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-The Project Gutenberg EBook of Führende Denker, by Jonas Cohn
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
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-
-Title: Führende Denker
- Geschichtliche Einleitung in die Philosophie
-
-Author: Jonas Cohn
-
-Release Date: December 3, 2017 [EBook #56110]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: UTF-8
-
-*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FÜHRENDE DENKER ***
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-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
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- Anmerkungen zur Transkription
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- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter,
- unterstrichener bzw. kursiver Text ist _so ausgezeichnet_. Im
- Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original
- fetter Text ist =so gekennzeichnet=.
-
- Randbemerkungen des Originals wurden in [] eingeschlossen.
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
- Buches.
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-
-Die Sammlung
-
-»Aus Natur und Geisteswelt«
-
-
-nunmehr über 700 Bändchen umfassend, dient seit ihrem Entstehen
-(1898) den Gedanken, auf denen die heute sich so mächtig entwickelnde
-_Volkshochschulbewegung_ beruht. Sie will jedem geistig Mündigen
-die Möglichkeit schaffen, sich ohne besondere Vorkenntnisse an
-sicherster Quelle, wie sie die Darstellung durch berufene Vertreter
-der Wissenschaft bietet, über jedes Gebiet der Wissenschaft, Kunst und
-Technik zu unterrichten. Sie will ihn dabei zugleich unmittelbar im
-_Beruf fördern_, den _Gesichtskreis erweiternd_, die _Einsicht_ in die
-Bedingungen der Berufsarbeit _vertiefend_.
-
-Sie bietet wirkliche »_Einführungen_« in die Hauptwissensgebiete für
-den _Unterricht oder Selbstunterricht des Laien_ nach den heutigen
-methodischen Anforderungen. Diesem Bedürfnis können Skizzen im
-Charakter von »Auszügen« aus großen Lehrbüchern nie entsprechen, denn
-solche setzen eine Vertrautheit mit dem Stoffe schon voraus.
-
-Sie bietet aber auch dem _Fachmann eine rasche zuverlässige Übersicht_
-über die sich heute von Tag zu Tag weitenden Gebiete des geistigen
-Lebens in weitestem Umfang und vermag so vor allem auch dem immer
-stärker werdenden Bedürfnis des _Forschers_ zu dienen, sich _auf den
-Nachbargebieten_ auf dem laufenden zu erhalten.
-
-In den Dienst dieser Aufgabe haben sich darum auch in dankenswerter
-Weise von Anfang an die besten Namen gestellt, gern die Gelegenheit
-benutzend, sich an weiteste Kreise zu wenden, an ihrem Teil bestrebt,
-an der »Sozialisierung« unserer Kultur mitzuarbeiten.
-
-So konnte der Sammlung auch der Erfolg nicht fehlen. Mehr als die
-Hälfte der Bändchen liegen, bei jeder Auflage durchaus neu bearbeitet,
-bereits in 2. bis 7. Auflage vor, insgesamt hat die Sammlung bis jetzt
-eine Verbreitung von fast 5 Millionen Exemplaren gefunden.
-
-Alles in allem sind die schmucken, gehaltvollen Bände besonders
-geeignet, die Freude am Buche zu wecken und daran zu gewöhnen, einen
-kleinen Betrag, den man für Erfüllung körperlicher Bedürfnisse nicht
-anzusehen pflegt, auch für die Befriedigung geistiger anzuwenden. Durch
-den billigen Preis ermöglichen sie es tatsächlich jedem, auch dem wenig
-Begüterten, sich eine Bücherei zu schaffen, die das für ihn Wertvollste
-»Aus Natur und Geisteswelt« vereinigt.
-
- _Jedes der meist reich illustrierten Bändchen
- ist in sich abgeschlossen und einzeln käuflich_
-
- Leipzig, im September 1920.
-
- B. G. Teubner
-
-
-
-
-Bisher sind =zur Philosophie und Psychologie erschienen=:
-
-
-[Zur Einführung]
-
-=Einführung in die Philosophie.= Von Professor ~Dr.~ _R. Richter_. 4.
-Auflage von Privatdozent ~Dr.~ _M. Brahn_. (Bd. 155.)
-
-=Die Philosophie.= Ihr Wesen, ihre Grundprobleme, ihre Literatur. Von
-Realgymnasialdirektor _H. Richert_. 3., verb. Aufl. (Bd. 186.)
-
-=Philosophisches Wörterbuch.= Von Oberlehrer ~Dr.~ _P. Thormeyer_. 2.
-Aufl. (Teubners kl. Fachwörterbücher Bd. 4) geb. M. 5.--
-
-
-[Logik und Psychologie]
-
-=Grundriß der Logik.= Von ~Dr.~ _K. J. Grau_. (Bd. 637.)
-
-=Einführung in die Psychologie.= Von Prof. ~Dr.~ _E. von Aster_. 2.
-Auflage. Mit 4 Figuren. (Bd. 492.)
-
-=Einführung in die experimentelle Psychologie.= Von Prof. ~Dr.~ _N.
-Braunshausen_. 2. Aufl. Mit 17 Abb. im Text. (Bd. 484.)
-
-=Die Seele des Menschen.= Von Geh. Rat Professor ~Dr.~ _J. Rehmke_. 5.
-Auflage. (Bd. 36.)
-
-=Die Mechanik des Geisteslebens.= Von Geh. Med.-Rat Dir. Prof. ~Dr.~
-_M. Verworn_. 4. Aufl. Mit 19 Abb. i. T. (Bd. 200.)
-
-=Die Sinne des Menschen, Sinnesorgane u. Sinnesempfind.= Von Hofr.
-Prof. ~Dr.~ _J. K. Kreibig_. 3. Aufl. Mit 30 Abb. (Bd. 27.)
-
-=Psychologie des Kindes.= Von Professor ~Dr.~ _R. Gaupp_. 4. Auflage.
-Mit 17 Abbildungen. (Bd. 213/14.)
-
-=Geistige Veranlagung und Vererbung.= Von ~Dr. med. et phil.~ _G.
-Sommer_. 2. Auflage. (Bd. 512.)
-
-=Leib und Seele in ihrem Verhältnis zueinander.= Von ~Dr. med. et
-phil.~ _G. Sommer_. (Bd. 702.)
-
-=Angewandte Psychologie.= Methoden und Ergebnisse. Von ~Dr. phil. et
-med.~ _E. Stern_. (Bd. 771.)
-
-=Die Handschriftenbeurteilung.= Eine Einführg. i. d. Psycholog. d.
-Handschrift. Von Prof. ~Dr.~ _G. Schneidemühl_. 2., durchges. u. erw.
-Aufl. Mit 51 Handschriftennachbild. i. T. u. auf 1 Tafel. (Bd. 514.)
-
-=Hypnotismus und Suggestion.= Von ~Dr.~ _E. Trömner_. 3. Auflage. (Bd.
-199.)
-
-=Die Psychologie d. Verbrechers.= Kriminalpsychol. Von
-Strafanstaltsdir. ~Dr. med.~ _P. Pollitz_. 2. Aufl. Mit 5 Diagr. (Bd.
-248.)
-
-*=Psychologisches Wörterbuch.= Von ~Dr.~ _F. Giese_. (Teubners kleine
-Fachwörterbücher, geb. ca. M. 6.--)
-
-
-[Ethik]
-
-=Grundzüge der Ethik.= Mit besonderer Berücksichtigung der
-pädagogischen Probleme. Von _E. Wentscher_. 2. Aufl. (Bd. 397.)
-
-=Aufgaben und Ziele des Menschenlebens.= Nach Vorträgen im
-Volkshochschulverein zu München, gehalten von Professor ~Dr.~ _J.
-Unold_. 5., verb. Auflage. (Bd. 12.)
-
-=Sittl. Lebensanschauung.= d. Gegenwart. Von Geh. Kirchenr. Prof. ~Dr.~
-_O. Kirn_. 3. A., durchges. v. Prof. ~D. Dr.~ _O. H. Stephan_. (177.)
-
-=Das Problem der Willensfreiheit.= Volkshochschulvorträge. Von
-Professor ~Dr.~ _G. F. Lipps_. 2., veränd. Aufl. (Bd. 383.)
-
-=Sexualethik.= Von Prof. ~Dr.~ _H. E. Timerding_. (Bd. 592.)
-
-
-[Ästhetik]
-
-*=Einführung in die Geschichte der Ästhetik.= Von Prof. ~Dr.~ _H.
-Nohl_. (Bd. 602.)
-
-=Ästhetik.= Von Professor ~Dr.~ _R. Hamann_. 2. Aufl. (Bd. 345.)
-
-=Poetik.= Von ~Dr.~ _R. Müller-Freienfels_. (Bd. 460.)
-
-
-[Religionsphilosophie]
-
-=Das Leben nach dem Tode im Glauben der Menschheit.= Von Prof. ~Dr.~
-_C. Clemen_. (Bd. 544.)
-
-=Religion und Naturwissenschaft in Kampf und Frieden.= Von Pfarrer
-~Dr.~ _A. Pfannkuche_. 2. Aufl. (Bd. 141.)
-
-
-[Naturphilosophie]
-
-=Naturphilosophie.= Von Professor ~Dr.~ _J. M. Verweyen_. 2. Aufl. (Bd.
-491.)
-
-=Entstehung der Welt u. der Erde nach Sage u. Wissenschaft.= Von Geh.
-Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ _M. B. Weinstein_. 3. Aufl. (Bd. 223.)
-
-=Der Untergang der Welt u. der Erde in Sage u. Wissenschaft.= Von Geh.
-Reg.-Rat Professor ~Dr.~ _M. B. Weinstein_. (Bd. 470.)
-
-=Sternglaube und Sterndeutung.= Die Geschichte und das Wesen der
-Astrologie. Unter Mitwirkung von Geh. Rat Prof. ~Dr.~ _K. Bezold_
-dargestellt von Geh. Hofrat Prof. ~Dr.~ _Fr. Boll_. 2. Aufl. Mit 1
-Sternkarte und 20 Abbildungen. (Bd. 638.)
-
-
-[Geschichte der Philosophie]
-
-=Führende Denker.= Geschichtliche Einleitung in die Philosophie. Von
-Prof. ~Dr.~ _J. Cohn_. 4., durchges. Aufl. Mit 6 Bildn. (Bd. 176.)
-
-*=Sozialismus in d. Philosophie vom Altertum bis zur Gegenwart.= Von
-Provinzialschulrat Prof. ~Dr.~ _K. Vorländer_. (Bd. 824.)
-
-=Die Freimaurerei.= Eine Einführung in ihre Anschauungswelt und ihre
-Geschichte. Von Geh. Rat ~Dr.~ _L. Keller_. 2. Aufl. von Geh. Archivrat
-~Dr.~ _G. Schuster_. (Bd. 463.)
-
-
-[Philosophie d. Altertums]
-
-=Griech. Weltanschauung.= V. Prof. ~Dr.~ _M. Wundt_. 2. Aufl. (Bd. 329.)
-
-*=Religion und Philosophie im alten Orient.= Von Prof. ~Dr.~ _E. v.
-Aster_. (Bd. 521.)
-
-
-[Neuere Philosophie]
-
-=Die Weltanschauungen der großen Philosophen der Neuzeit.= Von
-Professor ~Dr.~ _L. Busse_. 6. Auflage, herausgegeben von Geh. Hofrat
-Professor ~Dr.~ _R. Falckenberg_. (Bd. 56.)
-
-=Die großen englischen Philosophen Locke, Berkeley, Hume.= Von
-Oberlehrer ~Dr.~ _P. Thormeyer_. 2. Aufl. (Bd. 481.)
-
-=Rousseau.= Von Prof. ~Dr.~ _P. Hensel_. 3. Aufl. Mit Bildn. (Bd. 180.)
-
-=Immanuel Kant.= Darstellung und Würdigung. Von Geh. Hofrat Prof. ~Dr.~
-_O. Külpe_. 5. Aufl., hrsg. von Prof. ~Dr.~ _A. Messer_. Mit 1 Bildnis
-Kants. (Bd. 146.)
-
-=Schopenhauer.= Seine Persönlichkeit, seine Lehre, seine Bedeutung. Von
-Realgymn.-Dir. _H. Richert_. 4. Aufl. Mit 1 Bildnis. (Bd. 81.)
-
-=Herbarts Lehren und Leben.= Von Pastor _O. Flügel_. 2. Aufl. Mit 1
-Bildnis Herbarts. (Bd. 164.)
-
-=Herbert Spencer.= Von ~Dr.~ _K. Schwarze_. Mit 1 Bildnis. (Bd. 245.)
-
-
-[Neueste Philosophie]
-
-=Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland.= Von Geh. Hofrat Prof.
-~Dr.~ _O. Külpe_. 7., verb. Auflage. (Bd. 41.)
-
-=Okkultismus, Spiritismus u. unterbewußte Seelenzustände.= Von ~Dr.~
-_R. Baerwald_. (Bd. 560.)
-
-*=Theosophie u. Anthroposophie.= Von Privatdozent Studienrat ~Dr.~ _W.
-Bruhn_. (Bd. 775.)
-
-=Henri Bergson, der Philosoph moderner Religion.= Von Pfarrer ~Dr.~ _E.
-Ott_. (Bd. 480.)
-
-
-_Die mit * bez. u. weitere Bände befinden sich in Vorber._
-
-
-
-
- Aus Natur und Geisteswelt
-
- Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen
-
- 176. Band
-
- Führende Denker
-
- Geschichtliche Einleitung in die Philosophie
-
- Von
-
- Jonas Cohn
-
- ao. Professor a. d. Universität Freiburg i. Br.
-
- Vierte, durchgesehene Auflage
-
- 17.--21. Tausend
-
- Mit 6 Bildnissen
-
- [Illustration]
-
- Verlag und Druck von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin 1921
-
-
-
-
-Inhaltsverzeichnis.
-
-
- Seite
-
- Zur Einführung 3
-
- Erster Vortrag: Sokrates 5
-
- Zweiter Vortrag: Platon 25
-
- Dritter Vortrag: Descartes 40
-
- Vierter Vortrag: Spinoza 56
-
- Fünfter Vortrag: Kant 71
-
- Sechster Vortrag: Fichte (Kants praktische Philosophie.) 94
-
- Register 117
-
-
-Schutzformel für die Vereinigten Staaten von Amerika
-
-_Copyright 1921 by B. G. Teubner in Leipzig._
-
-Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.
-
-
-
-
-Zur Einführung.
-
-
-Nicht in die Geschichte der Philosophie, sondern _durch_ Geschichte
-in die Philosophie selbst will dieses Buch einleiten. Diese Absicht
-bestimmte die Auswahl nicht nur der Denker, sondern auch dessen, was
-von jedem Denker gegeben wurde. Überall habe ich mich bemüht, das für
-die Philosophie dauernd Bedeutende herauszuarbeiten. An Darstellungen,
-die auch die Nebenzüge und Gegenströmungen im Geiste der großen
-Denker wiedergeben, fehlt es nicht. Wo der Leser zwischen solchen
-Darstellungen und der meinigen Widersprüche zu bemerken glaubt, bitte
-ich ihn, an jene besondere Absicht meiner Vorträge zu denken.
-
-Hervorgegangen ist diese Absicht aus der festen Überzeugung, daß die
-Philosophie im Laufe ihrer Entwicklung mehr als eine Summe geistreicher
-Einfälle hervorgebracht hat. Gerade wenn man auf die Hauptzüge der
-Entwicklung allein sieht, erkennt man, daß auch in der wichtigsten
-aller Wissenschaften Wahrheiten von grundlegender und ewiger Bedeutung
-gefunden worden sind, Wahrheiten, wohl geeignet, als Stütze des Lebens
-zu dienen.
-
-Die folgenden Vorträge wurden im Dezember 1906 in Freiburg i. Br.
-vor Hörern jedes Standes und Geschlechts gehalten. Der Eifer, mit
-dem zahlreiche Teilnehmer, vielfach nach anstrengender Tagesarbeit,
-meinen Ausführungen folgten, zeigte mir, wie weit das Bedürfnis nach
-Philosophie verbreitet ist. Auch die gedruckten Vorträge möchten
-weitesten Kreisen dienen. Deshalb habe ich absichtlich den Ton der
-mündlichen Rede im wesentlichen festgehalten. Nur die Wiederholungen
-des Vortrags, die der Leser durch Zurückschlagen ersetzen kann, wurden
-gekürzt und dafür einige Abschnitte eingefügt, die etwas tiefer
-in die behandelten Fragen hineinführen, bei einmaligem Hören aber
-unverständlich geblieben wären.
-
-Zu weiterer Selbstbelehrung wird die Vergleichung meiner Darstellung
-mit anderen neueren Einleitungen in die Philosophie beitragen. Es
-handelt sich ja nicht darum, auf Eines Worte zu schwören, sondern
-durch eigene Prüfung seine feste Überzeugung zu gewinnen. Absichtlich
-nenne ich unter diesen einführenden Büchern kein einzelnes; sie sind
-leicht zu finden, auch _diese Sammlung_ enthält mehrere hierhergehörige
-Bände. Als Werke, in denen die gleichen Grundüberzeugungen wie hier
-vertreten werden, und die geeignet scheinen, zu gründlicherer Einsicht
-zu führen, möchte ich nur: _Windelband_, Präludien, und _Hensel_,
-Hauptprobleme der Ethik, anführen. Vor allem aber rate ich, einige
-Hauptwerke der großen hier behandelten Philosophen selbst zu lesen, die
-meist in der philosophischen Bibliothek (Felix Meiner, Leipzig), zum
-Teil auch in Reclams Universal-Bibliothek erschienen sind. Als leichter
-verständliche Schriften kommen vor allem in Betracht:
-
-
-Zu Vortrag I:
-
- _Xenophon_: Erinnerungen an Sokrates.
-
- _Platon_: Verteidigung des Sokrates, Kriton, Laches.
-
-Zu Vortrag II:
-
- _Platon_: Protagoras, Gorgias, Phädon, Gastmahl.
-
-Zu Vortrag III:
-
- _Descartes_: Abhandlung über die Methode. Betrachtungen über die
- Metaphysik.
-
-Zu Vortrag IV:
-
- _Spinoza_: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes.
-
-Zu Vortrag V:
-
- _Kant_: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik.
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.
-
-Zu Vortrag VI:
-
- _Fichte_: Die Bestimmung des Menschen. Einige Vorlesungen über
- die Bestimmung des Gelehrten. Der geschlossene Handelsstaat.
- Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Reden an die deutsche
- Nation.
-
-
-[Absicht des Buches]
-
-Der Absicht dieser Vorträge gemäß habe ich nirgends die Forscher
-zitiert, denen ich Tatsachen oder Anregungen verdanke. Der Sachkundige
-bemerkt ohnedies, welchen neueren Philosophen, Geschichtschreibern
-und Biographen ich mehr oder minder folge. Es braucht kaum gesagt zu
-werden, daß eine allgemeinverständliche Einführung nicht den Anspruch
-erhebt, neue Ergebnisse mitzuteilen. Überhaupt bitte ich alle, die
-gleich mir ihr Leben der Arbeit an philosophischen Problemen gewidmet
-haben, zu bedenken, daß dies Buch nicht für sie geschrieben wurde,
-wiewohl sie allein seine zuständigen Richter sind.
-
-Jede neue Auflage habe ich genau durchgesehen, die vierte
-besonders auch auf die Verständlichkeit und Einsichtigkeit
-des Gedankenfortschritts hin. Das Büchlein ist hier und da im
-philosophischen Unterricht unserer höheren Schulen gebraucht worden;
-ich habe Winke eines Lehrers dankbar benutzt und bitte herzlich, mir
-weitere Erfahrungen mitzuteilen. Den Plan des Ganzen glaubte ich
-beibehalten zu sollen, insbesondere konnte ich mich nicht entschließen,
-ihn durch die -- von manchen Beurteilern gewünschte -- Aufnahme anderer
-Philosophen zu sprengen. »Führende Denker« -- darunter verstehe ich
-hier solche, die geeignet sind, zur Philosophie hinzuführen. Die großen
-Systematiker aber, ein Aristoteles, Leibniz, Hegel setzen zu ihrem
-Verständnis schon geschultes philosophisches Denken und überdies, da
-sie das ganze Wissen ihrer Zeit verarbeiten, zahlreiche sachliche und
-geschichtliche Kenntnisse voraus. Gerade weil ich diese umfassenden
-Geister verehre, widerstrebt es meinem Gefühl, ihnen durch eine
-abgekürzte Darstellung Unrecht zu tun. Anders steht es mit Denkern,
-deren Größe mehr in der Fragestellung und in der Entdeckung einiger
-großen Grundgedanken besteht. Diese allein scheinen mir auch geeignet
-zu sein, das Verständnis für Philosophie zu wecken.
-
-
-
-
-Erster Vortrag.
-
-Sokrates.
-
-
-Es ist schwierig, vor unbekannten Hörern von Philosophie zu reden.
-Da nämlich Philosophie den ganzen Menschen ergreifen will, muß ein
-philosophischer Vortrag mehr als jeder andere mit der inneren, tätigen
-Anteilnahme des Hörers rechnen. Alle Philosophie sucht Antwort zu
-geben auf die Frage nach der Bestimmung des Menschen. So mannigfaltig
-die Gegenstände sind, mit denen sie sich beschäftigt, sie wählt
-diese Gegenstände nur, weil sie von ihnen Auskunft erhofft über das
-wichtigste aller Probleme: Was soll ich in dieser rätselhaften Welt?
-Nur bei Hörern, die von dieser Frage irgendwie schon beunruhigt worden
-sind, kann ein philosophischer Vortrag hoffen, Verständnis zu finden.
-Ich nehme an, daß Sie alle in irgendeiner Weise diese Unruhe empfunden
-haben, daß also ein Bedürfnis nach Philosophie bei Ihnen besteht.
-Ein solches Bedürfnis _muß_ ich voraussetzen, weiter aber will ich
-_nichts_ voraussetzen. Ich werde mich bemühen, Ihnen zu größerer
-Klarheit über das zu verhelfen, was Sie suchen, und Ihnen die Wege
-zeigen, auf denen jenes Bedürfnis so viel echte Befriedigung wie irgend
-möglich findet. Als geeignetes Mittel zu diesem Zwecke erscheint mir,
-Ihnen die Hauptgedanken der Philosophie in innigster Verbindung mit
-dem Leben der großen Denker vorzuführen. Denn diese Gedanken sind
-aus dem inneren Erleben bedeutender Persönlichkeiten hervorgegangen;
-die Kenntnis dieser Persönlichkeiten ist zwar nicht der kürzeste und
-wissenschaftlichste, wohl aber der gangbarste und angenehmste Weg, um
-Verständnis für ihre Gedanken zu gewinnen.
-
-Nicht neue Ergebnisse der Wissenschaft, sondern alte Weisheit will ich
-Ihnen vortragen. Sollte einer oder der andere dadurch sich enttäuscht
-fühlen, so müßte ich mit einer Anekdote antworten. Ein leutseliger
-König besuchte einst eine Sternwarte und fragte den leitenden
-Astronomen: »Was gibt's Neues am Himmel?« Der schlagfertige Gelehrte
-antwortete mit der Gegenfrage: »Kennen Majestät schon das Alte?«
-
-Alte Weisheit also will ich versuchen, Ihnen so vorzuführen, daß
-sie neu erscheint -- neu im Sinne von neu erlebt. Ich will mich
-bemühen, Ihnen die scheinbar entlegenen und lebensfremden Gedanken
-aus der Seele führender Denker heraus in ihrer inneren, lebendigen
-Bedeutung nahezubringen. Unter den großen Philosophen habe ich sechs
-Männer gewählt, die zugleich die drei fruchtbarsten Zeitalter in der
-Geschichte des philosophischen Denkens vertreten und die sich paarweise
-zueinander wie Lehrer und Schüler verhalten: _Sokrates_ und _Platon_,
-_Descartes_ und _Spinoza_, _Kant_ und _Fichte_. Jedem von ihnen soll
-ein Vortrag gewidmet sein. Warum ich gerade diese Männer auswählte,
-kann sich nur durch den Fortgang meiner Betrachtungen rechtfertigen.
-
-
-[Vaterstadt und Zeitalter]
-
-Bei dem ersten unter ihnen freilich ist das sofort klar. Man _kann_ nur
-bei _Sokrates_ beginnen, wenn man die Philosophie lebendig erfassen
-will. Leben und Denken sind bei ihm innig verflochten. Er hat seine
-Philosophie nicht in Büchern, sondern in seiner Lebensführung und
-seinen Gesprächen dargestellt. Vielleicht war das mit dieser ungeheuren
-Wirkung auch nur in seiner Heimat und zu seiner Zeit möglich. Sokrates
-ist um das Jahr 470 v. Chr. als Sohn des Bildhauers Sophroniskos,
-den wir uns als Handwerker, nicht als Künstler vorstellen müssen,
-in Athen geboren. Seine Mutter übte den Beruf einer Hebamme aus. Er
-stammte also aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Aber die Armut
-hinderte einen Athener jener Zeit nicht daran, seinen Geist zu bilden.
-Athen stand damals auf dem Gipfel seiner Macht, es war nicht mehr
-Hauptstadt eines griechischen Kleinstaates, sondern Mittelpunkt eines
-Bundes von Seestaaten, der tatsächlich nahezu die Festigkeit eines
-einheitlichen Reiches hatte. Dadurch beherrschte nach den Perserkriegen
-das siegreiche Athen die Küsten Asiens und die Inseln des östlichen
-Mittelmeeres. Reichtum durchströmte die Stadt und wurde bei der
-demokratischen Verfassung in Festen, Spielen, Bauten, Kunstschätzen
-allen Bürgern zugänglich und nutzbar. Das Leben war durchaus
-öffentlich. Im Süden, wo Gespräch, Verhandlung, selbst Berufsgeschäfte
-sich auf der Straße abspielen, ist das -- für den Mann wenigstens --
-in gewissem Sinne immer der Fall; in jener Zeit aber erfüllte den
-gemeinsamen Schauplatz des äußeren Lebens ein großes öffentliches
-Interesse geistiger und sittlicher Art, der leidenschaftliche Anteil
-jedes Bürgers an seinem Staate. Auch die nicht im engeren Sinne
-politischen Tätigkeiten dienten dem Staate; ihn verherrlichte und
-schmückte die Kunst, für ihn war es ebensogut wie für den Sieger
-selbst eine Ehre, wenn einer seiner Bürger in den Olympischen Spielen
-den Preis errang. Diese Einheit fand ihren höchsten Ausdruck in
-einer Religion, die nicht in bestimmten Glaubenssätzen oder heiligen
-Büchern niedergelegt war, aber durch die Weihe ihres Kultus das ganze
-bürgerliche Leben beherrschte.
-
-So bildete sich der einzelne durch den Staat und für den Staat. Das
-bedeutete aber keine Unterdrückung persönlicher Kraft und Eigenart.
-Im Gegenteil, jeder irgendwie Begabte bemühte sich, im Staate Macht,
-Ansehen, Ruhm zu erringen. Gerade die Öffentlichkeit des Lebens machte
-auch die Ehrungen besonders verlockend; jede Tätigkeit wurde so zum
-Wettkampf. In den festlichen Aufführungen zu Ehren des Gottes Dionysos
-rangen dramatische Dichter um den Preis, die Volksversammlungen
-bildeten den Schauplatz rednerischen Wettstreites um die Gunst des
-Volkes. Es konnte nicht ausbleiben, daß die starken, selbstbewußten
-Persönlichkeiten, die sich für den Staat gebildet hatten, auch
-gegenüber dem Ganzen ihre Ansprüche geltend zu machen suchten.
-
-Zum Durchbruch verhalf diesem Kraftgefühl des Einzelmenschen die
-Wissenschaft, die seit der Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts
-in Athen Aufnahme fand. Sie war nicht dort entstanden, sondern stammte
-aus den griechischen Kolonien an der Westküste Kleinasiens, zumal
-aus den sogenannten ionischen. Die frühesten Vertreter griechischer
-Wissenschaft seit _Thales_ von _Milet_ richteten ihr Nachdenken in
-erster Linie auf das Wesen der körperlichen Natur. Uns gehen hier nicht
-die einzelnen Ansichten an, die man über die Körperwelt ausbildete;
-wichtig ist an dieser Stelle nur die Tatsache, daß man sich nicht mehr
-zufrieden gab, in Sonne und Mond, Strömen und Meeren, Wind und Gewitter
-Äußerungen bestimmter Götter zu sehen, sondern daß man nach der Natur
-dieser körperlichen Erscheinungen, ihrem Grundstoff und gesetzlichen
-Zusammenhang forschte. Es bildeten sich verschiedene Schulen aus, deren
-Anhänger einander bekämpften, den Gegner zu widerlegen, die eigene
-Ansicht durch eindrucksvolle Gründe zu stützen suchten.
-
-
-[Die Sophisten]
-
-In diesen Kämpfen entstand eine Streitkunst, die nicht immer die
-Grenzen zwischen Widerlegung und Verblüffung des Gegners, zwischen
-Überzeugung und Überredung des Zuhörers innehielt. Die Gewandtheit der
-Wortfechter war den Unbeteiligten oft wichtiger als der Gegenstand der
-Unterredung; zumal in _Athen_ nahmen zwar einzelne wie _Perikles_,
-der leitende Staatsmann, inneren Anteil an der Erforschung der
-Wahrheit um ihrer selbst willen, für die große Menge aber war der
-Streit jener Schulen nur eine neue Art Wettkampf und Schauspiel.
-Die jungen Athener, die sich den fremden Weisen in die Lehre gaben,
-wollten von ihnen die Streitkunst lernen, da diese sich als Mittel
-zur Beeinflussung der Volksversammlungen und Gerichte wohl verwenden
-ließ. Solchem Bedürfnis kamen die Lehrer entgegen, die man _Sophisten_
-nannte, und die nach eigener Angabe ihre Schüler vor allem im Reden
-tüchtig machen wollten. Sophisten bedeutet ursprünglich nur weise und
-kundige Männer. Erst später infolge des Kampfes, den Sokrates und
-seine Schüler gegen sie führten, bekam die Benennung den üblen Klang,
-den sie noch für uns hat. Die Sophisten wollten, so können wir bis
-jetzt ihr Streben kennzeichnen, durch die in den wissenschaftlichen
-Streitigkeiten ausgebildeten Mittel ihre Schüler zu wirksamen
-Rednern und schlagfertigen Debattierern ausbilden, damit sie in
-der Volksversammlung und vor Gericht Einfluß gewännen. Während aber
-die jungen Athener praktischen Erfolg im Staate suchten, waren die
-Sophisten selbst keine praktischen Staatsmänner. Sie waren auch nicht
-in ihrem heimischen Staate tätig, vielmehr zogen sie, Ruhm und Geld
-zu gewinnen, von Stadt zu Stadt und kehrten natürlich besonders gern
-in dem reichen und mächtigen Athen ein. Keiner unter den bedeutenden
-Sophisten aber war Athener. Sie waren also nicht, wie der attische
-Bürger, selbstverständlich hineingewachsen in bestimmte heimische
-Verhältnisse, in denen man sich zur Geltung bringen will, an denen man
-vielleicht auch vieles einzelne ändern möchte, die man aber doch als
-Ganzes hinnimmt. Nein, die Sophisten waren losgelöste, nur auf sich
-gestellte Einzelmenschen, stolz nicht mehr auf ihren Staat, auf ihre
-Leistungen in ihm und für ihn, sondern nur auf ihr eigenes Wissen und
-Können.
-
-Die Sophisten bildeten keine Einheit, sie waren ein Stand ohne
-ständische Organisation. Es existierte also auch keineswegs eine
-sophistische Schule, in der bestimmte Meinungen herrschten. Nur der
-Lehrberuf war ihnen gemeinsam, keineswegs der Inhalt der Lehre.
-Trotzdem entsprach der Gleichheit ihrer gesellschaftlichen und
-geschichtlichen Stellung ein gemeinsamer Grundzug ihrer Gesinnung,
-der sich bei den philosophisch Gerichteten unter ihnen (und nur diese
-gehen uns etwas an) in ähnlichen Lehren ausdrückte. Wie im Leben,
-so waren sie auch in der Philosophie heimatlos. Aus dem Streite der
-verschiedenen naturphilosophischen Schulen hatten sie entnommen, daß
-in keiner von ihnen Wahrheit sei, ja, daß es eine für alle gültige
-Wahrheit überhaupt nicht gebe. Wahr sei jedem, was ihm wahr scheine.
-_Protagoras_, der älteste und bedeutendste unter den Sophisten, suchte
-das wissenschaftlich zu begründen. Die Wahrnehmung eines Dinges durch
-eines unserer Sinnesorgane, z. B. das Auge, kommt dadurch zustande,
-daß das Ding auf unser Auge wirkt. Das Bild, das wir sehen, ist also
-nicht nur von dem gesehenen Dinge, sondern zugleich von dem sehenden
-Auge abhängig. Sie können sich das leicht an dem verschiedenen Anblick
-klar machen, den etwa ein Tisch bietet, wenn wir ihn von verschiedenen
-Seiten und bei verschiedener Stellung des Kopfes betrachten. Auch die
-Farben wirken auf das ermüdete Auge anders als auf das ausgeruhte,
-und dasselbe gilt von jeder anderen sinnlichen Auffassung. Sinnliche
-Wahrnehmung aber ist -- das steht für Protagoras fest -- die einzige
-Grundlage alles Erkennens. Wenn die Wahrnehmung also in jedem Falle
-von der besonderen Natur, Stimmung und Stellung des Erkennenden
-abhängig ist, so gibt es keine für alle gleiche Wahrheit. In diesem
-Sinne stellte Protagoras den Satz auf: »Der Mensch ist das Maß aller
-Dinge.« Gibt es keine Wahrheit, so kann man auch keinen anderen von der
-Wahrheit überzeugen. Will ein Mensch auf den anderen wirken, so kann
-er nur versuchen, ihm durch geeignete Künste die Meinung beizubringen,
-die dem Redner günstig ist. Die Sophisten wollen daher ihre Schüler zu
-tüchtigen Künstlern in der Überredung machen.
-
-Diese Theorie sieht zunächst weltfremd und ungefährlich aus; auch war
-ihr Urheber überzeugt, daß sie mit politischen und zumal mit religiösen
-Umwälzungen nichts zu tun habe, erklärte vielmehr, über die Götter
-vermöge er überhaupt nichts auszusagen. Da es sich auf religiösem
-Gebiete also nicht um ein Wissen handeln konnte, übte er ruhig den
-gebräuchlichen Kultus aus und folgte den herrschenden Sitten. Der
-Widerstreit indessen zwischen seinem Bekenntnis der Unwissenheit und
-dem festen Glauben eines echten Anhängers der alten Religion, trat, so
-sehr er ihn vor sich und anderen zu verschleiern suchte, bei einigen
-seiner Schüler entschieden hervor. Keck verachteten sie die Vorsicht
-und Zurückhaltung des Meisters und meinten, daß jeder einzelne sich
-über Gesetz, Sitte, Religion hinwegsetzen dürfe, wenn nur der Erfolg
-seiner Kraft oder Schlauheit recht gebe. Als Hauptgegenstand ihres
-Unterrichts betrachteten sie die Kunst der Überredung; wer sich ihnen
-anvertraute, sollte lernen, anderen die Meinung beizubringen, die ihm
-selbst vorteilhaft sei. Nach ihrer eigenen Handlungsweise beurteilten
-sie auch die Staatsmänner der Vorzeit, in denen sie die Urheber nicht
-nur der politischen, sondern auch der religiösen und moralischen
-Gesetze und Sitten sahen. Diese Machthaber waren nach ihrer Meinung
-schlaue Männer, gewissermaßen Vorläufer der Sophisten, gewesen und
-hatten es verstanden, der Masse die Überzeugung beizubringen, daß es
-gut sei, den Gesetzen zu folgen, die sie nur zum Vorteil der Herrscher
-erdacht hatten. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt -- das wird dann die
-Lebensregel für den starken Geist. Hüten wird er sich freilich, sie vor
-den auszubeutenden Herdenmenschen offen zu bekennen.
-
-Gleichzeitig mit dieser Entwicklung der Sophistik entartete das
-politische Leben. Die von alters her erbitterten Parteikämpfe
-verwilderten mehr und mehr, selbst die Verbindung mit dem Landesfeinde
-wurde nicht gescheut. Der unparteiische Betrachter wird sich fragen
-müssen, ob die radikalen sophistischen Theorien Ursache oder bloße
-Spiegelung dieser politischen Entartung waren, er wird ihnen sicher
-nicht die Hauptschuld zuschreiben. Aber viele Zeitgenossen urteilten
-anders, zumal seit in dem großen Entscheidungskampf um die Herrschaft
-über Griechenland, in dem Peloponnesischen Kriege, Not und Bedrängnis
-über Athen kam. Viele glaubten damals, daß die neumodische Bildung
-schuld an allem Unglück sei; es entstand eine Partei, die in der
-Rückkehr zu schlichtem altväterlichem Glauben und Handeln das einzige
-Heil sah.
-
-
-[Verhältnis zu den Sophisten]
-
-Des _Sokrates_ Jugend fiel in die Periode der höchsten Blüte des
-Staates und des Eindringens der Sophisten, seine Wirksamkeit
-hauptsächlich in die Zeit des großen Krieges. Er mußte also zu zwei
-Gruppen von Männern Stellung nehmen, zu den Neuerern und Sophisten
-einerseits, zu den Verteidigern der alten Sittlichkeit und Religion
-anderseits. Da aber des Sokrates Denken sich, wie hervorgehoben, in
-seiner Lebensführung offenbarte, müssen wir diese vor allem betrachten.
-
-Sokrates trieb kein dem Broterwerb gewidmetes Geschäft, sondern lebte
-unter größter Einschränkung seiner Bedürfnisse von den Erträgnissen des
-kleinen väterlichen Erbes und zugleich wohl von freiwilligen Geschenken
-seiner Freunde. Er diente dem Staat als tapferer Krieger, einmal auch
-als Mitglied des Rates, aber politischen Ehrgeiz hatte er nicht, in
-den Parteikämpfen spielte er keine Rolle. Vielmehr verbrachte er seine
-Tage auf den Plätzen Athens mit Gesprächen, deren Eigenart uns noch
-beschäftigen muß. Nichts lag näher als ihn mit den Redekünstlern von
-Gewerbe, den Sophisten in eine Klasse zu setzen, wie das auch z. B. der
-Komödiendichter _Aristophanes_ tat. Aber schon äußerlich unterschied
-sich Sokrates von den Sophisten dadurch, daß er keinen Lohn für seine
-Unterredungen nahm, auch nicht eigentlich Schüler hatte, die er einen
-bestimmten Lehrgang durchmachen ließ, sondern nur Anhänger, die ihm
-freiwillig folgten und an seinen Unterredungen teilzunehmen begehrten.
-In diese Gespräche zog Sokrates alle möglichen Bürger -- Handwerker und
-Offiziere, Vornehme und Geringe, Politiker und Sophisten -- hinein;
-gern ging er von einem praktischen Falle aus, wußte aber die Rede
-bald auf die wichtigsten allgemeinen Fragen hinüberzulenken. Ein
-fremder Fechtmeister führt etwa seine Künste vor und zuschauende Bürger
-beraten, ob sie ihre Söhne von ihm unterrichten lassen sollen. Sokrates
-wird zu der Beratung herangezogen und macht sofort darauf aufmerksam,
-daß die Entscheidung davon abhänge, was man mit dem Unterricht
-erreichen wolle. Die Söhne zu tapferen Kriegern machen, wird ihm
-geantwortet. Ja aber was ist nun Tapferkeit? fragt Sokrates weiter und
-ist damit bereits bei der Erforschung allgemeiner Fragen des sittlichen
-Lebens angelangt.
-
-Ganz besonders bemühte sich Sokrates, begabte junge Leute an sich
-heranzuziehen und zu tieferem Nachdenken anzuregen. Zum Nachdenken
-anzuregen, sage ich; denn Sokrates will nie fertige Weisheit mitteilen,
-betont vielmehr immer wieder, er wisse nichts und unterscheide sich nur
-dadurch von den anderen, daß er um sein Nichtwissen wisse. Erst durch
-die gemeinsame Untersuchung soll die Wahrheit gefunden werden. Kein
-Wunder, daß oft ein positives Ergebnis nicht gewonnen wurde, sondern
-die Teilnehmer am Gespräch zuletzt sich nur insofern gefördert sahen,
-als sie nun mit Sokrates um ihr Nichtwissen wußten.
-
-Denken Sie sich einen lebhaften, schlecht gekleideten, barfuß
-gehenden Menschen mit dicken Lippen, aufgeworfener Nase und von
-kurzer Gestalt, der die Vorübergehenden anredet und mit großem Eifer
-in eigenartige Gespräche hineinzieht, so werden Sie begreifen, daß
-dieser Mann rasch ein stadtbekanntes Original wurde. Sein Witz und
-seine geistige Überlegenheit errang sich bei manchen Achtung, bei
-mehreren Feindschaft. Sogar seine nach attischem Brauch ungebildete
-Gattin, die das dürftige Hauswesen in Ordnung halten mußte, sah in ihm
-wie natürlich einen recht unnützen Müßiggänger und machte ihm wohl
-gelegentlich heftige Szenen. Ihr Name _Xanthippe_ ist sprichwörtlich
-für ein zanksüchtiges Weib geworden, obwohl die wenigen, wirklich
-zuverlässigen Nachrichten sie als eine brave Person schildern, die
-ihren Mann in ihrer Art herzhaft liebte und sich bei seinem Tode vor
-Kummer nicht fassen konnte. Auch auf sie, die ihren Gatten gewiß nicht
-verstand, muß doch die Gewalt seiner einzigartigen Persönlichkeit
-gewirkt haben.
-
-
-[Lebensweise. Jünger]
-
-Sokrates wußte die verschiedenartigsten Menschen zu gewinnen und zu
-fesseln, er besaß die Kunst, auf jeden seiner Eigenart gemäß zu wirken;
-daher schilderte ihn jeder seiner Schüler anders. Viele unter den
-Büchern der Sokratesjünger sind verloren, aber wir besitzen noch die
-Werke von zwei sehr verschiedenartigen Anhängern.
-
-_Xenophon_, Offizier, Landwirt, Geschichtschreiber, ein Mann des
-tätigen Lebens, schildert Sokrates als einen praktischen, witzigen
-Menschen, der es sich zum Beruf gemacht hat, die Athener zu tüchtigem
-Wirken für Familie und Staat zu erziehen. Klug und hilfreich berät er
-seine Freunde auch in den kleinen Angelegenheiten ihres Privatlebens.
-Unnützen Spitzfindigkeiten ist er abgeneigt; es tritt kaum hervor,
-daß er selbst im Gegensatze zu der Scheinweisheit der Sophisten eine
-_Einsicht_, ein wahres Wissen zu gewinnen strebt. Sokrates erscheint
-in diesem Spiegel bieder, kernhaft und tüchtig, aber auch nüchtern und
-prosaisch; seine Weisheit ist eine ziemlich hausbackene Moral und ein
-witzig vorgetragener gesunder Menschenverstand. Der Quellenwert der
-Xenophonischen Denkwürdigkeiten wird dadurch vermindert, daß sie zum
-größten Teile erst ein Menschenalter nach dem Tode des Sokrates verfaßt
-wurden.
-
-Ganz anders sah _Platon_ mit dem Tiefblicke des Dichters den Sokrates;
-er fühlte das Feuer und die Begeisterung durch die kühlverständige
-Hülle hindurch, ihm erschloß sich das Götterbild, das hinter der
-Silensmaske des Sokrates verborgen war. Wir verdanken es Platon, daß
-der mehr als dämonische, der göttliche Zauber des seltsamen Mannes
-auch uns noch berückt, wir sind ihm noch größeren Dank dafür schuldig,
-daß er die Ansätze wissenschaftlicher Erkenntnis in den Gesprächen des
-Meisters ans Licht stellte.
-
-Dem Historiker freilich hat gerade Platons Größe seine Aufgabe
-erschwert; Platon war kein bloßer Spiegel des empfangenen Gutes,
-in seinem Geiste bildete sich jeder Gedanke eigenartig um, und er
-nahm in treuer Verehrung des Meisters die Gewohnheit an, auch eigene
-Überlegungen und Einsichten dem Sokrates in den Mund zu legen, sie so
-gleichsam seinem Lehrer zuzueignen. Doch gilt dies von den späteren
-platonischen Dialogen mehr als von den frühen, die bald nach Sokrates'
-Tode entstanden sind. Aus ihnen lassen sich die Grundüberzeugungen des
-Sokrates recht wohl feststellen.
-
-Sokrates wollte die, mit denen er umging, zum rechten Leben führen,
-das zugleich nach seiner Überzeugung und Erfahrung das glückliche
-Leben ist; er war also sittlicher Reformator und wirkte durch sein
-Vorbild, seine Person mindestens so sehr wie durch seine Lehre. Für
-die Philosophie aber erlangt dieser Reformator dadurch entscheidende
-Bedeutung, daß er sittliche Einsicht als Bedingung der sittlichen
-Umkehr fordert. Das führt zur strengeren Untersuchung.
