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-The Project Gutenberg eBook, Das wandernde Licht, by Ernst von Wildenbruch
-
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
-other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
-the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
-to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
-
-
-
-
-Title: Das wandernde Licht
-
-
-Author: Ernst von Wildenbruch
-
-
-
-Release Date: September 19, 2017 [eBook #55580]
-
-Language: German
-
-Character set encoding: ISO-8859-1
-
-
-***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***
-
-
-E-text prepared by the Online Distributed Proofreading Team
-(http://www.pgdp.net)
-
-
-
-Hinweise zur Transkription
-
- Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.
-
- Symbole für abweichende Schriftarten:
- _gesperrt_
- ~kursiv~
- #fett#
- =Antiqua=
- ^Schwabacher^
-
-
-
-
-
-Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
-Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
-Zehnter Jahrgang. Band 3.
-
-DAS WANDERNDE LICHT.
-
-Novelle
-
-von
-
-ERNST VON WILDENBRUCH.
-
-
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-
-Stuttgart.
-Verlag von J. Engelhorn.
-1893.
-
-Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht, vorbehalten.
-
-Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
-
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-
-
-An der kleinen Station, die nicht weit hinter Breslau an dem großen
-Schienenstrange liegt, der, Schlesien durchquerend, Berlin mit Wien
-verbindet, war zu später Abendstunde der Eisenbahnzug angekommen.
-
-Es war keiner von den Kurierzügen; wenige Fahrgäste nur saßen in den
-Wagen verteilt; auf der Station stiegen nicht mehr als zwei Reisende
-aus. Dies waren zwei Männer, von denen der eine, der bejahrter und
-dicker als der andre war, sogleich von dem Gepäckträger des Bahnhofs in
-Empfang genommen und begrüßt wurde. Er schien am Orte bekannt zu sein,
-und das war natürlich genug, denn es war der Arzt, der in der kleinen,
-etwa zwei Meilen hinter der Station landeinwärts gelegenen Stadt seinen
-Wohnsitz hatte.
-
-»Ist der Wagen da?« fragte er den Gepäckträger, dem er seine Reisetasche
-anvertraute; er war offenbar nur zu einem kurzen Ausfluge von Hause fort
-gewesen.
-
-»Is da, Herr Dukter,« erwiderte jener; »die Frau Dukter hat och den
-Mantel für'n Herrn mit eingelegt, wird aber nicht nötig sein, is
-scheenes Wetter heut abend zur Nacht.«
-
-Jetzt wandte sich der Arzt an den Mitreisenden.
-
-»Wollen Sie nicht auch nach -- fahren?« Und er nannte den Namen des
-Städtchens.
-
-Der Angeredete bejahte. Er wollte am nächsten Tage noch weiter ins Land
-hinein; darum hatte er die Absicht gehabt, in der Stadt zu übernachten.
-
-Mit einem raschen Blick stellte der Doktor fest, daß außer einem Koffer
-nichts weiter an ihm hing.
-
-»Wenn's Ihnen also recht ist,« meinte er, »steigen Sie mit ein, und wir
-fahren zusammen.«
-
-Das wurde angenommen, und bald darauf rasselte der Wagen mit seinen
-Insassen durch das Gitterthor des Bahnhofgebäudes auf die Chaussee
-hinaus, die sich im Mondlicht wie ein weißes flimmerndes Band in das
-Land hinein verlor.
-
-Es war, wie der Gepäckträger gesagt hatte, schönes Wetter heut abend zur
-Nacht.
-
-Man befand sich im Juli; zu beiden Seiten der Chaussee stand das
-reifende Korn auf den Feldern; über dem weiten, flachen Lande lag die
-tiefe, süße Stille der Sommernacht, nicht unterbrochen, sondern nur
-eindringlicher gemacht durch das Gequak der Frösche, in das sich von
-Zeit zu Zeit der dumpfe Ruf der Rohrdommel mischte.
-
-Um die Fahrt zu verkürzen, bog jetzt der Kutscher von der Chaussee in
-einen Weg ab, der quer durchs Land einen Bogen der großen Fahrstraße
-abschnitt. Obschon man hier stellenweise durch sandigen Untergrund
-hindurch mußte, blieben die kräftigen Braunen, die vor den Wagen
-gespannt waren, in munterem Trabe, so daß man gut vom Flecke kam.
-
-Nach einer halben Stunde etwa tauchten vor den Reisenden die dunklen
-Umrisse eines baumreichen Parks auf, und indem man näher kam, sah man
-über den Bäumen ein Haus emporsteigen. Vielleicht war es das Dunkel der
-Nacht, welches die Linien des Gebäudes undeutlich machte -- jedenfalls
-erschien es, von hier unten gesehen, außerordentlich groß, beinahe
-kolossal.
-
-»Ist das das Schloß, das zu dem Park gehört?« unterbrach der zweite
-Reisende, der im Lande fremd zu sein schien, die Stille, die bisher im
-Wagen geherrscht hatte.
-
-»Jawohl, das ist das Schloß,« erwiderte der Arzt. »Ein gehöriger Kasten!
-Nicht wahr?«
-
-Die Bezeichnung traf zu. Einem ungeheuren finstern Kasten sah das
-Bauwerk ähnlich, wie es in seiner schweren Masse, lautlos, scheinbar
-leblos, auf der Terrasse über dem Parke lag, und mit den schwarzen,
-lichtlosen Fenstern in die dunkle Nacht hinausstierte.
-
-Indem die Blicke des Reisenden noch an dem merkwürdigen Bilde hafteten,
-griff der Kutscher mit einem plötzlichen Ruck in die Zügel, so daß die
-Pferde zum Stehen kamen.
-
-»Herr Dukter,« wandte er sich vom Bocke zum Wagen um, »itze sucht er
-wieder -- da!«
-
-Mit dem Peitschenstiele deutete er auf das Schloß hin; die Augen des
-Arztes und seines Begleiters folgten der angegebenen Richtung.
-
-In dem toten Hause war es lebendig geworden.
-
-Hinter einem der dunklen Fenster, und zwar demjenigen, welches sich an
-der äußersten Ecke des Hauses befand, dämmerte ein Lichtschein auf, der
-sich allmählich verstärkte, so daß es aussah, als käme eine Leuchte aus
-dem hinteren Teile eines weitläufigen Gelasses langsam nach vorn.
-
-Dann blieb das Licht stehen, flackerte eine Zeitlang hin und her, als
-würde die Leuchte von der Hand, die sie trug, im Kreise umhergeführt;
-alsdann verdunkelte sich das erste Fenster, das danebenliegende wurde
-hell -- das Licht wanderte. Man konnte wahrnehmen, wie es aus dem ersten
-Zimmer in das anstoßende Gemach ging. Dort blieb es abermals stehen, und
-der Vorgang von vorhin wiederholte sich. Aus dem zweiten wanderte es
-in das dritte, und so die ganze lange Flucht von Zimmern entlang, und
-jedesmal das flackernde Umherfahren, jedesmal aber hastiger, als würde
-die Hand, die die Leuchte trug, immer erregter, als suchte das Licht
-etwas in den Ecken der Gemächer, und fände nicht, wonach es suchte. Wie
-das Ringen einer stummen, verzweifelten Seele, beinahe gespensterhaft
-sah das alles aus.
-
-Zwölf Fenster befanden sich in der langen Front des Schlosses; an allen
-zwölf wanderte das Licht entlang, bis daß es endlich in das letzte, von
-dem ersten Zimmer entfernteste Gemach gekommen zu sein schien.
-
-Hier wurden die Bewegungen noch ungestümer als zuvor, das Licht fuhr
-herauf und herab, daß es aussah, als suchte es am Fußboden umher.
-
-»Itze is er in ihrem Schlafzimmer,« sagte der Kutscher, der kein Auge
-von dem Vorgange verwandt hatte.
-
-»Ja, jetzt ist er in ihrem Schlafzimmer,« bestätigte der Arzt. In dem
-Augenblick aber trat eine neue Erscheinung ein: das Licht, das ganz
-tief am Boden umhergeglitten war, als suchte es unter Möbeln und Betten,
-wurde plötzlich hoch gehoben und stand ruhig und still, ohne weiter
-umherzuirren und zu flackern. Es sah aus, als wäre eine andre, festere
-Hand hinzugekommen, die es der ersten abgenommen hatte und emporhielt.
-Dies dauerte einige Zeit, dann verdämmerte der Lichtschein nach dem
-Hintergrunde des Zimmers, verschwand sodann völlig, und gleich darauf
-lag das Schloß wieder finster und leblos da, wie es zuvor gelegen hatte.
-
-»Itze is der Johann gekommen und hat ihn geheißen vernünftig sein,«
-sagte der Kutscher, indem er leise in sich hineinlachte, wie jemand, der
-sich gegrauelt hat und froh ist, daß der Spuk zu Ende ist.
-
-»Es scheint,« erwiderte der Arzt, »jetzt ist der Johann gekommen. Also
--- fahr auch zu.«
-
-Er lehnte sich zurück; der Kutscher schnalzte mit der Zunge, und
-die Pferde zogen wieder an. Wenige Minuten später lag das Schloß den
-Fahrenden im Rücken.
-
-Der zweite Reisende, der das abenteuerliche Schauspiel schweigend
-beobachtet hatte, wandte sich jetzt an seinen Begleiter. Aus dem
-Gespräche des Arztes und des Kutschers hatte er entnommen, daß der
-rätselhafte Vorgang ihnen verständlich erschien.
-
-»Können Sie mir denn sagen,« fragte er, »was das alles für eine
-Bewandtnis hat?«
-
-Es erfolgte zunächst keine Antwort. Der Arzt saß in seiner Wagenecke
-und brummte vor sich hin; er schien nicht recht aufgelegt, Auskunft zu
-erteilen.
-
-»Sie sind wohl nicht aus der Gegend?« fragte er dann zurück.
-
-»Nein -- warum?«
-
-»Hm -- nu ja --« meinte der Arzt, »weil sonst -- haben Sie nie von den
-Fahrenwalds gehört?«
-
-»Fahrenwalds?«
-
-»Nu ja -- die Freiherren von Fahrenwald.«
-
-»Niemals gehört,« versicherte der Gefragte.
-
-Der Arzt brummte wieder vor sich hin; es klang beinahe wie Mißbilligung.
-Als echter Schlesier konnte er kaum begreifen, daß jemand von einem
-Geschlechte, wie das der Fahrenwalds, nichts wissen sollte.
-
-»Gehört denen das Schloß?« fuhr der Reisende nach einer Pause fort.
-
-»Nu, das versteht sich,« entgegnete der Arzt, »der Baron, der jetzt da
-oben sitzt, ist der letzte von ihnen.«
-
-Er drückte sich tiefer in seinen Sitz.
-
-»Aber wenn Sie fremd sind -- es sind Sachen -- man thut schon besser,
-man spricht nicht viel davon.«
-
-Der andre wurde immer neugieriger.
-
-»Ist etwas los mit dem jetzigen Baron?«
-
-»Nu -- was soll mit ihm los sein?« sagte der Arzt, dessen Antworten
-immer zögernder wurden, »man könnte halt eben von ihm sagen: es blakt
-bei ihm ein wenig.«
-
-»Es -- blakt?« fragte der Gefährte. »Was meinen Sie damit?«
-
-Der Arzt lachte in sein feistes Doppelkinn.
-
-»Nu, sehen Sie, das Gehirn der Menschen, damit ist's so ungefähr wie
-mit den Lampen. Bei den einen brennt das ruhig und manierlich, bei den
-andern flickert's und flackert's, und endlich gibt's welche, bei denen
-die Lampe blakt.«
-
-»Also -- irrsinnig?«
-
-Der Arzt schlug mit der Hand durch die Luft und wandte den Kopf nach der
-andern Seite.
-
-Eine längere Pause entstand.
-
-Dann fing der andre wieder an.
-
-»Und -- er hat also eine Frau?«
-
-Der Arzt warf den Kopf herum.
-
-»Wieso?« fragte er.
-
-»Nun -- weil Sie doch vorhin sagten, daß er jetzt in ihrem Schlafzimmer
-wäre.«
-
-Der Arzt stieß einen schnaubenden Seufzer aus. Es war ihm offenbar
-nicht lieb, daß er so ausgeholt wurde, und er ärgerte sich, daß er schon
-zuviel gesagt hatte.
-
-»Eine Frau,« sagte er dann, »kann ja sein, daß er eine hat, oder
-wenigstens gehabt hat. Aber das ist eine Sache, wo es schon am besten
-ist, wenn man halt gar nicht davon spricht.«
-
-Er seufzte noch einmal; seine Stimme sank herab, daß es wie ein
-Selbstgespräch klang: »Die Frauensleute -- das ist ja manchmal nicht
-viel anders als die Schafe, die ins Feuer laufen, weil es glänzt.
-Nachher, wenn sie drinnen sind, merken sie, daß es auch brennt, aber
-dann ist's zu spät.«
-
-Er schüttelte die Achseln und reckte sich auf.
-
-»Aber, wie gesagt -- da wird alles Mögliche geredet -- denn wovon reden
-die Leute nicht -- und wenn man nachher zusieht, wer etwas weiß, ist
-niemand, der etwas Sicheres weiß. Darum mein' ich schon, es ist halt das
-beste, man spricht nicht davon. Und ich für mein Teil, ich meine, es
-ist gut, wenn einer keine Verpflichtung hat, sich um gewisse Dinge zu
-bekümmern. Dann soll er sich auch nicht darum bekümmern. Und ich habe
-keine Verpflichtung, mich geht's nichts an -- also bekümmere ich mich
-nicht drum.«
-
-Damit lehnte er sich tief in die Wagenecke zurück, wie jemand, der genug
-gesagt hat und nichts weiter sagen will. Der andre schien es zu fühlen
-und schwieg. Die Andeutungen des Arztes hatten ihm die Sache beinahe
-noch dunkler gemacht, als sie gewesen war. Irgend ein Vorgang mußte sich
-da oben abgespielt haben, vielleicht sogar ein schrecklicher, aber was?
-
-Immerfort sah er das stumme Licht hinter den Fenstern des toten Hauses
-dahinwandern, von Zimmer zu Zimmer, wie ein schlummerloses böses
-Gewissen, immerfort das zuckende Umherfahren der Leuchte, das Suchen in
-den Ecken der Gemächer, am Fußboden entlang, unter Möbeln und Betten,
-das wilde verzweifelte Suchen. Wer war der nächtliche Wanderer? Wen
-suchte das Licht? Ein Schauder bedrückte ihm das Herz -- was mochte das
-finstere Haus gesehen haben?
-
- * * * * *
-
-In den Breslauer Gesellschaftskreisen war vor einiger Zeit eine
-Persönlichkeit aufgetreten, deren Erscheinen in den Familien, denen
-sie Besuch machte, jedesmal eine gewisse Aufregung, eine Mischung von
-geschmeicheltem Stolz und von beklommener Sorge hervorrief. Das war der
-Baron Eberhard von Fahrenwald.
-
-Alle Welt kannte den Namen und den Reichtum des Geschlechts, alle Welt
-aber munkelte auch, daß es mit den Fahrenwalds nicht recht richtig sei.
-
-Jahrelang nach dem Tode des Vaters war der Baron Eberhard unsichtbar,
-wie verschwunden gewesen. Wo hatte er gesteckt? Einige behaupteten, er
-hätte Reisen um die Welt gemacht, andre, er wäre gar nicht von seinem
-Schlosse fortgekommen, sondern hätte vergraben und verborgen unter
-seinen Büchern gelebt, eine dritte Art von Berichterstattern endlich
-wußte zu erzählen, daß er ganz einfach in einer Anstalt untergebracht
-gewesen sei. Anverwandte, von denen man Gewisses und Genaues hätte
-erfahren können, waren nicht vorhanden; die Fahrenwalds waren wie ein
-alter, verdorrender Baum, der keine Aeste mehr treibt, von dem nur noch
-der Stamm übrig geblieben ist.
-
-Und nun tauchte diese geheimnisvolle Persönlichkeit plötzlich auf,
-machte Besuche und that alles das, wodurch Menschen anzudeuten pflegen,
-daß sie mit Menschen verkehren wollen. Und doppelt auffällig -- seine
-Besuche galten vornehmlich den Familien, wo Töchter im Hause waren. Was
-hatte das zu bedeuten? Etwa, daß er daran dachte --? Man konnte es den
-Eltern im Grunde nicht verdenken, wenn sie sich aufgeregt fühlten.
-
-Einen Freiherrn von Fahrenwald zum Schwiegersohn zu besitzen, die eigene
-Tochter als Gebieterin eines großen Vermögens, als Besitzerin eines
-von aller Welt gepriesenen Herrensitzes zu wissen -- unter normalen
-Umständen wäre es ja ein Ziel gewesen, »aufs innigste zu wünschen«. Aber
-so -- wie nun einmal die Verhältnisse jetzt lagen --
-
-Erklärlicherweise bemächtigte sich die Aufregung der Eltern in noch
-stärkerem Maße der Töchter selbst. Neugier mischte sich mit Grauen; es
-war eigentlich ein noch nie dagewesener Gesellschaftsreiz.
-
-Sobald es feststand, daß der »verrückte Baron« -- denn unter dieser
-Bezeichnung ging er kurzweg -- zu einer Gesellschaft eingeladen sei und
-erscheinen würde, flogen die jungen Damen auf, von Haus zu Haus, herüber
-und hinüber, und es gab ein Gewisper und Geflüster, ein Kichern und
-Lachen, und ein wollüstig wonnevolles Graueln.
-
-Wie doppelt begehrenswert man sich erschien! Wie man sich gegenseitig
-darauf ansah, auf welche von ihnen wohl der unheimliche Mensch die
-Augen richten, nach welcher von ihnen er die Hand ausstrecken würde! Die
-blühenden Wangen beugten sich zu einander, die kleinen Hände drückten
-sich mit gegenseitigem Verständnis -- es war wie ein erregter
-Taubenschwarm, über dem der Habicht in Lüften steht.
-
-Man kann sich hiernach vorstellen, wie eigentümlich und gepreßt der
-Empfang war, der dem Baron Eberhard von Fahrenwald zu teil wurde, so oft
-er in Gesellschaften erschien.
-
-Seine persönliche Erscheinung und die Art seines Auftretens bestärkte
-alles das, was über ihn gemunkelt und geredet wurde.
-
-Man wußte, daß er stets von seinem Diener begleitet wurde, der nie von
-seinen Schritten wich und ihm zu jeder Gesellschaft folgte.
-
-Dieser Diener war ein langer, hagerer, eisgrauer Mann, mit einem von
-schweren Runzeln durchfurchten Gesicht, aus dem eine starke, gekrümmte
-Nase hervorragte. Stets in schwarzem Frack und weißer Krawatte, wie ein
-versteinerter Ueberrest aus der Zeit, da es noch große Herren und große
-Kammerdiener gab.
-
-Nie hatte man ein Wort aus seinem Munde vernommen, kaum einmal hatte
-man gesehen, daß er nach rechts oder links blickte -- an einem einzigen
-Gegenstande haftete sein Denken und Sinnen, das war sein Herr.
-
-Jeden Abend, wenn er den Baron zu einer Gesellschaft begleitete,
-wiederholte sich ein besonderer Vorgang: er stand hinter seinem Herrn
-und nahm ihm mit schweigender Würde den Mantel ab; währenddem wandte der
-Baron sich zu ihm um und sagte: »Geh nach Haus, Johann, und hole mich
-nachher ab.« Jedesmal, so oft der Baron dieses sagte, verneigte sich der
-alte Johann, feierlich wie ein Senator, nahm den Mantel seines Herrn an
-sich und ging nicht nach Haus. Im Dienerzimmer setzte er sich nieder,
-ernst, würdevoll und schweigsam, und wartete, bis die Gesellschaft zu
-Ende war. Sobald der Baron dann heraustrat, stand der Alte schon wieder
-da, den Mantel in beiden Händen, stumm, regungslos, wie eine Bildsäule.
-Natürlich hatten die Diener und Hausmädchen der Häuser, wo die
-Gesellschaften stattfanden, sich bemüht, den komischen alten Kerl zum
-Sprechen zu bringen und über seinen Herrn auszuholen, aber sie hatten
-ihre Versuche aufgeben müssen; sie hätten ebensogut zu einem Stein
-sprechen können; der Alte hatte nicht einmal gethan, als ob er sie
-überhaupt vernähme.
-
-Ein einziges Mal hatte er ein Lebenszeichen gegeben -- der Fall
-war sorgfältig registriert worden -- als einmal ein schnippisches
-Stubenmädchen in seiner Gegenwart gesagt hatte, nun würde der Herr Baron
-wohl nächstens heiraten und eine Frau Baronin nach Haus bringen. Er
-wäre so zusammengezuckt, erzählte das Mädchen, als er das gehört, daß
-es nicht anders ausgesehen hätte, als wenn er sich schüttelte, und
-dann hätte er sie mit einem Blick angesehen -- ganz gräßlich, sagte das
-Mädchen. Und dann hätte er die Achseln gezuckt, ganz hoch hinauf,
-und alsdann wieder stumm dagesessen. Und das Achselzucken, das hätte
-ausgesehen, als wollte er sagen: »Was redst du denn? Weißt du denn
-nicht, daß er verrückt ist?«
-
-Seitdem stand es für die Dienerschaft fest: der Baron von Fahrenwald
-war verrückt. Der alte Johann war sein Wärter, und der Wärter hatte es
-gesagt.
-
-Und aus dem Dienerzimmer flüsterte sich das, wie es ja stets geschieht,
-in die herrschaftlichen Zimmer hinüber: der Baron von Fahrenwald war
-verrückt.
-
-Und wer, der ihn ansah, hätte zweifeln können, daß es wirklich also war?
-
-Wenn die Thür sich aufthat und er hereintrat mit langsam schleppendem
-Schritt, ein langer, eckiger Mann, mit dunklem, fast schwarzem Haar,
-das bleiche, beinahe marmorweiße Gesicht von dunklem Barte umrahmt, dann
-legte es sich unwillkürlich wie ein Alp auf die Anwesenden, Wirte und
-Gäste, Herren und Damen.
-
-Und dieser Bann ging hauptsächlich von den Augen des Mannes aus, die
-ganz tief, wie zwei dunkle tiefe Löcher in dem bleichen Gesichte lagen,
-und aus denen ein starrender, suchender, bohrender Blick hervorgekrochen
-kam, langsam, beinahe wie ein Wurm.
-
-»Er sieht eigentlich kolossal interessant aus,« hatte die junge Komtesse
-Karmsdorf, als sie ihn zum erstenmal erblickte, hinter dem Fächer hervor
-zu ihren Freundinnen gesagt, »aber da man weiß, wie es mit ihm steht,
-ist es des Interessanten denn doch ein bißchen zu viel.«
-
-Die Freundinnen hatten kopfnickend und kichernd bestätigt, daß es so
-sei, und als der Baron Miene machte, auf sie zuzutreten, waren sie samt
-und sonders, wie von einem panischen Schrecken erfaßt, nach einer andern
-Ecke des Saales entwischt, und es hatte nicht viel gefehlt, so hätten
-sie laut aufgekreischt.
-
-So erging es dem Baron Eberhard von Fahrenwald. Die Wirte, die ihn
-eingeladen hatten, konnten sich seiner Begrüßung natürlich nicht
-entziehen. Aber wenn er alsdann mit schwerer, eckiger Verbeugung auf
-sie zutrat, sah man ihm an, wie wenig er in fröhlich ausgelassene
-Gesellschaft paßte. Er versuchte, sein Gesicht zu einem verbindlichen
-Ausdruck zurechtzulegen, zu lächeln, aber das Lächeln wollte sich so gar
-nicht mit dem bleichen, schwermütigen Gesicht verstehen, es sah aus, als
-thäte es ihm weh.
-
-Beim Tanze blieb er Zuschauer, am Kartenspiel nahm er nicht teil, so
-blieb er einsam, und das wiederholte sich in jeder Gesellschaft, so daß
-man sich unwillkürlich fragte, wie lange er die zwecklosen Besuche und
-Versuche fortsetzen würde.
-
-Offenbar fühlte er das selbst, denn der Ausdruck dumpfer Schwermut
-in seinem Gesichte verstärkte sich von einem zum andern Mal, seine
-Bewegungen wurden immer schleppender, es sah aus, als ermüdete der Mann
-unter der Last des Daseins.
-
-So näherte sich der Winter seinem Ende. Ein großes Ballfest wurde
-gegeben, dem der Baron, einsam und teilnahmlos wie gewöhnlich,
-beiwohnte.
-
-Indem er, an den Thürpfosten des Nebenzimmers gelehnt, dem wirbelnden
-Tanze zuschaute, der im Saale auf und nieder flog, richtete er plötzlich
-das Haupt zur Seite -- es war ihm gewesen --
-
-Auf einem Stuhle, dicht an die Wand gerückt, saß ein junges Mädchen. Sie
-nahm nicht teil am Tanze, offenbar, weil sie nicht aufgefordert worden
-war, ein Mauerblümchen, wie man zu sagen pflegt.
-
-Wenn man sie ansah, begriff man das einigermaßen; sie hatte etwas
-Unscheinbares; sie war nicht besonders hübsch und, wie es schien, arm.
-Ein schmaler Silberreif um den Hals, das war der ganze Schmuck des
-jungen Körpers; ihr dürftiges weißes Tüllkleidchen stach von den
-Gewandungen ihrer reicheren, glücklicheren Altersgenossinnen ab.
-
-Indem der Baron den Kopf nach ihr umwandte, bemerkte er, daß sie ihn
-schon längere Zeit von der Seite betrachtet hatte. Er sah zwei runde,
-nicht besonders schöne, aber unendlich gutmütige Augen, die stumm
-beobachtend, aber ohne Neugier auf ihm ruhten. Jetzt, da er zu ihr
-hinblickte, senkte sie die Augen, und er gewann Zeit, sie von seiner
-Seite zu betrachten.
-
-Sie war in Verlegenheit etwas errötet; um den kleinen Mund, der sich ein
-wenig nach vorn zuspitzte, war ein unmerkliches Zittern; dadurch
-erhielt das ganze Gesichtchen etwas Trauriges, beinahe, als wenn es mit
-verhaltenem Weinen kämpfte.
-
-Er war also nicht der einzige Einsame heute abend; da war noch eine, und
-er sah es ihr an, sie fühlte sich unglücklich. Solch ein junges Mädchen,
-das zum Balle eingeladen, nicht zum Tanze aufgefordert wird und in der
-Ecke sitzen bleibt, leidet ja in Wirklichkeit ganz bitterlich; alle
-Qualen der Zurücksetzung lasten auf der armen jungen Seele.
-
-Jetzt schrak die einsame Kleine leise auf, die Röte auf ihren Wangen
-wich einer tiefen Blässe, ihre Hände, die einen mageren Fächer im Schoße
-hielten, preßten sich zusammen -- der Baron Eberhard von Fahrenwald
-hatte sich neben sie gesetzt. Sie hatte natürlich, wie alle andern, von
-dem »verrückten Baron« erzählen gehört, und nun saß er plötzlich neben
-ihr, nicht durch Zufall, sondern weil er sie aufgesucht hatte. Es wurde
-ihr unheimlich zu Mute.
-
-Vorhin, als sie den blassen einsamen Mann, dem man das Unglück am
-Gesicht ansah, an der Thür hatte lehnen sehen, war ihr Herz ganz von
-tiefem Mitleid erfüllt gewesen -- jetzt fühlte sie eine Angst, die ihr
-die Nähe des unheimlichen Menschen verursachte.
-
-Eine Zeit lang saßen beide schweigend, dann erhob der Baron das Gesicht.
-
-»Es thut mir so leid,« sagte er, »daß ich nicht tanze, gnädiges
-Fräulein, sonst würde ich um die Erlaubnis bitten, Sie dort hineinführen
-zu dürfen.«
-
-Er hatte mit dem Kopfe nach dem Tanzsaale gedeutet; mit unwillkürlichem
-Staunen wandte sie sich zu ihm um und sah ihm ins Gesicht. War das die
-Stimme eines »Verrückten«?
-
-Ein so tiefer, milder Wohlklang lag in den einfachen Worten; etwas so
-Sanftes, so Warmes, so Gütiges kam von ihm zu ihr herüber, daß es
-ihr war, als hätte eine Hand ihre Hand erfaßt, mit liebem, tröstendem
-Drucke.
-
-Schweigend blickte sie ihn an und war sich kaum bewußt, daß sie es
-that. Schweigend hielt er die Blicke in die ihrigen gerichtet; in seinen
-tiefen geheimnisvollen Augen erwachte etwas, wie eine sehnende Frage,
-wie ein Hoffen, das sich nicht hervorgetraut, wie ein verstohlenes
-Leuchten in lichtloser Nacht.
-
-So saßen die beiden, von niemand beachtet, nach niemand fragend, wie
-zwei Leidensgefährten, die unausgesprochenes Verständnis zu einander
-führt, und nach einiger Zeit schob er, ohne ein Wort zu sagen, die Hand
-zu ihr hin, und ohne ein Wort zu erwidern, löste sich ihre kleine Hand
-vom Fächer, den sie immer noch krampfhaft umspannt hielt, und senkte
-sich zitternd in seine Hand. Und als sie nun den leidenschaftlichen
-Griff fühlte, mit dem er ihre Finger zusammenpreßte, erschrak sie; aber
-als sie dann fühlte, wie er sogleich, indem er ihren Schreck empfand,
-den Druck mäßigte, faßte sie neues Vertrauen. Welche Aufmerksamkeit
-sprach aus seiner Bewegung, welche Zartheit; es war, als streichelten
-seine Finger ihre erschreckte Hand, als spräche seine Hand: »Ich thue
-dir nichts, fürchte dich nicht.«
-
-Sie kamen dann ins Gespräch, und im Verlaufe desselben erfuhr er
-Genaueres über die Kleine.
-
-Anna von Glassner hieß sie und war eine Waise. Ihre Eltern hatten ihr so
-gut wie nichts hinterlassen, und weil sie doch irgendwo bleiben mußte,
-war sie von einem entfernten Onkel, einem alten pensionierten Major und
-dessen Frau aufgenommen worden. Bei denen wohnte sie in Breslau, und es
-war nicht schwer, aus ihren Andeutungen zu entnehmen, daß der Aufenthalt
-ein ziemlich trübseliger war.
-
-Die alten, kränklichen, kinderlosen Leute besuchten keine
-Gesellschaften, weil sie sie nicht erwidern konnten; bei Gelegenheiten,
-wie die heutige eine war, ließen sie das junge Mädchen allein gehen und
-durch das Dienstmädchen aus der Gesellschaft abholen.
-
-»Wollten Sie mir sagen,« fragte sie nach einiger Zeit den Baron, »welche
-Zeit es ist? Ich darf nicht zu spät nach Haus kommen.« Der Baron sah
-nach der Uhr. Sie raffte ihr dünnes Kleidchen zusammen. »Dann muß ich
-gehen.«
-
-»So früh schon?«
-
-»Mein Onkel und meine Tante schlafen so schlecht,« erwiderte sie, »und
-haben es nicht gern, wenn ich sie so spät in der Nacht störe.«
-
-Sie erhob sich; zugleich mit ihr stand er auf.
-
-»Ich werde auch gehen,« sagte er.
-
-Sie senkte das Köpfchen und errötete.
-
-Auf dem Flure draußen saß die Köchin, die sie erwartete. Eine Person
-mit groben, mißmutigen Zügen, der man ansah, wie wenig Vergnügen es ihr
-bereitete, daß sie, neben der gewöhnlichen Tagesarbeit, jetzt auch
-noch durch die Winternacht laufen mußte, um das »Fräulein« nach Haus zu
-bringen.
-
-Ein Paar Gummischuhe standen neben ihr, die sie dem jungen Mädchen mit
-nicht übermäßiger Verbindlichkeit zuschob. Während Anna ihre kleinen,
-mit weißen Atlasschuhen bekleideten Füße in die Ueberschuhe zwängte,
-stand der Baron hinter ihr und sah zu. Die Köchin trat heran und gab ihr
-den Mantel um, ein dickes, schweres Kleidungsstück von grobem, dunklem
-Tuch, unter dem die jugendliche Gestalt ganz unkenntlich und unförmlich
-wurde. Jetzt wandte sich Anna, und da sie den Baron noch immer stehen
-sah, wollte sie mit einer flüchtigen Neigung des Kopfes an ihm vorüber.
-
-Mit einem hastigen Schritte war er an ihrer Seite.
-
-»Darf ich Sie um eine Gnade bitten?« fragte er.
-
-Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.
-
-»Wollen Sie meinen Wagen benutzen, damit er Sie nach Haus bringt?«
-
-Nun erschrak sie wirklich.
-
-»Ach nein -- wie könnte ich das -- nein wirklich --«
-
-Er wich einen halben Schritt zurück; ihre Schüchternheit erschien ihm
-als Angst; sie fürchtete sich also auch vor ihm. Als er so jählings
-verstummte, erhob sie unwillkürlich das Haupt. Sie sah, wie der Kummer
-in seine Züge zurückgekehrt war.
-
-»Ich -- weiß wirklich gar nicht« -- begann sie stockend. »Sie -- sind
-wirklich -- so gut zu mir --«
-
-Wie neubelebt trat er wieder heran.
-
-»Ach, wenn Sie es annehmen wollten,« flüsterte er, »wenn Sie wüßten, was
-für eine Freude Sie mir damit bereiten würden.«
-
-Nun konnte sie nicht mehr »nein« sagen; mit einer leisen Neigung senkte
-sie das Haupt.
-
-Der Baron wandte sich rasch zurück. Hinter ihm stand der alte Johann,
-den Pelzmantel seines Herrn in Händen, regungslos wie eine Bildsäule,
-mit starren, sonderbaren Augen auf den Baron und das Fräulein blickend.
-
-»Ist der Wagen da?« fragte der Baron.
-
-Der Alte verneigte sich mit schweigender Würde. Hurtig fuhr der Baron in
-den Mantel, dann bot er Anna von Glassner den Arm.
-
-»Darf ich Sie hinunterführen?«
-
-Von ihm geleitet stieg das junge Mädchen die Treppe hinab; die Köchin
-folgte hinterdrein.
-
-Vor der Hausthür stand ein verdecktes Coupé mit einem mächtigen Pferde
-bespannt; zwei strahlende Wagenlaternen warfen ihr Licht in die Straße
-hinaus.
-
-Anna wich beinahe zurück -- in solch' eleganten Wagen sollte sie sich
-hineinsetzen?
-
-Der Baron aber hatte bereits den Schlag geöffnet und bot ihr die Hand
-zum Einsteigen. Indem er ihre Hand ergriff, zog er sie an die Lippen,
-und sie fühlte, wie er den Mund darauf preßte, einmal, zweimal,
-leidenschaftlich.
-
-»Leben Sie wohl,« sagte er leise, »leben Sie wohl, ich sehe Sie wieder?
-Nicht wahr, ich sehe Sie wieder?«
-
-Anna war keiner Antwort fähig. Wie in Betäubung stieg sie in den Wagen
-und sank in eine Ecke, nach ihr kam die Köchin, die sich gesperrt
-und geweigert hatte, und erst auf ein »nur zu« des Barons sich zum
-Einsteigen entschloß.
-
-Der Baron ließ sich Straße und Hausnummer angeben, rief sie dem Kutscher
-zu, und im nächsten Augenblick rasselte der Wagen von dannen.
-
-In ihren Mantel gewickelt saß Anna da und fragte sich, ob das alles ein
-Traum sei, was sie erlebte.
-
-Für gewöhnlich reichten ihre Mittel gerade zu einer Fahrt auf der
-Pferdebahn -- und jetzt sauste sie durch die Straßen von Breslau, daß
-das Pflaster unter den Rädern knatterte!
-
-Die Köchin, die ebenfalls ganz sprachlos vor Staunen gewesen war, hatte
-angefangen, mit tastenden Händen den Stoff der Polster zu untersuchen,
-auf denen sie saß. Jetzt seufzte sie in Bewunderung auf.
-
-»Du meine Gütte -- gnä' Fräulen,« sagte sie, »die reine Seide alles, die
-reine Seide!«
-
-Die weibliche Neugier siegte über Annas Befangenheit; sie zog den
-Handschuh von der einen Hand und tastete ebenfalls auf den Wagenpolstern
-herum. Die Köchin hatte recht gehabt. Alles Seide -- die Polster, die
-Wände des Wagens, alles Seide. Lautlos sank sie in ihre Ecke zurück. Was
-bedeutete das alles und wohin ging das alles?
-
-Sie, das arme, unscheinbare Mädchen, das sich zu Gesellschaften ein paar
-armselige Fähnchen zusammenstückelte, um nur nicht gar zu erbärmlich
-gegen den Reichtum der andern abzustechen, plötzlich, wie durch die Hand
-eines Zauberers, mitten hineinversetzt in Fülle, Glanz und Pracht!
-
-Ihr, an der die Menschen auf der Straße vorübergingen, wie an einem
-Nichts, die man auf Bällen in der Ecke sitzen ließ, weil es sich nicht
-der Mühe lohnte, mit ihr zu tanzen oder gar sie zu unterhalten -- ihr
-näherte sich plötzlich ein Mann, einer der reichsten Männer von ganz
-Schlesien, und bat sie schüchtern, ängstlich und demütig, ihm zu
-erlauben, daß er seinen Reichtum in ihren Dienst stellen dürfe. Sie
-schloß die Augen; war das Wirklichkeit, was ihr geschah? Dann aber
-schrak sie innerlich auf: der Mann war ja ein Wahnsinniger; alle Welt
-sagte es ja? Und also war es nur die Phantasie seines kranken Hirns, die
-ihn zu alledem getrieben hatte, was er heute abend gethan? Aber, indem
-der Schauder sie übermannen wollte, kam ihr die Erinnerung an den Ton
-seiner Stimme zurück, die zu ihr gesprochen hatte, wie noch keines
-Menschen Stimme je zuvor. Nein, nein, nein -- es war ja doch nicht
-möglich; es konnte ja nicht sein!
-
-Während Anna unter solchen wechselnden Empfindungen zu ihrer in der
-fernen Vorstadt gelegenen Wohnung fuhr, wanderte der Baron Eberhard von
-Fahrenwald, von seinem Diener gefolgt, zu Fuß nach Haus.
-
-Sein Haupt, das für gewöhnlich zur Erde hing, war aufgerichtet, seine
-ganze Gestalt hatte etwas Aufatmendes, Befreites, ein Glücksgefühl wie
-heut abend hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht empfunden.
-
-Welche Wonne, daß das Mädchen arm war! Immer wieder vergegenwärtigte
-er sich den süßen Augenblick, als sie in ihrer Bescheidenheit gezögert
-hatte, den prächtigen Wagen zu besteigen -- und dieser Wagen war der
-seinige! All die Behaglichkeit, all die weiche Ueppigkeit, die sie jetzt
-umgab, kam ihr von ihm! Er lachte still glückselig vor sich hin. All
-sein Denken und Thun war ein beständiges brütendes Grübeln über sich
-selbst, über seinen Zustand und über das Verhängnis, das auf ihm lastete
--- zum erstenmal konnte er an etwas andres denken, an einen andern
-Menschen; und dieser andre Mensch, dieses liebe Wesen konnte glücklich
-werden durch ihn. Glücklich durch ihn, der sich wie ein zum Unglück
-Geborener, wie eine Last der Menschheit empfand! Hatte er nicht den
-dankbar erstaunten Ausdruck in ihrem bescheidenen Gesichtchen gesehen
-und hatten ihre Augen ihm nicht gesagt, daß er stark genug sei, um
-Glück auf Menschen ausgehen zu lassen? Ja, ja, ja, es war so, und
-unwillkürlich, indem er so seinen Gedanken nachhing, reckte er die
-Arme aus, als wollte er dem Kraftgefühle Ausdruck geben, das ihn
-durchströmte.
-
-Einige Schritte hinter ihm kam der alte Johann. Den Kopf weit
-vorgebeugt, kein Auge von seinem Herrn verwendend, ging oder schlich
-er vielmehr hinter dem Baron einher. In seiner ganzen Haltung war etwas
-Beobachtendes, Lauerndes. Als er sah, wie der Baron die Arme ausreckte,
-war er unhörbar mit einem Sprunge ganz dicht hinter ihn herangekommen,
-das hagere Gesicht zu einer Aufmerksamkeit gespannt, die beinahe
-feindselig aussah. Seine Hände, die er in den Taschen des Ueberziehers
-getragen, hatte er hervorgezogen und frei gemacht, so daß es den
-Anschein bekam, als bereitete er sich darauf vor, sich im nächsten
-Augenblick auf seinen Herrn zu stürzen, wie der Wärter eines
-Wahnsinnigen sich auf seinen Schutzbefohlenen stürzt, um ihn von irgend
-einer schrecklichen That zurückzuhalten. Denn der Mensch da vor ihm war
-ja ein Kranker, ein Wahnsinniger, Verrückter, das wußte er ja wohl genau
-genug, er, der ihn als Kind auf den Armen getragen hatte, der ihn hatte
-heranwachsen sehen und um ihn gewesen war zu jeder Zeit und an jedem
-Orte. Und seit heute abend wußte er ja auch, daß er seine Aufmerksamkeit
-verdoppeln und vervierfachen mußte. Für den unglücklichen Menschen da
-vor ihm gab es nur eine Möglichkeit zum Leben, Ruhe, Ruhe und immerdar
-Ruhe. Das hatte ihm vor Jahren der Arzt gesagt, und wenn es der Arzt
-nicht gesagt hätte, würde sein Instinkt es ihm verraten haben. Ein Tag
-mußte sein wie der andre, gleichmäßig, immer, immer gleichmäßig. Und
-heute abend hatte er mit ansehen müssen, wie dieser Mann anfing, sich zu
-verlieben!
-
-Verlieben! Wohl etwa gar heiraten?
-
-Er war ganz wütend, er knirschte beinahe mit den Zähnen. So wenig also
-kannte der unglückselige Mensch seinen Zustand? Na -- es war nur gut,
-daß er da war, der alte Johann; er würde schon acht auf ihn geben, ja,
-das würde er, ja!
-
-Und er schob die Hände, indem er sie zu Fäusten ballte, in die Taschen
-seines Ueberziehers zurück, weil er sich überzeugt hatte, daß der Baron
-vorläufig nichts weiter Gefährliches unternahm.
-
-Am nächsten Vormittag, und zwar am ziemlich frühen Vormittag, klingelte
-es an der Wohnung von Annas Onkel, und als die Köchin öffnete, ging ein
-verständnisvolles Grinsen über ihre Züge; der Herr von gestern stand vor
-der Thür, der Baron Eberhard von Fahrenwald.
-
-Ein sprachloses Erstaunen bei dem Onkel und der Tante, ein glühendes
-Erröten bei Anna -- und im nächsten Augenblick, noch bevor man ihn
-eigentlich hereingebeten hatte, stand er schon auf der Schwelle. Auch
-wenn man ihn abgewiesen hätte, er würde sich nicht haben abweisen
-lassen, das sah man ihm an. Seine Brust ging auf und nieder, und in dem
-bleichen Gesicht glühten die Augen wie Kohlen.
-
-Beinahe wie ein Spieler, der das letzte Geld auf eine Karte gesetzt hat,
-so sah er aus.
-
-Es kostete ihn Mühe, die äußerlichen Regeln der Höflichkeit
-innezuhalten; seine Blicke hingen an Anna, unverwandt, beinahe mit
-angstvollem Ausdruck, als fürchtete er, daß sie hinausgehen, daß sie ihm
-entfliehen könnte.
-
-Nachdem er den alten Major und dessen Frau begrüßt hatte, trat er auf
-das junge Mädchen zu.
-
-»Darf ich Sie sprechen?« fragte er. »Darf ich Sie allein sprechen?«
-
-Seine Stimme war heiser vor innerer Erregung.
-
-Anna stand gesenkten Hauptes mitten im Zimmer. Herz und Kehle waren
-ihr durch die Angst wie zugeschnürt; sie hatte in diesem Augenblick die
-sichere Empfindung, daß sie es mit einem Wahnsinnigen zu thun hatte.
-Etwas Aehnliches schienen auch der Onkel und die Tante zu empfinden, die
-sich gegenseitig stumm fragend ansahen.
-
-Der Baron bemerkte das alles. Plötzlich ging er auf die beiden alten
-Leute zu, streckte beide Hände aus und faßte den Onkel an der linken,
-die Tante an der rechten Hand.
-
-»Aengstigen Sie sich nicht,« sagte er, und das Wort kam feierlich aus
-der Tiefe seiner Brust; in seinen Augen war ein flammendes Leuchten.
-
-Die beiden alten Leute sahen ihn ganz verdutzt an, machten eine
-verlegene Verbeugung und zogen sich in das Nebenzimmer zurück.
-
-Anna stand noch immer, wo sie gestanden hatte. Als sie sich jetzt mit
-ihm allein sah, überkam sie die Angst so heftig, daß sie sich nicht mehr
-zu raten und zu helfen wußte. Sie zog ihr Taschentuch hervor, drückte es
-an die Augen und fing an zu weinen. Der Baron stand einige Schritte von
-ihr entfernt und sah ihr schweigend zu.
-
-»Bin ich Ihnen so schrecklich?« fragte er endlich. Der Ton klang wieder
-so sanft und herzlich, daß sie einigermaßen zu sich selbst kam. Sie
-steckte das Tuch in die Tasche und schüttelte leise das Haupt.
-
-»Denken Sie denn gar nicht mehr an gestern?« fuhr er fort. »Gestern
-abend waren Sie doch so -- so lieb und gut, denken Sie denn gar nicht
-mehr daran?«
-
-Er war zu ihr herangetreten und hatte sie an beiden Händen erfaßt; Anna
-fühlte, wie behutsam er sie berührte, trotzdem vermochte sie noch nicht,
-das Gesicht zu ihm zu erheben.
-
-Er behielt ihre Hände in den seinigen.
-
-»Gestern abend,« sagte er, »bin ich so glücklich gewesen, und darum bin
-ich heut so früh wiedergekommen. Bitte, seien Sie doch nicht böse darum.
-Wenn Sie sich auch vor mir fürchten, dann habe ich ja niemand mehr.«
-
-Seine Stimme war ganz leise geworden.
-
-»Denken Sie doch einmal,« sprach er weiter, »Sie gehen auf der Straße,
-und indem Sie da gehen, sehen Sie einen Menschen am Wege liegen, dem
-irgend ein Unglück geschehen ist, und der ruft Sie um Hülfe an. Und Sie
-könnten ihm helfen, wenn Sie wollten, aber Sie fürchten sich und laufen
-davon -- glauben Sie nicht, daß Sie sich einmal Vorwürfe machen würden,
-wenn Sie dann erfahren, daß der Mensch zu Grunde gegangen ist?«
-
-Das alles war so einleuchtend, kein Vernünftiger hätte es klarer
-auseinandersetzen können. Sie wurde wieder schwankend, wieder ganz
-verwirrt. Vor ihr stand ein Mann, der über Reichtümer gebot, von denen
-sie sich kaum eine Vorstellung machen konnte, und sagte ihr, daß sie
-ihm helfen könne, sie, die in der ärmlichen Wohnung, in einem
-fadenscheinigen Morgenanzuge, in Morgenschuhen mit abgestoßenen Spitzen,
-in aller Kläglichkeit eines ärmlichen, erbärmlichen Lebens steckte. War
-es denn möglich, das alles?
-
-Sie erhob das Gesicht und sah seine Augen mit dem fragenden, flehenden
-Ausdruck vom gestrigen Abend auf sich gerichtet. Ja ja, es war ja
-derselbe Mensch -- leise drückte sie seine Hände, und indem sie es that,
-leuchtete sein Gesicht auf.
-
-»Darf ich sprechen?« flüsterte er.
-
-»Aber ich -- Ihnen helfen --« stammelte sie -- »wenn ich nur
-begriffe --«
-
-Er zog sie an den Händen zu einem Stuhle.
-
-»Kommen Sie,« sagte er, »kommen Sie, bitte, setzen Sie sich, ich will
-Ihnen eine Geschichte erzählen, eine ganz kurze.«
-
-Sie setzte sich nieder, er schob einen Sessel neben den ihrigen und
-legte den einen Arm über die Rücklehne ihres Stuhles, so daß sein
-Oberleib sich zu ihr hinüberbeugte und sein Mund nahe an ihrem Ohre war.
-
-»Ich kenne einen Menschen,« begann er, und seine Stimme war so gedämpft,
-als wollte er verhüten, daß irgend jemand, außer Anna, seine Worte
-vernähme, »ich kenne einen Menschen, der in einem Boote auf einem Wasser
-fährt. Er sitzt ganz allein in dem Kahn, und das Wasser, auf dem er
-fährt, ist ein breiter Fluß, und der Fluß hat einen starken Strom, denn
-er fließt einem Abhang zu, über den er sich hinunterstürzen wird. Der
-Abhang ist gar nicht mehr weit und er ist sehr hoch, so daß man den
-Donner des Wassersturzes bereits hört. Und da treibt nun der Kahn hin,
-in dem der Mann sitzt. Und obschon er weiß, daß er zerschmettert werden
-wird, wenn er in den Sturz gerät, läßt er den Kahn dennoch treiben
-und thut nichts, um ihn aufzuhalten -- ist das nicht sonderbar von dem
-Mann?«
-
-Er unterbrach sich und blickte Anna von der Seite an. Sie saß
-aufgerichtet, wie erstarrt, ihre Hände hatten sich ineinandergeschoben,
-ihre Augen blickten vor sich hin. Es ahnte ihr, wer der Mann war, von
-dem er erzählte.
-
-Er beugte sich noch näher zu ihr.
-
-»Soll ich Ihnen nun sagen, warum er das thut?«
-
-Sie blieb regungslos; nur ihre bleichen Lippen bewegten sich.
-
-»Warum?« fragte sie tonlos.
-
-»Sehen Sie,« fuhr er fort, »weil im Wasser neben dem Kahn etwas
-einherschwimmt, und weil er nichts thun und nichts denken kann, als
-immer und immer und immerfort auf das, was da neben ihm schwimmt,
-hinzublicken.«
-
-Seine Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab.
-
-»Und das, was da schwimmt, sehen Sie, das ist etwas Schreckliches,
-etwas Gräßliches, das ist ein Ungeheuer, so etwa, verstehen Sie, wie die
-Seeschlange, von der die Schiffer erzählen, daß sie ihnen auf der See
-begegnet sei. So müssen Sie sich das denken. Mit einem schuppigen Leibe,
-verstehen Sie, und ganz lang. Und das Schrecklichste an dem Dinge, sehen
-Sie, das ist der Kopf. Der läßt sich eigentlich gar nicht beschreiben,
-aber er sieht so ungefähr aus, wie ein ungeheurer Papageienkopf. Ein
-Schnabel ist daran, ein großer krummer Schnabel, und zwei Augen sind in
-dem Kopfe --«
-
-Er verstummte. Anna vernahm, wie sich die Luft in seiner Kehle
-zusammenpreßte, als fände sie keinen Ausweg.
-
-»Die Augen,« fuhr er fort, »sehen Sie, die sind es, auf die der Mann in
-dem Kahne immerfort hinschauen muß. Die Augen sind fürchterlich, ganz
-groß und ganz grün, wie die Augen von einem furchtbaren bösen Menschen.
-Und die Augen blicken immerfort zu dem Manne herauf, und wenn sie ihn
-ansehen, dann ist's wie ein Lächeln darin, wie ein grauenvolles, und
-als wollten sie sagen: >ich habe dich, du entkommst mir nicht<. Und das,
-sehen Sie, das ist es, was den Mann gefesselt hält und gefangen hält und
-gebannt hält, daß er nichts thun und nichts denken und sich nicht helfen
-und nicht retten kann, obschon er hört, wie der Wassersturz immer näher
-und näher kommt.«
-
-Abermals verstummte er, und da auch Anna, von Grauen versteinert, keinen
-Laut hervorbrachte, herrschte eine Zeit lang ein beklommenes Schweigen.
-
-Dann that er einen tiefen, seufzenden Atemzug und seine Stimme nahm
-wieder den ruhigen, sanften Ton vom gestrigen Abende an.
-
-»Und nun, sehen Sie, nun kommt ein Augenblick, da gelingt es dem
-Manne, einmal für eine Sekunde den Blick über das Ding da im Wasser
-hinwegzubringen, und da sieht er am Ufer ein menschliches Wesen stehen.
-Und das menschliche Wesen, sehen Sie, das ist eine Frau, ein junges
-Mädchen, und er merkt, daß sie ihm zugesehen hat, eine ganze Zeit lang,
-und sich gewundert hat, was er da treibt. Und mit einemmal kommt ihm
-der Gedanke: wenn du dahin gelangen könntest, wo die steht, wenn du ihre
-Hand fassen könntest, daß sie dir hülfe, aus dem Kahn und dem Wasser
-herauszukommen, dann wärest du mit einemmal das Ding da los, das
-gräßliche, und brauchtest nicht in den Wassersturz hinunter und wärest
-gerettet! Und da, sehen Sie, faßt er mit einemmal das Ruder und wendet,
-und fährt auf die Stelle zu, wo sie steht -- und dann, wie sie ihn
-kommen sieht, faßt sie der Schreck, weil sie denkt, er käme, um ihr ein
-Leides zu thun, und sie wendet sich, um davonzulaufen -- und er sieht
-das, und schreit ihr nach -- bleib doch, ich thue dir nichts! Sei doch
-barmherzig! Ich komme ja nur, damit du mich rettest! Und da --«
-
-Mit einem Griffe hatte er ihre Hände erfaßt, sein Gesicht war dicht
-an ihrem Gesichte, so daß sie seinen keuchenden Atem auf ihrer Wange
-fühlte. Weiter bog er sich vom Stuhle und immer weiter zu ihr hinüber,
-bis daß er plötzlich auf beiden Knieen vor ihr lag.
-
-»Anna -- was thut sie da? Anna -- läuft sie dennoch fort? Läuft sie
-dennoch fort?«
-
-Sein totenbleiches Antlitz war zu ihr erhoben, kalter Schweiß netzte
-seine Stirn, seine Augen hatten den Blick eines Menschen, der den Spruch
-über Leben und Tod erwartet, und an ihren Knieen, an die seine Brust
-sich preßte, fühlte Anna das Herz in seinem Leibe pochen.
-
-Ein namenloses Mitgefühl überschwoll ihr Herz. Ohne zu wissen, was sie
-that, breitete sie beide Arme um sein Haupt, und indem sie in Thränen
-ausbrach, drückte sie das Gesicht auf sein Haupt.
-
-»O Sie armer, unglücklicher Mann,« sagte sie schluchzend.
-
-Ein Stöhnen drang aus seiner Brust hervor. »Du gehst nicht? Du läufst
-nicht davon? Läufst nicht davon?«
-
-»Nein, nein, nein, ich will nicht davonlaufen.«
-
-Jählings fühlte sie sich von zwei gewaltigen Armen umfaßt. Er war
-aufgesprungen und hatte sie, wie ein Kind, an seine breite Brust
-gerissen.
-
-»Ach du -- mein Leben -- meine Seligkeit -- mein heiliges Heiligtum --
-mein Alles!«
-
-Und er küßte, küßte und küßte sie.
-
-Endlich beruhigte er sich einigermaßen, so daß Anna wieder zu Atem kam.
-Unter seinen Küssen und Umarmungen waren ihre Wangen ganz heiß geworden,
-so daß sie hübscher aussah als zuvor. Der Baron war einen Schritt von
-ihr hinweggetreten und blickte sie mit strahlenden Augen an, wie sie
-verwirrt und verschämt vor ihm stand. Sie drehte den Kopf zu ihm herum.
-
-»Aber wenn ich nur wüßte, was ich thun soll?«
-
-Mit einer stürmischen Bewegung hatte er sie an beiden Händen erfaßt.
-
-»Gar nichts sollst du thun!«
-
-Sie schüttelte langsam das Haupt.
-
-»Gar nichts thun soll ich?«
-
-Er lachte laut auf vor Vergnügen.
-
-»Nur da sein sollst du und dir gefallen lassen, was ich thue.«
-
-Sie lächelte leise. »Was wird denn das sein, was Sie vorhaben?«
-
-Nun legte er beide Arme um ihren Leib, so sanft, so vorsichtig, als
-fürchtete er, sie zu erschrecken oder ihr weh zu thun.
-
-»Dich glücklich machen,« sagte er.
-
-Das Wort kam so aus der Tiefe eines von Liebe erfüllten Herzens hervor,
-daß das junge Mädchen unwillkürlich an seine Brust sank.
-
-»Du guter Mann,« sagte sie. Ihre Augen suchten die seinen. Er hielt sie
-in den Armen, seine Hände strichen leise an ihren Seiten hinunter.
-
-»Siehst du,« sagte er, »indem ich dich so halte, ist mir, als wäre der
-ganze liebe Körper und alles, was darinnen ist, ein Gefäß, ein zartes,
-zerbrechliches, und daß es so zerbrechlich ist, das ist gerade das Gute
-daran. Nun darf ich an nichts mehr denken, als daß es in meinen Händen
-nicht entzweigeht, und das gerade ist ja so gut. Siehst du, nun will
-ich in das Gefäß hineinthun alles, was der Mensch sich für den Menschen
-ausdenken kann an Gutem und Glücklichem. Und wenn wir da draußen auf
-meinem Gute leben, das nun auch dein Gut ist, wir beide ganz allein,
-jedesmal, wenn dann ein neuer Tag anbricht, will ich nach deinem lieben
-Gesichte sehen; und du brauchst mir nie zu sagen, daß du mich liebst,
-das verlange ich nicht, nur ob du glücklich bist, will ich in deinem
-Gesichte sehen, und wenn ich das sehe, siehst du, dann werde ich
-glücklich sein, glücklich, o -- so glücklich.«
-
-Seine Worte erstarben in einem tiefen leisen Flüstern. Sie hielt das
-Haupt gesenkt, als wollte sie lauschen und immer länger lauschen; als er
-schwieg, richtete sie sich auf und wiegte das Haupt und legte beide Arme
-um ihn her.
-
-»Wie, soll ich dir denn nicht sagen, daß ich dich liebe,« sprach sie,
-und ihre Stimme war ruhig und fest geworden, »da ich dich jetzt schon
-liebe, von ganzer Seele, du teurer, du geliebter Mann.«
-
-Sie hielten sich schweigend umschlungen, dann richtete sie sich auf.
-
-»Komm,« sagte sie, »nun wollen wir den Onkel und die Tante rufen.«
-
-Sie faßte ihn an der Hand und ging mit ihm an die Thür des Nebenzimmers,
-die sie öffnete. Die alten Leute traten heraus und blieben verblüfft
-stehen, als sie Anna Hand in Hand mit dem Baron gewahrten.
-
-Mit einem ruhigen Lächeln sah sie sie an.
-
-»Lieber Onkel,« sagte sie, »liebe Tante, ich teile euch mit, daß ich
-mich mit dem Herrn Baron von Fahrenwald verlobt habe.«
-
-Am Nachmittag erst verließ der Baron seine Braut und deren Angehörige.
-
-Als er die Treppe hinunterstieg und den letzten Absatz erreicht hatte,
-sah er im Hausflur einen Mann, der mit aufgeregten Schritten hin und her
-ging; es war sein Diener, der alte Johann.
-
-Verwundert blieb er stehen; in dem Augenblick hatte der Alte den Kopf
-herumgedreht und seinen Herrn erkannt; er unterbrach seinen Gang und
-stand wie angewurzelt.
-
-»Was soll denn das?« fragte der Baron. »Ich hatte dir doch gesagt, daß
-du mich nicht begleiten solltest.«
-
-Der Alte lüftete den Hut, ohne die Augen von seinem Herrn zu lassen.
-
-»Gnädiger Herr blieben so lange --« erwiderte er.
-
-Der Baron lachte. Er war in so fröhlicher Stimmung, daß er sich über
-nichts geärgert hätte, am wenigsten über die übertriebene Sorgfalt
-seines alten Dieners.
-
-»Hast gedacht, mir wäre ein Unglück passiert?« meinte er. »Na, du kannst
-dich beruhigen.«
-
-Er ging die Stufen vollends hinunter und schlug ihn auf die Schulter.
-
-»Will dir eine Neuigkeit sagen, Johann, ich habe mich verlobt.«
-
-Der Alte riß die Augen weit auf und wich zwei Schritte zurück; der Mund
-stand ihm halb offen.
-
-»Das Fräulein -- da oben, im zweiten Stock?« stotterte er.
