüllte es.
+
+Ich stolperte über Stacheldraht, fiel, sah, wie der Major und Souder
+wenige Schritte neben mir ebenfalls stürzten, griff in den Draht und
+riß mir die Hände blutig, kam frei, sprang wieder vorwärts. Neben mir
+Souder und der Major. Da, ganz in der Nähe, ragte es grasig steil auf,
+und braune und blaue Flecke krabbelten an Händen und Füßen empor; -- da
+-- brüllendes Geschrei ertönte, und vorwärts ging es mit den anderen.
+
+In Grasbüschel krampften wir uns ein, und das niedrige Gestrüpp packten
+wir und schoben und zerrten uns hoch. Plumps -- fielen wir in einen
+Schützengraben, fluchten, kletterten wieder --
+
+und _waren oben_ ...
+
+Unten lag ein Tal voller Gestrüpp, und zwischen dem Gestrüpp sah ich
+zwei, drei weiße Hüte auftauchen, weit weg, und feuerte blindlings
+hinterdrein ------ auf die einzigen Spanier, die ich überhaupt deutlich
+zu Gesicht bekommen hatte!
+
+»Lassen Sie die Schießerei!« sagte der Major. »Wir haben hier überhaupt
+nichts zu suchen und hätten gar nicht mitmachen dürfen. Jetzt aber
+ist es höchste Zeit, an unsere Pflicht und unsere Station zu denken!!
+Warten Sie hier auf mich!«
+
+So wurde die Schlacht vom San Juan-Hügel gewonnen. Nicht von einer
+Armee, nicht von Regimentern, nicht von Kompagnien einmal, sondern
+von einem Haufen, nein, von Dutzenden von Häuflein einzelner Männer,
+denen das anscheinend ergebnislose Schießen aus der Schützenlinie
+auf die Nerven fiel. Dazu kamen die schweren Verluste, gegen die
+man wehrlos war. Ich bin überzeugt, daß der arme Teufel mit dem
+zerschossenen Unterleib, der schreiend in seiner Qual vor der Front
+hin und her taumelte, sein gut Teil zu dem Siege beigetragen hat, zu
+dem mühelosen Siege, denn jenes anscheinend so tollkühne Anstürmen
+gegen den Hügel kostete nur wenige Menschenleben, so aufregend es war
+während der kurzen zehn Minuten des Vorwärtsjagens. Von einzelnen
+Männern wurde der Hügel genommen. Eine Feuerleitung existierte nicht,
+noch irgendwelche höhere Führung, in der entscheidenden Phase. Nicht
+aus Mangel an Disziplin, denn bei den Regulären wenigstens war die
+Disziplin vorzüglich, sondern aus Mangel an Geführtwerden. Gab es doch
+überhaupt keine Verbindung zwischen den einzelnen Verbänden. Man hatte
+sorglos Regiment auf Regiment in den engen Waldweg hineingestopft ohne
+eigentlichen Plan, und in natürlicher Notwendigkeit lösten sich die
+Regimenter sofort in kleine Trupps auf, als sie in die Feuerzone des
+schwierigen Terrains kamen, nach langem hilflosem Beschossenwerden im
+Urwald. Von da aus arbeitete sich eben Trupp für Trupp und Häuflein
+für Häuflein vorwärts; in echt amerikanischer Neugierde und in echt
+amerikanisch leichtsinnigem Selbstvertrauen. Jeder Mann fühlte sich
+als »weißer Mann« und Amerikaner von vornherein mindestens zwei
+Spaniern, zwei »Dagos«, gewachsen. Ein Spanier ist ja für den echten
+Sohn Onkel Sams nur drei Schattierungen besser als ein Chinese. Ein
+verachteter =dago=. Die moralische Ueberlegenheit war da; leicht genug
+einem Feind gegenüber, der sich auf die Defensive beschränkte und seine
+Sache für eine verlorene zu halten schien.
+
+Diese Ueberlegenheit, und nur sie, gab den Ausschlag.
+
+Die spanische Verteidigungslinie auf den Hügeln mit ihren vorzüglich
+angelegten Schützengräben war ganz ausgezeichnet und uneinnehmbar,
+wären Männer gleichen Selbstvertrauens es gewesen, die sie besetzt
+hätten. Der Spanier verfügte obendrein über ein besseres und
+schnellerfeuerndes Gewehr als es das dänische Krag-Jörgensen auf der
+amerikanischen Seite war, das deutsche Mausergewehr -- er kannte
+alle Entfernungen -- alle Vorteile waren auf seiner Seite. So siegte
+nur selbstvertrauender Leichtsinn in diesem exotischen Krieg des
+Leichtsinns. Die Schlacht vom San Juan-Hügel gewannen schneidige,
+leichtsinnige Jungens, die, auch die Regulären nicht, keine wirklichen
+Soldaten im modernen Sinne darstellten trotz aller persönlichen
+Tüchtigkeit, denn sie wurden nicht geführt wie Soldaten. Erst lange
+nach der Entscheidung griffen die ordnenden Hände höherer Führer ein.
+
+Im Hauptquartier herrschte furchtbarer Wirrwarr.
+
+Gegen den Willen des Höchstkommandierenden eigentlich wurden
+die Einzelkämpfe jenes Tags gekämpft und durchgeführt, dem die
+Kriegsgeschichte den Namen der Schlacht vom San Juan-Hügel gegeben hat.
+
+Der alte General Chaffee hatte in den Nachmittagsstunden des 30. Juni
+ganz allein, nur von einem Adjutanten begleitet, das Gelände auf dem
+äußersten rechten Flügel rekognosziert und das Dörfchen El Caney stark
+besetzt gefunden. Mit dem Morgengrauen griff seine Brigade an, unter
+ähnlichen Verhältnissen wie beim San Juan-Hügel später, und während das
+heiße und langwierige Feuergefecht um das kleine Dorf tobte, erhielt er
+General Shafters Befehl, den Kampf sofort abzubrechen und der Brigade
+Hawkins bei den San Juan-Hügeln zu Hilfe zu eilen. Man fürchtete das
+Schlimmste im Hauptquartier. Die starken Verluste im Fernkampf (20
+Offiziere und 100 Mann tot, 70 Offiziere und 700 Mann verwundet),
+zusammen mit Alarmmeldungen wie dem Versagen des 71. Regiments, hatten
+den Stand der Dinge in sehr bösem Licht erscheinen lassen, und über
+die Erfolge des Tages war niemand wohl erstaunter als der Generalstab.
+General Chaffee zögerte. Er fürchtete den demoralisierenden Eindruck
+eines Zurückgehens, das als Niederlage gedeutet werden mußte. Da machte
+sich die Sache eigentlich von selbst. Kleine Trupps stürmten vor,
+und er benützte diesen günstigen Augenblick, mit zwei Regimentern zu
+stürmen. In wenigen Minuten war das alte Steinkastell genommen, das
+Dorf besetzt und der Feind in wilder Flucht.
+
+Gleichzeitig fast oder wenig später spielte sich der Endangriff
+auf den San Juan-Hügeln ab, gleichfalls gegen den Befehl des
+Höchstkommandierenden, der das Abwarten von Verstärkungen anbefohlen
+hatte. In ähnlich selbständiger Weise wurde der Hügel rechts vom
+Blockhaus von versprengten Truppen der Division Kent, der Hügel links
+vom Blockhaus von den Rauhen Reitern, Regulärer Kavallerie und Teilen
+des 1. und 9. Regiments unter Roosevelts Führung genommen. Alle fast
+gleichzeitig. Um drei Uhr nachmittags war die gesamte Hügellinie, die
+in weitem Bogen Santiago umschloß, im Besitz der Amerikaner.
+
+ * * * * *
+
+Ich riß mein Flanellhemd herunter und wand es aus, wie eine Waschfrau
+ein Stück nasser Wäsche auswringt. So naß war es von Schweiß, als ob
+ich es nicht vom Leib, sondern aus dem Zuber Wasser gezogen hätte.
+Den letzten Rest schmutzigen San Juan-Wassers trank ich aus meiner
+Feldflasche und war glücklich, in meiner Tasche unter den Patronen noch
+ein Stückchen steinharten Zwiebacks zu finden. Unterdessen feuerte
+hie und da jemand. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach, und
+den Männern auf dem San Juan-Hügel wurde die Geschichte sehr bald
+langweilig, wenn es ihnen auch nicht an Munition fehlte, da inzwischen
+ein Maultiertransport mit Patronenkisten nachgekommen war. Sie waren
+hungrig und durstig und müde. Und trösteten sich mit allerlei Spässen.
+
+Witze flogen hin und her. Sie verloren den Humor nicht, diese zähen
+Regulären, wenn sie auch völlig erschöpft waren und zur Kräftigung
+nichts hatten als die jämmerlichen Reste verschmutzten Wassers in den
+Feldflaschen, ein paar harte Zwiebacke, ein Stück Speck im Tornister.
+Sie halfen sich selbst, wie sie unter höllischem Feuer sich selbst
+geholfen hatten; kratzten sich neue Schützengräben aus gegen den Feind
+zu mit ihren kurzen, breiten, praktischen Haubajonetten, und ruhten die
+einen, während die anderen arbeiteten, im schwachen, unregelmäßigen,
+abflauenden Gewehrfeuer. Dann eilten Offiziere hin und her und brachten
+langsam Ordnung in die aus allerlei Regimentern zusammengewürfelten
+Soldatenhäuflein und organisierten planmäßiges Arbeiten in den
+Schützengräben.
+
+Der Brigadestab hatte sich hinter dem Blockhaus auf der sanft
+abfallenden Hügelkuppe versammelt. Während der Major mit den Offizieren
+sprach, gingen Souder und ich zu den gefangenen Spaniern hinüber, die
+in Trupps eben herbeigeführt wurden. Dreißig, vierzig Mann mochten es
+sein im ganzen. Sie wurden von einem halben Dutzend Regulärer bewacht,
+die ihnen die Mausergewehre, die Bajonette, und die Patronengürtel
+abgenommen und auf einen Haufen geworfen hatten. Zuerst standen die
+Spanier scheu da, als ob sie Mißhandlungen befürchteten. Als aber
+einer ihrer Wächter betrübt seine leere Feldflasche beguckte, trat
+ein Spanier vor und bot ihm die seine an. Das war in dem Augenblick,
+als wir hinkamen. Der Mann im braunen Khaki betrachtete die Flasche
+vergnügt.
+
+»Wasser?« fragte er.
+
+»=Bueno -- bueno!=« grinste der Spanier.
+
+Der Infanterist setzte die Flasche an den Mund, tat einen tiefen Zug,
+wurde krebsrot im Gesicht, tanzte auf einem Bein umher und hustete
+gewaltig.
+
+»Verdammt, verdammt, verdammt ...« brüllte er, »das ist ja Rum --
+hättest's mir nicht sagen können, daß das klarer Rum ist?«
+
+Da lachten die kleinen Männlein, und Leben kam in sie. Allerlei riefen
+sie uns zu, und wir grinsten und sagten =bueno -- bueno=, wenn wir
+auch kein Sterbenswörtchen verstanden; tranken aber mit um so größerem
+Verständnis einen kräftigen Schluck des brennenden Jamaikarums und
+ließen uns mit Vergnügen ein bißchen in die Feldflaschen schütten.
+Dabei redeten die Gefangenen schnatternd auf uns ein. Sie waren alle
+kleiner als wir und schienen sehr jung. Zuckerhutförmige, weiße
+Strohhüte trugen sie und lappige Segeltuchschuhe und sonderbare
+Uniformen aus weißem Baumwollstoff mit feinen blauen Streifen. Einer,
+ein kleiner Bursche, ein Kind fast noch, stellte sich vor uns hin,
+die Arme ausgestreckt, und erzählte in sprudelndem Wortschwall irgend
+etwas. Wir begriffen sehr bald, denn der temperamentvolle Südländer
+wußte sich in Gesten und Mienenspiel ganz ausgezeichnet auszudrücken.
+Ein Ausdruck furchtbaren Entsetzens kam in sein Gesicht und seine Augen
+sprühten.
+
+»Bum -- bum, bum, bum --« machte er. »=Muy= bum, bum!«
+
+Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und tat als ob er stürze, und
+deutete auf den Boden, und machte eine werfende Handbewegung, einmal,
+zweimal, fünfmal ---- =sempre= bum, bum, bum ... und die Arme ahmten
+die mähende Bewegung einer Sense nach. In seinem Schützengraben mußte
+es bös zugegangen sein.
+
+»Er meint die Gatlings,« sagte der Major, der hinzugetreten war.
+»Maschinengeschützfeuer hat die Kameraden neben ihm weggemäht; kein
+Wunder, daß ihm das auf die Nerven gefallen ist, dem armen Teufel!«
+
+Er sagte irgend etwas zu dem Burschen, der in raschem Stimmungswechsel
+lachend nickte und ein Päckchen Zigaretten hervorzog ... Zwei
+Päckchen, drei Päckchen. Zigaretten! Mir traten die Augen beinahe aus
+den Höhlen vor Neid. Teufel, die hatten Zigaretten, und in meiner
+Tasche waren nur noch ein paar Krumen nassen, schlechten Tabaks! Der
+Major mußte ähnliches empfinden, denn er nahm das Päckchen rasch
+und zündete sich sofort eine Zigarette an, gleich darauf Souder und
+mir eine anbietend. Ob ich zugriff! Ah -- welch ein Labsal das war,
+so scharf die kubanische Zigarette auch schmeckte. Köstlich! Hunger
+und Durst und Müdigkeit waren vergessen. Da drängten sich auch schon
+die Gefangenen um uns und überschütteten uns mit Zigarettenpäckchen,
+die sie in Hülle und Fülle besaßen. Das Silberstück, das der Major
+dem jungen Burschen anbot, wurde zurückgewiesen. Er hielt es noch
+zwischen den Fingerspitzen, als ein Kubaner herbeistürzte, laut auf
+ihn einschreiend, und den silbernen Dollar mit der einen Hand wegriß,
+während er mit der anderen dem Major einen gelben Papierfetzen
+hinwarf. Dann rannte er Hals über Kopf davon und war verschwunden.
+Ein verblüffteres Gesicht, als es der Major machte, hätte kein Mensch
+machen können.
+
+»=D -- d -- damn it!=« stotterte er. »Nix Papier, nix Papier, nix gut
+Papier -- hat der Kerl gesagt. Was beim Kuckuck soll das nun heißen?«
+
+Sein Gesicht wurde noch verblüffter, als ich den gelben Fetzen aufhob,
+denn das nix gut Papier war ein nagelneuer, richtiger, korrekter,
+amerikanischer Zwanzig Dollarschein.
+
+»Was?« rief der Major.
+
+»Ein Zwanzig Dollarschein!«
+
+»Was?« Er sah die Banknote an. »Der Esel! Der unbeschreibliche Esel!!«
+brüllte er, lachend wie nicht gescheit. »Will kein Papier -- hartes
+Silber ist ihm lieber! Hat das Geld natürlich für irgend einen Dienst
+bekommen -- Herrgott, was müssen diese Leute für schlechte Erfahrungen
+mit spanischem Papiergeld gemacht haben ... Stecken Sie 'n ein, stecken
+Sie ihn ein; trinken Sie Mumm extra dry dafür mit Souder, wenn wir
+wieder im Lande Gottes sind!«
+
+So kostete ihm die Schlacht vom San Juan-Hügel einen Silberdollar,
+und uns brachte sie vier Flaschen Mumm =goût americain=, die wir im
+Restaurant des Kapitols in Washington drei Monate später getreulich
+tranken.
+
+Da kam General Hawkins mit seinem Stab, und die spanischen Gefangenen
+wurden in Reih und Glied aufgestellt, um befragt zu werden. Der Major
+schloß sich dem Stab an.
+
+»Wir müssen zurück,« sagte er, als er wiederkam. »Die Linie muß nach
+vorne!«
+
+Der Wald und der Schlammpfad nahmen uns wieder auf. Von den Hügeln her
+hallte schwaches Gewehrfeuer.
+
+ * * * * *
+
+Es war Nacht geworden. Das Ballon-Detachement, das in aller Morgenfrühe
+nicht weit von der San Juan-Furt auf einer Walddichtung einen
+Aufstieg versucht hatte, mit dem Resultat geringer Erkundung, einiger
+Leichtverwundeter und eines zerschossenen Ballons, war bald darauf
+zurückgekommen und hatte schon begonnen, die Linie nach der Front zu
+legen. Wir kampierten beim El Pozo Hügel, auf der ersten Station, und
+sollten mit dem Morgengrauen Drahttransport und Linienbau aufnehmen. An
+Schlaf dachte lange niemand. Der Diensthabende am Instrument gab und
+empfing fortwährend Meldungen, denn die telegraphischen Nachrichten aus
+der Front wurden von unserer Station aus telephonisch weitergegeben.
+Was die Adjutanten, die wenigen Meldereiter und die Ordonnanzen der
+zweiten Station, die irgendwo im Wald steckte, an Depeschen brachten
+und durch uns dem Hauptquartier übermitteln ließen, war fast nie etwas
+anderes als lautes Drängen: Proviant -- Proviant -- Munition! Es fehlte
+am Nötigsten in den Schützengräben. Aber um zehn Uhr oder elf Uhr
+trampelte eine Karawane schwerbeladener Maultiere auf dem La Quasina-El
+Pozo Weg daher, die =Mules= störrisch, die Treiber fluchend über den
+furchtbar schlickigen Weg. Sie erkundigten sich bei uns, ob wir denn
+nicht glaubten, daß auch sie Gelegenheit bekommen würden, »ein bißchen
+mitzumachen«. Auch sie hatte das Schießfieber angesteckt.
+
+In dem wunderschön handlichen Loch dicht bei der Station, das die neben
+uns platzende Granate am Morgen gerissen hatte -- diese Granate und
+dieses Loch werde ich nicht vergessen, wenn ich auch sehr alt werden
+sollte! -- zündeten wir aus allerlei gesammeltem Reisig und dürrem
+Holz ein gewaltiges Feuer an, kochten miserablen Kaffee und brieten
+schlechten Speck. Viele Wolldecken hatten wir uns aufgelesen -- sie
+lagen ja überall umher -- und saßen auf weichen Sitzen, Zigaretten
+rauchend. In hohem Ansehen bei den Kameraden, nicht etwa, weil wir
+hatten mit dabei sein dürfen, denn darüber machten sie nur schlechte
+Witze, sondern weil wir Rum mitbrachten, der den dünnen Kaffee
+merkwürdig verbesserte. Und Zigaretten! Wir sprachen nur wenig. Waren
+viel zu müde dazu. Zwei, drei Feuer flackerten auf der Fläche zwischen
+Hügel und Wald. Die Batterie hatte El Pozo schon längst verlassen, um
+auf einem der eroberten Hügel Stellung zu nehmen.
+
+Einer nach dem andern wickelte sich in Decken und legte sich hin. Ich
+hätte gern geschlafen, aber ich war so unruhig, so aufgeregt, daß
+ich still am Feuer sitzen blieb und grübelte. An meinen Vater dachte
+ich, der mit Leib und Seele Soldat gewesen war, und an die wenigen
+Abende, an denen er sich herbeigelassen hatte, von Königgrätz oder
+von Vionville zu erzählen; kurz, knapp, unpersönlich, wie das seine
+herrische Art war. Wie er ganz sachlich davon gesprochen hatte, daß
+Artilleriefeuer stark demoralisierend wirke -- _und ich dachte an meine
+Granate_ ...
+
+ * * * * *
+
+Da erklang es leise und zitterig irgendwo draußen in der stillen Nacht
+-- tra -- lalalah -- tra -- lalaah ... tara -- rarah.... und die Wälder
+fingen den leisen Trompetenklang auf und erstickten ihn langsam, daß es
+noch leiser und noch wehmütiger schallte -- tara -- tara -- ta -- ra --
+la -- ra -- la -- r -- aaaa ... dumpf austönend in wehem, weichem Moll.
+Und zitternd erklang es wieder und wieder, da nun, dort jetzt. War eine
+Trompete ausgeklungen in leisem Hallen, setzte traurig eine andere ein
+-- tara -- lala ------ Immer und immer wieder zitterte er in die stille
+Nacht hinaus, der Zapfenstreich, der heute traurig erzählte: Gefallen
+auf dem Felde der Ehre!
+
+Sie begruben die Toten.
+
+
+
+
+Der Tag nach der Schlacht.
+
+ Am Lagerfeuer. -- Vom Arbeiten in den Schützengräben. --
+ Nächtlicher Tropenregen. -- Auf dem Weg zur Front. -- Die
+ spanischen Scharfschützen. -- Der stille Wald. --
+ Verwesungsgeruch. -- Das Tal der Toten. -- Der Kopf. --
+ Bloßgelegte Gräber. -- Das Kommen des Grauens. -- Das
+ Leichenfeld. -- Im Hauptquartier des linken Flügels. -- Die
+ Schützengräben auf dem Hügel. -- Heftiges Gewehrfeuer in der
+ Sternennacht. -- Mein Maultierritt. -- Vom Feuerschein beim
+ Feind und dem Rätsel der Nachtattacke.
+
+
+Kühl und frostig kam der frühe Morgen.
+
+Das Lagerfeuer war am Erlöschen, zusammengebrannt zu einem Haufen
+weißlich grauer Holzasche. Nur wenn ein Luftstoß daherstrich,
+leuchteten rote Glutpünktchen auf, und feine rote Feuerschlangen
+huschten wirr umher in dem kleinen Berge weißen Staubes. Zitternd
+schoß da und dort ein schwaches Flämmchen auf, flackerte ein wenig
+in rotgelbem Licht, löste sich los, schwebte sekundenlang über den
+huschenden Feuerschlangen und ward aufgesogen von der rings alles
+umhüllenden, schwarzen, tiefdunklen Nacht. Sekundenlang wurden die
+Schläfer in den Decken dicht am Feuer in gespenstisch verschwimmenden
+Umrissen sichtbar --
+
+Dann und wann, wenn ein Windstoß die schweren Wolkenmassen zerriß,
+tauchten die Bäume und der nahe Waldrand in ungeheuren zackigen
+Schatten auf, scharf sich abzeichnend im matten, fahlen Licht des
+Morgendämmerns. Still war es überall, totenstill. Kein Laut klang
+in die Nacht hinein außer dem leisen, ganz leisen Klicken da drüben,
+zwanzig Schritte weit weg. Ein winziger Lichtstreifen, der Schein
+der Signallaterne bei den Instrumenten, zeigte undeutlich Gestalten
+am Telephon und am Telegraphenapparat, über Taster und Membranbecher
+gebeugt, eifrig schreibend.
+
+Ich saß und lauschte. In dieser Nacht hatte ich kaum geschlafen. Das
+Klicken, das von der Front kam und zum Hauptquartier ging, erzählte
+in kurzen, knappen Meldungen an den kommandierenden General von
+Arbeit, Arbeit, Arbeit. Sie hatten arbeiten müssen wie Maulwürfe in
+dieser Nacht, die müden Männer auf den Hügeln. Tief in die Erde hatten
+sie sich eingegraben, Kilometer auf Kilometer von Schützengräben
+ausgehoben, Verschanzungen aufgeworfen. Hin und wider waren sie
+marschiert, bis die einzelnen Verbände sich nach dem Wirrwarr des
+Schlachttags wieder zusammengefunden hatten. Und in das Erzählen von
+harter Arbeit klang, in den scharfen Befehlen vom Hauptquartier, die
+Sorge --
+
+Denn immer wieder befahl General Shafter neue Verschanzungen, und immer
+von neuem schärfte er den Kommandeuren der Front ein, um jeden Preis
+die Hügellinie zu halten und auf keinen Fall ohne ausdrücklichen Befehl
+über sie hinaus vorzugehen.
+
+Nein, ich konnte nicht mehr schlafen.
+
+So ging ich zu den Instrumenten hin und hockte mich neben Souder, der
+jetzt den Dienst am Fronttelephon hatte.
+
+»Ist nichts Besonderes los,« brummte er. »Weshalb schläfst du denn
+nicht?«
+
+»Kann nicht ---- « murmelte ich.
+
+Gedankenlos hörte ich zu, wie der Sergeant mit halblauter, monotoner
+Stimme eine Meldung telephonisch weitergab -- dringend, dringend,
+dringend. Vom Hauptquartier an die Generale Lawton, Kent, Chaffee,
+Bates ... Da klatschte ein Wassertropfen auf meine Hand, ein zweiter
+nun, ein dritter, und kaum war ich aufgesprungen, als es schon
+herabbrauste in schweren Wassermassen.
+
+»Die Instrumente!« brüllte Souder.
+
+Fluchend rumpelten überall um uns Gestalten in die Höhe. Alles
+rannte blindlings nach den aufgestapelten Tornistern, um tastend und
+tappend in der Dunkelheit die Gummidecken hervorzusuchen. Aber sie
+konnten nicht schützen gegen diese Fluten. Nach vieler Mühe gelang
+es uns, wenigstens ein Zelt für die Station zu errichten und es mit
+den Gummidecken halbwegs wasserdicht zu machen. Die Instrumente
+funktionierten. Die Männer aber, die den Dienst hatten, hockten mitten
+im Wasser, denn in Bächen kam es den Hügel herabgeschossen.
+
+Es regnete und regnete. Nicht einzelne Tropfen fielen, sondern
+schwer und geschlossen sauste es herab, wie ein Strom fast aus
+geöffneter Schleuse. In die Haut drang uns das Wasser, und ins Mark
+hineinzuschleichen schien sich die Kälte. Frierend und zähneklappernd
+standen wir da und rührten uns nicht. Es wäre sinnlos gewesen, gegen
+diese Wassermassen Schutz suchen zu wollen. Flüssiger, breiiger
+Schlamm umspülte unsere Knöchel, und dampfig stieg es auf aus unseren
+ekelfeuchten Kleidern. Und es regnete und regnete; eine Viertelstunde
+lang, eine halbe Stunde.
+
+Dann wurde es mit einem Schlage still. Ueber den Hügeln drüben tauchte
+ein Lichtstreifen auf, wurde breiter, leuchtete heller, und froh
+und warm ergoß sich der Sonnenschein übers Tal. Bald loderten die
+Kaffeefeuer auf, und nasse Menschen umstanden sie in dichten Knäueln.
+Der Dunst trocknender Kleider stieg muffig empor und mischte sich mit
+den Bodengerüchen des tropischen Fieberlandes.
+
+Major Stevens trat zu uns und verteilte aus einem Glasröhrchen
+Chininpillen.
+
+ * * * * *
+
+Es war um Mittag, und die Sonne brannte glühendheiß aus wolkenlosem
+Himmel auf den Weg zum Wald hernieder, auf dem Souder und ich
+dahinschritten, schwer bepackt ein jeder mit Taschenapparat, Flaggen,
+Waffen, Tornister und Decke. Die südliche Station bei der Brigade Bates
+auf dem linken Flügel -- das Ballondetachement legte die neue Linie --
+war uns beiden zugeteilt worden.
+
+Still lag der breite Lehmweg zum Wald da. Zu beiden Seiten, im Gras
+und im lehmigen Schlamm, auf dem die Gluthitze schon harte Krusten
+gebildet hatte, lagen noch in Haufen die Decken, die Tornister, die
+Mäntel, verregnet und verschmutzt. Nicht weit vom Weg unter einem Baum
+streckte ein totes Maultier in grotesker Starrheit die vier Beine in
+die Höhe. Der furchtbar aufgedunsene Bauch des Tieres sah aus wie eine
+große braune Kugel. Schwacher Verwesungsgeruch drang herüber; kaum
+bemerkbar, wäre der Kadaver nicht zu sehen gewesen, aber doch schon
+unerträglich in der eklen, heißen, überfeuchten Hitze.
+
+Von den Hügeln her hallte unregelmäßiges Gewehrfeuer.
+
+Es hatte mit Tagesanbruch begonnen und ununterbrochen den ganzen
+Vormittag gedauert. Nur vereinzelte Schüsse waren es, mit langen
+Pausen oft und seltenem lebhafterem Geknatter. Aus den Meldungen des
+Vormittags wußten wir, daß es nur Feuer aus den Schützengräben war und
+wahrscheinlich hüben wie drüben wenig Schaden anrichtete.
+
+»Sagen sich gegenseitig Guten Tag!« brummte Souder. »Machen ein bißchen
+Spektakel! U -- iih -- wie ist das heiß! An mir ist kein trockener
+Faden mehr --«
+
+Im gleichen Augenblick duckte er sich, denn eine Kugel zischte in
+unangenehmer Nähe über unseren Köpfen dahin. Wir rissen beide die
+Karabiner von den Schultern und spähten links und rechts in den Wald
+hinein, Baum für Baum mit den Gläsern absuchend.
+
+»Ich sehe nichts!« sagte der Sergeant leise. »Wo der Kerl nur stecken
+mag?«
+
+»Dort -- in dem Baum dort!« flüsterte ich.
+
+»Unsinn, Mann! Was du siehst, ist nur ein heller Lichtfleck ...«
+
+Wir waren gründlich angesteckt von der Scharfschützennervosität auf
+der amerikanischen Seite, die in jedem Sonnenfleck in einer Baumkrone
+einen spanischen Schützen sah. Nicht nur jeder Soldat, mit dem wir
+gesprochen hatten, wußte von Hunderten unheimlicher Scharfschützen zu
+erzählen, die sich hinter unserer Angriffslinie umhertrieben, sondern
+eine besondere Depesche vom Hauptquartier hatte sogar befohlen, die
+Wälder sorgfältig abzusuchen und die auf den Bäumen versteckten Spanier
+zu finden und unschädlich zu machen. Die Armeefama übertrieb. Aber
+doch war an den Gerüchten viel Wahres. So manchen Spanier hatten die
+amerikanischen Regulären nach langem Suchen in den Bäumen entdeckt
+und erbarmungslos herabgeschossen; denn die Truppen empfanden das
+heimliche Feuern aus Verstecken innerhalb der amerikanischen Linien
+als etwas Heimtückisches, Unerlaubtes. In Wirklichkeit befanden
+sich diese spanischen Scharfschützen sehr gegen ihren Willen auf
+verlorenen Posten. Sie hatten sich in dem Gelände vor der spanischen
+Verteidigungslinie in Baumkronen eingenistet, als Späher und Vorposten,
+ehe der amerikanische Marsch auf die Hügel begann. Dann waren sie durch
+das rasche Vordringen der amerikanischen Regimenter abgeschnitten
+worden.
+
+Da blieben sie in ihren Verstecken. Höllenqualen der Angst müssen sie
+ausgestanden haben. Blieben, wo sie waren, in Todesangst -- feuerten
+wohl auch auf vereinzelte amerikanische Soldaten in halbem Irrsinn
+-- statt herabzuklettern und sich gefangen zu geben. Sie fürchteten
+sich zu sehr. Man hatte ihnen zu viel erzählt von den amerikanischen
+Barbaren, die gekommen seien, die Insel zu stehlen, und Gnade und
+Barmherzigkeit nicht kennten. Sie mochten bei der Madonna und allen
+Heiligen fest daran glauben, daß der Yankee seinen Gefangenen den
+Bauch aufschlitze, wie das die lieben kubanischen Insurgenten zu
+tun pflegten. So warteten sie zitternd und feuerten blindlings auf
+amerikanische Patrouillen und starben.
+
+Trotz allen Spähens entdeckten wir aber nichts und stampften endlich
+weiter.
+
+Der Pfad war heute noch schlammiger und noch tiefer eingelöchert
+von Tausenden von Menschentritten und Maultierhufen. Als wir um die
+Wegkrümmung bogen, sahen wir unter den Bäumen, ein gut Stück im Wald,
+ein großes weißes Hospitalzelt mit der Roten Kreuz-Flagge. Weiter vorne
+am Pfad hockten überall Verwundete, die zum Erbarmen elend aussahen
+mit ihren schlammbeschmutzten, blutbefleckten Verbänden und den über
+und über schmutzigen Kleidern und den blassen Gesichtern. Sie mußten
+warten, bis die Aerzte Zeit für sie fanden. An einem Busch war ein
+Packmaultier angebunden, und sein Führer verteilte aus einer großen
+Kiste Kautabak und Rauchtabak an die Soldaten.
+
+»Mann, der Tabak ist gut!« hörten wir einen Verwundeten sagen. »Wenn du
+jetzt noch ein bißchen Whisky hättest, würd' ich mir gern _noch_ ein
+Loch in den Arm schießen lassen!«
+
+Totenstille herrschte im Wald. Wo gestern die Kompagnien, die
+Regimenter, die Menschenmassen in der rasenden Eile und dem schreienden
+Drängen der Schlacht dahingestürmt waren auf dem schlammigen Pfad
+und den grasverwucherten Lichtungen, wo Granaten geheult und Kugeln
+gepfiffen hatten, da war es jetzt still und ruhig und friedlich wie
+auf einsamem Buschweg. Hinter uns lag der Verbandplatz; vor uns in der
+Ferne die Hügel. Auf dem Weg selbst begegneten wir keinem Menschen.
+Dann und wann nur tauchten abseits in den Lichtungen Soldatengestalten
+auf, die tiefgebückt mit Hacke und Spaten hantierten, und hie und da
+ertönte leise abgedämpfter Trompetenklang, als letzte Ehrung über
+einem Grab geblasen. Die verstreuten Toten, die ihr Schicksal auf
+versteckter Stelle im Dschungel ereilt hatte, wurden aufgesucht und
+begraben. Langsam tappten wir vorwärts. Der graugelbe Schlamm war oben
+schon verkrustet und verstaubt in der Gluthitze, aber unter der dünnen
+Schicht verbarg sich zähflüssiger Morast, in den man tief einsank
+bei jedem Schritt. Durch das Baumlaub drangen heiß und stechend die
+Sonnenstrahlen. Wie erstarrt schienen Bäume und Büsche. Kein Blatt
+raschelte, kein Grashalm regte sich --
+
+Ich blieb stehen und trocknete mir den Schweiß von der Stirne. »So heiß
+haben wir's noch nicht gehabt!« murrte ich. »Herrgott, die Hitze ist
+kaum zum Aushalten! Und wie dumpfig und sonderbar das riecht!«
+
+Souder wechselte das schwere Telephon von der einen Schulter auf die
+andere und sah sich bedächtig um. »Weißt du was?« sagte er. -- »Machen
+wir, daß wir aus dem alten Wald hinaus und zu unserer Station kommen!«
+
+Aber schon nach wenigen hundert Schritten blieben wir wieder stehen und
+sahen uns an. Einer den andern. Keiner wollte mit der Sprache heraus.
+
+In der Luft lag fade, faulend, süßlich, leiser Verwesungsgeruch.
+
+»Irgendwo im Gestrüpp müssen noch Tote unbeerdigt liegen,« sagte der
+Sergeant endlich. »Was es mit der Luft hier für eine Bewandtnis hat,
+ist klar genug.«
+
+»Aber ein Mensch kann doch nicht von gestern auf heute in Verwesung
+übergehen,« wandte ich erstaunt ein.
+
+»Warum denn nicht?« meinte der Sergeant achselzuckend. »Bei dieser
+Gluthitze! Denk' doch an das Maultier, an dem wir vorbeigekommen sind,
+dicht bei der Station vorhin! Das war gestern auch noch lebendig!
+Wollen einmal nachsehen, wo der arme Teufel liegt --«
+
+Der Weg war hier viel breiter und zerteilte sich in den lichten
+Waldstellen in winzige, in das Gras hineingetrampelte Pfade,
+voneinander getrennt durch niedriges Gestrüpp und kleine hügelige
+Graswellen. Dazwischen ragten breite Mangos und schlanke Kokospalmen
+mit ihren massigen Blättern, die wie große Fächer den Weg
+überschatteten und nur da und dort einen gelbglänzenden, sengenden
+Sonnenstrahl durchdringen ließen. Die Luft war heiß und dumpf und
+dampfig, und in die Schwüle hinein drängte sich der Aasgeruch und
+schien alles zu umschweben und an allem festzuhaften.
+
+»Dort drüben muß es sein!« rief Souder.
+
+Wir stapften durch den Schlamm, bogen seitwärts ab, kamen in hohes
+Gras, und auf einmal trat ich auf etwas Weiches, Klebriges. Ich
+glitschte aus, rutschte und schlug der Länge nach schwer hin, mitsamt
+der Drahtrolle und dem Telephon, dessen Glocke leise klingend ertönte.
+
+»Verdammt!« schrie ich wütend.
+
+»Was gibt's denn?« rief Souder, der einige Schritte voraus war, und kam
+zurück.
+
+Er lachte laut auf, als ich mich brummend zwischen Draht und Instrument
+und Tornister emporarbeitete, aber das Lachen verging ihm bald ----
+»Mann -- du bist dem -- dem Ding da -- auf den Kopf getreten!«
+stotterte er.
+
+Aus der grasigen, welligen Erhöhung mit den verstreuten Lehmschollen,
+da, wo ich gestolpert war, ragte ein menschlicher Kopf aus dem Boden.
+Ein schwarzbehaarter Hinterkopf. Und mitten auf den armen Schädel
+mußte ich getreten sein. Mein schwerer Stiefel hatte die halbverweste
+Kopfhaut auseinandergerissen. Zwischen den schwarzen Haaren schimmerte
+es blutigbraun von ekelerregender Flüssigkeit.
+
+Ich sprang entsetzt zurück und tanzte wie besessen zwischen den
+Grasbüscheln umher, mir krampfhaft die Stiefel abwischend. »Pfui
+Teufel!« brüllte ich in maßlosem Ekel. »Pfui Teufel!«
+
+»Der arme Kerl spürt nichts mehr,« sagte der Sergeant. Aber er machte
+einen weiten Bogen um den Kopf, während er sprach, und kam zu mir
+herüber. Ich fuhr immer noch mit den Stiefeln im Gras hin und her --
+
+»Kann die verfluchte Bande denn die Toten nicht tief genug
+hineinbegraben!« schrie ich außer mir.
+
+Souder zuckte die Achseln. »Machen wir, daß wir weiterkommen!« sagte
+er gelassen. »Schön ist's nicht, aber man muß sich nicht viel Gedanken
+darum machen. Tot ist tot -- und lebendig ist lebendig. Zwischen einer
+toten Katze und einem toten Mann ist nicht viel Unterschied. Beide
+------ aber machen wir, daß wir weiterkommen! Uebrigens kann kein
+Mensch was dafür. Wenn du gestern abend dazu kommandiert worden wärest,
+die Gefallenen zu beerdigen, so hättest du auch keine sechs Fuß tiefen
+Löcher gegraben in deiner Müdigkeit! Der Regen hat's getan! Der hat die
+lose Erde weggewaschen -- man sieht's ja -- guck' nur hin!«
+
+»Ich danke! Fällt mir gar nicht ein!!«
+
+»Hab' dich nicht so!« brummte der Sergeant. »Weiter -- weiter!«
+
+Und ich schämte mich über mein Getue, denn es schien mir unmännlich
+und unsoldatenhaft -- jawohl, ich schämte mich! Aber ich ging mit sehr
+vorsichtigen Schritten und machte einen großen Bogen um jede Erhöhung,
+die ein Grab vermuten ließ.
+
+Der Verwesungsgeruch war und blieb in der Luft.
+
+Einmal sah ich einen Arm aus dem Boden ragen dicht am Weg, ein anderes
+Mal einen bestiefelten Fuß, der in grotesker Steifheit aus der Erde
+emporzuwachsen schien. Und der Aasdunst umfing uns fortwährend.
+
+»Jetzt wird's mir aber bald auch zu viel ------ « sagte Souder, sich
+sein schmutziges Taschentuch vors Gesicht haltend.
+
+Kurz vor der ersten San Juan-Furt begegneten wir einem Korporal vom 5.
+Infanterieregiment mit sechs Mann, die Hacken und Schaufeln trugen. Der
+Korporal war ein graubärtiger alter Regulärer.
+
+»Verdammt, Sergeant,« sagte er knurrig, »Ihr Signalmenschen habt's
+besser als wir!«
+
+»Das verstehst du nicht, mein Sohn!«
+
+»So! Eh? =Damn the whole damned= ---- Sieh mal her!« Er zog eine
+Handvoll Blechmarken aus seiner Tasche, wie jeder Soldat sie zur
+Identifizierung um den Hals trug. »Da! Siebenundzwanzig Mann haben wir
+begraben! Und sie waren nicht schön, die siebenundzwanzig Leichen! Da
+im Wald, dort im Wald, haben wir Löcher gegraben und die =stiffs= unter
+die Erde geschaufelt. Waren wir an einer Stelle fertig, so erwischte
+uns sicher hundert Schritt weiter ein Offizier, der uns an eine andere
+Stelle schickte. Sie liegen überall -- und, Sergeant -- es waren welche
+dabei -- die wir nicht anfassen konnten -- mit den Schaufeln haben wir
+sie in die Löcher gestoßen ...«
+
+»Wir haben auch welche gesehen!« erklärte Souder trocken, und wir
+gingen weiter. Wir durchwateten die Furt, da, wo gestern die 71er
+gefallen waren, und sahen eine Leiche im Wasser liegen.
+
+»Teufel -- Teufel!« rief Souder und sprang in mächtigen Sätzen das Ufer
+hinan. Und ich wußte, daß er das fühlte, was ich fühlte. Was zuerst
+nur Ekel gewesen war, der Abscheu des lebendigen Menschen vor dem
+fürchterlichen Geruch des toten Menschen, wurde jetzt zu einem Grauen,
+zu entsetztem Grauen, was wohl die nächste Wegbiegung bringen konnte --
+zu einer Angst, zu atembeklemmender Angst. Ich sprach kein Wort und er
+sprach kein Wort. Aber ich sah, daß er scheu zur Seite blickte Schritt
+auf Schritt, und er merkte es, daß ich wieder in Furcht und Grauen mir
+jeden Fußbreit Weg, jedes Gestrüpp am Wegrand betrachtete. Der Pfad
+war eng. Undurchdringlicher Busch begrenzte ihn auf der linken Seite,
+während rechts niedriges Gestrüpp den Ausblick auf Baumgruppen und
+Grasland erlaubte.
+
+Und jetzt wurde der Verwesungsgeruch stärker und immer stärker. Wir
+gingen ihm nach -- instinktiv -- ohne ein Wort zu sagen ------
+
+Dicht hinter dem Gestrüpp lag ein Stück nackten, lehmigen Erdlandes,
+auf dem kaum einige Grasbüschel wuchsen. Die kahle Fläche senkte sich
+in sanfter Neigung zu einem Bächlein voll trüben, schmutziggelben
+Wassergerinsels, das irgendwo in den San Juan fließen mochte. Ueber dem
+Bach stieg wellig eine üppige Grasfläche an mit vielen Mangobäumen, die
+scharfe Schlagschatten warfen im grellen Sonnenlicht. Das kleine Stück
+weichen Landes, das einst ein Feld, ein Acker gewesen sein mochte,
+war wie zerfetzt von Furchen und Rinnen und ausgetrockneten Tümpeln,
+gegraben von dem Regenstrom der Nacht im Suchen eines Weges zum Bach
+hinab. Auf diesem Stück Land waren gestern tote Männer beerdigt worden.
+Der Regensturm hatte das weiche, gelockerte Erdreich weggewaschen --
+
+Aus der Furche dort, keine fünf Schritte weit weg, ragten Finger
+empor. Eine rostbraune, verwesende Hand mit einem Stück Aermel, an
+dem gelbe Metallknöpfe schimmerten. Starr und steif reckten sich die
+nassen verwesenden Finger gen Himmel, weit auseinandergespreizt,
+wie anklagend, und an dem einen Finger schimmerte golden ein Ring.
+Der Fuß mit dem Stiefel stak festgeklebt zwischen zwei Erdschollen.
+Den Körper selbst bedeckte noch Erdreich. Wir waren entsetzt
+stehengeblieben, starrend, sprachlos. Dutzende von Gefallenen mußten
+in dem schrecklichen Leichenfeld da liegen. Eiförmig wuchsen die halb
+bloßgelegten Leiber zwischen den Furchen, aus den Erdschollen empor.
+Und der Geruch, der Pesthauch ... Finger sah man; man sah Hände,
+Arme, Füße, Körper. Ein Ellbogen hier, sonderbar gekrümmt, verrenkt,
+unnatürlich. Ein Hinterkopf dort. Der Hals über dem aufgerissenen Hemd
+glänzte bläulich und man sah -- Herrgott, man glaubte wirklich, es zu
+sehen und es mitzuerleben -- wie die Gluthitze ihre Verwesungsarbeit
+verrichtete. Wie es faulte. Wie Haut und Muskeln und Sehnen
+dahinschwanden. Eine braune Lache hatte sich gebildet, auf der es ölig
+glitzerte, und der Hals war nur noch eine blaubraune, verfallende
+Masse --
+
+Drüben über dem Bach im Gras tauchte der Korporal mit seinen Leuten auf.
+
+»Hierher!« brüllte Souder. »=For Gods sake= -- kommt hierher!!«
+
+Der Korporal sprang herbei und prallte zurück, als die Verwesungsluft
+ihm ins Gesicht schlug.
+
+»Wo -- wo?« stotterte er.
+
+Wir deuteten, und er sah die Greuel in der Erde.
+
+»Schnell!« schrie er seinen Leuten zu. »Mein Gott -- schnell, Jungens!
+Erde drauf!«
+
+Und die Schaufeln der schweißbedeckten Soldaten fuhren in die Erde.
+Dicht neben Leibern und Gliedern. Sie arbeiteten wie Wahnsinnige. Sie
+arbeiteten für sich selber. Sie wollten befreit sein von dem Anblick,
+von der Unerträglichkeit. Ein großer Lehmklumpen fiel hart geworfen,
+schwer, klatschend auf den verwesenden Kopf nieder --
+
+Da rannten wir zurück auf den Weg, der Sergeant und ich, und rannten
+weiter und liefen noch ein gutes Stück weit -- bis uns der Atem ausging.
+
+»Das -- das waren gestern noch lebendige Menschen!« keuchte Souder,
+als wir einen Augenblick stehenbleiben und rasten mußten. »Junge --
+lebendige -- Menschen -- =my God, my God=, so könnten wir jetzt auch
+daliegen, du und ich! Und du müßtest dich vor mir ekeln, wenn ich es
+wäre, und ich mich vor dir, wenn es dich getroffen hätte -- =my God=!«
+
+Auf dem kurzen Weg zu unserer neuen Linie sahen wir noch vier halb
+bloßgelegte Leichen. Alle dicht am Weg. Unter den Bäumen und im
+Gestrüpp mußten noch Dutzende und Aberdutzende liegen; Hunderte
+vielleicht, denn der Verwesungsgeruch lag schwer überall in der Luft.
+
+So sah es aus auf dem Feld der Ehre -- am andern Tag ...
+
+ * * * * *
+
+Dicht am Fuß des San Juan-Hügels trafen wir auf die Linie. Die
+Ballonmannschaften waren bereits fertig mit ihrer Arbeit. Dem Draht
+folgend, der straff von Baum zu Baum gespannt war, hatten wir bald
+das Hauptquartier des linken Flügels erreicht und sahen zwischen den
+Zelten das Ende des Isolierdrahts von einem dicken Busch baumeln.
+Wir schalteten ein, meldeten uns und erfuhren, daß unsere Station
+dienstlich Nummer 4 heiße -- =S O= 4. Die neue Blockhausstation war
+=S O= 3, El Pozo =S O= 2, das Hauptquartier, das nicht vorgeschoben
+wurde, sondern auf dem alten Platz verblieb, =S O= 1. Wir machten aus
+unseren Zeltwänden und den Gummidecken ein geräumiges Zelt zurecht.
+Umherliegende leere Munitionskisten gaben einen Tisch und Stühle.
+
+Das Hauptquartier der Brigade lag auf einem schmalen Streifen Grasland
+mit vielen Bäumen, dicht an die steil aufragende Hügelwand gedrängt
+und binnen fünfzig Schritt vom San Juan-Flüßchen begrenzt, das in
+weiter Krümmung hinter dem Hügel dahinfloß. Unser Zelt stand auf einer
+schrägen Stelle dicht im Wasser, nicht weit von den beiden großen
+Zelten des Generals und seiner Adjutanten. Dann und wann krachte oben
+auf dem Hügel ein Schuß.
+
+In die steile Hügelwand waren Stufen geschaufelt worden. Wir
+kletterten hinauf, um den General zu suchen, der irgendwo oben in
+den Schützengräben war, und uns bei ihm zu melden. Die rohe Treppe
+verlief in einen breiten Gang, so tief ausgegraben, daß die hohen
+Wände völligen Schutz vor feindlichem Feuer boten, wenn man sich ein
+wenig duckte. Andere Gänge mündeten rechts und links ab. Die Kuppe
+des Hügels war zerwühlt wie ein Ameisenhaufen. Der breite Hauptgang,
+in dem wir standen, verlief schnurgerade zum Kuppenrand und mündete
+dort in den eigentlichen Schützengraben, der sich weithin dehnte,
+dicht besetzt mit hingekauerten Soldatengestalten. Gut zwei Meter
+breit war der fast mannshoch ausgehöhlte Schützengraben. Eine breite
+Erdstufe an der Vorderseite erlaubte den Schützen, bequem im Liegen
+zu feuern. Sandsäcke in langen Reihen, markiert durch ausgestochene
+Rasenstücke und Gezweig, verdeckten und sicherten die Schützenstellung.
+Als wir den Kuppenrand erreicht hatten, kauerten wir uns vor eine der
+schießschartenartig ausgehöhlten Oeffnungen in der Grabenwand -- sehr
+vorsichtig, denn alle Augenblicke zischte es surrend über unseren
+Köpfen dahin -- und spähten durch die Gläser auf das sonnenbestrahlte
+Gelände.
+
+Dort, halbrechts vor uns, in verblüffender Nähe anscheinend, lag
+Santiago de Cuba. Klar, scharf, grell traten einzelne Gebäude hervor;
+ein riesiges, langgestrecktes, schneeweiß glitzerndes Haus vor allem,
+über dem die Rote Kreuz-Flagge wehte. Andere Gebäude sahen selbst
+in meinem guten Glas undeutlich und nebelhaft aus. Ich schätzte die
+Entfernung auf vielleicht anderthalb Kilometer. Eher weniger. Zwischen
+Hügeln und Stadt erstreckte sich buschiges Gelände mit vereinzelten
+Grasflecken und Baumgruppen. Die Hügelwand senkte sich vom Kuppenrand
+dem Feind zu ziemlich steil in eine Niederung mit vielem Gestrüpp. In
+einer Entfernung von zweihundert Metern waren im Gras und zwischen den
+Büschen da und dort verdächtige Flecke zu sehen, bald gelblich hell,
+bald dunkel und schwarz. Das mußte Erde von Schützengräben sein, und
+dort mußte der Feind liegen.
+
+General Bates, der Befehlshaber des linken Flügels, war im
+Schützengraben weiter rechts, wie uns ein Korporal sagte, den wir
+befragten. Wir liefen hinter den Schützenreihen entlang und meldeten
+uns bei dem General. Der alte Herr, der mit einigen Offizieren im
+Graben kauerte, grüßte dankend und sagte zu einem Adjutanten:
+
+»Mr. Jameson, weisen Sie dem Signalsergeanten eine Ordonnanz zum
+Ueberbringen von Meldungen zu. =Allright=, Sergeant, Sie können zur
+Station zurückkehren. Senden Sie mir, bitte, sofort Nachricht, sobald
+Sie Privattelegramme nach den Vereinigten Staaten annehmen dürfen.«
+
+Kaum waren wir wieder beim Instrument, so lief die erste Depesche ein:
+
+»General Shafter wird um fünf Uhr die Stellung besichtigen und ersucht
+General Bates, einen Offizier zur Führung nach dem Blockhaushügel zu
+senden.«
+
+ * * * * *
+
+Es war nach acht Uhr abends und still überall. Souder und ich saßen
+rauchend vor unserem Zelt, dicht am niederen Eingang; schweigend, damit
+wir das leise Anrufen des Taschenapparats sofort hören konnten. Ueber
+uns glitzerte und strahlte in unsäglicher Pracht der Sternenhimmel;
+milchig, sprühend in weißer Glut in Milliarden von zitternden, bebenden
+Lichtpunkten.
+
+Da fiel ein Schuß. Ein zweiter, ein dritter ... In rascher Folge
+knallte es scharf dröhnend in der stillen Nacht. Und mit einemmal
+peitschte der Schall förmlich daher in donnerndem Klang, in Tausenden
+von Schüssen, in schweren Salven, in rasselndem Schnellfeuer.
+
+Der General stürzte aus dem einen Zelt, die Adjutanten aus dem anderen,
+und Hals über Kopf rannten sie zur Hügelwand, zur Erdtreppe, laufend
+wie Jungens. Ich saß mit offenem Munde da, so überraschend plötzlich
+war der Höllenlärm gekommen. Hoch über meinem Kopf zischte es dröhnend,
+surrend, brausend daher.
+
+Zwei Armeen schossen aufeinander in tiefer Nacht. Die Spanier griffen
+an. Ein schweres Nachtgefecht hatte begonnen.
+
+Wir krochen ins Zelt und warteten in atemloser Spannung auf
+Nachrichten. Das Gewehrfeuer dauerte in ununterbrochener Heftigkeit
+fort. Souder griff wohl zehnmal nach dem Taster, zog aber immer wieder
+die Hand zurück, denn er wagte es nicht, in so ernster Zeit der
+Blockhausstation mit einer privaten Anfrage zu kommen. Endlich klickte
+es nach einigen Minuten, und eine Depesche vom Höchstkommandierenden an
+General Bates lief ein, mit dem Befehl, telegraphische Meldung über den
+Stand des feindlichen Nachtangriffs zu erstatten. Fast gleichzeitig kam
+ein Adjutant und brachte ein lakonisches Telegramm zur Weitergabe an
+General Kent, an die Blockhausstation:
+
+»Was -- bedeuten -- die -- Feuer?«
+
+Als jedoch der Sergeant den Schlüssel öffnete und den Taster ergriff,
+klickten die metallenen Stäbchen nur matt, tonlos beinahe -- _die
+Verbindung war unterbrochen_! Mit einem grimmigen Fluch schob er den
+Schlüssel wieder zu.
+
+»=Break in the line=!« sagte er kurz. »Sind abgeschnitten! Bring' dem
+General das Telegramm, melde ihm, daß die Linie nicht funktioniert, und
+bitte um Orders!«
+
+In langen Sätzen sprang ich die Erdstufen hinan, eilte durch den tiefen
+Hauptgang und war in den Schützengräben. Dicht an die Wände gekauert
+lagen die regulären Infanteristen in langen Reihen da, und in endlosem
+Geknatter hallten ihre Schüsse in die Nacht hinaus. Offiziere rannten
+ab und zu und befahlen immer wieder gellend:
+
+»Niedrig halten -- niedrig halten, Leute! Zweihundert Yards -- auf die
+schwarze Gestrüpplinie -- dort, wo es am dunkelsten ist -- niedrig
+halten!«
+
+Und über die Wälle der Gräben kam es in schweren Lagen vom Feind
+dahergepfiffen, bald hoch in der Luft, wie es schien, bald verzweifelt
+nahe. Feuerschein rötete den Sternenhimmel. Weit rechts von der
+belagerten Stadt flammten am Himmelsrand wie glühende Sonnen gewaltige
+Feuer an drei Stellen, höher das eine als die beiden anderen. Unten im
+Tal leuchtete es dann und wann winzig auf wie Glühwürmchenschein ...
+
+»=Fix bayonets!=« brüllte irgend jemand irgendwo, und klirrend fuhren
+die Eisen auf die Gewehrläufe.
+
+Am Ende des Hauptgangs fand ich den General. Er sah mich sofort und
+fragte kurz:
+
+»Nachrichten? Was gibt's, Mann?«
+
+Ich überreichte die Depesche vom Hauptquartier und meldete die
+Unterbrechung der Linie.
+
+»Was? Der Draht funktioniert nicht?« rief der alte Herr scharf. »Sie
+müssen sofort los und unter allen Umständen den Fehler finden. Die
+Verbindung muß schleunigst wiederhergestellt werden. Können Sie das?«
+
+»Ich glaube ja, General. Die Linie bis zur Blockhausstation ist nur
+kurz und unschwer abzusuchen.«
+
+»Im Dunkeln?«
+
+»Wir haben Magnesiumfackeln.«
+
+»Gut. Machen Sie sich unverzüglich an die Arbeit. Haben Sie Anschluß,
+so senden Sie General Shafter diese Depesche.« Die Meldung an das
+Hauptquartier, die mir der General nun diktierte, hatte ungefähr
+folgenden Inhalt: Nordwestlich von Santiago brennen drei große Feuer
+auf den Hügeln. Was diese Signale bedeuten, ist nicht bekannt. Das
+feindliche Gewehrfeuer scheint von den spanischen Schützengräben zu
+kommen. Wahrscheinlich steht ein Angriff bevor.
+
+Ich kugelte beinahe die Erdstufen hinab, in solcher Eile war
+ich, denn die allgemeine nervöse Erregung da oben auf den Hügeln
+über das unheimliche nächtliche Gewehrfeuer hatte mich gründlich
+angesteckt. Souder hatte das Tascheninstrument und Ersatzdraht
+bereits hergerichtet. Dicht beim Adjutantenzelt stand, an einen Busch
+angebunden, ein Maultier.
+
+»Nimm das Maultier!« sagte der Sergeant. »Du kommst schneller vorwärts
+dann!«
+
+Und ich kletterte in den infam unbequemen hölzernen Packsattel,
+schlug dem Tier die Hacken in die Seite, und los ging es. Es war
+ein abscheulicher Ritt, wenn er auch nur eine knappe Viertelstunde
+dauerte. Wir hatten nur noch eine einzige Magnesiumfackel in unseren
+Tornistern gefunden, und die mußte aufbewahrt werden zur Arbeit
+an der Bruchstelle. So ließ ich alle paar Schritte ein Zündholz
+aufflammen und starrte in dem schwachen Lichtschein zur Linie hinauf,
+ob sie noch straff gespannt war. Dabei bockte das Biest von einem
+Maultier fortwährend. Obendrein war der eckige Holzsattel das reine
+Folterinstrument. Auf einmal --
+
+»Halt! Ha -- aalt!«
+
+»=Friend=!« schrie ich.
+
+»Losung!«
+
+Zum Teufel -- ich hatte die Losung nicht! In meiner Verwirrung dachte
+ich darüber nach, was ich antworten sollte ... da knallte es, und eine
+Kugel pfiff dicht an meinem Kopf vorbei.
+
+»Du verdammter Lümmel!« brüllte ich in unbeschreiblicher Wut. »Wenn du
+noch einmal schießt, hau' ich dir alle Knochen kaputt, =you son -- of
+-- a -- gun= -- du ballernder Sohn einer alten Kanone! Hier -- ist --
+Signalkorps! Bei der Arbeit! Hörst du, du Narr!«
+
+Und auf dem ganzen Ritt hörte ich Kugeln pfeifen. Auf den Hügeln wurde
+geschossen, vom Feind her kam es, und hinter den Hügeln schoß man erst
+recht. Das nächtliche Feuern hatte die Menschen verrückt gemacht. Sie
+verloren den Sinn für Richtung. Sie witterten einen Feind in jedem
+Geräusch, ob das nun vor ihnen war oder hinter ihnen, und blafften
+schleunigst darauf los. Mindestens sechs, sieben Mal ist auf mich und
+das alte Maultier geschossen worden in jener Nacht.
+
+Ziemlich in der Nähe der Blockhausstation erst fand ich den Bruch an
+einer niedrigen Stelle, zwischen zwei Büschen. In drei Minuten war der
+Schaden ausgebessert, und ich gab meine Meldungen auf. Klickend kam es:
+
+»Von General Kent. -- Feind greift nicht an. Nichts Neues.«
+
+»Von General Lawton. -- Nichts Neues. Falscher Vorpostenalarm.«
+
+»Vom Hauptquartier. -- Was -- bedeuten -- Feuer? Sofort Bericht!«
+
+Langsam begann das Gewehrfeuer abzuflauen. In gestrecktem Galopp jagte
+ich zur Station zurück ------
+
+ * * * * *
+
+Was die flammenden Holzstöße auf den Bergen bei Santiago bedeutet
+hatten, erfuhren wir erst viele Wochen später. Es waren verabredete
+Signale, die die Ankunft von 3000 Mann Verstärkungen für die Spanier
+unter General Escario bedeuteten. Die Frage, ob es sich bei dem
+heftigen Feuer in der Nacht zum 3. Juli nur um nervöses Geschieße oder
+um den wirklichen Versuch einer Nachtattacke der spanischen Truppen
+handelte, ist nie gelöst worden.
+
+
+
+
+Der Untergang der spanischen Flotte.
+
+ Jubel in den Schützengräben. -- Der Hafen von Santiago de Cuba. --
+ Das Felsentor. -- Castillo del Morro. -- Das Warten, das Lauern! --
+ Die Heldentat des Leutnants Hobson. -- Durchbruch des spanischen
+ Geschwaders. -- Die Seeschlacht. -- Die Hölle der fünfunddreißig
+ Minuten. -- Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer in den Grund.
+ -- Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte des Seekriegs. -- Der Mann
+ im Kommandoturm und der Mann hinter der Kanone. -- Was von der
+ Gespensterflotte übrig blieb.
+
+
+Um elf Uhr nachts wurde es still oben in den Schützengräben und drüben
+beim Feind. Das Instrument klickte leise und perlte in eiligen Punkten
+und Strichen Wort auf Wort und Satz auf Satz hervor -- Anfragen
+vom Hauptquartier, ob über die Bedeutung des Feuerscheins etwas
+bekanntgeworden sei; Befehle, die Vorposten zu verstärken und in keinem
+Fall die Schützengräben zu verlassen.
+
+»Leg dich hin! In drei Stunden wecke ich dich!« brummte Souder.
+
+In wenigen Minuten war ich eingeschlafen -- und dann weckte mich
+der Sergeant -- und dann träumte ich vor mich hin und die Stunden
+vergingen, ohne daß wir angerufen wurden -- und dann weckte ich
+wieder ihn -- und so trieben wir es bis in den hellen Morgen hinein,
+glückselig, endlich einmal gründlich schlafen zu können.
+
+Die Ordonnanz hatte uns Kaffee und gebratenen Speck und Zwiebäcke vom
+Kochfeuer des Stabs geholt. Die unteren Wände unseres kleinen Zelts
+schlugen wir hoch, Luft und Sonne hereinzulassen, denn prachtvolles
+Tropenwetter hatte dieser Sonntag Morgen gebracht, hell und sonnenfroh
+mit kräftigem Wind, der das Feuchte und Dumpfige der Hitze wie zaubernd
+hinwegfegte.
+
+»=hr hr hr!=«
+
+Wir beugten uns beide über den Apparat und lasen staunend die Depesche
+vom Hauptquartier, die kurz befahl, die Feindseligkeiten einzustellen,
+da der Höchstkommandierende Santiago zur Kapitulation aufgefordert und
+das Bombardement der Stadt angedroht habe! -- Souder rannte nach dem
+Zelt des Generals.
+
+Nun verging Stunde auf Stunde in gespanntem Warten. Da, Mittag mochte
+es sein, klickte es scharf und eilig -- =S O 4 -- S O 4= ----
+
+»=hr -- hr -- rrrrrssssss ---- hr!=«
+
+Und die Augen traten uns fast aus dem Kopf, denn das surrende Sausen im
+Magneten bedeutete, daß der Geber drüben auf =S O 3= in fieberhafter
+Ungeduld den Taster tanzen ließ, und es sagte so deutlich, als hätte
+er es uns in die Ohren geschrien: Wichtig -- aufpassen, aufpassen --
+wichtig über alle Maßen!
+
+»Sie haben kapituliert!« flüsterte Souder.
+
+Ganz langsam und klar kam es:
+
+»General Bates. -- Flottenmeldung. Das spanische Geschwader ist
+vernichtet. Cervera gefangen. Sämtliche feindlichen Schiffe sind
+zerstört. Die amerikanischen Geschwader haben weder Schiff noch Mann
+verloren. -- Shafter.«
+
+Wir starrten uns an und waren sekundenlang wie gelähmt von dem
+gewaltigen Eindruck der wenigen gewaltigen Worte. Dann riß der Sergeant
+das Telegrammformular an sich und sprang in mächtigen Sätzen zum Hügel,
+zum General, der kurz zuvor das Quartier verlassen und sich in die
+Schützengräben begeben hatte. Ich blieb im Zelt und wartete krampfhaft
+auf den nächsten Anruf. Aber der Klopfer rührte und regte sich nicht.
+Da erklang es leise wie fernes Brausen in dumpfem, undeutlichem Klang
+und doch machtvoll und stark, daß es einen im Innersten packte und
+klopfenden Herzens lauschen ließ. Lauter wurde der Schall und immer
+näher kam er. Und mit einem Male ergellte es droben auf unserem Hügel
+in furchtbar schrillendem Stimmenklang aus Tausenden von Männerkehlen
+in hellem Jubel -- das wilde amerikanische Hurra, den Indianern
+abgelauscht in seinem schrillen Klang:
+
+Ii -- iii -- iih ...
+
+Urgewaltig. Furchtbar. Minutenlang dauerte das Gellen und das Gebrause.
+Der Siegesjubel der Männer in den Schützengräben. Ich stand vor dem
+Zelt und brüllte mit, wie betrunken, was Brust und Kehle nur hergeben
+wollten.
+
+ * * * * *
+
+Die Einfahrt zum Hafen von Santiago de Cuba ist einer der schönsten
+Flecke der Welt. Ungeheure Felsenmassen ragen aus tiefblauem Meer
+in tiefblauen Himmel empor, steil abfallend, und spalten sich in
+winziger Enge, einem Meeresarm Durchlaß zu gewähren, so schmal, daß
+zwei große Seeschiffe nicht nebeneinander die Einfahrt wagen können.
+Es sieht aus, als hätte das Meer einst in Arbeit von Jahrhunderten
+seinen Weg hineinfressen müssen in die Felsen und sich die lange
+schmale Wasserstraße bahnen, die erst nach vier Seemeilen sich zu der
+gewaltigen Bucht weitet, an deren Ostrand Santiago de Cuba liegt.
+Droben auf den Felsen bei der Einfahrt klebt in schwindelnder Höhe
+ein uraltes, spanisches Festungswerk, das Castillo del Morro, mit
+altertümlichen Bastionen und Felsentreppen und verwitterten Mauern.
+
+Jetzt dröhnten um Felsennest und alte Burg und blaues Meeresgestade
+seit Wochen schwere Schiffsgeschütze.
+
+In der Bucht von Santiago hatte das spanische Geschwader des Admirals
+Cervera Anker geworfen und ergänzte krampfhaft seine Kohlenvorräte
+aus den kümmerlichen Hilfsmitteln der verlotterten spanischen
+Hafenverwaltung, während in den Maschinenräumen die Ingenieure
+fieberhaft klopften, hämmerten, reparierten. Draußen aber vor
+der Felsenenge lagen Tag und Nacht die Panzer des amerikanischen
+Geschwaders -- wartend, lauernd -- lauernd, wartend ... Denn jeden
+Augenblick konnte die spanische Flotte zwischen den Felsenwänden
+hervorbrechen. Noch war die Gespensterflotte eine ständige Drohung und
+eine stete Gefahr.
+
+Die Hafeneinfahrt zu erzwingen schien unmöglich. Wenn auch die
+altmodischen Geschütze des alten Kastells nicht viel taugten, so
+schützten die Einfahrt doch zwei moderne Batterien auf den Felsen und
+zahllose Seeminen. Die Amerikaner begnügten sich damit, die dicken
+Mauern des alten Forts und die Batterien immer wieder zu bombardieren,
+aber ohne viel Schaden anzurichten. Freilich machten sie schon in
+den ersten Tagen der Blockade einen tollkühnen Versuch, die schmale
+Hafeneinfahrt so zu versperren, daß dem spanischen Geschwader ein
+Passieren unmöglich würde.
+
+Der Plan wurde von dem Marineleutnant Hobson erdacht und durchgeführt.
+Ein großer Kohlendampfer, der »Merrimac«, ein hundertundzwanzig Meter
+langes Schiff, sollte der Türriegel des Felsentors werden. Seine
+Unterwasserventile und besonders gebohrte Löcher unter der Wasserlinie
+wurden nur leicht geschlossen und durch hölzernes Hebelwerk so
+schwach gestützt, daß die Erschütterung einer schweren Explosion die
+Verschlüsse wegfegen und das Schiff sofort zum Sinken bringen mußte. Im
+Schiffsraum am Bug wurden Sprengladungen angebracht, die von der Brücke
+aus elektrisch entzündet werden konnten. Hobson wollte den »Merrimac«
+mitten in die Felseneinfahrt steuern, wenden, und das Schiff in der nur
+hundert Meter breiten und wenig tiefen Einfahrt sinken lassen. So daß
+es wie ein Querdamm die schmale Wasserstraße sperrte. Das Unternehmen
+mußte aller Voraussicht nach das Leben der Männer kosten, die diesen
+schwimmenden Türriegel lenkten.
+
+Am 3. Juni kam der waghalsige Plan zur Ausführung. Der »Merrimac«
+mit Leutnant Hobson und sieben Freiwilligen bemannt, fuhr in voller
+Fahrt der Felsenenge zu und erhielt furchtbares Feuer von Morro, den
+Batterien auf den Felsen und dann, als er die Einfahrt erreichte, auch
+von zwei spanischen Kreuzern, die in einer Krümmung der Wasserstraße
+verborgen waren. Nur ein einziger Schuß traf. Aber dieser eine Schuß
+zerschmetterte das Steuerruder des »Merrimac« in dem Augenblick, als
+Hobson die Mine springen ließ. Die Wendung, die das sinkende Schiff
+ausführen sollte, wurde dadurch unmöglich, der »Merrimac« trieb
+noch ein Stück weit dem Felsenufer zu und sank dicht am Strand, die
+Fahrtrinne freilassend. Der Plan war mißglückt. Leutnant Hobson und
+die Mannschaft waren wie durch ein Wunder unverletzt geblieben und
+konnten in das Boot springen, das der »Merrimac« mit sich schleppte.
+Aber ein Entkommen war unmöglich, und sie mußten sich der Pinasse eines
+spanischen Kriegsschiffs gefangen geben.
+
+Wieder begann das Warten und das Lauern, das Lauern und das Warten ...
+
+Nach der Schlacht vom San Juan-Hügel wurde die Lage des spanischen
+Admirals unerträglich. Siegten die amerikanischen Truppen zu Lande, so
+mußte die Kapitulation von Santiago de Cuba die unrühmliche Uebergabe
+seines starken Geschwaders nach sich ziehen, ohne daß es sich ernstlich
+mit dem Gegner gemessen hatte.
+
+Admiral Cervera beschloß den Durchbruch.
+
+Als im Morgengrauen des 3. Juli das Morrokastell meldete, daß das
+amerikanische Schlachtschiff »Massachusetts« verschwunden sei und der
+Panzer »New York«, das Flaggschiff des amerikanischen Admirals Sampson,
+nach Osten dampfe, hielt er die Gelegenheit für günstig.
+
+Das spanische Geschwader bestand aus den vier großen Schlachtschiffen
+»Infanta Maria Teresa«, »Almirante Oquendo«, »Viscaya« und »Cristobal
+Colon«, sowie den beiden schnellen Torpedobootzerstörern »Pluton« und
+»Furor«. Die beiden amerikanischen Geschwader der Admirale Sampson und
+Schley aus den großen Schlachtschiffen »Massachusetts«, »New York«,
+»Iowa«, »Indiana«, »Oregon«, »Texas«, »Brooklyn« und einer Reihe von
+Hilfsschiffen. Die »Massachusetts«, die nach Guantanamo gedampft war,
+um ihre Kohlenvorräte zu ergänzen, und die »New York«, die Admiral
+Sampson zu einer Besprechung mit General Shafter in Siboney landen
+sollte, kamen für den Kampf vorläufig nicht in Betracht.
+
+Vor der Felseneinfahrt lagen, zwei Seemeilen entfernt, in ungeheurem
+Bogen die amerikanischen Schlachtschiffe. Um halb zehn Uhr morgens
+erschien die »Maria Teresa«, das Flaggschiff des spanischen Admirals,
+in der Felseneinfahrt. In Abständen von 800 Metern folgten die übrigen
+spanischen Schlachtschiffe und viel später erst, aus irgend einem
+unerklärlichen Grunde, die beiden Torpedobootzerstörer. Sie brachen
+in rasender Fahrt hervor. Der Kesseldruck war vor dem Auslaufen
+durch künstliche Mittel aufs äußerste gesteigert worden, während die
+amerikanischen Schiffe unter kleinen Feuern dalagen, wie sie gelegen
+hatten seit vielen Wochen. In langer Linie wandte sich die spanische
+Flotte nach Westen und eröffnete sofort das Feuer.
+
+ * * * * *
+
+Der Kampf, der sich nun abspielte, liest sich in unseren Zeiten der
+Dreadnoughts und des sorgfältigen Abwägens von Schiff gegen Schiff,
+Geschütz gegen Geschütz, Gefechtswert gegen Gefechtswert wie ein schwer
+zu glaubendes Märchen. Mag der Kriegswissenschaftler auch einwenden,
+daß die spanischen Schlachtschiffe vom Maschinenraum bis zu den
+Geschützen sich in einem Zustand schlimmer Vernachlässigung befanden,
+das Märchen bleibt. In seiner Gesamtheit war das Ende des Kampfes
+vielleicht vorherzusehen -- in seinen erstaunlichen Einzelheiten
+niemals.
+
+Die spanische Flotte ließ das amerikanische Geschwader bald weit
+hinter sich zurück, und nur ein einziges amerikanisches Schiff,
+die »Brooklyn«, hatte Dampf genug, zu folgen. Eine Viertelstunde
+lang schien es, als sei der waghalsige Durchbruch geglückt. Die
+»Brooklyn« ertrug das gesamte Feuer der vierfachen Uebermacht allein,
+und die Schüsse der anderen amerikanischen Schiffe mußten auf so
+große Entfernungen abgegeben werden, daß sie sehr wenig wirksam
+waren. Aber der künstlich gesteigerte Dampfdruck der Spanier ließ
+bald nach, während in den amerikanischen Maschinenräumen fieberhaft
+gearbeitet wurde. Langsam verringerten sich die Entfernungen, und die
+Schlacht begann. Die »Oregon« kam an die feindliche Linie heran,
+dann die »Texas«, und ein furchtbarer Granatensturm fegte über die
+spanischen Schiffe. »Maria Teresa« und »Almirante Oquendo«, die von
+ihren Genossen, der »Viscaya« und dem »Colon«, überholt worden waren
+und nun als letzte in der Linie dampften, standen in zwanzig Minuten
+lichterloh in Flammen, schwer getroffen, kampfunfähig. Treffer in
+den Geschütztürmen hatten ein entsetzliches Blutbad unter ihren
+Mannschaften angerichtet. Die beiden Schiffe waren verloren.
+
+Langsam wandten sie sich der Küste zu und liefen auf den Strand,
+zerfetzt, zerschossen, brennend.
+
+Das war fünfzehn Minuten nach zehn Uhr. Fünfunddreißig Minuten hatten
+den gewaltigen Kriegsmaschinen den Garaus gemacht. Fünfunddreißig
+Minuten in einer Hölle von Flammen und Verderben. Viele der spanischen
+Matrosen sprangen in ihrer Todesangst über Bord und versuchten, an Land
+zu schwimmen. Doch kubanische Insurgenten, die in der Nähe des Strandes
+kampierten, waren herbeigelaufen und feuerten erbarmungslos auf die
+Unglücklichen im Wasser, bis ein amerikanisches Schiff Mannschaften
+landete und die Bestien mit dem Bajonett vertrieben wurden.
+
+ * * * * *
+
+Zwanzig Minuten nach den vier spanischen Schlachtschiffen waren die
+beiden schnellen Torpedobootzerstörer »Pluton« und »Furor« zwischen den
+Felsenwänden erschienen und von den amerikanischen Schlachtschiffen
+»Iowa« und »Indiana« beschossen worden, die aber ihr Hauptaugenmerk
+auf die großen spanischen Panzer richten mußten. Die Zerstörer wurden
+schwer beschädigt, waren aber nicht kampfunfähig. Vernichtet wurden sie
+durch -- ein winziges, ungepanzertes, amerikanisches Schifflein, eine
+kleine Yacht, die eine einzige Granate zerfetzt hätte.
+
+_Admiral Plüddemann_ schreibt in seinem Werk »_Der Krieg um Kuba_«:
+
+»Immerhin lag die Gefahr vor, daß sich die Zerstörer vermöge ihrer
+großen Schnelligkeit dem Feuerbereich der Schiffe bald entziehen
+würden. Da trat die »Gloucester« in Aktion. Dieses Fahrzeug war vor dem
+Kriege eine Privatyacht mit Namen »Corsair« gewesen, es hatte eine hohe
+Geschwindigkeit und war durch Armierung mit Schnell-Lade-Kanonen in
+einen, sozusagen, Hilfstorpedobootszerstörer verwandelt worden.
+
+Als die ersten Schiffe in der Hafeneinfahrt erschienen, dampfte
+»Gloucester« mit mächtiger Fahrt darauf zu und ließ den Dampfdruck hoch
+gehen, da das Erscheinen auch der Zerstörer mit Sicherheit zu erwarten
+war. Als diese etwa zwanzig Minuten später herauskamen, dampfte sie mit
+17 Knoten Fahrt darauf zu, engagierte die schon durch die Panzerschiffe
+schwer Beschädigten dann auf nahe Entfernung und zerschoß sie, ohne
+selber getroffen zu werden, dermaßen, daß der »Furor« 15 Minuten nach
+dem Auslaufen bei einem letzten Versuch, die Hafeneinfahrt wieder zu
+gewinnen, in sinkendem Zustande auf den Strand gesetzt wurde, während
+der »Pluton« wenige Minuten später in tiefem Wasser sank. »Gloucester«
+rettete, was noch an Menschenleben zu retten war und mit den Wellen
+kämpfte, und folgte dann den Panzerschiffen.«
+
+Das Wunder war geschehen. Eine kleine ungeschützte Yacht, die trotz
+ihrer Schnellfeuerkanonen den Namen eines Kriegsschiffs nicht
+verdiente, und von der niemals mehr erwartet worden war, als das
+Aufbringen von Handelsschiffen mit Kontrebande, hatte zwei spanische
+Zerstörer in den Grund geschossen, die ihr einzeln schon in jeder
+Beziehung weit überlegen waren.
+
+So hatte eine kleine halbe Stunde zwei Schlachtschiffe des spanischen
+Geschwaders und zwei schnelle Zerstörer von hohem Gefechtswert
+vernichtet. Uebrig blieben die Schlachtschiffe »Viscaya« und »Cristobal
+Colon«.
+
+Der »Cristobal Colon« schien als einziges spanisches Schiff dem
+Verderben zu entrinnen, denn seine Geschwindigkeit wurde immer größer,
+und bald war er außer Gefechtsweite weit draußen auf dem Meer. Auf die
+unglückliche »Viscaya« aber konzentrierte sich nun das Feuer von drei
+amerikanischen Panzern: »Brooklyn«, »Oregon« und »Texas«.
+
+Binnen wenigen Minuten kam das Ende, wie es kommen mußte. Das schwer
+verwundete Schiff schleppte sich brennend dem Strande zu und lief
+auf. In diesem Augenblick erfolgte eine furchtbare Explosion, die das
+vordere Drittel der »Viscaya« in Fetzen zerriß. Ein Torpedo entweder,
+der schußbereit im Lancierrohr lag, oder eine Munitionskammer war
+von einer amerikanischen Granate getroffen worden. Die gräßlichen
+Szenen beim Stranden der »Infanta Maria Teresa« und des »Almirante
+Oquendo« wiederholten sich. Halbverbrühte, schwerverwundete Männer,
+die beinahe wahnsinnig geworden waren in der Todesangst dieser Minuten
+in der Hölle, kämpften zu Hunderten in den Fluten -- und aus den
+amerikanischen Feinden wurden warmherzige Lebensretter, die Hals über
+Kopf die Boote bemannten. Nicht nur fischten sie die Unglücklichen in
+den Wellen auf, sondern sie holten unter schwerster Lebensgefahr die
+armen Verwundeten aus den brennenden spanischen Schiffsräumen, deren
+Munitionskammern jeden Augenblick in die Luft fliegen konnten. Admiral
+Cervera, schwer verwundet, wurde unter feierlicher Stille an Bord eines
+amerikanischen Panzers geleitet und mit militärischen Ehren empfangen.
+Mannschaften und Offiziere salutierten stumm, als er seinen Degen dem
+Sieger hinreichte. Sämtliche Kommandeure der spanischen Schlachtschiffe
+waren verwundet worden; zwei, der Kommandant der »Maria Teresa« und der
+Chef der Zerstörerflottille, hatten den Tod gefunden.
+
+ * * * * *
+
+Unterdessen war in jagender Fahrt die »New York« mit Admiral Sampson
+auf dem Kampfplatz erschienen. Sie folgte der »Brooklyn«, der
+»Oregon«, und der »Texas«, die Oel feuerten und in immer größerer
+Geschwindigkeit dem »Cristobal Colon« nachjagten. Ueber zwei Stunden
+dauerte die Verfolgung. Um 12 Uhr 50 Minuten waren die »Brooklyn« und
+die »Oregon« so nahe an den Feind herangekommen, daß das Feuer eröffnet
+werden konnte. Der Kapitän des »Colon« sah, daß das Schicksal seines
+Schiffes besiegelt war. Um den »Colon« dem Feind zu entziehen, ihn zu
+vernichten und doch die Mannschaft zu retten, wandte auch er und lief
+in sausender Fahrt auf den Strand. Der »Cristobal Colon« sank in sieben
+Meter tiefem Wasser.
+
+So war die Seeschlacht von Santiago de Cuba geschlagen und das
+spanische Geschwader bis auf das letzte Schiff zerstört.
+
+Hunderte von Menschenleben und Millionen und Abermillionen an
+schwimmendem Kriegsmaterial hatten die wenigen Minuten dem spanischen
+Königreiche gekostet. Die Tabellen der Verluste der beiden
+Flotten lesen sich wie eine Fabel. Vier gewaltige Panzer und zwei
+Zerstörer hatte der Tag Spanien geraubt -- von den amerikanischen
+Schlachtschiffen war kein einziges schwer beschädigt oder auch nur
+so verletzt worden, daß es seine Gefechtsfähigkeit beeinträchtigt
+hätte! Sechshundert spanische Matrosen waren im Kampf getötet worden
+oder in den Fluten ertrunken, hundertfünfzig Schwerverwundete und
+vierzehnhundert Gefangene, von denen viele verwundet waren, nahmen die
+amerikanischen Schiffe auf.
+
+_Die Amerikaner aber hatten nur einen einzigen Toten und einen einzigen
+Verwundeten, beide auf der »Brooklyn«!_
+
+Ein Märchen. Ein Wunder. Eine kaum glaubliche Merkwürdigkeit in der
+Geschichte des Seekriegs, die gar nachdenklich stimmen mag. Nicht
+Panzerwerte und Geschützzahl allein sind es, die eine Seeschlacht
+entscheiden, sondern der Mann im Kommandoturm und der Mann hinter der
+Kanone.
+
+Zwei Monate später, als ich an Bord eines der letzten Truppendampfer,
+die Santiago de Cuba verließen, staunend die Schönheit von Felsennest
+und alter Burg und blauem Meeresgestade bewunderte, sah ich am Strand
+des Felsentors den »Furor«. Wenige Minuten später kamen die Wracks der
+»Viscaya« und des »Almirante Oquendo« in Sicht. Der »Cristobal Colon«
+war einige Tage nach der Schlacht völlig gekentert. Die »Infanta Maria
+Teresa« hatten die Amerikaner zwar gehoben und notdürftig ausgeflickt,
+aber während des Transportes nach den Vereinigten Staaten war sie bei
+den Bahamas gestrandet und gesunken.
+
+Tropenfeuchtigkeit und Tropensonne hatten die armen Reste von
+zerschossenem Stahl und zerfetztem Eisen, die nur wenige Meter über das
+Wasser hervorragten, mit einem leuchtendroten Kleid von Rost überzogen.
+Spitzige, zackige Stahlfetzen und Eisentrümmer überall. Unförmliche
+verbeulte Stümpfe, die einst Schornsteine gewesen waren.
+
+Schlechtes altes Eisen. Das war übrig geblieben von der
+Gespensterflotte.
+
+
+
+
+In den Schützengräben.
+
+ Von Siegesberichten und Sorgen. -- Ein Murren geht durch die
+ Schützengräben. -- Die Meinung des alten Sergeanten. -- Ungeduld!
+ -- Der Humor der Front. -- Krankheit und Schwäche. -- Die
+ berühmten kubanischen Leibschmerzen. -- Fieber und Ruhr. --
+ Stimmungen und Verstimmungen. -- Ein Freudentag. -- Freund Billy
+ aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt. -- Zwei Gefechtstage. -- Wie
+ ich ein Held sein wollte. -- Der Friedensbaum. -- Die Kapitulation
+ von Santiago de Cuba.
+
+
+Die Armee auf den Hügeln jubelte.
+
+Erst viele Wochen später, als Dampfer auf Dampfer Regiment auf
+Regiment nach der amerikanischen Heimat zurückbrachte und die Männer
+der Schützengräben sich gierig auf die alten Zeitungen stürzten, von
+ihren eigenen Taten zu lesen, erfuhren sie zu ihrem großen Erstaunen,
+daß die Ereignisse in den ersten Julitagen im Tal von Santiago de Cuba
+den Leuten zuhause im Lande Gottes nicht nur glorreiche und höchst
+übertriebene Siegesberichte gebracht hatten, sondern auch schwere
+Sorgen.
+
+Sie lasen verblüfft, daß General Shafter nach der Schlacht am San
+Juan-Hügel am Abend des 2. Juli nach Washington gekabelt hatte, die
+Stellung des Feindes auf seiner zweiten Verteidigungslinie sei fast
+unangreifbar und die Lage außerordentlich ernst, denn ein Vorgehen
+müsse schwerste Verluste bringen ------ Sie lasen schmunzelnd, daß
+der General, der die amerikanische Gesamtarmee kommandierte, General
+Miles, dem kranken und überpessimistischen Shafter noch in der
+gleichen Nacht lakonisch geantwortet hatte, er möge vor allem -- den
+spanischen Befehlshaber zur bedingungslosen Kapitulation auffordern!
+Das Bombardement der Stadt androhen, wenn General Toral sich weigere!
+Sie lasen lachend, wie glänzend dieser echt amerikanische Bluff
+gelungen war: Zwar hatten die Spanier die Uebergabe abgelehnt, aber
+Waffenstillstand trat ein am 3. Juli und es begannen Verhandlungen,
+die den Anfang vom Ende bedeuteten. Sie lasen noch manches mehr. Oft
+vielleicht mit einem recht unbehaglichen Gefühl. Wie der Hunger ihnen
+in der Schlacht geholfen hatte, ohne daß sie es wußten, denn die armen
+Teufel von Spaniern waren schon Ende Juni auf halbe Rationen gesetzt
+worden, weil das verrottete spanische Regierungssystem auf der Insel
+sich um die Kleinigkeit der Verproviantierung einer Armee zufällig
+nicht gekümmert hatte. Wie gewaltig stark die Drahtverhaue der zweiten
+spanischen Stellung waren. Wie furchtbar hoch die Krankenzahl in der
+amerikanischen Armee.
+
+Und sie fingen zu Hause an, viele Dinge zu begreifen, die sie nicht
+begriffen hatten im Tal von Santiago de Cuba.
+
+ * * * * *
+
+Ein Murren ging durch die Schützengräben.
+
+Hundertmal, wenn wir Depeschen auf den Hügel brachten, wurden
+Souder und ich von den schmutzstarrenden, verwahrlosten Gestalten
+im Graben angehalten und mit Fragen bestürmt, ob denn nichts sich
+rege im Hauptquartier und wie die Dinge stünden und wann endlich der
+Waffenstillstand zu Ende sein werde. Der verdammte Waffenstillstand!
+
+Da drüben war der Feind! Dort lag die Stadt, dort waren Häuser, in die
+der Schandregen nicht eindringen konnte; dort gab es Betten, in denen
+man schlafen, und Herde, auf denen man kochen konnte! Warum, weshalb im
+Namen aller Vernunft verpfefferte man nicht drei Stunden lang das Gras
+und das Gestrüpp da drüben mit allem, was Gewehre und Patronengürtel
+nur hergeben wollten, und stürzte sich dann bergabwärts Hals über
+Kopf auf die kleinen Männlein, die schon davonlaufen würden wie sie
+davongelaufen waren von den Hügeln!
+
+Ein alter Sergeant der 5. Regulären, der oft zu unserem Zelt kam, zu
+schwatzen, verkörperte die Stimmung in den Schützengräben ausgezeichnet:
+
+»Höll' und Teufel!« sagte er. »Ich werde nicht dafür bezahlt, mich mit
+höherer Strategie zu befassen. Das überlass' ich dem jesuschristlichen
+Dicken! Wenn mir befohlen wird, im Dreck herumzusitzen und mir alle
+halbe Stunde die Jacke vollregnen zu lassen und so viel schlechten
+Speck zu fressen, daß ich zeitlebens keinem anständigen Schwein mehr
+ins Gesicht sehen kann, -- dann halt ich's Maul und gehorche. Aber
+verdammt will ich sein, wenn ich's verstehe! Magazinfeuer, würd' ich
+sagen -- Bajonett auf das alte Schießeisen -- und in fünfundzwanzig
+Minuten wäre die alte Geschichte erledigt. Aber der Dicke muß es ja
+wissen! Mir kann's recht sein. =Bye, bye=, Jungens! Laßt euch euren
+Speck recht gut schmecken! Achtet auf eure Gesundheit!«
+
+Worauf wir ihm ergrimmt Lehmklumpen nachwarfen. Wer in diesen Tagen von
+Speck und werter Gesundheit sprach, der war ein Raufbold, der boshaft
+an die wundeste aller wunden Stellen rührte, und forderte tätlichen
+Angriff heraus.
+
+So murrten die Männer in den Schützengräben.
+
+Ungeduldig waren sie wie Kinder und frech wie Spatzen. Aber das
+Schimpfen klang immer noch lustig, und niemals lag in ihm der Ton
+der Auflehnung. Man lachte mitten im Gezeter und nahm die harten
+Entbehrungen nicht ernst, wenn sie es auch im Grunde waren, die die
+Ungeduld gebaren. Man mußte warten -- man begriff nicht, weshalb in
+Kuckucksnamen man solange warten mußte -- aber es würde schon kommen,
+oh, es würde schon kommen ... Rührend war es in Wirklichkeit, mit welch
+prachtvollem, trockenem Humor diese Männer ein Leben ertrugen, das in
+seiner Härte so gar nichts Humoristisches hatte, und wie sie aus Jammer
+und Elend immer und immer wieder die lustige Seite herauszufinden
+wußten. Droben in dem breiten Hauptgang hatten sie einen Wegweiser
+aufgestellt, auf dem in derben Lettern stand:
+
+»Revolver müssen beim Portier abgegeben werden (links -- Dreckstraße
+Nr. 3), denn auf Befehl des kommandierenden Generals ist Schießen in
+diesem Vergnügungslokal nicht gestattet! Nur Herren mit garantiert
+anständigem und friedfertigem Benehmen haben Zutritt!« -- in blutigem
+Hohn auf den Waffenstillstand.
+
+Ein anderes Schild beim Eingang eines besonders sumpfigen
+Schützengrabens besagte grimmig: »Warnung! Angeln ist hier verboten!!«
+Im Hauptschützengraben hatten sie auf Brettchen von Munitionskisten mit
+irgend einer schwarzen Farbe, die sie gottweißwo aufgetrieben haben
+mochten, allerlei Sprüche gemalt und die Brettchen in die Lehmwand
+hineingesteckt wie Gedenktafeln:
+
+»Erzähle mir nicht, o Freund, daß du Bauchweh hast! Deine Symptome
+interessieren mich nicht. Ich hab sie nämlich selber!« lachte ein
+Spruch.
+
+»Und der Herr schuf Regen und Sonnenschein ... Für Kuba hat er seine
+Schaffensfreudigkeit verdammt übertrieben!« hieß es auf einer anderen
+Tafel. Ihre Nachbarin sagte:
+
+»Bist du schlechter Laune, so haue einen Insurgenten. Das ist gesunde
+Bewegung für dich und macht aus dem Cubano vielleicht einen Menschen;
+der Stecken lehnt hinten in der Ecke.« Das gab die Einschätzung, in der
+Señor Insurgente bei der Armee stand, famos wieder!
+
+So sah der Humor der Schützengräben aus. Grimmiger, harter, verkrustet
+trockener Humor war es, der ahnen ließ, wie zäh und kraftvoll die
+Männer sein mußten, die in Krankheit und Schwäche lachen und sich über
+ihren eigenen Jammer lustig machen konnten. Denn krank waren sie alle,
+zum mindesten nicht gesund.
+
+Die Regenzeit Kubas hatte nun im Ernst begonnen. Tag für Tag,
+dutzende Male oft in einem Tag, regnete es in tropischer Gewalt in
+ungeheuerlichen Wassergüssen -- und der Viertelstunde klatschenden
+Regens folgte ebenso ungeheuerliche Sonnenhitze, die mit der
+verdampfenden Feuchtigkeit alle Miasmen aus dem Boden zog und Menschen
+und Dinge in übelriechenden Dampf hüllte. Morgens und abends lagen
+stundenlang dick und gelb zähe Nebelschwaden über dem Boden, kalt,
+feucht und dumpfig. Selten verging eine Nacht ohne Regen, und dann
+schliefen die Männer in den Schützengräben auf nassem Boden in nassen
+Decken. Jetzt, in den Tagen der Waffenruhe, durfte zwar immer ein Teil
+der Regimenter auf dem Gelände hinter den Hügeln Zelte aufschlagen,
+aber die winzigen Soldatenzelte schützten nur wenig gegen diesen
+Regen und gar nicht gegen Bodenfeuchtigkeit und Nebel. Die Kleider
+faulten einem fast am Leib. Souder und ich schleppten zweimal im Tag
+Wasser herbei aus dem San Juan und wuschen unsere Körper und irgend
+ein Kleidungsstück, doch es nützte nichts. Seife hatten wir längst
+keine mehr. Was das Ausrinsen im Wasser gut machte, verdarben wieder
+in ein paar Stunden Regen und Schweiß. Starrer Schmutz war es, in dem
+man lebte. Widerlicher Schmutz. Die Männer in den Schützengräben, die
+nicht so viel Zeit und Gelegenheit zur Reinigung hatten wie wir, waren
+noch schlimmer daran. Schmutz, Schmutz, überall Schmutz ... Die Nässe
+verdarb rasch das Schuhzeug, so fest und derbe es war, und oft wurden
+Patrouillen nach rückwärts zu den Hospitälern geschickt, um die Stiefel
+der Schwerkranken und Gestorbenen zu holen.
+
+Immer gleich blieb die Nahrung. Speck, Hartbrot, Speck. Man weichte
+die harten Zwiebacke auf, tat Zucker hinzu und Speckstückchen und
+briet sich den breiigen Mischmasch. Trank höllenstarken Kaffee dazu.
+Einmal kam eine Sendung Büchsenfleisch, aber es war verdorben. Derartig
+schlechte Behandlung läßt sich auf die Dauer kein Magen gefallen.
+
+So rebellierten zuerst die Mägen. Langsam schlich sich Krankheit in
+die Schützengräben. Kaum einen Mann gab es in der Front, der nicht
+wenigstens an einer leichteren Form von Ruhr litt. Auch da noch half
+der Humor, das Abschüttelnwollen körperlicher Schwäche, wie es in
+junger Mannesart liegt. Die verschmutzten Männer lachten über die recht
+unangenehmen und schmerzhaften Aeußerungen ihrer gestörten Verdauung
+und machten lustige Witze, höchst unanständige Witze zumeist, über
+das viele Aufgesuchtwerden der primitiven Stellen, die man in der
+Zivilisation verengländert mit =W. C.= zu bezeichnen pflegt. Aber nach
+und nach verspürte ein jeder immer kräftiger die üblen Folgen der
+ewigen Magenbeschwerden und der Fieberanfälle, denen keiner entging.
+Die schlechten Witze fingen an, gequält zu klingen. Das lustige
+Lachen von gestern über das berühmte kubanische Bauchweh zog heute
+nicht mehr. Die Gesichter wurden blaß, und der energische, springige
+Gang der Regulären träge. Auf das Fieber hätte man schließlich
+gepfiffen -- aber der Magen, der Magen! Bitter und gallig schmeckte
+der schlechtgeröstete Kaffee, weil die halbzerstampften Bohnen ewig
+lange sieden mußten. Der Speck schimmerte ölig und durchsichtig, denn
+die Sonnenhitze hielt ihn ständig in schöner brühwarmer Temperatur.
+Man konnte ihn bald nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Die
+Schiffszwiebacke waren trocken kaum zu essen, und der fade Brei, der
+sich höchstens aus ihnen bereiten ließ, wurde einem zum Ekel. Der
+Magen, der Magen! Er war es, aus dem die üble Laune kam.
+
+Und die Stimmungen!
+
+Wenn ich in den Schützengräben nach dem General oder irgend einem
+höheren Offizier suchte, schien es mir beinahe komisch, wie die sonst
+so unverwüstlich derben und unverwüstlich lustigen Regulären nun auf
+einmal Stimmungen unterworfen waren. Manchmal lagen sie faul und
+apathisch da und ließen einen ruhig über ihre Leiber hinwegsteigen,
+viel zu träge, sich zu rühren oder gar zu reden. Manchmal wieder konnte
+das leiseste Gerücht, das Hoffnung auf Soldatenarbeit gab, oder der
+unsinnigste Scherz sie blitzschnell aufrütteln. Als mich einmal ein
+Korporal fragte, was denn los sei (ich trug ein Telegramm in der Hand),
+antwortete ich ärgerlich:
+
+»Es ist Dienstgeheimnis und du darfst es nicht weiter sagen: Washington
+telegraphiert, daß ein Dampfer mit einer neuen Speckladung abgegangen
+ist!«
+
+»Pfui Deibel!« sagte der Korporal.
+
+Die Männer links und rechts von ihm lachten wie toll und erzählten
+den mageren Witz weiter, der nun richtig die ganze Linie entlang
+schallende Heiterkeit auslöste.
+
+Doch das Lachen war selten geworden. Ein jeder wußte, daß die Zeiten
+bitterernst waren und ein grimmiger Feind die Hügel bedrohte, ein
+schlimmerer Feind als die verachteten kleinen Männlein da drüben:
+Krankheit, Fieber, Ruhr, Malaria. Und ein jeder gab sich Mühe, auf das
+dumpfe Brausen in seinem Schädel frühmorgens im Nebel nicht zu achten
+und auf die Schmerzen in Magen und Darm nach den Mahlzeiten. Weil
+keiner krank werden _wollte_.
+
+ * * * * *
+
+Souder und ich waren brummig oft, und übellaunig, und nicht weniger
+ungeduldig als alle anderen. Weder ihm noch mir blieben die grimmigen
+Leibschmerzen erspart, und er und ich wußten ganz genau, wie es
+war, wenn einem nach übelriechender Nebelnacht die Fieberfliegen
+im Kopf summten und man sich fluchend vom Sanitätssergeanten des
+Brigadequartiers gewaltige Dosen Chinin geben ließ, die einem die
+Ohren klingen machten. Aber die Linie, der Draht, das klappernde
+kleine Instrument versorgten uns stets mit so viel Arbeit und so
+starkem Interesse an Spannung und Erwartung, daß wir Kopfschmerzen und
+Leibgrimmen prompt zu vergessen pflegten. Waren die Depeschen in diesen
+Tagen auch selten wichtig, so wartete man doch wenigstens immer auf
+eine, die wichtig sein würde.