-
-Die bedeutendsten Sophisten, so sahen wir, glaubten nicht an eine für
-alle Menschen gültige Wahrheit. Gerade dieser ihrer Voraussetzung trat
-Sokrates entgegen. Er war innig überzeugt, daß sich die Wahrheit finden
-lassen müsse. Sonst hätte er auch sein Gesprächführen nicht als ein ihm
-von der Gottheit übertragenes Amt ansehen können. Seine Gespräche sind
-ja eine Art Forschung, und kein ernster Forscher zweifelt daran, daß
-wenigstens ein Stück Wahrheit sich finden läßt; sonst würde er die Mühe
-des Untersuchens nicht auf sich nehmen. Sokrates zeigt den Sophisten,
-daß sie selbst im Grunde einige Wahrheiten zu besitzen glauben. Sie
-wollen doch lehren, wie man auf Menschen wirken kann. Dazu müssen sie
-gewisse Kenntnisse über die Natur der Menschen mitteilen, und wenn
-sie diese Kenntnisse nicht für wahr hielten, hätte ihr ganzes Treiben
-keinen Sinn. Auch ihre Behauptung, daß sie weiser seien als andere,
-daß daher ihr Unterricht etwas nütze, setzt voraus, daß sie sich im
-Besitz gewisser Wahrheiten fühlen. Er bekämpft also die Sophisten
-mit ihren eigenen Waffen und zeigt, daß sie nicht einmal selbst den
-Glauben an ihre Voraussetzung festhalten können. Allerdings in _einem_
-Punkte stimmt Sokrates mit den Sophisten überein, in der Forderung
-verstandesmäßiger Untersuchung alles dessen, was sich für wahr und gut
-ausgibt. Die Wahrheit liegt nicht in irgendwelchen Überlieferungen
-fertig vor, sondern sie muß erst durch Nachdenken gefunden werden. Man
-sieht, Sokrates nimmt neben den beiden Richtungen, die wir schilderten,
-den Neuerern und den Verteidigern des Alten, eine ganz eigenartige
-Stellung ein. Der radikale Sophistenschüler sagt: Es gibt keine
-Wahrheit, tue jeder, was ihm beliebt und nützt. In schroffem Gegensatz
-dazu fordert der für altväterliche Sitte und Religion begeisterte
-Patriot: Erkenne an, daß die Wahrheit in den überkommenen Gebräuchen
-und im heimischen Gottesdienst gegeben ist, und hüte dich, durch Denken
-oder Handeln von dieser Richtschnur abzuweichen. Sokrates tritt beiden
-entgegen und lehrt: Es gibt Wahrheit, sie ist uns allen erreichbar,
-aber wir müssen sie suchen. Nur durch ernsthaftes Forschen können wir
-sie finden; nur ein Handeln aus selbsterrungener Einsicht kann wahrhaft
-gut sein.
-
-
-[Methode]
-
-Zwei Fragen drängen sich uns hier sogleich auf: Wie lehrte Sokrates die
-Wahrheit finden, und auf Wahrheit welcher Art kam es ihm an? Die Art,
-zu einer Einsicht zu gelangen, nennt man Methode. Viele von Ihnen haben
-gewiß schon von einer sokratischen Methode reden hören, manche wissen
-wohl auch, daß diese Methode durch geeignete Fragen aus dem Schüler
-selbst die richtige Antwort herauszuentwickeln sucht.
-
-Nicht zufällig wählte Sokrates diesen Weg, der für ihn kein bloßes
-Mittel der Belehrung, sondern wirklich der geeignetste Pfad zur
-Wahrheit war; die Methode entsprang vielmehr seiner Überzeugung, daß
-im Geiste des Menschen die rechte Einsicht verborgen sei. Es handelt
-sich also nicht darum, die Weisheit gleichsam von außen heranzubringen,
-sondern nur sie ans Licht zu befördern und von anhaftendem Irrtum
-zu befreien. Auch diese Geburt ist, wie die eines Kindes, mühsam
-und schmerzhaft, auch sie erfordert kunstgerechte Hilfe. Darum sagt
-Sokrates öfters scherzend, seine Kunst sei die einer Hebamme und er
-habe sie von der Mutter ererbt.
-
-Im einzelnen stellt sich die sokratische Methode als ein allmähliches
-Hinleiten zu immer besseren Antworten dar. Der Mitunterredner soll
-dabei seine Fehler selbst eingestehen, die Wahrheit aus eigener
-Einsicht finden. Es handle sich z. B. um die Frage, was ist
-Tapferkeit? Ein Mann, besonders wenn er schon im Felde dem Feinde
-gegenübergestanden hat, wird überzeugt sein, über diese Tugend Bescheid
-zu wissen. Drängt man ihn aber, seine Meinung darüber zu äußern, so
-wird er an einen ihm naheliegenden Fall denken und etwa antworten:
-Tapferkeit ist, wenn einer nicht aus der Schlacht fortläuft. Sokrates
-wird ihn dann darauf aufmerksam machen, daß es auch gegen ungerechte
-Ansprüche der Machthaber im eigenen Staate ein tapferes Verhalten
-gibt, daß man auch Krankheiten tapfer erdulden kann. Durch diese
-Einwände zwingt er seinen Unterredner dazu, einzugestehen, daß er
-nur ein _Beispiel_, keine _Erklärung_ der Tapferkeit gegeben hat,
-und zu erkennen, daß es auf den _allgemeinen Begriff_ der Tapferkeit
-ankommt. Dieser aber muß für alle Fälle zutreffen, in denen man mit
-Recht von Tapferkeit spricht. Der in allgemeinen Überlegungen ungeübte
-Gesprächsteilnehmer wird auf die so gestellte Frage zunächst nicht
-richtig antworten; dann muß sich sein Fehler im weiteren Verlaufe
-der Unterredung herausstellen. Hat sich so öfter die scheinbar
-treffliche Geburt seines Geistes als Fehlgeburt erwiesen, so führt
-das zu einer Erschütterung seines Selbstbewußtseins, zu jenem Wissen
-des Nichtwissens, das nach Sokrates die erste Stufe auf dem Wege zur
-Erkenntnis ist.
-
-Auch sich selbst schreibt Sokrates nur das Wissen des Nichtwissens
-zu. Er fühlt sich den Schülern überlegen, sofern er die Notwendigkeit
-der Untersuchung eingesehen hat; in der Untersuchung aber stellt
-er sich mit ihnen auf eine Stufe. Da Meister und Jünger zusammen
-vom Irrtum zu höherer Einsicht fortschreiten, werden die Schüler
-zu Genossen im Suchen nach Wahrheit. Diese Haltung unterscheidet
-Sokrates von den Sophisten. Der Sophist will im Gespräch den Gegner
-einschüchtern, überlisten, lieber noch in zusammenhängender Rede
-glänzen -- es kommt ihm darauf an, Eindruck zu machen, sich zur Geltung
-zu bringen. Sokrates will Liebe zur wissenschaftlichen Untersuchung
-wecken, damit zugleich Liebe zur Sache, zur ernsten Hingabe an
-eine überpersönliche Wahrheit. Er hat den erzieherischen Wert der
-Wissenschaft entdeckt. Wenn wir Knaben und Jünglinge, auch sofern sie
-nicht für die Wissenschaft bestimmt sind, durch Wissenschaft bilden,
-überzeugt, daß der Geist reinen Wahrheitstrebens ganz allgemein die
-innere Selbständigkeit und die Hingabe an die Sache um der Sache willen
-erzeugt, so wirken wir im Sinne des Sokrates. Sophistisch dagegen wird
-die Erziehung, sobald sie in den rasch mitgeteilten »Ergebnissen«
-fremden Forschens nur Mittel überliefert, zu glänzen und sich
-durchzusetzen.
-
-Sokrates steckte sich also das Ziel, zu einer genauen
-Begriffsbestimmung zu gelangen, und benutzte als Mittel dazu Gespräche,
-die von der gewöhnlichen unklaren Vorstellungsweise des ungebildeten
-Durchschnittsatheners oder von dem auf Verblüffung abzielenden
-Geschwätz des neumodischen, halbgebildeten Sophistenschülers ausgingen.
-Da jeder Schritt auf diesem Wege nur mit Zustimmung des Mitunterredners
-gemacht wird, hat sich dieser am Schluß keine fremde Weisheit
-angeeignet, sondern aus sich selbst heraus eine Einsicht errungen.
-
-
-[Absicht und Inhalt seiner Gespräche]
-
-Weil es Sokrates mehr darauf ankam, die rechte Gesinnung und den Willen
-zur Wahrheit zu wecken als bestimmte einzelne Wahrheiten einzuprägen,
-schlossen seine Gespräche oft mit einer Frage ab. Doch läßt sich die
-Richtung, in der die Wahrheit liegt, fast immer erkennen. So dürfte
-man kaum irren, wenn man die sokratische Definition der Tapferkeit
-in dem Satze sieht, sie sei die richtige Einsicht in das, was man
-fürchten und was man nicht fürchten soll. Man kann sich an diesem Falle
-den wesentlichen _Inhalt_ der sokratischen Weisheit klar machen. Es
-ist zunächst nicht zufällig, daß der Begriff einer menschlichen Tugend
-als Beispiel gewählt wurde, bildet doch die Untersuchung sittlicher
-Eigenschaften durchaus den Kern des sokratischen Strebens. Aus seiner
-Stellung zum Leben ist das unmittelbar verständlich: er will nur das
-untersuchen, was dem Menschen dazu verhilft, sein Leben in rechter
-Weise zu führen. Zugunsten dieser Beschränkung auf das eine, das not
-tut, wendet er sich gegen die Bemühungen um Erkenntnis der körperlichen
-Natur. Wir dürfen indessen in dieser Ablehnung der Naturphilosophie
-nicht _nur_ die Folge seines praktischen Bestrebens sehen, sondern
-müssen zugleich daran erinnern, daß Sokrates _sicheres_ Wissen suchte,
-solches aber in den Anfängen der Naturphilosophie nirgends zu finden
-war. Vielmehr lagen hier verschiedene Vermutungen miteinander in einem
-Streite, der sich, wie es schien, nicht schlichten ließ.
-
-Glücklicherweise glaubte er diese unfruchtbaren Wortkämpfe zugleich
-als unwichtig ablehnen zu dürfen. Wichtig sind für den Menschen die
-Begriffe, nach denen er sein Handeln zu regeln hat. Diese kann er
-in sich selbst finden, und darum machte Sokrates die alte Mahnung:
-»Erkenne dich selbst« zu seinem Wahlspruch. Wie Protagoras, so ging
-auch Sokrates vom Menschen aus. Beiden ist der Mensch das wichtigste,
-und in gewissem Sinne könnte Sokrates sogar den Spruch des Protagoras,
-der Mensch ist das Maß aller Dinge, zugeben. Trotzdem besteht der
-entschiedenste Gegensatz zwischen ihnen. Protagoras denkt, wenn
-er jenen Satz ausspricht, an die wechselnden Zustände, Launen und
-Neigungen, die bei jedem Menschen andere sind und auch bei demselben
-Menschen mit der Zeit wechseln. Sokrates dagegen sucht im Menschen die
-_Vernunft_, die nicht wechselt und nicht bei einem Menschen anders als
-beim andern ist. Wo echtes Denken beginnt, hört die Verschiedenheit
-zwischen den Denkenden auf. Man kann sich das an der allereinfachsten
-Aufgabe, an einem leichten Rechenexempel etwa, klar machen. Wenn ich
-frage, wieviel ist 5 mal 7, so führt Sie alle Ihr Nachdenken zum
-gleichen Ziele. Da Sie rechnen können, wissen Sie, daß die richtige
-Antwort 35 ist. Sollte jemand die Laune haben, dieses Resultat einmal
-anders zu wünschen, so würde ihm das nichts helfen, und wer etwa eine
-andere Zahl herausbekäme, dem würde niemand sagen: Das scheint dir so,
-also ist für dich 5 × 7 = 32, sondern jeder würde ihm zurufen: Du irrst
-dich. So finden wir in uns in der Tat ein allen gemeinsames Denken, das
-bei geeigneter Ausbildung Wahrheiten zu erkennen vermag.
-
-Aus diesem Denken entspringt nach Sokrates auch die Sittlichkeit.
-Sittlich handeln bedeutet, den Aussprüchen des Denkens, der Vernunft
-folgen. Nunmehr können wir die Erklärung der Tapferkeit verstehen.
-Tapferkeit ist die richtige Einsicht in das, was man fürchten und was
-man nicht fürchten soll. Der wahrhaft Tapfere weiß, daß es Dinge gibt,
-die mehr zu fürchten sind als der Tod: Unrecht tun, seine Pflicht
-verletzen, in Widerstreit mit sich selbst geraten. Hat er nur die Wahl
-zwischen Unrecht und Lebensgefahr, so nimmt er in voller Erkenntnis das
-Wagnis auf sich. Denn Tapferkeit, d. h. eine Tugend, darf nicht mit
-Tollkühnheit verwechselt werden, die sich blind und grundlos in Gefahr
-begibt und keineswegs Lob verdient. Der Tapfere weiß auch, daß man
-unter Umständen die Pflicht hat, sein Leben zu erhalten. Wenn etwa ein
-Heerführer, an dessen Feldherrnbegabung der Sieg hängt, sich den Kugeln
-aussetzt, handelt er nicht tapfer; er muß sich schonen, muß sogar
-tapfer genug sein, den Verdacht der Feigheit zu ertragen, wenn er weiß,
-daß sein Tod für die von ihm vertretene Sache am meisten zu fürchten
-wäre. Soweit werden Sie die Begriffsbestimmung leicht zugeben. Aber daß
-Tapferkeit Einsicht sein soll, wird Ihnen nicht recht einleuchten. Sie
-alle kennen gewiß Menschen, die weit vom Schuß sehr gut wissen, was
-sie fürchten und nicht fürchten sollen, aber doch, wie man zu sagen
-pflegt, kein Pulver riechen können. Sokrates hat in der Tat übersehen,
-daß die bloße Einsicht den Menschen noch nicht die Kraft des richtigen
-Handelns gibt. Was hier als eine Lücke seiner Erkenntnis zugestanden
-werden muß, geht aber aus der Größe seines Charakters hervor. In ihm
-war die Vernunft zur lebenbestimmenden Kraft geworden; dem Erkannten
-zu widerstreben war ihm unmöglich, daher verstand er unter Einsicht
-oder Wissen etwas, was den ganzen Menschen durchdringt. Wer nicht nach
-seiner Erkenntnis handelt, beweist eben damit, daß er im Sinne des
-Sokrates keine Erkenntnis besitzt.
-
-Sokrates hat nie eine zusammenfassende Darstellung seiner Lehre
-gegeben, im Gegenteil hätte er sicher jede derartige Bemühung als
-seiner Absicht widerstrebend abgelehnt. Trotzdem will ich jetzt,
-nachdem wir Art und Ziel seiner Lebensarbeit kennen gelernt haben,
-versuchen, ihr gedankliches Ergebnis in einige Sätze zusammenzufassen.
-Was die Menschen gewöhnlich für Wissen halten, ist kein Wissen, nur ein
-unsicheres Meinen. Wer etwas weiß, der muß begriffliche Rechenschaft
-über das Gewußte ablegen können. Eine Vorstufe des Wissens ist, zu
-wissen, daß man nichts weiß; denn damit hat man ja bereits erkannt,
-daß die gewöhnliche unklare Meinung, der man bisher folgte, auf einem
-Scheinwissen beruht, und beginnt nun einzusehen, wodurch wahres
-Wissen sich von Scheinwissen unterscheidet. Erkennt man zum Beispiel,
-daß es falsch ist, auf die Frage nach dem Wesen eines allgemeinen
-Begriffes mit einem einzelnen Falle, der unter diesen Begriff gehört,
-zu antworten, so besitzt man die wichtige Unterscheidung des Begriffes
-von seinen Beispielen und Anwendungen und kennt zugleich in der
-Allgemeinheit eine wesentliche Anforderung an jede wissenschaftliche
-Definition. Es ist unmöglich, einen Irrtum als Irrtum zu durchschauen,
-ohne damit zugleich eine Wahrheit zu erkennen.
-
-
-[Vernunft und Sittlichkeit]
-
-Da die Wahrheit unserm vernünftigen Denken innewohnt, so muß sie sich
-wenigstens in den für die Menschen wichtigsten Angelegenheiten auch
-gewinnen lassen. Denn wesentlich ist für uns die Erkenntnis derjenigen
-Begriffe, die unser Handeln zu leiten bestimmt sind. Diese aber
-müssen der uns allen gemeinsamen Vernunft entnommen werden. _Tugend
-ist Einsicht_, nach ihr streben ist die Aufgabe _jedes_ Menschen.
-Die anderen durch seine beunruhigenden Gespräche zu diesem Streben
-anzuregen und ihnen den rechten Weg zu weisen, ist der _besondere_
-Lebensberuf des _Sokrates_.
-
-Hieraus können wir folgern, wie Sokrates zu der überlieferten Sitte
-und Religion stehen muß. Da nur ein von der Einsicht geleitetes
-Handeln mit Sicherheit das Rechte ergreift, so kann er in dem blinden
-Befolgen überlieferter Lebensweisen nicht die wahre Tugend erblicken.
-Sieht man doch oft, daß sonst treffliche Menschen in schwierigen
-Fällen ratlos dastehen, daß Männer, die selbst aus einem gewissen
-Naturinstinkt heraus ihre eigenen und ihres Staates Angelegenheiten
-aufs beste besorgen, unfähig sind, ihre Kinder zu gleicher Tüchtigkeit
-zu erziehen. Dabei erkennt Sokrates durchaus an, daß inhaltlich in der
-Vätersitte, wie in der Muttersprache, viel Wahres überliefert ist;
-nur sollen wir diese Wahrheit einsehen, nicht blind der Überlieferung
-folgen. Bei aller Freiheit des Denkens bleibt Sokrates ein pietätvoller
-Athener. Vor allem aber fordert er Gehorsam gegen bestehende Gesetze,
-solange sie bestehen, selbst wenn man aus guten Gründen ihre Änderung
-wünscht. Denn Gesetzlosigkeit ist unter allen Umständen ein Übel.
-Den heimischen Göttern ist er ergeben, wenn er auch, wie viele
-Zeitgenossen, die überlieferten Göttergeschichten im Sinne seiner
-reineren Sittlichkeit umdeutet. So befindet sich Sokrates, bei vielen
-Übereinstimmungen im einzelnen, doch im Grunde im entschiedensten
-Gegensatze gegen die Verteidiger des Alten. Jene fordern Gehorsam gegen
-die alte Sitte, weil die Sieger in den Perserkriegen ihr gefolgt sind.
-Sokrates prüft kühl und nüchtern auch die Grundsätze der Vorfahren
-und folgt ihnen nur, soweit sie vor seiner Vernunft standhalten.
-Politisch richtet sich sein Verlangen eines Handelns aus Einsicht in
-einem wichtigen Punkte gegen die demokratische Verfassung Athens. Hier
-waren alle Ämter allgemein zugänglich und wurden durch Volkswahl oder
-Auslosung besetzt. Sokrates dagegen forderte, daß in jeder Sache der
-Sachverständige allein entscheide.
-
-
-[Prozeß]
-
-Diese Gegensätze muß man kennen, um das Schicksal des Sokrates zu
-verstehen. Im Peloponnesischen Kriege war Athen besiegt worden, und das
-siegreiche Sparta hatte eine kleine Gruppe ihm ergebener Aristokraten
-zu Herrschern eingesetzt; diese schalteten aber so willkürlich, daß
-sie bald durch zurückkehrende verbannte Demokraten gestürzt wurden.
-Naturgemäß trat nun eine Reaktion ein, die sich nicht nur gegen die
-von den Feinden aufgedrungene Verfassung, sondern, da mehrere der
-Gewalthaber Sophistenschüler oder Freunde des Sokrates gewesen waren,
-zugleich gegen die moderne Bildung richtete. Sokrates galt vielen als
-Sophist, er verkehrte in aristokratischen Kreisen und war daher, obwohl
-er sich ungerechten Anforderungen der gestürzten Regierung mannhaft
-widersetzt hatte, verdächtig. Persönliches Übelwollen gegen ihn, das
-diesen Verdacht ausnützte, konnte nicht fehlen. Wenn man sein Leben
-lang den Leuten zeigt, daß sie nichts wissen, und angemaßte Weisheit
-ihres Prunkes entblößt, so schafft man sich Feinde. Persönliche
-Feindschaft und sachlicher Gegensatz dürften bei denen zusammengewirkt
-haben, die den siebzigjährigen Mann im Jahre 399 v. Chr. anklagten,
-daß er die väterlichen Götter nicht anerkenne, neue dämonische Wesen
-einführen wolle und die Jugend verführe.
-
-Die Richter wurden in Athen aus allen Bürgern ausgelost und waren sehr
-zahlreich; über Sokrates saßen wahrscheinlich 501 zu Gericht. Vor
-einer solchen Menge, zumal von leicht erregbaren Südländern, wirkt
-die Beredsamkeit. Sokrates' Sache stand zunächst nicht schlecht: sein
-Leben war öffentlich und durchsichtig; mochte man sich oft genug
-über ihn geärgert haben, man wußte, daß er unsträflich gehandelt,
-die Bürgerpflichten erfüllt und den Kultus der Götter geehrt hatte.
-Aber die Richter waren gewohnt, daß der Angeklagte durch Redekünste
-Eindruck auf sie machte und demütig ihr Mitleid anflehte. Sokrates
-verschmähte das; denn er war überzeugt, daß es viel schlimmer sei,
-etwas zu tun, was man für Unrecht hielt, als zu sterben. Darum redete
-er schlicht und stolz. Er habe die Götter immer geehrt und die
-Jünglinge zur Selbstprüfung und Einsicht erziehen wollen. Die Anklage
-beruhe auf dem Haß, den seine Gespräche, sein von dem delphischen Gott
-ihm übertragener Beruf ihm zugezogen habe. Diese ungewohnte Art sich
-zu verteidigen führte zu einer Verurteilung mit geringer Mehrheit.
-Nach Entscheidung der Schuldfrage mußte die Strafe bestimmt werden,
-wobei die Richter nach athenischem Rechte nur die Wahl zwischen den
-Anträgen der Ankläger und des Angeklagten hatten. Da die Anklage auf
-Tod lautete, hätte der Angeklagte in seinem Interesse eine nicht zu
-milde Strafe, etwa Verbannung, beantragen müssen. Statt dessen erklärte
-Sokrates, er sei nicht schuldig und könne sich daher keine Strafe
-zuerkennen. Im Gegenteil sei er, da er sein ganzes Leben der Besserung
-seiner Mitbürger gewidmet habe, der höchsten Ehre, der Speisung im
-Rathause, würdig. Verbannung, an die die Richter etwa denken könnten,
-sei für ihn schlimmer als Tod, da sie ihn hindern würde, seinen Beruf
-auszuüben. Um doch dem Gesetze Genüge zu tun, beantrage er eine
-Geldstrafe, die er zwar nicht aus eigenen Mitteln aufbringen, aber doch
-von Freunden erhalten könnte. Diesen Antrag müssen die Richter als
-Verhöhnung empfunden haben; denn die Verurteilung zum Tode erfolgte mit
-größerer Mehrheit als der erste Spruch.
-
-Zufällig war damals gerade eine Festzeit, während deren keine
-Hinrichtung vollzogen werden durfte. Sokrates wurde daher ins Gefängnis
-geführt und durfte sich dort mit seinen Freunden in gewohnter
-Weise unterreden. Man bewachte ihn nicht streng; Freunde suchten
-und fanden Mittel, ihm die Flucht zu ermöglichen. Aber er lehnte
-es ab zu fliehen, da man nach seiner Überzeugung einem gesetzmäßig
-gefällten Urteilsspruch gehorchen müsse, auch wenn man ihn für
-sachlich falsch halte. Denn Ungehorsam gegen die Gesetze führe zum
-Untergange des Staates. So trank er, als der Termin gekommen war, den
-Schierlingsbecher, wie das Gesetz es befahl. Seine letzten Stunden hat
-_Platon_ in seinem Gespräche _Phädon_ der Nachwelt erhalten; er läßt
-Phädon, einen Lieblingsjünger des Sokrates, der am Schicksalstage bei
-ihm im Gefängnis weilte, erzählen, was er damals erlebt hat. Den Schluß
-dieser Schilderung will ich Ihnen nicht vorenthalten:[1]
-
-
-[Tod]
-
-»Nach diesen Worten begab sich Sokrates in ein Gemach, um zu baden,
-und Kriton folgte ihm; uns aber hieß er warten. Wir warteten also,
-redeten miteinander über das Gesagte und überdachten es; dann aber
-versenkten wir uns wieder in das Unglück, das uns getroffen hatte,
-wir fühlten nicht anders, als daß wir, des Vaters beraubt, unser
-künftiges Leben als Waisen hinbringen müßten. Nach dem Bade wurden
-seine Kinder zu ihm gebracht -- denn er hatte zwei kleine Söhne und
-einen großen --, und die ihm verwandten Frauen kamen. Er unterhielt
-sich mit ihnen in Gegenwart des Kriton, trug ihnen seinen Willen auf,
-hieß dann Weiber und Kinder gehen und kam selbst zu uns. Es nahte schon
-die Stunde des Sonnenuntergangs, denn er hatte lange Zeit drinnen
-verbracht. Nach seiner Rückkehr vom Bade setzte er sich und hatte
-noch nicht viel geredet, da kam der Diener der Elf[2], trat zu ihm
-und sagte: ›Sokrates, an dir werde ich nicht dasselbe erleben, wie an
-andern, die mir zürnen und mich verfluchen, wenn ich sie auf Befehl
-der Behörden auffordere, das Gift zu trinken. In dir habe ich während
-dieser ganzen Zeit den edelsten, freundlichsten und besten Mann von
-allen, die je hierher gekommen sind, kennengelernt; auch jetzt weiß
-ich wohl, wirst du nicht mir zürnen, sondern den Schuldigen, die du
-ja kennst. Du weißt, was ich dir anzukündigen habe, also lebe wohl
-und versuche, das Notwendige möglichst leicht zu tragen.‹ Tränen in
-den Augen wandte er sich ab und ging. Und Sokrates sah ihm nach und
-sagte: ›Auch du lebe wohl, ich werde es so machen.‹ Und zugleich sagte
-er zu uns: ›Wie fein ist der Mensch! Die ganze Zeit über kam er zu
-mir und unterhielt sich zuweilen mit mir und war gut gegen mich, und
-jetzt beweint er mich so aufrichtig. Aber wir, Kriton, wollen ihm
-nun folgen, und es mag einer das Gift bringen, wenn es bereitet ist,
-sonst aber es bereiten.‹ Und Kriton sagte: ›Ich meine doch, Sokrates,
-daß die Sonne noch auf den Bergen liegt und nicht untergegangen ist;
-auch weiß ich, daß andere erst lange, nachdem es ihnen befohlen war,
-getrunken haben. Vorher aßen und tranken sie gut und hatten zuweilen
-noch die Schönen bei sich, die sie gern hatten. Übereile dich nicht,
-es ist noch Zeit.‹ Und Sokrates sagte: ›Lieber Kriton, die Männer, von
-denen du redest, haben ganz recht getan, denn sie glaubten etwas damit
-zu gewinnen; ebenso aber habe ich recht, wenn ich anders handle. Denn
-ich glaube nichts zu gewinnen, wenn ich etwas später trinke, sondern
-nur vor mir selbst lächerlich zu werden, indem ich am Leben klebe und
-mit Augenblicken geize, die nicht mehr mein sind. Geh also, folge mir,
-lasse alles andere.‹ Als dies Kriton hörte, winkte er einem Sklaven,
-der in der Nähe stand. Der Sklave ging hinaus und nach einiger Zeit
-kam er wieder mit dem Manne, der den Trank reichen wollte und ihn
-fertig in einem Becher brachte. Als Sokrates den Mann sah, sagte er:
-›Nun, Bester, du weißt damit Bescheid. Was soll ich tun?‹ ›Nichts
-weiter,‹ sagte der, ›als nach dem Trinken umhergehen, bis dir die
-Beine schwer werden, dann dich hinlegen. So wird es wirken.‹ Damit
-reichte er Sokrates den Becher. Der nahm ihn und sagte ganz heiter,
-ohne zu zittern, ohne Farbe oder Gesichtszüge zu verändern, nach seiner
-Gewohnheit das Auge fest auf den Mann gerichtet: ›Was meinst du? Darf
-man von diesem Tranke den Göttern opfern oder nicht?‹ ›Wir bereiten‹,
-antwortete jener, ›nur gerade das genügende Maß zum Trinken, Sokrates!‹
-›Ich verstehe,‹ sagte dieser, ›aber beten zu den Göttern darf und soll
-man, daß die Wanderung von hier nach dort glücklich verlaufe. Darum
-bitte ich, und so möge es geschehen.‹ Während er das sagte, setzte er
-den Becher an und trank ganz leicht und heiter aus. Die meisten von uns
-waren bis dahin imstande gewesen, die Tränen zurückzuhalten; als wir
-aber sehen mußten, wie er trank und ausgetrunken hatte, nicht mehr;
-mir selbst stürzten mit Gewalt die Tränen in Strömen aus den Augen,
-so daß ich mir das Gesicht verhüllte und mich ausweinte -- nicht um
-seinetwillen, sondern meines Geschickes wegen, daß ich solch eines
-Freundes beraubt sein sollte. Kriton aber war noch vor mir, da er die
-Tränen nicht zurückhalten konnte, aufgestanden. Apollodor hatte schon
-lange unaufhörlich geweint, jetzt schluchzte er auf, schrie und klagte,
-so daß keiner von den Anwesenden ohne Tränen blieb außer Sokrates
-selbst. Der sprach: ›Ihr seltsamen Menschen, was macht ihr? Ich habe
-doch hauptsächlich deswegen die Frauen weggeschickt, damit sie nicht
-solche Störung verursachen, denn ich habe gehört, es müsse Friede um
-einen Sterbenden sein. Seid stille und faßt euch!‹ Als wir das hörten,
-schämten wir uns und hörten zu weinen auf. Er aber ging umher, bis,
-wie er sagte, die Beine ihm schwer wurden, dann legte er sich lang auf
-den Rücken hin, wie der Mann ihm geheißen hatte. Und sogleich befühlte
-ihn der, der das Gift gereicht hatte, und betrachtete von Zeit zu Zeit
-die Füße und Schenkel; später drückte er ihn stark am Fuß und fragte,
-ob er es spüre; Sokrates sagte, nein. Dann machte er es ebenso mit den
-Unterschenkeln, und so, weiter hinaufgehend, zeigte er uns, wie er kalt
-und starr wurde. Und er berührte ihn wieder und sagte, wenn es zum
-Herzen käme, würde es aus mit ihm sein. Als Sokrates nun am Unterleib
-schon ziemlich kalt war, schlug er das Gewand vom Antlitz zurück (denn
-er hatte sich verhüllt) und sagte -- es waren seine letzten Worte --:
-›Kriton, wir schulden dem Asklepios einen Hahn![3] Opfert ihn und
-versäumt es nicht!‹ ›Das wird geschehen,‹ sagte Kriton, ›aber sieh, ob
-du noch etwas zu sagen hast.‹ Darauf antwortete er nicht mehr, sondern
-zuckte nur nach einiger Zeit noch; dann deckte ihn der Diener auf, da
-waren seine Augen gebrochen. Als Kriton das sah, drückte er ihm Mund
-und Augen zu.
-
-Das war das Ende unseres Freundes, nach unserem Urteil des besten
-Mannes unter allen Zeitgenossen, des einsichtsvollsten und
-gerechtesten.«
-
-[Illustration: Sokrates
-
-Nach einer Marmorbüste in Villa Albani in Rom]
-
-
-
-
-Zweiter Vortrag.
-
-Platon.
-
-
-Nach dem Tode des Sokrates waren seine Schüler auf sich selbst
-angewiesen. Sie fühlten sich verwaist, nun der Mann nicht mehr lebte,
-in dem die Philosophie gleichsam sich verkörpert hatte. Sein Leben
-und sein Tod waren in jedem Zuge durch seine Lehre bestimmt, aber sie
-bildeten auch die einzigen Darstellungen, die es von dieser Lehre gab.
-Denn Schriften hinterließ Sokrates nicht, der vom lebendigen Wort
-eine so hohe, vom toten Buch eine sehr geringe Meinung hatte. Da nun
-der Meister selbst dahin war, blieb den Jüngern nichts übrig, als die
-Erinnerung an ihn und seine Gespräche durch schriftliche Wiedergabe
-festzuhalten.
-
-Gerade weil sie in Sokrates die Philosophie selbst erblickten, gingen
-sie an diese Aufgabe nicht als Geschichtschreiber, die genau bestimmen
-möchten, was Sokrates bei der oder jener Gelegenheit gesagt oder getan
-hat, sondern als Philosophenschüler, die den Geist des Meisters, wie
-er in ihnen lebte, festhalten und anderen mitteilen wollten. Nicht
-die Einzelheiten seines Lebens waren für sie von Bedeutung, sondern
-daß Sokrates sein ganzes Leben dem Denken gewidmet und durch das
-Denken bestimmt und daß er sie, die Schüler, zu Philosophen erweckt
-hatte. Sie fühlten Sokrates in sich lebendig und stellten ihn daher im
-Gespräche dar. Es konnte nicht ausbleiben, daß sie dabei auch eigene
-Gedanken dem Meister in den Mund legten. Da er sich verschiedenen
-Schülern verschieden gezeigt hatte, da sich im Kreis der Schüler
-entgegengesetzte Naturen fanden, erhielten diese Gespräche je nach
-ihrem Verfasser ein mannigfaltiges Gepräge. Wir besitzen die wichtigste
-Gruppe dieser Gespräche, die von Platon verfaßten, vollständig. Gerade
-weil Platon selbst ein genialer Denker und Künstler war, bildete
-er des Sokrates Lehren fruchtbar weiter. Oft ist es für uns schwer
-festzustellen, wo in diesen Gesprächen Sokrates aufhört und Platon
-anfängt.
-
-Schon aus dem Gesagten geht hervor, daß Platon zu seiner Philosophie
-anders stand als Sokrates, daß er sie nicht mehr in seinem Leben,
-sondern in seinen Schriften darstellte. In gewissem Sinne allerdings
-bemüht sich jeder echte Denker, seinen Gedanken gemäß zu leben; aber
-bei Sokrates hatte es mit der Einheit von Leben und Lehre noch eine
-besondere Bewandtnis. Seine Philosophie bestand im Grunde in seiner
-Art zu leben und zu sterben. Platon aber war Dichter; er legte ein
-Bild des philosophischen Lebens, wie es ihm vorschwebte, in Schriften
-von wunderbarem Reize nieder. Eine Probe davon gab ich Ihnen in der
-Schilderung von Sokrates' Tod. Dieser Bericht legt ebensosehr Zeugnis
-ab für die _persönliche Größe_ des Sokrates wie für die _dichterische
-Größe_ des Platon.
-
-Wir müssen uns klar machen, daß die Philosophie hier einen Schritt
-vom unmittelbaren Leben abrückt. Darin liegt ein wichtiger Gewinn. In
-Gesprächen auf dem Markte kann man den richtigen Weg des Forschens
-weisen; will man aber eine zusammenhängende Reihe von Wahrheiten
-entwickeln, so braucht man die Stille langen Grübelns und einsamer
-Überlegung. Indessen, mit diesem notwendigen Fortschritt ist ein
-Verlust innig verbunden. Das Denken gewinnt an Umfang und Tiefe,
-aber es verliert viel von seiner unmittelbaren Wirkung. Es gibt
-keinen Fortschritt der Entwicklung ohne Verlust. Der Knabe, der zum
-Jüngling heranwächst, gewinnt an Einsicht und Willenskraft, aber
-die Zutraulichkeit des Kindes, der glückliche unmittelbare Genuß
-der Gegenwart, der Zauber unberührter Reinheit muß schwinden. Der
-Mann ist dem Jüngling durch Reife des Urteils, durch Umsicht und
-Folgerichtigkeit überlegen. Doch das Feuer in Liebe und Haß ist
-verkühlt, die edle Leidenschaftlichkeit und Geradheit des echten
-Jünglings hat sich anpassen gelernt. Wer ein rechter Mann ist, will
-nicht wieder Jüngling oder Kind werden, aber er weiß, was er verloren
-hat, und sucht deshalb den Umgang mit Jüngeren. Aus demselben Grunde
-muß die Menschheit Geschichte treiben. Auch sie hat im Weiterschreiten
-viel Wertvolles unwiederbringlich verloren, so auch jene ursprüngliche
-Einheit von Leben und Denken. Als Ersatz für diesen Verlust soll uns
-die Versenkung in das Altertum dienen, nicht etwa dazu, uns an dem zu
-weiden, was die Alten nicht konnten, und uns zu brüsten, wie wir es so
-herrlich weit gebracht.
-
-
-[Leben]
-
-Platon war Dichter und Lehrer; das wahre Leben des Dichters liegt in
-seinen Werken, das des Lehrers in seinem Unterricht -- die Bedeutung
-der äußeren Lebensverhältnisse tritt zurück. Ich will Ihnen davon
-nur mitteilen, was für das Verständnis seiner Lehre wichtig ist.
-Platon wurde als Sohn einer Aristokratenfamilie Athens -- wir wissen
-nicht genau, ob 428 oder 427 -- geboren. Seine Kindheit fällt also
-in die Zeit des Peloponnesischen Krieges; die eigentliche Blütezeit
-Athens kannte er nur durch Erzählungen und Überlieferungen. Der Kampf
-gegen Sparta, der Hader der Parteien im Innern, das waren seine
-Jugendeindrücke. Die nächsten Verwandten Platons waren Gegner der
-bestehenden Demokratie, zum Teil der Verbindung mit dem Landesfeinde
-verdächtig. Auch Kritias, der Führer der nach dem Frieden von Sparta
-eingesetzten Regierung, gehörte zu seiner Familie. Seiner Herkunft
-gemäß strebte der hochbegabte Jüngling nach politischer Wirksamkeit.
-Aber die bedenklichen Mittel, deren die Parteien sich bedienten,
-stießen ihn ab. Die aristokratische Gesinnung seiner Verwandten teilte
-er, die Ungerechtigkeit jedoch, mit der Kritias seine Gegner verfolgte,
-widerstrebte ihm aufs tiefste. Seine dichterische Begabung trieb ihn
-dazu, Tragödien zu schreiben; aber er vernichtete diese Versuche, als
-er zwanzigjährig von Sokrates gewonnen wurde. Dies Ereignis entschied
-über sein Leben. Sehr oft ist für einen Menschen etwas wesentlich, was
-von außen ganz unscheinbar aussieht; ein Buch, ein Gespräch können
-unserm Leben eine neue Wendung geben. So bedeutete es z. B. für Platons
-Entwicklung weniger, daß die Stadt den Feinden zum Opfer fiel und daß
-nahe Verwandte von ihm wegen einer Verschwörung hingerichtet wurden
--- seinen Beruf fand er, als er den wunderlichen Menschen, der sich
-auf den Gassen herumtrieb, kennenlernte, als Sokrates ihn unter die
-Zahl seiner Freunde aufnahm. Er lebte mit ihm acht Jahre lang, bis zu
-Sokrates' Tode.
-
-Durch den gewaltigen Eindruck dieses Ereignisses wurde Platon von der
-Teilnahme am politischen Leben Athens vollends abgeschreckt. Was sollte
-er noch von einer Stadt hoffen, die ihren edelsten Bürger zum Tode
-verurteilte? Der Verteidigung und dem Ruhm des Sokrates widmete er
-seine ersten Schriften. Dann begab er sich auf eine große Reise nach
-Ägypten, Cyrene, Sizilien, Unteritalien. Dort in den blühenden Städten
-Großgriechenlands lernte er die mathematische Wissenschaft genauer
-kennen, die in der Philosophenschule der Pythagoreer eifrig gepflegt
-wurde.
-
-Nach seiner Rückkehr begann er seine Lehrtätigkeit, aber nicht mehr wie
-Sokrates auf dem Markte, sondern anfangs im Gymnasium des Akademos,
-später in einem nahe dabei gelegenen Garten, den er kaufte. Ein
-Gymnasium war eine Anstalt, in der Knaben und Jünglinge nackt turnten
-und rangen; es diente aber vielfach zugleich als Versammlungsort für
-andere Zwecke, auch die Sophisten und Sokrates hatten oft in Gymnasien
-gelehrt. Platons Schule in seinem Garten beim Gymnasium des Akademos
-ist für uns das Urbild einer Vereinigung zu wissenschaftlichen Zwecken.
-Daher ist der Name Akademie zur allgemeinen Bezeichnung geworden,
-ähnlich wie der Name Cäsar im Kaisertitel fortlebt.
-
-Das stille, der Forschung und Lehre gewidmete Leben des Philosophen
-wurde durch zwei neue Reisen nach Sizilien unterbrochen. Platon
-unternahm sie, weil er bei dem Tyrannen Dionys von Syrakus, dem
-Herrscher der mächtigsten Stadt Siziliens, mit Hilfe seines Verwandten
-_Dion_, der Platons Schüler und Freund geworden war, seine politischen
-Gedanken zu verwirklichen hoffte. Er erlebte beide Male eine schwere
-Enttäuschung und verzichtete seitdem auf jede unmittelbare politische
-Wirksamkeit. Bis zuletzt wissenschaftlich tätig, starb er achtzigjährig
-im Jahre 348 oder 347.
-
-Bei Sokrates darf man eigentlich nicht von einer Lehre reden, wenn
-man unter diesem Worte einen bestimmten Zusammenhang von Wahrheiten
-versteht. Vielmehr handelt es sich bei ihm um eine Grundüberzeugung,
-die in seinem Leben und in seinen Gesprächen Ausdruck findet. Auch
-Platons Schriften sind keine Lehrbücher, wohl aber Untersuchungen in
-Gesprächsform; sie streben danach, ein zusammenhängendes Ganzes der
-Erkenntnis aufzubauen. Dieses Verhältnis muß man berücksichtigen, wenn
-man Platons Fortbildung sokratischer Gedanken verstehen will.
-
-Sokrates ist überzeugt, daß es eine Wahrheit gibt und zeigt den
-Sophisten, daß sie selbst Wahrheiten voraussetzen. Platon _beweist_
-diesen Satz streng. Gäbe es keine Wahrheit, so wäre ja auch der Satz,
-es gibt keine Wahrheit, unwahr. Nun behauptet aber der Gegner diesen
-Satz. Er behauptet also gleichzeitig, daß es keine Wahrheit gibt und
-daß der Satz, es gibt keine Wahrheit, wahr sei. Damit aber bejaht
-und verneint er dasselbe in demselben Satze, seine Voraussetzung ist
-widerspruchsvoll.
-
-
-[Wahrheit]
-
-Es entsteht nun aber sofort die weitere Frage, wie findet man die
-Wahrheit? Auf diese Frage hatte schon Sokrates geantwortet, daß das
-Denken allein Sicherheit gewährt. Platon vertieft und begründet diese
-Ansicht, indem er die Lehre des Protagoras von der Sinnesempfindung
-hinzuzieht. Protagoras hatte gezeigt, daß verschiedene Menschen
-dasselbe Ding verschieden sehen. Auch zu verschiedenen Zeiten wirkt
-eine Farbe, ein Ton, ein Geschmack sehr verschieden auf denselben
-Menschen. Daraus hatte er geschlossen, daß es keine für alle und zu
-allen Zeiten gültige Wahrheit gebe. Platon stimmt der _Voraussetzung_
-durchaus zu, bestreitet jedoch die _Folgerung_. Er schließt vielmehr:
-Da es _Wahrheit gibt_, und da sie in der _Sinnesempfindung nicht
-liegt_, so muß sie auf anderem Wege gefunden werden. Wir können, um
-seine Antwort zu verstehen, von der Sinneswahrnehmung selbst ausgehen.
-Wohl sieht man einen Tisch sehr verschieden je nach der Stellung des
-Kopfes zum Tisch, wohl wirkt die Farbe der Tischplatte in veränderter
-Umgebung ganz anders, trotzdem aber bezweifeln wir nicht, daß wir es
-in allen Fällen mit demselben Tische zu tun haben. Niemand zögert, den
-Tisch als ein Ding, das sich gleichbleibt, anzuerkennen, auch wenn er
-dem Auge verschiedene Bilder bietet. Können wir nun aber eigentlich
-sagen, daß wir dieses Ding, den Tisch, _sehen_? Doch wohl nicht. Wir
-sehen strenggenommen nur wechselnde Farben und Umrisse, fassen sie
-aber als einem gleichbleibenden Gegenstande zugehörige auf. Wenn wir
-weiter irgendwelche wahre Sätze von diesem Gegenstand aussagen, etwa:
-Dies ist ein Tisch, dieser Tisch ist viereckig, braun, größer als jener
-andere Tisch, so überschreiten wir noch viel deutlicher den bloßen
-Inhalt unserer Sinnesempfindung. Wir vergleichen in jedem dieser Sätze
-den Tisch mit anderen Gegenständen; denn sogar wenn wir ihn einfach
-braun nennen, erhält diese Farbenbezeichnung ihren Sinn nur durch
-Vergleichung mit anderen Farben. Die Bezeichnung viereckig beruht auf
-einer Zählung und zählen ist sicher etwas ganz anderes als Sehen oder
-Hören. Also: schon in den wahren Sätzen, die sich auf ein einzelnes
-eben vor uns stehendes Ding beziehen, liegt viel mehr vor als bloße
-Empfindung. Die Fähigkeit aber zu solchen Tätigkeiten, wie Vergleichen,
-Zählen, zur Einheit eines Dinges Zusammenfassen, nennen wir Verstand
-und können demnach sagen: schon was aus der schwankenden Empfindung ein
-Erkennen macht, ist der Verstand. Wollen wir weiter den Unterschied
-bestimmen, der zwischen den Empfindungen und den Erzeugnissen des
-Verstandes besteht, so sehen wir leicht, daß jede Empfindung (Farbe,
-Ton, Geruch) ein einzelnes Erlebnis ist, das entsteht und vergeht,
-während die durch den Verstand gewonnenen Bestimmungen, wie braun,
-viereckig, auf viele Empfindungen anwendbar, d. h. allgemein sind. Der
-Verstand geht also auf das Allgemeine oder, um nun die dem Philosophen
-geläufigen Worte einzuführen, er sucht aus den einzelnen Erlebnissen
-den _allgemeinen Begriff_ zu gewinnen. Im gewöhnlichen Leben begnügt
-sich aber der Mensch, wenn er Worte wie Tisch gebraucht, mit einer
-sehr unbestimmten allgemeinen Vorstellung. Es ist daher die erste
-Aufgabe des wissenschaftlichen Denkens, diese unbestimmte Vorstellung
-klar und durchsichtig zu machen. Es gibt mannigfaltige Tische: runde
-und viereckige -- auf einem, auf vier Beinen stehende, an der Wand
-befestigte Tische -- Schreibtische, Ladentische, Eßtische usw. Was ist
-das ihnen allen Gemeinsame, das uns veranlaßt, hier doch überall das
-Wort Tisch zu gebrauchen? Zunächst ist alles, was wir im eigentlichen
-Sinne des Wortes Tisch nennen, ein von Menschen zu bestimmten Zwecken
-benutzter Gegenstand. Durch die Art seines Zweckes unterscheidet er
-sich von anderen Gebrauchsgegenständen. Wir können dann sagen: ein
-Tisch ist ein Gegenstand, der von Menschen zu dem Zwecke verfertigt
-ist oder benutzt wird, anderen Dingen während des Gebrauchs, auch vor
-oder nach dem Gebrauch, zur Unterlage zu dienen. Diese Erklärung gibt
-das allen Tischen Gemeinsame, den Begriff des Tisches. Diesen Begriff,
-aus dem wir erschließen, ob etwas ein Tisch ist, ob ein gegebener
-Tisch seinen Zweck gut oder schlecht erfüllt, _sehen_ wir nicht, wir
-_erzeugen_ ihn vielmehr in unserm _Denken_. Auch der Schreiner könnte
-keinen Tisch herstellen, wenn der Begriff des Tisches nicht in seinem
-Geiste läge. So kam Platon dazu, den _Begriff, nicht aber die sinnlich
-erfaßbaren einzelnen Dinge_, die wir als Exemplare (Beispiele) des
-Begriffs bezeichnen, _für das eigentlich Erkennbare zu halten_. Er war
-ferner überzeugt, daß unser Erkennen das wahre Wesen der Dinge, die
-höhere Wirklichkeit hinter den wechselnden sinnlichen Bildern erfasse.