-
-»Jawohl, das Fräulein da oben, im zweiten Stock,« erwiderte gutlaunig
-der Baron. »Und nächster Tage ist die Hochzeit.«
-
-Er wandte sich nach der Hausthür, und indem er ihm den Rücken drehte,
-konnte er nicht sehen, was der Johann hinter seinem Rücken für ein
-merkwürdiges Gesicht schnitt. Er warf einen wütenden, geradezu giftigen
-Blick nach der Treppe, die das Haus hinaufführte, dann glättete er mit
-dem Aermel seines Ueberrocks den Cylinderhut, den er noch in der Hand
-hielt, und während er das that, neigte er das Haupt, wie jemand, der
-sich plötzlich in eine schwere Notlage versetzt sieht und Mittel und
-Wege überdenkt, die nun zu ergreifen sind. Dann stülpte er den Hut mit
-einem Rucke auf, biß die Zähne aufeinander und folgte seinem Herrn.
-Die Hausthür fiel schmetternd zu, weil der Alte sie wütend ins Schloß
-geworfen hatte.
-
-Am nächsten Tage ging bei Anna ein Brief ein.
-
-Sie erhielt selten Briefe und zögerte ein Weilchen, den Umschlag zu
-öffnen. Die Handschrift war ihr nicht bekannt und sah so sonderbar
-aus; man hätte kaum sagen können, ob sie von einem gebildeten oder
-ungebildeten Menschen herrührte.
-
-Endlich entschloß sie sich, und nun las sie folgende Zeilen:
-
-»Haben Sie auch bedacht, was Sie thun? Sie wissen doch, daß der Mensch,
-mit dem Sie sich verlobt haben, ein Verrückter ist?«
-
-Ein Name stand nicht darunter. Der Brief war unterschrieben:
-
-»Ein Wissender.«
-
-Anna hielt das widerwärtige Blatt in den Händen. Was sollte sie thun?
-
-Das beste bei solchen Gelegenheiten ist ja, demjenigen, vor dem man
-gewarnt wird, den anonymen Wisch ruhig zu zeigen, damit man kein
-Geheimnis vor ihm behält. Aber das war doch in diesem Falle nicht
-möglich. Durfte sie den unglücklichen Mann lesen lassen, wie das, wovon
-er sich an ihrer Seite zu befreien und zu erlösen hoffte, ihm in so
-roher und gemeiner Weise auf den Kopf zugesagt wurde?
-
-Sie faßte sich kurz, riß den Brief samt dem Umschlage in Fetzen und
-steckte sie in den Ofen. Die Sache war abgethan.
-
-Eine Stunde später kam der Baron, und nun pries sie ihren Entschluß. Er
-sah so heiter aus, so klar; man merkte ihm an, wie in Annas Gegenwart
-der dunkle Schleier sich hob und lüftete, der seine Seele umdüsterte.
-Hätte sie, deren Nähe ihm die Gesundheit bedeutete, ihn in sein Leiden
-zurückstoßen sollen, indem sie ihn daran erinnerte? Nimmermehr!
-
-Heut brachte der Baron ihr den Verlobungsring mit, einen goldenen Reif,
-der einen Brillanten umfaßte. Mit schüchternem Erröten ließ sie sich den
-Ring an den Finger stecken, und während sie die Hand hin und her drehte,
-um das Licht in dem geschliffenen Steine aufzufangen, griff der Baron
-schon wieder in die Rocktasche. Er holte ein Schmuckschächtelchen
-hervor, das er vor ihren Augen aufspringen ließ. Anna blickte hinein
-und fuhr zurück. Ein goldenes Armband mit einem prächtigen Amethyst
-leuchtete ihr entgegen.
-
-»Aber nein!« erklärte sie, »nein, nein, das geht ja nicht, daß du mich
-so überhäufst! Das kann ich ja nicht annehmen!«
-
-Er sah glücklich lächelnd zu ihr hinüber.
-
-»Aber Anna,« sagte er, »weißt du denn nicht, daß ich mich beschenke,
-wenn ich dir ein Geschenk mache?«
-
-Sie mußte es sich gefallen lassen, daß er ihren Arm ergriff und ihr das
-Armband umlegte. Die Haut an der Hand und dem Handgelenk war rot und
-aufgesprungen; man sah es ihr an, wie schonungslos die Hände des jungen
-Mädchens in der Hauswirtschaft mitarbeiten mußten. Anna deutete mit den
-Augen darauf hin.
-
-»Sieh doch nur selbst,« sagte sie: »für solche Hände paßt doch ein so
-wundervolles Armband gar nicht.«
-
-Der Baron hob ihre kleine gerötete Hand empor.
-
-»Das ist Anna von Glassner,« sagte er. Dann schob er den Aermel ihres
-Kleides so weit zurück, daß die weiße, zarte Haut des Armes sichtbar
-wurde.
-
-»Und hier kommt die Baronin von Fahrenwald heraus,« fügte er lächelnd
-hinzu. »In einigen Tagen sind auch die Händchen so weiß und zart wieder,
-wie das.« Er drückte die Lippen auf ihren entblößten Arm und schob das
-Armband so hoch hinauf, daß es auf der weißen Haut lag.
-
-»Siehst du,« sagte er, »wie gut es sich hier ausnimmt!«
-
-Sie mußte lächelnd zugestehen, daß er recht hatte, und dann siegte die
-weibliche Freude am Schmuck über alle ihre Bedenken.
-
-Mit leuchtenden Augen fiel sie ihm um den Hals.
-
-»Du wirst mich noch so verwöhnen, daß ich ganz hochmütig und schlecht
-werde.«
-
-Er hielt sie an sich gedrückt.
-
-»Sei was und wie du willst, nur sei glücklich.«
-
-Es wurde alsdann zwischen ihnen verabredet, daß die Hochzeit möglichst
-bald stattfinden sollte.
-
-»Wie ist es denn?« fragte er, »möchtest du eine Hochzeitreise machen?«
-
-Anna lächelte.
-
-»Nicht wahr,« sagte sie, »das ist doch dein Park, den sie das
-Schlesische Paradies nennen?«
-
-»Wirklich?« erwiderte er, »davon habe ich ja noch gar nichts gewußt.«
-
-»Ja, ja,« versicherte sie, »er soll ja auch wunderschön sein!«
-
-»Nun, er ist groß genug, das ist wahr; nur vielleicht ein bißchen
-verwahrlost.«
-
-Sie legte die Hände auf seine Schultern.
-
-»Und da fragst du mich, ob ich eine Hochzeitreise machen will? Nach dem
-Schlesischen Paradies reise ich mit dir und da bleiben wir.«
-
-»Das wolltest du? Wirklich?« Man sah ihm die Freude an, die ihre
-Entscheidung ihm bereitete.
-
-»Aber daß du nur keinen Schreck bekommst,« fuhr er fort, »wenn du da
-hinauskommst; es ist etwas einsam, verstehst du. Ich habe da ganz allein
-mit meinem alten Johann gehaust.«
-
-»Ach Gott,« versetzte sie, »das denke ich mir ja gerade so wunderschön!
-Siehst du, ich bin ja auch mein Leben lang so allein gewesen, so an die
-Einsamkeit gewöhnt. Nun richten wir uns das alte schöne Schloß ein, wie
-es für uns beide paßt, dann gehen wir durch den Park, und nicht wahr,
-den Park gibst du in meine Obhut? Ich denke mir das so köstlich,
-Gärtnerin zu sein!«
-
-Sie war ganz lebhaft geworden; ihr Gesicht glänzte. Der Baron sah sie
-hingerissen an. Vor seinem Geiste erschien eine Reihe der lieblichsten
-Bilder: er sah seine junge Frau durch die düsteren Räume des alten
-Schlosses wandeln, wie den Geist des neuen jungen Lebens; er sah sie im
-Park umherschalten, anmutig zur Arbeit aufgeschürzt, und Haus und Garten
-wurden jung und lebendig und schön unter ihren Händen und seine Seele
-ward jung und freudig und stark in ihrer geliebten Nähe.
-
-»Alles soll so sein, wie du es sagst,« rief er jauchzend, indem er sie
-an sein Herz drückte, »sobald das Wetter einigermaßen wird, fahren wir
-hinaus und ich zeige dir alles, und dann kommen wir zurück und kaufen
-Tapeten und Möbel und Blumensamen und alles was der Mensch sich denken
-kann. Und nachher, da leben wir da draußen zusammen, wie auf einer Insel
-im weiten Meer. Wir beide ganz für uns, und fragen nach keinem Menschen
-und nach keiner Welt!«
-
-Er war wie trunken von Freude, als er sie endlich verließ, und auch
-vor Annas Phantasie begann die Zukunft wie ein helles freundliches Land
-emporzusteigen.
-
-Am nächsten Tage aber erhielt ihre fröhliche Stimmung einen Stoß. Genau
-zu der Stunde, an der gestern der anonyme Brief gekommen war, erschien
-heute, von derselben Hand verfaßt, ein zweites Schreiben.
-
-Gar nicht erst aufmachen, sondern ohne weiteres in den Ofen stecken, das
-war Annas erstes Gefühl -- aber die Neugier war stärker als die Wallung
-der Vernunft, und sie folgte dem verhängnisvollen Triebe, der in uns
-ist, Dinge, von denen wir wissen, daß sie uns gräßlich widerwärtig sein
-werden, daß sie unsern Seelenfrieden stören werden, recht genau und in
-der Nähe anzusehen.
-
-Das, was sie heute las, war dies:
-
-»Haben Sie denn das Verhältnis noch nicht gelöst? Noch immer nicht?
-Bedenken Sie sich, es wird Zeit! Es wird hohe Zeit!!!«
-
-Diesmal war der Brief unterschrieben »der Warner«. Nun nachdem sie
-gelesen, stand sie da und bereuete, daß sie gelesen hatte. Es war ihr zu
-Mute, wie einem Kinde, das man vor giftigen Beeren gewarnt hat und das
-trotzdem genascht hat. Mochte sie das Geschreibsel auch zerreißen und
-in den Ofen stecken, vergessen konnte sie ja doch nicht, was darin
-gestanden hatte. Dazu kam der sonderbare Ton und die Form des Briefes;
-beides war so aufgeregt. Die drei Ausrufungszeichen am Schluß, und die
-Unterschrift war mit ganz merkwürdigen Schnörkeln verbrämt und verziert.
-
-Das Ende ihres Ueberlegens war, daß auch dieser Brief in Fetzen ging und
-in den Ofen wanderte.
-
-Am darauf folgenden Tage aber lauschte sie schon mit aller Spannung, ob
-heute auch der Briefträger erscheinen würde. Und richtig, als die Stunde
-schlug, klingelte es, und ein dritter Brief lag in ihren Händen. Heut
-überlegte sie schon nicht mehr, ob sie lesen sollte, oder nicht, mit
-einer Art von Heißhunger fiel sie darüber her.
-
-Der unbekannte Verfasser betitelte sich heute »Prüfer von Herz und
-Nieren«; das, was er verkündete, lautete folgendermaßen:
-
- »Verblendete!! Das gefällt Ihnen wohl, daß der unglückselige Mensch
- Sie mit Schmuck und Flitter überhäuft? Wollen Sie denn mit Gewalt
- blind und taub sein? Daran sollten Sie doch merken, daß er ein
- Wahnsinniger ist!! Ein Wahnsinniger!!!«
-
-Ein unheimlicher Schauder überlief Anna, als sie diese Worte las. Es
-klang wie eine dumpfe Wut daraus, eine Wut gegen sie und zugleich gegen
-ihn. Sie versank in Gedanken, und so geschah es, daß der Baron
-sie überraschte, bevor sie noch Zeit gefunden hatte, den Brief zu
-vernichten. Sie hatte ihn gerade noch in die Tasche stecken können, als
-er eintrat, und sie mußte sich beinahe Zwang anthun, um dem Bräutigam
-unbefangen und heiter entgegenzugehen.
-
-Als er aber jetzt, vergnüglich schmunzelnd wie ein Kind, das jemandem
-eine rechte Ueberraschung zugedacht hat, eine große Schachtel zum
-Vorschein brachte, und als sie darin ein prachtvolles Perlenhalsband
-erblickte, fuhr sie zurück, und diesmal war es nicht Schüchternheit noch
-Bescheidenheit, was sie zurückfahren ließ, sondern Schreck, wirklicher,
-wahrhaftiger Schreck.
-
-Die Worte des unbekannten Briefschreibers fielen ihr ein, und die
-schrecklichen Worte hatten ja recht gehabt; so rasend verschwenden
-konnte ja nur ein Wahnsinniger!
-
-Mit hängenden Armen stand sie da und starrte, wie geistesabwesend, auf
-den Schmuck, der ihr vom dunkelblauen Sammet, auf dem er gebettet lag,
-entgegengleißte.
-
-Der Baron hielt den geöffneten Schrein mit beiden Händen vor sie hin und
-lachte still in sich hinein. Er ahnte nicht, was in ihr vorging, und
-sah in ihrer Starrheit nur das hülflose Staunen der Armut, die sich
-plötzlich vom Reichtum überflutet sieht.
-
-»Aber Anna,« sagte er endlich, als sie noch immer wie leblos vor ihm
-stand, »freust du dich denn gar nicht ein bißchen?«
-
-Sie hörte wieder den Ton seiner Stimme, sie blickte auf und sah
-sein Gesicht mit einem Ausdrucke unsäglicher Güte und Liebe auf
-sich gerichtet, und plötzlich brach sie in Thränen aus und fiel ihm
-schluchzend um den Hals.
-
-Dieser Ueberschwall von Gebensfreudigkeit -- das sollte alles nur eine
-Ausgeburt des Wahnsinns sein? Dieser Mensch, der sich auflöste, nur um
-ein Lächeln auf ihrem Gesicht hervorzurufen, das sollte ein Verrückter
-sein? Nein, nein, nein! Und sie drückte das Gesicht an seinen Hals und
-schüttelte, wie in Verzweiflung, das Haupt.
-
-Der Baron stand ratlos. Diese Thränen sahen doch gar nicht wie Uebermaß
-von Freude, sondern wie echter Schmerz aus. Bevor er aber noch zu Worte
-kommen konnte, fing sie an.
-
-»Eberhard,« sagte sie, indem sie die Arme von seinem Halse löste,
-»siehst du, es ist ja so himmlisch gut von dir, und ich bin dir ja so
-maßlos dankbar für alles, aber ich bitte, ich beschwöre dich, laß es
-genug sein, schenke mir nichts mehr.«
-
-Die Heiterkeit wich von seinem Gesichte.
-
-»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam, »es würde dir Freude machen --
-und nun willst du es gar nicht haben?«
-
-Er schickte sich an, den Schrein zu schließen, und dabei sah er so
-kummervoll aus, daß ein reißender Schmerz durch ihre Seele ging.
-
-»Nein, nein,« rief sie, »ich will es ja nehmen, gern nehmen, und ich bin
-dir ja so, so dankbar dafür, aber ich wollte ja nur sagen: dann nichts
-mehr, Eberhard. Laß es damit genug sein, bitte, versprich es mir, bitte,
-bitte!«
-
-Er drückte den Kasten ins Schloß und sah sie an, als begriffe er nicht,
-was sie wollte.
-
-Sie faßte seine Hand mit beiden Händen.
-
-»Siehst du,« sagte sie, »du mußt doch bedenken, daß ich an so etwas
-nicht gewöhnt bin; du weißt ja doch, daß ich ganz arm bin; ich habe
-doch früher nie Schmuck getragen, und an so etwas muß man sich doch
-allmählich gewöhnen. Und wenn das dann so mit einemmal, so massenhaft
-kommt, siehst du, Eberhard, lieber guter Eberhard, das mußt du dir doch
-selbst sagen, daß einen das geradezu ängstigt. Das erstickt einen ja und
-erdrückt einen und das hält man gar nicht aus.«
-
-Ihre Worte waren hastig erregt von ihren Lippen gekommen, aber sie
-beruhigten ihn. Er entnahm daraus, daß es wirklich nur die Armut in ihr
-war, die vor dem plötzlichen Reichtum erschrak.
-
-»Du liebes, bescheidenes Kind,« sagte er zärtlich, indem er den Arm um
-sie legte, »ich glaube wirklich, du hast vollkommen recht, und es war
-falsch, daß ich zu rasch gewesen bin. Aber du weißt ja doch, warum ich
-es gethan habe und bist mir nicht böse?«
-
-»Ich -- dir böse sein --« erwiderte sie stockend, und die Thränen
-drängten ihr von neuem empor, so daß sich ihr die Kehle zuschnürte.
-
-Er stellte den Schmuckkasten auf den Tisch.
-
-»Also mag er da bleiben,« sagte er, indem er seinen Ton zur Heiterkeit
-anstrengte, »und vorläufig genug damit.«
-
-Sie blieben dann noch eine Zeit lang bei einander, aber eine unbefangene
-fröhliche Stimmung wollte nicht mehr recht aufkommen. Der Vorgang von
-vorhin wirkte in beiden nach, und zwischen ihnen, auf dem Tische stand
-der verhängnisvolle Schmuckkasten, der an dem allen schuld war.
-
-Am nächsten Tage blieb Anna verschont; es lief kein Brief ein. Als der
-Baron indessen erschien, lag ein Schatten auf seinem Gesicht und in
-seinen Augen war ein dumpfes Glühen.
-
-Anna erschrak einigermaßen, als sie ihn sah; sein Ausdruck war so anders
-als an den vergangenen Tagen.
-
-Sie forschte nach dem Grunde seines Mißmuts, aber er wollte nicht mit
-der Sprache heraus.
-
-»Bist du mir böse wegen gestern?« fragte sie endlich, indem sie sich
-neben ihn setzte.
-
-Er strich mit freundlicher Hand über ihr Haar.
-
-»Nein, gar nicht, lieber Engel,« sagte er, »verlaß dich darauf, gar
-nicht.«
-
-Sie fragte nicht weiter, sie wollte nicht in ihn dringen, aber ihre
-Augen blieben stumm besorgt an ihm hängen.
-
-»Ach weißt du,« sagte er endlich, indem er sich aus seinem Brüten
-aufraffte, »es ist wirklich gar nicht der Mühe wert, und es ist unrecht,
-daß ich dich damit quäle. Ich habe einen Auftritt mit meinem Diener
-gehabt, das ist die ganze Geschichte.«
-
-Er war aufgestanden und ging im Zimmer hin und her. Anna folgte ihm von
-ihrem Sitze aus mit den Blicken.
-
-»Mit deinem alten --«
-
-»Mit meinem alten Johann, ja.«
-
-»Aber ich denke,« wandte sie ein, »er ist dir so treu und ergeben?«
-
-»Freilich ist er das,« gab er zur Antwort, »treu beinah bis zum
-Uebermaß, und das ist es ja eben --« er brach mitten im Satze ab und
-wanderte wieder schweigend auf und nieder.
-
-»Siehst du,« fuhr er nach einer Weile fort, »solche alten Diener, die
-man vom Vater überkommt, die einen als Kind auf dem Arm getragen haben,
-die einen immerfort begleitet haben, sind ja einerseits ein Schatz,
-und darum kann man sie nicht so aus dem Hause schicken, wie man es
-vielleicht mit andern machen würde.«
-
-Ein Zucken ging über sein Gesicht und in seinen Augen flimmerte es, wie
-die Erinnerung an einen schweren Grimm, den er durchgemacht hatte.
-
-»Du wirst doch nicht an so etwas denken!« sagte Anna, indem sie
-aufstand. Eine innere Stimme flüsterte ihr zu, wie notwendig ihm die
-stetige Begleitung eines treuen, mit seiner Natur vertrauten Menschen
-sein mochte.
-
-»Ich denke ja nicht daran,« versetzte er, »nur das wollte ich sagen,
-siehst du, solche alten Diener werden andrerseits auch manchmal zu
-einer Art von Last. Sie wollen den Haushofmeister, gewissermaßen den
-Schulmeister spielen, und das -- na, indessen --« er brach wieder ab.
-»Lassen wir die dumme Geschichte; sie ist abgethan und, wie gesagt, gar
-nicht der Rede wert.«
-
-Anna war zu ihm herangetreten und sah ihm bittend in die Augen.
-
-»Mir zuliebe,« sagte sie, »sei geduldig mit dem alten, treuen Menschen;
-er meint es gewiß so redlich und gut mit dir.«
-
-Der Baron blickte mit einem eigentümlichen Lächeln auf sie nieder.
-
-»Das sagst du,« erwiderte er langsam. Seine Lippen bewegten sich,
-als wollte er noch etwas hinzusetzen; aber er sprach es nicht aus.
-Allmählich aber, indem seine Augen auf ihrem Gesichtchen ruhten, kehrte
-der Ausdruck stiller Zufriedenheit in seine Züge zurück.
-
-»Du bist ein Engel,« sagte er, »und so gut, wie du selbst es gar nicht
-weißt.«
-
-Bald darauf verließ er sie.
-
-Es war, wie der Baron gesagt hatte; zwischen ihm und dem alten
-Johann hatte es am Morgen dieses Tages einen Auftritt gegeben, einen
-merkwürdigen, schrecklichen Auftritt.
-
-In sein junges Glück versenkt, hatte der Baron nicht weiter acht auf den
-Alten gegeben, sonst hätte es ihm auffallen müssen, daß dieser seit
-dem Tag, als er mit ihm das Haus verlassen hatte, wo Anna von Glassner
-wohnte, ein seltsames Wesen angenommen hatte.
-
-Jeden Vormittag, wenn der Baron ausging, um sich zu seiner Braut
-zu begeben, schlich der Alte geräuschlos hinter ihm drein. Dem
-Juwelierladen gegenüber, in den er seinen Herrn eintreten sah, auf der
-andern Seite der Straße, stellte er sich auf und wartete, bis der Baron
-wieder herauskam; und wenn dieser zu Annas Hausthür gelangt war, ahnte
-er nicht, daß wenige Schritte hinter ihm sein Diener stand und ihn mit
-Augen verfolgte -- mit Augen, die den lauernden Ausdruck eines wilden
-Tieres hatten. Wenn er alsdann in die Behausung zurückgekehrt war, wo
-er mit dem Baron wohnte und wo ihm ein geräumiges Zimmer angewiesen war,
-setzte der Alte sich an den Tisch, der inmitten des Zimmers stand, und
-dort saß er Stunden und Stunden lang. Er aß nicht, er trank nicht, er
-rauchte nicht; er war ganz versunken in dumpfes, stumpfes Brüten. Die
-einzige Thätigkeit, zu der er sich aufraffte, war, daß er sich alsdann
-erhob, eine große Schreibmappe auf den Tisch legte, Tinte und Feder
-herbeiholte und nun mit fanatischem Eifer zu schreiben anfing. Was er da
-schrieb -- niemand sah es, denn niemand war dabei; jedesmal, bevor er an
-seine Schreiberei ging, riegelte er sorgfältig die Thür seines Zimmers
-ab. Es schienen jedoch Briefe zu sein; denn das Papier, worauf er
-schrieb, waren Briefbogen, und jedesmal, nachdem er geendigt und das
-Geschriebene wohl zehnmal mit gerunzelter Stirn und stumm glühenden
-Augen durchgelesen hatte, steckte er den Bogen in ein Couvert, das er
-mit einer Adresse und Postmarke versah. Leise schloß er alsdann seine
-Thür wieder auf, steckte horchend den Kopf hinaus, und wenn er sich
-überzeugt hatte, daß niemand ihn hörte und sah, schlüpfte er behutsam
-aus der Wohnung, aus dem Hause, um den Brief in den nächsten Briefkasten
-zu stecken.
-
-Abends fand der Baron, wenn er nach Haus kam, die Lampen in seinen
-Gemächern bereits angezündet, alles zu seinem Empfange bereit, und den
-alten Johann, einmal wie allemal fertig, ihn des Mantels zu entledigen,
-ihm den Thee zu bereiten und alles zu thun, woran er von jeher gewöhnt
-war. Was der Baron nicht beachtete, das waren die Blicke, mit denen der
-Alte ihn lauernd beobachtete, und was er nicht sah, das war, daß der
-Alte, nachdem er sich zurückgezogen hatte, draußen auf dem Flur
-stehen blieb, lautlos an die Thür gepreßt, hinter der sein Herr saß,
-stundenlang horchend, lauschend, ob er nicht da drinnen plötzlich ein
-verdächtiges Geräusch, irgend etwas vernehmen würde, das ihn nötigte,
-zuzuspringen und Hand anzulegen. Denn er wußte ja doch, daß da drinnen
-ein Wahnsinniger saß und daß es sein Beruf und seine Pflicht war, den
-Wahnsinnigen zu bewachen.
-
-An dem Vormittag dieses Tages nun, als der Baron gefrühstückt und darauf
-dem Diener geklingelt hatte, damit er ihm beim Anziehen behilflich sei,
-hatte dieser sich, im Bewußtsein seiner Pflicht, ein Herz gefaßt und
-beschlossen, mit seinem Herrn einmal ein Wort zu reden.
-
-Es kam ihm nicht leicht an, denn er war ein echter Schlesier, und daher
-steckte ihm ein knechtischer Respekt vor seinem Gebieter in Fleisch und
-Bein. Aber es mußte sein, es mußte.
-
-Den Pelz seines Herrn in den Händen, trat er in das Zimmer ein; als der
-Baron aber in den Mantel fahren wollte, ließ der Diener ihn sinken.
-
-»Gnädiger Herr wollen mir eine unterthänige Frage erlauben -- gehen
-gnädiger Herr wieder zu dem Fräulein?«
-
-Der Baron sah sich überrascht um; ein Lachen zuckte über sein Gesicht.
-
-»Interessiert dich das so? Allerdings gehe ich zu ihr.«
-
-Der Alte senkte das Haupt und stierte auf den Teppich.
-
-»Nun, was gibt's? Worauf wartest du?« fragte der Baron, indem er ein
-Zeichen machte, daß er den Pelz anzulegen wünschte.
-
-»Gnädiger Herr, wollen entschuldigen,« erwiderte der Alte, ohne die
-Augen zu erheben, »ob gnädiger Herr es sich nicht noch einmal überlegen
-möchten?«
-
-»Was soll ich mir überlegen?«
-
-»Daß gnädiger Herr das Fräulein wirklich heiraten wollen.«
-
-Der Baron machte auf dem Absatze kehrt, so daß er seinem Diener
-unmittelbar gegenüberstand. Er war einen Augenblick ganz sprachlos vor
-Erstaunen.
-
-»Was geht das dich an?« stieß er hervor. »Was fällt dir denn ein?«
-
-»Gnädiger Herr wissen ja doch,« murrte der Alte mit hohler Stimme von
-unten herauf, »daß ich gnädigen Herrn von Kindesbeinen her kenne -- daß
-ich vom seligen Herrn Baron --«
-
-»Weiß ich, weiß ich, weiß ich alles!« rief der Baron, indem er
-ungeduldig aufstampfte. »Was gehört das hierher?«
-
-»Und daß ich weiß, was gnädigem Herrn gut thut und gnädigem Herrn nicht
-gut -- weil ich weiß, wie es steht.«
-
-Der Baron trat einen halben Schritt zurück.
-
-»Wie was steht?«
-
-Jetzt richtete der Alte das gesenkte Haupt so weit auf, daß er einen
-schrägen, lauernden Blick in die Augen seines Herrn bohren konnte. Seine
-Stimme wurde dumpf und leise.
-
-»Wie es -- mit gnädigem Herrn steht.«
-
-Das bleiche Gesicht des Barons wurde noch um eine Färbung bleicher, so
-daß es ganz weiß aussah, und in dem weißen Gesichte glühten die Augen
-auf. Ein Zittern durchlief seine Gestalt, seine Hände schlossen sich,
-er konnte keinen Laut hervorbringen. So standen sich die beiden Männer
-stumm gegenüber. Am Leibe des alten Johann regte sich keine Fiber, nur
-seine Augen hafteten stieren Blicks an dem Baron. Er sah ja, daß
-der Mann dort unmittelbar vor einem Ausbruche von Tollwut stand, und
-Tobsüchtige darf der Wärter nicht aus den Augen lassen.
-
-Es dauerte geraume Zeit, bis daß der Baron seine Fassung einigermaßen
-zurückgewann. Seine Brust keuchte, indem er zu sprechen begann; die
-Worte kamen abgebrochen heraus.
-
-»Johann -- weil ich weiß -- daß du es gut meinst -- will ich dir
-verzeihen, was du -- da eben gesagt hast. Aber, wenn du es noch einmal
-thust, dann nimm dich in acht!« Er hob den rechten Arm mit geballter
-Faust empor. »Nimm dich in acht!« wiederholte er, »nimm dich in acht!«
-
-Seine Stimme war immer lauter angeschwollen, so daß sie zuletzt beinahe
-brüllend geworden war. Sein Körper schüttelte sich wie im Krampf. Dann
-plötzlich ließ er den erhobenen Arm sinken, warf sich stöhnend in einen
-Sessel und legte beide Arme auf die Lehne, das Gesicht auf die Arme
-drückend.
-
-Regungslos stand der Alte; in seinen Augen war etwas, wie ein wilder
-Triumph, indem er auf seinen Herrn niederblickte. Wer hatte nun recht
-gehabt? War der Mann da, der unglückselige, etwa kein Wahnsinniger?
-
-Zunächst sprach keiner von beiden ein Wort; eine schwüle, beängstigende
-Stille trat ein. Dann erhob der alte Johann wieder die Stimme.
-
-»Und wenn gnädiger Herr heiraten, thut es gnädigem Herrn nicht gut.«
-
-Der Baron erwiderte nichts; er gab überhaupt kein Zeichen, als hätte er
-gehört.
-
-»Und wenn ein Fräulein kommt,« fuhr der Alte fort, »und will den
-gnädigen Herrn heiraten, weil das Fräulein Frau Baronin werden möchte
-und reich werden möchte, weil sie selber nichts hat --«
-
-Jetzt richtete der Baron das Haupt auf; seine Hand griff in den
-Stoffüberzug des Sessels, man sah, wie sie sich hineinkrallte, seine
-Augen drehten sich zu dem Alten herum, mit einem gefährlichen Ausdruck.
-Der Alte aber hörte nicht auf, wollte nicht aufhören; indem er des
-Mädchens gedachte, war es, als überkäme auch ihn eine dumpfe, schwälende
-Wut. Seine Augen unterliefen rot. »Dann ist das nicht recht von dem
-Fräulein,« polterte er rauh und rücksichtslos heraus.
-
-In diesem Augenblick rollte der Stuhl, auf welchem der Baron gesessen
-hatte, bis mitten ins Zimmer; mit einem jähen Satze war der Baron
-aufgesprungen.
-
-»Mach, daß du 'rauskommst!« brüllte er den Alten an. Der Alte stand wie
-an den Boden gewachsen.
-
-»Gnädiger Herr dürfen nicht heiraten,« sagte er.
-
-»Halt 's Maul und mach, daß du 'rauskommst!« donnerte der Baron noch
-einmal. Seine Hände flogen, sein Körper erbebte konvulsivisch. Es
-war aber, als wenn seine Aufgeregtheit den andern nur um so eisiger
-erstarren machte.
-
-»Ein Arzt hat mir gesagt, der jetzt tot ist, wenn gnädiger Herr
-heiraten, werden gnädiger Herr jemand umbringen.«
-
-Kaum daß er das gesagt hatte, warf er jedoch den Pelz, den er immer noch
-in Händen hielt, über den nächsten Stuhl und zog sich eilends nach der
-Thür zurück. Der Baron hatte den schweren gepolsterten Sessel mit
-beiden Händen an der Lehne gepackt und mit einer Kraft, wie sie nur der
-Paroxismus verleiht, emporgeschwungen. Es sah aus, als wollte er
-den Alten im nächsten Moment zu Boden schmettern. Mit einer hurtigen
-Bewegung riß dieser die Thür auf und verschwand.
-
-Eine halbe Stunde später, während er lautlos horchend in seinem Zimmer
-gesessen hatte, vernahm er, wie der Baron aus seinen Gemächern trat und
-mit schweren Schritten die Wohnung verließ. Er eilte an eines der
-nach der Straße gehenden Fenster und blickte ihm nach. Richtig -- die
-gewohnte Richtung, er ging zu seiner Braut. Also doch!
-
-Der Alte kehrte in sein Zimmer zurück, warf die Mappe auf den Tisch und
-gleich darauf saß er wieder vor seinen Briefbogen. Heute knirschte das
-Papier unter seiner kratzenden Feder; seine Augen brannten, und die
-Muskeln seines Gesichts spannten sich zu einem Ausdruck grimmiger
-Verbissenheit, indem er schrieb.
-
-Am Abende des Tages erhielt Anna von Glassner folgenden Brief:
-
- »Zum letztenmal werden Sie gewarnt! Sie ruinieren ihn und gehen in
- Ihr Verderben! Heute war der unglückselige Mensch dicht daran, daß
- er seinen Wärter und treuesten Begleiter totgeschlagen hätte.
-
- Wer Augen hat, zu sehen, der sehe!!!
-
- Der Pflichterfüller.«
-
-Scheinbar beruhigt war der Baron von Anna hinweggegangen, in seinem
-Innern aber saß die Erinnerung an das, was er mit dem alten Johann
-erlebt hatte. Und diese Erinnerung war wie ein gärender Keim in seinem
-Blute, sie ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen.
-
-Es erging ihm, wie es dem Menschen geht, wenn er sich mit einem andern
-gestritten hat. Im Augenblick, da uns der Gegner seine Behauptung ins
-Gesicht wirft und wir sie ihm leidenschaftlich zurückschleudern, sind
-wir darüber hinweg -- nachher, wenn die Leidenschaft verraucht
-ist, kommt das Wort uns wieder, leise, schleichend und in seiner
-Geräuschlosigkeit eindringlicher als vorher, und nun kommt das Grübeln,
-ob das Wort nicht vielleicht doch recht gehabt haben könnte.
-
-»Ich weiß, wie es mit gnädigem Herrn steht« -- immer wieder war es da,
-das Wort, immerfort und immerfort, wie der Wassertropfen, der unablässig
-auf den Kopf des Gefolterten fällt. Und indem es in seinem Ohre
-nachklang, war ihm, als käme das Ungetüm wieder herangeschwommen, von
-dem er Anna erzählt hatte, als höbe es die gräßlichen grünen Augen
-wieder auf, und das, was aus diesen Augen sprach, war ja nichts andres
-als das: »Ich weiß, wie es mit dir steht.«
-
-Und, war es denn etwa so ganz unberechtigt? War nicht in ihm
-selbst etwas gewesen, das ihn mit Schauder erfüllte, wenn er daran
-zurückdachte? Immer wieder hörte er eine fürchterliche Stimme, die das
-Zimmer durchtönte, und das war seine Stimme; der Mensch, der so gebrüllt
-hatte, war er selbst gewesen. Immer wieder empfand er den Krampf,
-der plötzlich in seinem Rückenmark losgebrochen war, seine Glieder
-durchschüttelt, seinen Arm erhoben und seine Fäuste geballt hatte. Es
-ließ ihn gar nicht los; immer und immer wieder mußte er sich bis ins
-einzelne vergegenwärtigen, wie das gekommen, wie ihm dabei zu Mute
-gewesen war. Wie wenn etwas von außen über ihn herfiele, so war es
-gewesen, wie wenn ihn etwas anspränge, sich seiner bemächtigte, eine
-fremde, furchtbare Gewalt, beinahe wie ein wildes Tier, das jählings
-in ihn eingedrungen war und aus ihm hervortobte. Dazu diese plötzliche,
-unbegreifliche Kraft, die er in den Armen gefühlt hatte. Wenn er jetzt
-den schweren gepolsterten Sessel anschaute, begriff er gar nicht, wie es
-ihm möglich gewesen war, ihn wie eine Keule emporzuschwingen. Und in
-dem Augenblick war es doch so gewesen, und in dem Augenblick war ihm
-das mächtige Ding so federleicht erschienen. Unwillkürlich schloß er die
-Augen. Hatte er nicht gehört und gelesen, daß Menschen in der Tollwut
-eiserne Stangen zerbrechen? Was war das gewesen, was ihm die Muskeln so
-schrecklich gestählt hatte? Brütend saß er in seinem Zimmer und wagte
-sich nicht Antwort auf das zu geben, was in ihm fragte.
-
-So also stand es mit ihm? Und wie viel hatte gefehlt, so hätte er seinen
-alten Johann niedergeschlagen und totgeschlagen. -- Freilich, der Alte
-hatte ihn gereizt; aber wußte er denn nicht, wie er an ihm hing, treu
-wie ein Hund? Und er hätte ihn beinahe umgebracht!
-
-Und wie hatte der Alte von Anna gesagt? »Wenn ein Fräulein kommt und den
-gnädigen Herrn heiraten will, weil sie reich werden möchte --«
-
-Hier aber sprang er auf. Das war falsch und gelogen, das wußte er, so
-weit war er noch vernünftig. Das waren die Gedanken, wie sie in einer
-Knechtsseele sich zusammenkleistern! Er wußte ja doch, daß er zu ihr
-gekommen war, nicht sie zu ihm. Mit den Armen griff er in die Luft. Daß
-sie nur da gewesen wäre in diesem Augenblick, daß er sie an sich hätte
-pressen können! Denn mächtiger und bestimmter als je zuvor empfand er in
-diesem Augenblick, daß es nur ein Ziel und eine Rettung für ihn gab, und
-das war sie, an die er dachte, nach der er verlangte, Anna, Anna, Anna!
-
-Wie eine Todesangst erfaßte ihn der Gedanke, daß sie ihm doch noch
-entgehen könnte, und mit krampfhafter Ungeduld sah er dem Tage entgegen,
-da sie Hochzeit machen würden, da sie ihm ganz gehören, immer und
-allerorts bei ihm und mit ihm sein würde.
-
-Das nächste, was er darum zu thun beschloß, war, daß er seine Braut zu
-seinem Schlosse hinausführte. Sie sollte den Ort kennen lernen, wo sie
-mit ihm zusammen sein würde, die künftige Heimat.
-
-Man befand sich zu Anfang April; der Winter war überstanden, aber noch
-nicht überwunden, er kämpfte noch mit dem nahenden Frühling. Trotzdem
-wollte der Baron nicht länger warten. Es mußte etwas geschehen, wodurch
-Anna körperlich mit dem neuen Dasein verknüpft würde, und sie selbst
-hatte Lust dazu. Auch in ihr war ein Bedürfnis, die Umgebung des
-künftigen Lebens kennen zu lernen; daneben regte sich die Neugier, das
-schlesische Paradies endlich einmal mit Augen zu sehen.
-
-So wurde der Besuch denn für einen der nächsten Tage beschlossen.
-
-Mit seinem alten Diener hatte der Baron seit jenem verhängnisvollen
-Vormittage kein Wort mehr gesprochen; schweigend waren sie umeinander
-hergegangen; es war wie ein Waffenstillstand zwischen ihnen.
-
-Als er damals seine Wohnung verließ, um zu Anna zu gehen, hatte Eberhard
-von Fahrenwald ernsthaft erwogen, ob er den Alten nicht fortschicken
-sollte. Es war das erste Mal, daß ihm der Gedanke kam.
-
-Er hatte ihn von seinem Vater ererbt und es bisher wie eine Art von
-Naturnotwendigkeit empfunden, ihn fortwährend um sich zu haben. An
-dem Tage zum erstenmal erhob sich eine Stimme in ihm, die ihm zurief:
-»Schick' ihn fort!« Er würde ihm natürlich eine für seine alten Tage
-ausreichende, ja eine glänzende Pension zahlen, aber er wollte ihn los
-sein.
-
-Als er dann aber zu Anna gekommen war, und diese für den Alten gebeten
-hatte, war sein Entschluß wieder schwankend geworden. Er war sich nun
-wieder bewußt geworden, daß er gegen den ausdrücklichen letzten Willen
-seines Vaters handeln würde, wenn er so thäte, und er sagte sich, daß
-er es doch gewesen war, der durch seine Heftigkeit den widerwärtigen
-Auftritt verschuldet hatte. Kampf mit sich selbst, das war ja nun
-einmal die Aufgabe, die ihm vom Schicksal auferlegt worden war, und dazu
-gehörte, daß er auch den Widerwillen, den unheimlichen, niederkämpfte,
-der sich in ihm gegen den Alten zu regen begann.
-
-Also schwieg er; der alte Johann schwieg auch, und äußerlich schien es,
-als wäre alles, wie es früher und immer gewesen war.
-
-Jetzt, am Tage, bevor er mit Anna hinauszufahren beschlossen hatte,
-befahl der Baron dem Alten, vorauszufahren und das Schloß einigermaßen
-zum Empfange vorzubereiten. Die Zimmer sollten gelüftet, in den Oefen
-und Kaminen sollten Feuer angezündet werden. In den Wegen des Parks,
-die vom Tauwetter jedenfalls aufgeweicht sein würden, hieß er ihn Sand
-aufschütten und an besonders morastigen Stellen Bretter legen. Endlich
-sollte für ein Frühstück gesorgt werden.
-
-Alle diese Weisungen erteilte der Baron in kurzem, bestimmtem Tone; der
-alte Johann nahm sie mit schweigender Unterwürfigkeit entgegen; er war
-in diesem Augenblick nichts weiter, als der demütige, gehorsame Knecht.
-
-Ein grauer, nasser Himmel lag über der Erde, als der Baron am nächsten
-Morgen mit seinem Wagen bei Anna von Glassner vorfuhr, um sie zum
-Bahnhofe abzuholen.
-
-Als er bei ihr eintrat, stand sie schon reisefertig in ihrem grauen
-Reisemantel da. Lächelnd wickelte er einen Gegenstand, den er in Händen
-trug, aus dem umhüllenden Papier; es war ein Paar nagelneuer, mit Pelz
-gefütterter Gummischuhe.
-
-»Das ist kein Schmuck,« sagte er, »das darfst du annehmen, und im Park
-draußen wird es feucht sein.«
-
-Sie sah ihm dankbar ins Gesicht.
-
-»Auch an so etwas denkst du?«
-
-Sie setzte sich, um die Gummischuhe anzulegen, und dabei konnte sie
-nicht verhindern, daß er sich auf ein Knie vor ihr niederließ, um ihr
-beim Anziehen behilflich zu sein.
-
-Zärtlich drückte er ihre kleinen Füße.
-
-»Aber Eberhard!« mahnte sie.
-
-Er sprang auf, schloß sie in seine Arme und küßte sie auf den Mund.
-
-»Komm,« sagte er, »heute fährst du als Anna von Glassner hinaus; das
-nächste Mal als Anna von Fahrenwald.«
-
-Nach einer Eisenbahnfahrt von etwa einer Stunde kamen sie an der kleinen
-Station an, von der man zum Gute des Barons gelangte. Als der Zug
-einlief, stand bereits ein grauhaariger Mann mit abgezogenem Hute und
-gebeugtem Rücken auf dem Bahnsteige; es war der alte Johann.
-
-»Sieh, wie pünktlich und aufmerksam er ist,« flüsterte Anna, mit dem
-Kopfe nach dem Alten deutend, dem Bräutigam zu. Dieser erwiderte nichts,
-und als Johann hinzutrat, um dem Fräulein beim Aussteigen behilflich zu
-sein, verhinderte er, daß er sie berührte.
-
-»Ist der Wagen da?« fragte er kurz.
-
-Der Wagen war da.
-
-Indem sie dahin gingen, drückte sie mit leisem Vorwurfe den Arm des
-Bräutigams; er war so freundlich und gut, nur dem alten Diener gegenüber
-erschien er ihr so barsch.
-
-Der Wagen war zugedeckt, weil es vorher geregnet hatte; jetzt aber hatte
-der Regen aufgehört.
-
-»Möchtest du ihn lieber offen haben?« fragte der Baron.
-
-»O ja,« bat sie. Es war ja eine neue Welt, in die sie kam, und die
-will man doch gern ordentlich sehen können. Also wurde das Verdeck
-zurückgeschlagen; im Wagen befanden sich Fußsäcke und Decken; zwei
-prächtige Rappen stampften an der Deichsel. Der Ueberfluß kam ihr
-entgegen und breitete beide Arme aus.
-
-Nachdem er sie in eine Wagenecke gepackt und sorgfältig in die Decken
-gewickelt hatte, setzte er sich neben sie; die Pferde zogen an und der
-Wagen rollte auf die Landstraße hinaus. Wege und Stege trieften von
-Nässe, in den Feldern rechts und links standen breite Wasserlachen, so
-daß sie wie Sümpfe aussahen; am Himmel, der kalt und grau wie Stahl war,
-taumelten die Wolken, vom Aprilwinde gejagt, in dicken schwärzlichen
-Ballen dahin. Alles in allem war es kein freundlicher Empfang, den die
-neue Welt dem jungen Mädchen bereitete.
-
-Der Baron sah sie von der Seite an und sah, wie ihr Stumpfnäschen keck
-und vergnügt aus Hüllen und Decken in die graue Luft ragte.
-
-»Ist dir kalt?« fragte er.
-
-»Nicht im geringsten!« erwiderte sie.
-
-»Aber schön ist es nicht?«
-
-»Himmlisch,« gab sie zur Antwort. »Was denkst du denn? So eine
-Stadtpflanze, wie ich; das ist ja die reine Wonne, so über Land zu
-fahren!«
-
-Er war ganz glücklich und legte den Arm um sie; durch die Decken und
-Tücher, mit denen er sie umwickelt hatte, war sie aber ganz unförmlich
-geworden, so daß sein Arm nicht um sie herumreichte. Sie kicherte vor
-Vergnügen.
-
-»Siehst du,« sagte sie, »wenn du mich so weiter verwöhnst, werde ich
-noch so dick werden, daß du mich gar nicht mehr umarmen kannst -- es
-fängt schon an damit.«
-
-Er hörte ihrem Geplauder zu. Wie ihn das beglückte, daß sie so zufrieden
-war! Wie wenig sie brauchte, um zufrieden zu sein!
-
-Der Wagen war inzwischen von der Landstraße abgebogen und quer
-durchs Land gefahren. Jetzt tauchten in einiger Entfernung die kahlen
-Baumkronen eines weit ausgedehnten Parkes vor ihnen auf.
-
-Plötzlich kam Annas Hand unter den Decken hervorgekrochen und erfaßte
-die Hand des Barons.
-
-»Eberhard,« fragte sie leise, indem sie sich zu ihm hinüberbog, »ist es
-das?«
-
-Er sah ihr ins Gesicht.
-
-»Das ist es,« erwiderte er.
-
-Sie verstummte; ihre Augen wurden groß und ernst.
-
-»Gefällt es dir?« fragte er nach einiger Zeit.
-
-»Es scheint ganz wundervoll,« gab sie flüsternd zurück. Dann zeigte sie
-mit dem Finger nach vorn.
-
-»Und das da -- das ist das Schloß?«
-
-Ueber den Wipfeln des Parks stiegen die Mauern eines großen Gebäudes
-finster empor.
-
-»Das ist das Schloß,« versetzte er.
-
-Dann ergriff er ihre Hand, die langsam niedergesunken war. »Gefällt dir
-das auch?«
-
-Sie nickte gedankenvoll mit dem Haupte. Nachdem sie dann ein Weilchen
-geschwiegen, schmiegte sie sich an ihn.
-
-»Eberhard,« bat sie leise, »könnten wir nicht am Park aussteigen und
-durch den Park zum Schlosse geh'n?«
-
-»Wäre dir das lieber?« fragte er.
-
-Sie nickte wieder; sie hätte kaum sagen können, warum, aber es war
-ihr wirklich lieber. Vielleicht, daß ihr das große düstere Gebäude
-unwillkürlich einen Schreck einflößte.
-
-Der Park öffnete sich in das umgebende Gelände; weder Mauer noch Zaun
-schloß ihn ab.
-
-Als jetzt der Wagen die Stelle erreicht hatte, wo die Parkwege sich mit
-der Fahrstraße kreuzten, befahl der Baron, anzuhalten.
-
-»Also komm,« sagte er zu Anna, »wir wollen aussteigen und zu Fuße
-gehen.«
-
-Rasch entledigte sie sich ihrer Umhüllungen, und auf seine Hand
-gestützt, sprang sie hinab.
-
-Während der Wagen zum Schlosse weiterfuhr, schritten die beiden, Arm in
-Arm, in den Park hinein.
-
-Ihr Weg führte sie eine Allee entlang, die von hochstämmigen, uralten
-Buchen gebildet wurde. In den blätterlosen Wipfeln brauste der Wind, der
-immer stärker angeschwollen und jetzt beinahe zum Sturm geworden war.
-Die Bäume neigten und beugten sich, die kahlen Aeste schlugen klatschend
-aneinander, ein Chor von tausend seltsamen Lauten, ein Krachen, Pfeifen
-und Heulen erfüllte die Luft.
-
-Unwillkürlich schloß Anna sich dichter an ihren Begleiter. Zum erstenmal
-setzte sie den Fuß auf Fahrenwaldschen Grund und Boden, und es war,
-als wenn die Geister und Dämonen, welche dieses Gebiet bewohnten, sie
-begrüßten.
-
-Der Baron fühlte ihre ängstliche Bewegung; er sagte sich, daß er sie
-nun da hatte, wo er sie haben wollte, haben mußte, aber es war wie ein
-Gefühl des Unrechts in ihm. Er kam sich vor, wie ein Jäger, der in einem
-fremden Erdteile ein Wild gefangen und es in seine Heimat geschleppt
-hat. Wird das fremde Geschöpf sich an die Luft der neuen Umgebung
-gewöhnen?
-
-In Gedanken verloren, waren sie schweigend fürbaß geschritten. Dann fing
-Anna an.
-
-»Siehst du,« sagte sie, »nun begreif' ich, warum sie deinen Park das
-schlesische Paradies nennen; das find' ich so schön, daß der Garten so
-offen ist; da können die armen, müden Leute, wenn sie von den Feldern
-draußen kommen, hereintreten und sich unter den schönen schattigen
-Bäumen erholen.«
-
-»Gefällt es dir?« fragte er zurück, »das freut mich. Früher, verstehst
-du, war ein Gitter rings um den Park herum; ich habe es wegnehmen
-lassen.«
-
-»Das hast du gethan?«
-
-»Ja,« sagte er einfach.
-
-Sie ruckte an seinem Arm; beide blieben stehen.
-
-»Eberhard,« sagte sie leise, indem sie ihm in die Augen sah, »weißt du,
-was ich glaube? Daß du der beste, gütigste Mensch bist, den es auf Erden
-gibt.«
-
-Er wandte das Haupt zur Seite, als wolle er ihrem Blicke ausweichen.
-Es gibt Menschen, die es nicht vertragen, daß man sich mit ihnen
-beschäftigt; vielleicht auch, daß er an den Vormittag zurückdachte, da
-er nahe daran gewesen war, den alten Johann zu erschlagen, und daß
-ihr Lob ihm darum ungerechtfertigt erschien -- er erwiderte nichts und
-drückte nur hastig ihre Hände. Dann schlang er ihren Arm wieder in den
-seinen und setzte den Weg mit ihr fort.
-
-Von der Allee bogen sie in einen Seitenweg ab, und indem sich nun der
-Park tief wie ein Wald vor ihr aufthat, sah und empfand Anna erst, wie
-schön und herrlich er war.
-
-»O Eberhard,« fuhr sie bewundernd heraus, »wie muß das alles herrlich
-sein, wenn es erst Frühling wird und alles in Laub und Blättern steht!«
-
-Nun warf er den Arm um sie her; sie fühlte seinen leidenschaftlichen
-Druck.
-
-»Meinst du, daß es schön sein wird? Glaubst du, daß es dir gefallen
-wird? daß du glücklich sein wirst? Glaubst du's?«
-
-»Ja doch, ja gewiß,« erwiderte sie, indem sie sich bemühte, ihn
-den Schreck nicht fühlen zu lassen, den seine plötzliche
-Leidenschaftlichkeit ihr eingejagt hatte.
-
-»Dann will ich dir etwas sagen,« fuhr er fort, indem er sie eng an sich
-preßte, »sprich nie von mir! Hörst du? Sag nie, daß ich gut bin! Von
-mir, siehst du, muß nie die Rede sein; das ist mir gerade recht, ist mir
-das allerliebste! Nur du bist da, und du sollst glücklich und zufrieden
-sein. Siehst du, ich will mal ein Bild brauchen, damit du's verstehst:
-du bist für mich wie die Sonne, und ich bin wie die Erde. Und wenn die
-Sonne scheint, siehst du, dann ist die Erde glücklich, daß sie sich um
-die Sonne drehen kann. Und mehr will ich nicht und brauch' ich nicht.
-Und darum gibt's für die Sonne nur eine Verpflichtung: nämlich, daß sie
-da ist und leuchtet, weiter gar nichts. Und nun sag' mir, wirst du
-daran denken? Und da sein für mich und leuchten? Wirst du's? Versprichst
-du's?«
-
-Was blieb ihr anders übrig, als es zu versprechen? Aber während sie es
-that, fühlte sie beklommenen Herzens, daß es nicht immer leicht sein
-mochte, nichts weiter als »Sonne« zu sein und immerdar zu leuchten.
-
-Indem sie dem Schlosse näher kamen, lichtete sich der Park, das
-Baumdickicht blieb hinter ihnen und der Weg führte an Rasenflächen und
-Blumenbeeten vorüber.
-
-Anna riß sich vom Arme des Bräutigams los und schlug in die Hände.
-
-»O herrlich!« rief sie, »hier beginnt mein Reich!«
-
-Sie lief einige Schritte voraus und achtete nicht darauf, daß ihre
-Füße in dem aufgeweichten Boden beinahe bis an die Knöchel einsanken.
-Zwischen den kahlen Blumenbeeten ging sie auf und ab.
-
-»O Eberhard,« rief sie, »Eberhard, wie sieht das hier aus! Da bekomme
-ich Arbeit! Da bekomme ich Arbeit!«
-
-Der Baron war hinter ihr stehen geblieben.
-
-»Geh nicht zu weit,« warnte er scherzend, »du ertrinkst mir am Ende
-noch, bevor du an deine Arbeit kommst.«
-
-Jauchzend flog sie zu ihm zurück. Blumen gab es also auch hier in
-dem verwunschenen Hause, und da wo Blumen sind, ist ja auch Licht!
-Im Augenblick aber, da sie ihm in die Arme fallen wollte, blieb sie
-jählings stehen. Jetzt erst bemerkte sie, was sie vorhin nicht gesehen
-hatte, daß sie unmittelbar vor dem Schloß standen.
-
-Auf einem Unterbau von mächtigen Granitquadern, der nur von wenigen,
-engen, vergitterten Fenstern durchbrochen war, erhoben sich zwei
-Stockwerke, deren jedes zwölf Fenster zeigte. Himmelhoch sah es von hier
-unten aus, die Mauern ganz grau, beinahe schwärzlich, wie angeblakt vom
-schweren Atem der Jahrhunderte; wie ein Gebirge lag es da, und obschon
-keine Sonne am Himmel stand, war es, als wenn es einen schweren Schatten
-über die Menschen würfe, die schweigend zu ihm aufblickten.
-
-»Du mußt nicht erschrecken,« sagte der Baron, als er in Annas Zügen den
-Eindruck wahrnahm, den die düstere Behausung in ihr hervorrief, »es
-ist ein altes Komtureigebäude, daher ist es so alt und sieht so finster
-aus.«
-
-»Aber weißt du,« erwiderte sie, indem sie sich in seinen dargebotenen
-Arm hing, »wenn du es mit frischer Farbe anstreichen ließest, würde es
-gewiß viel freundlicher aussehen.«
-
-Er nickte zufrieden.
-
-»Siehst du,« sagte er, »das ist gleich ein vortrefflicher Gedanke. Ich
-merke schon, es kommt mit dir ein neuer Geist ins alte Haus.«
-
-Er führte sie darauf durch eine Halle, die vom Garten nach dem Hofe
-hindurchging, und als Anna, mit offenem Munde, stehen bleiben und
-den großen, seltsam ausgeschmückten Raum bewundern wollte, zog er sie
-weiter.
-
-»Komm,« mahnte er, »es ist kalt hier drin.«
-
-In dem schwachen Lichte, das durch enge Fenster hereinfiel, hatte
-sie nur soviel sehen können, daß die Wände von oben bis unten
-mit Jagdtrophäen und Jagdgeräten behangen waren. Hirschgeweihe,
-Wildschweinsköpfe und Köpfe von Elentieren, mit lang herabhängenden
-Schnauzen, ragten aus den Mauern hervor; das Jagdgerät und die Waffen
-schienen uralt zu sein; ein riesiger Kamin, in dem kein Feuer brannte,
-befand sich in der einen Wand.
-
-Sie traten auf den Hof hinaus, den auf der einen Seite das Schloß, auf
-der andern ein Wirtschaftsgebäude umgab, und hier öffnete sich das Thor,
-das zu den oberen Räumen führte.
-
-Durch einen Vorflur, dessen Boden mit Steinfliesen belegt war, und wo
-rechts und links zwei alte große Bilder an den Wänden hingen, Pferde
-in Lebensgröße darstellend, die von Stallknechten in der Kleidung des
-siebzehnten Jahrhunderts geführt wurden, gelangte man an die Treppe.
-
-Es war eine Stiege von altem dunklen Eichenholz, mit so flachen Stufen,
-daß man das Steigen kaum gewahr wurde. Schwere Geländer liefen zu beiden
-Seiten hinauf.
-
-Anna wußte kaum, wie ihr zu Mute war, als sie in diese wuchtige, von
-Jahrhunderten gesammelte und aufgespeicherte Pracht hineinschritt; die
-Erinnerung an den Abend kam ihr zurück, als sie zum erstenmal in seinem
-Wagen nach Hause gefahren war.
-
-Der Mann an ihrer Seite aber preßte ihren Arm und ließ ihr keine Zeit
-zum Besinnen.
-
-»Hast du gehört,« fragte er, indem er sie die Stufen hinaufzog, »wie die
-alte Treppe geknackt hat? Das ist eine gute Vorbedeutung; sie hat die
-neue Herrin erkannt und sie begrüßt.«
-
-Stumm drückte sie ihm die Hand. Sie hätte so gerne etwas Fröhliches
-erwidert, aber das fremdartige Neue, das sie umgab, lastete auf ihrer
-Brust.
-
-Es war ein altertümlich gebautes und verbautes Haus mit lichtlosen
-Räumen. Die Treppe mündete in einen Flur, der keine Fenster hatte,
-sondern nur durch eine hoch oben im Dache angebrachte Glasscheibe so
-viel Helligkeit empfing, daß man die Gegenstände ringsumher erkennen
-konnte. Eine schmalere Treppe leitete vom ersten zum zweiten Stockwerke
-hinauf; der Haupttreppe gegenüber öffnete sich ein Gang, an dessen
-rechter, nach dem Hofe gelegener Seite sich eine Reihe kleiner, winklig
-ineinander geschobener Gemächer befand; die eigentlichen Wohn- und
-Staatszimmer lagen vom Eintretenden links, durch eine Glasthür vom Flure
-getrennt.
-
-Als der Baron mit Anna die Treppe bis zum ersten Stock hinaufgestiegen
-war, öffnete sich die Glasthür und es erschien eine Gestalt, die Anna,
-in dem Dämmer, der sie umgab, kaum zu erkennen vermochte. Es war der
-alte Johann, der lautlos daran ging, seinem Herrn und dessen Begleiterin
-die Mäntel abzunehmen.
-
-Hinter der Glasthür war noch ein Vorraum, und hier herrschte eine so
-völlige Dunkelheit, daß Anna nur tappend weiter zu schreiten vermochte.
-Plötzlich aber brach Licht herein. Der Baron hatte eine Thür geöffnet,
-die Anna nicht gesehen hatte; an der Hand zog er sie über die Schwelle,
-und mit einem unwillkürlichen »Ah« -- des Staunens und der Bewunderung
-stand sie mitten im Zimmer.
-
-Der Raum, der sie umgab, war ein großer, viereckiger Saal, dessen Decke
-in gotischen Spitzbogen gewölbt war und dessen Wände von großen, vom
-Fußboden bis an die Decke reichenden Bücherschränken eingenommen
-wurden. Die Schränke waren durch dicke, rotbraune Holzsäulen voneinander
-getrennt, die kunstvoll, in Gestalt von Palmbaumstämmen ausgeschnitzt
-waren. In den Schränken drängte sich eine Masse von Büchern; vom Knaufe
-der Decke, in dem die Spitzbogen des Gewölbes zusammenliefen, hing ein
-schwerer, altertümlicher Kronleuchter herab und unter dem Kronleuchter,
-inmitten des Raumes, stand ein Frühstückstisch für zwei Menschen
-zugerichtet.