+
+Da kam der 7. Juli. Der vierte Tag des Waffenstillstandes. Die
+Linie zu =S O 3= war wieder einmal schadhaft geworden und die Reihe
+diesmal an uns, den Fehler zu suchen. Mißvergnügt machte ich mich mit
+Ersatzdraht und Zwickzange auf den Weg und fand den Schaden bald.
+Irgend ein Spitzbube in Uniform mochte zu irgend etwas ein Stückchen
+Draht gebraucht haben und hatte einfach einen halben Meter der Linie
+mit seinem Taschenmesser herausgesägt. Ich schimpfte, wie ein regulärer
+Signalmann über so lästerlich infame Schändung schimpfen mußte, und
+reparierte. Weil ich nicht weit von =S O 3= war, beschloß ich, bei der
+Blockhausstation vorzugucken. Ich schlenderte den breitausgetretenen
+Pfad hinter den Hügeln entlang, auf dem es von Soldaten wimmelte, denn
+Zelt an Zelt reihte sich auf der Hügelseite. Hier kampierten die Rauhen
+Reiter. Plötzlich blieb ich stehen, und heiß und kalt überlief es mich.
+
+War -- das -- ein Traum -- ein Fiebergaukelspiel?
+
+Eine klingende, metallische Stimme, eine liebe alte Stimme hatte mich
+gerufen bei meinem Namen aus alten Zeiten. Klar und hell --
+
+»Ed! Ha -- a -- llooh -- Ed!!«
+
+Ich stand und starrte und wollte meinen Ohren nicht glauben.
+
+»Halloh -- Ed!«
+
+Von einem Zelt nicht weit vom Weg kam ein Rauher Reiter-Offizier
+gelaufen, ein Leutnant. Unter dem graubraunen Feldhut mit dem
+glitzernden Regimentsemblem von gekreuzten Reitersäbeln leuchteten
+groß und lachend graublaue Augen -- die alten Augen ...
+
+»Billy!« schrie ich. »Halloh, Billy -- Bi -- i -- illy!«
+
+Und er sprang herbei, und wir schüttelten uns die Hände, denn sprechen
+mochte keiner ein Wort, und dann lachten wir wie unsinnig und dann
+schüttelten wir uns wieder die Hände und dann lachten wir wieder.
+
+Billy war es, der alte Billy, der Billy aus Wanderzeit und
+Eisenbahnfahrt.
+
+Billy in der Uniform eines =First Lieutenant=, eines Oberleutnants
+des Rauhen Reiter-Regiments. Gar kein Staunen verspürte ich über die
+silbernen Streifen auf seiner Schulter. Dieser Mann war einer der
+wenigen Menschen, die dazu geboren sind, zu führen und zu leiten unter
+allen Umständen. Seien sie arm oder reich. Die vornehm sein müssen und
+Herren über andere, mögen sie auch einen einzigen Rock nur ihr eigen
+nennen. In der alten Welt hätte man freilich aus Billy keinen Offizier
+gemacht. Sein Lebensgang wäre denn doch nicht einwandfrei genug gewesen
+-- um die schöne Phrase zu gebrauchen. In Amerika sah man sich den Mann
+an und -- griff zu. Billys Familie hatte ihm eigentlich gegen seinen
+Willen das Leutnantspatent bei den Rauhen Reitern erwirkt. In der
+entscheidenden Unterredung jedoch mit Theodore Roosevelt hatte Billy
+klipp und klar erklärt, daß er erwähnen müsse, er sei vor noch nicht
+langer Zeit als Tramp, oder als eine Art von Tramp zum mindesten, auf
+den Eisenbahnen herumvagabundiert.
+
+»=You are allright!=« war Roosevelts knappe Antwort gewesen.
+
+ * * * * *
+
+»Komm' in mein Zelt!« sagte Billy.
+
+Wir hockten uns auf die Wolldecke hin am Boden, und Billy holte
+feierlich eine kleine Feldflasche aus einem Winkel hervor, erklärend,
+daß es unter den Rauhen Reitern komische Käuze von Millionären gebe,
+die sich durch ihre Privatyachten Zigarren und Whisky bringen ließen.
+Wir tranken in Andacht den goldigbraunen Bourbon. Rauchten eine
+Zigarette.
+
+»Du bist also beim Signalkorps, eh?« begann Billy. »Haben sie nicht
+genug Verstand gehabt dort, dich wenigstens zum Sergeanten zu machen?«
+
+»Anscheinend nicht!« lachte ich. »Uebrigens habe noch nicht einmal
+vorschriftsmäßig gegrüßt, Herr Leutnant!«
+
+»Das ist allerdings schrecklich,« meinte Billy. »Kraft dieser schönen
+silbernen Schulterstreifen also befehle ich dir nun, sofort zu
+erzählen. In Colorado war's irgendwo, als du verschwandest -- und das
+hat mich damals mehr Kopfschmerzen gekostet als du ahnst, mein Junge.
+Drei Monate suchten wir nach dir, Joe und ich, bis wir es endlich
+aufgeben mußten. Erzählen, erzählen!«
+
+Da berichtete ich von der Fahrt nach St. Louis und dem Erleben dort
+und von der Kupferhölle und vom Zeitungsdienst und von San Franzisko.
+Von Frank und von Allan McGrady. Lachende Linien kamen in das
+scharfgeschnittene, hagere, rassige Gesicht.
+
+»Und bei dieser Geschichte hier in Kuba mußtest du natürlich auch dabei
+sein!« rief er endlich und füllte lustig augenzwinkernd das winzige
+Feldflaschenglas fingerhoch ... »Aber natürlich! Ich brauche dir wohl
+nicht zu sagen, mein Junge, daß du ein Narr wärest, würdest du die
+blaue Jacke nicht recht bald wegwerfen. Bleib du bei der Zeitung! Ich
+wünschte, ich wüßte so gut wie du es von dir wissen solltest, was ich
+zu tun hätte. Unter uns gesagt waren diese Schulterstreifen billig wie
+Brombeeren. Es gehörte nicht viel mehr dazu, aus dem alten Billy einen
+Leutnant zu machen, als sieben Wörtchen des alten Onkels van Straaten,
+der im Kongreß sitzt. Wenn diese nachgerade langweilige Affäre hier
+jedoch beendet ist -- dann adieu, Leutnant Billy!«
+
+»Weshalb machten sie dich gleich zum Oberleutnant?« lachte ich.
+
+»Bin ich vorgestern erst geworden!« berichtete er vergnügt.
+»Telegraphisch. Von wegen der Schlacht. Teddy sorgt für seine Leute.
+Weiß der Kuckuck, wo Jack (das ist mein Putzer) den Oberleutnantsstern
+aufgegabelt hat. Aufgenäht hat er ihn mir jedenfalls auf die Jacke --
+und meine Würde erdrückt mich beinahe!«
+
+Erzählen -- erzählen ... Wir rechneten uns aus, daß wir beim Sturm auf
+den San Juan-Hügel keine hundert Meter voneinander entfernt gewesen
+sein konnten, und im Planters-Hotel in Tampa im gleichen Saal gegessen
+haben mußten, ohne es zu ahnen. Wie groß die Welt war und doch wie
+klein! Stunde auf Stunde verschwatzten wir, bis ihn und mich der
+Dienst rief.
+
+Wochen später, als ich auf der Insel des gelben Fiebers aus dem
+Delirium erwachte und denken und verstehen konnte, gab mir der Arzt
+einen Briefumschlag. Fünf gelbe Banknoten steckten darin, zu zwanzig
+Dollars eine jede. Und ein Zettel:
+
+»Lieber Ed. Unser Schiff dampft heute, den 30. Juli, nach dem alten
+Land. Der Doktor schreibt mir, du würdest durchkommen. Wußte, sie
+würden dich nicht unterkriegen, alter Junge. Das Geld kannst du
+vielleicht gebrauchen. Gib es mir zurück, wenn es dir paßt. Hörte von
+Major Stevens, du seiest zum Sergeanten ernannt worden. Auf Wiedersehen
+-- Billy.«
+
+Ich sollte ihn erst in einem Jahr wiedersehen, unter Verhältnissen, die
+noch viel merkwürdiger waren als das Begegnen im Tal von Santiago.
+
+ * * * * *
+
+Die Krankheitsziffern in den Schützengräben stiegen zu erschreckender
+Höhe, und immer blasser und gelber wurden die Gesichter der Männer auf
+den Hügeln. Unerträglicher schien die Sonnenglut von Stunde zu Stunde
+fast und fürchterlicher die endlosen Regengüsse. Noch war die Zahl der
+schweren Erkrankungen an wirklicher Ruhr und Malaria verhältnismäßig
+gering, die Zahl der Leichtkranken jedoch ungeheuer groß. Den ganzen
+Tag über umringten sie das Doktorzelt, und der Sanitätssergeant
+verteilte im Schweiße seines Angesichts unablässig Chininpillen und
+Opiumpräparate.
+
+Die Befehle und Meldungen, die über unseren Draht gingen, zeigten zwar
+nur einen winzig kleinen Ausschnitt der allgemeinen Situation, aber sie
+ließen unschwer erkennen, daß die Führer der Truppen voll Besorgnis
+waren und daß alles nach einer Entscheidung drängte. Am 8. und 9.
+Juli gab es viel zu tun. Die Depeschen, die genaue Berichte über die
+Krankenzahl einforderten, jagten sich. In den Antworten der einzelnen
+Regimenter hieß es immer wieder: Allgemeiner Gesundheitszustand höchst
+unbefriedigend. Chefärzte kamen vom Hauptquartier und untersuchten die
+Truppen; lange Konferenzen fanden statt im Zelt des Generals.
+
+Da telegraphierte am Abend des 9. Juli das Hauptquartier, daß mit
+Mitternacht der Waffenstillstand ablaufe. Die Wirkung auf die
+Truppen, die nun sofort in den Schützengräben konzentriert wurden,
+war verblüffend. Die gedrückte Stimmung schien wie weggeblasen. Die
+Aussicht auf Arbeit machte die Männer in den Schützengräben wieder
+frisch und kräftig. Ueberall von den Hügeln erklang an jenem Abend der
+Tingeltangelschlager, den die Soldaten im Uebermut des Sieges in der
+Kampfnacht gesungen hatten. Er war zum Schlachtlied der kubanischen
+Armee geworden --
+
+ =When the bells go tinge -- linge -- ling
+ We'll join hands and sweetly we shall sing --
+ There'll be a hot time
+ In the old town
+ Tonight, my Darling!=
+
+»Heut abend ist der Teufel los im Städtchen ...«
+
+Mit dem Morgengrauen begann das Kleingewehrfeuer auf der ganzen Linie.
+Vom San Juan-Hügel her dröhnten Geschütze. Die Spanier erwiderten das
+Feuer nur schwach. Ein unbedeutendes Ferngefecht war es -- wie auch am
+nächsten Tag.
+
+Mir ist dieser 10. Juli eine lustige Erinnerung. Im Laufe des
+Nachmittags lief eine Depesche ein, in der Präsident McKinley unserem
+General Bates seine Ernennung zum =Major General= anzeigte, der
+höchsten militärischen Würde in den Vereinigten Staaten. Das war
+natürlich ein großes Ereignis. Ich machte mich sofort auf den Weg
+nach den Schützengräben, um dem General das Telegramm zu bringen.
+Ueberall knatterte es vorne auf dem Hügel, und dann und wann pfiff
+eine feindliche Kugel durch die Luft. Ich eilte durch den Hauptgang
+und erfuhr von der Stabsordonnanz, daß der General im Schützengraben
+rechts sei. Nach wenigen Schritten sah ich auch schon die Gruppe der
+Stabsoffiziere. Und -- da packte mich eine ganz verrückte Idee ...
+Ein Held wollte ich sein! Auszeichnen wollte ich mich -- auffällig
+auszeichnen -- wunderbar tapfer sein ... Gedacht, getan. Mit einem Ruck
+richtete ich mich auf und stand kerzengerade da, daß Kopf und Schultern
+über die Brüstung des Schützengrabens hinausragten. Zischend surrte
+eine Kugel an meinem Ohr vorbei. Eine zweite. A -- aah! So -- ooh! So
+-- oo -- benahm sich ein Ritter ohne Furcht und Tadel im Kugelregen --
+so -- olche Leute machte man zu Offizieren -- in meinem Kopf wirbelte
+es von Tapferkeit und Todesverachtung -- =sans peur et sans reproche=
+-- a -- aah -- =fais ce que dois, adviegne que pourra= -- =c'est
+commandé au chevalier= ... und ganz langsam und bolzengerade stelzte
+ich über die Beine der feuernden Infanteristen hinweg auf den General
+zu. Begeistert war ich -- von mir selber. Ich kam mir wirklich wahrhaft
+heldenhaft vor. S -- sss -- ssss ---- zischte es. Und ich reckte mich
+noch höher auf und stellte mich stramm hin und meldete eiskalt:
+
+»Depesche für =Major General= Bates!«
+
+Der alte Herr, der im Graben kauerte, streckte die Hand nach der
+Depesche aus und sah mich scharf an.
+
+Mich aber überlief ein leichtes Zittern. Jetzt -- jetzt -- jetzt mußte
+es kommen --
+
+Der General sah mich noch immer scharf an und um seine Mundwinkel
+zuckte es. Dann sagte er leise, aber sehr deutlich:
+
+»=Get down, you fool!=«
+
+»Duck dich -- du Narr!«
+
+Da klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser. Aus war's mit dem
+Heldentum. Und zu meiner Ehre sei es gesagt, daß der Bruchteil einer
+Sekunde mir genügte, um zu erkennen, welch furchtbar lächerlicher
+Hanswurst ich soeben gewesen war.
+
+ * * * * *
+
+Die kriegerischen Ereignisse im Tal von Santiago de Cuba nahten rasch
+ihrem Ende. Am 12. Juli begannen wieder die Verhandlungen. Am gleichen
+Tag traf der Höchstkommandierende der amerikanischen Armee, General
+Miles, in Siboney ein. Am 13. Juli hatten er und General Shafter eine
+Besprechung mit General Toral, dem spanischen Kommandierenden. Am 14.
+Juli kapitulierte Santiago de Cuba, und die spanische Armee gab sich
+kriegsgefangen.
+
+ * * * * *
+
+Es war um Mittag des 14. Juli. Zwischen den amerikanischen und
+spanischen Linien, dreihundert Meter etwa rechts seitlich von unserem
+Hügel, hundertundfünfzig Meter in Front, stand inmitten einer weiten
+grasigen Fläche ein ungeheurer Mangobaum. Ein Riese. Der mächtige Stamm
+zeichnete sich im grellen Sonnenlicht scharf gegen das Grün und Gelb
+des Bodens ab. Die breitwipflige Krone ragte massig empor, wuchtig
+in ihrem Dunkel wie ein Gebäude. Da erzitterten Trompetentöne. Der
+Paraderuf, jedem Regulären wohlbekannt. Feierlich, gedehnt. Und die
+Männer in den Schützengräben sprangen auf die Brüstungen, kauerten
+sich hin und sahen schweigend zu, wie aus dem Bodeneinschnitt beim
+San Juan-Hügel Reiter in langsamem Schritt hügelabwärts ritten dem
+Baumriesen zu. Ich konnte durch mein Glas die Gestalten deutlich
+erkennen. General Miles war es, General Shafter, einige Offiziere, zwei
+Trompeter. Gleichzeitig glitzerte es drüben in den spanischen Linien
+von Epauletten und goldenen Borten und Pferden und Reitern in dunklen
+Umrissen.
+
+Die beiden Reitertrupps kamen sich näher, hielten einen Augenblick.
+Dann sprangen die Offiziere von ihren Pferden, und Ordonnanzen
+brachten Feldstühle und stellten sie auf im Schatten des Mangoriesen.
+In den amerikanischen Schützengräben war es mäuschenstill.
+Fünfzehntausend Männer, sechzehntausend, siebzehntausend, warteten
+in tiefem Schweigen. Drüben beim Feind tauchten aus Gestrüpp und
+Dschungelgras in langer Linie weiße Strohhüte auf und Gestalten in
+hellen Uniformen. Still war es. Ganz still. Zwanzig Minuten lang,
+eine halbe Stunde vielleicht. Dann kam Bewegung in die Gruppe beim
+Mangobaum. Pferde wurden herbeigeführt, Reiter stiegen in die Sättel,
+und langsam ritten die beiden Trupps zu ihren Linien zurück. Die Männer
+in den Schützengräben schauten noch immer. Niemand sprach. Nichts
+rührte und regte sich.
+
+Da blitzte ein Farbenfleck auf in dem tiefen Dunkel der Mangobaumkrone.
+
+Rot -- blau ... Er wurde deutlicher. Breitete sich aus. Und ich
+starrte und starrte, einer von Tausenden, und sah den Farbenfleck sich
+entfalten in grelle Streifen und winzige Punkte.
+
+Ueber dem Friedensbaum flatterte das Sternenbanner.
+
+Eine Sekunde lang noch war alles still. Dann ergellte wie aus einer
+einzigen Kehle brausend und donnernd ein furchtbarer Jubelschrei.
+
+Santiago de Cuba war gefallen.
+
+
+
+
+Nach Santiago de Cuba!
+
+ Das Hauptquartier wird energisch. -- Die Enttäuschung der Männer
+ in den Schützengräben. -- Die verbotene Stadt. -- Wir werden nach
+ Santiago beordert. -- Das Legen der Linie. -- In den spanischen
+ Schützengräben. -- Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern.
+ -- In der Stadt. -- Die toten Gäßchen. -- Von Licht und Schatten.
+ -- Das Hauptquartier des Siegers.
+
+
+Der Klopfer des Instruments überschüttete uns mit Punkten und Strichen.
+
+»Noch mehr?« fragte Souder zwischen zwei Telegrammen bei =S O= 3 an.
+
+»Massenhaft mehr!« kam die Antwort.
+
+Sergeant Hastings saß am Schlüssel drüben auf der Blockhausstation,
+der beste Sender des Korps, und unter seinen geschickten Fingern
+wurde das mechanische Klicken des Messingstängchens zum lebendigen
+Sprechen; so mühelos verständlich, daß der Sergeant und ich uns
+zwischen Schreiben und Lauschen fortwährend unterhalten konnten, wenn
+auch in abgerissenen Sätzen ---- und jeder Satz ungefähr würde uns ein
+Kriegsgericht eingetragen haben, hätte der Generalstabsoberst, der »auf
+Befehl des kommandierenden Generals« die Depeschen zeichnete, all die
+Unverschämtheiten mit anhören können.
+
+»Jawohl! Jaw -- oohll! Reiß' das Maul nur recht weit auf, mein Sohn!
+Schrei' Befehle, daß dir die Hosenträger platzen! Denn du weißt es
+ja, daß jetzo tiefer Friede herrscht in dieser schönen Gegend -- und
+du verstehst dein Metier und du weißt es ja, daß alle Kriegskunst im
+Frieden darauf hinausläuft, recht laut und recht viel zu kommandieren!
+Auf daß jedermann möglichst chikaniert werde! Hol' dich der Teufel! --
+Was sagt er?«
+
+»Es ist mit Strenge darauf zu achten, daß alles Trinkzwecken dienendes
+Wasser gehörig abgekocht wird --« klickte der Klopfer.
+
+»Gehörig abgekocht wird!« höhnte Souder. »Du bist ja von vorgestern,
+Oberstchen. Wer jetzt nicht schon die Cholera im Bauch hat, kriegt
+sie nimmer. Kable lieber nach Washington und sorge dafür, daß sie uns
+endlich gar nichts schicken als immer nur Speck und Speck und Speck! --
+Was ist das?«
+
+»Offizieren darf ohne Erlaubnis des kommandierenden Generals, der diese
+Erlaubnis nur in besonderen Fällen erteilen wird, Urlaub nach Santiago
+de Cuba nicht gewährt werden.«
+
+»Aha! Die Schulterstreifen dürfen auch nicht hinein! Was dem Regulären
+recht ist, muß dem Leutnant billig sein. Der Reguläre könnte sich
+besaufen, und der Leutnant vielleicht auch, aber sicherlich der Herr
+Oberst. Also geht nur der Herr Oberst ins Städtchen, damit er mehr
+unter sich ist! Oh -- hol dich der Teufel!«
+
+Dabei lag natürlich in den telegraphischen Befehlen zielbewußte
+Vernunft, während die Kritik des Mannes hinter dem Gewehr purste
+Unvernunft darstellte. Begreifliche Unvernunft jedoch. Dem
+begeisterten Jubelgeschrei des Sieges war in einer kurzen Stunde
+ganz gewöhnliches Geschimpfe gefolgt in den Schützengräben. Die
+derben alten Regulären da droben auf dem Hügel drückten sich noch
+viel saftiger aus als der lustige Signalsergeant. Als sie die Fahne
+flattern sahen über dem Friedensbaum, hatten sie sich eingebildet, daß
+es ein paar Stündchen höchstens dauern könne, bis der Befehl gegeben
+würde, männiglich solle seine Siebensachen zusammenpacken zum Einzug
+in die Stadt. Hei -- oh -- zum Marsch in die Stadt! So mancher mochte
+zungenschnalzend kalkuliert haben, was für schöne Dinge die silbernen
+Dollars in der Tasche alle kaufen konnten -- diese silbernen Dollars,
+die so völlig wertlos und vergnügungsbar gewesen waren seit Wochen im
+Drecklager.
+
+Ausgerutscht!
+
+Die Träume von netten Mahlzeiten, reinen Betten und dankbaren, vom
+spanischen Joch befreiten Mägdelein zerrannen in völliges Nichts. Es
+fiel dem Jesus-Christus-General gar nicht ein, seinen braven Truppen
+im Namen des dankbaren Vaterlandes begeistertes Lob und dergleichen
+zu spenden und sie einzuladen, sich doch Santiago gütigst anzusehen.
+Sondern er telegraphierte kurz und grob, jeder Mann, der ohne Paß in
+der Stadt angetroffen werde, würde vor ein Kriegsgericht gestellt
+und schwer bestraft werden! Das Hauptquartier telegraphierte des
+Ferneren, sämtliche Regimenter sollten sofort Zeltquartiere beziehen.
+Rund um jedes Zelt seien Abzugsgräben für das Regenwasser zu graben.
+Die Zeltgassen gehörig zu drainieren. Die Verpflegung der Truppen
+habe von nun an wieder durch die Kompagnieküchen zu geschehen. Die
+kommandierenden Offiziere wurden ersucht, für Reinigung der Wäsche und
+Uniformen ihrer Mannschaften zu sorgen. Und so weiter und überhaupt!
+
+Die braven Regulären aber, die so gern in der Stadt des Feindes
+spazieren gegangen wären, fluchten abscheulich. Was wußten sie davon,
+daß Santiago de Cuba ein Fiebernest war mit primitivsten sanitären
+Verhältnissen und unmöglich als Quartier für tropenungewohnte Truppen,
+ehe Ströme von Karbol den Unrat weggefegt hatten! Was wußten sie davon,
+daß ein kommandierender General die Zügel der Disziplin fester in die
+Hand nimmt, ehe er eine siegesübermütige Armee in eine eroberte Stadt
+führt! Sie wußten nur, daß weiterkampiert wurde in Regengüssen und
+Sonnenbrand ------ Sie sollten nicht in wirklichen Betten schlafen
+können -- nicht auf wirklichen gepflasterten Straßen wandeln -- nicht
+wieder Menschen sehen, die keine Uniform trugen -- nicht wirkliches
+Brot sich kaufen können ----
+
+Hei -- oh, wie wurde da geschimpft auf den Hügeln!
+
+Wir schimpften mit.
+
+Am nächsten Tag aber wandelte sich unser Schimpfen in freudige
+Ueberraschung. Ein Diensttelegramm befahl dem Sergeanten Souder und dem
+Signalisten Carlé kurz und bündig, sich sofort bei der Blockhausstation
+zu melden. Zum Linienlegen nach Santiago de Cuba.
+
+Zwischen drei und vier Uhr nachmittags brachen wir von der
+Blockhausstation auf, der Major Stevens, ein Kabeltelegraphist von
+Siboney, drei Sergeanten und zwei Signalisten. In fünfzehn Minuten
+hatten wir den Draht vom Hügelgipfel zum Friedensbaum gespannt. An
+diesem Tag kümmerte sich keiner von uns darum, daß die Sonne einem
+glühendheiß auf den Schädel brannte und das schweißige Hemd patschnaß
+am Leibe klebte und der Atem in kurzen Stößen kam und ging. Vorwärts,
+nur vorwärts! Nach Santiago de Cuba! Wir liefen nicht mehr mit den
+schweren Drahtrollen, sondern wir rannten. Mir war nicht wohl zumute
+dabei. Aber ich pfiff auf das sonderbare Flimmern vor den Augen und
+die eigentümliche Schwere und Benommenheit im Kopf. Mochten sie doch
+rumoren, die Magenkobolde und die Fieberteufel! Ich hatte an andere
+Dinge zu denken. Ich hatte Eile. Wir rannten. Durch das Gestrüpp der
+Hügelniederung, der gelben Linie zu, die die Straße nach Santiago de
+Cuba bedeutete.
+
+»Links -- links!« keuchte der alte Sergeant Hastings, der neben mir
+lief. »Nach dem Baum dort. Und ein bißchen langsamer. Ich bin mir in
+meinem Leben noch nicht so ausgepumpt vorgekommen. Sie sehen übrigens
+extra miserabel aus!«
+
+»Mir fehlt nichts,« sagte ich.
+
+»Na, mir auch nicht,« brummte er, »aber ich könnte gerade nicht
+behaupten, daß ich jünger und gesünder geworden bin!«
+
+Weiter -- weiter. Wir arbeiteten in kleinen Gruppen von je zwei und
+zwei Mann. In dem offenen Gelände mußte der Draht sorgfältig von Baum
+zu Baum gespannt werden. Ich erkletterte zwei Bäume, und sauer genug
+wurde mir das Steigen, so bequemen Halt auch die vielen Aeste der
+Mangos boten. Ein halbes dutzendmal fehlte nicht viel und ich wäre
+gefallen. Nein, gesünder war ich nicht geworden!
+
+Da tauchten bei einer Baumgruppe Gestalten in amerikanischen Uniformen
+auf und eine laute Stimme befahl uns, zu halten. Der Leutnant, der den
+Posten von fünf Mann kommandierte, kam herbei, und wir mußten einige
+Minuten warten, bis der Major, der weiter hinten die Linie prüfte,
+erschien und dem Offizier unsere Pässe vorwies.
+
+»Die spanischen Regimenter haben die Schützengräben verlassen,«
+meldete der Offizier, »und kampieren auf der Straße nach Santiago
+entlang, links und rechts vom Weg. Sie werden binnen wenigen hundert
+Schritten auf das erste spanische Lager stoßen, Herr Major. Ich habe
+Befehl, passierenden Offizieren und Mannschaften eine Anordnung des
+kommandierenden Generals zu übermitteln --«
+
+»Weiß schon, weiß schon,« nickte der Major. »Signaldetachement --
+=attention=!«
+
+Wir stellten uns erwartungsvoll in Reih und Glied. Der Leutnant las:
+
+»Der kommandierende General befiehlt, daß jede herausfordernde Haltung
+den Spaniern gegenüber vermieden wird. Die Entwaffnung der spanischen
+Armee und die Besetzung von Santiago findet erst in einigen Tagen
+statt. Spanische Offiziere sind zu grüßen wie die eigenen Vorgesetzten.
+Besuch von Restaurants oder Wirtschaften in der Stadt ist verboten. Sie
+sind übrigens geschlossen.«
+
+Der Major betrachtete uns vom Kopf bis zu den Füßen und sagte
+dann schmunzelnd: »Sergeanten und Signalisten! Ich habe in meiner
+militärischen Laufbahn noch niemals eine so verwahrloste und klapprige
+Gesellschaft gesehen wie euch. Sergeant Hastings -- aus Ihrem rechten
+Stiefel guckt Ihr Zeh! Im übrigen weiß ich nicht, wer am schmutzigsten
+und abgerissensten ist. Ich bitte mir aus, Hastings, daß Sie als
+ältester Sergeant das in Ordnung bringen. Sie werden in der Stadt
+irgend einen englischsprechenden Kubaner auftreiben, es gibt deren
+genug, und ihn auf meine Kosten als Putzer für das Detachement
+anstellen. Die nötigen Einkäufe an Wäsche und so weiter besorgen Sie
+ebenfalls auf meine Kosten, Sergeant. Jeder Mann nimmt zweimal täglich
+ein Glas Whisky mit einem Chininpulver -- für den Whisky und das Chinin
+werde ich sorgen. Achtet auf eure Gesundheit, Leute! Ich bin sehr
+zufrieden mit euch.«
+
+Weiter ging's. Mit verdoppelter Schnelligkeit. Wie mir ging es wohl
+jedem andern: Das Wasser lief einem einfach zusammen im Munde, wenn
+man an dieses Dorado von frischer Wäsche und kubanischem Putzer und
+Reinlichkeit dachte!
+
+Wenige hundert Schritte nur hatten wir die Linie weitergelegt, als
+uns eine angenehme Ueberraschung wurde. Da, wo die eigentliche Straße
+begann, die in scharfem Bogen von Osten herkam, lagen im Gras eine
+umgestürzte Telegraphenstange und verwickelter Kupferdraht. Einige
+Meter weiter begann die Stangenreihe. Soweit wir es durch die Gläser
+erkennen konnten, war die Leitung dort intakt.
+
+»Anschließen!« befahl der Major vergnügt. »Das Ding scheint zwar aus
+uralten Zeiten zu stammen, wird aber wohl funktionieren. Die Linie wird
+bei jedem zehnten Pfosten geprüft.«
+
+So ging es sehr rasch vorwärts. Dicht hinter dem Gestrüpprand zweigten
+rechts und links von der Straße die spanischen Schützengräben ab. Sie
+waren viel flacher gegraben als die unsrigen auf den Hügeln und boten
+wirksamen Schutz eigentlich nur liegenden Truppen. Das Wunderbare aber
+war, wie die Spanier jede Baumgruppe, jede winzige hügelige Welle
+zu einer kleinen Festung gestaltet hatten. Wo Bäume standen, war
+inmitten der Baumgruppen der Boden tief ausgehöhlt worden, so, daß ein
+halbes Dutzend Schützen in der Höhlung kauern konnten. Viele Reihen
+stacheligen Drahts verbanden Baum mit Baum. Stacheldraht war überall.
+Scharfschützen in diesen Löchern mußten fast unerreichbar gewesen
+sein für Infanteriefeuer und hätten Dutzende von Angreifern, die der
+Stacheldraht behinderte, wegschießen können. Der Major schüttelte
+fortwährend den Kopf, und einmal platzte er heraus:
+
+»Das wäre eine nette Bescherung gewesen ---- «
+
+Die Straße wurde breiter, der Boden ebener, wie festgestampft. Wir
+hörten Stimmen aus dem dünnen Gebüsch, das den Weg einsäumte, und ein
+spanischer Offizier trat auf die Straße; eine schlanke Gestalt in
+schneeweißer Uniform mit Goldlitzen an den Aermeln und am Kragen. Er
+blieb überrascht stehen, salutierte den Major in straffer Haltung,
+wandte sich rasch und verschwand wieder im Gebüsch. Einen Augenblick
+nur hatte ich in das tiefernste junge Gesicht gesehen, aber der
+Schmerz, der Haß in diesen Augen machten gewaltigen Eindruck auf mich.
+Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, was ich wohl empfinden würde,
+wären wir besiegt worden. Was war mir Amerika! Mir, dem Fremden, der
+sein Leben zu Markte getragen hatte im Spiel! Und ich wußte, daß ich
+bitterunglücklich gewesen wäre, läge das Sternenbanner im Staub. In
+fröhlichem Uebermut und tollem Abenteurerdrang nur war das Spiel
+gespielt worden, aber es hatte Stärkeres ausgelöst, wie gutes Spiel
+es muß. Zusammengehörigkeit. Seit den Tagen im Tal von Santiago ist
+mir die Flagge der Vereinigten Staaten viel mehr gewesen als ein
+gleichgültiger Fetzen in Rot und Blau wie all die vielen anderen, die
+mich als Deutschen nicht kümmern. Es gibt Spiele, die man nicht vergißt.
+
+In einem sonderbaren Gefühl von Mitleid beinahe und doch brennender
+Neugierde sah ich mich um. Das Gebüsch an den Wegseiten wurde lichter
+nach wenigen Schritten. Gestalten tauchten auf im Gezweig und tiefen
+Gras; helle Uniformen, Zelte. Mitten zwischen spanischen Truppen
+marschierten wir nun, und wenn wir hielten, um die Linie zu prüfen,
+umdrängten die Soldaten uns in Haufen.
+
+Sie sahen alle bleich und abgemagert aus. Die dünnen Uniformen waren
+schrecklich abgerissen. Die meisten hatten keine Stiefel an den
+Füßen, sondern Segeltuchschuhe mit Sohlen aus Stricken. Sie trugen
+keine Waffen. Ihre Gewehre waren nicht ordentlich in Kompagniereihen
+zusammengestellt, sondern in großen Pyramiden aufgestapelt mit Haufen
+von Bajonetten daneben. Die Zelte waren erbärmlich; Stücke Segeltuch,
+an einen Baum oder einen Busch gebunden und dachartig schräg gegen
+den Boden gespannt. Viele Spanier lagen gleichgültig da, Zigaretten
+paffend. Andere schnatterten aufeinander ein mit vielem Gestikulieren.
+Manchmal sah uns einer finster an, aber die meisten schienen lustig
+genug und winkten uns zu. Wieder prüften wir die Linie. Ein spanischer
+Unteroffizier, an seinem Aermel wenigstens war eine schmale goldene
+Tresse, trat an mich heran und zog mir eine Patrone aus dem Gürtel.
+Dafür gab er mir einen Rahmen mit fünf Mauserpatronen.
+
+»=Pour souvenir!=« sagte er in gebrochenem Französisch.
+
+Im Augenblick folgten andere seinem Beispiel, und ein Handelsgeschäft
+mit Patronen entwickelte sich. Die Leute hatten alle Hunger! Das wußten
+wir und hatten uns auf der Blockhausstation Tornister und Taschen mit
+Speckstücken und Zwiebacken vollgestopft, die es im Ueberfluß gab. Die
+stets hungrigen armen Teufel von =Cubanos= waren ja wie besessen hinter
+einem Stück Hartbrot her. Als Trinkgelder und Dolmetscher hatten uns
+die Rationen Onkel Sams in Santiago dienen sollen. Nun wanderten sie in
+die Mägen der spanischen Soldaten am Weg. Die Spanier rissen uns die
+Speckstücke und die Zwiebacke aus den Händen, so schnell wir sie nur
+aus den Feldtaschen hervorholen konnten, drängten uns Zigaretten und
+kleine Flaschen mit Rum auf dafür und bissen verhungert in das Hartbrot
+hinein, als sei es ein köstlicher Leckerbissen.
+
+An Regiment auf Regiment kamen wir vorbei. Pfade zweigten ab links
+und rechts, und zwischen den Bäumen leuchteten grelle Farben im
+Sonnenschein, weiße und gelbe und blaue, die ersten Häuser Santiago de
+Cubas. Dann verschwanden die Bäume, und aus dem Weg wurde eine breite
+Straße, die zwischen hölzernen Hütten hinführte, in denen die Aermsten
+von Santiago wohnten. Da und dort an einer Ecke lungerten Männer und
+Weiber in zerfetzten Kleidern, aber sie schlichen scheu davon, als
+wir näher kamen. Splitternackte Kinder mit schrecklich aufgedunsenen
+Bäuchen rannten schreiend in die Hütten.
+
+Die alte Drahtlinie führte schnurgerade den Weg entlang in eine schmale
+Gasse von Steinhäusern. Dröhnend hallten unsere schweren Schritte auf
+dem holperigen Pflaster. Flache Dächer hatten die Häuser und klein und
+niedrig waren sie und grell und bunt angestrichen. Aber sie sahen uralt
+aus trotz der leuchtenden Farben. Die Steinstufen an den Toren waren
+tief ausgetreten.
+
+Totenstill und verlassen lag das Gäßchen da. Was es an Leben barg,
+versteckte sich hinter massigen Türen mit bronzenen, kastilischen Löwen
+als Klopfern und vergitterten Fenstern. Auf die grellen Häuserwände
+warfen die Sonnenstrahlen blendendes Licht, und schwer und schwarz lag
+der Häuserschatten auf dem Pflaster. Aus den alten Mauern schien dumpfe
+Moderluft zu quellen. Still war es, so still, daß man leiser auftrat.
+Die Gäßchen und die Häuser schienen zu schlafen. Dunkel war es fast.
+Was die glühende Sonne an Lichtfreudigkeit auf die gelben und weißen
+Wände zauberte, löschten die vielen dunklen Schatten wieder aus, die
+lang und spitz und breit und stumpf in totem Schwarzviolett sich über
+die Gasse hinzogen und über Türen und Fenster krochen. Zwischen den
+spitzen Pflastersteinen wucherte Gras, und auf dem Fußsteig trat man
+in tiefe Löcher. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Kein Gesicht zeigte
+sich hinter all den Gitterfenstern.
+
+Mehr schmale Gäßchen. Mehr gelbe, blaue, weiße Häuserchen, alle alt und
+alle verwittert. Ueber einem flachen Dach ragte in der Ferne fein und
+zierlich der Kathedralenturm in das tiefe Blau.
+
+An der Ecke, bei einem Brunnen, in dessen Steinwände viele Jahre
+und viele Wassertropfen große Löcher gefressen hatten, stand ein
+amerikanischer Kavallerist, Karabiner im Arm, und deutete nach
+vorwärts, wo das Gäßchen sich verbreiterte. Und bald wurde aus der
+Stille Lärm. Zwar sahen die kleinen Häuser noch immer über alle Maßen
+alt und verträumt aus, und vor Fenstern und Türen lagen hölzerne Läden,
+mit schweren Eisenstangen fest verschlossen. Aber Inschriften in gelben
+und goldenen Lettern über Türen und Schaufenstern zeigten, daß hier
+doch noch lebendige Menschen wohnen mußten, die arbeiteten und kauften
+und verkauften. Weiter oben standen sie, die lebendigen Menschen,
+in dichten Gruppen; einem knallgelben Haus gegenüber. Sie trugen
+spitze Strohhüte und dünne Hosen und Jacken, bald braun, bald weiß,
+bald farbig, aber immer zerfetzt. Weiber waren dazwischen mit wirrem
+Haar und kurzen Röcken, unter denen die braunen Beine hervorguckten,
+und neben ihnen kauerten nackte Kinder. Alle schrien und zeterten.
+Sie schrien nach Brot, denn unter der armen Bevölkerung von Santiago
+herrschte arge Hungersnot. Spanische Gendarmen drängten sie zurück.
+Vor dem knallgelben Haus scharrten und wieherten viele Pferde, von
+amerikanischen Regulären gehalten. Offiziere kamen und gingen. Es war
+das Hauptquartier des Siegers.
+
+
+
+
+Im Kabelbureau.
+
+ Der spanische Telegraphendirektor. -- Unter Dach und Fach. -- Wir
+ requirieren Wäsche. -- Der wundersame Patio. -- Das große Baden. --
+ Der brauchbare Antonio. -- Wir rüsten ein Mahl. -- »=Caballeros
+ telegraphistas!=« -- »Oh, der verdammte Speck!« -- »Man muß
+ ein Loch in die Uhr schießen!« -- Das Feuerrad. -- Im Dunkel.
+
+
+Der Lehrer der französischen Sprache an dem bayrischen Gymnasium von
+Burghausen an der Salzach, in dem dickschädelige bayrische Bauersöhne
+in glänzenden schwarzen Hosen sich die erste wissenschaftliche Reife
+ersitzen und leichtsinnige Münchner Früchtchen gezwiebelt werden --
+Monsieur würde sich gewundert haben, hätte er gewußt, daß in diesem
+Augenblick der hinausgeschmissene Lausbub ihn im Kabelbureau von
+Santiago dankbar segnete. Mein Burghausener Französisch war zwar ein
+grammatikalisches Gerippe nur, aber es genügte. Bei Gott, es genügte!
+
+Wir waren im Kabelbureau von Santiago de Cuba. Der Major stand
+breitspurig da, biß sich auf den Schnurrbart und bemühte sich offenbar,
+höflicher zu sein, als ihm der Sinn stand. Ihm gegenüber tänzelte ein
+kleines Männchen von einem lackbestiefelten Bein aufs andere. Sie
+waren das Schönste an ihm, diese prächtigen Lackstiefel, wenn auch der
+schneeweiße Leinenanzug ihnen einige Konkurrenz machte. Das Männchen
+war der spanische Telegraphendirektor. Der zappelige Spanier fuhr mit
+wohlgepflegten, ringgeschmückten Händen beschwörend auf den Major zu.
+
+»Ich weiche der Gewalt!« sagte er. (Auf Französisch -- daher mein
+Segnen!)
+
+»Es handelt sich hier nicht um Gewalt, mein Herr,« antwortete der Major
+in einem sehr verständlichen aber entschieden gräßlichen Französisch,
+»sondern um eine ausdrückliche Abmachung der Kapitulation, wonach die
+Telegraphenlinien vorläufig zu militärischen Zwecken von uns übernommen
+werden. Wo sind Ihre Beamten, mein Herr?«
+
+Die schönen Hände beschrieben wilde Kreise:
+
+»Sie wichen der Gewalt.«
+
+»Dann werden Sie selbst so freundlich sein müssen, mein Herr, mir die
+verschiedenen Verbindungen zu bezeichnen!«
+
+»Ich -- ich -- habe schriftlich ...« stotterte das Männchen und deutete
+auf die Tische mit den Telegraphentastern. An jeden war ein Zettel
+gehängt, auf dem die Verbindungen und die Anrufszeichen angegeben waren.
+
+»Sehr schön!« knurrte der Major mit einer ironischen Verbeugung. »Oh --
+hier haben wir ja die Santiagotal-Linie. Hastings, rufen Sie doch =S O=
+3 an!«
+
+Der Sergeant beguckte brummig den schweren, altmodischen Taster, der
+unseren modernen leichten Morseinstrumenten gegenüber so verächtlich
+war, wie es ein Mistwagen für ein Automobil sein würde, und begann zu
+klopfen. Die Blockhausstation meldete sich sofort.
+
+»Es ist gut,« sagte der Major. »Ich mache Sie dafür verantwortlich,
+mein Herr, daß alle Apparate sich in Ordnung befinden. Die Instrumente
+des Kabels nach Jamaica werden gegenwärtig von meinem Kabelexperten
+geprüft ...«
+
+»Ich lehne alle Verantwortung ab!« schrie der nervöse
+Telegraphendirektor.
+
+»Aber durchaus nicht,« meinte der Major freundlich. »Sie werden im
+Gegenteil so liebenswürdig sein, sich heute abend um neun Uhr im
+Hauptquartier einzufinden. Dann werden wir festsetzen, unter welchen
+Bedingungen die Beförderung von Telegrammen und Kabelgrammen in
+spanischer Sprache übernommen wird. Ich mache Sie jetzt schon darauf
+aufmerksam, mein Herr, daß wir Ihrer und Ihrer Beamten für den Dienst
+bedürfen werden.«
+
+»Ich gehorche der Gewalt,« zeterte das Männchen.
+
+»=Très bien=,« sagte der Major. »Auf Wiedersehen also heute abend um
+neun Uhr im Hauptquartier!« Und der Herr Telegraphendirektor trippelte
+mit wutgerötetem Gesicht der Türe zu.
+
+»Der verdammte Narr!« platzte der Major heraus. »So, Jungens. Ich muß
+ins Hauptquartier. Die Apparate im Kabelzimmer gehen euch vorläufig
+nichts an. Befördert werden von euch heute abend nur die Telegramme an
+=S O= 3, die ich durch Ordonnanzen sende. Richtet euch so gut ein als
+möglich, damit ihr mir morgen frisch seid, denn wir werden Arbeit in
+Hülle und Fülle haben. Stadturlaub gibt es heute noch nicht. Ihr habt
+hübsch hier zu bleiben. Das Nötige schicke ich euch.«
+
+Dann ging er.
+
+Wir aber waren schon außer Rand und Band, kaum daß der Major die
+Türe hinter sich geschlossen hatte. Karabiner, Revolver, Tornister,
+Feldtaschen schmissen wir in eine Ecke, daß es krachte, und lachten und
+schrien und spektakelten. Weil wir ein richtiges Dach über uns hatten
+und in einem wirklichen Zimmer waren; wieder einen Tisch sahen und
+Stühle zum Draufsitzen.
+
+»Meinetwegen kann's jetzt Niagarafälle vom Himmel herunterregnen!«
+schrie Sergeant Souder und ließ sich mit voller Wucht in einen Stuhl
+fallen. »Hoh! Das also ist ein Stuhl! So sieht ein Stuhl aus? So sitzt
+es sich in einem wirklichen ehrlichen Stuhl -- oah ...« Und er räkelte
+sich und reckte sich und streckte die Beine gewaltig lang aus, der
+Sergeant Souder.
+
+Schreiend phantasierten wir einander vor, was wir in den nächsten
+vierundzwanzig Stunden alles essen wollten. Ungeheuerliche Genüsse
+dachten wir uns aus. Aber bald wurden wir des Spektakelns müde und
+gingen als gute Soldaten daran, die Oertlichkeit zu rekognoszieren.
+Den langen Telegraphentischen und den klobigen Instrumenten schenkten
+wir kaum einen Blick -- die würden wir schon noch kennen lernen. Den
+Kabeltelegraphisten, der jetzt aus dem Nebenzimmer kam und uns erzählen
+wollte, daß die spanischen Kabeleinrichtungen durchaus nicht seinen
+Beifall fänden, schrien wir einfach nieder.
+
+»Morgen! Morgen, mein Sohn, wollen wir dein gesegnetes Kabel
+beschnüffeln -- heute nicht!« knurrte der alte Hastings. »Heute müssen
+wir herausbekommen, wo man sich waschen kann und wie man etwas zu
+essen auftreibt und -- o Lord, so viele schöne Dinge, wie ich sie alle
+notwendig brauche, gibt es überhaupt gar nicht! Jungens, dies Ding hier
+sieht aus wie eine Kirche!«
+
+Kein übler Vergleich. In mattem Halbdunkel nur ließen die hohen, schwer
+vergitterten, buntbeglasten Fenster gedämpfte Lichtstrahlen in den
+riesigen Raum einströmen. Aus steinernen Fliesen war der Boden, und
+sonderbar hoch wölbte sich in vielen spitzen Bogen die weiße Decke.
+Alt und verträumt wie die Gäßchen draußen, war auch das Haus hier.
+Uralt schien alles. Die kunstvollen, eisengeschmiedeten Gitter, die uns
+von dem schmalen Schalterraum abschlossen, das buntbemalte Kruzifix
+in der Ecke, die sonderbaren eisernen Tintenfässer auf den Tischen,
+das Kupferschmiedewerk der Lampen, die aussahen wie Ampeln. Sogar die
+vielen an den Wänden angenagelten Verordnungen schienen aus einer
+anderen Zeit zu stammen mit ihrer schnörkeligen, verzierten, pretiösen
+Schrift.
+
+An der einen Seitenwand des Raums waren vier Türen. Souder riß die
+erste auf und schrie: »Hierher, Jungens! Da steht ein Waschstand und da
+ist Seife, bei meiner armen Seele, und hier hängen Handtücher. =Glory
+be to God.= Könnt ihr euch überhaupt noch vorstellen, wie Handtücher
+aussehen?«
+
+Wir stürzten herbei und jubelten.
+
+Dann ging's zur nächsten Türe. Hinter ihr war eine Art Wandschrank,
+in dessen Fächern drei große Pakete lagen. Ritsche -- ratsche -- riß
+Hastings das dünne Papier von dem einen ... und seine Augen wurden groß
+und größer.
+
+»Und führe uns nicht in Versuchung!« sagte er. »Kinder, es ist traurig,
+doch ich muß euch daran erinnern, daß das Zeug auf keinen Fall uns
+gehört, gehöre es, wem es mag. Finger weg!«
+
+Aber wir hatten ihm die Stücke schon aus den Händen gerissen und
+tanzten begeisterte Kriegstänze. Es war ja nicht zu glauben -- es war
+zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Wäsche hielten wir in den Händen.
+Reine Wäsche -- frisch von der Waschfrau! Seidene Wäsche darunter gar!!
+Hemden und Hosen und Kragen und Strümpfe und feine Leinenanzüge ...
+Irgend ein spanischer Telegraphenbeamter, der ein höchst verwöhntes
+und sehr feines Herrchen sein mußte, hatte sich aus irgend welchem
+Grunde seine Wäsche ins Bureau schicken lassen. Nein, nicht einer nur.
+Mehrere. Die Wäschestücke waren verschieden groß.
+
+»Sie passen mir tadellos,« grinste Souder, der ein Paar Hosen prüfend
+vor sich hinhielt.
+
+»Zum Teufel -- laß das Zeug liegen,« rief Hastings. »Es ist
+Privateigentum.«
+
+»Schrei nicht so,« antwortete Souder gemütlich. »Ich weiß schon, daß
+du hier Rangältester bist. Aber sag einmal, Freund, soll ich in diesem
+blutigen Krieg nicht einmal ein reines Hemd und eine saubere Unterhose
+erbeuten dürfen?«
+
+»Wir können uns doch Wäsche _kaufen_!« knurrte Hastings.
+
+»Ganz richtig -- vorläufig kaufe ich mir diese hier --«
+
+»Und wenn der Major ------ «
+
+»Laß mich zufrieden!« schrie Souder. »Wenn der Major so dreckig wäre
+wie ich, so würde er sich die feine Wäsche hier mit der gleichen
+Gemütsruhe stehlen, wie ich das zu tun gedenke. Pardon -- requirieren
+würde sie der Major. Zum Kuckuck, wir sind doch keine Sonntagsschüler!«
+
+Sergeant Hastings hielt ein Hemd in der Hand und sah es lange und
+liebevoll an.
+
+»Ich habe eine Idee!« sagte er endlich. Er ging zum Tisch, nahm ein
+Telegrammformular und schrieb: »Die hier fehlenden Wäschestücke habe
+ich mir aus Gesundheitsrücksichten für mich und meine Kameraden
+angeeignet. Der Eigentümer erhält Bezahlung von mir. Hastings,
+Signalsergeant.«
+
+Dieses merkwürdige Schriftstück legte er in den Schrank an Stelle der
+fehlenden Pakete und schloß ihn sorgfältig wieder zu, nachdem wir uns
+ein jeder ausgesucht hatten, was wir brauchten.
+
+»Die Sache ist =allright=!« meinte der alte Sergeant schmunzelnd. »Ohne
+den Fetzen Papier wär's Plünderung -- mit dem Fetzen Papier ist's
+dienstliche Requisition.«
+
+»Vielleicht gibt's noch mehr zum Requirieren!« lachte ich.
+
+Die dritte Türe barg einen Aktenschrank mit allerlei Formularen.
+Die vierte ging in einen großen Raum, der nur durch das Türoberlicht
+vom Bureau her erleuchtet wurde. Er war gänzlich kahl und leer. Nur
+an den Wänden standen Ballen mit zusammengeschnürten Papieren. Eine
+offene Tür gegenüber zeigte ein kleines Gemach mit allerlei Gerümpel
+und einem Herd in der Ecke. Helles Licht strömte aus einer hohen und
+breiten Oeffnung in der Mauer. Ausgetretene steinerne Stufen führten
+zu einem kleinen Hof hinab, versteckt und still und wundersam. Von
+maurischen Hufeisenbögen getragen, gestützt von schlanken weißen Säulen
+neigte sich ringsum weit in den Patio hinein der dachartige Vorsprung.
+Verträumtes Plätschern klang rieselnd in die Stille. Rankenversponnen
+waren die Wände, und da und dort leuchteten blaue und rote Blüten
+aus dem tiefen Grün. In der Mitte stand der Springbrunnen mit einem
+gewaltigen Löwen von sonderbar eckigen Formen, aus dessen Maul ein
+dünner Strahl in das marmorne Bassin fiel. Uebergroß, schwarzdunkel
+sah das Brunnenbild aus im kühlen, gedämpften Licht der untergehenden
+Sonne. Aus roten Ziegelsteinen war der Boden. Rechts und links guckten
+flache Dächerreihen über die Mauern herein, und gegenüber ragte eine
+graue Häuserwand mit kreuzweis vergitterten Fenstern empor.
+
+»Es geht nicht,« brummte Souder kopfschüttelnd und sah zu den Fenstern
+hinauf. »Nee -- es geht nicht!«
+
+»Was geht nicht?« fragte ich.
+
+»In den Springbrunnen da hineinzusteigen, wie ich es gern möchte.
+Die Kleider herunter und hinein in den Brunnen! Aber die =ladies=
+könnten's übelnehmen ...«
+
+Da guckte ich mir den Brunnen an, und in meiner Seele stieg ein großes
+Wünschen auf nach einem großen Bad. Aber während ich noch guckte, wurde
+drüben in der grauen Häuserwand ein Fensterladen ein wenig geöffnet,
+und ein Frauengesicht sah neugierig auf uns herab, sofort wieder
+verschwindend, als ich lustig hinaufwinkte. Nein, es ging wirklich
+nicht! Aber es fiel mir ein, daß ich in der Küche in einem Winkel eine
+Art Zuber gesehen hatte. Den holte ich und warf ihn in den Brunnen, und
+Souder und ich holten ihn zusammen heraus, wassergefüllt.
+
+»Halleluja!« rief der alte Hastings. »Ihr müßt aber ja nicht glauben,
+daß die alte Badeanstalt euch beiden allein gehört. Vorwärts, marsch,
+hinein mit der Badewanne ins Zimmer ...«
+
+Und ein großes Baden hub an in dem leeren Gemach neben dem Bureau.
+Einen fürchterlichen Spektakel machten wir dabei. Im Nu hatten wir uns
+ausgezogen und kugelten übereinander; fünf Männer, die sich pufften
+und stießen, um in einem mittelgroßen Zuber und einer ziemlich kleinen
+Waschschüssel möglichst schnell, möglichst gründlich und möglichst
+gleichzeitig zu -- baden.... Der Kabeltelegraphist, der ein langsamer
+Geselle war und sich beim Auskleiden nicht gesputet hatte, mußte
+auf allgemeine Einschreierei seine Hosen wieder anziehen und in der
+Waschschüssel ohn' Unterlaß frisches Wasser herbeischleppen. Den Zuber
+zerrten wir ein halbes dutzendmal zur Küchentüre und stürzten ihn
+einfach um. Das Wasser würde ja schon irgendwohin ablaufen. In fünf
+Minuten waren die Küche und das Nebengemach ein kleiner See. Wir aber
+badeten. Wir spritzten wie nicht gescheit. Wir zankten uns um das
+einzige Stückchen Seife -- und tanzten umher unter allerlei Kapriolen
+und pfiffen und schrien und schwelgten in Wasser und Seifenschaum. Ein
+Zuhörer würde uns reif fürs Tollhaus gehalten haben.
+
+Da öffnete sich knarrend eine Türe und eine krähende Stimme rief:
+»=Caballeros!=«
+
+»Still!« sagte Hastings. »Da ist jemand!«
+
+»=Señores!!=«
+
+»Oh, es ist nur ein =Cubano=,« lachte Souder und schrie laut: »Fahr'
+zur Hölle -- dies Bureau ist geschlossen!«
+
+»Nix Hölle!« meckerte die Stimme in gebrochenem Englisch. »Mich
+geschickt von =Señor Capitano= mit einem Brief, =Señores=!«
+
+Gleichzeitig schob sich eine Gestalt in die Türe, und ein kleiner
+Kubaner stand da, uns listig anfunkelnd aus den Fuchsaugen in dem
+mageren braunen Gesicht. »Ich Antonio!« erklärte der Magere. »Mich
+Generalagent sein für die =caballeros telegraphistas=!«
+
+»Was?« schrie Hastings.
+
+Der Kubaner grinste und gab ihm einen Brief.
+
+Brummend wischte sich der splitternackte Sergeant den Schaum aus den
+Augen und las laut:
+
+»Sergeant Hastings!« begann der Brief. »Der Ueberbringer heißt Antonio
+und ist ein Spitzbube. Aber er kann ein bißchen Englisch und wird
+Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen. Inliegend zwanzig Dollars.
+Sehen Sie Antonio auf die Finger! -- Stevens.«
+
+Antonio mochte ein Spitzbube sein, aber für uns war er ein Juwel. Er
+hatte einen Sack mitgebracht, den er nun in die Küche schleppte und
+ausleerte. Ich guckte, faselnackt noch immer, neugierig zu, wie aus dem
+Sack allerlei Bratpfannen und Töpfe rollten und allerlei Proviant in
+Armeeverpackung: Zucker, Salz, Mehl.
+
+»Mich fein kochen!« erklärte Antonio stolz. »Mich überhaupt alles!!«
+
+»=Bueno!=« nickte ich -- kletterte in eine seidene Unterhose und
+schlüpfte, o Wonne über Wonne, in ein batistenes Hemd. Die ganze Welt
+hätte ich umarmen können, so glücklich kam ich mir vor, wenn ich auch
+merkwürdig müde war und alle Glieder mich schmerzten. Zunächst äußerte
+sich meine Glücksstimmung darin, daß ich Antonio einen Silberdollar
+schenkte, den er mit einer tiefen Verbeugung und einem »=gracias,
+Señor=« grinsend einsteckte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt.
+Aber Antonio war diesen Silberdollar unter Brüdern wert und ganz gewiß
+auch die fünfzig Prozent Spitzbubentaxe, die er ohne Zweifel auf jeden
+Einkauf draufschlug.
+
+Ein Juwel war er, ein Wunder, ein Genie, das im Augenblick die
+Situation erkannt und es instinktmäßig begriffen hatte, daß den
+=telegraphistas= die Silberstücke locker saßen, so man sich ihnen nur
+nützlich zu machen wußte. Und Antonio setzte in ganz unspanischer
+und unkubanischer Weise seinen Intellekt und seine Beine in rapide
+Bewegung. Er zog ein Rasiermesser und einen Streichriemen aus der
+Tasche, erklärte, daß er in friedlichen Zeiten Barbier sei, wenn es
+auch jetzt mit dem Geschäft sehr faul stehe, und hatte im Handumdrehen
+uns alle ausgezeichnet rasiert. Er kam und ging, verschwand und war
+wieder da. Er schleppte bauchige Flaschen herbei voll schweren Rotweins
+und viele Zigaretten und viele Zigarren -- und wir priesen dankbar die
+Güte der Götter, die uns in ein Land geführt hatten, in dem man für
+wenige Dollars so viele schöne Dinge bekommen konnte. Er brachte uns
+Arme voll =alpergatos= zum Aussuchen, und wir steckten unsere Füße in
+die wonnige, weiche Tuchbekleidung, auf deren Stricksohlen es sich
+so leicht ging, und wunderten uns, daß die Dinger kaum einen halben
+Dollar kosteten. Er brachte Holz und brachte Kohlen und machte Feuer
+an im Küchenherd und zauberte Eier herbei und rupfte Hühner, die er
+gottweißwo aufgetrieben hatte -- und wenn's dem Herrgott in Frankreich
+gut gegangen ist, so ging es uns armen Signalisten besser noch im
+kubanischen Land.
+
+Antonio war überall. Er hatte auch seine Frau herbeigezaubert, die
+fünfmal so dick war wie ihr Gatte. Sie briet jetzt Hühner und rührte
+Omelettes, während er, allgegenwärtig, Uniformen mit Benzin putzte und
+unsere Flanellhemden wusch und doch sofort mit einem Zündholz da war,
+wenn man sich eine frische Zigarette nahm.
+
+Oh, es ging uns ausgezeichnet; wir hatten es über alle Maßen gut!
+Lümmelig saßen wir da auf den bequemen Stühlen, streckten unsere Beine
+lang aus auf die Telegraphentische und waren sehr zufrieden.
+
+»Antonio, eine Zigarre!«
+
+Antonio flog.
+
+»Antonio -- ein Zündholz!«
+
+»=Si, si, Señor.=«
+
+»Antonio! Mach' die Tür zu ...«
+
+Wie Granden von Spanien kamen sie sich vor, die =caballeros
+telegraphistas= ------
+
+ * * * * *
+
+Als das Essen auf den Tisch kam, geschah etwas Sonderbares -- wir aßen
+fast nichts. Ausgehungert hätten wir uns auf die allererste anständige
+Mahlzeit seit langen Wochen stürzen müssen, aber einsilbig saßen wir da
+und stocherten mißgestimmt auf den Tellern herum. Und der Kubaner hatte
+sich so große Mühe gegeben! Ein Tischtuch hatte er herbeigezaubert und
+wirkliche Teller und wirkliche Bestecke. Auf großen Platten prangten
+die Hühner und die Omeletten. Purpurrot schimmerte der schwere Wein in
+den Gläsern.
+
+»Ihr eßt ja nichts!« brummte Hastings.
+
+»Du ja auch nicht,« knurrten wir.
+
+»Weiß der Teufel, was das ist,« sagte Souder.
+
+Der Kabeltelegraphist legte Messer und Gabel vor sich hin. »Ich
+glaube, ich weiß, was es ist,« sagte er. »Als ich noch bei der
+Western-Union-Telegraphen-Company war, schickten sie mich einmal in
+ein verdammtes Nest in Arizona, wo es nur halbvergiftetes Wasser zu
+trinken gab, Wasser, das mehr Alkalisalze enthielt, als für einen
+Christenmenschen gut war. Vier Monate später wurde ich in St. Louis
+sehr krank -- weil mir das Alkaligift fehlte, an das mein Magen sich
+gewöhnt hatte. Der Doktor hat mir das gesagt. So geht's uns auch jetzt.
+Unsere Magen sind auf den verdammten Speck eingefuchst und können
+anständiges Essen noch nicht vertragen!«
+
+»Der verdammte Speck!« brummte Souder.
+
+Mißmutig saßen wir da, verdrossen und übler Laune. Da stand nun auf
+Platten und Tellern, wonach man sich wochenlang gesehnt ------ ja, der
+verdammte Speck!!
+
+Um wenigstens etwas Leben und Freude in die gräßliche Mahlzeit zu
+bringen, brachten wir ein Hoch auf den Major aus und zerschmetterten
+unsere Gläser an der Wand, wie amerikanische Offiziere es tun in ihren
+Messen bei großen Toasten. Aber es war auch da kein rechter Zug in der
+Sache.
+
+Antonio räumte kopfschüttelnd die Herrlichkeiten wieder ab.
+
+ * * * * *
+
+Die anderen spielten Poker an dem runden Tisch in der Ecke. Ich war
+zu müde. Allein saß ich in der anderen Ecke, den Spielern gegenüber,
+auf einem Stuhl, den ich schräg gegen die Wand gelehnt hatte, um recht
+bequem zu sitzen. Es schien mir, als sei mir der schwere Wein in den
+Kopf gestiegen, so wenig ich auch getrunken hatte. Ein Glas nur oder
+zwei.
+
+Furchtbar müde war ich, aber gar nicht schlafensmüde, eher überwach.
+Gliedermüde nur. Die Glieder schmerzten mich so. Die Arme und die
+Beine schmerzten mich, als ob irgend etwas in ihnen zerre und reiße.
+Dann wieder wurden sie mir bleiern schwer, und es kostete mich Mühe,
+die Zigarette zum Munde zu führen. Wie sonderbar sie schmeckte, diese
+Zigarette! Nach gar nichts, rein nach gar nichts. Weg damit!
+
+»Antonio!«
+
+»=Si, señor.=«
+
+»Eine Zigarre, bitte ...«
+
+Er schnitt die Spitze ab und gab mir Feuer, geräuschlos verschwindend.
+Ich rauchte und schüttelte den Kopf, denn auch die Zigarre schmeckte
+nach gar nichts ...
+
+Wie die Uhr an der Wand gegenüber glitzerte und funkelte! Sie hatte
+ein gelbmetallenes Zifferblatt, und die glänzende Scheibe schien alles
+Licht im Zimmer an sich zu saugen und wiederzustrahlen. Sie blendete
+mich. Aber es war doch nicht der Mühe wert, aufzustehen. Und der Pendel
+der Uhr schwang immerwährend hin und her und der bestand auch aus einer
+glänzenden kleinen Scheibe und der leuchtete auch. Ich mußte immer
+wieder hinsehen.
+
+Tik -- tak -- tik -- tak ...
+
+Laut wie Gehämmer war der Pendelschlag.
+
+Dazwischen hörte ich deutlich meinen eigenen Pulsschlag in der Schläfe
+und der großen Halsader: eins, zwei, drei, vier -- eins, zwei, drei,
+vier -- vier Pulsschläge immer auf einen Pendelschlag ... Ach was,
+dummes Zeug. Wenn ich nur nicht so bleiern müde wäre ...
+
+»Ich habe vier Könige, meine Herren! Das Geld ist mein!« sagte eine
+Stimme ganz weit weg.
+
+»Vier Könige sind viel!« dachte es in mir.
+
+Tik, eins, zwei, drei, vier -- tak, eins, zwei, drei, vier ... Wie doch
+die infame Scheibe da drüben glitzerte und blendete! Ich machte die
+Augen zu, aber selbst mit geschlossenen Lidern sah ich Fluten von Licht.
+
+Man mußte ein Loch in diese Uhrscheibe schießen -- mitten hinein -- und
+das gab dann einen dunklen Punkt -- und dann konnte sie nicht mehr so
+leuchten ...
+
+Tik -- tak ----
+
+Mitten hinein mußte man schießen!
+
+Da begann die Scheibe sich langsam zu drehen, und dann bewegte sie sich
+immer schneller in funkelndem Kreis und wurde zum flammensprühenden
+Feuerrad, das mit fürchterlicher Geschwindigkeit sich sausend schwang.
+
+Und immer noch schneller ...
+
+Da barst es funkensprühend mit dumpfem Krachen und es wurde ganz dunkel
+...
+
+
+
+
+Auf der Insel des Gelben Fiebers.
+
+ »Ich bin gar nicht tot!« -- Im Hafenhospital von Santiago. -- Die
+ gelbe Flagge im Boot. -- Die Schmerzen im Leib. -- Der sterbende
+ Trompeter. -- Warum ich den Neger erschießen wollte. -- Schlafen,
+ nur schlafen! -- Das Dunkel zwischen Tod und Leben. -- Dr.
+ Gonzales. -- Ich bin Sergeant geworden. -- Das Haus des Elends. --
+ Krankenpfleger und Totengräber. -- Wie der Rauhe Reiter
+ Himmelsblumen pflückte. -- Eine nächtliche Schreckensszene. -- Der
+ Insel der Verdammten wird Hilfe. -- Die Krankenschwestern.
+
+
+Viele Wochen später. Der Krieg war zu Ende.
+
+Der Transportdampfer hatte mich auf amerikanischem Boden gelandet, in
+Montauk Point, dem Lager der aus Kuba zurückgekehrten Truppen. Lange
+mußte ich suchen, bis ich in den Zeltreihen das Signalkorps fand.
+
+»Guten Tag, Kinder!« sagte ich, ins Sergeantenzelt eintretend, in dem
+Hastings, Souder und Ryan beisammensaßen. Die drei Männer fuhren empor
+wie aus der Pistole geschossen.
+
+»Verdammt -- er ist's!« brüllte Souder.
+
+»Teufel! Willkommen, Sergeant!« schrie Ryan.
+
+»Du bist also nicht tot?« fragte der alte Hastings und riß den Mund
+weit auf vor Staunen.
+
+»Ich bin gar nicht tot!« lachte ich seelenvergnügt. »Ich glaube es
+wenigstens nicht. Guten Tag, Kinder!«
+
+Dann ging's an ein Beglückwünschen, und ein großes Erzählen hub an. Auf
+Soldatenart. »Ich war wütend auf dich!« grinste Souder. »Machen sie den
+Menschen zum Sergeanten,« sagte ich mir, »und der Esel geht hin und
+stirbt! Läßt Wochen und Wochen üppiger Kriegslöhnung im Stich. So 'was
+Dummes!«
+
+»Wußtet Ihr denn nicht ----?«
+
+»Nichts wußten wir. An dem Abend im Kabelbureau -- du erinnerst dich?«
+
+»Und ob!«
+
+»Erinnerst du dich auch an Antonio?«
+
+»Natürlich.«
+
+»Den haben wir mitgenommen -- na, du wirst ja sehen. An jenem Abend
+also bist du mit dem Stuhl zusammengeknaxt und hast mir damit eine
+wunderschöne Pokerhand verhunzt, die ich eben bekommen hatte. Das
+vergess' ich dir sobald nicht ... Einen Augenblick!«
+
+Er ging und kam wieder, einen Arm voll Bierflaschen herbeischleppend --
+
+»Bums -- lagst du am Boden. Wir waren so erschrocken, daß wir die
+Karten hinwarfen -- Teufel, wenn ich an meine schönen drei Asse
+denke! -- und dich schleunigst aufhoben, wobei du mir übrigens einen
+niederträchtigen Fußtritt gegeben hast, mein Junge. Du schriest wie
+besessen und erzähltest allerlei Blödsinn von einer Uhr. Zuerst dachten
+wir, es sei der Wein. Aber wir hatten doch gar nichts getrunken.
+Dann schickten wir den Antonio ins Hauptquartier zum Major, und ein
+Stabsarzt kam, der sagte, du seiest sehr krank, und am frühen Morgen
+brachten wir dich ins Hafenhospital. Als ich tags darauf dort wieder
+vorfragte, hieß es, du seist auf die Gelbfieber-Insel geschafft worden
+und wahrscheinlich schon tot. Du hättest Gelbes Fieber. Dann hieß es,
+du lägest im Sterben. Adieu, dachten wir uns. Der arme Teufel ist schon
+längst begraben!«
+
+ * * * * *
+
+So also war es zugegangen an dem Abend im Kabelbureau. Ich wußte
+nichts davon. Die langen Stunden jener ersten Gelbfiebertage sind mir
+wie trübes undurchsichtiges Grau, aus dem nur da und dort grell und
+schrecklich das Erinnern leuchtet. Ich weiß, daß ich, erwachend, um
+mich sah und mich auf einer Matratze liegend fand, in einem großen
+hellen Raum, mit vielen anderen Soldaten, die auch am Boden lagen,
+auch auf Matratzen -- und daß mir dies und alles andere unendlich
+gleichgültig war. Daß ich mich auch nicht mit einem einzigen Gedanken
+darum kümmerte, was eigentlich geschehen war mit mir, ob ich krank sei
+oder nicht, und wo ich mich befand. Weder etwas sehen wollte ich, noch
+etwas hören, noch etwas wissen. Nur schlafen, schlafen. Meinetwegen
+konnte geschehen, was da wollte, wenn man mich bloß schlafen ließ
+und meine Ruhe nicht störte. Schlafen, nur schlafen! Dem Zwang der
+bleiernen Müdigkeit gehorchend, die über mir lag wie schwerer Alp.
+
+Eine Hand erfaßte meinen Arm, fühlte nach dem Puls, schob meinen Aermel
+zurück, griff mit harten Fingern in die Haut am Oberarm, zog sie empor,
+ließ sie zurückschnellen. Da und dort betastete mich die Hand. Sie
+riß meine Kleider auf und legte sich mir auf den Leib. Ich spürte das
+alles und wurde ärgerlich. Zu dumm, daß die -- die Hand da einen nicht
+in Ruhe lassen konnte! Eigentlich hätte ich mir die dumme Hand ja ganz
+gern angeguckt, aber es war doch nicht ganz so einfach, die Augen zu
+öffnen. Es machte wirklich zu viel Mühe! Nein, lieber nicht.
+
+»Wie fühlen Sie sich?« fragte eine Stimme.
+
+»Du meinst wohl, ich werde dir antworten?« dachte ich. »Du bist ein
+großer Esel, wer du auch sein magst. Siehst du denn nicht, daß ich
+schlafen will?«
+
+»Wie geht es Ihnen?«
+
+»Zu dumm -- die Fragerei,« dachte ich bloß.
+
+Da betastete mich wieder die Hand. Ein Finger legte sich auf mein
+Augenlid, und eine Stimme, die laut zu dröhnen schien, schrie dicht an
+meinem Ohr:
+
+»Tut das weh?«
+
+»Geh weg!« brummte ich.
+
+Und es wurde wieder hübsch still und dunkel. Nach langer Zeit dann
+schien es mir, als ob meine Matratze sich bewege und aufgehoben würde
+und fortgetragen. Ich hörte Stimmen und fühlte helles Sonnenlicht mehr
+als ich es sah. Da wachte ich endlich auf und öffnete wirklich die
+Augen. Ich war mitten auf dem Wasser, in einem großen Boot. Deutlich
+sah ich den breiten Rücken des Ruderers vor mir, sah wogendes Wasser,
+Häusermassen, grüne Hügel in der Ferne; sah eine große gelbe Flagge
+über mir flattern. Diese gelbe Flagge kam mir bekannt vor. Sie war es,
+die das erste halbwegs klare Denken in mir auslöste.
+
+Hm -- ich wußte doch -- natürlich! Gelbe Flaggen waren
+Krankheitsflaggen. Pest bedeuteten sie, Cholera, Gefahr der Ansteckung.
+Hm ja. Zu dumm. Halbbegriffen huschte mir der Gedanke durch den Kopf,
+daß ich also doch wahrscheinlich recht krank sein mußte. Aber -- wenn
+man krank war, dann war man eben krank -- andererseits -- wie konnte
+man denn krank sein, wenn einem gar nichts fehlte als Schlaf? Zu dumm!
+Zu dumm, daß sie einen nicht schlafen ließen.
+
+Und ich machte die Augen wieder zu.
+
+Um nichts in der Welt hätte ich sie geöffnet, denn nun war es
+wunderschön still und ruhig. Leise nur und wie aus weiter Ferne hörte
+ich gedämpfte Geräusche, und undeutlich war das traumhafte Empfinden,
+daß irgend etwas mit mir geschah. Daß man mich trug -- daß sie mich
+irgendwo hinlegten ...
+
+Plötzlich fuhr ich empor.
+
+Luft -- Luft! Oh -- der fürchterliche Schmerz im Leib! Das Brennen!
+Luft, zum Teufel!
+
+Es war dunkel. Ich sah nichts. Wo war ich? Was war geschehen? Souder,
+der Tölpel, mußte gestolpert sein, als er ins Zelt kam in der
+Dunkelheit -- auf den Bauch hatte er mich getreten mit den schweren
+Stiefeln -- ah, wie das brannte. Ich preßte die Fäuste gegen den Leib.
+So, jetzt war's besser. Wo bin ich? Was -- ist -- das?
+
+Und wie mit einem Schlage kam durch den aufrüttelnden Schmerz die Kraft
+des Sehens in mein Auge, und in mein Hirn die Fähigkeit des Denkens.
+Ich sah die Männer auf dem Boden liegen, sah den Neger in der Uniform
+eines Sanitätssoldaten, begriff, daß es Schwerkranke waren, unter denen
+ich mich befand, und daß ich selbst sehr krank sein mußte. Mühsam
+richtete ich mich auf, die Fäuste immer noch gegen den Bauch gepreßt,
+denn das half.
+
+»Heh, du!«
+
+Der Neger kam einen Schritt näher.
+
+»Was fehlt mir? Was ist das hier?«
+
+»Inselhospital, Herr. Für Gelbes Fieber und Typhus. Bin selber erst
+heute früh mit den ersten Kranken hergeschickt worden. Morgen kommen
+die Betten --«
+
+»Was -- fehlt -- mir?«
+
+»Weiß ich nicht,« antwortete der Neger mürrisch. »Bißchen Typhus, denk
+ich mir, oder 'n bißchen Fieber. Is nich schlimm, Herr. Furchtbar viel
+Arbeit hier für mich. Ich bin ganz allein ---- «
+
+Angst packte mich, furchtbare Angst. Gel -- bes Fieber -- die Schmerzen
+im Leib -- das schreckliche Müdesein ------ Regungslos hockte ich da
+und starrte um mich. Unter mir lag ein Strohsack. Ich war in einem
+kleinen Raum, der arg verwahrlost aussah vom roten Ziegelsteinboden
+bis zu den beschmierten Kalkwänden. Die schmutzigen Fenster ließen nur
+trübes Licht herein. Nackt und kahl war alles. An der einen Wand stand
+ein kleiner Tisch mit Gläsern und Flaschen und einem Stuhl davor. Links
+und rechts von mir und gegenüber lagen der Wand entlang auf Strohsäcken
+die Kranken. Wenige nur. Ich begann zu zählen -- eins, zwei, zehn ...
+
+Wieder packte mich die Angst. Gelbes Fieber -- die Schmerzen im Leib
+-- die, die ---- verdammt, es war ja gar nicht so schlimm mit den
+Schmerzen, wenn man nur die Fäuste ordentlich gegen den Bauch preßte --
+
+Mein Auge hatte sich jetzt an das Halbdunkel gewöhnt. In der Ecke
+schräg gegenüber kauerte auf einem Strohsack, an die Mauer gelehnt, ein
+riesiger Trompetersergeant, die glitzernde Trompete noch umgeschlungen.
+Sein weißes Gesicht war nach vorne gebeugt, und ein gefrorenes Grinsen
+klebte auf seinen Zügen. Der Oberkörper bewegte sich ruckweise, in
+immer gleichem Takt, immer ein wenig vorwärts, immer ein wenig zurück.
+Mit jeder Bewegung kam und ging ein röchelndes Rülpsen aus seinem Hals,
+regelmäßig wie das Ticken einer Uhr. Ueber das Hellbraun seines Rocks
+und das Metallgelb der Trompete tropfte trickelnd ein schwarzrotes
+Blutbächlein. Immer gleich blieben sich das Grinsen und das Rülpsen.
+Bei jedem Ruck nach vorwärts floß ein wenig schwarzes, dickes Blut aus
+dem Mund.
+
+Da verschwand auf einmal das Grinsen von dem Gesicht.
+
+Die Augen öffneten sich weit, der Mund sperrte sich auf, daß er aussah
+wie ein schwarzes Loch, und etwas Rotschwärzliches schoß strömend
+hervor aus ihm, sich über Mann und Strohsack ausbreitend in dunkler
+Lache. Der Körper aber schnellte vorwärts in gewaltigem Ruck und sank
+dann langsam zur Seite. Auf dem Strohsack daneben hatte der schlafende
+Mann den Arm weit von sich gestreckt, und seine gelbe Hand lag flach
+mit gespreizten Fingern auf dem Ziegelsteinboden. Um diese Finger und
+diese Hand ging langsam der Blutstrom. Er kroch hinein zwischen die
+Finger. Wie ein gezackter, weißer Fleck ragte die Hand aus der Lache.
+
+Es würgte mich.
+
+Der Neger kam langsam und faul herbei, nahm gleichgültig eine Decke und
+warf sie über den toten Trompeter. Sonst rührte und regte sich niemand.
+Die Männer auf den Strohsäcken lagen still da, schweratmend die einen,
+wie tot die anderen. Der Neger ging wieder an den Tisch, setzte sich
+auf den Stuhl und blickte stumpf vor sich hin. Ueber mich kam wieder
+die alte Müdigkeit, großes Gleichgültigsein, willenlose Erschlaffung.
+Ich fiel zurück auf den Strohsack. Und es wurde Nacht um mich.
+
+Müde, müde erwachten meine Sinne wieder. Ich schlug die Augen auf und
+sah, da links, im trüben Licht der Laterne in der Ecke, etwas glitzern.
+Neben mir. Die silbernen Schulterstreifen eines Offiziers waren es,
+eines Leutnants. Ich sah schärfer hin. Der Offizier lag ruhig da, lang
+ausgestreckt, und sein Leib hob und senkte sich im Auf und Nieder ganz
+langsamer, sehr tiefer Atemzüge. Aber --
+
+Nein, es war nicht möglich! Ich sah Gespenster im Fieber. Herrgott, das
+gab es doch nicht!! Ich versuchte nachzudenken, aber es wollte nicht
+gehen. Herrgott, das konnte doch nicht sein! War ich schon wahnsinnig?
+Mit einem Ruck richtete ich mich auf -- beugte mich hinüber --
+streckte tastend die Hand danach aus -- mit schwachen, zitternden,
+täppischen Fingern ----
+
+Denn etwas Furchtbares war da.
+
+Mit leisem Gesurre umschwebten mich Hunderte und Aberhunderte von
+winzigen, schwarzen Pünktchen, wogten unruhig auf und ab, schwebten,
+sanken tiefer und ließen sich wieder dort nieder, von wo sie gekommen
+waren -- in den starren, weit geöffneten Augen des Leutnants ...
+
+Der Offizier lag im Sterben. Noch ging und kam sein Atem in langen
+Zügen, doch die Kraft, die Augen zu schließen, hatte er nicht mehr.
+Aber er lebte noch -- er lebte noch! Und die Augen des Lebenden sahen
+schwarz aus wie Kohlensäckchen. Viele, viele kleine Fliegen wimmelten
+in entsetzlichem Gekribbel in den Höhlen des menschlichen Lichts. Auf
+den armen, wehrlosen Augen! Auf den Augen!!
+
+Ich wollte aufschreien, aber aus dem Schrei wurde nur ein Stöhnen.
+
+»Was gibt's?« fragte brummig der Neger vom Tisch.
+
+»Komm her, du schwarzer Hund!«
+
+»Wa -- as?«
+
+»Komm her, du -- schwarzer -- Hund!!«
+
+Ich hatte suchend herabgetastet an mir selber und wirklich im Gürtel
+den Revolver gefunden. Sie hatten ihn mir noch nicht abgenommen. Ich
+riß ihn aus dem Holster und nahm die Waffe in beide Hände und richtete
+sie auf den Neger --
+
+»Komm her, du ----!«
+
+Seine Augen wurden groß und erschrocken, daß ihr Weiß sonderbar abstach
+gegen die schwarze Haut. Langsam schlich er herbei, die Augen starr auf
+den Revolver.
+
+»Da! Die Augen!!« keuchte ich.
+
+»Nicht schießen, Herr -- Jesus Christus, nur nicht schießen!« stotterte
+der Schwarze.
+
+»Die Fliegen!!«
+
+»Er -- spürt nichts mehr -- ganz gewiß nicht ...«
+
+»Du verfluchte Bestie! Nimm ein Tuch! Deck es über ihn!«
+
+»Ich -- ich hab aber kein Tuch, Herr --«
+
+Da hob ich den Revolver. Der Neger riß sich mit furchtbarer Kraft
+ein Stück Hemd von der Brust, verscheuchte die Fliegen mit heftigen
+Schlägen und warf den Fetzen dem Sterbenden übers Gesicht ... Surre --
+surre -- umschwirrte es mich. Langsam hob und senkte sich der Leib des
+Leutnants.
+
+»Ruhe da drüben!« murmelte von einem Strohsack gegenüber eine Stimme.
+»Laßt einen doch schlafen ...«
+
+ * * * * *
+
+Schlafen, nur schlafen.
+
+Nichts mehr sehen wollen, nichts mehr denken müssen. Der Neger schlich
+zum Tisch zurück, plumpste auf den Stuhl, griff nach einer Flasche,
+aus der er etwas in ein Arzneiglas schüttete, und leerte es auf einen
+Zug. Ah! Das -- Herrgott, das war Whisky -- oder Rum -- oder ... irgend
+etwas, das betäubte, Ruhe schenkte! In der Flasche dort steckte das
+Vergessen! Ich wollte aufspringen, aber ein furchtbarer Schmerz schoß
+mir durch den Leib. Schwer fiel ich zurück. Da drückte ich die eine
+Hand in den Bauch und wälzte mich vom Strohsack. Ich schob den Revolver
+vor mir her und kroch über den Boden hin. Der Neger flüchtete sich in
+eine Ecke. Endlich, endlich, war ich am Tisch. Packte ein Tischbein.
+Zog mich langsam, ganz langsam empor. Griff nach der Flasche --
+
+»Nicht trinken, Herr!« schrie der Neger.
+
+Gegen das Tischbein gelehnt, hob ich die Flasche mit beiden Händen,
+denn sie dünkte mich schwer, und trank; trank etwas, das im kranken
+Magen wie Höllenfeuer brannte. Der Revolver war klirrend zur Erde
+gefallen. Und ich trank und trank und ließ betäubt die Flasche aus den
+Händen gleiten und mußte gewaltig husten und war inmitten sprühender
+Lichtfluten und sah weißglühende Sterne tanzen. Dann wurde es wieder
+dunkel.
+
+ * * * * *
+
+Stechender Schmerz über dem Herzen erweckte mich. Ich schlug die Augen
+auf und machte sie schleunigst wieder zu, denn das Licht blendete mich,
+schlug sie wieder auf und blinzelte verwundert auf die Gestalt, die
+sich über mich beugte. Hm ... verwirrter, verwilderter Haarschopf --
+braunes Gesicht mit warmen gütigen Augen hinter der goldberänderten
+Brille -- hohe Stirn mit schwerer Hiebnarbe -- massige Schultern in
+weißer Jacke -- eine lange, schmale Hand, die etwas Glitzerndes hielt
+... Die Hand senkte sich, und wieder verspürte ich den leise stechenden
+Schmerz in der Brust --
+
+»Lassen Sie die Dummheiten!« murmelte ich ärgerlich und wunderte mich
+im gleichen Augenblick, wie sonderbar dünn und fade meine Stimme klang.
+
+»Das sind keine Dummheiten!« sagte ein lachender Mund dicht über meinen
+Augen.
+
+»Zu -- dumm!«
+
+»Pst -- psst!« Die schmale Hand legte sich auf meine Stirn. »Sch ...!
+Wer wird so unhöflich sein! Wenn Sie es aber durchaus wissen wollen
+-- die Dummheit war eine kleine Strychnineinspritzung, die Ihr Herz
+notwendig braucht. So! Nun wollen wir wieder schlafen!«
+
+»Aber ...«
+
+»Pscht! Sie haben auf der ganzen weiten Welt nichts zu tun jetzt als zu
+schlafen!«
+
+Und ich machte gehorsam die Augen zu.
+
+Am gleichen Tag noch folgte dem ersten Erwachen das zweite, und wieder
+kam die glitzernde Spritze, und abermals fühlte ich den stechenden
+Schmerz auf der Brust. Ein Löffel voll kondensierter Milch wurde mir
+eingeflößt.
+
+»Pfui Deibel!« knurrte ich.
+
+»Sagen Sie das lieber nicht!« meinte der Mann in der weißen Jacke
+lächelnd. »Denn diese nahrhafte Milch wird, ein Löffel jede Stunde,
+noch lange Ihr einziges Nahrungsmittel bilden.«
+
+»Wieso denn? Ich -- ich habe Hunger!«
+
+»Aha! Hunger haben wir? Wir sind schon wieder ganz intelligent? Können
+reden und denken, nicht wahr? Schön. Wollen Sie mir versprechen, sofort
+wieder einzuschlafen, wenn ich Ihnen alles sage?«
+
+»J -- ja.«
+
+Die sonderbar großen, warmen Augen sahen mich unverwandt an und die
+ruhige Stimme erzählte kurz, ich sei recht krank gewesen an gelbem
+Fieber. Jetzt aber könne ich mich wieder so gut wie gesund nennen,
+immer vorausgesetzt, daß ich recht viel schlafen würde in den nächsten
+Tagen. Ueberhaupt nur schlafen! Und recht geduldig sein und nicht
+murren. »Denn sehen Sie, wenn man vier Tage lang getobt und geschrien
+hat, dann ist der Körper arg mitgenommen und muß ausruhen. Schlafen
+Sie! Freuen Sie sich, daß Sie eine Krankheit, wie gelbes Fieber es ist,
+überstehen konnten!«
+
+»Da hab ich wieder einmal Glück gehabt!« murmelte ich.
+
+»Ganz gewiß!« sagte der Mann in der weißen Jacke. »Aber nun wollen wir
+wirklich schlafen!!«
+
+Ich nickte nur.
+
+Viele Stunden gingen noch hin in diesem Halbbewußtsein des
+arbeitsunfähigen Hirns, das mit dem geschwächten Körper litt und
+schwach war. Ich sah alles nur wie durch Schleier. Die Menschen, die
+Dinge um mich schienen Schatten zu sein. Dann aber regte sich gewaltig
+der ursprünglichste Lebensdrang: Hunger hatte ich! Fürchterlicher
+Hunger quälte mich. Im Wachen und Schlafen hatte ich keinen anderen
+Gedanken als den einzigen: Essen! Gebt mir doch zu essen! Wollt Ihr
+mich denn verhungern lassen? Wenn der Mann in der weißen Jacke sich
+blicken ließ, bat und bettelte ich um ein Stück Brot wie ein Kind, und
+meinen bittersten Feind sah ich in ihm, wenn er mit unerschütterlicher
+Ruhe mir immer erklärte, das gelbe Fieber habe meine Magenwände und
+meine Därme so beschädigt, daß jede andere Nahrung als flüssige mein
+Tod sein würde. Ich glaubte es ihm nicht. Denn ich hatte ja solchen
+Hunger!
+
+Ich hörte nichts und sah nichts, sondern träumte nur vor mich hin und
+stellte mir vor, wie köstlich ein Butterbrot schmecken müßte -- ein
+kleines Butterbrot. Ich träumte nicht etwa von üppigen Mahlzeiten mit
+vielen Gängen, sondern von Brot nur, einfachem Brot. Die Herrlichkeiten
+des Paradieses hätte ich dahingegeben für ein kleines Stück Brot. Ich
+hörte Menschen schreien in bitterer Leidensnot und wandte nicht einmal
+den Kopf. Die hatten ja nur Schmerzen. Ich aber hatte Hunger. Und dann
+kam der Tag, an dem ich vier oder fünf Löffel Suppe bekam, schlechte
+Tomatensuppe, aus einer Konservenbüchse zusammengepantscht, mit einem
+Stückchen oder zwei aufgeweichten Brots. Da dünkte ich mich glücklich
+und reich.
+
+Mehr Suppe am nächsten Tag. Mehr aufgeweichtes Brot. Milch dann im
+Glas, nicht mehr im Löffel, dünnen Reisbrei -- Suppe endlich mit
+viel Brot. Der Tag kam, an dem ich die zitternden Füße aus dem Bett
+streckte und hinauskroch und verlegen dastand, mich krampfhaft an den
+Eisenstangen des Betts festhaltend. Langsam fing ich an, die Dinge
+um mich wirklich zu sehen und wirklich zu begreifen. Mit tastenden
+Schritten ging es zurück ins Land der Gesundheit.
+
+ * * * * *
+
+Eines Tages schlich ich hinter Doktor Gonzales her (das war der Mann in
+der weißen Jacke) und erwischte ihn gerade noch bei der Türe.
+
+»Ich möchte entlassen werden,« bat ich.
+
+Er lächelte, faßte mich am Arm und zog mich zur Türe hinaus in den
+grellen Sonnenschein. Kaum war ich im Freien, da merkte ich, wie
+schwach ich in Wirklichkeit war, denn sauer genug wurden mir die
+wenigen Schritte zu dem Zelt des Doktors, das auf dem Rasen vor dem
+gelben Gebäude aufgeschlagen war. Doktor Gonzales schüttete ein paar
+Tropfen Whisky in ein Glas, goß Sodawasser darauf und gab mir das
+Getränk. Hei, wie stark und hellhörig das machte --
+
+»Von einem Zurückkehren zur Truppe kann keine Rede sein, Sergeant,«
+erklärte er. »In vier Wochen vielleicht!«
+
+»Bin ich denn Sergeant?« fragte ich.
+
+Da bekam ich Billys Brief und vom Doktor eine gedruckte Liste der
+Beförderungen im Signalkorps -- ich war Sergeant ... Und ich las Billys
+Brief und mußte mich schleunigst hinsetzen, denn es wurde mir schwarz
+vor den Augen. Der Arzt lächelte.
+
+»Sie sind noch lange nicht dienstfähig, Sergeant,« sagte er. »Zum
+mindesten nicht unter den Verhältnissen in Santiago. Dagegen glaube
+ich, daß Beschäftigung Ihnen gut sein wird. Sie können mir nützlich
+sein. Sie haben in Ihren Fieberzeiten Ihr ganzes Leben hinausgeschrien
+und -- ich kann Sie brauchen.« Er wurde sehr ernst. »Die Zustände hier
+sind entsetzlich. Wir haben nur gelbes Fieber und Typhus in schwerster
+Form. Meine Hilfsmittel sind lächerlich gering. Es fehlt am Nötigsten.
+Ich kann weder Hilfskräfte noch Arzneimittel bekommen. Meine beiden
+Krankenwärter sind willig genug, aber ich müßte sechs haben nicht
+zwei. Ich werde Ihnen Arbeit geben, die Ihren Kräften entspricht. Sie
+sind also für die nächsten Wochen,« er lächelte ein wenig, »nicht mehr
+Sergeant erster Klasse des Signalkorps, sondern mein Assistent!«
+
+ * * * * *
+
+Das kleine Inselchen mitten in der Santiagobai, die Gelbfieberinsel,
+war eigentlich die Quarantänestation des Hafens. Ein morscher
+Landungssteg führte vom Wasser auf ein Stück Rasen. Dann kam das Haus,
+eine echt spanisch verwahrloste Krankenbaracke. In den Mauern des
+niederen, langgestreckten Gebäudes klafften Risse. Es enthielt nur
+einen einzigen Raum und einen noch älteren Anbau, in dem die Wände von
+Wasser trieften und die Fußbodenbretter verfault waren. Hinter dem Haus
+lagen Bretterhütten; eine Kochhütte die eine, Kloaken die anderen, mit
+tiefen Löchern im Boden und Schwärmen von Fliegen. Dahinter erstreckte
+sich gelber Sand. Im Hause reihte sich Bett an Bett. Schwerkranke
+waren es alle, Sterbende viele. Hier kämpfte Tag und Nacht, in einem
+Alleinsein, das schrecklich gewesen sein muß, ein einziger Arzt für
+das Leben vieler Menschen. Als Hilfe hatte Doktor Gonzales nur zwei
+Krankensoldaten und mich und einen alten Kubaner, der kochen mußte und
+Eimer hinein und hinausschleppen und Gräber graben. Nicht einmal die
+nötigsten Kräftigungsmittel hatte der Arzt für die Kranken -- nicht
+einmal reine Wäsche für sie -- nicht einmal Arzneien in genügender
+Menge und Auswahl -- nicht die Möglichkeit einmal halbwegs sorgfältiger
+Pflege ... Es war ein fürchterliches Krankenhaus.
+
+»Wenn ich nicht wüßte, daß sich das hier bald ändern muß,« sagte
+Doktor Gonzales zu mir am ersten Tag der Arbeit, als wir einen Toten
+hinaustrugen, »so würde ich -- ja, ich weiß nicht, was ich tun würde
+... Aber das Hospitalschiff ist abgegangen von New York, und bei seiner
+Ankunft bekommen wir alles, was wir brauchen, im Ueberfluß.«
+
+»Man könnte doch wenigstens Soldaten zur Arbeit herkommandieren!« wagte
+ich zu sagen.
+
+»Damit sie sterben?« antwortete der Arzt scharf. »Sehen Sie sich doch
+die Kloaken an! Die Fliegenschwärme überall! Den Schmutz! Hier wimmelt
+es von Krankheitserregern in jedem Sonnenstäubchen. Sehen Sie sich die
+verfluchte gelbe Baracke nur an! Die Gelbfieber-und Typhuskeime, die
+in ihr stecken, könnten eine Armee auffressen. Nein, hierher kommt
+mir kein Gesunder! Deswegen lasse ich Sie arbeiten. Wer Gelbes Fieber
+gehabt hat, ist immun. Er ist gesalzen gegen Fieberkrankheiten, wie
+man zu sagen pflegt. Und in fünf, sechs Tagen, =please God=, ist das
+Hospitalschiff da, und dann wollen wir diesen Höllenfleck mit Karbol
+überschwemmen und -- ja, dann wird's anders werden!«
+
+Wir begruben den Toten.
+
+Der Kubaner hatte ein Loch in den Sand gegraben, hundert Schritte
+vom Haus, auf einem winzigen Hügel, von dem die gelbe Fläche sich in
+sanfter Neigung zum Meer senkte. Auf dem eisernen Feldbett trugen wir
+den toten Mann zu seinem Grab, der Arzt und ich und der Kubaner und der
+Neger. Wir stellten das Bett neben das Grab, packten die Zipfel der
+Wolldecke, auf der der Tote lag, und hoben die Last vorsichtig über die
+Graböffnung. So standen wir, an einer Ecke des Grabes ein jeder, und
+bückten uns und knieten dann und legten uns flach hin und ließen die
+Leiche hinabgleiten. Aber unsere Arme reichten nicht weit genug. Das
+Bündel in der Decke schwebte einen halben Meter hoch über dem Boden des
+Grabes.
+
+»Loslassen!« befahl Doktor Gonzales.
+
+Ich sah, daß es nicht anders ging, daß wir uns nicht anders helfen
+konnten -- aber doch schüttelte mich ein unbezwingbares Grauen, als die
+Leiche plumpsend unten aufschlug und die Wolldecke sich verschob, das
+geistergelbe Gesicht bloßlegend, das nun aus der Tiefe gen Himmel zu
+starren schien. Der Arzt nahm rasch die Schaufel vom Sandhaufen, bückte
+sich und schob mit dem Stiel die Decke wieder über das tote Gesicht.
+
+»Ruhe in Ehren!« sagte er leise. »Du bist für dein Land gestorben.«
+
+Wir nahmen die Hüte ab, und der Kubaner schickte sich an, das Grab
+zuzuwerfen.
+
+Das war das Begräbnis.
+
+Ein toter Mann wurde in der verschmutzten Wäsche, in der er gestorben
+war, in ein Loch geworfen -- ein mürrischer Kubaner schaufelte Sand
+hinein -- ein schwitzender Neger stand daneben und half, leise fluchend
+über die schwere Arbeit in der heißen Sonne. Roh war's, fürchterlich
+roh, nicht zum Beschreiben brutal. Und doch hätte jeder Narr sehen
+müssen, daß es eben nicht anders ging in der Not der Verhältnisse.
+Weil ich so schwach war vielleicht, erschien mir alles noch roher und
+furchtbarer -- der trostlos öde Sand -- die niederen Grabhügel links
+und rechts mit ihren Holzstückchen, auf denen große Nummern standen --
+der schmutzige, gefühllose Totengräber ...
+
+Der Arzt sah gedankenvoll auf die Grabhügel. »Fünfundzwanzig tödlich
+verlaufene Fälle bis jetzt!« sagte er zu mir. »Ein verhältnismäßig
+günstiges Resultat!!«
+
+Wir gingen ins Haus, während Neger und Kubaner das Grab zuschaufelten.
+Von Bett zu Bett führte mich Doktor Gonzales. Er zeigte mir, wie man
+die Schnelligkeit der Atmung maß, und wie man ungebärdige Fieberkranke
+durch kräftigen Druck auf das Rückenmark beruhigte, während das
+Fieberthermometer eingeführt wurde. Das Ueberwachen der Temperaturen
+sollte meine Arbeit sein. Darauf kam es, so erklärte mir der Arzt,
+vor allem an, denn von seinem rechtzeitigen Eingreifen beim Steigen
+und Fallen der Fieberkurve hing Leben und Tod ab. Auf den Neger und
+den anderen Krankensoldaten konnte er sich nicht verlassen. Die
+Leute waren nicht nur beinahe zu Tode gearbeitet mit hunderterlei
+Pflichten, sondern es war auch ganz unmöglich, den einfachen Menschen
+beizubringen, daß ein Unterschied von wenigen Graden auf dem
+Thermometer der Unterschied zwischen Leben und Sterben war.