-Darum sind die Ideen -- wie er die im Begriffe erfaßten Wesenheiten
-nennt -- das eigentlich Wirkliche, während die sinnlich wahrnehmbaren
-Dinge nur ein _Widerschein_ dieses Wirklichen sind. Da so nach
-Platons Überzeugung alles von den Ideen abhängt, bezeichnet man seine
-Philosophie als Ideenlehre.
-
-
-[Ideenlehre]
-
-Ich habe soeben versucht, Sie auf einem Wege, der für jeden gangbar
-ist, zu einem gewissen Verständnis der Ideenlehre zu führen. Indessen,
-dieser Weg eröffnet uns zwar einige Aussicht auf diese Lehre, führt
-aber nicht eigentlich in ihr Inneres hinein. Platon selbst hat die
-Mathematik, insbesondere die Geometrie für die wahre Vorschule der
-Philosophie erklärt. »Kein der Geometrie Unkundiger trete ein«, soll
-über dem Tor der Akademie gestanden haben. Ich muß für die unter meinen
-Hörern, welche wenigstens die Grundlagen der Mathematik kennen, die
-vorige Betrachtung im folgenden durch eine andere ergänzen.
-
-Was an der Mathematik die Philosophen immer wieder mit fast magischer
-Gewalt anzieht, ist die Sicherheit ihrer Ergebnisse. Bei geometrischen
-Sätzen gibt es unter Kennern der Geometrie keinen Streit über wahr oder
-falsch. Wenn einmal bewiesen ist, daß die Winkelsumme des Dreiecks
-zwei Rechte beträgt, so steht das ein für allemal fest; wir wissen
-von vornherein, daß kein einzelnes Dreieck jemals unsere Erwartungen
-über seine Winkelsumme täuschen wird. Es ist ferner möglich, sobald
-einmal gewisse Grundsätze über Linien und Flächen anerkannt sind, eine
-Fülle räumlicher Gebilde wissenschaftlich zu beherrschen und eine
-Menge von Eigenschaften dieser Gebilde abzuleiten. Platon lebte in
-der Zeit, in der die uns vertrautesten geometrischen Sätze entdeckt
-wurden. Die Sicherheit dieser jungen Wissenschaft mußte gerade im
-Gegensatz zu dem zersetzenden Zweifel der Sophisten den tiefsten
-Eindruck auf ihn machen. Fragt man sich nun, wodurch ein geometrischer
-Satz sich von einer Aussage über wirkliche Dinge, z. B. »Hunde sind
-wachsam«, unterscheidet, so erkennt man, daß es die Geometrie gar
-nicht mit einzelnen Dreiecken oder Kreisen zu tun hat, sondern daß
-die gezeichnete Figur nur ein Hilfsmittel ist, sich die allgemeinen
-Eigenschaften des Kreises oder Dreiecks besser vorzustellen. Sage
-ich dagegen, Hunde sind wachsam, so denke ich an Phylax oder Nero;
-bei diesen und anderen habe ich mit der Hundenatur die Wachsamkeit
-verbunden angetroffen, ich vermute, daß diese Verbindung die Regel
-sein wird. Aber _ein_ schläfriger Köter genügt, um die Allgemeinheit
-dieses Satzes anzufechten. Woran nun liegt es, daß wir in der Geometrie
-solchen Gefahren nicht ausgesetzt sind? Der Grund dieses Vorzugs
-besteht offenbar darin, daß wir hier der besonderen Erfahrungen
-nicht bedürfen, sondern daß, wenn einmal der Begriff eines Dreiecks
-wirklich erfaßt ist, aus unserem Geiste allein heraus die notwendigen
-Eigenschaften des Dreiecks sich finden lassen. Platon hat dafür in
-einem seiner Gespräche eine klassische Darstellung gegeben. Er bringt
-durch geschickt gestellte Fragen einen der Geometrie unkundigen Sklaven
-dahin, aus sich selbst heraus einen geometrischen Satz zu finden.
-Daraus schließt er dann weiter, daß also die geometrischen Begriffe
-schlummernden Erinnerungen gleich im Geiste jenes Sklaven wie jedes
-Menschen liegen und nur geweckt zu werden brauchen. Des Sokrates
-Hebammenkunst bekommt so eine tiefere Begründung: sie erweckt die
-schlafenden Begriffe in unserem Geiste. Was die Geometrie mit den
-Figuren tut, eben das will Platon mit allen Begriffen und besonders mit
-den für uns wichtigsten, wie Tugend, Staat, Seele, tun: er will ihnen
-ihre ursprüngliche, gleichsam entschlafene Klarheit wiedergeben.
-
-Wenn so die Ideen in unserem Geiste schlummern, wenn die ihnen
-entstammenden Erkenntnisse alle Erfahrungssätze an Sicherheit so weit
-überbieten, wie sind sie dann in unseren Geist gekommen? Hierauf
-gibt Platon eine seltsam scheinende Antwort. Er sagt, wir haben in
-einem früheren Leben, als die Seele noch nicht durch Verbindung mit
-dem Körper herabgezogen war, die Ideen selbst _geschaut_. Die dunkle
-Erinnerung an dieses vergangene Sehen befähigt uns allein dazu, aus den
-schwankenden, wechselnden Wahrnehmungen die gewöhnlichen Erkenntnisse
-zu gewinnen; so unsicher diese Meinungen sind, nicht einmal sie wären
-ohne jene Erinnerung möglich. Alle _wissenschaftliche_ Erkenntnis aber
-besteht in einem _bewußten Wiedererwecken_ jener Erinnerungen.
-
-
-[Idee und Welt]
-
-Die letzten Sätze zeigen bereits, daß Platon zu Untersuchungen
-geführt wird, die Sokrates abgelehnt hätte. Wenn die Seele vor ihrer
-Vereinigung mit dem Körper die Ideen selbst, unvermischt mit den
-Wahrnehmungen der Sinnesorgane, geschaut hat, so müssen diese Ideen
-also einerseits ein _gesondertes_ Dasein haben, anderseits aber
-doch auch in den einzelnen wahrnehmbaren Dingen irgendwie _wirksam_
-sein. Infolge dieser doppelten Stellung der Ideen lassen sich die
-Fragen nach der Natur der körperlichen Dinge nicht mehr abweisen.
-Sokrates, der immer nur auf den einzelnen Fall seine Grundüberzeugung
-angewendet hatte, konnte sie vernachlässigen; Platon, der einer in sich
-zusammenhängenden Erkenntnis zustrebte, durfte es nicht mehr. Auch er
-will vor allem die Bestimmung des Menschen in der Welt erkennen, aber
-diese Frage schließt für ihn doch die andere in sich ein: was ist die
-Welt? Platons Antwort, daß sie ein getrübtes Abbild jener vorbildlichen
-Welt reiner Ideen ist, bereitet viele Schwierigkeiten, die der Denker
-selbst erkannt hat. Wie steht denn der allgemeine Begriff des Menschen,
-die Idee »Mensch«, zu Peter und Paul und den andren einzelnen Menschen?
-Platon hat diese Frage bald in streng begrifflichen Ausführungen,
-bald in Bildern mythologischer Art zu lösen gesucht. Aber alle diese
-Darstellungen, so bewundernswert sie uns seinen reichen und ringenden
-Geist offenbaren, geben neue Rätsel auf. Noch heute herrscht Streit
-über Platons eigentliche Meinung. Da zudem in diesen Ausführungen, so
-wichtig sie für manche späteren Denker geworden sind, doch nicht der
-ewige Wert von Platons Philosophie liegt, darf ich sie hier übergehen.
-Was für uns an Platons Lehre wichtig ist, können wir auch ohne Eingehen
-auf diese Schwierigkeiten verstehen.
-
-Wir finden diesen für uns wesentlichen Kern, wenn wir uns unserer
-Grundfrage erinnern: Was soll ich in dieser Welt? Um Platons Antwort
-darauf zu verstehen, haben wir nur noch nötig, _einen_ Punkt dem
-bisher Gesagten hinzuzufügen. Wir wissen: Das wahrhaft Erkennbare und
-das wahrhaft Seiende sind die vom Verstande erfaßten Begriffe oder
-Ideen. Sie sind es aber auch, die den einzelnen, sinnlich erlebbaren
-Gegenständen ihren Wert und ihre Bedeutung verleihen. Ein Pferd
-ist gut, wenn es alle Eigenschaften, die zum Begriff des Pferdes
-gehören, wie Schnelligkeit, Lenksamkeit, Stärke, in vollkommener
-Weise besitzt. Es gibt nun viele Ideen, wie es viele Arten von
-Dingen und Eigenschaften gibt. Es gibt Ideen des Pferdes und des
-Hundes, aber auch des Tieres; des Mannes und der Frau, aber auch des
-Menschen. Augenscheinlich sind einzelne dieser Ideen untereinander
-ähnlich und anderen untergeordnet. Der Begriff des Mannes ist dem der
-Frau ähnlicher als dem des Pferdes; Mann wie Frau stehen unter dem
-allgemeineren Begriffe des Menschen; Mensch und Pferd stehen unter
-dem Begriff des lebendigen Wesens. Da alle Ideen einen einheitlichen,
-vernunftbeherrschten Zusammenhang bilden sollen, muß es eine oberste
-Idee geben. Diese oberste Idee nun, unter der alle anderen stehen, ist
-für Platon die Idee des Guten. Der Denker selbst bezeichnete diese
-Einsicht als die am schwersten zu erringende. Wie er dazu kam, werden
-Sie vielleicht begreifen, wenn sie sich erinnern, daß alles Gute in den
-einzelnen Dingen von den Ideen kommt, daß ferner die Sicherheit unseres
-Erkennens und damit die Güte unsres Handelns auf der Wiedererweckung
-der Ideen in unserm Geiste beruht.
-
-Ist die oberste Idee die des Guten, so fällt für Platon auch die
-Gottheit mit dieser obersten Idee zusammen. Denn die Ideen sind es
-ja, die göttergleich dauern und in ewigem Sein unsere wechselnde
-Welt bestimmen. Die Einheit von Macht und Güte, die reine Idee der
-Gottheit ist so errungen. Aus diesem Gedanken folgt, daß auch in der
-Welt der Körper alles gemäß der Idee des Guten, d. h. dem Zwecke
-des Guten entsprechend geordnet ist. Platon begründet eine Art der
-Naturerklärung, die aus einer zweckmäßigen Ordnung alles einzelne
-abzuleiten sucht. Die Sterne z. B. bewegen sich in kreisförmigen
-Bahnen, weil die gleichartige und in sich zurücklaufende Kreisbewegung
-die vollkommenste Art der Bewegung ist. Wie Sie wissen, geht die
-moderne Wissenschaft ganz anders vor. Sie hat gefunden, daß die Sterne
-sich nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen bewegen, und sie sucht
-nun nicht etwa zu beweisen, daß die Ellipse vollkommener ist als der
-Kreis, sondern sie weiß gar nichts von »vollkommener« Bewegung, sie
-fragt nur, welches die Ursachen dieser Bewegung sind, und findet diese
-Ursachen in der gegenseitigen Anziehung und in der Lage der Sterne
-zueinander. Diesen Gegensatz einer Erklärung aus Ursachen (kausal) und
-einer Erklärung aus Zwecken (teleologisch) hat Platon sich durchaus
-deutlich gemacht. In dem Gespräche Phädon, das wir schon kennen, läßt
-er den Sokrates etwa folgendes ausführen: Wenn man meint, durch Angabe
-der Ursachen die Natur erklärt zu haben, so komme ihm das vor, als wenn
-man sage, Sokrates sei im Gefängnis, weil seine Muskeln und Sehnen
-sich soundso bewegt hätten und weil sie jetzt so gestellt seien, daß
-er nicht weggehe. Und doch haben ihn nicht die Muskeln und Sehnen
-verhindert zu fliehen, als die Möglichkeit dazu gegeben war. Er ist
-vielmehr geblieben, um, wie er es für recht hielt, den Gesetzen der
-Vaterstadt zu gehorchen.
-
-
-[Naturauffassung. Liebe]
-
-Für die Naturerklärung ist Platons Weg ungangbar, weil wir als
-beschränkte Menschen die Zwecke des Weltganzen sicherlich nicht
-erkennen können. Wir werden im nächsten Vortrage sehen, daß hier nur
-die entgegengesetzte Methode zur Erkenntnis führt. Aber gerade das
-Beispiel, das ich eben aus dem Phädon anführte, wird Ihnen gezeigt
-haben, daß unser Handeln nur recht gewürdigt und geleitet werden kann,
-wenn wir es von seinen Zielen aus beurteilen. Klug handelt, wer die
-Mittel zu seinen Zwecken richtig wählt, weise, wer sich die wahrhaft
-richtigen Zwecke stellt. Um Ihnen nun zu zeigen, wie Platon seine Lehre
-auf unser Leben anwandte, kann ich an zwei Verbindungen anknüpfen, in
-denen Sie Platons Namen wahrscheinlich oft gehört und gebraucht haben,
-an die platonische Liebe und den platonischen Staat. Freilich sind die
-landläufigen Vorstellungen von diesen beiden bekanntesten platonischen
-Lehren gründlich verkehrt.
-
-_Platonische Liebe_, so meint man wohl, sei eine Liebe, die nicht auf
-den Besitz des Geliebten geht, die ihren Gegenstand nur von ferne
-schwärmerisch verehrt. Aber wenn zwischen sinnlicher und platonischer
-Liebe wirklich nur dieser Unterschied bestände, wenn Platon also eine
-Liebe gepriesen hätte, die weder die Kraft hat, sich das Geliebte
-zu erringen, noch den Mut, endgültig zu verzichten, so wäre die
-platonische Liebe ein Trost für schwache Süßlinge, wert des Spottes
-lebenskräftiger Frohnaturen. In Wahrheit ist nicht der Verzicht
-auf sinnlichen Besitz, sondern der Zusammenhang mit der Ideenlehre
-wesentlich für den Begriff der platonischen Liebe. Wir haben gesehen,
-daß alles Wertvolle, Schöne und Gute in den Dingen von ihrem Anteil
-an den Ideen herkommt. Wie jeder, der mit offenem und künstlerischem
-Auge in die Welt schaut, liebte und bewunderte Platon kraftvolle und
-schöngebildete jugendliche Gestalten. Er rechtfertigte sein Gefühl vor
-sich selbst durch die Lehre, daß in der Schönheit des Leibes sich die
-ewige Idee des Menschen dem irdischen Auge offenbart. Seiner Idee nach
-ist der Mensch ein vernunftbeherrschtes Wesen; und wir dürfen, wenn
-wir Platons Lehre von der Liebe verstehen wollen, nicht vergessen,
-daß für den Griechen ein schöner Körper sich in erster Linie durch
-gleichmäßige Ausbildung aller Muskeln auszeichnet. Einem solchen
-Körper sieht man es an, daß er leicht und frei der Absicht des Willens
-gehorcht; daher kommt in dem schönen Körper des Griechen die Herrschaft
-des vernünftigen Geistes über die Glieder des Leibes zum Ausdruck.
-Es ist ein Zeichen niederer Sinnesart, wenn manche Orientalen an den
-Frauen die tote Masse des fetten Körpers lieben. Echte Liebe sucht,
-selbst wenn sie sich dessen nicht voll bewußt ist, im geliebten Wesen
-das wahrhaft Wertvolle. Daraus folgt, daß ihr der sinnliche Besitz
-nicht das Höchste sein kann; aber die bloße Enthaltung vom sinnlichen
-Besitze macht für sich genommen den Wert einer Liebe keineswegs aus,
-sondern darin zeigt sich die echte Liebe, daß man in sich selbst wie
-im Geliebten ein Höheres zu erzeugen sucht. Platonische Liebe sieht
-also im Geliebten die Vollkommenheit angelegt und strebt für sich
-selbst und für das geliebte Wesen nach der Herrschaft und Durchsetzung
-dieser Vollkommenheit. Da aber alle einzelnen Dinge und Menschen ihre
-Vollkommenheit doch nur aus den Ideen haben, so geht die wahre Liebe
-von den Körpern zu den Seelen und von den Seelen zu den Ideen. Der
-Philosoph liebt die Wahrheit mit demselben Feuer, mit dem der Liebende
-seine Geliebte liebt; in dem Streben nach Wissen, das für Platon wie
-für Sokrates alles beherrscht, steckt eine leidenschaftliche Liebe.
-
-In jeder Liebe hoher Art lieben wir, selbst wenn wir uns dessen
-nicht bewußt sind, die Idee, die Gottheit. Dadurch sind für Platon
-die innigsten menschlichen Verhältnisse an die großen Gedanken
-seiner Philosophie angeknüpft. Noch enger fast ist Platons Lehre vom
-_Staate_ mit der Ideenlehre verbunden. Die Vernunft, die im einzelnen
-Menschen herrschen soll, hat auch den Staat zu regieren. Hier wie
-dort sollen die niederen Triebe in strengem Gehorsam gehalten werden.
-Die eben angedeutete Vergleichung des einzelnen Menschen und des
-Staates hat Platon überall durchgeführt. Der Staat ist ihm nicht eine
-bloße Vergesellschaftung der Menschen zum Zwecke der Sicherheit und
-Wohlfahrt, sondern ein in sich wertvolles vergrößertes Abbild des
-Menschen. Wie der einzelne die Aufgabe hat, die Idee der Menschheit in
-sich darzustellen, so soll das in größerer und vollkommnerer Weise der
-Staat tun. Platon erbaut sich in Gedanken ein Staatswesen, das diesen
-Anforderungen genügt. Nicht aus der Wirklichkeit nimmt er das Vorbild
-für diesen Staat; ja er weiß, daß ein Staat ganz so, wie er sich ihn
-denkt, nie existieren wird. Aber auch der Kreis des Mathematikers ist
-in der Körperwelt nie völlig genau vorhanden und bleibt trotzdem das
-Vorbild jedes Kreises, den wir zeichnen. So soll der ideale Staat
-Platons ein Vorbild sein, dem sich die Wirklichkeit möglichst zu nähern
-hat. Da nun der Staat der Mensch im großen ist, so entsprechen seine
-Teile, die Berufsstände der Bürger, den Teilen der menschlichen Seele.
-Wir müssen daher, um Platons Staatsideal zu verstehen, einen Blick auf
-seine Seelenlehre werfen.
-
-
-[Staat. Seelenlehre]
-
-Da die Seele sich im irdischen Leben der einst geschauten Ideen
-erinnert, hat sie vor ihrer Vereinigung mit dem Körper schon
-existiert. Sie wird ebenso den Körper überdauern. Noch in anderer
-Weise leitet Platon die Unsterblichkeit der Seele aus der Ideenlehre
-ab. Unsere Seele ist fähig, die reinen Begriffe oder Ideen zu erfassen.
-Diese Begriffe aber werden und vergehen nicht, sondern sind aus dem
-Flusse des zeitlichen Geschehens gleichsam herausgehoben. Man kann
-sich das wieder an einem geometrischen Begriffe wie dem des Kreises
-klar machen. Begrifflich, für die Beweisführung des Mathematikers,
-ist der Kreis, den der große alexandrinische Mathematiker Euklid sich
-dachte, und der Kreis, an dem heute ein Schullehrer seinen Schülern die
-geometrischen Sätze beweist, genau derselbe; es kommt für die Geometrie
-gar nicht in Betracht, daß jener erste Kreis vor mehr als 2000 Jahren
-gedacht wurde, daß die Zeichnungen, die Euklid davon machte, längst
-verschwunden sind. Ein Wesen aber, das Zeitloses, Ewiges zu erfassen
-vermag, muß selbst an der Ewigkeit teilhaben, kann nicht in die engen
-Grenzen eines Menschenlebens eingeschlossen sein. Es liegt in diesem
-Beweise der richtige Gedanke, daß wir durch Teilnahme an dem ewig
-Wahren uns gleichsam über das zeitliche Leben emporheben. Aber ein
-zeitliches Fortleben jenseits des Todes läßt sich weder auf diesem
-noch auf einem der andern von Platon versuchten Wege wissenschaftlich
-beweisen. Platon wollte hier zur _Sache des Wissens_ machen, was immer
-_Sache des Glaubens_ bleiben muß.
-
-In diesen Unsterblichkeitsbeweisen ist die Seele so völlig aus der
-körperlichen Natur herausgehoben worden, daß eine besondere Vermittlung
-zwischen den beiden Gegensätzen nötig wird. Platon findet sie in der
-Lehre von den Seelenteilen. Wie die Ideen selbst außer ihrem reinen
-und abgesonderten Dasein doch auch in der Körperwelt wirksam sind,
-so beherrscht unsere Seele zugleich einen besonderen Körper, eben
-unseren menschlichen Leib. Der Teil der Seele, der die Ideen schaut,
-ist die Vernunft. Sie herrscht über den Leib mit Hilfe der wollenden
-Seelenteile; aber den Willen bestürmen zugleich die körperlichen
-Begierden. Wenn wir unsere Gelüste nicht beherrschen, werden wir
-von ihnen unterjocht. Darum unterscheidet Platon zwei Willens- oder
-Triebkräfte, eine höhere, den Mut, wie er sie nennt, durch den die
-Vernunft wirkt, und dem auch jene edlere Liebe angehört, und eine
-niedere, die Begierde. Auch die _sinnlichen Begierden_ gehören zum
-Menschen, wie wir ja ohne Essen und Trinken unser Leben nicht erhalten
-können; aber sie _sollen nicht herrschen, sondern dienen_. _Gebieten_
-soll die _Vernunft_, ihre Gebote _durchsetzen_ soll der _Mut_.
-
-
-[Staat]
-
-Diesen drei Teilen der Seele entsprechen die Teile des »Menschen im
-großen«, d. h. die Stände des Staates. Regieren soll auch hier der
-vernünftige Teil; so rechtfertigt sich Platons bekannter und zuweilen
-belachter Ausspruch, nicht eher werde es im Staate besser werden, als
-bis die Könige philosophieren oder die Philosophen Könige sind. Unter
-einem Philosophen versteht Platon hier nämlich nicht einen einsamen, in
-sein Studierzimmer eingeschlossenen Grübler, sondern einen Mann, der
-außer der Erziehung durch das praktische Leben auch noch die höchste
-wissenschaftliche Ausbildung empfangen hat und darum befähigt ist,
-die Wissenschaft ebensowohl zu fördern wie auf den Staat anzuwenden.
-Der zweite Stand, der dem Mute entspricht, ist der Kriegerstand, der
-im Innern die von den Herrschern befohlene Ordnung aufrecht erhält
-und gegen äußere Feinde den Staat beschirmt. Auch die herrschenden
-Weisen haben zum Kriegerstand gehört, ehe sie in ihre höhere Stellung
-aufrückten. Damit die beiden herrschenden Stände sich ganz ihren
-Aufgaben widmen können, ist von ihnen jede Sorge um den täglichen
-Unterhalt, jede Begierde nach Reichtum fernzuhalten. Sie werden
-daher aus Staatsmitteln ernährt und dürfen weder Privateigentum noch
-Familie haben. Der dritte Stand ist der erwerbende, er entspricht der
-Begierde und hat im rechten Staate zu gehorchen. Bei der Behandlung
-des Nährstandes zeigt sich in Platons Ausführungen eine Schwäche, die
-er mit allen Griechen teilt. Dem sklavenhaltenden Griechen war die
-Erwerbsarbeit etwas, das im Grunde eines freien Mannes nicht würdig
-schien. Wir sind hier längst über das Griechentum hinausgeschritten und
-sehen in jeder recht getanen Arbeit eine Verwirklichung des Besten im
-Menschen. Diese Schwäche macht sich auch sonst in Platons Staatsideal
-geltend. Man hat wegen der von ihm geforderten Eigentumslosigkeit
-der höheren Stände in Platon oft einen der Urväter des Sozialismus
-gesehen -- kaum mit Recht. Denn Platon hat wenigstens in seinem
-»Staat« an das Privateigentum der Erwerbsstände nicht gerührt.[4]
-In für uns auffallender Weise werden alle wirtschaftlichen Fragen
-vernachlässigt. Nicht im Interesse gerechter Güterverteilung, sondern
-nur, damit sie ganz ihrem Amte leben können, wird den Kriegern und
-Weisen das zu ihrem einfachen abgehärteten gemeinsamen Leben Nötige
-aus öffentlichen Mitteln zugeteilt. Das Herrschen ist nach Platon kein
-Genuß, kein Mittel, den Herrschern Vorteile zu verschaffen, sondern
-ein im Dienste des Ganzen geübtes Amt, dem sich die dazu Tüchtigen
-sowenig entziehen dürfen, wie etwa die Vernunft des einzelnen Menschen
-es unterlassen darf, sein tägliches Leben nach ihren Einsichten zu
-regeln. Aus denselben Gründen wie das Privateigentum ist für die
-höheren Stände auch die Familie abzuschaffen; in ihnen gibt es nur
-einzelne gleichberechtigte Männer und Frauen, deren Verbindungen von
-den Herrschern im Interesse eines tüchtigen Nachwuchses geregelt
-werden. Während Platon in der Unterschätzung der Erwerbsarbeit
-griechischen Vorurteilen folgte, trat er in der Bewertung der Frau der
-in seinem Volke herrschenden Meinung entgegen. Er forderte völlige
-Gleichstellung beider Geschlechter. Zu Kriegern und Herrschern werden
-Frauen wie Männer gemacht. Die Kinder dieser höheren Stände erhalten
-gemeinsame Erziehung und kennen ihre Eltern nicht. Nur die unter diesen
-Kindern, die ihrer Abkunft Ehre machen, bleiben im Stande der Eltern,
-die übrigen werden in den dritten Stand herabgesetzt. Ebenso werden
-unter den Kindern der Gewerbsleute die tauglichen in die höheren Stände
-emporgehoben.
-
-Vieles einzelne in Platons Staatsideal ist überwunden, anderes,
-wie die Forderung wissenschaftlicher Bildung für die Regierenden,
-ist wenigstens teilweise Wirklichkeit geworden; manches, wie die
-Zugänglichkeit der höchsten Stellen für alle Tüchtigen und die Auswahl
-der Regierenden allein nach der Tüchtigkeit, ist auch heute noch Ziel
-unseres Strebens. Aber weit wichtiger als alle diese Einzelheiten
-ist der Geist, der in Platons Staatslehre waltet. Alle Einrichtungen
-beherrscht die Vernunft, jeder Mensch dient den großen Zielen des
-Ganzen. Auf diese Ziele ist der Sinn gerichtet und von ihnen aus werden
-die Mittel gewürdigt. In unserer Zeit haben sich die Mittel des Lebens
-unendlich vervollkommnet. Bewundernswertes ist für die Bequemlichkeit
-und Gesundheit des äußeren Lebens geschehen, und diese Fortschritte
-werden wachsenden Teilen des Volkes zugänglich. Wir sollen diese
-technischen Errungenschaften nicht unterschätzen. Aber auch wenn wir
-mit immer größerer Schnelligkeit reisen, und wenn unsere Worte durch
-Telephon und drahtlose Telegraphie den Raum überwinden, die Hauptsache
-bleibt stets, zu welchen Zwecken wir reisen und was wir reden. Gerade
-die großen Fortschritte der Technik lassen viele vergessen, daß alle
-diese Erleichterungen der Ernährung und des Verkehrs nur Mittel
-sind, und daß es auf die Zwecke ankommt, zu denen wir diese Mittel
-gebrauchen. Das Nachdenken über diese Zwecke heißt Philosophie. Den
-Wert dieses Nachdenkens hat niemand mit größerer Kraft hervorgehoben
-als Platon. In der Mahnung, über die Ziele des Lebens nachzudenken,
-gipfele Ihre Erinnerung an ihn.
-
-[Illustration: Platon
-
-Nach einer Marmorbüste in Rom]
-
-
-
-
-Dritter Vortrag.
-
-Descartes.
-
-
-[Geschichtliche Stellung]
-
-Nicht Geschichte der Philosophie will ich Ihnen in diesen Stunden
-vortragen, sondern meine Absicht ist, daß Sie die philosophischen
-Grundgedanken gleichsam mit entdecken, im Geiste großer Denker
-miterleben. Unter diesem Gesichtspunkte habe ich Philosophen gewählt,
-die recht ursprünglich aus sich heraus die Fragen neu stellen und
-lösen. Es gibt unter den großen Philosophen auch Geister anderer
-Art, solche, die eine ungeheure Menge von Wissensstoff in ein
-einheitliches System zu formen unternehmen. Ihre Aufgabe ist die
-höchste; denn der Geist des Menschen strebt zuletzt danach, die ganze
-Mannigfaltigkeit der Dinge und Erlebnisse als gegliederte Einheit
-zu überschauen. Platons großer Schüler _Aristoteles_ leistete das
-für seine Zeit und wurde dadurch während des ganzen Mittelalters der
-eigentliche Lehrer Europas. Als großer Vollender, Zusammenfassender,
-Abschließender hat er das griechische Denken den Völkern des
-Morgen- und des Abendlandes vermittelt. Aber gerade jene Fülle der
-Materialien und der Gesichtspunkte, die seiner Wirkung einst günstig
-war, erschwert uns heute die Annäherung. Der Stoff des Wissens, den
-Aristoteles beherrschte und verarbeitete, ist veraltet. Wir wissen
-vieles besser, und vor allem der Umfang unserer Kenntnisse ist weit
-größer. Wir sind nicht etwa klüger als Aristoteles, aber wir haben
-das Glück, die Vorarbeiten vieler Geschlechter für uns benutzen zu
-können und sind dadurch an Erfahrungen reicher. So vieles wir noch von
-Aristoteles lernen können, über seinen Schriften liegt der Staub der
-Geschichte. Wir müssen uns, um Systemen, wie Aristoteles und seine
-mittelalterlichen Schüler sie schufen, gerecht zu werden, in den Geist
-ferner Zeiten zurückversetzen. Sie werden bei Sokrates und Platon
-selten eine derartige Schranke gefühlt haben. Die Fragen, die diese
-Männer zum ersten Male mit voller Klarheit stellten, quälen noch heute
-unklar jeden, der nachzudenken beginnt; ihre Antworten zeigen auch uns
-noch den Weg der Lösung. Wir verkehren mit ihnen über die Jahrtausende
-hinweg gleichsam unmittelbar. Ein ähnliches Gefühl der Verwandtschaft
-ergreift uns erst wieder den Führern der beginnenden Neuzeit gegenüber.
-Von dem größten unter ihnen, von _René Descartes_, will ich heute reden.
-
-René Descartes (die lateinische Namensform ~Renatus Cartesius~ hat
-der Philosoph selbst nicht gebraucht) wurde 1596 als jüngerer Sohn
-eines französischen Edelmannes geboren. Er wurde, sobald seine zarte
-Gesundheit es erlaubte, sorgfältig und vielseitig unterrichtet. Den
-wichtigsten Teil seiner geistigen Ausbildung erhielt er in der damals
-neu gegründeten Jesuitenschule von La Flèche; er war ein Musterschüler
-dieser Musteranstalt. Descartes selbst hat später den Eindruck des
-dort erhaltenen Unterrichtes auf ihn geschildert. Wir werden seine
-Darstellung verstehen, wenn wir uns die Eigentümlichkeiten jenes
-Zeitalters rasch vor Augen führen.
-
-In _einer_ Beziehung erinnert der Beginn der Neuzeit an die Periode des
-Sokrates und Platon. Beide Male geriet eine religiöse Überlieferung
-und eine eng damit verbundene Art der Lebensführung ins Schwanken.
-In solchen Zeiten besinnen sich denkende Männer auf die Grundlagen,
-auf denen man gebaut hatte. Aber weiter reicht die Ähnlichkeit beider
-Zeiten auch nicht. Die Überlieferung des Mittelalters war selbst
-etwas ganz anderes als die griechische Religion und der griechische
-Staat. Das Römerreich hatte die Völker der damals bekannten Welt fast
-alle in seine _Einheit_ verflochten; das Christentum setzte für den
-größten Teil dieser Völker eine _innere_ Einheit an die Stelle jener
-äußeren politischen Verbindung. Wir können darum das Mittelalter als
-eine Zeit der Einheit bezeichnen; politisch fühlte sich trotz aller
-Kriege die Christenheit als ein Ganzes, außerhalb ihrer standen
-die Feinde, die Muselmanen; weiter reichte der Gesichtskreis kaum.
-Geistig wurde das ganze Leben von der Kirche beherrscht. Wie aber
-jene politische Einheit der christlichen Welt im Vergleich zu den
-kleinen griechischen Staaten einen ungeheuren Umfang hatte und im
-Gegensatze zu der unmittelbaren Wirksamkeit jener Staaten mehr als
-ideale Forderung denn als wirkliche Macht bestand, so war auch die
-Einheit des geistigen Lebens weit komplizierter und barg viel größere
-Gegensätze in ihrem Schoße. Der Kultus der Götter, in dem die Religion
-der Griechen wesentlich bestand, war eine Staatsangelegenheit und wurde
-mit dem Schwerte gegen Feinde, aber eigentlich nicht mit Gründen gegen
-Andersgläubige oder Ungläubige verteidigt. Glaubenssätze, über die sich
-streiten ließ, enthielt diese Religion in der vorphilosophischen Zeit
-kaum. Im Mittelalter war das anders. Der christliche Glaube mußte sich
-von Anfang an gegen philosophisch gebildete Angreifer verteidigen.
-Innerhalb der Christenheit selbst entstanden verschiedene Richtungen;
-und gegen Absonderungen der Ketzer konnte man sich nur durch strenge
-Aufrechterhaltung bestimmter Glaubenssätze oder Dogmen schützen. Viele
-unter diesen Dogmen -- ich erinnere an die Dreieinigkeit, an die
-Gottheit Christi -- waren schwer zu erfassen und bedurften zu ihrer
-Auslegung und Verteidigung großen Scharfsinns. Es wurde also viel
-und zusammenhängend nachgedacht, es galt, aus den Lehren der Kirche,
-den Überlieferungen der biblischen Bücher, den Anforderungen der
-fortschreitenden Zeit eine Einheit zu bilden. Man bedurfte gelehrter
-Denker. Der Übung ihres Scharfsinns diente auch ein lebhafter Betrieb
-der weltlichen Wissenschaft, die fast ganz mit der Philosophie
-zusammenfiel und deren Pflege wesentlich in geistlichen Händen lag.
-Theologie und Philosophie unterlagen ähnlichen Bindungen. Wie die
-Theologie an der Bibel, so hatte die Philosophie besonders im späteren
-Mittelalter an den Schriften des Aristoteles eine Autorität. Über diese
-Schriften wurde nachgedacht, und über ihre Auslegung stritt man sich.
-Alle Studien, selbst die medizinischen, waren wesentlich Bücherstudien.
-
-
-[Zeitalter]
-
-Am Beginn des 17. Jahrhunderts, in der Jugendzeit des Descartes,
-war etwa seit hundert Jahren diese alte Einheit erschüttert, ohne
-daß doch ihre Herrschaft schon vorbei gewesen wäre. Die Neuzeit
-beginnt auf geistigem Gebiete überall damit, daß man nicht mehr wie
-bisher unter Voraussetzung des traditionellen Systems von Lehren und
-Büchern um seine Ausbildung und Auslegung streitet, sondern daß die
-Voraussetzungen der geltenden Lehre selbst angegriffen werden. Das
-erweiterte Bild der äußeren Welt sprengte den alten Rahmen. Schon die
-geographischen Entdeckungen hatten den Gesichtskreis ausgedehnt; viel
-stärker aber noch wirkte die neue Astronomie. Bis zum 16. Jahrhundert
-hatten die meisten Denker mit Aristoteles geglaubt, daß die Erde im
-Mittelpunkt der Welt stehe und Sonne, Mond und Sterne sich um sie
-drehen. _Kopernikus_ ließ die Erde sich als Planeten um die Sonne
-bewegen und _Giordano Bruno_ faßte das ganze Sonnensystem als _eine_
-Welt unter unzähligen anderen auf; auch die Fixsterne sind nach seiner
-Lehre Sonnen, deren Planeten wir nur nicht erblicken können. Diese
-Sätze, die heute Schulknaben nachreden, ohne daß sie ihnen Eindruck
-machen, waren um sechzehnhundert noch aufregende, von allen Kirchen
-verdammte Kühnheiten, für die Bruno selbst zum Märtyrer wurde. Nur das
-Umstrittene bewegt die Geister. Mit der alten Einheit der äußeren Welt
-gleichzeitig war auch die Einheit der Kirche durch die Reformation
-vernichtet worden. An Stelle des einen Aristoteles ferner war infolge
-der erweiterten Kenntnis des Altertums eine Menge einander bekämpfender
-alter Philosophen getreten. Alle diese Neuerungen bewirkten -- zumal
-in Italien, dem geistig führenden Lande der Übergangszeit -- eine
-große Gärung. Der einzelne Mensch, nicht mehr gehalten durch die
-Bande der Überlieferung, fühlte sich als freies, selbstherrliches
-Individuum. Aber der Fülle neuer Anregungen fehlte zunächst noch die
-verbindende Einheit und die Sicherheit streng wissenschaftlichen
-Denkens. Der frei gewordene Geist ergriff, was ihm verwandt war, was
-seine Sehnsucht zu befriedigen versprach, mit ungestümem Eifer. Darum
-blühen in jenen Zeiten des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit die
-Scheinwissenschaften der Astrologie, Magie, Alchimie. Langsam ringt
-sich aus diesem Chaos die echte Wissenschaft empor -- ihre Anfänge
-liegen in der Mathematik, der Astronomie und der philologischen
-Behandlung der alten Schriftsteller.
-
-Von diesen Neuerungen drang vieles auch in den Unterricht der
-Jesuitenschule ein. Denn die Jesuiten wollten nicht weltfremde
-Mönche, sondern treue Diener der Kirche in der Welt heranbilden.
-Sie mußten ihren Zöglingen daher von der neuen Weisheit so viel
-mitteilen, wie man in der Welt brauchte. So stand in ihrem Unterrichte
-die gründliche Kenntnis der alten Sprachen und Schriftsteller und,
-wenigstens in La Flèche, auch der Mathematik neben der Kirchenlehre
-und der ihr entsprechenden Philosophie. Den meisten Zöglingen war
-dieses Nebeneinander unverträglicher Gegenstände ganz recht, wie
-ja immer in den Seelen der Mehrzahl Widersprechendes sich sehr gut
-verträgt. Aber es ist ein Kennzeichen philosophischer Geister, daß
-sie ein Nebeneinander unverbundener, ja widerstrebender Teile nicht
-ertragen können. Darum befriedigte Descartes der Unterricht nicht. Von
-Anfang an suchte er einheitliches und sicheres Wissen und begann früh
-alle Zweige des Unterrichts daraufhin zu prüfen, ob sie beweisbare
-Wahrheiten enthielten. Er mußte also an dem, was man ihn lehrte, Kritik
-üben, verfuhr aber dabei nicht etwa als junger Umstürzler, der, weil
-seine Erwartungen nicht befriedigt wurden, sich gegen alle Vorteile
-des empfangenen Unterrichtes verstockte. Vielmehr wußte er ganz wohl,
-daß er viel Nützliches gelernt hatte, daß die alten Sprachen seinen
-Stil gebildet, die griechischen und römischen Schriftsteller seinen
-Geist bereichert hatten. Auch für die religiöse Unterweisung war er
-empfänglich, fühlte sich sein Leben lang als Christ und suchte stets
-mit der katholischen Kirche im Einvernehmen zu bleiben. Aber der Preis
-der geistig Armen, der auch in den bildungsstolzen Schulen nicht ganz
-verstummen durfte, ließ den Nutzen gelehrter Theologie zweifelhaft
-erscheinen, zumal der Streit um die rechte Auslegung der Lehre endlos
-fortging. Nirgends zeigte sich die Sicherheit der Ergebnisse, die
-Descartes leidenschaftlich begehrte. Nur in der Mathematik fand er
-dieses Streben befriedigt. Aber hier handelte es sich um Gegenstände,
-die ihn im Grunde kalt ließen; für Zahlen und Figuren als solche
-interessierte sich der junge Descartes wenig, so sehr ihn auch die
-strenge Form der mathematischen Methode anzog.
-
-Unbefriedigt von der Schulweisheit, dabei als Sohn eines wohlhabenden
-Edelmannes unabhängig, beschloß Descartes, statt der Bücher die Welt
-zu studieren. Da er sich einen Beruf wählen sollte, entschied er
-sich, einem Wunsche seines Vaters folgend, dafür, Soldat zu werden.
-Beim Verlassen der Schule 1612 war er indessen noch zu jung und zu
-schwächlich, um Kriegsdienste zu nehmen. Er stählte daher zunächst
-seinen Körper durch geeignete Übungen und begab sich dann zur
-gesellschaftlichen Ausbildung nach Paris.
-
-
-[Jugend. Kriegszüge]
-
-Aber schon hier zeigte es sich, daß dem jungen Manne die Versenkung in
-sich selbst und das stille Studium im Grunde angemessener war als das
-rauschende Treiben der Welt. Verkehr mit Mathematikern gab ihm neue
-Anregung, ihre Wissenschaft fesselte ihn jetzt so sehr, daß er zwei
-Jahre hindurch zurückgezogen mathematischen Studien lebte.
-
-Im Jahre 1617 war er kräftig genug zum Kriegsdienste; er blieb nun 5
-Jahre lang bis 1622 Soldat. Aber dieser junge französische Edelmann
-trat nicht, wie man vermuten möchte, ins französische Heer ein, sondern
-ging zu dem protestantischen Moritz von Oranien, der damals allerdings
-mit Frankreich verbündet war. Als später in Deutschland der große Krieg
-begann, schloß er sich dem Heere Tillys, des Feldherrn der katholischen
-Liga, an. Man sieht, daß weder religiöse noch politische Interessen
-ihn bei der Wahl der Fahne leiteten, der er folgte. Auch militärischer
-Ehrgeiz lag ihm fern. Er blieb stets Volontär und benutzte die
-Kriegszüge lediglich als Mittel, die Welt zu sehen.
-
-Zwischen der kriegerischen Laufbahn eines Sokrates und der eines
-Descartes besteht also der entschiedenste Gegensatz. Sokrates erfüllte
-als Krieger seine Bürgerpflicht und ging völlig im Dienste seiner
-Vaterstadt auf. Descartes machte die Kämpfe, die das Geschick der
-europäischen Menschheit bestimmten, nur deshalb eine Weile mit, weil
-sie ihm Gelegenheit zur Ausbildung seiner Persönlichkeit gaben. Nicht
-nur zwei Männer, zwei Zeiten und zwei Lebensauffassungen stehen hier
-einander gegenüber. Descartes selbst spricht von seinen Kriegszügen
-wie von Reisen; durch Reisen, so sagt er, lernt man die Sitten
-verschiedener Völker kennen und befreit sich von dem Vorurteil, daß man
-nur nach der in der Heimat gewohnten Weise leben könne.
-
-Aber das Lesen im eigenen Innern war für Descartes auch in dieser Zeit
-wichtiger noch als das Lesen im Buche der Welt. Mehr als von Kampf
-und Sieg, mehr auch als von der Durchquerung Mitteleuropas bis nach
-Ungarn hin, spricht er von den inneren Erlebnissen in der Stille der
-Winterquartiere. Hier nahm er im innigsten Zusammenhang mit seinen
-philosophischen Überlegungen auch das Studium der Mathematik wieder
-auf. An Kennern dieser Wissenschaft fehlte es in den Heeren jener Zeit
-nicht, da man mathematischer Berechnungen besonders bei Belagerungen
-bedurfte.
-
-Wir müssen uns klar zu machen suchen, warum Descartes von der
-Mathematik für die Philosophie so viel erhoffte. Sie war für ihn
-zunächst, ähnlich wie für Platon, ein Vorbild sicher begründeter
-Erkenntnis. Die Möglichkeit, durch strenge Überlegungen ohne die
-unsichere Hilfe der Erfahrung neue fruchtbare Wahrheiten zu
-finden, hoffte er auf die Philosophie übertragen zu können; aber zu
-dieser formalen Bedeutung der Mathematik trat die Fülle ihrer neuen
-naturwissenschaftlichen Anwendungen, die eben damals die Denkenden
-fesselten.
-
-
-[Mathematik und Naturwissenschaft]
-
-Diese neue mathematische Naturwissenschaft bewirkte zugleich
-einen vollkommenen Umschwung in der Auffassung der Körperwelt.
-Platon, Aristoteles und die Denker des Mittelalters hatten alle
-Naturerscheinungen durch zweckmäßig wirkende Kräfte erklären wollen.
-Als die beginnende Neuzeit sich mit frischer Liebe der Erforschung der
-äußeren Natur zuwandte, folgte man meist diesen Lehren, ja man überbot
-sie, geleitet durch das Gefühl einer innigen Verwandtschaft zwischen
-Mensch und Natur. Uns Deutschen ist diese Stimmung der Renaissancezeit
-durch Fausts Monologe vertraut. Man glaubte, vermöge einer genialen
-Ahnung die Geheimnisse der Natur erraten zu können, weil man sich mit
-ihr eins fühlte. Alle Kräfte dachte man sich lebendig und geistig.