-
-Der Baron trat an den Tisch.
-
-»Du mußt hungrig geworden sein,« sagte er, »wollen wir gleich
-frühstücken?«
-
-Anna aber stand in Staunen befangen und erstarrt.
-
-»Nachher,« erwiderte sie auf die Einladung des Barons, »erst muß ich mir
-das alles ansehen. Das ist ja zu merkwürdig!«
-
-Sie ging von Schrank zu Schrank, sie befühlte mit den Händen die
-geschnitzten Säulen und sah erst jetzt, welche Fülle erfinderischer
-Kunst dahineingelegt war. An den Palmen kletterten, in Holz geschnitzt,
-Affen, Leoparden und andre fremdartige Tiere auf; in den Wipfeln, die
-sich unter der Deckenwölbung ausbreiteten, sah man Papageien und andre
-Vögel sich wiegen.
-
-»Wie wundervoll,« sprach sie staunend vor sich hin, »wie wundervoll.«
-
-Der Baron verfolgte schweigend ihr Umherwandern.
-
-»Das ist Holzschnitzerei aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts,«
-erklärte er.
-
-Aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts -- Anna blieb stehen und
-sah zu ihm hinüber. Das war ja ein königliches Besitztum -- und in
-dem sollte sie gebieten? Sie, das dürftige Gewächschen des neunzehnten
-Jahrhunderts?
-
-Sie trat vor den Kamin, in dem ein Feuer von mächtigen Holzscheiten
-prasselte; dann ging sie an die Fenster und bemerkte, daß sie auf den
-Park hinausgingen und daß sie sich hier am Ende der Schloßfront befand.
-Zu ihrer Rechten war die Thür geöffnet, durch die man in die anstoßenden
-Gemächer blickte. Die Thüren all dieser Zimmer standen offen, so daß
-sich der Blick in einer schier endlosen Flucht von Räumen verlor, aus
-denen ein unbestimmtes Leuchten und Glänzen zu ihr drang. Sie ahnte,
-daß in allen diesen Gemächern eine gleiche Pracht wie in diesem ersten
-herrschen mochte. Stärker als Hunger und Durst war die Neugier.
-
-»O Eberhard,« sagte sie leise, indem sie die Hände zusammenlegte,
-»thu mir's zuliebe, zeig mir das alles erst. Frühstücken können wir ja
-nachher.«
-
-Er war bereit, und an seiner Seite ging sie nun über den spiegelglatten
-Parkettboden in das nächste Zimmer und von da weiter.
-
-Die Räume waren, wie man das in alten Häusern findet, launenhaft
-unsymmetrisch gebaut; bald in Form von langen, schmalen Gängen, bald zu
-tiefen Gelassen ausgeweitet.
-
-Allen gemeinsam aber war die reiche Pracht der Ausstattung. Ein
-altertümlicher schwerer Prunk herrschte in dem Mobiliar. Tiefrückige
-Sofas, mit vergoldeten, in Löwenköpfen auslaufenden Armlehnen;
-Lehnstühle von schwarzem Ebenholz; dazwischen, einer jüngeren
-Epoche entstammend, kleine Stühle von zartem, vergoldetem Holz und
-Rohrgeflecht. Dunkelroter Sammet in dem einen, dunkelblauer Sammet in
-dem nächsten Zimmer, dann wieder Polster von goldgepreßtem Seidenstoff.
-An den Wänden große Spiegel in massiv goldenen oder silbernen Rahmen und
-eine Fülle von Bildern. Unter diesen, die sämtlich von älteren Meistern
-herrührten, vielfach hervorragende Werke; wie denn überhaupt die ganze
-Ausschmückung der Räume den Eindruck erweckte, daß ein hochentwickelter
-Kunst- und Schönheitssinn zur geistigen Erbschaft der Fahrenwalds
-gehörte.
-
-Am liebsten wäre Anna vor jedem einzelnen Bilde stehen geblieben; aber
-dann hätte sie bis zum Abend stehen können, und heut abend wollten
-sie doch wieder in Breslau zurück sein. Darum ließ sie sich von ihrem
-Begleiter weiterführen, und nur in einem der Gemächer machte sie
-unwillkürlich vor den Gemälden Halt.
-
-Es war dies ein gangartiger Raum, ungefähr wie eine Galerie. Auf
-der Tapete von dickem purpurrot gefärbten Leder hing eine Reihe von
-Porträts, Männer und Frauen darstellend, offenbar die hauptsächlichen
-Vertreter des Geschlechts.
-
-Aus dem sechzehnten Jahrhundert kamen sie hervor und gingen bis in die
-Neuzeit, eine gemalte Chronik der wandelnden Tracht und Kultur.
-
-Die Augen des jungen Weibes hafteten an den Kleidungen, daneben
-aber beschäftigte es sie, den stark hervortretenden Zug von
-Familienähnlichkeit wahrzunehmen, der die Gesichter innerlich verband.
-Lauter edle, fein ausgearbeitete Physiognomieen, mit bleichen Zügen und
-dunklen, schwermütigen Augen, eine Reihe von Menschen, von denen der
-vorhergehende immer dem nachfolgenden die schwere Bürde des Lebens
-auf die Schultern zu legen schien, froh, daß er sie nicht länger zu
-schleppen brauchte.
-
-Annas Blicke gingen zu Eberhard hinüber, dem letzten Fahrenwald, der mit
-offenbarer Ungeduld an der Thür zum nächsten Zimmer ihrer wartete, und
-sie stellte fest, daß sein Aeußeres ihn als echten Nachkommen seiner
-Vorfahren verkündete.
-
-Als sie seine Ungeduld bemerkte, riß sie sich los, um ihm zu folgen,
-an der Thür zum Nebenzimmer aber hing ein Bild, das ihre Schritte wider
-ihren Willen bannte.
-
-Ein alter, weißhaariger Mann, in langem schwarzen Rock, über den am
-Halse ein breiter, spanischer Spitzenkragen fiel, saß an einem Tische,
-auf dem sich Phiolen, Retorten und all die Geräte befanden, wie sie vor
-Zeiten die Alchimisten gebraucht hatten.
-
-Das aber, was den Beschauer an das Bild fesselte, waren die Augen des
-alten Mannes; diese Augen waren schrecklich. Stier und starr, mit einer
-Wut im Ausdruck, die lebendig geblieben zu sein schien, nachdem der
-Körper des Mannes längst im Grabe zerfallen war, bohrten sie aus der
-Leinwand hervor.
-
-Während Anna sprachlos vor dem Gemälde stand, trat der Baron zu ihr
-heran und faßte sie, beinah heftig, am Arm.
-
-»Komm fort,« sagte er. Der Ton seiner Stimme war rauh, wie nie zuvor.
-
-Von dem unheimlichen Anblick gefesselt, stand sie noch immer.
-Jetzt wandte er sich nach der Thür, durch welche sie in die Galerie
-eingetreten waren.
-
-»Hatte ich dir nicht befohlen, das Bild fortzunehmen?«
-
-Sie drehte den Kopf -- zu wem sprach er?
-
-In der Thür stand der alte Johann, der, wie es schien, lautlos hinter
-ihnen drein gekommen war.
-
-Sie sah, wie er langsam den Kopf vorstreckte und die Augen auf den Baron
-richtete.
-
-»Gnädiger Herr,« sagte er, »haben nichts davon befohlen.«
-
-In dem Augenblick fühlte Anna, deren Arm in dem des Barons lag, wie
-ein Zucken durch dessen Körper ging. Seine Gestalt reckte sich in allen
-Gelenken, so daß er Anna um mehr als Kopfeslänge überragte.
-
-»Wenn ich's also wirklich noch nicht befohlen haben sollte,« fuhr er
-fort, indem er über sie hinweg sprach, »so befehl' ich es jetzt. Das
-Bild kommt fort von der Wand! Gleich auf der Stelle! Jetzt!«
-
-Nun kam der alte Diener, immer den Kopf vorgestreckt, und immer die
-Augen auf seinen Herrn gerichtet, zwei Schritte näher.
-
-»Das soll fort? Das Bild von dem alten Herrn?«
-
-»Ja -- hast du mich nicht verstanden?« erwiderte der Baron, und seine
-Stimme rollte dumpf empor.
-
-»Wohin -- soll ich's denn bringen?«
-
-Der Baron überlegte einen Augenblick.
-
-»Oben hinauf,« befahl er dann, »in die grüne Kammer.«
-
-In den Augen des alten Dieners zuckte ein grelles Licht auf; es sah aus,
-als traute er seinen Ohren nicht.
-
-»Das Bild --« fragte er, beinah drohenden Tons, »von hier fort? in die
-grüne Kammer?«
-
-Und jetzt geschah etwas, das Anna mit eisigem Schreck überlief; von dem
-Mann an ihrer Seite, von dessen Mund sie bisher nur Töne sanftester Güte
-vernommen hatte, kam plötzlich ein unbeschreibbarer Laut.
-
-»Wenn dir das also nicht paßt,« schrie er, »dann also anders: auf den
-Boden mit dem Bild!«
-
-Der alte Johann erwiderte nichts, rührte sich aber auch nicht vom Fleck,
-nur sein Mund that sich halb auf, daß man die langen Zähne darin sah.
-
-In der Brust des Barons stieg etwas herauf, gurgelnd und rauschend, wie
-eine steigende Flut.
-
-»Auf den Boden damit, hast du mich gehört?«
-
-Diesmal schrie er nicht, er brüllte. Anna blickte auf; sein Gesicht war
-verzerrt.
-
-Ein furchtbares Entsetzen überkam sie.
-
-»Eberhard!« kreischte sie auf.
-
-Als er den Schrei vernahm, senkte er den Blick zu ihr. Sie stand
-leichenblaß, mit schlotternden Gliedern, die Hände wie flehend und
-zugleich wie abwehrend zu ihm erhoben. In dem Augenblick war es, als
-knickte sein aufgestraffter Körper in sich zusammen, die lodernde Wut in
-seinen Augen erlosch, um einem maßlosen Erschrecken zu weichen, und mit
-einem dumpfen »o mein Gott« schlang er beide Arme um sie, riß sie an
-seine Brust, und so, indem er sie an sich gepreßt hielt, zog er sie
-aus der Galerie in das anstoßende Gemach, wo er sie auf das Sofa
-niedersinken ließ.
-
-Sobald sie Platz genommen, sank er knieend zu ihren Füßen, das Haupt in
-ihren Schoß gedrückt, die Hände um sie gelegt, als fürchtete er, daß
-sie aufspringen und entfliehen würde. Daran aber hätte Anna wohl kaum
-gedacht, sie fühlte sich von dem eben erlebten Schreck ganz kraftlos
-und gebrochen. Sie mußte die Zähne aufeinanderpressen, damit sie nicht
-klappernd zusammenschlugen, ihre Glieder zitterten wie im Frost.
-
-Als der Baron das Beben ihres Leibes verspürte, hob er das Gesicht zu
-ihr auf.
-
-»Aengstige dich nicht,« flehte er, »ängstige dich nicht.«
-
-Aber er sah ihre Augen mit stummem Grauen auf sich gerichtet.
-
-»Es war ja um deinetwillen, daß ich so heftig wurde,« fuhr er fort,
-»weil ich sah, daß das Bild dich erschreckte.«
-
-Und als sie noch immer nicht im stande war, ein Wort zu erwidern,
-drückte er das Haupt wieder in ihren Schoß und schüttelte es und faßte
-sie fester mit den Händen.
-
-»Geh nicht von mir!« stöhnte er, »verlaß mich nicht!«
-
-Bei diesem Worte wurde ihr wieder weich und warm. Schweigend breitete
-sie die Arme um ihn her, senkte das Gesicht auf sein Haupt und ein Strom
-von Thränen, der lautlos aus ihren Augen brach, verkündete, daß das Eis
-geschmolzen war, das sich für einen Moment um ihre Seele gelegt und sie
-von ihm getrennt hatte.
-
-So saßen sie schweigend bei einander, lange Zeit. Das einzige Geräusch,
-das man vernahm, war das Knistern des Holzes im Kamin, das in sich
-zusammenfiel, um sich in Kohle zu verwandeln und danach zu Asche zu
-werden. Sonst regte sich kein Laut, und es war, als hauchten die alten
-Möbel, die Bilder an den Wänden die dumpfe Stille aus, die wie eine Last
-im Zimmer lag. Es war, als thäten sich geräuschlos in Winkeln und Ecken
-und in der Luft umher Augen auf, dunkle, schwermütig forschende Augen,
-als blickten sie fragend auf die beiden in sich versunkenen Menschen
-dort, und als blinzelten sie sich gegenseitig zu, Gedanken tauschend,
-wie die Abgeschiedenen sie verstehen, die Lebenden aber nicht.
-
-Endlich hatte Anna ihre Fassung wieder erlangt.
-
-»Komm weiter,« sagte sie, indem sie sich vom Sofa erhob.
-
-Er stand auf.
-
-»Nun wirst du wohl nichts mehr sehen wollen?« fragte er.
-
-Sie fühlte, daß sie ihm Mut machen müsse.
-
-»O ja, gewiß,« versetzte sie, »du hast es mir versprochen, und
-Versprochenes muß man halten.«
-
-Sie hing sich in seinen Arm, sie bemühte sich, einen leichten Ton
-anzuschlagen und ihm zu zeigen, daß alles überwunden und vergessen sei.
-
-So führte er sie denn weiter, bis daß sie am andern Ende der
-Zimmerflucht in zwei kleinere, freundlichere Gemächer gelangten.
-
-»Siehst du,« sagte er, stehen bleibend, »dies, hatte ich gedacht, sollte
-dein Wohnzimmer sein, und dort nebenan solltest du schlafen.«
-
-Anna blickte umher.
-
-»O ja,« meinte sie, »hier könnte es mir gefallen.«
-
-Sie ging ans Fenster.
-
-»Da hab' ich ja gerade meine Blumen vor mir,« sagte sie, indem sie in
-den Garten hinunterblickte. »Das macht sich alles ganz vortrefflich.
-Nur, weißt du, was ich möchte? Daß das Zimmer vielleicht eine andere
-Tapete bekäme.«
-
-Sie trat an die Wand und befühlte den dicken, dunkelbraunen Stoff, mit
-dem sie bekleidet war.
-
-»Das ist ja alles ganz prachtvoll,« fuhr sie fort, »und die eingepreßten
-Goldmuster geradezu kostbar, aber siehst du, ich bin nun einmal ein
-Kind unsrer Zeit und möchte es gern ein bißchen heller haben und
-freundlicher.«
-
-Der Baron machte ein Gesicht wie ein vergnügtes Kind.
-
-»Aber Anna,« rief er, »das ist ja mein Gedanke gewesen von Anfang an!
-Alle Zimmer miteinander möchte ich umtapezieren lassen, damit mehr
-Licht in die alte Finsternis kommt. Und in Breslau habe ich ein Muster
-gesehen, weißen Untergrund mit goldenen und blauen Blumen, etwas reizend
-Freundliches, den suchen wir uns, gleich morgen, nicht wahr?«
-
-Sie nickte ihm zu.
-
-»Gleich morgen,« sagte sie.
-
-Er ergriff ihre Hände. Es sah aus, als wolle er sich bei ihr bedanken.
-
-»Und andre Möbel darf ich dir auch hineinstellen? Nicht wahr? Diese
-alten, schweren Sessel mit den riesigen Lehnen, diese bauschigen Sofas,
-das ist doch alles nichts für dich? Nicht wahr? Etwas recht Zartes,
-Luftiges und Duftiges suchen wir uns aus, das erlaubst du mir? Nicht
-wahr? Hast du Rosenholz gern?«
-
-Sie sah ihm in die Augen und neigte das Haupt.
-
-»Alles, was dir gefällt, wird auch mir gefallen, und was du mir
-schenkst, nehme ich gern.«
-
-Ein Freudenschein zuckte über sein Gesicht. Er machte eine Bewegung,
-um sie zu küssen, bevor er aber dazu gelangte, bog er den Kopf wieder
-zurück. Der ängstliche Ausdruck, mit dem er sie ansah, verriet, daß er
-sich nicht getraute. Er dachte an den Auftritt von vorhin.
-
-Anna schob langsam die Hände an seinen Armen hinauf, bis daß sie auf
-seinen Schultern ruhten. Da stand er vor ihr, der Besitzer all dieser
-Pracht und Herrlichkeit, der gegenüber sie sich wie eine Bettlerin
-erschien, da stand er, der starke Mann, in dessen Armen sie wie Glas
-zersplittert wäre, wenn seine Kraft sich gegen sie gewandt hätte -- und
-bat sie, demütig wie ein Knabe, ihr all seinen Reichtum zu Füßen legen
-zu dürfen, und wie ein Schuldbewußter wagte er nicht, sie zu küssen. Und
-worin bestand denn seine Schuld? Ein unaussprechliches Mitleid quoll ihr
-im Herzen empor, die Thränen drängten sich ihr in die Augen. Aber sie
-wollte ihn keine Thränen sehen lassen, sie zwang sich zum Lächeln, und
-so, weil ihr trotz allem Widerstand die Augen dennoch übergingen, hob
-sie sich auf den Fußspitzen empor, und unter Thränen und Lächeln
-suchte sie mit ihrem Munde seinen Mund. Aufatmend, wie nach tiefer
-überstandener Qual, beugte er sich zu ihr herab, und der Kuß, in dem sie
-sich zusammenfanden, war wie ein gegenseitiges Versprechen, daß sie nun
-ein neues Leben begründen wollten in dem alten, ausgestorbenen Hause.
-
-Raschen Schrittes kehrten sie darauf zu dem Saale zurück, wo das
-Frühstück angerichtet stand. Die warmen Speisen waren inzwischen kalt
-geworden, aber das störte die Laune nicht. Auch war neben den warmen
-Gerichten kalter Braten in genügender Fülle da, um sich daran satt zu
-essen. Während der alte Johann die Teller wechselte, schenkte der Baron
-ihr Wein ein, und sie trank ein tüchtiges Glas. Sie war nun ganz
-heiter, ganz ihrem Berufe als »Sonne« treu, und der Baron, ihre »Erde«,
-leuchtete in ihrem Lichte auf.
-
-Das einzige, was sie einigermaßen hätte stören können, war der Anblick
-des alten Dieners, der schweigend aufwartete und, während sie aßen und
-tranken, hinter dem Stuhle seines Herrn stand.
-
-Unwillkürlich gingen ihre Blicke von Zeit zu Zeit zu ihm hin, und immer
-sah sie ihn dann in einer ganz seltsamen Haltung, regungslos, den Kopf
-wie in brütendem Sinnen zu Boden gesenkt, an seinem Platze stehen.
-
-Offenbar dachte er immer noch darüber nach, wie furchtbar und eigentlich
-grundlos der Baron ihn vorhin angefahren hatte. Das that ihr so leid
-um den alten Mann. Sie fühlte das Bedürfnis, ihm irgend eine kleine
-Freundlichkeit zu erweisen. Zwischen Herrn und Diener war offenbar eine
-Spannung; es wäre ihr so lieb gewesen, wenn sie das Verhältnis zu einem
-guten hätte machen können; Menschen, die so einsam leben, wie sie drei
-nun bald leben würden, müssen sich doch verstehen, dürfen nicht mit
-feindseligen Gedanken umeinander hergehen.
-
-»Aber wissen Sie, Johann,« fing sie möglichst unbefangenen Tones an,
-indem sie den Kopf zu ihm erhob, »ich muß Ihnen wirklich mein Kompliment
-machen, wie das Schloß im Stande gehalten ist. Da ist ja kein Stäubchen
-und kein Fleckchen, und das Feuer in den Kaminen --« Sie brach im Satze
-ab.
-
-Der Alte, als er seinen Namen von ihrem Munde hörte, hatte langsam, wie
-aus einem Traume zurückkommend, den Kopf erhoben und die Augen auf sie
-gerichtet, und als sie seine Augen sah, konnte sie nicht weiter.
-
-Was für Augen waren das! Stierend, bohrend, als wollten sie sich durch
-ihre Augen hindurch bis in das Mark ihres Lebens hineinwühlen. Dabei
-that sich, wie sie es vorhin schon an ihm wahrgenommen hatte, sein Mund
-halb auf, so daß die langen Zähne sichtbar wurden, der Kopf schob sich
-nach vorn, und das ganze Gesicht nahm einen Ausdruck an -- ja, was war
-es nur für ein Ausdruck? Anna begriff ihn zuerst gar nicht, dann kam ihr
-das Bewußtsein: das war ja Haß! Wütender Haß! Sie hing wie gebannt an
-diesem Gesicht. -- Was hatte sie ihm gethan? War er so erbittert über
-sie, weil sie ahnungslos die Ursache gewesen war, daß sein Herr so
-heftig gegen ihn wurde?
-
-Der Baron, der nervös aufgezuckt war, als sie sich an den Alten wandte,
-hatte ihr plötzliches Verstummen bemerkt. Jetzt sah er ihr totenblasses
-Gesicht und ihre verstörten Augen.
-
-»Ist dir etwas?« fragte er.
-
-Er faßte nach ihrer Hand; ihre Hand war eiskalt.
-
-»Ist dir unwohl?« wiederholte er hastig seine Frage.
-
-Sie schüttelte den Kopf. Von der Stuhllehne, an die sie zurückgesunken
-war, richtete sie sich gewaltsam auf. Sie drückte seine Hand, als wollte
-sie ihn beruhigen.
-
-»Nein, nein, nein,« erwiderte sie. Ihre Stimme war gepreßt, ihre Augen
-gingen zu den Büchern hinüber und von den Büchern in irgend eine Ecke.
-Es war, als flüchteten sie sich, als wüßten sie nicht mehr, wo sie
-hinblicken sollten. Aufzuschauen wagte sie nicht, denn da stand ja der
-Alte; den Baron anzuschauen vermochte sie auch nicht, denn sie spürte,
-wie die wilde Unruhe in sein Gesicht zurückkehrte. Der seltsame Raum, in
-dem sie sich befand, die fremdartigen Tiergestalten in den geschnitzten
-Palmen -- es war, als wenn das alles zu einem lautlosen, unheimlichen,
-gespenstischen Leben erwachte, als wenn es wirklich ein verwunschenes
-und verzaubertes Haus sei, in das sie sich tollkühn hineingewagt hatte,
-und aus dem es nun kein Entrinnen mehr gab. Eine betäubende Angst legte
-sich auf sie, es war ihr zu Mute, als würde ihr eine schwere bleierne
-Haube über den Kopf gezogen.
-
-Jählings stand sie auf.
-
-»Ach, weißt du,« sagte sie mit taumelnder Stimme, »ich glaube, wir
-möchten nach Haus fahren -- ich glaube, es wird Zeit.«
-
-Mit einem Sprunge war er neben ihr; er hatte gesehen, wie sie wankte;
-er schlang den Arm um sie; mit lastender Wucht lehnte sie an seiner
-Schulter.
-
-»Der Wagen soll vorfahren!« herrschte er dem Alten zu.
-
-Sobald dieser hinaus war, beugte er sich zu ihr.
-
-»Was ist dir?« forschte er voller Besorgnis, »ist dir etwas geschehen?
-Hat dir jemand etwas gethan?«
-
-Sie suchte mit den Augen umher -- der Alte war fort. Ihre Lippen
-bewegten sich lallend.
-
-»Er -- ich weiß nicht, was ich ihm gethan habe -- hat mich so
-schrecklich angesehen.«
-
-»Der Johann?«
-
-Sie drückte das Gesicht an seine Brust.
-
-»Um Gottes willen bleib ruhig,« bat sie. Schon hörte sie, wie die
-steigende Flut in seiner Brust wieder zu rauschen begann; schon fühlte
-sie, wie der Griff seiner Hand, mit der er sie umschlungen hielt, wieder
-eisern wurde.
-
-»Ich schicke ihn fort!« knirschte er.
-
-»Nein,« flehte sie, »nicht um meinetwillen!«
-
-»Ich jage ihn fort!« wiederholte er drohend.
-
-Sie waren, indem er das sagte, auf den Flur hinausgetreten; er hatte so
-laut gesprochen, daß seine Worte durch den ganzen Treppenraum hallten.
-Am Fuße der Treppe stand der alte Johann; er hatte hören müssen, was der
-Baron eben gesagt hatte. Und nun begab sich etwas Unerhörtes.
-
-Indem der Baron mit Anna die Treppe hinabzusteigen begann, knickte der
-Alte da unten in die Kniee und fiel zu Boden, beide Hände nach oben
-ausgestreckt. Das Haar hing ihm wirr übers Gesicht, seine Augen waren
-ganz rot; seine Brust arbeitete und sein Mund war weit offen. Aber er
-brachte nichts hervor, als ein dumpfes Keuchen; mit plattem Leibe warf
-er sich auf die Treppe, so daß sein grauer Kopf auf den Stufen lag.
-
-»Jesus, Gottes Sohn --« stammelte Anna, indem sie, von Grausen gepackt,
-den Arm ihres Begleiters umklammerte und ihn zum Stillstehen zwang.
-
-Jetzt fing der Alte mit dumpfer, heulender Stimme an: »Gnädiger Herr
-wollen mich fortjagen -- und ich habe gnädigen Herrn auf den Armen
-getragen -- und ich bin immer mit gnädigem Herrn gewesen -- und habe
-immer nichts andres gedacht, als was gnädigem Herrn gut wäre und gesund
--- und gnädiger Herr wollen mich fortjagen --«
-
-Annas Hand krallte sich in den Arm ihres Bräutigams, sie wußte
-kaum mehr, was sie that; sie fühlte, wie die Ohnmacht ihre Augen zu
-verdunkeln begann.
-
-»Sag ihm, daß du ihn behältst,« raunte sie mit fliegendem Atem; »wenn du
-mich lieb hast, sag ihm, daß du ihn behältst!«
-
-Der Baron strich mit leiser Hand über ihr glatt gescheiteltes Haar; die
-Ruhe war ihm zurückgekehrt.
-
-»Steh auf, Johann,« sagte er, »du sollst bleiben, ich jage dich nicht
-fort.«
-
-Schwerfällig raffte sich der alte Mann auf und trat an den Fuß der
-Treppe zurück. Er blickte nicht auf, seine Arme hingen herab, mit der
-rechten Hand wischte er den Treppenstaub von seinem Rock.
-
-»Und hier, bei dem gnädigen Fräulein bedanke dich,« fuhr der Baron fort,
-indem er mit Anna bei ihm vorüberschritt, »küß ihr die Hand, sie hat für
-dich gebeten.«
-
-Knechtisch gebeugten Hauptes trat der Alte auf Anna zu, um ihr die Hand
-zu küssen. Solcher Bezeigungen ungewohnt, wollte Anna es nicht dulden.
-Der Baron stieß sie heimlich an.
-
-»Thu's,« flüsterte er ihr zu, »es muß sein!«
-
-Nun überließ sie ihm ihre Hand, die der Diener, ohne die Augen zu
-erheben, an den Mund führte.
-
-Indem sie die gebrochene Gestalt vor sich sah, überkam sie ein wahres
-Jammergefühl. Unwillkürlich drückte sie seine Hand.
-
-»Das alles wird vorübergehen,« sagte sie mit wohlwollendem Trost, »ich
-weiß ja, wie treu Sie dem Herrn Baron immer gewesen sind, und das sollen
-Sie auch in Zukunft bleiben, und dann werden wir ganz gewiß gute Freunde
-werden, ganz gewiß.«
-
-Sie vermochte nicht zu erkennen, welche Wirkung ihre Worte auf den Alten
-hervorbrachten; ohne aufzublicken, zog er sich zurück, und gebeugten
-Hauptes blieb er stehen, bis Anna mit ihrem Begleiter auf den Hof
-hinausgetreten war. Sie stiegen ein; der Wagen rollte ab, und als das
-Schloß hinter ihnen lag, fühlte Anna es wie eine Erleichterung. Aus dem
-Bereiche der Gespenster und Dämonen kehrte sie zu den Menschen zurück.
-
-Von den Aufregungen erschöpft, die sie durchlebt hatte, lehnte sie blaß
-und schweigend in der Wagenecke; der Baron saß gleichfalls mit seinen
-Gedanken beschäftigt; so kamen sie auf der Bahnstation an, und als der
-Abend einbrach, waren sie wieder in Breslau.
-
-In seinem Coupé brachte er sie zu ihrer Wohnung; im Hausflur nahmen sie
-Abschied voneinander.
-
-»Du siehst so müde aus,« sagte er, indem er sie in die Arme nahm. »Wirst
-du auch gut schlafen?«
-
-Sie nickte stumm.
-
-Er stand noch immer und hielt sie umschlungen; sie fühlte, wie schwer
-es ihm wurde, von ihr zu gehen. Es war, als wenn er noch eines guten
-Wortes, eines Trostes bedürfte. Sie nahm sich zusammen und sah ihn
-freundlich lächelnd an.
-
-»Ich werde gut schlafen,« versicherte sie, »sei ganz unbesorgt, und
-morgen holst du mich ab, damit wir uns die Tapeten ansehen.«
-
-Das gab ihm das Leben wieder. Freudig drückte er ihre Hand.
-
-»Ja, ja, morgen komm' ich, und dann holen wir uns das neue Leben in das
-alte Haus!«
-
-Als Anna zu dem Onkel und der Tante zurückkam, saßen die beiden
-alten Leute und spielten »Rabouge«, ein Kartenspiel ältester Art, das
-heutzutage kaum jemand mehr kennt. Das war ihre Beschäftigung, einen
-Abend wie alle Abende. Von dem jungen Mädchen, das mit leisem »guten
-Abend« zu ihnen eintrat, nahmen sie so gut wie keine Notiz. Man konnte
-zweifeln, ob sie überhaupt wußten, daß sie den Tag über fortgewesen war.
-
-Anna war daran gewöhnt. Ohne weiter zu sprechen, setzte sie sich in
-einiger Entfernung von den Spielenden nieder, so daß die Lampe, die
-auf dem runden Tisch stand, gerade noch genug Licht für ihre Handarbeit
-abgab, dann häkelte sie still vor sich hin und dachte nach.
-
-Welch ein Kontrast! Heut am Tage das Fahrenwaldsche Schloß, und jetzt
-hier diese Behausung! Daß die Wohnung ärmlich war, hatte sie wohl immer
-gewußt -- wie erbärmlich sie war, fühlte sie heut abend zum erstenmal
-ganz. Als sie nach Haus gekommen war, hatte sie das Behagen empfunden,
-daß sie wieder in Sicherheit sei -- jetzt, da sie in Sicherheit saß,
-fühlte sie, daß diese gleichbedeutend mit Oede und Langeweile war.
-
-Hier diese dumpfen, stumpfen alten Menschen, die vom Leben nichts mehr
-wissen wollten, die kein Wort, kaum einen Blick für sie übrig hatten
--- und dort drüben der Mann, der nur ein Verlangen hatte, aus Nacht
-und Grauen ins helle gesunde Leben zu gelangen, der nach ihrer
-Persönlichkeit lechzte, wie der Verschmachtende nach dem Wasser!
-
-Als sie heute mittag auf Schloß Fahrenwald beim Frühstück gesessen
-und das Todesgrauen empfunden hatte, mit dem all das Unverständliche,
-Unbegreifliche über sie herfiel, war der Gedanke in ihr aufgestanden,
-daß es ihr unmöglich sein würde, dort in Zukunft zu leben, daß sie
-das Verhältnis mit Eberhard von Fahrenwald abbrechen müsse -- jetzt
-verblaßten die Schrecken und das Schöne blieb.
-
-Sie dachte an den Park zurück, den herrlichen, walddunkeln, waldtiefen
-Park, und vergegenwärtigte sich, wie schön es sein würde, wenn er im
-Frühling, Sommer und Herbst ihr zu Häupten rauschte. An die Räume des
-Schlosses dachte sie, die schweigenden, feierlichen Gemächer, an die
-Bilder der Männer und Frauen, mit den edlen leidvollen Gesichtern. War
-es ihr nicht, indem sie an sie dachte, als wenn sie die Lippen aufthäten
-und sprächen: »Fürchte dich nicht vor uns -- wir sind nur unglücklich,
-nicht böse.« War es nicht, als zeigten sie mit den stummen dunklen Augen
-auf ihn, den Letzten ihres Stammes, und als sprächen sie: »Hilf ihm --
-nur du kannst ihm helfen -- und auch er ist nicht böse.«
-
-Ach -- ob sie es wußte, daß er nicht böse war!
-
-Als sie am späteren Abende ihr Schlafkämmerchen aufgesucht hatte, lag
-sie knieend vor ihrem dürftigen Bett, die gefalteten Hände in die Kissen
-gestützt, bitterlich weinend.
-
-Es war ihr, als stände er vor ihr und sähe sie an mit den schwermütigen,
-bittenden Augen, als hätte er in ihrem Herzen die Gedanken gelesen, die
-ihm die Treue gebrochen hatten, und als müßte sie ihm abbitten, alles
-was sie gedacht.
-
-»Nein, nein, nein, ich will dich nicht verlassen! Furcht und Feigheit
-sollen nicht stärker sein in mir, als die Liebe in deinem gütigen,
-geliebten Herzen! Was auch das Leben bringen mag, an deiner Seite will
-ich ihm entgegengehen -- das will ich -- ja.« Und während ihre Lippen
-noch das beteuernde »ja« sprachen, sank ihr Köpfchen in die Kissen
-zurück, und sanft und ruhig schlief sie ein.
-
-Am nächsten Vormittage, seinem Versprechen getreu, erschien der Baron,
-um Anna abzuholen.
-
-Bei drei Tapetenhandlungen fuhr man vor, und alle drei Lager wurden von
-oben bis unten durchstöbert, bis man das Muster gefunden hatte, das für
-die beiden Zimmer als das passendste erschien; eine weiße Tapete
-mit blaugoldenen Frucht- und Blumenstücken für das Wohngemach, eine
-himmelblaue für das Schlafzimmer; beide das Lieblichste, Freundlichste,
-was man sich denken konnte. Anna war ganz erschöpft, der Baron zeigte
-keine Spur von Müdigkeit.
-
-»Jetzt,« meinte er, »sollten wir gleich noch an die Möbel denken.«
-
-Anna verweigerte lachend den Gehorsam.
-
-»Morgen,« sagte sie, »das hat Zeit bis morgen.«
-
-»Gut, so wollen wir jetzt aber frühstücken.«
-
-Es half ihr nichts, daß sie auf das nah bevorstehende Mittagessen
-verwies.
-
-»Ach was, dein Onkel und deine Tante können auch ohne dich essen.«
-
-Er war ganz ausgelassen, ganz glücklich, daß er das geliebte Wesen
-einmal in seiner Gewalt hatte.
-
-So mußte sie ihm zu einem Restaurant folgen, und es war natürlich nicht
-das schlechteste von Breslau. Dort tafelten sie.
-
-Als sie auf die Straße hinaustraten und den Wagen wieder bestiegen,
-glühte Annas Gesicht und ihr Köpfchen sank ganz schwer zurück.
-
-»Aber Eberhard,« sagte sie, »du hast mich ganz betrunken gemacht mit dem
-vielen Champagner.«
-
-Sie lächelte, ihre Augen hatten einen schwimmenden Glanz; indem sie
-sich lässig in die Wagenkissen zurücklehnte, war eine Auflösung in ihrer
-ganzen Gestalt, wie er sie noch nie an ihr gesehen hatte.
-
-Er schlang den Arm um sie und küßte sie mit einer Glut, wie nie zuvor.
-
-»Weißt du,« sagte er, »das ist köstlich. So wollen wir es jetzt alle
-Tage machen; so reizend wie heut bist du mir noch nie erschienen.«
-
-Ihr Körper lag warm und weich in seinen Armen; das nachgiebige
-Widerstreben des jungen Leibes verlieh ihm eine berauschende
-Lebendigkeit; es war das erste Mal, daß das Blut der beiden Menschen zu
-einander zu sprechen begann.
-
-Am nächsten Tage ging es in gleicher Weise durch alle Möbelhandlungen
-der Stadt, und endlich war ein Mobiliar für die beiden Zimmer ausfindig
-gemacht, so zart und duftig, als wären die Gemächer für eine Elfe
-bestimmt. Das Frühstück durfte natürlich auch heut nicht fehlen, und so
-folgte nun ein Tag dem andern.
-
-Der Baron war unerschöpflich in der Erfindung von Notwendigkeiten.
-
-An Teppiche war ja noch gar nicht gedacht worden, und als auch diese
-besorgt waren, fiel es ihm ein, daß Portieren über den Thüren, Gardinen
-und Vorhänge vor den Fenstern fehlten.
-
-Anna ergab sich lachend. Der Rausch, der ihn erfüllte, teilte sich ihr
-allmählich mit; die täglichen Rundfahrten und Einkäufe fingen an, ihr
-gar nicht übel zu gefallen. Es war ja, als wenn sie das Märchen vom
-»Tischlein deck' dich« leibhaftig erlebte; kaum daß sie einen
-Wunsch gedacht hatte, war er schon erfüllt. Und wie unter seinen
-leidenschaftlichen Küssen ihr Blut in immer heißeren Wellen zu rollen
-begann, war es, als reckte und streckte sich ihre ganze Persönlichkeit;
-aus der unscheinbaren Hülse des kleinen Mädchens blühte die Jungfrau
-auf.
-
-An einem dieser Tage, als sie durch Blumen- und Samenhandlungen
-gestreift waren, um Sämereien für den Garten zu kaufen, und nun wieder
-im Wagen saßen, rückte er, den Arm um sie geschlungen, dicht an sie
-heran.
-
-»Weißt du,« flüsterte er ihr ins Ohr, »nun hätte ich eine große Bitte.«
-
-Sie lächelte vor sich hin; sie wußte ja, daß, um ihm etwas zu geben, sie
-nur still zu halten brauchte und zu nehmen.
-
-»Was denn also?« fragte sie.
-
-»Siehst du, ich habe mir das in meiner Phantasie so ausgedacht: Wenn ich
-dich so in den Armen halte und an mir fühle, komme ich mir vor, wie ein
-Gärtner, der eine Blume groß zieht. Den Winter hindurch hat meine Blume
-ihr altes, unscheinbares Gewand getragen, aber nun wird es Frühling,
-siehst du, und da ist es doch in der Natur geboten, daß sie sich anders
-und reicher und schöner kleidet? Nicht wahr?«
-
-Anna senkte die Augen und sah stumm an sich hernieder. Aermlich genug
-war sie ja freilich angezogen.
-
-»Und siehst du,« fuhr er fort, »was ich dich nun bitten wollte: daß
-wir morgen in Kleiderhandlungen und Modemagazine gehen und uns Stoffe
-aussuchen zu Kleidern für dich, wie sie dir gefallen und am besten
-stehen?«
-
-Sie errötete in Scham.
-
-»Aber Eberhard,« erwiderte sie leise, »für seine Ausstattung muß doch
-ein jedes Mädchen selbst sorgen!«
-
-Indem sie das aber sagte, fragte sie sich im stillen, wer denn ihre
-Ausstattung besorgen sollte. Der Onkel und die Tante etwa? Oder
-sie selbst, aus ihrem eigenen Vermögen? Ja, wo war denn ihr eigenes
-Vermögen?
-
-»Nein, siehst du,« nahm er wieder eifrig auf, »das ist mit uns etwas
-ganz andres. Das hab' ich dir ja gesagt, daß du das Licht in meinem
-Leben bist, und ein Licht, siehst du, das muß man sich selbst anzünden.
-Und sein Glück muß man sich selbst erschaffen, wenn's ein echtes Glück
-sein soll und einem Kraft und Mut verleihen soll. Und darum, verstehst
-du, wenn ich dich so von Kopf bis zu den Füßen einkleide in Stoffe, die
-ich dir geschenkt habe, dann wird mir zu Mute sein, als hätte ich mir
-die ganze geliebte Gestalt, die dann vor mir steht, selber erschaffen,
-und das wird mir dann eine solche Kraft und Wonne und Seligkeit
-verleihen, und das wirst du mir nicht verweigern. Nicht wahr? Nicht
-wahr?«
-
-Sie vermochte nichts zu erwidern. Anfänglich, als sie nur Mitleid mit
-dem Mann gefühlt hatte, der um ihre Liebe flehte, war nur ihre Seele
-wach gewesen; jetzt, da er stark und fröhlich war und sie am lebendig
-klopfenden Herzen hielt, waren auch ihre Sinne erwacht. Sie hatte
-angefangen, sich in ihn zu verlieben, und in dem großen Strome des
-süßen, unbestimmten Gefühls trieb sie willenlos dem Manne zu. Sie
-drückte ihr erglühendes Gesicht an seinen Hals.
-
-»Thu, wie du willst,« flüsterte sie.
-
-Und nun war es, als wären alle diese Besorgungen nur Vorbereitungen für
-das Eigentliche und Wahre gewesen.
-
-Die Seidenwarenlager wurden förmlich geplündert, und als sie damit
-fertig waren, wollte er sie in Wäschehandlungen führen. Dem aber
-widersetzte sie sich.
-
-»Ich müßte mich ja zu Tode schämen, wenn mich ein Mann dabei
-begleitete.«
-
-Er fügte sich ihrem Willen. Aber sie mußte versprechen, daß sie sich
-das schönste Linnen, die zartesten seidenen Strümpfe und das zierlichste
-Schuhwerk kaufen wollte. Die Rechnungen sollten auf ihren Namen
-geschrieben werden, er würde sie bei ihr abholen und alles abmachen.
-
-Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er reich war, so hätte sie ihn für
-einen rasenden Verschwender halten müssen.
-
-Ganze Ballen von Seidenstoffen und Leinen liefen nun bei Anna ein;
-vierzehn Tage lang wurde geschneidert und geschustert, als gälte es, den
-Brautstaat einer jungen Königin fertigzustellen; der Onkel und die Tante
-gingen mit dumpf verblüfften Gesichtern umher und wußten nicht, was sie
-sagen sollten. Anna wußte es selber kaum; die Welt war nicht mehr die
-Welt.
-
-Der Baron ließ sich in diesen Tagen nur von Zeit zu Zeit sehen, und
-wenn er kam, war er in fliegender Hast. Er war jetzt vielfach auf dem
-Schlosse draußen, wo die Zimmer für Anna eingerichtet wurden. So oft
-er bei ihr in der Stadt erschien, wurde er rasch wieder
-hinauskomplimentiert -- Frauen, die in solcher Thätigkeit stecken,
-können Männer nicht brauchen. Gegen Ende der vierzehn Tage aber, als sie
-ihn auf den Flur hinausbegleitete, hielt sie ihn an der Hand fest.
-
-»Heute abend,« sagte sie leise, mit lieblichem Erröten, »wird das
-crèmefarbige Seidenkleid fertig, das du so besonders gern magst. Es hat
-einen sehr hübschen Schnitt und wird mir vielleicht leidlich stehen.«
-Sie beugte sich näher zu ihm.
-
-»Wenn du willst, kannst du morgen mittag kommen, und ich will mich dir
-zeigen.«
-
-Er schloß sie an die Brust, als wollte er sie erdrücken.
-
-»Du Engel,« erwiderte er.
-
-Ein Glutstrom floß aus seinen Augen. Dann riß er sich los, eilte die
-Treppe hinab, kehrte vom Absatz noch einmal zurück, schloß sie noch
-einmal wie rasend in die Arme und schoß dann zum Hause hinaus.
-
-Anna begriff kaum, was ihn so erregt hatte; aber die Glut, die
-ihn erfüllte, setzte auch sie in Feuer, und als das Kleid am Abend
-angekommen war, beschloß sie, sich am nächsten Vormittage recht schön
-für ihn herauszuputzen.
-
-Es war das erste Mal im Leben, daß sie sich in so kostbare Stoffe
-hüllte. Sie schloß sich in ihr Schlafkämmerchen ein und kleidete
-sich von Kopf bis zu Füßen um, weil es sie nun doch gelüstete, die
-neuangeschafften Sachen wirklich einmal zu probieren.
-
-Wie das alles anders war als das, was sie bisher getragen hatte! Wie
-grob das Hemd war, das sie auszog, und wie weich sich das neue zarte
-Linnen um ihren Leib schmiegte! Und die seidenen Strümpfe, in die ihre
-Füßchen, nachdem sie die alten baumwollenen abgestreift hatte, beinahe
-schüchtern hineinschlüpften, als wagten sie gar nicht zu glauben, daß
-sie wirklich da hinein gehörten! Sie saß ganz schamrot auf ihrem Stuhl
-und kicherte vor sich hin, wie ein Kind, das etwas Unerlaubtes thut und
-jeden Augenblick gewärtig ist, daß es ertappt und ausgescholten werden
-wird. In den Spiegel zu sehen, hatte sie noch kaum gewagt, auch befand
-sich in ihrem Schlafzimmer nur ein kleiner Handspiegel, der ihr
-nicht sagen konnte, ob das Kleid ihr saß. Dazu mußte sie in das
-Gesellschaftszimmer gehen, wo zwischen den Fenstern ein größerer
-Wandspiegel angebracht war.
-
-Als sie nun hier, die Bänder an ihrer Taille zurechtzupfend, vor dem
-Spiegel, mit dem Rücken gegen die Thür stand, wurde diese von außen
-aufgerissen und auf der Schwelle erschien der Baron. Sie sah, wie er
-stehen blieb und ihre Gestalt mit den Augen verschlang; in seinem Blick
-war eine verzehrende Gier. Anna sah wirklich niedlich genug aus.
-Das Kleid war tief ausgeschnitten, am oberen Rande und an den
-Aermel-Oeffnungen mit einem Spitzenbesatze eingefaßt, und aus den zarten
-Spitzen quollen die runden, weichen Schultern, die nackten Arme in
-jugendlicher Fülle hervor.
-
-Sie wollte ihn bedeuten, daß er sich noch einen Augenblick gedulden
-müsse, aber bevor sie dazu gekommen war, stand er schon hinter ihr,
-und gleichzeitig fühlte sie sich von seinen Armen umfaßt, vom Boden
-emporgehoben und mit einer Gewalt, wie von einem Orkane, an seine Brust
-gerissen. Ihre Schultern, ihr Nacken und ihr Hals loderten unter seinen
-Küssen.
-
-»Du zerdrückst mir ja das ganze Kleid,« wandte sie ein. Der Ueberfall
-war ihr zu jäh gekommen; sie sträubte sich in seinen Armen, aber
-er hörte nicht auf ihre Worte, achtete nicht auf ihre sträubenden
-Bewegungen; in der Art, wie er mit ihr umging, war etwas Gewaltsames.
-Seine Liebkosungen hatten etwas Erstickendes, Erdrückendes,
-Zermalmendes; seine Küsse fühlten sich an, als wenn er am liebsten in
-Annas Fleisch hineingebissen hätte.
-
-Den einen Arm hatte er unter sie geschoben, so daß sie halb darauf saß,
-mit dem andern drückte er ihren Oberleib an seine Brust, ihr Gesicht an
-sein Gesicht, und so, indem er sie in seinen riesenstarken Armen wie ein
-Kind, wie eine Puppe, ein Spielzeug drückte, preßte und trug, ging er
-mit ihr im Zimmer auf und ab, dumpf abgerissene Laute von sich gebend,
-wie trunken, beinah wie sinnlos.
-
-Er merkte gar nicht, wie peinvoll dem jungen Mädchen die Lage wurde, in
-der sie sich befand, wie keuchend ihre Brust sich hob und senkte, weil
-sie, an ihn gepreßt, kaum noch Luft zum Atmen fand. Endlich warf sie mit
-äußerster Anstrengung den Kopf zurück, stemmte beide Hände gegen seine
-Brust und »laß mich los!« stieß sie wie in Verzweiflung hervor.
-
-Der Ton kam so rauh, so zornig heraus, daß er erschrak. Er hielt in
-seinem Auf- und Niedergehen inne, sah ihr ins Gesicht und sah, daß sie
-die Augen geschlossen hatte.
-
-Nun ließ er sie aus den Armen gleiten; sie warf sich in den Lehnstuhl,
-der ihr zunächst stand, drehte sich mit ganzem Leibe von ihm ab, legte
-beide Arme auf die Lehne des Sessels, das Gesicht auf die Arme, und
-brach in schluchzendes Weinen aus.
-
-Der Baron stand totenblaß vor ihr. »Anna,« stammelte er, »was ist dir?«
-
-Sie gab keine Antwort und weinte immer heftiger.
-
-Mitten im Zimmer lag einer von ihren kleinen seidenen Schuhen, der ihr
-vorhin, als er sie vom Boden emporgehoben hatte, vom Fuße geflogen war.
-In seiner Ratlosigkeit hob der Baron ihn auf, als er sich aber zu Anna
-niederbeugte, um ihr den Schuh wieder anzuziehen, riß sie denselben aus
-seiner Hand und verbarg ihren Fuß unter dem Kleide.
-
-»Nein!« rief sie, »faß mich nicht an! Du sollst mich nicht mehr
-anfassen! Ich weiß gar nicht, wie du bist!«
-
-Sie sprach aus, was sie empfand; sie konnte sich in der That die Art des
-Mannes nicht erklären. Das war ja gewesen, als wenn ein wildes Tier sich
-über sie gestürzt hätte.
-
-Bei der zornigen Bewegung, mit der sie ihm den Schuh entrissen hatte,
-war er einen Schritt zurückgewichen; jetzt stand er wie zerschmettert
-da.
-
-»Aber Anna,« fing er wieder an, »bist du mir denn böse, daß ich dich so
-liebe?«
-
-Sie warf den Leib herum und heftete die verweinten Augen auf ihn.
-
-»Liebe?« sagte sie zornig, »ist das Liebe, wenn man jemand so anfaßt? so
-behandelt? Faßt man eine Frau so an?«
-
-Sie blickte an sich herab und strich mit bebender Hand das zerknitterte
-und zerdrückte Kleid glatt, dann schlüpfte sie wieder in den Schuh, und
-als sie den Fuß aufsetzte, stampfte sie beinah auf.
-
-»Du hast keine Achtung vor mir,« fuhr sie fort, »du denkst, weil du mir
-all die schönen Sachen geschenkt hast, die ich da trage, ich gehöre dir,
-und du kannst mit mir machen, was dir beliebt! Und darum gehst du so
-mit mir um -- und behandelst mich wie -- wie --« sie wollte von neuem in
-Thränen ausbrechen, aber sie kam nicht dazu. Indem sie die letzten
-Worte dem Baron ins Gesicht schleuderte, sah sie, wie seine Gestalt
-zusammenzuckte, als wenn ein Stich ihm mitten durch den Leib gegangen
-wäre.
-
-»Anna --« sagte er schweren Tones, »das kannst du von mir denken?«
-
-Er war langsam in die Kniee gesunken, seine Augen waren den ihrigen nah
-gegenüber, und indem sie das namenlose Leid in seinen Augen gewahrte,
-fühlte sie, daß sie dem Manne mit häßlichen Gedanken ein häßliches
-Unrecht angethan hatte.
-
-»Nein, Eberhard,« sagte sie, »was ich da eben gesagt habe, das war nicht
-recht; ich fühl's, das war häßlich; und ich bitte dich um Vergebung
-dafür.«
-
-Nun legte er auch seinerseits die Arme um sie, aber so leise, als
-fürchtete er, sie zu zerbrechen, und ihr Köpfchen lag wieder an seinem
-Halse.
-
-»Aber siehst du,« fuhr sie zagend fort, »wenn du so bist, wie vorhin, so
-wild, so -- ich weiß gar nicht, wie ich's nennen soll -- dann verstehe
-ich dich nicht, und dann -- siehst du -- muß ich mich ja vor dir
-fürchten.«
-
-Sie hatte das letzte ganz leise, wie eine Beichte, ihm ins Ohr
-geflüstert, und wie eine solche nahm er es auf. Aber nicht ihre Schuld
-war es, die sie ihm beichtete, es war die seine, seine Schuld, der
-er nicht geachtet hatte auf die Scham, auf die Angst des lieben,
-vertrauenden Geschöpfes, der er nahe daran gewesen war, das Wesen,
-das ihm Leben und Seligkeit bedeutete, in seinen wahnwitzigen Armen
-zu zertrümmern, wie ein Knabe, der eine unersetzliche Kostbarkeit mit
-thörichten Händen zerstört.
-
-Von dem allen hatte er nichts gefühlt -- das alles kam ihm jetzt zum
-Bewußtsein.
-
-Ein peinvoller Gram lagerte sich auf seinen Zügen, mit leiser Hand schob
-er Anna von sich hinweg.
-
-»Armer Engel,« sagte er dumpf und schwer.
-
-Dann erhob er sich, trat von ihr hinweg, und mitten im Zimmer, den Kopf
-nachdenklich gesenkt, blieb er stehen.
-
-Eine schweigende Pause trat ein, und als sich Anna nach ihm umwandte,
-sah sie ihn noch immer, in düsteres Sinnen verloren, an seinem Platze.
-Ein Schatten überwölkte sein Gesicht; man sah ihm an, wie er mit den
-finsteren Gewalten Zwiesprache hielt, die in seinem Innern emporstiegen.
-
-»Eberhard,« rief sie ihn an, »warum gehst du von mir fort?«
-
-Es war, als wenn er aus seinem Brüten erwachte. Langsam kam er zu ihr
-zurück. Er schob einen Sessel neben den Stuhl, auf dem sie saß, ließ
-sich nieder und verharrte dann abermals, den Blick zu Boden gesenkt,
-in langem Schweigen. Endlich rückte er sich dichter an ihre Seite, aber
-ohne aufzusehen, ohne sie zu berühren.
-
-»Anna,« sagte er, »ich muß dir etwas anvertrauen.«
-
-Wieder stockte er -- das Bekenntnis wurde ihm schwer. Er nahm ihre Hand
-in seine Hand.
-
-»Anna -- ich hatte bis heute noch nie eine Frau berührt -- heute war es
-das erste Mal -- und du bist die erste gewesen, die ich geküßt habe.«
-
-Sie drückte leise seine Hand.
-
-»Aber du hattest mich doch schon vorher geküßt.« --
-
-»Ja,« versetzte er, und eine dunkle Röte färbte sein Gesicht, »aber es
-war mir noch nie so zu Mute gewesen, wie heute. Damals, siehst du, war
-es noch weit bis zu unsrer Hochzeit, und jetzt steht es nahe vor der
-Thür, daß wir heiraten. Und darum -- siehst du -- als ich vorhin zu dir
-hereintrat, war mir doch in dem Augenblick, als wäre es schon so weit
-und wir wären schon Mann und Frau. Und wie ich dich nun so stehen sah --
-siehst du -- da überkam mich etwas --«
-
-Er verstummte, sein Oberleib bog sich vornüber, als läge eine
-Centnerlast auf seinem Rücken, langsam glitt er vom Stuhle, ihr zu
-Füßen, und seiner Gewohnheit nach drückte er das Gesicht in ihren Schoß.
-
-»Ich kann's dir ja nicht beschreiben,« murmelte er, »was es war; und ich
-kann dich ja nur anflehen, daß du mir verzeihst; und wenn du jetzt
-den Fuß aufhöbest und mich trätest, so geschähe mir ja nur recht; aber
-siehst du, ich konnte nicht anders, und es war etwas so Wundervolles, so
-rasend göttlich Herrliches, Himmlisches --«
-
-Er hatte beide Arme um ihre Kniee geschlungen und preßte ihre Kniee
-aneinander, als wollte er sie zermalmen.
-
-»Bleib ruhig,« flüsterte Anna.
-
-Sie fühlte, wie die verzehrende Glut wieder in ihm aufstieg.
-
-Ein wundersames Gemisch von Grauen und Lust schwoll ihr zum Herzen,
-indem sie schweigend auf ihn hinabsah, auf den riesenstarken Mann, der
-sich gebrochen zu ihren Füßen wand.
-
-Kein Weib hatte er noch berührt -- sie war die erste, und sie war die
-Brandfackel, die ihn verzehrte.
-
-Vernunft und Gewissen sagten ihr, daß sie aufstehen, ihn wecken mußte
-aus seiner Phantasie -- aber stärker als Vernunft und Gewissen war
-in diesem Augenblicke das Weib, das mit heimlicher, beinahe lüsterner
-Neugier zu erfahren begehrte, was für einen Eindruck sie auf den Mann zu
-machen vermocht hatte.
-
-Sollte sie immer nur Arzt sein? Immer nur Wärterin? War sie nicht auch
-ein Weib? Mit jungem, blühendem Fleisch und Blut? Stand nicht auch
-sie zum erstenmal vor der dunklen, geheimnisvollen Flut, in die
-alle Geschöpfe der Erde hinein müssen, sei es zum Leben, sei es zum
-Ertrinken, die man die Liebe nennt? War nicht die warme Welle des
-großen Wassers auch zu ihr schon herangerollt und hatte ihr den Saum des
-Kleides und die nackten Füße genetzt, leise winkend und rufend: »Komm
-herab -- steig herab!«
-
-Von der Stirn herab, über Wangen und Hals und bis tief in die Brust,
-die schwer atmend aus der seidenen Umhüllung des Kleides hervorstrebte,
-senkte sich purpurne Glut, als sie sich über den Mann zu ihren Füßen
-herbeugte, die Lippen an sein Ohr andrückend.
-
-»Sag mir,« hauchte sie, »was du gefühlt hast, als du mich sahst?«
-
-Er beugte sich zurück, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte. Warum
-fragte sie? Als er jedoch ihr glutübergossenes Gesicht gewahrte, merkte
-er, daß der Dämon auch in ihrem Blute zu wühlen begann. Rasch war er
-vom Boden empor, auf seinem Stuhle, und nun saßen sie, wie zwei
-Schuldgenossen, die sich gegenseitig ein Geheimnis anvertrauen.
-
-»Siehst du,« hob er leise an, indem er mit dem Kopfe nach dem Fenster
-deutete, »es ist doch heut ein grauer Tag, und nun denk dir, wie
-merkwürdig: im Augenblick, als ich die Thür aufmachte und dich stehen
-sah -- aber du mußt nicht denken, daß ich übertreibe oder in Bildern
-rede -- war mir's, als wäre hier im Zimmer heller Sonnenschein.
-Richtiger Sonnenschein, siehst du, war es eigentlich nicht, sondern es
-war wie eine Feuersbrunst, wie wenn das Licht, das im Zimmer war, von
-Flammen herrührte. Und mitten in den Flammen standest du drin. Aber
-es war, als wenn sie dir nicht weh thäten, denn es sah mir in dem
-Augenblick so aus, als ob du mich ansähest und die Arme nach mir
-ausstrecktest und riefest: Komm herein.«
-
-»Aber, Eberhard,« unterbrach sie ihn, »ich drehte dir doch den Rücken zu
-und habe kein Wort gesagt?«
-
-»Das weiß ich ja,« erwiderte er hastig, »das weiß ich ja, ich sage dir
-ja nur, wie es mir in dem Augenblick erschien. Und als ich das sah,
-siehst du, da mußte ich hinzuspringen und dich in die Arme schließen,
-und nun war mir's, als stände auch ich in der Flamme, und das Feuer
-schlug in mich hinein, daß ich fühlte, wie es in mir hinaufstieg, in die
-Brust, in die Augen, ins Gehirn, daß ich nichts mehr sah, nichts mehr
-hörte und nur noch fühlte, daß ich etwas in den Armen trug, etwas
-Köstliches, Göttliches, Unbeschreibliches, wie ich es nie im ganzen
-Leben noch gefühlt hatte, etwas Warmes und Weiches, und wie ich das so
-an meinem Leibe fühlte, da überkam mich ein Verlangen --«
-
-Er brach plötzlich ab.
-
-Anna wartete, daß er fortfahren sollte, aber er schwieg.
-
-»Also --« forschte sie leise, »da kam dir ein Verlangen --«
-
-Er wandte das Haupt zur Seite.
-
-»Nein, nein,« sagte er, wie in Angst, »frage danach nicht.«
-
-Sie blickte ihn von der Seite an; sie faßte seine Hand und drückte
-sie; dann schob sie ihre heiße Wange an seine Wange; die Neugier war zu
-mächtig in ihr geworden, sie mußte erfahren, was für ein geheimnisvolles
-Verlangen das gewesen war.
-
-»Sag's mir doch,« hauchte sie, »sag's mir, ich bitte dich.«
-
-Er wandte den Kopf zurück und drückte ihn an ihre Schulter, als wollte
-er sich verbergen, zugleich aber fühlte sie, wie seine Hände sich an
-ihren Leib preßten.