+
+»Und ich kann ja nicht überall zugleich sein!« murmelte der Arzt, und
+etwas Trauriges kam in sein ruhiges, kraftvolles Gesicht.
+
+Ich schrieb mir die Namen auf von Bett zu Bett und begann meine
+Arbeit, während er mir zusah und bald ein Fiebermittel gab, bald eine
+Strychnineinspritzung machte. Dabei erklärte er mir leise, daß er sich
+hier so starker Mittel bediene, wie sie so leicht kein Arzt anwenden
+würde.
+
+»Wir wissen so wenig von den Erscheinungen dieser Krankheit. Ihre
+Bekämpfung ist sogar in geregelten Verhältnissen ein Problem. Hier aber
+muß ich mit Keulenschlägen auf das Fieber losschlagen. Es muß herunter
+um jeden Preis, steigt es auf vierzig Grad; und das Herz muß gezwungen
+werden zur Arbeit, koste es was es wolle an Kraft, fällt es bis zu
+fünfunddreißig Grad.«
+
+So ging ich von Mann zu Mann und legte die Hand auf feuchte Leiber
+und lernte, mit unendlicher Geduld und vielen kleinen Kniffen,
+Fiebermessungen zu machen bei Menschen, die sich fortwährend hin
+und her wälzten und keinen Augenblick still hielten. Heiße, dumpfe,
+schweißgeschwängerte Luft erfüllte den Raum. Vierzig Menschen lagen in
+eisernen Feldbetten die Wände entlang. Einige wenige, die Glücklichen,
+hatten Nachthemden und weiße Jacken; die meisten aber lagen in den
+schmutzigen blauen Flanellhemden da, in denen sie gekommen waren. Die
+einen waren still und schienen ruhig zu schlafen. Die anderen lallten
+und schrien und tobten wie lärmende Kinder. Hier schrie einer nach
+seiner Mutter, dort johlte ein anderer ein Negerlied, dort gab einer
+mit dünner zitternder Stimme kreischende militärische Befehle: »Feuer
+aus dem Magazin -- auf dreihundert Meter -- Schne -- eell -- feuer!!«
+Der Neger und der Krankensoldat liefen fortwährend auf und ab. Bald
+halfen sie einem ins Bett, der im Fieberwüten herausgefallen war; bald
+unterstützten sie sich gegenseitig, einem sich verzweifelt Wehrenden
+ein wenig Milch im Löffel einzuflößen; bald liefen sie zur Türe und
+holten die Eimer, denn schon wieder hatte ein Kranker sein Bett
+beschmutzt.
+
+Da rief mich der Arzt. Auf dem Bett, an dessen Fußende er stand, lag
+ein junger Mensch, der kaum achtzehn Jahre zählen mochte. »=Corporal
+Clancey, F troop, Rough Riders=« hieß es auf dem Zettel an der Wand
+über dem Bett. Das Gesicht, das in der Krankheit eine sonderbare, fast
+olivengelbe Farbe angenommen hatte, war von mädchenhafter Schönheit und
+Weiche. Die wunderbar großen, braunen Augen glänzten irre in feuchtem
+Fieberglanz. Der Arzt sah bald den Mann an, bald das Thermometer, das
+er in der Hand hielt, und schüttelte den Kopf.
+
+»Helfen Sie mir, ihm den Mund öffnen,« sagte er.
+
+Ich tat es mit einem Löffel, und der Arzt schüttete dem Kranken ein
+Pulver in den Rachen und träufelte ein wenig Wasser tropfenweise in
+den regungslosen Mund. Die Wirkung war eine fast augenblickliche. Der
+bebende, zitternde Körper streckte sich. Die Augen schlossen sich fast
+ganz, und die unruhig fuchtelnden Hände sanken kraftlos auf die wollene
+Decke.
+
+»Der Mann hatte über vierzig Grad,« erklärte Doktor Gonzales. »Ich
+fürchte, er ist nicht mehr zu retten. Bleiben Sie bei ihm, messen Sie
+ihn alle zehn Minuten und rufen Sie mich sofort bei Untertemperatur.«
+
+Ich holte mir eine Kiste aus der Mitte des Zimmers -- amerikanische
+Munitionskisten waren die einzigen Stühle in diesem Krankenhaus -- und
+setzte mich ans Bett. Nach zehn Minuten maß ich: Sechsunddreißig.
+
+Der Kranke lag still da. Sein Mund war halbgeöffnet. Die glänzenden
+Augen schienen zwischen halbgeöffneten Lidern hervorzublinzeln. Da
+huschte plötzlich ein Lächeln über das weiche, schöne Gesicht, als
+träume der Knabe einen wunderschönen Traum. Die schlaffen Hände auf
+der Bettdecke begannen sich zu regen und leise auf und nieder zu
+bewegen in langsamem Tasten. Die Hände öffneten und schlossen sich und
+griffen wunderbar weich zu, als suchten sie etwas. Lächelnd betrachtete
+ich diese Hände. Wie schlank sie waren, wie kindlich fein, wie sie
+erzählten von guter Rasse und sorgsam gelernter Pflege! Und wie
+zierlich sie tasteten -- husche, husche -- zugreifend -- fein, ganz
+fein -- behutsam -- wie die Fingerspitzen über die rauhen Deckenhaare
+glitten -- als suchten sie etwas -- als wollten sie greifen -- pflücken
+------
+
+Da sprang ich entsetzt auf. Was war das? Dieses Tasten, dieses
+Suchen! Hatte mir nicht einst die alte Kinderfrau in ihren gruseligen
+Dämmerstundengeschichten erzählt, daß Sterbende Himmelsblumen pflückten
+--
+
+»Doktor Gonzales!« schrie ich.
+
+Er kam mit raschen, geräuschlosen Schritten von gegenüber, beugte
+sich über das Bett, sah scharf auf die rastlos gleitenden Hände, zog
+die Spritze aus dem Ledertäschchen, füllte sie und stach ein über dem
+Herzen. Die Hände wurden sofort still. Ich starrte wie gebannt in das
+Gesicht auf dem Kissen und sah in fast unmerklichem Uebergang das Gelb
+sich langsam röten. Dann schoß plötzlich gesunde Blutfarbe in die
+Wangen. Das aufgepeitschte Herz tat seine Schuldigkeit. Eine winzige
+Gabe eines furchtbaren Gifts hatte einen Sterbenden von den Pforten des
+Todes zurückgerissen.
+
+Da schnellte in jähem Wechsel der Körper mit gewaltigem Ruck empor. Die
+großen Augen starrten, der Mund wollte sich öffnen, wollte schreien --
+aber die Kehle brachte nur lallende Töne hervor. Die Hände wurden in
+die Höhe gerissen und schlugen wild nach links und nach rechts, und
+die Füße zuckten und stießen, daß die Eisenstäbe unten am Bett dumpf
+klirrten. In gewaltigen Stößen schnellte der Leib auf und nieder.
+Der Mann wäre aus dem Bett gefallen, hätten wir ihn nicht krampfhaft
+gehalten. Und während ich noch verspürte, wie unter meinen Händen die
+zuckenden Muskeln sich wehrten, sank der Rauhe Reiter steif zurück und
+lag still da. Sein Mund schien zu lächeln.
+
+»Lassen Sie ihn hinaustragen!« sagte der Arzt ganz langsam und ganz
+leise.
+
+Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Hat er schlimme Schmerzen leiden
+müssen?« fragte ich entsetzt.
+
+»Nein!« antwortete Doktor Gonzales. »Nein -- aber wir wissen diese
+Dinge ja nicht. Er mag in Himmelsseligkeiten geschwelgt haben oder
+Höllenqualen erlitten in seinen letzten Sekunden im lebendigen Leib
+-- wir wissen es nicht. Unter anderen Verhältnissen hätte ich ihn
+vielleicht retten können. Durch sorgfältige, ständige Ueberwachung,
+durch mildere Mittel zur rechten Zeit. Nach meiner besten Ueberzeugung
+jedoch hat der Junge nicht gelitten. Das ist ja der einzige freundliche
+Fleck in diesem Höllenbild: Sie wissen es nicht, unsere Kranken, wie
+elend es ihnen geht! Sie wissen nicht einmal, wie krank sie sind!!«
+
+ * * * * *
+
+Nein, sie wußten es nicht.
+
+Ein Mitleid, wie ich es nie in meinem Leben gekannt hatte, packte
+mich, wenn ich von Bett zu Bett, von Mann zu Mann schritt; ein
+Mitleid, das mich stark machte, denn es ließ vergessen, wie schwach
+ich selbst noch war. Die Männer des Krieges waren zu Kindern geworden.
+Das unbegreifliche, geheimnisvolle Walten der Fiebermächte hatte den
+rauhen Soldaten alles genommen, was stark und männlich und roh und
+brutal an ihnen war. Nicht äußerlich hilflos nur waren sie geworden
+wie Kinder, sondern kindlich im Geist in allen ihren Lebensäußerungen.
+Weich und anschmiegend, dankbar über alle Maßen für ein gutes Wort,
+für ein Streicheln, das sie im Fiebertraum zu empfinden schienen und
+mit einem Lächeln beantworteten. Die wenigen, die auf dem Wege der
+Besserung waren, hatten alle Hunger. Aber sie fluchten nicht und
+zeterten nicht nach Soldatenart, sondern sie bettelten alle um Milch,
+sie baten um Brot -- wie ein Kind seine Mutter bittet. Sie lachten
+lustig im Fieberlallen und sangen Lieder, die sie ganz gewiß nicht
+gesungen hätten bei gesunden Sinnen. Das nur und das nur allein machte
+die Hölle erträglich. Man sah selbst all das Furchtbare mit kindlichen
+Augen, ohne viel nachzudenken darüber ... Es mußte so sein -- das mit
+den übelriechenden Eimern -- das mit den schmutzigen Blechlöffeln, mit
+denen man von Mann zu Mann ging, Milch fütternd, ohne sie abzuwischen
+oder gar zu waschen -- das mit den Kloaken draußen, die fürchterliche
+Pestluft in den Raum strömen ließen, wenn man im Ein-und Ausgehen die
+Türen öffnete. Es mußte so sein, denn es war nun einmal nicht anders.
+
+Und ich maß und maß und fütterte hilflose Menschen mit Milch und wusch
+beschmutzte Menschen aus einem schmutzigen Eimer mit einem schmutzigen
+Fetzen eines alten Hemdes. Ruhe gab es keinen Augenblick. Bald schritt
+der Arzt meine Bettseite ab, bald ich die seine. Dutzende Male mußte
+ich ihn rufen, weil die Fieberbilder sich fortwährend veränderten.
+
+Am Spätnachmittag war der Neger verschwunden. Doktor Gonzales und ich
+suchten endlich nach ihm und fanden den armen Kerl in einer Ecke bei
+einer Kloake, dumpf vor sich hinstarrend. Der Sandboden zeigte, daß
+er sich erbrochen haben mußte. Jetzt sah ich den Arzt zum ersten Male
+erregt.
+
+»Herrgott, nimmt es denn kein Ende?« schrie er. »Neger sind doch
+sonst immun! Muß denn das verfluchte Fieber gerade den schwarzen
+Krankensoldaten packen, den ich brauche!«
+
+Mit vieler Mühe trugen wir ihn hinein und legten ihn auf das Bett, auf
+dem vor kurzem der Rauhe Reiter gestorben war. Die Leiche hatten wir
+draußen in einer schattigen Ecke auf dem Boden liegen lassen müssen,
+um das Bett frei zu bekommen. Und wieder ging es an die Arbeit, mit
+einem Mann weniger. Gegen Abend wurden die Kranken ruhiger und die
+Fiebertemperaturen gleichmäßiger.
+
+»Wir wollen schnell etwas essen,« sagte Doktor Gonzales, »-- dann den
+Toten beerdigen -- und dann müssen Sie Ruhe haben. Sie können in meinem
+Zelt schlafen, damit Sie wenigstens in frischer Luft sind.«
+
+Wir aßen ein Gemengsel von Reissuppe und Brot und tranken dünnen
+Tee, und ich durfte eine halbe Zigarette rauchen, die mir wie ein
+Göttergeschenk erschien.
+
+»Und jetzt müssen wir wieder Totengräber spielen!« sagte Doktor
+Gonzales, halb lächelnd, halb traurig.
+
+Das Grab war gegraben. Er rief den Kubaner und den Krankensoldaten, und
+zusammen trugen wir den Knaben, der sich die Himmelsblumen erpflückt
+hatte, zu seiner Ruhestätte im heißen Kubasand. Tiefe Finsternis
+umhüllte die Insel des Gelben Fiebers, denn Nacht folgt auf Tag im
+kubanischen Land ohne Uebergang. Der Arzt, der neben mir schritt,
+trug eine Laterne, die trübe brannte und das Dunkel nur in winzigem
+Umkreis erhellte. Stolpernd, suchend, tappten wir vorwärts mit unserer
+Last, fanden den Sandhügel, fanden das Grab. Wir schlugen die Decke
+auseinander, faßten die Zipfel an, hoben den Körper über die schwarze
+Oeffnung im Sand, bückten uns --
+
+Da fühlte ich, wie der Sand unter meinen Füßen nachgab, und griff
+mit der freien linken Hand in den aufgeworfenen Sandhaufen, mich zu
+stützen. Aber ich rutschte. Ich rutschte langsam. Ich rutschte immer
+mehr. Da packte mich jähes Entsetzen, und ich ließ den Zipfel der Decke
+los, mochte auch die Leiche hinabstürzen. Aber im gleichen Augenblick
+bröckelte der Boden unter meinen Füßen weg. Ich schrie gellend auf.
+Wie ein Tier brüllte ich. Ich hörte jemand fallen mit mir -- hörte die
+Laterne klirren.
+
+Und stand in furchtbarer Finsternis in einem tiefen Loch und schrie
+wie ein Verrückter und trampelte auf etwas entsetzlich Weichem herum
+und wußte, daß die Masse unter meinen Füßen der Rauhe Reiter war. Ich
+brüllte -- ich brüllte in einem hysterischen Grauen ohne Grenzen.
+So schwach und elend war ich noch nach dem langen Kranksein. Mit
+den Nägeln krallte ich mich in die Sandwand ein und versuchte mich
+emporzuziehen, und sprang. Aber der lose Sand gab unter meinen Fingern
+nach, und ich prallte in hartem Stoß auf das nachgebende weiche
+Fleisch, das sich zu rühren und lebendig zu werden schien. Als ob der
+tote Mann nach mir greifen wollte -- mich festhalten ----
+
+»Hilfe!« brüllte ich.
+
+Da flammte ein Zündholz auf, eine eiserne Faust packte mich, zog, half
+mir. Und ich sank erschöpft auf den Sand. Ich hörte, halb bewußtlos,
+wie das Grab zugeschaufelt wurde und spürte, wie der Arzt mich unter
+dem Arm faßte und mir aufhalf. Der Kubaner schritt mit der wieder
+angezündeten Laterne voran. Als wir in seinem Zelt waren, sprach Doktor
+Gonzales kein Wort, sondern goß nur mit zitternder Hand ein wenig
+Whisky in ein Glas und gab es mir zu trinken. Auch er trank. Dann
+setzte er eine kleine silberne Spritze an meinen Arm ...
+
+ * * * * *
+
+Mit dem Morgen begann wieder das Tagewerk. Es setzte sich fort durch
+zehn Tage hindurch, im gleichen Raum, unter den gleichen Verhältnissen,
+im gleichen schrecklichen Einerlei der Hilflosigkeit, und viele
+Menschen sah ich sterben in diesen Tagen. Die einen schliefen ermattet
+ein, die andern starben in kämpfendem Sichaufbäumen. Aber sie kämpften
+im Fieber nur und wußten es nicht und erlitten keine Todesangst, denn
+der Fiebertod ist ein gütiger Tod. Und ich half die Lebenden füttern
+und in ihren Körpern nach dem geheimnisvollen, unberechenbaren Auf
+und Nieder der Fieberkobolde spüren, und oft dünkte es mich, als sei
+das kleine Quecksilberwerkzeug eines der großen Wunder der Welt. Gar
+schnell hatte ich mich an den Jammer und das Elend gewöhnt und sah
+stumpfe, alltägliche Notwendigkeit im alltäglichen Erleben von Grauen
+und Sterben. Heute, im rückschauenden Betrachten, weiß ich, daß es eine
+Hölle war, in der ich lebte damals. Eine Hölle --
+
+Am zehnten Tag jedoch ward der Insel der Verdammten Hilfe. Boote
+landeten. Junge Frauen in schneeweißen Kleidern schritten über den
+Rasen vor dem gelben Haus. Sie sprachen nicht viel, sie fragten nichts,
+sondern packten Wäsche aus und bekleideten die Kranken und wuschen sie.
+Sie putzten und säuberten und pflegten.
+
+Man stand da, wollte seinen Augen nicht trauen, glaubte, ein Wunder
+zu erleben. Kiste auf Kiste, Korb auf Korb, Sack auf Sack wurde aus
+den Booten an Land geschafft. Es war, als wollte das reiche Volk eines
+reichen Landes in verschwenderischem Geben gut machen, was die Not des
+Krieges an den armen Männern auf der Insel des Gelben Fiebers gesündigt
+hatte. Da waren schwere Weine in ungezählten Flaschen und teurer
+Schaumwein in ganzen Körben und feine Hemden und große Schinken und
+Fleisch und Eßwaren in sorgsam geschlossenen Blechbüchsen und weißes
+Brot. Zelte erstanden auf dem Rasen und auf dem Sand. Das gelbe Haus
+wurde mit Karbol überschwemmt und verlassen, denn die Kranken sollten
+nun in luftigen Zelten liegen.
+
+Wie ein Märchen war es.
+
+Am Spätnachmittag führte mich der Arzt in sein Zelt. Er füllte zwei
+Gläser mit Schaumwein, trank mir zu und sagte mit lachenden Augen:
+
+»Hier endet Ihre Arbeit, Sergeant!«
+
+Zwei Wochen aber blieb ich noch im Aerztezelt, denn Doktor Gonzales
+verweigerte mir immer wieder lachend den Gesundheitsschein.
+
+ * * * * *
+
+Die Wandlung war groß.
+
+Nicht nur äußerlich veränderten sich die Dinge auf der Gelbfieberinsel:
+das Elend in Ueberfluß, der Schmutz in Sauberkeit, das ohnmächtige
+Zusehenmüssen in kraftvolles Eingreifen mit reichen Mitteln -- sondern
+auch im Tiefsten. Die kleine Welt um uns schien anders. Es war, als
+liege ein gar fremdartiges, sonderbares Klingen in der Luft. Wie
+wiegender schmeichelnder Walzerklang.
+
+In harter Männerwelt hatte man gelebt viele Wochen lang. Sich gebalgt
+mit dem Feind. Nicht viel Federlesens gemacht um Hunger und Strapazen
+und Wunden. Das ging einmal nicht anders. Man war marschiert und hatte
+gefochten -- im Dreck kampiert, gefiebert auf den Hügeln ------ Der Tag
+brachte es mit sich. Was war weiter dabei!
+
+Da tönte der neue Klang.
+
+Was uns Selbstverständliches, Alltägliches gewesen war, schien
+den jungen Frauen, die uns pflegten, eine Wunderwelt. Sie waren
+freiwillige Krankenschwestern, aus guten amerikanischen Familien.
+Ideale Begeisterung hatte sie nach Kuba geführt, ihr Scherflein
+beizutragen im Krieg. Sie sahen keine Selbstverständlichkeiten; sie
+sahen die Dinge mit ganz anderen Augen an. Für sie waren die blassen
+genesenden Männer in den Zelten alle mitsammen Helden, die heldenhaft
+mit Tod und Teufel gekämpft hatten.
+
+Sie setzten sich auf die Betten zu den Kranken, auf die Feldstühle
+vor die Zelte zu den Genesenden, und baten und bettelten so lange,
+bis ihnen die Geschichten von der Schlacht vom San Juan-Hügel und vom
+Lagerleben und vom Krankheitselend immer und immer wieder erzählt
+wurden. Dann glänzten ihre Augen, und sie wurden weich und wußten gar
+nicht, was sie einem alles Gutes antun sollten. Ich hab's hundertmal
+selber erlebt und hundertmal mit angehört --
+
+»Was mußt du gelitten haben, du armer Junge!«
+
+»Hm -- eh -- 's ist nicht so schlimm gewesen,« war gewöhnlich die
+verlegene Antwort.
+
+»Oh, du armer Junge! Soll ich dir ein Schlückchen Wein bringen?«
+
+»=Oh yes, please. Thank you, miss!=«
+
+»Du mußt nicht Fräulein zu mir sagen. Ich bin Schwester Irene. Du --
+bist du denn nicht fast gestorben vor Angst, du armer Junge, als du den
+fürchterlichen Hügel hinaufstürmen mußtest?«
+
+»Nee!«
+
+»Aber es muß doch entsetzlich gewesen sein!«
+
+»Ja. Da kletterte einer vor mir« (der Erzähler war ein junger Sergeant
+der 5. Regulären), »der zappelte immer mit den Beinen und ich mußte
+höll -- hm -- sehr aufpassen, daß mir der verfl ... hem -- der Kerl
+nicht ins Gesicht trat. Es _war_ scheußlich!«
+
+»Und die Todeskugeln!«
+
+»Oh, an die Schießerei hatte man sich gewöhnt!«
+
+Und keinen einzigen Mann gab es auf der Insel des gelben Fiebers, der
+nicht seinen wohlgefüllten Sack voller Heldenruhm eingeheimst hätte.
+Zuerst war das etwas Unbehagliches. So prahlhänsig kam man sich vor.
+Man horchte immer scheu zum Nachbar hinüber, ob der nicht lachte,
+wenn Schwester Irene oder Schwester Edith oder Schwester Lizzie einem
+dickgestrichene Heldenkomplimente machte. Aber gar bald wirkte die
+Bewunderung merkwürdig wohltuend. Es war doch sehr nett, in schönen
+Augen immer wieder lesen zu dürfen: du bist ja ein famoser Junge!
+Sie fanden sich prachtvolle Menschen gegenseitig, die bewundernden
+Frauen und die bewunderten Männer. Sie gingen miteinander spazieren
+im Inselland halbe Nächte lang, Genesende und ihre Pflegerinnen. Sie
+saßen immer zusammen und tuschelten und hatten sich schrecklich viel zu
+sagen. Man wurde arg verwöhnt auf der Gelbfieberinsel in jenen Tagen.
+
+
+
+
+In der Zeltstadt von Montauk Point.
+
+ Die Friedensbotschaft. -- Ein brutaler Krieg. -- Die böse Lage der
+ amerikanischen Invasionsarmee. -- Auf den General folgt der
+ kaufmännische Organisator. -- Wie die Zeltstadt von Montauk Point
+ erstand. -- Mein letzter Tag in Santiago de Cuba. -- Im
+ Gesundheitslager. -- Die Komplimente des Trusts. -- Wie mir ein
+ Vermögen entging. -- Die New Yorker Invasion. -- Von begeisterten
+ =Ladies=. -- Das Sicherheitsventil. -- Wie Leutnant Hobson in der
+ Welle der Hysterie ertrank.
+
+
+In einer Augustnacht war es.
+
+Wir saßen vor dem Aerztezelt, der Doktor und ich, rauchten eine
+beschauliche Zigarette und schauten auf die Bai hinaus. Wundersam
+funkelten und glitzerten im Wasser die Sternenbilder. Da erklang ein
+dumpfes Brausen, wurde mächtiger, schwoll an zu Getöse. Eine Rakete
+zischte empor über der Stadt, eine zweite, eine dritte. Drüben über dem
+Wasser jubelten und schrien viele Menschen.
+
+»Eine Schlacht in Portorico!« rief der Doktor aufspringend.
+
+Ich widersprach ihm. Die letzten Nachrichten von der benachbarten
+spanischen Insel hatten besagt, daß die Besetzung Portoricos durch eine
+amerikanische Armee unter General Miles nach unblutigen Kämpfen nun
+vollendete Tatsache sei. Während wir noch hin und her sprachen, kam das
+Boot vom Hafenhospital. Der Kubaner, der es ruderte, sprang auf uns
+zu, aufgeregt mit den Armen in der Luft fuchtelnd.
+
+»=Cuba libre!=« brüllte er. »=Cuba libre, Señores!!=«
+
+Und er übergab dem Doktor einen Zettel. Das hektographierte Stück
+Papier enthielt die kurze Mitteilung des amerikanischen Gouverneurs
+von Santiago an die einzelnen kommandierenden Offiziere, daß heute, am
+12. August, in Washington das vorläufige Friedensprotokoll zwischen
+den Vereinigten Staaten und Spanien unterzeichnet worden sei. Spanien
+gab der Insel Kuba ihre Unabhängigkeit, trat Portorico an die
+Vereinigten Staaten ab und erklärte sich bereit, über einen Ankauf
+der Philippinen durch die Vereinigten Staaten zu unterhandeln. Die
+kriegsgefangenen Spanier wurden auf Kosten der Amerikaner nach ihrer
+Heimat zurückgesandt. Kriegsentschädigung verlangten die Vereinigten
+Staaten nicht.
+
+»=Cuba libre!=« brüllte der Kubaner wieder und tanzte schreiend und
+jubelnd umher.
+
+Doktor Gonzales aber streckte herrisch die Rechte aus, sagte irgend
+etwas auf Spanisch in scharfem Ton, und der überfreudige Patriot
+schlich brummend zu seinem Boot zurück.
+
+»Was sagten Sie eben?« fragte ich neugierig.
+
+»Oh nichts!« antwortete Doktor Gonzales und zündete sich eine frische
+Zigarette an. »Ich sagte ihm nur, er solle sich zum Teufel scheren
+... =Cuba libre!= Kuba Blödsinn! Ein freies Kuba, regiert von freien
+Strolchen, die eigentlich in ein Zuchthaus gehörten! Es tröstet
+mich nur, daß unser guter alter Onkel Sam der Gesellschaft früher
+oder später einen gewaltigen Tritt vor den Hintern geben und einen
+amerikanischen Staat aus Kuba machen wird. Daß er es nicht gleich jetzt
+tut, ist Schwäche, Verschwendung, Hinauswerfen an Zeit und Geld!«
+
+Da lachte ich leise vor mich hin, denn der Doktor war zwar
+amerikanischer Bürger und amerikanischer Offizier, stammte aber selber
+von kubanischen Eltern und mußte es ja wissen! Und dann gingen wir in
+die Zelte der Damen und in die Krankenzelte und lösten Hurrageschrei
+aus mit der großen Neuigkeit. Doch der Jubel über den Frieden bei
+uns in den Zelten hatte nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem
+urgewaltigen, donnernden, brausenden Siegesschrei, der von den Hügeln
+des Santiagotals gellte, als das Sternenbanner damals an dem Mangobaum
+emporstieg. Da hatte Mann über Mann triumphiert -- jeder einzelne Mann
+im Santiagotal in die eigenen Hände das Göttergeschenk des schwer
+errungenen Erfolgs empfangen. Die große politische Friedensaktion aber
+am grünen Tisch interessierte die Armee sehr wenig.
+
+»Recht nett!« sagte ein typhuskranker Infanterieleutnant der Regulären,
+als wir ihm die Friedensbotschaft vorlasen. »Nun wollen wir gemütlich
+sein und nach Hause gehen!«
+
+»=Goodbye Cuba! To hell with Cuba!!=« riefen die Rekonvaleszenten in
+den Zelten.
+
+Das war das Leitmotiv des Wiederhalls, den die Friedensklänge in den
+Männern der Armee von Kuba ertönen ließen:
+
+»Adieu Kuba! Hol dich der Teufel! Wir gehen nach Hause!«
+
+ * * * * *
+
+So war denn der Krieg beendet.
+
+Dieser wunderschön brutale Krieg mit seinen wunderschön klaren und
+einfachen Ursachen. Ein Krieg der Macht. Ein brutaler Faustkampf.
+Unmoralisch über alle Maßen. Der Große fraß den Kleinen -- denn ich
+bin groß und du bist klein. Und doch wieder moralisch im höchsten
+Sinne. Unter dem starken neuen Herrn wurden in wenigen Jahren auf den
+Philippinen, auf Kuba, das immer eine Art amerikanischen Protektorats
+sein und nie ganz selbständig werden sollte, auf Portorico, überall
+in Westindien, ungeheure Werte geprägt, die in alle Ewigkeit brach
+gelegen hätten unter der spanischen Mißwirtschaft. Spanien aber, das
+gedemütigte, zu Boden geschlagene Spanien, das beraubte Spanien, das
+die Neue Welt entdeckt hatte und zum Dank bis in den Staub gedemütigt
+wurde von der Neuen Welt, erstarkte nur unter den Schlägen des Krieges.
+Es lernte. Seine kraftvolle Arbeit in Marokko während der nächsten zehn
+Jahre erstaunte jeden, der früher spanische Beamte und Gouverneure in
+spanischen Kolonien bei der Arbeit gesehen und sie höchstens für eine
+Operette tauglich befunden hatte. So wurde im letzten Ende Unmoral zu
+Moral.
+
+Der unersättliche Große aber atmete erleichtert auf, als der kleine
+Gegner davonschlich. Teufel -- es war doch gar nicht so einfach
+gewesen, und recht viel Glück hatte man nötig gehabt! Zwar ließ es
+sich leicht berechnen von Anfang an, daß man am Ende erfolgreich
+sein mußte. Die Siege der amerikanischen Flotte im pazifischen Ozean
+wie im westindischen konnten auf dem Papier auskalkuliert werden.
+Kein Sieg jedoch, kein Gebietszuwachs, keine neue imperialistische
+Weltmachtstellung hätten es in der öffentlichen Meinung des eigenen
+Landes gutmachen können, wenn amerikanische Männer zu Tausenden im
+Tal von Santiago zugrunde gegangen wären, weil der leichtsinnige
+Krieg sie in leichtsinniger Ausrüstung ins Fieberland geschickt
+hatte. Die Invasionsarmee war dezimiert von Fieberkrankheiten. In den
+ersten Tagen des August schon hatten, ein unerhörtes Geschehnis vom
+militärischen Standpunkt aus, ihre Generale in einem scharfen Schreiben
+an den Obergeneral Shafter die sofortige Zurückbeförderung der Armee
+nach den Vereinigten Staaten verlangt. Der Krankheitsstand lasse das
+Schlimmste befürchten. Das merkwürdige Vorgehen der hohen Offiziere,
+das wahrscheinlich mit General Shafter verabredet worden war, sollte
+starken Eindruck auf die obersten militärischen Behörden in Washington
+sowohl wie auf die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten
+ausüben. Daß ein solcher Schritt überhaupt notwendig wurde, beweist die
+Unsicherheit und Gefährlichkeit der Lage für die Truppen vor Santiago
+beim Ende des Krieges. Zwar war die spanische Flotte vernichtet,
+Portorico besetzt, die Provinz Santiago de Cuba erobert, eine spanische
+Armee von 23000 Mann kriegsgefangen. Damit hatte man gewaltige
+Erfolge errungen, war aber auch auf dem toten Punkt angelangt. Eine
+spanische Armee von über 80000 Mann, auf die verschiedenen Provinzen
+verteilt, hielt Kuba noch besetzt. Ein Vordringen der amerikanischen
+Invasionsarmee auf dem Landwege schien unmöglich -- das Angreifen
+Havannas, des Herzens der Insel, durch die Flotte ein zum mindesten
+gewagtes Unternehmen.
+
+So ergab sich eine beinahe lächerliche Lage: der tote Punkt. Die
+amerikanische Armee kampierte noch immer im Santiagotal und litt
+entsetzlich unter Klima und Fieber. Niemand wußte, was anfangen mit
+ihr. Der Leichtsinn, die Ueberhastung des ganzen Krieges rächte
+sich. In den Vereinigten Staaten regte sich scharfe Kritik. Schon
+zu Beginn des Krieges, als im Süden Amerikas die in rasender Eile
+zusammengetrommelten Freiwilligenregimenter in Feldlagern untergebracht
+wurden, in die bei dem völligen Mangel an allem Nötigen rasch der
+Typhus einzog, war die Regierung scharf angegriffen worden. Und
+jetzt das Fiebertal von Santiago! Noch sickerte die Wahrheit nicht
+ganz durch; noch wußte man im Heimatland nicht, daß seit dem Tag
+der Uebergabe der spanischen Armee mehr amerikanische Soldaten an
+Krankheiten gestorben waren, als die Gefechte an Menschenleben gekostet
+hatten. Die militärische Führung war ratlos.
+
+Da kam der Friede.
+
+Und es war, als ziehe der amerikanische Dollarmann jubelnd den
+Soldatenrock aus, der überall ein wenig drückte und nirgends so recht
+passen wollte, weil er in solcher Eile hatte zurechtgeschneidert
+werden müssen. Die Nation des Organisierens entsann sich ihres
+Berufs. Der Leichtsinn, die Ueberstürzung, das Ueberhasten verschwand
+im zauberischen Wechsel. Kühle Ueberlegung trat an ihre Stelle. Dem
+General folgte der kaufmännische Organisator -- der echte Amerikaner,
+der mit Geld nicht knausert, wenn das Ziel der Mühe wert ist, und sich
+bei Kleinigkeiten nicht lange aufhält.
+
+Das Klima des Santiagotals war unerträglich in dieser Jahreszeit? Dann
+weg mit der Armee! Sie ersetzt durch Regimenter von Negern und Weißen
+der Südstaaten, die gegen Fieberkrankheiten immun waren! Die Armee war
+krank? Dann in ein ungeheures Krankenhaus mit ihr, auf daß sie gesund
+werde! Ansteckungsstoffe waren zu befürchten in jedem Uniformrock, in
+jedem Hemd? Weg dann mit der gesamten Ausrüstung der Armee!
+
+»=Regardless of cost!=« hatte Präsident McKinley kurz gesagt. »Der
+Kostenpunkt ist Nebensache!«
+
+Die Amerikaner waren's zufrieden. Sie, die keine direkten Steuern
+bezahlten und ihre Kriegskosten einfach durch eine Biersteuer und eine
+Schecksteuer aufbringen konnten, wußten recht gut, daß die über Nacht
+errungene Weltmachtstellung, die neue Ausdehnung des amerikanischen
+Reichs, Milliarden an kaufmännischen Dollars wert war. Niemand murrte,
+als die leitenden Hände in den reichen Yankeesäckel griffen. Ströme von
+Gold flossen dahin.
+
+Eine ungeheure, kahle, sandige Fläche auf der Insel Long Island wurde
+zum Gesundheitslager der Armee erwählt. Dort war es kühl, jetzt im
+August schon. In allen Richtungen fegte Tag und Nacht vom Meer her der
+frische Wind. Der sollte sie wegblasen, die Fieberschlaffheit und das
+Tropenmüdesein. Die Zeltstadt von Montauk Point entstand. Gassen und
+Straßen schneeweißer Zelte. Die Gewerbe des Landes arbeiteten wie im
+Fieber, die Stadt zu erbauen. Jedes Zelt wurde aus neuem Segeltuchstoff
+neu zurechtgeschneidert, denn kein altes Schmutzstäubchen sollte Raum
+haben im Gesundheitslager. Jedes Zelt erhielt einen Fußboden aus
+sorgsam zusammengefügten und geglätteten Brettern, ein jedes einen
+kleinen eisernen Ofen, ein jedes neue schneeweiße Betten und Stühle
+und Regale. Die Straßen wurden sorgfältig ausgebaut und ein System von
+Abgußkanälen angelegt. Aerzte und Krankenpflegerinnen versammelten
+sich. Die Eisenbahnen schleppten gewaltige Mengen von Uniformen und
+Wäsche herbei. Um das Lager wurde ein Postenkreis von besonders
+ausgesuchten Regimentern gezogen, die keinen Menschen hinauslassen
+durften und keinen hinein, jede neue Ansteckung zu verhüten.
+Dampfertransporte mit den neuen fiebersicheren Truppen gingen nach
+dem Santiagotal; Frachtdampfer mit großen Mengen von Lebensmitteln,
+die sehr sorgfältig ausgesucht wurden; Hospitalschiffe, deren
+Aufgabe es war, das Schmutznest Santiago nach allen Regeln moderner
+Desinfektionskunst sauber zu machen. Dann dampften die Schiffe mit den
+kranken Regimentern heimwärts zum Gesundheitslager.
+
+Und ein so großzügiges, ein so bewunderungswürdig zielbewußtes Arbeiten
+setzte ein auf der windumbrausten Sandfläche beim atlantischen Ozean,
+daß es alles wieder gut machte, was der Leichtsinn gesündigt hatte
+in Kuba. Mann für Mann der kranken Armee wurde betreut, gepflegt,
+gewaschen, gesäubert, neubekleidet wie ein Kindlein. Man stellte
+die Kompagnien in langen Linien auf, wenn sie vom Schiff kamen, und
+ließ sie sich splitternackt ausziehen und verbrannte auf großen
+Scheiterhaufen jeden Fetzen, den sie am Leibe getragen hatten;
+man badete sie, gab ihnen reine Wäsche, neue Uniformen, nagelneue
+Ausrüstung bis zum Tornister, erklärte ihnen, sie möchten sich um
+Gottes willen nur pflegen. Nichts auf der Welt hätten sie zu tun als
+ihre Waffen zu reinigen und instandzusetzen. Nicht einmal zu kochen
+brauchten sie. Dafür sorgten große Feldküchen, und Sachverständige
+wachten darüber, daß das Soldatenessen ja recht schmackhaft und
+wohlbekömmlich war. Im Land stritt man sich um die Ehre, Liebesgaben
+für das Gesundheitslager schenken zu dürfen. Damen der Gesellschaft
+zankten sich um den Vorzug, die Kranken zu pflegen.
+
+ * * * * *
+
+Als das Ruderboot an einem der letzten Tage des August den
+Signalkorpssergeanten von der Gelbfieberinsel nach Santiago brachte,
+war dieser Sergeant kerngesund und wunderte sich sehr, wie ihm nach
+diesen Schlemmertagen das Soldatenleben wohl behagen würde. Sie hatten
+ihn schrecklich verwöhnt auf der Insel, der Doktor und die Frauen in
+Weiß, die so heroisch ihre Pflicht taten und doch immer Zeit und Lust
+übrig hatten für manches Gekicher und vielen Uebermut. Sie hatten
+dem Sergeanten gar noch einen großen Korb zurechtgepackt, in dem
+Schaumweinflaschen einträchtiglich neben altem Burgunder und allerlei
+guten Sächelchen in Blechbüchsen lagen, auf daß es Mr. Sergeant wohl
+ergehe auf dem Heimatsdampfer. Und ich beguckte mir gesättigt und
+gesund das tiefblaue Wasser und die grünen Berge über der Bai und das
+Städtchen mit seinen grellen Farbenflecken in rot und blau und gelb und
+meldete mich beim Gouverneur und empfing den Befehl, mit der »City of
+Galveston« noch am gleichen Nachmittag die Heimreise anzutreten -- als
+einer der letzten der alten Armee vom Santiagotal.
+
+Es war gerade noch Zeit zu einem kurzen Spaziergang die Plazza entlang
+und zu kleinen Einkäufen. Und in großer Wut schied ich von Santiago de
+Cuba!
+
+Die grünen und gelben Scheine, die Billy mir geschickt hatte,
+knisterten so wunderschön in den Taschen, und eine Stunde nur wurde
+einem da gegeben, sich die Stadt zu begucken, die Stadt des Feindes,
+die so viele Wochen lang eine märchenhafte Vorstellung nur gewesen war!
+Hätte man sich da nicht einen Gaul mieten müssen und den Schlammpfad
+noch einmal abreiten! Die San Juan-Hügel erklettern! Sich bei der alten
+Zuckermühle das alte Loch betrachten, das jene Granate gerissen! Oh,
+zum Teufel mit dieser unanständigen Eile ... Höchst ärgerlich ging ich
+an Bord.
+
+ * * * * *
+
+Der Laderaum des kleinen Dampfers war von oben bis unten vollgepfropft
+mit Waffen und Munition. Die Mausergewehre, die Bajonette, die
+Patronenvorräte der Kriegsgefangenen spanischen Armee wurden in
+das Arsenal von New York geschafft. Ein kranker Offizier, den eine
+Pflegerin begleitete, und ich waren die einzigen Passagiere. Als wir
+Long Island sichteten, fiel mir ein, daß ein Mausergewehr und ein
+Bajonett oder zwei recht nette Andenken sein würden.
+
+»Sind die Dinger eigentlich abgezählt?« fragte ich den Kapitän beim
+letzten Mittagessen. »Ich meine, nimmt man es genau oder nicht so
+genau? Ich möchte gern ein paar von den spanischen Schießprügeln haben!«
+
+»Ih wo!« antwortete der lachend. »Sie sind ja in meinen Laderaum nur so
+hineingeschaufelt worden.«
+
+»Dann werde ich ein bißchen stehlen!« erklärte ich vergnügt.
+
+»Meinetwegen,« grinste der Kapitän, »wenn Sie sich durchaus abschleppen
+wollen mit den alten Dingern. Nehmen Sie sich, so viele Sie wollen. Im
+übrigen ist's gar kein Stehlen. Das verrostete Zeug ist wenig genug
+wert. Greifen Sie zu! Auf ein paar hundert Stück mehr oder weniger
+kommt's nicht an.«
+
+So ging ich an Land mit zwei Mausergewehren und zwei Bajonetten unterm
+Arm und warf sie irgendwohin im Sergeantenzelt des Signalkorps und
+verlebte einen langen Abend voller Erzählens mit meinen Kameraden. Die
+hatten mich ja für tot gehalten.
+
+Ich konnte mich gar nicht fassen vor Erstaunen über die wundersame
+Zeltstadt --
+
+»Der Soldat ist Trumpf heutzutage!« erklärte Souder lachend. »In der
+Armee von Kuba gewesen zu sein ist jetzt wertvoller als vier Asse beim
+Pokern. Menschenkind, 's ist einfach ein Wunder, daß sie uns nicht auch
+noch in Watte packen!«
+
+Mr. Soldat aus Kuba war tatsächlich Trumpf. Nicht nur die amtlichen
+Stellen hatten beschlossen, daß er eine Zeitlang leben sollte wie der
+Herrgott in Frankreich, sondern alle Welt wetteiferte obendrein, ihm
+gute Sachen zuzustecken. Die bösen Trusts sogar.
+
+Ueberall in der weißen Stadt hatte die Amerikanische Tabakgesellschaft
+kleine Zelte errichtet, die große Plakate trugen: »Tabak für die Männer
+von Santiago! Kommt, Jungens, und greift zu!!« Trat man an das kleine
+Zeltfensterchen, so erkundigte sich ein liebenswürdiger Verkäufer so
+beflissen danach, was man zu haben wünsche, als sei man ein wertvoller
+alter Kunde. Zigaretten? Welche Sorte? Kautabak? Die neue Marke mit
+dem Champagnergeschmack sei besonders zu empfehlen! Pfeifentabak? Und
+alles war hübsch eingewickelt und auf jedem Päckchen stand: »Mit den
+Komplimenten der Amerikanischen Tabakgesellschaft.« Große Brauereien
+hatten Bierzelte eingerichtet und verschenkten ein besonders leicht
+eingebrautes »Krankenbier« in reizenden kleinen Flaschen -- mit den
+Komplimenten der oder jener Brauereigesellschaft. Teufel, Teufel! Zwar
+taten sie's nicht aus Liebe und Begeisterung allein, sondern es mochte
+auch ein bißchen Sinn für die famose Reklame dabei sein! Es gab Zelte
+mit Sodawasser; es gab Bonbons und Schleckereien; es gab Streichhölzer,
+Taschentücher, Bleistifte, Briefpapier, Briefmarken sogar -- immer mit
+den verschiedensten Komplimenten. Auf den Briefmarken hatte der Spender
+seine Firma eingelocht -- mit seinen Komplimenten. Mr. Soldat lebte vom
+Fetten des Landes.
+
+Doch es sollte noch besser kommen, viel besser.
+
+Am Tag meiner Ankunft war das Lager für seuchenfrei erklärt und die
+Sperre aufgehoben worden. Eine Stunde später verkündeten große Plakate
+in New York Vergnügungszüge der Long Island-Eisenbahngesellschaft zur
+Armee von Santiago. Um elf Uhr morgens am nächsten Tag kam die erste
+Invasion. Zwischen den Zelten der weißen Stadt flutete es schwarz von
+Menschen, dollarjagenden New Yorkern, die aber augenblicklich an gar
+nichts zu denken schienen, als einen Soldaten der Armee von Santiago zu
+erwischen und ihm die Hände aus den Gelenken zu schütteln. Fünf Minuten
+nach Ankunft des Zuges konnte man sich in unserem Sergeantenzelt
+überhaupt nicht mehr rühren, ohne einem eleganten New Yorker auf
+die Fünf-Dollar-Stiefel zu treten. Es regnete Zigarren, und aus den
+Fläschchen in den New Yorker Hüftentaschen ergossen sich schnäpsige
+Getränke.
+
+=»Good morning, good morning! Fine morning!!«= redete ein New Yorker
+auf mich ein und packte meine Hand. Teufel, wie der Mensch drückte!
+Während ich mir noch überlegte, ob ich liebenswürdig lächeln oder ihm
+einen Stoß vor den Magen geben sollte, fiel sein Blick auf meine beiden
+Mausergewehre in der Zeltecke.
+
+=»Oh! Spanish guns!«= rief er entzückt.
+
+»Jawohl; =Mausers=!« antwortete ich.
+
+=»Fine, fine! How much?«=
+
+Ich sah ihn verblüfft an, aber da hatte der Mann aus New York das
+Gewehr schon gepackt und mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand
+gedrückt, und während ich noch nach Worten suchte, war das andere
+Gewehr auch schon weg und ein zweiter Zwanzigdollarschein da.
+
+Teufel! Ich drängte mich durch die händeschüttelnde Gesellschaft
+und warf mich auf mein Bett und schalt mich siebenundzwanzigmal
+hintereinander den fürchterlichsten Esel seit Erschaffung der Welt.
+Eselhaft, begriffstützig, blödsinnig über alles erlaubte Maß hinaus.
+Niemals würde ich ein Amerikaner werden! Niemals würde ich Hornochse
+den Wert der Dinge und den Wert des Geldes wahrhaft begreifen lernen!
+
+Welch ein Geschäft ging hier zum Teufel! Hundert Mausergewehre hätte
+ich an Land schleppen können, umsonst, zollfrei, geschenkt! -- Hundert
+Stück zu zwanzig Dollars macht zweitausend Dollars -- hundert Bajonette
+obendrein zum allermindesten -- hundert Stück zu fünf Dollars macht
+fünfhundert Dollars, macht zusammen zweitausendfünfhundert Dollars.
+
+Verdammt, verdammt, verdammt nochmal!
+
+Ueber zehntausend Mark -- heiliges Donnerwetter!
+
+Durch die Hände schlüpfen lassen hatte ich mir mein erstes wirkliches
+»Geschäft« auf amerikanischem Boden. Den idealen amerikanischen
+=business-job= -- den Humbugschlager -- mit Intelligenz -- ohne Kapital
+------
+
+Ich Esel -- ich Hornochse!
+
+Doch nicht einmal ein junger Teufel frisch aus der Hölle hätte es übers
+Herz bringen können, inmitten dieser überliebenswürdigen, überfrohen,
+übergütigen Menschen auf längere Dauer zu fluchen. Sie, die harten New
+Yorker mit dem harten Dollarsinn, waren in der Laune, das Hemd vom
+Leibe wegzuschenken. Der sentimentale Romantiker kam zum Durchbruch,
+der in jedem richtigen Amerikaner steckt in merkwürdigem Gegensatz zu
+dem rohen Kampf ums Dasein in der Neuen Welt. Kein Südfranzose, kein
+italienischer Heißsporn, kein spanischer Leidenschaftsmensch hätte
+naiver und kindlicher begeistert sein können als diese gewitzten Männer
+aus der =matter of fact= Dollarwelt. Man sah es ja förmlich, wie diese
+Leute ihr Hirn anstrengten, einem etwas Gutes zu tun. Wie jungenhaft
+einfach und natürlich sie sich gaben -- wie der warmblütige Mensch
+hervorguckte unter der abgeworfenen kühlen Geschäftsmaske -- und wie
+doch wieder die Gewohnheit so stark war, daß sie nur in klingender
+Münze begeistert sein konnten, diese Männer New Yorks. Der leiseste
+Vorwand genügte ihnen, mit Geld um sich zu werfen. Sie ersannen sich
+ständig neue Vorwände, den Wohltäter zu spielen. Und im Grunde war das
+heilsam für die New Yorker Dollarmenschen, denn sie begriffen nun,
+daß man mit dreizehn Dollars Einkommen im Monat ein ganzer Mann sein
+konnte! -- Sie wurden daran erinnert, daß es noch andere Werte auf der
+Welt gab als =business=!!
+
+Auf einmal aber traten die Männer in dem dunkeln Grau oder Braun oder
+Blau der Herrenkleidung völlig und gründlich in den Hintergrund. Die
+wandelnden Träume im duftigen Weiß und den leuchtenden Farben in den
+Zeltstraßen nahmen die Zügel in die Hand. Das duftige Weiß regierte.
+Die Männer waren weg. Schlanke Frauengestalten erschienen.
+
+=»Goodbye, Johnny!«= hauchte ein blauer Märchenhut. »Geh und amüsiere
+dich, Männchen! Um vier Uhr (das war geschlagene drei Stunden
+vordatiert) treffen wir uns bei der Station. Weißt du, ich muß mir von
+den Jungens alles, alles erzählen lassen und da kann ich dich doch
+nicht brauchen dabei. =Goodbye, Johnny!!=«
+
+Und die zweite Invasion begann.
+
+Die zweite Form von amerikanischer Begeisterung. Diese Mädchen und
+Frauen empfanden erstens das Bedürfnis, diesen unglaublichen und ihnen
+ganz ungewohnten Helden vom Santiagotal, an deren Ohren wirkliche,
+echte Todeskugeln vorbeigepfiffen waren, ihre dankbare Reverenz zu
+erweisen. Zweitens wollten sie sich aber amüsieren. Sie saßen auf
+unseren Betten, wippten mit allerliebsten Füßchen.
+
+Rische-Rasche machten die seidenen Unterröckchen.
+
+»Hast du dich gar sehr gefürchtet in der Schlacht vom San Juan-Hügel?«
+fragte mich ein Dinglein in roter Seidenbluse.
+
+»Ach nein,« antwortete ich verlogen.
+
+»Das Schwarz und Weiß deiner Sergeantenstreifen steht dir
+ausgezeichnet!« meinte das Dinglein in sonderbarem Gedankensprung --
+sonderbar für mich -- damals ...
+
+Ich war paff.
+
+»Was bedeuten denn die komischen Flaggen auf deinen Aermeln?«
+
+»Weißt du,« sagte der Lausbub (das war auch ein Gedankensprung) »------
+wenn hier nicht so viele Leute wären, so möchte ich dir einen Kuß
+stehlen!«
+
+»Oh pfui!!« hauchte sie. Aber ihre Augen sagten gar nicht pfui.
+
+Es war ein Idyll. Es war eine Orgie in Begeisterung. Es war praktischer
+Humor ersten Ranges, wie die gutgezogenen New Yorker Männer ihre
+Dollarfrauen dem Flirt überließen -- und ich wunderte mich mehr
+als einmal, ob nicht mancher gute Ehemann das verfluchte Heldentum
+verdammt ungemütlich empfand. Sie saßen auf unseren Betten, die
+Mädelchen und die Frauen, und sie naschten mit großen verwunderten
+Augen Soldatenessen von unseren blechernen Soldatentellern. Sie waren
+sehr nett. Sie küßten wohl auch einmal -- in dem erhebend moralischen
+Bewußtsein, daß sie durchaus unpersönlich küßten. Sie küßten Helden
+fürs Vaterland. Die Männer wollten ihre Dollars los werden. Die Frauen
+ihre Liebenswürdigkeit.
+
+Ich plauderte lange mit dem Dinglein in der roten Bluse. Das war ein
+kluges Mädchen. Auch sie wollte Andenken haben, aber es fiel ihr nicht
+im Traum ein, mit teuren Dollars zu operieren wie die Männer. Sie
+machte süße Augen -- und drehte mir einen vergoldeten Sergeantenknopf
+ab. Sie machte noch süßere Augen -- und holte ein Scherchen aus
+der Handtasche hervor, um mir kaltblütig die kostbaren seidenen
+Sergeantenabzeichen von den Aermeln zu trennen. Sie schenkte einen Kuß
+-- und stopfte sich alle Taschen voller Patronen und Messingflaggen,
+wie wir sie an den Mützen trugen, und den verschiedenen Dingen im
+allgemeinen, wie sie überall umherlagen.
+
+»Hast du denn auch ein liebes kleines Mädel?« fragte die rote Bluse.
+
+»N -- nein!« flüsterte ich, mit tiefem und ehrlichem Bedauern, denn
+rote Blusen und die lieben kleinen Mädchen darin schienen mir gerade
+jetzt etwas besonders Reizendes.
+
+»Ach du armer Junge!!« (bums dich -- war wieder ein vergoldeter Knopf
+weg!) »Weißt du -- ich möchte sehr gut zu dir sein!«
+
+Und da führte ich sie durch unsere weiße Stadt und zeigte ihr all
+die Zelte und sah sie erschauern vor der Bedeutung des riesigen
+seidenen Sternenbanners, das vor dem Zelt des kommandierenden
+Generals im Windgebrause flatterte. Erschrecklich viel Limonade trank
+sie. Erschrecklich viele kleine Paketchen von Tabak und winzigen
+Bierfläschchen und Soldatenbonbons nahm sie mit als Andenken und
+versprach hoch und heilig, sie in Ehren zu halten für alle Ewigkeit.
+Ich aber wunderte mich, wie das kleine Persönchen es fertig brachte,
+all die gemopsten und geschenkten Sächelchen zu verstauen. Des Rätsels
+Lösung fand ich nicht. Und wir verzehrten noch mehr Süßigkeiten und
+tranken noch mehr Limonade und gingen eine lange Nachmittagsstunde
+am sandigen Strand spazieren, weit von der Zeltstadt, aber keineswegs
+in Einsamkeit, denn wo man auch hingeriet irgendwo um Montauk Point
+herum, ergingen sich reizende Frauen mit den Männern der Armee vom
+Santiagotal. Sie mußten sich Helden nennen lassen, die armen Männer,
+bis sie erröteten wie Backfische.
+
+Es war eine Orgie.
+
+»Adieu, lieber Junge!« sagte das Dinglein bei der Station, und ich
+hätte darauf geschworen, daß der feine vielsagende Händedruck sieben
+verschiedene Wahlverwandtschaften zum mindesten bedeutete. Doch im
+gleichen Augenblick schoß das gleiche Dinglein in der gleichen roten
+Bluse auf einen mageren Jüngling in korrektem Schwarz und allerneuestem
+korrekten New Yorker Hut zu und warf sich, jawohl, warf sich, an seinen
+Hals!
+
+»Freddy,« jubelte sie -- »ach, du lieber guter Freddy, es war ja so
+süß!«
+
+Da begriff ich, daß ich im Erleben der roten Bluse eine ganz
+gewöhnliche Episode war. Ein Röhrchen war ich, ein lächerliches
+Sicherheitsventil, eine mechanische Vorrichtung, dem Hochdruck der
+Begeisterung der amerikanischen Frau Luft zu verschaffen. Er wäre sonst
+gefährlich geworden.
+
+»Du verflixter kleiner Fratz!« murmelte ich.
+
+ * * * * *
+
+Es dauerte aber gar nicht lange, so erreichte der Hochdruck der
+Begeisterung in Amerika das überspannte Stadium. Es wurde allerorten
+und in allem gewaltig übertrieben im Siegesjubel. Man war wie ein
+glücklicher Spieler, der im ersten Taumel des Gewinnens nicht weiß was
+tun vor Freude und links und rechts mit vollen Händen die Goldstücke
+hinausschleudert. Ein solches Schleudern war es im Dollarland damals!
+
+Und bald wurde das echte, starke, wahre Gefühl der Begeisterung zum
+sentimentalen Gefühlskitsch.
+
+Die Frauen vor allem machten lächerliche Dummheiten.
+
+Eine Flutwelle der Hysterie ergoß sich über das Yankeeland. Zuerst
+natürlich erreichte die Welle das nahe New York. Die Zeitungen
+berichteten, lächelnd anfänglich, dann entrüstet, daß mit den Jungens
+in Blau eine Abgötterei getrieben werde, die in ihren Formen schon ein
+Unfug genannt werden müsse!
+
+»Mann! Bringe mir heute abend zehn Helden zum =supper=!« befahl die
+New Yorker Ehefrau. Und Mr. Ehemann, wohldressiert von Kindesbeinen
+an, ging los, ob's ihm nun besonders gefiel oder nicht, und gabelte
+gehorsam zehn Helden auf. Frisch von der Straße weg.
+
+Heidi, es war lustig!
+
+Mrs. Ix, die New Yorkerin und Milliardärin, gab schleunigst einen
+Soldatenball. Mrs. Ypsilon, gleichfalls Milliardärin, trumpfte über
+und erließ =prestissimo= die Einladungen zu einem Sergeantenball, bei
+dem es märchenhaft wohlhabend herging. Mrs. Zett, auch sie natürlich
+Milliardärin, fuhr von morgens früh bis abends spät mühsam überredete
+Helden in ihrem vornehmen Landauer in den Straßen New Yorks spazieren.
+Die großen Blumengeschäfte erhielten Anweisungen von Damen der
+Gesellschaft, jedem Soldaten Blumen zum Begeisterungsgeschenk zu machen
+-- was reizend gewesen wäre, wenn die gütigen Spenderinnen nicht gar so
+deutlich dafür gesorgt hätten, daß ihre Namen in allen Zeitungen und an
+allen Blumenladenfenstern recht laut und kräftig in Erscheinung traten.
+
+Die nervöse Welle lief weiter -- wuchs an. In Washington wurde sie zur
+Sturmflut.
+
+Eines Tages meldete sich in der Stadt des Kapitols ein junger Leutnant
+beim Marineminister. Er hieß Hobson und war ein Held. Hatte mannhaft
+Leib und Leben darangesetzt mit offenen Augen und war nur wie ein
+Wunder dem Tode entgangen, als er in der Santiago-Felsenenge den
+Merrimac in die Luft sprengte. Nun war der junge Leutnant der Held
+des Tages in Washington. Seine Kommandeure, der Marineminister, der
+Präsident der Vereinigten Staaten überschütteten ihn mit Glückwünschen
+und Danksagungen. Man gab einen Ball zu seinen Ehren.
+
+Und damit fing das Unglück an.
+
+Als Hobson den Ballsaal betrat, schritt eine junge Dame der
+Washingtoner Gesellschaft auf ihn zu, überreichte ihm einen großen
+Blumenstrauß und bestätigte ihm in wohlgesetzten Worten, daß er ein
+Held sei und sein Name unvergänglich auf den Tafeln des Vaterlandes
+leuchten werde. Dann kam ihr besonderer Dank. Im Namen der
+amerikanischen Frau; im Namen der fraulichen Gesamtheit; im Namen der
+Weiblichkeit:
+
+Schlanke, weiße Arme legten sich um des Leutnants goldbestickten
+Uniformkragen und ein amerikanischer Frauenmund küßte ihn lang und
+innig.
+
+Vor versammeltem Mannsvolk und bewundernder Frauenschar.
+
+Am nächsten Tag wurde das weihevolle Ereignis in vielen Zeitungsspalten
+geschildert. Die Gesellschaftsreporter fanden mühelos die richtigen
+Töne. Sie lachten sich zwar wahrscheinlich halbtot dabei im
+Redaktionssanktum bei Bier und Zigarette -- aber die Töne fanden sie!
+
+Sie sprachen ernsthaft und gediegen von allerhöchster Ehre. Sie
+flöteten zart vom symbolischen Weihekuß. Sie nahmen gedankenvoll das
+Konversationslexikon zur Hand und fanden auch glücklich klassische
+Vorbilder, die sich prachtvoll zu Vergleichen eigneten und die ganze
+sentimentale Geschichte auf ein anständiges Niveau hoben. Am nächsten
+Tag durcheilte die wichtige Nachricht Amerika.
+
+Ueber das weibliche Amerika brauste ein Sturm der Begeisterung.
+
+Das war groß. Edel. Ungeheuer. Das war Heldenlohn. Schöner und reicher
+als alle Schätze an Gold und Ehren.
+
+Man gab einen zweiten Ball in Washington, wiederum zu Ehren des
+Leutnants, und wiederum begann er mit einem Weihekuß. Diesmal jedoch
+schlossen sich die anwesenden Damen der ersten Weiheküsserin ziemlich
+vollzählig an. Es schien ihnen wohl Anstandsgebot, einem wirklichen
+Helden wahrhafte Ehren auch reichlich genug zu erweisen. Es hagelte
+Küsse auf Hobson herab -- und der arme Leutnant wurde verrückt! Der
+mannhafte Mann, der Held, der Todeskämpfer wurde zum Schwächling
+und eitlen Toren. Er wurde hysterisch, genau so hysterisch wie die
+»Küsserinnen«. Er ließ sich überallhin einladen, zu Dutzenden von
+Bällen in Washington allein, in Boston, in Baltimore, und wurde überall
+geküßt.
+
+Es war tragikomisch. Nein, tragisch mehr als komisch. Der Amerikaner
+verträgt und ermutigt sogar sentimentale Dinge, wenn sie mit Frauen
+zusammenhängen, namentlich bis zu einem gewissen Punkt. Dann aber
+schnappt irgend etwas bei ihm.
+
+Bei der Hobson Küsserei schnappte es! Noch einige Male berichtete die
+amerikanische Presse in nicht ganz echt klingender Begeisterung über
+die Hobsonbälle und die Weiheküsse. Dann war es aus. Eine New Yorker
+Zeitung machte den Anfang:
+
+»Mr. Hobson läßt sich schon wieder küssen! Die Sache wird zur üblen
+Gewohnheit!!« überschrieb sie einen lustigen Bericht.
+
+Und nun donnerte ein nimmer endenwollendes Gelächter herab auf den
+armen Hobson. Man nannte ihn den geküßten Hobson -- den küssenden
+Hobson. Man erwog ernsthaft, ob eine Veränderung seiner Mundlinien
+zu befürchten sei durch die starke Inanspruchnahme der Lippen --
+man hieß ihn den bestgeküßten Mann der Welt -- man zeichnete ihn in
+bissigen Karikaturen umdrängt von kußlechzenden Frauenantlitzen --
+man riet ihm ernsthaft, auch den Westen Amerikas abzugrasen. Ein
+besonders niederträchtiger Schreibersmann empfahl ihm das Erheben von
+Eintrittskußgeld. Ganz Amerika lachte drei Wochen lang.
+
+Das Unglaubliche, das Brutale, das Tragische war geschehen. Ein braver
+Mann, der sich den Dank seines Vaterlandes ehrlich verdient hatte,
+war für alle Zeiten zu einer lächerlichen Hanswurstenfigur geworden.
+Heute noch löst der Name Hobson in Amerika ein vergnügtes Schmunzeln
+aus. Der Held der Santiagofelsenenge ist vergessen -- der Vielgeküßte
+unsterblich geworden.
+
+So ertrank Leutnant Hobson von der amerikanischen Marine in der Welle
+der Hysterie.
+
+ * * * * *
+
+Im Sergeantenzelt türmten sich die Zeitungen. Sie lagen in Haufen in
+allen Ecken; sie stapelten sich in Ballen auf gegen die Zeltwand, da,
+wo mein Bett stand; sie bedeckten oft genug sogar den Fußboden, daß man
+so recht im knisterigen, raschelnden, dünnen Zeitungspapier watete. Die
+Kameraden schimpften.
+
+»Du bist verrückt!« erklärte Souder.
+
+»Werft ihn doch hinaus mitsamt seinen alten Zeitungen!« schlug Hastings
+gemütlich vor.
+
+»Geht weg -- geht doch weg -- schert euch nur ja zum Kuckuck!« war
+gewöhnlich meine Antwort, brummend in knurrigem Ton gegeben, aber
+lachend gemeint.
+
+Und doch wieder sehr ernsthaft. Die Mitbewohner des Zeltes wußten
+recht genau, daß es nicht erlaubt war, den Sergeanten Carlé beim
+Zeitungslesen zu stören (man mochte reden soviel man wollte, aber nicht
+mit ihm), oder gar auch nur eine einzige seiner kostbaren Zeitungen
+aus dem Zelt fortzunehmen, sofern man sich nicht Ungemütlichkeiten
+aussetzen wollte. So ließ man ihn gewähren. Wenn die New Yorker
+Invasion einen einmal nicht plagte, wurde Poker gespielt im Zelt,
+unglaublich viel und unglaublich hoch, denn männiglich hatte Geld in
+Menge und kein Mensch etwas zu tun, oder viel Bier getrunken, viel
+geplaudert, viel gelacht. Der Zeitungssergeant aber -- so nannten sie
+mich -- lag auf seinem Bett und las und las. Er war eben ein bißchen
+verrückt.
+
+Das Zeitungsfieber hatte mich wieder gepackt.
+
+Ich las und las. Spalte auf Spalte verschlang ich, und Stunde auf
+Stunde verrann. Für nichts hatte ich Sinn und alle Dinge waren mir
+gleichgültig seit dem Morgen, an dem die Post die bestellten Zeitungen
+gebracht hatte. Zwei gewaltige Pakete waren es gewesen. Alle Nummern
+des =New York Journal= und des =New York Herald= vom allerersten Beginn
+des Krieges bis zum heutigen Tag. Die Zeitungen des Krieges. Lückenlos.
+Und ich lag langgestreckt auf meinem Bett und kicherte selig, wenn
+in den Zeitungsspalten lustige Teufelchen der Uebertreibung tanzten,
+und atmete keuchend in heller Begeisterung, wenn ich die glänzenden
+Kriegsbilder las, die große Zeitungsmänner gemalt hatten. Murmelte in
+Gedanken wohl auch einmal irgend etwas vor mich hin.
+
+»Er ist ohne Zweifel blödsinnig geworden!« behaupteten dann lachend
+die Sergeanten. Dabei stibitzten sie aber eifrig die Nummern, die ich
+gelesen hatte.
+
+Begeistert war ich, gebannt. Gefangen im Zauberkreis der Zeitung. Ich
+suchte nach Namen, die ich kannte, nach Federn, die Meister waren in
+jener Zeit. Wie ein Kolossalgemälde entstand vor den lesenden Augen
+aus den Zeitungsspalten die Geschichte des Kriegs. In leuchtenden
+Farben. In kleinsten Einzelheiten gemalt. Und doch wieder in wunderbar
+großem Zug. Ein Irrtum war zwar da und dort einmal unterlaufen, ein
+gar zu greller Farbenfleck einmal hingekleckst. Im ganzen aber --
+welch ein Bild! Mit wenigem Aendern, mit Streichen, mit Ausscheiden
+und Zusammenziehen, bedeuteten die vielen Aufsätze mit den schreienden
+Ueberschriften in den Papierstapeln da neben meinem Bett die Geschichte
+eines Krieges, wie sie glänzender, lebendiger, wahrhafter nicht
+geschrieben werden konnte. Sie waren überall dabei gewesen, die Männer
+der Feder mit ihren sehenden Augen, die das Große stets vom Kleinen
+zu unterscheiden wußten. Lückenlos war der Krieg beschrieben von der
+fieberigen Aufregung in Tampa bis zum Flaggenhissen am Friedensbaum;
+vom Treiben in der Santiagostadt bis zum Elend in den Hospitälern.
+Kriegskorrespondenten waren auf Dampfyachten ständig hin und her
+geeilt zwischen Siboney und der nächsten Kabelstation auf Jamaica --
+McCulloch war mit unter den ersten gewesen beim Sturm auf den San
+Juan-Hügel -- Richard Harding Davis hatte sich einen unsterblichen
+Namen errungen in der amerikanischen Zeitungswelt durch seine
+Schilderungen des Santiagotals. Ich sah die Einzelleistungen in diesen
+wunderbaren Schwarzdruckspalten und in ihnen die ungeheure Arbeit,
+die Begeisterung, die Energie, die vor nichts zurückgeschreckt war.
+Sah aber auch, als wäre ich dabei gewesen, die Arbeit der Zeitung
+selbst; das Sammeln der wichtigen Nachrichten aus vielen Quellen, das
+Ausscheiden, das Sichten, das Zusammenstellen -- das Malen des Bildes
+von der reichen Farbenpalette.
+
+Und oft lag ich stundenlang da in diesen Tagen und starrte träumend zur
+Zeltdecke empor.
+
+Ich sah wieder die alten zerschnitzelten Tische im Reporterzimmer
+und die Männer an ihnen, zum Greifen deutlich, und roch
+frische Druckerschwärze und hörte dumpf und dröhnend gewaltige
+Rotationsmaschinen stampfen. Ich erlebte wieder im Traum die Hast und
+die Hetze, das berauschende Arbeitsstürmen und den stillen schweigenden
+Erfolgsjubel, die des Zeitungsmannes Teil sind. Große Sehnsucht kam
+über mich. Davonlaufen hätte ich mögen. Lächerlich schien mir die
+Uniform jetzt in den Zeiten des Friedens. Sie drückte mich. Sie wollte
+so gar nicht passen. Firlefanz waren die breiten Sergeantenstreifen
+in Schwarz und Silber nun; Tand die grellbunten Flaggen in weiß und
+roter Seide auf den Aermeln. Ein erledigtes Stück Leben schienen mir
+diese fünf Monate im Soldatenrock. Sie waren reich gewesen an farbigem
+Schauen und köstlich würden sie einst sein in der Erinnerung, aber sie
+durften beileibe nicht verlängert werden zu den langen drei Jahren, die
+der Pakt eigentlich vorschrieb.
+
+Eines Morgens ging ich zu Major Stevens ins Offizierszelt. Der Major
+war nur wenige Tage früher als ich im Gesundheitslager eingetroffen,
+nachdem er im Santiagoer Hospital eine bösartige Malariaerkrankung
+überstanden hatte.
+
+»Was gibt's, Sergeant?« fragte er knapp, gemessen, dienstlich, ganz
+Offizier. Mit der Gemütlichkeit war es jetzt vorbei.
+
+»Ein persönliches Anliegen, Herr Major!«
+
+»Oh!« Sein Ton veränderte sich. »Nehmen Sie Platz, Sergeant, was kann
+ich für Sie tun?«
+
+»Ich möchte Sie bitten, Herr Major, meine Entlassung aus der Armee zu
+befürworten.«
+
+Er kaute auf seinem Schnurrbart. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
+»Geht jetzt nicht, Sergeant!« sagte er.
+
+Die Worte trafen mich schwer.
+
+Der Major lachte ein wenig. »Sie haben doch nicht etwa Grund zur
+Unzufriedenheit?«
+
+»Nein. Aber --«
+
+»Ich weiß, ich weiß. Sergeantenstreifen locken Sie wohl nicht
+besonders! Es war ein sehr gefährliches Experiment, Mr. Carlé, den Kopf
+in die reguläre Armee zu stecken, denn unter drei Jahren wird so leicht
+keiner losgelassen. Es wird aber gehen. Einige Monate jedoch müssen
+Sie warten. Ich würde mich lächerlich machen, wenn ich gerade jetzt
+ein derartiges Gesuch befürwortete. Außerdem würde es ohne Zweifel
+abschlägig beschieden werden. Also in Ihrem eigenen Interesse --«
+
+Und er erklärte mir, daß der Krieg die Notwendigkeit gezeigt habe, ein
+Signalkorps in größerem Stil zu organisieren. Wir würden in wenigen
+Tagen nach Fort Myer bei Washington kommandiert werden, um dort als
+Stammtruppe Hunderte von neuen Signalisten heranzubilden. Da nur
+gelernte Telegraphisten angeworben werden sollten, so würde diese
+Ausbildung sehr schnell gehen und die Leute bald nach den Philippinen
+und Kuba gesandt werden können, wo man sie brauchte.
+
+»Unter diesen Umständen wird es dem Chef nicht einfallen, einem
+Sergeanten die freiwillige Entlassung zu gewähren. Wird Ihr Gesuch aber
+abschlägig beschieden, so können Sie es sobald nicht wieder einreichen.
+Sie müssen warten. In drei, vier Monaten, dann wird's gehen. Solange
+werden Sie es recht gut aushalten können. Wir bauen eine Ballonhalle --
+wir beschäftigen uns mit dem Problem der Lenkbarkeit eines Luftschiffs
+-- wir experimentieren mit der neuen Marconi-Telegraphie ohne Draht --
+wir bekommen elektrische Automobile -- interessant genug wird's werden.
+Ich bin übrigens zum Kommandeur des neuen Signalforts ernannt worden.
+Sie werden vorläufig mein Sekretär sein. =Good morning, sergeant!=«
+
+Da ging ich zum Strand hinunter und lief lange auf und ab. Nicht zu
+ertragen schien mir mein Unglück ...
+
+ * * * * *
+
+Ein lustiges Lächeln stiehlt sich über mich im Erinnern an jenen
+Abschnitt in den jagenden Lausbubenzeiten. Ich war in Wirklichkeit
+über alle Maßen unglücklich damals, daß ich den Sergeantenrock nicht
+abschütteln konnte -- mit einem Halloh und einem Heidi, wie ich alles
+Unbequeme abgeschüttelt hatte in der Vergangenheit und abschütteln
+sollte in der Zukunft. Kreuzunglücklich bin ich gewesen. Und das
+Lächeln wird zu einem großen Lachen, wenn ich mich daran erinnere,
+wie prachtvoll die vier Monate meines Sergeantentums in Fort Myer bei
+Washington werden sollten. Und wie alles ineinandergriff. Wie ich durch
+das Signalkorps wieder zur lieben alten Zeitungsarbeit kam und wie es
+wieder dahinging in Hast und Hetze über den amerikanischen Erdteil, ein
+neues Wanderleben ...
+
+Zeiten kamen und Verhältnisse, in denen kein Mensch geahnt haben
+würde, daß der Mann der Feder je ein simpler Sergeant der Regulären
+gewesen sein konnte -- und Zeiten kamen wieder, da der Sergeant
+von dereinst sich auf das Soldatenblut besann und in einer der
+Venezuela-Revolutiönchen Glückssoldaten kommandierte. Wie sich das
+alles zutrug -- ja, das ist eine andere Geschichte und so umständlich,
+daß sie leider noch in einem dritten Band geschrieben werden muß.
+
+
+ _Ende des zweiten Teils._
+
+
+
+
+Anmerkungen des Bearbeiters
+
+
+ Gesperrter Text markiert durch: _ ... _
+
+ Antiqua-Text markiert durch: = ... =
+
+ Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
+
+ Möglicherweise unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten.
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by
+Erwin Rosen
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59218 ***
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--- a/59218-8.txt
+++ /dev/null
@@ -1,8824 +0,0 @@
-Project Gutenberg's Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by Erwin Rosen
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-Title: Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3)
- Erinnerungen und Eindrücke Zweiter Teil
-
-Author: Erwin Rosen
-
-Release Date: April 6, 2019 [EBook #59218]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***
-
-
-
-
-Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel and the
-Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
-
-
-
-
-
-
-
-
-
- [Illustration]
-
-
-
-
- Memoiren Bibliothek
-
- IV. Serie
-
- Siebter Band
-
-
- Der Deutsche Lausbub in Amerika
-
- * 2ter Teil *
-
- von
-
- Erwin Rosen
-
- [Illustration]
-
-
-
-
- Der
- Deutsche Lausbub
- in Amerika
-
- Erinnerungen
- und Eindrücke
- von Erwin Rosen
-
- Zweiter Teil
-
-
- Dritte Auflage
-
- Verlag -- Robert Lutz -- Stuttgart
-
-
-
-
- Alle Rechte vorbehalten.
- Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgart.
-
-
- Copyright 1912
- by Robert Lutz, Stuttgart.
-
-
-
-
-Inhalt
-
-
- Seite
-
- Bei der amerikanischen Zeitung.
-
- Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. -- Die armen
- Teufel von deutschen Journalisten. -- Ein Münchner
- Zeitungspalast. -- Im amerikanischen Reporterzimmer.
- -- Wie das Zeitungsbaby sein Handwerk erlernte. --
- Das Geheimnis der Presse. -- Im Presidio. -- Ich
- lerne telegraphieren. -- Die Sprache des Kupferdrahts.
- -- Telegraphisches Lachen. -- Vom großen Lebenswert 21
-
-
- Reporterdienst.
-
- Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. -- Der
- scoop. -- Der verunglückte Dampfer Hongkong. -- Die
- Männer der schnellen Entschlüsse. -- Wie ein Reporterstück
- inszeniert wird. -- Auf der Jagd nach der Sensation.
- -- Im Maschinenraum. -- Wie ich die Kunst des Zuhörens
- ausübte. -- Der Dämon im Stahl. -- Zeitungskönig Hearst.
- -- Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und
- der Hearstschen Gelben Presse. -- Ein schwarzer Tag 38
-
-
- Das Kommen des Krieges.
-
- Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. -- Die
- Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen
- Insurgenten. -- Die Glückssoldaten der Virginia. --
- Gespannte Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
- und Spanien. -- Grausamkeiten. -- Die kubanische Junta
- in New-York. -- Der Untergang der Maine. -- Der
- Racheschrei. -- Kriegserklärung. -- Meine große Idee!
- -- Die große Idee funktioniert nicht! -- Aber ich muß
- unbedingt nach Kuba 56
-
-
- Der Lausbub wird Soldat.
-
- Die verbogene Lebenslinie. -- Ein schneller Entschluß. --
- Beim Oberleutnant Green vom Signaldienst. -- Ich werde
- angeworben! -- Abschied von Allan McGrady. -- =B
- Company= des 1. Infanterieregiments. -- Korporal
- Jameson. -- Wiggelwaggeln. -- Der sprechende Sonnenspiegel.
- -- »Ich gehe nach Kuba!« 66
-
-
- Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.
-
- Der Krieg des Leichtsinns. -- Aus Leutnants werden
- Majore. -- Eine kleine Vergeßlichkeit. -- Segenswünsche
- und Vorschußlorbeer. -- Von lieben diebischen Mägdelein. --
- Die Armee in Hemdärmeln. -- Das militärische
- Telegraphenbureau in Tampa. -- Die spanische
- Gespensterflotte. -- Admiral Cervera in der Falle von
- Santiago de Cuba. -- Die Depeschenhölle. -- Roosevelts
- Rauhe Reiter ohne Gäule! -- Auf dem Meer. -- Eine
- schwäbische Ueberraschung. -- Von redenden Tuchfetzen
- und sprechenden Wolken. -- Nachtalarm. -- Beginn des
- Bombardements von Baiquiri 77
-
-
- Auf kubanischem Boden.
-
- Die Küste wird bombardiert. -- Theodore Roosevelt und
- seine Zahnbürste. -- Die Landung. -- Ein Tag ungeduldigen
- Fluchens. -- Die Arbeit beginnt. -- Tropenregen.
- -- Meine Hängematte. -- Nachtruhe =à deux=. -- Hunger
- und Arbeit -- aber ach, was waren das für schöne Zeiten!
- -- Der Major stiehlt einen Karren. -- Telegraphenbau-Arbeit.
- -- Palmen und Kletterei. -- Bei den toten rauhen Reitern
- von =La Quasina=. -- Im Insurgentenlager. -- Der
- Mangobauch. -- Der Jesus-Christus-General 94
-
-
- Beim Jesus-Christus-General.
-
- Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. -- General Shafter,
- Höchstkommandierender. -- Die Trumpfkarte im
- Spiel. -- Proviant her! -- Ein sogenannter Spaziergang.
- -- Die spanische Verteidigungslinie. -- Die Nacht
- vor der Schlacht. -- Das Telegramm nach Washington.
- -- Die Regimenter ziehen dem Feind entgegen. 121
-
-
- Die Schlacht vom San Juan Hügel.
-
- Der Morgen vor der Schlacht. -- Ein Schattenspiel im
- Nebel. -- Die Schlacht beginnt. -- Wir legen die Linie
- nach der Front. -- Meine erste Granate. -- Wie ich das
- Gruseln lernte. -- Wie andere das Gruseln lernten.
- -- Auf dem Weg zur Feuerlinie. -- Die Furt. -- Die
- Panik des 71. Regiments. -- In der Feuerlinie am
- Waldrand. -- Wir schießen mit. -- Die Schützengräben
- im San Juan Hügel. -- Der Gnadenschuß. -- Der Angriff
- ohne Befehl. -- Der San Juan Hügel wird im Sturm
- genommen. -- Zusammenhänge der Schlacht. -- Bei den
- spanischen Gefangenen. -- Rum und Zigaretten. -- Am
- Lagerfeuer. -- Sie begraben die Toten. 136
-
-
- Der Tag nach der Schlacht.
-
- Am Lagerfeuer. -- Vom Arbeiten in den Schützengräben.
- -- Nächtlicher Tropenregen. -- Auf dem Weg zur
- Front. -- Die spanischen Scharfschützen. -- Der stille
- Wald. -- Verwesungsgeruch. -- Das Tal der Toten. --
- Der Kopf. -- Bloßgelegte Gräber. -- Das Kommen des
- Grauens. -- Das Leichenfeld. -- Im Hauptquartier des
- linken Flügels. -- Die Schützengräben auf dem Hügel.
- -- Heftiges Gewehrfeuer in der Sternennacht. -- Mein
- Maultierritt. -- Vom Feuerschein beim Feind und dem
- Rätsel der Nachtattacke 169
-
-
- Der Untergang der spanischen Flotte.
-
- Jubel in den Schützengräben. -- Der Hafen von Santiago
- de Cuba. -- Das Felsentor. -- Castillo del Morro. --
- Das Warten, das Lauern! -- Die Heldentat des Leutnants
- Hobson. -- Durchbruch des spanischen Geschwaders.
- -- Die Seeschlacht. -- Die Hölle der fünfunddreißig
- Minuten. -- Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer
- in den Grund. -- Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte
- des Seekriegs. -- Der Mann im Kommandoturm und der
- Mann hinter der Kanone. -- Was von der Gespensterflotte
- übrig blieb 193
-
-
- In den Schützengräben.
-
- Von Siegesberichten und Sorgen. -- Ein Murren geht durch
- die Schützengräben. -- Die Meinung des alten Sergeanten.
- -- Ungeduld! -- Der Humor der Front. -- Krankheit und
- Schwäche. -- Die berühmten kubanischen Leibschmerzen.
- -- Fieber und Ruhr. -- Stimmungen und Verstimmungen.
- -- Ein Freudentag. -- Freund Billy aus Wanderzeit und
- Eisenbahnfahrt. -- Zwei Gefechtstage. -- Wie ich ein
- Held sein wollte. -- Der Friedensbaum. -- Die
- Kapitulation von Santiago de Cuba 207
-
-
- Nach Santiago de Cuba.
-
- Das Hauptquartier wird energisch. -- Die Enttäuschung
- der Männer in den Schützengräben. -- Die verbotene
- Stadt. -- Wir werden nach Santiago beordert. -- Das
- Legen der Linie. -- In den spanischen Schützengräben.
- -- Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern. --
- In der Stadt. -- Die toten Gäßchen. -- Von Licht
- und Schatten. -- Das Hauptquartier des Siegers 226
-
-
- Im Kabelbureau.
-
- Der spanische Telegraphendirektor. -- Unter Dach und Fach.
- -- Wir requirieren Wäsche. -- Der wundersame Patio.
- -- Das große Baden. -- Der brauchbare Antonio. --
- Wir rüsten ein Mahl. -- =»Caballeros
- telegraphistas!«= -- »Oh, der verdammte Speck!« --
- »Man muß ein Loch in die Uhr schießen!« -- Das
- Feuerrad. -- Im Dunkel 239
-
-
- Auf der Insel des gelben Fiebers.
-
- »Ich bin gar nicht tot.« -- Im Hafenhospital von Santiago.
- -- Die gelbe Flagge im Boot. -- Die Schmerzen im Leib.
- -- Der sterbende Trompeter. -- Warum ich den Neger
- erschießen wollte. -- Schlafen, nur schlafen! -- Das
- Dunkel zwischen Tod und Leben. -- Dr. Gonzales. -- Ich
- bin Sergeant geworden. -- Das Haus des Elends. --
- Krankenpfleger und Totengräber. -- Wie der Rauhe Reiter
- Himmelsblumen pflückte. -- Eine nächtliche Schreckensszene.
- -- Der Insel der Verdammten wird Hilfe. -- Die
- Krankenschwestern 255
-
-
- In der Zeltstadt von Montauk Point.
-
- Die Friedensbotschaft. -- Ein brutaler Krieg. -- Die böse
- Lage der amerikanischen Invasionsarmee. -- Auf den
- General folgt der kaufmännische Organisator. -- Wie
- die Zeltstadt von Montauk Point erstand. -- Mein
- letzter Tag in Santiago de Cuba. -- Im Gesundheitslager.
- -- Die Komplimente des Trusts. -- Wie mir ein Vermögen
- entging. -- Die New Yorker Invasion. -- Von begeisterten
- =ladies=. -- Das Sicherheitsventil. -- Wie Leutnant
- Hobson in der Welle der Hysterie ertrank 287
-
-
-
-
-Vorwort
-
-
-Ich bin der glückliche Besitzer eines kleinen Neffen, der sich bestimmt
-schon den Ehrentitel eines Lausbuben erobert hätte, verlebte er sein
-junges Leben in süddeutschen Landen. Da er das aber nicht tut und
-ein Hamburger Jung' ist, so dünkt ihm der Begriff Lausbub fremd.
-Bald großartig und erstrebenswert, bald verächtlich und gemein. Es
-ist mir passiert, daß ein Haufen von Schulkindern mich achtungsvoll
-anstarrte, während mein Herr Neffe ihnen erklärte, das sei ein
-famoser Lausbubenonkel. Ich mußte es aber auch erleben, daß dieser
-Neffe mir bei passendem Anlaß feindselig entgegendonnerte: »Lausbub
-aus Amerika!« Nicht anders ist es mir ergangen mit großen Leuten. Da
-meinten die einen, dieser Lausbub sei etwas gar Lustiges. Die andern
-aber schüttelten die Köpfe: Wie kann man so geschmacklos sein und sich
-selber einen Lausbuben nennen!
-
-So sei mir gestattet, ein Wörtchen dreinzureden. Wir alle kleben
-an der heimatlichen Scholle, seien wir nun Weltenwanderer oder
-niemals hinausgekommen über den Bannkreis der Vaterstadt; an jener
-Scholle, auf der wir als Kinder spielten. Und mir klingt es aus
-meiner Münchner Jugendzeit herüber: »Du ganz verflixter Lausbub!«
-»A solchener Lausbub!!« Wie lustig das tönt, weiß kein Mensch außer
-mir. So lustig kann es keinem sein, so viele auch gelacht haben mögen
-über das Wörtchen mit den verschiedenen Gesichtern. »Oh du herzig's
-Lausbüble,« kost die süddeutsche Mutter. »Lausbub!« sagt der Vater, und
-der Ton bedeutet den Stock. Entrüstung kann in dem Wort liegen oder
-verblüffte Anerkennung einer besonderen Leistung jungenhaften Tobens
-oder ein Schelten oder eine Resignation. Auf gar keinen Fall aber ist
-ein Lausbub ein Musterknabe. Sondern einer, der eine tiefgewurzelte
-Vorliebe für dumme Streiche hat und einen dicken Schädel und rührige
-Ellbogen.
-
-Lausbub! klingt es herüber aus meiner Jugend.
-
-Und weil das Wörtchen noch ein weites Stück ins Leben hinein auch den
-Mann kennzeichnet, so sonderbar das klingen mag -- dumme Streiche,
-dicken Schädel, rührige Ellbogen! -- so gab es diesen Büchern ihren
-Titel.
-
- * * * * *
-
-An einem sonnigen Novemberabend im Jahre 1897 saß ich auf der Terrasse
-des Golden Gate Parks in San Franzisko, starrte aufs Meer hinaus,
-träumte von meiner Arbeit, wie das junge Menschen tun, denen die Arbeit
-noch andere Dinge ersetzt, und war stolz wie ein König als jüngster
-Reporter einer großen Zeitung. So unverrückbar stand es fest, das
-Große, das Bleibende: die Zeitung und ich -- ich und die Zeitung --
-das war die Lebenslinie. Sie war es und sie blieb es. Wie krumm sie
-sich aber gestaltete, diese Lebenslinie, wie wackelig, wie verbogen und
-schief, das ist eines der humorvollsten Dinge in einem Leben reich an
-freiwilligem und unfreiwilligem Humor. Wenige Monate darauf war ja die
-Lebenslinie schon vergessen, und der überstolze Reporter steckte im
-blauen Rock der regulären Armee Onkel Sams. Es sollte ihm öfters noch
-ähnlich ergehen mit dieser Lebenslinie ...
-
-Der Lausbub, Farmer, Apotheker, Arbeiter, Fischpökler, Professor,
-Reporter wurde also Soldat und machte den spanisch-amerikanischen Krieg
-auf Kuba mit. Was er dort erlebte und sah, schildert dieses Buch; so
-wie er es damals erlebte und damals sah im Zeichen junger Männlichkeit,
-überschäumend in der Begeisterung, ein Mann zu sein im Krieg.
-
- Hamburg, im Sommer 1912.
-
- Erwin Rosen.
- (Erwin Carlé).
-
-
-
-
-Zweiter Teil
-
-
-
-
-Bei der amerikanischen Zeitung.
-
- Bob bei den Münchner Neuesten Nachrichten. -- Die armen Teufel von
- deutschen Journalisten. -- Ein Münchner Zeitungspalast. -- Im
- amerikanischen Reporterzimmer. -- Wie das Zeitungsbaby sein
- Handwerk erlernte. -- Das Geheimnis der Presse. -- Im Presidio. --
- Ich lerne telegraphieren. --- Die Sprache des Kupferdrahts. --
- Telegraphisches Lachen. -- Vom großen Lebenswert.
-
-
-Ein Jahr mag es her sein oder zwei, als ich in meiner Vaterstadt
-München einen alten amerikanischen Zeitungsfreund auf der Straße
-traf. Wir gingen zunächst zum Frühschoppen ins Hofbräuhaus, und gegen
-Ende der zweiten Maß weinte Bob beinahe. Zu traurig fand er es, daß
-einer, dem es einmal vergönnt gewesen war, die Nase in die Welt der
-amerikanischen Zeitung zu stecken, sich nun für deutsche Zeitungen
-plagen und schinden mußte!
-
-Er nahm die Münchner Neuesten Nachrichten vom Tisch und zerknüllte sie.
-
-=»You poor devil!«= sagte er. »Du armer Teufel -- du ganz armer Teufel.
-Euer Bier ist ein Wunder! Eure Gemütlichkeit ist prachtvoll! Eure Kunst
-ist grandios! Aber eure Zeitungen -- großer Gott, Mann, das ist doch
-keine Zeitung -- das ist ja ein Miniaturblättchen -- =damn it=, das
-ganze Dings da, das sich eine Zeitung nennt, hat nicht einmal Raum
-genug für einen einzigen anständigen Prozeßbericht!«
-
-Worauf er des weiteren ausführte, daß es ihm ja an und für sich schon
-unverständlich sei, wie irgend jemand irgend wo anders leben könne als
-in =God's Country=, im Lande Gottes, in den gottbegnadeten Vereinigten
-Staaten, denen zur absoluten Vollkommenheit nichts, aber auch nichts
-fehle, als das nicht weniger gottbegnadete Bier der Kunststadt München.
-Ein ewiges, mit sieben zolldicken Brettern vernageltes Geheimnis jedoch
-sei und bleibe es ihm, daß einer, dem es vergönnt gewesen sei ---- usw.
-usw.
-
-Ich lachte und führte ihn in das Gebäude der Münchner Neuesten
-Nachrichten.
-
-Die Männer der Münchnerin sind allezeit gastfreundlich und gar
-liebenswürdig gegen ihre Mitarbeiter, wovon der, der dieses Buch
-schrieb, ein dankbar Lied zu singen weiß. Bob bekam manches zu sehen
-und manches zu hören. Wir plauderten mit dem Feuilletonredakteur über
-das Wesen des künstlerischen Feuilletons (das dem amerikanischen
-Journalisten ein Buch mit sieben Siegeln ist) -- wir unterhielten
-uns mit dem Mann der inneren Politik über den Leitartikel (der den
-Zeitungen Amerikas etwas völlig Nebensächliches bedeutet) -- wir
-suchten die Lokalredaktion heim, und ihr Schriftleiter benutzte
-natürlich die gute Gelegenheit, ein nettes Interview über die Münchner
-Eindrücke des amerikanischen Journalisten herauszuschinden.
-
-»Gut!« sagte Bob draußen auf dem Korridor. »Verdammt gut! Die Leute
-verstehen ihr Geschäft. Sie haben ihre Arbeit lieb. Schade nur, daß den
-armen Teufeln so lächerlich wenig Zeilenraum zur Verfügung steht.«
-Dann blieb er kopfschüttelnd stehen. »Da sagt man immer, in =Germany=
-seien die Leute so überaus vorsichtig mit ihren Dollars!« brummte er.
-»Aber ich will gehängt werden, wenn's bei uns eine einzige Zeitung
-gibt, die ihre Leute auch nur annähernd so luxuriös beherbergt wie das
-Blättchen da! =It's remarkable!=«
-
-Immer erstaunter wurde sein Kopfschütteln, je mehr der Räume der
-Redaktion er sah. Da waren Möbel, deren jedes Stück ein großer Künstler
-entworfen hatte, und Wunder von künstlerischen Schreibtischen und
-Beleuchtungskörper aus Bronze und kostbare Klubsessel und zauberhafte
-Tapeten und Perserteppiche und Jugendoriginale an den Wänden, und von
-der Hast und der Hetze des Zeitungslebens war äußerlich aber auch
-gar nichts zu sehen. Leise nur wie ein Summen drang das Dröhnen und
-Stampfen der riesigen Rotationsmaschinen aus dem betonumpanzerten
-Erdgeschoß. Dann plauderten wir wieder mit anderen Männern, und Bob
-sah, daß der Zeitungsgeist ein Weltgeist ist und die Zeitungsarbeit
-überall die gleiche, gewaltige, gigantische trotz aller Unterschiede
-der Art und des Formats. Er gluckste vor Wonne, als wir hinübergingen
-in das Reich der »Jugend« und Saal auf Saal der wundervollsten
-Kunstdruckmaschinen durchschritten, der vielen Dutzende stählerner
-Bilderzauberer, die noch viel wunderbarer sind als das größte
-Rotationsungetüm.
-
-»Gut -- gut -- verdammt gut!« sagte Bob. »Aber wenn ich mich nicht sehr
-irre, so habt ihr doch eins nicht: Unseren amerikanischen Reporter ...«
-
-Da lachte ich und gab keine Antwort.
-
-Denn meine Zeiten amerikanischen Reportertums sind mir wie ein liebes
-Märchen erster Jugendliebe, und ein gar verknöcherter Kritikus muß der
-sein, der Zeiten erster Liebe kritisch urteilend betrachtet. Ich glaube
-nicht, daß wir in der deutschen Zeitungswelt gerade amerikanische
-Reporterart haben. Ich weiß nicht einmal, ob es wünschenswert
-wäre, hätten wir sie. Ich weiß nur, daß mein eigenes Erleben als
-zwanzigjähriger Lausbub im amerikanischen Zeitungsdienst mir eines der
-Jugendmärchen bedeutet, von denen man zehrt in den Tagen der Reife.
-
- * * * * *
-
-Äußerlich war nichts Märchenhaftes daran.
-
-Der Tag eines Reporters beim =San Francisco Examiner= begann mit
-Arbeit, war ausgefüllt mit Arbeit, endete mit Arbeit, und des Nachts
-träumte man von der Arbeit.
-
-Als ich zum erstenmal meinen Platz an einem Ecktisch im Reporterzimmer
-einnahm, kam ich mir so unendlich hilflos, so geistesarm, so über alle
-Maßen unfähig vor, daß ich am liebsten wieder davongelaufen wäre.
-Ich starrte auf das weiße Papier, das vor mir lag, betrachtete das
-Tintenfaß, sah mißtrauisch auf die Schreibmaschine auf dem kleinen
-Tischchen neben mir und wunderte mich, was in Dreikuckucksnamen ich nun
-eigentlich anfangen sollte. Zwölf Männern, dem gesamten Reporterstab
-der Zeitung, war ich hintereinander vorgestellt worden, und ein jeder
-hatte gelächelt und ein jeder irgend etwas Liebenswürdiges gesagt, um
-sich dann in keiner Weise mehr um meine gräßlich verlegene Wenigkeit
-zu bekümmern. So saß ich da, mit dem krampfhaften Gefühl, daß es die
-Aufgabe eines Reporters war, irgend etwas zu schreiben. Aber was, zum
-Teufel?
-
-Ueberall um mich klapperten Schreibmaschinen. Die Türe wurde
-fortwährend aufgerissen, und Leute kamen herein und gingen hinaus.
-Meine neuen Kollegen schwatzten und lachten -- mitten in ihrer Arbeit.
-Wie es möglich sein konnte, in diesem Höllenlärm einen vernünftigen
-Gedanken zu Papier zu bringen, war mir vorläufig ein Rätsel.
-
-Es roch nach frischer Druckerschwärze. Papier bedeckte knöcheltief
-den Boden, allerlei Papier, handbeschrieben, maschinenbeschrieben,
-bedruckt. Die Wände entlang standen zerschnitzelte und
-tintenbeschmierte Pulte und kleine Tischchen, auf denen blanke
-Schreibmaschinen thronten. Die eine Schmalseite des Zimmers nahm der
-Bücherständer ein mit seinen unzähligen Nachschlagewerken. Eine Notiz
-in roter Tinte besagte, daß der Sünder, der dabei ertappt würde, ein
-Buch nicht an seinen richtigen Platz zurückzustellen, zu Pön und Strafe
-jedem Anwesenden ein Glas Bier zu stiften habe. Da waren Telephone
-an den Wänden und der elektrische Meldeapparat der Feuerwehr und
-das Spezialtelephon zum Polizeihauptquartier und eine Karte von San
-Franzisko und ein Tisch stand in der Zimmermitte, fußhoch mit den
-neuesten Zeitungen bedeckt. Ueberall glitzerten elektrische Glühbirnen,
-denn der Raum war zu groß, als daß das einzige Fenster selbst am
-hellsten Sonnentag ihn hätte erleuchten können. Die geweißten Wände
-waren dicht bekritzelt. Gegenüber der Eingangstüre stand in großen
-Lettern:
-
-»Fremdling, der du hier eintrittst, mach schleunigst, daß du wieder
-hinauskommst, denn unsere Zeit brauchen wir selber!«
-
-Und darunter deutete eine roh hingezeichnete Hand auf den großen
-Schreibtisch in der Ecke beim Fenster:
-
-»Allan McGrady, Lokalredakteur, Oberbonze, Hohepriester! Achtung, der
-Kerl beißt!!«
-
-Und mit einemmal waren alle die Männer verschwunden und der Raum leer.
-Nur der Mann, der biß, war noch da. Er sah von seiner Arbeit auf und
-rief mich beim Namen.