-Indessen, so anziehend diese poetische Betrachtungsweise ist, für die
-Erklärung, Beherrschung, Vorhersage der Naturerscheinungen leistet
-sie nichts. Wir legen uns die Zwecke der Natur doch immer nur nach
-unsern Wünschen zurecht und bleiben bei allgemeinen Sätzen stehen, aus
-denen sich nichts einzelnes folgern läßt. Nur die Ursachen, nicht die
-Zwecke der Erscheinungen vermögen wir zu erforschen und auch diese
-beherrschen wir nur, soweit wir sie durch Maß und Zahl zu bestimmen
-vermögen. Die Astronomen wurden sich zuerst dessen bewußt. In der
-Zeit der Renaissance herrschte die Überzeugung, daß die regelmäßigen
-Bewegungen der Sterne von vollkommeneren Geistern herrühren, die bei
-der alles umfassenden Gemeinschaft der Seelen auch auf die menschlichen
-Geschicke Einfluß haben. Allgemein verbreitet war daher der Glaube an
-die Astrologie. Auch _Kepler_, der die Gesetze der Planetenbewegung
-entdeckte, war noch von diesen Gedanken ausgegangen, lernte aber
-mehr und mehr ihre Unfruchtbarkeit begreifen, widmete sich der
-sorgfältigsten messenden Beobachtung der Himmelserscheinungen und
-forderte von den vermuteten Ursachen der Sternbewegungen zahlenmäßige
-Bestimmbarkeit. Alle Führer der neuen Zeit, so verschieden auch
-sonst ihre Ansichten sein mochten, waren einig in der Abweisung der
-Aristotelischen Naturphilosophie und in der Forderung einer die
-Ursachen aufsuchenden, von der Mathematik geleiteten Naturforschung.
-Diese neue Richtung der Forschung mußte aber die ganze Auffassung
-der Körperwelt umwandeln. Durch Zahl und Maß bestimmbar sind nicht
-die unmittelbar sinnlich wahrgenommenen Eigenschaften. Die Töne, so
-wie wir sie hören, können wir nur in eine nach der Höhe aufsteigende
-Reihe ordnen, können ihre harmonischen und melodischen Verhältnisse,
-ihre Gefühlswirkungen beschreiben, aber wir vermögen nicht die Töne
-und Klänge, so wie sie gegeben sind, durch ein Gesetz zu beherrschen.
-Will der Physiker die ihrer Entstehung zugrunde liegenden Gesetze näher
-erforschen, so faßt er sie als Wellenbewegungen der Luft auf. Diese
-sind nach Wellenlänge, Wellenhöhe und Geschwindigkeit vollständig
-meßbar und durch geometrische Figuren darstellbar; man kann daher
-sogar vorausberechnen, was beim Zusammentreffen verschiedener solcher
-Bewegungen erfolgt, und gewinnt an Stelle weniger, unbestimmter Sätze
-eine große in sich zusammenhängende Wissenschaft. Wie hier, so führt
-der Naturforscher überall die wahrnehmbaren Verschiedenheiten der
-Qualitäten auf Bewegungen der Körper im Raume zurück, weil er diese
-allein mit Hilfe der Mathematik beherrschen kann. Die Wissenschaft von
-den Bewegungen der Körper im Raume unter der Einwirkung bewegender
-Kräfte heißt Mechanik, daher nennt man diese Auffassung der Körperwelt
-mechanistisch.
-
-Man muß die Philosophie des Descartes durchaus im Zusammenhange
-mit dieser großen geistigen Bewegung, zu deren ersten Förderern er
-gehörte, betrachten, um sie zu verstehen. In der Einsamkeit jener
-Winterquartiere legte sich der junge, zur Selbständigkeit gereifte
-Denker die Frage vor: wie kann ich ein mathematisch sicheres Wissen von
-der Wirklichkeit, vor allem aber von den letzten Ursachen alles Daseins
-und von mir selbst erlangen? Lange rang er mit sich, um den Weg zur
-Wahrheit zu finden; endlich im schwäbischen Winterquartier zu Neustadt
-1619 erkannte er, daß es darauf ankommt, auch hier so sichere Obersätze
-und Voraussetzungen zu gewinnen, wie die Mathematik sie besitzt. Das
-aber ist nur möglich, wenn wir alle Meinungen, die wir ohne Beweis
-für richtig zu halten pflegen, vorläufig bezweifeln und nur das
-festhalten, was dem entschiedensten Zweifel gegenüber standhielt. Auf
-diesem Wege gelangte Descartes zu einer festen Überzeugung und zu einer
-sicheren Methode, die ihm auch mathematische und naturwissenschaftliche
-Entdeckungen ermöglichte.
-
-Als er dann 1622 den Kriegsdienst aufgab und nach einer Reise durch
-Italien wieder in Paris Aufenthalt nahm, machte sich im Kreise der
-Gelehrten seine Überlegenheit geltend. Dadurch erwarb sich Descartes
-Ruhm und Ansehen, noch ehe er irgendeine Schrift veröffentlicht
-hatte. Man drängte ihn dazu, mit seinen Gedanken hervorzutreten, aber
-er konnte die zur Ausarbeitung nötige Ruhe in Paris nicht finden
-und begab sich daher 1629 nach Holland. Hier lebte er zwanzig Jahre
-hindurch ganz der Ausbildung seiner Gedanken. Um nicht durch Verkehr
-gestört zu werden, wechselte er vierundzwanzigmal seinen Aufenthalt.
-Nur zwei Freunde in Paris kannten seine Adresse und vermittelten
-seine Geldangelegenheiten und seinen wissenschaftlichen Briefwechsel.
-Er schildert gelegentlich in einem Briefe, wie er inmitten der
-volkreichen Stadt Amsterdam, ohne die Bequemlichkeiten der Zivilisation
-zu entbehren, ganz als Einsiedler lebte. Er war dort, wie er sagt,
-vielleicht der einzige Mensch, der sich weder um Handelsgeschäfte
-noch um Politik bekümmerte. Lange Zeit scheute er davor zurück,
-seine Ruhe durch Veröffentlichungen zu gefährden. Seine Sorge erwies
-sich als berechtigt. Denn als er nun, um den Ruf seines Geistes zu
-rechtfertigen, endlich mit Schriften hervortrat, fehlte es weder an
-verfolgungssüchtigen Gegnern, noch an Mißdeutungen seiner Lehren durch
-unverständige Freunde. Seine Philosophie begann sich die Universitäten
-zu erobern und erregte bei den Anhängern der mittelalterlichen Lehren
-einen Haß, der sich sogar in Verboten und persönlichen Verfolgungen
-entlud. Dadurch wurden ihm die Niederlande verleidet, und er folgte
-bald einer Einladung der schwedischen Königin nach Stockholm. Dort
-regierte nämlich damals Christine, Gustav Adolfs jugendliche Tochter,
-deren lebhafter und beweglicher Geist durch die Vermittelung des
-französischen Gesandten an ihrem Hofe, eines Freundes des Philosophen,
-Interesse für die Philosophie des Descartes gewonnen hatte. Aber
-der Bruch mit liebgewordenen Gewohnheiten, der Zwang im Winter, in
-frühester Morgenstunde der Königin Vortrag zu halten, schädigte seine
-Gesundheit. Wohl infolge des Klimas erkrankte er und starb am 11.
-Februar 1650 in der Hauptstadt Schwedens. Er wurde dort beigesetzt; die
-Franzosen holten später die irdischen Reste ihres größten Philosophen
-nach Paris.
-
-
-[Späteres Leben. Zweifel]
-
-Bei Descartes dient nicht mehr das Denken dem Leben selbst wie bei
-Sokrates. Der Denker will auch nicht wie Platon eine Umbildung des
-Lebens bewirken; vielmehr ist umgekehrt das äußere Leben hier nur
-Mittel für das Denken. Descartes ist ein Mensch der Einsamkeit, eine
-Einzelperson, die sich möglichst von allen Beziehungen zu anderen
-loslöst. Alles Äußere benutzte er in seiner Jugend zur Erweiterung
-seines Wissens, später als Mittel, ruhig seinen Studien zu leben. So
-kühn er im Denken war, so weit entfernt war er von allen revolutionären
-oder auch nur reformatorischen Bestrebungen in der Wirklichkeit. »Ruhe,
-die mir über alles geht«, »vollkommene Geistesruhe, die ich suche«:
-das sind Worte, die Lebensart und Lebensziel des Descartes vollständig
-bezeichnen.
-
-Wir haben gesehen, daß für Descartes der Weg zum sicheren Wissen
-durch den _Zweifel_ führt. Mindestens einmal in seinem Leben muß der
-Denker, dem es um unumstößliche Erkenntnis zu tun ist, alle Meinungen
-von sich abstreifen, die überhaupt noch bezweifelt werden können.
-Was dieses Feuer aushält, ist echtes Gold. Gemäß der Geistesart des
-Descartes beschränkt sich dieses radikale Vorgehen durchaus auf die
-Welt der Gedanken. Descartes will keineswegs seine Lebensweise ändern,
-noch viel weniger natürlich die Lebensführung anderer beeinflussen.
-Der philosophischen Ruhe ist es am vorteilhaftesten, möglichst wenig
-aufzufallen, sich vielmehr auch den minder zweckmäßigen Sitten der
-Umgebung anzupassen. Nur in den eigenen Gedanken ist Descartes
-Revolutionär. Hier aber geht sein Zweifel wirklich radikal vor. Er
-fragt sich: was glaube ich zu wissen und welchen Grund habe ich für
-diesen Glauben?
-
-Nach diesem Grundsatz halte ich zunächst alle Meinungen, die mir
-überliefert sind, für zweifelhaft. Aber ich muß noch weiter gehen.
-Ich pflege für wirklich zu halten, was ich sehe, höre oder sonst mit
-meinen Sinnesorganen wahrnehme. Aber meine Sinne haben mich schon oft
-getäuscht. Ich habe zuweilen ein Spiegelbild für Wirklichkeit, einen
-Nebelstreif für einen Baum gehalten. Ich muß daher an der Wirklichkeit
-der wahrgenommenen Dinge zweifeln. Aber vielleicht darf ich wenigstens
-das für sicher halten, was mit dem Gefühl meiner eigenen gegenwärtigen
-Lage zusammenhängt. Ich finde mich selbst etwa im Wintermantel am
-Kamin sitzend und schreibend. Daran kann ich doch nicht zweifeln. Aber
-habe ich nicht schon oft geträumt und im Traume geglaubt, daß ich
-spazieren gehe, während ich in meinem Bette lag? So gut wie ich damals
-irrte, ist es auch möglich, daß das, was ich jetzt wachend zu erleben
-glaube, eine Art Traum ist. Aber auch, wenn ich annehme, daß alle meine
-scheinbar wachen Erlebnisse nur Träume sind, müssen doch die Bilder
-im Traume irgendwelche Vorbilder in der Wirklichkeit haben. Sogar der
-Maler, der Fabelwesen bildet, setzt diese aus Stücken der Wirklichkeit
-zusammen, verbindet etwa einen Pferdekörper mit dem Oberleib eines
-Menschen zu einem Zentauren. Müssen also nicht mindestens die einfachen
-Bestandteile aller unserer Erlebnisse wie Längenausdehnung oder Farbe
-einer Wirklichkeit entsprechen? Es widerstrebt dem natürlichen Gefühl,
-auch daran zu zweifeln. Aber unmöglich ist der Zweifel auch gegenüber
-der Wirklichkeit der einfachen Erfahrungsbestandteile nicht, und wir
-müssen ihn daher nach dem Grundsatz, den wir zur Richtschnur nahmen,
-auch hierauf ausdehnen. Es wäre doch denkbar, daß ein böser Dämon mir
-diese einfachsten Bestandteile meiner Traumbilder vorspiegelte, um mich
-zu täuschen. Ich kann also zweifeln, daß ich in Farbe, Ton, Gestalt,
-in Tastempfindungen, Gerüchen und Geschmäcken irgend etwas Wirkliches
-wahrnehme. Ich kann bezweifeln, daß überhaupt eine Körperwelt existiert
-und daß ich selbst einen Körper habe.
-
-Bleibt nun überhaupt noch etwas übrig, woran wir nicht zweifeln können?
-Wenn ich zweifle, _denke_ ich doch. _Im Zweifeln bewähre und fühle ich
-mich als Denkender._ Vom Zweifel bleibt unangetastet, was Voraussetzung
-auch des ausgedehntesten Zweifels ist, eben das _Denken_. So findet man
-mitten im Zweifel einen festen, unbezweifelbaren Punkt. Der griechische
-Mathematiker Archimedes rief einst, als er die Hebelgesetze gefunden
-hatte, aus: Man gebe mir einen festen Punkt außerhalb der Erde, auf
-dem ich stehen kann, und ich will die Erde bewegen. Mit diesem von
-Archimedes geforderten festen Punkt vergleicht Descartes seinen ersten
-sicheren Satz. Man kann diesen Satz verschieden ausdrücken: Ich bin
-indem ich denke; ich denke, also bin ich; mein Denken ist.
-
-
-[Der feste Punkt: Ich denke]
-
-Was aber ist nun dieses »Ich«, dessen ich mir im Denken bewußt bin?
-Gewöhnlich meint man, wenn man »ich« sagt, damit den eigenen Geist und
-Körper. Wir haben gesehen, daß die Wirklichkeit unseres Körpers nicht
-über jeden Zweifel erhaben ist. Auch unsre Leidenschaften, unser Haß
-und unsre Freude sind so innig mit den Vorstellungen von Körpern und
-den Sinnesempfindungen verbunden, daß sie mit diesen zugleich ein
-Raub des Zweifels werden. Nur meines Denkens bleibe ich mir in allem
-Zweifel gewiß. Selbst wenn alle diese meine Vorstellungen Träume sind,
-so stelle ich sie mir doch eben träumend vor, und Vorstellen ist eine
-Art des Denkens. Ja, wenn ein böser Dämon mir alles, was ich zu wissen
-meine, vortäuscht, so muß ich ein denkendes Wesen sein, damit seine
-Täuschung irgendeine Wirkung auf mich ausüben kann. Mein Denken bleibt
-also gefeit gegen allen Zweifel. Es hieße Descartes schlecht verstehen,
-wollte man ihm mit einem seiner zeitgenössischen Kritiker einwerfen:
-ebensogut wie ich folgere, ich denke, also bin ich, könnte ich statt
-des Denkens irgendeine andere Tätigkeit wählen und z. B. schließen,
-ich gehe spazieren, also bin ich. Ich kann ja auch träumen, daß ich
-spazieren gehe; und das einzige, was auch in diesem Falle gewiß bleibt,
-ist, daß ich mir mein Spazierengehen vorstelle, also denke. Wenn ich
-aber von Gedanken träume, so ist doch im Traume das Denken als solches
-wirklich da.
-
-Wie aber kommt man nun von hier aus zu weiteren sicheren Erkenntnissen?
-Indem ich zweifele, fühle ich nicht nur mein Denken, sondern auch
-meine Unvollkommenheit. Denn zweifeln kann ich nur, weil ich nach
-einem Zustand der Gewißheit strebe, der vollkommener ist als mein
-Zweifel. Dieses Bewußtsein eines Mangels bei mir selbst setzt voraus,
-daß ich die Vorstellung eines vollkommeneren Wesens, als ich selbst
-bin, in mir vorfinde. Denn als unvollkommen kann ich mich doch nur
-im Vergleich mit einer Vollkommenheit fühlen. In der Tat habe ich in
-mir die Vorstellung eines Wesens, das in jeder Weise vollkommen ist,
-einer absoluten Vollkommenheit, Gottes. Diese Vorstellung kann ich
-nicht selbst hervorgebracht haben; denn eine Wirkung kann nie größer
-sein als ihre Ursache. Da ich unvollkommen bin, kann ich also nicht
-Ursache einer mir überlegenen Vorstellung von Vollkommenheit sein. Aus
-demselben Grunde kann diese Vorstellung auch nicht von einem andern
-unvollkommenen Wesen in mich hineingelegt sein, sie kann also nur von
-dem allervollkommensten Wesen selbst, von Gott, stammen.
-
-Habe ich so die Sicherheit von Gottes Existenz gewonnen, so ist damit
-der am weitesten reichende Grund des Zweifels gehoben. Gott ist absolut
-vollkommen, also ist er gut; täuschen aber ist böse; Gott kann mich
-daher weder selbst täuschen noch zulassen, daß ein böser Dämon mich
-täusche. Dann aber ist alles wahr, was ich ebenso klar und deutlich
-wie mein eigenes Dasein als denkendes Wesen erkenne. Ganz im Sinne der
-neueren Naturwissenschaft rechnet Descartes die Sinnesempfindungen
-nicht zu dem klar Erkennbaren; denn den Unterschied von blau, rot und
-gelb kann ich mit meinem Denken nicht weiter durchdringen. Dagegen was
-der Zahl und dem Maße zugänglich ist, räumliche Bewegungen, wie sie
-die moderne Naturwissenschaft als die den Sinnesempfindungen zugrunde
-liegende Wirklichkeit ansieht, das ist klar erkennbar, also auch
-wirklich wahr.
-
-Descartes hat demnach drei Arten des wirklichen Seins gefunden.
-Zunächst unvollkommene denkende Wesen, wie ich selbst mich in meinem
-Denken und Zweifeln erfasse, dann das allervollkommenste Wesen, Gott,
-endlich die raumerfüllenden ausgedehnten beweglichen Körper. Ein Wesen,
-das für sich existiert, nennt man in der philosophischen Fachsprache
-_Substanz_. Im höchsten und eigentlichsten Sinne ist Gott allein
-Substanz, aber in einer erweiterten Bedeutung des Wortes kann man
-auch Körper und Seelen Substanzen nennen, weil sie nur der Gottheit
-bedürfen, um zu sein.
-
-
-[Gottesbeweis]
-
-Überblicken wir den Gedankengang, durch den Descartes zu den ersten
-Sätzen seiner Philosophie gelangt, so finden wir, daß der Größe und
-Sicherheit des Anfangs der Fortgang nicht entspricht. Das Ausgehen vom
-Allergewissesten, vom Unbezweifelbaren, die Auffindung dieser letzten
-Gewißheit in unsrem Denken selbst -- das ist dauernder Gewinn. An den
-Folgerungen aber, die er aus diesen Sätzen zieht, läßt sich berechtigte
-Kritik üben. Vor allem folgt aus der Selbstgewißheit meines Denkens
-nicht, daß ich eine Substanz, ein unveränderliches Etwas bin, dessen
-bloße Äußerung das Denken ist. Nur des Denkens bin ich mir im Zweifel
-gewiß, nicht eines denkenden Etwas, einer Denksubstanz. Ebenso kann
-die Tatsache, daß wir in uns die Vorstellung eines allervollkommensten
-Wesens finden, bezweifelt werden. Man könnte dagegen etwa einwenden:
-ich bilde mir nur ein, diese Vorstellung zu besitzen, in Wahrheit
-kann ich mir nur eine endliche mir zugängliche Einsicht, Macht und
-Güte vorstellen und damit den Nebengedanken verbinden, daß diese
-Eigenschaften in unendlich höherem Grade vorhanden sein sollen. Ist
-dies der Fall, so kann eine solche Steigerung sich aus der über jede
-Grenze hinausstrebenden Natur meines Denkens ebensoleicht erklären, wie
-sich die Möglichkeit erklärt, die Zahlenreihe beliebig auszudehnen und
-in Gedanken Billionen auf Billionen zu häufen. Ein berechtigter Kern
-steckt bei alledem auch im Gottesbeweis des Descartes. Richtig bleibt,
-daß ich mir im Denken und Zweifeln zugleich meines Denkens, seiner
-Aufgabe und seiner Unvollkommenheit bewußt bin. Denken heißt nach
-wahren Urteilen, genauer nach einem überall begründeten Zusammenhang
-wahrer Urteile streben. Unser Denken ist also eine Tätigkeit, der
-ein Ziel vorschwebt. Dieses Ziel läßt sich nur Schritt für Schritt
-erreichen. Jeder wahre Satz, den wir finden, stellt neue Aufgaben.
-Notwendig entsteht aus dieser Lage unsres Denkens das Gegenbild eines
-Geistes, der ohne die Mühen des Weges das Ziel der Wahrheit besitzt. So
-viel also dürfen wir auch bei strengster Prüfung Descartes zugeben, daß
-mit dem Bewußtsein unsres Denkens und seiner Unvollkommenheit sich als
-Ergänzung die Vorstellung eines vollkommenen, oder wie man auch sagen
-kann, göttlichen Geistes verbindet. Ob wir mit logischer Gewißheit
-aus dieser Vorstellung auf das wirkliche Sein der Gottheit schließen
-dürfen, erscheint fraglicher. Bedenken werden wir jedenfalls dagegen
-haben, irgend etwas Weiteres über die Gottheit auszusagen; denn da ihr
-Begriff im Grunde nur als ergänzender Gegensatz unsrer Unvollkommenheit
-gebildet ist, können wir uns nicht berechtigt fühlen, diese uns
-unzugängliche Vollkommenheit zu durchdringen. Solchen Überlegungen
-zufolge ist jedenfalls die Art unzulässig, in der Descartes nun weiter
-schließt, daß Gott in seiner Güte uns nicht täuschen könne. Gott könnte
-uns aus guten Gründen einen Teil der Wahrheit verschleiern oder eine
-Scheinwelt vortäuschen, so gut wie Eltern ihren Kindern manche Wahrheit
-vorenthalten und ihnen Märchen erzählen.
-
-
-[Seele und Körper]
-
-Die Art, in der Descartes die nähere Ausführung seiner Lehre von Gott,
-Seelen und Körpern an den Anfang seiner Philosophie anknüpft, ist
-also keineswegs einwandfrei. Trotzdem erlangten auch diese weiteren
-Lehren große Bedeutung; ja, sie haben in ihrer Zeit stärker gewirkt als
-die Anfänge seiner Philosophie, der Zweifel und die Selbstgewißheit
-des Denkens. Besonders wichtig war es, daß Descartes Körper und
-Seele einander so klar und schroff gegenüberstellte. Wir haben schon
-gesehen, daß die neue Naturwissenschaft alle körperlichen Vorgänge auf
-mathematisch berechenbare Bewegungen ausgedehnter Teile zurückzuführen
-sucht. Descartes gehörte zu den frühesten und folgerichtigsten
-Führern auf diesem Wege. Nicht nur die unbelebte Natur wurde so
-aufgefaßt, auch der tierische und menschliche Körper war für ihn
-eine bloße Maschine, deren Bewegungen, dem Getriebe im Räderwerk
-eines zusammengesetzten Automaten vergleichbar, durch Druck und Stoß
-benachbarter Teile erklärt werden müssen. Im Gegensatze zu dieser
-mechanisch gedachten Körperwelt geht die Vorstellung, die Descartes
-sich vom Geiste bildet, von der Selbstgewißheit des Denkens aus. Gerade
-das Denken aber zeigt einen unausgleichbaren Gegensatz gegen eine
-mechanisch gedachte Körperwelt. Dort ein Nebeneinander von Teilen,
-die einander drücken und stoßen -- hier eine vereinheitlichende,
-zusammenfassende Tätigkeit; dort jeder folgende Zustand durch den
-vorhergehenden bestimmt, alles aus Ursachen, nichts aus Zwecken
-erklärt -- hier eine zielbewußte Tätigkeit, die sich selbst ihre Bahn
-vorschreibt. Descartes erst hat den uns allen von der Schule her
-geläufigen, schroffen Gegensatz von Leib und Seele geschaffen. Solche
-Vorstellungen, wie sie etwa dem Verse Schillers zugrunde liegen:
-»_Spricht_ die Seele, so spricht, ach! schon die _Seele_ nicht mehr,«
-sind keineswegs selbstverständlich. Wer mit Platon und Aristoteles
-überall in der Körperwelt zweckmäßig wirkende seelenartige Kräfte
-sieht, für den ist es nicht wunderbar, daß _die_ Seele spricht. Aber
-er hat auch nicht den Körperbegriff, der unserer Naturwissenschaft
-zugrunde liegt und ihre Erfolge ermöglicht. Die ungeheure Hochschätzung
-der Seele durch das Christentum konnte für sich allein genommen noch
-nicht zu jener schroffen Entgegensetzung gegen den Körper führen. Das
-Christentum ist Religion, nicht Wissenschaft; und am allerfernsten lag
-nicht allein Christus und seinen Jüngern, sondern auch den Schöpfern
-des Dogmas, den Kirchenvätern, eine wissenschaftliche Erforschung
-der Körperwelt. Die christliche Hochschätzung der Seele hat nicht
-gehindert, daß man sich vielfach auch das Fortleben der Seele noch
-an einen Körper gebunden dachte, nur an einen feineren, zarteren,
-als der irdische. Ist alles in der Körperwelt durch seelenartige
-Kräfte belebt, so kann man in der Tat leicht zu der Annahme kommen,
-daß unser Geist beim Verlassen dieses Körpers sich mit einem,
-vielleicht unsichtbaren, anderen Leibe umgibt. Und doch, ohne die
-durch Platon vorbereitete, durch das Christentum zum Siege gelangte
-Hochschätzung der Seele wäre jene schroffe Gegenüberstellung von Seele
-und Körper undenkbar. Es hatte schon in Griechenland Philosophen
-gegeben, die alle körperlichen Erscheinungen durch Druck und Stoß
-allein zu erklären suchten. Aber sie waren auf die Eigenart des
-Seelischen noch gar nicht aufmerksam geworden. _Bei Descartes trifft
-die Auffassung des Körpers, die wir die mechanistische nennen, mit
-einer höchst geläuterten Vorstellung des Seelischen zusammen._ In
-seiner Philosophie erst entwickelt sich jener Gegensatz von Seele
-und Körper, von dem wir, als wäre er selbstverständlich, auszugehen
-pflegen. Weit verbreitet sind gerade in der Gegenwart die Bemühungen,
-diesen Gegensatz wieder zu überbrücken, und bisweilen begegnet man
-der Meinung, daß die schroffe Entgegensetzung nur eine Verirrung
-des Denkens gewesen sei. Diese letzte Meinung hat sicher unrecht.
-Auch wenn man die Gegensätze wieder vereinen will, muß man sie zuvor
-scharf geschieden haben. Klarheit, sei es selbst im Irrtum, ist der
-Verworrenheit stets vorzuziehen. Unter diesem Gesichtspunkte muß man
-auch die Folgerichtigkeit bewundern, mit der Descartes die Seelen der
-Tiere geleugnet hat. Der tierische wie der menschliche Körper war
-ihm eine bloße Maschine, und jene Selbstgewißheit des Denkens, die
-uns die feste Überzeugung von unserm eigenen Geiste verschafft, kann
-wohl in andern Menschen, nicht aber in Tieren vorausgesetzt werden.
-Unzweifelhaft ist diese Lehre von der Seelenlosigkeit der Tiere falsch;
-aber es gehörte mehr dazu, einen solchen Irrtum zu begehen, als ihn zu
-widerlegen. Auch daß die sinnlichen Eigenschaften der Körper, Farbe,
-Ton usf. bloße »verworrene Vorstellungen«, »bloßer Schein« seien, wird
-sich nicht aufrecht erhalten lassen. Wir können eine Farbe sehr klar
-in ihrer Eigenart und in ihren Ähnlichkeitsbeziehungen zu anderen
-Farben erfassen; und wenn wir unvermögend sind, die Farben, Töne usf.
-mathematisch zu beherrschen, so vermögen wir umgekehrt auch nicht zu
-sagen, warum dieser so klingende Ton gerade einer Luftbewegung von
-dieser Wellenlänge entspricht. Auch hier liegen neue Probleme, die erst
-eine spätere Zeit sah, die aber nur gesehen werden konnten, nachdem
-Descartes und seine Zeitgenossen die mechanistische Körperauffassung
-wirklich durchgeführt hatten.
-
-Descartes' Größe liegt also einerseits darin, daß er den notwendigen
-Anfangspunkt alles philosophischen Forschens, die Selbstgewißheit des
-Denkens, entdeckte, anderseits darin, daß er die Begriffe von Gott,
-von der Seele und vom Körper im Zusammenhang mit der entstehenden
-Wissenschaft der Neuzeit klar entwickelte.
-
-[Illustration: Descartes
-
-Nach dem Original von Hals]
-
-
-
-
-Vierter Vortrag.
-
-Spinoza.
-
-
-[Der Schüler des Descartes]
-
-Schon einmal hatten wir das Verhältnis von Lehrer und Schüler zu
-betrachten. Platon war Schüler des Sokrates, das bedeutet: Sokrates
-hat ihn durch seine Persönlichkeit für die Philosophie gewonnen, die
-Freundschaft des Sokrates war das entscheidende Ereignis in Platons
-Leben; darum ist Sokrates die Hauptfigur in Platons dichterischen
-Werken. Spinoza war Schüler des Descartes; doch müssen wir hinzufügen:
-er hat ihn niemals gesehen, noch weniger einen persönlichen Einfluß von
-ihm erfahren, nur seine Bücher hat er studiert und aus ihnen gelernt.
-Die Verschiedenheit zweier Zeitalter tritt hier zutage: nicht mehr auf
-dem Markt, nicht einmal mehr notwendig im unmittelbaren Verkehr durch
-Rede und Antwort, nein, im stillen Zimmer beim Lesen des gedruckten
-Buches wird jetzt der Fortschritt gewonnen.
-
-Spinoza fühlte sich den Schriften des Descartes stets zu Dank
-verpflichtet, aber während Platon seine selbständigen Gedanken dem
-Sokrates in den Mund legte, betonte Spinoza die Eigenart seiner Lehre
-auch seinem wichtigsten Lehrer gegenüber. Wir müssen daher fragen, an
-welche Seite jener Philosophie seine Umbildung anknüpft. Wir haben nun
-bereits erkannt, daß in der Philosophie des Descartes zwei Gruppen von
-Gedanken liegen, deren Verbindung miteinander nicht so überzeugend
-durchgeführt ist, wie der Philosoph selbst meinte. An jeden dieser
-beiden Bestandteile konnte man anknüpfen.
-
-1. Man hätte die Bemühungen um Sicherheit der Erkenntnis fortsetzen
-können. Descartes hatte diese Frage als Hauptproblem der Philosophie
-gestellt und in der Selbstgewißheit des Denkens den sicheren
-Ausgangspunkt für alle weiteren Schritte gefunden. Aber er hat es
-unterlassen, nun für jede Art des Erkennens die Grundlagen aufzusuchen;
-denn er glaubte direkt aus jenem »archimedischen Punkte« genügend
-sichere Einsicht zu gewinnen. Sieht man ein, daß dies voreilig ist,
-so muß man genauer untersuchen, wie sicheres Erkennen möglich ist und
-wie weit es reicht. Diesen Weg schlugen die unmittelbaren Nachfolger
-des Descartes auf dem Festlande nicht ein. Englische Denker, besonders
-Locke, knüpften an seine Anfänge an, mit vollem Bewußtsein aber nahm
-erst Kant die begonnene Arbeit auf.
-
-2. Descartes hatte aus seinen Voraussetzungen geschlossen, daß
-das klar und deutlich Erkannte auch wirklich sein müsse. Klar und
-deutlich erkennen wir aber uns selbst als denkendes Wesen, Gott als
-allervollkommenstes Wesen und die Körper als bewegte, raumerfüllende
-Dinge, deren Beziehungen und Veränderungen der Mathematik zugänglich
-sind. An diesen Teil der Philosophie des Descartes knüpfte die
-Entwicklung der Philosophie unmittelbar an.
-
-Auch hier lagen Schwierigkeiten genug vor; denn Descartes hatte jene
-drei Arten von Substanzen einfach nebeneinander gestellt, dabei aber
-doch zugegeben, daß Gott in anderem Sinne Substanz ist als die von
-ihm geschaffenen Seelen und Körper. Einerseits steht der Philosoph
-durchaus auf dem gewöhnlichen Standpunkt schroffer Entgegensetzung von
-Gott und Welt, anderseits scheint seine Lehre zu einer Einheit beider
-zu führen, wenn man sie zu Ende denkt. Gott ist ja der Inbegriff aller
-Vollkommenheit, »Sein« aber ist auch eine Vollkommenheit, und alles
-Seiende ist vollkommen, soweit es existiert. Man darf daher diese
-beschränkten Vollkommenheiten nicht von der Gottheit abtrennen, sonst
-würden sie ihr fehlen, und Gott wäre nicht das allervollkommenste
-Wesen. Daraus aber folgt, daß alle Dinge zur Gottheit gehören, daß
-Gott kein Wesen ist, welches außerhalb der Welt sein gesondertes Leben
-führt, sondern eben die Einheit der Welt selbst.
-
-In anderer Weise tritt Descartes' Grundsatz, alles klar Gedachte
-ist wirklich, alles Wirkliche erkennbar (wiewohl nicht für unsern
-begrenzten Verstand), mit seinem Gottesbegriffe in Widerstreit. Denn
-danach muß auch das Verhältnis der einzelnen Dinge und Ereignisse zu
-Gott sich klar einsehen lassen, d. h. alles, was da ist und geschieht,
-muß mit Notwendigkeit aus dem Begriffe der Gottheit erschlossen
-werden können. Dann aber bleibt kein Raum mehr für Gottes freie
-Schöpfertätigkeit.
-
-Wie in der Gotteslehre, so treibt auch in der Frage nach der Beziehung
-von Körper und Seele die Lehre des Descartes über sich selbst
-hinaus. Bei ihm stehen Körper und Seele einander schroff gegenüber.
-Die einzigen Eigenschaften des Körperlichen sind Ausdehnung und
-Beweglichkeit. Der Zusammenhang ihrer Bewegungen soll mit Hilfe der
-Mathematik so eingesehen werden, daß, wenn man die Ursachen kennt, die
-daraus folgenden Wirkungen berechnet werden können. Dann aber dürfen
-nur Bewegungen Ursachen von Bewegungen sein. Der Geist ist unausgedehnt
-und im Raume unbewegt. Er hat mit dem Raume überhaupt nichts zu tun,
-er kann also strenggenommen weder Bewegungen von Körpern hervorrufen
-noch seinerseits durch Körperbewegungen bestimmt werden. Beides hatte
-Descartes, obgleich er die Schwierigkeiten kannte, der gewöhnlichen
-Ansicht entsprechend angenommen. Wir glauben ja alle, daß wir durch
-unsern Willen vermittels der Glieder unseres Körpers auf die Körperwelt
-wirken. Wenn aber alles körperliche Geschehen mechanisch, d. h. durch
-Druck und Stoß benachbarter Körper bewirkt wird, so läßt sich das
-Eingreifen einer seelischen Ursache in die Körperwelt nicht begreifen.
-Diese Erwägung führte mehrere Schüler des Descartes dazu, die
-Möglichkeit eines unmittelbaren Einflusses des Körpers auf die Seele
-und der Seele auf den Körper zu leugnen, vielmehr die Verbindung beider
-Arten von Substanzen der vermittelnden Wirkung Gottes zuzuschreiben.
-Verbindet man diese Lehre mit der vorher verfolgten Weiterführung, daß
-Gott selbst die Einheit der Welt ist, so kommt man dazu, Körper und
-Seele als zwei Offenbarungsweisen der Gottheit anzusehen, die nur in
-Gott verbunden sind, während der Schein ihrer unmittelbaren Verknüpfung
-darauf beruht, daß die Veränderungen beider mit gleicher mathematischer
-Notwendigkeit aus der Gottheit hervorgehen.
-
-So kann man von Descartes ausgehend die Grundsätze eines neuen
-philosophischen Systems ableiten und man findet dann, daß _Spinoza_ ein
-System dieser Art wirklich ausgebildet hat. Absichtlich habe ich Sie
-diesen Weg geführt, um Ihnen an einem Beispiele zu zeigen, was in der
-Geschichte der Philosophie die notwendige Fortentwicklung der Gedanken
-bedeutet. Aber wir dürfen über dieser Notwendigkeit den persönlichen
-Anteil der einzelnen Philosophen nicht vernachlässigen. Es gehört schon
-Größe dazu, wirklich Folgerungen zu ziehen, die verbreiteten Meinungen
-der Zeit so entschieden widersprechen, wie die dargelegten; viele
-Zeitgenossen sahen die Widersprüche im System des Descartes und suchten
-sie zu lösen, aber nur _einer_ dachte folgerichtig genug, um vor den
-Konsequenzen nicht zurückzuschrecken. Vor allem aber ist die Bedeutung
-von Spinozas Philosophie mit den unvollständigen Umrißlinien, die eine
-Weiterbildung des Descartes ergibt, keineswegs erschöpft. Um sie zu
-würdigen, müssen wir den Schöpfer des Systems und seine Herkunft kennen
-lernen.
-
-
-[Herkunft]
-
-Die zahlreichen Juden, die seit den Zeiten arabischer Herrschaft
-in Spanien lebten, hatten im 16. Jahrhundert viele Verfolgungen zu
-erdulden. Durch Zwang zum Christentum bekehrt, blieben sie doch der
-Inquisition verdächtig, bloße Scheinchristen zu sein, und mußten
-fortwährend für ihr Leben fürchten. Eine Zuflucht bot sich ihnen zu
-Beginn des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, die selbst in hartem
-Kampfe gegen Spanien sich die Freiheit protestantischer Religionsübung
-errungen hatten. Dort nahmen die spanischen Juden den Glauben ihrer
-Vorfahren wieder an und lebten streng nach den Gesetzen des Talmud.
-Als Sohn einer solchen Auswandererfamilie wurde Baruch d'Espinoza
-(so lautete der Name ursprünglich) 1632 in einer der engen Gassen
-der Amsterdamer Judenstadt geboren. Diese Herkunft bestimmte seine
-Jugendeindrücke und seine erste Geistesbildung.
-
-Um die Überlieferungen ihrer Religion aufrecht zu erhalten und
-neuen Geschlechtern mitzuteilen, gründeten die Juden Amsterdams
-eine Schule, zu deren Lehrern sie berühmte Rabbinen beriefen. Auch
-Baruch d'Espinoza empfing hier seine Jugendbildung; er erlernte die
-hebräische Sprache, las Bibel und Talmud und übte an ihrer Auslegung
-seinen Scharfsinn. Seine Begabung wurde offenbar; er wollte sich,
-da ihm die Neigung zum Kaufmannsstande fehlte, ganz der jüdischen
-Theologie widmen. Schon sah man in dem Jüngling die künftige Säule der
-Synagoge. Diese Hoffnungen der Rabbinen wurden aber durchkreuzt, als
-Spinoza die Gedanken der neuen Wissenschaft kennen lernte. Auch in das
-abgeschlossenste Ghetto dringt etwas von den geistigen Bewegungen der
-Umwelt, und die Amsterdamer Juden standen -- mochte ihr Privatleben
-noch so eingeschränkt sein -- durch zwei große Kanäle mit dem Leben
-ihrer christlichen Zeitgenossen in Verbindung, durch den Handel und die
-Medizin. In empfänglichen Geistern entstand so ein Zwiespalt zwischen
-den überkommenen Lehren und dem Wissen der Neuzeit. Schon während der
-Knabenjahre Spinozas hatte das zu einem Konflikt geführt, der manchem
-unter Ihnen aus Gutzkows Drama Uriel Acosta bekannt sein wird. Übrigens
-ist die Rolle, die der Dichter hier den jungen Spinoza spielen läßt,
-reine Erfindung.
-
-Wie sich im einzelnen Spinoza unter diesen Verhältnissen entwickelte,
-wissen wir nicht. Sicher ist nur, daß er frühzeitig Verlangen trug, die
-Wissenschaft der Neuzeit kennenzulernen. Vorbedingung dazu war damals
-die Kenntnis der lateinischen Sprache, die noch durchaus die Sprache
-der Gelehrten war, in der jüdischen Schule aber keinen Gegenstand des
-Unterrichts bildete. Bei der Wahl seines Lehrers hatte er Glück; denn
-dieser konnte dem wissensdurstigen Jüngling mehr geben als Kenntnis des
-Lateinischen. Franziscus van den Ende, als Katholik geboren, aber dem
-Kirchenglauben entfremdet, war mit der Naturwissenschaft und mit der
-Philosophie des Descartes vertraut. Bei ihm muß Spinoza die Schriften
-des Descartes zuerst gesehen und gleichzeitig seine Kenntnisse
-lebender Sprachen erweitert haben. Spinoza war in dieser Beziehung von
-vornherein begünstigt; denn neben seiner Muttersprache, dem Spanischen,
-war ihm naturgemäß von Jugend auf das Holländische bekannt. Dazu
-erlernte er nun mehrere andere Sprachen, besonders Französisch und
-Italienisch.
-
-Die neue Bildung und die veränderten Überzeugungen trennten Spinoza von
-seinen Glaubensgenossen. Zwar lag ihm jeder Gedanke an agitatorische
-Wirksamkeit fern, aber es war ihm auf die Dauer noch weniger möglich,
-bei gänzlich veränderten Überzeugungen die streng gebundene Lebensweise
-eines orthodoxen Juden zu führen. Mit dem Tode des Vaters 1654 scheint
-für ihn der wichtigste Grund zu äußerer Anbequemung gefallen zu sein;
-seitdem besuchte er die Synagoge nicht mehr, übertrat die Speisegesetze
-und verkehrte viel mit freigesinnten Christen. Naturgemäß erregte das
-Anstoß. Aber die Juden hätten gern Aufsehen vermieden, fürchteten wohl
-auch, daß das Verhalten eines Menschen, auf den die Rabbinen solche
-Hoffnungen gesetzt hatten, Nachahmung finden würde. Man versuchte
-ihm daher mit Geld beizukommen und versprach ihm ein Jahresgehalt,
-wenn er sich wenigstens äußerlich der jüdischen Sitte fügte. Erst als
-Spinoza diesen schimpflichen Vorschlag zurückgewiesen hatte, wurde er
-als Abtrünniger verfolgt. Sein Schwager und seine Schwester machten
-seinen Abfall geltend, um ihm den Anspruch auf das väterliche Erbe zu
-bestreiten. Er nahm die holländischen Gerichte in Anspruch, siegte,
-wie zu erwarten war, und überließ dann freiwillig den Geschwistern das
-Erbe, während er sich nichts als ein Bett vorbehielt.
-
-
-[Jugend. Bann]
-
-Die Rabbinen ergriffen schließlich die äußersten Maßregeln gegen ihn;
-im Jahre 1656 wurde er mit dem großen Banne belegt und aus der Gemeinde
-ausgestoßen. Die aus dem frühen Mittelalter stammende Bannformel
-lautete fürchterlich genug. Dies sind ihre wichtigsten Sätze:
-
-»Nach dem Beschlusse der Engel und dem Ausspruche der Heiligen, mit
-Zustimmung des heiligen Gottes und dieser ganzen Gemeinde bannen,
-verstoßen, verwünschen und verfluchen wir Baruch d'Espinoza« ... --
-»Verflucht sei er am Tage und verflucht sei er bei Nacht, verflucht
-beim Niederlegen und verflucht beim Aufstehen, verflucht bei seinem
-Ausgang und verflucht bei seinem Eingang. Gott möge ihm nie verzeihen!«
-... »Wir verordnen, daß niemand mit ihm verkehre, nicht mündlich und
-nicht schriftlich, niemand ihm eine Gunst erweise, niemand unter einem
-Dache oder innerhalb vier Ellen mit ihm zusammen sei, niemand ein von
-ihm verfaßtes oder geschriebenes Werk lese.«
-
-Der Bann bedeutete für Spinoza die Trennung von allen Genossen
-seiner Jugend; wie es scheint, hat später kein Jude mehr zu seinem
-Umgangskreise gehört. Aber damit nicht zufrieden, suchten die Rabbinen
-auch seine bürgerliche Existenz zu vernichten; sie zeigten ihn der
-protestantischen Geistlichkeit als einen religionsgefährlichen Menschen
-an und bewirkten seine Ausweisung aus Amsterdam. Allzuviel erreichten
-sie damit nicht; denn infolge der toleranten Haltung der weltlichen
-Behörden konnte er in einem Dorfe, wenige Meilen von der Hauptstadt
-entfernt, ruhig wohnen.
-
-Spinoza mußte sein Leben ganz neu gestalten: er war entschlossen,
-nichts gegen seine Überzeugung zu tun, dabei aber Streit mit seiner
-Umgebung möglichst zu vermeiden. Er trat nie zum Christentum über, da
-er bei aller Verehrung für die persönliche Hoheit und die Moral Christi
-sich nicht zu den Glaubensformeln einer christlichen Kirche bekennen
-konnte. Am nächsten stand er einigen Sekten, die gleich ihm nur in
-Holland Duldung fanden, Gemeinden, die den moralischen Lebenswandel
-für das Wesentliche am Christentum hielten und ihren Mitgliedern
-in dogmatischer Beziehung viel Freiheit ließen. Unter ihnen, den
-Mennoniten und Kollegianten, fand Spinoza Verkehr, ohne zu ihnen zu
-gehören.
-
-Da er mittellos war und ihm jede öffentliche Anstellung, jede
-ausreichend bezahlte Unterrichtstätigkeit verschlossen blieb, mußte
-er durch seiner Hände Arbeit für seinen Lebensunterhalt sorgen. Er
-nutzte seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse aus, indem er optische
-Gläser für Brillen und Fernrohre schliff. Infolge der astronomischen
-Entdeckungen bestand damals viel Nachfrage nach Fernrohren, während
-nur wenige kundige Männer die dazu nötigen Linsen schleifen konnten.
-Spinoza verdankte also die Möglichkeit, sich sein Brot durch eigene
-Arbeit zu erwerben, der modernen Naturwissenschaft, nicht etwa, wie
-man manchmal lesen kann, dem Talmud. Man behauptet nämlich öfter,
-daß Spinoza einer talmudischen Vorschrift gefolgt sei, die von jedem
-Gelehrten die Erlernung eines Handwerks fordere. Aber es handelt sich
-dabei _nicht_ um eine _Vorschrift_, sondern nur um einen _Rat_, der
-meist unbefolgt blieb; und vollends das Schleifen optischer Gläser
-hätte Spinoza als Talmudschüler nicht erlernen können.