-
-»Da überkam mich ein Verlangen,« sagte er dumpf, »dieses, was ich in
-den Armen trug, dies Köstliche, dies Warme, Weiche in meinen Armen zu
-zerdrücken, zu ersticken, zu zermalmen --«
-
-Seine Stimme, anfänglich dumpf und schwer, war immer lauter geworden;
-sein Atem flog, und als er jetzt die flackernden Augen auf Anna
-richtete, sah es aus, als würde er sich von neuem über sie herstürzen,
-wie er vorhin gethan hatte. Von Annas Gesicht war die Röte jählings
-gewichen, unwillkürlich streckte sie, wie abwehrend, die Hände gegen ihn
-aus.
-
-»Eberhard --« preßte sie hervor.
-
-Im Augenblick, als er ihre erschrockene Stimme vernahm, ließ der Taumel
-von ihm ab; sein Körper sank kraftlos in sich zusammen. Er ließ die Arme
-an ihr niedergleiten, drehte sich im Sessel herum und legte das Gesicht
-auf die Stuhllehne.
-
-»Warum fragtest du auch?« stöhnte er dumpf.
-
-Anna stand vor ihm; sie fühlte sich so schuldig. Begütigend streichelte
-sie über sein Haar.
-
-»Eberhard,« sagte sie, »sei doch nicht so außer dir; es war ja alles nur
-eine Einbildung.«
-
-Er gab keine Antwort, aber er schüttelte das Haupt, daß es aussah,
-wie ein trostloses »Nein«. Dann sprang er auf, und beide Hände an die
-Schläfen gedrückt, ging er im Zimmer auf und ab.
-
-Endlich blieb er stehen, plötzlich und wie mit einem Ruck. Sein Körper
-richtete sich straff empor, beide Arme streckte er vor sich hin,
-wagerecht und mit geballten Fäusten.
-
-»Nein!« sagte er laut, »nein! nein!«
-
-Es sah aus, als spräche er mit irgend einem Unsichtbaren. Anna blickte
-sprachlos zu ihm hinüber, sie wagte nicht zu fragen, mit wem er sich
-unterhielt.
-
-Er ließ die Arme sinken und wandte sich um. Als er ihren entsetzten
-Blick gewahrte, kam er auf sie zu.
-
-»Aengstige dich nicht,« sagte er, »ich habe es in der Gewohnheit,
-manchmal laut zu denken.«
-
-Er war völlig beruhigt, seine Stimme klang sicher und fest.
-
-Sie schöpfte wieder Mut.
-
-»Was dachtest du denn?« fragte sie, zärtlich an ihn geschmiegt.
-
-»Ich habe mir das Versprechen gegeben,« erwiderte er, »daß mir das nie
-wieder begegnen soll. Das, was ich dir vorhin erzählt habe, ist in mir
-gewesen, ja. Aber es ist gewesen, verstehst du, und nun ist es nicht
-mehr da. Nun kommt es nicht wieder, das verspreche ich mir, das
-verspreche ich dir! Niemals!«
-
-Er hatte den Arm um sie gelegt, er stand neben ihr, stark und gesund,
-wie einer, der Herr seiner selbst ist, wie ein ganzer Mann.
-
-»Siehst du,« fuhr er fort, »ich habe dir kein Hehl gemacht über meine
-Schwäche, darum darfst du mir glauben, was ich dir jetzt sage: ich liebe
-dich, Anna. Ich liebe dich so unsäglich, daß der Gedanke, es könnte dir
-ein Leid geschehen, mich umbringt und vernichtet. Glaubst du mir das?«
-
-Er blickte auf sie nieder; ein Strom von tiefem, warmem Gefühl floß
-über sie hin; aus allen Schatten und Wolken, die unverständlich,
-unbegreiflich und unberechenbar in dieses Menschen Seele wogten, tauchte
-immer wieder das edle, herrliche Herz wie ein leuchtender Stern empor.
-
-»Ja, Eberhard,« versetzte sie, »das glaube ich dir so sicher, daß ich es
-weiß.«
-
-Sie legte die Arme um ihn und drückte die Lippen auf seine Brust.
-
-»Wo solch ein Herz ist,« sagte sie, »da ist ja alles andre ganz
-gleichgültig. Darum glaube auch du mir, was ich dir sage: ich fürchte
-mich nicht vor dir, Eberhard, gar nicht. Ich liebe dich, Eberhard, wie
-nur eine Frau einen Mann lieben kann.«
-
-Er küßte sie auf den Scheitel, und die Berührung seiner Lippen war
-wie ein Hauch. Man fühlte, wie er nur seiner Seele noch Zutritt zur
-Geliebten gestatten wollte und seinen Sinnen Einhalt gebot. Und so kam
-nach der Erregung, die vorangegangen war, eine Stunde so tiefer Ruhe für
-die beiden Menschen, wie sie sie kaum je zuvor genossen hatten.
-
-Als er dann aber von ihr ging und die Thür hinter sich geschlossen
-hatte, so daß Anna ihn nicht mehr sah, schwellte ein Seufzer seine Brust
--- der schwere Seufzer der Entsagung.
-
-Inzwischen war es Mai geworden, und der Frühling hielt seinen
-siegprangenden Einzug.
-
-Eines Tages, als der Baron vom Schlosse draußen hereinkam, brachte er
-Anna die Kunde mit, daß auch im Fahrenwalder Parke der Lenz eingekehrt
-sei, daß die Kastanien blühten und der Flieder.
-
-»Auch in deinen Zimmern im Schlosse selbst,« sagte er, »ist es Frühling
-geworden; sie sehen aus, wie zwei junge fröhliche Augen in einem alten
-Gesicht -- die Einrichtung ist fertig -- wenn du nun willst, so ist die
-Zeit gekommen, daß Frau von Fahrenwald ihr Reich betritt -- willst du?«
-
-Sie wollte.
-
-Er hatte ihr seine Mitteilungen leise und beinahe feierlich gemacht,
-wie jemand, der an eine große Entscheidung herantritt. In derselben Art
-hatte Anna sie hingenommen. Die Vorbereitungen zum neuen Dasein waren
-vollbracht, nun kam das neue Dasein selbst; durch dunkle und helle
-Stunden war sie hindurchgegangen, nun sollte es sich entscheiden, ob
-ihr Leben fortan ein großes Licht oder ein großes Dunkel sein würde.
-Ein Schauer ging über ihr Herz -- aber ihr Entschluß war gefaßt, sie
-wollte. --
-
-In verborgenster Stille, beinahe verschwiegen, fand die Hochzeit statt.
-
-Der standesamtlichen Trauung folgte eine kirchliche Einsegnung im Hause,
-wo Anna bei dem Onkel und der Tante gewohnt hatte. Anna fühlte kein
-Bedürfnis, sich in einer Kirche öffentlich zur Schau zu stellen und die
-klatschsüchtige Neugier zu Gast dazu zu laden.
-
-Ihr Gesicht war kaum minder weiß, als das weiße Brautkleid, in dem sie
-erschien; als sie, mit dem Myrtenkranze im Haare, vor dem Geistlichen
-kniete und ihre Hand in die Hand des Bräutigams legte, mochte mancher
-von den wenigen Trauzeugen für sich denken: »Ein Opfer, das zum Altar
-geführt wird.«
-
-Blaß, schweigsam, mit einem Ausdruck unergründlichen Ernstes in den
-Zügen, stand Eberhard von Fahrenwald an ihrer Seite.
-
-Ein leises Mittagsmahl, dem nur wenige Gäste anwohnten, schloß die
-Feierlichkeit ab. Reden wurden nicht gehalten; es lag wie ein Gewölk
-über der Versammlung. Bei jeder Hochzeit steht man wie vor einem
-geschlossenen Vorhang. Hier aber war der Vorhang von dunkler Farbe und
-geheimnisvolle Zeichen waren in ihn verwebt.
-
-Nachdem die Tafel aufgehoben war, kehrte Anna zum letztenmal dahin
-zurück, wo sie als Mädchen gewohnt hatte. In aller Stille wollten sie
-beide am Nachmittage nach Fahrenwald hinaus fahren. Koffer und Kisten
-waren schon am Tage vorher vorausgegangen.
-
-Nachdem sie den Brautstaat abgelegt und das Reisekleid angethan
-hatte, erschien ihr Gemahl, um sie abzuholen. Bald darauf saßen sie im
-Eisenbahnwagen, und wieder einige Zeit darauf stampften die Rosse vor
-dem Wagen, der sie zum Schlosse hinaustragen sollte -- heute für immer.
-
-Wie anders, wie viel schöner sah sich heut alles an, als damals, da sie
-zum erstenmal diesen Weg gefahren war. Der reiche Ackerboden, der so
-lange unter Schnee und Regen begraben gelegen hatte, kochte förmlich
-von Fruchtbarkeit; die jungen Saaten schossen empor, daß es aussah, als
-wollte ein Feld das andre im Wachstum überbieten; die Sonne, die sich
-zum Untergange neigte, warf lange, warme, rotgoldene Lichter über das
-junge samtartige Grün.
-
-Heute brauchte man keine Fußsäcke und keine Decken. Schweigend, Hand
-in Hand, saßen Anna und der Baron in ihrem Wagen, mit stillen Augen
-hinausblickend in das stille Land, die Wangen von der linden Abendluft
-umspielt, den Duft einatmend, der aus der frühlingsfeuchten Erde
-emporstieg.
-
-Die Dorfbewohnerschaft hatte das junge Paar mit schmetternder
-Festlichkeit empfangen wollen; der Baron hatte alles abgelehnt
-und, damit die Leute nicht um ihre Freude kämen, sich durch reiche
-Geldspenden von dem geplanten Empfange losgekauft. Damit hatte er ganz
-in Annas Sinn gehandelt. Auch ihr war nicht nach rauschendem Jubel
-zu Mute; Arm in Arm mit ihm, wie sie es am ersten Tage gemacht hatte,
-wollte sie auch heute durch den Park zum Schlosse gehen.
-
-An der bewußten Stelle, wo die Parkwege sich mit der Fahrstraße
-vereinigten, hielt darum auch heute der Wagen an und beide Fahrenwalds
-stiegen aus.
-
-Da lag er wieder vor ihr, der Park, an den sie so oft in stillen Stunden
-gedacht, nach dem sie sich gesehnt, den sie so lieb gewonnen hatte, der
-ihr wie ein Vermittler zwischen dem bisherigen und dem zukünftigen Leben
-erschien; da lag er, und wenn die Bezeichnung, die er trug, jemals auf
-ihn gepaßt hatte, so war es heute der Fall: »das Schlesische Paradies«.
-
-An der Kreuzung der Wege blieb Anna stehen, beide Arme in kindlicher
-Wonne ausbreitend.
-
-»O Eberhard!« seufzte sie aus tiefster Brust, »wie herrlich! wie schön!«
-
-Am Eingang des Parks, wie ein Grenzpfahl, stand ein mächtiger Eichbaum.
-Am knorrigen Stamme, einige Fuß über dem Erdboden, war ein Kranz
-aufgehängt, von bunten Bändern umflattert, in dessen Mitte sich eine
-Tafel mit einer Inschrift befand.
-
-»Was ist denn das?« fragte Anna.
-
-Sie trat heran und las:
-
- »Tritt gern herein, in Freuden bleib,
- Und sei mein Leben und mein Weib.«
-
-Sie wandte sich um.
-
-»Von wem ist denn das?«
-
-Eberhard von Fahrenwald stand ganz verlegen da.
-
-Jauchzend flog sie ihm um den Hals.
-
-»Eberhard, du? Du hast das gedichtet?«
-
-Er hielt lächelnd ihr Haupt in seinen Händen.
-
-»Gedichtet?« erwiderte er, »nun -- jedenfalls siehst du, ein großer
-Dichter bin ich nicht.«
-
-Sie blickte ihm in die Augen.
-
-»Ach, siehst du, das ist nun wirklich ein ganz entzückender Gedanke
-von dir! Auf so etwas, siehst du, kann wirklich nur ein so guter Mensch
-kommen, wie du es bist! Nun aber mußt du mir den Kranz herunterholen,
-damit ich ihn bei mir aufhängen kann.«
-
-»Aufhängen willst du ihn? Bei dir?«
-
-»Ja!« erklärte sie. »Den hänge ich in meinem Zimmer, womöglich in meinem
-Schlafzimmer auf, und alle Abend, wenn ich zu Bette gehe, und jeden
-Morgen, wenn ich aufstehe, lese ich, was du geschrieben hast.«
-
-»Gut,« versetzte er, »heute bekomme ich ihn nicht herunter, dazu braucht
-es eine Leiter, aber morgen soll er in deinem Zimmer sein.«
-
-Den Weg, den sie das erste Mal gegangen waren, die Buchenallee,
-wandelten sie nun entlang. Heute war kein Aufruhr in der Natur wie
-damals; das magere junge Laub hing still zu ihren Häupten; heute
-brauchte sie sich nicht an ihn zu drängen in ängstlicher Beklommenheit;
-alles war so friedlich, so ruhig, auch er, an dessen Arm sie ging. Ja --
-er war so ruhig, daß es beinahe wie eine leise Schwermut aussah.
-
-In den Seitenweg bogen sie alsdann ein, und nun war es wirklich ein
-Meer von wogenden grünen Wipfeln, das ihr entgegenrauschte. Die weißen
-Kastanien hatten schon abgeblüht, aber wie versprengte Rubinen flammten
-hie und da die Blüten der roten im Blätterdickicht auf. Am Himmel lag
-purpurner Wiederschein der gesunkenen Sonne, und alles war so groß, so
-wunderbar und schön, daß Annas Herz in tiefer, wonnevoller Seligkeit
-überschwoll.
-
-»O Eberhard,« flüsterte sie, »freust du dich denn auch so wie ich?«
-
-Er blickte zärtlich auf sie nieder und drückte schweigend ihren Arm. Sie
-befanden sich gerade an der Stelle, wo er ihr damals gesagt hatte, daß
-sie seine Sonne sein sollte und daß er die Erde wäre, die sich um die
-Sonne dreht.
-
-Wie wild hatte er sie damals umfaßt -- wie sanft und ruhig war er heute.
-Hatte sich etwas in ihm verändert seitdem? Nun -- jedenfalls war es
-besser so, wie es heute war. Jetzt kamen sie in die Nähe des Schlosses,
-und wieder blieb Anna mit einem Ausrufe der Ueberraschung stehen;
-von oben bis unten war das mächtige alte Gebäude mit frischem hellen
-Farbenanstrich versehen.
-
-Eberhard lächelte.
-
-»Es war eigentlich noch zu früh im Jahre zum Anstreichen,« sagte er,
-»aber ich wollte, daß dir das Haus ein freundlicheres Gesicht zeigen
-sollte, als das erste Mal.«
-
-Sie neigte das Haupt in stummen Gedanken. Jeder ihrer Wünsche war in
-seinem Gedächtnis niedergelegt, wie ein Wertstück in den Händen eines
-treuen Verwalters.
-
-Durch die Halle mit den Jagdtrophäen schritten sie hindurch, welche
-heute abend durch zwei große, in den Ecken aufgestellte Kandelaber
-erhellt wurde, und eben solche Kandelaber standen im Flure am Fuße
-der großen Treppe. Große, schwere, altertümliche Leuchter, mit steif
-gestreckten Armen von Messing, mit dicken Wachskerzen besteckt.
-
-Auf jedem Treppenabsatze stand ein solcher Kandelaber und in gleicher
-Weise waren Flur und Gänge beleuchtet. Ein stilles, schweres, goldiges
-Licht.
-
-»Heut gehen wir nicht durch die Bibliothek, sondern gleich in dein
-Zimmer,« sagte der Baron, als sie die Treppe erstiegen hatten. Er führte
-sie den Gang entlang, der auf den Flur stieß, dann that er eine Thür
-auf, die sich von links auf den Gang öffnete, und nun schlug Anna,
-geradezu entzückt, beide Hände ineinander. Sie waren in ihren Gemächern
-angelangt, die Fenster standen offen, und durch sie hinaus blickte man
-in den Park und über den Park hinaus in die weite grünende Landschaft.
-Im Kamin, den Fenstern gegenüber, flackerte ein lustiges Feuer von
-Fichtenscheiten; der harzige Duft des brennenden Holzes vermengte
-sich mit der einströmenden Frühlingsluft zu einem feinen, köstlichen
-Wohlgeruch. An den Wänden, die mit einer hellfarbigen, mit blaugoldenen
-Mustern geschmückten Tapete bedeckt waren, hingen Landschaftsbilder, die
-aus den nebenanliegenden Gemächern hierhergeschafft worden waren; ein
-Schreibtisch in allerliebstem Schnörkelstile in einer Fensterecke,
-Stühle mit silberdamastenen Polstern, und ein Ruhebett von dem gleichen
-Stoffe; zwischen den Fenstern ein hoher Wandspiegel, in schwerem
-goldbronzenen Rahmen, und das Ganze überflutet vom sanften Lichte eines
-zierlichen, von der Decke herabhängenden Kronleuchters, und mehrerer,
-in den Ecken verteilter Lampen, deren Glocken mit roter Seide umhüllt
-waren. Ein Aufenthalt, wie für eine Fee, hergerichtet von einem guten
-Geiste.
-
-Der Baron öffnete die Thür zum Nebenzimmer, wo eine große Glasglocke,
-blau verschleiert, von der Decke schwebte und ein trauliches Licht
-verbreitete. An der gegenüberliegenden Wand, unter einem Zelte von
-mattblauer Seide, stand ein Bett, kostbar und reich im Gestell,
-schneeweiß leuchtend mit seinen Kissen und Linnen vom feinsten Gespinst.
-
-Sprachlos, von Dankbarkeit überwältigt, hing Anna am Halse ihres Gatten;
-so viel hatte sie von ihm empfangen, dies aber war doch das Höchste. So
-beschenkt nur ein Mensch, dessen Seele uns nachgeht, ununterbrochen und
-überall.
-
-»Ich denke,« sagte der Baron, »wir rufen jetzt deine Jungfer, damit du
-die Reisekleidung abthust und es dir bequem machst!«
-
-Er ließ den Blick umhergehen; auf Stühlen und Sofas des Schlafzimmers
-lagen Annas eben ausgepackte Kleidungsstücke verstreut; eine Haus-
-und Morgentoilette von rosarotem Wollenstoff lag obenan, zum Gebrauche
-bereit.
-
-»Ich gehe unterdes zu mir hinauf,« fuhr er fort, »und wenn ich
-wiederkomme, abendbroten wir, und wenn es dir recht ist, lassen wir hier
-in deinem Zimmer anrichten, hier ist es gemütlicher, als da drüben.«
-
-»Zu mir hinauf,« hatte er gesagt -- sie sah ihn fragend an.
-
-»Wo wohnst denn du eigentlich?«
-
-»O -- ziemlich weit von hier,« gab er zur Antwort, »da oben im zweiten
-Stock.«
-
-Er sah die Ueberraschung auf ihrem Gesicht; aber es war, als wollte er
-weitere Fragen abschneiden. Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände, küßte
-sie auf den Scheitel und mit einem »auf Wiedersehen« ging er hinaus.
-
-Von der Thür aus hatte er ihr lächelnd zugenickt. Bildete sie es sich
-nur ein, oder war in seinem Lächeln etwas Gezwungenes gewesen?
-
-Sie begab sich in ihr Schlafgemach, wo die Jungfer bereits auf sie
-wartete. Es war ein Mädchen vom Dorfe, nicht übermäßig geübt in den
-Künsten feinerer Bedienung. Schweigend, und nicht ohne Verlegenheit
-wartete sie ihres Amtes. Kaum weniger verlegen aber war die Gebieterin
-selbst. Es war das erste Mal, daß Anna sich beim Aus- und Ankleiden
-bedienen ließ; mit innerlichem Lächeln gestand sie sich, daß das
-Prinzessinsein gelernt sein wollte.
-
-Als sie in ihr Wohnzimmer zurückkehrte, stand inmitten desselben der
-Tisch mit dem Abendbrote bereits angerichtet. Eberhard war noch nicht
-wiedergekommen, sie war allein. Sie trat an eines der beiden Fenster,
-kniete auf einen Stuhl und lehnte sich auf das Fensterbrett, in die
-weiche dunkle Luft hinausträumend.
-
-Nachdem sie ein Weilchen so gelegen, fuhr sie auf und sah sich um -- und
-richtig, da stand er hinter ihr in der Thür. Sie hatte ein Gefühl, als
-hätte er sie schon längere Zeit schweigend betrachtet.
-
-Er stand so regungslos -- in seiner aufgereckten Gestalt war eine Art
-von lautloser Spannung, in seinen Gesichtszügen eine Art von Starrheit,
-als hätte ein Kampf getobt, der zur Ruhe gezwungen worden war.
-
-Indem Anna sich aufrichtete, glitt ihr eines der braunsamtnen
-Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße; jählings neigte er sich herab und
-küßte sie auf die Fußsohle, die nur noch vom seidenen Strumpfe bedeckt
-war.
-
-Ebenso rasch richtete er sich wieder auf.
-
-»Verzeih!« sagte er. In Verwirrung trat er zurück.
-
-Lachend warf sie sich an seine Brust.
-
-»Aber was soll ich dir denn verzeihen?«
-
-In seinen Augen flackerte es auf, um gleich darauf wieder zu erlöschen.
-Er küßte sie, beinah wie abwehrend, auf die Stirn.
-
-»Ja, ja,« sagte er heiser, »nichts, nichts!«
-
-Dann rückte er ihr den Stuhl zurecht und setzte sich mit ihr an den
-Tisch.
-
-Das Abendessen zu zweien verlief in glücklicher Gemütlichkeit, man aß,
-man trank und plauderte. Als sie abgespeist hatten, sah Anna mit
-einer gewissen Aengstlichkeit nach der Thür. Würde nun der alte Johann
-erscheinen, um abzuräumen?
-
-Eberhard schien ihre Gedanken erraten zu haben.
-
-»Der Johann wartet nicht mehr bei Tische auf,« beruhigte er sie. »Ich
-denke, wir lassen alles, wie es ist. Wozu sollen wir uns stören lassen?«
-
-Damit war sie einverstanden. Sie ließ sich von ihm Champagner
-einschenken.
-
-»Aber du trinkst ja gar nicht!« unterbrach sie sich.
-
-»Doch, doch,« erwiderte er, und hastig leerte er sein Glas.
-
-Sie hatte aber ganz recht gesehen; er trank nur sehr wenig. Er saß vom
-Tische etwas abgerückt, und sah seine junge Frau an und sah, wie der
-Wein ihr Blut zu erwärmen begann, so daß ihr Gesicht sich leise
-rötete und der junge Leib aus dem zarten rosafarbenen Morgenkleide
-hervorzuatmen und herauszublühen schien.
-
-Einen starren, beinah stieren Ausdruck nahmen seine Augen dabei an,
-bis daß er, wie plötzlich zu sich kommend, den Blick von ihr hinweg zur
-Seite wandte.
-
-Anna merkte nichts davon. Sie erzählte von ihren Blumen, mit denen
-sie gleich morgen anfangen wollte; daneben plante sie einen großen
-Gemüsegarten, der natürlich auch unter ihrer Obhut stehen sollte. Sie
-war ganz vertieft in ihre Entwürfe und glücklich wie ein Kind.
-
-Unterdessen saß der bleiche Mann schweigend ihr zur Seite. Ob er hörte,
-was sie sprach? Ob er acht darauf gab? Es sah nicht so aus. Seine Seele
-schien mit den dunklen Gewalten beschäftigt, die wieder übermächtig über
-ihn wurden.
-
-Es war spät geworden; die Stutzuhr auf dem Kaminsimse schlug elf Uhr.
-Zeit zum Zubettegehen.
-
-Anna wurde still, der Baron blieb stumm wie bisher -- es trat das
-verlegene Schweigen ein, wenn zwei Menschen dasselbe denken und keiner
-von beiden zu sprechen anfängt.
-
-Annas Gesicht erglühte immer tiefer, ihre Hände spielten mit den Quasten
-der Schnur, mit der ihr Kleid gegürtet war; sie senkte die Augen in den
-Schoß und blickte verstohlen zu ihm auf. Jetzt erst bemerkte sie, wie
-verschattet sein Antlitz war.
-
-Noch eine Weile peinlichen Schweigens, dann erhob er sich. Seine
-Bewegung hatte etwas Unsicheres, wie die eines Menschen, der nicht recht
-weiß, was er thun soll.
-
-Langsam war auch Anna aufgestanden; nun stand sie mitten im Zimmer,
-Nacken und Haupt schamhaft geneigt.
-
-Sein unstäter Blick ging rund im Zimmer umher, dann blieb er an ihr
-haften, und der Ausdruck flackerte wieder darin auf, wie an dem Tage in
-Breslau.
-
-Wie sie vor ihm stand! Unbewußt in keuscher Hingabe, wie eine demütige
-Magd! Wie sie lieblich war, wie sie reizend, schön und entzückend war!
-
-Ein dumpfer Laut rang sich aus seiner Brust; wie damals, als sie vor
-dem Spiegel stand, umschlang er sie und riß sie an sich; mit dem Munde
-drückte er ihr Haupt nach hintenüber und dann wühlten sich seine Lippen
-auf ihren Mund, in ihr Gesicht, in ihren Hals.
-
-Halb erstickt hing sie in seinen Armen; ihr Gesicht war ganz blaß
-geworden, ihre Augen geschlossen, unwillkürlich, wie damals, stemmte sie
-die Hände gegen ihn.
-
-»Eberhard,« ächzte sie.
-
-Und nun geschah, was an jenem Tage geschehen war: jählings ließ er von
-ihr ab, stürzte ihr zu Füßen und umschlang ihre Kniee.
-
-»Verzeih mir,« stöhnte er, »verzeih mir und schlaf wohl, schlaf wohl,
-schlaf wohl!«
-
-Mit einem Sprunge war er auf den Füßen, an der Thür, und ohne sich
-umzusehen, wie ein Gejagter, Verfolgter, zur Thür hinaus.
-
-So rasch war dieses alles geschehen, daß Anna nicht Zeit gefunden
-hatte, ihm nachzurufen. Einsam blieb sie zurück, in völliger dumpfer
-Ratlosigkeit.
-
-Sollte sie ihm nachgehen? Durch das fremde, dunkle Haus? Wo sie nicht
-einmal seine Gemächer kannte? Es grauete ihr. Auch hätte sie sich
-schämen müssen.
-
-Was also blieb zu thun? Zu Bette gehen.
-
-Seufzend ging sie in ihr Schlafzimmer. Die Jungfer, die ihr beim
-Entkleiden behülflich sein wollte, schickte sie hinaus; in der Stimmung,
-in der sie war, brauchte sie keine fremden Augen, die ihr zusahen. Das
-Bett mit dem schön verzierten Untergestell, das seidene Zelt darüber --
-wie prachtvoll alles. Aber in all dieser Pracht, welche Einsamkeit!
-Die frischen Linnen des Betts berührten sie mit fröstelnder Kühle; sie
-huschte tief in die Decken und unter Thränen schlief sie zum erstenmal
-auf Schloß Fahrenwald ein.
-
-Aber während sie schlief, war droben im zweiten Stock einer, der nicht
-schlief, das war ihr Mann, der Baron Eberhard von Fahrenwald, der in
-sein Zimmer gelangt war, die Thür verriegelt hatte und nun in seinem
-Zimmer auf und nieder ging, ohne Aufhören und ohne Rast, wie ein wildes
-Tier hinter den Stäben des Käfigs.
-
-Die Ruhe, die er sich den ganzen Tag hindurch aufgezwungen hatte, war
-dahin, abgesprengt von seiner Seele, wie die Kruste, die sich auf die
-Lava im Krater gelegt hat und die in alle vier Winde fliegt, sobald der
-Vulkan da drunten lebendig wird. All die dunklen Gewalten, die in den
-Tiefen seiner Seele brodelten, hatten Feuer gefangen, all die wilden
-Instinkte, die da drunten, wie Ungeheuer im Tropenschlamme, vergraben
-lagen, reckten plötzlich die Häupter; sie wollten sich nicht mehr
-bändigen lassen, wollten nicht mehr dem befehlshaberischen »nein«
-gehorchen, mit dem er sie damals für einen Augenblick niedergezwungen
-hatte, wollten nicht mehr; jetzt hatten sie ihn, jetzt schüttelten sie
-ihn, daß ihm die Glieder am Leibe flogen, und wie mit feurigen Geißeln
-peitschten sie seine Phantasie. Immerfort sah er es vor sich, das Weib
-da unten, das junge, blühende Weib, zu dem es ihn hinriß. Jeden
-ihrer Schritte begleitete er mit seinen Gedanken. Er sah, wie sie ihr
-Schlafgemach betrat, wie sie langsam anfing, sich zu entkleiden. Ganz
-deutlich, ganz handgreiflich sah er das. Stück nach Stück sank die
-Gewandung herab; jetzt breitete sie die schneeweißen Arme nach ihm, und
-jetzt geschah etwas -- mitten im Zimmer blieb er jählings stehen, die
-Hände an die Schläfen gedrückt, die Augen weit offen, wie fest gebannt
-von einer furchtbaren Vision. War das er, den er da sah, der sich wie
-ein reißendes Tier über das hüllenlose Weib herstürzte: Ja, ja, ja!
-Wie hatte der Alte damals gesagt? Wenn er heiratete, würde er jemanden
-umbringen. So hatte der Alte gesagt, und das hatte ein Arzt dem Alten
-gesagt. Also mußte es so sein, und so war es ja auch, und nun wußte er
-ja auch, wer das war, den er umbringen würde! Und also kam der Wahnsinn
-doch! Und all das Kämpfen, all das Ringen, all das Sichzurwehrsetzen war
-vergeblich gewesen, alles, alles?
-
-An einem Sessel brach er in die Kniee; mit beiden Fäusten griff er
-sich ins Haar; er schlug die Stirn auf den Stuhl; ein heiseres Keuchen,
-beinah wie ein dumpfes Geheul, brach aus seiner Kehle.
-
-»Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!«
-
-Dann ließ der Sturm nach; gebrochen blieb er am Boden liegen, und nach
-einer Stunde dumpfen kraftlosen Vorsichhinstarrens raffte er sich auf
-und schleppte sich nach seinem Lager.
-
-Während sich dies begab, war dort oben im zweiten Stock noch jemand
-wach. Das war der alte Johann.
-
-Er schlief nicht. Nein. Er wußte ja, daß er von jetzt an überhaupt nie
-mehr schlafen durfte. Seit heute war die »Einbrecherin« im Schloß. Das
-Unheil war eingezogen, jetzt hieß es, Wache halten! Das war sein Amt,
-seine Pflicht. Darum von nun an die Augen aufbehalten! Nicht mehr
-schlafen! Nie mehr schlafen!
-
-Der Baron hatte ihm verboten, sich zu zeigen, wenn er heute nachmittag
-mit seiner jungen Frau ankommen würde.
-
-Natürlich hatte er gehorcht; alte Haushunde sind gehorsam, aber wachsam
-sind sie auch. Und sie haben Zähne!
-
-Er hatte auch ganz recht gehabt, der Herr Baron, daß er ihn
-fortschickte, daß er »die Person« in Sicherheit vor ihm brachte, ganz
-recht, ganz recht, ganz recht.
-
-In seinem Zimmer eingeschlossen, drei Stunden lang und mehr war er
-ununterbrochen hin und her gegangen, die knochigen Hände reibend,
-immerfort das eine Wort murmelnd »ganz recht, ganz recht, ganz recht«.
-
-»Ganz recht, daß du mich nicht an sie heranläßt -- denn wenn ich ihr zu
-Leibe könnte --« Bei diesem »wenn« knirschten seine Zähne, seine Fäuste
-streckten sich in die Luft.
-
-Dann, als es elf Uhr geschlagen, hatte er gehört, wie jemand mit
-hastigen Schritten, als wenn er liefe, als wenn er flüchtete, die Treppe
-draußen heraufgekommen war. Er hatte gelauscht, hatte gehört, wie die
-Thür zum Zimmer des Barons aufgerissen, schmetternd zugeworfen und dann
-von innen verriegelt wurde.
-
-Aha -- also, schon heut am ersten Abend fing es an! Das war der Baron,
-den er da hatte kommen hören, der jetzt da drüben in seinem Zimmer saß,
-wie die Maus im Loch, wie die dumme Maus, der man Speck gestreut hat und
-die genascht hat und jetzt dahinter kam, daß der Speck vergiftet gewesen
-war! Er grinste übers ganze Gesicht, er mußte an sich halten, daß er
-nicht laut herauslachte, laut, daß man's durchs ganze Haus hörte.
-
-Die dumme, dumme Maus! Es war doch eigentlich zu komisch! zu lächerlich!
-
-Dann war er über den Flur geschlichen, an die Thür seines Herrn, hatte
-sich mit dem Ohr an das Schlüsselloch gebeugt und gehorcht, und wie er
-da drinnen das Hin- und Hergehen, das Rasen, das Keuchen und Schnaufen
-hörte, hatte er grinsend mit dem Kopfe genickt: »Siehst du, siehst du,
-siehst du wohl?«
-
-Die ganze Nacht hätte er so stehen können und horchen, denn es
-verursachte ihm ein namenloses Vergnügen, zu hören, wie sein Herr da
-drinnen litt. Das hatte er nun davon, der unglückselige, verrückte
-Mensch, und das geschah ihm recht! Ein Glück nur, daß wenigstens ein
-Vernünftiger noch da war, einer, der noch zum Rechten sehen und die
-verfahrene Geschichte wieder herausreißen konnte. Und das war er, der
-alte Johann; und er würde sie wieder herausreißen, ja, das würde er!
-Noch wußte er nicht genau wie, aber fertig bringen würde er es, das
-wußte er, das sagte er sich, indem er jetzt über den Flur zu seinem
-Zimmer zurückging, nicht mehr schleichend wie vorhin, sondern
-hocherhobenen Hauptes. Denn ein Stolz erfüllte seine Brust, daß er sich
-vorkam, als wäre er jetzt eigentlich der Herr im Hause, als hätte er zu
-befehlen und kein andrer sonst.
-
-Er konnte sich noch gar nicht entschließen, in seine Kammer
-zurückzukehren; es war ein Gefühl in ihm, als müßte er noch irgend etwas
-thun, etwas vollbringen; ein solches Kraftgefühl, daß er am liebsten
-laut gebrüllt hätte. Darum stieg er noch einmal die Treppe hinunter und
-wandelte durch alle Gänge des Hauses, alles im Dunkeln, ohne Licht,
-wozu brauchte er denn Licht? Er fand sich ja auch im Dunkeln zurecht in
-seinem Hause. Sein Haus -- er drückte sich mit den Fingern die Lippen
-zu, damit sein Kichern nicht zum lauten Gelächter ward. Als er endlich
-zu seinem Zimmer zurückkehrte und über die Schwelle trat, bückte
-er sich. Er wußte, daß er plötzlich gewachsen war. Ja, ja, es war
-merkwürdig, aber wahr, er war gewachsen, mindestens um einen Kopf, darum
-mußte er sich in acht nehmen, sonst wäre er mit dem Kopfe oben an die
-Thür gestoßen. --
-
- * * * * *
-
-Der Frühling that seine Pflicht. Zu allen Ritzen und Löchern des
-Schlosses Fahrenwald schickte er am nächsten Morgen die Sonnenstrahlen
-hinein, als wollte er dem alten Kasten bis in die finstersten Eingeweide
-hineinleuchten und wärmen.
-
-Als der Baron an das Fenster seines Zimmers trat und hinunterblickte,
-sah er, daß andre schon früher aufgestanden waren als er. Einen Strohhut
-auf dem Kopf, das Kleid hoch aufgeschürzt, wandelte im Blumengarten
-unten eine Gestalt zwischen den Beeten auf und ab, bald rechts sich
-niederbeugend, bald links, so daß der breitkrämpige Hut bedächtig auf
-und nieder schwankte. Es war seine junge Frau.
-
-Die Sonne hatte sie früh am Morgen geweckt und ihr keine Ruhe im Bette
-gelassen.
-
-Als er ihrer ansichtig wurde, war ihm, als sänke die Nacht und alles,
-was in der Nacht gewesen war, wie ein Spuk hinter ihm nieder, in eine
-endlose Tiefe. Ohne sich zu besinnen, riß er das Fenster auf und »Anna!«
-rief er laut hinunter.
-
-Als sie seine Stimme vernahm, richtete sie den Kopf zu ihm auf, und als
-sie ihn erblickte, hob sie die Hände an den Mund und warf ihm Kußfinger
-zu. Ihr Antlitz, vom gelben Hute umrahmt, strotzend von Fülle und
-Jugend, sah aus wie eine Sonnenblume.
-
-»Komm herunter Eberhard,« rief sie zu ihm hinauf, »hier unten ist's
-wundervoll.«
-
-Wie der Morgenruf der Lerche drang ihre Stimme an sein Ohr. Das Leben
-war ihm wiedergegeben, und da unten stand es vor ihm, leibhaftig
-verkörpert in dem geliebten Geschöpf.
-
-Er lehnte sich weit über die Fensterbrüstung hinaus. »Gleich komm' ich,
-gleich,« sagte er; aber während er das sagte, blieb er ruhig im Fenster
-liegen. Er konnte sich nicht satt sehen an ihr.
-
-Sie stand und lächelte ihm zu und nickte; er nickte zurück. Dann zog
-sie ihr weißes Taschentuch hervor und wie mit einem Fähnchen winkte sie
-hinauf.
-
-»Komm doch,« rief sie wieder, »komm doch endlich.«
-
-Nun erhob er sich, um sich anzukleiden, und jetzt erst spürte er, wie
-schwer die Nacht ihn angegriffen hatte. Er taumelte beinah, und erst das
-kalte Brunnenwasser, mit dem er sich überströmte, brachte ihn wieder
-zu sich. Als er aber in den Garten zu ihr hinunterkam, vergaß er seine
-Schwäche und alle Leiden. Blaß war er freilich, aber das war sie ja an
-ihm gewöhnt; sie hüpfte ihm entgegen; er fing sie in seinen Armen auf,
-und als sie an seinem Herzen lag und die Liebe fühlte, die wie ein Strom
-aus diesem Herzen über sie dahinging, vergaß auch sie, daß sie gestern
-abend in Thränen eingeschlafen war.
-
-Der Tag blieb dem Morgen treu, heiter und schön bis zum Ende. Aber weil
-er so schön war, wurde er für Eberhard von Fahrenwald anstrengend. Anna
-nahm ihn vollständig in Beschlag und schleppte ihn vom Morgen bis zum
-Abend im Park umher. Kaum daß sie ihm zu den Mahlzeiten Ruhe vergönnte.
-
-Der Park hatte es ihr angethan; sie war geradezu darein verliebt. Bisher
-hatte sie ihn nur im allgemeinen kennen gelernt, nun sollte Eberhard ihr
-alle Winkelchen und Eckchen zeigen. Sie war in der Stadt groß geworden;
-die Natur, in die sie zum erstenmal hineinblickte, war für sie wie ein
-Märchenbuch, das man vor den Augen des Kindes aufschlägt. Jeder kleinste
-Vorgang darin war ihr ein Gegenstand des Staunens und Bewunderns. Unter
-jedem Baume, in dem eine Nachtigall saß, mußte Eberhard mit ihr stehen
-bleiben und dem Gesange lauschen; wenn ein Buchfink über den Weg
-vor ihnen herhüpfte, hielt sie ihren Begleiter am Arme fest, mit
-ausgestrecktem Finger zeigend: »Sieh doch nur, sieh! was für ein
-reizendes Tierchen!« Sie war vollständig zum Kinde geworden; sie
-brauchte nichts weiter, verlangte nichts weiter, sie war glücklich.
-
-Der gestrige Abend mit seiner schwülen Erregung, seiner dumpfen
-Niedergeschlagenheit war in ihr ausgelöscht. Sie hatte ja ihren
-Gatten nicht recht begriffen, allerdings, aber sie hatte ja auch durch
-Erfahrung gelernt, daß man in solchen Augenblicken nicht in ihn dringen,
-ihn nicht fragen durfte; also fragte sie nicht.
-
-Eine sinnliche Natur war sie nicht. Es kamen wohl Stunden und waren
-sogar dagewesen, wo ihr Blut heißer wurde -- aber für gewöhnlich war
-ihr das Verlangen der Sinne fremd, und es bereitete ihr keine
-Schwierigkeiten, sich eine Ehe zu denken, in welcher die Eheleute wie
-zwei gute Freunde nebeneinander hergingen.
-
-Und sie begann sich mit der Vorstellung vertraut zu machen, daß ihr
-beiderseitiges Verhältnis fortan in dieser Art weitergehen würde.
-
-Ob der Mann, der müden Schrittes hinter ihr drein kam, diese Gedanken in
-ihrer Seele las? Vielleicht.
-
-Er war etwas hinter ihr zurückgeblieben, denn weil er ihr zu langsam
-ging, hatte sie sich von seinem Arme losgerissen. Nun sah er sie
-vor sich dahintrippeln mit hastigen, fröhlichen Bewegungen, den grün
-übersponnenen Laubgang entlang, durch dessen Dach die Sonne ihr Licht
-in verstreuten Funken herniederschickte, die junge Gestalt wie mit
-Edelsteinen übersäend.
-
-Wie glücklich sie war! Und wie ihr Glück ihm die tiefste Seele erwärmte!
-
-Aber wie harmlos auch, wie sorglos sie war! Wie so keine Ahnung sich in
-ihr regte von dem, was gestern abend in ihm vorgegangen war, von all dem
-Dunklen, Entsetzlichen!
-
-War es nicht gut, daß es also war? Freilich war es gut. Aber warum
-seufzte er trotzdem innerlich auf?
-
-Er fühlte, daß er dieses alles vor ihr verstecken mußte. Den einen
-Menschen, der in ihm war, den gütigen, liebevollen, edlen Menschen, den
-durfte er ihr zeigen, -- den andern mußte die Nacht bedecken und das
-Dunkel, daß sie nie in sein Gesicht sah -- denn wenn sie es gesehen
-hätte -- Und also mußte er stark sein und immer stark, und allein für
-sich tragen und schweigen.
-
-Und so, indem er sie vor sich herschlendern sah, im Sonnenlichte
-gebadet, sie selbst wie ein verkörperter Sonnenstrahl, kam er sich vor
-wie das dunkle Gewölk, das hinter dem Lichte einherzieht, in dessen
-Schoß das Ungewitter brütet, der Untergang des Lichtes und sein Tod. Wer
-war vorhanden, um das vertrauensvolle Licht davor zu bewahren, daß das
-Ungewitter es verschlang? Nur er selbst. Er selbst war ihre Gefahr
-und sollte ihr Beschützer vor ihm selbst sein. Indem er die furchtbare
-Anforderung empfand, die von nun an jede Stunde und Minute, jeder
-Anblick des ersehnten Weibes an seine Selbstbeherrschung stellte,
-überlief es ihn wie ein Grausen.
-
-Würde er Kraft behalten? Immer? Es legte sich schwer auf seine Brust,
-beinahe wie eine Todesangst.
-
-Und dieses Angstgefühl verließ ihn nicht mehr; es wurde zu einer
-bleibenden, körperlichen Beklemmung, und diese Beklemmung wuchs, je mehr
-der Tag sich zum Ende neigte. Das Dunkel erschreckte ihn; er fürchtete
-sich vor der Nacht. Als er daher gegen Abend mit seiner Frau ins Schloß
-zurückgekehrt war, ließ er alles, was an Lampen aufzutreiben war,
-anzünden, damit Licht würde, damit er sich das Tageslicht einbilden
-könnte. Denn bei Tage, so schien es ihm, hatte der Dämon keine Gewalt
-über ihn. Nur hatte er dabei vergessen, daß in dem Lichte, das jetzt,
-aus allen Spiegeln widerstrahlend, die Gemächer füllte, auch die Gestalt
-des Weibes um so leuchtender hervortreten mußte. Und gerade vor ihr
-fürchtete er sich ja am meisten. Heute, im Laufe des Tages, als sie mit
-ihm den Park durchtändelt hatte, war sie ihm wie ein kleines Mädchen,
-wie ein Kind erschienen, dem gegenüber die Sinne schweigen -- jetzt, da
-die Nacht kam, wurde sie wieder zum Weibe. Jede Bewegung ihrer Glieder
-wuchs in seiner Phantasie zu einer verstrickenden Umarmung, jedes
-Rauschen ihres Kleides zu einem sinnbethörenden Lockruf.
-
-»Ich ziehe mir meinen Morgenrock an,« hatte Anna gesagt, als sie ins
-Schloß zurückkehrten, und es hatte ihm auf der Zunge geschwebt, zu
-sagen, »thu's nicht!«
-
-Aber er sagte es nicht. Was hätte sie denken müssen? Wie hätte sie es
-verstehen können? Sollte er sagen, daß er wahnsinnig sei? Er selbst? Er
-lächelte.
-
-»Freilich, freilich; wir gehen wohl heute früh zu Bett? Du wirst dich
-müde gelaufen haben?«
-
-Als er zu ihr zurückkam, stand sie vor einem Bilde, mit einer Lampe
-hinaufleuchtend. Der weite Aermel des Schlafrocks war zurückgefallen,
-der volle weiße Arm kam bis über den Ellbogen hervor. Alles vergessend,
-wollte er mit einem Sprunge sich über sie stürzen -- da wandte sie sich
-lächelnd um. Ein harmloses, ahnungsloses Kinderlächeln. Alles war für
-den Augenblick vorbei. Ruhig trat er zu ihr heran und nahm ihr die Lampe
-ab.
-
-Heute, nachdem sie zu Abend gespeist hatten, wartete er nicht, bis die
-Uhr auf dem Kamin elf schlug.
-
-»Du bist müde?« fragte er.
-
-Sie nickte ihm mit traumverschleierten Augen zu.
-
-In einem Armstuhl saß sie da, behaglich hintenüber gelehnt, die Füße
-weit ausgestreckt und übereinander gelegt.
-
-»Die Frühlingsluft macht so müde,« sagte sie mit dämmernder Stimme, »und
-es ist so schön, einzuschlafen, während man die Nachtigallen singen hört
--- horch doch nur, wie das klingt -- entzückend.«
-
-Er war an das geöffnete Fenster getreten -- sie hatte recht. Wie
-die Stimme des Frühlings drang der süße Ton der Nachtigallen aus dem
-nachtdunklen Parke herauf. Liebe war es, die ihren Gesang erweckte, und
-es war, als riefen sie allen Geschöpfen der Erde zu »liebt euch, jetzt
-ist die Zeit der Liebe«. Und da stand er und durfte nicht lieben. Die
-Qual, die er empfand, war so groß, daß er lange Zeit lautlos am offenen
-Fenster stehen bleiben mußte. Dann trat er zu ihr.
-
-»Nun gute Nacht,« sagte er. Er stand über sie gebeugt; sie blickte
-lieblich zu ihm auf.
-
-Plötzlich griff er mit der Hand hinunter und riß ihr den einen Schuh vom
-Fuße.
-
-Sie erschrak beinah.
-
-»Aber Eberhard.«
-
-Sie wollte nach ihrem Schuh greifen, aber er hielt ihn fest.
-
-»Ein Andenken,« rief er, »ein Andenken,« er lachte dabei laut, beinahe
-gellend, und dann, indem er den Schuh, in dem noch die ganze Wärme
-ihres Fußes war, an die Lippen drückte, schoß er auf die Thür zu und war
-hinaus. Kopfschüttelnd saß Anna und sah ihm nach; dann erhob sie sich,
-und den einen Fuß im Schuh, den andern im Strumpfe, wanderte sie in ihr
-Schlafgemach.
-
-Eine Reihe von Tagen folgte, alle diesem Tage gleich. Luft und Himmel
-voll Sonnenschein, das Laubgezelt des Parks immer dichter anschwellend
-zum grünen, rauschenden Wald, von Düften durchflutet, von Vogelstimmen
-durchtönt, und durch die grünende Wildnis dahinwandelnd die rosige
-blühende Frau und der bleiche hohläugige Mann.
-
-Immer größer wurde der Abstand, in dem sie gingen; immer weiter flog sie
-ihm voran, immer müder blieb er zurück, und es kam auch schon vor,
-daß er sich auf eine Bank niedersetzte und sie allein auf Entdeckungen
-ausziehen ließ.
-
-Die schlaflosen Nächte griffen ihn zu furchtbar an. Seine Nerven waren
-des Morgens wie aufgeweicht, um sich dann im Laufe des Tages allmählich
-aufzustraffen, bis daß sie am Abende wieder angespannt waren, wie die
-Saiten eines Streichinstrumentes, jeden Augenblick zum Springen bereit.
-
-Jeden Abend dann wieder das Aufsteigen des wütenden Verlangens und das
-Niederkämpfen desselben, so daß sein Inneres einem Schlachtfelde glich,
-und jeden Abend die Wiederkehr einer Erscheinung, die er sich nicht zu
-erklären vermochte, und die trotzdem vorhanden war, die er empfand, mit
-Grauen empfand:
-
-Jeden Abend, wenn er in sein Zimmer gekommen war, hatte er ein Gefühl,
-als stände etwas hinter ihm, irgend etwas, er hätte nicht sagen können,
-was. Etwas Fürchterliches, das unablässig auf ihn hinblickte, mit grünen
-Augen, mit einem wartenden Blick. So deutlich empfand er die Anwesenheit
-dieses schrecklichen, unsichtbaren Etwas, daß ihm manchmal geradezu
-war, als hörte er ein leises, keuchendes Atemholen, so daß er die Lampe
-aufnahm und Winkel und Ecken seiner Zimmer durchstöberte, bis daß er die
-Lampe wieder niedersetzte und sich sagte, daß niemand da war und nichts,
-daß alles nur in ihm selbst war, ein Spukgebilde seiner Seele, der
-Wahnsinn, der Wahnsinn.
-
-Eines freilich sah er bei diesen Gelegenheiten nicht: wenn er mit der
-Lampe in der Hand durch seine Zimmer stöberte und der Thür nahe kam,
-die zum Flur ging, dann sah er nicht, wie sich draußen an der Thür eine
-hagere Gestalt aufrichtete, die bis dahin lauernd zum Schlüsselloch
-gebeugt, mit leise keuchendem Atemholen gestanden hatte und nun, wenn
-sie seine Schritte nahen hörte, über den Flur hinweg huschte und sich
-in den Schatten des großen Schrankes drückte, der an der Wand des Flurs,
-neben der Thür stand.
-
-Anna hatte in den letzten Tagen sein übles Aussehen bemerkt und ihn
-zärtlich besorgt gefragt, ob ihm etwas fehle. Aber er hatte hastig und
-entschieden verneint, »Gar nichts fehlte ihm, er war vollkommen wohl!«
-Und um sie zu beruhigen, hatte er sogleich einen weiten Spaziergang mit
-ihr durch den Park gemacht.
-
-Mit aller Gewalt hatte er sich zusammengenommen und zusammengerafft;
-liebenswürdig und freundlich war er gewesen, wie nur je zuvor.
-
-»Daß nur sie nichts merkte! Um Gottes willen, nur nicht sie!«
-
-Aber diese letzte gewaltsame Anspannung gab ihm den Rest.
-
-Da er sich heute, seiner Versicherung nach, so wohl fühlte, hatte Anna
-ihn wieder durch den ganzen Park mit sich genommen, herauf und herab,
-die Kreuz und die Quer. Mehrere Vogelnester hatte sie entdeckt, die
-noch im Bau begriffen waren, und das Treiben der Vögel dabei war doch zu
-reizend, jedes einzelne mußte sie ihm zeigen. Und nachdem das erledigt
-war, hatte er ihr dahin folgen müssen, wo sie ihren Gemüsegarten
-anzulegen gedachte; sie hatte ihm die einzelnen Felder schon gezeigt,
-wo Salat gebaut werden sollte, und Bohnen, Rüben und Tomaten, und was es
-alles gab.
-
-Am Abend war sie daher schläfrig geworden wie ein Kind, das sich
-tagsüber müde gespielt hat.
-
-»Heute werde ich aber gehörig schlafen,« sagte sie, als sie sich erhob,
-um ihm gute Nacht zu wünschen.
-
-Er war heut so besonders liebenswürdig gewesen, dafür war sie ihm Dank
-schuldig. Zärtlich hing sie sich um seinen Hals, um ihn zu küssen. Wie
-es jetzt in seiner Gewohnheit lag, richtete er den Oberleib steif auf,
-als wollte er ihren Lippen ausweichen, aber sie hatte es sich in den
-Kopf gesetzt, heute sollte er einmal seinen Kuß bekommen. Lachend
-versuchte sie, mit ihrem Munde an den seinen zu gelangen, und weil ihre
-Körperlänge dazu nicht ausreichte, stieg sie mit den Füßen auf seine
-Füße. Indem sie sich auf den Spitzen erhob, reichte sie ihm bis an den
-Mund, und nun erhielt er einen langen, warmen, liebevollen Kuß.
-
-Ihre Lippen lagen auf den seinen, ihr junger Leib drängte sich an ihn,
-auf seinen Füßen empfand er ihre warmen weichen Füßchen.
-
-In dem Augenblick war ihm zu Mute, als risse etwas in ihm, beinah, als
-spränge eine Saite, so daß er das Nachsummen des Schlags in seinen Ohren
-zu vernehmen meinte.
-
-Er schob sie von sich.
-
-»Gehst du jetzt zu Bett?« fragte er; der Ton seiner Stimme war lallend.
-
-»Freilich geh' ich zu Bett.«
-
-An der Thür des Schlafzimmers blieb sie noch einmal stehen und warf ihm,
-traumselig nickend, Kußfinger zu.
-
-Kaum daß sie dann ihr Lager erreicht hatte, war sie schon eingeschlafen.
-
-Einige Zeit später, sie hätte kaum sagen können, ob Stunden oder nur
-Minuten, wurde sie durch ein Geräusch geweckt, und als sie blinzelnd die
-verschlafenen Augen öffnete, bemerkte sie, daß ein Lichtschein im
-Zimmer war. Wie kam das? Sie hatte doch vor dem Einschlafen alles Licht
-gelöscht?
-
-Indem sie sich allmählich ermunterte, sah sie, daß das Licht von der
-Thür herkam, und durch den blauseidenen Bettvorhang hindurch gewahrte
-sie eine dunkle Gestalt, die in der Thür stand. Genau zu erkennen
-vermochte sie nicht, wer es war.
-
-»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.
-
-Es erfolgte keine Antwort. Die Gestalt rührte sich nicht. Sie richtete
-sich auf den Ellenbogen auf.
-
-»Eberhard, bist du's?« fragte sie noch einmal.
-
-Jetzt kam die Gestalt mit einem Schritt heran, bis an das Fußende ihres
-Bettes, schlug den Vorhang zurück -- ein Licht in Händen, stand ihr
-Gatte vor ihr, Eberhard von Fahrenwald.
-
-Er gab keinen Laut von sich, seine Augen ruhten auf ihr, mit stierendem,
-beinahe gläsernem Blick.
-
-Sie wußte nicht, was sie denken sollte, verwirrt schaute sie ihn an.
-Dann streckte sie den Arm nach ihm aus.
-
-»Aber Eberhard -- was machst du denn?«
-
-In dem Augenblick hatte er das Licht auf den Nachttisch gesetzt und
-ihren Arm mit beiden Händen ergriffen. Als wäre ihr Arm in einen
-Schraubstock gespannt -- so war es. Es wurde ihr unheimlich.
-
-»Aber -- so sprich doch nur ein Wort,« bat sie leise.
-
-Er sprach nicht; es war, als hörte er sie überhaupt nicht. Plötzlich
-ließ er ihren Arm fahren, griff sie mit beiden Händen an den Schultern
-und drückte sie in die Kissen zurück. Sie lag wie gefesselt unter seinen
-Händen, unfähig sich zu bewegen; ihre Augen blickten angstvoll in
-sein Gesicht empor, das mit steinernem, rätselhaftem Ausdruck über sie
-gebeugt war.
-
-»Was thust du denn?« stammelte sie; dabei warf sie die Schultern hin und
-her und versuchte, sich seinem Griffe zu entwinden.
-
-Als er die windenden Bewegungen ihres Körpers fühlte, bog er plötzlich
-den Oberleib zurück, richtete sich auf, sein Anblick wurde wie der eines
-wilden Tieres, das sich zum Sprunge auf die Beute anschickt.
-
-Von Todesangst gepackt, fuhr sie auf und aus dem Bette. Keuchend stand
-sie, zu ihm hinüberblickend, der auf der andern Seite des Bettes stand.
-In das Zimmer ihrer Jungfer zu gelangen, vermochte sie nicht, weil er
-zwischen Bett und Thür war.
-
-Als er jetzt aber eine Bewegung machte, als wollte er auf sie zu, stieß
-sie einen gellenden Schrei aus, und so wie sie war, mit nackten Füßen,
-nur im Hemd, rannte sie durch die Thür, durch die er gekommen und die
-hinter ihm offen geblieben war, in ihr Wohnzimmer. Halb sinnlos
-vor Angst drückte sie sich hinter dem Ruhebett nieder, das an der
-gegenüberliegenden Wand stand. Ein Augenblick verging -- dann erschien
-der Verfolger auf der Schwelle, das Licht haltend, mit dem Lichte nach
-ihr suchend.
-
-Jetzt hatte er sie entdeckt -- und wieder sprang sie auf und flüchtete
-weiter, in das nächste Zimmer. Hinter ihr kam er her, mit langen
-Sprüngen. Aus dem zweiten Zimmer ging es in das dritte, in das vierte
-und weiter, immer weiter, durch alle Zimmer hindurch, die Galerie
-entlang, bis daß sie endlich im Bibliotheksaale, am Ende der
-Zimmerflucht angelangt war und sich bewußt wurde, daß es nun nicht
-weiter ging, daß sie gefangen war, verloren war. -- Mitten im Saale, die
-entsetzten Augen auf ihn gerichtet, blieb sie stehen, beide Arme reckte
-sie in die Höhe, -- ein verzweifeltes Geschrei -- und jählings, mit
-schwerem Fall schlug sie auf den Fußboden nieder, ohnmächtig, wie eine
-Leiche anzusehen.
-
-Als dies geschah, als er den Schrei vernahm und die weiße Gestalt
-zusammenbrechen sah, blieb der Mann stehen und sah sich einen Augenblick
-wie verwundert um. Es sah aus, als müßte er seine Erinnerung sammeln.
-Dann kam er, das Licht hoch haltend, mit vorsichtigen Schritten da
-heran, wo das da am Boden lag, das Weiße. Er senkte das Licht und
-leuchtete über die regungslose Gestalt hin, richtete sich wieder auf und
-trat einen Schritt zurück. Er setzte das Licht auf den Tisch, und auf
-die Tischplatte niederstarrend, fing er wieder an, sich zu besinnen,
-nachzudenken, nachzudenken. Dann erhob er die Augen, richtete sie dumpf
-brütend den Fenstern zu, hinter denen die schwarze Nacht hing, und nun
-war es, als käme aus weiter Ferne der Nacht ein Licht heran, ganz fern
-erst, ganz klein, aber näher kommend, immer näher, bis daß es sein
-Gesicht erreicht hatte, bis daß es in seine Augen gestiegen war. Und
-nun begannen die Augen, die bis dahin gläsern gestiert hatten, wieder zu
-sehen, die Züge des verwandelten Gesichts wandelten sich wieder zurück,
-und nun war es wieder Eberhard von Fahrenwald, der dort am Tische stand.
-
-Mit einem Ruck, daß die Gelenke in seinem Leibe krachten, richtete er
-sich plötzlich in die Höhe, ergriff noch einmal das Licht und trat heran
--- im nämlichen Augenblick aber flog er rückwärts, als wenn ein Stoß ihn
-zurückgeworfen hätte. Auf dem glatten Parkett des Fußbodens schlug er
-der Länge lang hin, mit dem Gesicht am Boden, beide Hände in den Mund
-stopfend, mit den Zähnen in die Hände beißend, daß das Blut herabtroff.
-Ein gurgelndes Röcheln, ein ersticktes Heulen wühlte sich aus ihm heraus
-und in den Fußboden hinein; dann kroch er bis zu dem nächsten Stuhle,
-arbeitete sich mühselig an dem Stuhle auf, bis daß er auf den Füßen
-stand, und nun, wie ein Mensch, der nicht mehr gehen kann, dem das
-Rückgrat gebrochen ist, schleppte er sich, die Augen immerfort auf
-die Gestalt am Boden dort gerichtet, bis an die Thür, die aus dem
-Bibliotheksaale auf den Flur führte. An der Thürklinke hielt er sich
-mit beiden Händen aufrecht, das Haar klebte ihm im Gesicht, eine
-dicke Feuchtigkeit -- war es Schweiß, war es Blut, waren es Thränen --
-rieselte ihm vom Gesicht; es war, als wenn er weinen wollte, aber er
-vermochte es nicht -- als wenn er etwas sagen wollte, aber er vermochte
-es nicht -- nur ein Aechzen wurde vernehmbar: »Anna -- Anna -- Anna« und
-diesen Namen wiederholend und fortwährend, sinnlos wiederholend, schob
-er sich zur Thür hinaus. Sobald er aber die Thür hinter sich hatte,
-fühlte er sich von einem eisernen Arm umschlungen und aufrecht gehalten.