-
-»Mr. McGrady?«
-
-Allan McGradys scharfe Augen blinzelten vergnügt über die
-Ränder der goldenen Brille hinweg. Ein Lächeln huschte über das
-scharfgeschnittene, glattrasierte Gesicht. »Sagen Sie lieber gleich Mac
-zu mir, mein Sohn,« meinte er grinsend, »denn in ein paar Tagen tun
-Sie es doch. Hier hat jeder seinen Spitznamen, und ich werde wohl Mac
-genannt werden bis zu meinem seligen Ende. Ihren Spitznamen kann ich
-Ihnen übrigens prophezeien: als jüngster Reporter sind Sie und bleiben
-Sie das =baby= bis Einer kommt, der noch jünger und noch dümmer ist wie
-Sie!«
-
-Ich muß ein sehr verblüfftes Gesicht gemacht haben --
-
-»Wenn ich sage dumm, so meine ich das natürlich nur im Reportersinn,
-und hoffentlich werden Sie auch in diesem Sinne in etlichen Monaten
-nicht mehr dumm sein. Und nun will ich Sie ein bißchen orientieren,
-mein Sohn. Hier gibt's keine Herren und keine Knechte. Wir sind alle
-zusammen Arbeiter im Dienste der Zeitung, und in unserem Leben darf
-und kann es nichts Wichtigeres geben als die Zeitung. Sie ist es, die
-uns vereint. Wir sind eine große Familie. Wir teilen unsere Zigarren
-und unseren Whisky, manchmal sogar unser Geld -- nun, Sie werden das
-sehr bald herausbekommen. Wir sind alle Blutsbrüder. Wenn Sie etwas
-nicht wissen, fragen Sie Ihren Nachbar. Wenn Sie etwas bedrückt, kommen
-Sie zu mir ... Halten Sie vor allem den Kopf hoch und lassen Sie sich
-nicht verblüffen! Sie werden ganz von selber sehen und hören und lernen
--- und weder ich noch irgend jemand kann Ihnen da viel helfen. Der
-Journalist muß einem im Blut stecken, und wer's nicht in sich hat,
-wird's nie! Und nun --«
-
-Er teilte mir meine erste Arbeit beim Examiner zu.
-
- * * * * *
-
-Um neun Uhr morgens versammelte sich die Reporterschar im
-Reporterzimmer, während Mac schon eine Viertelstunde vorher sich
-an seinem Schreibtisch eingefunden hatte. Eine selbstverständliche
-Voraussetzung war natürlich, daß jeder der »Herren des Stabes« nicht
-nur das eigene Blatt, sondern auch die anderen Morgenzeitungen San
-Franziskos beim Frühstück gründlich gelesen hatte. Diese morgendliche
-Konferenz hatte immer eine lustige und eine etwas weniger lustige
-Seite. Man lachte und plauderte und spielte allerlei Schabernack, Mac
-so gut wie wir alle, bis er auf einmal zu Mr. Allan McGrady wurde und
-seine berühmte Geste der Ernsthaftigkeit annahm. Er pflegte dann die
-Hände in die Hosentaschen zu stecken.
-
-Kurz, scharf, sacksiedegrob war seine Rede --
-
-»=Baby=!« (Das war ich!) der »=Call=« (das war eine Morgenzeitung San
-Franziskos) hat Ihre Geschichte über den Mann, der total betrunken
-im Citygefängnis eingeliefert wurde und in dessen Taschen man 15
-000 Dollars fand, ebenfalls gebracht. Das ist traurig und von Ihnen
-unrecht. Wenn Ihnen ein Polizeisergeant -- welcher war es?«
-
-»McBride.«
-
-»Aha -- McBride. Wenn Ihnen McBride guten Stoff erzählt, so sorgen Sie
-gefälligst dafür, daß er von da ab seinen Mund hält und vor allem den
-Call-Leuten gegenüber nichts ausplaudert. Wie Sie das machen, ist mir
-egal!«
-
-»Aber Mac, Sie haben neulich doch geschimpft wie unsinnig, als ich dem
-andern Sergeanten fünf Dollars gab, damit ---- «
-
-»Ganz richtig, mein Sohn! Das macht man auch nicht mit Geld, denn Geld
-ist rar, sondern mit Liebenswürdigkeit und Schlauheit. Mann, strengen
-Sie ihren Witz an! Bin ich vielleicht eine Amme und in alle Ewigkeit
-verdammt, Sie an dem Quell der simpelsten Weisheit lutschen zu lassen?«
-
-Ich war tief beschämt.
-
-»Na, die Sache ist übrigens bei uns besser als im =Call=. Johnny (das
-war Chefredakteur Lascelles) läßt Ihnen sagen, die Geschichte sei fidel
-und nicht übel ...«
-
-Das war McGradys Art der Anerkennung.
-
-So wurde allmorgendlich Spalte für Spalte der Arbeit des vorhergehenden
-Tages durchbesprochen und einem immer wieder eingehämmert, daß es für
-den, der im Reporterzimmer hausen wollte, nichts auf der Welt gab
-und geben durfte als ein einziges Interesse und eine einzige Liebe:
-Die Zeitung und die Interessen der Zeitung. Erstens die Zeitung und
-zweitens die Zeitung und drittens überhaupt nichts als die Zeitung!
-
-Der Lausbub fühlte sich in der Luft des Reporterzimmers bald so wohl
-wie ein Fisch im Wasser. Weil er jung war und einen Schuß Enthusiasmus
-im Blut hatte, schien ihm das, was in Wirklichkeit ernstes und hartes
-Schaffen war, ein lustiges, kinderleichtes Spiel. Immer neu und
-eigenartig. Immer lockend. Immer aufregend. Holtergepolter ging's mit
-der Arbeit den ganzen Tag hindurch bis spät in die Nacht hinein. Das
-Zimmerchen in der Donnellystreet bei Madame Legrange sah mich nur zum
-Schlafen. Im Eifer merkte ich gar nicht, daß ich ein »hart gerittener
-Gaul« war und beim Examiner in einem einzigen Tag mehr lernen mußte,
-als das anspruchsvollste Professorenkollegium eines Gymnasiums in einem
-ganzen Wochenpensum verlangt hätte ...
-
-Denn der gute Wille und das bißchen Talent taten's noch lange nicht.
-Eine ungeheure Menge von Material mußte ich verdauen und einen Wust
-faktischen Wissens mir aneignen, vor dem ich entsetzt zurückgefahren
-wäre, hätte ich auch nur eine Ahnung gehabt, daß ich ja gar nicht
-spielte, sondern »büffelte«. Aber die Zeitung hatte ihre eigene
-Art, zu lehren und lernen zu lassen. Sie appellierte an Ehrgeiz und
-Ehrgefühl und Kraft, indem sie Vertrauen schenkte. McGrady ließ es
-mich nie fühlen, daß ich Anfänger und Lehrling war, und seine leitende
-Hand führte weiche Zügel. Vom ersten Tag an bekam ich wie alle
-anderen meine Aufgaben zugeteilt und arbeitete in allen Abteilungen
-des Nachrichtendienstes. Ich wurde aufs Polizeihauptquartier
-geschickt und zu den einzelnen Polizeisergeanten, assistierte bei der
-Berichterstattung in großen Kriminalfällen, wurde bei den lokalen
-politischen Größen eingeführt und im Hafendienst verwendet. Ein
-lächelnd gegebener Rat, wie von Gleichstehendem zu Gleichstehendem, als
-wortkarge Selbstverständlichkeit hingeworfen, eine lustige Derbheit,
-die niemals etwas Verletzendes hatte, ein Wort hier, ein Wink dort,
-die stete Fühlung vor allem mit Männern, die ihre Arbeit kannten und
-liebten und gute Kameraden waren, wie ich sie im Leben selten gefunden,
-zeigten mir bald die richtigen Wege.
-
-Das Problem war einfach genug. Wer Nachrichten einholen wollte, durfte
-sich nicht auf Auge und Ohr verlassen, sondern mußte sehr genau wissen,
-wer die Männer waren, die Nachrichten geben konnten, und was die
-Nachrichten selbst bedeuteten.
-
-»Die Hauptsache müssen wir immer schon wissen, ehe wir zu fragen
-beginnen,« pflegte McGrady trocken zu sagen.
-
-Das war das Grundprinzip und leicht zu begreifen. Wenn ich zum
-erstenmal zu einem hohen Beamten der Stadt geschickt wurde, um eine
-wichtige Auskunft einzuholen, so mußte ich wissen, wer der Mann war,
-was er geleistet hatte, welche Tragweite die Angelegenheit in Frage
-hatte. Das Wissen lieferte die Zeitung selbst. Man drückte auf einen
-elektrischen Knopf, und einer der Pagen erschien. Der bekam einen
-Zettel. Auf diesen Zettel hatte man zum Beispiel geschrieben: John
-McAllister, Schatzmeister San Franziskos. Neubau der Wasserwerke. In
-wenigen Minuten kam der Page zurück, mit zwei blauen Aktenmappen,
-numeriert und überschrieben: Schatzmeister McAllister -- Wasserwerke.
-Ihr Inhalt waren die Ausschnitte aus dem Examiner aus allen Nummern, in
-denen Artikel oder Notizen über McAllister und die Wasserwerke gebracht
-worden waren. Die überflog man und wußte nun über den Mann und die
-Sache, was zu wissen war. Ein Hilfsmittel von unschätzbarem Wert war
-diese ausgezeichnete Registratur, ein wahres Tischlein-deck-dich für
-den Zeitungsmann. Ein Redaktionssekretär hatte tagaus tagein nichts zu
-tun, als jede Zeitungsausgabe in ihren einzelnen Artikeln und Notizen
-zu klassifizieren, zu registrieren, und die Akten in musterhafter
-Ordnung zu halten. Nichts fehlte, von der großen Politik bis zu einer
-Statistik aller Großfeuer. So wurde jede einzelne Arbeitsaufgabe zu
-einer Quelle des Wissens. Man lernte jeden Tag, jede Stunde im Tag.
-
-Die vielen Menschen, mit denen ich zusammenkam, und die vielen
-Dinge, mit denen ich mich beschäftigen mußte, waren wie immer neu
-vorbeihuschende, farbenbunte, lebenspackende Bilder. Die Zeitung wurde
-zum Götzen; das Reporterzimmer zum Heim, in dem man oft aß, immer sein
-Glas Bier trank, wo man sich wohl fühlte wie nirgends. Ich würde jeden
-ausgelacht haben damals, der mir gesagt hätte, daß ich Zeitungsleben
-und Zeitungsarbeit auch nur auf eine kurze Spanne Zeit freiwillig
-aufgeben könnte. Und tat es bald darauf doch ... Es gibt noch stärkere
-Reize. Aber sie sind selten. Wenige Arten tätigen Schaffens wohl
-vermögen einen Menschen so mit Leib und Seele einzufangen wie der
-Zeitungsdienst. Ein Wirbel tollen Lebens war es, in dem ich stand.
-Wenn man arbeitete, hatte man die Wirklichkeit unter den Fingern; die
-Menschen, wie sie lebten, und die Dinge, wie sie sich zutrugen; immer
-neue Menschen und immer andere Dinge. Das Schauen und Erleben, das
-andere Männer der Arbeit in kargen Freistunden suchen mußten, gab die
-Zeitung im Dienst.
-
-Das war das Geheimnis des =San Francisco Examiners=, und es ist und
-bleibt das Geheimnis der Presse -- aller großen Zeitungen aller Länder
-und Sprachen. Die Zeitung bannt die Männer, die ihr dienen, in einen
-Zauberkreis. Sie verlangt Unerhörtes an Arbeitskraft und Hingebung,
-aber Unerhörtes gibt sie auch. Sie schenkt ihren Männern brausendes
-Leben und gewaltige Macht. Das flüchtig hingeschriebene Wort eines
-Zeitungsmannes spricht zu Hunderttausenden. Es vermag hunderttausend
-Meinungen zu beeinflussen, vermag Großes in Gutem und Bösem. Wem
-ihre Spalten offenstehen, der ist Führer und Lenker und Erzieher von
-Tausenden, ohne daß diese Tausende auch nur seinen Namen kennen --
-
-»Wir sind Männer ohne Namen,« sagte Allan McGrady einmal lächelnd
-in einer abendlichen Plauderstunde. »In jedem von uns steckt ein
-Stückchen romantischen Narrentums. Wer kennt uns? Einige Verleger,
-einige Redakteure, einige Freunde vom Bau. Die große Masse, zu der
-wir sprechen, kennt uns nicht. Ob ich unter einen Artikel Allan
-McGrady schreibe oder Hans Jakob Ypsilon, ist ganz gleichgültig -- von
-tausend Lesern sieht kaum einer nach dem Namen. Wir könnten ebensogut
-Nummern tragen. Die Zeitung verschluckt uns mit Haut und Haaren und
-Persönlichkeit.« Er lachte. »Und das bißchen Geld? Du lieber Gott,
-der Mann im Wolkenkratzer da drüben, der altes Eisen billig kauft und
-teuer verkauft, verdient zehnmal mehr als wir alle zusammen. Und wenn
-wir einmal alt werden und nicht mehr können, dann wirft man uns aus
-dem Zeitungstempel und setzt uns auf die Straße. Deswegen sind wir im
-Grunde alle Narren, liebe Kinder. Ich bin ein Narr, und du bist ein
-Narr, Jack Ferguson, und du bist auch ein Narr, =baby=!«
-
-»Würdest du deine Arbeit an der Zeitung aufgeben, Mac, wenn du eine
-Million erbtest?« fragte grinsend Jack Ferguson, der älteste Reporter.
-
-»Nein, natürlich nicht!«
-
-»Siehst du!«
-
-»=Well=, das ist eben das Narrentum!« brummte Allan McGrady.
-
-»Oh nein,« sagte Jack Ferguson fast feierlich. »Es ist mehr. Es ist das
-kuriose Etwas, das den Soldaten vorwärtstreibt. Es ist jenes sonderbare
-Etwas, das hoch über Geld und Geldeswert steht ------ «
-
-»Schrumm, schrumm,« sagte Allan McGrady. »Prosit Kinder!«
-
-Das kuriose Etwas war die Begeisterung. In ihr wurde die Arbeit zum
-Spiel. Zum Sport. Man tat eigentlich nichts anderes den ganzen lieben
-Tag, als nach Arbeit zu suchen und sich der Arbeit zu freuen. Unser
-Vergnügen sogar hing sicherlich irgendwie mit der Zeitung zusammen.
-Wenn man im Reporterzimmer plauderte, unterhielt man sich über die
-neueste Wendung in den politischen Verhältnissen oder über den letzten
-Kriminalfall oder den schwebenden, noch nicht ganz aufgedeckten
-Spitzbubenstreich der Stadtväter San Franziskos. Es war einem eben zur
-Manie geworden, sich nur für das zu interessieren, was die Zeitung
-interessierte.
-
- * * * * *
-
-Zu all der Arbeit in den Babyzeiten kam noch besonderes technisches
-Lernen, das in sonderbarer Zufälligkeit meine nächste Zukunft stark
-beeinflussen sollte. Ich lernte telegraphieren. Die Examinerleute
-hatten damals die Marotte, die Sprache des Kupferdrahtes gründlich
-zu erlernen, denn das konnte für die Zeitung sehr wichtig sein.
-Unser Lehrmeister war ein liebenswürdiger amerikanischer Offizier,
-Oberleutnant Green, der Chef des militärischen Signaldienstes im
-Departement von Kalifornien. Drei, viermal in der Woche fuhren wir
-zum Presidio, dem Fort beim Goldenen Tor, und arbeiteten dort im
-Signalbureau, bald mit dem Leutnant selbst, bald mit Mr. Hastings,
-einem alten Signalkorpssergeanten.
-
-Nach den ersten Lektionen schon fesselten mich die Geheimnisse der
-Teufelei elektrischen Stromes gewaltig. Der Mechanismus der Instrumente
-war zwar sehr einfach. Die Wechselwirkung zwischen Taster, Strom und
-Magnet hatte nichts besonders Wunderbares. Das mühselige Formen von
-Buchstaben durch Punkte und Striche schien zuerst sogar langweilig.
-Aber sobald ich eine gewisse Fertigkeit erreicht hatte, übte das
-Telegrapheninstrument eine ganz merkwürdige Lockung auf mich aus. Denn
-nun wurde aus den toten Punkten und Strichen lebendige Sprache.
-
-Im Gegensatz zu der in Europa üblichen Art des Telegrammlesens vom
-Papierstreifen oder durch Druckmaschine liest der amerikanische
-Telegraphist fast nur durch Gehör. Das Klicken des Magneten spricht zu
-ihm. Er schreibt das Gehörte nieder wie nach Diktat. Er erreicht dabei
-eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 30 Worten in der Minute, die
-sich bei Benutzung der Schreibmaschine auf vierzig, ja sogar fünfzig
-Worte steigern läßt. Mein Ohr gewöhnte sich sehr rasch an die Sprache
-des Telegraphen. Was zuerst ein mühsames Zählen der Punkte und Striche
-gewesen war, um die einzelnen Buchstaben herauszuhören, wurde bald zum
-Begeistertsein über eine neue, klare, deutliche Schrift. Ich hörte, wie
-ein Telegraphist das lernen muß, nicht mehr die einzelnen Buchstaben,
-sondern deutlich erklang das ganze Wort. Es war genau so wie Lesen
-lernen. Zuerst mußte man sich um den Buchstaben mühen, um dann später
-eine ganze Zeile in einem einzigen Bild in sich aufzunehmen. Ein
-kleines Beispiel:
-
-Wenn ein Telegraphist mit einem andern sich über den Draht hinweg
-unterhält und lachen will, dann klickt er: ha -- ha -- ha. Im
-Morsealphabet sieht das so aus --
-
-
-.... .--ha .... .--ha.
-
-
-Auf dem Papier sind die vier Punkte des h und der Punkt, Strich des
-a etwas Totes und Nichtssagendes. Sobald wir sie aber im Instrument
-erblicken, werden sie lebendig, sind charakteristisch, lösen sofort das
-antwortende Gelächter aus.
-
-Das Telegraphieren war ein famoses neues Spiel. Der empfindliche
-Magnet reagierte so blitzschnell auf jeden Fingerdruck, daß sich
-die anscheinend so komplizierten Morsebuchstaben schneller formen
-ließen als auf dem Papier mit Tinte und Feder. Der Name Erwin in
-Telegraphenschrift sieht sehr verzwickt aus:
-
-
-.Pause . .. Pause .-- -- Pause .. Pause --. Wortpause
-
-
-Telegraphieren läßt er sich in drei Sekunden!!
-
-Nach drei Wochen bereits erwies mir der alte Sergeant Hastings das
-Kompliment, mir lachend zu sagen, daß ich mich jetzt schon bald um eine
-Anstellung bei der =Western Union= (das war die große amerikanische
-Telegraphen-Kompagnie) bewerben könne. So vergnügt war er über seinen
-Lehrmeister-Erfolg, daß er mich dann in die unterirdischen Kasematten
-des Küstenforts führte.
-
-»Aber 's ist strikt privatim!« mahnte er.
-
-So sah ich den berühmten Minentisch der Küstenverteidigung San
-Franziskos. Es war eine =camera obscura=. Auf eine ungeheure, in
-winzige Quadrate eingeteilte Tischplatte in der Kasemattenkammer
-reflektierten die Kameraspiegel ein Stück Meer. Es sah fast unheimlich
-aus, wenn die Segler und die Dampfer im Spiegelbild über die schwarzen
-Linien der Quadrate huschten, die alle Nummern trugen. Es _war_
-unheimlich! Denn in Kriegszeiten bedeutete jedes Quadrat entweder eine
-Torpedomine oder ein Schußfeld, auf das mehrere Geschütze sorgfältig
-einvisiert waren. Glitt nun ein feindliches Schiff über Quadrat 39, so
-drückte der Minenoffizier auf den elektrischen Knopf Nummer 39, und das
-feindliche Schiff flog in die Luft, von einer Mine in Stücke gerissen
-oder von riesigen Sprenggranaten zerfetzt. Theoretisch. Es sah sehr
-schön aus.
-
-Und dann gingen wir in die Kantine.
-
- * * * * *
-
-Das Zeitungsbaby lernte die ersten Griffe seines neuen Handwerks ...
-Aber weit wichtiger als all das Praktische war der große Lebenswert,
-den die Zeitung wie im Spiel schenkte: Die Begeisterung für die Arbeit!
-
-
-
-
-Reporterdienst.
-
- Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. -- Der =scoop=. --
- Der verunglückte Dampfer Hongkong. -- Die Männer der schnellen
- Entschlüsse. -- Wie ein Reporterstück inszeniert wird. -- Auf der
- Jagd nach der Sensation. -- Im Maschinenraum. -- Wie ich die Kunst
- des Zuhörens ausübte. -- Der Dämon im Stahl. -- Zeitungskönig
- Hearst. -- Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und der
- Hearstschen Gelben Presse. -- Ein schwarzer Tag.
-
-
-Das Leben des Amerikaners ist Hast und Hetze, nicht aus der
-Lebensnotwendigkeit der Jagd nach dem Dollar nur, sondern weil Hasten
-und Hetzen ihm von Kindesbeinen an gar nichts zu Beklagendes, sondern
-etwas Wunderschönes bedeuten. =Hustle!= ist sein Motto -- rühr' dich,
-rege dich, nütze die Zeit! Und =hustling= verlangt er auch von der
-Zeitung. Der Mann, dem riesige Wolkenkratzer, donnernder Straßenlärm,
-jagende Eile im Stadtbild eine Art Kulturbedürfnis sind, verlangt von
-seiner Zeitung viel Lärm und gewaltigen Spektakel, und die grellen
-Farben, die sein Auge im Tagesleben überall erblickt. Zwei Zoll hoch
-müssen die Ueberschriften sein und gepfeffert in kräftigen Worten,
-so wie seine eigene Ausdrucksweise es ist; übertrieben, wie er gern
-übertreibt, der Mann, der sein Land das Land Gottes nennt, anstatt
-bescheidentlich vom Vaterland zu sprechen wie andere Leute. Die
-Eile, den raschen Entschluß, das schnelle Schaffen, die in seinem
-persönlichen Leben rumoren, will er auch in seiner Zeitung sehen. Ihm
-imponiert das Bild, die Tat, die große Schilderung, das Verblüffende;
-weise Worte möchte er nur gelegentlich und dann mit Vorsicht genießen!
-Rauschendes Leben muß an seinem inneren Ohr vorbeifließen, wenn er in
-den weichen Polstern der Hochbahn New Yorks die Zeitung überfliegt, auf
-daß seine Lektüre im Einklang mit dem Taktschlag seines Tages klinge.
-So ist aus dem hastenden Amerikaner heraus und seiner Liebe für grelle
-Lichter und lauten Lärm die amerikanische Zeitung entstanden.
-
-Ihre Dollarjagd, ihre Hetzerei, ihr Sensationsdrang.
-
-Sieht man aber näher zu und wühlt man sich durch den
-marktschreierischen Wortkram der Ueberschriften und der Floskeln in den
-Aufsätzen, so entdeckt man erstaunt, daß hinter der brutalen Sensation
-eine gründliche, ehrliche, bewunderungswürdige Arbeitsleistung von
-ganz gewaltigen Verhältnissen steckt und zwar häufig gerade da, wo
-der als so leichtsinnig verschrieene Reporter gearbeitet hat. Dieser
-Reporter, der so gut wie die Besten die jungfrische Kraft und den
-Unternehmungsgeist und den Bienenfleiß des Dollarlandes repräsentiert.
-Er ist es, der seiner Zeitung die großen Erfolge verschaffen muß, die
-man in der Zeitungssprache =scoops= nennt. Sie allein machen Eindruck
-auf den modernen Amerikaner; sie allein sichern dem Blatt ein rasches
-Emporschnellen der Zirkulation, ein Wachsen im Ansehen.
-
-=Scoop= heißt wörtlich eine große Schaufel. =To scoop in= bedeutet
-einheimsen, einschaufeln, einsacken, und im übertragenen Sinne will
-der spöttische Zeitungsausdruck besagen: Daß man eine hochwichtige
-Neuigkeit ganz für sich allein, ganz zu allererst eingeheimst,
-eingeschaufelt hat, während die betrübte Konkurrenz wehmütig dasteht
-und den kahlen Boden vierundzwanzig Stunden später nach schäbigen
-Resten absucht. Ich erlebte einen prachtvollen =scoop= beim Examiner.
-Und half mit dabei.
-
- * * * * *
-
-Frühmorgens war es. Noch hatte die Arbeit nicht begonnen und die
-Reporterfamilie auf der Jagd nach den Ereignissen des Tages sich
-über die Stadt zerstreut, als McGradys Telephon, das von der
-Examinerzentrale nur dann eingeschaltet wurde, wenn es sich um eine
-sehr wichtige Mitteilung handelte, rasselnd erklingelte. Mac nahm den
-Hörer ab:
-
-»Examiner -- Nachrichtendienst.«
-
--- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-»Jawohl -- Leuchtturmwärter -- Station Goldenes Tor -- ja -- _wie_
-heißt der Dampfer -- die Hongkong? -- jawohl! Anscheinend verunglückt,
-jawohl Wird von einem Trampdampfer eingeschleppt?«
-
--- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-Pause, lange Pause. Wir alle lauschten in atemloser Spannung. Dann
-fragte Mac weiter:
-
-»Der Dampfer ist nur durch ein gutes Fernrohr sichtbar, sagen Sie?«
-
--- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
-
-»Haben Sie die Nachricht einer anderen Zeitung gegeben? -- Nein?
--- Schön. Erstatten Sie nur die Ihnen dienstlich vorgeschriebenen
-Meldungen an die Behörden und benachrichtigen Sie keine andere Zeitung.
-Ja? Danke. Sie erhalten von uns fünfundzwanzig Dollars. -- Schluß.«
-
-Das Telephon klingelte ab.
-
-Allan McGrady hängte langsam und bedächtig den Hörer auf, ging
-zu seinem Schreibtisch, nahm sich eine Zigarette und zündete sie
-umständlich an, während wir schweigend dastanden. Dann wandte er sich
-um.
-
-»Hayes! Telephonieren Sie doch, bitte, an die
-Schleppdampfergesellschaft. Wir brauchen den schnellsten Schlepper, den
-sie haben. Muß in einer halben Stunde unter Dampf sein. Examinerdienst,
-üblicher Charter für einen Tag. Nein -- warten Sie. Nicht einen,
-sondern zwei Schlepper brauchen wir.«
-
-»Zwei Schlepper -- in einer halben Stunde!« wiederholte Hayes.
-
-»Richtig.« Hayes ging zum Telephon und McGrady klingelte. »Ich lasse
-Mr. Lascelles bitten,« befahl er dem eintretenden Pagen.
-
-Von uns sagte keiner ein Wort, denn jeder wußte, daß es sich um etwas
-Großes handelte; um rasches Denken, um schnelles Disponieren. Daß jede
-Minute und jeder gesprochene Satz kostbar waren. Der Chefredakteur
-kam augenblicklich. Wenn ein Redakteur den andern oder gar den Chef
-»bitten« ließ, anstatt sich selbst zu bemühen, so bedeutete das: Eile,
-Dringend, Expreß!
-
-Die beiden Herren schüttelten sich die Hände.
-
-»Guten Morgen, Lascelles,« sagte McGrady, der nie ruhiger und kühler
-sprach, als wenn er sehr aufgeregt war. »Verzeihen Sie, aber wir haben
-hier eine Sache, die keinen Aufschub duldet.«
-
-Lascelles nickte nur. McGrady fuhr fort:
-
-»Der Leuchtturmwärter von der Goldenen-Tor-Station telephoniert,
-er habe soeben den Dampfer Hongkong der San Franzisko-China-Linie
-gesichtet. Der Dampfer werde von einem kleinen Honolulu-Trampdampfer
-eingeschleppt. Sie alle wissen, daß die Hongkong überfällig ist. Um
-was es sich handelt, läßt sich ja allerdings noch nicht sagen. Mr.
-Lascelles, ich habe zwei Schleppdampfer beordert --«
-
-»Weshalb zwei?«
-
-»Wir haben Eile. Ich möchte vorschlagen, daß wir die Nachmittagsausgabe
-zwei Stunden früher erscheinen lassen mit zwölf bis zwanzig Spalten
-Hongkong an erster Stelle. Ich persönlich bin dafür, alles andere
-Lokale hinauszuwerfen. Nur Hongkong, wichtige Politik, Börse,
-Vermischtes. In zwei Stunden frühestens hat der »=Call=« die Nachricht
-von den Behörden, auf jeden Fall aber nach uns. Selbst wenn es sich nur
-um eine Stunde oder auch eine halbe Stunde Differenz handeln sollte, so
-haben wir doch Vorsprung, und die Leute vom =Call= kommen sicher nicht
-auf den Gedanken, daß wir zwei Stunden früher erscheinen könnten!«
-
-»Teufel -- das können wir aber doch nicht, Mac!«
-
-»Ich meine, es müßte eben gehen,« sagte Allan McGrady nachdenklich.
-»Wir lassen die Setzer und die Maschinenleute der Nachtschicht holen.
-Was Manuskript anbetrifft, so soll der zweite Schlepper die ersten
-Nachrichten übermitteln, sobald es nur irgendwie geht, und der Rest
-muß eben auch im Handumdrehen da sein -- ich kann mich auf meine Leute
-verlassen.« (Es geschah sehr selten, daß McGrady dergleichen sagte,
-aber wenn es geschah, so hätten wir uns in Stücke zerreißen lassen für
-ihn!!)
-
-»Die Möglichkeit des Gelingens ist da,« antwortete Lascelles rasch.
-»=Allright=, Mac. Disponieren Sie. Sie wissen, daß wir gute tausend
-Dollars Extraausgaben riskieren und der alte Mann uns die Hölle heiß
-machen wird, wenn die Sache schief geht. Verfrühte Ausgabe also. Wissen
-Sie was? Es ist neuneinhalb Uhr. Um zwölf Uhr, oder sagen wir halbeins,
-lassen wir ein Extra verteilen: Die Hongkong hilflos eingeschleppt.
-Eines der größten Schiffe der kalifornischen Chinalinie mit knapper Not
-dem Untergang entgangen. Eine Tragödie der See. Siehe ersten Bericht im
-Nachmittags-Examiner. Oder so ähnlich ...«
-
-»Ausgezeichnet!« sagte Mc Grady. »Wenn wir den Anschluß erwischen,
-ist es eine große Sache. Meine Herren, der gesamte Stab geht auf den
-Schleppdampfer mit Ausnahme von Hayes. Hayes -- weinen Sie nicht, Sie
-haben schwierige und verantwortungsvolle Arbeit genug; Sie müssen auf
-die Frisco-China-Linie und zu den Versicherungsgesellschaften. Orders
-kann ich Ihnen kaum geben, meine Herren. Ferguson als der Aelteste wird
-disponieren. Nur ganz allgemein: Wir wenden die natürliche Methode an.
-Die Ereignisse werden photographisch geschildert. Die Schilderung
-beginnt von dem Augenblick an, in dem Sie den Schleppdampfer betreten.
-Diesen ersten Teil soll Ferguson machen. Hetzfahrt und so weiter. Die
-Hongkong wird gesichtet -- Beschreibung, bitte, wie der Kasten aussieht
--- man klettert an Bord« -- (er lachte) »und wenn einer der Herren
-dabei ins Wasser fallen sollte, wär' das eine schöne Sache --«
-
-Schallendes Gelächter.
-
-»-- und wenn einer der Herren so gütig sein würde, dabei im
-Dienste des Examiners zu ertrinken, so wär' das noch viel schöner
-vom Zeitungsstandpunkt aus!« (Das war Macs gruselige Art von
-Humor.)»Passagiere schildern also -- sie interviewen -- Kapitän,
-Offiziere interviewen -- sehen, was los ist -- sperrt sich der
-Kapitän, so wird ihm unter die Nase gerieben, daß der Examiner und die
-Öffentlichkeit sich nicht bluffen lassen -- die Wahrheit kommt doch an
-den Tag. Los, meine Herren! Ich bitte mir aus, daß flott gearbeitet und
-beim Schreiben auf der Heimfahrt keine Zeit an stilistische Künsteleien
-verplempert wird. Das nötige Zurechtdeichseln besorgen Lascelles und
-ich hier auf der Redaktion. Los!«
-
-»Einen Augenblick!« rief Lascelles. »Zeitungen mitnehmen! Ist gute
-Reklame. Die Passagiere werden sich freuen, nach sechzehn Tagen wieder
-eine Zeitung aus dem Lande Gottes zu sehen!«
-
-Eine Minute später stürmten in Holtergepoltereile zehn Zeitungsmänner
-zum Hafen, und fünfundzwanzig Minuten darauf jagten in sausender
-Fahrt die Hochseeschlepper Furor und Golden Gate durch das
-Schiffahrtsgewimmel der inneren Bai dem Goldenen Tore zu. An den
-Flaggenstangen im Heck flatterten die Hausflaggen der Zeitung
-mit ihrer grellroten Inschrift auf weißem Grund: =San Francisco
-Examiner=. Das Fahrttempo war viel zu schnell für die innere Bai,
-aber der Examiner durfte bei seinen Beziehungen zur Hafenpolizei eine
-kleine Gesetzesübertretung schon riskieren. Die Schiffe, denen wir
-begegneten, wurden aufmerksam, und mehr als einmal schallten brüllende
-Megaphonfragen zu uns herüber, was in Dreikuckucksnamen denn eigentlich
-los sei. Unser Kapitän antwortete gewöhnlich: »Erkundigt euch beim
-nächsten Polizisten!« Oder grimmiger:
-
-»Sind -- in Eile -- haben ---- keine Zeit ---- euch -- was vorzulügen!
-=Goodbye=!!«
-
-Alcatras Island, die winzige, mit Kanonen gespickte Felseninsel im
-Zentrum des Hafens, huschte vorbei; die schmale Bai wurde breiter,
-die Wogen gingen höher. Das Häusermeer verschwand im Dunstkreis. Die
-Fischerflottillen in der äußeren Bai waren bald überholt. Die nackten,
-felsigen Ufer schoben sich näher zusammen.
-
-Wir dampften durch das Goldene Tor. Ferguson hatte, auf einen
-Decksessel hingekauert, schon längst zu schreiben begonnen. Nun sah er
-auf und gab uns seine Instruktionen, die auf eine genaue Verteilung
-der Arbeit hinausliefen. Mir wurde die Beschreibung des Maschinenraums
-zugeteilt, während Ferguson selbst das Interview mit dem Chefingenieur
-der Hongkong übernahm. Aber der blinde Glückszufall hatte mir, dem
-Jüngsten, eine lohnendere Aufgabe gegeben als ihm, dem Alterfahrenen
-... In einer Viertelstunde wurden Rauchwolken sichtbar am Horizont,
-und bald darauf tauchte die schwarze Masse eines Riesenschiffes
-auf, geschleppt von einem winzigen Dampfer. Das war die fünf Tage
-überfällige Hongkong.
-
- * * * * *
-
-Die elektrischen Lampen glühten im Maschinenraum, aber die gewaltigen
-Feuerlöcher der Kessel lagen grau und leblos da und Stille herrschte.
-Ich kletterte mühselig von Plattform zu Plattform auf den schmalen
-stählernen Leitern.
-
-»'n Morgen,« sagte unten ein alter Mann mit weißen Haaren im blauen
-Maschinistenkittel. Er betrachtete mich vergnügt aus blinzelnden Augen
-und schob bedächtig den Pfeifenstummel aus dem linken Mundwinkel in den
-rechten, während er mit der einen Hand die Lagerung eines sausenden
-Dynamos prüfend betastete und mit der andern ein frischgewaschenes Hemd
-näher an die Feuerung des kleinen Hilfskessels hielt. »Guten Morgen!«
-
-»Erzählen Sie mir alles!« sagte ich.
-
-»Zeitung?«
-
-»Ja -- Examiner.«
-
-»Dacht' ich mir,« grinste der Alte. »Ich bin der dritte Ingenieur
-dieses gesegneten Schiffes, und wie Sie sehen, beschäftige ich
-mich damit, ein bißchen elektrische Kraft zu fabrizieren und die
-Familienwäsche zu trocknen. Mann, hier ist nichts los! Der Laden ist
-zu. Wir haben das Geschäft aus Mangel an Betriebskapital aufgegeben.«
-
-»Weiter!« bat ich geduldig.
-
-»Weiter nichts.«
-
-»Propellerbruch, wie ich höre, nicht wahr?«
-
-»Propellerschaftbruch, junger Mann, fachmännisch ausgedrückt,« sagte
-der Alte und drehte seine trocknende Familienwäsche nach der anderen
-Seite. »Das heißt, daß ungefähr in der Mitte zwischen hier und Honolulu
-in zweitausend bis dreitausend Meter Tiefe auf dem Grunde des Meeres
-ein Propeller, ein drei Meter langes Stück Propellerschaft, ungefähr
-sechs Heckplatten mit Zubehör, dreiviertel eines Steuerruders und noch
-verschiedene andere belanglose Kleinigkeiten liegen, alles zusammen
-etwa achtzigtausend Pfund schwer und etliche hunderttausend Dollars
-wert. Das is' alles!«
-
--- -- -- -- -- -- --
-
-»Wie das passiert ist?« Er spuckte kräftig auf den Boden. »Junger Mann,
-ich bin siebenundzwanzig Jahre lang Maschinist, und trotzdem weiß ich
-das ebensowenig wie Sie. Sehen Sie, ein Propellerschaft ist sozusagen
-'n Luder! 'n dickes, langes Stück Stahl, das vor jeder Ausreise von
-einem halben Dutzend Ingenieuren und mindestens drei Behörden Zoll für
-Zoll abgeklopft und untersucht und begutachtet wird. Das wir während
-der Fahrt pflegen und hätscheln, ölen und salben, als wär's 'n Baby. 'n
-Stück Stahl, das eine Krafteinwirkung von sechstausend Pferdekräften
-und Wasserwiderstände von achtzehntausend Pferdekräften auf seinem
-runden Buckel aushalten muß. 'n Stück Stahl, dem die Kräfte und die
-Widerstände hie und da -- es kommt nicht häufig vor, dem lieben Gott
-sei Dank -- zu viel werden. Dann geht's knax, und der Teufel ist los!«
-
-»Was passiert dann?«
-
-»Oh, nichts von Bedeutung.« Er lachte schallend auf und schlug sich
-aufs Knie. »Es passiert das, was uns passiert ist. Ungefähr das,
-was geschieht, wenn man einer kleinen Katze plötzlich den Schwanz
-abschneidet -- der Schwanz fällt herunter, nicht wahr, und die kleine
-Katze gebärdet sich ungewöhnlich lebendig und aufgeregt. Na, unser
-Propellerschwanz mit einigem Zubehör, das er im Vorbeigehen mitnahm,
-liegt -- =well=, zwischen hier und Honolulu. Die Katze ---- «
-
-»Die Maschinen?«
-
-»-- jawohl -- die Maschinen! -- die Maschinen wurden aufgeregt. Das ist
-ungefähr so, als wenn vier Pferde aus Leibeskräften an einem schweren
-Sandwagen zerrten und plötzlich rissen sämtliche Stränge. Worauf die
-vier Gäule übereinanderpurzeln und mit den Beinen strampeln würden ...
-Um drei Uhr nachts ist es passiert. Ich hatte die Wache, Hand an der
-Drosselung. Drei Sekunden nach dem großen Krach hatte ich abgedrosselt
-und fünfzig Sekunden später das hintere mechanische Sicherheitsschott
-geschlossen. Die drei Sekunden jedoch genügten den Maschinen
-vollkommen, um übereinanderzupurzeln -- Lagerungen verballert,
-Hochdruckzylinder verbogen, Kolben schief, als wären sie besoffen, alle
-Verbindungen gelockert, alle Schrauben heidi -- ein Jammer, junger
-Mann, ein trauriger Jammer. Zum Weinen! Aber das verstehen Sie nicht --
-sind ja kein Maschinenmensch ...«
-
-»Und dann?«
-
-»Schloßen wir den Laden. Ließen Dampf ab, dichteten das
-Kollisionsschott, pumpten das Stück pazifischen Ozean aus, das in den
-Maschinenraum gedrungen war, und stützten unsere armen Maschinen mit
-allerlei Gebälk. Mann, sehen Sie nur hin! Der Hochdruckzylinder sieht
-aus wie 'n Baugerüst -- pfui Deibel! Das erledigt, warteten wir auf
-die göttliche Vorsehung und den dreckigen Trampdampfer, der mit seinem
-bißchen Schleppen ein Riesenvermögen an uns verdient.«
-
-»Darf ich den Maschinenraum ansehen?«
-
-»Kommen Sie! Sie werden sich wundern! Er sieht ungefähr so aus wie ein
-Zwischendeck mit siebenhundert seekranken Chinesen am dritten Tag der
-Ausreise von Hongkong. To -- tal ver -- saut!!«
-
-Seufzend hing er das schon beinahe getrocknete Hemd über eine blanke
-Kupferröhre und führte mich in das Allerinnerste der Hongkong. Ein
-beschwerliches Kriechen war es, schmale Gänge entlang und unter den
-Leibern stählerner Ungeheuer durch. Ein Gewirr von Balken stützte
-die einzelnen Teile der Riesenmaschinen, die der furchtbare Stoß der
-im Augenblick des Bruchs entfesselten widerstandslosen Kräfte völlig
-unbrauchbar gemacht hatte; zerbrochene, verbogene Röhren, geknicktes
-Gestänge, schiefe Stahlsäulen, abgesprungene Harteisenstücke, weißgrau
-an den Bruchrändern, lagen umher.
-
-»Hübsch, nicht?« sagte der alte Mann. »Nun stellen Sie sich, bitte,
-vor, daß ein winzig kleiner Fehler, ein völlig unsichtbarer,
-unentdeckbarer Riß in einem runden Stück Stahl von zwanzig Zoll
-Durchmesser ausreichte, um für eine halbe Million Dollars Maschinen in
-drei Sekunden über den Haufen zu werfen!!«
-
-Da beschloß der Lausbub, seinem Teil des Berichts die Überschrift zu
-geben: Der Dämon im Stahl!
-
-Er fand das sehr schön!!
-
-Während der Furor in einer Wolke von schwarzquellendem Rauch hafenwärts
-sauste, schrieb ich und schrieb und schrieb, denn es war ja so
-leicht. Hatte mir doch das Glück das Schönste und Packendste in einem
-großen Zeitungsereignis bescheert -- den grimmigen düsteren Humor der
-Wirklichkeit ...
-
-Unser =scoop= gelang glänzend. Mit flammenden Überschriften und
-sechzehn Spalten Hongkong erschien der =Examiner= zwei Stunden vor
-dem =Call=. In einer Gesamtzeit von sieben Stunden vom Einlaufen der
-Meldung bis zur Ausgabe der fertigen Zeitung war ein für die Hafenstadt
-unendlich interessantes Ereignis lebendig und exakt geschildert
-worden, in der Ausführlichkeit einer graphischen Darstellung von
-über dreitausend Zeilen Länge. Nichts fehlte. Das Aussehen der
-Hongkong -- der Bericht des Kapitäns -- die Schilderung der Leute des
-Schleppdampfers -- die Szenen des Schreckens der Unglücksnacht.
-
-Es war einer der großen Tage der Zeitung gewesen.
-
- * * * * *
-
-Der Hongkongbericht war in gekürzter Form nach New York und Chicago an
-das New York-Journal und die Chicago-Dispatch telegraphiert worden,
-denn wir und jene beiden Blätter arbeiteten stets Hand in Hand.
-Gehörten »wir« doch einem gemeinsamen Eigentümer, dem Verleger des New
-York-Journal, William R. Hearst. Als wir uns am nächsten Morgen im
-Reporterzimmer einfanden, hielt uns Mac lachend eine Depesche entgegen.
-Wir lasen:
-
-»Examiner, Frisco. -- Komplimente, Mac. Gute Arbeit. Erwarte
-ausführlichen Bericht. -- Hearst.«
-
-Das war bezeichnend für William R. Hearst, dem nichts zu klein war im
-Zeitungsdienst, um sich nicht persönlich darum zu bekümmern, und nichts
-zu groß, sich mit seinen Zeitungen nicht daran zu wagen. Ich sah Hearst
-erst Jahre später. Aber im Reporterzimmer wimmelte es von Anekdoten
-über den »Alten«. Als Hearsts Vater, der Besitzer des New York-Journal,
-gestorben war und ihm die Zeitung hinterlassen hatte, wurde aus dem
-bedeutungslosen Jungen, der bisher nur durch modische Kleidung und
-grelle Kravatten aufgefallen war, mit einem Schlage ein Arbeiter. Er
-erklärte den redaktionellen und geschäftlichen Leitern seiner Zeitung,
-daß in Zukunft er der Herr sei und sonst niemand. Die wollten sich
-totlachen.
-
-Dann kam das Entsetzen.
-
-Der junge Hearst gönnte sich nicht einmal die Zeit zum Essen -- und
-anderen Leuten erst recht nicht. Zu schlafen schien er überhaupt nicht.
-Er war der Schrecken der Metteure. Er nächtigte im Setzersaale und
-schrieb bis aufs letzte -- i -- Pünktchen die Schriftarten vor, die die
-Ueberschriften der einzelnen Artikel anziehend machen sollten für Seine
-Majestät das Publikum.
-
-Sein Leben gehörte seiner Zeitung. Das folgende wahre Geschichtchen
-illustriert seine Manier vortrefflich. Er gab ein Souper, das sich
-lange ausdehnte. Um drei Uhr morgens brachte ihm ein Bote die erste
-Kopie der Morgenausgabe des Journal, das soeben zur Presse gegangen
-war. Hearst sprang nach einem Blick auf die Zeitung wütend auf,
-ohne seinen verblüfften Gästen auch nur ein Wort der Erklärung zu
-geben, und rannte in die Nacht hinaus. Nach Luft schnappend, kam er
-im Journalgebäude an, ließ die Presse stoppen und telephonierte den
-Chefredakteur herbei.
-
-Alles -- weil die Überschrift des Leitartikels Hearst nicht zugkräftig
-genug war!
-
-Er pflegte stundenlang der Länge nach ausgestreckt in seinem
-Privatkontor auf dem Teppich zu liegen, die Riesenseiten des Journal
-vor sich ausgebreitet, um die Wirkung der »Aufmachung« zu studieren.
-Den großen Eindruck brauchte er -- für die große Masse. Die war sein
-Götze. Er gab Unsummen aus für Spezialdrähte, mietete einen Privatdraht
-zwischen New York und Washington, um die Kongreßdepeschen früher
-zu haben, gewann Generäle und Minister als Mitarbeiter. Er schlug
-die Zeitungen New Yorks wieder und wieder in der Schnelligkeit und
-Ausführlichkeit wichtiger Nachrichten. Der Erfolg bei der großen Masse
-kam fast augenblicklich. Die Auflagenziffern des New York-Journal
-schnellten zu verblüffender Höhe empor, und aus der einen Zeitung wurde
-ein Zeitungssyndikat in New York, Chicago und San Franzisko, mit Hearst
-als Alleinbesitzer. Damals entstand das Wort von der Gelben Presse.
-
-Ueber seine Entstehung habe ich von amerikanischen Zeitungsfreunden
-folgendes Geschichtchen erzählen hören:
-
-Als der deutsche Kaiser der gelben Gefahr sein Zeichentalent widmete
-und die Völker Europas warnte, ihre heiligsten Güter zu wahren, kam
-der Karikaturist einer Washingtoner Zeitung auf die hübsche Idee, die
-kaiserliche Zeichnung, die in Amerika großes Aufsehen und bei der
-Abneigung gegen die gelbe Rasse starken Beifall erregt hatte, polemisch
-zu verwerten. Er zeichnete in einem Bild einen messerschwingenden
-Chinesen, in einem andern Bild daneben den das Journal schwingenden
-Hearst, umgeben von tanzenden Teufelchen, die alle schrien: Sensation!
-Sensation!! Sensation!!! Das eine Bild trug die Ueberschrift: Die Gelbe
-Gefahr Europas! das andere: Die Gelbe Gefahr Amerikas! Die politische
-Welt der Vereinigten Staaten lachte und nannte den Zeitungsmann den
-gelben Hearst und seine Zeitungen die gelben Zeitungen. Die Gelbe
-Presse!
-
-Wie nun das bissige Wortbild auch entstanden sein mag, es kennzeichnet
-mit seinem Vergleich mit der krassesten aller Farben, dem schreienden
-Gelb, den Hunger nach Sensation vorzüglich. Tut auch Unrecht, wie
-alle Schlagworte. Hearst hat starken Einfluß auf die Entwicklung der
-amerikanischen Presse ausgeübt und dem modernen Nachrichtendienst
-unvergeßliche Dienste geleistet. Und lange vor Roosevelt schon kämpfte
-er gegen die Trusts. Seine politische Stellung als einer der Führer der
-demokratischen Partei wird von Jahr zu Jahr stärker.
-
- * * * * *
-
-Nur einen einzigen Tag in jenen Monaten versäumte ich den
-Zeitungsdienst.
-
-Das war an jenem Tag, als frühmorgens Madame Legrange klopfte und mir
-einen Brief brachte, einen Brief aus Deutschland. Ich freute mich
-gewaltig. Mein wortkarger Vater schrieb mir nur selten, aber zwischen
-den Zeilen der wenigen Briefe konnte ich lesen, daß meine jungenhafte
-Begeisterung im Dienste der Zeitung und mein naives Schildern des
-Lebens um mich ihn freuten. In knappen Worten sprach der Freund zum
-Freund. Nur dann und wann blitzte ein Rat, eine Warnung auf. »Du wirst
-vielleicht nie nach Deutschland zurückkehren, aber vergiß dein Land
-nicht, denn seine Art bleibt deine Art!« schrieb er mir einmal. »Du
-hast es sehr schwer, denn du bist niemand Verantwortung schuldig als
-dir selbst ...« hieß es ein andermal. Vor allem aber verblüffte mich
-die genaue Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse, die aus diesen
-Briefen sprach; eine weit gründlichere und tiefere Kenntnis als die
-meinige, der ich doch im Lande lebte und schaffte. Das flößte mir
-gewaltigen Respekt ein. Wenn das deutsche Heimweh über mich kam, und
-das tat es manchmal, nahmen die Sehnsucht und die Träume die Form an,
-daß ich es mir erträumte, dem Vater einst als erfolgreicher Mann wieder
-gegenüberzutreten. Der Erfolgreiche dem Erfolgreichen. Der Freund dem
-Freund. Der Gleichberechtigte dem Gleichberechtigten.
-
-Und nun las ich und saß erstarrt auf meinem Bett. Mein Vater war tot.
-Gestorben an einer fürchterlichen Krankheit, nach jahrelangem Siechtum,
-das mir auf seinen Befehl verheimlicht worden war. Sie hatten ihn vor
-Wochen schon begraben.
-
-An jenem Tag der Verzweiflung begann ich zu ahnen, was Alleinsein
-im fernen Lande in Wirklichkeit war und was die Bande des Bluts
-bedeuteten, aber Jahre sollten noch vergehen, bis ich verstand, daß
-in dem Grab im Münchner Nordfriedhof mein Allereigenstes lag. Daß aus
-meinem Vater meine Kraft und mein Leichtsinn und meine Art stammte, und
-daß ich dem Mann, der als kriegsinvalider Offizier nach den Feldzügen
-der Jahre 1866 und 1870 frisch und kraftvoll nach einem neuen Leben
-gegriffen und sich als nationalökonomischer und wirtschaftlicher
-Geistesarbeiter einen reichen Wirkungskreis geschaffen hatte, alle
-Zähigkeit des Wollens und Willens verdankte.
-
-
-
-
-Das Kommen des Krieges.
-
- Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. -- Die
- Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen Insurgenten. --
- Die Glückssoldaten in Viriginia. -- Gespannte Beziehungen zwischen
- den Vereinigten Staaten und Spanien. -- Grausamkeiten. -- Die
- kubanische Junta und New York. -- Der Untergang der Maine. -- Der
- Racheschrei. -- Kriegserklärung. -- Meine große Idee! -- Die große
- Idee funktioniert nicht! -- Aber ich muß unbedingt nach Kuba ...
-
-
-Schweres Kriegsgewölk überschattete im Jahre 1898 die Neue Welt. Unten
-im Süden auf der Insel Kuba tobte seit Jahren ein Kleinkrieg zwischen
-Herren und Knechten, zwischen einer Rasse, die sich im Niedergange
-befand, und bösem Mischblut; zwischen Spaniern und Kubanern. Die reiche
-Insel, das Tabaksland, das Zuckerland war bitterarm geworden unter
-spanischer Mißwirtschaft, und unerträglicher Steuerdruck lastete auf
-ihm. Die spanisch-indianischen Mischlinge, die westindischen Neger
-und Halbneger, nie Freunde harter Arbeit, wurden durch das unfähige
-spanische Beamtentum mit seinem die Hände in den Schoß legenden
-=mañana=-Glauben noch gründlicher verdorben, als sie von Mutter Natur
-aus schon waren. Korruption war überall im Land. Hungersnot folgte auf
-Hungersnot. Bitteres Elend herrschte seit vielen Jahren. Da schlugen
-sich die Mischlinge in die Büsche, und langsam wuchs unter Führung von
-Abenteurern die national-kubanische Erhebung; ein Guerillakrieg, der
-von beiden Seiten mit einer Wildheit und einer Grausamkeit geführt
-wurde, die dem benachbarten Amerika den Atem stocken ließ und ihm eine
-altschmerzende Episode ins Gedächtnis rief, die in den Vereinigten
-Staaten böses Blut gemacht hatte: Das Sterben der Männer der Virginia.
-
-Vor einem Jahrzehnt, denn solange schon wütete der Kleinkrieg zwischen
-Spaniern und Insurgenten, waren amerikanische Glückssoldaten in dem
-Schooner Virginia gen Kuba gesegelt und im Süden gelandet, sich in den
-Reihen der Revolutionäre Ruhm und Glück zu erkämpfen. Ein spanisches
-Kanonenboot fing den Schooner ab. Vierundzwanzig Stunden später
-knallten die Schüsse der spanischen Pelotons, und die Glückssoldaten
-der Virginia waren tot. Amerika zitterte vor Entrüstung, wenn auch
-das amtliche Washington sich wohl oder übel auf den Boden des
-internationalen Rechts stellen und erklären mußte, jene amerikanischen
-Abenteurer hätten den Schutz des Mutterlandes verwirkt, als sie sich
-auf ihre ungesetzliche Unternehmung einließen. Vergessen aber wurden
-die Männer der Virginia nie.
-
-Schon zu Ende des Jahres 1897 waren die Beziehungen zwischen den
-Vereinigten Staaten und Spanien gespannt, denn Washington hatte
-wiederholt energisch darauf hingewiesen, daß in der Tabak-und
-Zuckerindustrie Kubas Millionen amerikanischen Geldes steckten und die
-unhaltbaren Zustände auf der Insel den wirtschaftlichen Interessen
-der Vereinigten Staaten schadeten. Da wurde der spanische General
-Weyler als Generalkapitän auf die Insel gesandt, und der Kampf gegen
-die Insurgenten begann im großen Stil. Der grimmige Soldat ersann das
-System der Blockhauslinien. In Fächerform wurden von den militärisch
-stark besetzten Zentren aus kleine Blockhäuser in das Innere des Landes
-vorgeschoben, um in stetig fortschreitender, geschützter Angriffslinie
-die Revolutionäre zusammenzudrängen und das Land Meile für Meile von
-ihnen zu säubern. Quer über die ganze Breite der Insel schob sich
-die =trocha=. Eine gewaltige Kriegsmaschine war es: Undurchdringbare
-Drahtverhaue verbanden die Blockhäuser. Vor diesem Gürtel kleiner
-Festungen lief eine zweite Linie von Wolfsgruben und Sprengminen, die
-eine bloße Annäherung an die =trocha= schon zu einem tödlichen Wagnis
-machten.
-
-Ein furchtbares Gemetzel begann. Tier kämpfte gegen Tier, denn
-die halbverhungerten, verzweifelten, geächteten Menschen in den
-Wäldern waren zu Tieren geworden, die mit ihren Macheten jeden der
-verhaßten spanischen Soldaten, der ihnen in die Hände fiel, grausam
-abschlachteten, und die erbitterten Spanier zeigten sich nicht weniger
-grausam als jene. Sie schonten weder Weib noch Kind. So tobte der
-Kleinkrieg. Immer wieder wurden die =trocha= da und dort in Kämpfen
-bis aufs Messer von den Insurgenten durchbrochen; hatten doch diese
-menschlichen Gerippe, die wenig mehr besaßen als ihre Waffen, nichts
-zu verlieren und alles zu hoffen. Gefangene wurden von den Spaniern
-ohne weiteres erschossen; zu Dutzenden, zu Hunderten. In New York
-aber sorgte eine kubanische Junta, eine Vertretung der Insurgenten,
-getreulich dafür, daß die amerikanische öffentliche Meinung in Schrift
-und Bild jede Greueltat der spanischen Soldaten erfuhr, während über
-die Schandtaten der Revolutionäre klüglich geschwiegen wurde. Grelle
-Schilderungen von Hunger, Jammer und brutaler Unterdrückung aber
-verfehlen ihre Wirkung auf den Amerikaner nie.
-
-Alles drängte zur Einmischung der Vereinigten Staaten. Der langsam
-erwachende Imperialismus, der eine Ausdehnung der amerikanischen Macht
-forderte und Taten verlangte; das Kapital und starke wirtschaftliche
-Interessen, die nicht nur ihre Geldanlagen auf der Nachbarinsel retten
-wollten, sondern auch von einem amerikanischen Kuba sich goldene Berge
-versprachen; der Zug der öffentlichen Meinung endlich, die die blutigen
-Greuel im Nachbarhause nicht mehr mit ansehen mochte.
-
-Die Stimmung war gespannt zum Platzen.
-
-Da flog am 15. Februar des Jahres 1898 abends 9 Uhr im Hafen von
-Havana der große amerikanische Kreuzer Maine in die Luft und sank
-augenblicklich. Die gesamte Besatzung von über sechshundert Mann ging
-zugrunde.
-
-Jetzt jagten sich die Ereignisse.
-
-Ein Schrei der Entrüstung gellte über Amerika. Rache für die Maine!
-durchbrauste es die Zeitungen; =Remember the Maine!= donnerte es in den
-Massenmeetings. Denn für jeden Amerikaner war es selbstverständlich,
-daß ein heimtückischer spanischer Torpedo die Maine und ihre 600
-Amerikaner in die Luft gesprengt hatte.
-
-Die kubanischen Insurgenten wurden von der Regierung der Vereinigten
-Staaten als kriegführende Partei anerkannt. Scharfer spanischer
-Protest in unziemlichen Ausdrücken. Kurzer Notenwechsel, der die
-Lage nur verschärfte. Am 25. April erklärte das amerikanische
-Repräsentantenhaus, der Senat und der Kongreß, den Kriegszustand mit
-dem Königreich Spanien.
-
-Am selben Tage noch erhielt das amerikanische Geschwader in Ostasien
-unter Admiral Dewey telegraphische Instruktionen. Nach fünf Tagen war
-die spanische Philippinenflotte in der Seeschlacht von Manila am 1. Mai
-1898 vernichtet.
-
- * * * * *
-
-Der Lausbub wäre nicht das Menschenkind voller Unrast und
-tiefgewurzeltem Drängen nach grellem Erleben gewesen, hätte sich
-nicht inmitten des Kriegslärms sein abenteuerliches Blut geregt. Das
-Soldatenblut vielleicht auch vom Großvater und Vater her, den alten
-Offizieren.
-
-Ich verschlang die sich jagenden Nachrichten und brüllte mit in Jubel
-und Freude, als Lascelles mit der Depesche vom Siege bei Manila ins
-Reporterzimmer stürzte. Kein Stockamerikaner hätte begeisterter
-sein können! Wieder jagten sich die Ereignisse. Mit immer größerer
-Bestimmtheit trat die Nachricht auf, daß eine Amerikanische Armee
-von der Insel Kuba Besitz ergreifen sollte und -- ich wurde sehr
-nachdenklich, ohne eigentlich zu wissen warum. Ich wurde zappelig.
-Wie schal und gleichgültig schien auf einmal das begeisternde
-Reporterleben! Ich wurde unzufrieden. Was scherte mich die Zeitung,
-wenn es Krieg gab! Krieg!! Blutigen Krieg! Kämpfe im tropischen Land!!!
-
-Ich sah mich zwei Nächte hintereinander im unruhigen Traum als kolossal
-tapferen Offizier, der seine Leute im Sturm zum Siege führte ... Und
-am nächsten Morgen kam mir die große Idee! Man mußte die Gelegenheit
-beim Schopfe packen! Die Möglichkeiten des Berufs mußten ausgenutzt
-werden bis zum letzten! Kriegskorrespondent wollte ich sein -- aber
-selbstverständlich -- _Kriegskorrespondent_!!!
-
-Ich drückte mich im Reporterzimmer herum, bis die Kollegen alle
-fort waren. Kaum war der langbeinige Ferguson mit seinen polternden
-Schritten als letzter aus der Türe gestiefelt, als ich schon auf den
-Schreibtisch in der Ecke zuschoß --
-
-»Mac, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte gern in
-einer persönlichen Angelegenheit ...«
-
-»Natürlich, mein Sohn,« unterbrach er mich lachend. »=Allright=!
-Wieviel brauchen Sie denn nun eigentlich?«
-
-»Es -- es handelt sich nicht um Geld, Mac,« stotterte ich.
-
-»Nun, und wo brennt es dann?«
-
-»Krieg -- Kuba ...«
-
-»Kuba, eh? Was in der Hölle haben Sie denn mit Kuba zu tun?«
-
-Aber ich ließ nicht locker. »Glauben Sie wirklich, Mac, daß wir in Kuba
-einfallen werden?«
-
-Er nahm seine goldene Brille ab und putzte sie bedächtig.
-
-»Nun, ich bin nicht der Kriegsminister!« meinte er. »Aber Sie können
-immerhin Ihren letzten Stiefel darauf verwetten, daß die Insel ein
-bißchen besetzt wird von uns, denn sie ist die große Wurst, um die
-man sich zankt. Die Geschichte wird übrigens so ziemlich in Ruhe und
-Frieden ablaufen, denke ich mir. Die Spanier wären Narren, wollten sie
-uns ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Na, es kann auch anders
-kommen. Vor allem aber reden Sie jetzt ruhig heraus, lieber Junge! Was
-wollen Sie eigentlich, zum Teufel? Was haben Sie sich da wieder in den
-Kopf gesetzt??«
-
-»Ich will nach Kuba!«
-
-»Dachte ich mir, =sonny=!«
-
-Ich wußte, daß ich puterrot geworden war und merkte, daß ich
-ungeschickt stotterte in der Aufregung, aber jetzt hieß es reden,
-reden, reden ... »Mac -- helfen Sie mir, Mac! Sie wissen ja nicht,
-wieviel mir daran liegt!! Mein Vater war Offizier -- und ich wollte als
-Junge immer schon Offizier werden und -- Sie verstehen mich vielleicht
-...«
-
-Allan McGrady nickte ernsthaft vor sich hin.
-
-»Legen Sie ein gutes Wort für mich ein beim Alten, Mr. McGrady! Ich
-will gewiß kein Geld verdienen dabei. Nur mitkommen --«
-
-»Pfui, wer wird auf die Preise drücken!«
-
-»Oh, Mac, Sie wissen doch, wie ich es meine.«
-
-»Ich weiß, ich weiß. Und nun Vertrauen gegen Vertrauen, Sie Mann
-der Tollheiten. Zwanzig Jahre bin ich im Zeitungsdienst. Mein Name
-ist nach meiner besten Ueberzeugung etwas wert in der Zeitungswelt
-und beim Alten. Nun sehen Sie: Ich würde drei Finger meiner linken
-Hand hergeben, wenn ich damit erreichen könnte, von Hearst nach Kuba
-geschickt zu werden! Drei Finger, mein Junge! Mit Vergnügen!! Mit
-wonnevoller Wonne!!!«
-
-»Aber --« stotterte ich, aus allen Wolken gefallen. »_Sie_ können das
-doch erreichen!«
-
-Er lachte. »Es ist nett von Ihnen, mir das Unmögliche zuzutrauen.
-Ich könnte mir jedoch mit der gleichen Aussicht auf Erfolg es in
-den Kopf setzen, heute abend um sechs Uhr Präsident der Vereinigten
-Staaten sein zu wollen. Mann, Sie ahnen nicht, was es bedeutet,
-Kriegskorrespondent zu sein. Da schickt man die Auserlesensten der
-Auserlesenen hin. Leute von unermüdlicher Tatkraft, glänzende Federn
--- Männer, die in jeder Lage einen Ausweg zu finden wissen -- Männer
-mit militärischen Kenntnissen ersten Ranges -- ach du lieber Gott.
-Gibt es da unten wirklich ernsthafte Kämpfe, so sind die Hälfte der
-Kriegskorrespondenten für den Rest ihres Lebens gemachte Männer. Die
-Namen der Glücklichen -- Glück gehört auch dazu! -- werden beinahe
-so berühmt werden wie diejenigen der siegreichen Generale. Schlagen
-wir's uns aus dem Kopf, mein Junge! Für unsere Zeitungen gehen
-selbstverständlich Davis und McCullock nach Kuba, kommt es so weit;
-Davis, der ein großer Schriftsteller und Hearsts Freund ist, und
-McCullock, der beim tollen Mullah im Sudan war! Das ist gar keine
-Frage!«
-
-Da trat Lascelles ein.
-
-»=Good morning=, Mac!« rief er. »Denken Sie mal, der Teufel ist endlich
-los! Washington telegraphiert die Mobilmachung der =National Guard=!
-Bedeutet natürlich, daß Onkel Sam nach Kuba marschiert. Und ich würde
-drei Finger drum geben, stände ich in McCullocks Schuhen!!«
-
-Mac blinzelte mir zu.
-
-Als wolle er sagen: »Siehst du! Da ist noch einer! Einer, der schon
-hoch geklettert ist auf den Sprossen der Zeitungsleiter und trotzdem
-das nicht erreichen kann, was du dir in den dicken Schädel gesetzt
-hast. Du blutiger Anfänger ... du!!«
-
- * * * * *
-
-Ich schlich mich fort. Miserabel schlecht arbeitete ich an jenem Tag,
-denn in meinem Kopf rumorte und lärmte und hämmerte es: Kuba -- Kuba --
-Krieg ...
-
-Kreuz und quer lief ich durch das flaggengeschmückte San Franzisko.
-Unter aufgeregten Menschen, die von nichts sprachen als vom Krieg
-und von Kuba. Teufel -- Teufel ---- Und immer lauter rumorte in mir
-das trotzige blinde Wollen des Augenblicks, wie es noch hundert Male
-rumort hat in meinem späteren Leben, zum Glück manchmal, manchmal
-zu meinem Unglück. Später, wenn man die wirkliche Kraft gefunden und
-sich rückschauenden Humor eingefangen hat, denkt man gern an solche
-Augenblicke der Tollheit. Hat man sie doch auf Heller und Pfennig
-bezahlt in der Münze des Lebens und das Recht auf fröhliche Erinnerung
-erworben, mag auch die Vernunft sich wehren mit ihrem: Es wäre doch
-besser gewesen, wenn ...
-
-So lief ich umher in den Straßen.
-
-Einem neuen Spielzeug nach, das hüpfende Teufelchen vor mir baumeln
-ließen und das ich nicht erhaschen sollte und das vielleicht nur
-deshalb so begehrenswert schien. Die Sehnsucht gestaltete sich zur
-fixen Idee. Sie wurde zum harten Wollen.
-
-Der Lausbub dachte also nach. Dachte angestrengt nach, vernünftig.
-Ueber die Vernünftigkeit dieses Nachdenkens aber würde jeder andere
-Mensch sich krankgelacht haben: Es bestand im Wesentlichen darin,
-daß ich fortwährend dasselbe dachte -- »Ich will aber nach Kuba! Zum
-Teufel, ich will aber doch nach Kuba!!«
-
-Die kleinen Affären des Lebens, die links und rechts neben Kuba,
-und die schleierhafte Zukunft, die hinter Kuba lag, kümmerten mich
-furchtbar wenig. Sie waren nebensächlich. Erstens wollte ich mit in
-diesen Feldzug, und zweitens mußte ich mit, und drittens ging ich
-überhaupt auf jeden Fall mit! Darüber war ich mir nun klar, und damit
-schien mir die Angelegenheit erledigt.
-
-Ich -- mußte -- unbedingt -- nach -- Kuba!!
-
-
-
-
-Der Lausbub wird Soldat.
-
- Die verbogene Lebenslinie. -- Ein schneller Entschluß. -- Beim
- Oberleutnant Green vom Signaldienst. -- Ich werde angeworben!
- -- Abschied von Allan McGrady. -- =B Company= des 1.
- Infanterieregiments. -- Korporal Jameson. -- Wiggelwaggeln. --
- Der sprechende Sonnenspiegel. -- »Ich gehe nach Kuba!«
-
-
-Daß meine Verhältnisse sich völlig ändern würden, der mühsam
-erarbeitete erste Lebenserfolg völlig über den Haufen geworfen wurde,
-die Zukunft sich anders gestalten mußte -- an meine ganze schöne
-Lebenslinie dachte ich auch nicht einen Augenblick lang. Her nur mit
-dem praktischen Trotz, der törichte Wünsche in Wirklichkeit umsetzt!
-
-Ich ging zum Oberleutnant Green ins Presidio.
-
-»Hoffentlich kommen Sie nicht in beruflicher Angelegenheit,« sagte
-er lächelnd, als ich in das kleine Signalbureau im Adjutanturgebäude
-trat, »denn nicht ein Wörtchen könnte ich Ihnen in diesen Zeiten sagen.
-Befehl von Washington!«
-
-»Das wäre an und für sich schon eine Neuigkeit im Zeitungssinne!«
-lachte ich. »Aber ich komme mit einer persönlichen Bitte ...« Und ich
-erzählte ihm, was ich mit Allan Mc Grady gesprochen hatte und erklärte,
-daß ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt hätte, den Feldzug
-mitzumachen. Der Offizier hörte aufmerksam zu.
-
-»Sie wollen also Soldat werden?«
-
-»Ja.«
-
-»Und Ihr Beruf?«
-
-»Auf den pfeif' ich!«
-
-»Hm. Haben Sie sich da in Ihrer Enttäuschung über die
-Kriegskorrespondentengeschichte nicht in eine Idee verrannt, deren
-Tragweite Sie nicht übersehen? Würden Sie sich unter allen Umständen
-anwerben lassen, auch wenn ich nicht helfe?«
-
-»Ja, unter allen Umständen.«
-
-»Schön. Wie alt sind Sie?«
-
-»Zwanzig Jahre und drei Monate.«
-
-»Hm. Das Gesetz schreibt zwar ein Alter von 21 Jahren vor, aber um
-der paar Monate willen wollen wir uns nicht streiten. Ich will Ihnen
-helfen. Sie scheinen ja ernstlich genug zu wollen, und des Menschen
-Wille ist sein Himmelreich. Unter den besonderen Umständen wird Ihnen
-übrigens eine kurze Dienstzeit in der blauen Jacke Onkel Sams gar nicht
-schaden. Nun hören Sie, bitte, genau zu. Was ich Ihnen jetzt sage, ist
-vertraulich: Wir könnten Sie im Korps gebrauchen, und das wäre wohl
-auch das Beste für Sie, schon weil die Arbeit sehr interessant ist.
-Telegraphieren können Sie ja schon. Der Haken ist nur der, daß ich zur
-Anwerbung nicht autorisiert bin. Der Signalkorpsdienst der Vereinigten
-Staaten besteht augenblicklich nur aus etwa dreißig Offizieren und
-etlichen fünfzig Sergeanten. Mannschaft haben wir vorläufig gar nicht.
-Ich erwarte jedoch von Stunde zu Stunde die Order, die ein Signalkorps
-im größeren Stil für den Krieg organisiert. Sie lassen sich also jetzt
-für das hiesige Regiment, das 1. Infanterieregiment, anwerben. Ich
-werde dafür sorgen, daß Sie sofort zum Telegraphendienst abkommandiert
-werden, und sobald das neue Signalkorps autorisiert ist, werde ich Sie
-versetzen lassen. Abgemacht?«
-
-»Ja.«
-
-»Schön. Sie müssen sich auf drei Jahre verpflichten, aber eine
-vorherige Entlassung würde keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen,
-wenn Sie eine solche nach Beendigung des Feldzugs wünschen.«
-
-Ich horchte auf, denn das war es gerade, was ich wollte!
-
-»Abgemacht?«
-
-»Ja.«
-
-»=Well=, ich hoffe, daß Sie den Schritt, den Sie heute unternehmen,
-nicht bereuen werden. Und nun wollen wir die Sache ins Reine bringen.
-Warten Sie hier einen Augenblick, bitte. Ich werde den Adjutanten
-verständigen, der Sie formell anwerben wird.«
-
-Nach kurzer Zeit kam er wieder. »Kommen Sie mit, bitte!«
-
-Wir gingen über den Korridor ins Adjutanturzimmer. Dort saß an einem
-Schreibtisch ein junger Leutnant, und an einem großen Tisch arbeiteten
-zwei Sergeanten. Fast gleichzeitig mit uns trat ein Militärarzt ins
-Zimmer, der mich in einen Nebenraum winkte. Ich mußte mich auskleiden
-und wurde untersucht. Das war in wenigen Minuten geschehen. Dann
-ging's wieder ins andere Zimmer, und der Leutnant stellte mir die
-knappen geschäftsmäßigen Fragen der Anwerbung.
-
-»Sie wollen freiwillig in den Kriegsdienst der Vereinigten Staaten
-treten?«
-
- * * * * *
-
-»Es ist keinerlei Zwang auf Sie ausgeübt worden?«
-
- * * * * *
-
-»Sie sind nicht verheiratet?«
-
- * * * * *
-
-»Sie sind im Besitz der amerikanischen Bürgerpapiere?« (Oberleutnant
-Green flüsterte da dem Adjutanten etwas zu, und ich glaubte zu
-verstehen: Ist =allright= -- ich bürge für den Mann.) Der Werbeoffizier
-wartete keine Antwort ab. »Natürlich. Sie stammen aber von deutschen
-Eltern, nicht wahr?«
-
-So kam ich um die Notwendigkeit herum, meine Absicht, Bürger der
-Vereinigten Staaten werden zu wollen, feierlich beschwören zu müssen.
-Da ich diese Absicht durchaus nicht hatte, so erfreute mich das
-ungemein. Wäre es aber notwendig gewesen, so hätte ich damals sieben
-Bürgererklärungen abgegeben und sieben Eide geschworen, nicht nur
-einen. Ich wollte doch nach Kuba!
-
-Fünf Minuten später hatte ich dem Adjutanten die kurzen Worte des
-Fahneneids nachgesprochen und war Soldat in =Company B, 1st Regiment,
-U. S. Infantry= -- bis um acht Uhr morgens des nächsten Tages beurlaubt,
-um meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
-
- * * * * *
-
-Allan McGrady fiel beinahe vom Stuhl --
-
-»Heh? Sagen Sie das noch einmal!« schrie er.
-
-»Ich habe mich im Presidio anwerben lassen. Ich wollte nun einmal nach
-Kuba ...«
-
-»Ist also kein schlechter Witz?«
-
-»Nein.«
-
-»Sie Dickschädel -- Sie ganz unglaublicher Dickschädel! Ich pflege mir
-meine Entschlüsse gerade auch nicht vier Wochen lang zu überlegen, aber
-das bricht doch den Rekord! Läuft das Söhnchen hin und wird Soldat!
-Mir nichts, dir nichts! Weshalb sind Sie denn eigentlich nicht zu mir
-gekommen? Hätten mir doch wenigstens sagen können, was Sie vor hatten!
-So viel Vertrauen zu mir hätten Sie doch wenigstens haben können!«
-
-Ich versuchte, ihm zu erklären, daß das alles sehr plötzlich gegangen
-war.
-
-»Verdammt plötzlich!« rief McGrady. »Verdammt unüberlegt. Sie haben
-sich in die Nesseln gesetzt! Aber ich werde dafür sorgen, daß Ihnen
-aus Ihrem Anstellungsvertrag mit dem Examiner keine Schwierigkeiten
-erwachsen. Schließlich hat jeder Dickkopf das Recht, sich den Schädel
-an derjenigen Mauer einzurennen, die ihm am besten gefällt!«
-
-Er lachte und nickte vor sich hin. »Im Grunde verstehe ich Sie ja. Ich
-glaube überhaupt, daß in mir ein besonderes Verständnis ist für -- nun,
-sagen wir, unschilderbare Sausewinde Ihres Schlags; die Götter mögen
-wissen, weshalb und woher. Also: Die Dummheit haben Sie nun einmal
-gemacht, denn eine Dummheit ist es vom Standpunkte der Vernunft.
-Eines möchte ich Ihnen aber sagen, mein Junge -- sorgen Sie dafür, daß
-Sie so schnell als möglich wieder aus der Uniform schlüpfen, wenn die
-Geschichte vorbei ist! Sie sind viel zu jung, als daß man auch nur eine
-Ahnung haben könnte, was aus Ihnen noch werden wird, aber -- well, das
-ist alles Unsinn! Lassen Sie von sich hören, =sonny=!«
-
-»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mac.«
-
-Und der gereifte Mann, der mir stets ein väterlicher Freund gewesen
-war, schüttelte mir die Hand. Der Amerikaner hatte Verständnis für den
-abenteuerlichen Drang und dessen Wert im Leben. In der alten Heimat
-drüben hätten sie mich einen leichtsinnigen Narren genannt; mehr noch,
-einen Verlorenen, der eine gesicherte soziale Stellung um einer Laune
-willen wegwarf. Ich wollte aber auf meine eigene Fasson selig oder
-unselig werden ...
-
-»Uebrigens wollte ich auch als Soldat für den Examiner schreiben über
---«
-
-Mac unterbrach mich. »Werden verdammt wenig Zeit und Gelegenheit dazu
-haben! Lassen Sie aber von sich hören. Kommen Sie wieder, so wartet
-hier ein Platz für Sie; gegen Zeilengeld im schlimmsten Fall.«
-
-Noch ein Händedruck.
-
-Ich habe Allan McGrady nie wieder gesehen.
-
- * * * * *
-
-=»B« Company= des ersten regulären Infanterieregiments war auf voller
-Kriegsstärke und ich der einzige Rekrut. Meine Ausbildung drängte sich
-in Tage zusammen, und wenn der Lausbub auch Lust und Talent gehabt
-hätte, zu nachdenklicher Besinnung zu kommen, so würde er doch ganz
-gewiß keine Zeit dazu gehabt haben.
-
-Ein neues Spiel begann. Ein Wirrwarr neuen Lernens. Der alte Korporal
-meiner »=squad=« wurde dazu abkommandiert, mich in seine besondere
-Obhut zu nehmen. Zum Uniformdepot ging es zuerst, und in einer Stunde
-war ich ein bewaffneter und uniformierter blauer Junge Onkel Sams
-geworden. Hellblaue Hosen, knappe dunkelblaue Jacke, Mütze. Alles
-neu, aus ausgezeichnetem Stoff, gut sitzend. Die Sparsamkeiten der
-Alten Welt, deren Armeen ihre Uniformen von Soldatengeneration auf
-Soldatengeneration vererben, liebt der Amerikaner nicht. Dafür bezahlt
-er für seine kleine Armee ein Militärbudget, das fast so hoch ist
-wie diejenigen der europäischen Mächte ... Mein Bett, die »=bunk=«,
-wurde mir angewiesen im Mannschaftszimmer, mit nagelneuen Wolldecken
-und nagelneuem Bettzeug. Dann marschierte mich der alte Korporal nach
-einem einsamen schattigen Fleckchen in einer Eichenallee beim großen
-Paradefeld des Presidio, und heiße Arbeit begann. Leibesübungen.
-Kommandodrill. Gewehrgriffe. Arbeit von morgens bis abends, aber
-Arbeit, die mir genau die gleiche Freude machte wie das Lernen auf der
-Texasfarm und in der Texasapotheke und bei der San Franziskozeitung,
-denn wie jenes weckte sie den Ehrgeiz, sich geschickt und rasch
-auffassend zu zeigen. Und dann war's eine kleine Episode. Das
-Große lag im Kommenden. Fabelhaft rasch ging's mit der Ausbildung.
-Korporal Jameson, der schnauzbärtige alte Kalifornier, verstand sein
-Soldatenmetier von Grund auf und hielt sich nicht mit langweiligen
-Wiederholungen auf, sobald er merkte, daß der neue Kompagnierekrut
-begriffen hatte.
-
-»=You're allright=,« sagte er. »Lesen Sie das Zeug selber!« Und gab mir
-sein =Manual of Infantry-Drill=, das Infanteriereglement. Da suchte ich
-mir die einfachen Anweisungen für den Kompagniedrill heraus, während er
-gemütlich seine Zigarette rauchte, und dann probierten wir's praktisch.
-
-Wenn ein einziger alter Unteroffizier sich Tag auf Tag einzig
-und allein nur mit der Ausbildung eines einzigen jungen Soldaten
-beschäftigt, der weder dumm noch faul ist, so können Wunder an
-Schnelligkeit erzielt werden. Zehn Stunden und mehr im Tag wurde
-gearbeitet. Zu dem Infanteriedrill kam während zwei Stunden des
-Nachmittags Unterweisung im Signaldienst durch den Signalsergeanten
-Hastings. In Flaggensignalen vor allem, denn so einfach auch der Code
-des »Wiggelwaggelns« war, so erforderte es doch viel Uebung des Auges
-und beim Gebrauch des Feldstechers. Aber es war sehr interessant.
-Die großen Signalflaggen, zwei Meter beinahe im Quadrat und an einer
-drei Meter langen Stange befestigt, bildeten die Buchstaben durch ein
-Geschwungenwerden nach rechts und nach links. Die rechte Seite hieß
-2, die linke 1. So bedeutete ein einmaliges Schwingen nach rechts
-den Buchstaben =c=. Aber in der Signalsprache sagte man nicht =c=,
-sondern 2. Alle Buchstaben waren Kombinationen dieser beiden Ziffern.
-22, also ein zweimaliges Schwingen nach rechts, bedeutete a; 11, ein
-zweimaliges Schwingen nach links, bedeutete n; 212, rechts -- links
--- rechts war =m=. Eine Pause, ein gerades Emporhalten der Flagge vor
-dem Leib trennte die einzelnen Buchstaben. Ein gerades Niederschwingen
-der Flagge auf den Boden zeigte das Ende eines Wortes an; ein
-zweimaliges Niederschwingen den Schluß eines Satzes; ein dreimaliges
-den Schluß der Depesche. Die Flaggen, die je nach der Witterung, der
-Sichtigkeit und dem Hintergrund aus Rot mit weißem oder Weiß mit rotem
-Zentrum bestanden, waren auf sehr große Entfernungen sichtbar. Wir
-verständigten uns mühelos vom Presidiohügel nach dem Meeresstrand
-hinunter, eine Entfernung von fast zwei Kilometern.
-
-Noch viel mehr Freude machte mir der Heliographendienst, denn hier
-konnte eine Geschwindigkeit erzielt werden, die dem Telegraphieren
-wenig nachstand. Es war ein raffiniertes kleines Instrument, dieser
-sprechende Sonnenspiegel -- zwei auf einer stählernen Querstange
-angebrachte Spiegel, die sich durch ein Präzisionswerk von Schrauben
-nach jeder Richtung hin einstellen ließen. Der eine Spiegel wurde
-durch Korn und Kimme wie bei einem Gewehr scharf auf den Empfänger
-einvisiert, der andere so, daß er die Sonnenstrahlen direkt auffing.
-Die beiden Spiegel ergänzten sich und warfen nach den feststehenden
-Regeln der Lichtspiegelung und ihrer Brechungswinkel zusammen ein
-glänzendes Licht in Form einer großen künstlichen Sonnenscheibe nach
-dem anvisierten Punkt.
-
-Vor den Spiegeln stand eine Deckplatte, die durch leichten Fingerdruck
-geöffnet und geschlossen werden konnte. Mit langen und kurzen
-Lichtblitzen übermittelte man so die Buchstaben des Morsealphabets.
-
-Daneben kamen Uebungen im Legen und Verbinden von Telegraphen-und
-Telephonleitungen und das interessante Anzapfen, das »Melken« der
-städtischen Drähte auf offener Straße mit unseren Taschenapparaten.
-
-Der Signalrekrut wurde auf den Krieg vorbereitet.
-
-Holtergepolterarbeit war es, mit viel Aufregung und mit vielem Lernen.
-Und mir gefiel es immer besser im Soldatenrock.
-
-Von meinen Freunden beim Examiner hörte ich nur ein einziges Mal.
-
-Das war an einem Nachmittag, als ich auf Jamesons Kommandos voller
-Eifer mit Holzpatronen »schnellfeuerte«. Da tauchten am Alleerand zwei
-Gestalten auf, und als ich hinsah, erkannte ich Ferguson und Hayes.
-Gemütlich kauerten sie sich unter eine Eiche und sahen zu.
-
-»Wohl Freunde von Ihnen?« fragte der Sergeant leise. »Ja? Dann wollen
-wir Schluß machen!« Wie alle Sergeanten witterte Jameson Bier!
-»Weggetreten!« kommandierte er.
-
-Zwei Stunden später brachte ich meine Freunde zum Fortausgang.
-
-»Freund, Sie sind ein großer Narr!« sagte Ferguson. »Aber wenn ich so
-jung wäre wie Sie, hätte ich's vielleicht auch so gemacht. Viel Glück!«
-
-Ich aber dachte: »Der Narr bist du, guter alter Ferguson. Du mußt in
-San Franzisko bleiben -- und ich gehe nach Kuba!«
-
-
-
-
-Das Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba.
-
- Der Krieg des Leichtsinns. -- Aus Leutnants werden Majore. --
- Eine kleine Vergeßlichkeit. -- Segenswünsche und Vorschußlorbeer.
- -- Von lieben diebischen Mägdelein. -- Die Armee in Hemdärmeln. --
- Das militärische Telegraphenbureau in Tampa. -- Die spanische
- Gespensterflotte. -- Admiral Cervera in der Falle von Santiago de
- Cuba. -- Die Depeschenhölle. -- Roosevelts Rauhe Reiter ohne
- Gäule! -- Auf dem Meer. -- Eine schwäbische Ueberraschung. -- Von
- redenden Tuchfetzen und sprechenden Wolken. -- Nachtalarm. --
- Beginn des Bombardements von Baiquiri.
-
-
-Das Kriegsfieber schüttelte Amerika.
-
-Ein guter Mann, so sagen kluge Frauen, muß wie ein Kind sein, in seinem
-Tiefsten, Innersten, Wahrsten. Unter der männlichen Oberfläche, die
-in der Welt draußen ein einheitliches Gefüge von Kraft und Arbeit
-scheint, versteckt sich das große Kind mit dem Lachen und Weinen des
-Kindes, dem aufstampfenden Trotz und der Weichheit, dem Begehren nach
-Spielzeug, dem begeisterten Haschen nach allem Neuen, dem Leichtsinn,
-den Ungezogenheiten. Dies Kindsein liegt tief in der Natur der Männer
-des amerikanischen Reichs; tiefer als in irgend einem anderen großen
-Volk. Das Draufgängertum, das Jungfrische, das Kindliche. Die Männer,
-die später die Kosten des Panamakanalbaus um die Kleinigkeit von 500
-Millionen unterschätzten, weil sie viel zu begierig nach dem neuen
-Spielzeug waren, sich bei langweiligem Rechnen lange aufzuhalten,
-sprangen mit gleichem Unbekümmertsein in Kriegstrubel und Kriegsgefahr.
-
-In Tagen wurde eine Armee aus dem Boden gestampft. Der Miliz mit
-ihrem ausgezeichneten Menschenmaterial fehlte es an Offizieren.
-Da beförderten die amerikanischen Kinder ganz einfach fast jeden
-Offizier der regulären Armee um einen, zwei, oft drei Grade, machten
-die Leutnants zu Majoren, die alterfahrenen Sergeanten zu Leutnants,
-und steckten sie in die Milizregimenter. Die Glückssoldaten holte
-man herbei, die in den südamerikanischen Revolutionen Truppen
-geführt und Pulver gerochen hatten. Ein Roosevelt pfiff auf sein
-Ministerportefeuille und wurde aus dem Unterstaatssekretär der
-Marine ein einfacher Reiteroberst, der Rauhe Reiter warb. Zeltlager
-erstanden überall im Land. Millionen von Goldstücken wurden mit
-vollen Händen hinausgeschleudert, den Kriegsbedarf über Nacht zu
-schaffen. Es fehlte an Torpedojägern, an Depeschenbooten. Da kaufte
-man für Unsummen die schnellsten Hochseeschlepper und die flinksten
-Privat-Yachten der amerikanischen Häfen, armierte sie mit Geschützen
--- und die Flottenergänzung war fertig. Man verschwendete Millionen an
-die Ausrüstung der Invasionsarmee -- und die großen Kinder vergaßen
-ganz, ihr auch nur eine einzige Feldbäckerei, eine einzige Kaffeemühle
-zu beschaffen. Schiffszwieback, fetten Chicagospeck, ungebrannten
-Kaffee gab man ihr mit als Tropenkost! Hätten die Kämpfe um Santiago
-nur drei Wochen länger gedauert, so wäre auch der letzte Mann von
-Zwanzigtausend von der Speckruhr gepackt worden. Die leichtsinnigen
-Kinder, die sich auf die deckende Macht an Menschen und Gold ihres
-Landes verließen, rechneten ja gar nicht damit, daß der Feldzug länger
-als einige Wochen dauern könnte. Gelandet -- gesiegt -- die Spanier
-über den Haufen geworfen! So rechnete man! Beinahe -- _beinahe_ -- wäre
-es anders gekommen!
-
-Ein Krieg des Leichtsinns und des Optimismus.
-
- * * * * *
-
-General Shafter, der kommandierende General des Departements der
-pazifischen Küste, war zum Höchstkommandierenden der Invasionsarmee
-ernannt worden. Mein Oberleutnant Green zum Oberst und Chef des
-Signaldienstes. Zwölf Stunden nach Eintreffen der Marschorder zogen
-der Stab des Kommandierenden und das erste Infanterieregiment
-durch das flaggenwimmelnde, jubelnde San Franzisko, und auf der
-=Southern Pacific= ging es gen Süden und Osten, vom Stillen Ozean zum
-Atlantischen Meer, nach Tampa in Florida. Dort konzentrierte sich die
-Invasionsarmee.
-
-Im Schlafwagen fuhren wir! Selten wohl ist eine Armee so teuer, so
-bequem, so schnell befördert worden. An den Hauptstationen hatten die
-begeisterten Bürger riesige Tische aufgestellt und sie mit guten Sachen
-beladen, und wenn der Zug hielt, dann konnte man sich einfach nicht
-retten vor händeschüttelnden Männern, die einem Zigarren in die Taschen
-stopften, und alten Damen, die einen mit Delikatessen und frommen
-Segenswünschen überschütteten. Es war wie eine Fahrt durchs Märchenland
-inmitten von lauter Knusperhäuschen, die man nur anzubeißen brauchte.
-Von den Härten kriegerischer Zeiten hat in jenen Tagen gewiß kein
-einziger Mann der Zwanzigtausend, die auf Schnellzügen nach Florida
-eilten, auch nur das Geringste verspürt. Nichts war zu gut und zu teuer
-für die blauen Jungens.
-
-Es gab Vorschußlorbeer in gehäuften Massen. Wer eine Uniform trug,
-wurde verhätschelt -- besonders von der jungen Weiblichkeit. Onkel Sams
-Töchter hatten es sich in ihrer glühenden Begeisterung in die Köpfchen
-gesetzt, sich wenigstens kriegerische Trophäen unter die Kopfkissen zu
-stecken und vom Krieg zu träumen, konnten sie selbst nicht kämpfen. In
-Scharen überfielen sie unseren Zug an jeder Haltestelle und geizten
-nicht mit Küssen und Versprechungen, für uns zu beten. Das war sehr
-angenehm. Ich bin leider nie wieder in meinem Leben von so vielen
-holdseligen Mägdelein geküßt worden.
-
-Weniger angenehm jedoch war, daß die Frauenzimmerchen dabei stahlen
-wie die Raben! Sie mausten die Patronen aus den Gürteln und schnitten
-einem beim Küssen heimtückischerweise die blanken Knöpfe von der
-Uniform. Am zweiten Tag hatte ich überhaupt keine Knöpfe mehr am Rock
-und mußte mir Sicherheitsnadeln erbetteln, meine Blöße zu decken. Die
-farbiggestickten Flaggen an den Aermeln, das Abzeichen des Signalkorps,
-und die Messingflaggen an der Mütze gingen schon am ersten Tag heidi.
-Aber es war dennoch sehr schön.
-
-Knöpfe konnten ja telegraphisch nachbeordert werden.
-
-So zogen wir gegen Tampa, den berühmten Winterbadeort der
-amerikanischen Millionäre, und -- schnappten entsetzt nach Luft. Tampa
-mochte ja ein Traum von Schönheit sein im Winter -- jetzt, im Sommer,
-konnte man es ein Vorgemach der Hölle nennen. Wir zogen uns schleunigst
-die Röcke aus und nahmen sie so bald nicht wieder in Gebrauch. Sobald
--- das heißt, vier Monate lang, denn kurz darauf in Kuba trug man
-erst recht keinen Rock. Man nannte uns schwitzende Gesellen die Armee
-in Hemdärmeln! Feuchtheiß war die Luft und heiß der gelbe Sand und
-lauwarm das Wasser des Meeres am Strand. Sengende Hitze lagerte über
-den Tausenden von Zelten, die das Städtchen umrahmten, und es mag
-ungemütlich genug gewesen sein in den winzigen Segeltuchhütten. Dagegen
-hatten wir vom Signaldienst das große Los gezogen. Wir wohnten vornehm
-im Tampahotel, das sonst nur Millionäre beherbergte.
-
-Im Privatbureau des Hotelbesitzers war der militärische
-Telegraphendienst eingerichtet worden.
-
-Dort hauste der Teufel der Aufregung.
-
-Während der Tage des Wartens auf das Einschiffen lebten wir
-Telegraphisten in ständigem Hasten. Das Signaldetachement bestand aus
-Oberst Green, dem Major Stevens, vom Artillerieleutnant drei Grade
-höher befördert, dem Leutnant Burnell, vom Signalsergeanten befördert,
-sieben Sergeanten und vierzig Mann. Ich gehörte zu der Stabsabteilung
-von sechzehn Mann unter Major Stevens. Die übrigen, von denen wir
-völlig getrennt waren, bildeten das Ballon-Detachement. Wir Signalleute
-waren sehr selbständig, denn die Offiziere wurden durch den geheimen
-Nachrichtendienst, die Verhandlungen mit kubanischen Insurgenten,
-das Dechiffrieren ganz in Anspruch genommen. Die Verantwortung
-des eigentlichen telegraphischen Dienstes war uns ganz allein
-aufgehalst. Das Arbeiten mit den vorzüglichen Apparaten und der gut
-funktionierenden Linie bot freilich äußerlich keine Schwierigkeiten.
-Aber man lebte in einer Luft furchtbarer Aufregung. Wir sechzehn Mann,
-drei Sergeanten darunter, hatten vier Morseapparate und vier =long
-distance= Telephone zu bedienen. Die Arbeit hetzte. Es schwirrte von
-Depeschen aus Washington. Die Rapportmeldungen jagten sich, wurden
-doch alle Telegraphenleitungen, nach dem Norden sowohl wie besonders
-nach den kleinen Floridainseln, militärisch überwacht, um ein Anzapfen
-des Drahtes durch Spione zu verhindern, und die Führer der Patrouillen
-mußten sich in bestimmten Zeitabständen melden. Ein unbeschreiblicher
-Wirrwarr von Ausrüstungsfragen, Personalangelegenheiten,
-Chiffretelegrammen huschte über den Draht. Tag und Nacht arbeiteten wir
-im Schweiße unserer Angesichter. Kaum Zeit zum Schlafen fanden wir.
-Jeder Einzelne von uns war gewarnt worden, daß jede Nachlässigkeit im
-Aufnehmen von Meldungen durch ein Kriegsgericht schwer bestraft werden
-würde. Verrat von Telegrammen wurde mit Erschießen bedroht.
-
-Aber mit keinem Zeitungskönig hätt' ich getauscht!
-
-Denn keiner in der Armee außer den höchsten Offizieren konnte dem
-Pulsschlag der Ereignisse so lauschen wie wir Signalleute.
-
-Unsere gierigste Neugier galt den Telephonen. Ueber sie kamen die
-wichtigsten Depeschen, telegraphisch abgeklopft zur Vorsicht, mit einem
-Bleistift am Schallbecher, im Armeecode, der sich vom üblichen Morse
-etwas unterschied. Die Meldungen der Flotte.
-
-In den Tagen des Hangens und Bangens in Tampa galten alle Hoffnungen
-und alle Befürchtungen den Nachrichten vom Meer. Die spanische Flotte
-in Westindien war verschwunden. Man wußte, daß kurz vor Ausbruch
-des Krieges in den kubanischen Gewässern nur einige Stationsschiffe
-gewesen waren, ein starkes Geschwader aber unter Admiral Cervera
-auf hoher See kreuzte. Nach diesem spanischen Geschwader suchten
-seit vielen Tagen in nimmerendender Jagd die gesamten atlantischen
-Seestreitkräfte der Vereinigten Staaten. Torpedoboote und Torpedojäger
-huschten von kubanischem Hafen zu kubanischem Hafen. Die Linienschiffe
-patrouillierten den Ozean weithin ab. Cervera und seine Flotte
-blieben verschwunden -- und waren doch wieder gegenwärtig wie ein
-aus dem Nichts drohendes Gespenst. Die Kenntnis ihrer Stellung, ihre
-Vernichtung war der Angelpunkt, um den alles sich drehte. Schien
-doch ein Transport von zwanzigtausend Mann in ungeschützten Schiffen
-selbst unter stärkster Flottenbedeckung ein =va banque= Spiel,
-solange die Gefahr bestand, daß Cervera die in sich selbst wehrlosen
-Truppenschiffe angreifen würde. Bis eine Seeschlacht geschlagen war,
-konnten alle Transportschiffe gesunken sein!
-
-Tag für Tag kamen und gingen die Gerüchte und die falschen Meldungen.
-Da telephonierte ein Torpedojäger von einer der winzigen Floridainseln,
-siebzig Seemeilen südlich seien starke Rauchwolken gesichtet worden;
-Bericht folge. Drei Stunden später kam zum Herzbrechen enttäuschend
-die Aufklärung: Englischer Kohlentramp! Beschlagnahmt! Oder es hieß:
-Gestern gemeldeter Radius abgesucht. Erfolglos ...
-
-Von Stunde zu Stunde stieg die Aufregung in Tampa. In dem kleinen
-Vorzimmer des Telegraphenraums warteten ständig Offiziere des
-Generalstabs auf die neuesten Drahtmeldungen, und selten verging ein
-halber Tag, in dem nicht die unsinnigsten Gerüchte umherschwirrten.
-Bald sollte ein spanisches Torpedoboot unweit Tampas gesichtet worden
-sein -- bald gar eine entscheidende Seeschlacht geschlagen ... Draußen
-aber in Port Tampa an den riesigen Kais harrten in langen Reihen die
-schwarzen Kolosse der Transportdampfer, ständig unter Dampf.