-
-
-[Lebensart. Schriften]
-
-Alle Zeit, die ihm sein Handwerk frei ließ, widmete er seinen
-Studien. Schlicht und bescheiden lebte er anfangs in einem Dorfe bei
-Amsterdam, später bei Leiden, in der Nähe des Haag und schließlich im
-Haag. Dieser Aufenthaltswechsel und die Zurückgezogenheit könnte an
-Descartes erinnern. Aber zwischen beiden Männern bestand ein großer
-Unterschied. Descartes, als Edelmann geboren, wohlhabend, unabhängig,
-wählte sich die Einsamkeit; dem gebannten Juden, der sich sein Brot
-verdienen mußte, war sie aufgenötigt. Trotzdem oder vielmehr gerade
-deshalb nahm Spinoza an dem Geschick der ihn umgebenden Bevölkerung
-weit mehr Anteil als Descartes. Die Glaubensfreiheit Hollands, die
-seinen Eltern Zuflucht gewährt hatte und ihm trotz aller Anfechtungen
-Sicherheit bot, war bedroht; denn die kalvinistische Geistlichkeit,
-der sich aus politischen Gründen das Haus der Oranier anschloß,
-erstrebte die Alleinherrschaft ihrer Kirche. In diese Streitigkeiten
-griff Spinoza 1670 durch eine anonym erschienene Abhandlung, den
-_theologisch-politischen Traktat_, ein. Wie der Name sagt, behandelt
-dieses Buch das Verhältnis von Theologie und Politik, von Kirche und
-Staat, und zwar kämpft es für die Oberherrschaft des Staates und gegen
-den politischen Einfluß der Geistlichkeit. Zugleich erschüttert Spinoza
-den Anspruch der Bibel auf göttlichen Ursprung durch eine historische
-Kritik am Alten Testament, zu der seine jüdische Jugendbildung
-ihn befähigte. Die kühne Schrift erregte großes Aufsehen: ebenso
-allgemein wie die Entrüstung war der Wunsch, sie zu lesen. Eine
-Fülle von Gegenschriften entstand, und der Verfasser, der trotz der
-Anonymität bald erkannt wurde, hatte die Folgen seines Unterfangens
-zu spüren. Persönliche Freunde wandten sich von ihm ab, zeitweise
-schien es, als solle mit dem Buch auch der Verfasser verfolgt werden.
-Vor ernsthafter Gefahr schützte ihn die Gönnerschaft des Jan de Wit,
-damals noch der Leiter der holländischen Politik. Indessen schon war
-de Wits Stellung nicht ohne eigne Schuld erschüttert; denn dieser
-sonst untadelhafte, stolze Aristokrat hatte das Landheer gegenüber der
-Flotte vernachlässigt und dadurch den Widerstand gegen das Eindringen
-der Heere Ludwigs XIV. geschwächt. Die Erbitterung des Volkes darüber,
-von den Priestern aufgestachelt, führte 1672 zu der gräßlichen
-Ermordung Jan de Wits und seines Bruders. Leidenschaftliche Empörung
-über diese Schandtat ergriff den sonst so gelassenen Philosophen. Er
-wollte, um seiner Entrüstung Ausdruck zu geben, an den Hausmauern ein
-Plakat anheften, in dem er die Bewohner des Haag für die niedrigsten
-aller Barbaren erklärte. Unzweifelhaft wäre er bei diesem nutzlosen
-Beginnen der Volkswut zum Opfer gefallen, wenn ihn sein Hauswirt nicht
-eingeschlossen und dadurch an der Ausführung seines Vorhabens gehindert
-hätte.
-
-Aus den äußeren Verhältnissen begreift man, warum zu Spinozas Lebzeiten
-nur eine Darstellung der Philosophie des Descartes unter seinem Namen
-erschien; entstanden war diese Schrift für einen Schüler, den Spinoza
-nicht als reif genug ansah, um ihm die eigene Lehre mitzuteilen. Dies
-Buch verschaffte dem gebannten Juden einen Ruf an die Universität
-Heidelberg. Aber so ehrenvoll ein solches Zeichen freier Gesinnung
-für den Landesherrn, den Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, ist
--- so wenig wäre die Ausführung auf die Dauer möglich gewesen. Stand
-doch in dem an Spinoza gerichteten Briefe neben der Zusicherung der
-Lehrfreiheit die Erwartung, daß er nichts gegen die Kirche sagen werde.
-Spinoza wußte, daß Konflikte nicht ausbleiben konnten, und in der
-klaren, ruhigen Weise, in der er seine persönlichen Angelegenheiten
-stets besorgte, lehnte er den ehrenvollen Ruf ab. Sein Leben blieb
-unverändert, aber die doppelte Anstrengung geistiger und körperlicher
-Arbeit und der Glasstaub, der beim Schleifen entsteht, scheinen seiner
-zarten Natur geschadet zu haben, er wurde lungenkrank und starb 1677,
-erst 45 Jahre alt.
-
-Bald nach seinem Tode wurden seine hinterlassenen Schriften, darunter
-sein Hauptwerk, von seinen Freunden herausgegeben. Spinoza nannte
-dieses Hauptwerk Ethik, d. h. Lehre vom Sittlichen oder vom rechten
-Leben. Schon in diesem Titel zeigt sich die Verschiedenheit seines
-Strebens von dem seines Lehrers Descartes. Für jenen war die Erkenntnis
-als solche Lebensziel, Spinoza aber wollte durch seine Erkenntnis vor
-allem die richtige Lebensart finden. Zwang ihn doch schon seine äußere
-Lage, viel mehr über die Lebensführung nachzudenken. Descartes konnte,
-während er eine Revolution in seinen Gedanken machte, äußerlich in
-den Formen seines Standes weiterleben; Spinoza mußte, durch den Bann
-ausgestoßen, nirgends zugehörig, sich sein ganzes Dasein nach eigenen
-Grundsätzen aufbauen. Weit wichtiger aber als diese äußeren Dinge
-war ein tief innerer Unterschied der Naturen. Descartes hatte, wenn
-man so sagen darf, alle Leidenschaft nur im Kopfe. Die ganze Wärme
-seiner Natur gehörte dem Suchen nach klarer Erkenntnis; außerhalb
-dieses Gebietes war er kühl. Selbst seine unzweifelhaft aufrichtige
-christliche Frömmigkeit war mehr Verstandes- als Herzenssache. Spinoza
-dagegen war eine durch und durch religiöse Natur, ganz erfüllt
-von dem Streben nach inniger Vereinigung mit Gott. Im Dienste des
-Strebens stand für ihn die Erkenntnis. Gerade weil er tief religiös
-und zugleich Denker war, konnte er sich keiner herrschenden Kirche
-anschließen. Für Naturen, in denen entweder die Klarheit des Denkens
-weniger groß ist oder die Gewalt des religiösen Gefühles zurücktritt,
-ist die äußere Anpassung leichter. Man muß diese tief in Spinozas
-Natur angelegten Bestrebungen: _ein sittlich religiöses Leben
-durch das Denken zu begründen_, mit den am Anfang dieses Vortrags
-dargelegten folgerichtigen _Weiterbildungen der Lehre des Descartes_
-zusammennehmen, um Spinozas Philosophie zu verstehen.
-
-
-[Form und Inhalt der Ethik]
-
-Spinozas Hauptwerk ist in einer eigentümlichen Form geschrieben. Da
-die Geometrie für ihn das Vorbild strenger, wissenschaftlicher Beweise
-war, bildete er seine Darstellung dem berühmten griechischen Lehrbuch
-der Geometrie, dem Werke des Euklid, nach. Wie ein Mathematiker
-beginnt er mit Grundsätzen, deren Wahrheit nach seiner Überzeugung
-selbstverständlich ist, und mit Erklärungen oder Definitionen der
-Grundbegriffe. Von diesen Voraussetzungen aus beweist er dann die
-einzelnen Lehrsätze. Diese Form müssen wir der Verständlichkeit
-unsrer Darstellung zuliebe ganz unberücksichtigt lassen. Aber es ist
-doch hervorzuheben, daß die Wahl der geometrischen Darstellung keine
-willkürliche Laune Spinozas ist, sondern mit dem Inhalt seiner Lehre
-aufs engste zusammenhängt. Schon Descartes hatte gelehrt, man dürfe nur
-annehmen, was sich mit derselben Klarheit wie die Sätze der Mathematik
-einsehen läßt. In einer Art Umkehrung dieses Satzes hatte er ferner
-geschlossen, daß das klar und deutlich Erkannte an sich auch wahr sei.
-Folgerichtig war es nun, die Durchführbarkeit einer Darstellung, in
-der jede Behauptung mathematisch streng bewiesen wird, als Prüfstein
-für die Wahrheit des philosophischen Systems anzusehen. So wenig also
-Spinoza seine Grundüberzeugungen durch geometrische Beweise gewonnen
-hat, und so künstlich einem modernen Leser diese Beweise vielfach zu
-sein scheinen, so notwendig war doch für Spinoza seine Philosophie erst
-vollendet, als er sie in jene strenge Form zu kleiden vermochte.
-
-Descartes hatte die Gottheit als den Inbegriff aller Vollkommenheit
-gefaßt. Von diesem Gedanken eines allervollkommensten Wesens geht
-Spinoza aus. Da für ihn wie für seinen Lehrer in jeder Wirklichkeit
-eine Vollkommenheit liegt, muß alle wahre Wirklichkeit Gott angehören.
-Gott fällt so zusammen mit der Welt; denn unter Welt verstehen wir
-die Einheit, den inneren Zusammenhang aller Dinge. Gott ist das All,
-das All ist Gott. Man nennt diese Lehre _Pantheismus_ (griechisch von
-»~pan~« All und »~theos~« Gott), und wir haben bereits gesehen, daß der
-Pantheismus aus den Voraussetzungen des Descartes notwendig folgte: Er
-hat aber noch eine andere Wurzel: im religiösen Erleben. Für die rohen
-Anfänge der Religion bedeutet ein Gott ein übermächtiges Wesen, das dem
-Menschen schaden oder nützen, wie ein Feind oder wie ein Schirmherr
-gegenüberstehen kann; so verhielt es sich z. B. bei den Griechen,
-wie Homer sie schildert. An die Schirmherrschaft eines Gottes über
-sein Volk schließt sich der Gedanke an, daß die Volkssitte von diesem
-Gotte stammt und geschützt wird. Gott wird der gerechte Herrscher,
-dann der liebende Vater des Menschen. Die zunächst als äußeres Gebot
-befolgte Sitte verklärt sich mehr und mehr zu einer von der Stimme des
-Gewissens geforderten Sittlichkeit. Je inniger der religiöse Mensch
-das als Gottesgebot empfundene Sittengesetz mit seinem eigenen Wesen
-verknüpft fühlt, um so mehr empfindet er die Gottheit in sich selbst
-wirksam. Aber in uns widerstrebt etwas dieser göttlichen Wirkung, eine
-Fremdheit bleibt, die zugleich Unseligkeit ist. Ihre Ursache wird darin
-gefunden, daß wir uns an einzelne Dinge hingeben. Von ihnen müssen
-wir uns abwenden, dann werden wir mit Gott eins werden. Daher finden
-wir bei christlichen, jüdischen und mohammedanischen Gottesgelehrten
-des Mittelalters vielfach den Gedanken, daß der wahrhaft fromme
-Mensch im Innersten seines Wesens mit der Gottheit zusammenfällt. Wie
-der Mensch auf der höchsten Stufe der Gott-Innigkeit sich mit Gott
-eins fühlt, so ist in seinem Kerne jedes Ding eins mit Gott, alle
-Getrenntheit von Gott ist Schein und Folge des Abfalls. Vereinigung
-mit Gott finden heißt zugleich, Gott als Kern aller Dinge erkennen.
-Diese Art der Frömmigkeit, die durch Versenkung aller Gedanken in die
-Gottheit die volle Vereinigung des Menschen mit Gott sucht, heißt
-_Mystik_, und wir können demnach sagen, daß alle Mystik zum Pantheismus
-strebt. _In Spinoza nun trifft eine mystische Religiosität mit jenem
-verstandesmäßig_ (rationalistisch) _aus der Lehre des Descartes
-entstandenen Pantheismus zusammen_.
-
-Gott ist das allervollkommenste Wesen und der Inbegriff alles Seins,
-nichts ist außer ihm, also ist er das einzige, was Substanz heißen
-darf. Aus Wesen und Begriff dieser einzigen, unendlichen, alles
-umfassenden Substanz muß nun alles einzelne Sein und Geschehen mit
-mathematischer Notwendigkeit folgen. Die Schöpfung der Welt kann also
-Spinoza nicht als eine freie Tat Gottes ansehen, die seine Willkür
-auch hätte unterlassen können; vielmehr ist die Einheit der Welt
-selbst Gott, es gehört zum notwendigen Wesen Gottes, sich in dieser
-Welt darzustellen. Alles einzelne ist nur wirklich, sofern es an
-der Gottheit teilhat. Daß es ein einzelnes ist, beruht auf seiner
-_Beschränktheit_ und damit auf einer _Verneinung_. Diese Gleichsetzung
-von Einzelheit, Beschränkung und Verneinung wird Ihnen zunächst fremd
-vorkommen. Doch ist nicht schwer zu zeigen, was der Denker damit meint.
-Wir sind nur Mensch, indem wir nicht Tier, Pflanze und Stein sind, wir
-können einen bestimmten Lebensberuf nur ergreifen, indem wir auf alle
-anderen Möglichkeiten der Lebensgestaltung verzichten. So verstehen wir
-den Satz, mit Hilfe dessen Spinoza die Besonderheit der einzelnen Wesen
-aus der Einheit der Gottesnatur herzuleiten sucht: _Alle Bestimmtheit
-ist Verneinung._
-
-
-[Gott]
-
-Gott oder die Natur oder das allervollkommenste Wesen ist durch und
-durch erkennbar, freilich nicht für unsern menschlichen Verstand,
-der selbst vereinzelt, bestimmt, beschränkt und daher mit der
-Verneinung behaftet ist. Aber sogar unser menschlicher Verstand kann
-allgemein die Notwendigkeit einsehen, mit der alles einzelne aus
-der Gottheit folgt, und beherrscht in der mathematisch erkennbaren
-Ordnung der körperlichen Bewegungen ein ihm zugängliches Teilgebiet
-der göttlichen Ordnung der Welt. Spinoza ist wie Descartes Anhänger
-der neuen naturwissenschaftlichen Auffassung der Körperwelt, nach der
-jede Bewegung aus dem vorangehenden Zustande der Körper notwendig und
-berechenbar folgt. Für ein Eingreifen des Geistes in die Körperwelt,
-wie wir es in jeder unserer Bewegungen zu erleben glauben, läßt diese
-Auffassung, wenn sie streng durchgeführt wird, keinen Raum. Alle
-körperlichen Bewegungen sind wieder nur durch andere körperliche
-Bewegungen hervorgerufen, unsere Armbewegung etwa durch eine Bewegung
-in unserem Gehirn. Nun haben wir aber als denkende Wesen Anteil an
-einer von der Körperwelt ganz verschiedenen Art des Seins. Dieses
-geistige Sein ist im Grunde vom Körper ebenso unabhängig, wie jener
-von ihm. Man sieht, Spinoza folgert aus der schroffen Entgegensetzung
-von Geist und Körper, wie Descartes gelehrt hatte, die Unmöglichkeit
-ihrer Wechselwirkung. Es entsteht daher für ihn die Aufgabe, das
-anscheinende Ineinanderwirken geistiger und körperlicher Geschehnisse
-zu erklären. In der göttlichen Einheit besitzt er das Mittel dazu. Alle
-einzelnen Dinge, Körper wie Seelen, sind nur notwendige Folgen und
-Einschränkungen der einen wahrhaft wirklichen Gottnatur. Diese ist nun
-so beschaffen, daß sie sich in unendlich vielen Weisen entfaltet und
-offenbart. Diese Entfaltungsweisen der Gottheit, deren jede von jeder
-anderen unabhängig, jede in ihrer Art unendlich ist, nennt Spinoza
-_Attribute_. Von den unendlich vielen Attributen der Gottheit sind uns
-nur zwei zugänglich, die Ausdehnung oder die Körperwelt und das Denken
-oder die Welt des Geistes. Beide sind völlig unabhängig voneinander;
-aber da beide derselben allumfassenden, göttlichen Einheit angehören,
-herrscht in beiden die gleiche gesetzliche Ordnung. Nicht unser Gedanke
-oder Willensentschluß bewegt unsern Arm; aber es ist in der Einheit
-Gottes begründet, daß, wenn wir den Arm bewegen wollen, zugleich aus
-der Notwendigkeit des körperlichen Geschehens eine Gehirnbewegung
-folgt, die Ursache der Armbewegung wird. Niemals erzeugt ein Gedanke
-eine Bewegung oder eine Bewegung einen Gedanken. Aber da Bewegungen
-und Gedanken aus derselben göttlichen Notwendigkeit folgen, ist _die
-Ordnung und Verknüpfung der körperlichen Dinge dieselbe wie die Ordnung
-und Verknüpfung der Gedanken_.
-
-
-[Körper und Seele]
-
-Notwendig folgt daraus weiter, daß jedem körperlichen Dinge ein
-seelisches Sein entspricht. Unsere Seele kann ja für Spinoza nicht
-wie für Descartes eine selbständige Substanz sein, vielmehr ist sie
-ein bloßes Stück der göttlichen Ordnung der Geisterwelt, das einem
-bestimmten Stück der göttlichen Ordnung der Körperwelt, eben unserem
-Körper, entspricht. Was von unserem Körper gilt, muß für jeden anderen
-ebenso zutreffen. Spinoza hat nicht mehr nötig, die Tierseelen zu
-leugnen, denn sie sind in seiner Welt keine Ausnahme; vielmehr gehört
-für ihn auch zu allem scheinbar Unbeseelten etwas Seelisches. Wir
-müssen uns aber sehr hüten, diese Überzeugung des Philosophen mit
-der poetischen Naturbeseelung zu verwechseln, die sich z. B. in der
-griechischen Göttersage findet. Für den Griechen lebt in Baum und
-Quell ein uns verwandtes, unsern Bitten zugängliches Wesen. Für
-Spinoza gehören wir selbst zu einer notwendigen Ordnung, die durch
-unsere Wünsche nicht im mindesten geändert werden kann. Von einem
-menschlichen Hineinfühlen in die Körperwelt ist gar keine Rede. Die
-nach innerer Zweckmäßigkeit den Lauf der Welten regelnden Sternseelen,
-die die Renaissance annahm, werden nicht etwa der neuen Astronomie zum
-Trotz wiederhergestellt -- im Gegenteil: auch die Bewegung der Glieder
-unseres Leibes vollzieht sich nach unerbittlicher Notwendigkeit. Zwecke
-und Zweckmäßigkeit gibt es in der Natur nicht, nur Ursachen und ihre
-notwendigen Wirkungen. Genau die gleiche Notwendigkeit aber herrscht
-auch auf geistigem Gebiete. Jede Regung unserer Seele folgt ebenso
-unbedingt mathematisch aus Gottes Entfaltungsweise oder Attribut des
-Denkens, wie der Fall eines geworfenen Steines aus Gottes Attribut der
-Ausdehnung folgt. Darum betrachtet der Philosoph _die menschlichen
-Leidenschaften ohne Liebe und Abscheu_, mit der gleichen kühlen,
-verstandesmäßigen Ruhe wie die geometrischen Figuren. Auch sie folgen
-notwendig aus Gott und sollen in dieser Notwendigkeit verstanden
-werden.
-
-Man sieht, in dieser streng einheitlichen und geordneten Welt ist
-_kein Platz für Freiheit des Willens_. Unsre Taten und Gedanken sind
-durch den göttlich natürlichen Zusammenhang so notwendig bestimmt,
-wie die Umdrehung der Erde oder der Fall des Steins. Wir halten uns
-nur für frei, weil wir die Ursachen unserer Handlungen nicht kennen.
-Auch der geworfene Stein würde, wenn das ihm entsprechende Denken
-entwickelt genug wäre sich diese Frage zu stellen, meinen, er sei
-frei. Denn er würde die werfende Hand und die Anziehung der Erde nicht
-genügend erkennen. Ebensowenig hat diese Welt Raum für Unterschiede
-von gut und böse, von schön und häßlich. Alles einzelne folgt ja mit
-gleicher Notwendigkeit aus Gott. Nennen wir etwa ein Tier schädlich, so
-beziehen wir es einseitig auf die unbedeutende, kleine, eingeschränkte
-Erscheinung Gottes, die wir selbst sind. In der Ordnung des Weltganzen,
-der Gottheit, hat die Giftschlange dasselbe Recht wie der Mensch; und
-für die Giftschlange ist der Mensch, der sie totschlägt, mit gleichem
-Recht böse wie die Schlange für den Menschen. Auch können wir durch
-unsern Entschluß nichts an der Welt und folglich auch nichts an uns
-selbst ändern; sind wir doch ganz und gar Folgen der Weltordnung.
-
-Nahe liegt hier die Folgerung, es hätte keinen Sinn, Vorschriften
-für das Verhalten der Menschen zu geben. Indessen dies wäre ein
-verzweifelter Abschluß für ein Werk, das den Titel Ethik führt und
-vor allem eine Anweisung zum rechten Leben erteilen will. In der Tat
-bemerken wir hier einen Bruch in dem scheinbar so fest geschlossenen
-System Spinozas. Ich habe meine Darstellung absichtlich so
-eingerichtet, daß Sie diesen Bruch deutlich erkennen. Wir verfahren im
-Sinne Spinozas, wenn wir unbekümmert um die Rücksicht auf seine Person
-und seinen Ruhm die Wahrheit suchen und sagen. Spinoza selbst hat die
-Schroffheit dieses Bruches _nicht_ empfunden. Hätte ich Sie _den_ Weg
-zu seinem Lebensideale geführt, den er selbst ging, so wäre sicherlich
-auch den meisten von Ihnen der Widerspruch verborgen geblieben. Denn es
-besteht zwischen Spinozas System und seiner Lebensweisheit zwar kein
-logisch unanfechtbarer Zusammenhang, aber eine um so engere Einheit
-persönlichen Erlebens, die wir nachzuerleben versuchen müssen.
-
-Der einzelne Mensch existiert als Einzelwesen nur durch Verneinung,
-durch Einschränkung des göttlichen Seins auf seine enge Eigenart.
-Jedes einzelne Wesen sucht sich selbst zu erhalten. Sofern es dabei an
-seine Besonderheit denkt, kann es in Streit mit anderen Wesen kommen.
-Denn es wird dann leicht geschehen, daß mehrere den Besitz desselben
-Dinges zur Erhaltung oder Ausbreitung ihrer Macht nötig zu haben
-glauben. Wenn aber der Mensch erkannt hat, daß alle Dinge, alle andern
-Menschen und er selbst in Wahrheit zu demselben Wesen, zur Gottheit,
-gehören, wird das anders. Der Mensch, sofern er denkendes Wesen ist,
-hat so viel Wirklichkeit in sich, wie er Gotteserkenntnis besitzt. Hat
-er das einmal recht eingesehen, so weiß er, daß die wahre Erhaltung und
-Erhöhung seines Wesens einzig in der Gotteserkenntnis besteht. Da die
-ganze Ordnung der Natur die Gottheit offenbart, so führt jede wirkliche
-Einsicht in den notwendigen Zusammenhang der körperlichen oder der
-geistigen Dinge zu Gott. Soweit Menschen überzeugt sind, daß ihr wahres
-Wesen, ihre echte Selbsterhaltung in der Erkenntnis besteht, können sie
-nicht mehr in Kampf miteinander geraten. Denn diese wahre Einsicht ist
-kein Gut, das dem einen durch den andern entrissen werden könnte, im
-Gegenteil muß jedem daran liegen, daß möglichst viele seine Einsicht
-teilen, damit er mit seinen Mitmenschen in Eintracht leben kann. In
-der wahren Erkenntnis hören wir auf, einzelne Menschen zu sein. Jeder
-wahre Satz ist ja wahr ohne Rücksicht auf die besonderen Eigenschaften
-dessen, der ihn denkt.
-
-
-[Erkenntnis und Gottesliebe]
-
-Bis hierher spricht Spinoza verstandesmäßig kühl und nüchtern. Nun
-aber in den letzten Sätzen seines Werkes bricht die Wärme seines
-religiösen Gefühls durch. Jene Gotteserkenntnis führt zugleich zur
-_Liebe zu Gott_. Denn sein eigenes wahres Wesen liebt jeder, und in der
-rechten Gotteserkenntnis erfaßt der Mensch dieses Wesen als Einheit
-mit Gott. Hier berührt sich Spinoza am innigsten mit der Mystik. Aber
-was der Mystiker durch religiöse Übungen oder durch Abscheidung von
-der Welt und Versenkung in sein eigenes Inneres zu erreichen sucht,
-die Vereinigung mit der Gottheit, das erstrebt Spinoza auf dem Wege
-verständiger Erkenntnis. Auf der höchsten Stufe führt diese Erkenntnis
-dazu, in allem, was geschieht, die eine große notwendige göttliche
-Ordnung zu erblicken und zu lieben. Diese Liebe verzichtet auf die
-Möglichkeit der Gegenliebe. Wer Gott wahrhaft erkannt hat, weiß ja, daß
-Gott kein einzelnes Wesen neben anderen Wesen, sondern die einheitliche
-Ordnung der Welt ist. Die Gottheit würde erniedrigt werden, wenn sie
-irgendeinen Teil der Welt, der ja ein besonderer Teil nur durch
-Verneinung ist, mit besonderer Liebe umfaßte. Der echte Liebende will
-doch aber das Geliebte nicht herabziehen. »_Wer Gott wahrhaft liebt,
-wünscht nicht, daß Gott ihn wieder liebt._« Die echte Gottesliebe ist
-also im höchsten Maße uneigennützig.
-
-Als Goethe mitten in den leidenschaftlichen Stürmen seiner Jugend auf
-diesen Satz Spinozas stieß, fand er darin einen tiefen Frieden. Goethe
-war nicht, wie man oft lesen kann, im eigentlichen Sinne Anhänger
-Spinozas, aber der Gedanke einer göttlichen Einheit der Welt und das
-uneigennützige Gefühl der Liebe zu dieser Gottnatur begleiteten ihn
-durch sein reiches Leben. Mit diesen letzten Sätzen, in denen sich die
-Persönlichkeit des Weisen rein offenbart, wollen wir heute schließen.
-Es liegt eine tiefe innere Wahrheit in dieser uneigennützigen
-Gottesliebe, auch wenn es Spinoza nicht gelungen ist, sie ohne
-Widerspruch mit den Voraussetzungen seiner Philosophie zu verbinden.
-
-[Illustration: Spinoza
-
-Nach Seydlitz, Historisches Porträtwerk]
-
-
-
-
-Fünfter Vortrag.
-
-Kant.
-
-
-[Schwierigkeiten der Metaphysik]
-
-Die wunderbare Einheit und Geschlossenheit, durch die Spinozas System
-jeden Denkenden fesselt, hält, wie schon im vorigen Vortrag angedeutet
-wurde, vor einer schärferen Kritik nicht stand. An zwei Punkten
-besonders zeigen sich Schwächen und Lücken. Spinoza sagt, daß alles
-einzelne mit mathematischer Notwendigkeit aus Gott folgt. In Wahrheit
-aber vermag er nicht, aus dem Begriffe des allervollkommensten Seins
-herzuleiten, warum die Welt, die wir durch unsere Erlebnisse kennen,
-so und nicht anders ist. Nicht einmal die Existenz und Verschiedenheit
-von Geist und Körper wird strenggenommen aus den Voraussetzungen
-entwickelt, sondern ohne Beweis hingestellt. Gott als das denkbar
-Vollkommenste soll sich in unzähligen, voneinander unabhängigen
-Daseinsarten darstellen. Wir aber kennen nur zwei dieser Arten,
-Ausdehnung und Denken. Warum gerade diese zwei und warum haben diese
-zwei gerade die uns bekannten Eigenschaften? Auf solche Fragen bleibt
-Spinoza die Antwort schuldig. Der allgemeine Satz, jede Bestimmtheit
-ist Verneinung, täuscht ihn über diese Schwierigkeiten hinweg, bietet
-aber in Wahrheit keine Hilfe. Dadurch, daß etwas nicht Ausdehnung
-ist und auch keiner anderen Grundeigenschaft Gottes angehört, wird
-es durchaus noch nicht als Denken bestimmt. Wir hatten den Sinn des
-Grundsatzes, jede Bestimmung ist Verneinung, an dem Beispiele klar
-gemacht, daß ich als Mensch nicht Tier, als Mann nicht Frau bin;
-aber läßt sich wirklich der Inhalt, den ich unter Mensch oder Mann
-verstehe, durch Verneinung von Tier oder Frau gewinnen? Diese Frage
-so stellen, heißt sie verneinen. Die Bestimmtheit des einzelnen ist
-überall unableitbar; daß in diesem Augenblicke diese Farbe von mir
-gesehen, dieser Ton gehört wird, daß blau und rot in nicht weiter
-beschreibbarer Weise voneinander verschieden sind, vermögen wir
-niemals aus allgemeinen Gründen abzuleiten. Wollte man sich hier mit
-der Schwäche unserer Vernunft helfen, so müßten doch wenigstens die
-Grundeigentümlichkeiten der Welt aus Gottes Wesen heraus eingesehen
-werden können, wenn jene mathematische Notwendigkeit im Verhältnis von
-Gott und Welt für uns mehr als eine Sehnsucht unseres Erkennens sein
-sollte. Aber auch dies ist, wie wir gesehen haben, unmöglich.
-
-Die zweite Hauptschwierigkeit besteht in der Verbindung von Spinozas
-Ethik mit seiner Lehre von Gott und Welt. Da alles mit gleicher
-Notwendigkeit aus Gott folgen soll, so kann es zwischen den einzelnen
-Dingen keine Unterschiede des Wertes geben. Wir sehen das einzelne
-noch nicht in Gott, wenn wir es nützlich oder schädlich, gut oder böse
-nennen, sondern wir sehen es ganz einseitig in Beziehung zu unserer
-beschränkten, vergänglichen Eigenart. Was von den Dingen gilt, trifft
-durchaus auch für die menschlichen Handlungen zu. Auch sie folgen mit
-Notwendigkeit aus der göttlichen Weltordnung. Ein Geist, der diese
-Weltordnung ganz überschaute, würde mathematisch beweisen können,
-warum Peter wie ein Schurke, Paul wie ein Heiliger lebt. Was notwendig
-ist und nicht anders zu sein vermag, als es ist, dem kann man auch
-keine Vorschriften geben wollen, das versucht man nicht zu ändern.
-Niemand gibt der Erde den guten Rat, sich langsamer zu bewegen. Welchen
-Sinn hat es aber dann, den Menschen jene uneigennützige Gottesliebe
-zu empfehlen, da sie doch nur, soweit das aus Gottes ewiger Natur
-notwendig folgt, dazu gelangen können? Auch bezeichnet der Philosoph
-selbst das Verhalten des gottesliebenden Menschen als im höchsten Sinne
-richtig und gut, während er nach seinen eigenen Voraussetzungen kein
-Recht zu solchen Werturteilen hat.
-
-Vielleicht wundern sich manche unter Ihnen darüber, daß ich Sie solange
-mit einem Denker beschäftigt habe, dem ich nachher solche Irrtümer
-und Widersprüche vorwerfen muß. Ich möchte darauf zunächst erwidern:
-Nicht ich bin es, der diese Schwächen Spinozas gesehen hat, sondern
-der Fortschritt der philosophischen Einsicht macht es uns heute
-leicht, den großen Philosophen zu kritisieren. Er selbst hat durch die
-Folgerichtigkeit und Energie seines Denkens viel dazu beigetragen. Denn
-nur die ganz klare Durchbildung einer Lehre vermag die in ihr liegenden
-Schwierigkeiten zu enthüllen. Es klingt sehr gut, wenn man sagt,
-Gott ist die notwendige Weltordnung, wir müssen einsehen, daß alles
-einzelne notwendig aus Gott folgt, und müssen alles, es sei wie es
-sei, in gleicher Weise als Ausfluß der göttlichen Natur verstehen und
-lieben. Erst die Durchbildung dieser Sätze zum System lehrt uns, daß,
-wenn alles mit gleicher Notwendigkeit aus Gott folgt, jede Forderung,
-an ein Einzelwesen, sich zu ändern, und also auch die Forderung zur
-Gottesliebe fortzuschreiten, sinnlos wird. Es kommt nun aber hinzu, daß
-diese Schwierigkeiten nicht etwa nur in Spinozas System sich finden,
-sondern daß jeder Philosoph, der ähnliches will, ihnen verfallen muß.
-
-Die großen Leistungen unseres Erkennens bewirken Vereinigung vorher
-getrennter Gebiete. Beispiele aus den einzelnen Wissenschaften liegen
-nahe; unsere Physiker haben gelernt, Licht und Elektrizität als
-verschiedene Formen desselben Geschehens anzusehen, unsere Botaniker
-und Zoologen bemühen sich, die unzähligen Arten der Pflanzen und
-Tiere aus der Entwicklung einer oder weniger Urformen abzuleiten.
-Jeder solche Fortschritt verbindet zu sinnvollem Zusammenhang, was
-vorher fremd und zufällig nebeneinander stand. Dieses Einheitsstreben
-unseres Geistes führt schließlich zu dem Bemühen, alle einzelnen
-Dinge und Ereignisse aus einem einzigen obersten Satze durch Vernunft
-abzuleiten. Da aber doch die Wahrnehmungen in all ihrer Verschiedenheit
-bestehen bleiben, behauptet ein solcher Satz das Dasein einer wahren
-Wirklichkeit, im Vergleich mit welcher unsere Wahrnehmungen, ja diese
-ganze Welt wechselnder Geschehnisse unwirklich sind. Für Platon
-stellt die Ideenwelt, für Spinoza die einheitliche Gottnatur jene
-wahre Wirklichkeit dar. Man nennt diese Bemühungen, sofern sie als
-Wissenschaft auftreten, _Metaphysik_. Es läßt sich nun ganz allgemein
-beweisen, daß _jede_ Metaphysik zu ähnlichen Schwierigkeiten führen
-muß, wie wir sie aufgedeckt haben.
-
-Spinozas System ist nicht etwa der _letzte_ große Versuch einer solchen
-Metaphysik. Die Sehnsucht, alle die zerstreuten Einzelheiten der Welt
-als notwendige Einheit zu begreifen, hat vielmehr immer wieder zu neuen
-metaphysischen Systemen geführt, von denen einige sehr wichtig und
-lehrreich sind. Nur wegen des geringen Umfanges dieser Vorträge, und
-weil ich bei den meisten unter Ihnen keine besonderen Vorkenntnisse
-voraussetzen darf, habe ich mich begnügen müssen, an dem einen großen
-Beispiel Spinozas den Flug und den Sturz der Metaphysik klarzumachen.
-Denn nur, wenn Sie diesen Zwist zwischen der höchsten geistigen
-Sehnsucht und dem Können des Menschen eingesehen haben, werden Sie die
-große Leistung _Kants_ verstehen.
-
-Geschichtlich hängt Kant nicht unmittelbar mit Spinoza zusammen,
-sondern mit einem jüngeren Zeitgenossen des gebannten Juden, mit
-_Gottfried Wilhelm Leibniz_. Dieser große Deutsche hat unter allen
-Denkern vor Kant vielleicht am tiefsten die Schwierigkeiten der
-Metaphysik eingesehen. Trotzdem bildete er ein metaphysisches System
-aus, das sich vom Spinozismus hauptsächlich durch die Bemühung
-unterschied, der Eigenart der einzelnen Dinge und der Selbständigkeit
-der einzelnen Geister gerecht zu werden. Leibniz war ein Forscher von
-beinahe unbegreiflicher Vielseitigkeit, während die große Einheit
-seines philosophischen Strebens ihn vor zersplitternder Vielwisserei
-schützte. Gerade diese besondere Art seiner Größe hindert eine kurze
-und zugleich allgemein verständliche Darstellung seiner Lehre.
-Fortgewirkt haben Leibnizens Gedanken in der Form, die _Christian
-Wolff_ ihnen gab, kein großer ursprünglicher Denker, aber ein um
-die Verbreitung philosophischer Bildung höchst verdienter Mann.
-Vor allem dürfen wir Deutschen es ihm nicht vergessen, daß er die
-Philosophie deutsch reden lehrte, während vorher deutsche Philosophen
-meist lateinisch oder französisch geschrieben hatten, und daß er die
-deutschen Universitäten wieder zu Arbeitsstätten fortschreitender
-Wissenschaft und gründlicher Philosophie erhob. Wolff war durchaus
-Metaphysiker und fest überzeugt, daß unser vernünftiges Denken imstande
-sei, den wahren, einheitlichen Zusammenhang der ganzen Welt zu
-erkennen. Recht bezeichnend nennt er ein deutsches Werk, das eine kurze
-Darstellung seiner Lehre gibt: Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt
-und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. In der Lehre
-dieses Mannes wurde Kant erzogen, Kant, dem es vorbehalten war, unter
-Ablehnung der Metaphysik im alten Sinne der Philosophie die richtige
-Aufgabe und den wahren Weg zu ihrer Lösung zu zeigen.
-
-
-[Leben]
-
-_Das Leben Immanuel Kants_ ist schlichter, ereignisärmer als das
-irgendeines unter den bisher behandelten Philosophen. Es fehlt in
-ihm die unmittelbare Teilnahme am Staatsleben, es fehlen große
-Reisen, äußerlich bemerkbare Umschwünge, wirklich gefährliche
-Verfolgungen. Weder wirkte er in der großen Welt, noch stellte er
-sich der Lebensart seiner Zeitgenossen auffällig entgegen, sondern
-er führte das stille Arbeitsleben des Lehrers an einer kleinen
-deutschen Hochschule. _Immanuel Kant_ wurde 1724 in Königsberg als
-Sohn eines armen Handwerkers geboren. Die Familie war fromm im Sinne
-einer innerlichen lebendigen protestantischen Frömmigkeit, wie der
-Pietismus sie damals pflegte. Das Interesse eines einflußreichen
-pietistischen Geistlichen ermöglichte dem begabten Knaben eine höhere
-Ausbildung. Nach Beendigung der Schule widmete sich Kant an der
-heimischen Universität dem Studium der Philosophie im weitesten Sinne
-des Wortes, wozu damals auch Mathematik und Physik gehörten. Neben
-der Lehre _Wolffs_ gewann die _Naturwissenschaft_ großen Einfluß auf
-ihn. Seit den Zeiten eines Descartes hatten Astronomie und Physik
-große Fortschritte gemacht. _Newton_ war es gelungen nachzuweisen,
-daß die gleiche Gesetzmäßigkeit der Schwerkraft den Fall schwerer
-Körper auf der Erde und die Bewegungen der Gestirne beherrscht. Die
-mathematisch geleitete Erforschung und die mit ihr eng verbundene
-mechanistische Auffassung der Körperwelt, die im 17. Jahrhundert noch
-um ihre Anerkennung kämpfte, hatte sich allgemein durchgesetzt. Für
-Kants spätere Philosophie ist es sehr wichtig, daß nicht nur in der
-Mathematik, sondern auch in der Naturwissenschaft allgemein anerkannte
-Ergebnisse ihm vor Augen standen. Seine ersten Schriften waren zum
-großen Teil naturwissenschaftlichen Inhalts. Hervorzuheben ist unter
-ihnen die 1755 erschienene »Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des
-Himmels«, in der er die Entstehung des Sonnensystems mechanisch zu
-erklären versuchte.
-
-Seinen wahren Beruf entdeckte Kant früh; was ihn äußerlich hinderte,
-der inneren Stimme zu folgen, überwand sein fester Wille.
-Entschlossen, sich ganz der Wissenschaft zu widmen, erwarb er sich
-die nötigen Mittel durch Hauslehrertätigkeit auf Gütern der Provinz
-Preußen; dann ließ er sich 1755 als Dozent in Königsberg nieder,
-erlangte aber trotz eifriger und erfolgreicher Tätigkeit als Lehrer und
-Schriftsteller erst 1770 eine ordentliche Professur. Schuld an dieser
-späten Beförderung war der Siebenjährige Krieg und in seinem Gefolge
-die Armut des preußischen Staates.
-
-
-[Lebensart. Werke]
-
-Kants Leben war aufs strengste geregelt. Berücksichtigt man, daß er von
-seiner Arbeit leben mußte, seine wissenschaftlichen Pläne durchführen
-wollte und auf seinen von Natur zarten Körper Rücksicht zu nehmen
-gezwungen war, so begreift man sein genaues Haushalten mit Zeit, Kraft
-und Geld. Er hatte den Grundsatz, niemals jemandem Geld schuldig zu
-sein. Wer auch an meine Tür klopfte, so erzählte er selbst, ich konnte
-ruhig öffnen; denn ich wußte, daß kein Gläubiger eintreten würde. Wie
-seine wirtschaftliche Selbständigkeit, so war auch seine Gesundheit
-sein eigenes Werk, und er hatte darum ein Recht, stolz auf sie zu sein.
-Streng regelmäßig verlief sein Tag. Seinen Spaziergang trat er stets
-so genau zur festgesetzten Stunde an, daß die Nachbarn, wie es heißt,
-ihre Uhr nach ihm stellten. Hatte er einmal einen allgemeingültigen
-Entschluß gefaßt, so hielt er unerbittlich daran fest. Selbst in
-verhältnismäßig geringen Angelegenheiten formte er sich derartige
-Grundsätze.
-
-Das alles sieht fast pedantisch aus, aber es war in Wahrheit keine
-pedantische Schrulle, sondern die notwendige Bedingung seiner großen
-Leistungen. Wir dürfen uns Kant nicht als einen schon in der Jugend
-eingetrockneten Gelehrten und Büchermenschen vorstellen. Vielmehr war
-er in jüngeren Jahren als unterhaltender und witziger Gesellschafter
-sehr beliebt, auch bei Frauen, wie er selbst den Umgang mit klugen,
-feinen Frauen besonders schätzte. Er lebte als Junggeselle, aber
-keineswegs ungesellig, sondern suchte Verkehr besonders mit Männern
-des praktischen Lebens. Kaufleute und ein Forstmeister waren seine
-nächsten Freunde. Obwohl er seine Heimatprovinz nie, seine Heimatstadt
-höchst selten verließ, umspannte sein Gesichtskreis die ganze Welt.
-Reisebeschreibungen waren seine liebste Erholungslektüre; er wußte
-überall Bescheid, und die Welt lag offener vor ihm als vor manchem,
-der heute alle Meere durchfahren hat. Noch größer war seine Teilnahme
-für alles, was dem Wohl der Menschheit dient. An den Reformen der
-Erziehung, die damals vielfach versucht wurden, nahm er regen Anteil
-und gab sich z. B. viele Mühe, für Basedows Philanthropin Geld
-zusammenzubringen. Bis in seine mittleren Jahre hinein verfolgte er
-auch die schöne Literatur eifrig. Klopstocks Schwärmerei stieß ihn
-ab, Wieland war sein Lieblingsschriftsteller. Später freilich, als
-unsere Dichtung sich zu ihrer höchsten Blüte entfaltete, war Kant zu
-beschäftigt mit der Ausbildung seiner Philosophie, um noch jene ganz
-neue Welt der Poesie in sich aufnehmen zu können.
-
-Dieser lebhafte, für alles Bedeutende empfängliche Geist spiegelt sich
-in dem Stil seiner Jugendwerke, der oft von feiner, etwas altmodischer
-Grazie ist. Als er freilich sein Hauptwerk ausarbeitete, lag die
-frische Jugend längst hinter ihm. Die ersten vorbereitenden Gedanken
-legte er 1770 beim Antritt seiner Professur in einer lateinischen
-Schrift nieder, aber es bedurfte noch 11 Jahre schweigender Arbeit,
-bis 1781 die _Kritik der reinen Vernunft_, das Hauptwerk Kants und
-der neueren Philosophie, erschien. Ihr Verfasser war damals bereits
-57 Jahre alt. Noch blieb ihm Zeit und Kraft, die übrigen Teile seiner
-Philosophie auszuführen. 1788 erschien die _Kritik der praktischen
-Vernunft_, d. h. die Ethik, 1790 die _Kritik der Urteilskraft_, die
-zugleich seine Ästhetik und die Lehre von der organischen Natur
-enthält. Auch seine _Religionsphilosophie_ vermochte er, anfangs
-durch die Zensur daran gehindert, nach Friedrich Wilhelms II. Tode
-herauszugeben. Dann aber nahte dem durch Arbeit geschwächten Körper das
-Alter mit allen seinen Leiden. Er mußte schließlich seine Lehrtätigkeit
-aufgeben und wurde 1804 fast achtzigjährig durch den Tod erlöst.
-
-Kants Hauptwerk, mit dem wir uns heute beschäftigen wollen, ist schwer
-zu lesen und zu verstehen. Es ist in einer Sprache geschrieben, der
-man überall den Kampf um den richtigen und vollständigen Ausdruck der
-Gedanken anfühlt. Auch mußte Kant, um überhaupt von seinen Zeitgenossen
-verstanden zu werden, vielfach die Ausdrucksweise eben der Philosophie
-gebrauchen, die er widerlegte. Davon abgesehen, gewinnt der Stil dieses
-großen Werkes für den, der es wirklich versteht, einen ganz eigenen
-Reiz. Unter der starren Maske fremder Worte fühlt man das geistige
-Ringen und die beglückende, endlich erreichte Klarheit. Obwohl in der
-Darstellung fast jede Spur von Persönlichem ausgeschieden ist, macht
-sich die Persönlichkeit geltend. Von allem diesem Reize kann ich Ihnen
-nichts mitteilen, da ich die besonderen Schwierigkeiten der Kantischen
-Ausdrucksweise vermeiden muß. Auch der folgende Versuch, Kants
-Grundgedanken in allgemein zugänglicher Sprache wiederzugeben, wird
-an Ihre Aufmerksamkeit und an Ihre geistige Mitarbeit noch erhebliche
-Ansprüche stellen. Ich kann Ihnen diese Schwierigkeiten nicht ersparen;
-denn nur, wenn Sie einen Anteil an der Mühe der Wissenschaft gewinnen,
-wird Ihnen die Wissenschaft inneren Vorteil bringen. Es gibt eine
-Art von Popularisierung wissenschaftlicher Ergebnisse, die dem Hörer
-nur den Schaum zu leichtem Genusse bietet. Sie erzeugt den falschen
-Glauben, nun auf der Höhe wahrer Bildung zu stehen. Vergleichen
-möchte ich diese Art mit der künstlerischen Schilderung von Bauern,
-Seeleuten usw., die um die Mitte des 19. Jahrhunderts der erwachenden
-Anteilnahme an dem Geschick breiterer Volksschichten entgegenkam. Man
-stellte Landleute und Matrosen in sauberen, wie aus der Maskengarderobe
-geliehenen Sonntagskleidern in friedlicher Feierstimmung dar. Wir
-empfinden diese Kunst als Lüge. Wir wollen für das schwere Leben des
-Bauern und Arbeiters, wie es wirklich ist, Verständnis gewinnen. Dazu
-darf der Schmutz der Arbeit und die Schwielen an den Händen sowenig
-fehlen wie der Gesichtsausdruck, den der Lebenskampf aufprägt. Ebenso
-können Sie für die Wissenschaft Verständnis und Liebe nur gewinnen,
-wenn Sie an ihren Anstrengungen teilzunehmen suchen.