-Der Mann war da, der ihn als Kind auf den Armen getragen hatte, und dem
-er nun wieder gehörte, der alte Johann.
-
-»Kommen Sie nur, gnädiger Herr,« sagte er mit starker, harter Stimme,
-»kommen Sie nur und lassen Sie mich machen. Jetzt wird sich alles wieder
-geben.«
-
-Er führte den gebrochenen Mann, der hülflos, willenlos in seinem Arme
-schwankte, die Treppe hinauf, in sein Zimmer; er brachte ihn zu Bett,
-wie ein Kind; er deckte ihn zu.
-
-»Nun schlafen Sie,« sagte er laut, beinah befehlend; dann sah er sich
-noch einmal in den Zimmern um: kein Messer da? Keine Schere? Kein
-Werkzeug irgend welcher Art? Nichts. Er rieb sich die Hände; so stolz
-war er! so vergnügt! An den Fenstern machte er sich noch zu schaffen,
-und es dauerte ziemlich lange, bis er damit fertig war; er hatte einen
-Schraubenbohrer in der Tasche und Schrauben; sämtliche Fenster in den
-Zimmern des Barons schraubte er zu -- für alle Fälle -- man konnte ja
-nicht wissen. -- Dann riegelte er die Räume seines Herrn von außen
-ab und nun war er fertig, nun hatte er ihn da drin, nun hatte er ihn
-sicher. Als er auf dem Flur draußen stand, reckte er sich lang auf. »Ah«
--- sagte er laut vor sich hin und jetzt brauchte er sich ja keinen Zwang
-mehr anzuthun, jetzt konnte er lachen und er lachte, laut, immer lauter,
-zuletzt brüllend. Mit den flachen Händen schlug er sich auf die Lenden;
-»wer hatte nun recht behalten?«
-
-Vom Augenblick an, als der Baron in der Nacht sein Zimmer verlassen
-hatte und hinuntergegangen war, hatte er ja alles mit angehört.
-
-»Jetzt kommt's,« hatte er sich gesagt, indem er im Dunkel hinter
-ihm hergeschlichen war. Dann hatte er den Ruf in Annas Schlafgemach
-vernommen, das Jagen und Laufen durch die Zimmer, endlich den letzten
-Schrei und das Fallen des Körpers im Bibliotheksaale.
-
-»Jetzt hat er sie totgeschlagen,« hatte er sich gesagt, und er hatte an
-sich halten müssen, um nicht schon da lachend herauszuplatzen. In
-dem Augenblick war er ja noch Diener gewesen, da hätte es sich nicht
-geschickt.
-
-Aber jetzt -- jetzt blieb nur noch zu thun, daß er sich danach umsah, wo
-der Leichnam lag. Zu dem Zwecke ging er jetzt nach dem Bibliotheksaal.
-
-Einen dicken Stock trug er in der einen, eine brennende Laterne in der
-andern Hand. Warum er den Stock mitnahm? Er hatte so ein Gefühl, als
-könnte sich möglicherweise eine Gelegenheit bieten, -- er wünschte
-sich eine Gelegenheit -- er hatte so ein Bedürfnis, auf irgend etwas
-loszuhauen, irgend etwas zu zerschmettern, irgend etwas, am liebsten
-aber menschliche Glieder und einen menschlichen Körper. Er hieb mit dem
-Stock auf das Treppengeländer, daß es krachte. Ah -- wie ihm das wohl
-that! Wenn »sie« so vor ihm gelegen hätte! Wenn er so auf »sie« hätte
-loshauen können, daß ihre Glieder unter seinen Streichen zerflogen wären
-wie Glas! Aber der Baron hatte ihm ja schon vorgearbeitet. Jetzt war
-er nur noch neugierig zu sehen, wie er es gemacht haben, wie er »sie«
-zugerichtet haben würde. Mit der lüsternen Begier der blutdürstigen
-Natur, die dem Anblick von irgend etwas Gräßlichem entgegengeht, trat er
-in den Bibliotheksaal ein, sah sich um -- und blieb enttäuscht stehen.
-Der Saal war ja leer?
-
-Die Jungfer, die Thür an Thür mit ihrer Gebieterin schlief, war von
-dem dumpfen Rumoren in Annas Schlafzimmer aufgewacht. Anfangs nur halb
-ermuntert, war sie ganz wach geworden, als sie den gellenden Schrei
-nebenan vernahm.
-
-Rasch war sie aufgestanden, hatte Licht angezündet und war eingetreten.
-Nun sah sie Annas zerstörtes Bett, von dem die Decken heruntergeworfen
-waren, in dem die Kissen wüst und wild durcheinander lagen. Sie sah
-die Thür zum Nebenzimmer offen, und in dem Augenblick vernahm sie von
-drüben, aus der Ferne, Annas verzweifelten Schrei. Im ersten Augenblick
-hatte sie in ihr Zimmer zurücklaufen und den Kopf unter die Bettdecke
-stecken wollen. Aber dann hatte sie sich gesagt, daß das nicht recht
-wäre, daß der Frau Baronin etwas zugestoßen sein müßte, der armen jungen
-Frau Baronin, die so gut zu ihr war, von der sie nie ein böses Wort zu
-hören bekam, und daß es ihre Pflicht sei, zuzusehen, was geschehen war.
-Darum hatte sie sich rasch in die notdürftigste Kleidung gesteckt, und
-zitternd, mit schlotternden Gliedern, war sie die Zimmerflucht entlang
-bis nach dem Bibliotheksaale gegangen.
-
-Wie sah es hier aus! Ein Leuchter lag am Fußboden; das Licht war nicht
-erloschen, die Flamme hatte schon angefangen, ein glimmendes Loch in
-das Parkett zu brennen, und einige Schritte weiter war noch etwas, etwas
-lang Hingestrecktes, Weißes, das sich jetzt stöhnend zu regen begann,
-die junge Frau Baronin, die nur mit dem Hemde bedeckt, mit aufgelöstem
-Haare ohnmächtig am Boden lag.
-
-Bei dem Anblick brachen dem Mädchen die Thränen aus den Augen. Sie hob
-das schwälende Licht auf, kniete zu ihrer Gebieterin nieder und nahm
-ihren Kopf in ihren Schooß.
-
-»Gnädige Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin, Frau Baronin!«
-
-Anna schlug die Augen auf, und als sie die Jungfer erkannte, klammerte
-sie sich um ihren Hals.
-
-»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«
-
-Das Mädchen riß den Mantel ab, den sie um die Schultern geworfen hatte,
-und verhüllte damit die schutzlosen Glieder ihrer Gebieterin, dann
-umfaßte sie sie unter den Achseln und half ihr aufstehen. Aengstlich
-aneinandergeschmiegt wanderten die beiden Frauen nach Annas Schlafgemach
-zurück.
-
-Hier sank Anna auf einen Stuhl, wie in Betäubung vor sich
-niederstarrend. Das Mädchen holte ihre Kleidungsstücke heran und begann
-sie anzuziehen; eine Ahnung sagte ihr, daß man sich auf weiteres gefaßt
-zu machen hatte und daß man sich rüsten müsse. Anna ließ sie schweigend
-gewähren.
-
-»Wo ist denn mein Mann?« fragte sie nach einiger Zeit.
-
-»Der Herr Baron? Ich weiß nicht,« versetzte das Mädchen. »Soll ich
-einmal nach ihm seh'n?«
-
-»Ja, ja,« sagte Anna.
-
-Das Mädchen schlüpfte hinaus, auf den Flur, die Treppe zum oberen
-Stockwerk hinauf. Sie kam gerade zurecht, um zu sehen, wie der alte
-Johann die Thür des Barons von außen verriegelte, wie er dann in sein
-Zimmer ging und mit der Laterne in der einen, dem Stock in der andern
-Hand wieder herauskam; unhörbar glitt sie die Treppe hinab, dann kam sie
-zu Anna zurückgelaufen.
-
-»Gnädige Frau Baronin -- eben hab' ich's geseh'n -- der Johann hat den
-gnädigen Herrn eingesperrt -- und ich glaube jetzt kommt der Johann
-herunter -- und einen dicken Stock hat er mit sich -- und er sieht aus,
-wie ich's gar nicht sagen kann -- gar so fürchterlich -- o Herr Jeses
-ne, Herr Jeses ne!«
-
-Sie war ganz außer sich, ihr Atem flog, zu Annas Füßen niedergekauert,
-umschlang sie sie mit den Armen. Hülflos, ratlos drückten sich die
-beiden Frauen aneinander.
-
-Nach einiger Zeit vernahmen sie ein dumpfes Geräusch; schwere Schritte
-stampften vom Bibliotheksaale heran. Dazwischen hörten sie eine Stimme;
-es sprach jemand ganz laut.
-
-Das Mädchen beugte lauschend den Kopf vor.
-
-»Das ist der Johann,« flüsterte sie.
-
-Anna saß, wie in Eis gebadet.
-
-»Mit wem spricht er denn nur?«
-
-Das Mädchen zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
-
-Jetzt konnte man schon einzelnes von dem verstehen, was er sagte: »Aber
-tot muß sie sein! Muß sie sein! Lebendig aus'm Haus lass' ich sie nicht!
-Lass' ich sie nicht!«
-
-Dann plötzlich blieb er stehen, und im nächsten Augenblick gab es einen
-fürchterlichen Krach; mit dem dicken Knotenstock hatte er in einen der
-hohen Spiegel hineingehauen, die vorn in den Zimmern hingen.
-
-»Siehste du!« kreischte er, und während das klirrende Glas zu Boden
-rauschte, stieß er ein Gelächter aus, daß den beiden Frauen die Haare zu
-Berge stiegen.
-
-Weiter gingen die Schritte, Stühle flogen beiseite, Tische schmetterten
-zu Boden, wie wenn ein Ungeheuer durch die Zimmer stapfte und alles
-hinwegschleuderte, was ihm in den Weg kam. Im nächsten Zimmer war wieder
-ein Spiegel zwischen den Fenstern -- klirr -- ging der Knüppel hinein
-und -- klirr -- kam das splitternde Glas herunter. Wieder kam das
-»siehste du!« wieder das gellende Lachen und das wahnwitzige Schwatzen:
-»Tot muß sie sein! tot muß sie sein! muß sie sein!«
-
-Jetzt war kein Zweifel mehr, auf das Schlafzimmer kam er zu.
-
-»Frau Baronin!« sagte das Mädchen, indem es, kreideweiß im Gesicht, auf
-die Füße sprang.
-
-Anna saß wie leblos.
-
-»Frau Baronin!« sie schüttelte sie an den Schultern, »um Jesus und aller
-Heiligen willen, kommen Sie fort!«
-
-Mit einem Griff packte sie Anna um den Leib, riß sie vom Stuhle auf und
-zog sie aus dem Schlafzimmer in ihre nebenanstoßende Kammer, deren Thür
-sie hastig von innen verriegelte.
-
-Es war höchste Zeit gewesen.
-
-Im Augenblick, als sie sich hinter die Thür gebracht hatten, erdröhnten
-die Schritte in Annas Wohnzimmer, und im nächsten Augenblicke erschien
-auf der Schwelle des Schlafgemachs eine grauenvolle Gestalt, die Gestalt
-eines Wahnsinnigen, Tobsüchtigen, des alten Johann.
-
-In der Linken hielt er die Laterne hoch, dann hörten die Frauen, die
-sich draußen zähneklappernd an die Thür drängten, seine Stimme, die
-jetzt pfeifend, in schneidenden Fisteltönen herauskam: »Siehste du,
-Kurnallje! Itze hab' ich dich!«
-
-Dann ein Sausen durch die Luft und ein schwerer schmetternder Streich;
-sein Stock hatte mit aller Gewalt in Annas Bett hineingeschlagen. Die
-gepolsterte Rolle die unter Annas Kopfkissen gelegen hatte, war
-während des Kampfes verschoben worden und lag jetzt mitten im Bett. Die
-längliche runde Gestalt des Polsters täuschte seinen wahnsinnumnachteten
-Sinnen vor, daß die junge Frau selber vor ihm läge; auf sie hatte er
-eingehauen.
-
-Ein wütendes Lachen folgte dem Streiche.
-
-»Hat's gut gethan? Hat's gut gethan?«
-
-Dann wurde seine Stimme undeutlich und verworren, als hätte er einen
-Brei im Munde, den er nicht mehr zu Worten zu zerkauen vermochte, wie
-die Stimme eines bösen Hundes, den die Wut so übermannt hat, daß er
-nicht mehr bellen kann.
-
-»Noch leben willst de? Noch mucken willst de? Tot mußt de sein! Tot mußt
-de sein! mußt de sein!«
-
-Und »krach«, »krach« und »krach« wie eine schaudervolle Begleitung
-zu den schaudervollen Worten schmetterte der Stock wieder, wieder und
-wieder in das Bett hinein.
-
-Nun schien er befriedigt.
-
-Ein langgezogenes »so -- siehste itze war's recht«, dann noch ein
-wortloses unverständliches Wühlen und Rumoren, und dann vernahmen
-die Frauen, wie er stampfenden Schrittes, so wie er gekommen war, das
-Schlafzimmer wieder verließ.
-
-Was that er jetzt? Wo ging er hin? Den Finger auf den Mund gelegt,
-bedeutete das Mädchen Anna, daß sie sich ruhig verhalten, daß sie
-zurückbleiben sollte, dann öffnete sie leise, leise, die Thür, streifte
-die Schuhe ab und schlich barfuß dem Alten im Dunkel nach. Nach längerer
-Zeit erst kam sie zurück.
-
-»Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin, kommen Sie schnell, seh'n Sie,
-was er jetzt angibt.«
-
-Sie warf Anna einen Mantel um, dann ergriff sie sie an der Hand und riß
-sie durch die dunklen Räume des Schlosses, über eine Hintertreppe in den
-Garten hinunter.
-
-In einiger Entfernung vor ihnen schritt der Alte, die Laterne in der
-einen, statt des Stocks jetzt einen Spaten in der andern Hand. Im linken
-Arme trug er die weiße Kopfrolle aus Annas Bett, die infolge seiner
-Streiche mitten durchgeknickt war und in zwei bammelnden Enden über
-seinen Arm hing.
-
-»Er glaubt, das sind Frau Baronin, die er da trägt,« stammelte das
-Mädchen Anna ins Ohr.
-
-Anna blickte starr.
-
-Das Mädchen zog sie am Arme und bedeutete sie, weiterzugehen; »aber
-leise,« mahnte sie, »leise!«
-
-Mit angehaltenem Atem schlichen sie hinter dem Alten her, so weit
-entfernt, daß sie seine von der Laterne beleuchtete Gestalt gerade noch
-zu erkennen vermochten.
-
-Jetzt sahen sie, wie er vom Wege in das Gebüsch abbog, und nachdem er
-sich einige Schritte weit hineingearbeitet hatte, blieb er stehen. An
-der Stelle, wo er sich befand, war eine kleine Lichtung im Dickicht,
-einige Fuß im Geviert. Er hing die Laterne an einen Ast, warf das
-Polster zur Erde, spuckte sich in die Hände und mit einem »nu jetzt
-aber 'mal« stieß er den Spaten in die Erde und fing an, eine Grube
-auszuwerfen.
-
-Die beiden Frauen hatten sich bis an den äußeren Rand des Gebüsches
-herangemacht; sie verfolgten jede seiner Bewegungen.
-
-Er arbeitete mit grimmiger Verbissenheit; ein dumpfes Grunzen begleitete
-jeden Spatenwurf. Dann richtete er sich auf, so daß das Licht der
-Laterne sich in seinen blutunterlaufenen, gräßlichen Augen spiegelte. Er
-raffte das Polster vom Erdboden auf, hob es mit beiden Armen empor und
-dann mit aller Gewalt schleuderte er es in das gähnende schwarze Loch,
-so daß man den dumpfen Puff vernahm, mit dem es unten aufschlug.
-
-Er stierte in die Grube hinunter.
-
-»Da gehste nein,« sagte er, »da bleibste und kommst all dein Lebtag
-nicht wieder heraus!«
-
-Dann griff er wieder zum Spaten und schaufelte das Loch zu.
-
-»Frau Baronin, kommen Sie fort,« flüsterte das Mädchen. Der Alte hatte
-sein Werk vollbracht, gleich würde er jetzt zurückkommen, auf die Stelle
-zu, wo die beiden standen. Sie wichen einige Schritte in dem dunklen
-Laubgang zurück. Durch das Dickicht brach er sich hindurch und an ihnen
-vorbei trottete er nach dem Schloß zurück.
-
-»Jetzt meint er, hat er Frau Baronin begraben,« sagte das Mädchen.
-
-Anna konnte nichts erwidern.
-
-Die gutgemeinte aber plumpe Art, mit der ihre Begleiterin ihr all
-das Schreckliche, was sie erlebte und sah, noch einmal wiederholte,
-steigerte die Entsetzensqual, die auf ihr lastete, bis zum
-Unerträglichen; der Atem versagte ihr, sie schluckte, schluckte und
-schluckte noch einmal, dann taumelte sie und wäre ohnmächtig zur Erde
-gefallen, wenn sie nicht mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gesunken
-wäre, und wenn nicht das Mädchen mit beiden Händen zugegriffen und sie
-aufrecht gehalten hätte.
-
-Erst allmählich hob sich der Druck, der ihr wie ein eiserner Reif die
-Brust umspannte. Endlich vermochte sie tief Atem zu holen, und nun brach
-sie in einen endlosen Thränenstrom aus.
-
-»Was soll ich jetzt machen?« schluchzte sie, »ins Schloß kann ich doch
-nicht mehr zurück!«
-
-Vom Jammer überwältigt, kniete das Mädchen vor ihr nieder und umfing sie
-mit den Armen.
-
-»Frau Baronin,« sagte sie flehend, »liebe, gutte, gnädige Frau Baronin,
-weinen Se och nich so! Gott is gutt, Gott wird Sie nicht verlassen! Ins
-Schloß dürfen Frau Baronin nicht zurück, das is ja klar; also will ich
-Frau Baronin etwas sagen: Frau Baronin gehen mit mir, zu meinen Eltern
-ins Dorf« -- in ihrer Erregung hatte sie all ihr Hochdeutsch vergessen
-und war wieder ganz das schlesische Landmädchen geworden --, »meine
-Eltern haben halt nur a paar kleene Stiebchen, aber 's sind gutte Leite,
-gutte Leite! Frau Baronin können ganz gutt a paar Tage bei ihnen wohnen.
-A Bett für Frau Baronin find't sich schon und a Brinkel zum essen auch,
-und murne is wieder a Tag, und da werden wir schon weiter seh'n, schon
-weiter seh'n.«
-
-Mit diesen Worten hatte sie Anna unter den Arm gefaßt und führte sie,
-die willenlos alles mit sich geschehen ließ, durch den Park auf das
-freie Feld hinaus und dann im weiten Bogen in das Dorf, zum Hause ihrer
-Eltern, wo sie in tiefer nächtlicher Stunde an die Fensterläden klopfte
-und die alten Leute aus dem Schlaf pochte.
-
-Eine halbe Stunde später lag Anna im Bette der alten Tagelöhnersfrau,
-während diese und ihr Mann sich mit ihrer Tochter, der Franzel, nebenan
-in die Küche setzten und mit offenem Mund und Augen die fürchterlichen
-Dinge anhörten, die sich droben auf dem Schlosse begeben hatten.
-
- * * * * *
-
-Am nächsten Morgen saß Eberhard von Fahrenwald oben in seinem Zimmer, in
-einen Armstuhl geschmiegt, die Kniee mit einer wollenen Decke umhüllt,
-müde, gebrochen, wie ein plötzlich alt gewordener Mann.
-
-Die Thür that sich auf, und der alte Johann erschien, eine Platte in
-Händen, auf der er ein Frühstück trug. Er setzte sie auf den Tisch neben
-seinen Herrn.
-
-»Frühstücken Herr Baron jetzt!« befahl er.
-
-Seine ehemalige demütige Haltung war nicht mehr; er stand neben seinem
-einstigen Herrn wie ein Aufseher bei einem Gefangenen.
-
-Der Baron senkte die Augen, es sah aus, als fürchtete er sich vor seinem
-Diener.
-
-»Frühstücken Sie,« gebot dieser noch einmal, und während Eberhard von
-Fahrenwald einige Bissen zum Munde zu führen versuchte, ging er, die
-Hände in den Hosentaschen, in den Zimmern auf und ab, die Fenster
-und Thüren untersuchend. Dann kam er zurück, um das Frühstück wieder
-abzuräumen.
-
-Eberhard sah mit scheuen Blicken an ihm vorbei. Seine Hände zupften an
-der wollenen Decke; man merkte ihm an, daß eine Frage auf seiner Seele
-lag, die sich nicht über die Lippen getraute. Endlich kam sie heraus:
-»Wo -- ist denn -- meine Frau?«
-
-Der Alte zuckte die Achseln, als verlohnte es sich nicht, auf solche
-Frage überhaupt zu antworten, und ging auf die Thür zu.
-
-»Wo ist meine Frau?« wiederholte Eberhard mit heiserer Stimme.
-
-Jetzt drehte der Alte die Augen zu ihm herum, die giftigen Augen.
-
-»Denken Herr Baron denn immer noch daran? Wäre abgethan, die Geschichte,
-hätt' ich gemeint. Wär' schon am besten, Herr Baron fingen an, an andres
-zu denken.«
-
-Eberhard ruckte und zuckte in seinem Stuhl; es sah aus, als ob er
-aufstehen wollte, aber der gefährliche Blick des Alten hielt ihn am
-Platze fest.
-
-Beide sahen sich eine Zeitlang stumm in die Augen. Dann traten
-Schweißtropfen auf die Stirn des Barons; erst nur vereinzelt, dann immer
-mehr, immer dicker, so daß ihm der Schweiß plötzlich über das Gesicht
-zu laufen begann. Er wollte sprechen, aber es sah aus, als wären seine
-Kinnladen verrenkt.
-
-»Aber -- sie ist nicht --«
-
-Er kam mit der Frage nicht zu Ende.
-
-»Ja, versteht sich!« fiel ihm der Alte mit wüster Brutalität ins Wort.
-»Was soll sie denn sonst auch sein? Da können Herr Baron warten, eh' die
-wiederkommt!«
-
-Eberhard stierte ihn an.
-
-»Fortgegangen?« fragte er tonlos.
-
-Jetzt kam der Alte von der Thür zurück, setzte die Platte wieder auf den
-Tisch und sah grinsend auf ihn herab.
-
-»Tot ist sie! Was haben Sie denn auch gedacht?«
-
-Eberhards Kniee zogen sich wie im Krampfe empor, sein Mund ging auf, als
-wenn er nach Luft schnappte, er stopfte beide Fäuste in den Mund,
-dann fiel sein Oberleib vornüber, so daß seine Brust beinah die Kniee
-berührte. Ein konvulsivisches Zucken ging durch seinen Körper.
-
-Wie ein Teufel stand der Alte neben ihm.
-
-»Das alles,« sagte er mit eiserner Stimme, »habe ich Herrn Baron zuvor
-gesagt, Herr Baron haben nicht hören wollen.«
-
-Eberhard gab keine Antwort. Er hatte die Hände unter den Kopf gestützt,
-er dachte nach. Merkwürdig -- mitten in der Zerrüttung seiner Seele
-fühlte er deutlich, daß er ganz klar dachte. Der ganze gestrige Abend
-war ihm gegenwärtig, alle Einzelheiten standen vor seiner Seele. Mit
-einem Ruck warf er den Kopf auf.
-
-»Aber als ich sie zuletzt sah, war sie nicht tot,« sagte er.
-
-Es war ihm plötzlich in Erinnerung gekommen, daß als er aus dem
-Bibliotheksaale ging, Annas lebloser Körper sich zu regen begonnen
-hatte.
-
-Der Alte that einen Schritt zurück; seine herabhängenden Hände ballten
-sich. Wollte der elende, verrückte Mensch da sich unterstehen, ihm zu
-sagen, daß sie nicht tot wäre? Es kam ihm vor, als sollte er um sein
-gutes Recht bestohlen werden.
-
-Eberhard hatte sich erhoben.
-
-»Wo ist meine Frau?« fragte er keuchend.
-
-»Tot ist sie!« brüllte ihm der Alte ins Gesicht. »Und das hab' ich Herrn
-Baron immer gesagt, und Herr Baron haben nicht hören wollen, und nun
-ist es gekommen, wie ich's gesagt habe! Und wenn Herr Baron mir nicht
-glauben wollen, dann ziehen Herr Baron sich an und kommen mit hinunter;
-will ich Herrn Baron zeigen, allwo daß sie da unten liegt!«
-
-Eberhard drückte beide Hände an den Kopf.
-
-»Gib mir meine Sachen!« sagte er dann, »gib mir meine Sachen!«
-
-In fliegender Hast kleidete er sich an.
-
-»Also jetzt,« sagte er dann, »vorwärts!«
-
-Schwankenden Schritts trat er auf den Flur, am Geländer sich haltend,
-wie ein Greis, arbeitete er sich, Stufe nach Stufe, die Treppe hinunter,
-und so ging es weiter, bis in den Garten hinab.
-
-Der Alte faßte ihn unter den Arm, weil er seine hülflose Schwäche sah.
-Eberhard machte eine Bewegung, als wollte er es nicht dulden, aber die
-Zeit war vorüber, da er zu gebieten hatte.
-
-»Kommen Sie,« sagte der Diener barsch. Jetzt hatte der gnädige Herr zu
-gehorchen.
-
-Den Laubgang führte er ihn entlang, bis an das Gebüsch, dann brach
-er sich durch die Büsche hindurch, und einen Augenblick darauf stand
-Eberhard vor dem frisch zugeworfenen Loch.
-
-Als er das sah, fiel er mit einem heulenden Schluchzen nieder,
-dann griff er mit den Händen in das Erdreich und begann, die Erde
-aufzuwühlen. Mit rauher Gewalt riß der Alte ihn fort.
-
-»Ah, was soll denn so etwas!« sagte er.
-
-Er nahm ihn wieder unter den Arm, noch fester als vorhin, ungefähr wie
-ein Polizist, der einen Entsprungenen geleitet. So führte er ihn aus dem
-Laubgange auf den Rasenplatz hinaus, in den Sonnenschein, und dort an
-eine Bank.
-
-»Setzen Herr Baron sich hier,« gebot er.
-
-Eberhards Widerstandskraft war gebrochen, er ließ sich nieder und
-drückte sich in die Ecke der Bank.
-
-Der Alte ging um den Rasen herum und dann, auf der andern Seite des
-Platzes, so daß er Eberhard fortwährend unter Augen behielt, auf und
-nieder. Mit dem Knüppel, den er jetzt immer bei sich trug, schlug er in
-den Erdboden, daß der Kies raschelte. Dann setzte er sich auf eine Bank,
-Eberhard gerade gegenüber, und von dort aus stierte er unverwandt auf
-diesen hin. Er hätte tagelang so sitzen können, ohne sich zu langweilen.
-
-Die »Einbrecherin« war beseitigt, er war wieder, was ihm von Gottes und
-Rechts wegen zukam, der Wärter seines »elenden, verrückten« Herrn -- er
-war zufrieden.
-
-Und inzwischen saß der unglückliche Mann, die Augen zu Boden gesenkt,
-weil er unablässig den fürchterlichen Beobachterblick auf sich gerichtet
-fühlte, erdrückt unter der Last seines Bewußtseins, das ihm jede
-Willens- und Widerstandskraft raubte, das ihn zum hülflosen Kinde in
-den Händen des grauenvollen Alten da drüben machte. Er war ja ein
-Verbrecher, ein Mörder! Was für ein Recht hat ein solcher, sich
-aufzulehnen? Er hat zu schweigen und dankbar zu sein, wenn man ihm das
-Leben läßt. Und warum ließ man ihm das Leben? Weil man annahm, daß er
-verrückt sei. Also -- er war verrückt. Sein Kinn senkte sich auf die
-Brust, sein Körper kroch förmlich in sich zusammen.
-
-Und dann kam immer wieder das merkwürdige Bewußtsein, daß er trotzdem
-ganz klar dachte. Er sträubte sich beinah dagegen. Kann ein Verrückter
-klar denken? Und dennoch war es so, und immer wieder und wieder tauchte
-die Erinnerung auf, daß sie sich zu regen begonnen hatte, als er aus
-dem Bibliotheksaale ging. Wäre nur der Alte nicht gleich bei der Hand
-gewesen, der ihn fortriß, so daß er nicht mehr Zeit behielt, noch einmal
-zurückzugehen und sich nach ihr umzusehen!
-
-Und dennoch also war sie tot? So war sie wohl nachher gestorben, nachdem
-er den Saal verlassen hatte? Er hatte ja die Grube mit eigenen Augen
-gesehen, in der sie lag -- also tot war sie wirklich?
-
-Und während er sich das alles sagte, kam immer und immer wieder ein
-Gefühl, als sei alles nicht so, als wäre sie nicht tot, nur irgendwo
-versteckt. Von der Bank, auf der er saß, konnte er die Buchenallee
-hinuntersehen, durch welche er damals mit ihr in den Park eingetreten
-war, bis hinunter an den Eichbaum, an den er damals den Kranz gehängt
-hatte. Immerfort gingen seine Augen die Allee entlang, immer war es
-ihm, als würde er dort unten am Ende der Allee plötzlich eine Gestalt
-erscheinen sehen, von der Sonne umleuchtet, eine ersehnte, geliebte
-Gestalt, als würde er auf sie zustürzen und sie ihm entgegenfliegen,
-als würde er in ihren Armen aufwachen aus gräßlichem, gräßlichem Traume,
-aufwachen als ein glückseliger Mensch zu neuem glückseligen Leben.
-
-So stark war seine Einbildung, daß er unwillkürlich von der Bank
-aufstand. Im selben Augenblick aber war schon der Aufpasser an seiner
-Seite. Er hatte die Blicke des Barons verfolgt, er sah in die Allee
-hinein -- war da etwas? Nichts.
-
-»Kommen Herr Baron,« sagte er, »es wird Zeit, daß Herr Baron etwas
-essen.« Er faßte ihn unter den Arm und schleppte ihn ins Schloß.
-
-So kam der Abend heran, und als es dunkel wurde, erfaßte eine qualvolle
-Unruhe den gepeinigten Mann. War es denn wirklich wahr, daß sie da
-draußen in der finsteren Nacht in dem finsteren tiefen Loche lag? Nein,
-nein, nein! Wenn er sich nur hätte überzeugen, nur die Grube aufwühlen
-und hineinschauen können, ob sie wirklich da unten war! Aber der Alte
-stand hinter ihm; er fühlte, wie er ihn von hinten ansah; seine Blicke
-lagen auf ihm wie Keulen. Wenn er den Versuch gemacht hätte, in den
-Garten hinauszukommen, würde jener sich wie ein Bullenbeißer auf ihn
-geworfen haben. Es schauderte ihn, schweigend kroch er wieder in sich
-zusammen.
-
-»Gehen Herr Baron jetzt zu Bett,« sagte der Alte, indem er, mit dem
-brennenden Lichte in der Hand, an die Thür des Bibliotheksaales trat.
-
-Eberhard erhob sich, dann aber, mit einem plötzlichen Griff, entriß er
-dem Diener das Licht, und ehe dieser es zu hindern vermochte, stürzte er
-damit ins Nebenzimmer.
-
-»Anna!« rief er laut und klagend, »Anna! Anna!«
-
-So lief er durch die Galerie und so von Zimmer zu Zimmer, das Licht
-emporhebend, im Kreise umherführend, mit den Augen umhersuchend in allen
-Ecken, ob er sie nicht irgendwo entdecken würde, irgendwo. Aber sie war
-nicht mehr da.
-
-So kam er in ihr Wohnzimmer, wo ihre Möbel standen und ihr Schreibtisch
-und ihre Blumen, wo alles noch erfüllt schien vom Dufte ihrer
-Persönlichkeit, und so endlich in ihr Schlafgemach. Da stand noch
-das Bett, in dem sie gelegen hatte, das einst so zierliche, jetzt so
-verwüstete Bett, und nun erfaßte es ihn wirklich wie Raserei, und er
-fing an, mit dem Lichte unter die Sofas zu leuchten und unter das
-Bett, als müßte sie da irgendwo versteckt sein, als müßte, müßte er sie
-finden.
-
-In dem Augenblick aber ertönte hinter ihm die eiserne Stimme: »Was soll
-denn so etwas? Herr Baron stecken ja noch das ganze Schloß in Brand.«
-
-Die harte Faust des Alten riß das Licht aus seiner Hand und hielt es
-hoch, so daß es ruhig stand, dann zog er ihn vom Boden empor, nahm
-seinen Arm unter seinen Arm, und indem er ihn wie in einer Zwinge
-gefangen hielt, führte er ihn hinaus, die Treppe hinauf in sein Zimmer.
-Er brachte ihn zu Bett, wie ein Kind, untersuchte noch einmal die
-Fenster.
-
-»Nun schlafen Herr Baron,« befahl er; dann riegelte er von außen die
-Thür zu.
-
-So verging Tag nach Tag, und so ein Abend nach dem andern. Jeden Tag das
-stundenlange Sitzen am Rasenplatze auf der Bank, das stumme Suchen mit
-den Augen in der Allee, jeden Abend das wandernde Licht von Zimmer
-zu Zimmer, das Suchen und Suchen und Nichtfinden, und bei Tage und
-am Abend, immerfort der Alte um ihn, hinter ihm, neben ihm, immer und
-immerfort.
-
-Im Dorfe und in der Umgegend verbreitete sich unterdessen die Nachricht,
-daß die junge Frau Baronin plötzlich gestorben sei, und dieser Nachricht
-folgte ein Gerücht, das man sich nur unter der Hand zuraunte: Der Herr
-Baron hatte seine eigene Frau umgebracht.
-
-Er war verrückt geworden, der Baron, und der alte Johann bewachte ihn.
-Der brave alte Johann!
-
-Er hatte immer großes Ansehen im Dorfe genossen, jetzt aber war er
-geradezu eine imposante Persönlichkeit geworden. Eigentlich war doch er
-jetzt der Herr vom Schloß.
-
-Wenn er mit seinem dicken Stock die Dorfstraße entlang kam, flogen
-die Mützen und Hüte von den Köpfen; er aber war ein stolzer Mann, er
-erwiderte keinen Gruß; wie ein Stier mit vorgestrecktem Kopf ging er
-seines Wegs. »Er hat jetzt halt so einen zornigen Blick,« flüsterten
-sich die Leute zu, wenn er vorüberging.
-
-Ja, er hatte einen zornigen Blick, und besonders, wenn er bei dem
-Taglöhnershause vorbeikam, wo die Eltern des Mädchens, der Franzel,
-wohnten.
-
-Die Frau war tot und hin, das wußte er ja, aber das Mädchen, das seit
-dem Abende verschwunden war, wo war das Mädchen geblieben?
-
-Jeden Vormittag, bevor er seinen Herrn herausließ, ging er durch das
-Dorf und jeden Vormittag trat er bei den alten Leuten ein.
-
-»Wißt ihr's immer noch nicht, wo daß euer Mädchen ist?«
-
-Die alten Leute zitterten am ganzen Leibe.
-
-»Nein, gnädiger Herr Johann, nischte wissen wir.«
-
-Das war die Antwort, die ihnen die Franzel eingelernt hatte, und
-währenddem saß diese auf dem Heuboden, unter dem Heu versteckt, zitternd
-wie Espenlaub.
-
-Anna war fort. Im Morgengrauen des Tages, der auf die schreckliche
-Nacht folgte, war sie, von der Franzel begleitet, zu Fuß nach der
-Eisenbahnstation gegangen. In der Tasche ihres Kleides hatte sie ihr
-Portemonnaie und in diesem ein paar Groschen Geld gefunden. So war sie
-nach Breslau zurückgelangt und hatte bei dem Onkel und der Tante
-wieder angeklopft. Wo sollte sie sonst bleiben? Und nun saß sie, eine
-verheiratete Frau, da, wo sie als Mädchen gesessen hatte, in wahrhaft
-jammervollem Zustande. Wie eine Prinzessin ausgezogen, war sie wie eine
-Bettlerin zurückgekommen.
-
-Dem Onkel und der Tante hatte sie erklären müssen, warum sie kam;
-schweren Herzens hatte sie es gethan, denn indem sie die Ereignisse
-jener Nacht andeutungsweise enthüllte, war ihr, als beginge sie einen
-Verrat an dem unglücklichen, trotz allem immer noch tief geliebten
-Manne.
-
-Der Onkel hatte nun mit einemmal »von vornherein gewußt und
-vorhergesagt, daß die ganze Geschichte Blödsinn sei und schlimm endigen
-würde«. Er gab sich kaum die Mühe, Anna zu verheimlichen, wie lästig
-ihre Anwesenheit ihm war, die er noch dazu, um nicht ins Gerede der
-Leute zu kommen, vor aller Welt verschweigen mußte. Der Zustand wurde
-mit der Zeit schier unerträglich. Da eines Tags kam aus Fahrenwald ein
-Brief für Anna, mit plumpen Schriftzügen zusammengefügt, ein Brief von
-der Franzel.
-
-Im Dorfe war es ruchbar geworden, wie der Baron Tag für Tag stundenlang
-am Rasenplatze saß, in die Allee blickend, wie er am Abend mit dem
-Lichte in der Hand durch die Zimmer lief und nach seiner Frau suchte und
-nach ihr rief. Dies alles berichtete ihr die Franzel.
-
-Als Anna dieses las, als sie erfuhr, wie er nach ihr verlangte, traf es
-sie wie ein Vorwurf ins Herz. Sie kam sich wie eine Pflichtvergessene
-vor, die von ihrem kranken Manne davongelaufen war, statt bei ihm
-auszuharren. Ein Entschluß stand in ihr auf, von dem sie zu niemand
-ein Wort sagte -- am nächsten Morgen war sie lautlos aus dem Hause des
-Onkels und der Tante verschwunden.
-
- * * * * *
-
-Es war um die Mittagsstunde. Die Sonne stand hoch, und im Sonnenschein
-saß Eberhard von Fahrenwald, in Decken gehüllt, auf seiner Bank. Ihm
-gegenüber, wie immer, der Alte als Aufpasser. Plötzlich sah dieser, wie
-der Baron, die Augen in die Allee gerichtet, aus der einen Ecke der Bank
-in die andre rutschte. Er schlug ein paarmal mit dem Stock in die Erde,
-als wollte er dem da drüben sagen, »nimm dich in acht, ich passe auf«.
-
-Aber der Baron achtete nicht auf ihn.
-
-Das war doch keine Täuschung, was er da eben gesehen hatte, daß da
-hinten eine Gestalt in hellem Kleide hinter den Büschen des Parks
-entlang und hinter den Eichbaum geschlüpft war, hinter dem sie sich
-jetzt verbarg?
-
-Und diese Gestalt -- war das nicht --?
-
-Und jetzt bog sich ein Hutrand hinter dem Baumstamme vor, ein gelber
-Hutrand, und unter dem Hutrande ein Gesicht --
-
-Gerade aufgereckt wie eine Eisenstange stand er von der Bank auf --
-in demselben Augenblick trat die Gestalt hinter dem Baume hervor und
-breitete beide Arme aus --
-
-»Anna!!« -- Es war Eberhard von Fahrenwald, der den Schrei ausgestoßen
-hatte, aber es hatte geklungen, wie wenn zehn Männer aufschrieen.
-
-Jetzt aber kam der Alte in Sprüngen über den Rasenplatz heran. Ein
-Blick in die Allee -- ein momentanes Erstarren -- dann ein Geifern und
-Knirschen wie von einem tollen Hunde. Die Allee entlang, gerade auf
-den Rasenplatz zu kam eine geschritten -- und diese eine war sie --
-die Tote! Jählings, bevor Eberhard, der immer noch wie in Erstarrung
-dastand, es verhindern konnte, stürmte der Alte, mit gesenktem Haupte,
-auf die Allee zu, Anna entgegen. Den Stock hatte er wie zum Schlage hoch
-erhoben, ein Gebrüll ertönte aus seinem Munde. Anna war unwillkürlich
-stehen geblieben, jetzt wandte sie sich um und fing an, die Allee
-zurückzulaufen. Endlich war Eberhard zu sich gekommen und zum Bewußtsein
-dessen, was sich begab. Mit einem Ruck schleuderte er den dicken
-Ueberzieher ab, den ihm der Diener heute früh angezogen hatte. Dann kam
-er gestreckten Laufes hinter dem Alten her.
-
-»Johann!« donnerte er. Seine Stimme hatte wieder den Klang früherer
-Tage, es war wieder die Stimme des Herrn.
-
-Für einen Augenblick regte sich in dem Alten wieder der Knecht; sein
-Gebrüll verstummte und einen Augenblick schwankte er auf die Seite.
-
-Dann aber brach die Wut von neuem in ihm los.
-
-»Das ist nicht wahr, daß sie lebendig sein will! Tot ist sie! Tot ist
-sie! Tot ist sie!«
-
-Und jetzt mit verdoppelter Wut raste er hinter dem flüchtenden Weibe
-her.
-
-Annas Kniee wankten und schwankten -- immer näher kamen die dröhnenden
-Schritte -- immer deutlicher vernahm sie das heisere Keuchen in ihrem
-Rücken, das belfernde Schnappen -- ihre Kräfte verließen sie -- vor
-ihren Augen wurde es dunkel -- ein schriller Schrei: »Eberhard --«
-
-Und in dem Augenblick hörte sie hinter sich ein Geräusch, wie sie es
-bis dahin nie gehört -- und als sie zusammenbrechend gegen einen Baum
-taumelte und sich umsah, erblickte sie Eberhard von Fahrenwald, der sich
-in dem Augenblick über den Alten gestürzt, ihn mit beiden Händen an der
-Gurgel gepackt hatte und mit einer Gewalt zu Boden schleuderte, daß der
-Körper sich um und um rollte und krachend in die Büsche flog.
-
-Mit einem gräßlichen Schrei raffte der Alte sich auf, mit geschwungenem
-Stock ging er seinem Herrn zu Leibe, und nun entspann sich zwischen den
-beiden Männern ein Kampf wie zwischen zwei Bären.
-
-Den Stock hatte ihm der Baron beim ersten Anprall entrissen, mit
-fletschenden Zähnen drang der Alte auf ihn ein, mit beiden Händen hielt
-Eberhard ihn am Halse gepackt, um ihn am Beißen zu verhindern. Und
-nun straffte der Körper des Barons sich zu einer letzten ungeheuren
-Anstrengung auf; mit einer Kraft, als wenn es gälte, einen Baum aus der
-Erde zu reißen, schwenkte er den Alten von rechts nach links und von
-links nach rechts, so daß er zu taumeln begann und seine Füße den Halt
-verloren, dann gab es einen schmetternden Krach, der Länge lang fiel
-der Alte zur Erde und im selben Augenblick kniete Eberhard auf seinem
-Rücken, ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenpressend.
-
-Ein Gebrüll, das nichts Menschliches mehr hatte, ein Geblöck, wie das
-eines wütigen Stieres, brach aus der Brust des Alten; mit den Zähnen biß
-er in die Erde; bläulicher Schaum stand auf seinen Lippen.
-
-In diesem Augenblick kamen mehrere Männer, die auf den Feldern in der
-Nähe beschäftigt gewesen waren und die furchtbaren Töne im Innern des
-Parks vernommen hatten, eilend die Allee entlang.
-
-»Hierher, Leute, hierher!« rief Eberhard ihnen entgegen.
-
-Als sie aber den Baron auf dem Johann knieen sahen, wurden sie stutzig
-und blieben stehen. Sie glaubten nicht anders, als daß der Wahnsinnige
-seinen Wärter überwältigt hatte. Was sollten sie thun?
-
-Jetzt trat Anna auf sie zu.
-
-»Helft dem Herrn Baron, lieben Leute, helft ihm!«
-
-Die Männer prallten zurück -- die Frau Baronin? Aber die Frau Baronin
-war ja tot?
-
-Anna begriff ihr Zaudern und Stutzen.
-
-»Es ist nicht wahr, was euch der Johann gesagt hat! Ich bin nicht tot;
-der Johann ist wahnsinnig, nicht der Baron, nicht der Baron!«
-
-Noch einen Augenblick standen die Männer wie besinnungslos; ihre
-schweren Gehirne konnten einen so völligen Umschwung aller Verhältnisse
-nicht so rasch fassen.
-
-Dann aber kamen sie im Sturm heran; im nächsten Augenblick war der Alte
-von zehn kräftigen Händen gepackt, weggerissen und unschädlich gemacht.
-
-»Bringt ihn ins Schloß,« gebot Eberhard von Fahrenwald, noch atemlos,
-aber mit ruhiger Sicherheit in der Stimme. »In die Stube unten, neben
-der Küche, mit den Eisengittern vor dem Fenster. Heute nachmittag fahre
-ich selbst mit ihm nach Breslau und bringe ihn ins Irrenhaus.«
-
-»Is gutt, gnädiger Herr Baron, is gutt,« kam es zur Antwort. Wer so
-sprechen und befehlen konnte, war vernünftig, das war ihnen klar.
-
-Die Männer zogen mit dem Wahnsinnigen ab; Anna und der Baron blieben
-zurück; an der Stätte, die eben von dem furchtbaren Lärm erfüllt gewesen
-war, trat eine tiefe Stille ein. Annas Kraft war zu Ende; sie saß am
-Rande des Wegs, hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und weinte still in
-ihr Tuch hinein.
-
-Ihr gegenüber, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, stand Eberhard
-von Fahrenwald. Seine breite Brust arbeitete noch von dem überstandenen
-Kampfe; seine Augen ruhten stumm auf seiner Frau.
-
-So verging geraume Zeit. Dann erhob sie langsam das Haupt und wandte es
-zu ihm herum. Er that einen Schritt auf sie zu; es sah aus, als wollte
-er etwas sagen, aber bevor er noch dazu gelangt war, sprang sie auf,
-breitete die Arme aus und mit einem Schrei der Liebe flog sie an seine
-Brust.
-
-»Umarme mich,« sagte sie, »ich will, daß die Arme mich umfangen, die
-mich vom Tode gerettet haben!«
-
-Als sie das sagte, brachen auch ihm die Thränen aus den Augen,
-unaufhaltsam, wie ein Strom. Ja -- er hatte sie zum Leben errettet; und
-sie wußte es und hatte es ihm gesagt.
-
-Er drückte sie an sich, nicht mit der wilden Glut und nicht mit der
-ängstlichen Scheu der früheren Tage, sondern mit der Sicherheit der
-warmen bewußten Liebe.
-
-»Anna,« sagte er leise und innig; und er küßte ihr Gesicht, das
-hingegeben zu ihm aufblickte.
-
-Dann legte er die Arme um sie, und sie schlugen den Weg zum Schlosse
-ein.
-
-»Siehst du nun,« sagte er, »wie es mir ergangen ist; dreißig Jahre bin
-ich alt geworden, und heute ist der erste Tag, da ich lebe. Siehst du,
-es ist wunderbar, wie sich einem das ganze Leben in einem Augenblick
-zusammendrängen kann: solch ein Augenblick ist es für mich gewesen,
-als ich den Alten zu Boden gekriegt hatte und auf ihm kniete. In dem
-Augenblick -- ich kann's mir nicht anders erklären -- ist der Bann
-gebrochen gewesen, der mich dreißig Jahre lang gehalten hat. Der Alte,
-siehst du, war mir gewissermaßen von meinem Vater vermacht; darum ist er
-von meiner Kindheit an fortwährend um mich gewesen und ich habe wie an
-etwas Unfehlbares an ihn geglaubt. Und weil er sich vom ersten Tage an
-eingebildet hat, daß er zum Wärter eines Wahnsinnigen bestellt wäre, so
-ist es ihm allmählich zur fixen Idee geworden, daß ich wahnsinnig sei
-und nichts andres sein dürfte.«
-
-Von der schrecklichen Vorstellung überwältigt, schwieg er. Dann preßte
-er sie leise mit dem Arm.
-
-»Mir ist das alles in dem einen Augenblick klar geworden. Kannst du es
-dir vorstellen?«
-
-An seine Schulter gelehnt, mit ihm dahinschreitend, drückte Anna seine
-Hand.
-
-»Ja, vollkommen,« erwiderte sie, »das was sich in dir geregt hat,
-war die Gesundheit, die sich wider die Krankheit wehrte, die man ihr
-aufzwingen wollte. Du warst vernünftig und bist bewacht worden von einem
-Wahnsinnigen. Nun aber wollen wir leben!«
-
-Es war, als wenn ein frischer Lebensquell in ihr aufgesprungen wäre; in
-der Stunde, da sie auf der Schwelle des Todes gestanden und ihr Gatte
-sie ins Leben zurückgerissen hatte, war sie zur Lebensgefährtin ihres
-Mannes gereift.
-
-Sie betraten das Schloß.
-
-An den Wänden hingen die zerschmetterten Spiegel, das Glas bedeckte noch
-jetzt den Fußboden, Annas Schlafgemach stand noch in der Unordnung, in
-der es sich befunden hatte, als sie damals das Schloß verließ -- ein
-Bild der Verwahrlosung und Verwüstung.
-
-Anna blieb stehen und faßte ihren Gatten an beiden Händen.
-
-»Eberhard,« sagte sie, »wir müssen zu einem Entschluß kommen. Dein Vater
-hat dir den alten Diener vermacht; er hat geglaubt, dir einen Segen
-damit zu bereiten -- du hast erfahren, was es gewesen ist. Siehst du,
-wie soll ich's dir sagen, ich meine, man kann nur leben, wenn sein Leben
-einem gehört; und dein Leben hat dir bis heute nicht gehört. Du hast es
-wie ein Erbteil empfunden, das zur Hälfte dir, zur andern Hälfte deinen
-Vorfahren gehörte. Komm und laß uns überlegen, wie wir's anfangen, daß
-wir nun wirklich unser eigenes Leben leben.«
-
-Er sah sie mit strahlenden Augen an.
-
-»Den Anfang dazu weiß ich,« versetzte er. »Diese Ahnengalerie, die
-hier seit Jahrhunderten gehangen hat und jetzt als eine Sammlung
-Abgeschiedener immer noch mitten in unsren Wohnräumen hängt, lass' ich
-hinaufschaffen in den oberen Stock. Da mögen sie hängen, als das, was
-sie sind, als historische Reliquien. Denn die Erinnerung, scheint mir,
-ist schließlich doch wie ein Leichnam im lebendigen Dasein, und
-darum ist mir immer zu Mute gewesen, als lebte ich fortwährend in der
-Gesellschaft von Toten.«
-
-»So ist's recht,« erwiderte sie, »und nun noch eins. Wir können über die
-Erinnerung an jenen bewußten bösen Abend nicht so hinweg, und wenn
-wir's mit Gewalt versuchen, werden wir wieder krank. Du hast mich einmal
-gefragt, ob wir eine Hochzeitreise machen wollten, ich hab's damals
-nicht gewollt -- nun schlag' ich dir vor, Eberhard, wir wollen reisen,
-und wenn wir wiederkommen, bringen wir die große weite Welt in unsren
-Seelen mit und schließen uns nicht mehr, wie bisher, in unsrem Schlosse
-ein, sondern denken und sorgen für die Menschen um uns her -- und
-wenn man für Menschen zu sorgen hat, behält man keine Zeit, sich vor
-Gespenstern zu sorgen.«
-
-In tiefer Freude schloß er seine junge, kluge, mutige Frau in die Arme.
-
-»Heute nachmittag,« sagte er, »fange ich mit meinen Pflichten an, indem
-ich den Alten nach Breslau in die Anstalt bringe, und morgen früh reisen
-wir in die Welt. Reisen wir ganz allein?«
-
-»Nur eine soll uns begleiten,« erwiderte sie lächelnd, »die gute treue
-Franzel.«
-
-Und so geschah es.
-
-Im August reiste der Freiherr von Fahrenwald mit seiner Gattin ab, und
-als im Mai des nächsten Jahres der Frühling wieder in das schlesische
-Paradies herabstieg, kamen sie zum Schlosse Fahrenwald zurück.
-
-Heute stiegen sie nicht am Parkrande aus, heute fuhren sie durch das
-Dorf, heute gingen sie nicht, einsam wie damals, vor der Welt versteckt,
-durch den einsamen Park, heute durchschritten sie, Hände schüttelnd,
-grüßend und lächelnd, die Bewohnerschaft des Dorfes, die sich festlich
-gesammelt hatte und, den Schulzen an der Spitze, die Herrschaft
-bewillkommnete.
-
-Der Schritt des Barons war elastisch und frisch, der der jungen
-Frau Baronin, die an seinem Arme hing, etwas gehemmt, und auf ihrem
-freundlichen Gesichte lag eine leise schamhafte Röte.
-
-»Nu sag mir, Franzel,« sagte am Abende nach der Ankunft die alte
-Taglöhnersfrau, die in der Zwischenzeit mit ihrem Manne die Obhut über
-das Schloß geführt hatte und jetzt auf ihm als wohlbestallte Verwalterin
-eingesetzt war, »nu sag mir. Mit unsrer Frau Baronin -- hm?«
-
-Die Franzel nickte und kicherte, und was die beiden sich mit halben
-Worten unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hatten, kam im
-Juni ans Licht, als in dem Schlafgemache, zu dessen geöffneten Fenstern
-die Frühlingsluft hereinströmte und der Sang der Vögel hereintönte,
-unter dem blauseidenen Betthimmel ein reizender, rosiger, kleiner
-Fahrenwald neben der blassen, glückseligen jungen Mutter lag.
-
-»Daß du doch das Schenken nicht lassen kannst, du Unverbesserlicher,«
-sagte sie lächelnd zu dem Manne, der glücküberströmt neben ihr stand
-und soeben einen großen köstlichen, mit einem Brillantenbande
-zusammengebundenen Blumenstrauß auf ihr Bett gelegt hatte.
-
-»Seit einem Jahr das erste Mal wieder,« entgegnete er, indem er sein
-Gesicht auf das ihrige niederbeugte und sie mit tiefer Seligkeit auf
-Mund und Stirn und Augen küßte.
-
-Und wieder einige Zeit später, als der Sommer in voller schwerer Wucht
-auf der Erde lag, vernahm der Mann, der dort oben in seinem Bette eben
-vom Schlaf erwachte, einen Ruf von unten, wie den Ruf der Lerche,
-die zum Leben weckt. Aber es war nicht die Lerche und auch nicht die
-Nachtigall, und als er ans Fenster stürzte, sah er im Garten dort unten,
-zwischen den Blumenbeeten wandelnd, seine Frau, seine Anna, die heute
-zum erstenmal ins Freie gekommen war.
-
-Das Kindermädchen ging hinter ihr, den Kleinen im Kissen tragend; und
-als am Fenster droben das Gesicht des Vaters erschien, nahm Anna das
-Kind in ihre Arme. Nicht mit dem Taschentuche wehte sie heute, heute
-winkte sie mit dem Kinde: »Komm herunter, Eberhard, hier unten ist's
-wundervoll.«
-
-Und er kam, wie ein Sturmwind kam er hinunter zu Mutter und Kind, und es
-war, wie sie gesagt hatte -- wundervoll -- wundervoll.
-
-
-Ende.
-
-
-
-
-=ENGELHORNS=
-
-~Allgemeine~
-
-~#Romanbibliothek#~.
-
-Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
-
-Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.
-
-Preis pro Band 50 Pf. Elegant in Leinwand geb. 75 Pf.
-
-
-Als vor nunmehr zehn Jahren unsre roten Bände ihren ersten Flug in die
-Welt wagten, begegneten sie manchen Zweifeln, ob ihr Prinzip #billig und
-gut# ihnen Bahn zu brechen im stande sein werde.
-
-Bald aber zeigte es sich, daß der Gedanke, dem deutschen Volke
-die besten Erzeugnisse der Romanlitteratur aller Nationen zu einem
-beispiellos billigen Preise bei guter und geschmackvoller Ausstattung
-und in handlicher Form zu bieten, nicht nur lebensfähig, sondern
-geradezu zündend war.
-
-Seither hat sich unser Unternehmen mehr und mehr eingebürgert, und
-auf Schritt und Tritt begegnet man den schmucken Bänden, die sowohl am
-häuslichen Herd, als auch auf der Reise und im Bade zum unentbehrlichen
-Freund und Begleiter geworden sind.
-
-Der bisher erzielte Erfolg ist uns nicht nur ein Sporn geworden, sondern
-macht es uns auch möglich, nicht stillzustehen, vielmehr rüstig auf der
-betretenen Bahn weiterzuschreiten. Mit wachsamem Auge verfolgen wir die
-Romanproduktion, und kein Opfer soll uns zu groß sein, wenn es gilt, ein
-hervorragendes Werk für unsre Sammlung zu erwerben.
-
-Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten
-Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung zum Preise von
-#50 Pf.# für den broschierten und #75 Pf.# für den gebundenen Band
-bezogen werden.
-
-
-Erster Jahrgang.
-
- #Der Hüttenbesitzer.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französ. 2 Bände.
-
- #Aus Nacht zum Licht.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen.
-
- #Zéro.# Eine Geschichte aus Monte Carlo. Von Mrs. ^Praed^. Aus dem
- Englischen.
-
- #Wassilissa.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Vornehme Gesellschaft.# Von ^H. Aïdé^. Aus dem Englischen.
-
- #Gräfin Sarah.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Unter der roten Fahne.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus d. Englischen.
-
- #Abbé Constantin.# Von ^L. Halévy^. Aus dem Französischen.
-
- #Ihr Gatte.# Von ^G. Verga^. Aus dem Italienischen.
-
- #Ein gefährliches Geheimnis.# Von ^Charles Reade^. Aus d. Engl.
- 2 Bde.
-
- #Gérards Heirat.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.
-
- #Dosia.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.
-
- #Ein heroisches Weib.# Von ^J. I. Kraszewski^. Aus dem Polnischen.
-
- #Eheglück.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Schiffer Worse.# Von ^Alex. Kielland^. Aus dem Norwegischen.
-
- #Ein Ideal.# Von ^Marchesa Colombi^. Aus dem Italienischen.
-
- #Dunkle Tage.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen.
-
- #Novellen# von ^Hjalmar Hjorth Boyesen^. _Glitzer-Brita._ -- _Einer,
- der seinen Namen verlor._ Deutsch von _Friedrich Spielhagen_. --
- _Ein Ritter vom Danebrog._ Aus dem Englischen.
-
- #Die Heimkehr der Prinzessin.# Von ^Jacques Vincent^. Aus d.
- Französ.
-
- #Ein Mutterherz.# Von ^A. Delpit^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
-
-Zweiter Jahrgang.
-
- #Der Steinbruch.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Helene Jung.# Von ^Paul Lindau^.
-
- #Maruja.# Von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.
-
- #Die Sozialisten.# Aus dem Englischen.
-
- #Criquette.# Von ^L. Halévy^. Aus dem Französischen.
-
- #Der Wille zum Leben. -- Untrennbar.# Von ^Adolf Wilbrandt^.
-
- #Die Illusionen des Doktor Faustino.# Von ^Valera^. Aus d. Span.
-
- #Zu fein gesponnen.# Von ^B. L. Farjeon^. Aus dem Englischen.
- 2 Bände.
-
- #Gift.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.
-
- #Fortuna.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.
-
- #Lise Fleuron.# Von ^G. Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Aus des Meeres Schaum. -- Aus den Saiten einer Baßgeige.# Von
- ^Salvatore Farina^. Aus dem Italienischen.
-
- #Auf der Woge des Glücks.# Von ^Bernhard Frey^. (_M. Bernhard._)
-
- #Die hübsche Miß Neville.# Von ^B. M. Croker^. Aus dem Engl. 2 Bde.
-
- #Die Verstorbene.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französischen.
-
- #Mein erstes Abenteuer und andere Geschichten.# Von ^Hans Hopfen^.
-
- #Ihr ärgster Feind.# Von Mrs. ^Alexander^. Aus d. Englischen. 2 Bde.