-
-Bis das Gespenst beschworen wurde.
-
-An einem heißen Sonnenmorgen kam, wieder von einer der kleinen Inseln
-bei Key West, eine Depeschenboot-Meldung der Flotte übers Telephon:
-
-_Gesuchtes Santiago!_
-
-In den Hafen von Santiago de Cuba hatte sich die spanische
-Westindienflotte geflüchtet, um zu kohlen und zu reparieren. Und saß in
-der Falle! Jener Hafen lag weit inland, und seine Einfahrtstraße war
-so schmal, daß zwei Schiffe sie nicht gleichzeitig passieren konnten
--- vor dem Hafen aber lag nun das starke atlantische Geschwader der
-Vereinigten Staaten. Die spanische Flotte konnte nicht heraus. Die
-amerikanische nicht hinein. Die Spanier durften den Durchbruch kaum
-wagen, hätten sie sich doch einzeln Schiff für Schiff angreifen lassen
-müssen; die amerikanische Einfahrt hinderten Seeminen und die Kanonen
-des Morrokastells am Hafeneingang.
-
-Sergeant Souder hatte die Depesche dem Kommandierenden gebracht. Eine
-Viertelstunde später stürmte ein Generalstabsoffizier herein, schloß
-vorsichtig die Türe und erklärte uns halblaut, daß derjenige um seinen
-Kopf rede, der auch nur den Namen Santiago de Cuba erwähnen würde. Als
-er gegangen war, sahen wir uns mit glänzenden Augen an, und der alte
-Sergeant Hastings ließ eisige Limonade bringen mit sehr viel Sodawasser
-und sehr wenig Sherry, denn er und wir alle wußten, daß jetzt harte
-Arbeit kam. Es dauerte auch nur Minuten, bis Oberst Green erschien
-und den telegraphischen Befehl an alle Hauptstationen gab: Draht nach
-Washington frei bis auf weitere Order! Damit war aller Privatverkehr
-und jeder amtliche Verkehr der Zwischenstationen ausgeschaltet. Eine
-Depesche konnte wenige Minuten nach Abgang von Tampa schon im Weißen
-Haus in Washington vom Präsidenten und vom Kriegsminister gelesen
-werden.
-
-Während der nächsten zwanzig Stunden war das Telegraphenzimmer
-eine Hölle. Schweißtriefend saßen wir vor den Apparaten, uns jede
-halbe Stunde ablösend, und sandten und empfingen die endlosen
-Chiffretelegramme.
-
-Die Würfel der Entscheidung waren im Rollen.
-
- * * * * *
-
-Shafters Armee sollte Santiago de Cuba angreifen. Wenn diese Festung
-fiel, war die spanische Flotte den vereinigten amerikanischen
-Streitkräften zu Wasser und zu Lande ausgeliefert.
-
-Revolver umgeschnallt, den Krag-Jörgensen Karabiner zur Hand, Tornister
-neben uns, so arbeiteten wir bis zur letzten Minute, während die Armee
-sich einschiffte. Als die letzten gingen wir an Bord. Je zwei von
-uns waren auf ein Transportschiff zum Signaldienst während der Fahrt
-kommandiert worden. Den Namen meines Dampfers habe ich vergessen, das
-Schiff aber und seinen Kapitän nicht. Es war eines der kleinsten,
-vollbepackt mit Maultieren, die zum Lastentransport verwendet werden
-sollten; den einzigen Vierfüßlern der Invasionsarmee außer ganz wenigen
-Pferden für den Stab.
-
-Die Pferde der Kavallerie mußten auf Shafters Befehl in Tampa
-zurückgelassen werden, weil unsere Kundschafter gemeldet hatten, daß
-Kavallerie in dem Kriegsgelände keine Verwendung finden könne. Teddy
-Roosevelt und seine Rauhen Reiter von Cowboys stellten sicherlich ein
-Kavallerieregiment dar, nach dem jeder Kavalleriegeneral sich die
-Finger geschleckt hätte, und ihren Weltruhm haben er und sein Regiment
-ehrlich und ernsthaft verdient. Aber komisch bleibt es doch, daß der
-berühmte Rauhe Reiter Name mit Gäulen so gar nichts zu tun hat. Als
-Infanteristen kämpften sie und fluchten sehr, weil der kurze Karabiner
-viel schlechter schoß als das Infanteriegewehr.
-
-Sergeant Souder und ich kletterten über den schmalen Laufsteg an
-Bord unseres Dampfers und suchten, wie das selbstverständlich war,
-sofort den Kapitän auf. Während wir die Treppe zur Kommandobrücke
-hinaufstiegen, gellten die Dampfpfeifen, und die Transportflotte setzte
-sich in Bewegung.
-
-»Runter mit euch!« schrie der Kapitän. »Hab keine Zeit! Auf der
-Kommandobrücke habt ihr überhaupt nichts zu suchen!«
-
-»Ein nervöser Herr!« lächelte Souder, und wir stiegen wieder auf Deck.
-
-Eine Stunde später -- wir beobachteten durch unsere Feldstecher das
-majestätische Schauspiel der dahindampfenden Truppenschiffe und
-Kreuzer, über fünfzig an der Zahl -- kam Mr. Kapitän auf Deck und
-sprach uns ungnädig an:
-
-»Signalkorps?«
-
-»Jawohl.«
-
-»Auf meiner Kommandobrücke habt ihr nichts zu suchen -- mein
-Signalisieren kann ich selber besorgen. Verstanden?«
-
-Souder grinste.
-
-»Ich fürchte, Sie irren sich,« sagte er gelassen. »Ich und mein
-Kamerad sind für den militärischen Signaldienst auf diesem Schiff
-verantwortlich und müssen schon bitten, auf die Kommandobrücke
-zugelassen zu werden. Vom Deck sind Flaggen nicht sichtbar. Sie haben
-doch sicherlich entsprechende Befehle erhalten, Herr Kapitän?«
-
-»Hier kommandiere und signalisiere ich!« schrie der cholerische Herr.
-
-In mir aber war ein großes Lachen, hatte ich doch den deutschen Akzent
-herausgehört und freute mich über den deutschen Dickschädel.
-
-»Weshalb sind Sie eigentlich so wütend, Kapitän?« fragte _ich_ ganz
-ernsthaft in deutscher Sprache.
-
-»Jesses noi!« schrie er. Das kleine Männchen war wie umgewandelt.
-»Jetzt isch der Aff von 'm Signaliste au no deutsch -- noi! Wo kommet
-denn Sie her?«
-
-»Das ist eine furchtbar lange Geschichte,« sagte ich, wieder sehr
-ernsthaft. »Aber seien Sie doch friedlich. Wir tun hier nur unsere
-Pflicht. Es wäre Ihnen doch sehr unangenehm, wenn wir uns mit dem
-Flaggschiff in Verbindung setzen und uns beschweren müßten. Sie sind
-doch benachrichtigt worden, daß das Signalkorps den Signaldienst
-übernimmt?«
-
-»Ha -- freili! Wisset Se, i ha' ja auch nix dagege'! I bin nur aus 'm
-Häusle g'wese, weil die Offizier' mi chikaniert habe. Ha! Signalisiere
-Se, soviel Se wöllet! Ha! 's freut mi!«
-
-Um die Geschichte kurz zu machen -- Mr. Kapitän war ein Württemberger,
-auf allerlei Umwegen in die Dienste einer New Orleans'er Reederei und
-jetzt als Kapitän des gecharterten Dampfers in die Dienste Onkel Sams
-geraten. Fortan aber schliefen Souder und ich in der besten Kabine
-und wurden genährt wie zwei Herrgötter in Frankreich -- einschließlich
-gelegentlicher Flaschen Sekt. Der Lausbub hatte wiederum Glück gehabt!
-
-Souder entweder oder ich, alle beide meistens, waren Tag und Nacht
-auf der Kommandobrücke. Wären wir nicht so begeistert, so aufgeregt,
-so gierig nach Nachrichten gewesen, so hätten wir wahrscheinlich
-furchtbar geflucht über das Unwesen des Signalisierens der Marine.
-Nie ließen die Flaggen einem Ruhe! Ich weiß nicht, wie das bei
-anderen Flotten gehalten wird, aber die Amerikaner jedenfalls waren
-darin ekelhaft. Entweder wollte man von uns wissen, wie's um die
-Gesundheit der Maultiere stünde, oder man wiggwaggelte unter dem
-dringenden Alarmsignal, der Dampfer habe wenigstens fünf Meter zu wenig
-Kielabstand, oder irgend jemand sandte seine Komplimente und wünschte
-zu erfahren, weshalb das Antwortssignal auf die Depesche vorhin nicht
-prompter gegeben worden sei. Außerdem sausten beständig die flinken
-Torpedoboote um uns herum und trompeteten alle Augenblicke irgend
-etwas Ueberflüssiges durch ihre Megaphone, um auch ihren Senf dazu zu
-geben. Der cholerische Schwabe wurde beinahe verrückt vor Wut. Wir aber
-lernten Geduld und Humor und ärgerten gelegentlich das Flaggschiff,
-indem »=Souder, 1st class sergeant U. S. Signalcorps= im Auftrage des
-Kapitäns in Kommando des Truppenschiffs so und so« Anweisungen für die
-Behandlung eines fiktiven kranken Maulesels erbat, dem wir natürlich
-die scheußlichsten Symptome andichteten. Dann lachte die gesamte
-Flotte und signalisierte (durchaus unoffiziell zwar) schlechte Witze
-und gänzlich unausführbare Ratschläge. Die Kinder, die gute Männer doch
-sein sollen, wollten ihr Spielzeug haben, selbst in ernstesten Zeiten.
-
-In hetzender Fahrt jagte die Transportflotte gen Süden.
-
-Vier Tage lang dauerte die Meerfahrt, und jede Stunde der vier
-Tage war Aufregung und nichts als Aufregung. Mit jeder Minute
-geizten Souder und ich, die wir nicht oben auf der Brücke zubringen
-konnten; mit Essenszeit und Schlafensstunden. Jede Flagge, die an
-den Signalleinen emporstieg, war ein nervös erregendes Ereignis,
-das von unbeschreiblicher Wichtigkeit sein konnte, und jeder bloße
-Dienstrapport stellte eine bittere Enttäuschung dar, weil man ständig
-in atemraubender Gier auf das Große wartete.
-
-Märchenhaft schienen mir die bunten Tuchfetzen der Signalflaggen. Sie
-sprachen und erzählten. Sie befahlen und lachten. Sie waren es, die
-den starren Schiffsmassen Leben einhauchten und der schwimmenden Stadt
-auf dem Meer die Gesetze diktierten. In den Nächten aber leuchtete und
-funkelte und glitzerte es tageshell in Fluten von Licht. Kein dunkles
-Fleckchen ließen die gewaltigen Scheinwerfer der Kriegsschiffe auf dem
-weiten Wasserkreis, in dem wir schwammen, und in unablässiger Bewegung
-hoben und senkten und kreuzten sich die weißen Lichtbündel, um dann
-auf einmal kerzengerade nach oben sich auf eine Wolke zu richten. Dann
-sprach die Wolke. Sie blitzte grell auf -- lang -- kurz ------ kurz
-... kurz ... lang ... -- und aus dem Aufleuchten formten sich, so
-leicht lesbar wie Schrift, die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die
-Depeschen. Und wir starrten in das Licht um uns und suchten angstvoll
-nach dem tiefroten Aufglühen an den Schiffsmasten, das nach dem
-Geheimcode Gefahr bedeutete.
-
-Nur einmal während der Fahrt wurde das nächtliche Alarmsignal gegeben.
-Souder schlief und ich hatte die Wache, als spät nach Mitternacht
-plötzlich fünfhundert Meter etwa vor uns die drei Gefahrlaternen wie
-winzige glühende Punkte aufflammten.
-
-»Alarm!« schrie ich, und der Kapitän stürzte aus dem Steuerhaus.
-
-Da begann der Scheinwerfer zu reden:
-
-»Langsamste Fahrt -- Indiana -- Ponton verloren -- Kollisionsgefahr --«
-
-»Teufel --« schrie der Kapitän, und gellend hallten seine schrillen
-Kommandos in die Nacht, den Ausguck zu verdreifachen, während der
-erste Offizier auf der Brücke den Befehl zum Abstoppen der Maschinen
-hinunterklingelte.
-
-Lange Minuten des Harrens. Wir alle wußten, um was es sich handelte.
-Der Kreuzer Indiana schleppte einen ungeheuren Landungsponton aus
-schweren Balken, der zum Ausschiffen der Geschütze benützt werden
-sollte. Oft genug hatten wir über das ungefüge Anhängsel des
-Kriegsschiffes gelacht. In dem hohen Seegang war die Schlepptrosse
-gerissen, und irgendwo inmitten der Flotte trieb nun die Holzmasse des
-Pontons, mächtig genug, im Zusammenprall ein Schiff leck zu stoßen.
-Die Truppenschiffe kamen zum Stillstand, und die Torpedojäger und
-Depeschenboote sausten im Scheinwerferlicht umher, nach dem Durchgänger
-zu suchen. Die Minuten vergingen. Dann auf einmal wimmelte es wieder
-von Signalen: Dem Befehl zur Weiterfahrt. Man gab den Ponton verloren,
-froh genug, daß er schon weit hinten im Kielwasser schwimmen mußte und
-wenigstens keine Gefahr mehr bedeutete.
-
- * * * * *
-
-Frühmorgens kurz nach Sonnenaufgang am fünften Tag tauchte, ein
-gelbgrauer Streifen, die Küste Kubas auf. Wir rannten wie besessen nach
-unseren Kabinen, Waffen und Tornister auf die Brücke zu holen, um jeden
-Augenblick zur Ausschiffung bereit zu sein. Doch die Eile war sehr
-überflüssig. Noch achtundvierzig Stunden lang kreuzte die Flotte an
-der Santiagoküste, untertags so nahe, daß die hellen Sandstreifen und
-die dunklen Wäldermassen klar zu unterscheiden waren; in den Nächten
-weit draußen im Meer. Am dritten Tag aber in der Frühe dampfte die
-Schiffsmasse in nächste Nähe der Küste, die Kriegsschiffe weit voran.
-Immer näher kamen wir.
-
-»Anker werfen! Transportschiffe in Kiellinie!« befahlen jetzt die
-Flaggen.
-
-Auf den Kriegsschiffen aber wurde es lebendig. Bunte Wimpel stiegen an
-den Masten empor, nur der Marine verständlich. In ungeheuren Kreisen
-dampften die Linienschiffe und die Kreuzer, Schiff dicht hinter
-Schiff, die Küste entlang. Umruderten uns, um sich in Gefechtsstellung
-zu entwickeln, kehrten wieder zurück. In ganz langsamer Fahrt. Ich
-suchte mit dem Feldstecher den Strand ab. Glatt und ruhig spielte das
-Meer an der schmalen, gelben Sandlinie, von der Hügel mit dichtem
-Buschwerk aufstiegen bis an den Horizont. Im Vordergrund überspannte
-eine eiserne Brücke eine kleine Schlucht von grellgelbem Gestein. Ihr
-Gittergefüge sah sonderbar zierlich und gebrechlich aus und schien zu
-schwanken, zu zittern in der flimmernden Sonnenglut. Auf der Brücke
-stand ein Frachtwagen, hoch beladen mit Felsblöcken. Links daneben
-ragte aus dem Buschwerk ein winzig kleines Häuschen.
-
-Kreis auf Kreis zogen die Kriegsschiffe.
-
-Da -- eine weiße Dampfwolke schoß aus einem großen Kreuzer, und ein
-furchtbares Krachen ließ mich zusammenfahren ...
-
-
-
-
-Auf kubanischem Boden.
-
- Die Küste wird bombardiert. -- Theodore Roosevelt und seine
- Zahnbürste. -- Die Landung. -- Ein Tag ungeduldigen Fluchens. --
- Die Arbeit beginnt. -- Tropenregen. -- Meine Hängematte. --
- Nachtruhe =à deux=. -- Hunger und Arbeit -- aber ach, was waren
- das für schöne Zeiten! -- Der Major stiehlt einen Karren. --
- Telegraphenbau-Arbeit. -- Palmen und Kletterei. -- Bei den toten
- Rauhen Reitern von =La Quasina=. -- Im Insurgentenlager. -- Der
- Mangobauch. -- Der Jesus-Christus-General.
-
-
-Dichter Rauch und greller Feuerschein quoll aus allen Kriegsschiffen.
-Ohrenbetäubend war das Krachen. Der Schiffsboden, auf dem ich stand,
-bebte und zitterte, trotzdem wir mehrere hundert Meter entfernt lagen.
-Schuß krachte auf Schuß. In das dumpfe Dröhnen der schweren Geschütze
-rasselte grell der hellere Klang der Schnellfeuerkanonen; wie grausiger
-Donnerschlag und hallendes Stahlklirren, als ob Riesenschmiede auf
-überirdischem Amboß hämmerten. Man konnte nicht denken -- man mußte
-nur stehen und starren. Aus dem Dröhnen heraus gellte es schrill in
-scharfen Mißtönen; ein Surren, ein Zischen, ein Gebrause. Schuß --
-Schuß -- Schuß -- Dutzende, Hunderte von Explosionen ... Schuß --
-Schuß ------ und die Minuten wurden zu Ewigkeiten. Heulend jagten die
-Stahlmassen durch die Luft und stürzten sich auf den Sand und das
-Buschwerk da drüben, die so still dalagen wie ein wehrloses Ding, das
-ein Starker zu Boden geschlagen hat und nach Gefallen zerhämmert.
-Nichts regte sich. Nirgends war Bewegung an Land. Nur das Buschwerk
-duckte und zitterte und wand sich wie ein Getreidefeld im Hagelschauer
-unter dem Sturm von Geschossen. In ungeheuren Rissen zerfetzten
-die Granaten den Buschwald, und blanke Erdstreifen tauchten auf im
-schwarzen Busch, wenn Dampf und Staub der Explosionen verweht waren.
-Aeste wurden durch die Luft geschleudert. Erdmassen spritzten empor.
-Ueberall, an vielen Stellen zugleich.
-
-Und dann wurde es mit einem Schlag still, und schwere Rauchschwaden,
-weiß und grau und fahlgelb, wälzten sich übers Meer, daß einem der
-beißende Pulvergeruch giftig und atembeklemmend in Augen und Lungen
-drang. An Land regte sich nichts.
-
-Der kommandierende General signalisierte: »Befehle abwarten!«
-
-Wir starrten und starrten, und auf einmal regte es sich auf dem Wasser.
-Die Dampfbarkassen der Kriegsschiffe schossen herbei, und Dutzende von
-Booten, in denen es von Waffen glitzerte, huschten dem Lande zu. Die
-landenden Truppen kamen alle von einem einzigen großen Transportschiff
-... Souder sprang nach seiner Kabine und holte die Liste der Schiffe
-und Truppen.
-
-»Roosevelt ist's!« rief er. »Die Rauhen Reiter!«
-
- * * * * *
-
-So landete Theodore Roosevelt mit seinem Regiment als Erster auf
-kubanischem Boden. Er hatte es durchgesetzt, daß ihm die Ehre der
-Vorhut zugeteilt wurde. Man hat Roosevelt oft genug nachgesagt, daß
-er auch als Reiteroberst der praktische Politiker geblieben sei, der
-vortreffliche Regisseur, der sich und seine Leute geschickt in Szene zu
-setzen wußte mit vollberechneten Effekten. Sicherlich zu unrecht. Der
-Mann, der in sein Leben eine so gewaltige Fülle von Sehen und Schaffen
-und Erfolg hineindrängte, wie wenige Männer seiner Zeit, und einer
-der berühmtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten werden sollte,
-ahnte damals gewiß nicht, daß jeder Schritt auf kubanischem Boden ihn
-dem Präsidentenstuhl näher brachte. Er lebte nur. Er lebte das tätige
-Leben. Er war mit Leib und Seele Soldat. Der Name der Rauhen Reiter,
-die erst für diesen Krieg angeworben waren, hatte in der Armee bereits
-Märchenklang. In Tampa schon waren sie berühmt geworden. Selbst die
-alten Regulären aus den Indianerkriegen hatten einen Heidenrespekt
-vor dem Regiment, das sich aus den besten Reitern und den sichersten
-Schützen des ganzen Landes zusammensetzte, den Cowboys, den westlichen
-Grenzern und -- den Söhnen der amerikanischen Millionäre. Aber auch
-die mußten »Qualitäten« haben. Kein Mann wurde aufgenommen, der nicht
-vorzüglich ritt und besser schoß. Die jungen Millionäre warfen, und das
-schien den alten Regulären am märchenhaftesten, links und rechts mit
-Gold um sich, und wer in Tampa Tabak brauchte oder Durst hatte, der
-ging nur geruhig ins Rauhe Reiterlager. Ein sonderbares Regiment ...
-Um Roosevelt selbst kümmerte sich die Armee wenig. Berühmt machte ihn
-erst seine Zahnbürste!
-
-Als er eingebootet wurde, schrie ihm sein Bursche nach: »Wie ist das
-mit Ihrem Gepäck, Herr Oberst?«
-
-Roosevelt, der Brotsack und Offizierstornister umgeschnallt trug, wie
-jeder Soldat, rief zurück:
-
-»Was zum Kuckuck soll ich mit Gepäck? Doch -- eh -- gib mir meine
-Zahnbürste!«
-
-Diese nützliche Notwendigkeit eines reinlichen Menschen steckte Oberst
-Roosevelt grinsend in das Band seines Rauhen Reiterhuts und bemerkte
-dabei, das sei das einzig wirklich nötige persönliche Gepäck. Für alles
-andere müsse schon der Herr Generalquartiermeister sorgen! Und fortan
-trugen Kind und Kegel, Mann und Offizier der kubanischen Armee Onkel
-Sams als besonderes Symbol im Hutband die Zahnbürste.
-
-Der Mann mit der Originalzahnbürste und seine Leute aber machten
-nicht nur ihrem Vorschußruhm große Ehre als tolle Draufgänger und
-zähe Kämpfer, sondern hatten auch unverschämtes Glück, denn überall
-waren sie dabei, wo es wirklich der Mühe wert war. Bei La Quasina,
-in der ersten Schützenlinie der Schlacht vom San Juan Hügel, und im
-Nahkampf um das Blockhaus. In den ersten Tagen dagegen entging das
-Rauhe Reiter-Regiment nur mit knapper Not einer Katastrophe. Die
-stürmisch vordrängende Roosevelt-Vorhut fiel in einen Hinterhalt wenige
-Kilometer vom Strand und hatte schwere Verluste, ehe es ihr nach kurzem
-Feuerkampf gelang, die Spanier zurückzuwerfen.
-
-Den ganzen Tag über waren die Boote hin und hergefahren zwischen
-Schiffen und Strand, in langen Ketten, von Barkassen geschleppt. Ein
-Regiment nach dem andern wurde gelandet; reguläre Kavallerie, zwei
-Infanterieregimenter. Bunt wie eine scheckige Kuh war die »Segurança«,
-das Transportschiff des kommandierenden Generals, von Flaggenwimpeln
-und flatternd geschwungenen Signalfahnen. Doch die Befehle galten stets
-anderen Schiffen.
-
-»6tes Kavallerieregiment ausbooten!«
-
-»7te Infanterie an Land!«
-
-Für uns aber kam kein Befehl. Mit brennenden Augen sahen Souder und
-ich durch die Feldstecher und fluchten so grimmige Flüche, daß der
-kleine Schwabenkapitän uns schmunzelnd erklärte, er könne ja auch
-allerhand leisten, aber das sei der Limit! Wir verwünschten den
-kommandierenden General zehntausend Klafter tief unter den Boden,
-und seinem Generalstab flehten wir Pest und Verdammnis an den Hals.
-Dasitzen müssen an Bord der alten Maultierfähre! Warten müssen, während
-lumpige Freiwilligenregimenter an Land durften! Wir kochten vor Wut.
-Wir zappelten in kindischer Ungeduld und tanzten Tänze des Jähzorns auf
-der Brücke. Endlich hielt es Souder nicht mehr aus. Gegen Abend, als
-auf der Segurança eine Pause in dem ewigen Signalisieren eingetreten
-war, rief er privatim ihren Signaldienst an:
-
-»=Seg S O -- P P P= -- Segurança Signal Office -- Privat, privat,
-privat ...« »Sergeant Hastings hat Dienst!« sagte er zu mir. »Guter
-alter Junge, der Hastings. Wird uns schon sagen, was los ist --«
-
-=Seg S O= antwortete prompt: »=I -- I= -- jawohl, jawohl!«
-
-Worauf Souder flaggte:
-
-»Privat! -- Wann -- geht -- Signalstab -- an -- Land?«
-
-Und sofort kam die bissige Antwort: »=Hell knows -- we do not -- you --
-go -- to hell -- no time -- to answer fools' questions.= -- Das weiß
-die Hölle; wir nicht. Fahrt zur Hölle -- wir haben keine Zeit, jedes
-Narren Fragen zu beantworten!«
-
-Souder sprang kerzengerade in die Luft: »Ich bring Hastings um,« schrie
-er, »wenn ich ihn erwische! Ich schieß ihn tot! Sieben Löcher mach ich
-ihm in den Bauch! Aber ich hab es immer schon gesagt, daß Hastings ein
-gemeiner Kerl ist!«
-
-Zu dem Schaden aber hatten wir noch den Spott, denn jedes gesegnete
-Schiff im Umkreis rief uns an und signalisierte: =ha -- ha --
-ha!= Hahaha aber bedeutet auf telegraphisch ein ganz großes
-Gelächter. Woraus ersichtlich ist, daß Soldaten in Kriegszeiten
-keine Sonntagsschüler sind und sich nicht immer einer gewählten und
-einwandfreien Sprache befleißigen; man spricht scharf und handelt
-scharf in solchen Zeiten großer Aufregung. Und dann waren ja weder
-Damen noch geistliche Herren anwesend.
-
-Und wir warteten. Wir warteten scheußlich lange. Eine Nacht noch und
-fast einen Tag. Während der Nacht aber konnten wir uns wenigstens --
-auf dem Umwege über Blinklampen -- mit Hastings privatim unterhalten,
-der besserer Laune geworden war. Teile der Blockadeflotte hatten, so
-erzählte er, bei Cabañas und Aguadores in Scheinangriffen die Küste
-ebenfalls bombardiert -- bei Cabañas waren sogar Truppen gelandet
-worden, um die Aufmerksamkeit der Spanier von uns abzulenken -- die
-Rauhen Reiter sollten auf spanische Schützenlinien gestoßen sein und
-Verluste erlitten haben -- ebenso reguläre Kavallerie. Da wurden
-wir natürlich noch zappeliger, und von Schlaf war gar keine Rede.
-Gestiefelt und karabinerumhangen hockten wir auf der Brücke, wartend,
-wartend, und tranken aus unseren Blechbechern die Flasche Mumm extra
-dry, die der gute Kapitän uns zum Abschied spendierte, so gleichgültig,
-als sei das edle Getränk Wasser gewesen.
-
-Der Morgen verging. Der halbe Nachmittag noch. Souder und ich wurden
-hysterisch. Knurrten wie bissige junge Hunde und suchten verzweifelt
-uns die Augen fast aus dem Kopf nach dem Signal, nach dem verdammten
-Signal. Da plötzlich hob sich an Bord der Segurança die rote
-Korpsflagge mit dem weißen Innenquadrat wieder und rief uns an:
-
-»Signaldienstbefehl -- Signalkorps an Bord Segurança!«
-
-»=I -- I= -- jawohl, jawohl!«
-
-Seine Abschiedsgrüße mußte uns der lachende Kapitän nachschreien, in
-solch lächerlicher Geschwindigkeit sausten wir auf Deck und übers
-Fallreep in das längst wartende Boot ------
-
-Auf der Segurança gab uns Oberst Green seine Anweisungen:
-
-»Vier Kilometer östlich von hier ist,« so erklärte er ungefähr, »von
-der Marine das Haitikabel aufgefischt und die Verbindung mit Washington
-hergestellt worden. Telegraphisten der Marine sind dabei, die Linie
-unter Benützung der alten spanischen Leitung hierher zu verlängern.
-Den Kabeldienst übernehmen Kabelexperten. Unsere Aufgabe ist es,
-telegraphische und telephonische Verbindung mit der Vorpostenlinie
-herzustellen. Im Einzelnen habe ich euch nur zu sagen: Ich verlasse
-mich auf jeden von euch. Wir werden schwere Arbeit haben. Ihr werdet
-ganz selbständig arbeiten müssen. Eure Befehle erhaltet ihr über den
-Draht. Offizieren der Truppen werdet ihr im Notfalle sagen, daß ihr
-strengsten Befehl habt, Anweisungen nur von euren Signaloffizieren
-entgegenzunehmen. Depeschen dürfen nur angenommen werden, wenn der
-aufgebende Offizier, ganz gleichgültig welchen Ranges, sie schriftlich
-gibt und unterzeichnet. Mündliche Nachrichten werden unter keinen
-Umständen weder über den Telegraphen noch übers Telephon befördert.
-Kommandierenden Offizieren, denen ihr begegnet, werdet ihr melden, der
-Chef des Signaldienstes lasse sie bitten, dafür zu sorgen, daß die
-Truppen die Drähte nicht beschädigen. Das wäre alles. Noch eins -- ich
-verbitte mir jede überflüssige Schießerei! Dazu seid ihr nicht da!«
-
-Da kam sich der Lausbub kolossal wichtig vor.
-
- * * * * *
-
-Die See ging hoch, und längs des Strandes hatte sich eine ungemütliche
-Brandungslinie entwickelt. Unsere Boote wurden umhergeschleudert,
-als wären sie Eierschalen. Geradeaus am Strand zu landen war
-unmöglich. So mußten wir uns der alten Landungsbrücke bedienen, und
-die lag gute zwei Meter über dem Wasserspiegel. Es war jedesmal ein
-Kunststück, sich von dem stampfenden Boot emporzuschwingen. Stunden
-brauchten wir, um die Hunderte von schweren Rollen dünnen isolierten
-Kupferdrahtes an Land zu schaffen, die Telephone, die kombinierten
-Telephon-und Telegraphenapparate, die Trockenbatterien, die Flaggen.
-Ein unbeschreiblicher Wirrwarr herrschte am Strand. Ueberall waren
-Säcke, Kisten, Munition aufgestapelt, und zwischen diesen Bergen von
-Kriegsmaterial rannten aufgeregte Offiziere umher, die den Proviant
-für ihre Schwadronen und Kompagnien haben wollten. Wir errichteten
-sofort dicht am Strand die Telegraphenstation mit einer Hauptbatterie
-und waren kaum fertig mit Zeltbauen und Aufstellen des Apparats, als
-urplötzlich die Dunkelheit hereinbrach und weiteres Arbeiten unmöglich
-machte. Mit der Dunkelheit kam Regen. Nein, nicht Regen -- der Ausdruck
-ist viel zu schwach -- sondern ein Wolkenbruch. Nein, nicht ein
-Wolkenbruch. Sondern es regnete, wie es in den Tropen regnet. Das waren
-nicht Wassertropfen, sondern dicke Wasserschnüre, Schnur an Schnur.
-
-Souder und ich hatten vorher schon unser winziges Soldatenzelt
-aufgebaut, von dem er die Hälfte trug und ich die Hälfte, und kamen uns
-sehr schlau vor, als wir bei den ersten Tropfen schleunigst unter Dach
-krochen. Aber ach -- was war ein Zelt gegen diese Wassermassen! Der
-angeblich wasserdichte Segeltuchstoff gab nach einer Minute schon den
-hoffnungslosen Widerstand auf ...
-
-»Teufel -- rück' ein wenig!« schrie Souder. »Mir läuft ein Bach, ein
-richtiger, gesegneter Bach, am Hals herunter!«
-
-»Reg' dich nicht auf um Kleinigkeiten,« erwiderte ich erbost. »Ich --
-liege -- in -- einem -- See! Rück' du!«
-
-Doch das konnte er ebensowenig wie ich. Wir füllten das winzige Zelt ja
-bis zum letzten Winkel. Oben regnete es herein. Von vorne und hinten
-kamen, klatsch, klatsch, die Güsse. Unten rieselte ein Bach.
-
-»=Oh hell!=« sagte der Sergeant, sprang auf und warf dabei das Zelt um,
-daß unsere stützenden Karabiner ins Wasser plumpsten. »Nässer können
-wir doch nicht werden!«
-
-Und ich sah erstaunt, wie er sich Rock, Hose, Stiefel, Gamaschen, Hemd
-herunterriß und splitternackt dastand. »Ich nehme ein Bad!« grinste
-er. »Gratis. Passende Gelegenheit. Ein kubanisches Brausebad --
-=Shampooing= obendrein -- kost' sonst einen Dollar fufzig ... Wie nett,
-daß der Regen hierzulande wenigstens warm ist!«
-
-Ich machte es ihm schleunigst nach, und als kurz darauf unser Major
-Stevens, im Gummimantel, eine Magnesiumfackel in der Rechten, in dem
-Miniatursee einhertappte, riß er die Augen gewaltig weit auf.
-
-»Eh -- wer ist das? -- eh, Souder -- Carlé -- seid ihr verrückt
-geworden? -- na, Jungens, das ist nicht übel!« Wir splitternackten
-Kubakämpfer standen ganz mechanisch stramm! »Rührt euch, rührt euch,
-Kinder, bei allem was lustig ist! Und nun versucht eben, zu schlafen,
-so gut es geht. Ich habe für uns alle Gummiponchos besorgt, und das
-nächstemal seid ihr besser daran. =Good night!=«
-
-Nach wenigen Minuten hörte der Regen auf, und erst als wir in unsere
-triefenden Kleider krochen, fiel mir Esel ein, daß ich mir ja in Tampa
-eine wundervolle, sündhaft teure Hängematte gekauft hatte! Aus Seide!
-So dünn, daß ich sie bequem in der Tasche tragen konnte. Sie sollte mir
-noch unschätzbare Dienste leisten. Später bekam ich heraus, daß in der
-ganzen Armee außer mir nur der kommandierende General noch so schlau
-gewesen war, für die so naheliegende Bequemlichkeit einer Hängematte zu
-sorgen. Ich band das seidige Ding an zwei Bäumchen fest und kletterte
-vergnügt hinein.
-
-»Das ist Seide, nicht wahr?« fragte Souder, mich und meine Hängematte
-mit seiner Signallaterne bedächtig ableuchtend. »Stark? Fest?«
-
-»Unzerreißbar!« sagte ich stolz.
-
-»=Very good!=«
-
-Und im gleichen Augenblick war er zu mir hineingeklettert, so entrüstet
-ich auch protestierte, und seine patschnassen, schwerbestiefelten Füße
-suchten sich mit göttlicher Ungeniertheit ihre Ruhepunkte in der Gegend
-meiner Ohren. So lagen wir und rauchten noch lange nassen Tabak aus
-nassen Pfeifen. Ach, was waren das für schöne Zeiten! Täte ich heute
-dergleichen, so würde ich mir wahrscheinlich keuchenden Husten, eine
-schwere Bronchitis und eine tödliche Lungenentzündung holen. Ach, was
-waren das für schöne Zeiten!!
-
-Die Kavallerieschwadron im Dickicht nebenan leistete auch für uns die
-Dienste einer Weckuhr.
-
- =I can't get 'em up,
- I can't get 'em up,
- I can't get 'em up in the morning!=
-
-»Sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf des
-Morgens ...«
-
-»Heiliger Moses!« keuchte Souder, als er hinplumpste.
-
-»Großer Cäsar!« schrie ich und kollerte neben ihn.
-
-Denn steif wie ein Stock war der eine wie der andere, er und ich; kaum
-bewegungsfähig, wie nässeverschimmelt, wie verrostet. Die Kleider
-mußten getrocknet sein über Nacht, aber sie waren schon wieder feucht
-und klebrig geworden im Morgentau. Wir stampften umher und stellten mit
-inniger Genugtuung fest, daß in nächster Nachbarschaft noch vierzehn
-andere Gestalten täuschend ähnlich schwankten und stampften, der Major
-darunter so gut wie der Leutnant. Geteilte Unbequemlichkeit ist halbe
-Unbequemlichkeit. Wir sahen freilich nur die Oberkörper der Gestalten.
-Ihre Beine sahen wir nicht. Die ahnten wir nur. Sie steckten wie
-auch die unsern in den dickgelben Schwaden des Bodennebels, aus dem
-stickige Moderluft heraufdrang, übelriechend, boshaft, giftig -- in
-Rauch aufgelöste Pestilenz. Da kroch über das struppige Buschwerk ein
-glühendroter Fetzen Sonne --
-
-»Wer -- hat -- eine Kaffeemühle?« schrie der alte Sergeant Hastings.
-
-»Deine Großmutter -- zu Hause!« war Souders prompte Antwort.
-
-Aber das Lachen verging ihm bald, als wir selbander unsere Brotsäcke
-und Tornister untersuchten und entsetzt den breiigen Inhalt beguckten.
-Die hochfeinen =sandwiches= des guten Schwabenkapitäns hatten sich
-in ihre Moleküle aufgelöst -- in Brei -- Brei -- fleischfaserigen
-Brei. Doch ein hungriger Magen macht erfinderisch, und wir gingen zum
-Bach. Der Brei schwamm fort. Als Niederschlag blieb, was sonst noch
-im Brotsack geblieben war: die vier Pfund fetten Specks der eisernen
-Ration, ihre zwei Dutzend Schiffszwiebacke, die selbst eine Nacht
-im Brei nicht hatte erweichen können, und ihre grünen Kaffeebohnen,
-ein halbes Pfund. Salz und Zucker dagegen waren beim Teufel. Wir
-nahmen unsere Feldbratpfanne, rösteten vorerst den grünen Kaffee über
-offenem Feuer (es wurde nichts Rechtes!) und unterhielten uns dabei
-gegen alle Disziplin darüber, wer wohl der verantwortliche Schafskopf
-sein könne -- verantwortlich dafür, daß einer eisernen Ration grüne,
-ungeröstete Kaffeebohnen beigegeben wurden! Mit dem Rösten ging es ja
-noch halbwegs. Aber die Kaffeemühle! Der verantwortliche Schafskopf
-hatte obendrein vergessen, der Armee auch nur eine einzige Kaffeemühle
-mitzugeben! Souder zerklopfte kurzentschlossen seine Bohnen im
-Blechtopf mit einem Stein, und ich mußte anerkennen, daß es einen
-besseren Ausweg nicht gab. So bereiteten wir vier Wochen lang das
-unentbehrliche Getränk eines Soldaten im Krieg -- wir und die gesamte
-Armee! Wenn die Flüche, die damals auf den =commissary general=, den
-Chef des Armeeverpflegungswesens, herabgeflucht wurden, wörtlich in
-Erfüllung gegangen wären, so hätten zwanzigtausend separate Teufel ihn
-siebenmal zwanzigtausendmal separat holen müssen ... Wir brieten uns
-Speck. Wir zerbissen die infam harten Zwiebacke.
-
-Leutnant Burnell und sechs Mann blieben bei der Station zurück, um den
-Kabelleuten entgegenzuarbeiten. Major Stevens und zehn Mann (dabei
-waren Souder und ich) bildeten den eigentlichen Telegraphenbaudienst
-der Armee -- elf -- _elf_ -- Mann! Ganze elf Mann!! Wir waren am
-Aufbrechen, als ein Meldereiter für die Segurança herbeijagte, der
-sich bei uns einen Augenblick verschnaufte und erzählte, daß bei La
-Quasina, sechs Kilometer in Front etwa, gestern das erste Gefecht
-stattgefunden hatte. Nach schweren Verlusten hatten die Rauhen Reiter
-und reguläre Kavallerie unter General Young die Spanier aus ihrer
-ersten Verteidigungsstellung geworfen. Die Vorposten standen jetzt eine
-halbe englische Meile über La Quasina hinaus.
-
-Wir brüllten uns heiser vor Begeisterung.
-
-Der Major aber durchstöberte mit Hastings, dem dienstältesten
-Sergeanten, all das aufgestapelte Material zum Linienbau; den
-Haufen von Drahtrollen, die Telephone, die Kombinationsapparate, die
-Trockenbatterien, die Eisenstangen für die Erdleitung.
-
-»Wo sind denn die Werkzeuge?« fragte er kopfschüttelnd.
-
-»Wir haben keine!« antwortete der alte Hastings.
-
-»Was?« rief der Major, »keine Drahtzwicker? Keine Klemmzangen? Keinen
-Gummi zum Isolieren?«
-
-»Nix, Herr Major!« sagte Hastings. »Wir konnten in Tampa nichts
-geliefert bekommen. Wir haben keine Werkzeuge. Ich persönlich besitze
-eine Beißzange, die ich auf der Segurança -- hm -- gefunden habe ...«
-
-»Na, hätten Sie da nicht noch mehr finden können?« brummte der Major.
-
-Er kopfschüttelte immer mehr und betrachtete den Haufen von Drahtrollen
-und rechnete mit den Sergeanten, wieviel Kilometer Draht wir elf
-Mann außer den Instrumenten tragen konnten. Sechs bis acht Kilometer
-höchstens. Transportmittel gab es ja nicht in diesem Krieg von
-leichtsinnigen Kindern. Dann war er auf einmal verschwunden. Ebenso
-plötzlich aber kam er wieder, im Schweiße seines Angesichts einen
-großen Proviantkarren vor sich herschiebend.
-
-»Los, Jungens!« keuchte er. »Los -- ehe sie uns erwischen!«
-
-Denn: Der Herr Major hatte unten am Strand den Karren -- gestohlen!
-
-Für die gute Sache! Von da ab hätten wir uns für diesen Mann
-totschlagen lassen. Das war ein Mann! Vielleicht erzähle ich
-später einmal, wie Major Gustave W. S. Stevens das Schatzamt des
-Signaldienstes bemogelte, um das Geld für die ersten Flugversuche der
-Armee zu schaffen, das der Kriegsminister und der Chef des Signalstabs
-nicht hergeben wollten. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.
-
-Der Major zog seinen Uniformrock mit den schön glänzenden
-Silberstreifen und den goldenen Adlern aus und arbeitete so hart wie
-wir daran, die Instrumente und den kostbaren Draht auf dem Karren
-zu verstauen. Unterdessen hatten Leutnant Burnell und seine Leute
-die ersten fünfzig Meter Draht gelegt und die Verbindung mit dem
-Stationsinstrument hergestellt.
-
-Vorwärts ging es jetzt. Der Pfad, der den Hügel hinaufführte, war ein
-armseliges Weglein kaum zwei Meter breit und so tief verschlammt vom
-Regen der Nacht und den Fußtritten von Tausenden, daß man einsank
-bis zu den Knöcheln. Und vollgestopft von Truppen. Infanteristen.
-Batterien, deren Mannschaften langsam und mühselig Zoll für Zoll die
-Geschütze vorwärtsschoben, denn die Gäule konnten es nicht schaffen.
-Links und rechts aber vom Weg starrte der Buschurwald mit seinen
-verrankten, verschlungenen, verdornten Gewächsen, die so fest waren wie
-eine Mauer und uns keinen Schritt weit eindringen ließen.
-
-»Platz!« schrie Major Stevens. »Spezialdienst. Signalkorps!«
-
-Die Infanterie duckte sich an die Wegseite, und holtergepolter
-jagten wir vorbei mit unserem Karren. Wir hatten uns lange Stangen
-mit gabeligen Enden geschnitten und warfen den ausgezeichnet
-isolierten Leitungsdraht einfach über das Urgebüsch, nur alle
-hundert Meter spannend und festknüpfend. Rasch kamen wir vorwärts,
-rascher als die Infanterie. Die marschierte nur, während uns die
-Neugier vorwärtspeitschte. Dann kamen wir zu den Geschützen und wären
-beinahe stecken geblieben, konnten doch die schweren Stahlmassen in
-dem engen Pfad nicht ausweichen, wollten auch gar nicht, oder ihre
-Herren vielmehr wollten nicht, denn Offiziere und Kanoniere spuckten
-ohnehin schon Galle über den miserablen Weg und pfiffen natürlich auf
-Telegraphendrähte und derlei Belanglosigkeiten. Wie es uns gelang,
-an den Kanonen vorbeizukommen, ist mir heute noch ein halbes Rätsel.
-Ich weiß nur, daß der Major fluchte und puffte wie ein Hausknecht,
-daß wir den Draht und die Instrumente abluden und sie im Laufschritt
-vorwärtsschleppten, daß wir den gestohlenen Karren auseinanderlegten
-und ihn stückweise über die Köpfe der Artillerie hinwegtrugen. Dagegen
-weiß ich noch ganz genau, daß ich an einer Ecke einem unverschämten
-Artilleristen, der mich absichtlich behinderte, eine schwere Drahtrolle
-gewaltig um den Schädel schlug ... Wie roh das war! Wie leid mir das
-tut in der Erinnerung! Aber -- ach, was waren das für schöne Zeiten!
-
-Jetzt brannte die Sonne kerzengerade hernieder, als hätte sie sich
-das Weglein und nur das Weglein zum Heizen ausgesucht, und dampfende,
-ekelfeuchte Hitze hüllte uns ein, vermengt mit giftigen Modergerüchen
-aus dem tausendjährigen Dschungel zur Seite, dem Hexenkessel mit
-seinen häßlichen Dämpfen aus faulender Feuchtigkeit und schwärzendem
-Heißsein. Dicht, starr, stand der Urwald. Der Gedanke stieg in mir auf,
-wie es überhaupt möglich sein konnte, in dieser eingekeilten Enge einen
-Feind anzugreifen oder von einem Feind angegriffen zu werden; eine
-Schützenlinie zu entwickeln, vorwärtszustürmen. Da ich zwanzig Jahre
-alt und neugierig war, befragte ich den Major darüber, als er neben mir
-schritt. In Tampa hatten wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Aber die
-wenigen Stunden schon auf kubanischem Boden hatten zwischen ihm und
-uns jene eigentümliche Verbindung des Vertrauens hergestellt, die von
-Mann zu Mann überspringt nur in Zeiten männlicher Höchstleistung, wenn
-jeder, der Führer und der Geführte, hergibt, was in ihm ist. Er war
-unser und wir waren sein. Darüber redete man nicht. Das fühlte man. Man
-stand zusammen und man fiel zusammen. In unserem Schneid und unserer
-Arbeit lag seine Hoffnung auf Glück und Ehren -- und aus seinen Händen
-nur konnte unser Lohn gegeben werden.
-
-Die Disziplin litt nicht darunter, wenn auch die äußerlichen
-Unterschiede zwischen Mann und Offizier sich als äußerlich und
-belanglos verwischten.
-
-»=Well=,« sagte er lächelnd, »es ist eine scheußliche Gegend, wie Sie
-ganz richtig bemerken. Ich bin von Hause aus Artillerist und kann mir
-lebhaft vorstellen, daß es höllisch unangenehm wäre, würden wir jetzt
-mit Schrapnell überschüttet!«
-
-Ich wurde puterrot. »Ich hatte -- aber -- durchaus -- nicht Angst!«
-stammelte ich.
-
-»Nein, mein Sohn. Weiß ich. Nebenbei bemerkt gibt es keinen Menschen,
-der unter Schrapnellfeuer nicht Angst haben würde. Und weiterhin
-nebenbei bemerkt sind wir nach meiner Karte in einer Viertelstunde aus
-dem Busch heraus. =Well= -- haben Sie eigentlich Tabak? Ich muß vorhin
-mein Etui verloren haben --«
-
-In Bächlein rannte der Schweiß an uns herab, und ich war kaum weniger
-naß als nach dem Wolkenbruch in der Nacht vorher. Wir segneten den
-schlauen Major und seine Karre aus dankbaren Herzen und schmissen
-alles, was nicht niet und nagelfest war, auf das Vehikel; Brotsäcke und
-Röcke und Tornister und Wolldecken und Telegraphenapparate. Aber es war
-noch immer zu heiß. Einer machte den Anfang, als wir einmal hielten und
-Luft schnappten, und die andern machten es ihm schleunigst nach: Ein
-schamhaftes Verschwinden hinter einen dicken Baum! Und -- Strümpfe?
-Ueberflüssig, weg damit. Unterhemd? Lächerlich, weg damit. Unterhosen?
-Unglaublich bei dieser Hitze, weg damit. Jetzt war uns wöhler! Instinkt
-hatte uns wie zwanzigtausend anderen Simplizität in der Vereinfachung
-der Felduniform gelehrt, die in Zukunft aus Stiefeln, Gamaschen,
-Reithose, blauem Flanellhemd, Schlapphut bestand, und sonst aus nichts.
-Das war genug und übergenug! Viele von den Offizieren ließen sich die
-Schulterstreifen aufs blaue Flanellhemd nähen ... Nur keinen Rock in
-dem Backofen!
-
-Jeder einzelne Mann tat sein Bestes. Sicherlich stellte es eine
-respektable Leistung dar, beim Linienbauen die marschierenden Truppen
-weit zu überholen. Der Draht funktionierte ausgezeichnet. Wir setzten
-uns jede halbe Stunde in Verbindung mit Leutnant Burnell in Baiquiri,
-der uns an Neuigkeiten meldete, daß der Hauptlandungspunkt von nun an
-Siboney sei, wenige Kilometer westlich von Baiquiri. Er lasse zwei Mann
-zum Stationsdienst zurück und werde mit den übrigen von Siboney eine
-Drahtlinie zum Kreuzungspunkt der beiden Straßen bei La Quasina legen.
-
-Da weitete sich das Weglein, und der Busch wurde niedriger, dürftiger,
-bis plötzlich der Schlick des Pfades sich in weichen Moosboden
-verwandelte. Rings um uns reckten sich schlanke braune Stämme mit
-fächerigen Wipfeln empor; ein Hain von Kokospalmen.
-
-»Teufel!« sagte Major Stevens.
-
-»Tausend Teufel!« -- sagten wir ...
-
-Denn die luftige Schönheit machte auf uns nicht den geringsten
-Eindruck, sintemalen sie schwere und langwierige Arbeit bedeutete.
-War es doch nun vorläufig zu Ende mit dem wunderschön bequemen und
-schnellen Aufwerfen des Drahts auf den dichten Busch. Den Draht einfach
-auf den Boden zu legen, ging nicht. Die nachmarschierenden Truppen
-hätten ihn zertrampelt, zerrissen. Und nicht einmal Klettereisen hatten
-wir!
-
-»Nun, dann klettern wir eben so!« sagte der Major. »Souder, holen Sie
-mir doch aus dem Baum da ein halbes Dutzend Kokosnüsse -- und Sie,
-Hastings, telegraphieren, bitte, dem Leutnant Burnell, daß wir frische
-Kokosmilch trinken und lebhaft bedauern, ihn nicht einladen zu können.«
-
-Schallendes Gelächter. Die gute Laune war wieder da.
-
-Es läßt sich außerordentlich schwer vorstellen, was es heißt, als
-todmüder, abgearbeiteter, hitzeerschöpfter Mensch mit schweren
-Drahtrollen Kokospalmen hinaufzukrabbeln; ich wenigstens packte mit
-Händen und Füßen und Knien ums liebe Leben zu und war schlapp wie ein
-nasses Handtuch nach dem dritten Baum. So lernten wir die relative
-Wichtigkeit der Werte für die Bedürfnisse des Augenblicks fein
-unterscheiden und waren entsprechend froh, als der dreckige Schlamm
-und der stinkende Dschungel wieder kamen. Bedeuteten sie doch flottes
-Vorwärtskommen für uns. Lichter aber war es. Man konnte wenigstens
-sehen. Man hatte Ausblick über den niedrigen Busch und das wuchernde
-Gras hinweg auf üppige Baumgruppen tiefen Grüns und sanftansteigende
-Hügel im Vordergrund.
-
-In dem Schlamm des schmalen Weges aber, bei einem Grasbüschel hier,
-in einer kleinen Bodensenkung dort, an Baumstämmen glitzerten
-gelbmetallisch blanke Patronenhülsen und mehrten sich zu vielen
-Hülsenhäuflein, als wir uns vorwärtsarbeiteten. Unser Lachen und
-Geschwatze war plötzlich verstummt. Ein zertrampelter grauer Schlapphut
-lag am Weg -- dort eine Wolldecke -- dort ein Tornister, von dessen
-Segeltuchbraun tiefdunkel und bedeutungsvoll rostfarbene große Flecke
-scharf abstachen. Und da leuchtete aus tiefem Gras und dornigem
-Gestrüpp blanke Erde, frisch aufgeworfen, und aus den lehmigen
-Erdschollen ragte Griff und Klinge eines Offizierssäbels. Ungeschickte
-Hände hatten das Soldatengrab mit Steinen und Holzstückchen umrahmt.
-Man sah der Arbeit die hastende Eile an. Ein zweites Hügelchen
-frischer Erde kam, ein drittes; Dutzende jetzt auf einmal. Ein Hut
-lag auf dem einen, ein Reiterhandschuh auf dem andern, ein Symbol zum
-Wiedererkennen auf jedem ...
-
-Feierlich und langsam erhob der Major die Rechte zum Hut und grüßte,
-hochaufgerichtet, kerzengerade, als sei er auf Parade, die Männer, die
-da unter dem Boden lagen, gestorben für ihr Land. Ein jeder von uns
-verstand. Alle Hände hoben sich zum Salut für die toten Rauhen Reiter.
-
-Wir waren bei La Quasina.
-
-Dicht bei den Gräbern kampierten wir in dieser Nacht. Im
-Dämmerungsgrauen, als ich die Wache beim Instrument hatte, meldete der
-Draht: »Der kommandierende General wird morgen sein Hauptquartier in
-die Vorposten verlegen. Das Signaldetachement erwartet den General auf
-der Straße von La Quasina-El Pozo, an einem Punkt, der telegraphisch
-mitgeteilt werden wird. Die Linie ist bis tausend Yards über La Quasina
-hinaus fertigzustellen.«
-
-Ich weckte den Major.
-
-»Das hätte Zeit gehabt bis zur Reveille ...« brummte er.
-
- * * * * *
-
-»=Señor!=«
-
-»=Señores!=«
-
-»Ich -- Kohlenmann -- Keywestdampfer ... drei Jahr, =damn= -- ich fein
-Englisch sprechen ---- «
-
-»Ein klein Biskuit, =señor=, please!«
-
-»=Eviva el Cuba Libre= und gut' =Americanos=« -- und eine Skeletthand
-steckte mir eine kohlschwarze Riesenzigarre in den Mund.
-
-»=Plenty= Hunger -- Biskuits =bueno=, aber nix gut die amerikanisch'
-Speck ... =damn= Speck --«
-
-Sie zeterten und schrien und kreischten und gestikulierten. »Piff,
-piff!« zischte der eine, mit den Händen die Gebärde des Anlegens
-und Zielens machend, »hé -- piff, piff, piff, piff ... o -- hé.
-=Espagnoles= dort« (er deutete in den Busch) -- =Americanos= piff,
-piff, 'urrah, viel 'urrah, viel laufen, =Espagnoles= weg. =Plenty
-bueno!=« Ein anderer brüllte: »Da -- da vorne -- =Señores= werden sehen
--- der =commandante= -- der große Garcia -- =el liberator= ...«
-
-Wir standen und starrten. Das also waren kubanische Insurgenten, und
-so sahen begeisterte Freiheitskämpfer aus und so schnatterten sie, die
-Heroen, die den Tod dem Knechttum vorzogen. Achtundvierzig Stunden
-später überzeugten wir uns, ein wie erbärmlich feiges und faules
-Gesindel diese berühmten, todesmutigen Freiheitskämpfer in Wirklichkeit
-waren. Aber wenn ich schaudernd an die traurigen Gestalten denke, so
-möchte ich die überharten Worte bedauern, mit denen wir vollsaftigen,
-kraftvollen Männer damals die ausgehungerten Männlein überschütteten.
-Sie taugten ja nicht zum Kämpfen und Arbeiten. Das waren keine Menschen
-mehr. Nicht einmal Tiere. Sondern wandernde Skelette. Sie hatten sich
-ein Lager in den Busch hineingehauen und aus Zweigen ein dürftiges
-Obdach zusammengeflickt. In Fetzen schlotterten ihnen die Jacken und
-die Hosen aus schmutziggrauem, dünnem Baumwollstoff um die abgemagerten
-Glieder, und viele hatten nicht einmal eine Jacke, sondern liefen mit
-bloßem Oberkörper umher. So winzig, so krank, so schwach sahen die
-kleinen Männlein aus, die viele Monate lang Tag für Tag gehungert
-hatten, daß ich mir dachte:
-
-Ein einziger Faustschlag, und nicht einmal ein kräftiger, und =Señor
-Insurgente= ist außer Gefecht gesetzt!
-
-Wie arme verkrüppelte Kinder sahen sie aus, die Krieg spielten -- die
-man bemitleiden mußte ob des Gewichts des Säbels, den sie an einem
-Strick umgeschnallt trugen. Eine schwere und furchtbare Waffe war
-dieser Säbel, Machete genannt; eine Art zum Säbel verlängerten Messers,
-das nichts ähnlicher sah als dem biederen Küchenmesser deutscher
-Hausfrauen, freilich ins Riesenhafte vergrößert. Ein gerader Säbel
-mit plumpem Holzgriff und breiter Klinge, haarscharf geschliffen.
-Vorzüglich waren auch die Gewehre dieser Jammergestalten: Moderne
-Mauserschnellfeurer, deutsches Modell 88, und amerikanische Winchesters
-mit kupferumhüllten Geschossen. Die Männer aber hinter diesen Gewehren
-waren sicherlich nichts wert.
-
-Die armen, armen Teufel!
-
-Sie bissen gierig in die steinharten Schiffszwiebacke, die wir ihnen
-schenkten, und schnatterten dabei über Hunger und Elend. Eine Handvoll
-Reis, ein Brotfladen waren Seltenheiten gewesen monatelang; von
-Früchten und Beeren hatten sie sich ernährt.
-
-Ein Weib schlich herbei, mit gekrümmter Hand um einen Zwieback
-bettelnd. Um ihren Körper war rockartig ein Fetzen schmutzigen
-Baumwollstoffs geschlungen, die bloßen Brüste hingen schlaff und
-verdorrt weit herab, die hungrigen Augen lagen tief in den Höhlen. An
-den Rockfetzen aber klammerte sich ein fürchterliches menschliches
-Wesen.
-
-Ein nacktes Kind, ein Mannkind, drei Jahre alt vielleicht, das -- auf
-den dürren Zündholzbeinen des Elends einen fürchterlichen Falstaffbauch
-trug. Winzige Glieder, ein spitziger, magerer Kopf, und ein
-Zuckerhutleib, der in seiner Aufgedunsenheit den Nabel weit vordrängte.
-Ein Monstrum, ekelerregend, Mitleid heischend.
-
-»=Nix bueno= -- Mangobauch!« erklärte die Mutter.
-
-Der Major, der Spanisch verstand, schenkte dem Weib einen blanken
-Silberdollar und sprach mit ihr. Er erklärte uns das Monstrum. Die
-Fruchtnahrung, die auf Erwachsene abmagernd wirkte, führte bei Kindern
-zu schweren Verdauungsstörungen, weil nur ungeheure Mengen den steten
-Hunger sättigen konnten. Daher der Bauch, das Aufgedunsensein.
-Obendrein war die häufigste Frucht, der orangenartige Mango, stark
-terpentinhaltig und wurde von einem kindlichen Magen schwer verdaut.
-Daher der Name Mangobauch. Zu Hunderten sahen wir später um Santiago
-die mißgestalteten kleinen Geschöpfe, die so ausgehungert waren,
-daß sie fraßen wie Tiere und an unseren Lagerfeuern Mahlzeiten
-hinabschlangen, die ein ausgewachsener hungriger Mann nie hätte
-bewältigen können.
-
-Noch lange kreischten sie uns nach, die kubanischen Insurgenten:
-
-»=Eviva los Americanos -- Cuba Libre!=«
-
-Das arme Kind aber heulte zum Steinerweichen in gellenden Mißtönen.
-Verschwanden doch mit uns die schönen, schönen Biskuits; infam harte,
-kaum genießbare Schiffszwiebacke für uns, köstliche Leckerbissen für
-das im Walde gezeugte Geschöpf des Jammers.
-
- * * * * *
-
-Der Pfad war wieder das alte verschlammte, schmale Weglein, eingerahmt
-von undurchdringlichem Gestrüpp. Wir konnten den Draht wieder mit
-unseren Stangen aufwerfen und kamen rasch vorwärts. Da erschallte
-dumpfes Pferdegetrappel und drei Reiter trabten herbei.
-
-»Der kommandierende General!« meldete der führende Korporal kurz, einen
-Augenblick seinen Gaul einzügelnd.
-
-Bald darauf kam das Hauptquartier. General Shafter, der
-Höchstkommandierende, saß in einem winzigen Wägelchen, das zwei
-Maultiere zogen und ein Kavallerist lenkte. Der Stab ritt hinterdrein
-im Gänsemarsch, denn so schmal war der Saumpfad, daß zwei Pferde, die
-Reiter trugen, kaum nebeneinander schreiten konnten.
-
-Die Kolossalgestalt des Generals lehnte erschöpft im Sitz. Auf Shafters
-Knien lag eine Karte. Der Wagen hielt, als der Major vortrat und seine
-Meldung erstattete:
-
-»Ein Offizier, drei Sergeanten, sieben Mann des Signaldetachements.
-Linie von Baiquiri bis hierher vollendet und in guter Ordnung.«
-
-Der kommandierende General nickte und sagte mit einer Stimme, die so
-kinderartig hell und schrill war, daß sie weithin gellte:
-
-»Sehr -- gut -- Major. Bei Jesus Christus -- das -- haben -- Sie -- gut
--- gemacht, Major. Sie folgen, Major, und bleiben -- im Hauptquartier
--- bis -- auf -- weitere Orders -- Jesus Christus!«
-
-Und das Wägelchen rollte weiter. Ein halber =troop=, eine halbe
-Schwadron der 6ten Regulären Kavallerie bildete die Eskorte des
-Höchstkommandierenden.
-
-So sah ich zum erstenmal den Jesus-Christus-General.
-
-
-
-
-Beim Jesus-Christus-General.
-
- Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. -- General Shafter,
- Höchstkommandierender. -- Die Trumpfkarte im Spiel. -- Proviant
- her! -- Ein sogenannter Spaziergang. -- Die spanische
- Verteidigungslinie. -- Die Nacht vor der Schlacht. -- Das
- Telegramm nach Washington. -- Die Regimenter ziehen dem Feind
- entgegen.
-
-
-Auf einer Strecke von kaum einer halben englischen Meile passierte uns
-Unglück auf Unglück. Mit einemmal funktionierten die Apparate nicht
-mehr, als wir wieder Baiquiri andrahten wollten, und der Major mußte
-Hastings und zwei Mann zurückschicken, nach dem Schaden zu suchen.
-Sie fanden ihn zum Glück bald: ganz in der Nähe des Insurgentenlagers
-war der Draht zerrissen. Dann kamen fünfmal hintereinander lichte
-Waldstellen, die langwieriges Klettern und Drahtspannen erforderten.
-So wurde es Nachmittag, bis wir endlich das Hauptquartier inmitten der
-Vorposten erreichten, erschöpft, todmüde. Oberst Green mit dem ihm
-persönlich attachierten Signalsergeanten kam uns entgegen.
-
-»Schlafen, Leute!« befahl er. »Myers, holen Sie Kaffee, da hinten beim
-Kochfeuer. Und dann wird sofort geschlafen!«
-
-Das Signalzelt war bereits errichtet und das Instrument drinnen
-aufgebaut worden. Den Dienst übernahm der Sergeant Oberst Greens. Wir
-anderen aber tranken gierig heißen Kaffee, wickelten uns in unsere
-Decken und legten uns Mann neben Mann dicht um die Außenwand des
-Zeltes; in unseren feuchten, durchschwitzten Kleidern, den patschnassen
-Stiefeln, in die der Schlamm trotz allen festen Geschnürtseins
-eingedrungen war. Ich war so müde ... »Stiefel ausziehen!« rief
-die scharfe Stimme des Majors -- »runter mit den Stiefeln!« Und
-widerwillig zog ich sie aus. Ich war so ------ Die Augen konnte ich
-kaum offenhalten und nicht der Mühe wert war es mir, den Wirrwarr um
-mich zu betrachten. Da standen riesige Zelte und Pferde wieherten im
-Hintergrund und viele Offiziere kamen und gingen und ... schlafen, nur
-schlafen! Ich schob mir den Tornister unter den Kopf und wickelte mich
-fest ein. Da begann das Instrument drinnen zu sprechen in scharfem
-Ticktack. Klick, klick, klick -- klack, klack -- kurz, kurz, kurz, --
-lang, lang -- aber die klingenden Punkte und Striche flossen in ein
-nichtssagendes Geklapper zusammen für mein müdes Hirn -- klick, klick,
-klack ... da war ich eingeschlafen.
-
- * * * * *
-
-Das Hauptquartier lag dicht am Weg, an dem ewigen Schlammpfad, den
-keiner der Männer von Kuba je vergessen wird. Gegenüber ragte der
-dornige Busch. Die Zelte standen in einer Lichtung, in der einmal
-ein Haus gewesen sein mußte, denn verwittertes Gebälk lag umher,
-und gegen das Weglein zu trotzte noch ein Stück Zaun aus verfaulten
-Pfosten und verrostetem Stacheldraht. Das Signalzelt war dicht beim
-Eingang aufgebaut. In Linie, nicht weit davon, schimmerte weißgrau
-das Dutzend Zelte des Stabes, und hinter ihnen erhoben sich die
-winzigen Segeltuchhütten der trooper der 6ten Kavallerie. In der Mitte,
-fünfzig Schritte vor uns, stand das Zelt des kommandierenden Generals.
-Zwei Pfostenpaare waren kreuzweise in den Boden geschlagen und eine
-Hängematte an ihnen befestigt. In dieser lag krank und mürrisch General
-Shafter, der Befehlshaber der Armee, der alte Indianerkämpfer, der
-Mann, den der amerikanische Reguläre niemals anders nannte als den
-»Jesus-Christus-General«. Es sind später viel Steine geworfen worden
-auf diesen Mann; einen Zauderer hat man ihn genannt und Schlimmeres
-in seinem Land. Ein Zauderer war er. Aber die Schimpfer vergaßen,
-daß auf seinen Schultern und nur auf seinen Schultern die ungeheure
-Verantwortung für das Leben von vielen Menschen und die Ehre einer
-Flagge ruhten, die gar arg bedroht waren durch den Leichtsinn, der
-in Hast und Aufregung die Sorge für eine Armee sehr leicht genommen
-hatte. Doch das verstand ich erst später. Wenn ich von General Shafter
-in diesen Seiten erzähle, so darf der Leser nicht vergessen, daß ich
-versuche, ganz einfach zu schildern, was der Lausbub im Soldatenrock
-damals sah -- das wirkliche Sehen und Hören. Der Jesus-Christus-General
-hatte für mich Zwanzigjährigen im Lager damals und im Feld später
-nicht viel von der Glorie des Leiters einer kämpfenden Armee, sondern
-ich sah mit meinen jungen Augen nur das Allzumenschliche des Kranken
-und Uebererregten. Der Mann heute versteht. Daß jene Tage in Kuba dem
-amerikanischen Invasionsheer keine Katastrophe brachten sondern Siege,
-ist für den nüchternen Beurteiler ein Wunder. Und Shafter wußte das!
-Als einziger vielleicht. Er wußte, daß kein Proviant da war -- er
-wußte, daß alle Vorteile des Geländes auf der Seite des auch numerisch
-starken Gegners lagen. Er wußte recht gut, weshalb er zauderte. Dennoch
-gebe ich meine Eindrücke ungeschminkt wieder, denn über das Persönliche
-weit hinaus zeigen sie etwas einzig Dastehendes in der modernen
-Kriegsgeschichte: Eine Schlacht, einen Feldzug, der nicht von Generalen
-gewonnen wurde, sondern von einzelnen Häufchen tapferer, zäher
-Männer, die in jungenhafter Begeisterung fröhlich drauf losgingen,
-ohne sich viel um Befehle zu scheren. Das Männliche, das Tüchtige des
-Einzelnen war Trumpf und gewinnende Karte in dem riskanten Spiel dieses
-sonderbaren Krieges.
-
- * * * * *
-
-Dutzende Male brachte ich dem General Shafter Depeschen an jenem 30.
-Juni des Jahres 1898, und jedesmal sagte er mit der gleichen dünnen,
-schrillen Falsettostimme, die einem durch Mark und Bein drang:
-
-»Jesus Christus -- was gibt's?«
-
-Es ist kaum möglich, das Scharfe, Ungeduldige wiederzugeben, das in
-dem ewig wiederkehrenden Ausruf lag, der dem General seinen Beinamen
-eingetragen hatte. Frömmlern gab es später nach dem Kriege, als von
-Shafters Eigenheiten erzählt und geschrieben wurde, Veranlassung, ihn
-als gotteslästerlichen Frevler zu verdammen.
-
-»Lasse Oberst Green bitten -- Jesus Christus -- marsch, Mann -- halten
-Sie sich nicht mit Salutieren auf -- Jesus Christus!«
-
-Immer Jesus Christus ----
-
-Hunderte Male gellte es so. Und jedesmal fuhr ich zusammen, wenn die
-schneidende Stimme erklang.
-
-General Shafter war ein Koloß. Aechzend lag die unförmliche Gestalt
-in der Hängematte, auf viele Kissen zurückgelehnt, fluchend wie ein
-Dragoner. Die Stimme gellte vor Wut und Ungeduld. Aber im nächsten
-Augenblick konnte sie, wenn auch schrill und nervös, liebenswürdig zu
-einem Adjutanten sagen: »Lassen Sie sich ablösen, lieber Jameson --
-Jesus Christus, Sie müssen ja todmüde sein!«
-
-Der General war entweder schon vom Fieber gepackt oder wenigstens
-durch die tropische Hitze furchtbar mitgenommen. Seinen gewaltigen
-Schädel bedeckte ein Handtuch, auf dem Eisstücke lagen, und neben der
-Hängematte stand ein Kocheimer mit Eis gefüllt. Dennoch gönnte sich
-Shafter nicht einen Augenblick Ruhe an jenem 30. Juni. Es war ein
-Hetzen und Hasten, ein Kommen und Gehen. Stets umstanden Adjutanten
-die Hängematte, Bleistifte und Befehlsformulare in den Händen, und
-die hohen Offiziere des Generalstabs schienen fortwährend Vortrag zu
-halten. Wir hörten häufig ganze Sätze herüberhallen und verstanden, so
-schwer jede Kombination für einen Uneingeweihten auch war, daß es sich
-um Meinungsverschiedenheiten handeln mußte. Es lag wie Elektrizität
-in der Luft. Wie schwüle Spannung. Alle Augenblicke kamen Shafters
-Adjutanten gelaufen mit Telegrammen an den Generalquartiermeister in
-Siboney, die in schärfster Fassung Proviant und Munition verlangten.
-Einmal hieß es ungefähr so:
-
-»Kommandierender General befiehlt Herbeischaffung Proviants für Front,
-ganz gleichgültig, ob Straße verstopft; Truppen müssen Straße freigeben
--- mitsendet energischen Offizier ...«
-
-Schwer mußten Sorge und Verantwortung auf General Shafter liegen.
-
- * * * * *
-
-Major Stevens winkte von seinem Zelt. Ich sprang hinzu.
-
-»Treten Sie ein,« befahl er. »So! Holen Sie sich unauffällig Karabiner,
-Revolver und Feldstecher. Tun Sie, als ob Sie das Gewehr putzen
-wollten. Gehen Sie langsam den Pfad aufwärts. Sie treffen mich etwa
-hundert Yards weiter oben. Verstanden?«
-
-»=Yes, sir.=«
-
-»Sie sprechen mit Niemanden über diese Sache. Verstanden?«
-
-»=Yes, sir.=«
-
-Klopfenden Herzens wartete ich an der bezeichneten Stelle, bis der
-Major aus dem Gebüsch trat.
-
-»So! Es wäre mir lieb, wenn Sie mich auf einem kleinen Spaziergang
-begleiten würden,« sagte er, »weil ich annehme, daß Sie nach Ihrer
-zivilen Stellung Augen im Kopfe haben, die sehen können. Nun hören
-Sie: Wir wissen im Grunde gar nichts. Wir wissen den Teufel, was da
-vorne los ist. Ich will aber was wissen. Offiziell ist ein Vorgehen
-über die Vorposten hinaus strengstens verboten. Wir gehen jetzt
-zusammen spazieren und werden uns über die Vorposten hinaus verlaufen.
-Verstanden?«
-
-»=Yes, sir.=«
-
-»Schön. Die Karte hier ist miserabel, aber immerhin geht daraus hervor,
-daß hier -- sehen Sie? -- bei El Pozo -- das ist 'ne alte Zuckermühle
---, wo unsere Spitze steht und das eigentliche Santiagotal beginnt,
-Plantagen sind, die ein Erklettern des Hügels da -- sehen Sie? --
-gestatten sollten. Durch den Busch kämen wir nie hindurch!«
-
-Da kam ich mir wieder kolossal wichtig vor ...
-
-Wir marschierten in scharfem Tempo etwa zwei Kilometer weit den Pfad
-entlang, kamen in einen Mangowald, kreuzten einen kleinen Bach,
-passierten an Infanteriepatrouillen vorbei, wurden dutzende Male
-angerufen. Dann bogen wir scharf links ab. Wir waren jetzt inmitten
-hohen wuchernden Grases und mächtiger Baumgruppen. Hinter der zweiten
-Baumgruppe schon trat ein Kavallerieleutnant hervor, mit dem der Major
-leise sprach. Ich hörte den Leutnant sagen:
-
-»Auf Ihre Verantwortung, Major. Meine Leute kann ich instruieren. Aber
-wenn Sie den Rückweg verfehlen, riskieren Sie, von anderen unserer
-Posten über den Haufen geschossen zu werden!«
-
-Da kam ich mir noch viel wichtiger vor!
-
-Nun begleitete uns der Leutnant.
-
-Der lichte Wald wurde noch dünner, die Baumgruppen spärlicher. Vor uns
-lag eine schmale Fläche niederen Grases. Drüben war Gestrüpp.
-
-»Halt!« rief eine Stimme.
-
-»Freunde ...« antwortete der Leutnant. »Einer vor!« rief die Stimme
-wieder. Der Leutnant ging vor, um die Losung zu geben, die »Shafter und
-Santiago« lautete, und dann sahen wir eine Soldatengestalt aufspringen,
-die flach am Boden gelegen hatte. Der junge Offizier instruierte den
-Posten, daß der Herr Major und der Signalmann rekognoszieren würden
-und daß er auf unsere Rückkehr achten müsse. Wir würden am jenseitigen
-Gestrüpprand laut »Washington« rufen und dann aufrecht über die
-Grasfläche laufen.
-
-»Los!« sagte der Major. »Ich wette meinen Kopf, daß innerhalb
-fünfhundert Yards überhaupt kein Spanier ist, sonst wäre die Schießerei
-schon längst losgegangen!«
-
-Aber trotzdem verzichteten wir, ohne ein Wort darüber zu verlieren, auf
-falsches Schamgefühl und krochen sehr vorsichtig auf dem Bauch durchs
-Gras, uns innig und liebevoll an Mutter Erde anschmiegend.
-
-»Sehen Sie was?«
-
-»Nein, Major.«
-
-Wir kamen der Gestrüpplinie näher und suchten Busch für Busch mit
-unseren Feldstechern ab. Vorne links, dreihundert Meter vielleicht
-entfernt, stieg ein Hügel empor, der erste einer sich weithin
-erstreckenden langen Hügelkette. Auf den steuerten wir zu, immer auf
-dem Bauche rutschend. Wir sahen nichts und hörten nichts. So gelangten
-wir bis zum unteren Hügelrand. Wohl eine Viertelstunde lang lagen wir
-hinter einem Baum und suchten den Weg durch die Gläser ab. Dann krochen
-wir wieder vorwärts, uns mit Händen und Füßen einkrallend, denn der
-Abhang war steil.
-
-»Suchen Sie die Kuppe ab!« flüsterte der Major.
-
-Ich machte einen Bogen hin, einen Bogen her. Sah nichts.
-
-»Nichts?«
-
-»Nein.«
-
-»Großer Gott! Eine einzige spanische Batterie hier oben könnte uns den
-Teufel zu schaffen machen!«
-
-»Es ist unglaublich!« Er kauerte hinter einen Busch und schob
-vorsichtig die Zweige auseinander. »So! ich kann sehen! Decken Sie mir
-den Rücken und achten Sie auf jedes Geräusch!« Ewigkeiten schien mir
-sein Schauen zu dauern. Auf dem Bauche liegend starrte ich um mich, daß
-mir die Augen tränten, bis endlich der Major leise pfiff und aus dem
-Busch zu mir kroch. »Nehmen Sie meine Stelle ein,« sagte er. »Sehen Sie
-sich zuerst die Karte an. Wir sind im Santiagotal ... Dies hier ist
-das San Juan Flüßchen. Auf diesem Hügel sind wir. Nun passen Sie auf:
-Sie werden in viertausend Yards Entfernung etwa in ganz unbestimmten
-Umrissen Gebäude sehen. Das ist Santiago de Cuba. Das Glitzernde
-zwischen den beiden Waldlisièren ist das Flüßchen. Suchen Sie das
-ganze Vorgelände ab, ob Sie Truppen oder irgend etwas Bewegliches
-entdecken können.«
-
-Ich kroch in den Busch, mich im Blattwerk deckend, und guckte zuerst
-mit bloßen Augen, dann durch das Glas. Gestrüpp -- Wald -- helle Flecke
--- wellige kleine Hügel, die wie in Nebel eingehüllt zu sein schienen
--- ein grauer Streifen am Horizont, auf dem ich im Glas deutlich die
-Rote Kreuzflagge unterschied. Dann suchte ich, zitternd vor Aufregung,
-die hellen Flecke ab, und mir schien, als ob ich einmal oder zweimal
-auf dem Grasfleck vor einem der kleinen Hügel ein Glitzern sähe.
-
-»Bei den Hügeln dort -- dicht beim Flüßchen!« murmelte ich.
-
-»Richtig!« sagte der Major. »Dort bewegen sich zweifellos spanische
-Truppen. Aber suchen Sie vor allem das nähere Vorgelände ab!«
-
-Ich suchte und suchte, Busch bei Busch, Fleck bei Fleck. Das schmale
-Tal erstreckte sich, ein schwer übersehbarer Geländemischmasch von
-Gestrüpp und wirklichem Wald und hellen freien Grasstrecken in fast
-immer gleicher Breite von sechs-oder siebenhundert Metern, bis an den
-grauen Streifen, der Santiago bedeutete. Seine Breite trennte uns von
-unseren Vorposten, die drüben auf der welligen Talgrenze am Waldrand
-standen. Das Flimmern dort vorne konnte ich wieder deutlich wahrnehmen.
-Sonst sah ich nichts. Der Major war zu mir gekrochen.
-
-»Noch etwas gesehen?«
-
-»Nein, Major.«
-
-»Wie weit schätzen Sie die Entfernung bis zu der Wellenlinie, wo Sie
-das Flimmern sehen?«
-
-»Dreitausend Yards.«
-
-»Hm. Zweitausendfünfhundert!« brummte er. »Ich denke, wir haben genug
-gesehen.«
-
-Dann ging es zurück. Ich war jetzt gründlich nervös geworden und ich
-glaube, dem Major ging es ebenso, denn im gleichen Impuls verzichteten
-wir auf das langsame Kriechen und rannten in langen Sprüngen von Baum
-zu Baum und von Busch zu Busch der auffälligen Gruppe von Mangobäumen
-zu, die wir uns wohl gemerkt hatten. Am Gestrüpprand brüllten wir laut:
-
-»Washington!«
-
-»Freunde ...« hallte es herüber, und wir schnellten uns vorwärts im
-Gras, so schnell uns nur die Beine laufen wollten, sehr froh, wieder im
-Schutze der Vorposten zu sein.
-
-»Prosit!« sagte der Major und reichte mir seine Feldflasche. »Bitte,
-trinken Sie mit Andacht, denn das ist ewigalter Kentuckywhisky, und die
-Götter mögen wissen, wann uns ein solcher Trunk wieder beschert wird.«
-
-Er lachte ein unfröhliches Lachen. »Uebrigens haben wir unsere Hälse
-umsonst riskiert. Die San Juan Verteidigungsstellung -- das ist dort,
-wo wir das Flimmern sahen -- ist dem Hauptquartier bekannt. Halten
-Sie nur den Mund über unseren Spaziergang, sonst werden wir auch noch
-ausgelacht! Ich hatte gehofft, auf der Hügelkette da drüben Artillerie
-zu entdecken -- na, und damit ist's Essig gewesen! Die Geschichte war
-also umsonst.«
-
-Da kam ich mir gar nicht mehr wichtig vor.
-
- * * * * *
-
-Die Pechfackel auf dem alten Zaunpfosten warf feuerrotes, flackerndes
-Licht über die Zelte des Hauptquartiers. General Shafter saß auf einem
-Feldstuhl, gegen die Zeltwand gelehnt, und sah mit seinen scharfen
-grauen Augen von einem zum andern der Offiziere, die ihn umstanden. Auf
-großen Kisten links und rechts neben ihm brannten in Flaschenhälsen
-Kerzen. Um ein Uhr nachts übernahm ich den Hilfsdienst beim Instrument,
-zusammen mit Souder, und wenige Minuten später brachte ich dem General
-eine Depesche. Vom Generalquartiermeister in Siboney, der den Abgang
-eines Maultiertransports mit Infanteriemunition meldete.
-
-»Jesus Christus, was warten Sie noch, Mensch!« herrschte Shafter mich
-an.
-
-»Die Unterschrift, General.«
-
-»Unterzeichnen Sie!« befahl er einem Adjutanten, der nun seinen Namen
-in mein Depeschenbuch kritzelte. »Marsch, Signalmann!«
-
-Ein sacksiedegrober Herr, der Jesus-Christus-General!
-
-Eine Viertelstunde verging. Da kam der Major zu uns ins Signalzelt
-gekrochen und sagte, gemütlich dahockend, auf den schwarzen
-Schnurrbart beißend, wie das seine Art war: »Hm -- Souder -- Carlé --
-nein, kann euch nicht brauchen -- sollt bei mir bleiben. Sie können
-nachher Hastings wecken, Carlé, und ihn in mein Zelt schicken. Der
-rechte Flügel, Kinder, greift bei Tagesanbruch an, und General Chaffee
-braucht Flaggenmänner. Ich werde Hastings hinschicken und zwei Mann.
-Wir werden ebenfalls bei Tagesanbruch losmarschieren und die Linie
-im Santiagotal legen und bei Gott, ich glaube, wir haben das bessere
-Teil erwählt wie Martha in der Bibel. Müßte mich sehr irren, wenn sich
-die Hauptaffäre nicht bei unseren Hügeln« -- er zwinkerte mir zu --
-»abspielt. Mund halten, Kinder! Ich bitte mir übrigens aus, daß morgen
-flott gearbeitet wird!«
-
-» ... Jesus Christus!« gellte es herüber vom Zelt des Kommandierenden.
-
-Und dann brachte ein Adjutant eine Depesche, die merkwürdigerweise
-nicht chiffriert war. So ungefähr lautete sie:
-
-»Kommandierender General der Armee, Washington. -- Greife bei
-Tagesanbruch an. Brauche Verstärkungen, Proviant, Hospitalschiff. --
-Shafter.«
-
-Da schien es uns, als wollten die Minuten so gar nicht vergehen,
-und wir fluchten fürchterlich über den Kleinkram von Depeschen nach
-Siboney, die alle mehr Proviant, mehr Munition forderten. Souder,
-der ein Künstler im Bearbeiten des Tasters war, telegraphierte mit
-fabelhafter Geschwindigkeit, wollte er doch die Arbeit loswerden und
-schwatzen. Zwanzig Minuten lang hielt es der Sergeant in Siboney aus,
-dann unterbrach er:
-
-»=p p p= Privat. Höll' und Verdammnis, seid ihr verrückt geworden? Ich
-komm' nicht mehr mit -- hab doch keine Schreibmaschine hier -- muß
-bleistiftkritzeln -- lang -- samer!!«
-
-»Arbeite, mein Sohn!« antwortete Souder. »Und sei nicht so verdammt
-vertraulich. Wir sind in den Vorposten und du bist sicher vom Schuß --
-also arbeite wenigstens, Freund!«
-
-»Warte -- wenn ich dich erwische ...« kam es wütig klickend zurück.
-
-Woraus hervorgehen mag, daß wir nicht etwa letztwillige Verfügungen
-trafen und uns gegenseitig letzte Lebewohlbriefe an unsere Bräute
-anvertrauten, wie das in frommen Bilderbüchern von Soldaten vor der
-Schlacht berichtet wird, sondern daß wir uns einfach bodenlos freuten
--- wie kleine Jungens, denen die Mama gesagt hat: »In fünf Minuten
-dürft ihr auf die Straße und Indianer spielen!«
-
- * * * * *
-
-Die tief heruntergebrannte Pechfackel loderte. Auf dem schlammigen
-Weglein draußen zog es immerwährend, ohne Aufenthalt, vorbei von
-Männern, so müde, daß sie gebeugt schritten. Regiment auf Regiment
-passierte. Mann hinter Mann, so schmal war der Pfad. Graubärtige
-Obersten -- Rekruten mit Kindergesichtern. Bodenlos war das Weglein
-geworden, und die Füße der keuchenden Menschen machten bei jedem
-Schritt und Tritt ein merkwürdig plumpsendes, saugendes Geräusch, wenn
-sich die Stiefel aus dem zähhaltenden Schlick befreiten.
-
-Regiment auf Regiment zog vorbei, dem Feind entgegen.
-
-
-
-
-Die Schlacht vom San Juan Hügel.
-
- Der Morgen der Schlacht. -- Ein Schattenspiel im Nebel. -- Die
- Schlacht beginnt. -- Wir legen die Linie nach der Front. -- Meine
- erste Granate. -- Wie ich das Gruseln lernte. -- Wie andere das
- Gruseln lernten. -- Auf dem Weg zur Feuerlinie. -- Die Furt. --
- Die Panik des 71. Regiments. -- In der Feuerlinie am Waldrand. --
- Wir schießen mit. -- Die Schützengräben im San Juan Hügel. -- Der
- Gnadenschuß. -- Der Angriff ohne Befehl. -- Der San Juan Hügel
- wird im Sturm genommen. -- Zusammenhänge der Schlacht. -- Bei den
- spanischen Gefangenen. -- Rum und Zigaretten. -- Am Lagerfeuer. --
- Sie begraben die Toten.
-
-
-Die Nacht ging zu Ende. Graugelbe Bodennebel flossen über die Lichtung
-hin, in wellender, wogender Masse, wie Wasserfluten sich übers Land
-ergießen. Menschen und Zelte standen auf einem Nichts; auf dampfigem,
-zitterigem, schwadigem Rauch. Es war bitter kalt. In tiefer Stille
-lag das Hauptquartier, in dumpfes, nächtliches Grau noch gehüllt.
-Gleich trüben Schatten die Zelte. Totenstill war es. Nur in dem
-mächtigen gelben Fleck dort bei dem großen Mangobaum, dem Zelt des
-kommandierenden Generals, war schwaches Licht und lautloses Leben.
-Gespenstisch leuchtete dort Kerzenschein durch die Zeltwände, immer
-wieder unterbrochen von einem Schatten. Da drinnen ging ein Mann auf
-und ab in rastlosem Hin und Her.
-
-Das war General Shafter.
-
-Langsam stiegen die Nebel. Schwaden auf Schwaden lösten sich, in
-weißgrauen Dunst verwallend. Wie Dampf umhüllte es die Zeltmassen und
-schwebte höher und höher. Wie dünner Regen fast fiel der Morgentau, und
-frostig schlichen Kälte und Feuchtigkeit in die Haut.
-
-Da leuchtete warm und rot ein Feuer auf, draußen am Lagerrand.
-
-»Gott sei dank!« Souder nahm unsere Blechbecher und ging.
-
-»Kaffee!« sagte er, als er wiederkam. »Wollen zuerst die Feldflaschen
-füllen!«
-
-»Gute Idee,« murmelte ich.
-
-Ich holte noch zwei Becher. Der dampfendheiße Trank vertrieb uns rasch
-das nasse, klebrige Gefühl und die Uebernächtigkeit. Wir aßen einen
-Zwieback, zündeten die Pfeifen an. Immer mehr und mehr lichtete sich
-das trübe Grau. Da -- da -- was war das? -- Souder und ich sprangen auf.
-
-»Was war das?« flüsterte er.
-
-»Still -- still!«
-
-Kaum hörbar, wie aus ewigweiter Ferne, gespenstisch leise, erklang es
-in dumpfem Schallen -- krang -- krang, krang ... tacktacktack.....
-leise, ganz leise, als ob Erbsen auf einen Blechteller geworfen würden.
-Ein wenig lauter nun, dann schwächer wieder, mit Pausen von Sekunden --
-jetzt in vollerem Klang, und doch schwach und ferne wie abgedämpfter
-Trommelwirbel. Gewehrfeuer. Deutlich erkennbares Geknatter. Nichts
-regte sich um uns. Jeder schien zu stehen und zu lauschen.
-Mäuschenstill war es. Bis die klare Stimme eines Offiziers schallend
-rief:
-
-»Das ist General Chaffee!«
-
-Und im gleichen Augenblick, als folge dem Blitz der Donnerschlag,
-ergellten schrill jauchzende Jubelrufe, geschrien von den Männern des
-Hauptquartiers ... hei -- ih -- hei -- iiii -- ih!
-
-Aus der Stille wurde Bewegung, Wirrwarr.
-
-Offiziere eilten hin und her, scharfe Kommandorufe befahlen das Satteln
-der Pferde. Unser Major kam gerannt, im Laufen eine Pappschachtel
-aufreißend und sich die Revolverpatronen in die Taschen stopfend.
-
-»Signaldetachement -- =attention=!« befahl er. »Myers und Bruning
-bleiben hier. Myers, Sie überbringen dem Stabssergeanten den
-Befehl, für unsere neue Linie gleichzeitig ein Telephon und einen
-Taschenapparat einzuschalten, die je nach Funktionieren ausgewechselt
-werden. Abtreten! Die übrigen -- attention!« Er inspizierte uns rasch
-und lächelte, als er sah, daß wir uns alle Taschen mit Patronen für
-unsere Karabiner und Revolver gefüllt hatten. »Jeder Mann trägt eine
-Rolle Draht! Los!«
-
-Und hinaus ging es auf den schlammigen Pfad, der jetzt öde und
-verlassen dalag; im Laufschritt, in langen Sprüngen, immer vorwärts mit
-dem Draht, den unsere Stangen hoch ins Gebüsch schleuderten. Nichts
-behinderte uns. Die Truppen waren schon in Front. So ging es rasch
-und glatt mit der Arbeit, und als wir nach den ersten tausend Yards
-die Linie prüften, war alles in Ordnung; das Hauptquartier meldete
-sich sofort. Weiter! Das dumpfe Geknatter des Feuergefechts in der
-Ferne hörten wir kaum noch in dem Lärm der Arbeit, als es auf einmal
-schrill und klar irgendwo vorne knallte -- kreng, kreng ... in scharfem
-Gerassel -- kreng, kreng, kreng -- bing ...
-
-»Vorwärts!« schrie der Major. »Vorwärts, Kinder -- wir wollen dabei
-sein!«
-
-Länger wurden die Sprünge. Keinem Menschen begegneten wir auf dem
-Weglein, obgleich das Feuern aus nächster Nähe zu kommen schien. Der
-Schlammpfad verbreiterte sich zu einem breiten Morast, in tausende von
-Löchern und Erhöhungen zertrampelt von Tausenden von Tritten, um eine
-Ecke ging es, und aus dem Halbdunkel, der Stille des Waldwegs wurde
-flutende Helle, dröhnender Lärm.
-
-Von der Kuppe des Hügels da drüben schossen weiße Dampfwolken, und
-dumpfes Gekrache erschütterte die Luft. Nun Stille. In grellem
-Sonnenlicht lag breit der Weg da, frei und offen auf einer Strecke von
-mehreren hundert Metern, dann in dunkler Waldlinie sich verlierend.
-Grasland säumte ihn; ein Busch, ein Mangobaum hie und da. Dicht an
-der Wegbiegung floß träge ein Bach von schmutziggelbem Wasser, das
-San Juan Flüßchen. Zwei Bretter führten über das Wässerlein zu einem
-engen Pfad durch niedriges Gebüsch auf den Hügel. Rechts bog der breite
-Weg ab, das Tal entlang; links führte der Fußpfad zum Hügel. Zwischen
-beiden, ganz im Vordergrund, erhob sich verwittertes altes Gemäuer mit
-allerlei Maschinen, die Ueberreste der alten Zuckermühle von El Pozo.
-Im nächsten Augenblick jagten Reiter an uns vorbei auf das Gemäuer zu,
-sprangen ab, rissen Karten aus den Taschen. Das war der Generalstab.
-
-Bang! krachte ein Geschütz auf dem Hügel.
-
-»Ruhig, Kinder -- ruhig!« sagte der Major. »Der Draht wird von dem
-Mangobaum dort über den Bach gespannt ---- in dem Einschnitt drüben
-errichten wir die Station -- Carlé, bringen Sie das Telephon hinüber
-und stellen Sie die Verbindung her!«
-
-Ich nahm den Apparat und ging zum Steg. Auf den Brettern zauderte ich
-einen Augenblick, denn ich war wie ausgetrocknet vor Durst, hatte
-ich doch den Kaffee in der Feldflasche schon längst ausgetrunken und
-brannte ja die Sonne so glühend heiß herab trotz des frühen Morgens,
-daß der Schweiß in Strömen an mir herunterlief. Aber das Wasser
-da unten, pfui Teufel, nein, das Wasser da unten sah denn doch zu
-schmutzig aus. Ich zauderte -- zauderte ---- und der Durst siegte glatt
-mit sieben Längen über Appetitlichkeit und Vernunft, denn der Lausbub
-beugte sich schleunigst nieder, Blechbecher in der Hand; tauchte ein,
-lüpfte den gefüllten Becher empor und sah in maßlosem Erstaunen, daß
-aus den beiden Seiten dünne Wasserstrahlen spritzten. Links ein Loch,
-rechts ein Loch; eingebeult das eine, ausgebeult und zerfetzt das
-andere. Da -- da war ja eine Kugel durchgefahren! Ich starrte verblüfft
-den Becher an und blieb wie angenagelt stehen. Eine Kugel durch meinen
-Becher gefahren! Während er an meiner Brottasche hing! Und ich hatte
-nichts gemerkt!
-
-»Schmeiß 'n weg -- taugt nichts mehr!« rief Souder, als ob ich das
-nicht selber gewußt hätte.
-
-Nachträglichen Schrecken aber empfand ich nicht und auch dann noch
-nicht, als es über meinem Kopf gellend daherfuhr, doch unwillkürlich
-duckte ich mich. Denn was das unheimliche Sausen da oben bedeutete,
-verstand ich sofort, und jeder andere hätte es verstanden -- s --
-ss -- sss -- surrr -- ssss -------- N -- nein, es läßt sich nicht
-wiedergeben, dieses sausende unheimliche Schwirren, dieses Surren,
-dieses gellende Dahergepfiffenkommen. Aber ich fürchtete mich ganz
-bestimmt noch nicht, sondern trug behutsam das schwere Telephon an
-seinen Platz, wenn ich auch gar zu gern auf irgend etwas losgeballert
-hätte, damit auch andere Leute es sausen und schwirren hörten. Ich nahm
-meinen Karabiner von der Schulter. Der Major sah mir lächelnd zu und
-zerkaute seinen Schnurrbart.
-
-»Warten, warten!« sagte er leise. »Hat noch gar keinen Sinn. Wir kommen
-schon noch daran.«
-
-Im gleichen Augenblick fror ihm das Lächeln fest und seine Augen
-wurden starr. Aber er blieb kerzengerade stehen. Ich fühlte, wie ich
-totenblaß wurde. Mit gellendem Geheul kam da etwas herangejagt, etwas
-Fürchterliches -- sss -- ssss -- hui. iih.. iiiiih ... schrillend
-wie eine Dampfpfeife -- entsetzlich -- ich glaubte den Luftdruck zu
-verspüren -- ich hatte so fürchterliche Angst, daß ich am liebsten
-hinausgebrüllt hätte in Furcht und Grauen wie ein wildes Tier,
-hätte ich nur gekonnt. Aber ich konnte nicht. Der Hals war mir wie
-zugeschnürt. In meiner Kehle steckte ein großes rundes Ding, das mich
-würgte und drosselte und ersticken wollte, während eine eiserne Faust
-mir auf den Schädel schlug. Ich -- wollte -- schreien -- ich -- konnte
-nicht!
-
-Und es war herangeheult und schlug krachend ein. Flammen sprühten auf,
-und ich wurde zu Boden geschleudert ...
-
-Ich spuckte die Erde aus.
-
-»Pfui Deibel,« sagte der Major und diesmal lachte er nicht, »das war
-eine Granate!«
-
-»F -- f -- furchtbar!« stotterte ich.
-
-Und schämte mich nicht zum Sagen, als die klaren harten Augen des
-Majors mich scharf ansahen, denn ich hatte, als echter Junge, eine
-bodenlose Angst, er könne mir die blasse, schlotternde Furcht angemerkt
-haben. Heutzutage würde ich mich schleunigst und gänzlich =sans gêne=
-tief in Mutter Erde einkratzen, wenn Granaten in der Nachbarschaft
-umherheulten -- aber -- aber mir scheint, Krieg läßt sich doch
-am besten führen mit Zwanzigjährigen und den Urimpulsen, die vom
-Urmenschen her in junger Männlichkeit schlummern. In den nächsten
-dreißig Sekunden müssen gewaltige Erregungen an meinen jungen Nerven
-gezerrt haben. Ich weiß noch ganz genau, daß ich an allen Gliedern
-zitterte und am liebsten geheult hätte. Daß ich krampfhaft nach Luft
-schnappte. Daß mir zum Erbrechen übel war. Daß aber die Eitelkeit in
-mir sich auf einmal wehrte, und daß ich mich bolzengerade aufrichtete,
-als es wieder heulend daherkam -- und doch war es nur eine Komödie,
-die ich mir selber vorspielte -- denn ich fürchtete mich wirklich! Ich
-fürchtete mich schandbar!! Die Granate schlug ein. Ziemlich weit weg
-von uns diesmal.
-
-Da kam der Umschwung.
-
-Bang -- bang -- krachten die Geschütze der amerikanischen Batterie auf
-der Hügelkuppe dicht vor uns.
-
-Fünfzig Meter hinter den Geschützen am Kuppenrand lag ein alter
-Stall, oder was das Ding sein mochte, ein halbzerfallenes, niedriges
-Holzgebäude jedenfalls, und auf dem flachen Dach drängte sich eine
-Menge halbnackter Kubaner, die bei jedem Schuß der Batterie ein
-infernalisches Freudengebrüll ausstießen und mit Händen und Beinen
-zappelten in unheiligem Vergnügen. Einen greulichen Skandal machten
-sie. Ich sah ganz mechanisch hin (dennoch schlotterte in mir die
-Angst!) und empfand ebenso mechanisch die Abneigung des weißen Mannes
-gegen derlei südländische Hanswurstiaden. Während ich guckte, kam
-es wieder dahergeheult und -- schlug feuerspeiend und dampfsprühend
-mitten in das Dach, mitten in die gestikulierenden, tanzenden,
-schreienden Söhne der Perle des Südens hinein ... und den Bruchteil
-einer Sekunde später sah das Dach genau so aus wie das gute alte
-Sprungbrett im Ungererbad in Schwabing, wenn an heißen Augusttagen wir
-Jungens uns zum Sprung drängten: Die Señores hopsten. Sie machten die
-erstaunlichsten Kopfsprünge. Sie schienen in geradezu wahnsinniger Eile
-den interessanten Ausblicksort zu verlassen. Es schlenkerte nur so in
-der Luft von kubanischen Freiheitskämpfern. So schnell ist nirgends in
-der Welt jemals eine randalierende Galerie geräumt worden!