-
-
-[Rationalisten und Empiristen]
-
-Um Kants Leistung zu verstehen, müssen wir vollständiger als
-bisher wissen, woran er anknüpfte. Die Denker, die wir in den
-vorangehenden Vorträgen behandelten, stimmen alle darin überein,
-daß sie im vernünftigen Denken das Mittel des Erkennens erblicken.
-Nach dem lateinischen Worte ratio, Vernunft, nennt man sie daher
-_Rationalisten_. Aus reinem Denken heraus suchten sie sicheres
-Wissen von der Gesamtheit der Welt zu gewinnen. Wir sahen an
-Spinoza, in welche Schwierigkeiten ihr Streben sie verwickelte.
-Nahe lag infolgedessen der Einwand, daß ihre Voraussetzung falsch,
-daß das vernünftige Denken gar nicht die Grundlage sicheren Wissens
-sei. Schon vor Descartes hatte der englische Denker und Staatsmann
-_Francis Bacon_, mit dem praktischen Sinne seines Volkes das Nützliche
-ergreifend, eine andere Ansicht vom Erkennen aufgestellt. Können wir
-denn irgendeine noch so einfache wirkliche Einsicht aus der bloßen
-Vernunft herausholen? Schnee schmilzt bei Erwärmung zu Wasser, Wasser
-verdampft bei weiterer Erhitzung. Wir wissen das sicher -- aber
-nur aus Erfahrung. Es gibt Flüssigkeiten, die -- wie das Weiße im
-Hühnerei -- beim Erhitzen fest werden, nicht flüssig. Durch Sammlung
-und Vergleichung solcher Erfahrungen werden wir reicher an Wissen;
-die Erfahrung, Einzelheiten häufend, vom Einzelnen zum Allgemeinen
-aufsteigend, gibt allein wahre Erkenntnis. Da Erfahrung auf griechisch
-~empeiria~ heißt, nennt man diese Philosophen _Empiristen_. Von
-Descartes und von der Naturwissenschaft Newtons beeinflußt, hatte _John
-Locke_ den Empirismus ausgebildet und im Laufe des 18. Jahrhunderts
-auch auf dem Festland Einfluß gewonnen. Indessen »Erfahrung« ist eine
-recht komplizierte Sache -- der Satz, »erhitztes Wasser verdampft«,
-ist ja augenscheinlich erst das Erzeugnis vieler Wahrnehmungen und
-Überlegungen. Man hat zuerst das Wasser gesehen, seine Feuchtigkeit
-gefühlt, dann hat man die Wärme des Feuers empfunden, beim Eintauchen
-des Fingers wahrgenommen, wie das Wasser wärmer wurde, endlich sieht
-man Nebel aus dem Wasser sich erheben und in der Luft vergehen,
-das Wasser aufwallen und kochen, bemerkt schließlich, wie das
-Wasser weniger wird. Alle diese einzelnen Wahrnehmungen, die sich
-zu dem Satze »erhitztes Wasser verdampft« zusammenfinden müssen,
-verdanken wir unsern Sinnesorganen, dem Auge, der Haut usw., es sind
-Sinnesempfindungen. Alles Wissen beruht auf Erfahrung -- aber alle
-Erfahrung ist zuletzt nur eine Summe von Sinnesempfindungen -- zu
-dieser Lehre schreiten die englischen Denker und ihre französischen
-Gefolgsmänner naturgemäß fort. Sofern sie diese Folgerung wirklich
-ziehen, nennt man sie nach dem lateinischen Worte ~sensus~ = Sinn:
-_Sensualisten_.
-
-Nun ist ja gar nicht zu leugnen, daß jedem Erfahrungssatze
-Sinnesempfindungen zugrunde liegen. Das wußten natürlich auch die
-Rationalisten; aber sie behaupteten erstlich, daß es Erkenntnisse
-gebe, die keine Erfahrungssätze seien, und zweitens, daß auch den
-Erfahrungssätzen noch etwas mehr zugrunde liege als bloß einzelne
-Sinnesempfindungen, und daß in diesem »Mehr« der eigentliche
-Erkenntniswert der Erfahrung begründet sei. Wir sehen Farben, wir
-fühlen Härte, Wärme, Kälte, wir hören Töne -- aber wir erfahren im
-Sehen, Fühlen, Hören sichtbare, harte, tönende Körper und die Vorgänge
-an diesen Körpern. Schon Platon hatte von solchen Tatsachen her die
-dem modernen Sensualismus verwandte Erkenntnislehre des Protagoras
-bekämpft. Die neueren Sensualisten suchten nun nachzuweisen, daß auch
-die Vorstellungen von Dingen, Vorgängen usw. aus lauter einzelnen
-Sinnesempfindungen bestehen. Wenn wir oft wahrnehmen, daß eine
-bestimmte Farbe mit einer bestimmten Tastempfindung, einem Geschmacke
-usw. zusammen da ist, so geben wir diesem Zusammensein einen Namen, wir
-erwarten dann gewohnheitsmäßig, daß in künftigen Fällen die gleichen
-Zusammenhänge wiederkehren, z. B. daß der harte, weiße, an den Kanten
-durchscheinende Gegenstand, den wir ein Stück Zucker nennen, auch
-wieder süß schmecken werde.
-
-
-[Humes Kausaltheorie]
-
-In ähnlicher Art erklärt _David Hume_, der bedeutendste unter den
-englischen Sensualisten, auch das Zustandekommen unserer Vorstellungen
-von Ursache und Wirkung. Wenn wir sagen: die Hitze bewirkt Verdampfen
-des Wassers, so meinen wir, das gibt Hume zu, mehr zu sagen, als: wir
-erleben erst Hitze und dann, unter Andauern der Hitze, Verminderung des
-Wassers und Dampfbildung. Wir sind ja alle überzeugt, daß, wo und wann
-wir auch Wasser in genügendem Grade erhitzen, wir seine Verwandlung
-in Dampf mit ansehen werden. Umgekehrt, wo immer wir eine Veränderung
-wahrnehmen, sind wir überzeugt, daß sie Folge einer bestimmten
-Ursache ist. Die Voraussetzung, daß alles Geschehen sich aus Ursachen
-erklärt, die notwendig immer dieselben Folgen hervorbringen, leitet
-alles Forschen; wir nennen sie, nach dem lateinischen Worte ~causa~ =
-Ursache, das Kausalgesetz. Wie kommen wir aber nun dazu, mit Hilfe des
-Kausalgesetzes aus den einzelnen Empfindungen allgemeine Schlüsse zu
-ziehen? Diese Frage muß der Sensualismus so beantworten, daß er das
-Kausalgesetz selbst auf Empfindungen zurückführt. Um das zu leisten,
-lehrt Hume: In unserem Geiste verbinden sich zwei Empfindungen, die
-gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander erlebt wurden, z. B. Hitze
-und gesehener Dampf so, daß bei Wiederkehr der ersten Empfindung
-eine Erinnerung an die zweite auftaucht. Die Vorstellungen verbinden
-(assoziieren) sich. Wir haben ein »Assoziationsgesetz« vor uns, das
-schon Aristoteles gekannt hat. Diese Verbindung wird um so enger,
-je häufiger wir die beiden Empfindungen zusammen erlebt haben. Das
-Auftreten der ersten läßt uns dann die zweite erwarten. Auf solchen
-aus Gewohnheit entsprungenen Erwartungen beruht unser Glaube an einen
-regelmäßigen Verlauf der Ereignisse. Nur Gewohnheit ist im Grunde
-jenes Gefühl der Notwendigkeit, das wir mit dem Kausalgesetz verbinden.
-Dieses Gefühl ist uns im Leben nützlich; es gibt unsern Handlungen die
-sichere Grundlage. An der Zweckmäßigkeit der Erwartung regelmäßiger
-Folgen zweifelt Hume gar nicht; aber er betont, daß es sich dabei nur
-um eine nützliche Gewohnheit, durchaus nicht um eine in den Dingen und
-Ereignissen liegende Notwendigkeit handelt.
-
-Kant sagt einmal, Hume habe ihn aus seinem dogmatischen Schlummer
-erweckt, d. h. dem ungeprüften Glauben an überkommene Lehrmeinungen
-ein Ende gemacht. Wir verstehen leicht, daß gerade ein Angriff auf die
-unbedingte Geltung des Kausalgesetzes geeignet war, als erschreckender
-Weckruf zu wirken. Als naturwissenschaftlich gebildeter Mann wußte
-Kant, wie sehr diese Wissenschaften auf der Kausalität beruhen, als
-Anhänger der Wolffschen Philosophie war er gewohnt, das Dasein Gottes
-mit Hilfe des Satzes zu beweisen: »Diese kunstvoll und zweckmäßig
-eingerichtete Welt muß eine Ursache, und zwar eine nach Zwecken
-wirkende Ursache haben.« Wissenschaft und Religion schienen zugleich
-bedroht; Grund genug, Humes Lehre eingehend zu prüfen.
-
-
-[Kritik an Hume]
-
-Gerade dem Naturwissenschaftler mußten Einwände gegen Hume naheliegen.
-Unsere Erwartungen auf regelmäßiges Verhalten der Dinge werden oft
-getäuscht, aber in solchen Fällen zweifelt kein Forscher an der Geltung
-des Kausalgesetzes, sondern er sucht die bisher noch unbekannte Ursache
-jener Abweichung zu finden. Ein Stück Eisen, das man an einen Magneten
-hält, fällt nicht, wie man nach dem Gesetz der Schwere erwarten
-sollte, zur Erde, sondern wird schwebend erhalten. Niemand glaubt,
-hier höre die Anziehung der Erde zu wirken auf, vielmehr sieht man
-darin die Wirkung einer andern, ihr entgegen gerichteten Kraft, des
-Magnetismus. Nur die Voraussetzung, daß auch scheinbare Durchbrechungen
-des regelmäßigen Geschehens auf kausalen Gesetzen beruhen, hat aus
-gelegentlichen Beobachtungen auffallender Erscheinungen das stolze
-Gebäude der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus entstehen
-lassen. Man kann also den Satz, jede Veränderung muß eine Ursache
-haben, nicht als Ergebnis unserer Erfahrungen ansehen, weil er vielmehr
-Voraussetzung für alles Erfahrungswissen ist.
-
-Noch mehr: Hume selbst setzt in seiner Ableitung des Kausalgesetzes
-dieses Gesetz voraus, ohne es zu bemerken. Unsere Erwartung, daß
-auf eine Vorstellung, auf die früher eine andere gefolgt war, auch
-beim Wiederauftreten jene zweite folgen werde, beruht auf dem
-Assoziationsgesetz. Dieses Gesetz aber spricht eine Regelmäßigkeit
-im Verhalten unserer Vorstellungen aus, ist also selbst ein auf
-Vorstellungen angewandter Sonderfall des Kausalgesetzes. Hume übersieht
-trotz seines Scharfsinnes, daß er das Abzuleitende voraussetzt, weil
-er die Frage, auf die es ankommt, verkennt. Der englische Denker
-sucht sich Rechenschaft darüber zu geben, wie in uns die Vorstellung
-der Kausalität zustande kommt, und glaubt auf diesem Wege eine
-Entscheidung darüber zu gewinnen, ob diese Vorstellung notwendig gilt
-oder nicht. Aber aus der Entstehung läßt sich auf die Geltung und den
-Wert einer Erscheinung nie ein bindender Schluß ziehen. Selbst wenn
-z. B. die Religion aus dem Glauben an Gespenster und der Furcht vor
-ihnen entstanden sein sollte, wäre damit noch keineswegs bewiesen,
-daß sie mit Aufhören des Gespensterglaubens ihr Recht verliert. So
-ist die Rechtsfrage niemals durch eine Geschichte der Entstehung zu
-beantworten, es sei denn, es handele sich um ein historisches Recht.
-
-Humes Angriff auf die unbedingte Geltung des Kausalgesetzes war
-damit zurückgewiesen. Keineswegs aber leugnete Kant die Bedeutung
-der Erfahrung für die Erkenntnis und der Sinnesempfindung für die
-Erfahrung. Gewiß: ohne Sinnesempfindungen kein Wissen -- aber ein
-bloßer Haufe von Empfindungen gibt für sich allein gar keine Kenntnis.
-Erfahrungen sammeln, heißt aus den einzelnen Empfindungen einen
-geordneten Zusammenhang aufbauen, in dem jede neue Wahrnehmung ihren
-bestimmten Platz findet. Das Kausalgesetz ist eine der notwendigen
-Voraussetzungen, ohne deren Anerkennung wir bloß ein loses Nacheinander
-unverbundener Eindrücke, keine Welt miteinander zusammenhängender
-Geschehnisse hätten. Ein solcher Spreusand von Erlebnissen, der
-unter dem Erleben ins Nichts zerstiebte, würde der Möglichkeit
-der Erfahrung widerstreiten. Das Kausalgesetz gehört also zu den
-logischen Voraussetzungen der Erfahrung oder unserer Erkenntnis einer
-Wirklichkeit. Was wir erkennen sollen, muß unter den Bedingungen
-unserer Erkenntnis stehen; was diesen Bedingungen widerspricht,
-kann gar nicht Gegenstand der Erkenntnis werden. Descartes hatte
-gezeigt, daß das Denken das Allergewisseste ist, Kant machte diesen
-Satz fruchtbar, indem er bewies, daß jede andere Gewißheit von der
-Gewißheit der Grundsätze des Erkennens abhängig ist. Damit wälzte er
-die ganze Art und Richtung der Betrachtung um. Vorher war man von
-den _Dingen_ ausgegangen. Auch Descartes hatte vom Denken gleich den
-Übergang zur Gottheit gesucht und aus ihr dann alles übrige abgeleitet.
-Spinoza fragte nach der einen ersten Ursache, aus der alles andere
-mit mathematischer Gewißheit folgt. Kant sucht in unserem _Geiste_
-die innere Notwendigkeit, die uns dazu treibt, zu jeder Veränderung
-die Ursache aufzusuchen. Er selbst verglich diese Umstülpung der
-Betrachtungsweise mit der Leistung des Kopernikus, der an Stelle der
-Erde die Sonne in den Mittelpunkt gerückt hatte. So hat Kant, um bei
-unserem Beispiel zu bleiben, an Stelle irgendeiner ersten Ursache in
-der Welt (einer göttlichen Ordnung oder einer rein im Stoffe gelegenen
-ewigen Gesetzlichkeit) den notwendig nach Ursachen fortschreitenden
-Geist in die Mitte der Ursachenforschung gestellt. Man hat dieser
-Lehre zuweilen vorgeworfen, sie mache alle Gewißheit vom Menschen
-und damit von der Willkür abhängig. Ein stärkeres Mißverständnis ist
-kaum denkbar. Schon als wir das Verhältnis von Sokrates zu Protagoras
-betrachteten, sahen wir, daß die Vernunft und ihre Gesetze zwar
-im Geiste jedes einzelnen Menschen sich finden, aber doch von den
-Eigenschaften und Merkmalen, die ihn zu einem besonderen Menschen,
-zu Peter oder Paul machen, ganz unabhängig sind. Wenn wir auch nur
-den einfachsten, alltäglichen Vorgang erkennen wollen, so müssen
-wir versuchen, von unseren besonderen persönlichen Beziehungen dazu
-abzusehen. Wir dürfen z. B. nicht unserer Neigung folgen, einen uns
-unsympathischen Mann für den Urheber einer Übeltat zu halten. Jeder
-Richter soll objektiv sein, wie man sagt, d. h. von den besonderen
-subjektiven Neigungen und Abneigungen, die er wie jeder andere
-mitbringt, absehen. Aber von den allgemeinen Sätzen der Vernunft, die
-in uns allen die gleichen sind, kann und soll er nicht absehen, im
-Gegenteil, er soll ihnen durchaus folgen. Ganz ebenso ist es in der
-Naturforschung. Eine Mondfinsternis ist ein auffallendes Ereignis;
-wenn sich kurz nach einer solchen etwas anderes Auffallendes, z. B.
-eine Schlacht ereignet, so ist der Mensch ursprünglich geneigt, diese
-beiden auffallenden Ereignisse in Verbindung miteinander zu bringen.
-In der Tat glauben die meisten Völker an solche Zusammenhänge. Hat man
-aber eingesehen, daß die Mondfinsternis Folge einer bestimmten, mit
-berechenbarer Regelmäßigkeit wiederkehrenden Stellung von Sonne, Mond
-und Erde zueinander ist, während jene Schlacht sich aus Gegensätzen
-zwischen Fürsten oder Völkern erklärt, die mit Mond und Sonne gar
-nichts zu tun haben, so wird man einen solchen Zusammenhang leugnen.
-Kant hat also nicht im geringsten nach Art der Sophisten alle Wahrheit
-von der Laune und Stimmung des einzelnen Menschen abhängig gemacht,
-sondern er hat gezeigt, daß die in allen Menschen angelegte, aber nicht
-in allen gleichmäßig entwickelte Vernunft die notwendige Voraussetzung
-aller Erkenntnis ist.
-
-
-[Kausaltheorie]
-
-Wir müssen uns aber, um Kant völlig zu verstehen, daran erinnern,
-daß er den englischen Empiristen doch ein ganz bestimmtes Recht
-zuerkannte. Jeder Naturforscher ist überzeugt, daß eine von ihm
-beobachtete Veränderung eine Ursache hat; und wenn er diese Ursache
-nicht findet, so wird er nicht etwa an dem Gesetze der Kausalität
-irre, sondern hält seine Kenntnis der Tatsachen für unvollständig. An
-diesem Verhalten soll uns deutlich werden, daß aus dem allgemeinen
-Gesetze der Kausalität allein die besondere Ursache in irgendeinem
-einzelnen Falle nicht erschlossen werden kann. So bequem haben
-wir es nicht, vielmehr erfordert es sorgsame Beobachtung, mühsame
-Experimente, vielfache Überlegung und Berechnung aller einzelnen in
-Betracht kommenden Umstände, um auch nur einen einzigen Zusammenhang
-besonderer Ursachen mit ihren Wirkungen zu erkennen. Fruchtbar also
-wird der Grundsatz der Verbindung von Ursache und Wirkung nur durch
-Erfahrungen. Alle Erfahrungen aber vermitteln uns unsere Sinnesorgane,
-deren Leistungsfähigkeit die moderne Wissenschaft darum durch Fernrohr,
-Mikroskop und viele andere Mittel zu erhöhen sucht. Indessen, zu einer
-Erfahrung im wahren Sinne des Wortes werden diese Sinneswahrnehmungen
-nur durch die Grundsätze des Verstandes, als deren Beispiel uns der
-Satz der Kausalität gedient hat. Unser ganzes Erkennen besteht also
-darin, daß wir den stets sich häufenden Stoff der Sinnesempfindungen
-in immer exakterer und bestimmterer Weise den Grundgesetzen unseres
-Geistes unterwerfen. Dabei klären sich zugleich jene Verstandesgesetze
-selbst. Irgendwie nimmt auch der roheste Mensch an, daß jede
-Veränderung eine Ursache hat. Selbst im Märchen geschieht nichts ganz
-Willkürliches, mögen die Ursachen im einzelnen noch so phantastisch
-gedacht werden. Auch in jeder praktischen Arbeit setzt der Mensch die
-Geltung des Kausalgesetzes voraus. Wer mit dem Hammer einen Nagel in
-ein Brett schlägt, erwartet, daß die Wucht des Werkzeuges die Spitze
-des Nagels in die Fasern des Holzes hineintreiben wird. Wenn trotzdem
-der Nagel sich krümmt, so sucht er die Ursache dafür entweder in einer
-Verhärtung im Holze oder in einer Schwäche des Nagels. Daß aber die
-Einheit der ganzen Welt durch die Einheitlichkeit des Kausalgesetzes
-zustande kommt, sieht erst die Wissenschaft ein. Auch ihr wird diese
-Einheitlichkeit nicht wie ein Geschenk gegeben, sondern sie bemüht
-sich darum, immer mehr die Fülle der Erscheinungen durch einheitliche
-Naturgesetze zu verbinden. Was wir aber Naturgesetz nennen, ist nichts
-anderes als ein allgemeiner Satz, der Ursache und Wirkung verbindet.
-Die Naturgesetze sind also jene im Vergleich zum Kausalgesetz
-besonderen, im Vergleich zu den einzelnen Tatsachen allgemeinen Sätze,
-durch die wir den Stoff der Sinnesempfindungen der obersten Forderung
-des Kausalgesetzes unterwerfen. Darum setzen wir auch voraus, daß sie
-ausnahmslos gelten, und wenn wir Ausnahmen finden, so führen wir sie
-entweder auf Durchkreuzung durch andere Naturgesetze zurück, oder wir
-überzeugen uns, daß jenes scheinbare Naturgesetz kein solches war.
-Was bei Spinoza am Anfang stand, die einheitliche Gesetzlichkeit der
-ganzen Welt, die innerlich notwendige Verknüpfung aller Einzelheiten
-zu einem Ganzen, das steht für Kant am Ende. Von einer »Welt« dürfen
-wir aber im Grunde nur reden, wo alle Einzelheiten zu einem Ganzen
-verknüpft sind. Man erkennt so, daß dem Menschen nicht eine fertige
-Welt gegeben, sondern daß es seine Aufgabe ist, den gegebenen Stoff
-sinnlicher Empfindungen immer vollständiger in die Einheit einer Welt
-hineinzubauen -- wir dürfen sagen: Die Welt ist uns nicht gegeben,
-sondern aufgegeben.
-
-Es wird nötig sein, den ganzen Gedankengang, den wir an einem Beispiele
-durchgegangen sind, nun allgemeiner zu wiederholen. Dabei werden
-wir wichtige Bestandteile, die wir der Einfachheit wegen zunächst
-absichtlich wegließen, nachholen müssen. Auch wird es zweckmäßig
-sein, nunmehr wenigstens einige vielgebrauchte kantische Ausdrücke zu
-erklären. Wir können von einer Fragestellung ausgehen, die Kant selbst
-zum Zwecke einer leichteren Einführung in seine Lehre benutzt hat.[5]
-Kant wollte wissen, warum die Metaphysik bisher immer Schiffbruch
-gelitten hatte. Metaphysik beansprucht, sichere und allgemeingültige
-Erkenntnisse zu besitzen. Nun gibt es Wissenschaften, die zwar nicht
-das Ganze der Welt und sein Verhältnis zur Gottheit zum Gegenstande
-haben, dafür aber auf ihrem engeren Gebiete jene Zuverlässigkeit und
-Allgemeingültigkeit besitzen, die die Metaphysik vergeblich erstrebt.
-Es sind dies die Mathematik und die mathematische Naturwissenschaft.
-Wenn wir wissen, wie auf diesen Gebieten Erkenntnis zustande kommt,
-dann werden wir auch einsehen lernen, warum es sich auf metaphysischem
-Gebiet anders verhält. Es entstehen also zunächst drei Fragen, den
-drei Wissenschaften entsprechend. Diese Fragen haben aber nicht alle
-dieselbe Form. In Mathematik und Naturwissenschaft gibt es allgemein
-anerkannte wissenschaftliche Sätze. Wer Euklids Geometrie oder Newtons
-Physik verstanden hat, kann nicht mehr fragen, _ob_ hier Wissenschaft
-möglich ist; denn er hat die Wirklichkeit dieser Wissenschaften
-erkannt, und was wirklich ist, dessen Möglichkeit ist erwiesen. Hier
-kann es also nur darauf ankommen, nachzuweisen, _wie_ diese Möglichkeit
-zustande kommt. Anders steht es mit der Metaphysik. In ihren
-Streitigkeiten hat es wenigstens bisher keine Entscheidung gegeben,
-und viele haben infolgedessen an jeder Möglichkeit metaphysischer
-Erkenntnis gezweifelt. Wir müssen also fragen, _ob_ Metaphysik als
-Wissenschaft möglich ist. Sollte diese Frage verneint werden, so wäre
-damit freilich noch nicht alles erledigt. Denn augenscheinlich liegt
-doch tief in unserem Wesen begründet ein Bedürfnis nach Metaphysik;
-wäre das nicht der Fall, so hätte die Menschheit längst von den
-Bemühungen um eine solche Erkenntnis abgelassen. Kant selbst hat dieses
-Bedürfnis im höchsten Grade gefühlt, er sagt einmal, er sei in die
-Metaphysik verliebt. Die Tatsache dieses Bedürfnisses verlangt auch
-dann und gerade dann eine Erklärung, wenn man eine wissenschaftliche
-Metaphysik nicht für möglich hält. Wir verstehen jetzt die vier Fragen,
-auf die Kant in der schon erwähnten späteren, leichter verständlichen
-Darstellung den Inhalt der Kritik der reinen Vernunft zurückgeführt hat:
-
- I. Wie ist reine Mathematik möglich?
-
- II. Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
-
- III. Ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?
-
- IV. Wie ist das Bedürfnis nach Metaphysik als Tatsache möglich?
-
-
-[Fragestellung]
-
-Zu erklären bleibt dabei nur noch das Wörtchen »rein« in der ersten
-und zweiten Frage. Es bedeutet: unabhängig von jeder einzelnen
-sinnlichen Erfahrung. Wir haben am Kausalgesetze gesehen, daß die
-allgemeine Voraussetzung einer Verbindung von Ursache und Wirkung allen
-Erfahrungen zugrunde liegt. Die Erfahrung, wenn wir unter diesem Worte
-die Vereinheitlichung unserer verstreuten Empfindungen verstehen, ist
-nur unter Voraussetzung des Kausalgesetzes möglich; dieses Gesetz ist
-also von jeder besonderen Erfahrung unabhängig, es ist »rein« in dem
-eben erklärten Wortsinne. Dagegen kommt jedes einzelne Naturgesetz, z.
-B. daß der Magnet Eisen anzieht, erst durch Anwendung des allgemeinen
-Kausalgesetzes auf einzelne Erfahrungen zustande. Diese Gesetze sind
-also nicht mehr »rein«. Nur um jene reinen Voraussetzungen aller
-Naturwissenschaft handelt es sich hier.
-
-Wir gehen nunmehr die einzelnen Fragen durch und erklären Kants
-Antworten.
-
-
-I. Wie ist reine Mathematik möglich?
-
-Die mathematischen Sätze leiten wir nicht aus einzelnen Erfahrungen
-her; wenn wir z. B. beweisen wollen, daß die Winkelsumme des Dreiecks
-zwei Rechte beträgt, so messen wir nicht die Winkel möglichst vieler
-Dreiecke nach, sondern wir führen einen ganz allgemeinen Beweis,
-der auf andere einfachere Sätze und schließlich auf unbeweisbare
-Grundsätze zurückgeht. Das Dreieck, welches wir uns dabei vielleicht
-aufzeichnen, dient nur zur Erleichterung des Verständnisses. Seine
-besondere Beschaffenheit, ob es rechtwinklig, spitzwinklig oder
-stumpfwinklig, ob es gleichseitig oder ungleichseitig ist, bleibt
-ganz außer Betracht. Ja wir wissen genau, daß das gezeichnete Dreieck
-den Anforderungen der Geometrie nicht völlig entspricht. Für unseren
-Beweis sind seine Seiten ohne Breite, während jede gezeichnete Linie
-eine gewisse Breite besitzt. In den mathematischen Wissenschaften
-haben wir also eine Fülle von Sätzen, die rein, unabhängig von jeder
-Erfahrung gelten. Diese Wahrheiten aber sind uns höchst wichtig; denn
-wir sind überzeugt, daß alle unsere Erfahrungen über körperliche Dinge
-diesen Sätzen entsprechen werden. Jeder Physiker oder Astronom setzt
-bei seinen Messungen die Lehrsätze der Geometrie voraus. Wir haben
-früher gesehen, wie Descartes und seine Nachfolger in der Geometrie das
-Vorbild rein verstandesmäßiger Erkenntnis erblickten. Sie glaubten,
-daß die geometrischen Sätze sich durch bloßes Denken gewinnen ließen
-und hofften daher, in ähnlicher Weise ein System wahrer Sätze über Gott
-und das Weltganze aufstellen zu können. Kant war mit ihnen einig darin,
-daß die geometrischen Sätze nicht aus der Erfahrung abgeleitet sind.
-Aber ebensowenig lassen sie sich aus dem bloßen logischen Denken heraus
-gewinnen; wenn wir auch den Begriff der geraden Linie, des Punktes,
-der Ebene und der Parallelen aufgestellt haben, können wir daraus noch
-nicht den Grundsatz ableiten, daß in einer Ebene zu jeder geraden
-Linie durch jeden Punkt außerhalb dieser Geraden eine und nur eine
-Parallele gezogen werden kann. Die Überzeugung von der Wahrheit dieses
-Satzes beruht auf den Grundeigenschaften unserer räumlichen Anschauung.
-Ähnliches gilt von allen Grundsätzen der Geometrie. Hier steht also
-zwischen dem Denken und den einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen noch
-etwas Drittes: der Raum. Jede unserer Wahrnehmungen von Körpern ist
-räumlich, darum gelten von ihr die Grundeigenschaften des Raumes.
-Hätte sie diese Form nicht, so könnten wir sie gar nicht in unsere
-einheitliche Vorstellung einer Körperwelt einordnen. Diese allgemeine
-Form des Raumes ist nicht aus einzelnen Erfahrungen abzuleiten; denn
-die Erfahrung als Verknüpfung der einzelnen Empfindungen in eine
-einheitliche Welt ist nur mit Hilfe des Raumes möglich. Aber die
-Eigentümlichkeiten des Raumes, die in den geometrischen Grundsätzen
-ausgesprochen werden, sind ebensowenig denknotwendig in dem Sinne,
-daß es ein Widerspruch wäre, sie zu bestreiten. In Gedanken können
-wir uns z. B. ganz gut mit Räumen von vier und mehr Dimensionen
-beschäftigen. Wenn also der Raum weder Erfahrung noch denkerzeugter
-Begriff ist, so bleibt nur eins noch übrig: er ist eine reine, d.
-h. von aller Erfahrung unabhängige Form unserer äußeren Anschauung
-oder, was dasselbe sagt, unserer Anschauung der Körperwelt. Die Sätze
-der Geometrie sind allgemein gültig, weil alle unsere körperliche
-Erfahrung nur in den Formen dieser Anschauung möglich ist. Was vom
-Raum gilt, gilt ganz ähnlich auch von der Zeit, nur daß sie unserer
-Erfahrung noch viel allgemeiner zugrunde liegt. Die Verknüpfung der
-seelischen Vorgänge, der Gedanken und Gefühle, alles dessen, was
-wir unsere innere Erfahrung nennen können, findet nicht im Raume,
-wohl aber in der Zeit statt. Nach Kant steht die Arithmetik in einem
-ähnlichen Verhältnisse zur Zeit wie die Geometrie zum Raum. Man kann
-das verstehen, wenn man das Zählen als Vorbedingung der Zahl ansieht.
-Doch führt das auf schwierige und sehr umstrittene Probleme, die hier
-darzulegen unmöglich ist. Wir haben so zwei reine Anschauungsformen,
-durch die alle einzelnen Erlebnisse geordnet sind. Die Gesetzlichkeit
-dieser Formen sprechen wir in den Grundsätzen der Mathematik aus. Die
-Geltung der Mathematik für alle Erfahrungen beruht auf diesen reinen
-Anschauungsformen. Was nicht in Raum und Zeit angeordnet ist, bleibt
-für uns schlechthin unerkennbar.
-
-
-II. Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?
-
-Auch die Naturwissenschaft macht, wie wir schon bei unserer
-Betrachtung des Kausalgesetzes sahen, Voraussetzungen, die nicht
-aus der Erfahrung ableitbar sind. Alle einzelnen Naturgesetze zwar
-enthalten Erfahrungsbestandteile, sind also in Kants Sinne keine reinen
-Erkenntnisse, aber es ist möglich, jene vor aller Erfahrung gültigen
-Voraussetzungen aller Naturwissenschaft für sich zu betrachten. Diese
-Voraussetzungen und was ohne Anleihe an die besondere Erfahrung aus
-ihnen folgt, nennt Kant _reine Naturwissenschaft_.
-
-Durch Raum und Zeit erhält jedes Erlebnis eine bestimmte Stelle, die
-für alle Menschen dieselbe ist. Aber die so geordneten Anschauungen
-bilden doch ein bloßes Nebeneinander, wenn nicht noch andere Prinzipien
-von ihnen gelten. Sie sollen ja nicht nur geordnet angeschaut,
-sondern als gesetzmäßiger Zusammenhang gedacht werden. Dazu ist, wie
-wir bereits sahen, die Geltung des Kausalgesetzes notwendig. Damit
-aber die gesetzmäßigen Veränderungen der Natur von unserem Verstande
-beherrschbar seien, müssen sie, wie wir schon früher erkannt haben, der
-Rechnung unterworfen werden können. Alle Unterschiede in der Körperwelt
-müssen auf quantitative Unterschiede, d. h. auf Verschiedenheiten der
-Größe und Zahl zurückgeführt werden.
-
-Soll ferner im Flusse der Ereignisse Einheit herrschen, so muß etwas
-von allem Wechsel unberührt erhalten bleiben, und da es sich überall in
-der Naturwissenschaft um meßbare Größen handelt, muß auch dieses Etwas
-eine Größe sein. Als solche Erhaltungsgrößen hat die moderne Physik
-Materie und Energie erkannt.
-
-Es ist an dieser Stelle nicht möglich, alle Voraussetzungen der
-Naturwissenschaft aufzuführen; welcher Art sie sind, zeigen die
-behandelten Beispiele genugsam. Sehen wir sie uns noch einmal an, so
-erkennen wir sofort, daß sie der Zeit zu ihrer Anwendung bedürfen.
-Die Erhaltungsgesetze sagen aus, daß eine Größe in aller Zeit
-bestehen bleibt, das Kausalgesetz macht aus der bloßen Zeitfolge der
-Geschehnisse eine begreifliche Ordnung.
-
-Die Sätze der reinen Naturwissenschaft enthalten also außer
-den _Verstandesformen_, die Kant _Kategorien_ nennt, noch die
-_Anschauungsformen_.
-
-Fruchtbar wird diese reine Naturwissenschaft aber erst, indem sie sich
-den Stoff der Empfindungen unterwirft. Diesen Stoff empfängt sie,
-vermag ihn aber nicht aus ihren Grundsätzen abzuleiten, zu erzeugen.
-
-
-III. Ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?
-
-Mit den letzten Sätzen ist diese Frage eigentlich schon verneint.
-Man hatte geglaubt, aus dem reinen Denken heraus ohne Anleihe an die
-Erfahrung Erkenntnisse über die Gottheit und ihr Verhältnis zur Welt
-ableiten zu können. Wir wissen jetzt, daß zunächst jede inhaltlich
-fruchtbare Anwendung der allgemeinen Verstandesformen nur mit Hilfe
-der Formen der Anschauung, Raum und Zeit, möglich ist. Der Satz, daß
-jede Veränderung ihre Ursache haben muß, hat nur innerhalb des Reiches
-zeitlicher Geschehnisse Sinn. Wenn die frühere Metaphysik sagte: die
-Welt ist da, also muß sie eine Ursache haben, so suchte sie den Begriff
-der Ursache, statt ihn innerhalb der Welt anzuwenden, vielmehr auf
-das Ganze der Welt und sein Verhältnis zu etwas außerhalb der Welt
-auszudehnen. Damit überschritt sie das Reich möglicher Erfahrung, in
-welchem allein die Formen unseres Denkens Halt und Erfüllung gewinnen.
-Die Taube, die in der Luft fliegt und deren Widerstand fühlt, könnte
-meinen, sie werde im luftleeren Raum, wo dieser Widerstand sie nicht
-hindert, noch viel besser fliegen können. Sie weiß nicht, daß doch nur
-der Widerstand der Luft ihren Flügelbewegungen Halt und Kraft gibt. So
-meint der Metaphysiker ohne den widerstrebenden Stoff der Anschauungen
-besser denken zu können, und vergißt, daß nur jener Stoff die Formen
-des Denkens mit Inhalt erfüllt und anwendbar macht. Aus den Erfahrungen
-metaphysische Schlüsse zu ziehen, ist erst recht unmöglich; denn aus
-Erfahrungen können wir immer nur auf Dinge und Vorgänge schließen, die
-den Erfahrungen ähnlich sind. Das seinem Begriff gemäß notwendigerweise
-der Erfahrung unzugängliche _Ganze_ der Welt und die Gottheit bleiben
-also unerkennbar. _Metaphysik als Wissenschaft ist nicht möglich_.
-
-
-IV. Wie ist das Bedürfnis nach Metaphysik als Tatsache möglich?
-
-All unser Erkennen ist eine fortschreitende Arbeit, immer neuen Stoff
-der Wahrnehmungen fügen wir der wissenschaftlichen Erkenntnis ein,
-immer einheitlicher suchen wir die Grundgesetze der Natur zu fassen,
-immer vollständiger die Erlebnisse ihnen zu unterwerfen. Als Ziel
-dieses Strebens schwebt dem Forscher eine einheitliche Welterkenntnis
-vor. Gewiß, die Welt als Ganzes ist nicht gegeben, aber sie ist
-doch aufgegeben. Wohl weiß der besonnene Denker, daß der endliche
-menschliche Verstand jene unendliche Aufgabe nie wirklich lösen wird,
-aber trotzdem gibt diese Aufgabe seiner unablässigen Arbeit Ziel und
-Richtung. Ganz natürlich hat der Mensch die Sehnsucht, dieses Ideal
-seines Erkenntnisstrebens sich bestimmter auszumalen. Sobald er es
-versucht, erfährt er, daß seine irdischen Farben versagen. Aber die
-Sehnsucht bleibt, und wir werden noch einsehen, wie wichtig die
-Tatsache dieser Sehnsucht für unsere ganze Auffassung von Welt und
-Leben sein muß. Vorläufig können wir unsere vierte Frage beantworten:
-Die Tatsache des Bedürfnisses nach Metaphysik erklärt sich aus der
-Natur unseres Erkennens als eines nach einem unerreichbaren Ziele
-gerichteten Strebens.
-
-
-[Gottesbeweise. Übergang zur Ethik]
-
-Kants Kritik des Erkennens hat also ein doppeltes Gesicht. Das eine
-positive ist der Erfahrungserkenntnis zugewendet: sie wird sicher
-begründet durch die reinen Formen der Anschauung, Raum und Zeit, und
-durch die Verstandesbegriffe, die Kategorien. Innerhalb der Erfahrung
-gibt es Grundsätze, die sicherer sind als jede einzelne Erfahrung
-und die das Ganze der Erfahrung erst möglich machen, nämlich die
-Grundregeln unseres Anschauens und Denkens. Aber alle diese Regeln sind
-nur anwendbar, soweit sie mit Erfahrungsstoff erfüllt werden können.
-Jeder Behauptung, die jenseits des Erfahrbaren eine übersinnliche
-Welt aus bloßen Verstandesbegriffen aufbauen will, wendet die
-Erkenntniskritik ihr verneinendes, abweisendes Gesicht zu. Ein Begriff
-des allervollkommensten Wesens z. B. kann von uns gar nicht erfaßt
-werden. Descartes hatte diesen Gedanken zugleich mit dem Gefühl unserer
-Unvollkommenheit aus dem ursprünglichen Zweifel abgeleitet, Spinoza
-hatte sich bemüht, alle einzelnen Dinge und Ereignisse in diesem
-allervollkommensten Wesen so zusammenzudenken, daß sie aus ihm mit
-mathematischer Notwendigkeit folgen. Vergleicht man Kant mit diesen
-beiden Philosophen, so kann man sagen: Er gibt Descartes zu, daß unser
-Erkennen nur unvollkommen einem Ziel sich nähert, welches ihm als
-unerreichbares Ideal vorschwebt. Aber von diesem Ziele vermögen wir nur
-zu wissen, daß es unserem Denken als Ziel vorschwebt und Richtung gibt;
-keineswegs dürfen wir behaupten, daß wir den Begriff einer Gottheit
-in uns tragen, in der dieses Ziel erreicht ist. Auch der Schluß von
-dem Begriffe eines allervollkommensten Wesens auf seine Wirklichkeit
-ist falsch. Dieser angeblich sichere Beweis für das Dasein Gottes war
-längst vor Descartes von mittelalterlichen Denkern aufgestellt worden
-und lautet wesentlich so: Zum Begriffe des allervollkommensten Wesens
-gehört jede einzelne Vollkommenheit. Nun ist aber Sein, Wirklichkeit
-eine Vollkommenheit, also muß das allervollkommenste Wesen wirklich
-sein, sonst könnte man ein Wesen denken, das zu allen übrigen
-Vollkommenheiten noch die des Wirklich-Seins hätte, also vollkommener
-wäre, als das allervollkommenste Wesen. Das aber widerspricht dem
-Begriffe eines solchen Wesens und ist daher unmöglich. Kant sagt gegen
-diesen Beweis, daß aus einem bloßen Begriff niemals die wirkliche
-Existenz dessen, was in diesem Begriffe gedacht wird, erschlossen
-werden kann. Wirklichkeit dürfen wir nur da behaupten, wo unsere
-Erfahrung uns dazu das Recht gibt. Auch darf man nicht sagen, daß der
-Begriff eines wirklich existierenden allervollkommensten Wesens den
-Begriff eines nur möglicherweise existierenden allervollkommensten
-Wesens an Vollkommenheit überträfe. Das wäre so, als wenn jemand
-behaupten wollte, hundert Taler, die einer zu erwerben hofft, seien
-ihrem Begriffe nach weniger, als hundert Taler, die er in der Tasche
-hat.
-
-Gerade diese zerstörende Seite der Kantischen Philosophie hat auf die
-Zeitgenossen den größten Eindruck gemacht. Einer der bekanntesten
-deutschen Denker jener Zeit, Moses Mendelssohn, hat Kant deshalb den
-Alleszermalmer genannt. Für uns, die wir viel schärfere Verneiner
-erlebt haben, ist Kant vor allem Begründer sicherer Erkenntnis und
-Führer zu einer Lebensanschauung, die unter Verzicht auf täuschende
-Phantasien doch die Ziele und Werte unseres Daseins uns sichert.
-Wir können das Weltganze niemals wirklich begreifen, aber all unser
-Erkennen entnimmt doch seinen Sinn der Aufgabe, die einzelnen
-Erfahrungen zum Ganzen zu gestalten. Im Erkenntnisstreben, in der
-Aufgabe liegt das einzige für uns faßliche Verhältnis zum Unendlichen
-und Unbegreiflichen; im Erkennen selbst ist das Höchste eine Aufgabe,
-eine Pflicht.
-
-So hängt Kants Philosophie des Erkennens mit seiner Moralphilosophie
-zusammen. Wir wissen nichts von einer übersinnlichen Welt, die unsre
-Erfahrung überschreitet, d. h. wir dürfen nicht etwa eine solche Welt
-leugnen, sondern wir dürfen gar nichts über sie aussagen. Aber eins
-ist uns sicher bekannt, daß wir Pflichten und Aufgaben haben. Sollte
-diese Erkenntnis uns nicht weiterführen? Am Anfang dieser Vorträge habe
-ich die Frage: Was soll ich in dieser Welt? als die Grundfrage der
-Philosophie bezeichnet. Diese Frage führte zu der andern: Was ist diese
-Welt? Zuweilen mochte bei Ihnen während der vorangehenden Vorträge
-die Meinung entstehen, daß diese beiden Fragen doch nur äußerlich
-nebeneinander ständen; -- jetzt werden Sie ihren inneren Zusammenhang
-erkannt haben. Keineswegs vermögen wir, wie z. B. Spinoza wollte, aus
-einer Gesamterkenntnis der Welt heraus die Bestimmung unseres Daseins
-abzuleiten; vielmehr wissen wir von dem Ganzen der Welt, von alledem,
-was wir ihre Einheit, ihr Wesen nennen, nur so viel gewiß, daß es uns
-als Aufgabe unseres Erkenntnisstrebens vor Augen schwebt, und zwar
-als eine Aufgabe, deren volle Lösung nie gelingen kann. Ein solches
-notwendig gefordertes und doch unerreichbares Ziel nennt Kant _Idee_.
-Einheit, Wesen der Welt, das sind Ideen, denen sich unsere Erkenntnis
-in steter pflichtbewußter Arbeit annähern soll. Das letzte Wort in
-Kants theoretischer Philosophie, das Wort »sollen«, ist zugleich das
-Haupt- und Schlagwort seiner Ethik; sie darzustellen ist die Aufgabe
-unseres letzten Vortrages. Im Anschluß an sie wollen wir den Mann
-betrachten, der diese Ethik ins Leben hinüberführte: _Fichte_.
-
-[Illustration: Kant
-
-Aus: Allgemeines Historisches Porträtwerk
-
-(gemalt v. Döbler)]
-
-
-
-
-Sechster Vortrag.
-
-Fichte. (Kants praktische Philosophie.)
-
-
-Bei der Schwierigkeit der Sache fassen wir die Ergebnisse des vorigen
-Vortrags zweckmäßig in einige Sätze zusammen. Kant hat nachgewiesen:
-
-1. Unser Erkennen ist ein Bearbeiten einer uns zufließenden Menge von
-Empfindungen durch die notwendigen Gesetze unserer Vernunft. Diese
-Vernunftgesetze sind anwendbar, weil wir unsere Empfindungen in der
-anschaulichen Ordnung von Raum und Zeit wahrnehmen.