-
- #Ein Fürstensohn. -- Zerline.# Von ^Claire von Glümer^.
-
- #Von der Grenze.# Novellen von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.
-
- #Eine Familiengeschichte.# Von ^Hugh Conway^. Aus d. Englischen.
- 2 Bde.
-
-
-Dritter Jahrgang.
-
- #Die Versaillerin.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.
-
- #In Acht und Bann.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus dem Englischen.
-
- #Die Tochter des Meeres.# Von ^Johanne Schjörring^. Aus dem
- Dänischen.
-
- #Lieutenant Bonnet.# Von ^Hector Malot^. Aus d. Französ. 2 Bände.
-
- #Pariser Ehen.# Von ^E. About^. Aus dem Französischen.
-
- #Hanna Warners Herz.# Von ^Florence Marryat^. Aus d. Englischen.
-
- #Eine Tochter der Philister.# Von ^Hjalmar Hjorth Boyesen^. Aus dem
- Englischen. 2 Bände.
-
- #Savelis Büßung.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.
-
- #Die Damen von Croix-Mort.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französ.
- 2 Bände.
-
- #Die Glocken von Plurs.# Von ^Ernst Pasqué^.
-
- #Fromont junior und Risler senior.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem
- Französischen. 2 Bände.
-
- #Der Genius und sein Erbe.# Von ^Hans Hopfen^.
-
- #Ein einfach Herz.# Von ^Charles Reade^. Aus dem Englischen.
-
- #Baccarat.# Von ^Hector Malot^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Mein Freund Jim.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen.
-
- #Hanna.# Von ^Heinr. Sienkiewicz^. Aus dem Polnischen.
-
- #Das beste Teil.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem Französischen.
-
- #Lebend oder tot.# Von ^Hugh Conway^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Die Familie Monach.# Von ^Robert de Bonnières^. Aus dem Französ.
-
-
-Vierter Jahrgang.
-
- #Eine neue Judith.# Von ^H. Rider Haggard^. Aus d. Englischen.
- 2 Bde.
-
- #Schwarz und Rosig.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen.
-
- #Das Tagebuch einer Frau.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französ.
-
- #Jahre des Gärens.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.
-
- #Gute Kameraden.# Von ^H. Lafontaine^. Aus dem Französischen.
-
- #Die Töchter des Commandeurs.# Von ^Jonas Lie^. Aus dem Norweg.
-
- #Zita.# Von ^Hector Malot^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Die Erbschaft Xenias.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.
-
- #Kinder des Südens.# Von ^Rich. Voß^.
-
- #Daniele Cortis.# Von ^A. Fogazzaro^. Aus dem Italienischen.
- 2 Bände.
-
- #Die Herz-Neune.# Von ^B. L. Farjeon^. Aus dem Englischen.
-
- #Sie will.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Die Kinder der Excellenz.# Von ^Ernst v. Wolzogen^.
-
- #Um den Glanz des Ruhmes.# Von ^Salvatore Farina^. Aus dem Ital.
-
- #Der Nabob.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen. 3 Bände.
-
- #Der kleine Lord.# Von ^F. H. Burnett^. Aus dem Englischen.
-
- #Der Prozeß Froideville.# Von ^André Theuriet^. Aus d.
- Französischen.
-
- #Stella.# Von Miß ^M. E. Braddon^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
-
-Fünfter Jahrgang.
-
- #Robert Leichtfuß.# Von ^Hans Hopfen^. 2 Bände.
-
- #Der Unsterbliche.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen.
-
- #Lady Dorotheas Gäste.# Von ^Ouida^. Aus dem Englischen.
-
- #Marchesa d'Arcello.# Von ^Memini^. Aus dem Italienischen. 2 Bände.
-
- #Was der heilige Joseph vermag.# Aus dem Französischen.
-
- #Alessa. -- Keine Illusionen.# Von ^Claire von Glümer^.
-
- #Wie in einem Spiegel.# Von ^F. C. Philips^. Aus d. Englischen.
- 2 Bände.
-
- #Schnee.# Von ^Alexander Kielland^. Aus dem Norwegischen.
-
- #Jean Mornas.# Von ^Jules Claretie^. Aus dem Französischen.
-
- #Auf der Fährte.# Von ^H. F. Wood^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Satisfaction. -- Das zersprungene Glück. -- La Speranza.# Von
- ^Alexander Baron von Roberts^.
-
- #Die Scheinheilige.# Von ^Karoline Gravière^. Aus dem Französischen.
-
- #Doktor Rameau.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französ. 2 Bände.
-
- #Frau Regine.# Von ^Emil Peschkau^.
-
- #Zwei Brüder.# Von ^Guy de Maupassant^. Aus dem Französischen.
-
- #Mein Sohn.# Von ^Salvatore Farina^. Aus dem Italienischen. 2 Bände.
-
- #Dosias Tochter.# Von ^Henry Gréville^. Aus dem Französischen.
-
- #Der Lotse und sein Weib.# Von ^Jonas Lie^. Aus dem Norwegischen.
-
- #Numa Roumestan.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen.
- 2 Bände.
-
-
-Sechster Jahrgang.
-
- #Die tolle Komteß.# Von ^Ernst v. Wolzogen^. 2 Bände.
-
- #Eine Sirene.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem Französischen.
-
- #Jack und seine drei Flammen.# Von ^F. C. Philips^. Aus dem
- Englischen.
-
- #Mr. Barnes von New-York.# Von ^A. C. Gunter^. Aus d. Engl. 2 Bde.
-
- #Gertruds Geheimnis.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.
-
- #Wunderbare Gaben# und andere Geschichten. Von ^Hugh Conway^. Aus
- dem Englischen.
-
- #Letzte Liebe.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen. 2 Bände.
-
- #Die Sabinerin. -- Felice Leste. -- Die Mutter der Catonen.# Von
- ^Richard Voß^.
-
- #Mia.# Von ^Memini^. Aus dem Italienischen.
-
- #Diana Barrington.# Von ^B. M. Croker^. Aus d. Englischen. 2 Bände.
-
- #Der reine Thor.# Von ^Karl v. Heigel^.
-
- #Ein Kirchenraub. -- Junge Liebe.# Von ^H. Pontoppidan^. Aus dem
- Dänischen.
-
- #Die Könige im Exil.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus d. Französ.
- 2 Bände.
-
- #Die verhängnisvolle Phryne.# Von ^F. C. Philips^ u. ^C. J. Wils^.
- Aus dem Englischen.
-
- #Sergius Panin.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französischen. 2 Bände.
-
- #Achtung Schildwache!# und andere Geschichten. Von ^Mathilde Serao^.
- Aus dem Italienischen.
-
- #Salonidylle.# Von ^H. Rabusson^. Aus dem Französischen.
-
- #Mr. Potter aus Texas.# Von ^A. C. Gunter^. Aus dem Engl. 2 Bände.
-
- #Ein gefährliches Werkzeug.# Von ^D. C.^ u. ^H. Muray^. Aus d. Engl.
-
-
-Siebenter Jahrgang.
-
- #Preisgekrönt.# Von ^Alexander Baron von Roberts^. 2 Bände.
-
- #Die Seele Pierres.# Von ^Georges Ohnet^. Aus dem Französischen.
-
- #Zum Kinderparadies.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.
-
- #Imogen.# Von ^Hamilton Aïdé^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Port Tarascon.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Fanzösischen.
-
- #Ein Mann von Bedeutung.# Von ^Anthony Hope^. Aus d. Englischen.
-
- #Ohne Liebe.# Von ^Fürst Galitzin^. Aus dem Russischen. 2 Bände.
-
- #Die Erbin.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem Englischen.
-
- #Die kühle Blonde.# Von ^Ernst v. Wolzogen^. 2 Bände.
-
- #Mein Pfarrer u. mein Onkel.# Von ^Jean de la Brète^. Aus d.
- Französ.
-
- #Der Mönch von Berchtesgaden# und andere Erzählungen. Von ^Rich.
- Voß^.
-
- #Oberst Quaritch.# Von ^H. Rider Haggard^. Aus dem Engl. 2 Bände.
-
- #Noras Roman.# Von ^Emil Peschkau^.
-
- #Auf Vorposten# und andere Geschichten. Von ^F. de Renzis^. Aus dem
- Italienischen.
-
- #Versiegelte Lippen.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus d. Französ.
- 2 Bände.
-
- #Aus den Papieren eines Wanderers.# Von ^Jeffery C. Jeffery^. Aus
- dem Englischen.
-
- #Mein Onkel Scipio.# Von ^André Theuriet^. Aus dem Französischen.
-
- #Wie's im Leben geht.# Von ^A. Delpit^. Aus dem Französischen.
- 2 Bde.
-
- #Verhängnis.# Von ^F. de Renzis^. Aus dem Italienischen.
-
-
-Achter Jahrgang.
-
- #Irgend ein Anderer.# Von ^B. M. Croker^. Aus d. Englischen.
- 2 Bände.
-
- #Fräulein Reseda. -- Ein Mann der Erfolge.# Von ^Julien Gordon^. Aus
- dem Englischen.
-
- #Künstlerehre.# Von ^Octave Feuillet^. Aus dem Französischen.
-
- #In frischem Wasser.# Von ^Helene Böhlau^. 2 Bände.
-
- #Die geprellten Verschwörer.# Von ^W. E. Norris^. Aus dem
- Englischen.
-
- #Daphne.# Nach =A Diplomat's Diary= von ^Julien Gordon^, deutsch
- bearb. von _Friedrich Spielhagen_.
-
- #Ein Genie der That.# Von ^Ernst Remin^. 2 Bände.
-
- #Mischa.# Von ^Maguerite Poradowska^. Aus dem Französischen.
-
- #Der Thronfolger.# Von ^Ernst von Wolzogen^. 2 Bände.
-
- #Im Reisfeld. -- Ohne Liebe.# Von ^Marchesa Colombi^. Aus d. Ital.
-
- #Eine Künstlerin.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.
-
- #Miß Niemand.# Von ^A. C. Gunter^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Marienkind.# Von ^Paul Heyse^.
-
- #Schwarzwaldgeschichten.# Von ^Hermine Villinger^.
-
- #Jack.# Von ^Alphonse Daudet^. Aus dem Französischen. 3 Bände.
-
- #Der schwarze Koffer.# Aus dem Engl.
-
- #Der Affenmaler.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.
-
- #Schwer geprüft.# Von ^J. Masterman^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
-
-Neunter Jahrgang.
-
- #Im Schuldbuch des Hasses.# Von ^Georges Ohnet^. Aus d. Französ.
- 2 Bände.
-
- #Meine offizielle Frau.# Von ^Col. Richard Henry Savage^. Aus d.
- Engl.
-
- #Sein Genius.# Von ^Claus Zehren^.
-
- #Ein Zugvogel.# Von ^B. M. Croker^. Aus dem Englischen. 2 Bände.
-
- #Violette Merian.# Von ^Augustin Filon^. Aus dem Französischen.
-
- #Fräulein Kapitän.# Eine Eismeergeschichte von ^Max Lay^.
-
- #Ein puritanischer Heide.# Von ^Julien Gordon^. 2 Bde. Aus d. Engl.
-
- #Das Stück Brot und andere Geschichten.# Von ^François Coppée^. Aus
- dem Französischen.
-
- #In der Prairie verlassen.# Von ^Bret Harte^. Aus dem Englischen.
-
- #Zwischen Lipp' und Kelchesrand.# Von ^Charles de Berkeley^. Aus dem
- Französischen. 2 Bände.
-
- #Mein erster Klient und andere Geschichten.# Von ^Hugh Conway^. Aus
- dem Englischen.
-
- #Auf steinigen Pfaden.# Von ^Léon de Tinseau^. Aus dem
- Französischen.
-
- #Heimatlos.# Von ^Hector Malot^. 3 Bände. Aus dem Französischen.
-
- #Baronin Müller.# Von ^Karl von Heigel^.
-
- #In guter Hut.# Von ^Jeanne Mairet^. Aus dem Französischen.
-
- #Das Kind.# Von ^Ernst Eckstein^.
-
- #Das Haus am Moor.# Von ^Florence Warden^. Aus d. Englischen. 2 Bde.
-
- #Giovannino oder den Tod! -- Dreißig Prozent.# Von ^Mathilde Serao^.
- Aus dem Italienischen.
-
- #Des Seemanns Tagebuch.# Von ^Gustave Toudouze^. Aus d. Französ.
-
-
-Zehnter Jahrgang.
-
- #Das Geheimnis des Hauslehrers.# Von ^Victor Cherbuliez^. 2 Bände.
-
- Ein wirklich herzerfreuendes Buch ist es, das der beliebte Erzähler
- hier darbietet; ein Kunstwerk, bezaubernd in Form und Inhalt. Zwei
- reizvolle Vertreterinnen der heutigen Jugend hat er erwählt, und mit
- Geist und Grazie weiß er sie zu schildern.
-
- #Das wandernde Licht.# Von ^Ernst v. Wildenbruch^.
-
- Diese Novelle des berühmten Dichters ist das durchaus ungewöhnliche
- Werk eines selbständigen Geistes, voll Leben und dramatischer Kraft.
-
-
-Die nachstehenden Romane sind auch in einer #zu Geschenken ganz
-besonders geeigneten#
-
-=Salon-Ausgabe=
-
-auf #feines, extra starkes Papier# gedruckt und in #elegantem
-Liebhaber-Einband# zum Preise von #M. 2.-- für den einfachen und M. 3.--
-für den doppelten Band# erschienen.
-
-
-Einfache Bände:
-
- ^Burnett^, #Der kleine Lord#.
- ^Feuillet^, #Das Tagebuch einer Frau#.
- ^Paul Lindau^, #Helene Jung#.
- ^Voß^, #Kinder des Südens#.
- #Was der heilige Joseph vermag#.
- ^v. Wolzogen^, #Die Kinder der Excellenz#.
-
-
-Doppel-Bände:
-
- ^Conway^, #Eine Familiengeschichte#.
- ^Croker^, #Die hübsche Miß Neville#.
- ^Hopfen^, #Robert Leichtfuß#.
- ^Ohnet^, #Der Hüttenbesitzer#.
- ^v. Wolzogen^, #Der Thronfolger#.
- " #Die tolle Komteß#.
-
-
-
-
- * * * * * *
-
-
-
-
-Hinweise zur Transkription
-
-Die Verlagsreklame wurde am Buchende zusammengefasst.
-
-Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
-einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Schooß"
--- "Schoß",
-
-mit folgenden Ausnahmen,
-
- Seite 22:
- "." eingefügt
- (Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.)
-
- Seite 42:
- "," eingefügt
- (»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam)
-
- Seite 68:
- "," geändert in "."
- (Stumm drückte sie ihm die Hand.)
-
- Seite 72:
- "," eingefügt
- (fuhr er fort, »weil ich sah)
-
- Seite 90:
- "«" entfernt hinter "Vermögen?"
- (Ja, wo war denn ihr eigenes Vermögen?)
-
- Seite 99:
- "," geändert in "."
- (ihre Kniee aneinander, als wollte er sie zermalmen.)
-
- Seite 109:
- "," eingefügt hinter "trug"
- (eines der braunsamtnen Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße)
-
- Seite 123:
- "Entsetz-ichen" geändert in "Entsetzlichen"
- (von all dem Dunklen, Entsetzlichen!)
-
- Seite 127:
- "," eingefügt
- (»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.)
-
- Seite 130:
- "«" eingefügt
- (»Aber Eberhard -- was machst du denn?«)
-
- Seite 134:
- "," eingefügt
- (»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«)
-
- Seite 141:
- "," geändert in "."
- (und in zwei bammelnden Enden über seinen Arm hing.)
-
- Seite 155:
- "»" entfernt vor "dreißig"
- (ergangen ist; dreißig Jahre bin ich alt geworden)
-
- im Reklameteil:
- "Fortsetzung siehe am Schluß dieses Bandes." wurde entfernt
-
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-***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***
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-<h1 class="pg">The Project Gutenberg eBook, Das wandernde Licht, by Ernst von Wildenbruch</h1>
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-<p>Title: Das wandernde Licht</p>
-<p>Author: Ernst von Wildenbruch</p>
-<p>Release Date: September 19, 2017 [eBook #55580]</p>
-<p>Language: German</p>
-<p>Character set encoding: ISO-8859-1</p>
-<p>***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<h3>E-text prepared by the Online Distributed Proofreading Team<br />
- (http://www.pgdp.net)</h3>
-<p>&nbsp;</p>
-<hr class="full" />
-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-
-<p class="ce lh2"><span class="fsl">Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.</span><br />
-Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.<br />
-Zehnter Jahrgang. Band 3.</p>
-
-<h1>Das wandernde Licht.</h1>
-
-<p class="ce lh2"><span class="fsl">Novelle</span><br />
-von<br />
-<span class="fsxl">Ernst von Wildenbruch.</span></p>
-
-
-<p class="ce mt4"><b>Stuttgart.</b><br />
-<span class="ge">Verlag von J.&nbsp;Engelhorn.</span><br />
-1893.</p>
-
-
-<p class="ce fss mt4">Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht, vorbehalten.</p>
-
-<p class="ce fsxs mt2">Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.</p>
-
-
-
-
-<p class="pb mt4"><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a>
-An der kleinen Station, die nicht weit hinter Breslau
-an dem großen Schienenstrange liegt, der, Schlesien durchquerend,
-Berlin mit Wien verbindet, war zu später Abendstunde
-der Eisenbahnzug angekommen.</p>
-
-<p>Es war keiner von den Kurierzügen; wenige Fahrgäste
-nur saßen in den Wagen verteilt; auf der Station
-stiegen nicht mehr als zwei Reisende aus. Dies waren
-zwei Männer, von denen der eine, der bejahrter und dicker
-als der andre war, sogleich von dem Gepäckträger des Bahnhofs
-in Empfang genommen und begrüßt wurde. Er schien
-am Orte bekannt zu sein, und das war natürlich genug,
-denn es war der Arzt, der in der kleinen, etwa zwei Meilen
-hinter der Station landeinwärts gelegenen Stadt seinen
-Wohnsitz hatte.</p>
-
-<p>»Ist der Wagen da?« fragte er den Gepäckträger,
-dem er seine Reisetasche anvertraute; er war offenbar nur
-zu einem kurzen Ausfluge von Hause fort gewesen.</p>
-
-<p>»Is da, Herr Dukter,« erwiderte jener; »die Frau
-Dukter hat och den Mantel für'n Herrn mit eingelegt, wird
-aber nicht nötig sein, is scheenes Wetter heut abend zur
-Nacht.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a>
-Jetzt wandte sich der Arzt an den Mitreisenden.</p>
-
-<p>»Wollen Sie nicht auch nach &ndash; fahren?« Und er
-nannte den Namen des Städtchens.</p>
-
-<p>Der Angeredete bejahte. Er wollte am nächsten Tage
-noch weiter ins Land hinein; darum hatte er die Absicht gehabt,
-in der Stadt zu übernachten.</p>
-
-<p>Mit einem raschen Blick stellte der Doktor fest, daß
-außer einem Koffer nichts weiter an ihm hing.</p>
-
-<p>»Wenn's Ihnen also recht ist,« meinte er, »steigen Sie
-mit ein, und wir fahren zusammen.«</p>
-
-<p>Das wurde angenommen, und bald darauf rasselte der
-Wagen mit seinen Insassen durch das Gitterthor des Bahnhofgebäudes
-auf die Chaussee hinaus, die sich im Mondlicht
-wie ein weißes flimmerndes Band in das Land hinein
-verlor.</p>
-
-<p>Es war, wie der Gepäckträger gesagt hatte, schönes
-Wetter heut abend zur Nacht.</p>
-
-<p>Man befand sich im Juli; zu beiden Seiten der
-Chaussee stand das reifende Korn auf den Feldern; über
-dem weiten, flachen Lande lag die tiefe, süße Stille der
-Sommernacht, nicht unterbrochen, sondern nur eindringlicher
-gemacht durch das Gequak der Frösche, in das sich von Zeit
-zu Zeit der dumpfe Ruf der Rohrdommel mischte.</p>
-
-<p>Um die Fahrt zu verkürzen, bog jetzt der Kutscher von
-der Chaussee in einen Weg ab, der quer durchs Land einen
-Bogen der großen Fahrstraße abschnitt. Obschon man hier
-stellenweise durch sandigen Untergrund hindurch mußte,
-blieben die kräftigen Braunen, die vor den Wagen gespannt
-waren, in munterem Trabe, so daß man gut vom Flecke kam.</p>
-
-<p>Nach einer halben Stunde etwa tauchten vor den Reisenden
-<a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a>
-die dunklen Umrisse eines baumreichen Parks auf, und
-indem man näher kam, sah man über den Bäumen ein
-Haus emporsteigen. Vielleicht war es das Dunkel der Nacht,
-welches die Linien des Gebäudes undeutlich machte &ndash; jedenfalls
-erschien es, von hier unten gesehen, außerordentlich
-groß, beinahe kolossal.</p>
-
-<p>»Ist das das Schloß, das zu dem Park gehört?« unterbrach
-der zweite Reisende, der im Lande fremd zu sein
-schien, die Stille, die bisher im Wagen geherrscht hatte.</p>
-
-<p>»Jawohl, das ist das Schloß,« erwiderte der Arzt.
-»Ein gehöriger Kasten! Nicht wahr?«</p>
-
-<p>Die Bezeichnung traf zu. Einem ungeheuren finstern
-Kasten sah das Bauwerk ähnlich, wie es in seiner schweren
-Masse, lautlos, scheinbar leblos, auf der Terrasse über dem
-Parke lag, und mit den schwarzen, lichtlosen Fenstern in die
-dunkle Nacht hinausstierte.</p>
-
-<p>Indem die Blicke des Reisenden noch an dem merkwürdigen
-Bilde hafteten, griff der Kutscher mit einem plötzlichen
-Ruck in die Zügel, so daß die Pferde zum Stehen kamen.</p>
-
-<p>»Herr Dukter,« wandte er sich vom Bocke zum Wagen
-um, »itze sucht er wieder &ndash; da!«</p>
-
-<p>Mit dem Peitschenstiele deutete er auf das Schloß hin;
-die Augen des Arztes und seines Begleiters folgten der
-angegebenen Richtung.</p>
-
-<p>In dem toten Hause war es lebendig geworden.</p>
-
-<p>Hinter einem der dunklen Fenster, und zwar demjenigen,
-welches sich an der äußersten Ecke des Hauses befand,
-dämmerte ein Lichtschein auf, der sich allmählich verstärkte,
-so daß es aussah, als käme eine Leuchte aus dem hinteren
-Teile eines weitläufigen Gelasses langsam nach vorn.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a>
-Dann blieb das Licht stehen, flackerte eine Zeitlang
-hin und her, als würde die Leuchte von der Hand, die sie
-trug, im Kreise umhergeführt; alsdann verdunkelte sich das
-erste Fenster, das danebenliegende wurde hell &ndash; das Licht
-wanderte. Man konnte wahrnehmen, wie es aus dem ersten
-Zimmer in das anstoßende Gemach ging. Dort blieb es
-abermals stehen, und der Vorgang von vorhin wiederholte
-sich. Aus dem zweiten wanderte es in das dritte, und so
-die ganze lange Flucht von Zimmern entlang, und jedesmal
-das flackernde Umherfahren, jedesmal aber hastiger, als
-würde die Hand, die die Leuchte trug, immer erregter, als
-suchte das Licht etwas in den Ecken der Gemächer, und
-fände nicht, wonach es suchte. Wie das Ringen einer
-stummen, verzweifelten Seele, beinahe gespensterhaft sah
-das alles aus.</p>
-
-<p>Zwölf Fenster befanden sich in der langen Front des
-Schlosses; an allen zwölf wanderte das Licht entlang, bis
-daß es endlich in das letzte, von dem ersten Zimmer entfernteste
-Gemach gekommen zu sein schien.</p>
-
-<p>Hier wurden die Bewegungen noch ungestümer als zuvor,
-das Licht fuhr herauf und herab, daß es aussah, als
-suchte es am Fußboden umher.</p>
-
-<p>»Itze is er in ihrem Schlafzimmer,« sagte der Kutscher,
-der kein Auge von dem Vorgange verwandt hatte.</p>
-
-<p>»Ja, jetzt ist er in ihrem Schlafzimmer,« bestätigte der
-Arzt. In dem Augenblick aber trat eine neue Erscheinung ein:
-das Licht, das ganz tief am Boden umhergeglitten war, als
-suchte es unter Möbeln und Betten, wurde plötzlich hoch
-gehoben und stand ruhig und still, ohne weiter umherzuirren
-und zu flackern. Es sah aus, als wäre eine andre, festere
-<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a>
-Hand hinzugekommen, die es der ersten abgenommen hatte
-und emporhielt. Dies dauerte einige Zeit, dann verdämmerte
-der Lichtschein nach dem Hintergrunde des Zimmers, verschwand
-sodann völlig, und gleich darauf lag das Schloß
-wieder finster und leblos da, wie es zuvor gelegen hatte.</p>
-
-<p>»Itze is der Johann gekommen und hat ihn geheißen
-vernünftig sein,« sagte der Kutscher, indem er leise in sich
-hineinlachte, wie jemand, der sich gegrauelt hat und froh
-ist, daß der Spuk zu Ende ist.</p>
-
-<p>»Es scheint,« erwiderte der Arzt, »jetzt ist der Johann
-gekommen. Also &ndash; fahr auch zu.«</p>
-
-<p>Er lehnte sich zurück; der Kutscher schnalzte mit der
-Zunge, und die Pferde zogen wieder an. Wenige Minuten
-später lag das Schloß den Fahrenden im Rücken.</p>
-
-<p>Der zweite Reisende, der das abenteuerliche Schauspiel
-schweigend beobachtet hatte, wandte sich jetzt an seinen Begleiter.
-Aus dem Gespräche des Arztes und des Kutschers
-hatte er entnommen, daß der rätselhafte Vorgang ihnen
-verständlich erschien.</p>
-
-<p>»Können Sie mir denn sagen,« fragte er, »was das
-alles für eine Bewandtnis hat?«</p>
-
-<p>Es erfolgte zunächst keine Antwort. Der Arzt saß in
-seiner Wagenecke und brummte vor sich hin; er schien nicht
-recht aufgelegt, Auskunft zu erteilen.</p>
-
-<p>»Sie sind wohl nicht aus der Gegend?« fragte er
-dann zurück.</p>
-
-<p>»Nein &ndash; warum?«</p>
-
-<p>»Hm &ndash; nu ja&nbsp;&ndash;« meinte der Arzt, »weil sonst &ndash;
-haben Sie nie von den Fahrenwalds gehört?«</p>
-
-<p>»Fahrenwalds?«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a>
-»Nu ja &ndash; die Freiherren von Fahrenwald.«</p>
-
-<p>»Niemals gehört,« versicherte der Gefragte.</p>
-
-<p>Der Arzt brummte wieder vor sich hin; es klang beinahe
-wie Mißbilligung. Als echter Schlesier konnte er kaum
-begreifen, daß jemand von einem Geschlechte, wie das der
-Fahrenwalds, nichts wissen sollte.</p>
-
-<p>»Gehört denen das Schloß?« fuhr der Reisende nach
-einer Pause fort.</p>
-
-<p>»Nu, das versteht sich,« entgegnete der Arzt, »der
-Baron, der jetzt da oben sitzt, ist der letzte von ihnen.«</p>
-
-<p>Er drückte sich tiefer in seinen Sitz.</p>
-
-<p>»Aber wenn Sie fremd sind &ndash; es sind Sachen &ndash;
-man thut schon besser, man spricht nicht viel davon.«</p>
-
-<p>Der andre wurde immer neugieriger.</p>
-
-<p>»Ist etwas los mit dem jetzigen Baron?«</p>
-
-<p>»Nu &ndash; was soll mit ihm los sein?« sagte der Arzt,
-dessen Antworten immer zögernder wurden, »man könnte
-halt eben von ihm sagen: es blakt bei ihm ein wenig.«</p>
-
-<p>»Es &ndash; blakt?« fragte der Gefährte. »Was meinen
-Sie damit?«</p>
-
-<p>Der Arzt lachte in sein feistes Doppelkinn.</p>
-
-<p>»Nu, sehen Sie, das Gehirn der Menschen, damit ist's
-so ungefähr wie mit den Lampen. Bei den einen brennt das
-ruhig und manierlich, bei den andern flickert's und flackert's,
-und endlich gibt's welche, bei denen die Lampe blakt.«</p>
-
-<p>»Also &ndash; irrsinnig?«</p>
-
-<p>Der Arzt schlug mit der Hand durch die Luft und
-wandte den Kopf nach der andern Seite.</p>
-
-<p>Eine längere Pause entstand.</p>
-
-<p>Dann fing der andre wieder an.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a>
-»Und &ndash; er hat also eine Frau?«</p>
-
-<p>Der Arzt warf den Kopf herum.</p>
-
-<p>»Wieso?« fragte er.</p>
-
-<p>»Nun &ndash; weil Sie doch vorhin sagten, daß er jetzt in
-ihrem Schlafzimmer wäre.«</p>
-
-<p>Der Arzt stieß einen schnaubenden Seufzer aus. Es
-war ihm offenbar nicht lieb, daß er so ausgeholt wurde,
-und er ärgerte sich, daß er schon zuviel gesagt hatte.</p>
-
-<p>»Eine Frau,« sagte er dann, »kann ja sein, daß er
-eine hat, oder wenigstens gehabt hat. Aber das ist eine
-Sache, wo es schon am besten ist, wenn man halt gar nicht
-davon spricht.«</p>
-
-<p>Er seufzte noch einmal; seine Stimme sank herab, daß
-es wie ein Selbstgespräch klang: »Die Frauensleute &ndash; das
-ist ja manchmal nicht viel anders als die Schafe, die ins
-Feuer laufen, weil es glänzt. Nachher, wenn sie drinnen
-sind, merken sie, daß es auch brennt, aber dann ist's zu
-spät.«</p>
-
-<p>Er schüttelte die Achseln und reckte sich auf.</p>
-
-<p>»Aber, wie gesagt &ndash; da wird alles Mögliche geredet &ndash;
-denn wovon reden die Leute nicht &ndash; und wenn man nachher
-zusieht, wer etwas weiß, ist niemand, der etwas Sicheres
-weiß. Darum mein' ich schon, es ist halt das beste, man
-spricht nicht davon. Und ich für mein Teil, ich meine, es
-ist gut, wenn einer keine Verpflichtung hat, sich um gewisse
-Dinge zu bekümmern. Dann soll er sich auch nicht darum
-bekümmern. Und ich habe keine Verpflichtung, mich geht's
-nichts an &ndash; also bekümmere ich mich nicht drum.«</p>
-
-<p>Damit lehnte er sich tief in die Wagenecke zurück, wie
-jemand, der genug gesagt hat und nichts weiter sagen will.
-<a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a>
-Der andre schien es zu fühlen und schwieg. Die Andeutungen
-des Arztes hatten ihm die Sache beinahe noch dunkler gemacht,
-als sie gewesen war. Irgend ein Vorgang mußte
-sich da oben abgespielt haben, vielleicht sogar ein schrecklicher,
-aber was?</p>
-
-<p>Immerfort sah er das stumme Licht hinter den Fenstern
-des toten Hauses dahinwandern, von Zimmer zu Zimmer,
-wie ein schlummerloses böses Gewissen, immerfort das
-zuckende Umherfahren der Leuchte, das Suchen in den Ecken
-der Gemächer, am Fußboden entlang, unter Möbeln und
-Betten, das wilde verzweifelte Suchen. Wer war der nächtliche
-Wanderer? Wen suchte das Licht? Ein Schauder bedrückte
-ihm das Herz &ndash; was mochte das finstere Haus gesehen
-haben?</p>
-
-<hr />
-
-<p>In den Breslauer Gesellschaftskreisen war vor einiger
-Zeit eine Persönlichkeit aufgetreten, deren Erscheinen in den
-Familien, denen sie Besuch machte, jedesmal eine gewisse
-Aufregung, eine Mischung von geschmeicheltem Stolz und
-von beklommener Sorge hervorrief. Das war der Baron
-Eberhard von Fahrenwald.</p>
-
-<p>Alle Welt kannte den Namen und den Reichtum des
-Geschlechts, alle Welt aber munkelte auch, daß es mit den
-Fahrenwalds nicht recht richtig sei.</p>
-
-<p>Jahrelang nach dem Tode des Vaters war der Baron
-Eberhard unsichtbar, wie verschwunden gewesen. Wo hatte
-er gesteckt? Einige behaupteten, er hätte Reisen um die
-Welt gemacht, andre, er wäre gar nicht von seinem Schlosse
-fortgekommen, sondern hätte vergraben und verborgen unter
-<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a>
-seinen Büchern gelebt, eine dritte Art von Berichterstattern
-endlich wußte zu erzählen, daß er ganz einfach in einer Anstalt
-untergebracht gewesen sei. Anverwandte, von denen
-man Gewisses und Genaues hätte erfahren können, waren
-nicht vorhanden; die Fahrenwalds waren wie ein alter, verdorrender
-Baum, der keine Aeste mehr treibt, von dem nur
-noch der Stamm übrig geblieben ist.</p>
-
-<p>Und nun tauchte diese geheimnisvolle Persönlichkeit
-plötzlich auf, machte Besuche und that alles das, wodurch
-Menschen anzudeuten pflegen, daß sie mit Menschen verkehren
-wollen. Und doppelt auffällig &ndash; seine Besuche galten
-vornehmlich den Familien, wo Töchter im Hause waren.
-Was hatte das zu bedeuten? Etwa, daß er daran dachte&nbsp;&ndash;?
-Man konnte es den Eltern im Grunde nicht verdenken, wenn
-sie sich aufgeregt fühlten.</p>
-
-<p>Einen Freiherrn von Fahrenwald zum Schwiegersohn
-zu besitzen, die eigene Tochter als Gebieterin eines großen
-Vermögens, als Besitzerin eines von aller Welt gepriesenen
-Herrensitzes zu wissen &ndash; unter normalen Umständen wäre
-es ja ein Ziel gewesen, »aufs innigste zu wünschen«. Aber
-so &ndash; wie nun einmal die Verhältnisse jetzt lagen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Erklärlicherweise bemächtigte sich die Aufregung der
-Eltern in noch stärkerem Maße der Töchter selbst. Neugier
-mischte sich mit Grauen; es war eigentlich ein noch nie
-dagewesener Gesellschaftsreiz.</p>
-
-<p>Sobald es feststand, daß der »verrückte Baron« &ndash;
-denn unter dieser Bezeichnung ging er kurzweg &ndash; zu
-einer Gesellschaft eingeladen sei und erscheinen würde,
-flogen die jungen Damen auf, von Haus zu Haus, herüber
-und hinüber, und es gab ein Gewisper und Geflüster,
-<a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a>
-ein Kichern und Lachen, und ein wollüstig wonnevolles
-Graueln.</p>
-
-<p>Wie doppelt begehrenswert man sich erschien! Wie
-man sich gegenseitig darauf ansah, auf welche von ihnen
-wohl der unheimliche Mensch die Augen richten, nach welcher
-von ihnen er die Hand ausstrecken würde! Die blühenden
-Wangen beugten sich zu einander, die kleinen Hände drückten
-sich mit gegenseitigem Verständnis &ndash; es war wie ein erregter
-Taubenschwarm, über dem der Habicht in Lüften steht.</p>
-
-<p>Man kann sich hiernach vorstellen, wie eigentümlich
-und gepreßt der Empfang war, der dem Baron Eberhard
-von Fahrenwald zu teil wurde, so oft er in Gesellschaften
-erschien.</p>
-
-<p>Seine persönliche Erscheinung und die Art seines Auftretens
-bestärkte alles das, was über ihn gemunkelt und
-geredet wurde.</p>
-
-<p>Man wußte, daß er stets von seinem Diener begleitet
-wurde, der nie von seinen Schritten wich und ihm zu jeder
-Gesellschaft folgte.</p>
-
-<p>Dieser Diener war ein langer, hagerer, eisgrauer Mann,
-mit einem von schweren Runzeln durchfurchten Gesicht, aus
-dem eine starke, gekrümmte Nase hervorragte. Stets in
-schwarzem Frack und weißer Krawatte, wie ein versteinerter
-Ueberrest aus der Zeit, da es noch große Herren und große
-Kammerdiener gab.</p>
-
-<p>Nie hatte man ein Wort aus seinem Munde vernommen,
-kaum einmal hatte man gesehen, daß er nach rechts
-oder links blickte &ndash; an einem einzigen Gegenstande haftete
-sein Denken und Sinnen, das war sein Herr.</p>
-
-<p>Jeden Abend, wenn er den Baron zu einer Gesellschaft
-<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a>
-begleitete, wiederholte sich ein besonderer Vorgang: er stand
-hinter seinem Herrn und nahm ihm mit schweigender Würde
-den Mantel ab; währenddem wandte der Baron sich zu ihm
-um und sagte: »Geh nach Haus, Johann, und hole mich
-nachher ab.« Jedesmal, so oft der Baron dieses sagte,
-verneigte sich der alte Johann, feierlich wie ein Senator,
-nahm den Mantel seines Herrn an sich und ging nicht nach
-Haus. Im Dienerzimmer setzte er sich nieder, ernst, würdevoll
-und schweigsam, und wartete, bis die Gesellschaft zu
-Ende war. Sobald der Baron dann heraustrat, stand der
-Alte schon wieder da, den Mantel in beiden Händen, stumm,
-regungslos, wie eine Bildsäule. Natürlich hatten die Diener
-und Hausmädchen der Häuser, wo die Gesellschaften stattfanden,
-sich bemüht, den komischen alten Kerl zum Sprechen
-zu bringen und über seinen Herrn auszuholen, aber sie hatten
-ihre Versuche aufgeben müssen; sie hätten ebensogut zu einem
-Stein sprechen können; der Alte hatte nicht einmal gethan,
-als ob er sie überhaupt vernähme.</p>
-
-<p>Ein einziges Mal hatte er ein Lebenszeichen gegeben
-&ndash; der Fall war sorgfältig registriert worden &ndash; als einmal
-ein schnippisches Stubenmädchen in seiner Gegenwart
-gesagt hatte, nun würde der Herr Baron wohl
-nächstens heiraten und eine Frau Baronin nach Haus
-bringen. Er wäre so zusammengezuckt, erzählte das Mädchen,
-als er das gehört, daß es nicht anders ausgesehen
-hätte, als wenn er sich schüttelte, und dann hätte er sie
-mit einem Blick angesehen &ndash; ganz gräßlich, sagte das
-Mädchen. Und dann hätte er die Achseln gezuckt, ganz hoch
-hinauf, und alsdann wieder stumm dagesessen. Und das
-Achselzucken, das hätte ausgesehen, als wollte er sagen:
-<a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a>
-»Was redst du denn? Weißt du denn nicht, daß er verrückt
-ist?«</p>
-
-<p>Seitdem stand es für die Dienerschaft fest: der Baron
-von Fahrenwald war verrückt. Der alte Johann war sein
-Wärter, und der Wärter hatte es gesagt.</p>
-
-<p>Und aus dem Dienerzimmer flüsterte sich das, wie es
-ja stets geschieht, in die herrschaftlichen Zimmer hinüber:
-der Baron von Fahrenwald war verrückt.</p>
-
-<p>Und wer, der ihn ansah, hätte zweifeln können, daß
-es wirklich also war?</p>
-
-<p>Wenn die Thür sich aufthat und er hereintrat mit
-langsam schleppendem Schritt, ein langer, eckiger Mann,
-mit dunklem, fast schwarzem Haar, das bleiche, beinahe
-marmorweiße Gesicht von dunklem Barte umrahmt, dann
-legte es sich unwillkürlich wie ein Alp auf die Anwesenden,
-Wirte und Gäste, Herren und Damen.</p>
-
-<p>Und dieser Bann ging hauptsächlich von den Augen
-des Mannes aus, die ganz tief, wie zwei dunkle tiefe Löcher
-in dem bleichen Gesichte lagen, und aus denen ein starrender,
-suchender, bohrender Blick hervorgekrochen kam, langsam,
-beinahe wie ein Wurm.</p>
-
-<p>»Er sieht eigentlich kolossal interessant aus,« hatte die
-junge Komtesse Karmsdorf, als sie ihn zum erstenmal erblickte,
-hinter dem Fächer hervor zu ihren Freundinnen gesagt,
-»aber da man weiß, wie es mit ihm steht, ist es des
-Interessanten denn doch ein bißchen zu viel.«</p>
-
-<p>Die Freundinnen hatten kopfnickend und kichernd bestätigt,
-daß es so sei, und als der Baron Miene machte,
-auf sie zuzutreten, waren sie samt und sonders, wie von
-einem panischen Schrecken erfaßt, nach einer andern Ecke des
-<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a>
-Saales entwischt, und es hatte nicht viel gefehlt, so hätten
-sie laut aufgekreischt.</p>
-
-<p>So erging es dem Baron Eberhard von Fahrenwald.
-Die Wirte, die ihn eingeladen hatten, konnten sich seiner
-Begrüßung natürlich nicht entziehen. Aber wenn er alsdann
-mit schwerer, eckiger Verbeugung auf sie zutrat, sah
-man ihm an, wie wenig er in fröhlich ausgelassene Gesellschaft
-paßte. Er versuchte, sein Gesicht zu einem verbindlichen
-Ausdruck zurechtzulegen, zu lächeln, aber das Lächeln
-wollte sich so gar nicht mit dem bleichen, schwermütigen
-Gesicht verstehen, es sah aus, als thäte es ihm weh.</p>
-
-<p>Beim Tanze blieb er Zuschauer, am Kartenspiel nahm
-er nicht teil, so blieb er einsam, und das wiederholte sich in
-jeder Gesellschaft, so daß man sich unwillkürlich fragte, wie
-lange er die zwecklosen Besuche und Versuche fortsetzen
-würde.</p>
-
-<p>Offenbar fühlte er das selbst, denn der Ausdruck dumpfer
-Schwermut in seinem Gesichte verstärkte sich von einem zum
-andern Mal, seine Bewegungen wurden immer schleppender,
-es sah aus, als ermüdete der Mann unter der Last des
-Daseins.</p>
-
-<p>So näherte sich der Winter seinem Ende. Ein großes
-Ballfest wurde gegeben, dem der Baron, einsam und teilnahmlos
-wie gewöhnlich, beiwohnte.</p>
-
-<p>Indem er, an den Thürpfosten des Nebenzimmers gelehnt,
-dem wirbelnden Tanze zuschaute, der im Saale auf
-und nieder flog, richtete er plötzlich das Haupt zur Seite &ndash;
-es war ihm gewesen&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Auf einem Stuhle, dicht an die Wand gerückt, saß ein
-junges Mädchen. Sie nahm nicht teil am Tanze, offenbar,
-<a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a>
-weil sie nicht aufgefordert worden war, ein Mauerblümchen,
-wie man zu sagen pflegt.</p>
-
-<p>Wenn man sie ansah, begriff man das einigermaßen;
-sie hatte etwas Unscheinbares; sie war nicht besonders hübsch
-und, wie es schien, arm. Ein schmaler Silberreif um den
-Hals, das war der ganze Schmuck des jungen Körpers;
-ihr dürftiges weißes Tüllkleidchen stach von den Gewandungen
-ihrer reicheren, glücklicheren Altersgenossinnen ab.</p>
-
-<p>Indem der Baron den Kopf nach ihr umwandte, bemerkte
-er, daß sie ihn schon längere Zeit von der Seite betrachtet
-hatte. Er sah zwei runde, nicht besonders schöne,
-aber unendlich gutmütige Augen, die stumm beobachtend, aber
-ohne Neugier auf ihm ruhten. Jetzt, da er zu ihr hinblickte,
-senkte sie die Augen, und er gewann Zeit, sie von
-seiner Seite zu betrachten.</p>
-
-<p>Sie war in Verlegenheit etwas errötet; um den kleinen
-Mund, der sich ein wenig nach vorn zuspitzte, war ein unmerkliches
-Zittern; dadurch erhielt das ganze Gesichtchen
-etwas Trauriges, beinahe, als wenn es mit verhaltenem Weinen
-kämpfte.</p>
-
-<p>Er war also nicht der einzige Einsame heute abend;
-da war noch eine, und er sah es ihr an, sie fühlte sich unglücklich.
-Solch ein junges Mädchen, das zum Balle eingeladen,
-nicht zum Tanze aufgefordert wird und in der Ecke
-sitzen bleibt, leidet ja in Wirklichkeit ganz bitterlich; alle Qualen
-der Zurücksetzung lasten auf der armen jungen Seele.</p>
-
-<p>Jetzt schrak die einsame Kleine leise auf, die Röte auf
-ihren Wangen wich einer tiefen Blässe, ihre Hände, die
-einen mageren Fächer im Schoße hielten, preßten sich zusammen
-&ndash; der Baron Eberhard von Fahrenwald hatte sich
-<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a>
-neben sie gesetzt. Sie hatte natürlich, wie alle andern, von
-dem »verrückten Baron« erzählen gehört, und nun saß er
-plötzlich neben ihr, nicht durch Zufall, sondern weil er sie
-aufgesucht hatte. Es wurde ihr unheimlich zu Mute.</p>
-
-<p>Vorhin, als sie den blassen einsamen Mann, dem man
-das Unglück am Gesicht ansah, an der Thür hatte lehnen
-sehen, war ihr Herz ganz von tiefem Mitleid erfüllt gewesen
-&ndash; jetzt fühlte sie eine Angst, die ihr die Nähe des
-unheimlichen Menschen verursachte.</p>
-
-<p>Eine Zeit lang saßen beide schweigend, dann erhob der
-Baron das Gesicht.</p>
-
-<p>»Es thut mir so leid,« sagte er, »daß ich nicht tanze,
-gnädiges Fräulein, sonst würde ich um die Erlaubnis bitten,
-Sie dort hineinführen zu dürfen.«</p>
-
-<p>Er hatte mit dem Kopfe nach dem Tanzsaale gedeutet;
-mit unwillkürlichem Staunen wandte sie sich zu ihm um
-und sah ihm ins Gesicht. War das die Stimme eines
-»Verrückten«?</p>
-
-<p>Ein so tiefer, milder Wohlklang lag in den einfachen
-Worten; etwas so Sanftes, so Warmes, so Gütiges kam von
-ihm zu ihr herüber, daß es ihr war, als hätte eine Hand
-ihre Hand erfaßt, mit liebem, tröstendem Drucke.</p>
-
-<p>Schweigend blickte sie ihn an und war sich kaum bewußt,
-daß sie es that. Schweigend hielt er die Blicke in
-die ihrigen gerichtet; in seinen tiefen geheimnisvollen Augen
-erwachte etwas, wie eine sehnende Frage, wie ein Hoffen,
-das sich nicht hervorgetraut, wie ein verstohlenes Leuchten
-in lichtloser Nacht.</p>
-
-<p>So saßen die beiden, von niemand beachtet, nach
-niemand fragend, wie zwei Leidensgefährten, die unausgesprochenes
-<a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a>
-Verständnis zu einander führt, und nach einiger
-Zeit schob er, ohne ein Wort zu sagen, die Hand zu ihr
-hin, und ohne ein Wort zu erwidern, löste sich ihre kleine
-Hand vom Fächer, den sie immer noch krampfhaft umspannt
-hielt, und senkte sich zitternd in seine Hand. Und als sie
-nun den leidenschaftlichen Griff fühlte, mit dem er ihre
-Finger zusammenpreßte, erschrak sie; aber als sie dann fühlte,
-wie er sogleich, indem er ihren Schreck empfand, den Druck
-mäßigte, faßte sie neues Vertrauen. Welche Aufmerksamkeit
-sprach aus seiner Bewegung, welche Zartheit; es war, als
-streichelten seine Finger ihre erschreckte Hand, als spräche
-seine Hand: »Ich thue dir nichts, fürchte dich nicht.«</p>
-
-<p>Sie kamen dann ins Gespräch, und im Verlaufe desselben
-erfuhr er Genaueres über die Kleine.</p>
-
-<p>Anna von Glassner hieß sie und war eine Waise. Ihre
-Eltern hatten ihr so gut wie nichts hinterlassen, und weil
-sie doch irgendwo bleiben mußte, war sie von einem entfernten
-Onkel, einem alten pensionierten Major und dessen
-Frau aufgenommen worden. Bei denen wohnte sie in
-Breslau, und es war nicht schwer, aus ihren Andeutungen
-zu entnehmen, daß der Aufenthalt ein ziemlich trübseliger war.</p>
-
-<p>Die alten, kränklichen, kinderlosen Leute besuchten keine
-Gesellschaften, weil sie sie nicht erwidern konnten; bei Gelegenheiten,
-wie die heutige eine war, ließen sie das junge
-Mädchen allein gehen und durch das Dienstmädchen aus der
-Gesellschaft abholen.</p>
-
-<p>»Wollten Sie mir sagen,« fragte sie nach einiger Zeit den
-Baron, »welche Zeit es ist? Ich darf nicht zu spät nach
-Haus kommen.« Der Baron sah nach der Uhr. Sie raffte
-ihr dünnes Kleidchen zusammen. »Dann muß ich gehen.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a>
-»So früh schon?«</p>
-
-<p>»Mein Onkel und meine Tante schlafen so schlecht,«
-erwiderte sie, »und haben es nicht gern, wenn ich sie so spät
-in der Nacht störe.«</p>
-
-<p>Sie erhob sich; zugleich mit ihr stand er auf.</p>
-
-<p>»Ich werde auch gehen,« sagte er.</p>
-
-<p>Sie senkte das Köpfchen und errötete.</p>
-
-<p>Auf dem Flure draußen saß die Köchin, die sie erwartete.
-Eine Person mit groben, mißmutigen Zügen, der man ansah,
-wie wenig Vergnügen es ihr bereitete, daß sie, neben
-der gewöhnlichen Tagesarbeit, jetzt auch noch durch die Winternacht
-laufen mußte, um das »Fräulein« nach Haus zu bringen.</p>
-
-<p>Ein Paar Gummischuhe standen neben ihr, die sie dem
-jungen Mädchen mit nicht übermäßiger Verbindlichkeit zuschob.
-Während Anna ihre kleinen, mit weißen Atlasschuhen
-bekleideten Füße in die Ueberschuhe zwängte, stand der Baron
-hinter ihr und sah zu. Die Köchin trat heran und gab ihr
-den Mantel um, ein dickes, schweres Kleidungsstück von
-grobem, dunklem Tuch, unter dem die jugendliche Gestalt
-ganz unkenntlich und unförmlich wurde. Jetzt wandte sich
-Anna, und da sie den Baron noch immer stehen sah, wollte
-sie mit einer flüchtigen Neigung des Kopfes an ihm vorüber.</p>
-
-<p>Mit einem hastigen Schritte war er an ihrer Seite.</p>
-
-<p>»Darf ich Sie um eine Gnade bitten?« fragte er.</p>
-
-<p>Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.</p>
-
-<p>»Wollen Sie meinen Wagen benutzen, damit er Sie
-nach Haus bringt?«</p>
-
-<p>Nun erschrak sie wirklich.</p>
-
-<p>»Ach nein &ndash; wie könnte ich das &ndash; nein wirklich&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er wich einen halben Schritt zurück; ihre Schüchternheit
-<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a>
-erschien ihm als Angst; sie fürchtete sich also auch vor
-ihm. Als er so jählings verstummte, erhob sie unwillkürlich
-das Haupt. Sie sah, wie der Kummer in seine Züge zurückgekehrt
-war.</p>
-
-<p>»Ich &ndash; weiß wirklich gar nicht« &ndash; begann sie stockend.
-»Sie &ndash; sind wirklich &ndash; so gut zu mir&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Wie neubelebt trat er wieder heran.</p>
-
-<p>»Ach, wenn Sie es annehmen wollten,« flüsterte er,
-»wenn Sie wüßten, was für eine Freude Sie mir damit bereiten
-würden.«</p>
-
-<p>Nun konnte sie nicht mehr »nein« sagen; mit einer
-leisen Neigung senkte sie das Haupt.</p>
-
-<p>Der Baron wandte sich rasch zurück. Hinter ihm stand
-der alte Johann, den Pelzmantel seines Herrn in Händen,
-regungslos wie eine Bildsäule, mit starren, sonderbaren Augen
-auf den Baron und das Fräulein blickend.</p>
-
-<p>»Ist der Wagen da?« fragte der Baron.</p>
-
-<p>Der Alte verneigte sich mit schweigender Würde. Hurtig
-fuhr der Baron in den Mantel, dann bot er Anna von
-Glassner den Arm.</p>
-
-<p>»Darf ich Sie hinunterführen?«</p>
-
-<p>Von ihm geleitet stieg das junge Mädchen die Treppe
-hinab; die Köchin folgte hinterdrein.</p>
-
-<p>Vor der Hausthür stand ein verdecktes Coupé mit einem
-mächtigen Pferde bespannt; zwei strahlende Wagenlaternen
-warfen ihr Licht in die Straße hinaus.</p>
-
-<p>Anna wich beinahe zurück &ndash; in solch' eleganten Wagen
-sollte sie sich hineinsetzen?</p>
-
-<p>Der Baron aber hatte bereits den Schlag geöffnet und
-bot ihr die Hand zum Einsteigen. Indem er ihre Hand ergriff,
-<a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a>
-zog er sie an die Lippen, und sie fühlte, wie er den
-Mund darauf preßte, einmal, zweimal, leidenschaftlich.</p>
-
-<p>»Leben Sie wohl,« sagte er leise, »leben Sie wohl, ich
-sehe Sie wieder? Nicht wahr, ich sehe Sie wieder?«</p>
-
-<p>Anna war keiner Antwort fähig. Wie in Betäubung
-stieg sie in den Wagen und sank in eine Ecke, nach ihr kam
-die Köchin, die sich gesperrt und geweigert hatte, und erst
-auf ein »nur zu« des Barons sich zum Einsteigen entschloß.</p>
-
-<p>Der Baron ließ sich Straße und Hausnummer angeben,
-rief sie dem Kutscher zu, und im nächsten Augenblick rasselte
-der Wagen von dannen.</p>
-
-<p>In ihren Mantel gewickelt saß Anna da und fragte sich,
-ob das alles ein Traum sei, was sie erlebte.</p>
-
-<p>Für gewöhnlich reichten ihre Mittel gerade zu einer
-Fahrt auf der Pferdebahn &ndash; und jetzt sauste sie durch die
-Straßen von Breslau, daß das Pflaster unter den Rädern
-knatterte!</p>
-
-<p>Die Köchin, die ebenfalls ganz sprachlos vor Staunen
-gewesen war, hatte angefangen, mit tastenden Händen den
-Stoff der Polster zu untersuchen, auf denen sie saß. Jetzt
-seufzte sie in Bewunderung auf.</p>
-
-<p>»Du meine Gütte &ndash; gnä' Fräulen,« sagte sie, »die
-reine Seide alles, die reine Seide!«</p>
-
-<p>Die weibliche Neugier siegte über Annas Befangenheit;
-sie zog den Handschuh von der einen Hand und tastete ebenfalls
-auf den Wagenpolstern herum. Die Köchin hatte recht
-gehabt. Alles Seide &ndash; die Polster, die Wände des Wagens,
-alles Seide. Lautlos sank sie in ihre Ecke zurück. Was
-bedeutete das alles und wohin ging das alles?</p>
-
-<p>Sie, das arme, unscheinbare Mädchen, das sich zu
-<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a>
-Gesellschaften ein paar armselige Fähnchen zusammenstückelte,
-um nur nicht gar zu erbärmlich gegen den Reichtum der
-andern abzustechen, plötzlich, wie durch die Hand eines
-Zauberers, mitten hineinversetzt in Fülle, Glanz und Pracht!</p>
-
-<p>Ihr, an der die Menschen auf der Straße vorübergingen,
-wie an einem Nichts, die man auf Bällen in der
-Ecke sitzen ließ, weil es sich nicht der Mühe lohnte, mit ihr
-zu tanzen oder gar sie zu unterhalten &ndash; ihr näherte sich
-plötzlich ein Mann, einer der reichsten Männer von ganz
-Schlesien, und bat sie schüchtern, ängstlich und demütig, ihm
-zu erlauben, daß er seinen Reichtum in ihren Dienst stellen
-dürfe. Sie schloß die Augen; war das Wirklichkeit, was
-ihr geschah? Dann aber schrak sie innerlich auf: der Mann
-war ja ein Wahnsinniger; alle Welt sagte es ja? Und also
-war es nur die Phantasie seines kranken Hirns, die ihn zu
-alledem getrieben hatte, was er heute abend gethan? Aber,
-indem der Schauder sie übermannen wollte, kam ihr die
-Erinnerung an den Ton seiner Stimme zurück, die zu ihr
-gesprochen hatte, wie noch keines Menschen Stimme je zuvor.
-Nein, nein, nein &ndash; es war ja doch nicht möglich; es konnte
-ja nicht sein!</p>
-
-<p>Während Anna unter solchen wechselnden Empfindungen
-zu ihrer in der fernen Vorstadt gelegenen Wohnung fuhr,
-wanderte der Baron Eberhard von Fahrenwald, von seinem
-Diener gefolgt, zu Fuß nach Haus.</p>
-
-<p>Sein Haupt, das für gewöhnlich zur Erde hing, war
-aufgerichtet, seine ganze Gestalt hatte etwas Aufatmendes,
-Befreites, ein Glücksgefühl wie heut abend hatte er in
-seinem ganzen Leben noch nicht empfunden.</p>
-
-<p>Welche Wonne, daß das Mädchen arm war! Immer
-<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a>
-wieder vergegenwärtigte er sich den süßen Augenblick, als sie
-in ihrer Bescheidenheit gezögert hatte, den prächtigen Wagen
-zu besteigen &ndash; und dieser Wagen war der seinige! All die
-Behaglichkeit, all die weiche Ueppigkeit, die sie jetzt umgab,
-kam ihr von ihm! Er lachte still glückselig vor sich hin.
-All sein Denken und Thun war ein beständiges brütendes
-Grübeln über sich selbst, über seinen Zustand und über das
-Verhängnis, das auf ihm lastete &ndash; zum erstenmal konnte
-er an etwas andres denken, an einen andern Menschen; und
-dieser andre Mensch, dieses liebe Wesen konnte glücklich
-werden durch ihn. Glücklich durch ihn, der sich wie ein zum
-Unglück Geborener, wie eine Last der Menschheit empfand!