-
-Da lachte ich, daß mir die Tränen in die Augen kamen, und lachte und
-lachte, und lachen hätte ich müssen, wenn auch der heulende Dämon
-aus der Maschine mit seinem grimmigen Kriegshumor zwanzig zeternden
-Hampelmännern den Garaus gemacht hätte. Merkwürdigerweise war aber
-nicht ein einziger der Spektakler verletzt worden, wie uns zehn Minuten
-später ein Artillerieleutnant lachend erzählte. Der Major lachte
-auch. Das ganze Detachement lachte. Und in diesem Lachen starb meine
-schlotternde Furcht eines rechtzeitigen Todes; man kann nicht lachen
-und sich fürchten zugleich. Aber in meinem Hals brannte und würgte
-etwas, und die Kehle war mir wie ausgedörrt. Ich sprang die wenigen
-Schritte zum Bachufer hin, warf mich in den zähen gelben Lehm auf den
-Bauch, steckte den Kopf ins Wasser und trank gierig wie ein Tier in
-langen Zügen das schmutzige, lauwarme Zeug --
-
-»Carlé!« rief der Major scharf.
-
-Ich trank und trank.
-
-»Carlé! Lassen Sie den Unsinn! Sie holen sich bestimmt das Fieber!«
-
-Er schüttelte mißbilligend den Kopf, als ich ein wenig beschämt
-zurückkam, mir den Schmutz von Hemd und Hosen reibend, und brummte
-irgend etwas über die verdammte Wassersauferei. Aber in seinen Augen
-war ein Lächeln ...
-
-Die Batterie droben feuerte jetzt nur selten, vereinzelte Schüsse in
-langen Zwischenräumen, und die spanischen Geschütze schwiegen ganz.
-Hie und da summte und surrte es über unseren Köpfen. Im Wald knallten
-vereinzelte Schüsse.
-
-Den schmalen, steilen Hügelpfad herab kamen Kanoniere, halb kletternd,
-halb rutschend, irgend etwas mit sich zerrend; ein graues bündeliges
-Etwas. Als sie die Krümmung im Gestrüpp erreicht hatten, wo der
-Pfad breiter und ebener wurde, hoben sie das graue Bündel auf ihre
-Schultern und schritten langsam näher, behutsam, als trügen sie eine
-schwere Last. Der eine, ein Korporal, salutierte den Major: »Kanonier
-von der Batterie Grimes, =sir=,« meldete er. »Kanonier Johnson,
-=sir=. Herzschuß. Ich habe Order, =sir=, den Toten am Hügelrand zu
-begraben.« Er schlug die Zipfel des Bündels zurück, und da lag in der
-grauen Armeewolldecke ein toter Mann. Aus dem bläulichen, furchtbar
-verzerrten Gesicht starrten weitoffen tiefbraune Augen, als könnten
-sie noch sehen. »Herzschuß, sir,« sagte der Korporal. »Stand neben
-mir. Sprang in die Luft und war tot.« Sie hatten dem Toten Jacke und
-Hemd aufgerissen, und der Korporal deutete feierlich auf den winzigen
-schwarzen Punkt unter der linken Brustwarze, der sich scharf von der
-weißen Haut abhob. Wir grüßten stumm, während die Kanoniere ihre Last
-wieder aufnahmen und im Gebüsch verschwanden.
-
-Es war sonderbar still geworden; nur dann und wann kam das
-peitschenartige Schallen aus dem Wald. Ich sah mich um. Jede Farbe,
-jeder Gegenstand, jeder Schatten trat klar und scharf hervor im grellen
-Sonnenlicht; knallgelb der breite, verlassene Weg, hellgrün das
-üppige Gras am Wegrand, dunkler die mächtigen Wipfel der Gruppen von
-Mangobäumen, leuchtend dazwischen am Weg und im Gras allerlei bunte
-Flecke, blau und weiß und grau. Das weiße Segeltuch der Tornister
-und das Grau der Soldatendecken und das Blau der Uniformröcke, die
-überall umherlagen am Weg entlang. Die zur Front eilenden Truppen
-hatten alles weggeworfen, was sie irgendwie entbehren konnten, und
-mehr. Beim Gemäuer der alten verfallenen Zuckermühle, deren rostige
-Maschinenreste rot glänzten in der Sonne, standen in kleinen Gruppen
-die Generalstabsoffiziere, über Karten gebeugt. Ein Pferd wieherte
-leise. Weiter weg graste friedlich ein Maultier und wedelte krampfhaft
-mit dem geschorenen Schwanzstummel, sich die Fliegen zu verscheuchen.
-Da kam es wieder herangeheult und schlug in Dampf und Flammen ein,
-keine zwanzig Schritt weg von der nützlichen Mißgeburt aus Pferd
-und Esel, die ihre berühmte Indolenz sogar im Granatfeuer glänzend
-bewährte. Denn Mr. Maultier wedelte eifrig weiter mit dem Schwanz und
-ließ sich nicht eine Sekunde lang in der angenehmen Beschäftigung des
-Grasens stören.
-
-»Bravo!« rief Souder. »Das is 'n richtiges, approbiertes,
-Geschützfeuer-stubenreines, verdammt famoses, altes Onkel-Sam-Maultier
--- hurräh -- schert sich den Teufel um die alten Granaten -- hurräh!!«
-
-Schallendes Gelächter.
-
-Oberst Green kam von der Zuckermühle herbeigeschritten, begrüßte
-unseren Major, flüsterte mit ihm und breitete eine Karte auf den
-Knien aus, hier und dorthin deutend. Ich verstand: »-- spanische
-Batterie feuert mit rauchlosem Pulver -- noch nicht entdeckt -- jawohl,
-überhaupt nur ein einziger Weg -- natürlich verstopft -- nein, Major,
-hat vorläufig noch gar keinen Sinn -- Sie kämen wahrscheinlich gar
-nicht durch mit Ihren Leuten -- wie meinen Sie? -- Hm ...« Dann sprach
-der Major eifrig auf ihn ein, und der Oberst nickte und ging wieder.
-
-»Achtung!« befahl der Major laut. »Sergeant Ryan -- Sie übernehmen die
-Station! Sie bleiben unter allen Umständen beim Apparat und sind mir
-für alle Meldungen verantwortlich. Den Befehl zur Verlängerung der
-Linie bis zum Waldrand dort erhalten Sie von Oberst Green persönlich
-und lassen dann den Draht von drei Mann über die Mangobäume den Weg
-entlang legen. Ich werde nun den geeigneten Platz zur Anlage der
-nächsten Station in der Feuerlinie feststellen. Mit mir kommen --« und
-suchend glitt sein Auge von einem zum andern.
-
-Da sahen wir ihn hungrig an wie gierige Hunde, die lechzend darauf
-warten, wem wohl von ihnen der Herr den Brocken zuwirft.
-
-»Mit mir kommen Souder und Carlé. Eine Signalflagge, Karabiner,
-Revolver, Feldflasche, Glas -- sonst nichts!«
-
-»=Oh hell= ...« murmelte einer der Enttäuschten.
-
- * * * * *
-
-In zehn Minuten hatten wir den Waldrand erreicht und marschierten nun
-wieder auf dem alten Dreckpfad, der uns schon so vertraut geworden war.
-Die starre Gebüschwand freilich war verschwunden, denn links und rechts
-lag zwar rankenversponnener Urwald, verwuchert von Schlinggewächsen,
-aber ein Stück weit wenigstens konnte man hineinsehen. Da und dort im
-Schlamm steckte ein Tornister, eine Wolldecke, ein Hut. Wir sprangen
-vorwärts, so rasch es gehen wollte in der dörrenden Hitze. Immer noch
-knallten nur vereinzelte Schüsse. Nach einigen hundert Metern kamen
-uns Verwundete entgegen mit blutigen Verbänden um Köpfe und Glieder,
-langsam zurückstolpernd, aber wir sahen kaum hin, denn brennende
-Neugierde und hetzende Ungeduld trieben uns vorwärts. Ein Toter
-lag am Wegrand, die Knie emporgezogen, die Arme lang ausgestreckt.
-Die glasigen Augen schienen starr in den Schlamm zu blicken. Der
-Pfad krümmte sich. An der Ecke, aus den Bäumen, flatterte die Rote
-Kreuzfahne, und am Boden kauerten stöhnende Gestalten, zwischen denen
-Aerzte hin und her eilten. Die Verbände glänzten grell weiß. Wir
-eilten weiter. Das Gewehrfeuer wurde heftiger und schien von überall
-zu kommen; von vorne und von links und von rechts; über unseren Köpfen
-sauste es zischend und surrend und dumpf aufklatschend in Laub und
-Bäumen. Ein Verwundeter blieb stehen, salutierte täppisch und riß die
-Kleider auf, uns in groteskem Stolz eine winzige Schußstelle im Bauch
-unter dem Nabel zeigend.
-
-»Teufel,« sagte er. »Es tut gar nicht weh! Wo is -- mm -- das
-Hospital?«
-
-Ich deutete rückwärts. Und grinsend schritt der Schwerverwundete dahin,
-nachdem er sich noch Feuer für seine Pfeife von Souder hatte geben
-lassen ... »=Good God!=« sagte der Major leise.
-
-Ah -- und nun fing der Tanz an -- racktacktacktack -- rack -- kreng,
-kreng ... schweres rollendes Feuer irgendwo da vorne, klar und hell
-dazwischen Salven. Ueberall um uns schlug es ein in die Bäume. Zu sehen
-aber war nichts -- gar nichts ... Doch! Wieder krümmte sich der Weg,
-und zwischen den Bäumen schimmerte es blau und stählern von Truppen und
-dröhnte von Lärm und Geschrei.
-
-»Laufschritt -- Laufschritt ...« rief der Major.
-
-Ein Leutnant hinkte herbei, eine blutige Binde um den Fuß.
-
-»Schwer verwundet?«
-
-»Nein, Herr Major. Knöchel kaputt.«
-
-»Tut mir leid, tut mir sehr leid. Was sind das für Truppen?«
-
-»71tes Freiwilligen-Regiment. Das New Yorker Regiment, Major.«
-
-»Ich danke sehr.«
-
-Und weiter ging es im Laufschritt, und nach drei Minuten waren wir
-mitten -- in einem Tollhaus. Unter Wahnsinnigen, unter Menschen, die
-Waffen trugen und jung waren, und dennoch kreischten in fürchterlicher
-Angst wie Weiber. Sie stießen sich und drängten sich und schrien und
-duckten und hielten die Hände schützend vor die Köpfe, irgend eine
-unsichtbare Gefahr abzuwehren. Der Weg war völlig verstopft. Ein
-panikgeschüttelter Menschenhaufe wogte hin und her, den Offiziere
-vergeblich vorwärts zu treiben versuchten. Eine Kette hatten sie
-gebildet, die Kapitäne und Oberleutnants und Leutnants, und fluchten
-und schrien und hieben mit den flachen Säbeln drein. Ich starrte.
-Irgend etwas war da -- irgend etwas ...
-
-»Pack, Pack -- verfluchtes Pack!« zischte der Major.
-
-Da warf dicht vor uns ein Korporal mit gellem Schrei die Arme empor,
-stürzte schwer zu Boden, und die Soldaten um ihn wichen entsetzt
-zurück. »Revolver 'raus, Kinder!« schrie der Major. »Mir nach!«
-
-»Platz!! _Platz!!! Zurück in die Bäume!!_!«
-
-Was alle Drohungen und alles Gebrüll der eigenen Offiziere nicht
-vermocht hatten, erzielte das messerscharfe, schrille Kommando mit
-seiner klaren, bestimmten Weisung. Links und rechts von uns taumelte es
-in die Bäume, und langsam wurde der Weg frei.
-
-Ich sah tiefen Schlamm -- sonnenfunkelndes Wasser ... Wir drängten
-uns vorwärts. Der Pfad senkte sich abschüssig und verlor sich in
-einen breiten Bach schmutzigen Wassers. Mitten im Wasser lag ein
-toter Soldat, und dicht am Bachrand kauerten Leichen -- drei -- fünf
--- sieben ---- im Knäuel, hingeschleudert von den Geschossen; das
-Flüßchen war unter scharfem feindlichem Feuer. Die New Yorker zeterten.
-Hinter uns kam es herangerasselt, und in scharfem Tempo jagte die
-Maschinengeschütz-Abteilung herbei, Reguläre im Laufschritt, drei
-Gatlingkanonen vorwärtsschiebend und stoßend und zerrend. Hop -- hinein
-ins Wasser -- hop -- waren sie hinüber, ohne einen einzigen Mann
-verloren zu haben. Wir mit ihnen. Drüben ertönte eine laute Stimme:
-
-»Re -- gu -- läre! -- auf mein Kommando -- zu Zweien reiht euch ein --
-im Laufschritt -- vorwärts marsch ... marsch -- eins, zwei -- eins,
-zwei -- eins, zwei ...«
-
-Und in scharfem Takt trippelte, als sei sie auf Parade, eine halbe
-Kompagnie regulärer Infanterie heran, geführt von einem blutjungen
-Leutnant, trippelte im gleichen Takt hinein ins Wasser, trippelte
-heraus -- Das panikbefallene New Yorker Regiment aber steckte immer
-noch unter den Bäumen.
-
-Der tückische Zufall des Kriegs hatte es gefügt, daß scharfes,
-indirektes spanisches Feuer sich auf die von überall völlig unsichtbare
-San Juan Furt im Walde konzentrierte, gerade in dem Augenblick, als
-die New Yorker Freiwilligen ins Wasser marschierten. Die ersten waren
-weggefegt worden, in einem Haufen, und da und dort noch im Regiment
-stürzten Getroffene. Die Spitze drängte zurück und die Panik war da.
-Die Soldaten, die im Gedräng nichts mehr sehen, den unsichtbaren Feind
-nicht erblicken konnten, wurden wie toll vor Angst.
-
-Der Major war stehengeblieben und kaute auf den Schnurrbart. »Sie
-erinnern sich doch,« sagte er, »an das Flüßchen, das wir gestern vom
-Hügel aus sahen?«
-
-»Jawohl, Major.«
-
-»Na, das hier ist's. Haben Sie eine Ahnung, ob wir links abgekommen
-sind? Ich glaube, ja. Die erste Wegkrümmung war nach links, die zweite
-ebenfalls, nicht wahr?«
-
-»Jawohl. Die Hügel, die wir sahen, müssen schräg vorne rechts sein.«
-
-»Glaub' ich auch. Hm. Sagen Sie einmal, wie ist Ihnen zumute?«
-
-»Ich -- ich möchte etwas sehen!« stotterte ich.
-
-Er lachte. »Und Sie, Souder?«
-
-»Wenn der Herr Major gestatten -- ich finde, es ist eine verdammte
-Gemeinheit, da im Wald stecken zu müssen und beschossen zu werden und
-nicht ein einziges Mal selber schießen zu dürfen. Und ich bin froh, daß
-ich über dem Wasser bin!«
-
-»Ich auch -- Teufel, ich auch!« lachte der Major. »Na, Kinder, ich bin
-zufrieden mit euch und ich werde noch viel zufriedener sein, wenn ihr
-möglichst wenig plaudert. Wir hätten eigentlich schon längst zur Linie
-zurückkehren sollen und haben hier gar nichts zu schaffen. Ich muß mir
-da erst eine faustdicke Lüge ausdenken, um -- na ja. Wollen uns noch
-ein bißchen umgucken!«
-
-Und er lachte. Ein Spitzbubenlachen ...
-
-Verschwunden waren die harten, energischen Linien aus seinem
-scharfgeschnittenen Gesicht, das der dichte schwarze Schnurrbart älter
-erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war, und verschwunden die
-abwehrende Würde des Aelteren und Befehlenden. So jung ich war, so
-begriff ich doch, daß in ihm das Gleiche vorging wie in mir; daß die
-Neugierde ihn plagte bis zum Bersten und die jungenhafte Sehnsucht,
-dabei zu sein. Ein Junge war er jetzt wie ich -- wie Souder ---- ein
-Junge, der es ebenfalls als eine »verdammte Gemeinheit« empfand, da im
-Wald zu stecken und -- _nicht sehen zu dürfen_.
-
-Fortgesetzt pfiff es über uns dahin.
-
-Der Schlammweg war noch da, aber im Walddunkel blitzten helle
-Strecken auf im Sonnenlicht. Es wurde immer lichter. Die Bäume wichen
-auseinander und bildeten Gruppen, und scharfausgeprägte Lichtflecke
-im Gesichtskreis ließen freies Grasland ahnen. Da fuhr ich auf einmal
-zusammen, denn in das Knattern hinein dröhnte es in rasselnder
-Fürchterlichkeit.
-
-»Die Gatlings!« schrie der Major. »Jungens, wir sind da!« Er riß das
-Glas hervor. »Rechts! Vorwärts -- vorwärts!«
-
-Wir stürmten zwischen den Bäumen dahin, stolperten über Wurzeln und
-Ranken, tappten im tiefen Gras und waren am Waldrand, mitten in langer
-Schützenlinie, umtost von einer Hölle dröhnenden Geknatters.
-
-Mit blitzartiger Geschwindigkeit warfen wir uns zu Boden, denn jetzt
-pfiff es nicht mehr angenehm hoch oben in den Bäumen dahin, sondern
-dicht an den Ohren vorbei. Ich befühlte verstohlen meine linke
-Ohrmuschel -- n -- nein -- es war nichts -- aber es mußte scheußlich
-nahe gewesen sein! Dann räkelte ich mich und streckte mich und bohrte
-mit meiner Körperschwere, um mich der schützenden Erde so nahe
-anzuschmiegen, als es nur irgendwie möglich war.
-
-Rechts lag der Major, links Souder. Schienen sich auch recht wohl zu
-fühlen am Erdenbusen, lagen wenigstens sehr flach da! Ich hob den Kopf
-ein wenig und sah -- nichts. Dicht vor meiner Nase war eine winzige,
-wellenartige, grasbewachsene Bodenerhöhung, was mir sehr zweckmäßig
-schien, aber -- zum Kuckuck, ich wollte doch etwas sehen! Langsam
-streckte ich die Hand vor, jeden Augenblick erwartend, daß eine Kugel
-hineinfuhr, und kratzte mir einen runden Ausschnitt in die schützende
-Deckung. Und nun vergaß ich auf einmal die wiedergeborene Angst und
-starrte wie gebannt in die Sonnenhelle hinaus. Zehn Schritte vor mir
-lag ein toter Regulärer, auf dem Rücken, zusammengekrümmt, das Gewehr
-noch in den Fäusten über dem Leib. Sein Schädel war eine einzige
-Blutmasse.
-
-Vor mir konnte ich eine weite, freie Strecke überblicken. Gras,
-Gestrüpp, ein paar Bäume. Dahinter erhob sich, dreihundert Meter etwa
-entfernt, ein massiger Hügel, an den links und rechts sich andere Hügel
-anschlossen. Es war der San Juan-Hügel. Ich sah durch das Glas. Auf
-dem Hügel rührte sich nichts, aber ich konnte braune Linien entdecken,
-über denen Dunstfäden schwebten. Das waren Schützengräben. Dunst von
-rauchschwachem Pulver. Oben auf der Kuppe des Hügels, im Gestrüpp,
-stand ein Blockhaus.
-
-Neben mir schoß etwas vorwärts; der Major war es, der in zwei Sätzen
-zu dem Toten sprang, sich neben ihn hinwarf -- ah, jetzt griff er nach
-dem Gewehr in seinen Händen und hakte ihm den Patronengürtel aus, dann
-eilig mit seiner Beute zurückkriechend ... Da schob ich den Karabiner
-vor -- bang -- auf die braune Linie dort im Hügel -- bang -- bang.
-
-Neue fünf Patronen. Auch der Major und Souder gaben Schuß auf Schuß
-ab. Ich feuerte und feuerte. Und unaufhörlich kam es herangesaust und
-schlug dumpf ein irgendwo.
-
-Mein Karabinerlauf war heiß geworden. Ich sah um mich. Die Männer der
-Schützenlinie lagen im Gras nach links und nach rechts den Waldrand
-entlang, so weit man sehen konnte. In dichten Haufen hier, vereinzelt
-dort, feuernd, was die Gewehre hergaben. Links, zwanzig, dreißig
-Schritte vor mir, hockte hinter dem dicken Stamm eines Mangobaums ein
-Trompetersergeant, der mit rasender Schnelligkeit schoß. Die glänzende
-Signaltrompete auf seinem Rücken leuchtete wie flackerndes Licht. Und
-Lärm überall --
-
-Stöhnen -- Schreie ----
-
-Jetzt ein Brüllen, daß der Atem mir stockte. Ein wahnsinniges Aufheulen
--- und ein Mensch sprang empor wie ein Ball und wälzte sich im Gras vor
-der Feuerlinie, sprang wieder auf und brüllte mit einer Stimme, die
-nichts Menschliches mehr hatte:
-
-»M -- mein L -- leib -- das bre -- ennt! -- oah.. oh ...«
-
-Das furchtbare Ding tanzte und sprang und brüllte wie ein Tier -- und
-dann gellte es auf einmal, so überlaut, so entsetzlich, als dränge alle
-Höllenpein und aller Schmerzensjammer sich in einen einzigen Aufschrei:
-
-»=K -- i -- ii -- ll me! K -- ii -- ll me!= Tötet mich -- Freunde,
-tötet mich!«
-
-Ich war auf die Knie geschnellt und hob den Karabiner, aber der Lauf
-zitterte und wackelte wie ein Grashalm im Wind. Das fürchterliche Ding
-vor mir schoß noch einmal auf, taumelte, brach zusammen und lag still
-da. Viele Gnadenschüsse hatten seinen Jammer geendet.
-
-»Ruhe!« kommandierte eine scharfe Stimme.
-
-»Zur Hölle mit der Ruhe!« schrie es in Antwort.
-
-Und plötzlich, als sei das ein Signal gewesen, sprach und schrie ein
-jeder, daß das Stimmengewirr den Feuerlärm übertönte. Die überspannten
-Nerven waren am Zerreißen, und die Spannung machte sich Luft.
-
-»'ran an die Bande da drüben!« schrie einer links. »Hier ist 6te
-Kavallerie.«
-
-»Hier ist 1te Infanterie --«
-
-»Bei Gott, sollen wir Reguläre uns hier verpfeffern lassen?«
-
-Bajonette wurden herausgerissen und schnappten klirrend in die Federn
-an den Gewehrläufen ein. Der Major zog seinen Revolver.
-
-»Schnellfeuer!!« schrie irgend jemand.
-
-Rasselnd rollte das Feuer mit furchtbarer Geschwindigkeit aus
-dem Waldrand. Wie von selbst eine Pause nun. Da schrie der
-Trompetersergeant gellend:
-
-»Jungens -- Reguläre -- gebt ihnen -- Hölle --«
-
-Und er sprang zehn, zwölf Meter weit vor und warf sich hin. Andere
-folgten -- warfen sich hin -- weiter unten andere -- warfen sich hin,
-feuerten ... Auf einmal lag ich ebenfalls ein Stückchen weiter vorne
-und pumpte das Karabinermagazin leer. Noch weiter vorne sah ich den
-Major. Dann rannte es neben mir, und ich lief mit, die Augen immer auf
-dem Major, und holte ihn ein und warf mich hin, weil die anderen sich
-hinwarfen, und feuerte, weil die anderen feuerten.
-
-»Gebt -- ihnen -- Hölle!« brüllte es.
-
-Ich stolperte über Stacheldraht, fiel, sah, wie der Major und Souder
-wenige Schritte neben mir ebenfalls stürzten, griff in den Draht und
-riß mir die Hände blutig, kam frei, sprang wieder vorwärts. Neben mir
-Souder und der Major. Da, ganz in der Nähe, ragte es grasig steil auf,
-und braune und blaue Flecke krabbelten an Händen und Füßen empor; -- da
--- brüllendes Geschrei ertönte, und vorwärts ging es mit den anderen.
-
-In Grasbüschel krampften wir uns ein, und das niedrige Gestrüpp packten
-wir und schoben und zerrten uns hoch. Plumps -- fielen wir in einen
-Schützengraben, fluchten, kletterten wieder --
-
-und _waren oben_ ...
-
-Unten lag ein Tal voller Gestrüpp, und zwischen dem Gestrüpp sah ich
-zwei, drei weiße Hüte auftauchen, weit weg, und feuerte blindlings
-hinterdrein ------ auf die einzigen Spanier, die ich überhaupt deutlich
-zu Gesicht bekommen hatte!
-
-»Lassen Sie die Schießerei!« sagte der Major. »Wir haben hier überhaupt
-nichts zu suchen und hätten gar nicht mitmachen dürfen. Jetzt aber
-ist es höchste Zeit, an unsere Pflicht und unsere Station zu denken!!
-Warten Sie hier auf mich!«
-
-So wurde die Schlacht vom San Juan-Hügel gewonnen. Nicht von einer
-Armee, nicht von Regimentern, nicht von Kompagnien einmal, sondern
-von einem Haufen, nein, von Dutzenden von Häuflein einzelner Männer,
-denen das anscheinend ergebnislose Schießen aus der Schützenlinie
-auf die Nerven fiel. Dazu kamen die schweren Verluste, gegen die
-man wehrlos war. Ich bin überzeugt, daß der arme Teufel mit dem
-zerschossenen Unterleib, der schreiend in seiner Qual vor der Front
-hin und her taumelte, sein gut Teil zu dem Siege beigetragen hat, zu
-dem mühelosen Siege, denn jenes anscheinend so tollkühne Anstürmen
-gegen den Hügel kostete nur wenige Menschenleben, so aufregend es war
-während der kurzen zehn Minuten des Vorwärtsjagens. Von einzelnen
-Männern wurde der Hügel genommen. Eine Feuerleitung existierte nicht,
-noch irgendwelche höhere Führung, in der entscheidenden Phase. Nicht
-aus Mangel an Disziplin, denn bei den Regulären wenigstens war die
-Disziplin vorzüglich, sondern aus Mangel an Geführtwerden. Gab es doch
-überhaupt keine Verbindung zwischen den einzelnen Verbänden. Man hatte
-sorglos Regiment auf Regiment in den engen Waldweg hineingestopft ohne
-eigentlichen Plan, und in natürlicher Notwendigkeit lösten sich die
-Regimenter sofort in kleine Trupps auf, als sie in die Feuerzone des
-schwierigen Terrains kamen, nach langem hilflosem Beschossenwerden im
-Urwald. Von da aus arbeitete sich eben Trupp für Trupp und Häuflein
-für Häuflein vorwärts; in echt amerikanischer Neugierde und in echt
-amerikanisch leichtsinnigem Selbstvertrauen. Jeder Mann fühlte sich
-als »weißer Mann« und Amerikaner von vornherein mindestens zwei
-Spaniern, zwei »Dagos«, gewachsen. Ein Spanier ist ja für den echten
-Sohn Onkel Sams nur drei Schattierungen besser als ein Chinese. Ein
-verachteter =dago=. Die moralische Ueberlegenheit war da; leicht genug
-einem Feind gegenüber, der sich auf die Defensive beschränkte und seine
-Sache für eine verlorene zu halten schien.
-
-Diese Ueberlegenheit, und nur sie, gab den Ausschlag.
-
-Die spanische Verteidigungslinie auf den Hügeln mit ihren vorzüglich
-angelegten Schützengräben war ganz ausgezeichnet und uneinnehmbar,
-wären Männer gleichen Selbstvertrauens es gewesen, die sie besetzt
-hätten. Der Spanier verfügte obendrein über ein besseres und
-schnellerfeuerndes Gewehr als es das dänische Krag-Jörgensen auf der
-amerikanischen Seite war, das deutsche Mausergewehr -- er kannte
-alle Entfernungen -- alle Vorteile waren auf seiner Seite. So siegte
-nur selbstvertrauender Leichtsinn in diesem exotischen Krieg des
-Leichtsinns. Die Schlacht vom San Juan-Hügel gewannen schneidige,
-leichtsinnige Jungens, die, auch die Regulären nicht, keine wirklichen
-Soldaten im modernen Sinne darstellten trotz aller persönlichen
-Tüchtigkeit, denn sie wurden nicht geführt wie Soldaten. Erst lange
-nach der Entscheidung griffen die ordnenden Hände höherer Führer ein.
-
-Im Hauptquartier herrschte furchtbarer Wirrwarr.
-
-Gegen den Willen des Höchstkommandierenden eigentlich wurden
-die Einzelkämpfe jenes Tags gekämpft und durchgeführt, dem die
-Kriegsgeschichte den Namen der Schlacht vom San Juan-Hügel gegeben hat.
-
-Der alte General Chaffee hatte in den Nachmittagsstunden des 30. Juni
-ganz allein, nur von einem Adjutanten begleitet, das Gelände auf dem
-äußersten rechten Flügel rekognosziert und das Dörfchen El Caney stark
-besetzt gefunden. Mit dem Morgengrauen griff seine Brigade an, unter
-ähnlichen Verhältnissen wie beim San Juan-Hügel später, und während das
-heiße und langwierige Feuergefecht um das kleine Dorf tobte, erhielt er
-General Shafters Befehl, den Kampf sofort abzubrechen und der Brigade
-Hawkins bei den San Juan-Hügeln zu Hilfe zu eilen. Man fürchtete das
-Schlimmste im Hauptquartier. Die starken Verluste im Fernkampf (20
-Offiziere und 100 Mann tot, 70 Offiziere und 700 Mann verwundet),
-zusammen mit Alarmmeldungen wie dem Versagen des 71. Regiments, hatten
-den Stand der Dinge in sehr bösem Licht erscheinen lassen, und über
-die Erfolge des Tages war niemand wohl erstaunter als der Generalstab.
-General Chaffee zögerte. Er fürchtete den demoralisierenden Eindruck
-eines Zurückgehens, das als Niederlage gedeutet werden mußte. Da machte
-sich die Sache eigentlich von selbst. Kleine Trupps stürmten vor,
-und er benützte diesen günstigen Augenblick, mit zwei Regimentern zu
-stürmen. In wenigen Minuten war das alte Steinkastell genommen, das
-Dorf besetzt und der Feind in wilder Flucht.
-
-Gleichzeitig fast oder wenig später spielte sich der Endangriff
-auf den San Juan-Hügeln ab, gleichfalls gegen den Befehl des
-Höchstkommandierenden, der das Abwarten von Verstärkungen anbefohlen
-hatte. In ähnlich selbständiger Weise wurde der Hügel rechts vom
-Blockhaus von versprengten Truppen der Division Kent, der Hügel links
-vom Blockhaus von den Rauhen Reitern, Regulärer Kavallerie und Teilen
-des 1. und 9. Regiments unter Roosevelts Führung genommen. Alle fast
-gleichzeitig. Um drei Uhr nachmittags war die gesamte Hügellinie, die
-in weitem Bogen Santiago umschloß, im Besitz der Amerikaner.
-
- * * * * *
-
-Ich riß mein Flanellhemd herunter und wand es aus, wie eine Waschfrau
-ein Stück nasser Wäsche auswringt. So naß war es von Schweiß, als ob
-ich es nicht vom Leib, sondern aus dem Zuber Wasser gezogen hätte.
-Den letzten Rest schmutzigen San Juan-Wassers trank ich aus meiner
-Feldflasche und war glücklich, in meiner Tasche unter den Patronen noch
-ein Stückchen steinharten Zwiebacks zu finden. Unterdessen feuerte
-hie und da jemand. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach, und
-den Männern auf dem San Juan-Hügel wurde die Geschichte sehr bald
-langweilig, wenn es ihnen auch nicht an Munition fehlte, da inzwischen
-ein Maultiertransport mit Patronenkisten nachgekommen war. Sie waren
-hungrig und durstig und müde. Und trösteten sich mit allerlei Spässen.
-
-Witze flogen hin und her. Sie verloren den Humor nicht, diese zähen
-Regulären, wenn sie auch völlig erschöpft waren und zur Kräftigung
-nichts hatten als die jämmerlichen Reste verschmutzten Wassers in den
-Feldflaschen, ein paar harte Zwiebacke, ein Stück Speck im Tornister.
-Sie halfen sich selbst, wie sie unter höllischem Feuer sich selbst
-geholfen hatten; kratzten sich neue Schützengräben aus gegen den Feind
-zu mit ihren kurzen, breiten, praktischen Haubajonetten, und ruhten die
-einen, während die anderen arbeiteten, im schwachen, unregelmäßigen,
-abflauenden Gewehrfeuer. Dann eilten Offiziere hin und her und brachten
-langsam Ordnung in die aus allerlei Regimentern zusammengewürfelten
-Soldatenhäuflein und organisierten planmäßiges Arbeiten in den
-Schützengräben.
-
-Der Brigadestab hatte sich hinter dem Blockhaus auf der sanft
-abfallenden Hügelkuppe versammelt. Während der Major mit den Offizieren
-sprach, gingen Souder und ich zu den gefangenen Spaniern hinüber, die
-in Trupps eben herbeigeführt wurden. Dreißig, vierzig Mann mochten es
-sein im ganzen. Sie wurden von einem halben Dutzend Regulärer bewacht,
-die ihnen die Mausergewehre, die Bajonette, und die Patronengürtel
-abgenommen und auf einen Haufen geworfen hatten. Zuerst standen die
-Spanier scheu da, als ob sie Mißhandlungen befürchteten. Als aber
-einer ihrer Wächter betrübt seine leere Feldflasche beguckte, trat
-ein Spanier vor und bot ihm die seine an. Das war in dem Augenblick,
-als wir hinkamen. Der Mann im braunen Khaki betrachtete die Flasche
-vergnügt.
-
-»Wasser?« fragte er.
-
-»=Bueno -- bueno!=« grinste der Spanier.
-
-Der Infanterist setzte die Flasche an den Mund, tat einen tiefen Zug,
-wurde krebsrot im Gesicht, tanzte auf einem Bein umher und hustete
-gewaltig.
-
-»Verdammt, verdammt, verdammt ...« brüllte er, »das ist ja Rum --
-hättest's mir nicht sagen können, daß das klarer Rum ist?«
-
-Da lachten die kleinen Männlein, und Leben kam in sie. Allerlei riefen
-sie uns zu, und wir grinsten und sagten =bueno -- bueno=, wenn wir
-auch kein Sterbenswörtchen verstanden; tranken aber mit um so größerem
-Verständnis einen kräftigen Schluck des brennenden Jamaikarums und
-ließen uns mit Vergnügen ein bißchen in die Feldflaschen schütten.
-Dabei redeten die Gefangenen schnatternd auf uns ein. Sie waren alle
-kleiner als wir und schienen sehr jung. Zuckerhutförmige, weiße
-Strohhüte trugen sie und lappige Segeltuchschuhe und sonderbare
-Uniformen aus weißem Baumwollstoff mit feinen blauen Streifen. Einer,
-ein kleiner Bursche, ein Kind fast noch, stellte sich vor uns hin,
-die Arme ausgestreckt, und erzählte in sprudelndem Wortschwall irgend
-etwas. Wir begriffen sehr bald, denn der temperamentvolle Südländer
-wußte sich in Gesten und Mienenspiel ganz ausgezeichnet auszudrücken.
-Ein Ausdruck furchtbaren Entsetzens kam in sein Gesicht und seine Augen
-sprühten.
-
-»Bum -- bum, bum, bum --« machte er. »=Muy= bum, bum!«
-
-Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und tat als ob er stürze, und
-deutete auf den Boden, und machte eine werfende Handbewegung, einmal,
-zweimal, fünfmal ---- =sempre= bum, bum, bum ... und die Arme ahmten
-die mähende Bewegung einer Sense nach. In seinem Schützengraben mußte
-es bös zugegangen sein.
-
-»Er meint die Gatlings,« sagte der Major, der hinzugetreten war.
-»Maschinengeschützfeuer hat die Kameraden neben ihm weggemäht; kein
-Wunder, daß ihm das auf die Nerven gefallen ist, dem armen Teufel!«
-
-Er sagte irgend etwas zu dem Burschen, der in raschem Stimmungswechsel
-lachend nickte und ein Päckchen Zigaretten hervorzog ... Zwei
-Päckchen, drei Päckchen. Zigaretten! Mir traten die Augen beinahe aus
-den Höhlen vor Neid. Teufel, die hatten Zigaretten, und in meiner
-Tasche waren nur noch ein paar Krumen nassen, schlechten Tabaks! Der
-Major mußte ähnliches empfinden, denn er nahm das Päckchen rasch
-und zündete sich sofort eine Zigarette an, gleich darauf Souder und
-mir eine anbietend. Ob ich zugriff! Ah -- welch ein Labsal das war,
-so scharf die kubanische Zigarette auch schmeckte. Köstlich! Hunger
-und Durst und Müdigkeit waren vergessen. Da drängten sich auch schon
-die Gefangenen um uns und überschütteten uns mit Zigarettenpäckchen,
-die sie in Hülle und Fülle besaßen. Das Silberstück, das der Major
-dem jungen Burschen anbot, wurde zurückgewiesen. Er hielt es noch
-zwischen den Fingerspitzen, als ein Kubaner herbeistürzte, laut auf
-ihn einschreiend, und den silbernen Dollar mit der einen Hand wegriß,
-während er mit der anderen dem Major einen gelben Papierfetzen
-hinwarf. Dann rannte er Hals über Kopf davon und war verschwunden.
-Ein verblüffteres Gesicht, als es der Major machte, hätte kein Mensch
-machen können.
-
-»=D -- d -- damn it!=« stotterte er. »Nix Papier, nix Papier, nix gut
-Papier -- hat der Kerl gesagt. Was beim Kuckuck soll das nun heißen?«
-
-Sein Gesicht wurde noch verblüffter, als ich den gelben Fetzen aufhob,
-denn das nix gut Papier war ein nagelneuer, richtiger, korrekter,
-amerikanischer Zwanzig Dollarschein.
-
-»Was?« rief der Major.
-
-»Ein Zwanzig Dollarschein!«
-
-»Was?« Er sah die Banknote an. »Der Esel! Der unbeschreibliche Esel!!«
-brüllte er, lachend wie nicht gescheit. »Will kein Papier -- hartes
-Silber ist ihm lieber! Hat das Geld natürlich für irgend einen Dienst
-bekommen -- Herrgott, was müssen diese Leute für schlechte Erfahrungen
-mit spanischem Papiergeld gemacht haben ... Stecken Sie 'n ein, stecken
-Sie ihn ein; trinken Sie Mumm extra dry dafür mit Souder, wenn wir
-wieder im Lande Gottes sind!«
-
-So kostete ihm die Schlacht vom San Juan-Hügel einen Silberdollar,
-und uns brachte sie vier Flaschen Mumm =goût americain=, die wir im
-Restaurant des Kapitols in Washington drei Monate später getreulich
-tranken.
-
-Da kam General Hawkins mit seinem Stab, und die spanischen Gefangenen
-wurden in Reih und Glied aufgestellt, um befragt zu werden. Der Major
-schloß sich dem Stab an.
-
-»Wir müssen zurück,« sagte er, als er wiederkam. »Die Linie muß nach
-vorne!«
-
-Der Wald und der Schlammpfad nahmen uns wieder auf. Von den Hügeln her
-hallte schwaches Gewehrfeuer.
-
- * * * * *
-
-Es war Nacht geworden. Das Ballon-Detachement, das in aller Morgenfrühe
-nicht weit von der San Juan-Furt auf einer Walddichtung einen
-Aufstieg versucht hatte, mit dem Resultat geringer Erkundung, einiger
-Leichtverwundeter und eines zerschossenen Ballons, war bald darauf
-zurückgekommen und hatte schon begonnen, die Linie nach der Front zu
-legen. Wir kampierten beim El Pozo Hügel, auf der ersten Station, und
-sollten mit dem Morgengrauen Drahttransport und Linienbau aufnehmen. An
-Schlaf dachte lange niemand. Der Diensthabende am Instrument gab und
-empfing fortwährend Meldungen, denn die telegraphischen Nachrichten aus
-der Front wurden von unserer Station aus telephonisch weitergegeben.
-Was die Adjutanten, die wenigen Meldereiter und die Ordonnanzen der
-zweiten Station, die irgendwo im Wald steckte, an Depeschen brachten
-und durch uns dem Hauptquartier übermitteln ließen, war fast nie etwas
-anderes als lautes Drängen: Proviant -- Proviant -- Munition! Es fehlte
-am Nötigsten in den Schützengräben. Aber um zehn Uhr oder elf Uhr
-trampelte eine Karawane schwerbeladener Maultiere auf dem La Quasina-El
-Pozo Weg daher, die =Mules= störrisch, die Treiber fluchend über den
-furchtbar schlickigen Weg. Sie erkundigten sich bei uns, ob wir denn
-nicht glaubten, daß auch sie Gelegenheit bekommen würden, »ein bißchen
-mitzumachen«. Auch sie hatte das Schießfieber angesteckt.
-
-In dem wunderschön handlichen Loch dicht bei der Station, das die neben
-uns platzende Granate am Morgen gerissen hatte -- diese Granate und
-dieses Loch werde ich nicht vergessen, wenn ich auch sehr alt werden
-sollte! -- zündeten wir aus allerlei gesammeltem Reisig und dürrem
-Holz ein gewaltiges Feuer an, kochten miserablen Kaffee und brieten
-schlechten Speck. Viele Wolldecken hatten wir uns aufgelesen -- sie
-lagen ja überall umher -- und saßen auf weichen Sitzen, Zigaretten
-rauchend. In hohem Ansehen bei den Kameraden, nicht etwa, weil wir
-hatten mit dabei sein dürfen, denn darüber machten sie nur schlechte
-Witze, sondern weil wir Rum mitbrachten, der den dünnen Kaffee
-merkwürdig verbesserte. Und Zigaretten! Wir sprachen nur wenig. Waren
-viel zu müde dazu. Zwei, drei Feuer flackerten auf der Fläche zwischen
-Hügel und Wald. Die Batterie hatte El Pozo schon längst verlassen, um
-auf einem der eroberten Hügel Stellung zu nehmen.
-
-Einer nach dem andern wickelte sich in Decken und legte sich hin. Ich
-hätte gern geschlafen, aber ich war so unruhig, so aufgeregt, daß
-ich still am Feuer sitzen blieb und grübelte. An meinen Vater dachte
-ich, der mit Leib und Seele Soldat gewesen war, und an die wenigen
-Abende, an denen er sich herbeigelassen hatte, von Königgrätz oder
-von Vionville zu erzählen; kurz, knapp, unpersönlich, wie das seine
-herrische Art war. Wie er ganz sachlich davon gesprochen hatte, daß
-Artilleriefeuer stark demoralisierend wirke -- _und ich dachte an meine
-Granate_ ...
-
- * * * * *
-
-Da erklang es leise und zitterig irgendwo draußen in der stillen Nacht
--- tra -- lalalah -- tra -- lalaah ... tara -- rarah.... und die Wälder
-fingen den leisen Trompetenklang auf und erstickten ihn langsam, daß es
-noch leiser und noch wehmütiger schallte -- tara -- tara -- ta -- ra --
-la -- ra -- la -- r -- aaaa ... dumpf austönend in wehem, weichem Moll.
-Und zitternd erklang es wieder und wieder, da nun, dort jetzt. War eine
-Trompete ausgeklungen in leisem Hallen, setzte traurig eine andere ein
--- tara -- lala ------ Immer und immer wieder zitterte er in die stille
-Nacht hinaus, der Zapfenstreich, der heute traurig erzählte: Gefallen
-auf dem Felde der Ehre!
-
-Sie begruben die Toten.
-
-
-
-
-Der Tag nach der Schlacht.
-
- Am Lagerfeuer. -- Vom Arbeiten in den Schützengräben. --
- Nächtlicher Tropenregen. -- Auf dem Weg zur Front. -- Die
- spanischen Scharfschützen. -- Der stille Wald. --
- Verwesungsgeruch. -- Das Tal der Toten. -- Der Kopf. --
- Bloßgelegte Gräber. -- Das Kommen des Grauens. -- Das
- Leichenfeld. -- Im Hauptquartier des linken Flügels. -- Die
- Schützengräben auf dem Hügel. -- Heftiges Gewehrfeuer in der
- Sternennacht. -- Mein Maultierritt. -- Vom Feuerschein beim
- Feind und dem Rätsel der Nachtattacke.
-
-
-Kühl und frostig kam der frühe Morgen.
-
-Das Lagerfeuer war am Erlöschen, zusammengebrannt zu einem Haufen
-weißlich grauer Holzasche. Nur wenn ein Luftstoß daherstrich,
-leuchteten rote Glutpünktchen auf, und feine rote Feuerschlangen
-huschten wirr umher in dem kleinen Berge weißen Staubes. Zitternd
-schoß da und dort ein schwaches Flämmchen auf, flackerte ein wenig
-in rotgelbem Licht, löste sich los, schwebte sekundenlang über den
-huschenden Feuerschlangen und ward aufgesogen von der rings alles
-umhüllenden, schwarzen, tiefdunklen Nacht. Sekundenlang wurden die
-Schläfer in den Decken dicht am Feuer in gespenstisch verschwimmenden
-Umrissen sichtbar --
-
-Dann und wann, wenn ein Windstoß die schweren Wolkenmassen zerriß,
-tauchten die Bäume und der nahe Waldrand in ungeheuren zackigen
-Schatten auf, scharf sich abzeichnend im matten, fahlen Licht des
-Morgendämmerns. Still war es überall, totenstill. Kein Laut klang
-in die Nacht hinein außer dem leisen, ganz leisen Klicken da drüben,
-zwanzig Schritte weit weg. Ein winziger Lichtstreifen, der Schein
-der Signallaterne bei den Instrumenten, zeigte undeutlich Gestalten
-am Telephon und am Telegraphenapparat, über Taster und Membranbecher
-gebeugt, eifrig schreibend.
-
-Ich saß und lauschte. In dieser Nacht hatte ich kaum geschlafen. Das
-Klicken, das von der Front kam und zum Hauptquartier ging, erzählte
-in kurzen, knappen Meldungen an den kommandierenden General von
-Arbeit, Arbeit, Arbeit. Sie hatten arbeiten müssen wie Maulwürfe in
-dieser Nacht, die müden Männer auf den Hügeln. Tief in die Erde hatten
-sie sich eingegraben, Kilometer auf Kilometer von Schützengräben
-ausgehoben, Verschanzungen aufgeworfen. Hin und wider waren sie
-marschiert, bis die einzelnen Verbände sich nach dem Wirrwarr des
-Schlachttags wieder zusammengefunden hatten. Und in das Erzählen von
-harter Arbeit klang, in den scharfen Befehlen vom Hauptquartier, die
-Sorge --
-
-Denn immer wieder befahl General Shafter neue Verschanzungen, und immer
-von neuem schärfte er den Kommandeuren der Front ein, um jeden Preis
-die Hügellinie zu halten und auf keinen Fall ohne ausdrücklichen Befehl
-über sie hinaus vorzugehen.
-
-Nein, ich konnte nicht mehr schlafen.
-
-So ging ich zu den Instrumenten hin und hockte mich neben Souder, der
-jetzt den Dienst am Fronttelephon hatte.
-
-»Ist nichts Besonderes los,« brummte er. »Weshalb schläfst du denn
-nicht?«
-
-»Kann nicht ---- « murmelte ich.
-
-Gedankenlos hörte ich zu, wie der Sergeant mit halblauter, monotoner
-Stimme eine Meldung telephonisch weitergab -- dringend, dringend,
-dringend. Vom Hauptquartier an die Generale Lawton, Kent, Chaffee,
-Bates ... Da klatschte ein Wassertropfen auf meine Hand, ein zweiter
-nun, ein dritter, und kaum war ich aufgesprungen, als es schon
-herabbrauste in schweren Wassermassen.
-
-»Die Instrumente!« brüllte Souder.
-
-Fluchend rumpelten überall um uns Gestalten in die Höhe. Alles
-rannte blindlings nach den aufgestapelten Tornistern, um tastend und
-tappend in der Dunkelheit die Gummidecken hervorzusuchen. Aber sie
-konnten nicht schützen gegen diese Fluten. Nach vieler Mühe gelang
-es uns, wenigstens ein Zelt für die Station zu errichten und es mit
-den Gummidecken halbwegs wasserdicht zu machen. Die Instrumente
-funktionierten. Die Männer aber, die den Dienst hatten, hockten mitten
-im Wasser, denn in Bächen kam es den Hügel herabgeschossen.
-
-Es regnete und regnete. Nicht einzelne Tropfen fielen, sondern
-schwer und geschlossen sauste es herab, wie ein Strom fast aus
-geöffneter Schleuse. In die Haut drang uns das Wasser, und ins Mark
-hineinzuschleichen schien sich die Kälte. Frierend und zähneklappernd
-standen wir da und rührten uns nicht. Es wäre sinnlos gewesen, gegen
-diese Wassermassen Schutz suchen zu wollen. Flüssiger, breiiger
-Schlamm umspülte unsere Knöchel, und dampfig stieg es auf aus unseren
-ekelfeuchten Kleidern. Und es regnete und regnete; eine Viertelstunde
-lang, eine halbe Stunde.
-
-Dann wurde es mit einem Schlage still. Ueber den Hügeln drüben tauchte
-ein Lichtstreifen auf, wurde breiter, leuchtete heller, und froh
-und warm ergoß sich der Sonnenschein übers Tal. Bald loderten die
-Kaffeefeuer auf, und nasse Menschen umstanden sie in dichten Knäueln.
-Der Dunst trocknender Kleider stieg muffig empor und mischte sich mit
-den Bodengerüchen des tropischen Fieberlandes.
-
-Major Stevens trat zu uns und verteilte aus einem Glasröhrchen
-Chininpillen.
-
- * * * * *
-
-Es war um Mittag, und die Sonne brannte glühendheiß aus wolkenlosem
-Himmel auf den Weg zum Wald hernieder, auf dem Souder und ich
-dahinschritten, schwer bepackt ein jeder mit Taschenapparat, Flaggen,
-Waffen, Tornister und Decke. Die südliche Station bei der Brigade Bates
-auf dem linken Flügel -- das Ballondetachement legte die neue Linie --
-war uns beiden zugeteilt worden.
-
-Still lag der breite Lehmweg zum Wald da. Zu beiden Seiten, im Gras
-und im lehmigen Schlamm, auf dem die Gluthitze schon harte Krusten
-gebildet hatte, lagen noch in Haufen die Decken, die Tornister, die
-Mäntel, verregnet und verschmutzt. Nicht weit vom Weg unter einem Baum
-streckte ein totes Maultier in grotesker Starrheit die vier Beine in
-die Höhe. Der furchtbar aufgedunsene Bauch des Tieres sah aus wie eine
-große braune Kugel. Schwacher Verwesungsgeruch drang herüber; kaum
-bemerkbar, wäre der Kadaver nicht zu sehen gewesen, aber doch schon
-unerträglich in der eklen, heißen, überfeuchten Hitze.
-
-Von den Hügeln her hallte unregelmäßiges Gewehrfeuer.
-
-Es hatte mit Tagesanbruch begonnen und ununterbrochen den ganzen
-Vormittag gedauert. Nur vereinzelte Schüsse waren es, mit langen
-Pausen oft und seltenem lebhafterem Geknatter. Aus den Meldungen des
-Vormittags wußten wir, daß es nur Feuer aus den Schützengräben war und
-wahrscheinlich hüben wie drüben wenig Schaden anrichtete.
-
-»Sagen sich gegenseitig Guten Tag!« brummte Souder. »Machen ein bißchen
-Spektakel! U -- iih -- wie ist das heiß! An mir ist kein trockener
-Faden mehr --«
-
-Im gleichen Augenblick duckte er sich, denn eine Kugel zischte in
-unangenehmer Nähe über unseren Köpfen dahin. Wir rissen beide die
-Karabiner von den Schultern und spähten links und rechts in den Wald
-hinein, Baum für Baum mit den Gläsern absuchend.
-
-»Ich sehe nichts!« sagte der Sergeant leise. »Wo der Kerl nur stecken
-mag?«
-
-»Dort -- in dem Baum dort!« flüsterte ich.
-
-»Unsinn, Mann! Was du siehst, ist nur ein heller Lichtfleck ...«
-
-Wir waren gründlich angesteckt von der Scharfschützennervosität auf
-der amerikanischen Seite, die in jedem Sonnenfleck in einer Baumkrone
-einen spanischen Schützen sah. Nicht nur jeder Soldat, mit dem wir
-gesprochen hatten, wußte von Hunderten unheimlicher Scharfschützen zu
-erzählen, die sich hinter unserer Angriffslinie umhertrieben, sondern
-eine besondere Depesche vom Hauptquartier hatte sogar befohlen, die
-Wälder sorgfältig abzusuchen und die auf den Bäumen versteckten Spanier
-zu finden und unschädlich zu machen. Die Armeefama übertrieb. Aber
-doch war an den Gerüchten viel Wahres. So manchen Spanier hatten die
-amerikanischen Regulären nach langem Suchen in den Bäumen entdeckt
-und erbarmungslos herabgeschossen; denn die Truppen empfanden das
-heimliche Feuern aus Verstecken innerhalb der amerikanischen Linien
-als etwas Heimtückisches, Unerlaubtes. In Wirklichkeit befanden
-sich diese spanischen Scharfschützen sehr gegen ihren Willen auf
-verlorenen Posten. Sie hatten sich in dem Gelände vor der spanischen
-Verteidigungslinie in Baumkronen eingenistet, als Späher und Vorposten,
-ehe der amerikanische Marsch auf die Hügel begann. Dann waren sie durch
-das rasche Vordringen der amerikanischen Regimenter abgeschnitten
-worden.
-
-Da blieben sie in ihren Verstecken. Höllenqualen der Angst müssen sie
-ausgestanden haben. Blieben, wo sie waren, in Todesangst -- feuerten
-wohl auch auf vereinzelte amerikanische Soldaten in halbem Irrsinn
--- statt herabzuklettern und sich gefangen zu geben. Sie fürchteten
-sich zu sehr. Man hatte ihnen zu viel erzählt von den amerikanischen
-Barbaren, die gekommen seien, die Insel zu stehlen, und Gnade und
-Barmherzigkeit nicht kennten. Sie mochten bei der Madonna und allen
-Heiligen fest daran glauben, daß der Yankee seinen Gefangenen den
-Bauch aufschlitze, wie das die lieben kubanischen Insurgenten zu
-tun pflegten. So warteten sie zitternd und feuerten blindlings auf
-amerikanische Patrouillen und starben.
-
-Trotz allen Spähens entdeckten wir aber nichts und stampften endlich
-weiter.
-
-Der Pfad war heute noch schlammiger und noch tiefer eingelöchert
-von Tausenden von Menschentritten und Maultierhufen. Als wir um die
-Wegkrümmung bogen, sahen wir unter den Bäumen, ein gut Stück im Wald,
-ein großes weißes Hospitalzelt mit der Roten Kreuz-Flagge. Weiter vorne
-am Pfad hockten überall Verwundete, die zum Erbarmen elend aussahen
-mit ihren schlammbeschmutzten, blutbefleckten Verbänden und den über
-und über schmutzigen Kleidern und den blassen Gesichtern. Sie mußten
-warten, bis die Aerzte Zeit für sie fanden. An einem Busch war ein
-Packmaultier angebunden, und sein Führer verteilte aus einer großen
-Kiste Kautabak und Rauchtabak an die Soldaten.
-
-»Mann, der Tabak ist gut!« hörten wir einen Verwundeten sagen. »Wenn du
-jetzt noch ein bißchen Whisky hättest, würd' ich mir gern _noch_ ein
-Loch in den Arm schießen lassen!«
-
-Totenstille herrschte im Wald. Wo gestern die Kompagnien, die
-Regimenter, die Menschenmassen in der rasenden Eile und dem schreienden
-Drängen der Schlacht dahingestürmt waren auf dem schlammigen Pfad
-und den grasverwucherten Lichtungen, wo Granaten geheult und Kugeln
-gepfiffen hatten, da war es jetzt still und ruhig und friedlich wie
-auf einsamem Buschweg. Hinter uns lag der Verbandplatz; vor uns in der
-Ferne die Hügel. Auf dem Weg selbst begegneten wir keinem Menschen.
-Dann und wann nur tauchten abseits in den Lichtungen Soldatengestalten
-auf, die tiefgebückt mit Hacke und Spaten hantierten, und hie und da
-ertönte leise abgedämpfter Trompetenklang, als letzte Ehrung über
-einem Grab geblasen. Die verstreuten Toten, die ihr Schicksal auf
-versteckter Stelle im Dschungel ereilt hatte, wurden aufgesucht und
-begraben. Langsam tappten wir vorwärts. Der graugelbe Schlamm war oben
-schon verkrustet und verstaubt in der Gluthitze, aber unter der dünnen
-Schicht verbarg sich zähflüssiger Morast, in den man tief einsank
-bei jedem Schritt. Durch das Baumlaub drangen heiß und stechend die
-Sonnenstrahlen. Wie erstarrt schienen Bäume und Büsche. Kein Blatt
-raschelte, kein Grashalm regte sich --
-
-Ich blieb stehen und trocknete mir den Schweiß von der Stirne. »So heiß
-haben wir's noch nicht gehabt!« murrte ich. »Herrgott, die Hitze ist
-kaum zum Aushalten! Und wie dumpfig und sonderbar das riecht!«
-
-Souder wechselte das schwere Telephon von der einen Schulter auf die
-andere und sah sich bedächtig um. »Weißt du was?« sagte er. -- »Machen
-wir, daß wir aus dem alten Wald hinaus und zu unserer Station kommen!«
-
-Aber schon nach wenigen hundert Schritten blieben wir wieder stehen und
-sahen uns an. Einer den andern. Keiner wollte mit der Sprache heraus.
-
-In der Luft lag fade, faulend, süßlich, leiser Verwesungsgeruch.
-
-»Irgendwo im Gestrüpp müssen noch Tote unbeerdigt liegen,« sagte der
-Sergeant endlich. »Was es mit der Luft hier für eine Bewandtnis hat,
-ist klar genug.«
-
-»Aber ein Mensch kann doch nicht von gestern auf heute in Verwesung
-übergehen,« wandte ich erstaunt ein.
-
-»Warum denn nicht?« meinte der Sergeant achselzuckend. »Bei dieser
-Gluthitze! Denk' doch an das Maultier, an dem wir vorbeigekommen sind,
-dicht bei der Station vorhin! Das war gestern auch noch lebendig!
-Wollen einmal nachsehen, wo der arme Teufel liegt --«
-
-Der Weg war hier viel breiter und zerteilte sich in den lichten
-Waldstellen in winzige, in das Gras hineingetrampelte Pfade,
-voneinander getrennt durch niedriges Gestrüpp und kleine hügelige
-Graswellen. Dazwischen ragten breite Mangos und schlanke Kokospalmen
-mit ihren massigen Blättern, die wie große Fächer den Weg
-überschatteten und nur da und dort einen gelbglänzenden, sengenden
-Sonnenstrahl durchdringen ließen. Die Luft war heiß und dumpf und
-dampfig, und in die Schwüle hinein drängte sich der Aasgeruch und
-schien alles zu umschweben und an allem festzuhaften.
-
-»Dort drüben muß es sein!« rief Souder.
-
-Wir stapften durch den Schlamm, bogen seitwärts ab, kamen in hohes
-Gras, und auf einmal trat ich auf etwas Weiches, Klebriges. Ich
-glitschte aus, rutschte und schlug der Länge nach schwer hin, mitsamt
-der Drahtrolle und dem Telephon, dessen Glocke leise klingend ertönte.
-
-»Verdammt!« schrie ich wütend.
-
-»Was gibt's denn?« rief Souder, der einige Schritte voraus war, und kam
-zurück.
-
-Er lachte laut auf, als ich mich brummend zwischen Draht und Instrument
-und Tornister emporarbeitete, aber das Lachen verging ihm bald ----
-»Mann -- du bist dem -- dem Ding da -- auf den Kopf getreten!«
-stotterte er.
-
-Aus der grasigen, welligen Erhöhung mit den verstreuten Lehmschollen,
-da, wo ich gestolpert war, ragte ein menschlicher Kopf aus dem Boden.
-Ein schwarzbehaarter Hinterkopf. Und mitten auf den armen Schädel
-mußte ich getreten sein. Mein schwerer Stiefel hatte die halbverweste
-Kopfhaut auseinandergerissen. Zwischen den schwarzen Haaren schimmerte
-es blutigbraun von ekelerregender Flüssigkeit.
-
-Ich sprang entsetzt zurück und tanzte wie besessen zwischen den
-Grasbüscheln umher, mir krampfhaft die Stiefel abwischend. »Pfui
-Teufel!« brüllte ich in maßlosem Ekel. »Pfui Teufel!«
-
-»Der arme Kerl spürt nichts mehr,« sagte der Sergeant. Aber er machte
-einen weiten Bogen um den Kopf, während er sprach, und kam zu mir
-herüber. Ich fuhr immer noch mit den Stiefeln im Gras hin und her --
-
-»Kann die verfluchte Bande denn die Toten nicht tief genug
-hineinbegraben!« schrie ich außer mir.
-
-Souder zuckte die Achseln. »Machen wir, daß wir weiterkommen!« sagte
-er gelassen. »Schön ist's nicht, aber man muß sich nicht viel Gedanken
-darum machen. Tot ist tot -- und lebendig ist lebendig. Zwischen einer
-toten Katze und einem toten Mann ist nicht viel Unterschied. Beide
------- aber machen wir, daß wir weiterkommen! Uebrigens kann kein
-Mensch was dafür. Wenn du gestern abend dazu kommandiert worden wärest,
-die Gefallenen zu beerdigen, so hättest du auch keine sechs Fuß tiefen
-Löcher gegraben in deiner Müdigkeit! Der Regen hat's getan! Der hat die
-lose Erde weggewaschen -- man sieht's ja -- guck' nur hin!«
-
-»Ich danke! Fällt mir gar nicht ein!!«
-
-»Hab' dich nicht so!« brummte der Sergeant. »Weiter -- weiter!«
-
-Und ich schämte mich über mein Getue, denn es schien mir unmännlich
-und unsoldatenhaft -- jawohl, ich schämte mich! Aber ich ging mit sehr
-vorsichtigen Schritten und machte einen großen Bogen um jede Erhöhung,
-die ein Grab vermuten ließ.
-
-Der Verwesungsgeruch war und blieb in der Luft.
-
-Einmal sah ich einen Arm aus dem Boden ragen dicht am Weg, ein anderes
-Mal einen bestiefelten Fuß, der in grotesker Steifheit aus der Erde
-emporzuwachsen schien. Und der Aasdunst umfing uns fortwährend.
-
-»Jetzt wird's mir aber bald auch zu viel ------ « sagte Souder, sich
-sein schmutziges Taschentuch vors Gesicht haltend.
-
-Kurz vor der ersten San Juan-Furt begegneten wir einem Korporal vom 5.
-Infanterieregiment mit sechs Mann, die Hacken und Schaufeln trugen. Der
-Korporal war ein graubärtiger alter Regulärer.
-
-»Verdammt, Sergeant,« sagte er knurrig, »Ihr Signalmenschen habt's
-besser als wir!«
-
-»Das verstehst du nicht, mein Sohn!«
-
-»So! Eh? =Damn the whole damned= ---- Sieh mal her!« Er zog eine
-Handvoll Blechmarken aus seiner Tasche, wie jeder Soldat sie zur
-Identifizierung um den Hals trug. »Da! Siebenundzwanzig Mann haben wir
-begraben! Und sie waren nicht schön, die siebenundzwanzig Leichen! Da
-im Wald, dort im Wald, haben wir Löcher gegraben und die =stiffs= unter
-die Erde geschaufelt. Waren wir an einer Stelle fertig, so erwischte
-uns sicher hundert Schritt weiter ein Offizier, der uns an eine andere
-Stelle schickte. Sie liegen überall -- und, Sergeant -- es waren welche
-dabei -- die wir nicht anfassen konnten -- mit den Schaufeln haben wir
-sie in die Löcher gestoßen ...«
-
-»Wir haben auch welche gesehen!« erklärte Souder trocken, und wir
-gingen weiter. Wir durchwateten die Furt, da, wo gestern die 71er
-gefallen waren, und sahen eine Leiche im Wasser liegen.
-
-»Teufel -- Teufel!« rief Souder und sprang in mächtigen Sätzen das Ufer
-hinan. Und ich wußte, daß er das fühlte, was ich fühlte. Was zuerst
-nur Ekel gewesen war, der Abscheu des lebendigen Menschen vor dem
-fürchterlichen Geruch des toten Menschen, wurde jetzt zu einem Grauen,
-zu entsetztem Grauen, was wohl die nächste Wegbiegung bringen konnte --
-zu einer Angst, zu atembeklemmender Angst. Ich sprach kein Wort und er
-sprach kein Wort. Aber ich sah, daß er scheu zur Seite blickte Schritt
-auf Schritt, und er merkte es, daß ich wieder in Furcht und Grauen mir
-jeden Fußbreit Weg, jedes Gestrüpp am Wegrand betrachtete. Der Pfad
-war eng. Undurchdringlicher Busch begrenzte ihn auf der linken Seite,
-während rechts niedriges Gestrüpp den Ausblick auf Baumgruppen und
-Grasland erlaubte.
-
-Und jetzt wurde der Verwesungsgeruch stärker und immer stärker. Wir
-gingen ihm nach -- instinktiv -- ohne ein Wort zu sagen ------
-
-Dicht hinter dem Gestrüpp lag ein Stück nackten, lehmigen Erdlandes,
-auf dem kaum einige Grasbüschel wuchsen. Die kahle Fläche senkte sich
-in sanfter Neigung zu einem Bächlein voll trüben, schmutziggelben
-Wassergerinsels, das irgendwo in den San Juan fließen mochte. Ueber dem
-Bach stieg wellig eine üppige Grasfläche an mit vielen Mangobäumen, die
-scharfe Schlagschatten warfen im grellen Sonnenlicht. Das kleine Stück
-weichen Landes, das einst ein Feld, ein Acker gewesen sein mochte,
-war wie zerfetzt von Furchen und Rinnen und ausgetrockneten Tümpeln,
-gegraben von dem Regenstrom der Nacht im Suchen eines Weges zum Bach
-hinab. Auf diesem Stück Land waren gestern tote Männer beerdigt worden.
-Der Regensturm hatte das weiche, gelockerte Erdreich weggewaschen --
-
-Aus der Furche dort, keine fünf Schritte weit weg, ragten Finger
-empor. Eine rostbraune, verwesende Hand mit einem Stück Aermel, an
-dem gelbe Metallknöpfe schimmerten. Starr und steif reckten sich die
-nassen verwesenden Finger gen Himmel, weit auseinandergespreizt,
-wie anklagend, und an dem einen Finger schimmerte golden ein Ring.
-Der Fuß mit dem Stiefel stak festgeklebt zwischen zwei Erdschollen.
-Den Körper selbst bedeckte noch Erdreich. Wir waren entsetzt
-stehengeblieben, starrend, sprachlos. Dutzende von Gefallenen mußten
-in dem schrecklichen Leichenfeld da liegen. Eiförmig wuchsen die halb
-bloßgelegten Leiber zwischen den Furchen, aus den Erdschollen empor.
-Und der Geruch, der Pesthauch ... Finger sah man; man sah Hände,
-Arme, Füße, Körper. Ein Ellbogen hier, sonderbar gekrümmt, verrenkt,
-unnatürlich. Ein Hinterkopf dort. Der Hals über dem aufgerissenen Hemd
-glänzte bläulich und man sah -- Herrgott, man glaubte wirklich, es zu
-sehen und es mitzuerleben -- wie die Gluthitze ihre Verwesungsarbeit
-verrichtete. Wie es faulte. Wie Haut und Muskeln und Sehnen
-dahinschwanden. Eine braune Lache hatte sich gebildet, auf der es ölig
-glitzerte, und der Hals war nur noch eine blaubraune, verfallende
-Masse --
-
-Drüben über dem Bach im Gras tauchte der Korporal mit seinen Leuten auf.
-
-»Hierher!« brüllte Souder. »=For Gods sake= -- kommt hierher!!«
-
-Der Korporal sprang herbei und prallte zurück, als die Verwesungsluft
-ihm ins Gesicht schlug.
-
-»Wo -- wo?« stotterte er.
-
-Wir deuteten, und er sah die Greuel in der Erde.
-
-»Schnell!« schrie er seinen Leuten zu. »Mein Gott -- schnell, Jungens!
-Erde drauf!«
-
-Und die Schaufeln der schweißbedeckten Soldaten fuhren in die Erde.
-Dicht neben Leibern und Gliedern. Sie arbeiteten wie Wahnsinnige. Sie
-arbeiteten für sich selber. Sie wollten befreit sein von dem Anblick,
-von der Unerträglichkeit. Ein großer Lehmklumpen fiel hart geworfen,
-schwer, klatschend auf den verwesenden Kopf nieder --
-
-Da rannten wir zurück auf den Weg, der Sergeant und ich, und rannten
-weiter und liefen noch ein gutes Stück weit -- bis uns der Atem ausging.
-
-»Das -- das waren gestern noch lebendige Menschen!« keuchte Souder,
-als wir einen Augenblick stehenbleiben und rasten mußten. »Junge --
-lebendige -- Menschen -- =my God, my God=, so könnten wir jetzt auch
-daliegen, du und ich! Und du müßtest dich vor mir ekeln, wenn ich es
-wäre, und ich mich vor dir, wenn es dich getroffen hätte -- =my God=!«
-
-Auf dem kurzen Weg zu unserer neuen Linie sahen wir noch vier halb
-bloßgelegte Leichen. Alle dicht am Weg. Unter den Bäumen und im
-Gestrüpp mußten noch Dutzende und Aberdutzende liegen; Hunderte
-vielleicht, denn der Verwesungsgeruch lag schwer überall in der Luft.
-
-So sah es aus auf dem Feld der Ehre -- am andern Tag ...
-
- * * * * *
-
-Dicht am Fuß des San Juan-Hügels trafen wir auf die Linie. Die
-Ballonmannschaften waren bereits fertig mit ihrer Arbeit. Dem Draht
-folgend, der straff von Baum zu Baum gespannt war, hatten wir bald
-das Hauptquartier des linken Flügels erreicht und sahen zwischen den
-Zelten das Ende des Isolierdrahts von einem dicken Busch baumeln.
-Wir schalteten ein, meldeten uns und erfuhren, daß unsere Station
-dienstlich Nummer 4 heiße -- =S O= 4. Die neue Blockhausstation war
-=S O= 3, El Pozo =S O= 2, das Hauptquartier, das nicht vorgeschoben
-wurde, sondern auf dem alten Platz verblieb, =S O= 1. Wir machten aus
-unseren Zeltwänden und den Gummidecken ein geräumiges Zelt zurecht.
-Umherliegende leere Munitionskisten gaben einen Tisch und Stühle.
-
-Das Hauptquartier der Brigade lag auf einem schmalen Streifen Grasland
-mit vielen Bäumen, dicht an die steil aufragende Hügelwand gedrängt
-und binnen fünfzig Schritt vom San Juan-Flüßchen begrenzt, das in
-weiter Krümmung hinter dem Hügel dahinfloß. Unser Zelt stand auf einer
-schrägen Stelle dicht im Wasser, nicht weit von den beiden großen
-Zelten des Generals und seiner Adjutanten. Dann und wann krachte oben
-auf dem Hügel ein Schuß.
-
-In die steile Hügelwand waren Stufen geschaufelt worden. Wir
-kletterten hinauf, um den General zu suchen, der irgendwo oben in
-den Schützengräben war, und uns bei ihm zu melden. Die rohe Treppe
-verlief in einen breiten Gang, so tief ausgegraben, daß die hohen
-Wände völligen Schutz vor feindlichem Feuer boten, wenn man sich ein
-wenig duckte. Andere Gänge mündeten rechts und links ab. Die Kuppe
-des Hügels war zerwühlt wie ein Ameisenhaufen. Der breite Hauptgang,
-in dem wir standen, verlief schnurgerade zum Kuppenrand und mündete
-dort in den eigentlichen Schützengraben, der sich weithin dehnte,
-dicht besetzt mit hingekauerten Soldatengestalten. Gut zwei Meter
-breit war der fast mannshoch ausgehöhlte Schützengraben. Eine breite
-Erdstufe an der Vorderseite erlaubte den Schützen, bequem im Liegen
-zu feuern. Sandsäcke in langen Reihen, markiert durch ausgestochene
-Rasenstücke und Gezweig, verdeckten und sicherten die Schützenstellung.
-Als wir den Kuppenrand erreicht hatten, kauerten wir uns vor eine der
-schießschartenartig ausgehöhlten Oeffnungen in der Grabenwand -- sehr
-vorsichtig, denn alle Augenblicke zischte es surrend über unseren
-Köpfen dahin -- und spähten durch die Gläser auf das sonnenbestrahlte
-Gelände.
-
-Dort, halbrechts vor uns, in verblüffender Nähe anscheinend, lag
-Santiago de Cuba. Klar, scharf, grell traten einzelne Gebäude hervor;
-ein riesiges, langgestrecktes, schneeweiß glitzerndes Haus vor allem,
-über dem die Rote Kreuz-Flagge wehte. Andere Gebäude sahen selbst
-in meinem guten Glas undeutlich und nebelhaft aus. Ich schätzte die
-Entfernung auf vielleicht anderthalb Kilometer. Eher weniger. Zwischen
-Hügeln und Stadt erstreckte sich buschiges Gelände mit vereinzelten
-Grasflecken und Baumgruppen. Die Hügelwand senkte sich vom Kuppenrand
-dem Feind zu ziemlich steil in eine Niederung mit vielem Gestrüpp. In
-einer Entfernung von zweihundert Metern waren im Gras und zwischen den
-Büschen da und dort verdächtige Flecke zu sehen, bald gelblich hell,
-bald dunkel und schwarz. Das mußte Erde von Schützengräben sein, und
-dort mußte der Feind liegen.
-
-General Bates, der Befehlshaber des linken Flügels, war im
-Schützengraben weiter rechts, wie uns ein Korporal sagte, den wir
-befragten. Wir liefen hinter den Schützenreihen entlang und meldeten
-uns bei dem General. Der alte Herr, der mit einigen Offizieren im
-Graben kauerte, grüßte dankend und sagte zu einem Adjutanten:
-
-»Mr. Jameson, weisen Sie dem Signalsergeanten eine Ordonnanz zum
-Ueberbringen von Meldungen zu. =Allright=, Sergeant, Sie können zur
-Station zurückkehren. Senden Sie mir, bitte, sofort Nachricht, sobald
-Sie Privattelegramme nach den Vereinigten Staaten annehmen dürfen.«
-
-Kaum waren wir wieder beim Instrument, so lief die erste Depesche ein:
-
-»General Shafter wird um fünf Uhr die Stellung besichtigen und ersucht
-General Bates, einen Offizier zur Führung nach dem Blockhaushügel zu
-senden.«
-
- * * * * *
-
-Es war nach acht Uhr abends und still überall. Souder und ich saßen
-rauchend vor unserem Zelt, dicht am niederen Eingang; schweigend, damit
-wir das leise Anrufen des Taschenapparats sofort hören konnten. Ueber
-uns glitzerte und strahlte in unsäglicher Pracht der Sternenhimmel;
-milchig, sprühend in weißer Glut in Milliarden von zitternden, bebenden
-Lichtpunkten.
-
-Da fiel ein Schuß. Ein zweiter, ein dritter ... In rascher Folge
-knallte es scharf dröhnend in der stillen Nacht. Und mit einemmal
-peitschte der Schall förmlich daher in donnerndem Klang, in Tausenden
-von Schüssen, in schweren Salven, in rasselndem Schnellfeuer.
-
-Der General stürzte aus dem einen Zelt, die Adjutanten aus dem anderen,
-und Hals über Kopf rannten sie zur Hügelwand, zur Erdtreppe, laufend
-wie Jungens. Ich saß mit offenem Munde da, so überraschend plötzlich
-war der Höllenlärm gekommen. Hoch über meinem Kopf zischte es dröhnend,
-surrend, brausend daher.
-
-Zwei Armeen schossen aufeinander in tiefer Nacht. Die Spanier griffen
-an. Ein schweres Nachtgefecht hatte begonnen.
-
-Wir krochen ins Zelt und warteten in atemloser Spannung auf
-Nachrichten. Das Gewehrfeuer dauerte in ununterbrochener Heftigkeit
-fort. Souder griff wohl zehnmal nach dem Taster, zog aber immer wieder
-die Hand zurück, denn er wagte es nicht, in so ernster Zeit der
-Blockhausstation mit einer privaten Anfrage zu kommen. Endlich klickte
-es nach einigen Minuten, und eine Depesche vom Höchstkommandierenden an
-General Bates lief ein, mit dem Befehl, telegraphische Meldung über den
-Stand des feindlichen Nachtangriffs zu erstatten. Fast gleichzeitig kam
-ein Adjutant und brachte ein lakonisches Telegramm zur Weitergabe an
-General Kent, an die Blockhausstation:
-
-»Was -- bedeuten -- die -- Feuer?«
-
-Als jedoch der Sergeant den Schlüssel öffnete und den Taster ergriff,
-klickten die metallenen Stäbchen nur matt, tonlos beinahe -- _die
-Verbindung war unterbrochen_! Mit einem grimmigen Fluch schob er den
-Schlüssel wieder zu.
-
-»=Break in the line=!« sagte er kurz. »Sind abgeschnitten! Bring' dem
-General das Telegramm, melde ihm, daß die Linie nicht funktioniert, und
-bitte um Orders!«
-
-In langen Sätzen sprang ich die Erdstufen hinan, eilte durch den tiefen
-Hauptgang und war in den Schützengräben. Dicht an die Wände gekauert
-lagen die regulären Infanteristen in langen Reihen da, und in endlosem
-Geknatter hallten ihre Schüsse in die Nacht hinaus. Offiziere rannten
-ab und zu und befahlen immer wieder gellend:
-
-»Niedrig halten -- niedrig halten, Leute! Zweihundert Yards -- auf die
-schwarze Gestrüpplinie -- dort, wo es am dunkelsten ist -- niedrig
-halten!«
-
-Und über die Wälle der Gräben kam es in schweren Lagen vom Feind
-dahergepfiffen, bald hoch in der Luft, wie es schien, bald verzweifelt
-nahe. Feuerschein rötete den Sternenhimmel. Weit rechts von der
-belagerten Stadt flammten am Himmelsrand wie glühende Sonnen gewaltige
-Feuer an drei Stellen, höher das eine als die beiden anderen. Unten im
-Tal leuchtete es dann und wann winzig auf wie Glühwürmchenschein ...
-
-»=Fix bayonets!=« brüllte irgend jemand irgendwo, und klirrend fuhren
-die Eisen auf die Gewehrläufe.
-
-Am Ende des Hauptgangs fand ich den General. Er sah mich sofort und
-fragte kurz:
-
-»Nachrichten? Was gibt's, Mann?«
-
-Ich überreichte die Depesche vom Hauptquartier und meldete die
-Unterbrechung der Linie.
-
-»Was? Der Draht funktioniert nicht?« rief der alte Herr scharf. »Sie
-müssen sofort los und unter allen Umständen den Fehler finden. Die
-Verbindung muß schleunigst wiederhergestellt werden. Können Sie das?«
-
-»Ich glaube ja, General. Die Linie bis zur Blockhausstation ist nur
-kurz und unschwer abzusuchen.«
-
-»Im Dunkeln?«
-
-»Wir haben Magnesiumfackeln.«
-
-»Gut. Machen Sie sich unverzüglich an die Arbeit. Haben Sie Anschluß,
-so senden Sie General Shafter diese Depesche.« Die Meldung an das
-Hauptquartier, die mir der General nun diktierte, hatte ungefähr
-folgenden Inhalt: Nordwestlich von Santiago brennen drei große Feuer
-auf den Hügeln. Was diese Signale bedeuten, ist nicht bekannt. Das
-feindliche Gewehrfeuer scheint von den spanischen Schützengräben zu
-kommen. Wahrscheinlich steht ein Angriff bevor.
-
-Ich kugelte beinahe die Erdstufen hinab, in solcher Eile war
-ich, denn die allgemeine nervöse Erregung da oben auf den Hügeln
-über das unheimliche nächtliche Gewehrfeuer hatte mich gründlich
-angesteckt. Souder hatte das Tascheninstrument und Ersatzdraht
-bereits hergerichtet. Dicht beim Adjutantenzelt stand, an einen Busch
-angebunden, ein Maultier.
-
-»Nimm das Maultier!« sagte der Sergeant. »Du kommst schneller vorwärts
-dann!«
-
-Und ich kletterte in den infam unbequemen hölzernen Packsattel,
-schlug dem Tier die Hacken in die Seite, und los ging es. Es war
-ein abscheulicher Ritt, wenn er auch nur eine knappe Viertelstunde
-dauerte. Wir hatten nur noch eine einzige Magnesiumfackel in unseren
-Tornistern gefunden, und die mußte aufbewahrt werden zur Arbeit
-an der Bruchstelle. So ließ ich alle paar Schritte ein Zündholz
-aufflammen und starrte in dem schwachen Lichtschein zur Linie hinauf,
-ob sie noch straff gespannt war. Dabei bockte das Biest von einem
-Maultier fortwährend. Obendrein war der eckige Holzsattel das reine
-Folterinstrument. Auf einmal --
-
-»Halt! Ha -- aalt!«
-
-»=Friend=!« schrie ich.
-
-»Losung!«
-
-Zum Teufel -- ich hatte die Losung nicht! In meiner Verwirrung dachte
-ich darüber nach, was ich antworten sollte ... da knallte es, und eine
-Kugel pfiff dicht an meinem Kopf vorbei.
-
-»Du verdammter Lümmel!« brüllte ich in unbeschreiblicher Wut. »Wenn du
-noch einmal schießt, hau' ich dir alle Knochen kaputt, =you son -- of
--- a -- gun= -- du ballernder Sohn einer alten Kanone! Hier -- ist --
-Signalkorps! Bei der Arbeit! Hörst du, du Narr!«
-
-Und auf dem ganzen Ritt hörte ich Kugeln pfeifen. Auf den Hügeln wurde
-geschossen, vom Feind her kam es, und hinter den Hügeln schoß man erst
-recht. Das nächtliche Feuern hatte die Menschen verrückt gemacht. Sie
-verloren den Sinn für Richtung. Sie witterten einen Feind in jedem
-Geräusch, ob das nun vor ihnen war oder hinter ihnen, und blafften
-schleunigst darauf los. Mindestens sechs, sieben Mal ist auf mich und
-das alte Maultier geschossen worden in jener Nacht.
-
-Ziemlich in der Nähe der Blockhausstation erst fand ich den Bruch an
-einer niedrigen Stelle, zwischen zwei Büschen. In drei Minuten war der
-Schaden ausgebessert, und ich gab meine Meldungen auf. Klickend kam es:
-
-»Von General Kent. -- Feind greift nicht an. Nichts Neues.«
-
-»Von General Lawton. -- Nichts Neues. Falscher Vorpostenalarm.«
-
-»Vom Hauptquartier. -- Was -- bedeuten -- Feuer? Sofort Bericht!«
-
-Langsam begann das Gewehrfeuer abzuflauen. In gestrecktem Galopp jagte
-ich zur Station zurück ------
-
- * * * * *
-
-Was die flammenden Holzstöße auf den Bergen bei Santiago bedeutet
-hatten, erfuhren wir erst viele Wochen später. Es waren verabredete
-Signale, die die Ankunft von 3000 Mann Verstärkungen für die Spanier
-unter General Escario bedeuteten. Die Frage, ob es sich bei dem
-heftigen Feuer in der Nacht zum 3. Juli nur um nervöses Geschieße oder
-um den wirklichen Versuch einer Nachtattacke der spanischen Truppen
-handelte, ist nie gelöst worden.
-
-
-
-
-Der Untergang der spanischen Flotte.
-
- Jubel in den Schützengräben. -- Der Hafen von Santiago de Cuba. --
- Das Felsentor. -- Castillo del Morro. -- Das Warten, das Lauern! --
- Die Heldentat des Leutnants Hobson. -- Durchbruch des spanischen
- Geschwaders. -- Die Seeschlacht. -- Die Hölle der fünfunddreißig
- Minuten. -- Eine kleine Yacht schießt zwei Zerstörer in den Grund.
- -- Eine Merkwürdigkeit in der Geschichte des Seekriegs. -- Der Mann
- im Kommandoturm und der Mann hinter der Kanone. -- Was von der
- Gespensterflotte übrig blieb.
-
-
-Um elf Uhr nachts wurde es still oben in den Schützengräben und drüben
-beim Feind. Das Instrument klickte leise und perlte in eiligen Punkten
-und Strichen Wort auf Wort und Satz auf Satz hervor -- Anfragen
-vom Hauptquartier, ob über die Bedeutung des Feuerscheins etwas
-bekanntgeworden sei; Befehle, die Vorposten zu verstärken und in keinem
-Fall die Schützengräben zu verlassen.
-
-»Leg dich hin! In drei Stunden wecke ich dich!« brummte Souder.
-
-In wenigen Minuten war ich eingeschlafen -- und dann weckte mich
-der Sergeant -- und dann träumte ich vor mich hin und die Stunden
-vergingen, ohne daß wir angerufen wurden -- und dann weckte ich
-wieder ihn -- und so trieben wir es bis in den hellen Morgen hinein,
-glückselig, endlich einmal gründlich schlafen zu können.
-
-Die Ordonnanz hatte uns Kaffee und gebratenen Speck und Zwiebäcke vom
-Kochfeuer des Stabs geholt. Die unteren Wände unseres kleinen Zelts
-schlugen wir hoch, Luft und Sonne hereinzulassen, denn prachtvolles
-Tropenwetter hatte dieser Sonntag Morgen gebracht, hell und sonnenfroh
-mit kräftigem Wind, der das Feuchte und Dumpfige der Hitze wie zaubernd
-hinwegfegte.
-
-»=hr hr hr!=«
-
-Wir beugten uns beide über den Apparat und lasen staunend die Depesche
-vom Hauptquartier, die kurz befahl, die Feindseligkeiten einzustellen,
-da der Höchstkommandierende Santiago zur Kapitulation aufgefordert und
-das Bombardement der Stadt angedroht habe! -- Souder rannte nach dem
-Zelt des Generals.
-
-Nun verging Stunde auf Stunde in gespanntem Warten. Da, Mittag mochte
-es sein, klickte es scharf und eilig -- =S O 4 -- S O 4= ----
-
-»=hr -- hr -- rrrrrssssss ---- hr!=«
-
-Und die Augen traten uns fast aus dem Kopf, denn das surrende Sausen im
-Magneten bedeutete, daß der Geber drüben auf =S O 3= in fieberhafter
-Ungeduld den Taster tanzen ließ, und es sagte so deutlich, als hätte
-er es uns in die Ohren geschrien: Wichtig -- aufpassen, aufpassen --
-wichtig über alle Maßen!
-
-»Sie haben kapituliert!« flüsterte Souder.
-
-Ganz langsam und klar kam es:
-
-»General Bates. -- Flottenmeldung. Das spanische Geschwader ist
-vernichtet. Cervera gefangen. Sämtliche feindlichen Schiffe sind
-zerstört. Die amerikanischen Geschwader haben weder Schiff noch Mann
-verloren. -- Shafter.«
-
-Wir starrten uns an und waren sekundenlang wie gelähmt von dem
-gewaltigen Eindruck der wenigen gewaltigen Worte. Dann riß der Sergeant
-das Telegrammformular an sich und sprang in mächtigen Sätzen zum Hügel,
-zum General, der kurz zuvor das Quartier verlassen und sich in die
-Schützengräben begeben hatte. Ich blieb im Zelt und wartete krampfhaft
-auf den nächsten Anruf. Aber der Klopfer rührte und regte sich nicht.
-Da erklang es leise wie fernes Brausen in dumpfem, undeutlichem Klang
-und doch machtvoll und stark, daß es einen im Innersten packte und
-klopfenden Herzens lauschen ließ. Lauter wurde der Schall und immer
-näher kam er. Und mit einem Male ergellte es droben auf unserem Hügel
-in furchtbar schrillendem Stimmenklang aus Tausenden von Männerkehlen
-in hellem Jubel -- das wilde amerikanische Hurra, den Indianern
-abgelauscht in seinem schrillen Klang:
-
-Ii -- iii -- iih ...
-
-Urgewaltig. Furchtbar. Minutenlang dauerte das Gellen und das Gebrause.
-Der Siegesjubel der Männer in den Schützengräben. Ich stand vor dem
-Zelt und brüllte mit, wie betrunken, was Brust und Kehle nur hergeben
-wollten.
-
- * * * * *
-
-Die Einfahrt zum Hafen von Santiago de Cuba ist einer der schönsten
-Flecke der Welt. Ungeheure Felsenmassen ragen aus tiefblauem Meer
-in tiefblauen Himmel empor, steil abfallend, und spalten sich in
-winziger Enge, einem Meeresarm Durchlaß zu gewähren, so schmal, daß
-zwei große Seeschiffe nicht nebeneinander die Einfahrt wagen können.
-Es sieht aus, als hätte das Meer einst in Arbeit von Jahrhunderten
-seinen Weg hineinfressen müssen in die Felsen und sich die lange
-schmale Wasserstraße bahnen, die erst nach vier Seemeilen sich zu der
-gewaltigen Bucht weitet, an deren Ostrand Santiago de Cuba liegt.
-Droben auf den Felsen bei der Einfahrt klebt in schwindelnder Höhe
-ein uraltes, spanisches Festungswerk, das Castillo del Morro, mit
-altertümlichen Bastionen und Felsentreppen und verwitterten Mauern.
-
-Jetzt dröhnten um Felsennest und alte Burg und blaues Meeresgestade
-seit Wochen schwere Schiffsgeschütze.
-
-In der Bucht von Santiago hatte das spanische Geschwader des Admirals
-Cervera Anker geworfen und ergänzte krampfhaft seine Kohlenvorräte
-aus den kümmerlichen Hilfsmitteln der verlotterten spanischen
-Hafenverwaltung, während in den Maschinenräumen die Ingenieure
-fieberhaft klopften, hämmerten, reparierten. Draußen aber vor
-der Felsenenge lagen Tag und Nacht die Panzer des amerikanischen
-Geschwaders -- wartend, lauernd -- lauernd, wartend ... Denn jeden
-Augenblick konnte die spanische Flotte zwischen den Felsenwänden
-hervorbrechen. Noch war die Gespensterflotte eine ständige Drohung und
-eine stete Gefahr.
-
-Die Hafeneinfahrt zu erzwingen schien unmöglich. Wenn auch die
-altmodischen Geschütze des alten Kastells nicht viel taugten, so
-schützten die Einfahrt doch zwei moderne Batterien auf den Felsen und
-zahllose Seeminen. Die Amerikaner begnügten sich damit, die dicken
-Mauern des alten Forts und die Batterien immer wieder zu bombardieren,
-aber ohne viel Schaden anzurichten. Freilich machten sie schon in
-den ersten Tagen der Blockade einen tollkühnen Versuch, die schmale
-Hafeneinfahrt so zu versperren, daß dem spanischen Geschwader ein
-Passieren unmöglich würde.
-
-Der Plan wurde von dem Marineleutnant Hobson erdacht und durchgeführt.
-Ein großer Kohlendampfer, der »Merrimac«, ein hundertundzwanzig Meter
-langes Schiff, sollte der Türriegel des Felsentors werden. Seine
-Unterwasserventile und besonders gebohrte Löcher unter der Wasserlinie
-wurden nur leicht geschlossen und durch hölzernes Hebelwerk so
-schwach gestützt, daß die Erschütterung einer schweren Explosion die
-Verschlüsse wegfegen und das Schiff sofort zum Sinken bringen mußte. Im
-Schiffsraum am Bug wurden Sprengladungen angebracht, die von der Brücke
-aus elektrisch entzündet werden konnten. Hobson wollte den »Merrimac«
-mitten in die Felseneinfahrt steuern, wenden, und das Schiff in der nur
-hundert Meter breiten und wenig tiefen Einfahrt sinken lassen. So daß
-es wie ein Querdamm die schmale Wasserstraße sperrte. Das Unternehmen
-mußte aller Voraussicht nach das Leben der Männer kosten, die diesen
-schwimmenden Türriegel lenkten.
-
-Am 3. Juni kam der waghalsige Plan zur Ausführung. Der »Merrimac«
-mit Leutnant Hobson und sieben Freiwilligen bemannt, fuhr in voller
-Fahrt der Felsenenge zu und erhielt furchtbares Feuer von Morro, den
-Batterien auf den Felsen und dann, als er die Einfahrt erreichte, auch
-von zwei spanischen Kreuzern, die in einer Krümmung der Wasserstraße
-verborgen waren. Nur ein einziger Schuß traf. Aber dieser eine Schuß
-zerschmetterte das Steuerruder des »Merrimac« in dem Augenblick, als
-Hobson die Mine springen ließ. Die Wendung, die das sinkende Schiff
-ausführen sollte, wurde dadurch unmöglich, der »Merrimac« trieb
-noch ein Stück weit dem Felsenufer zu und sank dicht am Strand, die
-Fahrtrinne freilassend. Der Plan war mißglückt. Leutnant Hobson und
-die Mannschaft waren wie durch ein Wunder unverletzt geblieben und
-konnten in das Boot springen, das der »Merrimac« mit sich schleppte.
-Aber ein Entkommen war unmöglich, und sie mußten sich der Pinasse eines
-spanischen Kriegsschiffs gefangen geben.
-
-Wieder begann das Warten und das Lauern, das Lauern und das Warten ...
-
-Nach der Schlacht vom San Juan-Hügel wurde die Lage des spanischen
-Admirals unerträglich. Siegten die amerikanischen Truppen zu Lande, so
-mußte die Kapitulation von Santiago de Cuba die unrühmliche Uebergabe
-seines starken Geschwaders nach sich ziehen, ohne daß es sich ernstlich
-mit dem Gegner gemessen hatte.
-
-Admiral Cervera beschloß den Durchbruch.
-
-Als im Morgengrauen des 3. Juli das Morrokastell meldete, daß das
-amerikanische Schlachtschiff »Massachusetts« verschwunden sei und der
-Panzer »New York«, das Flaggschiff des amerikanischen Admirals Sampson,
-nach Osten dampfe, hielt er die Gelegenheit für günstig.
-
-Das spanische Geschwader bestand aus den vier großen Schlachtschiffen
-»Infanta Maria Teresa«, »Almirante Oquendo«, »Viscaya« und »Cristobal
-Colon«, sowie den beiden schnellen Torpedobootzerstörern »Pluton« und
-»Furor«. Die beiden amerikanischen Geschwader der Admirale Sampson und
-Schley aus den großen Schlachtschiffen »Massachusetts«, »New York«,
-»Iowa«, »Indiana«, »Oregon«, »Texas«, »Brooklyn« und einer Reihe von
-Hilfsschiffen. Die »Massachusetts«, die nach Guantanamo gedampft war,
-um ihre Kohlenvorräte zu ergänzen, und die »New York«, die Admiral
-Sampson zu einer Besprechung mit General Shafter in Siboney landen
-sollte, kamen für den Kampf vorläufig nicht in Betracht.
-
-Vor der Felseneinfahrt lagen, zwei Seemeilen entfernt, in ungeheurem
-Bogen die amerikanischen Schlachtschiffe. Um halb zehn Uhr morgens
-erschien die »Maria Teresa«, das Flaggschiff des spanischen Admirals,
-in der Felseneinfahrt. In Abständen von 800 Metern folgten die übrigen
-spanischen Schlachtschiffe und viel später erst, aus irgend einem
-unerklärlichen Grunde, die beiden Torpedobootzerstörer. Sie brachen
-in rasender Fahrt hervor. Der Kesseldruck war vor dem Auslaufen
-durch künstliche Mittel aufs äußerste gesteigert worden, während die
-amerikanischen Schiffe unter kleinen Feuern dalagen, wie sie gelegen
-hatten seit vielen Wochen. In langer Linie wandte sich die spanische
-Flotte nach Westen und eröffnete sofort das Feuer.
-
- * * * * *
-
-Der Kampf, der sich nun abspielte, liest sich in unseren Zeiten der
-Dreadnoughts und des sorgfältigen Abwägens von Schiff gegen Schiff,
-Geschütz gegen Geschütz, Gefechtswert gegen Gefechtswert wie ein schwer
-zu glaubendes Märchen. Mag der Kriegswissenschaftler auch einwenden,
-daß die spanischen Schlachtschiffe vom Maschinenraum bis zu den
-Geschützen sich in einem Zustand schlimmer Vernachlässigung befanden,
-das Märchen bleibt. In seiner Gesamtheit war das Ende des Kampfes
-vielleicht vorherzusehen -- in seinen erstaunlichen Einzelheiten
-niemals.
-
-Die spanische Flotte ließ das amerikanische Geschwader bald weit
-hinter sich zurück, und nur ein einziges amerikanisches Schiff,
-die »Brooklyn«, hatte Dampf genug, zu folgen. Eine Viertelstunde
-lang schien es, als sei der waghalsige Durchbruch geglückt. Die
-»Brooklyn« ertrug das gesamte Feuer der vierfachen Uebermacht allein,
-und die Schüsse der anderen amerikanischen Schiffe mußten auf so
-große Entfernungen abgegeben werden, daß sie sehr wenig wirksam
-waren. Aber der künstlich gesteigerte Dampfdruck der Spanier ließ
-bald nach, während in den amerikanischen Maschinenräumen fieberhaft
-gearbeitet wurde. Langsam verringerten sich die Entfernungen, und die
-Schlacht begann. Die »Oregon« kam an die feindliche Linie heran,
-dann die »Texas«, und ein furchtbarer Granatensturm fegte über die
-spanischen Schiffe. »Maria Teresa« und »Almirante Oquendo«, die von
-ihren Genossen, der »Viscaya« und dem »Colon«, überholt worden waren
-und nun als letzte in der Linie dampften, standen in zwanzig Minuten
-lichterloh in Flammen, schwer getroffen, kampfunfähig. Treffer in
-den Geschütztürmen hatten ein entsetzliches Blutbad unter ihren
-Mannschaften angerichtet. Die beiden Schiffe waren verloren.
-
-Langsam wandten sie sich der Küste zu und liefen auf den Strand,
-zerfetzt, zerschossen, brennend.
-
-Das war fünfzehn Minuten nach zehn Uhr. Fünfunddreißig Minuten hatten
-den gewaltigen Kriegsmaschinen den Garaus gemacht. Fünfunddreißig
-Minuten in einer Hölle von Flammen und Verderben. Viele der spanischen
-Matrosen sprangen in ihrer Todesangst über Bord und versuchten, an Land
-zu schwimmen. Doch kubanische Insurgenten, die in der Nähe des Strandes
-kampierten, waren herbeigelaufen und feuerten erbarmungslos auf die
-Unglücklichen im Wasser, bis ein amerikanisches Schiff Mannschaften
-landete und die Bestien mit dem Bajonett vertrieben wurden.