-
-2. Die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit ebenso wie die
-Verstandesgrundsätze (Kategorien; z. B. Satz der Kausalität) sind nicht
-der Erfahrung entnommen, vielmehr wird eine Erfahrung im Sinne einer
-geordneten Verarbeitung der Empfindungen erst durch sie möglich.
-
-3. Die Verstandesgrundsätze sind nur anwendbar, soweit für uns die
-Möglichkeit der Erfahrung reicht. Erfahrbar sind uns nur einzelne Dinge
-und Ereignisse. Wir haben die Aufgabe, sie immer vollständiger zu einem
-einheitlichen Ganzen zusammenzudenken. Dieses Ganze selbst aber, die
-Welt, vermögen wir als Ganzes nie zu erfassen. Die Welt ist uns nicht
-_gegeben_, sondern _aufgegeben_.
-
-4. Die Philosophie darf nicht von einer Behauptung über die Dinge
-ausgehen, sondern sie muß sich an den Gesetzen des Erkennens
-orientieren. Nennt man eine Lehre, die von den Dingen (~res~) ausgeht,
-Realismus, eine solche, die von den Gedanken (~idea~) ausgeht,
-Idealismus, so muß alle wahre Philosophie Idealismus sein. Das
-bedeutet aber nicht, daß die Wahrheit abhängig ist von den zufälligen
-Vorstellungen eines einzelnen Menschen. Vielmehr haben wir uns zu
-stützen auf die Voraussetzungen des Erkennens, die _jeder_ einzelne
-in gleicher Weise anerkennen _muß_, sofern er sich nur überhaupt die
-Aufgabe der Erkenntnis stellt.
-
-5. Die Grundsätze der Erkenntnis treten dem einzelnen Menschen als
-Forderungen gegenüber. Wir _sollen_ z. B. zu jeder Veränderung ihre
-Ursache suchen. Eine Forderung durchsetzen heißt handeln. So zeigt
-sich das Erkennen (die theoretische Vernunft) selbst als eine Art
-Handeln (griechisch ~prattein~, davon praktisch). Die Gewißheit des
-Erkennens gründet sich auf die Überzeugung von Anforderungen, die an
-unser geistiges Handeln gestellt werden. So mündet die theoretische
-Philosophie in die praktische ein. Kant spricht daher von einem
-Vorrechte (Erstlingsrechte, Primate) der praktischen Vernunft.
-
-
-[Der gute Wille]
-
-Wir wollen Wahrheit und einheitliche Welterkenntnis. Wir sollen sie
-wollen und wir fühlen, daß dieses Sollen und der Gehorsam ihm gegenüber
-mehr Wert hat als unser vergängliches Leben. Aber die Erkenntnis ist
-doch gewiß nicht das einzige, was wir erstreben sollen. Wir müssen alle
-bisherigen Betrachtungen durch eine noch tiefer sich versenkende, noch
-weiter ausblickende ergänzen. Unser Streben nach Erkenntnis hat die
-Reinheit der Absicht mit jedem sittlichen Streben gemein. Sittlich ist
-überall ein Wille, der keine Nebenabsichten für sich selbst verfolgt,
-sondern das Rechte um des Rechten willen tut. Kant stellt an die Spitze
-seiner Moralphilosophie den berühmten Satz:
-
-»_Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben
-zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten
-werden, als allein ein_ =guter Wille=.«
-
-Kant geht hier nicht von der Handlung, noch weniger vom Erfolg,
-sondern vom Willen selbst aus. Der Erfolg unserer Taten liegt oft gar
-nicht in unserer Macht. Der Handlung, wie sie äußerlich erscheint,
-kann man nicht ansehen, welchem Beweggrunde sie entstammt. Die letzte
-Entscheidung darüber, ob wir recht oder unrecht gehandelt haben, gibt
-uns stets nur das eigene Bewußtsein von der Natur unseres Willens,
-das Gewissen. Ein guter Wille will, was er für recht erkannte. Diese
-Bestimmung ist formal, sie gibt für sich allein keinen Aufschluß
-darüber, wie im einzelnen Falle gehandelt werden soll. Ja, wir müssen
-zuweilen den guten Willen, die moralische Absicht des Handelnden
-zugeben in Fällen, in denen die Handlung selbst uns Abscheu einflößt.
-Unter den russischen Revolutionären, deren Mordtaten wir mit Entsetzen
-lesen, gibt es wohl wenigstens einzelne, die nicht aus niederen Motiven
-(Rachsucht, Blutgier, Ruhmsucht), sondern aus der Überzeugung handeln,
-daß der Mord ihre Pflicht ist. Dafür spricht, daß sie ihr eigenes Leben
-opfern und daß sie, wo ihr Fanatismus sie nicht irreführt, mitleidig
-und hilfsbereit sind. Wir werden sogar in solchen Fällen den guten
-Willen anerkennen müssen und nur zu bedauern haben, daß dem sittlichen
-Streben eine irregeleitete Vernunft beiwohnt.
-
-Eine Handlungsweise, die wir als uns geboten erkannt haben, heißt
-Pflicht. Ein guter Wille ist also ein pflichtbewußter Wille, er tut die
-Pflicht um ihrer selbst willen. Ich sagte eben, eine Handlungsweise,
-die wir als _geboten_ anerkennen, ist Pflicht. Woher stammt dieses
-Gebot? Sicher nicht von einer äußeren, irdischen Gewalt. Äußere
-Übermacht kann uns körperlich zwingen, ihr den Willen zu tun, sie
-kann uns auch schrecken und auf unsere Schwäche wirken, aber sie kann
-nicht machen, daß wir etwas gegen unsere freie, innere Überzeugung für
-recht halten. Selbst ein göttliches Gebot kann das nicht bewirken. Wir
-erkennen unsere Pflicht nicht durch irgendeine göttliche Offenbarung,
-die in der Bibel oder sonst in einem Buch oder Ausspruch niedergelegt
-ist, sondern umgekehrt: wir sehen in der Bibel nur göttliche
-Offenbarung, weil und soweit unsere sittliche Einsicht ihren Geboten
-beistimmt. Die Moral lehnt also jede fremde Gesetzgebung ab. Sie ist
-_nicht heteronom_ (~heteros~ -- griechisch -- fremd, ~nomos~ Gesetz),
-in ihr gibt sich unser innerstes Wesen selbst das Gesetz, sie ist
-_autonom_ (~autos~ selbst). Man hat von Kants Moral gesagt, sie sei
-eng, habe etwas von Kleinbürgerlichkeit und Polizeistaat an sich.
-Ich glaube, Sie werden aus der Darstellung von Kants Grundsätzen
-dieses Gefühl nicht gewonnen haben. Ganz im Gegenteil: es ist eine
-Moral für mündige Menschen, eine strenge und stolze Sittlichkeit.
-Polizeigeruch ist an ihr sicher nicht zu spüren. Die Polizei und
-das Gericht des Staates können die inneren Vorgänge, um die es sich
-für die Moral handelt, gar nicht sehen, sie sollen das auch nicht
-versuchen. Ihre Aufgabe ist es, die sehr notwendige äußere Ordnung
-der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, sie kümmern sich daher nur um
-die äußere Gesetzmäßigkeit der Handlungen. Ob jemand nicht stiehlt,
-weil er Stehlen für unrecht erkannt hat oder weil er das Gefängnis
-fürchtet, ist diesen äußeren Gewalten gleichgültig, soll und muß ihnen
-als äußeren Gewalten gleichgültig sein. Ja, die äußere Gewalt müßte die
-ordnungstörende Handlung selbst dann verfolgen, wenn sie aus einer vom
-Irrtum mißleiteten sittlichen Gesinnung hervorgehen sollte, wie die
-Mordtaten einzelner russischer Revolutionäre.
-
-
-[Autonomie und kategorischer Imperativ]
-
-Aus der Schätzung des guten Willens als des Höchsten, was es in der
-Welt gibt, folgt nun aber, daß wir unsere Mitmenschen mit Achtung
-zu behandeln haben; denn in jedem Menschen liegt wenigstens die
-Möglichkeit, sich auf die Stufe des guten Willens zu erheben. Wir
-dürfen selbst dem verkommensten Menschen die Möglichkeit nicht
-absprechen, sich auf sein besseres Selbst zu besinnen, und sollen
-deshalb einen Menschen nicht wie ein Ding als bloßes Mittel zum Zwecke
-behandeln, vielmehr stets auf seinen Eigenwert Rücksicht nehmen. Vor
-der moralischen Forderung endlich sind wir alle gleich. Wir dürfen
-also hier kein Vorrecht für uns beanspruchen, sondern müssen so
-handeln, daß wir die gleiche Handlungsweise von jedem in der gleichen
-Lage fordern würden. Wenn wir etwa in die Versuchung kommen, ein
-Versprechen nicht zu halten, sollen wir uns fragen, ob es denkbar wäre,
-daß alle Menschen in der gleichen Lage ebenso handelten. Wenn jeder
-sein Wort bräche, sobald Wort halten unbequem ist, so schwände alles
-Vertrauen auf ein gegebenes Wort und damit Treu und Glauben in der
-menschlichen Gesellschaft. Aus dieser Erwägung ergibt sich, warum der
-Wortbruch unmoralisch ist. So versteht man die Formel, in die Kant das
-Sittengesetz gebracht hat: »_Handle so, daß die Maxime deines Wollens
-jederzeit Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte._« Kant
-nennt diese Forderung den _kategorischen Imperativ_ -- ein Ausdruck,
-dessen Bedeutung Sie nun leicht verstehen werden. Jeder andere Befehl
-(Imperativ) gilt nur unter gewissen Voraussetzungen. Der Arzt z. B.
-befiehlt dem Magenkranken mäßig zu leben, falls er gesund werden will;
-zieht jener Schlemmerei der Gesundheit vor, so gilt dieser Befehl nicht
-mehr. Der römische Staat befahl den Christen, vor den Kaiserbildern zu
-opfern; aber dieser Befehl band sie nur, solange sie leben wollten,
-und die Märtyrer zogen den Tod einer Verletzung ihres religiösen
-Gefühles vor. Alle solche Befehle gelten nur bedingt, hypothetisch; das
-Sittengesetz ist der einzige Befehl, der unbedingt, kategorisch, den
-Anspruch auf Befolgung erhebt.
-
-Ist der gute, d. h. pflichtbewußte Wille das Höchste, Gewisseste und
-Wichtigste, was es für uns gibt, so muß es auch möglich sein, unsere
-Handlungen durch freien Willensentschluß dem erkannten Sittengebot
-gemäß zu bestimmen, d. h. _wir müssen frei sein_. Wir stellen weiter
-die Forderung, daß der gute Wille _herrsche_. In dem kleinen Stück
-Welt, das wir übersehen, ist das nun sicher nicht der Fall. Sehr oft
-unterliegt der edlere Mensch dem rücksichtslosen Schurken, noch
-öfter kämpft unser bestes Wollen vergeblich gegen die Widerstände
-des Naturlaufs, gegen Krankheit, Mangel und Mißgeschick. Das Ganze
-der Welt aber kennen wir nicht, wir wissen nicht, wie sich in diesem
-Ganzen die Widersprüche ausgleichen. Indessen, aus der moralischen
-Forderung folgt, daß es irgendwie eine solche Ausgleichung geben muß.
-So gründet sich auf die Sittlichkeit der Glaube. Glauben bedeutet hier
-nicht soviel wie »für wahrscheinlich halten«, vielmehr ist das Wort
-im religiösen Sinne gemeint, etwa wie Luther es nach dem Hebräerbrief
-erklärt hat: »Glaube ist die Gewißheit dessen, was man nicht siehet.«
-Glaube ist Gewißheit, und weil diese Gewißheit aus den Forderungen
-unserer Vernunft folgt, spricht Kant von Vernunftglauben; Glaube
-ist aber die Gewißheit dessen, was man nicht sieht. Sehen, auch im
-übertragenen Sinne des Wortes, können wir ja die Einrichtungen des
-Weltganzen niemals. Wie die Gottheit regiert, wissen wir nicht; _nur_
-=daß= _eine Gottheit regiert, ist uns moralisch gewiß_. Da wir nur im
-moralischen Wollen ein wahres Verhältnis zur Gottheit haben, können wir
-Gott auch nur durch rechtes Handeln dienen. Jeder Glaube, der durch
-äußerliche Zeichen der Verehrung Gott wohlgefällig zu sein glaubt, ist
-Aberglaube.
-
-
-[Einheit der Kantischen Philosophie]
-
-Sie erkennen, wie innerlich notwendig Kants theoretische und praktische
-Philosophie zusammenhängen. Auch geschichtlich bilden beide Teile
-eine untrennbare Einheit. Schon in der ersten Auflage der Kritik der
-reinen Vernunft hat Kant auf die Ergänzung dieses Werkes durch die
-Moralphilosophie hingewiesen. Es gab keine Zeit in Kants Leben, in
-der er nur die negativen Teile seiner Philosophie besessen hätte. Ich
-betone das, weil das Gegenteil oft behauptet wird. _Heinrich Heine_
-hat einmal in seiner witzigen Art gesagt: Kant habe in der Kritik der
-reinen Vernunft den lieben Gott totgeschlagen, dann aber habe der
-Philosoph an seinen alten Diener Lampe gedacht, der ihm auf seinen
-regelmäßigen Spaziergängen den Regenschirm nachtrug. Er habe überlegt,
-daß Lampe ohne den lieben Gott nicht glücklich sein könnte, es sei
-aber praktisch nötig, daß Lampe glücklich sei, und darum habe Kant in
-der Kritik der praktischen Vernunft den lieben Gott wieder auferweckt.
-Das ist ebenso amüsant wie falsch. Kant hat in der Kritik der reinen
-Vernunft nicht etwa das Dasein der Gottheit widerlegt, sondern nur
-falsche Beweise für dieses Dasein entkräftet und gezeigt, daß aus rein
-theoretischen Gründen über die Gottheit gar nichts gefolgert werden
-kann. Im Hintergrunde stand dabei die Überzeugung, daß es andere,
-moralische Gründe gebe, durch die wir der Gottheit gewiß werden. Was
-Heine witzig gesagt hat, wiederholte _Ernst Häckel_ später in trockenem
-Lehrton; es ist aber dadurch nicht wahrer geworden. Natürlich hat
-jeder denkende Mensch das Recht zu prüfen, ob der von Kant behauptete
-Zusammenhang zwischen theoretischer und praktischer Philosophie
-begründet ist. Aber die Behauptung, daß ein solcher Zusammenhang für
-den Philosophen selbst nicht bestehe, daß Kant aus äußeren Gründen oder
-aus innerer Feigheit seine Meinung geändert habe, beruht bestenfalls
-auf grober Unkenntnis der Tatsachen.
-
-Gegen meine Gewohnheit in diesen Vorträgen habe ich eben eine fremde
-Auffassung schroff bekämpft. Ich mußte das tun, weil sie darauf
-ausgeht, das Wertvollste, was Kants Philosophie nach meiner festen
-Überzeugung für unser ganzes Leben geleistet hat, einem billigen
-Hohne preiszugeben. Ich will Ihnen dieses Wertvollste jetzt noch in
-einem großartigen Bilde vorführen. _Johann Gottlieb Fichte_, Kants
-selbständigster Schüler, war zugleich eine lebendige Verkörperung von
-Kants Moralphilosophie.
-
-Die Betrachtung seiner Persönlichkeit rundet unsere Darstellung
-gleichsam zum Kreise. Mit einer Philosophie, die ganz Leben war, habe
-ich begonnen. Dann zeigte ich, wie sich mehr und mehr das Denken
-zurückziehen mußte in den stillen Garten Platons und tiefer noch
-in die einsame Studierstube der neueren Denker. Jetzt aber werde
-ich zu Ihnen von einem Manne reden, der den Gewinn an Zusammenhang
-und Gründlichkeit, wie das einsame Denken ihn bringt, wohl kannte,
-der selbst einen großen Teil seines Lebens mit lebensfernen Studien
-zubrachte, dann jedoch das so Errungene wieder ins Leben zurückführte
-und dem Leben dienstbar machte.
-
-_Johann Gottlieb Fichte_ wurde am 19. Mai 1762 als Sohn eines
-Leinenwebers und Bandhändlers in dem Dorfe Rammenau, das zur
-sächsischen Lausitz gehört, geboren. Obwohl die Handweber damals
-noch nicht durch die Konkurrenz der Fabriken zum Hunger verurteilt
-waren, ging es doch bei Fichtes Eltern dürftig zu, zumal dem ältesten
-Sohne noch sieben Geschwister folgten. Während Fichte die Dorfschule
-besuchte, mußte er zugleich als Gänsejunge zum Unterhalte der Familie
-beitragen. Sein lebhafter Geist ergriff die einzige Anregung, die sich
-ihm bot, mit Feuer: die sonntäglichen Predigten prägte er sich so gut
-ein, daß er sie aus dem Gedächtnis herzusagen wußte. Eines Sonntags
-kam zum Gutsherrn von Rammenau ein benachbarter reicher Edelmann, ein
-Herr von Miltitz, zu Besuch. Als er bedauerte, die Predigt bereits
-versäumt zu haben, machte man ihn auf die Fähigkeit des jungen Fichte
-aufmerksam; er ließ ihn zu sich kommen und die Predigt wiederholen,
-unterhielt sich darauf mit dem Knaben und fand, daß dieser nicht etwa
-die Worte mechanisch hergesagt, sondern den Sinn vollständig erfaßt
-hatte. Der Eindruck dieser Begabung war so stark, daß Miltitz sich
-entschloß, Fichte auf seine Kosten ausbilden zu lassen.
-
-
-[Fichtes Jugend]
-
-Durch einen Pfarrer auf einem der Güter des Herrn von Miltitz
-vorbereitet, trat er 1774 in die berühmte Anstalt Schulpforta ein.
-Schulpforta ist ein Internat, d. h. die Zöglinge wohnen in der Anstalt.
-Schon die strenge Disziplin, die hier herrschte, bedrückte den an
-Freiheit gewöhnten Knaben; schlimmer aber war für sein empfindliches
-Rechtsgefühl die Roheit der älteren Genossen gegen die jüngeren. Sie
-trieb ihn zu einem Fluchtversuch, von dem ihn indessen der Gedanke
-an seine Eltern bald zurückbrachte. So durchlief er die Anstalt und
-begab sich, ausgerüstet mit gründlicher Bildung besonders in den alten
-Sprachen 1780 nach der Universität Jena, die er bald mit Leipzig
-vertauschte, um Theologie zu studieren.
-
-Materielle Not, der Zwang, durch Stundengeben sein Brot zu verdienen,
-beeinträchtigten sein Studium. Miltitz war gestorben; seine Erben
-unterstützten ihn eine Zeitlang, aber diese stets unzureichende Hilfe
-versiegte bald ganz. Die Nöte des Hauslehrer- und Hofmeisterdaseins
-mußte Fichte bis auf die Neige auskosten, schließlich war er völlig
-mittellos, seine Rechtlichkeit verbot ihm, Geld zu borgen, da er
-nicht die Möglichkeit sah, es wiederzugeben. Aus dieser äußersten Not
-befreite ihn 1788 der alte Dichter Chr. Felix Weiße, einst Lessings
-Jugendfreund, indem er ihm eine Hauslehrerstelle bei einem Gastwirt in
-Zürich verschaffte.
-
-Indessen hinderte Fichte seine Selbstachtung und sein Pflichtgefühl, in
-der Erziehung seiner Zöglinge eine bloße Versorgung für sich selbst zu
-sehen; er faßte dieses Amt als echten Beruf auf und fühlte sich daher
-berechtigt, alle Störungen in diesem Berufe zu bekämpfen. Als störend
-empfand er vor allem die Schwächen der Eltern; daher legte er sich ein
-Tagebuch an, in das er die bedeutendsten Erziehungsfehler der Eltern
-einschrieb, und las es ihnen am Ende jeder Woche vor. Anderthalb Jahre
-lang dauerte diese Tätigkeit Fichtes; und es spricht immerhin für den
-Charakter jener Bürgersleute, daß das Verhältnis nicht auf ihren,
-sondern auf Fichtes Wunsch gelöst wurde.
-
-In Zürich fand Fichte nicht nur Erholung von seinen materiellen Nöten,
-sondern auch zum erstenmal in seinem Leben einen ihm angemessenen
-Verkehr. Besonders eng schloß er sich an einen Kaufmann Rahn an, der
-einst ein Freund des Dichters Klopstock gewesen war, dessen Schwester
-geheiratet hatte, und dem nach dem Tode seiner Frau die einzige Tochter
-Johanna die Wirtschaft führte. Sie erkannte Fichtes hohen Wert, ihre
-Liebe fand Erwiderung, und als ihr Verlobter verließ Fichte die Schweiz.
-
-In Leipzig, wohin er zurückkehrte, erwartete ihn freilich die alte
-Not, noch verschärft durch den Gegensatz gegen die hohe Meinung, die
-Fichte von sich selbst hegte. Damals, am 20. Juni 1790, schrieb er
-an seinen Vater: »Den gewöhnlichen Weg schleichen -- mich auf eine
-Dorfpfarre setzen, kann ich einmal nicht, und Gott, der mir diesen Sinn
-gab, weiß, daß ich es nicht kann.« Man gewinnt aus seinen Briefen und
-seiner Lebensführung den Eindruck, daß Fichte sich zu Großem berufen
-fühlte, aber noch nicht wußte, auf welchem Gebiete seine künftigen
-Leistungen liegen würden. Da brachte ein scheinbar unbedeutendes
-Ereignis die Entscheidung. Ein Student wünschte Unterricht von ihm in
-der Kantischen Philosophie. Fichte konnte schon aus äußeren Gründen
-solche Angebote nicht abweisen, und da er als gewissenhafter Mensch
-doch genau kennen mußte, was er lehren sollte, vertiefte er sich in
-Kants Werke. Eine neue Welt ging ihm auf. Am 5. März 1791 schrieb er an
-einen seiner Brüder: »Aus Verdruß« (daß sich gewisse Aussichten nicht
-erfüllten) »warf ich mich in die Kantische Philosophie, ..., die ebenso
-herzerhebend als kopfbrechend ist. Ich fand darin eine Beschäftigung,
-die Herz und Kopf füllte; mein ungestümer Ausbreitungsgeist schwieg:
-das waren die glücklichsten Tage, die ich je verlebt habe. Von einem
-Tage zum andern verlegen um Brot, war ich dennoch damals vielleicht
-einer der glücklichsten Menschen auf dem weiten Runde der Erden.«
-
-Was gab Fichte die Kantische Philosophie? Natürlich hatte er schon
-vorher philosophiert; denn Philosoph wird nur, wer mit dem Verlangen
-nach sicherem, einheitlichem Wissen geboren ist, und ein Mensch, in dem
-der Drang des Fragens lebt, beginnt früh nachzudenken. Fichte kam dabei
-zu Ansichten, die in manchem denen Spinozas ähnelten. Vor allem war er
-überzeugt von der notwendigen einheitlichen Ordnung der Welt, in deren
-durchgehender Bestimmtheit kein Platz für die Freiheit des Willens ist.
-Gerade die Frage der Willensfreiheit hatte den tatendurstigen Jüngling
-viel beschäftigt, er hatte darüber auch mit seinem Schwiegervater Rahn
-diskutiert und den alten Mann zu seiner Überzeugung gebracht. Jetzt
-schrieb er ihm, er erkenne, daß sie sich damals beide geirrt hätten;
-denn sie seien von der unrichtigen Seite ausgegangen. Wir dürfen ja
-nicht das Weltganze an den Anfang stellen, sondern wir müssen uns an
-den Gesetzen und Aufgaben des Erkennens orientieren. Da das Weltganze
-selbst ein Ziel für unsern Erkenntniswillen ist, täuschen wir uns,
-wenn wir uns als unfreie Glieder dieses Ganzen fühlen. In Kants
-Lehren findet Fichte gerechtfertigt, was sein stolzer Freiheitswille
-forderte; zugleich weiß er nun, was der Kern seiner Begabung ist. Von
-jetzt ab ist er ganz Philosoph; sein Ziel muß sein, das Leben nach den
-Anforderungen der Philosophie zu gestalten.
-
-Seine äußere Lage freilich war bedrängter als je, auch seine Heirat
-rückte infolge geschäftlicher Verluste seines Schwiegervaters in
-unbestimmte Ferne. Er mußte sich entschließen, noch einmal eine
-Hauslehrerstelle anzunehmen und fand sie in einer gräflichen Familie
-in Warschau. Dort traf er es indessen weit ungünstiger als bei jenen
-Züricher Bürgersleuten, die sich dem Eindruck seiner Persönlichkeit
-nicht hatten entziehen können. Die Gräfin, die ihren Gemahl völlig
-beherrschte, sah in dem Hauslehrer nur einen Bedienten, von dem sie
-Unterordnung unter ihre Launen und die Manieren eines französischen
-Tanzmeisters verlangte. Gleich die erste Unterredung verlief so, daß
-Fichte die Stellung nicht antreten konnte; die Entschädigung die er für
-die Geld- und Zeitverluste der weiten Reise fordern mußte, erhielt er
-erst, als er mit gerichtlicher Klage drohte.
-
-
-[Fichtes philosophische Anfänge]
-
-Da Fichte nach Empfang der Entschädigung einige Mittel besaß und sich
-zudem nicht sehr weit von Königsberg befand, beschloß er, dort Kant
-aufzusuchen, den er unter allen Lebenden am höchsten verehrte. Aber
-dieser Besuch brachte ihm zunächst eine neue Enttäuschung. Der große
-alte Mann, der oft von unbekannten Besuchern belästigt wurde, empfing
-den Kandidaten der Theologie Fichte, wie dieser selbst schreibt, »nicht
-sonderlich«. Um sich eine andere Aufnahme zu verdienen, blieb Fichte
-nun in Königsberg und arbeitete in wenigen Wochen seine Gedanken über
-Religionsphilosophie aus. Die Handschrift schickte er unter dem Titel:
-»_Versuch einer Kritik aller Offenbarung_« an Kant, der daraus die
-Begabung des Einsenders erkannte und Fichte bei einem neuen Besuche,
-wie wir wiederum von diesem selbst wissen, »mit ausgezeichneter Güte«
-aufnahm. Fichte war gezwungen, diese Güte für sein äußeres Leben in
-Anspruch zu nehmen, da seine Mittel erschöpft waren. Kant gewährte
-das erbetene Darlehn seinen Grundsätzen gemäß nicht, half aber in
-viel gründlicherer und vornehmerer Weise dadurch, daß er Fichte einen
-Verleger für seine Arbeit und eine passende Hauslehrerstelle bei einem
-Grafen Krockow in der Nähe von Danzig verschaffte. Dort fühlte er sich
-bei gebildeten Menschen wohl und hatte Muße, seine Schrift eingehend
-durchzuarbeiten. Ostern 1792 erschien sie im Buchhandel; gegen
-Fichtes Wunsch, aber vielleicht nicht ohne Nebenabsicht des Verlegers
-anonym. Eines der ersten kritischen Blätter jener Zeit, die Jenaer
-Literaturzeitung, erklärte, der erhabene Verfasser lasse sich gar nicht
-verkennen, das Buch sei von Kant. Natürlich berichtigte Kant das sofort
-und nannte als Verfasser den Kandidaten der Theologie Johann Gottlieb
-Fichte. Dadurch war der unbekannte Hauslehrer plötzlich ein berühmter
-Mann geworden; denn wer ein Buch schreiben konnte, das man für ein Werk
-Kants hielt, hatte Anspruch auf allgemeine Beachtung.
-
-Auch äußerlich wendete sich jetzt sein Geschick. Sein Schwiegervater
-hatte wenigstens einen Teil seines Vermögens retten können, und Fichte
-durfte nun endlich an die Heirat denken. Er ging nach Zürich und führte
-am 22. Oktober 1793 seine Braut heim. Den Winter verbrachte das junge
-Paar in der Heimat der Frau; Fichte lebte in einem angeregten Kreise
-und lernte auch den großen Propheten echter Volksbildung _Pestalozzi_
-kennen. Zugleich zeigte sich die Richtung seines Geistes, die
-philosophischen Erkenntnisse für die Erfassung der Gegenwart nutzbar
-zu machen, und seine Begeisterung für einen freien Staat in einer
-Schrift über die Französische Revolution. Im Sommer des nächsten Jahres
-folgte er einem Rufe an die Universität Jena und übte dort vom ersten
-Tage an eine hinreißende Wirkung auf die Studenten aus. Von vornherein
-zerfiel seine Lehrtätigkeit in zwei Teile: in umfangreichen Vorlesungen
-bildete er die Kantische Philosophie in seiner Weise fort, während
-er in kürzeren, allgemeinverständlichen Vorträgen im Geiste dieser
-Philosophie auf die Menge der Studierenden einwirkte und ihnen die
-echten Lebensaufgaben der gelehrten Stände vor Augen führte.
-
-
-[Die Wissenschaftslehre]
-
-Die theoretische Philosophie Fichtes ist zu schwierig, um hier
-dargestellt zu werden. Nur was der Philosoph wollte, kann ich Ihnen
-deutlich machen. Ich sagte vorher: Kants Philosophie gab ihm die
-Möglichkeit, die Freiheit des Willens zu bejahen. Er sah nun ein, daß
-zwei Weltanschauungen entstehen, je nachdem man von den Dingen, von der
-Natur ausgeht oder von dem Ich, von seiner Tat im Erkennen und Handeln.
-Die erste Weltanschauung hat Spinoza am folgerichtigsten durchgebildet,
-Kant hat sie widerlegt. Aber Kant, obwohl er im erkennenden und
-handelnden Ich das Zentrum aller Einsicht entdeckte, hat doch die
-einzelnen Grundsätze nicht aus diesem Einheitspunkte abgeleitet. Das
-will Fichte tun. Die Vielheit der Kategorien, die Anschauungsformen,
-der Stoff sinnlicher Empfindungen stehen bei Kant nebeneinander, sie
-sollen aus _einem_ Grundsatze abgeleitet werden. Gegenstand dieses
-Grundsatzes kann nur das Zentrum des Erkennens, das Ich sein. Obwohl
-Fichte nicht wie Spinoza von der Substanz ausgeht, von einem festen
-Ganzen, das uns gegeben ist, sondern vom Handeln des Ich, begegnet ihm
-doch die Schwierigkeit, die wir am Systeme des Spinoza aufgewiesen
-haben: die Inhaltfülle der Welt aus einem Grundsatze abzuleiten. Er hat
-sein Leben lang mit diesem Problem gerungen; wir können die Versuche
-der Lösung nicht verfolgen, so wertvoll sie für den Fortschritt
-philosophischer Erkenntnis sind. Eine befriedigende Lösung konnte
-er nicht finden. Wichtig ist uns, daß Fichte in der Richtung seines
-Denkens Kantianer bleibt, insofern er nicht von den Dingen, sondern
-von der Erkenntnis der Dinge ausgeht. Philosophie ist also nicht
-Weltweisheit, wie man früher wollte, sondern, wie Fichte sie nannte,
-_Wissenschaftslehre_. Kant hatte an die einzelnen Voraussetzungen der
-Wissenschaft angeknüpft, Fichte suchte den einheitlichen Zusammenhang
-aller dieser Voraussetzungen abzuleiten. Gemeinsam ist ihnen allen,
-daß sie Formen des Erkennens sind, ihre Einheit muß also die Einheit
-des Erkennens sein. Eine solche Einheit der vereinzelten Eindrücke
-und Vorstellungen haben wir im Sinne, wenn wir sagen: ich erkenne.
-Uns selbst fühlen wir als Vereinigung, als Einheitsquelle aller
-Einzelheiten. Aber als solche Einheitsquellen sind wir alle wesentlich
-gleich, hierfür kommt die Verschiedenheit der Menschen voneinander
-nicht in Betracht. Wir wissen ja bereits, daß die Vernunft nicht dem
-einzelnen Menschen angehört. In uns finden wir, sobald wir auf uns
-selbst reflektieren, diese allgemeine Vernunft als ein Handeln gemäß
-der Forderung der Wahrheit. Wir finden uns als Einheit, als »Ich«,
-nicht als bloße Summe von Eindrücken und Vorstellungen, sofern dieser
-Einheitswille der Vernunft in uns lebt. An diese allgemeine Vernunft,
-die den einzelnen erst zum Ich macht, denkt Fichte, wenn er in seiner
-Philosophie vom Ich ausgeht, ganz und gar nicht an seine eigene
-begrenzte Person. Der oft wiederholte Spott, daß Fichte sich selbst für
-den Schöpfer der Welt gehalten habe, trifft also den Philosophen gar
-nicht.
-
-Indessen hat dieses reine Ich doch eine sehr innige Beziehung zu jedem
-einzelnen Menschen; denn jedem von uns ist als Aufgabe gestellt, das
-reine Ich, die Vernunft, zu verwirklichen. Auf zwei Wegen muß dies
-geschehen: theoretisch durch immer vollkommenere Erkenntnis, praktisch
-durch Unterwerfung der Welt unter den vernunftgeleiteten Willen.
-Was wir äußere Welt nennen, kommt für uns nur als Material dieser
-Tätigkeiten in Betracht.
-
-Gemäß diesen Grundsätzen handelte Fichte und führte, was er für Recht
-hielt, ohne irgendwelche Rücksichten durch. Konflikte konnten bei einer
-solchen Denkungsart nicht ausbleiben. Bald geriet er in Streitigkeiten
-mit zuchtlosen studentischen Verbindungen; von allgemeinerem Interesse
-aber sind andere Kämpfe, durch die er gezwungen wurde, Jena zu
-verlassen.
-
-Fichte ließ in einer von ihm herausgegebenen philosophischen
-Zeitschrift einen religionsphilosophischen Aufsatz abdrucken, dessen
-Inhalt er mißbilligte, den er aber doch für beachtenswert hielt. Um
-dabei seine abweichende Überzeugung geltend zu machen, veröffentlichte
-er gleichzeitig eine eigene Arbeit über den gleichen Gegenstand, die
-seine Auffassung von Kants Vernunftglauben entwickelte. Gott, so führte
-er aus, kann von uns nur in Beziehung auf uns selbst erfaßt werden; ein
-Recht, unserem Sein ewige Bedeutung und damit Beziehung zur Gottheit
-zu geben, haben wir aber nur, sofern wir moralische Wesen sind. Die
-Unvollkommenheit, deren wir uns immer bewußt bleiben, bedarf hier einer
-Ergänzung, und da die Forderung der Moral das Allergewisseste ist,
-sind wir auch dieser Ergänzung gewiß. Wir sind also überzeugt, daß die
-Ordnung der Welt mit den Anforderungen der Moral übereinstimmt; diese
-moralische Weltordnung und nichts anderes ist uns Gott. Die Mehrzahl
-der Menschen glaubt in der Gottheit ein Wesen neben andern Wesen zu
-haben, eine Macht, mit der sich verhandeln läßt, und die dazu da ist,
-unsere Wünsche zu erfüllen, wenn wir ihr gewisse Dienste leisten.
-Gegen einen solchen lohnsüchtigen, moralisch verwerflichen Glauben
-wendete sich Fichte im Namen der wahren Religion. Der Gott, den jener
-Aberglaube meint, existiert nicht.
-
-
-[Atheismusstreit]
-
-Aus solchen Äußerungen leiteten Fichtes Gegner ihren Vorwurf her,
-daß der Philosoph ein Gottesleugner, ein Atheist sei. Eine anonyme
-Broschüre giftigster Art warnte vor dem Verführer der Jugend und fand
-trotz ihrer offenbaren Gehässigkeit Gehör; die Dresdner Regierung
-forderte das Ministerium von Sachsen-Weimar zum Einschreiten gegen
-Fichte auf. Im Weigerungsfalle drohte sie, ihren Untertanen den Besuch
-der Universität Jena zu verbieten. Da eine solche Maßregel für die
-Universität gefährlich geworden wäre, suchte man in Weimar nach einem
-Ausweg, der die Dresdner Regierung beruhigte, ohne Fichte und die
-Freiheit der Wissenschaft zu verletzen. Man hätte am liebsten alles
-Aufsehen vermieden und der Form wegen Fichte einen Verweis erteilt,
-ohne ihn im übrigen in seiner Freiheit einzuschränken. Der stolze Mann
-aber war keineswegs geneigt, ungerechten Tadel hinzunehmen, zumal in
-ihm die Freiheit der Wissenschaft angegriffen war; er durchkreuzte
-daher alle Versuche diplomatischer Vertuschung, indem er sich zugleich
-vor der Öffentlichkeit in einer Broschüre und vor der vorgesetzten
-Behörde in einer ausführlichen Eingabe verteidigte. Das Recht stand
-bis hierher vollständig und unzweifelhaft auf seiner Seite; leider
-ließ er sich indessen durch den schlechten Rat eines Freundes dazu
-verführen, in einem schroffen Brief an einen der vorgesetzten Beamten
-zu erklären, daß er im Falle eines Verweises Jena verlassen müsse und
-daß andere Professoren sich ihm anschließen würden. Die Drohung, die in
-diesem Briefe lag, verletzte Goethe, der als weimarischer Minister die
-entscheidende Stimme hatte, aufs tiefste. Aus seiner hohen Vorstellung
-von dem Werte staatlicher Autorität heraus erklärte er, er würde seinen
-eigenen Sohn maßregeln, wenn er einen solchen Brief an seine Regierung
-zu schreiben wagte. Obwohl Fichte jenen unbesonnenen Schritt bereits
-bedauerte, wurde ihm doch zugleich mit dem Verweis die angebotene
-Entlassung erteilt. Da die kursächsische Regierung ihm sogar den
-Aufenthalt in sächsischen und thüringischen Landen unmöglich zu machen
-suchte, begab er sich nach Berlin. Auch dorthin verfolgten ihn seine
-Gegner; aber der schlicht fromme König Friedrich Wilhelm III. soll, als
-Fichtes Angelegenheit ihm vorgetragen wurde, gesagt haben: »Ist Fichte
-ein so ruhiger Bürger, als aus allem hervorgeht, und so entfernt von
-gefährlichen Verbindungen, so kann ihm der Aufenthalt in meinen Staaten
-ruhig gestattet werden. Ist es wahr, daß er mit dem lieben Gotte in
-Feindseligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott mit ihm
-abmachen, mir tut das nichts.«
-
-
-[Der geschlossene Handelsstaat]
-
-In Berlin war Fichte schriftstellerisch außerordentlich tätig. Unter
-seinen Arbeiten aus dieser Zeit wollen wir nur eine näher betrachten,
-weil sie für seine Übertragung der philosophischen Grundsätze auf die
-Fragen des Lebens sehr bezeichnend ist. Sie ist unter dem Titel »_Der
-geschlossene Handelsstaat_« 1800 erschienen.
-
-Durchaus von Kantischen Grundsätzen ausgehend, wendet Fichte diese
-doch in höchst eigenartiger Weise an. Kantisch ist die Bestimmung des
-Verhältnisses von Staat und Sittlichkeit. Die Sittlichkeit besteht
-nur in der Güte des Willens; der bloße Gehorsam gegen die Gesetze,
-die Gesetzlichkeit oder Legalität, ist keineswegs Sittlichkeit.
-Umgekehrt hat die äußere Macht, der Staat, gar keine Möglichkeit,
-seine Bürger sittlich zu machen; das ist auch durchaus nicht seine
-Aufgabe. Ihm kann es nur darauf ankommen, daß das äußere Zusammenleben
-seiner Bürger geordnet sei. Für die Gesetze des Zusammenlebens, die
-der Staat aufstellt, fordert er Gehorsam, ohne sich um die Gründe
-dieses Gehorsams weiter zu kümmern. Aber unser ganzes Leben steht
-im Dienste der sittlichen Aufgabe; auch der Staat, obwohl er nicht
-direkt Wächter und Förderer der Sittlichkeit ist, hat doch mit der
-ganzen äußeren Ordnung, die er aufstellt und schützt, nur als Diener
-sittlichen Strebens Wert und Recht. Jeder Mensch ist verpflichtet,
-die ihm gestellten sittlichen Aufgaben zu erfüllen, er kann das nur,
-wenn er sich seinen Anlagen und Kräften gemäß betätigt. Aus Pflichten
-entspringen nach Fichtes Überzeugung alle Rechte; denn jeder darf
-fordern, daß er instand gesetzt werde, seine Pflicht zu erfüllen. Soll
-der Mensch sich betätigen, so muß er leben und wirken können. Es ist
-die Aufgabe des Staates, ihm diese Möglichkeit gegen äußere Eingriffe
-zu gewährleisten. Jeder soll arbeiten; um zu arbeiten, muß er leben.
-Darum gibt es ein unbedingtes Recht, ein Urrecht jeder Person, sofern
-sie arbeitswillig oder arbeitsunfähig ist, auf den notwendigen
-Lebensunterhalt. Ihr diesen Unterhalt zu gewähren, ist kein Almosen,
-sondern Pflicht. »Daher hat der Arme ein absolutes Zwangsrecht auf
-Unterstützung.« Aber da der Mensch nur als moralische Person, d. h.
-als wollende und arbeitende, ein Recht auf Dasein hat, so soll jeder
-auch nur von seiner Arbeit leben. Wenn der Staat die Aufgabe hat,
-jedem dieses Recht zu sichern, so muß er auch die Mittel zur Erfüllung
-dieser Aufgabe haben, d. h. er muß die Herstellung und Verteilung der
-Lebensbedürfnisse überwachen; er muß etwa befehlen können, daß der
-Boden zum Anbau von Getreide und nicht zu Jagdgründen benutzt wird,
-er muß dafür sorgen, daß ein genügender Teil seiner Bürger sich mit
-der Herstellung der nötigsten Nahrungsmittel beschäftigt usw. Soll der
-Staat die Produktion regulieren, so muß er sie übersehen können. Das
-vermag er indessen nur zu tun, wenn sein Wirtschaftsgebiet geschlossen
-ist. Er kann doch z. B. nur dann die Herstellung einer Ware befehlen,
-wenn zugleich für ihren Absatz gesorgt wird. Dann aber darf diese
-Ware nicht durch billigere Produkte des Auslandes vom heimischen
-Markte verdrängt werden. Darum also muß der Staat ein geschlossener
-Handelsstaat sein. Vom Auslande ist nur zu beziehen, was das Inland
-aus klimatischen oder ähnlichen Gründen nicht erzeugen kann und was
-zugleich unentbehrlich ist. Den Einkauf dieser Waren im Austausch gegen
-überschüssige Produkte des Inlands behält sich der Staat vor.
-
-Fichte hat nicht etwa gemeint, daß diese Wirtschaftsordnung ohne
-weiteres eingeführt werden könnte, er wollte nur ein Idealbild
-aufstellen und forderte von dem wirklichen Staate, daß er sich diesem
-Ideale allmählich nähere. Fichtes Idealstaat ist sozialistisch, sofern
-die Staatsgewalt ein sehr weitgehendes Aufsichtsrecht über Erzeugung,
-Verteilung und Verbrauch der Güter erhält. Kommunistisch freilich
-ist er nicht; denn das Privateigentum, auch das Privateigentum an
-Produktionsmitteln, bleibt bestehen. Außer durch diesen Umstand
-unterscheidet sich Fichtes Sozialismus von der bei unseren
-Sozialdemokraten herrschenden Richtung trotz mancher Ähnlichkeit
-doch durch die Art seiner Begründung. Diese gibt jedem Menschen den
-gleichen Anspruch auf Glück, für Fichte dagegen ist wie für seinen
-Lehrer Kant nicht Glück, sondern sittliche Betätigung das Ziel des
-Menschenlebens. Aus diesem Ziele leitet er auch das Eigentumsrecht
-ab. Wir haben Eigentum im Grunde nur insofern an den Dingen, als
-wir gewisse Handlungen an ihnen vornehmen dürfen. Ein Werkzeug
-gehört mir, das bedeutet, ich habe ein Recht, es zu benutzen. Die
-Ausschließlichkeit dieses Rechtes ist nötig, weil nicht mehrere
-zugleich dieselben Handlungen mit demselben Dinge vornehmen können.
-Diese Ausschließlichkeit oder das Eigentumsrecht im eigentlichen Sinne
-des Wortes gibt es nur im Staat und durch den Staat; also hat der Staat
-auch die Aufgabe, dieses Recht so zu bestimmen und zu beschränken, daß
-es den Anforderungen der sittlichen Ordnung der Menschenwelt genügt.
-
-Wir haben nicht zu untersuchen, ob und inwieweit die einzelnen
-Vorschläge des geschlossenen Handelsstaates notwendig, zweckmäßig und
-durchführbar sind. Philosophisch wichtig ist die Art ihrer Begründung,
-und diese muß für solche Untersuchungen vorbildlich bleiben, mögen
-auch alle Einzelheiten durch veränderte Verhältnisse und erweiterte
-nationalökonomische Kenntnisse sich ganz anders darstellen.
-
-Unwillkürlich werden Sie bei diesem Staatsideal an den platonischen
-Staat zurückgedacht haben. Der Gegensatz fällt sofort in die Augen:
-Platon hatte zwar für die oberen Stände das Privateigentum abgeschafft,
-aber -- wenigstens im »Staat« -- keinen eigentlichen Sozialismus
-gelehrt; denn die Eigentumsverteilung des wirtschaftlich arbeitenden
-Volkes, die ganze Lage dieses Volkes war ihm gleichgültig gewesen.
-Das hängt mit Platons Philosophie aufs engste zusammen; ihm kam es
-überall nur darauf an, daß die Ideen sich rein in der Wirklichkeit
-spiegeln, daher bestand für ihn die Aufgabe des Staates darin, die
-Idee des Menschen, der kein einzelner gleichzukommen vermag, im
-Großen darzustellen. Der Nährstand entsprach dabei den niederen
-Begierden und Trieben, die zum Leben nötig sind, im übrigen aber
-dienen müssen. So hoch diese Anschauung mit ihrer reinen Hingabe an
-das Ideal auch steht, immer blickt sie auf den _Erfolg_, nicht auf den
-_Willen_; wer jeder Menschenseele die Anlage zur vollen Sittlichkeit
-zuspricht, wer im guten Willen unabhängig von der Höhe der Erkenntnis
-und der Größe der Fähigkeiten den höchsten Wert sieht, kann solche
-aristokratische Härte nicht gutheißen. Das Christentum, für das
-jeder Mensch zur Gotteskindschaft berufen ist, mußte den starren
-antiken Stolz schmelzen; erst auf seinem Boden konnte der Gedanke
-von dem unvergleichlichen Werte jeder Seele wachsen, den die neuere
-Philosophie zur Klarheit brachte. Die Idee der Menschheit liegt für
-Kant und Fichte in jedem einzelnen Menschen, und darum hat jeder ein
-Recht darauf, sich seinen Fähigkeiten gemäß als freie, sittliche
-Persönlichkeit zu betätigen.