-Hatte er nicht den dankbar erstaunten Ausdruck in ihrem
-bescheidenen Gesichtchen gesehen und hatten ihre Augen ihm
-nicht gesagt, daß er stark genug sei, um Glück auf Menschen
-ausgehen zu lassen? Ja, ja, ja, es war so, und unwillkürlich,
-indem er so seinen Gedanken nachhing, reckte er die
-Arme aus, als wollte er dem Kraftgefühle Ausdruck geben,
-das ihn durchströmte.</p>
-
-<p>Einige Schritte hinter ihm kam der alte Johann. Den
-Kopf weit vorgebeugt, kein Auge von seinem Herrn verwendend,
-ging oder schlich er vielmehr hinter dem Baron
-einher. In seiner ganzen Haltung war etwas Beobachtendes,
-Lauerndes. Als er sah, wie der Baron die Arme ausreckte,
-war er unhörbar mit einem Sprunge ganz dicht hinter ihn
-herangekommen, das hagere Gesicht zu einer Aufmerksamkeit
-gespannt, die beinahe feindselig aussah. Seine Hände, die
-er in den Taschen des Ueberziehers getragen, hatte er hervorgezogen
-und frei gemacht, so daß es den Anschein bekam,
-als bereitete er sich darauf vor, sich im nächsten Augenblick
-<a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a>
-auf seinen Herrn zu stürzen, wie der Wärter eines Wahnsinnigen
-sich auf seinen Schutzbefohlenen stürzt, um ihn von
-irgend einer schrecklichen That zurückzuhalten. Denn der
-Mensch da vor ihm war ja ein Kranker, ein Wahnsinniger,
-Verrückter, das wußte er ja wohl genau genug, er, der ihn
-als Kind auf den Armen getragen hatte, der ihn hatte heranwachsen
-sehen und um ihn gewesen war zu jeder Zeit und
-an jedem Orte. Und seit heute abend wußte er ja auch,
-daß er seine Aufmerksamkeit verdoppeln und vervierfachen
-mußte. Für den unglücklichen Menschen da vor ihm gab es
-nur eine Möglichkeit zum Leben, Ruhe, Ruhe und immerdar
-Ruhe. Das hatte ihm vor Jahren der Arzt gesagt, und
-wenn es der Arzt nicht gesagt hätte, würde sein Instinkt es
-ihm verraten haben. Ein Tag mußte sein wie der andre,
-gleichmäßig, immer, immer gleichmäßig. Und heute abend
-hatte er mit ansehen müssen, wie dieser Mann anfing, sich
-zu verlieben!</p>
-
-<p>Verlieben! Wohl etwa gar heiraten?</p>
-
-<p>Er war ganz wütend, er knirschte beinahe mit den
-Zähnen. So wenig also kannte der unglückselige Mensch
-seinen Zustand? Na &ndash; es war nur gut, daß er da war,
-der alte Johann; er würde schon acht auf ihn geben, ja,
-das würde er, ja!</p>
-
-<p>Und er schob die Hände, indem er sie zu Fäusten ballte,
-in die Taschen seines Ueberziehers zurück, weil er sich überzeugt
-hatte, daß der Baron vorläufig nichts weiter Gefährliches
-unternahm.</p>
-
-<p>Am nächsten Vormittag, und zwar am ziemlich frühen
-Vormittag, klingelte es an der Wohnung von Annas Onkel,
-und als die Köchin öffnete, ging ein verständnisvolles Grinsen
-<a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a>
-über ihre Züge; der Herr von gestern stand vor der Thür,
-der Baron Eberhard von Fahrenwald.</p>
-
-<p>Ein sprachloses Erstaunen bei dem Onkel und der Tante,
-ein glühendes Erröten bei Anna &ndash; und im nächsten Augenblick,
-noch bevor man ihn eigentlich hereingebeten hatte, stand
-er schon auf der Schwelle. Auch wenn man ihn abgewiesen
-hätte, er würde sich nicht haben abweisen lassen, das sah
-man ihm an. Seine Brust ging auf und nieder, und in
-dem bleichen Gesicht glühten die Augen wie Kohlen.</p>
-
-<p>Beinahe wie ein Spieler, der das letzte Geld auf eine
-Karte gesetzt hat, so sah er aus.</p>
-
-<p>Es kostete ihn Mühe, die äußerlichen Regeln der Höflichkeit
-innezuhalten; seine Blicke hingen an Anna, unverwandt,
-beinahe mit angstvollem Ausdruck, als fürchtete er,
-daß sie hinausgehen, daß sie ihm entfliehen könnte.</p>
-
-<p>Nachdem er den alten Major und dessen Frau begrüßt
-hatte, trat er auf das junge Mädchen zu.</p>
-
-<p>»Darf ich Sie sprechen?« fragte er. »Darf ich Sie
-allein sprechen?«</p>
-
-<p>Seine Stimme war heiser vor innerer Erregung.</p>
-
-<p>Anna stand gesenkten Hauptes mitten im Zimmer. Herz
-und Kehle waren ihr durch die Angst wie zugeschnürt; sie
-hatte in diesem Augenblick die sichere Empfindung, daß sie
-es mit einem Wahnsinnigen zu thun hatte. Etwas Aehnliches
-schienen auch der Onkel und die Tante zu empfinden,
-die sich gegenseitig stumm fragend ansahen.</p>
-
-<p>Der Baron bemerkte das alles. Plötzlich ging er auf
-die beiden alten Leute zu, streckte beide Hände aus und
-faßte den Onkel an der linken, die Tante an der rechten
-Hand.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a>
-»Aengstigen Sie sich nicht,« sagte er, und das Wort
-kam feierlich aus der Tiefe seiner Brust; in seinen Augen
-war ein flammendes Leuchten.</p>
-
-<p>Die beiden alten Leute sahen ihn ganz verdutzt an,
-machten eine verlegene Verbeugung und zogen sich in das
-Nebenzimmer zurück.</p>
-
-<p>Anna stand noch immer, wo sie gestanden hatte. Als
-sie sich jetzt mit ihm allein sah, überkam sie die Angst so
-heftig, daß sie sich nicht mehr zu raten und zu helfen wußte.
-Sie zog ihr Taschentuch hervor, drückte es an die Augen
-und fing an zu weinen. Der Baron stand einige Schritte
-von ihr entfernt und sah ihr schweigend zu.</p>
-
-<p>»Bin ich Ihnen so schrecklich?« fragte er endlich. Der
-Ton klang wieder so sanft und herzlich, daß sie einigermaßen
-zu sich selbst kam. Sie steckte das Tuch in die Tasche
-und schüttelte leise das Haupt.</p>
-
-<p>»Denken Sie denn gar nicht mehr an gestern?« fuhr
-er fort. »Gestern abend waren Sie doch so &ndash; so lieb und
-gut, denken Sie denn gar nicht mehr daran?«</p>
-
-<p>Er war zu ihr herangetreten und hatte sie an beiden
-Händen erfaßt; Anna fühlte, wie behutsam er sie berührte,
-trotzdem vermochte sie noch nicht, das Gesicht zu ihm zu
-erheben.</p>
-
-<p>Er behielt ihre Hände in den seinigen.</p>
-
-<p>»Gestern abend,« sagte er, »bin ich so glücklich gewesen,
-und darum bin ich heut so früh wiedergekommen. Bitte,
-seien Sie doch nicht böse darum. Wenn Sie sich auch vor
-mir fürchten, dann habe ich ja niemand mehr.«</p>
-
-<p>Seine Stimme war ganz leise geworden.</p>
-
-<p>»Denken Sie doch einmal,« sprach er weiter, »Sie
-<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a>
-gehen auf der Straße, und indem Sie da gehen, sehen Sie
-einen Menschen am Wege liegen, dem irgend ein Unglück
-geschehen ist, und der ruft Sie um Hülfe an. Und Sie
-könnten ihm helfen, wenn Sie wollten, aber Sie fürchten
-sich und laufen davon &ndash; glauben Sie nicht, daß Sie sich
-einmal Vorwürfe machen würden, wenn Sie dann erfahren,
-daß der Mensch zu Grunde gegangen ist?«</p>
-
-<p>Das alles war so einleuchtend, kein Vernünftiger hätte
-es klarer auseinandersetzen können. Sie wurde wieder
-schwankend, wieder ganz verwirrt. Vor ihr stand ein Mann,
-der über Reichtümer gebot, von denen sie sich kaum eine
-Vorstellung machen konnte, und sagte ihr, daß sie ihm helfen
-könne, sie, die in der ärmlichen Wohnung, in einem fadenscheinigen
-Morgenanzuge, in Morgenschuhen mit abgestoßenen
-Spitzen, in aller Kläglichkeit eines ärmlichen, erbärmlichen
-Lebens steckte. War es denn möglich, das alles?</p>
-
-<p>Sie erhob das Gesicht und sah seine Augen mit dem
-fragenden, flehenden Ausdruck vom gestrigen Abend auf sich
-gerichtet. Ja ja, es war ja derselbe Mensch &ndash; leise drückte
-sie seine Hände, und indem sie es that, leuchtete sein Gesicht
-auf.</p>
-
-<p>»Darf ich sprechen?« flüsterte er.</p>
-
-<p>»Aber ich &ndash; Ihnen helfen&nbsp;&ndash;« stammelte sie &ndash; »wenn
-ich nur begriffe&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er zog sie an den Händen zu einem Stuhle.</p>
-
-<p>»Kommen Sie,« sagte er, »kommen Sie, bitte, setzen
-Sie sich, ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, eine ganz
-kurze.«</p>
-
-<p>Sie setzte sich nieder, er schob einen Sessel neben den
-ihrigen und legte den einen Arm über die Rücklehne ihres
-<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a>
-Stuhles, so daß sein Oberleib sich zu ihr hinüberbeugte und
-sein Mund nahe an ihrem Ohre war.</p>
-
-<p>»Ich kenne einen Menschen,« begann er, und seine
-Stimme war so gedämpft, als wollte er verhüten, daß irgend
-jemand, außer Anna, seine Worte vernähme, »ich kenne
-einen Menschen, der in einem Boote auf einem Wasser fährt.
-Er sitzt ganz allein in dem Kahn, und das Wasser, auf dem
-er fährt, ist ein breiter Fluß, und der Fluß hat einen starken
-Strom, denn er fließt einem Abhang zu, über den er sich
-hinunterstürzen wird. Der Abhang ist gar nicht mehr weit
-und er ist sehr hoch, so daß man den Donner des Wassersturzes
-bereits hört. Und da treibt nun der Kahn hin, in
-dem der Mann sitzt. Und obschon er weiß, daß er zerschmettert
-werden wird, wenn er in den Sturz gerät, läßt
-er den Kahn dennoch treiben und thut nichts, um ihn aufzuhalten
-&ndash; ist das nicht sonderbar von dem Mann?«</p>
-
-<p>Er unterbrach sich und blickte Anna von der Seite an.
-Sie saß aufgerichtet, wie erstarrt, ihre Hände hatten sich
-ineinandergeschoben, ihre Augen blickten vor sich hin. Es
-ahnte ihr, wer der Mann war, von dem er erzählte.</p>
-
-<p>Er beugte sich noch näher zu ihr.</p>
-
-<p>»Soll ich Ihnen nun sagen, warum er das thut?«</p>
-
-<p>Sie blieb regungslos; nur ihre bleichen Lippen bewegten
-sich.</p>
-
-<p>»Warum?« fragte sie tonlos.</p>
-
-<p>»Sehen Sie,« fuhr er fort, »weil im Wasser neben
-dem Kahn etwas einherschwimmt, und weil er nichts thun
-und nichts denken kann, als immer und immer und immerfort
-auf das, was da neben ihm schwimmt, hinzublicken.«</p>
-
-<p>Seine Stimme sank zu einem heiseren Flüstern herab.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a>
-»Und das, was da schwimmt, sehen Sie, das ist etwas
-Schreckliches, etwas Gräßliches, das ist ein Ungeheuer, so
-etwa, verstehen Sie, wie die Seeschlange, von der die Schiffer
-erzählen, daß sie ihnen auf der See begegnet sei. So müssen
-Sie sich das denken. Mit einem schuppigen Leibe, verstehen
-Sie, und ganz lang. Und das Schrecklichste an dem Dinge,
-sehen Sie, das ist der Kopf. Der läßt sich eigentlich gar
-nicht beschreiben, aber er sieht so ungefähr aus, wie ein
-ungeheurer Papageienkopf. Ein Schnabel ist daran, ein
-großer krummer Schnabel, und zwei Augen sind in dem
-Kopfe&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er verstummte. Anna vernahm, wie sich die Luft
-in seiner Kehle zusammenpreßte, als fände sie keinen
-Ausweg.</p>
-
-<p>»Die Augen,« fuhr er fort, »sehen Sie, die sind es,
-auf die der Mann in dem Kahne immerfort hinschauen muß.
-Die Augen sind fürchterlich, ganz groß und ganz grün, wie
-die Augen von einem furchtbaren bösen Menschen. Und die
-Augen blicken immerfort zu dem Manne herauf, und wenn
-sie ihn ansehen, dann ist's wie ein Lächeln darin, wie ein
-grauenvolles, und als wollten sie sagen: &rsaquo;ich habe dich, du
-entkommst mir nicht&lsaquo;. Und das, sehen Sie, das ist es, was
-den Mann gefesselt hält und gefangen hält und gebannt
-hält, daß er nichts thun und nichts denken und sich nicht
-helfen und nicht retten kann, obschon er hört, wie der Wassersturz
-immer näher und näher kommt.«</p>
-
-<p>Abermals verstummte er, und da auch Anna, von Grauen
-versteinert, keinen Laut hervorbrachte, herrschte eine Zeit lang
-ein beklommenes Schweigen.</p>
-
-<p>Dann that er einen tiefen, seufzenden Atemzug und
-<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a>
-seine Stimme nahm wieder den ruhigen, sanften Ton vom
-gestrigen Abende an.</p>
-
-<p>»Und nun, sehen Sie, nun kommt ein Augenblick, da
-gelingt es dem Manne, einmal für eine Sekunde den Blick
-über das Ding da im Wasser hinwegzubringen, und da sieht
-er am Ufer ein menschliches Wesen stehen. Und das menschliche
-Wesen, sehen Sie, das ist eine Frau, ein junges Mädchen,
-und er merkt, daß sie ihm zugesehen hat, eine ganze Zeit
-lang, und sich gewundert hat, was er da treibt. Und mit
-einemmal kommt ihm der Gedanke: wenn du dahin gelangen
-könntest, wo die steht, wenn du ihre Hand fassen
-könntest, daß sie dir hülfe, aus dem Kahn und dem Wasser
-herauszukommen, dann wärest du mit einemmal das Ding
-da los, das gräßliche, und brauchtest nicht in den Wassersturz
-hinunter und wärest gerettet! Und da, sehen Sie,
-faßt er mit einemmal das Ruder und wendet, und fährt
-auf die Stelle zu, wo sie steht &ndash; und dann, wie sie ihn
-kommen sieht, faßt sie der Schreck, weil sie denkt, er käme,
-um ihr ein Leides zu thun, und sie wendet sich, um davonzulaufen
-&ndash; und er sieht das, und schreit ihr nach &ndash; bleib
-doch, ich thue dir nichts! Sei doch barmherzig! Ich komme
-ja nur, damit du mich rettest! Und da&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Mit einem Griffe hatte er ihre Hände erfaßt, sein Gesicht
-war dicht an ihrem Gesichte, so daß sie seinen keuchenden
-Atem auf ihrer Wange fühlte. Weiter bog er sich vom
-Stuhle und immer weiter zu ihr hinüber, bis daß er plötzlich
-auf beiden Knieen vor ihr lag.</p>
-
-<p>»Anna &ndash; was thut sie da? Anna &ndash; läuft sie dennoch
-fort? Läuft sie dennoch fort?«</p>
-
-<p>Sein totenbleiches Antlitz war zu ihr erhoben, kalter
-<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a>
-Schweiß netzte seine Stirn, seine Augen hatten den Blick
-eines Menschen, der den Spruch über Leben und Tod erwartet,
-und an ihren Knieen, an die seine Brust sich preßte,
-fühlte Anna das Herz in seinem Leibe pochen.</p>
-
-<p>Ein namenloses Mitgefühl überschwoll ihr Herz. Ohne
-zu wissen, was sie that, breitete sie beide Arme um sein
-Haupt, und indem sie in Thränen ausbrach, drückte sie das
-Gesicht auf sein Haupt.</p>
-
-<p>»O Sie armer, unglücklicher Mann,« sagte sie schluchzend.</p>
-
-<p>Ein Stöhnen drang aus seiner Brust hervor. »Du
-gehst nicht? Du läufst nicht davon? Läufst nicht davon?«</p>
-
-<p>»Nein, nein, nein, ich will nicht davonlaufen.«</p>
-
-<p>Jählings fühlte sie sich von zwei gewaltigen Armen
-umfaßt. Er war aufgesprungen und hatte sie, wie ein Kind,
-an seine breite Brust gerissen.</p>
-
-<p>»Ach du &ndash; mein Leben &ndash; meine Seligkeit &ndash; mein
-heiliges Heiligtum &ndash; mein Alles!«</p>
-
-<p>Und er küßte, küßte und küßte sie.</p>
-
-<p>Endlich beruhigte er sich einigermaßen, so daß Anna
-wieder zu Atem kam. Unter seinen Küssen und Umarmungen
-waren ihre Wangen ganz heiß geworden, so daß sie hübscher
-aussah als zuvor. Der Baron war einen Schritt von ihr
-hinweggetreten und blickte sie mit strahlenden Augen an,
-wie sie verwirrt und verschämt vor ihm stand. Sie drehte
-den Kopf zu ihm herum.</p>
-
-<p>»Aber wenn ich nur wüßte, was ich thun soll?«</p>
-
-<p>Mit einer stürmischen Bewegung hatte er sie an beiden
-Händen erfaßt.</p>
-
-<p>»Gar nichts sollst du thun!«</p>
-
-<p>Sie schüttelte langsam das Haupt.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a>
-»Gar nichts thun soll ich?«</p>
-
-<p>Er lachte laut auf vor Vergnügen.</p>
-
-<p>»Nur da sein sollst du und dir gefallen lassen, was
-ich thue.«</p>
-
-<p>Sie lächelte leise. »Was wird denn das sein, was
-Sie vorhaben?«</p>
-
-<p>Nun legte er beide Arme um ihren Leib, so sanft, so
-vorsichtig, als fürchtete er, sie zu erschrecken oder ihr weh
-zu thun.</p>
-
-<p>»Dich glücklich machen,« sagte er.</p>
-
-<p>Das Wort kam so aus der Tiefe eines von Liebe erfüllten
-Herzens hervor, daß das junge Mädchen unwillkürlich
-an seine Brust sank.</p>
-
-<p>»Du guter Mann,« sagte sie. Ihre Augen suchten die
-seinen. Er hielt sie in den Armen, seine Hände strichen
-leise an ihren Seiten hinunter.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte er, »indem ich dich so halte, ist mir,
-als wäre der ganze liebe Körper und alles, was darinnen
-ist, ein Gefäß, ein zartes, zerbrechliches, und daß es so zerbrechlich
-ist, das ist gerade das Gute daran. Nun darf ich
-an nichts mehr denken, als daß es in meinen Händen nicht
-entzweigeht, und das gerade ist ja so gut. Siehst du, nun
-will ich in das Gefäß hineinthun alles, was der Mensch
-sich für den Menschen ausdenken kann an Gutem und Glücklichem.
-Und wenn wir da draußen auf meinem Gute leben,
-das nun auch dein Gut ist, wir beide ganz allein, jedesmal,
-wenn dann ein neuer Tag anbricht, will ich nach deinem
-lieben Gesichte sehen; und du brauchst mir nie zu sagen, daß
-du mich liebst, das verlange ich nicht, nur ob du glücklich
-bist, will ich in deinem Gesichte sehen, und wenn ich das
-<a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a>
-sehe, siehst du, dann werde ich glücklich sein, glücklich, o &ndash;
-so glücklich.«</p>
-
-<p>Seine Worte erstarben in einem tiefen leisen Flüstern.
-Sie hielt das Haupt gesenkt, als wollte sie lauschen und
-immer länger lauschen; als er schwieg, richtete sie sich
-auf und wiegte das Haupt und legte beide Arme um
-ihn her.</p>
-
-<p>»Wie, soll ich dir denn nicht sagen, daß ich dich liebe,«
-sprach sie, und ihre Stimme war ruhig und fest geworden,
-»da ich dich jetzt schon liebe, von ganzer Seele, du teurer,
-du geliebter Mann.«</p>
-
-<p>Sie hielten sich schweigend umschlungen, dann richtete
-sie sich auf.</p>
-
-<p>»Komm,« sagte sie, »nun wollen wir den Onkel und
-die Tante rufen.«</p>
-
-<p>Sie faßte ihn an der Hand und ging mit ihm an die
-Thür des Nebenzimmers, die sie öffnete. Die alten Leute
-traten heraus und blieben verblüfft stehen, als sie Anna
-Hand in Hand mit dem Baron gewahrten.</p>
-
-<p>Mit einem ruhigen Lächeln sah sie sie an.</p>
-
-<p>»Lieber Onkel,« sagte sie, »liebe Tante, ich teile euch
-mit, daß ich mich mit dem Herrn Baron von Fahrenwald
-verlobt habe.«</p>
-
-<p>Am Nachmittag erst verließ der Baron seine Braut
-und deren Angehörige.</p>
-
-<p>Als er die Treppe hinunterstieg und den letzten Absatz
-erreicht hatte, sah er im Hausflur einen Mann, der mit
-aufgeregten Schritten hin und her ging; es war sein Diener,
-der alte Johann.</p>
-
-<p>Verwundert blieb er stehen; in dem Augenblick hatte
-<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a>
-der Alte den Kopf herumgedreht und seinen Herrn erkannt;
-er unterbrach seinen Gang und stand wie angewurzelt.</p>
-
-<p>»Was soll denn das?« fragte der Baron. »Ich hatte
-dir doch gesagt, daß du mich nicht begleiten solltest.«</p>
-
-<p>Der Alte lüftete den Hut, ohne die Augen von seinem
-Herrn zu lassen.</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr blieben so lange&nbsp;&ndash;« erwiderte er.</p>
-
-<p>Der Baron lachte. Er war in so fröhlicher Stimmung,
-daß er sich über nichts geärgert hätte, am wenigsten über
-die übertriebene Sorgfalt seines alten Dieners.</p>
-
-<p>»Hast gedacht, mir wäre ein Unglück passiert?« meinte er.
-»Na, du kannst dich beruhigen.«</p>
-
-<p>Er ging die Stufen vollends hinunter und schlug ihn
-auf die Schulter.</p>
-
-<p>»Will dir eine Neuigkeit sagen, Johann, ich habe mich
-verlobt.«</p>
-
-<p>Der Alte riß die Augen weit auf und wich zwei Schritte
-zurück; der Mund stand ihm halb offen.</p>
-
-<p>»Das Fräulein &ndash; da oben, im zweiten Stock?«
-stotterte er.</p>
-
-<p>»Jawohl, das Fräulein da oben, im zweiten Stock,«
-erwiderte gutlaunig der Baron. »Und nächster Tage ist die
-Hochzeit.«</p>
-
-<p>Er wandte sich nach der Hausthür, und indem er ihm
-den Rücken drehte, konnte er nicht sehen, was der Johann
-hinter seinem Rücken für ein merkwürdiges Gesicht schnitt.
-Er warf einen wütenden, geradezu giftigen Blick nach der
-Treppe, die das Haus hinaufführte, dann glättete er mit
-dem Aermel seines Ueberrocks den Cylinderhut, den er noch
-in der Hand hielt, und während er das that, neigte er das
-<a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a>
-Haupt, wie jemand, der sich plötzlich in eine schwere Notlage
-versetzt sieht und Mittel und Wege überdenkt, die nun
-zu ergreifen sind. Dann stülpte er den Hut mit einem
-Rucke auf, biß die Zähne aufeinander und folgte seinem
-Herrn. Die Hausthür fiel schmetternd zu, weil der Alte sie
-wütend ins Schloß geworfen hatte.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage ging bei Anna ein Brief ein.</p>
-
-<p>Sie erhielt selten Briefe und zögerte ein Weilchen, den
-Umschlag zu öffnen. Die Handschrift war ihr nicht bekannt
-und sah so sonderbar aus; man hätte kaum sagen können,
-ob sie von einem gebildeten oder ungebildeten Menschen
-herrührte.</p>
-
-<p>Endlich entschloß sie sich, und nun las sie folgende
-Zeilen:</p>
-
-<p>»Haben Sie auch bedacht, was Sie thun? Sie wissen
-doch, daß der Mensch, mit dem Sie sich verlobt haben, ein
-Verrückter ist?«</p>
-
-<p>Ein Name stand nicht darunter. Der Brief war unterschrieben:</p>
-
-<p>»Ein Wissender.«</p>
-
-<p>Anna hielt das widerwärtige Blatt in den Händen.
-Was sollte sie thun?</p>
-
-<p>Das beste bei solchen Gelegenheiten ist ja, demjenigen,
-vor dem man gewarnt wird, den anonymen Wisch ruhig zu
-zeigen, damit man kein Geheimnis vor ihm behält. Aber
-das war doch in diesem Falle nicht möglich. Durfte sie den
-unglücklichen Mann lesen lassen, wie das, wovon er sich an
-ihrer Seite zu befreien und zu erlösen hoffte, ihm in so
-roher und gemeiner Weise auf den Kopf zugesagt wurde?</p>
-
-<p>Sie faßte sich kurz, riß den Brief samt dem Umschlage
-<a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a>
-in Fetzen und steckte sie in den Ofen. Die Sache war
-abgethan.</p>
-
-<p>Eine Stunde später kam der Baron, und nun pries sie
-ihren Entschluß. Er sah so heiter aus, so klar; man merkte
-ihm an, wie in Annas Gegenwart der dunkle Schleier sich
-hob und lüftete, der seine Seele umdüsterte. Hätte sie, deren
-Nähe ihm die Gesundheit bedeutete, ihn in sein Leiden zurückstoßen
-sollen, indem sie ihn daran erinnerte? Nimmermehr!</p>
-
-<p>Heut brachte der Baron ihr den Verlobungsring mit,
-einen goldenen Reif, der einen Brillanten umfaßte. Mit
-schüchternem Erröten ließ sie sich den Ring an den Finger
-stecken, und während sie die Hand hin und her drehte, um
-das Licht in dem geschliffenen Steine aufzufangen, griff der
-Baron schon wieder in die Rocktasche. Er holte ein Schmuckschächtelchen
-hervor, das er vor ihren Augen aufspringen
-ließ. Anna blickte hinein und fuhr zurück. Ein goldenes
-Armband mit einem prächtigen Amethyst leuchtete ihr entgegen.</p>
-
-<p>»Aber nein!« erklärte sie, »nein, nein, das geht ja
-nicht, daß du mich so überhäufst! Das kann ich ja nicht
-annehmen!«</p>
-
-<p>Er sah glücklich lächelnd zu ihr hinüber.</p>
-
-<p>»Aber Anna,« sagte er, »weißt du denn nicht, daß ich
-mich beschenke, wenn ich dir ein Geschenk mache?«</p>
-
-<p>Sie mußte es sich gefallen lassen, daß er ihren Arm
-ergriff und ihr das Armband umlegte. Die Haut an der
-Hand und dem Handgelenk war rot und aufgesprungen;
-man sah es ihr an, wie schonungslos die Hände des jungen
-Mädchens in der Hauswirtschaft mitarbeiten mußten. Anna
-deutete mit den Augen darauf hin.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a>
-»Sieh doch nur selbst,« sagte sie: »für solche Hände
-paßt doch ein so wundervolles Armband gar nicht.«</p>
-
-<p>Der Baron hob ihre kleine gerötete Hand empor.</p>
-
-<p>»Das ist Anna von Glassner,« sagte er. Dann schob
-er den Aermel ihres Kleides so weit zurück, daß die weiße,
-zarte Haut des Armes sichtbar wurde.</p>
-
-<p>»Und hier kommt die Baronin von Fahrenwald heraus,«
-fügte er lächelnd hinzu. »In einigen Tagen sind auch die
-Händchen so weiß und zart wieder, wie das.« Er drückte die
-Lippen auf ihren entblößten Arm und schob das Armband
-so hoch hinauf, daß es auf der weißen Haut lag.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte er, »wie gut es sich hier ausnimmt!«</p>
-
-<p>Sie mußte lächelnd zugestehen, daß er recht hatte, und
-dann siegte die weibliche Freude am Schmuck über alle ihre
-Bedenken.</p>
-
-<p>Mit leuchtenden Augen fiel sie ihm um den Hals.</p>
-
-<p>»Du wirst mich noch so verwöhnen, daß ich ganz hochmütig
-und schlecht werde.«</p>
-
-<p>Er hielt sie an sich gedrückt.</p>
-
-<p>»Sei was und wie du willst, nur sei glücklich.«</p>
-
-<p>Es wurde alsdann zwischen ihnen verabredet, daß die
-Hochzeit möglichst bald stattfinden sollte.</p>
-
-<p>»Wie ist es denn?« fragte er, »möchtest du eine Hochzeitreise
-machen?«</p>
-
-<p>Anna lächelte.</p>
-
-<p>»Nicht wahr,« sagte sie, »das ist doch dein Park, den sie
-das Schlesische Paradies nennen?«</p>
-
-<p>»Wirklich?« erwiderte er, »davon habe ich ja noch gar
-nichts gewußt.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a>
-»Ja, ja,« versicherte sie, »er soll ja auch wunderschön
-sein!«</p>
-
-<p>»Nun, er ist groß genug, das ist wahr; nur vielleicht
-ein bißchen verwahrlost.«</p>
-
-<p>Sie legte die Hände auf seine Schultern.</p>
-
-<p>»Und da fragst du mich, ob ich eine Hochzeitreise machen
-will? Nach dem Schlesischen Paradies reise ich mit dir und
-da bleiben wir.«</p>
-
-<p>»Das wolltest du? Wirklich?« Man sah ihm die Freude
-an, die ihre Entscheidung ihm bereitete.</p>
-
-<p>»Aber daß du nur keinen Schreck bekommst,« fuhr er
-fort, »wenn du da hinauskommst; es ist etwas einsam, verstehst
-du. Ich habe da ganz allein mit meinem alten Johann
-gehaust.«</p>
-
-<p>»Ach Gott,« versetzte sie, »das denke ich mir ja gerade
-so wunderschön! Siehst du, ich bin ja auch mein Leben
-lang so allein gewesen, so an die Einsamkeit gewöhnt. Nun
-richten wir uns das alte schöne Schloß ein, wie es für uns
-beide paßt, dann gehen wir durch den Park, und nicht wahr,
-den Park gibst du in meine Obhut? Ich denke mir das
-so köstlich, Gärtnerin zu sein!«</p>
-
-<p>Sie war ganz lebhaft geworden; ihr Gesicht glänzte.
-Der Baron sah sie hingerissen an. Vor seinem Geiste erschien
-eine Reihe der lieblichsten Bilder: er sah seine junge Frau
-durch die düsteren Räume des alten Schlosses wandeln, wie
-den Geist des neuen jungen Lebens; er sah sie im Park
-umherschalten, anmutig zur Arbeit aufgeschürzt, und Haus
-und Garten wurden jung und lebendig und schön unter
-ihren Händen und seine Seele ward jung und freudig und
-stark in ihrer geliebten Nähe.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a>
-»Alles soll so sein, wie du es sagst,« rief er jauchzend,
-indem er sie an sein Herz drückte, »sobald das Wetter einigermaßen
-wird, fahren wir hinaus und ich zeige dir alles, und
-dann kommen wir zurück und kaufen Tapeten und Möbel
-und Blumensamen und alles was der Mensch sich denken
-kann. Und nachher, da leben wir da draußen zusammen,
-wie auf einer Insel im weiten Meer. Wir beide ganz für
-uns, und fragen nach keinem Menschen und nach keiner
-Welt!«</p>
-
-<p>Er war wie trunken von Freude, als er sie endlich
-verließ, und auch vor Annas Phantasie begann die Zukunft
-wie ein helles freundliches Land emporzusteigen.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage aber erhielt ihre fröhliche Stimmung
-einen Stoß. Genau zu der Stunde, an der gestern der
-anonyme Brief gekommen war, erschien heute, von derselben
-Hand verfaßt, ein zweites Schreiben.</p>
-
-<p>Gar nicht erst aufmachen, sondern ohne weiteres in den
-Ofen stecken, das war Annas erstes Gefühl &ndash; aber die
-Neugier war stärker als die Wallung der Vernunft, und sie
-folgte dem verhängnisvollen Triebe, der in uns ist, Dinge,
-von denen wir wissen, daß sie uns gräßlich widerwärtig
-sein werden, daß sie unsern Seelenfrieden stören werden,
-recht genau und in der Nähe anzusehen.</p>
-
-<p>Das, was sie heute las, war dies:</p>
-
-<p>»Haben Sie denn das Verhältnis noch nicht gelöst?
-Noch immer nicht? Bedenken Sie sich, es wird Zeit! Es
-wird hohe Zeit!!!«</p>
-
-<p>Diesmal war der Brief unterschrieben »der Warner«.
-Nun nachdem sie gelesen, stand sie da und bereuete, daß sie
-gelesen hatte. Es war ihr zu Mute, wie einem Kinde, das
-<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a>
-man vor giftigen Beeren gewarnt hat und das trotzdem genascht
-hat. Mochte sie das Geschreibsel auch zerreißen und
-in den Ofen stecken, vergessen konnte sie ja doch nicht, was
-darin gestanden hatte. Dazu kam der sonderbare Ton und
-die Form des Briefes; beides war so aufgeregt. Die drei
-Ausrufungszeichen am Schluß, und die Unterschrift war
-mit ganz merkwürdigen Schnörkeln verbrämt und verziert.</p>
-
-<p>Das Ende ihres Ueberlegens war, daß auch dieser Brief
-in Fetzen ging und in den Ofen wanderte.</p>
-
-<p>Am darauf folgenden Tage aber lauschte sie schon mit
-aller Spannung, ob heute auch der Briefträger erscheinen
-würde. Und richtig, als die Stunde schlug, klingelte es,
-und ein dritter Brief lag in ihren Händen. Heut überlegte
-sie schon nicht mehr, ob sie lesen sollte, oder nicht, mit einer
-Art von Heißhunger fiel sie darüber her.</p>
-
-<p>Der unbekannte Verfasser betitelte sich heute »Prüfer
-von Herz und Nieren«; das, was er verkündete, lautete
-folgendermaßen:</p>
-
-<div class="mw48 mt1 mb1">
-
-<p class="ci">
-»Verblendete!! Das gefällt Ihnen wohl, daß der
-unglückselige Mensch Sie mit Schmuck und Flitter überhäuft?
-Wollen Sie denn mit Gewalt blind und taub sein? Daran
-sollten Sie doch merken, daß er ein Wahnsinniger ist!! Ein
-Wahnsinniger!!!«</p>
-
-</div>
-
-<p>Ein unheimlicher Schauder überlief Anna, als sie diese
-Worte las. Es klang wie eine dumpfe Wut daraus, eine
-Wut gegen sie und zugleich gegen ihn. Sie versank in
-Gedanken, und so geschah es, daß der Baron sie überraschte,
-bevor sie noch Zeit gefunden hatte, den Brief zu vernichten.
-Sie hatte ihn gerade noch in die Tasche stecken können, als
-<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a>
-er eintrat, und sie mußte sich beinahe Zwang anthun, um
-dem Bräutigam unbefangen und heiter entgegenzugehen.</p>
-
-<p>Als er aber jetzt, vergnüglich schmunzelnd wie ein Kind,
-das jemandem eine rechte Ueberraschung zugedacht hat, eine
-große Schachtel zum Vorschein brachte, und als sie darin
-ein prachtvolles Perlenhalsband erblickte, fuhr sie zurück, und
-diesmal war es nicht Schüchternheit noch Bescheidenheit, was
-sie zurückfahren ließ, sondern Schreck, wirklicher, wahrhaftiger
-Schreck.</p>
-
-<p>Die Worte des unbekannten Briefschreibers fielen ihr
-ein, und die schrecklichen Worte hatten ja recht gehabt; so
-rasend verschwenden konnte ja nur ein Wahnsinniger!</p>
-
-<p>Mit hängenden Armen stand sie da und starrte, wie
-geistesabwesend, auf den Schmuck, der ihr vom dunkelblauen
-Sammet, auf dem er gebettet lag, entgegengleißte.</p>
-
-<p>Der Baron hielt den geöffneten Schrein mit beiden
-Händen vor sie hin und lachte still in sich hinein. Er ahnte
-nicht, was in ihr vorging, und sah in ihrer Starrheit nur
-das hülflose Staunen der Armut, die sich plötzlich vom Reichtum
-überflutet sieht.</p>
-
-<p>»Aber Anna,« sagte er endlich, als sie noch immer wie
-leblos vor ihm stand, »freust du dich denn gar nicht ein
-bißchen?«</p>
-
-<p>Sie hörte wieder den Ton seiner Stimme, sie blickte
-auf und sah sein Gesicht mit einem Ausdrucke unsäglicher
-Güte und Liebe auf sich gerichtet, und plötzlich brach sie in
-Thränen aus und fiel ihm schluchzend um den Hals.</p>
-
-<p>Dieser Ueberschwall von Gebensfreudigkeit &ndash; das sollte
-alles nur eine Ausgeburt des Wahnsinns sein? Dieser
-Mensch, der sich auflöste, nur um ein Lächeln auf ihrem
-<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a>
-Gesicht hervorzurufen, das sollte ein Verrückter sein? Nein,
-nein, nein! Und sie drückte das Gesicht an seinen Hals und
-schüttelte, wie in Verzweiflung, das Haupt.</p>
-
-<p>Der Baron stand ratlos. Diese Thränen sahen doch
-gar nicht wie Uebermaß von Freude, sondern wie echter
-Schmerz aus. Bevor er aber noch zu Worte kommen konnte,
-fing sie an.</p>
-
-<p>»Eberhard,« sagte sie, indem sie die Arme von seinem
-Halse löste, »siehst du, es ist ja so himmlisch gut von dir, und
-ich bin dir ja so maßlos dankbar für alles, aber ich bitte,
-ich beschwöre dich, laß es genug sein, schenke mir nichts mehr.«</p>
-
-<p>Die Heiterkeit wich von seinem Gesichte.</p>
-
-<p>»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam, »es würde
-dir Freude machen &ndash; und nun willst du es gar nicht
-haben?«</p>
-
-<p>Er schickte sich an, den Schrein zu schließen, und dabei
-sah er so kummervoll aus, daß ein reißender Schmerz durch
-ihre Seele ging.</p>
-
-<p>»Nein, nein,« rief sie, »ich will es ja nehmen, gern
-nehmen, und ich bin dir ja so, so dankbar dafür, aber ich wollte
-ja nur sagen: dann nichts mehr, Eberhard. Laß es damit
-genug sein, bitte, versprich es mir, bitte, bitte!«</p>
-
-<p>Er drückte den Kasten ins Schloß und sah sie an, als
-begriffe er nicht, was sie wollte.</p>
-
-<p>Sie faßte seine Hand mit beiden Händen.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte sie, »du mußt doch bedenken, daß
-ich an so etwas nicht gewöhnt bin; du weißt ja doch, daß
-ich ganz arm bin; ich habe doch früher nie Schmuck getragen,
-und an so etwas muß man sich doch allmählich gewöhnen.
-Und wenn das dann so mit einemmal, so massenhaft
-<a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a>
-kommt, siehst du, Eberhard, lieber guter Eberhard, das
-mußt du dir doch selbst sagen, daß einen das geradezu
-ängstigt. Das erstickt einen ja und erdrückt einen und das
-hält man gar nicht aus.«</p>
-
-<p>Ihre Worte waren hastig erregt von ihren Lippen gekommen,
-aber sie beruhigten ihn. Er entnahm daraus, daß
-es wirklich nur die Armut in ihr war, die vor dem plötzlichen
-Reichtum erschrak.</p>
-
-<p>»Du liebes, bescheidenes Kind,« sagte er zärtlich, indem
-er den Arm um sie legte, »ich glaube wirklich, du hast vollkommen
-recht, und es war falsch, daß ich zu rasch gewesen
-bin. Aber du weißt ja doch, warum ich es gethan habe und
-bist mir nicht böse?«</p>
-
-<p>»Ich &ndash; dir böse sein&nbsp;&ndash;« erwiderte sie stockend, und
-die Thränen drängten ihr von neuem empor, so daß sich ihr
-die Kehle zuschnürte.</p>
-
-<p>Er stellte den Schmuckkasten auf den Tisch.</p>
-
-<p>»Also mag er da bleiben,« sagte er, indem er seinen
-Ton zur Heiterkeit anstrengte, »und vorläufig genug damit.«</p>
-
-<p>Sie blieben dann noch eine Zeit lang bei einander, aber
-eine unbefangene fröhliche Stimmung wollte nicht mehr
-recht aufkommen. Der Vorgang von vorhin wirkte in beiden
-nach, und zwischen ihnen, auf dem Tische stand der verhängnisvolle
-Schmuckkasten, der an dem allen schuld war.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage blieb Anna verschont; es lief kein
-Brief ein. Als der Baron indessen erschien, lag ein Schatten
-auf seinem Gesicht und in seinen Augen war ein dumpfes
-Glühen.</p>
-
-<p>Anna erschrak einigermaßen, als sie ihn sah; sein Ausdruck
-war so anders als an den vergangenen Tagen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a>
-Sie forschte nach dem Grunde seines Mißmuts, aber
-er wollte nicht mit der Sprache heraus.</p>
-
-<p>»Bist du mir böse wegen gestern?« fragte sie endlich,
-indem sie sich neben ihn setzte.</p>
-
-<p>Er strich mit freundlicher Hand über ihr Haar.</p>
-
-<p>»Nein, gar nicht, lieber Engel,« sagte er, »verlaß dich
-darauf, gar nicht.«</p>
-
-<p>Sie fragte nicht weiter, sie wollte nicht in ihn dringen,
-aber ihre Augen blieben stumm besorgt an ihm hängen.</p>
-
-<p>»Ach weißt du,« sagte er endlich, indem er sich aus
-seinem Brüten aufraffte, »es ist wirklich gar nicht der
-Mühe wert, und es ist unrecht, daß ich dich damit quäle.
-Ich habe einen Auftritt mit meinem Diener gehabt, das ist
-die ganze Geschichte.«</p>
-
-<p>Er war aufgestanden und ging im Zimmer hin und
-her. Anna folgte ihm von ihrem Sitze aus mit den Blicken.</p>
-
-<p>»Mit deinem alten&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Mit meinem alten Johann, ja.«</p>
-
-<p>»Aber ich denke,« wandte sie ein, »er ist dir so treu
-und ergeben?«</p>
-
-<p>»Freilich ist er das,« gab er zur Antwort, »treu beinah
-bis zum Uebermaß, und das ist es ja eben&nbsp;&ndash;« er brach
-mitten im Satze ab und wanderte wieder schweigend auf
-und nieder.</p>
-
-<p>»Siehst du,« fuhr er nach einer Weile fort, »solche
-alten Diener, die man vom Vater überkommt, die einen als
-Kind auf dem Arm getragen haben, die einen immerfort
-begleitet haben, sind ja einerseits ein Schatz, und darum kann
-man sie nicht so aus dem Hause schicken, wie man es vielleicht
-mit andern machen würde.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a>
-Ein Zucken ging über sein Gesicht und in seinen Augen
-flimmerte es, wie die Erinnerung an einen schweren Grimm,
-den er durchgemacht hatte.</p>
-
-<p>»Du wirst doch nicht an so etwas denken!« sagte Anna,
-indem sie aufstand. Eine innere Stimme flüsterte ihr zu,
-wie notwendig ihm die stetige Begleitung eines treuen, mit
-seiner Natur vertrauten Menschen sein mochte.</p>
-
-<p>»Ich denke ja nicht daran,« versetzte er, »nur das wollte
-ich sagen, siehst du, solche alten Diener werden andrerseits
-auch manchmal zu einer Art von Last. Sie wollen den
-Haushofmeister, gewissermaßen den Schulmeister spielen, und
-das &ndash; na, indessen&nbsp;&ndash;« er brach wieder ab. »Lassen wir
-die dumme Geschichte; sie ist abgethan und, wie gesagt, gar
-nicht der Rede wert.«</p>
-
-<p>Anna war zu ihm herangetreten und sah ihm bittend
-in die Augen.</p>
-
-<p>»Mir zuliebe,« sagte sie, »sei geduldig mit dem alten,
-treuen Menschen; er meint es gewiß so redlich und gut
-mit dir.«</p>
-
-<p>Der Baron blickte mit einem eigentümlichen Lächeln
-auf sie nieder.</p>
-
-<p>»Das sagst du,« erwiderte er langsam. Seine Lippen
-bewegten sich, als wollte er noch etwas hinzusetzen; aber er
-sprach es nicht aus. Allmählich aber, indem seine Augen
-auf ihrem Gesichtchen ruhten, kehrte der Ausdruck stiller
-Zufriedenheit in seine Züge zurück.</p>
-
-<p>»Du bist ein Engel,« sagte er, »und so gut, wie du
-selbst es gar nicht weißt.«</p>
-
-<p>Bald darauf verließ er sie.</p>
-
-<p>Es war, wie der Baron gesagt hatte; zwischen ihm und
-<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a>
-dem alten Johann hatte es am Morgen dieses Tages einen
-Auftritt gegeben, einen merkwürdigen, schrecklichen Auftritt.</p>
-
-<p>In sein junges Glück versenkt, hatte der Baron nicht
-weiter acht auf den Alten gegeben, sonst hätte es ihm auffallen
-müssen, daß dieser seit dem Tag, als er mit ihm das
-Haus verlassen hatte, wo Anna von Glassner wohnte, ein
-seltsames Wesen angenommen hatte.</p>
-
-<p>Jeden Vormittag, wenn der Baron ausging, um sich
-zu seiner Braut zu begeben, schlich der Alte geräuschlos hinter
-ihm drein. Dem Juwelierladen gegenüber, in den er seinen
-Herrn eintreten sah, auf der andern Seite der Straße, stellte
-er sich auf und wartete, bis der Baron wieder herauskam;
-und wenn dieser zu Annas Hausthür gelangt war, ahnte
-er nicht, daß wenige Schritte hinter ihm sein Diener stand
-und ihn mit Augen verfolgte &ndash; mit Augen, die den lauernden
-Ausdruck eines wilden Tieres hatten. Wenn er alsdann
-in die Behausung zurückgekehrt war, wo er mit dem Baron
-wohnte und wo ihm ein geräumiges Zimmer angewiesen
-war, setzte der Alte sich an den Tisch, der inmitten des Zimmers
-stand, und dort saß er Stunden und Stunden lang. Er aß
-nicht, er trank nicht, er rauchte nicht; er war ganz versunken
-in dumpfes, stumpfes Brüten. Die einzige Thätigkeit, zu
-der er sich aufraffte, war, daß er sich alsdann erhob, eine
-große Schreibmappe auf den Tisch legte, Tinte und Feder
-herbeiholte und nun mit fanatischem Eifer zu schreiben anfing.
-Was er da schrieb &ndash; niemand sah es, denn niemand
-war dabei; jedesmal, bevor er an seine Schreiberei ging,
-riegelte er sorgfältig die Thür seines Zimmers ab. Es
-schienen jedoch Briefe zu sein; denn das Papier, worauf
-er schrieb, waren Briefbogen, und jedesmal, nachdem er
-<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a>
-geendigt und das Geschriebene wohl zehnmal mit gerunzelter
-Stirn und stumm glühenden Augen durchgelesen hatte, steckte
-er den Bogen in ein Couvert, das er mit einer Adresse und
-Postmarke versah. Leise schloß er alsdann seine Thür wieder
-auf, steckte horchend den Kopf hinaus, und wenn er sich
-überzeugt hatte, daß niemand ihn hörte und sah, schlüpfte
-er behutsam aus der Wohnung, aus dem Hause, um den
-Brief in den nächsten Briefkasten zu stecken.</p>
-
-<p>Abends fand der Baron, wenn er nach Haus kam, die
-Lampen in seinen Gemächern bereits angezündet, alles zu
-seinem Empfange bereit, und den alten Johann, einmal wie
-allemal fertig, ihn des Mantels zu entledigen, ihm den
-Thee zu bereiten und alles zu thun, woran er von jeher gewöhnt
-war. Was der Baron nicht beachtete, das waren die
-Blicke, mit denen der Alte ihn lauernd beobachtete, und
-was er nicht sah, das war, daß der Alte, nachdem er sich
-zurückgezogen hatte, draußen auf dem Flur stehen blieb,
-lautlos an die Thür gepreßt, hinter der sein Herr saß,
-stundenlang horchend, lauschend, ob er nicht da drinnen plötzlich
-ein verdächtiges Geräusch, irgend etwas vernehmen würde,
-das ihn nötigte, zuzuspringen und Hand anzulegen. Denn
-er wußte ja doch, daß da drinnen ein Wahnsinniger saß und
-daß es sein Beruf und seine Pflicht war, den Wahnsinnigen
-zu bewachen.</p>
-
-<p>An dem Vormittag dieses Tages nun, als der Baron
-gefrühstückt und darauf dem Diener geklingelt hatte, damit
-er ihm beim Anziehen behilflich sei, hatte dieser sich, im Bewußtsein
-seiner Pflicht, ein Herz gefaßt und beschlossen, mit
-seinem Herrn einmal ein Wort zu reden.</p>
-
-<p>Es kam ihm nicht leicht an, denn er war ein echter
-<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a>
-Schlesier, und daher steckte ihm ein knechtischer Respekt vor
-seinem Gebieter in Fleisch und Bein. Aber es mußte sein,
-es mußte.</p>
-
-<p>Den Pelz seines Herrn in den Händen, trat er in das
-Zimmer ein; als der Baron aber in den Mantel fahren
-wollte, ließ der Diener ihn sinken.</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr wollen mir eine unterthänige Frage
-erlauben &ndash; gehen gnädiger Herr wieder zu dem Fräulein?«</p>
-
-<p>Der Baron sah sich überrascht um; ein Lachen zuckte
-über sein Gesicht.</p>
-
-<p>»Interessiert dich das so? Allerdings gehe ich zu ihr.«</p>
-
-<p>Der Alte senkte das Haupt und stierte auf den Teppich.</p>
-
-<p>»Nun, was gibt's? Worauf wartest du?« fragte der
-Baron, indem er ein Zeichen machte, daß er den Pelz anzulegen
-wünschte.</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr, wollen entschuldigen,« erwiderte der
-Alte, ohne die Augen zu erheben, »ob gnädiger Herr es sich
-nicht noch einmal überlegen möchten?«</p>
-
-<p>»Was soll ich mir überlegen?«</p>
-
-<p>»Daß gnädiger Herr das Fräulein wirklich heiraten
-wollen.«</p>
-
-<p>Der Baron machte auf dem Absatze kehrt, so daß er
-seinem Diener unmittelbar gegenüberstand. Er war einen
-Augenblick ganz sprachlos vor Erstaunen.</p>
-
-<p>»Was geht das dich an?« stieß er hervor. »Was fällt
-dir denn ein?«</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr wissen ja doch,« murrte der Alte mit
-hohler Stimme von unten herauf, »daß ich gnädigen Herrn
-von Kindesbeinen her kenne &ndash; daß ich vom seligen Herrn
-Baron&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a>
-»Weiß ich, weiß ich, weiß ich alles!« rief der Baron,
-indem er ungeduldig aufstampfte. »Was gehört das hierher?«</p>
-
-<p>»Und daß ich weiß, was gnädigem Herrn gut thut und
-gnädigem Herrn nicht gut &ndash; weil ich weiß, wie es steht.«</p>
-
-<p>Der Baron trat einen halben Schritt zurück.</p>
-
-<p>»Wie was steht?«</p>
-
-<p>Jetzt richtete der Alte das gesenkte Haupt so weit auf,
-daß er einen schrägen, lauernden Blick in die Augen seines
-Herrn bohren konnte. Seine Stimme wurde dumpf und leise.</p>
-
-<p>»Wie es &ndash; mit gnädigem Herrn steht.«</p>
-
-<p>Das bleiche Gesicht des Barons wurde noch um eine
-Färbung bleicher, so daß es ganz weiß aussah, und in dem
-weißen Gesichte glühten die Augen auf. Ein Zittern durchlief
-seine Gestalt, seine Hände schlossen sich, er konnte
-keinen Laut hervorbringen. So standen sich die beiden
-Männer stumm gegenüber. Am Leibe des alten Johann
-regte sich keine Fiber, nur seine Augen hafteten stieren
-Blicks an dem Baron. Er sah ja, daß der Mann dort unmittelbar
-vor einem Ausbruche von Tollwut stand, und
-Tobsüchtige darf der Wärter nicht aus den Augen lassen.</p>
-
-<p>Es dauerte geraume Zeit, bis daß der Baron seine
-Fassung einigermaßen zurückgewann. Seine Brust keuchte,
-indem er zu sprechen begann; die Worte kamen abgebrochen
-heraus.</p>
-
-<p>»Johann &ndash; weil ich weiß &ndash; daß du es gut meinst &ndash;
-will ich dir verzeihen, was du &ndash; da eben gesagt hast. Aber,
-wenn du es noch einmal thust, dann nimm dich in acht!«
-Er hob den rechten Arm mit geballter Faust empor. »Nimm
-dich in acht!« wiederholte er, »nimm dich in acht!«</p>
-
-<p>Seine Stimme war immer lauter angeschwollen, so daß
-<a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a>
-sie zuletzt beinahe brüllend geworden war. Sein Körper
-schüttelte sich wie im Krampf. Dann plötzlich ließ er den
-erhobenen Arm sinken, warf sich stöhnend in einen Sessel
-und legte beide Arme auf die Lehne, das Gesicht auf die
-Arme drückend.</p>
-
-<p>Regungslos stand der Alte; in seinen Augen war etwas,
-wie ein wilder Triumph, indem er auf seinen Herrn niederblickte.
-Wer hatte nun recht gehabt? War der Mann da,
-der unglückselige, etwa kein Wahnsinniger?</p>
-
-<p>Zunächst sprach keiner von beiden ein Wort; eine schwüle,
-beängstigende Stille trat ein. Dann erhob der alte Johann
-wieder die Stimme.</p>
-
-<p>»Und wenn gnädiger Herr heiraten, thut es gnädigem
-Herrn nicht gut.«</p>
-
-<p>Der Baron erwiderte nichts; er gab überhaupt kein
-Zeichen, als hätte er gehört.</p>
-
-<p>»Und wenn ein Fräulein kommt,« fuhr der Alte fort,
-»und will den gnädigen Herrn heiraten, weil das Fräulein
-Frau Baronin werden möchte und reich werden möchte, weil
-sie selber nichts hat&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Jetzt richtete der Baron das Haupt auf; seine Hand
-griff in den Stoffüberzug des Sessels, man sah, wie sie sich
-hineinkrallte, seine Augen drehten sich zu dem Alten herum,
-mit einem gefährlichen Ausdruck. Der Alte aber hörte nicht
-auf, wollte nicht aufhören; indem er des Mädchens gedachte,
-war es, als überkäme auch ihn eine dumpfe, schwälende
-Wut. Seine Augen unterliefen rot. »Dann ist das nicht
-recht von dem Fräulein,« polterte er rauh und rücksichtslos
-heraus.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick rollte der Stuhl, auf welchem
-<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a>
-der Baron gesessen hatte, bis mitten ins Zimmer; mit einem
-jähen Satze war der Baron aufgesprungen.</p>
-
-<p>»Mach, daß du 'rauskommst!« brüllte er den Alten
-an. Der Alte stand wie an den Boden gewachsen.</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr dürfen nicht heiraten,« sagte er.</p>
-
-<p>»Halt 's Maul und mach, daß du 'rauskommst!« donnerte
-der Baron noch einmal. Seine Hände flogen, sein Körper
-erbebte konvulsivisch. Es war aber, als wenn seine Aufgeregtheit
-den andern nur um so eisiger erstarren machte.</p>
-
-<p>»Ein Arzt hat mir gesagt, der jetzt tot ist, wenn
-gnädiger Herr heiraten, werden gnädiger Herr jemand umbringen.«</p>
-
-<p>Kaum daß er das gesagt hatte, warf er jedoch den
-Pelz, den er immer noch in Händen hielt, über den nächsten
-Stuhl und zog sich eilends nach der Thür zurück. Der Baron
-hatte den schweren gepolsterten Sessel mit beiden Händen an
-der Lehne gepackt und mit einer Kraft, wie sie nur der
-Paroxismus verleiht, emporgeschwungen. Es sah aus, als
-wollte er den Alten im nächsten Moment zu Boden schmettern.
-Mit einer hurtigen Bewegung riß dieser die Thür auf und
-verschwand.</p>
-
-<p>Eine halbe Stunde später, während er lautlos horchend
-in seinem Zimmer gesessen hatte, vernahm er, wie der Baron
-aus seinen Gemächern trat und mit schweren Schritten die
-Wohnung verließ. Er eilte an eines der nach der Straße
-gehenden Fenster und blickte ihm nach. Richtig &ndash; die gewohnte
-Richtung, er ging zu seiner Braut. Also doch!</p>
-
-<p>Der Alte kehrte in sein Zimmer zurück, warf die Mappe
-auf den Tisch und gleich darauf saß er wieder vor seinen
-Briefbogen. Heute knirschte das Papier unter seiner kratzenden
-<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a>
-Feder; seine Augen brannten, und die Muskeln seines
-Gesichts spannten sich zu einem Ausdruck grimmiger Verbissenheit,
-indem er schrieb.</p>
-
-<p>Am Abende des Tages erhielt Anna von Glassner
-folgenden Brief:</p>
-
-
-<div class="mw48 mt1 mb1">
-
-<p class="ci">
-»Zum letztenmal werden Sie gewarnt! Sie ruinieren
-ihn und gehen in Ihr Verderben! Heute war der unglückselige
-Mensch dicht daran, daß er seinen Wärter und treuesten
-Begleiter totgeschlagen hätte.</p>
-
-<p class="ci">&emsp;&emsp;Wer Augen hat, zu sehen, der sehe!!!</p>
-
-<p class="si">Der Pflichterfüller.«</p>
-
-</div>
-
-
-<p>Scheinbar beruhigt war der Baron von Anna hinweggegangen,
-in seinem Innern aber saß die Erinnerung an
-das, was er mit dem alten Johann erlebt hatte. Und diese
-Erinnerung war wie ein gärender Keim in seinem Blute,
-sie ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen.</p>
-
-<p>Es erging ihm, wie es dem Menschen geht, wenn er
-sich mit einem andern gestritten hat. Im Augenblick, da
-uns der Gegner seine Behauptung ins Gesicht wirft und
-wir sie ihm leidenschaftlich zurückschleudern, sind wir darüber
-hinweg &ndash; nachher, wenn die Leidenschaft verraucht ist, kommt
-das Wort uns wieder, leise, schleichend und in seiner Geräuschlosigkeit
-eindringlicher als vorher, und nun kommt das
-Grübeln, ob das Wort nicht vielleicht doch recht gehabt
-haben könnte.</p>
-
-<p>»Ich weiß, wie es mit gnädigem Herrn steht« &ndash; immer
-wieder war es da, das Wort, immerfort und immerfort, wie
-der Wassertropfen, der unablässig auf den Kopf des Gefolterten
-fällt. Und indem es in seinem Ohre nachklang,
-<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a>
-war ihm, als käme das Ungetüm wieder herangeschwommen,
-von dem er Anna erzählt hatte, als höbe es die gräßlichen
-grünen Augen wieder auf, und das, was aus diesen Augen
-sprach, war ja nichts andres als das: »Ich weiß, wie es
-mit dir steht.«</p>
-
-<p>Und, war es denn etwa so ganz unberechtigt? War
-nicht in ihm selbst etwas gewesen, das ihn mit Schauder
-erfüllte, wenn er daran zurückdachte? Immer wieder hörte
-er eine fürchterliche Stimme, die das Zimmer durchtönte,
-und das war seine Stimme; der Mensch, der so gebrüllt
-hatte, war er selbst gewesen. Immer wieder empfand er
-den Krampf, der plötzlich in seinem Rückenmark losgebrochen
-war, seine Glieder durchschüttelt, seinen Arm erhoben und
-seine Fäuste geballt hatte. Es ließ ihn gar nicht los; immer
-und immer wieder mußte er sich bis ins einzelne vergegenwärtigen,
-wie das gekommen, wie ihm dabei zu Mute gewesen
-war. Wie wenn etwas von außen über ihn herfiele,
-so war es gewesen, wie wenn ihn etwas anspränge, sich
-seiner bemächtigte, eine fremde, furchtbare Gewalt, beinahe
-wie ein wildes Tier, das jählings in ihn eingedrungen war
-und aus ihm hervortobte. Dazu diese plötzliche, unbegreifliche
-Kraft, die er in den Armen gefühlt hatte. Wenn er
-jetzt den schweren gepolsterten Sessel anschaute, begriff er
-gar nicht, wie es ihm möglich gewesen war, ihn wie eine
-Keule emporzuschwingen. Und in dem Augenblick war es
-doch so gewesen, und in dem Augenblick war ihm das
-mächtige Ding so federleicht erschienen. Unwillkürlich schloß
-er die Augen. Hatte er nicht gehört und gelesen, daß
-Menschen in der Tollwut eiserne Stangen zerbrechen? Was
-war das gewesen, was ihm die Muskeln so schrecklich
-<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a>
-gestählt hatte? Brütend saß er in seinem Zimmer und wagte
-sich nicht Antwort auf das zu geben, was in ihm fragte.</p>
-
-<p>So also stand es mit ihm? Und wie viel hatte gefehlt,
-so hätte er seinen alten Johann niedergeschlagen und
-totgeschlagen. &ndash; Freilich, der Alte hatte ihn gereizt; aber
-wußte er denn nicht, wie er an ihm hing, treu wie ein
-Hund? Und er hätte ihn beinahe umgebracht!</p>
-
-<p>Und wie hatte der Alte von Anna gesagt? »Wenn
-ein Fräulein kommt und den gnädigen Herrn heiraten will,
-weil sie reich werden möchte&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Hier aber sprang er auf. Das war falsch und gelogen,
-das wußte er, so weit war er noch vernünftig. Das waren
-die Gedanken, wie sie in einer Knechtsseele sich zusammenkleistern!
-Er wußte ja doch, daß er zu ihr gekommen war,
-nicht sie zu ihm. Mit den Armen griff er in die Luft.