-
- * * * * *
-
-Zwanzig Minuten nach den vier spanischen Schlachtschiffen waren die
-beiden schnellen Torpedobootzerstörer »Pluton« und »Furor« zwischen den
-Felsenwänden erschienen und von den amerikanischen Schlachtschiffen
-»Iowa« und »Indiana« beschossen worden, die aber ihr Hauptaugenmerk
-auf die großen spanischen Panzer richten mußten. Die Zerstörer wurden
-schwer beschädigt, waren aber nicht kampfunfähig. Vernichtet wurden sie
-durch -- ein winziges, ungepanzertes, amerikanisches Schifflein, eine
-kleine Yacht, die eine einzige Granate zerfetzt hätte.
-
-_Admiral Plüddemann_ schreibt in seinem Werk »_Der Krieg um Kuba_«:
-
-»Immerhin lag die Gefahr vor, daß sich die Zerstörer vermöge ihrer
-großen Schnelligkeit dem Feuerbereich der Schiffe bald entziehen
-würden. Da trat die »Gloucester« in Aktion. Dieses Fahrzeug war vor dem
-Kriege eine Privatyacht mit Namen »Corsair« gewesen, es hatte eine hohe
-Geschwindigkeit und war durch Armierung mit Schnell-Lade-Kanonen in
-einen, sozusagen, Hilfstorpedobootszerstörer verwandelt worden.
-
-Als die ersten Schiffe in der Hafeneinfahrt erschienen, dampfte
-»Gloucester« mit mächtiger Fahrt darauf zu und ließ den Dampfdruck hoch
-gehen, da das Erscheinen auch der Zerstörer mit Sicherheit zu erwarten
-war. Als diese etwa zwanzig Minuten später herauskamen, dampfte sie mit
-17 Knoten Fahrt darauf zu, engagierte die schon durch die Panzerschiffe
-schwer Beschädigten dann auf nahe Entfernung und zerschoß sie, ohne
-selber getroffen zu werden, dermaßen, daß der »Furor« 15 Minuten nach
-dem Auslaufen bei einem letzten Versuch, die Hafeneinfahrt wieder zu
-gewinnen, in sinkendem Zustande auf den Strand gesetzt wurde, während
-der »Pluton« wenige Minuten später in tiefem Wasser sank. »Gloucester«
-rettete, was noch an Menschenleben zu retten war und mit den Wellen
-kämpfte, und folgte dann den Panzerschiffen.«
-
-Das Wunder war geschehen. Eine kleine ungeschützte Yacht, die trotz
-ihrer Schnellfeuerkanonen den Namen eines Kriegsschiffs nicht
-verdiente, und von der niemals mehr erwartet worden war, als das
-Aufbringen von Handelsschiffen mit Kontrebande, hatte zwei spanische
-Zerstörer in den Grund geschossen, die ihr einzeln schon in jeder
-Beziehung weit überlegen waren.
-
-So hatte eine kleine halbe Stunde zwei Schlachtschiffe des spanischen
-Geschwaders und zwei schnelle Zerstörer von hohem Gefechtswert
-vernichtet. Uebrig blieben die Schlachtschiffe »Viscaya« und »Cristobal
-Colon«.
-
-Der »Cristobal Colon« schien als einziges spanisches Schiff dem
-Verderben zu entrinnen, denn seine Geschwindigkeit wurde immer größer,
-und bald war er außer Gefechtsweite weit draußen auf dem Meer. Auf die
-unglückliche »Viscaya« aber konzentrierte sich nun das Feuer von drei
-amerikanischen Panzern: »Brooklyn«, »Oregon« und »Texas«.
-
-Binnen wenigen Minuten kam das Ende, wie es kommen mußte. Das schwer
-verwundete Schiff schleppte sich brennend dem Strande zu und lief
-auf. In diesem Augenblick erfolgte eine furchtbare Explosion, die das
-vordere Drittel der »Viscaya« in Fetzen zerriß. Ein Torpedo entweder,
-der schußbereit im Lancierrohr lag, oder eine Munitionskammer war
-von einer amerikanischen Granate getroffen worden. Die gräßlichen
-Szenen beim Stranden der »Infanta Maria Teresa« und des »Almirante
-Oquendo« wiederholten sich. Halbverbrühte, schwerverwundete Männer,
-die beinahe wahnsinnig geworden waren in der Todesangst dieser Minuten
-in der Hölle, kämpften zu Hunderten in den Fluten -- und aus den
-amerikanischen Feinden wurden warmherzige Lebensretter, die Hals über
-Kopf die Boote bemannten. Nicht nur fischten sie die Unglücklichen in
-den Wellen auf, sondern sie holten unter schwerster Lebensgefahr die
-armen Verwundeten aus den brennenden spanischen Schiffsräumen, deren
-Munitionskammern jeden Augenblick in die Luft fliegen konnten. Admiral
-Cervera, schwer verwundet, wurde unter feierlicher Stille an Bord eines
-amerikanischen Panzers geleitet und mit militärischen Ehren empfangen.
-Mannschaften und Offiziere salutierten stumm, als er seinen Degen dem
-Sieger hinreichte. Sämtliche Kommandeure der spanischen Schlachtschiffe
-waren verwundet worden; zwei, der Kommandant der »Maria Teresa« und der
-Chef der Zerstörerflottille, hatten den Tod gefunden.
-
- * * * * *
-
-Unterdessen war in jagender Fahrt die »New York« mit Admiral Sampson
-auf dem Kampfplatz erschienen. Sie folgte der »Brooklyn«, der
-»Oregon«, und der »Texas«, die Oel feuerten und in immer größerer
-Geschwindigkeit dem »Cristobal Colon« nachjagten. Ueber zwei Stunden
-dauerte die Verfolgung. Um 12 Uhr 50 Minuten waren die »Brooklyn« und
-die »Oregon« so nahe an den Feind herangekommen, daß das Feuer eröffnet
-werden konnte. Der Kapitän des »Colon« sah, daß das Schicksal seines
-Schiffes besiegelt war. Um den »Colon« dem Feind zu entziehen, ihn zu
-vernichten und doch die Mannschaft zu retten, wandte auch er und lief
-in sausender Fahrt auf den Strand. Der »Cristobal Colon« sank in sieben
-Meter tiefem Wasser.
-
-So war die Seeschlacht von Santiago de Cuba geschlagen und das
-spanische Geschwader bis auf das letzte Schiff zerstört.
-
-Hunderte von Menschenleben und Millionen und Abermillionen an
-schwimmendem Kriegsmaterial hatten die wenigen Minuten dem spanischen
-Königreiche gekostet. Die Tabellen der Verluste der beiden
-Flotten lesen sich wie eine Fabel. Vier gewaltige Panzer und zwei
-Zerstörer hatte der Tag Spanien geraubt -- von den amerikanischen
-Schlachtschiffen war kein einziges schwer beschädigt oder auch nur
-so verletzt worden, daß es seine Gefechtsfähigkeit beeinträchtigt
-hätte! Sechshundert spanische Matrosen waren im Kampf getötet worden
-oder in den Fluten ertrunken, hundertfünfzig Schwerverwundete und
-vierzehnhundert Gefangene, von denen viele verwundet waren, nahmen die
-amerikanischen Schiffe auf.
-
-_Die Amerikaner aber hatten nur einen einzigen Toten und einen einzigen
-Verwundeten, beide auf der »Brooklyn«!_
-
-Ein Märchen. Ein Wunder. Eine kaum glaubliche Merkwürdigkeit in der
-Geschichte des Seekriegs, die gar nachdenklich stimmen mag. Nicht
-Panzerwerte und Geschützzahl allein sind es, die eine Seeschlacht
-entscheiden, sondern der Mann im Kommandoturm und der Mann hinter der
-Kanone.
-
-Zwei Monate später, als ich an Bord eines der letzten Truppendampfer,
-die Santiago de Cuba verließen, staunend die Schönheit von Felsennest
-und alter Burg und blauem Meeresgestade bewunderte, sah ich am Strand
-des Felsentors den »Furor«. Wenige Minuten später kamen die Wracks der
-»Viscaya« und des »Almirante Oquendo« in Sicht. Der »Cristobal Colon«
-war einige Tage nach der Schlacht völlig gekentert. Die »Infanta Maria
-Teresa« hatten die Amerikaner zwar gehoben und notdürftig ausgeflickt,
-aber während des Transportes nach den Vereinigten Staaten war sie bei
-den Bahamas gestrandet und gesunken.
-
-Tropenfeuchtigkeit und Tropensonne hatten die armen Reste von
-zerschossenem Stahl und zerfetztem Eisen, die nur wenige Meter über das
-Wasser hervorragten, mit einem leuchtendroten Kleid von Rost überzogen.
-Spitzige, zackige Stahlfetzen und Eisentrümmer überall. Unförmliche
-verbeulte Stümpfe, die einst Schornsteine gewesen waren.
-
-Schlechtes altes Eisen. Das war übrig geblieben von der
-Gespensterflotte.
-
-
-
-
-In den Schützengräben.
-
- Von Siegesberichten und Sorgen. -- Ein Murren geht durch die
- Schützengräben. -- Die Meinung des alten Sergeanten. -- Ungeduld!
- -- Der Humor der Front. -- Krankheit und Schwäche. -- Die
- berühmten kubanischen Leibschmerzen. -- Fieber und Ruhr. --
- Stimmungen und Verstimmungen. -- Ein Freudentag. -- Freund Billy
- aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt. -- Zwei Gefechtstage. -- Wie
- ich ein Held sein wollte. -- Der Friedensbaum. -- Die Kapitulation
- von Santiago de Cuba.
-
-
-Die Armee auf den Hügeln jubelte.
-
-Erst viele Wochen später, als Dampfer auf Dampfer Regiment auf
-Regiment nach der amerikanischen Heimat zurückbrachte und die Männer
-der Schützengräben sich gierig auf die alten Zeitungen stürzten, von
-ihren eigenen Taten zu lesen, erfuhren sie zu ihrem großen Erstaunen,
-daß die Ereignisse in den ersten Julitagen im Tal von Santiago de Cuba
-den Leuten zuhause im Lande Gottes nicht nur glorreiche und höchst
-übertriebene Siegesberichte gebracht hatten, sondern auch schwere
-Sorgen.
-
-Sie lasen verblüfft, daß General Shafter nach der Schlacht am San
-Juan-Hügel am Abend des 2. Juli nach Washington gekabelt hatte, die
-Stellung des Feindes auf seiner zweiten Verteidigungslinie sei fast
-unangreifbar und die Lage außerordentlich ernst, denn ein Vorgehen
-müsse schwerste Verluste bringen ------ Sie lasen schmunzelnd, daß
-der General, der die amerikanische Gesamtarmee kommandierte, General
-Miles, dem kranken und überpessimistischen Shafter noch in der
-gleichen Nacht lakonisch geantwortet hatte, er möge vor allem -- den
-spanischen Befehlshaber zur bedingungslosen Kapitulation auffordern!
-Das Bombardement der Stadt androhen, wenn General Toral sich weigere!
-Sie lasen lachend, wie glänzend dieser echt amerikanische Bluff
-gelungen war: Zwar hatten die Spanier die Uebergabe abgelehnt, aber
-Waffenstillstand trat ein am 3. Juli und es begannen Verhandlungen,
-die den Anfang vom Ende bedeuteten. Sie lasen noch manches mehr. Oft
-vielleicht mit einem recht unbehaglichen Gefühl. Wie der Hunger ihnen
-in der Schlacht geholfen hatte, ohne daß sie es wußten, denn die armen
-Teufel von Spaniern waren schon Ende Juni auf halbe Rationen gesetzt
-worden, weil das verrottete spanische Regierungssystem auf der Insel
-sich um die Kleinigkeit der Verproviantierung einer Armee zufällig
-nicht gekümmert hatte. Wie gewaltig stark die Drahtverhaue der zweiten
-spanischen Stellung waren. Wie furchtbar hoch die Krankenzahl in der
-amerikanischen Armee.
-
-Und sie fingen zu Hause an, viele Dinge zu begreifen, die sie nicht
-begriffen hatten im Tal von Santiago de Cuba.
-
- * * * * *
-
-Ein Murren ging durch die Schützengräben.
-
-Hundertmal, wenn wir Depeschen auf den Hügel brachten, wurden
-Souder und ich von den schmutzstarrenden, verwahrlosten Gestalten
-im Graben angehalten und mit Fragen bestürmt, ob denn nichts sich
-rege im Hauptquartier und wie die Dinge stünden und wann endlich der
-Waffenstillstand zu Ende sein werde. Der verdammte Waffenstillstand!
-
-Da drüben war der Feind! Dort lag die Stadt, dort waren Häuser, in die
-der Schandregen nicht eindringen konnte; dort gab es Betten, in denen
-man schlafen, und Herde, auf denen man kochen konnte! Warum, weshalb im
-Namen aller Vernunft verpfefferte man nicht drei Stunden lang das Gras
-und das Gestrüpp da drüben mit allem, was Gewehre und Patronengürtel
-nur hergeben wollten, und stürzte sich dann bergabwärts Hals über
-Kopf auf die kleinen Männlein, die schon davonlaufen würden wie sie
-davongelaufen waren von den Hügeln!
-
-Ein alter Sergeant der 5. Regulären, der oft zu unserem Zelt kam, zu
-schwatzen, verkörperte die Stimmung in den Schützengräben ausgezeichnet:
-
-»Höll' und Teufel!« sagte er. »Ich werde nicht dafür bezahlt, mich mit
-höherer Strategie zu befassen. Das überlass' ich dem jesuschristlichen
-Dicken! Wenn mir befohlen wird, im Dreck herumzusitzen und mir alle
-halbe Stunde die Jacke vollregnen zu lassen und so viel schlechten
-Speck zu fressen, daß ich zeitlebens keinem anständigen Schwein mehr
-ins Gesicht sehen kann, -- dann halt ich's Maul und gehorche. Aber
-verdammt will ich sein, wenn ich's verstehe! Magazinfeuer, würd' ich
-sagen -- Bajonett auf das alte Schießeisen -- und in fünfundzwanzig
-Minuten wäre die alte Geschichte erledigt. Aber der Dicke muß es ja
-wissen! Mir kann's recht sein. =Bye, bye=, Jungens! Laßt euch euren
-Speck recht gut schmecken! Achtet auf eure Gesundheit!«
-
-Worauf wir ihm ergrimmt Lehmklumpen nachwarfen. Wer in diesen Tagen von
-Speck und werter Gesundheit sprach, der war ein Raufbold, der boshaft
-an die wundeste aller wunden Stellen rührte, und forderte tätlichen
-Angriff heraus.
-
-So murrten die Männer in den Schützengräben.
-
-Ungeduldig waren sie wie Kinder und frech wie Spatzen. Aber das
-Schimpfen klang immer noch lustig, und niemals lag in ihm der Ton
-der Auflehnung. Man lachte mitten im Gezeter und nahm die harten
-Entbehrungen nicht ernst, wenn sie es auch im Grunde waren, die die
-Ungeduld gebaren. Man mußte warten -- man begriff nicht, weshalb in
-Kuckucksnamen man solange warten mußte -- aber es würde schon kommen,
-oh, es würde schon kommen ... Rührend war es in Wirklichkeit, mit welch
-prachtvollem, trockenem Humor diese Männer ein Leben ertrugen, das in
-seiner Härte so gar nichts Humoristisches hatte, und wie sie aus Jammer
-und Elend immer und immer wieder die lustige Seite herauszufinden
-wußten. Droben in dem breiten Hauptgang hatten sie einen Wegweiser
-aufgestellt, auf dem in derben Lettern stand:
-
-»Revolver müssen beim Portier abgegeben werden (links -- Dreckstraße
-Nr. 3), denn auf Befehl des kommandierenden Generals ist Schießen in
-diesem Vergnügungslokal nicht gestattet! Nur Herren mit garantiert
-anständigem und friedfertigem Benehmen haben Zutritt!« -- in blutigem
-Hohn auf den Waffenstillstand.
-
-Ein anderes Schild beim Eingang eines besonders sumpfigen
-Schützengrabens besagte grimmig: »Warnung! Angeln ist hier verboten!!«
-Im Hauptschützengraben hatten sie auf Brettchen von Munitionskisten mit
-irgend einer schwarzen Farbe, die sie gottweißwo aufgetrieben haben
-mochten, allerlei Sprüche gemalt und die Brettchen in die Lehmwand
-hineingesteckt wie Gedenktafeln:
-
-»Erzähle mir nicht, o Freund, daß du Bauchweh hast! Deine Symptome
-interessieren mich nicht. Ich hab sie nämlich selber!« lachte ein
-Spruch.
-
-»Und der Herr schuf Regen und Sonnenschein ... Für Kuba hat er seine
-Schaffensfreudigkeit verdammt übertrieben!« hieß es auf einer anderen
-Tafel. Ihre Nachbarin sagte:
-
-»Bist du schlechter Laune, so haue einen Insurgenten. Das ist gesunde
-Bewegung für dich und macht aus dem Cubano vielleicht einen Menschen;
-der Stecken lehnt hinten in der Ecke.« Das gab die Einschätzung, in der
-Señor Insurgente bei der Armee stand, famos wieder!
-
-So sah der Humor der Schützengräben aus. Grimmiger, harter, verkrustet
-trockener Humor war es, der ahnen ließ, wie zäh und kraftvoll die
-Männer sein mußten, die in Krankheit und Schwäche lachen und sich über
-ihren eigenen Jammer lustig machen konnten. Denn krank waren sie alle,
-zum mindesten nicht gesund.
-
-Die Regenzeit Kubas hatte nun im Ernst begonnen. Tag für Tag,
-dutzende Male oft in einem Tag, regnete es in tropischer Gewalt in
-ungeheuerlichen Wassergüssen -- und der Viertelstunde klatschenden
-Regens folgte ebenso ungeheuerliche Sonnenhitze, die mit der
-verdampfenden Feuchtigkeit alle Miasmen aus dem Boden zog und Menschen
-und Dinge in übelriechenden Dampf hüllte. Morgens und abends lagen
-stundenlang dick und gelb zähe Nebelschwaden über dem Boden, kalt,
-feucht und dumpfig. Selten verging eine Nacht ohne Regen, und dann
-schliefen die Männer in den Schützengräben auf nassem Boden in nassen
-Decken. Jetzt, in den Tagen der Waffenruhe, durfte zwar immer ein Teil
-der Regimenter auf dem Gelände hinter den Hügeln Zelte aufschlagen,
-aber die winzigen Soldatenzelte schützten nur wenig gegen diesen
-Regen und gar nicht gegen Bodenfeuchtigkeit und Nebel. Die Kleider
-faulten einem fast am Leib. Souder und ich schleppten zweimal im Tag
-Wasser herbei aus dem San Juan und wuschen unsere Körper und irgend
-ein Kleidungsstück, doch es nützte nichts. Seife hatten wir längst
-keine mehr. Was das Ausrinsen im Wasser gut machte, verdarben wieder
-in ein paar Stunden Regen und Schweiß. Starrer Schmutz war es, in dem
-man lebte. Widerlicher Schmutz. Die Männer in den Schützengräben, die
-nicht so viel Zeit und Gelegenheit zur Reinigung hatten wie wir, waren
-noch schlimmer daran. Schmutz, Schmutz, überall Schmutz ... Die Nässe
-verdarb rasch das Schuhzeug, so fest und derbe es war, und oft wurden
-Patrouillen nach rückwärts zu den Hospitälern geschickt, um die Stiefel
-der Schwerkranken und Gestorbenen zu holen.
-
-Immer gleich blieb die Nahrung. Speck, Hartbrot, Speck. Man weichte
-die harten Zwiebacke auf, tat Zucker hinzu und Speckstückchen und
-briet sich den breiigen Mischmasch. Trank höllenstarken Kaffee dazu.
-Einmal kam eine Sendung Büchsenfleisch, aber es war verdorben. Derartig
-schlechte Behandlung läßt sich auf die Dauer kein Magen gefallen.
-
-So rebellierten zuerst die Mägen. Langsam schlich sich Krankheit in
-die Schützengräben. Kaum einen Mann gab es in der Front, der nicht
-wenigstens an einer leichteren Form von Ruhr litt. Auch da noch half
-der Humor, das Abschüttelnwollen körperlicher Schwäche, wie es in
-junger Mannesart liegt. Die verschmutzten Männer lachten über die recht
-unangenehmen und schmerzhaften Aeußerungen ihrer gestörten Verdauung
-und machten lustige Witze, höchst unanständige Witze zumeist, über
-das viele Aufgesuchtwerden der primitiven Stellen, die man in der
-Zivilisation verengländert mit =W. C.= zu bezeichnen pflegt. Aber nach
-und nach verspürte ein jeder immer kräftiger die üblen Folgen der
-ewigen Magenbeschwerden und der Fieberanfälle, denen keiner entging.
-Die schlechten Witze fingen an, gequält zu klingen. Das lustige
-Lachen von gestern über das berühmte kubanische Bauchweh zog heute
-nicht mehr. Die Gesichter wurden blaß, und der energische, springige
-Gang der Regulären träge. Auf das Fieber hätte man schließlich
-gepfiffen -- aber der Magen, der Magen! Bitter und gallig schmeckte
-der schlechtgeröstete Kaffee, weil die halbzerstampften Bohnen ewig
-lange sieden mußten. Der Speck schimmerte ölig und durchsichtig, denn
-die Sonnenhitze hielt ihn ständig in schöner brühwarmer Temperatur.
-Man konnte ihn bald nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Die
-Schiffszwiebacke waren trocken kaum zu essen, und der fade Brei, der
-sich höchstens aus ihnen bereiten ließ, wurde einem zum Ekel. Der
-Magen, der Magen! Er war es, aus dem die üble Laune kam.
-
-Und die Stimmungen!
-
-Wenn ich in den Schützengräben nach dem General oder irgend einem
-höheren Offizier suchte, schien es mir beinahe komisch, wie die sonst
-so unverwüstlich derben und unverwüstlich lustigen Regulären nun auf
-einmal Stimmungen unterworfen waren. Manchmal lagen sie faul und
-apathisch da und ließen einen ruhig über ihre Leiber hinwegsteigen,
-viel zu träge, sich zu rühren oder gar zu reden. Manchmal wieder konnte
-das leiseste Gerücht, das Hoffnung auf Soldatenarbeit gab, oder der
-unsinnigste Scherz sie blitzschnell aufrütteln. Als mich einmal ein
-Korporal fragte, was denn los sei (ich trug ein Telegramm in der Hand),
-antwortete ich ärgerlich:
-
-»Es ist Dienstgeheimnis und du darfst es nicht weiter sagen: Washington
-telegraphiert, daß ein Dampfer mit einer neuen Speckladung abgegangen
-ist!«
-
-»Pfui Deibel!« sagte der Korporal.
-
-Die Männer links und rechts von ihm lachten wie toll und erzählten
-den mageren Witz weiter, der nun richtig die ganze Linie entlang
-schallende Heiterkeit auslöste.
-
-Doch das Lachen war selten geworden. Ein jeder wußte, daß die Zeiten
-bitterernst waren und ein grimmiger Feind die Hügel bedrohte, ein
-schlimmerer Feind als die verachteten kleinen Männlein da drüben:
-Krankheit, Fieber, Ruhr, Malaria. Und ein jeder gab sich Mühe, auf das
-dumpfe Brausen in seinem Schädel frühmorgens im Nebel nicht zu achten
-und auf die Schmerzen in Magen und Darm nach den Mahlzeiten. Weil
-keiner krank werden _wollte_.
-
- * * * * *
-
-Souder und ich waren brummig oft, und übellaunig, und nicht weniger
-ungeduldig als alle anderen. Weder ihm noch mir blieben die grimmigen
-Leibschmerzen erspart, und er und ich wußten ganz genau, wie es
-war, wenn einem nach übelriechender Nebelnacht die Fieberfliegen
-im Kopf summten und man sich fluchend vom Sanitätssergeanten des
-Brigadequartiers gewaltige Dosen Chinin geben ließ, die einem die
-Ohren klingen machten. Aber die Linie, der Draht, das klappernde
-kleine Instrument versorgten uns stets mit so viel Arbeit und so
-starkem Interesse an Spannung und Erwartung, daß wir Kopfschmerzen und
-Leibgrimmen prompt zu vergessen pflegten. Waren die Depeschen in diesen
-Tagen auch selten wichtig, so wartete man doch wenigstens immer auf
-eine, die wichtig sein würde.
-
-Da kam der 7. Juli. Der vierte Tag des Waffenstillstandes. Die
-Linie zu =S O 3= war wieder einmal schadhaft geworden und die Reihe
-diesmal an uns, den Fehler zu suchen. Mißvergnügt machte ich mich mit
-Ersatzdraht und Zwickzange auf den Weg und fand den Schaden bald.
-Irgend ein Spitzbube in Uniform mochte zu irgend etwas ein Stückchen
-Draht gebraucht haben und hatte einfach einen halben Meter der Linie
-mit seinem Taschenmesser herausgesägt. Ich schimpfte, wie ein regulärer
-Signalmann über so lästerlich infame Schändung schimpfen mußte, und
-reparierte. Weil ich nicht weit von =S O 3= war, beschloß ich, bei der
-Blockhausstation vorzugucken. Ich schlenderte den breitausgetretenen
-Pfad hinter den Hügeln entlang, auf dem es von Soldaten wimmelte, denn
-Zelt an Zelt reihte sich auf der Hügelseite. Hier kampierten die Rauhen
-Reiter. Plötzlich blieb ich stehen, und heiß und kalt überlief es mich.
-
-War -- das -- ein Traum -- ein Fiebergaukelspiel?
-
-Eine klingende, metallische Stimme, eine liebe alte Stimme hatte mich
-gerufen bei meinem Namen aus alten Zeiten. Klar und hell --
-
-»Ed! Ha -- a -- llooh -- Ed!!«
-
-Ich stand und starrte und wollte meinen Ohren nicht glauben.
-
-»Halloh -- Ed!«
-
-Von einem Zelt nicht weit vom Weg kam ein Rauher Reiter-Offizier
-gelaufen, ein Leutnant. Unter dem graubraunen Feldhut mit dem
-glitzernden Regimentsemblem von gekreuzten Reitersäbeln leuchteten
-groß und lachend graublaue Augen -- die alten Augen ...
-
-»Billy!« schrie ich. »Halloh, Billy -- Bi -- i -- illy!«
-
-Und er sprang herbei, und wir schüttelten uns die Hände, denn sprechen
-mochte keiner ein Wort, und dann lachten wir wie unsinnig und dann
-schüttelten wir uns wieder die Hände und dann lachten wir wieder.
-
-Billy war es, der alte Billy, der Billy aus Wanderzeit und
-Eisenbahnfahrt.
-
-Billy in der Uniform eines =First Lieutenant=, eines Oberleutnants
-des Rauhen Reiter-Regiments. Gar kein Staunen verspürte ich über die
-silbernen Streifen auf seiner Schulter. Dieser Mann war einer der
-wenigen Menschen, die dazu geboren sind, zu führen und zu leiten unter
-allen Umständen. Seien sie arm oder reich. Die vornehm sein müssen und
-Herren über andere, mögen sie auch einen einzigen Rock nur ihr eigen
-nennen. In der alten Welt hätte man freilich aus Billy keinen Offizier
-gemacht. Sein Lebensgang wäre denn doch nicht einwandfrei genug gewesen
--- um die schöne Phrase zu gebrauchen. In Amerika sah man sich den Mann
-an und -- griff zu. Billys Familie hatte ihm eigentlich gegen seinen
-Willen das Leutnantspatent bei den Rauhen Reitern erwirkt. In der
-entscheidenden Unterredung jedoch mit Theodore Roosevelt hatte Billy
-klipp und klar erklärt, daß er erwähnen müsse, er sei vor noch nicht
-langer Zeit als Tramp, oder als eine Art von Tramp zum mindesten, auf
-den Eisenbahnen herumvagabundiert.
-
-»=You are allright!=« war Roosevelts knappe Antwort gewesen.
-
- * * * * *
-
-»Komm' in mein Zelt!« sagte Billy.
-
-Wir hockten uns auf die Wolldecke hin am Boden, und Billy holte
-feierlich eine kleine Feldflasche aus einem Winkel hervor, erklärend,
-daß es unter den Rauhen Reitern komische Käuze von Millionären gebe,
-die sich durch ihre Privatyachten Zigarren und Whisky bringen ließen.
-Wir tranken in Andacht den goldigbraunen Bourbon. Rauchten eine
-Zigarette.
-
-»Du bist also beim Signalkorps, eh?« begann Billy. »Haben sie nicht
-genug Verstand gehabt dort, dich wenigstens zum Sergeanten zu machen?«
-
-»Anscheinend nicht!« lachte ich. »Uebrigens habe noch nicht einmal
-vorschriftsmäßig gegrüßt, Herr Leutnant!«
-
-»Das ist allerdings schrecklich,« meinte Billy. »Kraft dieser schönen
-silbernen Schulterstreifen also befehle ich dir nun, sofort zu
-erzählen. In Colorado war's irgendwo, als du verschwandest -- und das
-hat mich damals mehr Kopfschmerzen gekostet als du ahnst, mein Junge.
-Drei Monate suchten wir nach dir, Joe und ich, bis wir es endlich
-aufgeben mußten. Erzählen, erzählen!«
-
-Da berichtete ich von der Fahrt nach St. Louis und dem Erleben dort
-und von der Kupferhölle und vom Zeitungsdienst und von San Franzisko.
-Von Frank und von Allan McGrady. Lachende Linien kamen in das
-scharfgeschnittene, hagere, rassige Gesicht.
-
-»Und bei dieser Geschichte hier in Kuba mußtest du natürlich auch dabei
-sein!« rief er endlich und füllte lustig augenzwinkernd das winzige
-Feldflaschenglas fingerhoch ... »Aber natürlich! Ich brauche dir wohl
-nicht zu sagen, mein Junge, daß du ein Narr wärest, würdest du die
-blaue Jacke nicht recht bald wegwerfen. Bleib du bei der Zeitung! Ich
-wünschte, ich wüßte so gut wie du es von dir wissen solltest, was ich
-zu tun hätte. Unter uns gesagt waren diese Schulterstreifen billig wie
-Brombeeren. Es gehörte nicht viel mehr dazu, aus dem alten Billy einen
-Leutnant zu machen, als sieben Wörtchen des alten Onkels van Straaten,
-der im Kongreß sitzt. Wenn diese nachgerade langweilige Affäre hier
-jedoch beendet ist -- dann adieu, Leutnant Billy!«
-
-»Weshalb machten sie dich gleich zum Oberleutnant?« lachte ich.
-
-»Bin ich vorgestern erst geworden!« berichtete er vergnügt.
-»Telegraphisch. Von wegen der Schlacht. Teddy sorgt für seine Leute.
-Weiß der Kuckuck, wo Jack (das ist mein Putzer) den Oberleutnantsstern
-aufgegabelt hat. Aufgenäht hat er ihn mir jedenfalls auf die Jacke --
-und meine Würde erdrückt mich beinahe!«
-
-Erzählen -- erzählen ... Wir rechneten uns aus, daß wir beim Sturm auf
-den San Juan-Hügel keine hundert Meter voneinander entfernt gewesen
-sein konnten, und im Planters-Hotel in Tampa im gleichen Saal gegessen
-haben mußten, ohne es zu ahnen. Wie groß die Welt war und doch wie
-klein! Stunde auf Stunde verschwatzten wir, bis ihn und mich der
-Dienst rief.
-
-Wochen später, als ich auf der Insel des gelben Fiebers aus dem
-Delirium erwachte und denken und verstehen konnte, gab mir der Arzt
-einen Briefumschlag. Fünf gelbe Banknoten steckten darin, zu zwanzig
-Dollars eine jede. Und ein Zettel:
-
-»Lieber Ed. Unser Schiff dampft heute, den 30. Juli, nach dem alten
-Land. Der Doktor schreibt mir, du würdest durchkommen. Wußte, sie
-würden dich nicht unterkriegen, alter Junge. Das Geld kannst du
-vielleicht gebrauchen. Gib es mir zurück, wenn es dir paßt. Hörte von
-Major Stevens, du seiest zum Sergeanten ernannt worden. Auf Wiedersehen
--- Billy.«
-
-Ich sollte ihn erst in einem Jahr wiedersehen, unter Verhältnissen, die
-noch viel merkwürdiger waren als das Begegnen im Tal von Santiago.
-
- * * * * *
-
-Die Krankheitsziffern in den Schützengräben stiegen zu erschreckender
-Höhe, und immer blasser und gelber wurden die Gesichter der Männer auf
-den Hügeln. Unerträglicher schien die Sonnenglut von Stunde zu Stunde
-fast und fürchterlicher die endlosen Regengüsse. Noch war die Zahl der
-schweren Erkrankungen an wirklicher Ruhr und Malaria verhältnismäßig
-gering, die Zahl der Leichtkranken jedoch ungeheuer groß. Den ganzen
-Tag über umringten sie das Doktorzelt, und der Sanitätssergeant
-verteilte im Schweiße seines Angesichts unablässig Chininpillen und
-Opiumpräparate.
-
-Die Befehle und Meldungen, die über unseren Draht gingen, zeigten zwar
-nur einen winzig kleinen Ausschnitt der allgemeinen Situation, aber sie
-ließen unschwer erkennen, daß die Führer der Truppen voll Besorgnis
-waren und daß alles nach einer Entscheidung drängte. Am 8. und 9.
-Juli gab es viel zu tun. Die Depeschen, die genaue Berichte über die
-Krankenzahl einforderten, jagten sich. In den Antworten der einzelnen
-Regimenter hieß es immer wieder: Allgemeiner Gesundheitszustand höchst
-unbefriedigend. Chefärzte kamen vom Hauptquartier und untersuchten die
-Truppen; lange Konferenzen fanden statt im Zelt des Generals.
-
-Da telegraphierte am Abend des 9. Juli das Hauptquartier, daß mit
-Mitternacht der Waffenstillstand ablaufe. Die Wirkung auf die
-Truppen, die nun sofort in den Schützengräben konzentriert wurden,
-war verblüffend. Die gedrückte Stimmung schien wie weggeblasen. Die
-Aussicht auf Arbeit machte die Männer in den Schützengräben wieder
-frisch und kräftig. Ueberall von den Hügeln erklang an jenem Abend der
-Tingeltangelschlager, den die Soldaten im Uebermut des Sieges in der
-Kampfnacht gesungen hatten. Er war zum Schlachtlied der kubanischen
-Armee geworden --
-
- =When the bells go tinge -- linge -- ling
- We'll join hands and sweetly we shall sing --
- There'll be a hot time
- In the old town
- Tonight, my Darling!=
-
-»Heut abend ist der Teufel los im Städtchen ...«
-
-Mit dem Morgengrauen begann das Kleingewehrfeuer auf der ganzen Linie.
-Vom San Juan-Hügel her dröhnten Geschütze. Die Spanier erwiderten das
-Feuer nur schwach. Ein unbedeutendes Ferngefecht war es -- wie auch am
-nächsten Tag.
-
-Mir ist dieser 10. Juli eine lustige Erinnerung. Im Laufe des
-Nachmittags lief eine Depesche ein, in der Präsident McKinley unserem
-General Bates seine Ernennung zum =Major General= anzeigte, der
-höchsten militärischen Würde in den Vereinigten Staaten. Das war
-natürlich ein großes Ereignis. Ich machte mich sofort auf den Weg
-nach den Schützengräben, um dem General das Telegramm zu bringen.
-Ueberall knatterte es vorne auf dem Hügel, und dann und wann pfiff
-eine feindliche Kugel durch die Luft. Ich eilte durch den Hauptgang
-und erfuhr von der Stabsordonnanz, daß der General im Schützengraben
-rechts sei. Nach wenigen Schritten sah ich auch schon die Gruppe der
-Stabsoffiziere. Und -- da packte mich eine ganz verrückte Idee ...
-Ein Held wollte ich sein! Auszeichnen wollte ich mich -- auffällig
-auszeichnen -- wunderbar tapfer sein ... Gedacht, getan. Mit einem Ruck
-richtete ich mich auf und stand kerzengerade da, daß Kopf und Schultern
-über die Brüstung des Schützengrabens hinausragten. Zischend surrte
-eine Kugel an meinem Ohr vorbei. Eine zweite. A -- aah! So -- ooh! So
--- oo -- benahm sich ein Ritter ohne Furcht und Tadel im Kugelregen --
-so -- olche Leute machte man zu Offizieren -- in meinem Kopf wirbelte
-es von Tapferkeit und Todesverachtung -- =sans peur et sans reproche=
--- a -- aah -- =fais ce que dois, adviegne que pourra= -- =c'est
-commandé au chevalier= ... und ganz langsam und bolzengerade stelzte
-ich über die Beine der feuernden Infanteristen hinweg auf den General
-zu. Begeistert war ich -- von mir selber. Ich kam mir wirklich wahrhaft
-heldenhaft vor. S -- sss -- ssss ---- zischte es. Und ich reckte mich
-noch höher auf und stellte mich stramm hin und meldete eiskalt:
-
-»Depesche für =Major General= Bates!«
-
-Der alte Herr, der im Graben kauerte, streckte die Hand nach der
-Depesche aus und sah mich scharf an.
-
-Mich aber überlief ein leichtes Zittern. Jetzt -- jetzt -- jetzt mußte
-es kommen --
-
-Der General sah mich noch immer scharf an und um seine Mundwinkel
-zuckte es. Dann sagte er leise, aber sehr deutlich:
-
-»=Get down, you fool!=«
-
-»Duck dich -- du Narr!«
-
-Da klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser. Aus war's mit dem
-Heldentum. Und zu meiner Ehre sei es gesagt, daß der Bruchteil einer
-Sekunde mir genügte, um zu erkennen, welch furchtbar lächerlicher
-Hanswurst ich soeben gewesen war.
-
- * * * * *
-
-Die kriegerischen Ereignisse im Tal von Santiago de Cuba nahten rasch
-ihrem Ende. Am 12. Juli begannen wieder die Verhandlungen. Am gleichen
-Tag traf der Höchstkommandierende der amerikanischen Armee, General
-Miles, in Siboney ein. Am 13. Juli hatten er und General Shafter eine
-Besprechung mit General Toral, dem spanischen Kommandierenden. Am 14.
-Juli kapitulierte Santiago de Cuba, und die spanische Armee gab sich
-kriegsgefangen.
-
- * * * * *
-
-Es war um Mittag des 14. Juli. Zwischen den amerikanischen und
-spanischen Linien, dreihundert Meter etwa rechts seitlich von unserem
-Hügel, hundertundfünfzig Meter in Front, stand inmitten einer weiten
-grasigen Fläche ein ungeheurer Mangobaum. Ein Riese. Der mächtige Stamm
-zeichnete sich im grellen Sonnenlicht scharf gegen das Grün und Gelb
-des Bodens ab. Die breitwipflige Krone ragte massig empor, wuchtig
-in ihrem Dunkel wie ein Gebäude. Da erzitterten Trompetentöne. Der
-Paraderuf, jedem Regulären wohlbekannt. Feierlich, gedehnt. Und die
-Männer in den Schützengräben sprangen auf die Brüstungen, kauerten
-sich hin und sahen schweigend zu, wie aus dem Bodeneinschnitt beim
-San Juan-Hügel Reiter in langsamem Schritt hügelabwärts ritten dem
-Baumriesen zu. Ich konnte durch mein Glas die Gestalten deutlich
-erkennen. General Miles war es, General Shafter, einige Offiziere, zwei
-Trompeter. Gleichzeitig glitzerte es drüben in den spanischen Linien
-von Epauletten und goldenen Borten und Pferden und Reitern in dunklen
-Umrissen.
-
-Die beiden Reitertrupps kamen sich näher, hielten einen Augenblick.
-Dann sprangen die Offiziere von ihren Pferden, und Ordonnanzen
-brachten Feldstühle und stellten sie auf im Schatten des Mangoriesen.
-In den amerikanischen Schützengräben war es mäuschenstill.
-Fünfzehntausend Männer, sechzehntausend, siebzehntausend, warteten
-in tiefem Schweigen. Drüben beim Feind tauchten aus Gestrüpp und
-Dschungelgras in langer Linie weiße Strohhüte auf und Gestalten in
-hellen Uniformen. Still war es. Ganz still. Zwanzig Minuten lang,
-eine halbe Stunde vielleicht. Dann kam Bewegung in die Gruppe beim
-Mangobaum. Pferde wurden herbeigeführt, Reiter stiegen in die Sättel,
-und langsam ritten die beiden Trupps zu ihren Linien zurück. Die Männer
-in den Schützengräben schauten noch immer. Niemand sprach. Nichts
-rührte und regte sich.
-
-Da blitzte ein Farbenfleck auf in dem tiefen Dunkel der Mangobaumkrone.
-
-Rot -- blau ... Er wurde deutlicher. Breitete sich aus. Und ich
-starrte und starrte, einer von Tausenden, und sah den Farbenfleck sich
-entfalten in grelle Streifen und winzige Punkte.
-
-Ueber dem Friedensbaum flatterte das Sternenbanner.
-
-Eine Sekunde lang noch war alles still. Dann ergellte wie aus einer
-einzigen Kehle brausend und donnernd ein furchtbarer Jubelschrei.
-
-Santiago de Cuba war gefallen.
-
-
-
-
-Nach Santiago de Cuba!
-
- Das Hauptquartier wird energisch. -- Die Enttäuschung der Männer
- in den Schützengräben. -- Die verbotene Stadt. -- Wir werden nach
- Santiago beordert. -- Das Legen der Linie. -- In den spanischen
- Schützengräben. -- Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern.
- -- In der Stadt. -- Die toten Gäßchen. -- Von Licht und Schatten.
- -- Das Hauptquartier des Siegers.
-
-
-Der Klopfer des Instruments überschüttete uns mit Punkten und Strichen.
-
-»Noch mehr?« fragte Souder zwischen zwei Telegrammen bei =S O= 3 an.
-
-»Massenhaft mehr!« kam die Antwort.
-
-Sergeant Hastings saß am Schlüssel drüben auf der Blockhausstation,
-der beste Sender des Korps, und unter seinen geschickten Fingern
-wurde das mechanische Klicken des Messingstängchens zum lebendigen
-Sprechen; so mühelos verständlich, daß der Sergeant und ich uns
-zwischen Schreiben und Lauschen fortwährend unterhalten konnten, wenn
-auch in abgerissenen Sätzen ---- und jeder Satz ungefähr würde uns ein
-Kriegsgericht eingetragen haben, hätte der Generalstabsoberst, der »auf
-Befehl des kommandierenden Generals« die Depeschen zeichnete, all die
-Unverschämtheiten mit anhören können.
-
-»Jawohl! Jaw -- oohll! Reiß' das Maul nur recht weit auf, mein Sohn!
-Schrei' Befehle, daß dir die Hosenträger platzen! Denn du weißt es
-ja, daß jetzo tiefer Friede herrscht in dieser schönen Gegend -- und
-du verstehst dein Metier und du weißt es ja, daß alle Kriegskunst im
-Frieden darauf hinausläuft, recht laut und recht viel zu kommandieren!
-Auf daß jedermann möglichst chikaniert werde! Hol' dich der Teufel! --
-Was sagt er?«
-
-»Es ist mit Strenge darauf zu achten, daß alles Trinkzwecken dienendes
-Wasser gehörig abgekocht wird --« klickte der Klopfer.
-
-»Gehörig abgekocht wird!« höhnte Souder. »Du bist ja von vorgestern,
-Oberstchen. Wer jetzt nicht schon die Cholera im Bauch hat, kriegt
-sie nimmer. Kable lieber nach Washington und sorge dafür, daß sie uns
-endlich gar nichts schicken als immer nur Speck und Speck und Speck! --
-Was ist das?«
-
-»Offizieren darf ohne Erlaubnis des kommandierenden Generals, der diese
-Erlaubnis nur in besonderen Fällen erteilen wird, Urlaub nach Santiago
-de Cuba nicht gewährt werden.«
-
-»Aha! Die Schulterstreifen dürfen auch nicht hinein! Was dem Regulären
-recht ist, muß dem Leutnant billig sein. Der Reguläre könnte sich
-besaufen, und der Leutnant vielleicht auch, aber sicherlich der Herr
-Oberst. Also geht nur der Herr Oberst ins Städtchen, damit er mehr
-unter sich ist! Oh -- hol dich der Teufel!«
-
-Dabei lag natürlich in den telegraphischen Befehlen zielbewußte
-Vernunft, während die Kritik des Mannes hinter dem Gewehr purste
-Unvernunft darstellte. Begreifliche Unvernunft jedoch. Dem
-begeisterten Jubelgeschrei des Sieges war in einer kurzen Stunde
-ganz gewöhnliches Geschimpfe gefolgt in den Schützengräben. Die
-derben alten Regulären da droben auf dem Hügel drückten sich noch
-viel saftiger aus als der lustige Signalsergeant. Als sie die Fahne
-flattern sahen über dem Friedensbaum, hatten sie sich eingebildet, daß
-es ein paar Stündchen höchstens dauern könne, bis der Befehl gegeben
-würde, männiglich solle seine Siebensachen zusammenpacken zum Einzug
-in die Stadt. Hei -- oh -- zum Marsch in die Stadt! So mancher mochte
-zungenschnalzend kalkuliert haben, was für schöne Dinge die silbernen
-Dollars in der Tasche alle kaufen konnten -- diese silbernen Dollars,
-die so völlig wertlos und vergnügungsbar gewesen waren seit Wochen im
-Drecklager.
-
-Ausgerutscht!
-
-Die Träume von netten Mahlzeiten, reinen Betten und dankbaren, vom
-spanischen Joch befreiten Mägdelein zerrannen in völliges Nichts. Es
-fiel dem Jesus-Christus-General gar nicht ein, seinen braven Truppen
-im Namen des dankbaren Vaterlandes begeistertes Lob und dergleichen
-zu spenden und sie einzuladen, sich doch Santiago gütigst anzusehen.
-Sondern er telegraphierte kurz und grob, jeder Mann, der ohne Paß in
-der Stadt angetroffen werde, würde vor ein Kriegsgericht gestellt
-und schwer bestraft werden! Das Hauptquartier telegraphierte des
-Ferneren, sämtliche Regimenter sollten sofort Zeltquartiere beziehen.
-Rund um jedes Zelt seien Abzugsgräben für das Regenwasser zu graben.
-Die Zeltgassen gehörig zu drainieren. Die Verpflegung der Truppen
-habe von nun an wieder durch die Kompagnieküchen zu geschehen. Die
-kommandierenden Offiziere wurden ersucht, für Reinigung der Wäsche und
-Uniformen ihrer Mannschaften zu sorgen. Und so weiter und überhaupt!
-
-Die braven Regulären aber, die so gern in der Stadt des Feindes
-spazieren gegangen wären, fluchten abscheulich. Was wußten sie davon,
-daß Santiago de Cuba ein Fiebernest war mit primitivsten sanitären
-Verhältnissen und unmöglich als Quartier für tropenungewohnte Truppen,
-ehe Ströme von Karbol den Unrat weggefegt hatten! Was wußten sie davon,
-daß ein kommandierender General die Zügel der Disziplin fester in die
-Hand nimmt, ehe er eine siegesübermütige Armee in eine eroberte Stadt
-führt! Sie wußten nur, daß weiterkampiert wurde in Regengüssen und
-Sonnenbrand ------ Sie sollten nicht in wirklichen Betten schlafen
-können -- nicht auf wirklichen gepflasterten Straßen wandeln -- nicht
-wieder Menschen sehen, die keine Uniform trugen -- nicht wirkliches
-Brot sich kaufen können ----
-
-Hei -- oh, wie wurde da geschimpft auf den Hügeln!
-
-Wir schimpften mit.
-
-Am nächsten Tag aber wandelte sich unser Schimpfen in freudige
-Ueberraschung. Ein Diensttelegramm befahl dem Sergeanten Souder und dem
-Signalisten Carlé kurz und bündig, sich sofort bei der Blockhausstation
-zu melden. Zum Linienlegen nach Santiago de Cuba.
-
-Zwischen drei und vier Uhr nachmittags brachen wir von der
-Blockhausstation auf, der Major Stevens, ein Kabeltelegraphist von
-Siboney, drei Sergeanten und zwei Signalisten. In fünfzehn Minuten
-hatten wir den Draht vom Hügelgipfel zum Friedensbaum gespannt. An
-diesem Tag kümmerte sich keiner von uns darum, daß die Sonne einem
-glühendheiß auf den Schädel brannte und das schweißige Hemd patschnaß
-am Leibe klebte und der Atem in kurzen Stößen kam und ging. Vorwärts,
-nur vorwärts! Nach Santiago de Cuba! Wir liefen nicht mehr mit den
-schweren Drahtrollen, sondern wir rannten. Mir war nicht wohl zumute
-dabei. Aber ich pfiff auf das sonderbare Flimmern vor den Augen und
-die eigentümliche Schwere und Benommenheit im Kopf. Mochten sie doch
-rumoren, die Magenkobolde und die Fieberteufel! Ich hatte an andere
-Dinge zu denken. Ich hatte Eile. Wir rannten. Durch das Gestrüpp der
-Hügelniederung, der gelben Linie zu, die die Straße nach Santiago de
-Cuba bedeutete.
-
-»Links -- links!« keuchte der alte Sergeant Hastings, der neben mir
-lief. »Nach dem Baum dort. Und ein bißchen langsamer. Ich bin mir in
-meinem Leben noch nicht so ausgepumpt vorgekommen. Sie sehen übrigens
-extra miserabel aus!«
-
-»Mir fehlt nichts,« sagte ich.
-
-»Na, mir auch nicht,« brummte er, »aber ich könnte gerade nicht
-behaupten, daß ich jünger und gesünder geworden bin!«
-
-Weiter -- weiter. Wir arbeiteten in kleinen Gruppen von je zwei und
-zwei Mann. In dem offenen Gelände mußte der Draht sorgfältig von Baum
-zu Baum gespannt werden. Ich erkletterte zwei Bäume, und sauer genug
-wurde mir das Steigen, so bequemen Halt auch die vielen Aeste der
-Mangos boten. Ein halbes dutzendmal fehlte nicht viel und ich wäre
-gefallen. Nein, gesünder war ich nicht geworden!
-
-Da tauchten bei einer Baumgruppe Gestalten in amerikanischen Uniformen
-auf und eine laute Stimme befahl uns, zu halten. Der Leutnant, der den
-Posten von fünf Mann kommandierte, kam herbei, und wir mußten einige
-Minuten warten, bis der Major, der weiter hinten die Linie prüfte,
-erschien und dem Offizier unsere Pässe vorwies.
-
-»Die spanischen Regimenter haben die Schützengräben verlassen,«
-meldete der Offizier, »und kampieren auf der Straße nach Santiago
-entlang, links und rechts vom Weg. Sie werden binnen wenigen hundert
-Schritten auf das erste spanische Lager stoßen, Herr Major. Ich habe
-Befehl, passierenden Offizieren und Mannschaften eine Anordnung des
-kommandierenden Generals zu übermitteln --«
-
-»Weiß schon, weiß schon,« nickte der Major. »Signaldetachement --
-=attention=!«
-
-Wir stellten uns erwartungsvoll in Reih und Glied. Der Leutnant las:
-
-»Der kommandierende General befiehlt, daß jede herausfordernde Haltung
-den Spaniern gegenüber vermieden wird. Die Entwaffnung der spanischen
-Armee und die Besetzung von Santiago findet erst in einigen Tagen
-statt. Spanische Offiziere sind zu grüßen wie die eigenen Vorgesetzten.
-Besuch von Restaurants oder Wirtschaften in der Stadt ist verboten. Sie
-sind übrigens geschlossen.«
-
-Der Major betrachtete uns vom Kopf bis zu den Füßen und sagte
-dann schmunzelnd: »Sergeanten und Signalisten! Ich habe in meiner
-militärischen Laufbahn noch niemals eine so verwahrloste und klapprige
-Gesellschaft gesehen wie euch. Sergeant Hastings -- aus Ihrem rechten
-Stiefel guckt Ihr Zeh! Im übrigen weiß ich nicht, wer am schmutzigsten
-und abgerissensten ist. Ich bitte mir aus, Hastings, daß Sie als
-ältester Sergeant das in Ordnung bringen. Sie werden in der Stadt
-irgend einen englischsprechenden Kubaner auftreiben, es gibt deren
-genug, und ihn auf meine Kosten als Putzer für das Detachement
-anstellen. Die nötigen Einkäufe an Wäsche und so weiter besorgen Sie
-ebenfalls auf meine Kosten, Sergeant. Jeder Mann nimmt zweimal täglich
-ein Glas Whisky mit einem Chininpulver -- für den Whisky und das Chinin
-werde ich sorgen. Achtet auf eure Gesundheit, Leute! Ich bin sehr
-zufrieden mit euch.«
-
-Weiter ging's. Mit verdoppelter Schnelligkeit. Wie mir ging es wohl
-jedem andern: Das Wasser lief einem einfach zusammen im Munde, wenn
-man an dieses Dorado von frischer Wäsche und kubanischem Putzer und
-Reinlichkeit dachte!
-
-Wenige hundert Schritte nur hatten wir die Linie weitergelegt, als
-uns eine angenehme Ueberraschung wurde. Da, wo die eigentliche Straße
-begann, die in scharfem Bogen von Osten herkam, lagen im Gras eine
-umgestürzte Telegraphenstange und verwickelter Kupferdraht. Einige
-Meter weiter begann die Stangenreihe. Soweit wir es durch die Gläser
-erkennen konnten, war die Leitung dort intakt.
-
-»Anschließen!« befahl der Major vergnügt. »Das Ding scheint zwar aus
-uralten Zeiten zu stammen, wird aber wohl funktionieren. Die Linie wird
-bei jedem zehnten Pfosten geprüft.«
-
-So ging es sehr rasch vorwärts. Dicht hinter dem Gestrüpprand zweigten
-rechts und links von der Straße die spanischen Schützengräben ab. Sie
-waren viel flacher gegraben als die unsrigen auf den Hügeln und boten
-wirksamen Schutz eigentlich nur liegenden Truppen. Das Wunderbare aber
-war, wie die Spanier jede Baumgruppe, jede winzige hügelige Welle
-zu einer kleinen Festung gestaltet hatten. Wo Bäume standen, war
-inmitten der Baumgruppen der Boden tief ausgehöhlt worden, so, daß ein
-halbes Dutzend Schützen in der Höhlung kauern konnten. Viele Reihen
-stacheligen Drahts verbanden Baum mit Baum. Stacheldraht war überall.
-Scharfschützen in diesen Löchern mußten fast unerreichbar gewesen
-sein für Infanteriefeuer und hätten Dutzende von Angreifern, die der
-Stacheldraht behinderte, wegschießen können. Der Major schüttelte
-fortwährend den Kopf, und einmal platzte er heraus:
-
-»Das wäre eine nette Bescherung gewesen ---- «
-
-Die Straße wurde breiter, der Boden ebener, wie festgestampft. Wir
-hörten Stimmen aus dem dünnen Gebüsch, das den Weg einsäumte, und ein
-spanischer Offizier trat auf die Straße; eine schlanke Gestalt in
-schneeweißer Uniform mit Goldlitzen an den Aermeln und am Kragen. Er
-blieb überrascht stehen, salutierte den Major in straffer Haltung,
-wandte sich rasch und verschwand wieder im Gebüsch. Einen Augenblick
-nur hatte ich in das tiefernste junge Gesicht gesehen, aber der
-Schmerz, der Haß in diesen Augen machten gewaltigen Eindruck auf mich.
-Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, was ich wohl empfinden würde,
-wären wir besiegt worden. Was war mir Amerika! Mir, dem Fremden, der
-sein Leben zu Markte getragen hatte im Spiel! Und ich wußte, daß ich
-bitterunglücklich gewesen wäre, läge das Sternenbanner im Staub. In
-fröhlichem Uebermut und tollem Abenteurerdrang nur war das Spiel
-gespielt worden, aber es hatte Stärkeres ausgelöst, wie gutes Spiel
-es muß. Zusammengehörigkeit. Seit den Tagen im Tal von Santiago ist
-mir die Flagge der Vereinigten Staaten viel mehr gewesen als ein
-gleichgültiger Fetzen in Rot und Blau wie all die vielen anderen, die
-mich als Deutschen nicht kümmern. Es gibt Spiele, die man nicht vergißt.
-
-In einem sonderbaren Gefühl von Mitleid beinahe und doch brennender
-Neugierde sah ich mich um. Das Gebüsch an den Wegseiten wurde lichter
-nach wenigen Schritten. Gestalten tauchten auf im Gezweig und tiefen
-Gras; helle Uniformen, Zelte. Mitten zwischen spanischen Truppen
-marschierten wir nun, und wenn wir hielten, um die Linie zu prüfen,
-umdrängten die Soldaten uns in Haufen.
-
-Sie sahen alle bleich und abgemagert aus. Die dünnen Uniformen waren
-schrecklich abgerissen. Die meisten hatten keine Stiefel an den
-Füßen, sondern Segeltuchschuhe mit Sohlen aus Stricken. Sie trugen
-keine Waffen. Ihre Gewehre waren nicht ordentlich in Kompagniereihen
-zusammengestellt, sondern in großen Pyramiden aufgestapelt mit Haufen
-von Bajonetten daneben. Die Zelte waren erbärmlich; Stücke Segeltuch,
-an einen Baum oder einen Busch gebunden und dachartig schräg gegen
-den Boden gespannt. Viele Spanier lagen gleichgültig da, Zigaretten
-paffend. Andere schnatterten aufeinander ein mit vielem Gestikulieren.
-Manchmal sah uns einer finster an, aber die meisten schienen lustig
-genug und winkten uns zu. Wieder prüften wir die Linie. Ein spanischer
-Unteroffizier, an seinem Aermel wenigstens war eine schmale goldene
-Tresse, trat an mich heran und zog mir eine Patrone aus dem Gürtel.
-Dafür gab er mir einen Rahmen mit fünf Mauserpatronen.
-
-»=Pour souvenir!=« sagte er in gebrochenem Französisch.
-
-Im Augenblick folgten andere seinem Beispiel, und ein Handelsgeschäft
-mit Patronen entwickelte sich. Die Leute hatten alle Hunger! Das wußten
-wir und hatten uns auf der Blockhausstation Tornister und Taschen mit
-Speckstücken und Zwiebacken vollgestopft, die es im Ueberfluß gab. Die
-stets hungrigen armen Teufel von =Cubanos= waren ja wie besessen hinter
-einem Stück Hartbrot her. Als Trinkgelder und Dolmetscher hatten uns
-die Rationen Onkel Sams in Santiago dienen sollen. Nun wanderten sie in
-die Mägen der spanischen Soldaten am Weg. Die Spanier rissen uns die
-Speckstücke und die Zwiebacke aus den Händen, so schnell wir sie nur
-aus den Feldtaschen hervorholen konnten, drängten uns Zigaretten und
-kleine Flaschen mit Rum auf dafür und bissen verhungert in das Hartbrot
-hinein, als sei es ein köstlicher Leckerbissen.
-
-An Regiment auf Regiment kamen wir vorbei. Pfade zweigten ab links
-und rechts, und zwischen den Bäumen leuchteten grelle Farben im
-Sonnenschein, weiße und gelbe und blaue, die ersten Häuser Santiago de
-Cubas. Dann verschwanden die Bäume, und aus dem Weg wurde eine breite
-Straße, die zwischen hölzernen Hütten hinführte, in denen die Aermsten
-von Santiago wohnten. Da und dort an einer Ecke lungerten Männer und
-Weiber in zerfetzten Kleidern, aber sie schlichen scheu davon, als
-wir näher kamen. Splitternackte Kinder mit schrecklich aufgedunsenen
-Bäuchen rannten schreiend in die Hütten.
-
-Die alte Drahtlinie führte schnurgerade den Weg entlang in eine schmale
-Gasse von Steinhäusern. Dröhnend hallten unsere schweren Schritte auf
-dem holperigen Pflaster. Flache Dächer hatten die Häuser und klein und
-niedrig waren sie und grell und bunt angestrichen. Aber sie sahen uralt
-aus trotz der leuchtenden Farben. Die Steinstufen an den Toren waren
-tief ausgetreten.
-
-Totenstill und verlassen lag das Gäßchen da. Was es an Leben barg,
-versteckte sich hinter massigen Türen mit bronzenen, kastilischen Löwen
-als Klopfern und vergitterten Fenstern. Auf die grellen Häuserwände
-warfen die Sonnenstrahlen blendendes Licht, und schwer und schwarz lag
-der Häuserschatten auf dem Pflaster. Aus den alten Mauern schien dumpfe
-Moderluft zu quellen. Still war es, so still, daß man leiser auftrat.
-Die Gäßchen und die Häuser schienen zu schlafen. Dunkel war es fast.
-Was die glühende Sonne an Lichtfreudigkeit auf die gelben und weißen
-Wände zauberte, löschten die vielen dunklen Schatten wieder aus, die
-lang und spitz und breit und stumpf in totem Schwarzviolett sich über
-die Gasse hinzogen und über Türen und Fenster krochen. Zwischen den
-spitzen Pflastersteinen wucherte Gras, und auf dem Fußsteig trat man
-in tiefe Löcher. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Kein Gesicht zeigte
-sich hinter all den Gitterfenstern.
-
-Mehr schmale Gäßchen. Mehr gelbe, blaue, weiße Häuserchen, alle alt und
-alle verwittert. Ueber einem flachen Dach ragte in der Ferne fein und
-zierlich der Kathedralenturm in das tiefe Blau.
-
-An der Ecke, bei einem Brunnen, in dessen Steinwände viele Jahre
-und viele Wassertropfen große Löcher gefressen hatten, stand ein
-amerikanischer Kavallerist, Karabiner im Arm, und deutete nach
-vorwärts, wo das Gäßchen sich verbreiterte. Und bald wurde aus der
-Stille Lärm. Zwar sahen die kleinen Häuser noch immer über alle Maßen
-alt und verträumt aus, und vor Fenstern und Türen lagen hölzerne Läden,
-mit schweren Eisenstangen fest verschlossen. Aber Inschriften in gelben
-und goldenen Lettern über Türen und Schaufenstern zeigten, daß hier
-doch noch lebendige Menschen wohnen mußten, die arbeiteten und kauften
-und verkauften. Weiter oben standen sie, die lebendigen Menschen,
-in dichten Gruppen; einem knallgelben Haus gegenüber. Sie trugen
-spitze Strohhüte und dünne Hosen und Jacken, bald braun, bald weiß,
-bald farbig, aber immer zerfetzt. Weiber waren dazwischen mit wirrem
-Haar und kurzen Röcken, unter denen die braunen Beine hervorguckten,
-und neben ihnen kauerten nackte Kinder. Alle schrien und zeterten.
-Sie schrien nach Brot, denn unter der armen Bevölkerung von Santiago
-herrschte arge Hungersnot. Spanische Gendarmen drängten sie zurück.
-Vor dem knallgelben Haus scharrten und wieherten viele Pferde, von
-amerikanischen Regulären gehalten. Offiziere kamen und gingen. Es war
-das Hauptquartier des Siegers.
-
-
-
-
-Im Kabelbureau.
-
- Der spanische Telegraphendirektor. -- Unter Dach und Fach. -- Wir
- requirieren Wäsche. -- Der wundersame Patio. -- Das große Baden. --
- Der brauchbare Antonio. -- Wir rüsten ein Mahl. -- »=Caballeros
- telegraphistas!=« -- »Oh, der verdammte Speck!« -- »Man muß
- ein Loch in die Uhr schießen!« -- Das Feuerrad. -- Im Dunkel.
-
-
-Der Lehrer der französischen Sprache an dem bayrischen Gymnasium von
-Burghausen an der Salzach, in dem dickschädelige bayrische Bauersöhne
-in glänzenden schwarzen Hosen sich die erste wissenschaftliche Reife
-ersitzen und leichtsinnige Münchner Früchtchen gezwiebelt werden --
-Monsieur würde sich gewundert haben, hätte er gewußt, daß in diesem
-Augenblick der hinausgeschmissene Lausbub ihn im Kabelbureau von
-Santiago dankbar segnete. Mein Burghausener Französisch war zwar ein
-grammatikalisches Gerippe nur, aber es genügte. Bei Gott, es genügte!
-
-Wir waren im Kabelbureau von Santiago de Cuba. Der Major stand
-breitspurig da, biß sich auf den Schnurrbart und bemühte sich offenbar,
-höflicher zu sein, als ihm der Sinn stand. Ihm gegenüber tänzelte ein
-kleines Männchen von einem lackbestiefelten Bein aufs andere. Sie
-waren das Schönste an ihm, diese prächtigen Lackstiefel, wenn auch der
-schneeweiße Leinenanzug ihnen einige Konkurrenz machte. Das Männchen
-war der spanische Telegraphendirektor. Der zappelige Spanier fuhr mit
-wohlgepflegten, ringgeschmückten Händen beschwörend auf den Major zu.
-
-»Ich weiche der Gewalt!« sagte er. (Auf Französisch -- daher mein
-Segnen!)
-
-»Es handelt sich hier nicht um Gewalt, mein Herr,« antwortete der Major
-in einem sehr verständlichen aber entschieden gräßlichen Französisch,
-»sondern um eine ausdrückliche Abmachung der Kapitulation, wonach die
-Telegraphenlinien vorläufig zu militärischen Zwecken von uns übernommen
-werden. Wo sind Ihre Beamten, mein Herr?«
-
-Die schönen Hände beschrieben wilde Kreise:
-
-»Sie wichen der Gewalt.«
-
-»Dann werden Sie selbst so freundlich sein müssen, mein Herr, mir die
-verschiedenen Verbindungen zu bezeichnen!«
-
-»Ich -- ich -- habe schriftlich ...« stotterte das Männchen und deutete
-auf die Tische mit den Telegraphentastern. An jeden war ein Zettel
-gehängt, auf dem die Verbindungen und die Anrufszeichen angegeben waren.
-
-»Sehr schön!« knurrte der Major mit einer ironischen Verbeugung. »Oh --
-hier haben wir ja die Santiagotal-Linie. Hastings, rufen Sie doch =S O=
-3 an!«
-
-Der Sergeant beguckte brummig den schweren, altmodischen Taster, der
-unseren modernen leichten Morseinstrumenten gegenüber so verächtlich
-war, wie es ein Mistwagen für ein Automobil sein würde, und begann zu
-klopfen. Die Blockhausstation meldete sich sofort.
-
-»Es ist gut,« sagte der Major. »Ich mache Sie dafür verantwortlich,
-mein Herr, daß alle Apparate sich in Ordnung befinden. Die Instrumente
-des Kabels nach Jamaica werden gegenwärtig von meinem Kabelexperten
-geprüft ...«
-
-»Ich lehne alle Verantwortung ab!« schrie der nervöse
-Telegraphendirektor.
-
-»Aber durchaus nicht,« meinte der Major freundlich. »Sie werden im
-Gegenteil so liebenswürdig sein, sich heute abend um neun Uhr im
-Hauptquartier einzufinden. Dann werden wir festsetzen, unter welchen
-Bedingungen die Beförderung von Telegrammen und Kabelgrammen in
-spanischer Sprache übernommen wird. Ich mache Sie jetzt schon darauf
-aufmerksam, mein Herr, daß wir Ihrer und Ihrer Beamten für den Dienst
-bedürfen werden.«
-
-»Ich gehorche der Gewalt,« zeterte das Männchen.
-
-»=Très bien=,« sagte der Major. »Auf Wiedersehen also heute abend um
-neun Uhr im Hauptquartier!« Und der Herr Telegraphendirektor trippelte
-mit wutgerötetem Gesicht der Türe zu.
-
-»Der verdammte Narr!« platzte der Major heraus. »So, Jungens. Ich muß
-ins Hauptquartier. Die Apparate im Kabelzimmer gehen euch vorläufig
-nichts an. Befördert werden von euch heute abend nur die Telegramme an
-=S O= 3, die ich durch Ordonnanzen sende. Richtet euch so gut ein als
-möglich, damit ihr mir morgen frisch seid, denn wir werden Arbeit in
-Hülle und Fülle haben. Stadturlaub gibt es heute noch nicht. Ihr habt
-hübsch hier zu bleiben. Das Nötige schicke ich euch.«
-
-Dann ging er.
-
-Wir aber waren schon außer Rand und Band, kaum daß der Major die
-Türe hinter sich geschlossen hatte. Karabiner, Revolver, Tornister,
-Feldtaschen schmissen wir in eine Ecke, daß es krachte, und lachten und
-schrien und spektakelten. Weil wir ein richtiges Dach über uns hatten
-und in einem wirklichen Zimmer waren; wieder einen Tisch sahen und
-Stühle zum Draufsitzen.
-
-»Meinetwegen kann's jetzt Niagarafälle vom Himmel herunterregnen!«
-schrie Sergeant Souder und ließ sich mit voller Wucht in einen Stuhl
-fallen. »Hoh! Das also ist ein Stuhl! So sieht ein Stuhl aus? So sitzt
-es sich in einem wirklichen ehrlichen Stuhl -- oah ...« Und er räkelte
-sich und reckte sich und streckte die Beine gewaltig lang aus, der
-Sergeant Souder.
-
-Schreiend phantasierten wir einander vor, was wir in den nächsten
-vierundzwanzig Stunden alles essen wollten. Ungeheuerliche Genüsse
-dachten wir uns aus. Aber bald wurden wir des Spektakelns müde und
-gingen als gute Soldaten daran, die Oertlichkeit zu rekognoszieren.
-Den langen Telegraphentischen und den klobigen Instrumenten schenkten
-wir kaum einen Blick -- die würden wir schon noch kennen lernen. Den
-Kabeltelegraphisten, der jetzt aus dem Nebenzimmer kam und uns erzählen
-wollte, daß die spanischen Kabeleinrichtungen durchaus nicht seinen
-Beifall fänden, schrien wir einfach nieder.
-
-»Morgen! Morgen, mein Sohn, wollen wir dein gesegnetes Kabel
-beschnüffeln -- heute nicht!« knurrte der alte Hastings. »Heute müssen
-wir herausbekommen, wo man sich waschen kann und wie man etwas zu
-essen auftreibt und -- o Lord, so viele schöne Dinge, wie ich sie alle
-notwendig brauche, gibt es überhaupt gar nicht! Jungens, dies Ding hier
-sieht aus wie eine Kirche!«
-
-Kein übler Vergleich. In mattem Halbdunkel nur ließen die hohen, schwer
-vergitterten, buntbeglasten Fenster gedämpfte Lichtstrahlen in den
-riesigen Raum einströmen. Aus steinernen Fliesen war der Boden, und
-sonderbar hoch wölbte sich in vielen spitzen Bogen die weiße Decke.
-Alt und verträumt wie die Gäßchen draußen, war auch das Haus hier.
-Uralt schien alles. Die kunstvollen, eisengeschmiedeten Gitter, die uns
-von dem schmalen Schalterraum abschlossen, das buntbemalte Kruzifix
-in der Ecke, die sonderbaren eisernen Tintenfässer auf den Tischen,
-das Kupferschmiedewerk der Lampen, die aussahen wie Ampeln. Sogar die
-vielen an den Wänden angenagelten Verordnungen schienen aus einer
-anderen Zeit zu stammen mit ihrer schnörkeligen, verzierten, pretiösen
-Schrift.
-
-An der einen Seitenwand des Raums waren vier Türen. Souder riß die
-erste auf und schrie: »Hierher, Jungens! Da steht ein Waschstand und da
-ist Seife, bei meiner armen Seele, und hier hängen Handtücher. =Glory
-be to God.= Könnt ihr euch überhaupt noch vorstellen, wie Handtücher
-aussehen?«
-
-Wir stürzten herbei und jubelten.
-
-Dann ging's zur nächsten Türe. Hinter ihr war eine Art Wandschrank,
-in dessen Fächern drei große Pakete lagen. Ritsche -- ratsche -- riß
-Hastings das dünne Papier von dem einen ... und seine Augen wurden groß
-und größer.
-
-»Und führe uns nicht in Versuchung!« sagte er. »Kinder, es ist traurig,
-doch ich muß euch daran erinnern, daß das Zeug auf keinen Fall uns
-gehört, gehöre es, wem es mag. Finger weg!«
-
-Aber wir hatten ihm die Stücke schon aus den Händen gerissen und
-tanzten begeisterte Kriegstänze. Es war ja nicht zu glauben -- es war
-zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Wäsche hielten wir in den Händen.
-Reine Wäsche -- frisch von der Waschfrau! Seidene Wäsche darunter gar!!
-Hemden und Hosen und Kragen und Strümpfe und feine Leinenanzüge ...
-Irgend ein spanischer Telegraphenbeamter, der ein höchst verwöhntes
-und sehr feines Herrchen sein mußte, hatte sich aus irgend welchem
-Grunde seine Wäsche ins Bureau schicken lassen. Nein, nicht einer nur.
-Mehrere. Die Wäschestücke waren verschieden groß.
-
-»Sie passen mir tadellos,« grinste Souder, der ein Paar Hosen prüfend
-vor sich hinhielt.
-
-»Zum Teufel -- laß das Zeug liegen,« rief Hastings. »Es ist
-Privateigentum.«
-
-»Schrei nicht so,« antwortete Souder gemütlich. »Ich weiß schon, daß
-du hier Rangältester bist. Aber sag einmal, Freund, soll ich in diesem
-blutigen Krieg nicht einmal ein reines Hemd und eine saubere Unterhose
-erbeuten dürfen?«
-
-»Wir können uns doch Wäsche _kaufen_!« knurrte Hastings.
-
-»Ganz richtig -- vorläufig kaufe ich mir diese hier --«
-
-»Und wenn der Major ------ «
-
-»Laß mich zufrieden!« schrie Souder. »Wenn der Major so dreckig wäre
-wie ich, so würde er sich die feine Wäsche hier mit der gleichen
-Gemütsruhe stehlen, wie ich das zu tun gedenke. Pardon -- requirieren
-würde sie der Major. Zum Kuckuck, wir sind doch keine Sonntagsschüler!«
-
-Sergeant Hastings hielt ein Hemd in der Hand und sah es lange und
-liebevoll an.
-
-»Ich habe eine Idee!« sagte er endlich. Er ging zum Tisch, nahm ein
-Telegrammformular und schrieb: »Die hier fehlenden Wäschestücke habe
-ich mir aus Gesundheitsrücksichten für mich und meine Kameraden
-angeeignet. Der Eigentümer erhält Bezahlung von mir. Hastings,
-Signalsergeant.«
-
-Dieses merkwürdige Schriftstück legte er in den Schrank an Stelle der
-fehlenden Pakete und schloß ihn sorgfältig wieder zu, nachdem wir uns
-ein jeder ausgesucht hatten, was wir brauchten.
-
-»Die Sache ist =allright=!« meinte der alte Sergeant schmunzelnd. »Ohne
-den Fetzen Papier wär's Plünderung -- mit dem Fetzen Papier ist's
-dienstliche Requisition.«
-
-»Vielleicht gibt's noch mehr zum Requirieren!« lachte ich.
-
-Die dritte Türe barg einen Aktenschrank mit allerlei Formularen.
-Die vierte ging in einen großen Raum, der nur durch das Türoberlicht
-vom Bureau her erleuchtet wurde. Er war gänzlich kahl und leer. Nur
-an den Wänden standen Ballen mit zusammengeschnürten Papieren. Eine
-offene Tür gegenüber zeigte ein kleines Gemach mit allerlei Gerümpel
-und einem Herd in der Ecke. Helles Licht strömte aus einer hohen und
-breiten Oeffnung in der Mauer. Ausgetretene steinerne Stufen führten
-zu einem kleinen Hof hinab, versteckt und still und wundersam. Von
-maurischen Hufeisenbögen getragen, gestützt von schlanken weißen Säulen
-neigte sich ringsum weit in den Patio hinein der dachartige Vorsprung.
-Verträumtes Plätschern klang rieselnd in die Stille. Rankenversponnen
-waren die Wände, und da und dort leuchteten blaue und rote Blüten
-aus dem tiefen Grün. In der Mitte stand der Springbrunnen mit einem
-gewaltigen Löwen von sonderbar eckigen Formen, aus dessen Maul ein
-dünner Strahl in das marmorne Bassin fiel. Uebergroß, schwarzdunkel
-sah das Brunnenbild aus im kühlen, gedämpften Licht der untergehenden
-Sonne. Aus roten Ziegelsteinen war der Boden. Rechts und links guckten
-flache Dächerreihen über die Mauern herein, und gegenüber ragte eine
-graue Häuserwand mit kreuzweis vergitterten Fenstern empor.
-
-»Es geht nicht,« brummte Souder kopfschüttelnd und sah zu den Fenstern
-hinauf. »Nee -- es geht nicht!«
-
-»Was geht nicht?« fragte ich.
-
-»In den Springbrunnen da hineinzusteigen, wie ich es gern möchte.
-Die Kleider herunter und hinein in den Brunnen! Aber die =ladies=
-könnten's übelnehmen ...«
-
-Da guckte ich mir den Brunnen an, und in meiner Seele stieg ein großes
-Wünschen auf nach einem großen Bad. Aber während ich noch guckte, wurde
-drüben in der grauen Häuserwand ein Fensterladen ein wenig geöffnet,
-und ein Frauengesicht sah neugierig auf uns herab, sofort wieder
-verschwindend, als ich lustig hinaufwinkte. Nein, es ging wirklich
-nicht! Aber es fiel mir ein, daß ich in der Küche in einem Winkel eine
-Art Zuber gesehen hatte. Den holte ich und warf ihn in den Brunnen, und
-Souder und ich holten ihn zusammen heraus, wassergefüllt.
-
-»Halleluja!« rief der alte Hastings. »Ihr müßt aber ja nicht glauben,
-daß die alte Badeanstalt euch beiden allein gehört. Vorwärts, marsch,
-hinein mit der Badewanne ins Zimmer ...«
-
-Und ein großes Baden hub an in dem leeren Gemach neben dem Bureau.
-Einen fürchterlichen Spektakel machten wir dabei. Im Nu hatten wir uns
-ausgezogen und kugelten übereinander; fünf Männer, die sich pufften
-und stießen, um in einem mittelgroßen Zuber und einer ziemlich kleinen
-Waschschüssel möglichst schnell, möglichst gründlich und möglichst
-gleichzeitig zu -- baden.... Der Kabeltelegraphist, der ein langsamer
-Geselle war und sich beim Auskleiden nicht gesputet hatte, mußte
-auf allgemeine Einschreierei seine Hosen wieder anziehen und in der
-Waschschüssel ohn' Unterlaß frisches Wasser herbeischleppen. Den Zuber
-zerrten wir ein halbes dutzendmal zur Küchentüre und stürzten ihn
-einfach um. Das Wasser würde ja schon irgendwohin ablaufen. In fünf
-Minuten waren die Küche und das Nebengemach ein kleiner See. Wir aber
-badeten. Wir spritzten wie nicht gescheit. Wir zankten uns um das
-einzige Stückchen Seife -- und tanzten umher unter allerlei Kapriolen
-und pfiffen und schrien und schwelgten in Wasser und Seifenschaum. Ein
-Zuhörer würde uns reif fürs Tollhaus gehalten haben.
-
-Da öffnete sich knarrend eine Türe und eine krähende Stimme rief:
-»=Caballeros!=«
-
-»Still!« sagte Hastings. »Da ist jemand!«
-
-»=Señores!!=«
-
-»Oh, es ist nur ein =Cubano=,« lachte Souder und schrie laut: »Fahr'
-zur Hölle -- dies Bureau ist geschlossen!«
-
-»Nix Hölle!« meckerte die Stimme in gebrochenem Englisch. »Mich
-geschickt von =Señor Capitano= mit einem Brief, =Señores=!«
-
-Gleichzeitig schob sich eine Gestalt in die Türe, und ein kleiner
-Kubaner stand da, uns listig anfunkelnd aus den Fuchsaugen in dem
-mageren braunen Gesicht. »Ich Antonio!« erklärte der Magere. »Mich
-Generalagent sein für die =caballeros telegraphistas=!«
-
-»Was?« schrie Hastings.
-
-Der Kubaner grinste und gab ihm einen Brief.
-
-Brummend wischte sich der splitternackte Sergeant den Schaum aus den
-Augen und las laut:
-
-»Sergeant Hastings!« begann der Brief. »Der Ueberbringer heißt Antonio
-und ist ein Spitzbube. Aber er kann ein bißchen Englisch und wird
-Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen. Inliegend zwanzig Dollars.
-Sehen Sie Antonio auf die Finger! -- Stevens.«
-
-Antonio mochte ein Spitzbube sein, aber für uns war er ein Juwel. Er
-hatte einen Sack mitgebracht, den er nun in die Küche schleppte und
-ausleerte. Ich guckte, faselnackt noch immer, neugierig zu, wie aus dem
-Sack allerlei Bratpfannen und Töpfe rollten und allerlei Proviant in
-Armeeverpackung: Zucker, Salz, Mehl.
-
-»Mich fein kochen!« erklärte Antonio stolz. »Mich überhaupt alles!!«
-
-»=Bueno!=« nickte ich -- kletterte in eine seidene Unterhose und
-schlüpfte, o Wonne über Wonne, in ein batistenes Hemd. Die ganze Welt
-hätte ich umarmen können, so glücklich kam ich mir vor, wenn ich auch
-merkwürdig müde war und alle Glieder mich schmerzten. Zunächst äußerte
-sich meine Glücksstimmung darin, daß ich Antonio einen Silberdollar
-schenkte, den er mit einer tiefen Verbeugung und einem »=gracias,
-Señor=« grinsend einsteckte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt.
-Aber Antonio war diesen Silberdollar unter Brüdern wert und ganz gewiß
-auch die fünfzig Prozent Spitzbubentaxe, die er ohne Zweifel auf jeden
-Einkauf draufschlug.
-
-Ein Juwel war er, ein Wunder, ein Genie, das im Augenblick die
-Situation erkannt und es instinktmäßig begriffen hatte, daß den
-=telegraphistas= die Silberstücke locker saßen, so man sich ihnen nur
-nützlich zu machen wußte. Und Antonio setzte in ganz unspanischer
-und unkubanischer Weise seinen Intellekt und seine Beine in rapide
-Bewegung. Er zog ein Rasiermesser und einen Streichriemen aus der
-Tasche, erklärte, daß er in friedlichen Zeiten Barbier sei, wenn es
-auch jetzt mit dem Geschäft sehr faul stehe, und hatte im Handumdrehen
-uns alle ausgezeichnet rasiert. Er kam und ging, verschwand und war
-wieder da. Er schleppte bauchige Flaschen herbei voll schweren Rotweins
-und viele Zigaretten und viele Zigarren -- und wir priesen dankbar die
-Güte der Götter, die uns in ein Land geführt hatten, in dem man für
-wenige Dollars so viele schöne Dinge bekommen konnte. Er brachte uns
-Arme voll =alpergatos= zum Aussuchen, und wir steckten unsere Füße in
-die wonnige, weiche Tuchbekleidung, auf deren Stricksohlen es sich
-so leicht ging, und wunderten uns, daß die Dinger kaum einen halben
-Dollar kosteten. Er brachte Holz und brachte Kohlen und machte Feuer
-an im Küchenherd und zauberte Eier herbei und rupfte Hühner, die er
-gottweißwo aufgetrieben hatte -- und wenn's dem Herrgott in Frankreich
-gut gegangen ist, so ging es uns armen Signalisten besser noch im
-kubanischen Land.
-
-Antonio war überall. Er hatte auch seine Frau herbeigezaubert, die
-fünfmal so dick war wie ihr Gatte. Sie briet jetzt Hühner und rührte
-Omelettes, während er, allgegenwärtig, Uniformen mit Benzin putzte und
-unsere Flanellhemden wusch und doch sofort mit einem Zündholz da war,
-wenn man sich eine frische Zigarette nahm.
-
-Oh, es ging uns ausgezeichnet; wir hatten es über alle Maßen gut!
-Lümmelig saßen wir da auf den bequemen Stühlen, streckten unsere Beine
-lang aus auf die Telegraphentische und waren sehr zufrieden.
-
-»Antonio, eine Zigarre!«
-
-Antonio flog.
-
-»Antonio -- ein Zündholz!«
-
-»=Si, si, Señor.=«
-
-»Antonio! Mach' die Tür zu ...«
-
-Wie Granden von Spanien kamen sie sich vor, die =caballeros
-telegraphistas= ------
-
- * * * * *
-
-Als das Essen auf den Tisch kam, geschah etwas Sonderbares -- wir aßen
-fast nichts. Ausgehungert hätten wir uns auf die allererste anständige
-Mahlzeit seit langen Wochen stürzen müssen, aber einsilbig saßen wir da
-und stocherten mißgestimmt auf den Tellern herum. Und der Kubaner hatte
-sich so große Mühe gegeben! Ein Tischtuch hatte er herbeigezaubert und
-wirkliche Teller und wirkliche Bestecke. Auf großen Platten prangten
-die Hühner und die Omeletten. Purpurrot schimmerte der schwere Wein in
-den Gläsern.
-
-»Ihr eßt ja nichts!« brummte Hastings.
-
-»Du ja auch nicht,« knurrten wir.
-
-»Weiß der Teufel, was das ist,« sagte Souder.
-
-Der Kabeltelegraphist legte Messer und Gabel vor sich hin. »Ich
-glaube, ich weiß, was es ist,« sagte er. »Als ich noch bei der
-Western-Union-Telegraphen-Company war, schickten sie mich einmal in
-ein verdammtes Nest in Arizona, wo es nur halbvergiftetes Wasser zu
-trinken gab, Wasser, das mehr Alkalisalze enthielt, als für einen
-Christenmenschen gut war. Vier Monate später wurde ich in St. Louis
-sehr krank -- weil mir das Alkaligift fehlte, an das mein Magen sich
-gewöhnt hatte. Der Doktor hat mir das gesagt. So geht's uns auch jetzt.
-Unsere Magen sind auf den verdammten Speck eingefuchst und können
-anständiges Essen noch nicht vertragen!«
-
-»Der verdammte Speck!« brummte Souder.
-
-Mißmutig saßen wir da, verdrossen und übler Laune. Da stand nun auf
-Platten und Tellern, wonach man sich wochenlang gesehnt ------ ja, der
-verdammte Speck!!
-
-Um wenigstens etwas Leben und Freude in die gräßliche Mahlzeit zu
-bringen, brachten wir ein Hoch auf den Major aus und zerschmetterten
-unsere Gläser an der Wand, wie amerikanische Offiziere es tun in ihren
-Messen bei großen Toasten. Aber es war auch da kein rechter Zug in der
-Sache.
-
-Antonio räumte kopfschüttelnd die Herrlichkeiten wieder ab.
-
- * * * * *
-
-Die anderen spielten Poker an dem runden Tisch in der Ecke. Ich war
-zu müde. Allein saß ich in der anderen Ecke, den Spielern gegenüber,
-auf einem Stuhl, den ich schräg gegen die Wand gelehnt hatte, um recht
-bequem zu sitzen. Es schien mir, als sei mir der schwere Wein in den
-Kopf gestiegen, so wenig ich auch getrunken hatte. Ein Glas nur oder
-zwei.
-
-Furchtbar müde war ich, aber gar nicht schlafensmüde, eher überwach.
-Gliedermüde nur. Die Glieder schmerzten mich so. Die Arme und die
-Beine schmerzten mich, als ob irgend etwas in ihnen zerre und reiße.
-Dann wieder wurden sie mir bleiern schwer, und es kostete mich Mühe,
-die Zigarette zum Munde zu führen. Wie sonderbar sie schmeckte, diese
-Zigarette! Nach gar nichts, rein nach gar nichts. Weg damit!
-
-»Antonio!«
-
-»=Si, señor.=«
-
-»Eine Zigarre, bitte ...«
-
-Er schnitt die Spitze ab und gab mir Feuer, geräuschlos verschwindend.
-Ich rauchte und schüttelte den Kopf, denn auch die Zigarre schmeckte
-nach gar nichts ...
-
-Wie die Uhr an der Wand gegenüber glitzerte und funkelte! Sie hatte
-ein gelbmetallenes Zifferblatt, und die glänzende Scheibe schien alles
-Licht im Zimmer an sich zu saugen und wiederzustrahlen. Sie blendete
-mich. Aber es war doch nicht der Mühe wert, aufzustehen. Und der Pendel
-der Uhr schwang immerwährend hin und her und der bestand auch aus einer
-glänzenden kleinen Scheibe und der leuchtete auch. Ich mußte immer
-wieder hinsehen.
-
-Tik -- tak -- tik -- tak ...
-
-Laut wie Gehämmer war der Pendelschlag.
-
-Dazwischen hörte ich deutlich meinen eigenen Pulsschlag in der Schläfe
-und der großen Halsader: eins, zwei, drei, vier -- eins, zwei, drei,
-vier -- vier Pulsschläge immer auf einen Pendelschlag ... Ach was,
-dummes Zeug. Wenn ich nur nicht so bleiern müde wäre ...
-
-»Ich habe vier Könige, meine Herren! Das Geld ist mein!« sagte eine
-Stimme ganz weit weg.
-
-»Vier Könige sind viel!« dachte es in mir.
-
-Tik, eins, zwei, drei, vier -- tak, eins, zwei, drei, vier ... Wie doch
-die infame Scheibe da drüben glitzerte und blendete! Ich machte die
-Augen zu, aber selbst mit geschlossenen Lidern sah ich Fluten von Licht.
-
-Man mußte ein Loch in diese Uhrscheibe schießen -- mitten hinein -- und
-das gab dann einen dunklen Punkt -- und dann konnte sie nicht mehr so
-leuchten ...
-
-Tik -- tak ----
-
-Mitten hinein mußte man schießen!
-
-Da begann die Scheibe sich langsam zu drehen, und dann bewegte sie sich
-immer schneller in funkelndem Kreis und wurde zum flammensprühenden
-Feuerrad, das mit fürchterlicher Geschwindigkeit sich sausend schwang.
-
-Und immer noch schneller ...
-
-Da barst es funkensprühend mit dumpfem Krachen und es wurde ganz dunkel
-...
-
-
-
-
-Auf der Insel des Gelben Fiebers.
-
- »Ich bin gar nicht tot!« -- Im Hafenhospital von Santiago. -- Die
- gelbe Flagge im Boot. -- Die Schmerzen im Leib. -- Der sterbende
- Trompeter. -- Warum ich den Neger erschießen wollte. -- Schlafen,
- nur schlafen! -- Das Dunkel zwischen Tod und Leben. -- Dr.
- Gonzales. -- Ich bin Sergeant geworden. -- Das Haus des Elends. --
- Krankenpfleger und Totengräber. -- Wie der Rauhe Reiter
- Himmelsblumen pflückte. -- Eine nächtliche Schreckensszene. -- Der
- Insel der Verdammten wird Hilfe. -- Die Krankenschwestern.
-
-
-Viele Wochen später. Der Krieg war zu Ende.
-
-Der Transportdampfer hatte mich auf amerikanischem Boden gelandet, in
-Montauk Point, dem Lager der aus Kuba zurückgekehrten Truppen. Lange
-mußte ich suchen, bis ich in den Zeltreihen das Signalkorps fand.
-
-»Guten Tag, Kinder!« sagte ich, ins Sergeantenzelt eintretend, in dem
-Hastings, Souder und Ryan beisammensaßen. Die drei Männer fuhren empor
-wie aus der Pistole geschossen.
-
-»Verdammt -- er ist's!« brüllte Souder.
-
-»Teufel! Willkommen, Sergeant!« schrie Ryan.
-
-»Du bist also nicht tot?« fragte der alte Hastings und riß den Mund
-weit auf vor Staunen.
-
-»Ich bin gar nicht tot!« lachte ich seelenvergnügt. »Ich glaube es
-wenigstens nicht. Guten Tag, Kinder!«
-
-Dann ging's an ein Beglückwünschen, und ein großes Erzählen hub an. Auf
-Soldatenart. »Ich war wütend auf dich!« grinste Souder. »Machen sie den
-Menschen zum Sergeanten,« sagte ich mir, »und der Esel geht hin und
-stirbt! Läßt Wochen und Wochen üppiger Kriegslöhnung im Stich. So 'was
-Dummes!«
-
-»Wußtet Ihr denn nicht ----?«
-
-»Nichts wußten wir. An dem Abend im Kabelbureau -- du erinnerst dich?«
-
-»Und ob!«
-
-»Erinnerst du dich auch an Antonio?«
-
-»Natürlich.«
-
-»Den haben wir mitgenommen -- na, du wirst ja sehen. An jenem Abend
-also bist du mit dem Stuhl zusammengeknaxt und hast mir damit eine
-wunderschöne Pokerhand verhunzt, die ich eben bekommen hatte. Das
-vergess' ich dir sobald nicht ... Einen Augenblick!«
-
-Er ging und kam wieder, einen Arm voll Bierflaschen herbeischleppend --
-
-»Bums -- lagst du am Boden. Wir waren so erschrocken, daß wir die
-Karten hinwarfen -- Teufel, wenn ich an meine schönen drei Asse
-denke! -- und dich schleunigst aufhoben, wobei du mir übrigens einen
-niederträchtigen Fußtritt gegeben hast, mein Junge. Du schriest wie
-besessen und erzähltest allerlei Blödsinn von einer Uhr. Zuerst dachten
-wir, es sei der Wein. Aber wir hatten doch gar nichts getrunken.
-Dann schickten wir den Antonio ins Hauptquartier zum Major, und ein
-Stabsarzt kam, der sagte, du seiest sehr krank, und am frühen Morgen
-brachten wir dich ins Hafenhospital. Als ich tags darauf dort wieder
-vorfragte, hieß es, du seist auf die Gelbfieber-Insel geschafft worden
-und wahrscheinlich schon tot. Du hättest Gelbes Fieber. Dann hieß es,
-du lägest im Sterben. Adieu, dachten wir uns. Der arme Teufel ist schon
-längst begraben!«
-
- * * * * *
-
-So also war es zugegangen an dem Abend im Kabelbureau. Ich wußte
-nichts davon. Die langen Stunden jener ersten Gelbfiebertage sind mir
-wie trübes undurchsichtiges Grau, aus dem nur da und dort grell und
-schrecklich das Erinnern leuchtet. Ich weiß, daß ich, erwachend, um
-mich sah und mich auf einer Matratze liegend fand, in einem großen
-hellen Raum, mit vielen anderen Soldaten, die auch am Boden lagen,
-auch auf Matratzen -- und daß mir dies und alles andere unendlich
-gleichgültig war. Daß ich mich auch nicht mit einem einzigen Gedanken
-darum kümmerte, was eigentlich geschehen war mit mir, ob ich krank sei
-oder nicht, und wo ich mich befand. Weder etwas sehen wollte ich, noch
-etwas hören, noch etwas wissen. Nur schlafen, schlafen. Meinetwegen
-konnte geschehen, was da wollte, wenn man mich bloß schlafen ließ
-und meine Ruhe nicht störte. Schlafen, nur schlafen! Dem Zwang der
-bleiernen Müdigkeit gehorchend, die über mir lag wie schwerer Alp.
-
-Eine Hand erfaßte meinen Arm, fühlte nach dem Puls, schob meinen Aermel
-zurück, griff mit harten Fingern in die Haut am Oberarm, zog sie empor,
-ließ sie zurückschnellen. Da und dort betastete mich die Hand. Sie
-riß meine Kleider auf und legte sich mir auf den Leib. Ich spürte das
-alles und wurde ärgerlich. Zu dumm, daß die -- die Hand da einen nicht
-in Ruhe lassen konnte! Eigentlich hätte ich mir die dumme Hand ja ganz
-gern angeguckt, aber es war doch nicht ganz so einfach, die Augen zu
-öffnen. Es machte wirklich zu viel Mühe! Nein, lieber nicht.
-
-»Wie fühlen Sie sich?« fragte eine Stimme.
-
-»Du meinst wohl, ich werde dir antworten?« dachte ich. »Du bist ein
-großer Esel, wer du auch sein magst. Siehst du denn nicht, daß ich
-schlafen will?«
-
-»Wie geht es Ihnen?«
-
-»Zu dumm -- die Fragerei,« dachte ich bloß.
-
-Da betastete mich wieder die Hand. Ein Finger legte sich auf mein
-Augenlid, und eine Stimme, die laut zu dröhnen schien, schrie dicht an
-meinem Ohr:
-
-»Tut das weh?«
-
-»Geh weg!« brummte ich.
-
-Und es wurde wieder hübsch still und dunkel. Nach langer Zeit dann
-schien es mir, als ob meine Matratze sich bewege und aufgehoben würde
-und fortgetragen. Ich hörte Stimmen und fühlte helles Sonnenlicht mehr
-als ich es sah. Da wachte ich endlich auf und öffnete wirklich die
-Augen. Ich war mitten auf dem Wasser, in einem großen Boot. Deutlich
-sah ich den breiten Rücken des Ruderers vor mir, sah wogendes Wasser,
-Häusermassen, grüne Hügel in der Ferne; sah eine große gelbe Flagge
-über mir flattern. Diese gelbe Flagge kam mir bekannt vor. Sie war es,
-die das erste halbwegs klare Denken in mir auslöste.
-
-Hm -- ich wußte doch -- natürlich! Gelbe Flaggen waren
-Krankheitsflaggen. Pest bedeuteten sie, Cholera, Gefahr der Ansteckung.
-Hm ja. Zu dumm. Halbbegriffen huschte mir der Gedanke durch den Kopf,
-daß ich also doch wahrscheinlich recht krank sein mußte. Aber -- wenn
-man krank war, dann war man eben krank -- andererseits -- wie konnte
-man denn krank sein, wenn einem gar nichts fehlte als Schlaf? Zu dumm!
-Zu dumm, daß sie einen nicht schlafen ließen.
-
-Und ich machte die Augen wieder zu.
-
-Um nichts in der Welt hätte ich sie geöffnet, denn nun war es
-wunderschön still und ruhig. Leise nur und wie aus weiter Ferne hörte
-ich gedämpfte Geräusche, und undeutlich war das traumhafte Empfinden,
-daß irgend etwas mit mir geschah. Daß man mich trug -- daß sie mich
-irgendwo hinlegten ...
-
-Plötzlich fuhr ich empor.
-
-Luft -- Luft! Oh -- der fürchterliche Schmerz im Leib! Das Brennen!
-Luft, zum Teufel!
-
-Es war dunkel. Ich sah nichts. Wo war ich? Was war geschehen? Souder,
-der Tölpel, mußte gestolpert sein, als er ins Zelt kam in der
-Dunkelheit -- auf den Bauch hatte er mich getreten mit den schweren
-Stiefeln -- ah, wie das brannte. Ich preßte die Fäuste gegen den Leib.
-So, jetzt war's besser. Wo bin ich? Was -- ist -- das?
-
-Und wie mit einem Schlage kam durch den aufrüttelnden Schmerz die Kraft
-des Sehens in mein Auge, und in mein Hirn die Fähigkeit des Denkens.
-Ich sah die Männer auf dem Boden liegen, sah den Neger in der Uniform
-eines Sanitätssoldaten, begriff, daß es Schwerkranke waren, unter denen
-ich mich befand, und daß ich selbst sehr krank sein mußte. Mühsam
-richtete ich mich auf, die Fäuste immer noch gegen den Bauch gepreßt,
-denn das half.
-
-»Heh, du!«
-
-Der Neger kam einen Schritt näher.