-
-Fichte blieb mit Ausnahme einer kurzen Lehrtätigkeit an der damals
-preußischen Universität Erlangen in Berlin. Er ließ seine Familie
-dorthin nachkommen und verkehrte viel mit allen führenden Geistern der
-preußischen Hauptstadt. Berlin besaß damals noch keine Hochschule, aber
-dem Bildungsbedürfnis weiter Kreise kam man durch Vorlesungen entgegen.
-So hielt auch Fichte öffentliche Vorträge, die sehr besucht waren.
-
-In diesen Reden schmeichelte er der vornehmen und bildungsstolzen
-Gesellschaft keineswegs, erfüllte vielmehr hier wie immer, wenn er
-sich an die breitere Öffentlichkeit wandte, die Aufgabe, durch die
-Philosophie auf das Leben bessernd zu wirken. Ja, er faßte diese
-Aufgabe jetzt noch viel genauer. Er stellte nicht mehr bloß ein Bild
-des Gelehrten, des Staates, des Menschen auf, wie er sein sollte,
-sondern er fragte nach der besonderen Beschaffenheit seiner Zeit und
-nach den Aufgaben, die aus dieser besonderen Beschaffenheit folgten.
-
-
-[Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters]
-
-Im Winter 1804--1805 hielt er Vorträge unter dem Titel: _Grundzüge
-des gegenwärtigen Zeitalters_. Die Frage, was bedeutet unsere Zeit,
-kann man nur beantworten, wenn man eine Überzeugung von der Bestimmung
-des Menschengeschlechtes zugrunde legt und dann untersucht, wie
-sich die bisherige Entwicklung zu dieser Bestimmung verhält. Das
-Ziel des Menschen ist sittliches Handeln, d. h. ein Handeln aus
-Pflichtbewußtsein und zugleich aus voller Pflichterkenntnis. Seine
-Pflicht erkennen aber kann nur der Mensch, in dem das vernünftige
-Denken frei und mächtig geworden ist. Auch soll er ja das Rechte
-aus seiner eigenen Erkenntnis heraus tun, er soll autonom sein und
-nicht einer fremden Autorität folgen. Wenn die Menschheit auf dieser
-Stufe stehen wird, so werden auch alle äußeren Angelegenheiten
-den Anforderungen der Vernunft gemäß geordnet sein. Das Ziel der
-Menschheit ist also ein Zeitalter der Vernunftkunst. Wie verhält sich
-nun die bisherige Entwicklung zu diesem Ziele? Der Mensch soll sich
-zum Vernunftwesen entwickeln. Daraus folgt, daß er am Anfang seiner
-Geschichte noch kein solches Vernunftwesen ist, aber doch die Anlage
-dazu in sich hat. Die noch unbewußte Anlage bewährt sich zunächst in
-einer für die früheren Zustände des Menschengeschlechts zweckmäßigen
-Lebensordnung. Da diese Regelung nicht dem Denken entstammt, doch
-aber zweckmäßig ist, spricht Fichte von einem Vernunftinstinkt. Noch
-unfähig, sich selbst das Gesetz zu geben, unterwerfen sich die Menschen
-einer äußeren Autorität. Ein bloß gesetzliches Handeln gewöhnt sie
-an Beherrschung ihrer sinnlichen Triebe durch ein Gebot. Zugleich
-bilden sich die äußeren Formen des menschlichen Zusammenlebens aus,
-auch sie geschützt durch die Heiligkeit göttlicher Gebote. Da aber
-der Mensch dazu bestimmt ist, frei zu werden, so muß er aus diesem
-Zustande heraustreten, er muß dazu übergehen, selbst zu prüfen und
-nur das zu befolgen, was er für recht erkannt hat. Diese Befreiungs-
-und Aufklärungsbewegung führt zunächst zum Zweifel an dem Rechte
-der Autoritäten, die bis dahin die egoistischen Triebe in Schranken
-gehalten haben, und bald zur Leugnung dieses Rechtes. Da die Einsicht
-in das Sittengesetz, in die Notwendigkeit der Vernunft fehlt, folgt
-jeder seiner eigenen Selbstsucht. Nur die gegenseitige Furcht
-hält die Ordnung der menschlichen Gesellschaft noch aufrecht. Aus
-wohlverstandenem Eigennutz schont man Leben und Eigentum der andern,
-damit diese uns die gleiche Rücksicht zuteil werden lassen; aber
-niemand will für das Ganze, für große sittliche Ziele Opfer bringen.
-Dieser Zustand kann nur überwunden werden, wenn das von seinen Fesseln
-befreite Denken sich auf die in ihm selbst liegenden Befehle der
-Vernunft besinnt, und wenn das durch keine Autorität mehr gebundene
-Handeln sich aus Erkenntnis seiner Pflicht in den Dienst der großen
-Ziele der Menschheit stellt. Noch, so sagt Fichte zu seinen Hörern, die
-meist in dem Gefühle lebten, es herrlich weit gebracht zu haben, noch
-fehlt den meisten diese Einsicht und dieser Entschluß, noch leben wir
-im Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit. Die Menschheit muß durch
-diesen Zustand hindurch, aber nur solche Völker werden die allgemeine
-Kultur fördern und selbst weiterbestehen, deren Mitglieder aus eigener
-Freiheit sich sittlich bestimmen.
-
-Denken wir an den Zeitpunkt jener Vorträge, so wirken sie fast
-prophetisch. Schon 1806 brach der preußische Staat zusammen. Nach
-der Schlacht bei Jena (14. Oktober 1806) verließ Fichte Berlin. Er
-konnte nicht als Untertan des fremden Eroberers leben, der für ihn
-eine Verkörperung kraftvoller Selbstsucht war, und dessen Sieg er sich
-daraus erklärte, daß seine Gegner Selbstsucht mit Schwäche paarten.
-In Königsberg, wohin Fichte dem König gefolgt war, faßte er, als
-Preußen und Deutschland für immer vernichtet schienen, zugleich mit
-wenigen andern Getreuen Entschluß und Plan der inneren Erneuerung. Der
-Grundsatz seiner kraftvollen Sittlichkeit: »Du kannst, denn du sollst«,
-hatte sich jetzt zu bewähren. Der lebenden Generation freilich traute
-er die Kraft sittlichen Entschlusses nicht zu, sondern erwartete die
-Besserung von einem besser erzogenen Geschlechte. Jetzt erkannte er die
-volle Bedeutung der neuen Erziehungsweise, die er bei Pestalozzi in
-Zürich kennengelernt hatte.
-
-
-[Reden an die deutsche Nation]
-
-Um die in Königsberg gefaßten Vorsätze zu verwirklichen, hielt er
-in Berlin, wohin er nach dem Friedensschlusse zurückgekehrt war,
-unter den Augen der französischen Spione im Winter 1807--1808 seine
-berühmten _Reden an die deutsche Nation_. Kurz zuvor war in Nürnberg
-der Buchhändler Palm standrechtlich erschossen worden, weil in seinem
-Verlage eine gegen Napoleon gerichtete Broschüre erschienen war. Unter
-dem Eindruck dieser Gewalttat schrieb Fichte am 2. Januar 1808 an
-Beyme: »Ich weiß recht gut, was ich wage, weiß, daß ebenso wie Palm das
-Blei mich treffen kann. Aber dies ist es nicht, was ich fürchte, und
-für den Zweck, den ich habe, würde ich auch gerne sterben.«
-
-Die Reden an die deutsche Nation knüpften unmittelbar an die
-»Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« an. Die Zeit der
-vollendeten Sündhaftigkeit hat ihre Früchte gezeitigt, der Staat ist
-zusammengebrochen. Jetzt hat es keinen Sinn mehr, über vergangene
-Sünden zu rechten, sondern es kommt darauf an, einen neuen Entschluß
-zu fassen. Denn sonst wird das deutsche Volk geknechtet bleiben, damit
-aber wäre die Zukunft der ganzen Menschheit gefährdet.
-
-Fichte hat sich, wie wir wissen, schon vorher der Wirklichkeit mehr
-und mehr genähert. Jetzt, unter dem Eindruck der Vernichtung aller
-deutschen Staaten, tat er den letzten entscheidenden Schritt. Schon
-der Titel beweist das: er spricht nicht mehr zu Menschen schlechthin
-oder zu Gelehrten schlechthin -- er spricht zu Deutschen. Fichte
-hat die sittliche Notwendigkeit des besonderen deutschen Volkstums
-in seinem Schmerz um den Zusammenbruch, in seinem Kampf um die
-Umgestaltung erlebt. Aber wie er überall nicht vermag, die Anerkennung
-des Gegebenen mit der Einheit der Vernunft zu verbinden, so gelingt
-ihm auch hier die Erhebung seines Vernunftinstinktes zu einsichtigem
-Bewußtsein nicht ohne Rest. Er kann nicht das Recht der geschichtlich
-gewordenen Mannigfaltigkeit verschiedener Nationen anerkennen, die
-auf verschiedenen Wegen dem Ziel des rechten Volkslebens nachstreben.
-Vielmehr fordert seine Einheit heischende Vernunft _ein_ Volk, und
-dies eine Volk sieht er jetzt in den Deutschen, weil sie allein unter
-den Völkern germanischer Herkunft sich die Reinheit der Ursprache
-bewahrt haben (die Skandinavier zählt er folgerecht zu den Deutschen).
-Die anderen Völker können nur durch das Menschheitsvolk, durch die
-Deutschen, zur Höhe der wahren Menschheit erhoben werden. Dabei denkt
-Fichte freilich nicht an Gewalt oder politische Herrschaft, sondern
-nur an geistige Einwirkung. Voraussetzung dazu ist aber die staatliche
-Unabhängigkeit. Nur ein von äußerer Herrschaft freies Volk kann seine
-Aufgabe erfüllen; auch der einzelne kann nur als Glied eines freien
-Volkes erfolgreich wirken. Darum muß er mit Einsetzung aller Kraft
-danach streben, daß das Volk, dem er angehört, dessen Sprache sein
-Innenleben gebildet und genährt hat, auch nach außen seine Geschicke
-selbst bestimmt, wenn nötig Gewalt der Gewalt entgegensetzend.
-Freilich, der tiefste sittliche Wert des einzelnen ist vom Erfolge
-unabhängig; er kann ohne Schuld sein, wenn sein Volk untergeht, er kann
-und darf dann bei seinen vergeblichen Kämpfen Trost aus dem Glauben
-schöpfen, daß auch erfolgloses, sittliches Wirken ewigen Wert hat und
-irgendwie, auch wenn wir es nicht zu erkennen vermögen, der moralischen
-Weltordnung dient. Aber dieser letzte Trost der Religion, der den
-verzweifelten Kämpfer aufrechterhält, soll nicht die Schlaffheit
-beschönigen. Gerade weil Fichte ganz von lebendiger Religion
-durchdrungen war, hatte er scharfe Worte gegen die, die aus der ewigen
-Seligkeit ein Schlummerkissen machen wollten. Wir sind auf der Erde,
-um hier nach Kräften dem für recht Erkannten zum Siege zu verhelfen.
-»Der natürliche, nur im wahren Falle der Not aufzugebende Trieb des
-Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig
-Dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk, das Unvergängliche
-im Zeitlichen selbst zu pflanzen und zu erziehen.« In diesem Sinne
-ruft Fichte hier die Deutschen auf. Jeder soll an der besseren Zukunft
-mitarbeiten. Denn im Entschlusse jedes einzelnen liegt das Heil. »Diese
-Reden sind nicht müde geworden euch einzuschärfen, daß euch durchaus
-nichts helfen kann denn ihr euch selber.« Im energischen Willen allein
-liegt die Möglichkeit einer Besserung.
-
-Der Wille eines ganzen Volkes aber ist nicht auf einmal umzuwandeln.
-Hier muß die Erziehung eintreten, und darum entwickelte Fichte in den
-Reden an die deutsche Nation einen großgedachten Erziehungsplan, dessen
-Einzelheiten ich nicht besprechen kann. Fichte knüpfte an Pestalozzis
-Versuche an, jedem, auch dem ärmsten Kinde, zu freiem menschlichen
-Bewußtsein, zur Beherrschung seiner Sinnes- und Verstandesgaben zu
-verhelfen, den Geist jedes Kindes frei zu machen durch Arbeit, Einsicht
-und Liebe. Wie Fichte diese Erziehung fern von der Verderbnis der ihn
-umgebenden Welt durchgeführt denkt, ist uns weniger wesentlich. Das
-Entscheidende ist, daß jeder zur Selbsttätigkeit und zur freiwilligen
-Unterwerfung unter das für recht Erkannte erzogen werden soll. Nicht
-dumpfe Knechte einer äußeren Autorität, nicht schlaffe Sklaven der
-eigenen sinnlichen Triebe, sondern freie Diener des Vernunftgebotes,
-autonome Menschen sollen gebildet werden.
-
-Nicht in den Mitteln der Erziehung, wohl aber in dem Werte, den er
-auf Erziehung und Bildung legte, und in dem hohen Ziele, das er der
-Bildung gab, stimmte Fichte mit den Männern überein, die Preußen
-damals von Grund auf erneuerten. Sie konnten das ungestört tun, denn
-den politischen Wert der besseren Erziehung erkannte Napoleon nicht.
-In diesem Sinne wurde unter Fichtes lebhaftester Anteilnahme die
-Universität Berlin begründet. Auch diesmal entsprach die Wirklichkeit
-nicht ganz den strengen und hohen Ansprüchen des Philosophen. Aber
-Fichte wußte jetzt, daß wir in der Umgebung, in die wir hineingesetzt
-sind, zu wirken haben trotz aller Widerstände; er ließ daher das Werk
-nicht im Stich.
-
-
-[Fichtes Tod. Rückblick]
-
-Als dann 1813 der Befreiungskampf begann, wollte Fichte abermals wie
-schon 1806 als religiöser Redner mit in den Krieg ziehen. Da ihm das
-auch diesmal nicht gewährt wurde, blieb er in Berlin, übte seinen Beruf
-weiter aus und ließ sich einexerzieren, um im äußersten Falle als
-Soldat des Landsturms dem Vaterland zu dienen. Seine wackere Frau half
-die zahlreichen Verwundeten und Kranken pflegen, die besonders seit den
-Schlachten von Großbeeren und Dennewitz nach Berlin gelegt wurden. Sie
-zog sich dabei selbst eine ansteckende Krankheit zu. Fichte pflegte
-sie und ging, um ihr Leben bangend, am 3. Januar 1814 ins Kolleg. Er
-las zwei Stunden über höchst abstrakte Fragen der reinen Philosophie,
-während er fürchtete, seine Frau nicht mehr lebend anzutreffen. Als er
-nach Hause kam, sagten ihm die Ärzte, daß die Krise vorüber und die
-Kranke wahrscheinlich gerettet sei. Froh beugte er sich über sie und
-empfing dabei vermutlich selbst den Keim der Krankheit, der er am 29.
-Januar 1814 erlag, während seine Frau genas.
-
-Obwohl dieser Tod Fichtes Leben gleichsam krönt, wäre es doch ganz
-und gar nicht in seinem Sinne, mit dem Tode zu schließen. Fichtes
-Philosophie ist eine Lehre des Lebens und seiner Gestaltung durch den
-vernünftigen Willen. Diese Formel gemahnt an Sokrates und fordert zu
-einem Rückblicke auf.
-
-Sokrates hat als erster die Grundfrage nach den Zwecken unseres
-Daseins in den Mittelpunkt des Nachdenkens gestellt und dadurch der
-Philosophie ihren wahren Gegenstand bestimmt. In der Erkenntnis
-glaubte er die Lösung aller Schwierigkeiten zu besitzen. Noch hing
-er mit den Überlieferungen seines Volkes so eng zusammen, daß er
-überzeugt war, durch sein Denken die alte Sitte und Religion nicht
-umzustürzen, sondern erst in voller Reinheit zu erfassen. Platon, von
-der Wirklichkeit zurückgestoßen, in seinen Reformversuchen erfolglos,
-baute in großartiger Weise ein System menschlicher Ziele auf und
-stellte es in eine Welt, die selbst ganz und gar nach den Ideen der
-Vernunft gebaut ist. Die Wissenschaft der Neuzeit beweist im Gegensatz
-dazu, daß unsere Naturerkenntnis nicht nach Zwecken, sondern nach
-Ursachen fragen muß, wenn sie Erfolge erzielen will. Von neuem fordert
-der Umsturz einer lange herrschenden Denkweise zu einer Prüfung der
-Erkenntnisgrundlagen auf; Descartes findet in der Selbstgewißheit des
-Denkens den festen Punkt, von dem aus er den Zweifel überwindet. In
-ihm erreicht die Einsamkeit des Philosophen, seine Entfremdung von
-Staat, Volk und Gesellschaft einen Höhepunkt; denn schon sein Schüler
-Spinoza, durch das Schicksal ganz auf sich selbst gestellt, betont doch
-wieder die Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Er findet in der
-Hingabe an eine ganz verstandesmäßig gedachte Gottnatur Befriedigung
-seiner religiösen Sehnsucht. Aber so groß der Eindruck seines Systems
-ist, der kritischen Vernunft hält es nicht stand. Wir haben an ihm
-die Unmöglichkeit einer Metaphysik und damit zugleich einer Ethik
-erkannt, die von einer Vorstellung des Weltzusammenhanges her den
-Wert unseres Lebens bestimmen wollte. Kant erst macht vollen Ernst
-damit, die Philosophie auf die Untersuchung der Voraussetzungen und
-der Tragweite unseres Erkennens zu begründen. Er findet, daß die Welt
-selbst unsere Aufgabe ist, daß wir sie als Ziel verstehen müssen, nicht
-aus ihr unsere Ziele ableiten dürfen. Zugleich macht er mit seiner
-Ethik des guten Willens der alten Einseitigkeit ein Ende, die glaubt,
-daß durch die richtige Erkenntnis schon das richtige Handeln gewonnen
-sei. So schafft er die Grundlagen, von denen aus wir nun von neuem
-versuchen müssen, Klarheit über die Ziele unseres Lebens zu erlangen.
-Als erster hat Fichte diese Aufgabe in ganz bestimmter Weise zu lösen
-begonnen. Von allgemeinen Forderungen ausgehend, kam er schrittweise
-zu der Erkenntnis, daß jedem Menschen nach seiner besonderen Stellung
-in seiner Zeit und in seinem Volke besondere Aufgaben erwachsen. Die
-Einheit mit seiner Umgebung, die in Sokrates trotz der beginnenden
-Entfremdung noch naiv vorhanden ist, wird hier als Vernunftziel
-gestellt. Dieser Gedanke ist für unsere Gegenwart besonders wichtig;
-wir sind getrennt und zerspalten in Stände und Parteien, jeder von
-uns ist auf ein kleines Lebens- und Arbeitsgebiet beschränkt und muß
-es sein, wenn er etwas leisten will. Die enge und innige Einheit,
-die eine als selbstverständliche Wahrheit hingenommene Überlieferung
-früheren Jahrhunderten gab, ist unwiderbringlich verloren. Und doch
-sollen wir ein echtes Volk, ein einheitlich fühlendes und handelndes
-Volk _werden_; denn wir sind weit entfernt es zu sein. Wir können
-das nur durch »Vernunftkunst«, um Fichtes Wort zu gebrauchen, durch
-wissenschaftlich begründete und dem Leben angepaßte Überzeugungen
-von dem, was wir sollen. Wir müssen dabei Fichtes Irrtum, die
-Mannigfaltigkeit des Lebens aus der Einheit der Vernunft abzuleiten,
-überwinden. Aber die Aufgabe, mit der er sein Leben lang kämpfte, die
-Vereinigung reinsten Wollens und Erkennens aus ursprünglichster Kraft
-mit Anerkennung des geschichtlich gewordenen Zusammenhangs ist auch die
-unsere.
-
-Ich konnte Ihnen nur den ersten Anfang des Weges zeigen, den man hier
-gehen muß. Meine Absicht war, die Überzeugung von der Notwendigkeit
-der Philosophie als einer Wissenschaft von den Zielen unseres Lebens
-zu wecken und Ihnen die sicheren Grundsätze dieser Wissenschaft
-mitzuteilen.
-
-[Illustration: Fichte
-
-Nach dem Bronzemedaillon von L. Wichmann an dem Grabdenkmal Fichtes.
-
-(Alter Dorotheenstädtischer Kirchhof in Berlin.)]
-
-
-
-
-Register.
-
-
-(Die Philosophen, denen ein ganzer Vortrag gewidmet ist, sind nicht
-aufgenommen.)
-
- Akademie 28
-
- Anschauungsformen 89
-
- Aristoteles 40. 46
-
- Assoziationsgesetz 80. 82
-
- Attribut 67
-
- Aufgabe 85. 91. 93
-
- Autonom 96
-
-
- Bacon, Francis 78
-
- Begriff 15. 30
-
- Bruno, Giordano 43
-
-
- Christentum 41 f. 109
-
-
- Denken 50. 52
-
-
- Eigentum 108
-
- Empirist 79
-
- Ethik 64. 69. 94 f.
-
- Ewigkeit 37
-
-
- Glauben 98
-
- Goethe 46. 71
-
- Gott 34. 51. 65 f. 92 f. 105 f.
-
- Gottesliebe 70
-
- Gute (Idee des) 33
-
-
- Heteronom 96
-
- Hume 80 f.
-
-
- Ich 50. 104 f.
-
- Idealismus 94
-
- Idee (Platon) 30 f. (Kant) 93
-
- Jesuiten 41. 43
-
- Imperativ (kategorischer) 97
-
-
- Kategorien 30
-
- Kausal 34. 46
-
- Kausalgesetz 80
-
- Kepler 46
-
- Kirche 62
-
- Kopernikus 43
-
-
- Leibniz 74
-
- Liebe, platonische 35 f.
-
- Locke 56. 79
-
- Luther 98
-
-
- Mathematik 31. 45 f. 64. 87 f.
-
- Mechanistische Auffassung der Körperwelt 47. 53. 68. 75
-
- Metaphysik 73. 85 f. 90 f.
-
- Methode (sokratische) 15
-
- Mittelalter 41 f.
-
- Mystik 66. 70
-
-
- Naturgesetz 85
-
- Naturphilosophen (griechische) 8. 17
-
- Naturwissenschaft 46 f. 89 f.
-
- Neuzeit 42 f.
-
- Newton 75
-
- Nichtwissen (sokratisches) 12. 19
-
-
- Pantheismus 65
-
- Pestalozzi 103
-
- Pflicht 96
-
- Philosophie 5
-
- Praktische Philosophie 94 f.
-
- Primat der praktischen Vernunft 95
-
- Protagoras 9. 17 f. 28. 80
-
-
- Rationalist 78
-
- Raum 87 f.
-
- Realismus 94
-
- Rein 87
-
-
- Seele 36 f. 54 f.
-
- Selbstgewißheit des Denkens 51 f.
-
- Sensualist 79
-
- Sinnesempfindung 28. 52
-
- Sophisten 8 f.
-
- Sozialismus 38. 108
-
- Staat 36 f. 107 f.
-
- Substanz 52. 66
-
-
- Tapferkeit 12. 15 f.
-
- Teleologisch 34. 46
-
- Thales v. Milet 8
-
- Tierseelen 55. 68
-
-
- Unsterblichkeit 37
-
-
- Vernunft 17
-
- Vernunftkunst 110
-
- Verstand 29
-
-
- Wahrheit 9. 14. 16. 28 f.
-
- Wahrnehmung 9. 29
-
- Wille 95
-
- Willensfreiheit 69. 97
-
- Wissenschaftslehre 104
-
- Wolff (Christian) 74 f.
-
-
- Xenophon 13
-
-
- Zeit 89 f.
-
- Zweifel 49
-
-
-
-
-Fußnoten
-
-
- [1] Bei der Übersetzung habe ich zu Rate gezogen: Hermann
- Zimpel: Platons Apologie, Kriton, Phaidon. Breslau. Woywod
- 1888. Ich möchte diese durch ihre schlichte und lebendige
- Sprache zur Einführung sehr geeignete Übersetzung meinen
- Lesern dringend empfehlen.
-
- [2] D. h.: der Gefängnisbehörde, einer Kommission von 11
- Männern.
-
- [3] Dem Gott der Heilkunst für seine Genesung -- denn so faßte
- Sokrates den Tod auf.
-
- [4] In seinem Alterswerk, den Gesetzen, stellt er allerdings
- den Kommunismus als (für Menschen kaum erreichbares) Ideal
- hin.
-
- [5] Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als
- Wissenschaft wird auftreten können. 1783.
-
-
-
-
-Allgem. Geschichte der Philosophie
-
-(Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von Prof. _P. Hinneberg_. Teil I, Abt.
-V.) 2., verm. u. verb. Aufl. Geh. M. 14.--, geb. M. 18.--, in Halbfranz
-M. 24.--
-
-»Man wird kaum ein Buch finden, das von gleich hohem Standpunkt aus,
-dabei in fesselnder Darstellung eine Geschichte der Philosophie von
-ihren Anfängen bis in die Gegenwart u. damit eine Geschichte des
-geistigen Lebens überhaupt gibt.«
-
- (_Ztschr. f. latein. höh. Sch._)
-
-
-Systematische Philosophie
-
-(Kultur d. Geg., hrsg. v. Prof. _P. Hinneberg_. Teil I, VI.) 3. A. (U.
-d. Pr. 1920.)
-
-»Die Hervorhebung des Wesentlichen, die Reife des Urteils, das
-Fernhalten alles Schulmäßigen und Pedantischen, die Klarheit u.
-Sorgfalt des sprachl. Ausdrucks -- dies alles drückt den einzelnen
-Abhandlungen den Stempel des Klassizismus auf.«
-
- (_Jahrb. d. Philosophie._)
-
-
-Einleitung in die Philosophie
-
-Von Prof. ~Dr.~ _Hans Cornelius_. 2. Aufl. Geh. M. 8.--, geb. M. 10.--
-
-»Die gegebenen Gesichtspunkte und Einleitungen führen tief in die
-Erkenntnistheorie und Psychologie. Leser, die einer tiefgründigen
-Untersuchung nicht aus dem Wege gehen, werden viel von ihm lernen.«
-
- (_Leipziger Zeitung._)
-
-
-Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart
-
-Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ _A. Riehl_. 5. Aufl. Geh. M. 4.50, geb.
-M. 6.40
-
-»Von den üblichen Einleitungen in die Philosophie unterscheidet sich
-Riehls Buch nicht bloß durch die Form der freien Rede, sondern auch
-durch seine ganze methodische Auffassung und Anlage. Nichts von eigenem
-System, nichts von langatmigen, logischen, psycholog. oder gelehrten
-historischen Entwicklungen, sondern eine lebendig anregende u. doch
-nicht oberflächl., vielmehr in das Zentrum der Philosophie führende
-Betrachtungsweise.«
-
- (_Monatschr. f. höh. Schulen._)
-
-
-Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften
-
-In 6 Bdn. Jeder Bd. zum Preise von 8--12 M. geh. und 10--15 M. geb.
-Band II: Weltanschauung u. Analyse des Menschen seit Renaissance u.
-Reformation. Abhandl. z. Gesch. d. Philos. u. Relig. 2. Aufl. [U. d.
-Presse 1920.]
-
-_Inhalt_: Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16.
-Jahrhundert. -- Das natürlichste System der Geisteswissenschaften.
--- Die Autonomie des Denkens. -- Giordano Bruno. -- Der
-entwicklungsgeschichtliche Pantheismus. -- Aus der Zeit der
-Spinozastudien Goethes. -- Die Funktion in der Anthropologie in der
-Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts.
-
-Band IV: Jugendgeschichte Hegels. [U. d. Presse 1920]
-
-
-Naturphilosophie
-
-Unt. Redaktion v. Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ _C. Stumpf_. Bearb. von
-Prof. ~Dr.~ _E. Becher_. (Die Kultur der Gegenwart. Hrsg. von Prof. _P.
-Hinneberg_ Teil III, Abt. VII, 1.) Geh. M. 14.--, gebunden M. 18.--, in
-Halbfr. M. 24.--
-
-_Inhalt_: Einleitung. Aufgabe der Naturphil. Naturerkenntnistheorie.
-Gesamtbild d. Natur.
-
-
-Philosophisches Wörterbuch
-
-Von ~Dr.~ _P. Thormeyer_. 2. verbesserte u. vermehrte Auflage.
-(Teubners kleine Fachwörterbücher Band 4.) Geb. M. 5.--
-
-Sachliche, sprachliche und geschichtliche Erklärung aller wichtigen
-philosophischen Fachausdrücke nebst deren häufigeren Verbindungen und
-Zusammensetzungen sowie Darstellung der Hauptlehren der bedeutenderen
-Philosophen.
-
- * * * * *
-
-=Das Grundproblem Kants.= Eine kritische Untersuchung und Einführung in
-die Kant-Philosophie. V. Prof. Dr. _A. Brunswig_. Geh. M. 3.60, geb.
-M. 6.80.
-
-
-=Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke.= Von Dr. _H. Heller_.
-[Unter der Presse 1920.]
-
-
-=Persönlichkeit und Weltanschauung.= Psych. Untersuch. z. Religion,
-Kunst u. Philos. Von Dr. _R. Müller-Freienfels_. M. Abb. i. T. u. a. 5
-Taf. M. 6.--, geb. M. 9.--
-
-
-=Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten.= Von Prof.
-_Troels-Lund_. Aut. Übersetzung von _L. Bloch_. 4. Aufl. Geb. M. 7.50
-
-
-=Humor als Lebensgefühl.= (Der große Humor.) Von Prof. Dr. _H.
-Höffding_. Eine psycholog. Studie. A. d. Dänischen v. _H. Goebel_. Geh.
-M. 3.80, geb. M. 5.40
-
-
-=Aus der Mappe eines Glücklichen.= Von Wirkl. Geh. Oberreg.-Rat
-Ministerialdirektor Dr. _R. Jahnke_. 5. Aufl. Kart. M. 5.--
-
-
-=Gott, Gemüt und Welt.= Goethes Aussprüche über Religion und
-religiös-kirchliche Fragen. Von _Theodor Vogel_. 4. Aufl. Geb. M. 5.--
-
-
-=Das Erlebnis und die Dichtung.= Lessing. Goethe. Novalis. Hölderlin.
-Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. _W. Dilthey_. 6. Aufl. Mit 1 Titelbild.
-Geh. M. 9.--, geb. M. 12.--
-
- * * * * *
-
-AUS WEIMARS VERMÄCHTNIS
-
-»_Nichts vom Vergänglichen, wie's auch geschah! Uns zu verewigen sind
-wir ja da._«
-
-Im Sinne dieses Goetheschen Spruches soll in dieser Reihe zwanglos
-erscheinender Schriften versucht werden, das ewig Lebendige der größten
-Zeit deutschen Geisteslebens für Gegenwart und Zukunft fruchtbar zu
-machen. -- Zunächst erschienen:
-
-
-=Schiller, Goethe und das deutsche Menschheitsideal.= Von Prof. Dr. _K.
-Bornhausen_ (Bd. 1.) Kart. M. 5.--
-
-Will den Sinn wecken für den bleibenden Wert des Lebens der
-befreundeten Dichter in enger Arbeitsgemeinschaft, das in seiner
-Bedeutung für ihr Volk und die Menschheit auch für sie größer war als
-sie selbst. Die ihrer Poesie innewohnende Kraft, den Teil des Ganzen zu
-vergegenwärtigen, der in ihnen und uns Ewigkeit hat, gilt es fruchtbar
-zu machen für die Selbstbesinnung unserer Zeit.
-
-
-=Lebensfragen in unserer klassischen Dichtung.= Von Gymnasialdir. Prof.
-_H. Schurig_. (Bd. 2.) Kart. M. 7.50
-
-In dem Büchlein soll eine Brücke geschlagen werden zwischen den
-Lebenden und der Dichtung, gezeigt werden, wie die Dichtung unserer
-großen Klassiker, die das Leben selbst ist, gefaßt in Reinheit und
-gehalten im Zauber der Sprache, auch heute noch wahren Lebens Quell
-sein kann.
-
- * * * * *
-
-Hauptprobleme der Ethik
-
-Neun Vorträge von Prof. ~Dr.~ _P. Hensel_. 2. Aufl. Kart. M. 3.60
-
-»Das Buch _Hensels_ ist die beste Einführung in die Hauptprobleme
-der Ethik, des sittlichen Denkens und der sittlichen Welt. Ich wüßte
-kein Buch, wo so knapp und scharf die grundlegenden Probleme in ihren
-Tiefen erfaßt und gestaltet sind, wo die großen Gesichtspunkte in
-dieser überragenden und umfassenden Weite, so daß Inhalte und Werte
-des sittlichen Geistes dem Leben und der Welt des Geistes an sich
-eingeordnet werden, gesehen und durchgeführt werden.«
-
- (_Theol. Jahresbericht._)
-
-
-Geist der Erziehung
-
-Pädagogik auf philosophischer Grundlage. Von Prof. ~Dr.~ _J. Cohn_.
-Geheftet M. 10.--, gebunden M. 13.--
-
-Eine philosophische Begründung der Pädagogik, die zeigt, wie Erziehung
-und erziehende Gemeinschaften zusammenwirken können und müssen,
-um unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Kulturlage und der
-Eigentümlichkeiten des deutschen Volkes den Zögling zum autonomen Glied
-der deutschen Kulturgemeinschaft heranzubilden.
-
-
-Individuum und Gemeinschaft
-
-Grundfragen der sozialen Theorie und Ethik. Von Prof. ~Dr.~ _Th. Litt_.
-Geh. M. 7.--, geb. M. 9.--
-
-Von den Erfahrungen und Bedürfnissen des praktischen Lebens ausgehend,
-sucht der Verfasser das überreiche soziologische Erfahrungsmaterial der
-Gegenwart, insbesondere der jüngsten gesamteuropäischen Krisis, mit
-Hilfe der Erkenntnismittel, die die fortschreitende Entwicklung des
-sozial- und kulturphilosophischen Denkens geschaffen hat, zu ordnen und
-zu deuten und für die soziale Selbsterfassung und Selbstleitung nutzbar
-zu machen.
-
-
-Hauptfragen der modernen Kultur
-
-Von ~Dr.~ _Emil Hammacher_. Geh. M. 10.--, geb. M. 12.--
-
-»Man muß das inhaltreiche und fesselnde Buch selbst lesen, um sich von
-der Fülle von Anregungen, die es vermittelt, ein Bild zu machen. Neben
-den Arbeiten von Jonas Cohn, Adolf Dyroff, Karl Joel, Max Scheler,
-Georg Mehlis u. a. wird es als Zeuge eines hohen Idealismus seinen
-selbständigen Platz behaupten.«
-
- (_Deutsche Revue._)
-
-
-Geschichtsphilosophie
-
-Von Prof. ~Dr.~ _O. Braun_. In einem Bande mit: Grundzüge der histor.
-Methode. Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ _A. Meister_. 2. Aufl. Geh.
-M. 1.50, geb. M. 2.40
-
-Der erste Teil gibt eine ausführliche Geschichte der Disziplin vom
-Altertum bis zur Gegenwart, der zweite Teil behandelt die bedeutendsten
-Probleme und Lösungen der Gegenwart. Überall entwirft der Verfasser
-von den wichtigeren Erscheinungen knappe Bilder unter Verknüpfung der
-Persönlichkeiten mit den allgemeinen Kulturströmungen.
-
-
-Philosophische Propädeutik
-
-im Anschluß an Probleme der Einzelwissenschaften. Hrsg. von Geh.
-Reg.-Rat u. Oberreg.-Rat ~Dr.~ _G. Lambeck_. Geh. M. 5.60, geb. M. 8.--
-
-Zeigt, wie jede Einzelwissenschaft -- Naturwissenschaften, Mathematik,
-Geisteswissenschaften -- bestrebt ist, die philosophischen
-Voraussetzungen, auf denen sie beruht und die philosophischen Probleme,
-die ihr Gebiet einschließen, zu ergründen und zu lösen und so an ihrem
-Teile dazu beiträgt, der Philosophie kritisches Material für die
-Schaffung eines einheitlichen Weltbildes zu liefern, nach dem jeder
-denkende Mensch verlangt.
-
-
-Psychologisches Wörterbuch
-
-Von ~Dr.~ _F. Giese_. (Teubners kl. Fachwörterbücher.) Geb. ca. M. 6.--
-
-
-Auf sämtl. Preise Teuerungszuschläge d. Verlags (ab April 1920 100%,
-Abänderung vorbeh.) und teilweise der Buchhandlungen
-
-
-
-
-Teubners kleine Fachwörterbücher
-
-
-bringen _sachliche und worterläuternde Erklärungen aller wichtigeren
-Gegenstände und Fachausdrücke_ der einzelnen Gebiete der Natur- und
-Geisteswissenschaften. Sie wenden sich an _weiteste Kreise_ und wollen
-vor allem auch dem Nichtfachmann eine _verständnisvolle, befriedigende
-Lektüre wissenschaftlicher Werke und Zeitschriften_ ermöglichen und den
-Zugang zu diesen erleichtern. Dieser Zweck hat Auswahl und Fassung der
-einzelnen Erklärungen bestimmt: _Berücksichtigung alles Wesentlichen,
-allgemeinverständliche Fassung der Erläuterungen, ausreichende
-sprachliche Erklärung der Fachausdrücke_, wie sie namentlich die immer
-mehr zurücktretende humanistische Vorbildung erforderlich macht.
-
-Mit größeren rein wissenschaftlichen Nachschlagewerken können die
-kleinen Fachwörterbücher namentlich hinsichtlich der Vollständigkeit
-natürlich nicht in Wettbewerb treten, sie verfolgen ja aber auch
-ganz andere Zwecke, durch die Preis und Umfang bedingt waren.
-Den allgemeinen Konversationslexika gegenüber bieten sie bei den
-sich ohnehin mehr und mehr spezialisierenden auch außerfachlichen
-Interessen des Einzelnen Vorteile insofern, als die Bearbeitung _den
-besonderen Bedürfnissen des einzelnen Fachgebietes besser angepaßt_
-und leichter auf dem neuesten Stand des Wissens gehalten werden kann,
-als insbesondere auch die _Neu- und Nachbeschaffung_ der einzelnen
-abgeschlossene Gebiete behandelnden Bände bedeutend leichter ist als
-die einer Gesamt-Enzyklopädie, deren erster Band gewöhnlich schon
-wieder veraltet ist, wenn der letzte erscheint.
-
-Preis gebunden M. 5.-- bis M. 7.20
-
-Hierzu Teuerungszuschläge des Verlags: September 1920 100%, Abänderung
-vorbehalten.
-
-* sind erschienen bzw. werden demnächst erscheinen; die anderen Bände
-sind in Vorbereitung.
-
- *=Philosophisches Wörterbuch.= 2. Aufl. Von ~Dr.~ _P. Thormeyer_.
-
- *=Psychologisches Wörterbuch= von ~Dr.~ _Fritz Giese_.
-
- =Literaturgeschichtliches Wörterbuch= von ~Dr.~ _H. Röhl_.
-
- =Kunstgeschichtliches Wörterbuch= von ~Dr.~ _E. Cohn-Wiener_.
-
- =Musikalisches Wörterbuch= von Privatdozent ~Dr.~ _J. H. Moser_.
-
- =Wörterbuch des klassischen Altertums= von ~Dr.~ _B. A. Müller_.
-
- *=Physikalisches Wörterbuch= von Prof. ~Dr.~ _G. Berndt_.
-
- =Chemisches Wörterbuch= von Privatdozent ~Dr.~ _H. Remy_.
-
- =Astronomisches Wörterbuch= von Observator ~Dr.~ _H. Naumann_.
-
- *=Geologisch-mineralogisches Wörterbuch= von ~Dr.~ _C. W.
- Schmidt_.
-
- *=Geographisches Wörterbuch= von Prof. ~Dr.~ _O. Kende_.
-
- *=Zoologisches Wörterbuch= von ~Dr.~ _Th. Knottnerus-Meyer_.
-
- *=Botanisches Wörterbuch= von ~Dr.~ _O. Gerke_.
-
- *=Wörterbuch der Warenkunde= von Prof. ~Dr.~ _M. Pietsch_.
-
- *=Handelswörterbuch= von ~Dr.~ _V. Sittel_ u. Justizrat ~Dr.~ _M.
- Strauß_.
-
- * * * * *
-
-Die Großmächte und die Weltkrise
-
-Von Prof. ~Dr.~ _R. Kjellén_. Geh. ca. M. 8.--, geb. ca. M. 10.--
-
-In dem die Fortführung seiner in 19 Auflagen verbreiteten »Großmächte
-der Gegenwart« bildenden Werk beleuchtet der Verfasser im ersten Teil
-das System der Großmächte vor dem Weltkriege, sie als die gewaltigsten
-Lebenserscheinungen auf der Erde betrachtend, mit leidenschaftlicher
-Teilnahme und gespannter Aufmerksamkeit, zugleich aber mit dem scharfen
-kühlen Blick, der hinter der Einzelerscheinung die Gesetzmäßigkeit
-sucht. Mit kühnem raschen Griff aus der Fülle die wesentlichen Züge
-auswählend, schafft Kjellén so ungewöhnlich anschauliche Lebensbilder
-der acht Großmächte. Der zweite Teil will ein Wegweiser durch die
-Machtprobleme des Weltkrieges sein und bringt eine Kennzeichnung des
-Staatensystems, wie es aus dem Kriege hervorgegangen ist. Den Abschluß
-bildet eine Betrachtung über das Wesen der Großmacht überhaupt.
-
-
-Das Gymnasium und die neue Zeit
-
-Fürsprachen und Forderungen für seine Erhaltung und seine Zukunft. Geh.
-M. 4.50, geb. M. 6.--
-
-Das Buch stellt in längeren Darlegungen und kürzeren Äußerungen
-berufener Fürsprecher aus allen Kreisen und Arbeitsgebieten, vor
-allem auch von Männern des praktischen Lebens, zusammen, was sich
-über Bedeutung der humanistischen Bildung und des Gymnasiums für die
-künftige Gestaltung unseres Volkslebens sagen läßt.
-
-
-Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart
-
-Von Geh. Rat Prof. ~Dr.~ _A. Riehl_. 5. Aufl. Geh. M. 4.50, geb. M. 6.40
-
-»... So steigt ein Stück geistiger Menschheitsgeschichte in seinen
-wesentlichen Umrissen mit herauf, und indem wir uns um die Sache
-bemühen, lernen wir große Menschen kennen, die für uns gelebt haben und
-uns einladen, mit ihnen zu leben.«
-
- (Tägl. Rundschau.)
-
-
-Persönlichkeit und Weltanschauung
-
-Psychol. Untersuch. zu Religion, Kunst u. Philosophie. Von ~Dr.~ _R.
-Müller-Freienfels_. Mit Abb. im Text u. auf 5 Taf. Geh. M. 6.--, geb.
-M. 9.--
-
-
-Aus Weimars Vermächtnis
-
-»Nichts vom Vergänglichen, wie's auch geschah! Uns zu verewigen sind
-wir ja da.« Im Sinne dieses Goetheschen Spruches soll in dieser Reihe
-zwanglos erscheinender Schriften versucht werden, das ewig Lebendige
-der größten Zeit deutschen Geisteslebens für Gegenwart und Zukunft
-fruchtbar zu machen. -- Zunächst erschienen:
-
-=Schiller, Goethe und das deutsche Menschheitsideal.= Von Prof. _K.
-Bornhausen_. (Bd. 1.) Kart. M. 5.--
-
-=Lebensfragen in unserer klassischen Dichtung.= Von Gymnasialdirektor
-Prof. _H. Schurig_. (Bd. 2.)
-
-
-Das Erlebnis und die Dichtung
-
-Lessing. Goethe. Novalis. Hölderlin. Von Geh. Reg.-Rat Prof. ~Dr.~ _W.
-Dilthey_. 6. Aufl. Mit 1 Titelbild. Geheftet M. 9.--, geb. M. 12.--
-
-»Aus den tiefsten Blicken in die Psyche der Dichter, dem klaren
-Verständnis für die historischen Bestimmungen, in denen sie leben und
-schaffen mußten, kommt Dilthey zu einer Würdigung poetischen Schaffens,
-die eine selbständigfreie Stellung einnimmt.«
-
- (Die Hilfe.)
-
-
-Kapitalismus und Sozialismus
-
-Betrachtungen über die Grundlagen der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung
-sowie die Voraussetzungen und Folgen des Sozialismus. Von Geh.
-Regierungsrat Prof. ~Dr.~ _L. Pohle_. 2. Aufl. Geh. M. 6.--, geb.
-M. 7.--
-
-
-Auf sämtliche Preise Teuerungszuschläge des Verlags: Sept. 1920 100%,
-Abänd. vorbeh.
-
-
-Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
-
-
-
-
- Weitere Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Der Buchkatalog _Aus Natur und Geisteswelt_ ist als eigenes Projekt
- im Project Gutenberg unter Nummer 53614 verfügbar und wurde hier
- entfernt.
-
- Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
- Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-
- Korrekturen:
-
- S. 8: Debattern → Debattierern
- zu wirksamen Rednern und schlagfertigen {Debattierern} ausbilden
-
- S. 63: bei → zu
- warum {zu} Spinozas Lebzeiten
-
-
-
-
-
-End of the Project Gutenberg EBook of Führende Denker, by Jonas Cohn
-
-*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK FÜHRENDE DENKER ***
-
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-This and all associated files of various formats will be found in:
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-Produced by The Online Distributed Proofreading Team at
-http://www.pgdp.net
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-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
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-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
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-1.E.8.
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-used on or associated in any way with an electronic work by people who
-agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
-things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
-even without complying with the full terms of this agreement. See
-paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
-Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
-agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
-electronic works. See paragraph 1.E below.
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-1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
-works in the collection are in the public domain in the United
-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
-United States and you are located in the United States, we do not
-claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
-displaying or creating derivative works based on the work as long as
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-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
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