-
-»Was fehlt mir? Was ist das hier?«
-
-»Inselhospital, Herr. Für Gelbes Fieber und Typhus. Bin selber erst
-heute früh mit den ersten Kranken hergeschickt worden. Morgen kommen
-die Betten --«
-
-»Was -- fehlt -- mir?«
-
-»Weiß ich nicht,« antwortete der Neger mürrisch. »Bißchen Typhus, denk
-ich mir, oder 'n bißchen Fieber. Is nich schlimm, Herr. Furchtbar viel
-Arbeit hier für mich. Ich bin ganz allein ---- «
-
-Angst packte mich, furchtbare Angst. Gel -- bes Fieber -- die Schmerzen
-im Leib -- das schreckliche Müdesein ------ Regungslos hockte ich da
-und starrte um mich. Unter mir lag ein Strohsack. Ich war in einem
-kleinen Raum, der arg verwahrlost aussah vom roten Ziegelsteinboden
-bis zu den beschmierten Kalkwänden. Die schmutzigen Fenster ließen nur
-trübes Licht herein. Nackt und kahl war alles. An der einen Wand stand
-ein kleiner Tisch mit Gläsern und Flaschen und einem Stuhl davor. Links
-und rechts von mir und gegenüber lagen der Wand entlang auf Strohsäcken
-die Kranken. Wenige nur. Ich begann zu zählen -- eins, zwei, zehn ...
-
-Wieder packte mich die Angst. Gelbes Fieber -- die Schmerzen im Leib
--- die, die ---- verdammt, es war ja gar nicht so schlimm mit den
-Schmerzen, wenn man nur die Fäuste ordentlich gegen den Bauch preßte --
-
-Mein Auge hatte sich jetzt an das Halbdunkel gewöhnt. In der Ecke
-schräg gegenüber kauerte auf einem Strohsack, an die Mauer gelehnt, ein
-riesiger Trompetersergeant, die glitzernde Trompete noch umgeschlungen.
-Sein weißes Gesicht war nach vorne gebeugt, und ein gefrorenes Grinsen
-klebte auf seinen Zügen. Der Oberkörper bewegte sich ruckweise, in
-immer gleichem Takt, immer ein wenig vorwärts, immer ein wenig zurück.
-Mit jeder Bewegung kam und ging ein röchelndes Rülpsen aus seinem Hals,
-regelmäßig wie das Ticken einer Uhr. Ueber das Hellbraun seines Rocks
-und das Metallgelb der Trompete tropfte trickelnd ein schwarzrotes
-Blutbächlein. Immer gleich blieben sich das Grinsen und das Rülpsen.
-Bei jedem Ruck nach vorwärts floß ein wenig schwarzes, dickes Blut aus
-dem Mund.
-
-Da verschwand auf einmal das Grinsen von dem Gesicht.
-
-Die Augen öffneten sich weit, der Mund sperrte sich auf, daß er aussah
-wie ein schwarzes Loch, und etwas Rotschwärzliches schoß strömend
-hervor aus ihm, sich über Mann und Strohsack ausbreitend in dunkler
-Lache. Der Körper aber schnellte vorwärts in gewaltigem Ruck und sank
-dann langsam zur Seite. Auf dem Strohsack daneben hatte der schlafende
-Mann den Arm weit von sich gestreckt, und seine gelbe Hand lag flach
-mit gespreizten Fingern auf dem Ziegelsteinboden. Um diese Finger und
-diese Hand ging langsam der Blutstrom. Er kroch hinein zwischen die
-Finger. Wie ein gezackter, weißer Fleck ragte die Hand aus der Lache.
-
-Es würgte mich.
-
-Der Neger kam langsam und faul herbei, nahm gleichgültig eine Decke und
-warf sie über den toten Trompeter. Sonst rührte und regte sich niemand.
-Die Männer auf den Strohsäcken lagen still da, schweratmend die einen,
-wie tot die anderen. Der Neger ging wieder an den Tisch, setzte sich
-auf den Stuhl und blickte stumpf vor sich hin. Ueber mich kam wieder
-die alte Müdigkeit, großes Gleichgültigsein, willenlose Erschlaffung.
-Ich fiel zurück auf den Strohsack. Und es wurde Nacht um mich.
-
-Müde, müde erwachten meine Sinne wieder. Ich schlug die Augen auf und
-sah, da links, im trüben Licht der Laterne in der Ecke, etwas glitzern.
-Neben mir. Die silbernen Schulterstreifen eines Offiziers waren es,
-eines Leutnants. Ich sah schärfer hin. Der Offizier lag ruhig da, lang
-ausgestreckt, und sein Leib hob und senkte sich im Auf und Nieder ganz
-langsamer, sehr tiefer Atemzüge. Aber --
-
-Nein, es war nicht möglich! Ich sah Gespenster im Fieber. Herrgott, das
-gab es doch nicht!! Ich versuchte nachzudenken, aber es wollte nicht
-gehen. Herrgott, das konnte doch nicht sein! War ich schon wahnsinnig?
-Mit einem Ruck richtete ich mich auf -- beugte mich hinüber --
-streckte tastend die Hand danach aus -- mit schwachen, zitternden,
-täppischen Fingern ----
-
-Denn etwas Furchtbares war da.
-
-Mit leisem Gesurre umschwebten mich Hunderte und Aberhunderte von
-winzigen, schwarzen Pünktchen, wogten unruhig auf und ab, schwebten,
-sanken tiefer und ließen sich wieder dort nieder, von wo sie gekommen
-waren -- in den starren, weit geöffneten Augen des Leutnants ...
-
-Der Offizier lag im Sterben. Noch ging und kam sein Atem in langen
-Zügen, doch die Kraft, die Augen zu schließen, hatte er nicht mehr.
-Aber er lebte noch -- er lebte noch! Und die Augen des Lebenden sahen
-schwarz aus wie Kohlensäckchen. Viele, viele kleine Fliegen wimmelten
-in entsetzlichem Gekribbel in den Höhlen des menschlichen Lichts. Auf
-den armen, wehrlosen Augen! Auf den Augen!!
-
-Ich wollte aufschreien, aber aus dem Schrei wurde nur ein Stöhnen.
-
-»Was gibt's?« fragte brummig der Neger vom Tisch.
-
-»Komm her, du schwarzer Hund!«
-
-»Wa -- as?«
-
-»Komm her, du -- schwarzer -- Hund!!«
-
-Ich hatte suchend herabgetastet an mir selber und wirklich im Gürtel
-den Revolver gefunden. Sie hatten ihn mir noch nicht abgenommen. Ich
-riß ihn aus dem Holster und nahm die Waffe in beide Hände und richtete
-sie auf den Neger --
-
-»Komm her, du ----!«
-
-Seine Augen wurden groß und erschrocken, daß ihr Weiß sonderbar abstach
-gegen die schwarze Haut. Langsam schlich er herbei, die Augen starr auf
-den Revolver.
-
-»Da! Die Augen!!« keuchte ich.
-
-»Nicht schießen, Herr -- Jesus Christus, nur nicht schießen!« stotterte
-der Schwarze.
-
-»Die Fliegen!!«
-
-»Er -- spürt nichts mehr -- ganz gewiß nicht ...«
-
-»Du verfluchte Bestie! Nimm ein Tuch! Deck es über ihn!«
-
-»Ich -- ich hab aber kein Tuch, Herr --«
-
-Da hob ich den Revolver. Der Neger riß sich mit furchtbarer Kraft
-ein Stück Hemd von der Brust, verscheuchte die Fliegen mit heftigen
-Schlägen und warf den Fetzen dem Sterbenden übers Gesicht ... Surre --
-surre -- umschwirrte es mich. Langsam hob und senkte sich der Leib des
-Leutnants.
-
-»Ruhe da drüben!« murmelte von einem Strohsack gegenüber eine Stimme.
-»Laßt einen doch schlafen ...«
-
- * * * * *
-
-Schlafen, nur schlafen.
-
-Nichts mehr sehen wollen, nichts mehr denken müssen. Der Neger schlich
-zum Tisch zurück, plumpste auf den Stuhl, griff nach einer Flasche,
-aus der er etwas in ein Arzneiglas schüttete, und leerte es auf einen
-Zug. Ah! Das -- Herrgott, das war Whisky -- oder Rum -- oder ... irgend
-etwas, das betäubte, Ruhe schenkte! In der Flasche dort steckte das
-Vergessen! Ich wollte aufspringen, aber ein furchtbarer Schmerz schoß
-mir durch den Leib. Schwer fiel ich zurück. Da drückte ich die eine
-Hand in den Bauch und wälzte mich vom Strohsack. Ich schob den Revolver
-vor mir her und kroch über den Boden hin. Der Neger flüchtete sich in
-eine Ecke. Endlich, endlich, war ich am Tisch. Packte ein Tischbein.
-Zog mich langsam, ganz langsam empor. Griff nach der Flasche --
-
-»Nicht trinken, Herr!« schrie der Neger.
-
-Gegen das Tischbein gelehnt, hob ich die Flasche mit beiden Händen,
-denn sie dünkte mich schwer, und trank; trank etwas, das im kranken
-Magen wie Höllenfeuer brannte. Der Revolver war klirrend zur Erde
-gefallen. Und ich trank und trank und ließ betäubt die Flasche aus den
-Händen gleiten und mußte gewaltig husten und war inmitten sprühender
-Lichtfluten und sah weißglühende Sterne tanzen. Dann wurde es wieder
-dunkel.
-
- * * * * *
-
-Stechender Schmerz über dem Herzen erweckte mich. Ich schlug die Augen
-auf und machte sie schleunigst wieder zu, denn das Licht blendete mich,
-schlug sie wieder auf und blinzelte verwundert auf die Gestalt, die
-sich über mich beugte. Hm ... verwirrter, verwilderter Haarschopf --
-braunes Gesicht mit warmen gütigen Augen hinter der goldberänderten
-Brille -- hohe Stirn mit schwerer Hiebnarbe -- massige Schultern in
-weißer Jacke -- eine lange, schmale Hand, die etwas Glitzerndes hielt
-... Die Hand senkte sich, und wieder verspürte ich den leise stechenden
-Schmerz in der Brust --
-
-»Lassen Sie die Dummheiten!« murmelte ich ärgerlich und wunderte mich
-im gleichen Augenblick, wie sonderbar dünn und fade meine Stimme klang.
-
-»Das sind keine Dummheiten!« sagte ein lachender Mund dicht über meinen
-Augen.
-
-»Zu -- dumm!«
-
-»Pst -- psst!« Die schmale Hand legte sich auf meine Stirn. »Sch ...!
-Wer wird so unhöflich sein! Wenn Sie es aber durchaus wissen wollen
--- die Dummheit war eine kleine Strychnineinspritzung, die Ihr Herz
-notwendig braucht. So! Nun wollen wir wieder schlafen!«
-
-»Aber ...«
-
-»Pscht! Sie haben auf der ganzen weiten Welt nichts zu tun jetzt als zu
-schlafen!«
-
-Und ich machte gehorsam die Augen zu.
-
-Am gleichen Tag noch folgte dem ersten Erwachen das zweite, und wieder
-kam die glitzernde Spritze, und abermals fühlte ich den stechenden
-Schmerz auf der Brust. Ein Löffel voll kondensierter Milch wurde mir
-eingeflößt.
-
-»Pfui Deibel!« knurrte ich.
-
-»Sagen Sie das lieber nicht!« meinte der Mann in der weißen Jacke
-lächelnd. »Denn diese nahrhafte Milch wird, ein Löffel jede Stunde,
-noch lange Ihr einziges Nahrungsmittel bilden.«
-
-»Wieso denn? Ich -- ich habe Hunger!«
-
-»Aha! Hunger haben wir? Wir sind schon wieder ganz intelligent? Können
-reden und denken, nicht wahr? Schön. Wollen Sie mir versprechen, sofort
-wieder einzuschlafen, wenn ich Ihnen alles sage?«
-
-»J -- ja.«
-
-Die sonderbar großen, warmen Augen sahen mich unverwandt an und die
-ruhige Stimme erzählte kurz, ich sei recht krank gewesen an gelbem
-Fieber. Jetzt aber könne ich mich wieder so gut wie gesund nennen,
-immer vorausgesetzt, daß ich recht viel schlafen würde in den nächsten
-Tagen. Ueberhaupt nur schlafen! Und recht geduldig sein und nicht
-murren. »Denn sehen Sie, wenn man vier Tage lang getobt und geschrien
-hat, dann ist der Körper arg mitgenommen und muß ausruhen. Schlafen
-Sie! Freuen Sie sich, daß Sie eine Krankheit, wie gelbes Fieber es ist,
-überstehen konnten!«
-
-»Da hab ich wieder einmal Glück gehabt!« murmelte ich.
-
-»Ganz gewiß!« sagte der Mann in der weißen Jacke. »Aber nun wollen wir
-wirklich schlafen!!«
-
-Ich nickte nur.
-
-Viele Stunden gingen noch hin in diesem Halbbewußtsein des
-arbeitsunfähigen Hirns, das mit dem geschwächten Körper litt und
-schwach war. Ich sah alles nur wie durch Schleier. Die Menschen, die
-Dinge um mich schienen Schatten zu sein. Dann aber regte sich gewaltig
-der ursprünglichste Lebensdrang: Hunger hatte ich! Fürchterlicher
-Hunger quälte mich. Im Wachen und Schlafen hatte ich keinen anderen
-Gedanken als den einzigen: Essen! Gebt mir doch zu essen! Wollt Ihr
-mich denn verhungern lassen? Wenn der Mann in der weißen Jacke sich
-blicken ließ, bat und bettelte ich um ein Stück Brot wie ein Kind, und
-meinen bittersten Feind sah ich in ihm, wenn er mit unerschütterlicher
-Ruhe mir immer erklärte, das gelbe Fieber habe meine Magenwände und
-meine Därme so beschädigt, daß jede andere Nahrung als flüssige mein
-Tod sein würde. Ich glaubte es ihm nicht. Denn ich hatte ja solchen
-Hunger!
-
-Ich hörte nichts und sah nichts, sondern träumte nur vor mich hin und
-stellte mir vor, wie köstlich ein Butterbrot schmecken müßte -- ein
-kleines Butterbrot. Ich träumte nicht etwa von üppigen Mahlzeiten mit
-vielen Gängen, sondern von Brot nur, einfachem Brot. Die Herrlichkeiten
-des Paradieses hätte ich dahingegeben für ein kleines Stück Brot. Ich
-hörte Menschen schreien in bitterer Leidensnot und wandte nicht einmal
-den Kopf. Die hatten ja nur Schmerzen. Ich aber hatte Hunger. Und dann
-kam der Tag, an dem ich vier oder fünf Löffel Suppe bekam, schlechte
-Tomatensuppe, aus einer Konservenbüchse zusammengepantscht, mit einem
-Stückchen oder zwei aufgeweichten Brots. Da dünkte ich mich glücklich
-und reich.
-
-Mehr Suppe am nächsten Tag. Mehr aufgeweichtes Brot. Milch dann im
-Glas, nicht mehr im Löffel, dünnen Reisbrei -- Suppe endlich mit
-viel Brot. Der Tag kam, an dem ich die zitternden Füße aus dem Bett
-streckte und hinauskroch und verlegen dastand, mich krampfhaft an den
-Eisenstangen des Betts festhaltend. Langsam fing ich an, die Dinge
-um mich wirklich zu sehen und wirklich zu begreifen. Mit tastenden
-Schritten ging es zurück ins Land der Gesundheit.
-
- * * * * *
-
-Eines Tages schlich ich hinter Doktor Gonzales her (das war der Mann in
-der weißen Jacke) und erwischte ihn gerade noch bei der Türe.
-
-»Ich möchte entlassen werden,« bat ich.
-
-Er lächelte, faßte mich am Arm und zog mich zur Türe hinaus in den
-grellen Sonnenschein. Kaum war ich im Freien, da merkte ich, wie
-schwach ich in Wirklichkeit war, denn sauer genug wurden mir die
-wenigen Schritte zu dem Zelt des Doktors, das auf dem Rasen vor dem
-gelben Gebäude aufgeschlagen war. Doktor Gonzales schüttete ein paar
-Tropfen Whisky in ein Glas, goß Sodawasser darauf und gab mir das
-Getränk. Hei, wie stark und hellhörig das machte --
-
-»Von einem Zurückkehren zur Truppe kann keine Rede sein, Sergeant,«
-erklärte er. »In vier Wochen vielleicht!«
-
-»Bin ich denn Sergeant?« fragte ich.
-
-Da bekam ich Billys Brief und vom Doktor eine gedruckte Liste der
-Beförderungen im Signalkorps -- ich war Sergeant ... Und ich las Billys
-Brief und mußte mich schleunigst hinsetzen, denn es wurde mir schwarz
-vor den Augen. Der Arzt lächelte.
-
-»Sie sind noch lange nicht dienstfähig, Sergeant,« sagte er. »Zum
-mindesten nicht unter den Verhältnissen in Santiago. Dagegen glaube
-ich, daß Beschäftigung Ihnen gut sein wird. Sie können mir nützlich
-sein. Sie haben in Ihren Fieberzeiten Ihr ganzes Leben hinausgeschrien
-und -- ich kann Sie brauchen.« Er wurde sehr ernst. »Die Zustände hier
-sind entsetzlich. Wir haben nur gelbes Fieber und Typhus in schwerster
-Form. Meine Hilfsmittel sind lächerlich gering. Es fehlt am Nötigsten.
-Ich kann weder Hilfskräfte noch Arzneimittel bekommen. Meine beiden
-Krankenwärter sind willig genug, aber ich müßte sechs haben nicht
-zwei. Ich werde Ihnen Arbeit geben, die Ihren Kräften entspricht. Sie
-sind also für die nächsten Wochen,« er lächelte ein wenig, »nicht mehr
-Sergeant erster Klasse des Signalkorps, sondern mein Assistent!«
-
- * * * * *
-
-Das kleine Inselchen mitten in der Santiagobai, die Gelbfieberinsel,
-war eigentlich die Quarantänestation des Hafens. Ein morscher
-Landungssteg führte vom Wasser auf ein Stück Rasen. Dann kam das Haus,
-eine echt spanisch verwahrloste Krankenbaracke. In den Mauern des
-niederen, langgestreckten Gebäudes klafften Risse. Es enthielt nur
-einen einzigen Raum und einen noch älteren Anbau, in dem die Wände von
-Wasser trieften und die Fußbodenbretter verfault waren. Hinter dem Haus
-lagen Bretterhütten; eine Kochhütte die eine, Kloaken die anderen, mit
-tiefen Löchern im Boden und Schwärmen von Fliegen. Dahinter erstreckte
-sich gelber Sand. Im Hause reihte sich Bett an Bett. Schwerkranke
-waren es alle, Sterbende viele. Hier kämpfte Tag und Nacht, in einem
-Alleinsein, das schrecklich gewesen sein muß, ein einziger Arzt für
-das Leben vieler Menschen. Als Hilfe hatte Doktor Gonzales nur zwei
-Krankensoldaten und mich und einen alten Kubaner, der kochen mußte und
-Eimer hinein und hinausschleppen und Gräber graben. Nicht einmal die
-nötigsten Kräftigungsmittel hatte der Arzt für die Kranken -- nicht
-einmal reine Wäsche für sie -- nicht einmal Arzneien in genügender
-Menge und Auswahl -- nicht die Möglichkeit einmal halbwegs sorgfältiger
-Pflege ... Es war ein fürchterliches Krankenhaus.
-
-»Wenn ich nicht wüßte, daß sich das hier bald ändern muß,« sagte
-Doktor Gonzales zu mir am ersten Tag der Arbeit, als wir einen Toten
-hinaustrugen, »so würde ich -- ja, ich weiß nicht, was ich tun würde
-... Aber das Hospitalschiff ist abgegangen von New York, und bei seiner
-Ankunft bekommen wir alles, was wir brauchen, im Ueberfluß.«
-
-»Man könnte doch wenigstens Soldaten zur Arbeit herkommandieren!« wagte
-ich zu sagen.
-
-»Damit sie sterben?« antwortete der Arzt scharf. »Sehen Sie sich doch
-die Kloaken an! Die Fliegenschwärme überall! Den Schmutz! Hier wimmelt
-es von Krankheitserregern in jedem Sonnenstäubchen. Sehen Sie sich die
-verfluchte gelbe Baracke nur an! Die Gelbfieber-und Typhuskeime, die
-in ihr stecken, könnten eine Armee auffressen. Nein, hierher kommt
-mir kein Gesunder! Deswegen lasse ich Sie arbeiten. Wer Gelbes Fieber
-gehabt hat, ist immun. Er ist gesalzen gegen Fieberkrankheiten, wie
-man zu sagen pflegt. Und in fünf, sechs Tagen, =please God=, ist das
-Hospitalschiff da, und dann wollen wir diesen Höllenfleck mit Karbol
-überschwemmen und -- ja, dann wird's anders werden!«
-
-Wir begruben den Toten.
-
-Der Kubaner hatte ein Loch in den Sand gegraben, hundert Schritte
-vom Haus, auf einem winzigen Hügel, von dem die gelbe Fläche sich in
-sanfter Neigung zum Meer senkte. Auf dem eisernen Feldbett trugen wir
-den toten Mann zu seinem Grab, der Arzt und ich und der Kubaner und der
-Neger. Wir stellten das Bett neben das Grab, packten die Zipfel der
-Wolldecke, auf der der Tote lag, und hoben die Last vorsichtig über die
-Graböffnung. So standen wir, an einer Ecke des Grabes ein jeder, und
-bückten uns und knieten dann und legten uns flach hin und ließen die
-Leiche hinabgleiten. Aber unsere Arme reichten nicht weit genug. Das
-Bündel in der Decke schwebte einen halben Meter hoch über dem Boden des
-Grabes.
-
-»Loslassen!« befahl Doktor Gonzales.
-
-Ich sah, daß es nicht anders ging, daß wir uns nicht anders helfen
-konnten -- aber doch schüttelte mich ein unbezwingbares Grauen, als die
-Leiche plumpsend unten aufschlug und die Wolldecke sich verschob, das
-geistergelbe Gesicht bloßlegend, das nun aus der Tiefe gen Himmel zu
-starren schien. Der Arzt nahm rasch die Schaufel vom Sandhaufen, bückte
-sich und schob mit dem Stiel die Decke wieder über das tote Gesicht.
-
-»Ruhe in Ehren!« sagte er leise. »Du bist für dein Land gestorben.«
-
-Wir nahmen die Hüte ab, und der Kubaner schickte sich an, das Grab
-zuzuwerfen.
-
-Das war das Begräbnis.
-
-Ein toter Mann wurde in der verschmutzten Wäsche, in der er gestorben
-war, in ein Loch geworfen -- ein mürrischer Kubaner schaufelte Sand
-hinein -- ein schwitzender Neger stand daneben und half, leise fluchend
-über die schwere Arbeit in der heißen Sonne. Roh war's, fürchterlich
-roh, nicht zum Beschreiben brutal. Und doch hätte jeder Narr sehen
-müssen, daß es eben nicht anders ging in der Not der Verhältnisse.
-Weil ich so schwach war vielleicht, erschien mir alles noch roher und
-furchtbarer -- der trostlos öde Sand -- die niederen Grabhügel links
-und rechts mit ihren Holzstückchen, auf denen große Nummern standen --
-der schmutzige, gefühllose Totengräber ...
-
-Der Arzt sah gedankenvoll auf die Grabhügel. »Fünfundzwanzig tödlich
-verlaufene Fälle bis jetzt!« sagte er zu mir. »Ein verhältnismäßig
-günstiges Resultat!!«
-
-Wir gingen ins Haus, während Neger und Kubaner das Grab zuschaufelten.
-Von Bett zu Bett führte mich Doktor Gonzales. Er zeigte mir, wie man
-die Schnelligkeit der Atmung maß, und wie man ungebärdige Fieberkranke
-durch kräftigen Druck auf das Rückenmark beruhigte, während das
-Fieberthermometer eingeführt wurde. Das Ueberwachen der Temperaturen
-sollte meine Arbeit sein. Darauf kam es, so erklärte mir der Arzt,
-vor allem an, denn von seinem rechtzeitigen Eingreifen beim Steigen
-und Fallen der Fieberkurve hing Leben und Tod ab. Auf den Neger und
-den anderen Krankensoldaten konnte er sich nicht verlassen. Die
-Leute waren nicht nur beinahe zu Tode gearbeitet mit hunderterlei
-Pflichten, sondern es war auch ganz unmöglich, den einfachen Menschen
-beizubringen, daß ein Unterschied von wenigen Graden auf dem
-Thermometer der Unterschied zwischen Leben und Sterben war.
-
-»Und ich kann ja nicht überall zugleich sein!« murmelte der Arzt, und
-etwas Trauriges kam in sein ruhiges, kraftvolles Gesicht.
-
-Ich schrieb mir die Namen auf von Bett zu Bett und begann meine
-Arbeit, während er mir zusah und bald ein Fiebermittel gab, bald eine
-Strychnineinspritzung machte. Dabei erklärte er mir leise, daß er sich
-hier so starker Mittel bediene, wie sie so leicht kein Arzt anwenden
-würde.
-
-»Wir wissen so wenig von den Erscheinungen dieser Krankheit. Ihre
-Bekämpfung ist sogar in geregelten Verhältnissen ein Problem. Hier aber
-muß ich mit Keulenschlägen auf das Fieber losschlagen. Es muß herunter
-um jeden Preis, steigt es auf vierzig Grad; und das Herz muß gezwungen
-werden zur Arbeit, koste es was es wolle an Kraft, fällt es bis zu
-fünfunddreißig Grad.«
-
-So ging ich von Mann zu Mann und legte die Hand auf feuchte Leiber
-und lernte, mit unendlicher Geduld und vielen kleinen Kniffen,
-Fiebermessungen zu machen bei Menschen, die sich fortwährend hin
-und her wälzten und keinen Augenblick still hielten. Heiße, dumpfe,
-schweißgeschwängerte Luft erfüllte den Raum. Vierzig Menschen lagen in
-eisernen Feldbetten die Wände entlang. Einige wenige, die Glücklichen,
-hatten Nachthemden und weiße Jacken; die meisten aber lagen in den
-schmutzigen blauen Flanellhemden da, in denen sie gekommen waren. Die
-einen waren still und schienen ruhig zu schlafen. Die anderen lallten
-und schrien und tobten wie lärmende Kinder. Hier schrie einer nach
-seiner Mutter, dort johlte ein anderer ein Negerlied, dort gab einer
-mit dünner zitternder Stimme kreischende militärische Befehle: »Feuer
-aus dem Magazin -- auf dreihundert Meter -- Schne -- eell -- feuer!!«
-Der Neger und der Krankensoldat liefen fortwährend auf und ab. Bald
-halfen sie einem ins Bett, der im Fieberwüten herausgefallen war; bald
-unterstützten sie sich gegenseitig, einem sich verzweifelt Wehrenden
-ein wenig Milch im Löffel einzuflößen; bald liefen sie zur Türe und
-holten die Eimer, denn schon wieder hatte ein Kranker sein Bett
-beschmutzt.
-
-Da rief mich der Arzt. Auf dem Bett, an dessen Fußende er stand, lag
-ein junger Mensch, der kaum achtzehn Jahre zählen mochte. »=Corporal
-Clancey, F troop, Rough Riders=« hieß es auf dem Zettel an der Wand
-über dem Bett. Das Gesicht, das in der Krankheit eine sonderbare, fast
-olivengelbe Farbe angenommen hatte, war von mädchenhafter Schönheit und
-Weiche. Die wunderbar großen, braunen Augen glänzten irre in feuchtem
-Fieberglanz. Der Arzt sah bald den Mann an, bald das Thermometer, das
-er in der Hand hielt, und schüttelte den Kopf.
-
-»Helfen Sie mir, ihm den Mund öffnen,« sagte er.
-
-Ich tat es mit einem Löffel, und der Arzt schüttete dem Kranken ein
-Pulver in den Rachen und träufelte ein wenig Wasser tropfenweise in
-den regungslosen Mund. Die Wirkung war eine fast augenblickliche. Der
-bebende, zitternde Körper streckte sich. Die Augen schlossen sich fast
-ganz, und die unruhig fuchtelnden Hände sanken kraftlos auf die wollene
-Decke.
-
-»Der Mann hatte über vierzig Grad,« erklärte Doktor Gonzales. »Ich
-fürchte, er ist nicht mehr zu retten. Bleiben Sie bei ihm, messen Sie
-ihn alle zehn Minuten und rufen Sie mich sofort bei Untertemperatur.«
-
-Ich holte mir eine Kiste aus der Mitte des Zimmers -- amerikanische
-Munitionskisten waren die einzigen Stühle in diesem Krankenhaus -- und
-setzte mich ans Bett. Nach zehn Minuten maß ich: Sechsunddreißig.
-
-Der Kranke lag still da. Sein Mund war halbgeöffnet. Die glänzenden
-Augen schienen zwischen halbgeöffneten Lidern hervorzublinzeln. Da
-huschte plötzlich ein Lächeln über das weiche, schöne Gesicht, als
-träume der Knabe einen wunderschönen Traum. Die schlaffen Hände auf
-der Bettdecke begannen sich zu regen und leise auf und nieder zu
-bewegen in langsamem Tasten. Die Hände öffneten und schlossen sich und
-griffen wunderbar weich zu, als suchten sie etwas. Lächelnd betrachtete
-ich diese Hände. Wie schlank sie waren, wie kindlich fein, wie sie
-erzählten von guter Rasse und sorgsam gelernter Pflege! Und wie
-zierlich sie tasteten -- husche, husche -- zugreifend -- fein, ganz
-fein -- behutsam -- wie die Fingerspitzen über die rauhen Deckenhaare
-glitten -- als suchten sie etwas -- als wollten sie greifen -- pflücken
-------
-
-Da sprang ich entsetzt auf. Was war das? Dieses Tasten, dieses
-Suchen! Hatte mir nicht einst die alte Kinderfrau in ihren gruseligen
-Dämmerstundengeschichten erzählt, daß Sterbende Himmelsblumen pflückten
---
-
-»Doktor Gonzales!« schrie ich.
-
-Er kam mit raschen, geräuschlosen Schritten von gegenüber, beugte
-sich über das Bett, sah scharf auf die rastlos gleitenden Hände, zog
-die Spritze aus dem Ledertäschchen, füllte sie und stach ein über dem
-Herzen. Die Hände wurden sofort still. Ich starrte wie gebannt in das
-Gesicht auf dem Kissen und sah in fast unmerklichem Uebergang das Gelb
-sich langsam röten. Dann schoß plötzlich gesunde Blutfarbe in die
-Wangen. Das aufgepeitschte Herz tat seine Schuldigkeit. Eine winzige
-Gabe eines furchtbaren Gifts hatte einen Sterbenden von den Pforten des
-Todes zurückgerissen.
-
-Da schnellte in jähem Wechsel der Körper mit gewaltigem Ruck empor. Die
-großen Augen starrten, der Mund wollte sich öffnen, wollte schreien --
-aber die Kehle brachte nur lallende Töne hervor. Die Hände wurden in
-die Höhe gerissen und schlugen wild nach links und nach rechts, und
-die Füße zuckten und stießen, daß die Eisenstäbe unten am Bett dumpf
-klirrten. In gewaltigen Stößen schnellte der Leib auf und nieder.
-Der Mann wäre aus dem Bett gefallen, hätten wir ihn nicht krampfhaft
-gehalten. Und während ich noch verspürte, wie unter meinen Händen die
-zuckenden Muskeln sich wehrten, sank der Rauhe Reiter steif zurück und
-lag still da. Sein Mund schien zu lächeln.
-
-»Lassen Sie ihn hinaustragen!« sagte der Arzt ganz langsam und ganz
-leise.
-
-Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Hat er schlimme Schmerzen leiden
-müssen?« fragte ich entsetzt.
-
-»Nein!« antwortete Doktor Gonzales. »Nein -- aber wir wissen diese
-Dinge ja nicht. Er mag in Himmelsseligkeiten geschwelgt haben oder
-Höllenqualen erlitten in seinen letzten Sekunden im lebendigen Leib
--- wir wissen es nicht. Unter anderen Verhältnissen hätte ich ihn
-vielleicht retten können. Durch sorgfältige, ständige Ueberwachung,
-durch mildere Mittel zur rechten Zeit. Nach meiner besten Ueberzeugung
-jedoch hat der Junge nicht gelitten. Das ist ja der einzige freundliche
-Fleck in diesem Höllenbild: Sie wissen es nicht, unsere Kranken, wie
-elend es ihnen geht! Sie wissen nicht einmal, wie krank sie sind!!«
-
- * * * * *
-
-Nein, sie wußten es nicht.
-
-Ein Mitleid, wie ich es nie in meinem Leben gekannt hatte, packte
-mich, wenn ich von Bett zu Bett, von Mann zu Mann schritt; ein
-Mitleid, das mich stark machte, denn es ließ vergessen, wie schwach
-ich selbst noch war. Die Männer des Krieges waren zu Kindern geworden.
-Das unbegreifliche, geheimnisvolle Walten der Fiebermächte hatte den
-rauhen Soldaten alles genommen, was stark und männlich und roh und
-brutal an ihnen war. Nicht äußerlich hilflos nur waren sie geworden
-wie Kinder, sondern kindlich im Geist in allen ihren Lebensäußerungen.
-Weich und anschmiegend, dankbar über alle Maßen für ein gutes Wort,
-für ein Streicheln, das sie im Fiebertraum zu empfinden schienen und
-mit einem Lächeln beantworteten. Die wenigen, die auf dem Wege der
-Besserung waren, hatten alle Hunger. Aber sie fluchten nicht und
-zeterten nicht nach Soldatenart, sondern sie bettelten alle um Milch,
-sie baten um Brot -- wie ein Kind seine Mutter bittet. Sie lachten
-lustig im Fieberlallen und sangen Lieder, die sie ganz gewiß nicht
-gesungen hätten bei gesunden Sinnen. Das nur und das nur allein machte
-die Hölle erträglich. Man sah selbst all das Furchtbare mit kindlichen
-Augen, ohne viel nachzudenken darüber ... Es mußte so sein -- das mit
-den übelriechenden Eimern -- das mit den schmutzigen Blechlöffeln, mit
-denen man von Mann zu Mann ging, Milch fütternd, ohne sie abzuwischen
-oder gar zu waschen -- das mit den Kloaken draußen, die fürchterliche
-Pestluft in den Raum strömen ließen, wenn man im Ein-und Ausgehen die
-Türen öffnete. Es mußte so sein, denn es war nun einmal nicht anders.
-
-Und ich maß und maß und fütterte hilflose Menschen mit Milch und wusch
-beschmutzte Menschen aus einem schmutzigen Eimer mit einem schmutzigen
-Fetzen eines alten Hemdes. Ruhe gab es keinen Augenblick. Bald schritt
-der Arzt meine Bettseite ab, bald ich die seine. Dutzende Male mußte
-ich ihn rufen, weil die Fieberbilder sich fortwährend veränderten.
-
-Am Spätnachmittag war der Neger verschwunden. Doktor Gonzales und ich
-suchten endlich nach ihm und fanden den armen Kerl in einer Ecke bei
-einer Kloake, dumpf vor sich hinstarrend. Der Sandboden zeigte, daß
-er sich erbrochen haben mußte. Jetzt sah ich den Arzt zum ersten Male
-erregt.
-
-»Herrgott, nimmt es denn kein Ende?« schrie er. »Neger sind doch
-sonst immun! Muß denn das verfluchte Fieber gerade den schwarzen
-Krankensoldaten packen, den ich brauche!«
-
-Mit vieler Mühe trugen wir ihn hinein und legten ihn auf das Bett, auf
-dem vor kurzem der Rauhe Reiter gestorben war. Die Leiche hatten wir
-draußen in einer schattigen Ecke auf dem Boden liegen lassen müssen,
-um das Bett frei zu bekommen. Und wieder ging es an die Arbeit, mit
-einem Mann weniger. Gegen Abend wurden die Kranken ruhiger und die
-Fiebertemperaturen gleichmäßiger.
-
-»Wir wollen schnell etwas essen,« sagte Doktor Gonzales, »-- dann den
-Toten beerdigen -- und dann müssen Sie Ruhe haben. Sie können in meinem
-Zelt schlafen, damit Sie wenigstens in frischer Luft sind.«
-
-Wir aßen ein Gemengsel von Reissuppe und Brot und tranken dünnen
-Tee, und ich durfte eine halbe Zigarette rauchen, die mir wie ein
-Göttergeschenk erschien.
-
-»Und jetzt müssen wir wieder Totengräber spielen!« sagte Doktor
-Gonzales, halb lächelnd, halb traurig.
-
-Das Grab war gegraben. Er rief den Kubaner und den Krankensoldaten, und
-zusammen trugen wir den Knaben, der sich die Himmelsblumen erpflückt
-hatte, zu seiner Ruhestätte im heißen Kubasand. Tiefe Finsternis
-umhüllte die Insel des Gelben Fiebers, denn Nacht folgt auf Tag im
-kubanischen Land ohne Uebergang. Der Arzt, der neben mir schritt,
-trug eine Laterne, die trübe brannte und das Dunkel nur in winzigem
-Umkreis erhellte. Stolpernd, suchend, tappten wir vorwärts mit unserer
-Last, fanden den Sandhügel, fanden das Grab. Wir schlugen die Decke
-auseinander, faßten die Zipfel an, hoben den Körper über die schwarze
-Oeffnung im Sand, bückten uns --
-
-Da fühlte ich, wie der Sand unter meinen Füßen nachgab, und griff
-mit der freien linken Hand in den aufgeworfenen Sandhaufen, mich zu
-stützen. Aber ich rutschte. Ich rutschte langsam. Ich rutschte immer
-mehr. Da packte mich jähes Entsetzen, und ich ließ den Zipfel der Decke
-los, mochte auch die Leiche hinabstürzen. Aber im gleichen Augenblick
-bröckelte der Boden unter meinen Füßen weg. Ich schrie gellend auf.
-Wie ein Tier brüllte ich. Ich hörte jemand fallen mit mir -- hörte die
-Laterne klirren.
-
-Und stand in furchtbarer Finsternis in einem tiefen Loch und schrie
-wie ein Verrückter und trampelte auf etwas entsetzlich Weichem herum
-und wußte, daß die Masse unter meinen Füßen der Rauhe Reiter war. Ich
-brüllte -- ich brüllte in einem hysterischen Grauen ohne Grenzen.
-So schwach und elend war ich noch nach dem langen Kranksein. Mit
-den Nägeln krallte ich mich in die Sandwand ein und versuchte mich
-emporzuziehen, und sprang. Aber der lose Sand gab unter meinen Fingern
-nach, und ich prallte in hartem Stoß auf das nachgebende weiche
-Fleisch, das sich zu rühren und lebendig zu werden schien. Als ob der
-tote Mann nach mir greifen wollte -- mich festhalten ----
-
-»Hilfe!« brüllte ich.
-
-Da flammte ein Zündholz auf, eine eiserne Faust packte mich, zog, half
-mir. Und ich sank erschöpft auf den Sand. Ich hörte, halb bewußtlos,
-wie das Grab zugeschaufelt wurde und spürte, wie der Arzt mich unter
-dem Arm faßte und mir aufhalf. Der Kubaner schritt mit der wieder
-angezündeten Laterne voran. Als wir in seinem Zelt waren, sprach Doktor
-Gonzales kein Wort, sondern goß nur mit zitternder Hand ein wenig
-Whisky in ein Glas und gab es mir zu trinken. Auch er trank. Dann
-setzte er eine kleine silberne Spritze an meinen Arm ...
-
- * * * * *
-
-Mit dem Morgen begann wieder das Tagewerk. Es setzte sich fort durch
-zehn Tage hindurch, im gleichen Raum, unter den gleichen Verhältnissen,
-im gleichen schrecklichen Einerlei der Hilflosigkeit, und viele
-Menschen sah ich sterben in diesen Tagen. Die einen schliefen ermattet
-ein, die andern starben in kämpfendem Sichaufbäumen. Aber sie kämpften
-im Fieber nur und wußten es nicht und erlitten keine Todesangst, denn
-der Fiebertod ist ein gütiger Tod. Und ich half die Lebenden füttern
-und in ihren Körpern nach dem geheimnisvollen, unberechenbaren Auf
-und Nieder der Fieberkobolde spüren, und oft dünkte es mich, als sei
-das kleine Quecksilberwerkzeug eines der großen Wunder der Welt. Gar
-schnell hatte ich mich an den Jammer und das Elend gewöhnt und sah
-stumpfe, alltägliche Notwendigkeit im alltäglichen Erleben von Grauen
-und Sterben. Heute, im rückschauenden Betrachten, weiß ich, daß es eine
-Hölle war, in der ich lebte damals. Eine Hölle --
-
-Am zehnten Tag jedoch ward der Insel der Verdammten Hilfe. Boote
-landeten. Junge Frauen in schneeweißen Kleidern schritten über den
-Rasen vor dem gelben Haus. Sie sprachen nicht viel, sie fragten nichts,
-sondern packten Wäsche aus und bekleideten die Kranken und wuschen sie.
-Sie putzten und säuberten und pflegten.
-
-Man stand da, wollte seinen Augen nicht trauen, glaubte, ein Wunder
-zu erleben. Kiste auf Kiste, Korb auf Korb, Sack auf Sack wurde aus
-den Booten an Land geschafft. Es war, als wollte das reiche Volk eines
-reichen Landes in verschwenderischem Geben gut machen, was die Not des
-Krieges an den armen Männern auf der Insel des Gelben Fiebers gesündigt
-hatte. Da waren schwere Weine in ungezählten Flaschen und teurer
-Schaumwein in ganzen Körben und feine Hemden und große Schinken und
-Fleisch und Eßwaren in sorgsam geschlossenen Blechbüchsen und weißes
-Brot. Zelte erstanden auf dem Rasen und auf dem Sand. Das gelbe Haus
-wurde mit Karbol überschwemmt und verlassen, denn die Kranken sollten
-nun in luftigen Zelten liegen.
-
-Wie ein Märchen war es.
-
-Am Spätnachmittag führte mich der Arzt in sein Zelt. Er füllte zwei
-Gläser mit Schaumwein, trank mir zu und sagte mit lachenden Augen:
-
-»Hier endet Ihre Arbeit, Sergeant!«
-
-Zwei Wochen aber blieb ich noch im Aerztezelt, denn Doktor Gonzales
-verweigerte mir immer wieder lachend den Gesundheitsschein.
-
- * * * * *
-
-Die Wandlung war groß.
-
-Nicht nur äußerlich veränderten sich die Dinge auf der Gelbfieberinsel:
-das Elend in Ueberfluß, der Schmutz in Sauberkeit, das ohnmächtige
-Zusehenmüssen in kraftvolles Eingreifen mit reichen Mitteln -- sondern
-auch im Tiefsten. Die kleine Welt um uns schien anders. Es war, als
-liege ein gar fremdartiges, sonderbares Klingen in der Luft. Wie
-wiegender schmeichelnder Walzerklang.
-
-In harter Männerwelt hatte man gelebt viele Wochen lang. Sich gebalgt
-mit dem Feind. Nicht viel Federlesens gemacht um Hunger und Strapazen
-und Wunden. Das ging einmal nicht anders. Man war marschiert und hatte
-gefochten -- im Dreck kampiert, gefiebert auf den Hügeln ------ Der Tag
-brachte es mit sich. Was war weiter dabei!
-
-Da tönte der neue Klang.
-
-Was uns Selbstverständliches, Alltägliches gewesen war, schien
-den jungen Frauen, die uns pflegten, eine Wunderwelt. Sie waren
-freiwillige Krankenschwestern, aus guten amerikanischen Familien.
-Ideale Begeisterung hatte sie nach Kuba geführt, ihr Scherflein
-beizutragen im Krieg. Sie sahen keine Selbstverständlichkeiten; sie
-sahen die Dinge mit ganz anderen Augen an. Für sie waren die blassen
-genesenden Männer in den Zelten alle mitsammen Helden, die heldenhaft
-mit Tod und Teufel gekämpft hatten.
-
-Sie setzten sich auf die Betten zu den Kranken, auf die Feldstühle
-vor die Zelte zu den Genesenden, und baten und bettelten so lange,
-bis ihnen die Geschichten von der Schlacht vom San Juan-Hügel und vom
-Lagerleben und vom Krankheitselend immer und immer wieder erzählt
-wurden. Dann glänzten ihre Augen, und sie wurden weich und wußten gar
-nicht, was sie einem alles Gutes antun sollten. Ich hab's hundertmal
-selber erlebt und hundertmal mit angehört --
-
-»Was mußt du gelitten haben, du armer Junge!«
-
-»Hm -- eh -- 's ist nicht so schlimm gewesen,« war gewöhnlich die
-verlegene Antwort.
-
-»Oh, du armer Junge! Soll ich dir ein Schlückchen Wein bringen?«
-
-»=Oh yes, please. Thank you, miss!=«
-
-»Du mußt nicht Fräulein zu mir sagen. Ich bin Schwester Irene. Du --
-bist du denn nicht fast gestorben vor Angst, du armer Junge, als du den
-fürchterlichen Hügel hinaufstürmen mußtest?«
-
-»Nee!«
-
-»Aber es muß doch entsetzlich gewesen sein!«
-
-»Ja. Da kletterte einer vor mir« (der Erzähler war ein junger Sergeant
-der 5. Regulären), »der zappelte immer mit den Beinen und ich mußte
-höll -- hm -- sehr aufpassen, daß mir der verfl ... hem -- der Kerl
-nicht ins Gesicht trat. Es _war_ scheußlich!«
-
-»Und die Todeskugeln!«
-
-»Oh, an die Schießerei hatte man sich gewöhnt!«
-
-Und keinen einzigen Mann gab es auf der Insel des gelben Fiebers, der
-nicht seinen wohlgefüllten Sack voller Heldenruhm eingeheimst hätte.
-Zuerst war das etwas Unbehagliches. So prahlhänsig kam man sich vor.
-Man horchte immer scheu zum Nachbar hinüber, ob der nicht lachte,
-wenn Schwester Irene oder Schwester Edith oder Schwester Lizzie einem
-dickgestrichene Heldenkomplimente machte. Aber gar bald wirkte die
-Bewunderung merkwürdig wohltuend. Es war doch sehr nett, in schönen
-Augen immer wieder lesen zu dürfen: du bist ja ein famoser Junge!
-Sie fanden sich prachtvolle Menschen gegenseitig, die bewundernden
-Frauen und die bewunderten Männer. Sie gingen miteinander spazieren
-im Inselland halbe Nächte lang, Genesende und ihre Pflegerinnen. Sie
-saßen immer zusammen und tuschelten und hatten sich schrecklich viel zu
-sagen. Man wurde arg verwöhnt auf der Gelbfieberinsel in jenen Tagen.
-
-
-
-
-In der Zeltstadt von Montauk Point.
-
- Die Friedensbotschaft. -- Ein brutaler Krieg. -- Die böse Lage der
- amerikanischen Invasionsarmee. -- Auf den General folgt der
- kaufmännische Organisator. -- Wie die Zeltstadt von Montauk Point
- erstand. -- Mein letzter Tag in Santiago de Cuba. -- Im
- Gesundheitslager. -- Die Komplimente des Trusts. -- Wie mir ein
- Vermögen entging. -- Die New Yorker Invasion. -- Von begeisterten
- =Ladies=. -- Das Sicherheitsventil. -- Wie Leutnant Hobson in der
- Welle der Hysterie ertrank.
-
-
-In einer Augustnacht war es.
-
-Wir saßen vor dem Aerztezelt, der Doktor und ich, rauchten eine
-beschauliche Zigarette und schauten auf die Bai hinaus. Wundersam
-funkelten und glitzerten im Wasser die Sternenbilder. Da erklang ein
-dumpfes Brausen, wurde mächtiger, schwoll an zu Getöse. Eine Rakete
-zischte empor über der Stadt, eine zweite, eine dritte. Drüben über dem
-Wasser jubelten und schrien viele Menschen.
-
-»Eine Schlacht in Portorico!« rief der Doktor aufspringend.
-
-Ich widersprach ihm. Die letzten Nachrichten von der benachbarten
-spanischen Insel hatten besagt, daß die Besetzung Portoricos durch eine
-amerikanische Armee unter General Miles nach unblutigen Kämpfen nun
-vollendete Tatsache sei. Während wir noch hin und her sprachen, kam das
-Boot vom Hafenhospital. Der Kubaner, der es ruderte, sprang auf uns
-zu, aufgeregt mit den Armen in der Luft fuchtelnd.
-
-»=Cuba libre!=« brüllte er. »=Cuba libre, Señores!!=«
-
-Und er übergab dem Doktor einen Zettel. Das hektographierte Stück
-Papier enthielt die kurze Mitteilung des amerikanischen Gouverneurs
-von Santiago an die einzelnen kommandierenden Offiziere, daß heute, am
-12. August, in Washington das vorläufige Friedensprotokoll zwischen
-den Vereinigten Staaten und Spanien unterzeichnet worden sei. Spanien
-gab der Insel Kuba ihre Unabhängigkeit, trat Portorico an die
-Vereinigten Staaten ab und erklärte sich bereit, über einen Ankauf
-der Philippinen durch die Vereinigten Staaten zu unterhandeln. Die
-kriegsgefangenen Spanier wurden auf Kosten der Amerikaner nach ihrer
-Heimat zurückgesandt. Kriegsentschädigung verlangten die Vereinigten
-Staaten nicht.
-
-»=Cuba libre!=« brüllte der Kubaner wieder und tanzte schreiend und
-jubelnd umher.
-
-Doktor Gonzales aber streckte herrisch die Rechte aus, sagte irgend
-etwas auf Spanisch in scharfem Ton, und der überfreudige Patriot
-schlich brummend zu seinem Boot zurück.
-
-»Was sagten Sie eben?« fragte ich neugierig.
-
-»Oh nichts!« antwortete Doktor Gonzales und zündete sich eine frische
-Zigarette an. »Ich sagte ihm nur, er solle sich zum Teufel scheren
-... =Cuba libre!= Kuba Blödsinn! Ein freies Kuba, regiert von freien
-Strolchen, die eigentlich in ein Zuchthaus gehörten! Es tröstet
-mich nur, daß unser guter alter Onkel Sam der Gesellschaft früher
-oder später einen gewaltigen Tritt vor den Hintern geben und einen
-amerikanischen Staat aus Kuba machen wird. Daß er es nicht gleich jetzt
-tut, ist Schwäche, Verschwendung, Hinauswerfen an Zeit und Geld!«
-
-Da lachte ich leise vor mich hin, denn der Doktor war zwar
-amerikanischer Bürger und amerikanischer Offizier, stammte aber selber
-von kubanischen Eltern und mußte es ja wissen! Und dann gingen wir in
-die Zelte der Damen und in die Krankenzelte und lösten Hurrageschrei
-aus mit der großen Neuigkeit. Doch der Jubel über den Frieden bei
-uns in den Zelten hatte nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem
-urgewaltigen, donnernden, brausenden Siegesschrei, der von den Hügeln
-des Santiagotals gellte, als das Sternenbanner damals an dem Mangobaum
-emporstieg. Da hatte Mann über Mann triumphiert -- jeder einzelne Mann
-im Santiagotal in die eigenen Hände das Göttergeschenk des schwer
-errungenen Erfolgs empfangen. Die große politische Friedensaktion aber
-am grünen Tisch interessierte die Armee sehr wenig.
-
-»Recht nett!« sagte ein typhuskranker Infanterieleutnant der Regulären,
-als wir ihm die Friedensbotschaft vorlasen. »Nun wollen wir gemütlich
-sein und nach Hause gehen!«
-
-»=Goodbye Cuba! To hell with Cuba!!=« riefen die Rekonvaleszenten in
-den Zelten.
-
-Das war das Leitmotiv des Wiederhalls, den die Friedensklänge in den
-Männern der Armee von Kuba ertönen ließen:
-
-»Adieu Kuba! Hol dich der Teufel! Wir gehen nach Hause!«
-
- * * * * *
-
-So war denn der Krieg beendet.
-
-Dieser wunderschön brutale Krieg mit seinen wunderschön klaren und
-einfachen Ursachen. Ein Krieg der Macht. Ein brutaler Faustkampf.
-Unmoralisch über alle Maßen. Der Große fraß den Kleinen -- denn ich
-bin groß und du bist klein. Und doch wieder moralisch im höchsten
-Sinne. Unter dem starken neuen Herrn wurden in wenigen Jahren auf den
-Philippinen, auf Kuba, das immer eine Art amerikanischen Protektorats
-sein und nie ganz selbständig werden sollte, auf Portorico, überall
-in Westindien, ungeheure Werte geprägt, die in alle Ewigkeit brach
-gelegen hätten unter der spanischen Mißwirtschaft. Spanien aber, das
-gedemütigte, zu Boden geschlagene Spanien, das beraubte Spanien, das
-die Neue Welt entdeckt hatte und zum Dank bis in den Staub gedemütigt
-wurde von der Neuen Welt, erstarkte nur unter den Schlägen des Krieges.
-Es lernte. Seine kraftvolle Arbeit in Marokko während der nächsten zehn
-Jahre erstaunte jeden, der früher spanische Beamte und Gouverneure in
-spanischen Kolonien bei der Arbeit gesehen und sie höchstens für eine
-Operette tauglich befunden hatte. So wurde im letzten Ende Unmoral zu
-Moral.
-
-Der unersättliche Große aber atmete erleichtert auf, als der kleine
-Gegner davonschlich. Teufel -- es war doch gar nicht so einfach
-gewesen, und recht viel Glück hatte man nötig gehabt! Zwar ließ es
-sich leicht berechnen von Anfang an, daß man am Ende erfolgreich
-sein mußte. Die Siege der amerikanischen Flotte im pazifischen Ozean
-wie im westindischen konnten auf dem Papier auskalkuliert werden.
-Kein Sieg jedoch, kein Gebietszuwachs, keine neue imperialistische
-Weltmachtstellung hätten es in der öffentlichen Meinung des eigenen
-Landes gutmachen können, wenn amerikanische Männer zu Tausenden im
-Tal von Santiago zugrunde gegangen wären, weil der leichtsinnige
-Krieg sie in leichtsinniger Ausrüstung ins Fieberland geschickt
-hatte. Die Invasionsarmee war dezimiert von Fieberkrankheiten. In den
-ersten Tagen des August schon hatten, ein unerhörtes Geschehnis vom
-militärischen Standpunkt aus, ihre Generale in einem scharfen Schreiben
-an den Obergeneral Shafter die sofortige Zurückbeförderung der Armee
-nach den Vereinigten Staaten verlangt. Der Krankheitsstand lasse das
-Schlimmste befürchten. Das merkwürdige Vorgehen der hohen Offiziere,
-das wahrscheinlich mit General Shafter verabredet worden war, sollte
-starken Eindruck auf die obersten militärischen Behörden in Washington
-sowohl wie auf die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten
-ausüben. Daß ein solcher Schritt überhaupt notwendig wurde, beweist die
-Unsicherheit und Gefährlichkeit der Lage für die Truppen vor Santiago
-beim Ende des Krieges. Zwar war die spanische Flotte vernichtet,
-Portorico besetzt, die Provinz Santiago de Cuba erobert, eine spanische
-Armee von 23000 Mann kriegsgefangen. Damit hatte man gewaltige
-Erfolge errungen, war aber auch auf dem toten Punkt angelangt. Eine
-spanische Armee von über 80000 Mann, auf die verschiedenen Provinzen
-verteilt, hielt Kuba noch besetzt. Ein Vordringen der amerikanischen
-Invasionsarmee auf dem Landwege schien unmöglich -- das Angreifen
-Havannas, des Herzens der Insel, durch die Flotte ein zum mindesten
-gewagtes Unternehmen.
-
-So ergab sich eine beinahe lächerliche Lage: der tote Punkt. Die
-amerikanische Armee kampierte noch immer im Santiagotal und litt
-entsetzlich unter Klima und Fieber. Niemand wußte, was anfangen mit
-ihr. Der Leichtsinn, die Ueberhastung des ganzen Krieges rächte
-sich. In den Vereinigten Staaten regte sich scharfe Kritik. Schon
-zu Beginn des Krieges, als im Süden Amerikas die in rasender Eile
-zusammengetrommelten Freiwilligenregimenter in Feldlagern untergebracht
-wurden, in die bei dem völligen Mangel an allem Nötigen rasch der
-Typhus einzog, war die Regierung scharf angegriffen worden. Und
-jetzt das Fiebertal von Santiago! Noch sickerte die Wahrheit nicht
-ganz durch; noch wußte man im Heimatland nicht, daß seit dem Tag
-der Uebergabe der spanischen Armee mehr amerikanische Soldaten an
-Krankheiten gestorben waren, als die Gefechte an Menschenleben gekostet
-hatten. Die militärische Führung war ratlos.
-
-Da kam der Friede.
-
-Und es war, als ziehe der amerikanische Dollarmann jubelnd den
-Soldatenrock aus, der überall ein wenig drückte und nirgends so recht
-passen wollte, weil er in solcher Eile hatte zurechtgeschneidert
-werden müssen. Die Nation des Organisierens entsann sich ihres
-Berufs. Der Leichtsinn, die Ueberstürzung, das Ueberhasten verschwand
-im zauberischen Wechsel. Kühle Ueberlegung trat an ihre Stelle. Dem
-General folgte der kaufmännische Organisator -- der echte Amerikaner,
-der mit Geld nicht knausert, wenn das Ziel der Mühe wert ist, und sich
-bei Kleinigkeiten nicht lange aufhält.
-
-Das Klima des Santiagotals war unerträglich in dieser Jahreszeit? Dann
-weg mit der Armee! Sie ersetzt durch Regimenter von Negern und Weißen
-der Südstaaten, die gegen Fieberkrankheiten immun waren! Die Armee war
-krank? Dann in ein ungeheures Krankenhaus mit ihr, auf daß sie gesund
-werde! Ansteckungsstoffe waren zu befürchten in jedem Uniformrock, in
-jedem Hemd? Weg dann mit der gesamten Ausrüstung der Armee!
-
-»=Regardless of cost!=« hatte Präsident McKinley kurz gesagt. »Der
-Kostenpunkt ist Nebensache!«
-
-Die Amerikaner waren's zufrieden. Sie, die keine direkten Steuern
-bezahlten und ihre Kriegskosten einfach durch eine Biersteuer und eine
-Schecksteuer aufbringen konnten, wußten recht gut, daß die über Nacht
-errungene Weltmachtstellung, die neue Ausdehnung des amerikanischen
-Reichs, Milliarden an kaufmännischen Dollars wert war. Niemand murrte,
-als die leitenden Hände in den reichen Yankeesäckel griffen. Ströme von
-Gold flossen dahin.
-
-Eine ungeheure, kahle, sandige Fläche auf der Insel Long Island wurde
-zum Gesundheitslager der Armee erwählt. Dort war es kühl, jetzt im
-August schon. In allen Richtungen fegte Tag und Nacht vom Meer her der
-frische Wind. Der sollte sie wegblasen, die Fieberschlaffheit und das
-Tropenmüdesein. Die Zeltstadt von Montauk Point entstand. Gassen und
-Straßen schneeweißer Zelte. Die Gewerbe des Landes arbeiteten wie im
-Fieber, die Stadt zu erbauen. Jedes Zelt wurde aus neuem Segeltuchstoff
-neu zurechtgeschneidert, denn kein altes Schmutzstäubchen sollte Raum
-haben im Gesundheitslager. Jedes Zelt erhielt einen Fußboden aus
-sorgsam zusammengefügten und geglätteten Brettern, ein jedes einen
-kleinen eisernen Ofen, ein jedes neue schneeweiße Betten und Stühle
-und Regale. Die Straßen wurden sorgfältig ausgebaut und ein System von
-Abgußkanälen angelegt. Aerzte und Krankenpflegerinnen versammelten
-sich. Die Eisenbahnen schleppten gewaltige Mengen von Uniformen und
-Wäsche herbei. Um das Lager wurde ein Postenkreis von besonders
-ausgesuchten Regimentern gezogen, die keinen Menschen hinauslassen
-durften und keinen hinein, jede neue Ansteckung zu verhüten.
-Dampfertransporte mit den neuen fiebersicheren Truppen gingen nach
-dem Santiagotal; Frachtdampfer mit großen Mengen von Lebensmitteln,
-die sehr sorgfältig ausgesucht wurden; Hospitalschiffe, deren
-Aufgabe es war, das Schmutznest Santiago nach allen Regeln moderner
-Desinfektionskunst sauber zu machen. Dann dampften die Schiffe mit den
-kranken Regimentern heimwärts zum Gesundheitslager.
-
-Und ein so großzügiges, ein so bewunderungswürdig zielbewußtes Arbeiten
-setzte ein auf der windumbrausten Sandfläche beim atlantischen Ozean,
-daß es alles wieder gut machte, was der Leichtsinn gesündigt hatte
-in Kuba. Mann für Mann der kranken Armee wurde betreut, gepflegt,
-gewaschen, gesäubert, neubekleidet wie ein Kindlein. Man stellte
-die Kompagnien in langen Linien auf, wenn sie vom Schiff kamen, und
-ließ sie sich splitternackt ausziehen und verbrannte auf großen
-Scheiterhaufen jeden Fetzen, den sie am Leibe getragen hatten;
-man badete sie, gab ihnen reine Wäsche, neue Uniformen, nagelneue
-Ausrüstung bis zum Tornister, erklärte ihnen, sie möchten sich um
-Gottes willen nur pflegen. Nichts auf der Welt hätten sie zu tun als
-ihre Waffen zu reinigen und instandzusetzen. Nicht einmal zu kochen
-brauchten sie. Dafür sorgten große Feldküchen, und Sachverständige
-wachten darüber, daß das Soldatenessen ja recht schmackhaft und
-wohlbekömmlich war. Im Land stritt man sich um die Ehre, Liebesgaben
-für das Gesundheitslager schenken zu dürfen. Damen der Gesellschaft
-zankten sich um den Vorzug, die Kranken zu pflegen.
-
- * * * * *
-
-Als das Ruderboot an einem der letzten Tage des August den
-Signalkorpssergeanten von der Gelbfieberinsel nach Santiago brachte,
-war dieser Sergeant kerngesund und wunderte sich sehr, wie ihm nach
-diesen Schlemmertagen das Soldatenleben wohl behagen würde. Sie hatten
-ihn schrecklich verwöhnt auf der Insel, der Doktor und die Frauen in
-Weiß, die so heroisch ihre Pflicht taten und doch immer Zeit und Lust
-übrig hatten für manches Gekicher und vielen Uebermut. Sie hatten
-dem Sergeanten gar noch einen großen Korb zurechtgepackt, in dem
-Schaumweinflaschen einträchtiglich neben altem Burgunder und allerlei
-guten Sächelchen in Blechbüchsen lagen, auf daß es Mr. Sergeant wohl
-ergehe auf dem Heimatsdampfer. Und ich beguckte mir gesättigt und
-gesund das tiefblaue Wasser und die grünen Berge über der Bai und das
-Städtchen mit seinen grellen Farbenflecken in rot und blau und gelb und
-meldete mich beim Gouverneur und empfing den Befehl, mit der »City of
-Galveston« noch am gleichen Nachmittag die Heimreise anzutreten -- als
-einer der letzten der alten Armee vom Santiagotal.
-
-Es war gerade noch Zeit zu einem kurzen Spaziergang die Plazza entlang
-und zu kleinen Einkäufen. Und in großer Wut schied ich von Santiago de
-Cuba!
-
-Die grünen und gelben Scheine, die Billy mir geschickt hatte,
-knisterten so wunderschön in den Taschen, und eine Stunde nur wurde
-einem da gegeben, sich die Stadt zu begucken, die Stadt des Feindes,
-die so viele Wochen lang eine märchenhafte Vorstellung nur gewesen war!
-Hätte man sich da nicht einen Gaul mieten müssen und den Schlammpfad
-noch einmal abreiten! Die San Juan-Hügel erklettern! Sich bei der alten
-Zuckermühle das alte Loch betrachten, das jene Granate gerissen! Oh,
-zum Teufel mit dieser unanständigen Eile ... Höchst ärgerlich ging ich
-an Bord.
-
- * * * * *
-
-Der Laderaum des kleinen Dampfers war von oben bis unten vollgepfropft
-mit Waffen und Munition. Die Mausergewehre, die Bajonette, die
-Patronenvorräte der Kriegsgefangenen spanischen Armee wurden in
-das Arsenal von New York geschafft. Ein kranker Offizier, den eine
-Pflegerin begleitete, und ich waren die einzigen Passagiere. Als wir
-Long Island sichteten, fiel mir ein, daß ein Mausergewehr und ein
-Bajonett oder zwei recht nette Andenken sein würden.
-
-»Sind die Dinger eigentlich abgezählt?« fragte ich den Kapitän beim
-letzten Mittagessen. »Ich meine, nimmt man es genau oder nicht so
-genau? Ich möchte gern ein paar von den spanischen Schießprügeln haben!«
-
-»Ih wo!« antwortete der lachend. »Sie sind ja in meinen Laderaum nur so
-hineingeschaufelt worden.«
-
-»Dann werde ich ein bißchen stehlen!« erklärte ich vergnügt.
-
-»Meinetwegen,« grinste der Kapitän, »wenn Sie sich durchaus abschleppen
-wollen mit den alten Dingern. Nehmen Sie sich, so viele Sie wollen. Im
-übrigen ist's gar kein Stehlen. Das verrostete Zeug ist wenig genug
-wert. Greifen Sie zu! Auf ein paar hundert Stück mehr oder weniger
-kommt's nicht an.«
-
-So ging ich an Land mit zwei Mausergewehren und zwei Bajonetten unterm
-Arm und warf sie irgendwohin im Sergeantenzelt des Signalkorps und
-verlebte einen langen Abend voller Erzählens mit meinen Kameraden. Die
-hatten mich ja für tot gehalten.
-
-Ich konnte mich gar nicht fassen vor Erstaunen über die wundersame
-Zeltstadt --
-
-»Der Soldat ist Trumpf heutzutage!« erklärte Souder lachend. »In der
-Armee von Kuba gewesen zu sein ist jetzt wertvoller als vier Asse beim
-Pokern. Menschenkind, 's ist einfach ein Wunder, daß sie uns nicht auch
-noch in Watte packen!«
-
-Mr. Soldat aus Kuba war tatsächlich Trumpf. Nicht nur die amtlichen
-Stellen hatten beschlossen, daß er eine Zeitlang leben sollte wie der
-Herrgott in Frankreich, sondern alle Welt wetteiferte obendrein, ihm
-gute Sachen zuzustecken. Die bösen Trusts sogar.
-
-Ueberall in der weißen Stadt hatte die Amerikanische Tabakgesellschaft
-kleine Zelte errichtet, die große Plakate trugen: »Tabak für die Männer
-von Santiago! Kommt, Jungens, und greift zu!!« Trat man an das kleine
-Zeltfensterchen, so erkundigte sich ein liebenswürdiger Verkäufer so
-beflissen danach, was man zu haben wünsche, als sei man ein wertvoller
-alter Kunde. Zigaretten? Welche Sorte? Kautabak? Die neue Marke mit
-dem Champagnergeschmack sei besonders zu empfehlen! Pfeifentabak? Und
-alles war hübsch eingewickelt und auf jedem Päckchen stand: »Mit den
-Komplimenten der Amerikanischen Tabakgesellschaft.« Große Brauereien
-hatten Bierzelte eingerichtet und verschenkten ein besonders leicht
-eingebrautes »Krankenbier« in reizenden kleinen Flaschen -- mit den
-Komplimenten der oder jener Brauereigesellschaft. Teufel, Teufel! Zwar
-taten sie's nicht aus Liebe und Begeisterung allein, sondern es mochte
-auch ein bißchen Sinn für die famose Reklame dabei sein! Es gab Zelte
-mit Sodawasser; es gab Bonbons und Schleckereien; es gab Streichhölzer,
-Taschentücher, Bleistifte, Briefpapier, Briefmarken sogar -- immer mit
-den verschiedensten Komplimenten. Auf den Briefmarken hatte der Spender
-seine Firma eingelocht -- mit seinen Komplimenten. Mr. Soldat lebte vom
-Fetten des Landes.
-
-Doch es sollte noch besser kommen, viel besser.
-
-Am Tag meiner Ankunft war das Lager für seuchenfrei erklärt und die
-Sperre aufgehoben worden. Eine Stunde später verkündeten große Plakate
-in New York Vergnügungszüge der Long Island-Eisenbahngesellschaft zur
-Armee von Santiago. Um elf Uhr morgens am nächsten Tag kam die erste
-Invasion. Zwischen den Zelten der weißen Stadt flutete es schwarz von
-Menschen, dollarjagenden New Yorkern, die aber augenblicklich an gar
-nichts zu denken schienen, als einen Soldaten der Armee von Santiago zu
-erwischen und ihm die Hände aus den Gelenken zu schütteln. Fünf Minuten
-nach Ankunft des Zuges konnte man sich in unserem Sergeantenzelt
-überhaupt nicht mehr rühren, ohne einem eleganten New Yorker auf
-die Fünf-Dollar-Stiefel zu treten. Es regnete Zigarren, und aus den
-Fläschchen in den New Yorker Hüftentaschen ergossen sich schnäpsige
-Getränke.
-
-=»Good morning, good morning! Fine morning!!«= redete ein New Yorker
-auf mich ein und packte meine Hand. Teufel, wie der Mensch drückte!
-Während ich mir noch überlegte, ob ich liebenswürdig lächeln oder ihm
-einen Stoß vor den Magen geben sollte, fiel sein Blick auf meine beiden
-Mausergewehre in der Zeltecke.
-
-=»Oh! Spanish guns!«= rief er entzückt.
-
-»Jawohl; =Mausers=!« antwortete ich.
-
-=»Fine, fine! How much?«=
-
-Ich sah ihn verblüfft an, aber da hatte der Mann aus New York das
-Gewehr schon gepackt und mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand
-gedrückt, und während ich noch nach Worten suchte, war das andere
-Gewehr auch schon weg und ein zweiter Zwanzigdollarschein da.
-
-Teufel! Ich drängte mich durch die händeschüttelnde Gesellschaft
-und warf mich auf mein Bett und schalt mich siebenundzwanzigmal
-hintereinander den fürchterlichsten Esel seit Erschaffung der Welt.
-Eselhaft, begriffstützig, blödsinnig über alles erlaubte Maß hinaus.
-Niemals würde ich ein Amerikaner werden! Niemals würde ich Hornochse
-den Wert der Dinge und den Wert des Geldes wahrhaft begreifen lernen!
-
-Welch ein Geschäft ging hier zum Teufel! Hundert Mausergewehre hätte
-ich an Land schleppen können, umsonst, zollfrei, geschenkt! -- Hundert
-Stück zu zwanzig Dollars macht zweitausend Dollars -- hundert Bajonette
-obendrein zum allermindesten -- hundert Stück zu fünf Dollars macht
-fünfhundert Dollars, macht zusammen zweitausendfünfhundert Dollars.
-
-Verdammt, verdammt, verdammt nochmal!
-
-Ueber zehntausend Mark -- heiliges Donnerwetter!
-
-Durch die Hände schlüpfen lassen hatte ich mir mein erstes wirkliches
-»Geschäft« auf amerikanischem Boden. Den idealen amerikanischen
-=business-job= -- den Humbugschlager -- mit Intelligenz -- ohne Kapital
-------
-
-Ich Esel -- ich Hornochse!
-
-Doch nicht einmal ein junger Teufel frisch aus der Hölle hätte es übers
-Herz bringen können, inmitten dieser überliebenswürdigen, überfrohen,
-übergütigen Menschen auf längere Dauer zu fluchen. Sie, die harten New
-Yorker mit dem harten Dollarsinn, waren in der Laune, das Hemd vom
-Leibe wegzuschenken. Der sentimentale Romantiker kam zum Durchbruch,
-der in jedem richtigen Amerikaner steckt in merkwürdigem Gegensatz zu
-dem rohen Kampf ums Dasein in der Neuen Welt. Kein Südfranzose, kein
-italienischer Heißsporn, kein spanischer Leidenschaftsmensch hätte
-naiver und kindlicher begeistert sein können als diese gewitzten Männer
-aus der =matter of fact= Dollarwelt. Man sah es ja förmlich, wie diese
-Leute ihr Hirn anstrengten, einem etwas Gutes zu tun. Wie jungenhaft
-einfach und natürlich sie sich gaben -- wie der warmblütige Mensch
-hervorguckte unter der abgeworfenen kühlen Geschäftsmaske -- und wie
-doch wieder die Gewohnheit so stark war, daß sie nur in klingender
-Münze begeistert sein konnten, diese Männer New Yorks. Der leiseste
-Vorwand genügte ihnen, mit Geld um sich zu werfen. Sie ersannen sich
-ständig neue Vorwände, den Wohltäter zu spielen. Und im Grunde war das
-heilsam für die New Yorker Dollarmenschen, denn sie begriffen nun,
-daß man mit dreizehn Dollars Einkommen im Monat ein ganzer Mann sein
-konnte! -- Sie wurden daran erinnert, daß es noch andere Werte auf der
-Welt gab als =business=!!
-
-Auf einmal aber traten die Männer in dem dunkeln Grau oder Braun oder
-Blau der Herrenkleidung völlig und gründlich in den Hintergrund. Die
-wandelnden Träume im duftigen Weiß und den leuchtenden Farben in den
-Zeltstraßen nahmen die Zügel in die Hand. Das duftige Weiß regierte.
-Die Männer waren weg. Schlanke Frauengestalten erschienen.
-
-=»Goodbye, Johnny!«= hauchte ein blauer Märchenhut. »Geh und amüsiere
-dich, Männchen! Um vier Uhr (das war geschlagene drei Stunden
-vordatiert) treffen wir uns bei der Station. Weißt du, ich muß mir von
-den Jungens alles, alles erzählen lassen und da kann ich dich doch
-nicht brauchen dabei. =Goodbye, Johnny!!=«
-
-Und die zweite Invasion begann.
-
-Die zweite Form von amerikanischer Begeisterung. Diese Mädchen und
-Frauen empfanden erstens das Bedürfnis, diesen unglaublichen und ihnen
-ganz ungewohnten Helden vom Santiagotal, an deren Ohren wirkliche,
-echte Todeskugeln vorbeigepfiffen waren, ihre dankbare Reverenz zu
-erweisen. Zweitens wollten sie sich aber amüsieren. Sie saßen auf
-unseren Betten, wippten mit allerliebsten Füßchen.
-
-Rische-Rasche machten die seidenen Unterröckchen.
-
-»Hast du dich gar sehr gefürchtet in der Schlacht vom San Juan-Hügel?«
-fragte mich ein Dinglein in roter Seidenbluse.
-
-»Ach nein,« antwortete ich verlogen.
-
-»Das Schwarz und Weiß deiner Sergeantenstreifen steht dir
-ausgezeichnet!« meinte das Dinglein in sonderbarem Gedankensprung --
-sonderbar für mich -- damals ...
-
-Ich war paff.
-
-»Was bedeuten denn die komischen Flaggen auf deinen Aermeln?«
-
-»Weißt du,« sagte der Lausbub (das war auch ein Gedankensprung) »------
-wenn hier nicht so viele Leute wären, so möchte ich dir einen Kuß
-stehlen!«
-
-»Oh pfui!!« hauchte sie. Aber ihre Augen sagten gar nicht pfui.
-
-Es war ein Idyll. Es war eine Orgie in Begeisterung. Es war praktischer
-Humor ersten Ranges, wie die gutgezogenen New Yorker Männer ihre
-Dollarfrauen dem Flirt überließen -- und ich wunderte mich mehr
-als einmal, ob nicht mancher gute Ehemann das verfluchte Heldentum
-verdammt ungemütlich empfand. Sie saßen auf unseren Betten, die
-Mädelchen und die Frauen, und sie naschten mit großen verwunderten
-Augen Soldatenessen von unseren blechernen Soldatentellern. Sie waren
-sehr nett. Sie küßten wohl auch einmal -- in dem erhebend moralischen
-Bewußtsein, daß sie durchaus unpersönlich küßten. Sie küßten Helden
-fürs Vaterland. Die Männer wollten ihre Dollars los werden. Die Frauen
-ihre Liebenswürdigkeit.
-
-Ich plauderte lange mit dem Dinglein in der roten Bluse. Das war ein
-kluges Mädchen. Auch sie wollte Andenken haben, aber es fiel ihr nicht
-im Traum ein, mit teuren Dollars zu operieren wie die Männer. Sie
-machte süße Augen -- und drehte mir einen vergoldeten Sergeantenknopf
-ab. Sie machte noch süßere Augen -- und holte ein Scherchen aus
-der Handtasche hervor, um mir kaltblütig die kostbaren seidenen
-Sergeantenabzeichen von den Aermeln zu trennen. Sie schenkte einen Kuß
--- und stopfte sich alle Taschen voller Patronen und Messingflaggen,
-wie wir sie an den Mützen trugen, und den verschiedenen Dingen im
-allgemeinen, wie sie überall umherlagen.
-
-»Hast du denn auch ein liebes kleines Mädel?« fragte die rote Bluse.
-
-»N -- nein!« flüsterte ich, mit tiefem und ehrlichem Bedauern, denn
-rote Blusen und die lieben kleinen Mädchen darin schienen mir gerade
-jetzt etwas besonders Reizendes.
-
-»Ach du armer Junge!!« (bums dich -- war wieder ein vergoldeter Knopf
-weg!) »Weißt du -- ich möchte sehr gut zu dir sein!«
-
-Und da führte ich sie durch unsere weiße Stadt und zeigte ihr all
-die Zelte und sah sie erschauern vor der Bedeutung des riesigen
-seidenen Sternenbanners, das vor dem Zelt des kommandierenden
-Generals im Windgebrause flatterte. Erschrecklich viel Limonade trank
-sie. Erschrecklich viele kleine Paketchen von Tabak und winzigen
-Bierfläschchen und Soldatenbonbons nahm sie mit als Andenken und
-versprach hoch und heilig, sie in Ehren zu halten für alle Ewigkeit.
-Ich aber wunderte mich, wie das kleine Persönchen es fertig brachte,
-all die gemopsten und geschenkten Sächelchen zu verstauen. Des Rätsels
-Lösung fand ich nicht. Und wir verzehrten noch mehr Süßigkeiten und
-tranken noch mehr Limonade und gingen eine lange Nachmittagsstunde
-am sandigen Strand spazieren, weit von der Zeltstadt, aber keineswegs
-in Einsamkeit, denn wo man auch hingeriet irgendwo um Montauk Point
-herum, ergingen sich reizende Frauen mit den Männern der Armee vom
-Santiagotal. Sie mußten sich Helden nennen lassen, die armen Männer,
-bis sie erröteten wie Backfische.
-
-Es war eine Orgie.
-
-»Adieu, lieber Junge!« sagte das Dinglein bei der Station, und ich
-hätte darauf geschworen, daß der feine vielsagende Händedruck sieben
-verschiedene Wahlverwandtschaften zum mindesten bedeutete. Doch im
-gleichen Augenblick schoß das gleiche Dinglein in der gleichen roten
-Bluse auf einen mageren Jüngling in korrektem Schwarz und allerneuestem
-korrekten New Yorker Hut zu und warf sich, jawohl, warf sich, an seinen
-Hals!
-
-»Freddy,« jubelte sie -- »ach, du lieber guter Freddy, es war ja so
-süß!«
-
-Da begriff ich, daß ich im Erleben der roten Bluse eine ganz
-gewöhnliche Episode war. Ein Röhrchen war ich, ein lächerliches
-Sicherheitsventil, eine mechanische Vorrichtung, dem Hochdruck der
-Begeisterung der amerikanischen Frau Luft zu verschaffen. Er wäre sonst
-gefährlich geworden.
-
-»Du verflixter kleiner Fratz!« murmelte ich.
-
- * * * * *
-
-Es dauerte aber gar nicht lange, so erreichte der Hochdruck der
-Begeisterung in Amerika das überspannte Stadium. Es wurde allerorten
-und in allem gewaltig übertrieben im Siegesjubel. Man war wie ein
-glücklicher Spieler, der im ersten Taumel des Gewinnens nicht weiß was
-tun vor Freude und links und rechts mit vollen Händen die Goldstücke
-hinausschleudert. Ein solches Schleudern war es im Dollarland damals!
-
-Und bald wurde das echte, starke, wahre Gefühl der Begeisterung zum
-sentimentalen Gefühlskitsch.
-
-Die Frauen vor allem machten lächerliche Dummheiten.
-
-Eine Flutwelle der Hysterie ergoß sich über das Yankeeland. Zuerst
-natürlich erreichte die Welle das nahe New York. Die Zeitungen
-berichteten, lächelnd anfänglich, dann entrüstet, daß mit den Jungens
-in Blau eine Abgötterei getrieben werde, die in ihren Formen schon ein
-Unfug genannt werden müsse!
-
-»Mann! Bringe mir heute abend zehn Helden zum =supper=!« befahl die
-New Yorker Ehefrau. Und Mr. Ehemann, wohldressiert von Kindesbeinen
-an, ging los, ob's ihm nun besonders gefiel oder nicht, und gabelte
-gehorsam zehn Helden auf. Frisch von der Straße weg.
-
-Heidi, es war lustig!
-
-Mrs. Ix, die New Yorkerin und Milliardärin, gab schleunigst einen
-Soldatenball. Mrs. Ypsilon, gleichfalls Milliardärin, trumpfte über
-und erließ =prestissimo= die Einladungen zu einem Sergeantenball, bei
-dem es märchenhaft wohlhabend herging. Mrs. Zett, auch sie natürlich
-Milliardärin, fuhr von morgens früh bis abends spät mühsam überredete
-Helden in ihrem vornehmen Landauer in den Straßen New Yorks spazieren.
-Die großen Blumengeschäfte erhielten Anweisungen von Damen der
-Gesellschaft, jedem Soldaten Blumen zum Begeisterungsgeschenk zu machen
--- was reizend gewesen wäre, wenn die gütigen Spenderinnen nicht gar so
-deutlich dafür gesorgt hätten, daß ihre Namen in allen Zeitungen und an
-allen Blumenladenfenstern recht laut und kräftig in Erscheinung traten.
-
-Die nervöse Welle lief weiter -- wuchs an. In Washington wurde sie zur
-Sturmflut.
-
-Eines Tages meldete sich in der Stadt des Kapitols ein junger Leutnant
-beim Marineminister. Er hieß Hobson und war ein Held. Hatte mannhaft
-Leib und Leben darangesetzt mit offenen Augen und war nur wie ein
-Wunder dem Tode entgangen, als er in der Santiago-Felsenenge den
-Merrimac in die Luft sprengte. Nun war der junge Leutnant der Held
-des Tages in Washington. Seine Kommandeure, der Marineminister, der
-Präsident der Vereinigten Staaten überschütteten ihn mit Glückwünschen
-und Danksagungen. Man gab einen Ball zu seinen Ehren.
-
-Und damit fing das Unglück an.
-
-Als Hobson den Ballsaal betrat, schritt eine junge Dame der
-Washingtoner Gesellschaft auf ihn zu, überreichte ihm einen großen
-Blumenstrauß und bestätigte ihm in wohlgesetzten Worten, daß er ein
-Held sei und sein Name unvergänglich auf den Tafeln des Vaterlandes
-leuchten werde. Dann kam ihr besonderer Dank. Im Namen der
-amerikanischen Frau; im Namen der fraulichen Gesamtheit; im Namen der
-Weiblichkeit:
-
-Schlanke, weiße Arme legten sich um des Leutnants goldbestickten
-Uniformkragen und ein amerikanischer Frauenmund küßte ihn lang und
-innig.
-
-Vor versammeltem Mannsvolk und bewundernder Frauenschar.
-
-Am nächsten Tag wurde das weihevolle Ereignis in vielen Zeitungsspalten
-geschildert. Die Gesellschaftsreporter fanden mühelos die richtigen
-Töne. Sie lachten sich zwar wahrscheinlich halbtot dabei im
-Redaktionssanktum bei Bier und Zigarette -- aber die Töne fanden sie!
-
-Sie sprachen ernsthaft und gediegen von allerhöchster Ehre. Sie
-flöteten zart vom symbolischen Weihekuß. Sie nahmen gedankenvoll das
-Konversationslexikon zur Hand und fanden auch glücklich klassische
-Vorbilder, die sich prachtvoll zu Vergleichen eigneten und die ganze
-sentimentale Geschichte auf ein anständiges Niveau hoben. Am nächsten
-Tag durcheilte die wichtige Nachricht Amerika.
-
-Ueber das weibliche Amerika brauste ein Sturm der Begeisterung.
-
-Das war groß. Edel. Ungeheuer. Das war Heldenlohn. Schöner und reicher
-als alle Schätze an Gold und Ehren.
-
-Man gab einen zweiten Ball in Washington, wiederum zu Ehren des
-Leutnants, und wiederum begann er mit einem Weihekuß. Diesmal jedoch
-schlossen sich die anwesenden Damen der ersten Weiheküsserin ziemlich
-vollzählig an. Es schien ihnen wohl Anstandsgebot, einem wirklichen
-Helden wahrhafte Ehren auch reichlich genug zu erweisen. Es hagelte
-Küsse auf Hobson herab -- und der arme Leutnant wurde verrückt! Der
-mannhafte Mann, der Held, der Todeskämpfer wurde zum Schwächling
-und eitlen Toren. Er wurde hysterisch, genau so hysterisch wie die
-»Küsserinnen«. Er ließ sich überallhin einladen, zu Dutzenden von
-Bällen in Washington allein, in Boston, in Baltimore, und wurde überall
-geküßt.
-
-Es war tragikomisch. Nein, tragisch mehr als komisch. Der Amerikaner
-verträgt und ermutigt sogar sentimentale Dinge, wenn sie mit Frauen
-zusammenhängen, namentlich bis zu einem gewissen Punkt. Dann aber
-schnappt irgend etwas bei ihm.
-
-Bei der Hobson Küsserei schnappte es! Noch einige Male berichtete die
-amerikanische Presse in nicht ganz echt klingender Begeisterung über
-die Hobsonbälle und die Weiheküsse. Dann war es aus. Eine New Yorker
-Zeitung machte den Anfang:
-
-»Mr. Hobson läßt sich schon wieder küssen! Die Sache wird zur üblen
-Gewohnheit!!« überschrieb sie einen lustigen Bericht.
-
-Und nun donnerte ein nimmer endenwollendes Gelächter herab auf den
-armen Hobson. Man nannte ihn den geküßten Hobson -- den küssenden
-Hobson. Man erwog ernsthaft, ob eine Veränderung seiner Mundlinien
-zu befürchten sei durch die starke Inanspruchnahme der Lippen --
-man hieß ihn den bestgeküßten Mann der Welt -- man zeichnete ihn in
-bissigen Karikaturen umdrängt von kußlechzenden Frauenantlitzen --
-man riet ihm ernsthaft, auch den Westen Amerikas abzugrasen. Ein
-besonders niederträchtiger Schreibersmann empfahl ihm das Erheben von
-Eintrittskußgeld. Ganz Amerika lachte drei Wochen lang.
-
-Das Unglaubliche, das Brutale, das Tragische war geschehen. Ein braver
-Mann, der sich den Dank seines Vaterlandes ehrlich verdient hatte,
-war für alle Zeiten zu einer lächerlichen Hanswurstenfigur geworden.
-Heute noch löst der Name Hobson in Amerika ein vergnügtes Schmunzeln
-aus. Der Held der Santiagofelsenenge ist vergessen -- der Vielgeküßte
-unsterblich geworden.
-
-So ertrank Leutnant Hobson von der amerikanischen Marine in der Welle
-der Hysterie.
-
- * * * * *
-
-Im Sergeantenzelt türmten sich die Zeitungen. Sie lagen in Haufen in
-allen Ecken; sie stapelten sich in Ballen auf gegen die Zeltwand, da,
-wo mein Bett stand; sie bedeckten oft genug sogar den Fußboden, daß man
-so recht im knisterigen, raschelnden, dünnen Zeitungspapier watete. Die
-Kameraden schimpften.
-
-»Du bist verrückt!« erklärte Souder.
-
-»Werft ihn doch hinaus mitsamt seinen alten Zeitungen!« schlug Hastings
-gemütlich vor.
-
-»Geht weg -- geht doch weg -- schert euch nur ja zum Kuckuck!« war
-gewöhnlich meine Antwort, brummend in knurrigem Ton gegeben, aber
-lachend gemeint.
-
-Und doch wieder sehr ernsthaft. Die Mitbewohner des Zeltes wußten
-recht genau, daß es nicht erlaubt war, den Sergeanten Carlé beim
-Zeitungslesen zu stören (man mochte reden soviel man wollte, aber nicht
-mit ihm), oder gar auch nur eine einzige seiner kostbaren Zeitungen
-aus dem Zelt fortzunehmen, sofern man sich nicht Ungemütlichkeiten
-aussetzen wollte. So ließ man ihn gewähren. Wenn die New Yorker
-Invasion einen einmal nicht plagte, wurde Poker gespielt im Zelt,
-unglaublich viel und unglaublich hoch, denn männiglich hatte Geld in
-Menge und kein Mensch etwas zu tun, oder viel Bier getrunken, viel
-geplaudert, viel gelacht. Der Zeitungssergeant aber -- so nannten sie
-mich -- lag auf seinem Bett und las und las. Er war eben ein bißchen
-verrückt.
-
-Das Zeitungsfieber hatte mich wieder gepackt.
-
-Ich las und las. Spalte auf Spalte verschlang ich, und Stunde auf
-Stunde verrann. Für nichts hatte ich Sinn und alle Dinge waren mir
-gleichgültig seit dem Morgen, an dem die Post die bestellten Zeitungen
-gebracht hatte. Zwei gewaltige Pakete waren es gewesen. Alle Nummern
-des =New York Journal= und des =New York Herald= vom allerersten Beginn
-des Krieges bis zum heutigen Tag. Die Zeitungen des Krieges. Lückenlos.
-Und ich lag langgestreckt auf meinem Bett und kicherte selig, wenn
-in den Zeitungsspalten lustige Teufelchen der Uebertreibung tanzten,
-und atmete keuchend in heller Begeisterung, wenn ich die glänzenden
-Kriegsbilder las, die große Zeitungsmänner gemalt hatten. Murmelte in
-Gedanken wohl auch einmal irgend etwas vor mich hin.
-
-»Er ist ohne Zweifel blödsinnig geworden!« behaupteten dann lachend
-die Sergeanten. Dabei stibitzten sie aber eifrig die Nummern, die ich
-gelesen hatte.
-
-Begeistert war ich, gebannt. Gefangen im Zauberkreis der Zeitung. Ich
-suchte nach Namen, die ich kannte, nach Federn, die Meister waren in
-jener Zeit. Wie ein Kolossalgemälde entstand vor den lesenden Augen
-aus den Zeitungsspalten die Geschichte des Kriegs. In leuchtenden
-Farben. In kleinsten Einzelheiten gemalt. Und doch wieder in wunderbar
-großem Zug. Ein Irrtum war zwar da und dort einmal unterlaufen, ein
-gar zu greller Farbenfleck einmal hingekleckst. Im ganzen aber --
-welch ein Bild! Mit wenigem Aendern, mit Streichen, mit Ausscheiden
-und Zusammenziehen, bedeuteten die vielen Aufsätze mit den schreienden
-Ueberschriften in den Papierstapeln da neben meinem Bett die Geschichte
-eines Krieges, wie sie glänzender, lebendiger, wahrhafter nicht
-geschrieben werden konnte. Sie waren überall dabei gewesen, die Männer
-der Feder mit ihren sehenden Augen, die das Große stets vom Kleinen
-zu unterscheiden wußten. Lückenlos war der Krieg beschrieben von der
-fieberigen Aufregung in Tampa bis zum Flaggenhissen am Friedensbaum;
-vom Treiben in der Santiagostadt bis zum Elend in den Hospitälern.
-Kriegskorrespondenten waren auf Dampfyachten ständig hin und her
-geeilt zwischen Siboney und der nächsten Kabelstation auf Jamaica --
-McCulloch war mit unter den ersten gewesen beim Sturm auf den San
-Juan-Hügel -- Richard Harding Davis hatte sich einen unsterblichen
-Namen errungen in der amerikanischen Zeitungswelt durch seine
-Schilderungen des Santiagotals. Ich sah die Einzelleistungen in diesen
-wunderbaren Schwarzdruckspalten und in ihnen die ungeheure Arbeit,
-die Begeisterung, die Energie, die vor nichts zurückgeschreckt war.
-Sah aber auch, als wäre ich dabei gewesen, die Arbeit der Zeitung
-selbst; das Sammeln der wichtigen Nachrichten aus vielen Quellen, das
-Ausscheiden, das Sichten, das Zusammenstellen -- das Malen des Bildes
-von der reichen Farbenpalette.
-
-Und oft lag ich stundenlang da in diesen Tagen und starrte träumend zur
-Zeltdecke empor.
-
-Ich sah wieder die alten zerschnitzelten Tische im Reporterzimmer
-und die Männer an ihnen, zum Greifen deutlich, und roch
-frische Druckerschwärze und hörte dumpf und dröhnend gewaltige
-Rotationsmaschinen stampfen. Ich erlebte wieder im Traum die Hast und
-die Hetze, das berauschende Arbeitsstürmen und den stillen schweigenden
-Erfolgsjubel, die des Zeitungsmannes Teil sind. Große Sehnsucht kam
-über mich. Davonlaufen hätte ich mögen. Lächerlich schien mir die
-Uniform jetzt in den Zeiten des Friedens. Sie drückte mich. Sie wollte
-so gar nicht passen. Firlefanz waren die breiten Sergeantenstreifen
-in Schwarz und Silber nun; Tand die grellbunten Flaggen in weiß und
-roter Seide auf den Aermeln. Ein erledigtes Stück Leben schienen mir
-diese fünf Monate im Soldatenrock. Sie waren reich gewesen an farbigem
-Schauen und köstlich würden sie einst sein in der Erinnerung, aber sie
-durften beileibe nicht verlängert werden zu den langen drei Jahren, die
-der Pakt eigentlich vorschrieb.
-
-Eines Morgens ging ich zu Major Stevens ins Offizierszelt. Der Major
-war nur wenige Tage früher als ich im Gesundheitslager eingetroffen,
-nachdem er im Santiagoer Hospital eine bösartige Malariaerkrankung
-überstanden hatte.
-
-»Was gibt's, Sergeant?« fragte er knapp, gemessen, dienstlich, ganz
-Offizier. Mit der Gemütlichkeit war es jetzt vorbei.
-
-»Ein persönliches Anliegen, Herr Major!«
-
-»Oh!« Sein Ton veränderte sich. »Nehmen Sie Platz, Sergeant, was kann
-ich für Sie tun?«
-
-»Ich möchte Sie bitten, Herr Major, meine Entlassung aus der Armee zu
-befürworten.«
-
-Er kaute auf seinem Schnurrbart. Dann schüttelte er energisch den Kopf.
-»Geht jetzt nicht, Sergeant!« sagte er.
-
-Die Worte trafen mich schwer.
-
-Der Major lachte ein wenig. »Sie haben doch nicht etwa Grund zur
-Unzufriedenheit?«
-
-»Nein. Aber --«
-
-»Ich weiß, ich weiß. Sergeantenstreifen locken Sie wohl nicht
-besonders! Es war ein sehr gefährliches Experiment, Mr. Carlé, den Kopf
-in die reguläre Armee zu stecken, denn unter drei Jahren wird so leicht
-keiner losgelassen. Es wird aber gehen. Einige Monate jedoch müssen
-Sie warten. Ich würde mich lächerlich machen, wenn ich gerade jetzt
-ein derartiges Gesuch befürwortete. Außerdem würde es ohne Zweifel
-abschlägig beschieden werden. Also in Ihrem eigenen Interesse --«
-
-Und er erklärte mir, daß der Krieg die Notwendigkeit gezeigt habe, ein
-Signalkorps in größerem Stil zu organisieren. Wir würden in wenigen
-Tagen nach Fort Myer bei Washington kommandiert werden, um dort als
-Stammtruppe Hunderte von neuen Signalisten heranzubilden. Da nur
-gelernte Telegraphisten angeworben werden sollten, so würde diese
-Ausbildung sehr schnell gehen und die Leute bald nach den Philippinen
-und Kuba gesandt werden können, wo man sie brauchte.
-
-»Unter diesen Umständen wird es dem Chef nicht einfallen, einem
-Sergeanten die freiwillige Entlassung zu gewähren. Wird Ihr Gesuch aber
-abschlägig beschieden, so können Sie es sobald nicht wieder einreichen.
-Sie müssen warten. In drei, vier Monaten, dann wird's gehen. Solange
-werden Sie es recht gut aushalten können. Wir bauen eine Ballonhalle --
-wir beschäftigen uns mit dem Problem der Lenkbarkeit eines Luftschiffs
--- wir experimentieren mit der neuen Marconi-Telegraphie ohne Draht --
-wir bekommen elektrische Automobile -- interessant genug wird's werden.
-Ich bin übrigens zum Kommandeur des neuen Signalforts ernannt worden.
-Sie werden vorläufig mein Sekretär sein. =Good morning, sergeant!=«
-
-Da ging ich zum Strand hinunter und lief lange auf und ab. Nicht zu
-ertragen schien mir mein Unglück ...
-
- * * * * *
-
-Ein lustiges Lächeln stiehlt sich über mich im Erinnern an jenen
-Abschnitt in den jagenden Lausbubenzeiten. Ich war in Wirklichkeit
-über alle Maßen unglücklich damals, daß ich den Sergeantenrock nicht
-abschütteln konnte -- mit einem Halloh und einem Heidi, wie ich alles
-Unbequeme abgeschüttelt hatte in der Vergangenheit und abschütteln
-sollte in der Zukunft. Kreuzunglücklich bin ich gewesen. Und das
-Lächeln wird zu einem großen Lachen, wenn ich mich daran erinnere,
-wie prachtvoll die vier Monate meines Sergeantentums in Fort Myer bei
-Washington werden sollten. Und wie alles ineinandergriff. Wie ich durch
-das Signalkorps wieder zur lieben alten Zeitungsarbeit kam und wie es
-wieder dahinging in Hast und Hetze über den amerikanischen Erdteil, ein
-neues Wanderleben ...
-
-Zeiten kamen und Verhältnisse, in denen kein Mensch geahnt haben
-würde, daß der Mann der Feder je ein simpler Sergeant der Regulären
-gewesen sein konnte -- und Zeiten kamen wieder, da der Sergeant
-von dereinst sich auf das Soldatenblut besann und in einer der
-Venezuela-Revolutiönchen Glückssoldaten kommandierte. Wie sich das
-alles zutrug -- ja, das ist eine andere Geschichte und so umständlich,
-daß sie leider noch in einem dritten Band geschrieben werden muß.
-
-
- _Ende des zweiten Teils._
-
-
-
-
-Anmerkungen des Bearbeiters
-
-
- Gesperrter Text markiert durch: _ ... _
-
- Antiqua-Text markiert durch: = ... =
-
- Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-
- Möglicherweise unterschiedliche Schreibweisen wurden beibehalten.
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by
-Erwin Rosen
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***
-
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-
-Project Gutenberg's Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by Erwin Rosen
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-Title: Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3)
- Erinnerungen und Eindrücke Zweiter Teil
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-Author: Erwin Rosen
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-Release Date: April 6, 2019 [EBook #59218]
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-Language: German
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-Character set encoding: ISO-8859-1
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-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***
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-Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel and the
-Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
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+<div>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59218 ***</div>
@@ -11210,380 +11175,7 @@ noch in einem dritten Band geschrieben werden mu&szlig;.</p>
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-End of the Project Gutenberg EBook of Der Deutsche Lausbub in Amerika (2/3), by
-Erwin Rosen
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-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DEUTSCHE LAUSBUB IN AMERIKA, VOL 2 ***
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+<div>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 59218 ***</div>
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