-Daß sie nur da gewesen wäre in diesem Augenblick, daß er
-sie an sich hätte pressen können! Denn mächtiger und bestimmter
-als je zuvor empfand er in diesem Augenblick, daß
-es nur ein Ziel und eine Rettung für ihn gab, und das
-war sie, an die er dachte, nach der er verlangte, Anna,
-Anna, Anna!</p>
-
-<p>Wie eine Todesangst erfaßte ihn der Gedanke, daß sie
-ihm doch noch entgehen könnte, und mit krampfhafter Ungeduld
-sah er dem Tage entgegen, da sie Hochzeit machen
-würden, da sie ihm ganz gehören, immer und allerorts bei
-ihm und mit ihm sein würde.</p>
-
-<p>Das nächste, was er darum zu thun beschloß, war, daß
-er seine Braut zu seinem Schlosse hinausführte. Sie sollte
-den Ort kennen lernen, wo sie mit ihm zusammen sein
-würde, die künftige Heimat.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a>
-Man befand sich zu Anfang April; der Winter war
-überstanden, aber noch nicht überwunden, er kämpfte noch
-mit dem nahenden Frühling. Trotzdem wollte der Baron
-nicht länger warten. Es mußte etwas geschehen, wodurch
-Anna körperlich mit dem neuen Dasein verknüpft würde,
-und sie selbst hatte Lust dazu. Auch in ihr war ein Bedürfnis,
-die Umgebung des künftigen Lebens kennen zu
-lernen; daneben regte sich die Neugier, das schlesische Paradies
-endlich einmal mit Augen zu sehen.</p>
-
-<p>So wurde der Besuch denn für einen der nächsten Tage
-beschlossen.</p>
-
-<p>Mit seinem alten Diener hatte der Baron seit jenem
-verhängnisvollen Vormittage kein Wort mehr gesprochen;
-schweigend waren sie umeinander hergegangen; es war wie
-ein Waffenstillstand zwischen ihnen.</p>
-
-<p>Als er damals seine Wohnung verließ, um zu Anna
-zu gehen, hatte Eberhard von Fahrenwald ernsthaft erwogen,
-ob er den Alten nicht fortschicken sollte. Es war das erste
-Mal, daß ihm der Gedanke kam.</p>
-
-<p>Er hatte ihn von seinem Vater ererbt und es bisher
-wie eine Art von Naturnotwendigkeit empfunden, ihn fortwährend
-um sich zu haben. An dem Tage zum erstenmal
-erhob sich eine Stimme in ihm, die ihm zurief: »Schick' ihn
-fort!« Er würde ihm natürlich eine für seine alten Tage
-ausreichende, ja eine glänzende Pension zahlen, aber er wollte
-ihn los sein.</p>
-
-<p>Als er dann aber zu Anna gekommen war, und diese
-für den Alten gebeten hatte, war sein Entschluß wieder
-schwankend geworden. Er war sich nun wieder bewußt geworden,
-daß er gegen den ausdrücklichen letzten Willen seines
-<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a>
-Vaters handeln würde, wenn er so thäte, und er sagte sich,
-daß er es doch gewesen war, der durch seine Heftigkeit den
-widerwärtigen Auftritt verschuldet hatte. Kampf mit sich
-selbst, das war ja nun einmal die Aufgabe, die ihm vom
-Schicksal auferlegt worden war, und dazu gehörte, daß er
-auch den Widerwillen, den unheimlichen, niederkämpfte, der
-sich in ihm gegen den Alten zu regen begann.</p>
-
-<p>Also schwieg er; der alte Johann schwieg auch, und
-äußerlich schien es, als wäre alles, wie es früher und immer
-gewesen war.</p>
-
-<p>Jetzt, am Tage, bevor er mit Anna hinauszufahren
-beschlossen hatte, befahl der Baron dem Alten, vorauszufahren
-und das Schloß einigermaßen zum Empfange vorzubereiten.
-Die Zimmer sollten gelüftet, in den Oefen und
-Kaminen sollten Feuer angezündet werden. In den Wegen
-des Parks, die vom Tauwetter jedenfalls aufgeweicht sein
-würden, hieß er ihn Sand aufschütten und an besonders
-morastigen Stellen Bretter legen. Endlich sollte für ein
-Frühstück gesorgt werden.</p>
-
-<p>Alle diese Weisungen erteilte der Baron in kurzem,
-bestimmtem Tone; der alte Johann nahm sie mit schweigender
-Unterwürfigkeit entgegen; er war in diesem Augenblick
-nichts weiter, als der demütige, gehorsame Knecht.</p>
-
-<p>Ein grauer, nasser Himmel lag über der Erde, als der
-Baron am nächsten Morgen mit seinem Wagen bei Anna
-von Glassner vorfuhr, um sie zum Bahnhofe abzuholen.</p>
-
-<p>Als er bei ihr eintrat, stand sie schon reisefertig in ihrem
-grauen Reisemantel da. Lächelnd wickelte er einen Gegenstand,
-den er in Händen trug, aus dem umhüllenden Papier;
-es war ein Paar nagelneuer, mit Pelz gefütterter Gummischuhe.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a>
-»Das ist kein Schmuck,« sagte er, »das darfst du annehmen,
-und im Park draußen wird es feucht sein.«</p>
-
-<p>Sie sah ihm dankbar ins Gesicht.</p>
-
-<p>»Auch an so etwas denkst du?«</p>
-
-<p>Sie setzte sich, um die Gummischuhe anzulegen, und
-dabei konnte sie nicht verhindern, daß er sich auf ein Knie
-vor ihr niederließ, um ihr beim Anziehen behilflich zu sein.</p>
-
-<p>Zärtlich drückte er ihre kleinen Füße.</p>
-
-<p>»Aber Eberhard!« mahnte sie.</p>
-
-<p>Er sprang auf, schloß sie in seine Arme und küßte sie
-auf den Mund.</p>
-
-<p>»Komm,« sagte er, »heute fährst du als Anna von Glassner
-hinaus; das nächste Mal als Anna von Fahrenwald.«</p>
-
-<p>Nach einer Eisenbahnfahrt von etwa einer Stunde kamen
-sie an der kleinen Station an, von der man zum Gute des
-Barons gelangte. Als der Zug einlief, stand bereits ein
-grauhaariger Mann mit abgezogenem Hute und gebeugtem
-Rücken auf dem Bahnsteige; es war der alte Johann.</p>
-
-<p>»Sieh, wie pünktlich und aufmerksam er ist,« flüsterte
-Anna, mit dem Kopfe nach dem Alten deutend, dem Bräutigam
-zu. Dieser erwiderte nichts, und als Johann hinzutrat,
-um dem Fräulein beim Aussteigen behilflich zu sein,
-verhinderte er, daß er sie berührte.</p>
-
-<p>»Ist der Wagen da?« fragte er kurz.</p>
-
-<p>Der Wagen war da.</p>
-
-<p>Indem sie dahin gingen, drückte sie mit leisem Vorwurfe
-den Arm des Bräutigams; er war so freundlich und
-gut, nur dem alten Diener gegenüber erschien er ihr so barsch.</p>
-
-<p>Der Wagen war zugedeckt, weil es vorher geregnet
-hatte; jetzt aber hatte der Regen aufgehört.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a>
-»Möchtest du ihn lieber offen haben?« fragte der Baron.</p>
-
-<p>»O ja,« bat sie. Es war ja eine neue Welt, in die sie
-kam, und die will man doch gern ordentlich sehen können.
-Also wurde das Verdeck zurückgeschlagen; im Wagen befanden
-sich Fußsäcke und Decken; zwei prächtige Rappen
-stampften an der Deichsel. Der Ueberfluß kam ihr entgegen
-und breitete beide Arme aus.</p>
-
-<p>Nachdem er sie in eine Wagenecke gepackt und sorgfältig
-in die Decken gewickelt hatte, setzte er sich neben sie; die
-Pferde zogen an und der Wagen rollte auf die Landstraße
-hinaus. Wege und Stege trieften von Nässe, in den Feldern
-rechts und links standen breite Wasserlachen, so daß sie wie
-Sümpfe aussahen; am Himmel, der kalt und grau wie
-Stahl war, taumelten die Wolken, vom Aprilwinde gejagt,
-in dicken schwärzlichen Ballen dahin. Alles in allem war
-es kein freundlicher Empfang, den die neue Welt dem jungen
-Mädchen bereitete.</p>
-
-<p>Der Baron sah sie von der Seite an und sah, wie ihr
-Stumpfnäschen keck und vergnügt aus Hüllen und Decken
-in die graue Luft ragte.</p>
-
-<p>»Ist dir kalt?« fragte er.</p>
-
-<p>»Nicht im geringsten!« erwiderte sie.</p>
-
-<p>»Aber schön ist es nicht?«</p>
-
-<p>»Himmlisch,« gab sie zur Antwort. »Was denkst du
-denn? So eine Stadtpflanze, wie ich; das ist ja die reine
-Wonne, so über Land zu fahren!«</p>
-
-<p>Er war ganz glücklich und legte den Arm um sie; durch
-die Decken und Tücher, mit denen er sie umwickelt hatte,
-war sie aber ganz unförmlich geworden, so daß sein Arm
-nicht um sie herumreichte. Sie kicherte vor Vergnügen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a>
-»Siehst du,« sagte sie, »wenn du mich so weiter verwöhnst,
-werde ich noch so dick werden, daß du mich gar
-nicht mehr umarmen kannst &ndash; es fängt schon an damit.«</p>
-
-<p>Er hörte ihrem Geplauder zu. Wie ihn das beglückte,
-daß sie so zufrieden war! Wie wenig sie brauchte, um zufrieden
-zu sein!</p>
-
-<p>Der Wagen war inzwischen von der Landstraße abgebogen
-und quer durchs Land gefahren. Jetzt tauchten in
-einiger Entfernung die kahlen Baumkronen eines weit ausgedehnten
-Parkes vor ihnen auf.</p>
-
-<p>Plötzlich kam Annas Hand unter den Decken hervorgekrochen
-und erfaßte die Hand des Barons.</p>
-
-<p>»Eberhard,« fragte sie leise, indem sie sich zu ihm hinüberbog,
-»ist es das?«</p>
-
-<p>Er sah ihr ins Gesicht.</p>
-
-<p>»Das ist es,« erwiderte er.</p>
-
-<p>Sie verstummte; ihre Augen wurden groß und ernst.</p>
-
-<p>»Gefällt es dir?« fragte er nach einiger Zeit.</p>
-
-<p>»Es scheint ganz wundervoll,« gab sie flüsternd zurück.
-Dann zeigte sie mit dem Finger nach vorn.</p>
-
-<p>»Und das da &ndash; das ist das Schloß?«</p>
-
-<p>Ueber den Wipfeln des Parks stiegen die Mauern eines
-großen Gebäudes finster empor.</p>
-
-<p>»Das ist das Schloß,« versetzte er.</p>
-
-<p>Dann ergriff er ihre Hand, die langsam niedergesunken
-war. »Gefällt dir das auch?«</p>
-
-<p>Sie nickte gedankenvoll mit dem Haupte. Nachdem sie
-dann ein Weilchen geschwiegen, schmiegte sie sich an ihn.</p>
-
-<p>»Eberhard,« bat sie leise, »könnten wir nicht am Park
-aussteigen und durch den Park zum Schlosse geh'n?«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a>
-»Wäre dir das lieber?« fragte er.</p>
-
-<p>Sie nickte wieder; sie hätte kaum sagen können, warum,
-aber es war ihr wirklich lieber. Vielleicht, daß ihr das
-große düstere Gebäude unwillkürlich einen Schreck einflößte.</p>
-
-<p>Der Park öffnete sich in das umgebende Gelände; weder
-Mauer noch Zaun schloß ihn ab.</p>
-
-<p>Als jetzt der Wagen die Stelle erreicht hatte, wo die
-Parkwege sich mit der Fahrstraße kreuzten, befahl der Baron,
-anzuhalten.</p>
-
-<p>»Also komm,« sagte er zu Anna, »wir wollen aussteigen
-und zu Fuße gehen.«</p>
-
-<p>Rasch entledigte sie sich ihrer Umhüllungen, und auf
-seine Hand gestützt, sprang sie hinab.</p>
-
-<p>Während der Wagen zum Schlosse weiterfuhr, schritten
-die beiden, Arm in Arm, in den Park hinein.</p>
-
-<p>Ihr Weg führte sie eine Allee entlang, die von hochstämmigen,
-uralten Buchen gebildet wurde. In den blätterlosen
-Wipfeln brauste der Wind, der immer stärker angeschwollen
-und jetzt beinahe zum Sturm geworden war.
-Die Bäume neigten und beugten sich, die kahlen Aeste
-schlugen klatschend aneinander, ein Chor von tausend seltsamen
-Lauten, ein Krachen, Pfeifen und Heulen erfüllte
-die Luft.</p>
-
-<p>Unwillkürlich schloß Anna sich dichter an ihren Begleiter.
-Zum erstenmal setzte sie den Fuß auf Fahrenwaldschen
-Grund und Boden, und es war, als wenn die Geister und
-Dämonen, welche dieses Gebiet bewohnten, sie begrüßten.</p>
-
-<p>Der Baron fühlte ihre ängstliche Bewegung; er sagte
-sich, daß er sie nun da hatte, wo er sie haben wollte, haben
-mußte, aber es war wie ein Gefühl des Unrechts in ihm.
-<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a>
-Er kam sich vor, wie ein Jäger, der in einem fremden Erdteile
-ein Wild gefangen und es in seine Heimat geschleppt
-hat. Wird das fremde Geschöpf sich an die Luft der neuen
-Umgebung gewöhnen?</p>
-
-<p>In Gedanken verloren, waren sie schweigend fürbaß
-geschritten. Dann fing Anna an.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte sie, »nun begreif' ich, warum sie
-deinen Park das schlesische Paradies nennen; das find' ich
-so schön, daß der Garten so offen ist; da können die armen,
-müden Leute, wenn sie von den Feldern draußen kommen,
-hereintreten und sich unter den schönen schattigen Bäumen
-erholen.«</p>
-
-<p>»Gefällt es dir?« fragte er zurück, »das freut mich.
-Früher, verstehst du, war ein Gitter rings um den Park
-herum; ich habe es wegnehmen lassen.«</p>
-
-<p>»Das hast du gethan?«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte er einfach.</p>
-
-<p>Sie ruckte an seinem Arm; beide blieben stehen.</p>
-
-<p>»Eberhard,« sagte sie leise, indem sie ihm in die Augen
-sah, »weißt du, was ich glaube? Daß du der beste, gütigste
-Mensch bist, den es auf Erden gibt.«</p>
-
-<p>Er wandte das Haupt zur Seite, als wolle er ihrem
-Blicke ausweichen. Es gibt Menschen, die es nicht vertragen,
-daß man sich mit ihnen beschäftigt; vielleicht auch, daß er
-an den Vormittag zurückdachte, da er nahe daran gewesen
-war, den alten Johann zu erschlagen, und daß ihr Lob ihm
-darum ungerechtfertigt erschien &ndash; er erwiderte nichts und
-drückte nur hastig ihre Hände. Dann schlang er ihren Arm
-wieder in den seinen und setzte den Weg mit ihr fort.</p>
-
-<p>Von der Allee bogen sie in einen Seitenweg ab, und
-<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a>
-indem sich nun der Park tief wie ein Wald vor ihr aufthat,
-sah und empfand Anna erst, wie schön und herrlich er war.</p>
-
-<p>»O Eberhard,« fuhr sie bewundernd heraus, »wie muß
-das alles herrlich sein, wenn es erst Frühling wird und
-alles in Laub und Blättern steht!«</p>
-
-<p>Nun warf er den Arm um sie her; sie fühlte seinen
-leidenschaftlichen Druck.</p>
-
-<p>»Meinst du, daß es schön sein wird? Glaubst du, daß es
-dir gefallen wird? daß du glücklich sein wirst? Glaubst du's?«</p>
-
-<p>»Ja doch, ja gewiß,« erwiderte sie, indem sie sich
-bemühte, ihn den Schreck nicht fühlen zu lassen, den seine
-plötzliche Leidenschaftlichkeit ihr eingejagt hatte.</p>
-
-<p>»Dann will ich dir etwas sagen,« fuhr er fort, indem
-er sie eng an sich preßte, »sprich nie von mir! Hörst du?
-Sag nie, daß ich gut bin! Von mir, siehst du, muß nie die
-Rede sein; das ist mir gerade recht, ist mir das allerliebste!
-Nur du bist da, und du sollst glücklich und zufrieden sein.
-Siehst du, ich will mal ein Bild brauchen, damit du's verstehst:
-du bist für mich wie die Sonne, und ich bin wie die
-Erde. Und wenn die Sonne scheint, siehst du, dann ist die
-Erde glücklich, daß sie sich um die Sonne drehen kann. Und
-mehr will ich nicht und brauch' ich nicht. Und darum gibt's
-für die Sonne nur eine Verpflichtung: nämlich, daß sie da
-ist und leuchtet, weiter gar nichts. Und nun sag' mir,
-wirst du daran denken? Und da sein für mich und leuchten?
-Wirst du's? Versprichst du's?«</p>
-
-<p>Was blieb ihr anders übrig, als es zu versprechen?
-Aber während sie es that, fühlte sie beklommenen Herzens,
-daß es nicht immer leicht sein mochte, nichts weiter als
-»Sonne« zu sein und immerdar zu leuchten.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a>
-Indem sie dem Schlosse näher kamen, lichtete sich der
-Park, das Baumdickicht blieb hinter ihnen und der Weg
-führte an Rasenflächen und Blumenbeeten vorüber.</p>
-
-<p>Anna riß sich vom Arme des Bräutigams los und
-schlug in die Hände.</p>
-
-<p>»O herrlich!« rief sie, »hier beginnt mein Reich!«</p>
-
-<p>Sie lief einige Schritte voraus und achtete nicht darauf,
-daß ihre Füße in dem aufgeweichten Boden beinahe bis an
-die Knöchel einsanken. Zwischen den kahlen Blumenbeeten
-ging sie auf und ab.</p>
-
-<p>»O Eberhard,« rief sie, »Eberhard, wie sieht das hier
-aus! Da bekomme ich Arbeit! Da bekomme ich Arbeit!«</p>
-
-<p>Der Baron war hinter ihr stehen geblieben.</p>
-
-<p>»Geh nicht zu weit,« warnte er scherzend, »du ertrinkst
-mir am Ende noch, bevor du an deine Arbeit kommst.«</p>
-
-<p>Jauchzend flog sie zu ihm zurück. Blumen gab es also
-auch hier in dem verwunschenen Hause, und da wo Blumen
-sind, ist ja auch Licht! Im Augenblick aber, da sie ihm in
-die Arme fallen wollte, blieb sie jählings stehen. Jetzt erst
-bemerkte sie, was sie vorhin nicht gesehen hatte, daß sie unmittelbar
-vor dem Schloß standen.</p>
-
-<p>Auf einem Unterbau von mächtigen Granitquadern, der
-nur von wenigen, engen, vergitterten Fenstern durchbrochen
-war, erhoben sich zwei Stockwerke, deren jedes zwölf Fenster
-zeigte. Himmelhoch sah es von hier unten aus, die Mauern
-ganz grau, beinahe schwärzlich, wie angeblakt vom schweren
-Atem der Jahrhunderte; wie ein Gebirge lag es da, und
-obschon keine Sonne am Himmel stand, war es, als wenn
-es einen schweren Schatten über die Menschen würfe, die
-schweigend zu ihm aufblickten.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a>
-»Du mußt nicht erschrecken,« sagte der Baron, als er
-in Annas Zügen den Eindruck wahrnahm, den die düstere
-Behausung in ihr hervorrief, »es ist ein altes Komtureigebäude,
-daher ist es so alt und sieht so finster aus.«</p>
-
-<p>»Aber weißt du,« erwiderte sie, indem sie sich in seinen
-dargebotenen Arm hing, »wenn du es mit frischer Farbe
-anstreichen ließest, würde es gewiß viel freundlicher aussehen.«</p>
-
-<p>Er nickte zufrieden.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte er, »das ist gleich ein vortrefflicher
-Gedanke. Ich merke schon, es kommt mit dir ein neuer
-Geist ins alte Haus.«</p>
-
-<p>Er führte sie darauf durch eine Halle, die vom Garten
-nach dem Hofe hindurchging, und als Anna, mit offenem
-Munde, stehen bleiben und den großen, seltsam ausgeschmückten
-Raum bewundern wollte, zog er sie weiter.</p>
-
-<p>»Komm,« mahnte er, »es ist kalt hier drin.«</p>
-
-<p>In dem schwachen Lichte, das durch enge Fenster hereinfiel,
-hatte sie nur soviel sehen können, daß die Wände von
-oben bis unten mit Jagdtrophäen und Jagdgeräten behangen
-waren. Hirschgeweihe, Wildschweinsköpfe und Köpfe von
-Elentieren, mit lang herabhängenden Schnauzen, ragten
-aus den Mauern hervor; das Jagdgerät und die Waffen
-schienen uralt zu sein; ein riesiger Kamin, in dem kein Feuer
-brannte, befand sich in der einen Wand.</p>
-
-<p>Sie traten auf den Hof hinaus, den auf der einen Seite
-das Schloß, auf der andern ein Wirtschaftsgebäude umgab,
-und hier öffnete sich das Thor, das zu den oberen Räumen
-führte.</p>
-
-<p>Durch einen Vorflur, dessen Boden mit Steinfliesen
-belegt war, und wo rechts und links zwei alte große Bilder
-<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a>
-an den Wänden hingen, Pferde in Lebensgröße darstellend,
-die von Stallknechten in der Kleidung des siebzehnten Jahrhunderts
-geführt wurden, gelangte man an die Treppe.</p>
-
-<p>Es war eine Stiege von altem dunklen Eichenholz,
-mit so flachen Stufen, daß man das Steigen kaum gewahr
-wurde. Schwere Geländer liefen zu beiden Seiten hinauf.</p>
-
-<p>Anna wußte kaum, wie ihr zu Mute war, als sie in
-diese wuchtige, von Jahrhunderten gesammelte und aufgespeicherte
-Pracht hineinschritt; die Erinnerung an den
-Abend kam ihr zurück, als sie zum erstenmal in seinem
-Wagen nach Hause gefahren war.</p>
-
-<p>Der Mann an ihrer Seite aber preßte ihren Arm und
-ließ ihr keine Zeit zum Besinnen.</p>
-
-<p>»Hast du gehört,« fragte er, indem er sie die Stufen
-hinaufzog, »wie die alte Treppe geknackt hat? Das ist eine
-gute Vorbedeutung; sie hat die neue Herrin erkannt und sie
-begrüßt.«</p>
-
-<p>Stumm drückte sie ihm die Hand. Sie hätte so gerne
-etwas Fröhliches erwidert, aber das fremdartige Neue, das
-sie umgab, lastete auf ihrer Brust.</p>
-
-<p>Es war ein altertümlich gebautes und verbautes Haus
-mit lichtlosen Räumen. Die Treppe mündete in einen Flur,
-der keine Fenster hatte, sondern nur durch eine hoch oben
-im Dache angebrachte Glasscheibe so viel Helligkeit empfing,
-daß man die Gegenstände ringsumher erkennen konnte. Eine
-schmalere Treppe leitete vom ersten zum zweiten Stockwerke
-hinauf; der Haupttreppe gegenüber öffnete sich ein Gang,
-an dessen rechter, nach dem Hofe gelegener Seite sich eine
-Reihe kleiner, winklig ineinander geschobener Gemächer befand;
-die eigentlichen Wohn- und Staatszimmer lagen vom
-<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a>
-Eintretenden links, durch eine Glasthür vom Flure getrennt.</p>
-
-<p>Als der Baron mit Anna die Treppe bis zum ersten
-Stock hinaufgestiegen war, öffnete sich die Glasthür und es
-erschien eine Gestalt, die Anna, in dem Dämmer, der sie
-umgab, kaum zu erkennen vermochte. Es war der alte Johann,
-der lautlos daran ging, seinem Herrn und dessen Begleiterin
-die Mäntel abzunehmen.</p>
-
-<p>Hinter der Glasthür war noch ein Vorraum, und hier
-herrschte eine so völlige Dunkelheit, daß Anna nur tappend
-weiter zu schreiten vermochte. Plötzlich aber brach Licht herein.
-Der Baron hatte eine Thür geöffnet, die Anna nicht gesehen
-hatte; an der Hand zog er sie über die Schwelle, und
-mit einem unwillkürlichen »Ah« &ndash; des Staunens und der
-Bewunderung stand sie mitten im Zimmer.</p>
-
-<p>Der Raum, der sie umgab, war ein großer, viereckiger
-Saal, dessen Decke in gotischen Spitzbogen gewölbt war
-und dessen Wände von großen, vom Fußboden bis an
-die Decke reichenden Bücherschränken eingenommen wurden.
-Die Schränke waren durch dicke, rotbraune Holzsäulen voneinander
-getrennt, die kunstvoll, in Gestalt von Palmbaumstämmen
-ausgeschnitzt waren. In den Schränken drängte
-sich eine Masse von Büchern; vom Knaufe der Decke, in
-dem die Spitzbogen des Gewölbes zusammenliefen, hing ein
-schwerer, altertümlicher Kronleuchter herab und unter dem
-Kronleuchter, inmitten des Raumes, stand ein Frühstückstisch
-für zwei Menschen zugerichtet.</p>
-
-<p>Der Baron trat an den Tisch.</p>
-
-<p>»Du mußt hungrig geworden sein,« sagte er, »wollen
-wir gleich frühstücken?«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a>
-Anna aber stand in Staunen befangen und erstarrt.</p>
-
-<p>»Nachher,« erwiderte sie auf die Einladung des Barons,
-»erst muß ich mir das alles ansehen. Das ist ja zu merkwürdig!«</p>
-
-<p>Sie ging von Schrank zu Schrank, sie befühlte mit den
-Händen die geschnitzten Säulen und sah erst jetzt, welche
-Fülle erfinderischer Kunst dahineingelegt war. An den Palmen
-kletterten, in Holz geschnitzt, Affen, Leoparden und andre
-fremdartige Tiere auf; in den Wipfeln, die sich unter der
-Deckenwölbung ausbreiteten, sah man Papageien und andre
-Vögel sich wiegen.</p>
-
-<p>»Wie wundervoll,« sprach sie staunend vor sich hin,
-»wie wundervoll.«</p>
-
-<p>Der Baron verfolgte schweigend ihr Umherwandern.</p>
-
-<p>»Das ist Holzschnitzerei aus dem Anfange des siebzehnten
-Jahrhunderts,« erklärte er.</p>
-
-<p>Aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts &ndash;
-Anna blieb stehen und sah zu ihm hinüber. Das war ja
-ein königliches Besitztum &ndash; und in dem sollte sie gebieten?
-Sie, das dürftige Gewächschen des neunzehnten Jahrhunderts?</p>
-
-<p>Sie trat vor den Kamin, in dem ein Feuer von mächtigen
-Holzscheiten prasselte; dann ging sie an die Fenster und
-bemerkte, daß sie auf den Park hinausgingen und daß sie
-sich hier am Ende der Schloßfront befand. Zu ihrer
-Rechten war die Thür geöffnet, durch die man in die anstoßenden
-Gemächer blickte. Die Thüren all dieser Zimmer
-standen offen, so daß sich der Blick in einer schier endlosen
-Flucht von Räumen verlor, aus denen ein unbestimmtes
-Leuchten und Glänzen zu ihr drang. Sie ahnte, daß
-<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a>
-in allen diesen Gemächern eine gleiche Pracht wie in diesem
-ersten herrschen mochte. Stärker als Hunger und Durst war
-die Neugier.</p>
-
-<p>»O Eberhard,« sagte sie leise, indem sie die Hände zusammenlegte,
-»thu mir's zuliebe, zeig mir das alles erst.
-Frühstücken können wir ja nachher.«</p>
-
-<p>Er war bereit, und an seiner Seite ging sie nun über
-den spiegelglatten Parkettboden in das nächste Zimmer und
-von da weiter.</p>
-
-<p>Die Räume waren, wie man das in alten Häusern findet,
-launenhaft unsymmetrisch gebaut; bald in Form von langen,
-schmalen Gängen, bald zu tiefen Gelassen ausgeweitet.</p>
-
-<p>Allen gemeinsam aber war die reiche Pracht der Ausstattung.
-Ein altertümlicher schwerer Prunk herrschte in dem
-Mobiliar. Tiefrückige Sofas, mit vergoldeten, in Löwenköpfen
-auslaufenden Armlehnen; Lehnstühle von schwarzem
-Ebenholz; dazwischen, einer jüngeren Epoche entstammend,
-kleine Stühle von zartem, vergoldetem Holz und Rohrgeflecht.
-Dunkelroter Sammet in dem einen, dunkelblauer Sammet
-in dem nächsten Zimmer, dann wieder Polster von goldgepreßtem
-Seidenstoff. An den Wänden große Spiegel in
-massiv goldenen oder silbernen Rahmen und eine Fülle von
-Bildern. Unter diesen, die sämtlich von älteren Meistern
-herrührten, vielfach hervorragende Werke; wie denn überhaupt
-die ganze Ausschmückung der Räume den Eindruck
-erweckte, daß ein hochentwickelter Kunst- und Schönheitssinn
-zur geistigen Erbschaft der Fahrenwalds gehörte.</p>
-
-<p>Am liebsten wäre Anna vor jedem einzelnen Bilde stehen
-geblieben; aber dann hätte sie bis zum Abend stehen können,
-und heut abend wollten sie doch wieder in Breslau zurück
-<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a>
-sein. Darum ließ sie sich von ihrem Begleiter weiterführen,
-und nur in einem der Gemächer machte sie unwillkürlich vor
-den Gemälden Halt.</p>
-
-<p>Es war dies ein gangartiger Raum, ungefähr wie eine
-Galerie. Auf der Tapete von dickem purpurrot gefärbten
-Leder hing eine Reihe von Porträts, Männer und Frauen
-darstellend, offenbar die hauptsächlichen Vertreter des Geschlechts.</p>
-
-<p>Aus dem sechzehnten Jahrhundert kamen sie hervor und
-gingen bis in die Neuzeit, eine gemalte Chronik der wandelnden
-Tracht und Kultur.</p>
-
-<p>Die Augen des jungen Weibes hafteten an den Kleidungen,
-daneben aber beschäftigte es sie, den stark hervortretenden
-Zug von Familienähnlichkeit wahrzunehmen, der
-die Gesichter innerlich verband. Lauter edle, fein ausgearbeitete
-Physiognomieen, mit bleichen Zügen und dunklen,
-schwermütigen Augen, eine Reihe von Menschen, von denen
-der vorhergehende immer dem nachfolgenden die schwere Bürde
-des Lebens auf die Schultern zu legen schien, froh, daß er
-sie nicht länger zu schleppen brauchte.</p>
-
-<p>Annas Blicke gingen zu Eberhard hinüber, dem letzten
-Fahrenwald, der mit offenbarer Ungeduld an der Thür zum
-nächsten Zimmer ihrer wartete, und sie stellte fest, daß
-sein Aeußeres ihn als echten Nachkommen seiner Vorfahren
-verkündete.</p>
-
-<p>Als sie seine Ungeduld bemerkte, riß sie sich los, um
-ihm zu folgen, an der Thür zum Nebenzimmer aber hing ein
-Bild, das ihre Schritte wider ihren Willen bannte.</p>
-
-<p>Ein alter, weißhaariger Mann, in langem schwarzen
-Rock, über den am Halse ein breiter, spanischer Spitzenkragen
-<a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a>
-fiel, saß an einem Tische, auf dem sich Phiolen, Retorten
-und all die Geräte befanden, wie sie vor Zeiten die Alchimisten
-gebraucht hatten.</p>
-
-<p>Das aber, was den Beschauer an das Bild fesselte,
-waren die Augen des alten Mannes; diese Augen waren
-schrecklich. Stier und starr, mit einer Wut im Ausdruck,
-die lebendig geblieben zu sein schien, nachdem der Körper
-des Mannes längst im Grabe zerfallen war, bohrten sie aus
-der Leinwand hervor.</p>
-
-<p>Während Anna sprachlos vor dem Gemälde stand, trat
-der Baron zu ihr heran und faßte sie, beinah heftig,
-am Arm.</p>
-
-<p>»Komm fort,« sagte er. Der Ton seiner Stimme war
-rauh, wie nie zuvor.</p>
-
-<p>Von dem unheimlichen Anblick gefesselt, stand sie noch
-immer. Jetzt wandte er sich nach der Thür, durch welche
-sie in die Galerie eingetreten waren.</p>
-
-<p>»Hatte ich dir nicht befohlen, das Bild fortzunehmen?«</p>
-
-<p>Sie drehte den Kopf &ndash; zu wem sprach er?</p>
-
-<p>In der Thür stand der alte Johann, der, wie es schien,
-lautlos hinter ihnen drein gekommen war.</p>
-
-<p>Sie sah, wie er langsam den Kopf vorstreckte und die
-Augen auf den Baron richtete.</p>
-
-<p>»Gnädiger Herr,« sagte er, »haben nichts davon befohlen.«</p>
-
-<p>In dem Augenblick fühlte Anna, deren Arm in dem
-des Barons lag, wie ein Zucken durch dessen Körper ging.
-Seine Gestalt reckte sich in allen Gelenken, so daß er Anna
-um mehr als Kopfeslänge überragte.</p>
-
-<p>»Wenn ich's also wirklich noch nicht befohlen haben
-<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a>
-sollte,« fuhr er fort, indem er über sie hinweg sprach,
-»so befehl' ich es jetzt. Das Bild kommt fort von der Wand!
-Gleich auf der Stelle! Jetzt!«</p>
-
-<p>Nun kam der alte Diener, immer den Kopf vorgestreckt,
-und immer die Augen auf seinen Herrn gerichtet, zwei
-Schritte näher.</p>
-
-<p>»Das soll fort? Das Bild von dem alten Herrn?«</p>
-
-<p>»Ja &ndash; hast du mich nicht verstanden?« erwiderte der
-Baron, und seine Stimme rollte dumpf empor.</p>
-
-<p>»Wohin &ndash; soll ich's denn bringen?«</p>
-
-<p>Der Baron überlegte einen Augenblick.</p>
-
-<p>»Oben hinauf,« befahl er dann, »in die grüne Kammer.«</p>
-
-<p>In den Augen des alten Dieners zuckte ein grelles Licht
-auf; es sah aus, als traute er seinen Ohren nicht.</p>
-
-<p>»Das Bild&nbsp;&ndash;« fragte er, beinah drohenden Tons, »von
-hier fort? in die grüne Kammer?«</p>
-
-<p>Und jetzt geschah etwas, das Anna mit eisigem Schreck
-überlief; von dem Mann an ihrer Seite, von dessen Mund
-sie bisher nur Töne sanftester Güte vernommen hatte, kam
-plötzlich ein unbeschreibbarer Laut.</p>
-
-<p>»Wenn dir das also nicht paßt,« schrie er, »dann also
-anders: auf den Boden mit dem Bild!«</p>
-
-<p>Der alte Johann erwiderte nichts, rührte sich aber auch
-nicht vom Fleck, nur sein Mund that sich halb auf, daß
-man die langen Zähne darin sah.</p>
-
-<p>In der Brust des Barons stieg etwas herauf, gurgelnd
-und rauschend, wie eine steigende Flut.</p>
-
-<p>»Auf den Boden damit, hast du mich gehört?«</p>
-
-<p>Diesmal schrie er nicht, er brüllte. Anna blickte auf;
-sein Gesicht war verzerrt.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a>
-Ein furchtbares Entsetzen überkam sie.</p>
-
-<p>»Eberhard!« kreischte sie auf.</p>
-
-<p>Als er den Schrei vernahm, senkte er den Blick zu
-ihr. Sie stand leichenblaß, mit schlotternden Gliedern, die
-Hände wie flehend und zugleich wie abwehrend zu ihm erhoben.
-In dem Augenblick war es, als knickte sein aufgestraffter
-Körper in sich zusammen, die lodernde Wut in
-seinen Augen erlosch, um einem maßlosen Erschrecken zu
-weichen, und mit einem dumpfen »o mein Gott« schlang er
-beide Arme um sie, riß sie an seine Brust, und so, indem
-er sie an sich gepreßt hielt, zog er sie aus der Galerie in
-das anstoßende Gemach, wo er sie auf das Sofa niedersinken
-ließ.</p>
-
-<p>Sobald sie Platz genommen, sank er knieend zu ihren
-Füßen, das Haupt in ihren Schoß gedrückt, die Hände um sie
-gelegt, als fürchtete er, daß sie aufspringen und entfliehen
-würde. Daran aber hätte Anna wohl kaum gedacht, sie
-fühlte sich von dem eben erlebten Schreck ganz kraftlos und
-gebrochen. Sie mußte die Zähne aufeinanderpressen, damit
-sie nicht klappernd zusammenschlugen, ihre Glieder
-zitterten wie im Frost.</p>
-
-<p>Als der Baron das Beben ihres Leibes verspürte, hob
-er das Gesicht zu ihr auf.</p>
-
-<p>»Aengstige dich nicht,« flehte er, »ängstige dich nicht.«</p>
-
-<p>Aber er sah ihre Augen mit stummem Grauen auf sich
-gerichtet.</p>
-
-<p>»Es war ja um deinetwillen, daß ich so heftig wurde,«
-fuhr er fort, »weil ich sah, daß das Bild dich erschreckte.«</p>
-
-<p>Und als sie noch immer nicht im stande war, ein
-Wort zu erwidern, drückte er das Haupt wieder in ihren
-<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a>
-Schoß und schüttelte es und faßte sie fester mit den
-Händen.</p>
-
-<p>»Geh nicht von mir!« stöhnte er, »verlaß mich nicht!«</p>
-
-<p>Bei diesem Worte wurde ihr wieder weich und warm.
-Schweigend breitete sie die Arme um ihn her, senkte das
-Gesicht auf sein Haupt und ein Strom von Thränen, der
-lautlos aus ihren Augen brach, verkündete, daß das Eis geschmolzen
-war, das sich für einen Moment um ihre Seele
-gelegt und sie von ihm getrennt hatte.</p>
-
-<p>So saßen sie schweigend bei einander, lange Zeit.
-Das einzige Geräusch, das man vernahm, war das Knistern
-des Holzes im Kamin, das in sich zusammenfiel, um sich in
-Kohle zu verwandeln und danach zu Asche zu werden. Sonst
-regte sich kein Laut, und es war, als hauchten die alten Möbel,
-die Bilder an den Wänden die dumpfe Stille aus, die wie
-eine Last im Zimmer lag. Es war, als thäten sich geräuschlos
-in Winkeln und Ecken und in der Luft umher Augen
-auf, dunkle, schwermütig forschende Augen, als blickten sie
-fragend auf die beiden in sich versunkenen Menschen dort,
-und als blinzelten sie sich gegenseitig zu, Gedanken tauschend,
-wie die Abgeschiedenen sie verstehen, die Lebenden aber nicht.</p>
-
-<p>Endlich hatte Anna ihre Fassung wieder erlangt.</p>
-
-<p>»Komm weiter,« sagte sie, indem sie sich vom Sofa erhob.</p>
-
-<p>Er stand auf.</p>
-
-<p>»Nun wirst du wohl nichts mehr sehen wollen?«
-fragte er.</p>
-
-<p>Sie fühlte, daß sie ihm Mut machen müsse.</p>
-
-<p>»O ja, gewiß,« versetzte sie, »du hast es mir versprochen,
-und Versprochenes muß man halten.«</p>
-
-<p>Sie hing sich in seinen Arm, sie bemühte sich, einen
-<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a>
-leichten Ton anzuschlagen und ihm zu zeigen, daß alles überwunden
-und vergessen sei.</p>
-
-<p>So führte er sie denn weiter, bis daß sie am andern
-Ende der Zimmerflucht in zwei kleinere, freundlichere Gemächer
-gelangten.</p>
-
-<p>»Siehst du,« sagte er, stehen bleibend, »dies, hatte ich
-gedacht, sollte dein Wohnzimmer sein, und dort nebenan
-solltest du schlafen.«</p>
-
-<p>Anna blickte umher.</p>
-
-<p>»O ja,« meinte sie, »hier könnte es mir gefallen.«</p>
-
-<p>Sie ging ans Fenster.</p>
-
-<p>»Da hab' ich ja gerade meine Blumen vor mir,« sagte
-sie, indem sie in den Garten hinunterblickte. »Das macht
-sich alles ganz vortrefflich. Nur, weißt du, was ich möchte?
-Daß das Zimmer vielleicht eine andere Tapete bekäme.«</p>
-
-<p>Sie trat an die Wand und befühlte den dicken, dunkelbraunen
-Stoff, mit dem sie bekleidet war.</p>
-
-<p>»Das ist ja alles ganz prachtvoll,« fuhr sie fort, »und
-die eingepreßten Goldmuster geradezu kostbar, aber siehst
-du, ich bin nun einmal ein Kind unsrer Zeit und möchte es
-gern ein bißchen heller haben und freundlicher.«</p>
-
-<p>Der Baron machte ein Gesicht wie ein vergnügtes Kind.</p>
-
-<p>»Aber Anna,« rief er, »das ist ja mein Gedanke gewesen
-von Anfang an! Alle Zimmer miteinander möchte ich umtapezieren
-lassen, damit mehr Licht in die alte Finsternis
-kommt. Und in Breslau habe ich ein Muster gesehen,
-weißen Untergrund mit goldenen und blauen Blumen, etwas
-reizend Freundliches, den suchen wir uns, gleich morgen,
-nicht wahr?«</p>
-
-<p>Sie nickte ihm zu.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a>
-»Gleich morgen,« sagte sie.</p>
-
-<p>Er ergriff ihre Hände. Es sah aus, als wolle er sich
-bei ihr bedanken.</p>
-
-<p>»Und andre Möbel darf ich dir auch hineinstellen?
-Nicht wahr? Diese alten, schweren Sessel mit den riesigen
-Lehnen, diese bauschigen Sofas, das ist doch alles nichts
-für dich? Nicht wahr? Etwas recht Zartes, Luftiges und
-Duftiges suchen wir uns aus, das erlaubst du mir? Nicht
-wahr? Hast du Rosenholz gern?«</p>
-
-<p>Sie sah ihm in die Augen und neigte das Haupt.</p>
-
-<p>»Alles, was dir gefällt, wird auch mir gefallen, und
-was du mir schenkst, nehme ich gern.«</p>
-
-<p>Ein Freudenschein zuckte über sein Gesicht. Er machte
-eine Bewegung, um sie zu küssen, bevor er aber dazu gelangte,
-bog er den Kopf wieder zurück. Der ängstliche Ausdruck,
-mit dem er sie ansah, verriet, daß er sich nicht getraute.
-Er dachte an den Auftritt von vorhin.</p>
-
-<p>Anna schob langsam die Hände an seinen Armen hinauf,
-bis daß sie auf seinen Schultern ruhten. Da stand er
-vor ihr, der Besitzer all dieser Pracht und Herrlichkeit, der
-gegenüber sie sich wie eine Bettlerin erschien, da stand er,
-der starke Mann, in dessen Armen sie wie Glas zersplittert
-wäre, wenn seine Kraft sich gegen sie gewandt hätte &ndash; und
-bat sie, demütig wie ein Knabe, ihr all seinen Reichtum zu
-Füßen legen zu dürfen, und wie ein Schuldbewußter wagte
-er nicht, sie zu küssen. Und worin bestand denn seine Schuld?
-Ein unaussprechliches Mitleid quoll ihr im Herzen empor,
-die Thränen drängten sich ihr in die Augen. Aber sie wollte
-ihn keine Thränen sehen lassen, sie zwang sich zum Lächeln,
-und so, weil ihr trotz allem Widerstand die Augen dennoch
-<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a>
-übergingen, hob sie sich auf den Fußspitzen empor, und unter
-Thränen und Lächeln suchte sie mit ihrem Munde seinen
-Mund. Aufatmend, wie nach tiefer überstandener Qual,
-beugte er sich zu ihr herab, und der Kuß, in dem sie sich
-zusammenfanden, war wie ein gegenseitiges Versprechen, daß
-sie nun ein neues Leben begründen wollten in dem alten,
-ausgestorbenen Hause.</p>
-
-<p>Raschen Schrittes kehrten sie darauf zu dem Saale zurück,
-wo das Frühstück angerichtet stand. Die warmen
-Speisen waren inzwischen kalt geworden, aber das störte die
-Laune nicht. Auch war neben den warmen Gerichten kalter
-Braten in genügender Fülle da, um sich daran satt zu essen.
-Während der alte Johann die Teller wechselte, schenkte der
-Baron ihr Wein ein, und sie trank ein tüchtiges Glas. Sie
-war nun ganz heiter, ganz ihrem Berufe als »Sonne« treu,
-und der Baron, ihre »Erde«, leuchtete in ihrem Lichte auf.</p>
-
-<p>Das einzige, was sie einigermaßen hätte stören können,
-war der Anblick des alten Dieners, der schweigend aufwartete
-und, während sie aßen und tranken, hinter dem Stuhle seines
-Herrn stand.</p>
-
-<p>Unwillkürlich gingen ihre Blicke von Zeit zu Zeit zu
-ihm hin, und immer sah sie ihn dann in einer ganz seltsamen
-Haltung, regungslos, den Kopf wie in brütendem
-Sinnen zu Boden gesenkt, an seinem Platze stehen.</p>
-
-<p>Offenbar dachte er immer noch darüber nach, wie furchtbar
-und eigentlich grundlos der Baron ihn vorhin angefahren
-hatte. Das that ihr so leid um den alten Mann. Sie fühlte
-das Bedürfnis, ihm irgend eine kleine Freundlichkeit zu erweisen.
-Zwischen Herrn und Diener war offenbar eine
-Spannung; es wäre ihr so lieb gewesen, wenn sie das Verhältnis
-<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a>
-zu einem guten hätte machen können; Menschen, die
-so einsam leben, wie sie drei nun bald leben würden, müssen
-sich doch verstehen, dürfen nicht mit feindseligen Gedanken
-umeinander hergehen.</p>
-
-<p>»Aber wissen Sie, Johann,« fing sie möglichst unbefangenen
-Tones an, indem sie den Kopf zu ihm erhob,
-»ich muß Ihnen wirklich mein Kompliment machen, wie
-das Schloß im Stande gehalten ist. Da ist ja kein Stäubchen
-und kein Fleckchen, und das Feuer in den Kaminen&nbsp;&ndash;«
-Sie brach im Satze ab.</p>
-
-<p>Der Alte, als er seinen Namen von ihrem Munde hörte,
-hatte langsam, wie aus einem Traume zurückkommend, den
-Kopf erhoben und die Augen auf sie gerichtet, und als sie
-seine Augen sah, konnte sie nicht weiter.</p>
-
-<p>Was für Augen waren das! Stierend, bohrend, als
-wollten sie sich durch ihre Augen hindurch bis in das Mark
-ihres Lebens hineinwühlen. Dabei that sich, wie sie es
-vorhin schon an ihm wahrgenommen hatte, sein Mund halb
-auf, so daß die langen Zähne sichtbar wurden, der Kopf
-schob sich nach vorn, und das ganze Gesicht nahm einen
-Ausdruck an &ndash; ja, was war es nur für ein Ausdruck?
-Anna begriff ihn zuerst gar nicht, dann kam ihr das Bewußtsein:
-das war ja Haß! Wütender Haß! Sie hing
-wie gebannt an diesem Gesicht. &ndash; Was hatte sie ihm gethan?
-War er so erbittert über sie, weil sie ahnungslos
-die Ursache gewesen war, daß sein Herr so heftig gegen ihn
-wurde?</p>
-
-<p>Der Baron, der nervös aufgezuckt war, als sie sich an
-den Alten wandte, hatte ihr plötzliches Verstummen bemerkt.
-Jetzt sah er ihr totenblasses Gesicht und ihre verstörten Augen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a>
-»Ist dir etwas?« fragte er.</p>
-
-<p>Er faßte nach ihrer Hand; ihre Hand war eiskalt.</p>
-
-<p>»Ist dir unwohl?« wiederholte er hastig seine Frage.</p>
-
-<p>Sie schüttelte den Kopf. Von der Stuhllehne, an die
-sie zurückgesunken war, richtete sie sich gewaltsam auf. Sie
-drückte seine Hand, als wollte sie ihn beruhigen.</p>
-
-<p>»Nein, nein, nein,« erwiderte sie. Ihre Stimme war
-gepreßt, ihre Augen gingen zu den Büchern hinüber und
-von den Büchern in irgend eine Ecke. Es war, als flüchteten
-sie sich, als wüßten sie nicht mehr, wo sie hinblicken sollten.
-Aufzuschauen wagte sie nicht, denn da stand ja der Alte;
-den Baron anzuschauen vermochte sie auch nicht, denn sie
-spürte, wie die wilde Unruhe in sein Gesicht zurückkehrte.
-Der seltsame Raum, in dem sie sich befand, die fremdartigen
-Tiergestalten in den geschnitzten Palmen &ndash; es war, als
-wenn das alles zu einem lautlosen, unheimlichen, gespenstischen
-Leben erwachte, als wenn es wirklich ein verwunschenes und
-verzaubertes Haus sei, in das sie sich tollkühn hineingewagt
-hatte, und aus dem es nun kein Entrinnen mehr gab. Eine
-betäubende Angst legte sich auf sie, es war ihr zu Mute,
-als würde ihr eine schwere bleierne Haube über den Kopf
-gezogen.</p>
-
-<p>Jählings stand sie auf.</p>
-
-<p>»Ach, weißt du,« sagte sie mit taumelnder Stimme,
-»ich glaube, wir möchten nach Haus fahren &ndash; ich glaube,
-es wird Zeit.«</p>
-
-<p>Mit einem Sprunge war er neben ihr; er hatte gesehen,
-wie sie wankte; er schlang den Arm um sie; mit
-lastender Wucht lehnte sie an seiner Schulter.</p>
-
-<p>»Der Wagen soll vorfahren!« herrschte er dem Alten zu.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a>
-Sobald dieser hinaus war, beugte er sich zu ihr.</p>
-
-<p>»Was ist dir?« forschte er voller Besorgnis, »ist dir
-etwas geschehen? Hat dir jemand etwas gethan?«</p>
-
-<p>Sie suchte mit den Augen umher &ndash; der Alte war
-fort. Ihre Lippen bewegten sich lallend.</p>
-
-<p>»Er &ndash; ich weiß nicht, was ich ihm gethan habe &ndash;
-hat mich so schrecklich angesehen.«</p>
-
-<p>»Der Johann?«</p>
-
-<p>Sie drückte das Gesicht an seine Brust.</p>
-
-<p>»Um Gottes willen bleib ruhig,« bat sie. Schon hörte
-sie, wie die steigende Flut in seiner Brust wieder zu rauschen
-begann; schon fühlte sie, wie der Griff seiner Hand, mit
-der er sie umschlungen hielt, wieder eisern wurde.</p>
-
-<p>»Ich schicke ihn fort!« knirschte er.</p>
-
-<p>»Nein,« flehte sie, »nicht um meinetwillen!«</p>
-
-<p>»Ich jage ihn fort!« wiederholte er drohend.</p>
-
-<p>Sie waren, indem er das sagte, auf den Flur hinausgetreten;
-er hatte so laut gesprochen, daß seine Worte durch
-den ganzen Treppenraum hallten. Am Fuße der Treppe
-stand der alte Johann; er hatte hören müssen, was der
-Baron eben gesagt hatte. Und nun begab sich etwas Unerhörtes.</p>
-
-<p>Indem der Baron mit Anna die Treppe hinabzusteigen
-begann, knickte der Alte da unten in die Kniee und fiel zu
-Boden, beide Hände nach oben ausgestreckt. Das Haar hing
-ihm wirr übers Gesicht, seine Augen waren ganz rot; seine
-Brust arbeitete und sein Mund war weit offen. Aber er
-brachte nichts hervor, als ein dumpfes Keuchen; mit plattem
-Leibe warf er sich auf die Treppe, so daß sein grauer Kopf
-auf den Stufen lag.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a>
-»Jesus, Gottes Sohn&nbsp;&ndash;« stammelte Anna, indem sie,
-von Grausen gepackt, den Arm ihres Begleiters umklammerte
-und ihn zum Stillstehen zwang.</p>
-
-<p>Jetzt fing der Alte mit dumpfer, heulender Stimme
-an: »Gnädiger Herr wollen mich fortjagen &ndash; und ich habe
-gnädigen Herrn auf den Armen getragen &ndash; und ich bin
-immer mit gnädigem Herrn gewesen &ndash; und habe immer
-nichts andres gedacht, als was gnädigem Herrn gut wäre
-und gesund &ndash; und gnädiger Herr wollen mich fortjagen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Annas Hand krallte sich in den Arm ihres Bräutigams,
-sie wußte kaum mehr, was sie that; sie fühlte, wie die Ohnmacht
-ihre Augen zu verdunkeln begann.</p>
-
-<p>»Sag ihm, daß du ihn behältst,« raunte sie mit fliegendem
-Atem; »wenn du mich lieb hast, sag ihm, daß du ihn behältst!«</p>
-
-<p>Der Baron strich mit leiser Hand über ihr glatt gescheiteltes
-Haar; die Ruhe war ihm zurückgekehrt.</p>
-
-<p>»Steh auf, Johann,« sagte er, »du sollst bleiben, ich
-jage dich nicht fort.«</p>
-
-<p>Schwerfällig raffte sich der alte Mann auf und trat
-an den Fuß der Treppe zurück. Er blickte nicht auf, seine
-Arme hingen herab, mit der rechten Hand wischte er den
-Treppenstaub von seinem Rock.</p>
-
-<p>»Und hier, bei dem gnädigen Fräulein bedanke dich,«
-fuhr der Baron fort, indem er mit Anna bei ihm vorüberschritt,
-»küß ihr die Hand, sie hat für dich gebeten.«</p>
-
-<p>Knechtisch gebeugten Hauptes trat der Alte auf Anna
-zu, um ihr die Hand zu küssen. Solcher Bezeigungen ungewohnt,
-wollte Anna es nicht dulden. Der Baron stieß
-sie heimlich an.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a>
-»Thu's,« flüsterte er ihr zu, »es muß sein!«</p>
-
-<p>Nun überließ sie ihm ihre Hand, die der Diener, ohne
-die Augen zu erheben, an den Mund führte.</p>
-
-<p>Indem sie die gebrochene Gestalt vor sich sah, überkam
-sie ein wahres Jammergefühl. Unwillkürlich drückte sie seine
-Hand.</p>
-
-<p>»Das alles wird vorübergehen,« sagte sie mit wohlwollendem
-Trost, »ich weiß ja, wie treu Sie dem Herrn
-Baron immer gewesen sind, und das sollen Sie auch in
-Zukunft bleiben, und dann werden wir ganz gewiß gute
-Freunde werden, ganz gewiß.«</p>
-
-<p>Sie vermochte nicht zu erkennen, welche Wirkung ihre
-Worte auf den Alten hervorbrachten; ohne aufzublicken, zog
-er sich zurück, und gebeugten Hauptes blieb er stehen, bis
-Anna mit ihrem Begleiter auf den Hof hinausgetreten war.
-Sie stiegen ein; der Wagen rollte ab, und als das Schloß
-hinter ihnen lag, fühlte Anna es wie eine Erleichterung.
-Aus dem Bereiche der Gespenster und Dämonen kehrte sie
-zu den Menschen zurück.</p>
-
-<p>Von den Aufregungen erschöpft, die sie durchlebt hatte,
-lehnte sie blaß und schweigend in der Wagenecke; der Baron
-saß gleichfalls mit seinen Gedanken beschäftigt; so kamen sie
-auf der Bahnstation an, und als der Abend einbrach, waren
-sie wieder in Breslau.</p>
-
-<p>In seinem Coupé brachte er sie zu ihrer Wohnung;
-im Hausflur nahmen sie Abschied voneinander.</p>
-
-<p>»Du siehst so müde aus,« sagte er, indem er sie in die
-Arme nahm. »Wirst du auch gut schlafen?«</p>
-
-<p>Sie nickte stumm.</p>
-
-<p>Er stand noch immer und hielt sie umschlungen; sie
-<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a>
-fühlte, wie schwer es ihm wurde, von ihr zu gehen. Es
-war, als wenn er noch eines guten Wortes, eines Trostes
-bedürfte. Sie nahm sich zusammen und sah ihn freundlich
-lächelnd an.</p>
-
-<p>»Ich werde gut schlafen,« versicherte sie, »sei ganz unbesorgt,
-und morgen holst du mich ab, damit wir uns die
-Tapeten ansehen.«</p>
-
-<p>Das gab ihm das Leben wieder. Freudig drückte er
-ihre Hand.</p>
-
-<p>»Ja, ja, morgen komm' ich, und dann holen wir uns
-das neue Leben in das alte Haus!«</p>
-
-<p>Als Anna zu dem Onkel und der Tante zurückkam,
-saßen die beiden alten Leute und spielten »Rabouge«, ein
-Kartenspiel ältester Art, das heutzutage kaum jemand mehr
-kennt. Das war ihre Beschäftigung, einen Abend wie alle
-Abende. Von dem jungen Mädchen, das mit leisem »guten
-Abend« zu ihnen eintrat, nahmen sie so gut wie keine Notiz.
-Man konnte zweifeln, ob sie überhaupt wußten, daß sie den
-Tag über fortgewesen war.</p>
-
-<p>Anna war daran gewöhnt. Ohne weiter zu sprechen,
-setzte sie sich in einiger Entfernung von den Spielenden
-nieder, so daß die Lampe, die auf dem runden Tisch stand,
-gerade noch genug Licht für ihre Handarbeit abgab, dann
-häkelte sie still vor sich hin und dachte nach.</p>
-
-<p>Welch ein Kontrast! Heut am Tage das Fahrenwaldsche
-Schloß, und jetzt hier diese Behausung! Daß die
-Wohnung ärmlich war, hatte sie wohl immer gewußt &ndash;
-wie erbärmlich sie war, fühlte sie heut abend zum erstenmal
-ganz. Als sie nach Haus gekommen war, hatte sie das
-Behagen empfunden, daß sie wieder in Sicherheit sei &ndash;
-<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a>
-jetzt, da sie in Sicherheit saß, fühlte sie, daß diese gleichbedeutend
-mit Oede und Langeweile war.</p>
-
-<p>Hier diese dumpfen, stumpfen alten Menschen, die
-vom Leben nichts mehr wissen wollten, die kein Wort, kaum
-einen Blick für sie übrig hatten &ndash; und dort drüben der
-Mann, der nur ein Verlangen hatte, aus Nacht und Grauen
-ins helle gesunde Leben zu gelangen, der nach ihrer Persönlichkeit
-lechzte, wie der Verschmachtende nach dem Wasser!</p>
-
-<p>Als sie heute mittag auf Schloß Fahrenwald beim
-Frühstück gesessen und das Todesgrauen empfunden hatte,
-mit dem all das Unverständliche, Unbegreifliche über sie herfiel,
-war der Gedanke in ihr aufgestanden, daß es ihr unmöglich
-sein würde, dort in Zukunft zu leben, daß sie das
-Verhältnis mit Eberhard von Fahrenwald abbrechen müsse &ndash;
-jetzt verblaßten die Schrecken und das Schöne blieb.</p>
-
-<p>Sie dachte an den Park zurück, den herrlichen, walddunkeln,
-waldtiefen Park, und vergegenwärtigte sich, wie
-schön es sein würde, wenn er im Frühling, Sommer und
-Herbst ihr zu Häupten rauschte. An die Räume des Schlosses
-dachte sie, die schweigenden, feierlichen Gemächer, an die
-Bilder der Männer und Frauen, mit den edlen leidvollen
-Gesichtern. War es ihr nicht, indem sie an sie dachte,
-als wenn sie die Lippen aufthäten und sprächen: »Fürchte
-dich nicht vor uns &ndash; wir sind nur unglücklich, nicht böse.«
-War es nicht, als zeigten sie mit den stummen dunklen
-Augen auf ihn, den Letzten ihres Stammes, und als sprächen
-sie: »Hilf ihm &ndash; nur du kannst ihm helfen &ndash; und auch
-er ist nicht böse.«</p>
-
-<p>Ach &ndash; ob sie es wußte, daß er nicht böse war!</p>
-
-<p>Als sie am späteren Abende ihr Schlafkämmerchen aufgesucht
-<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a>
-hatte, lag sie knieend vor ihrem dürftigen Bett, die
-gefalteten Hände in die Kissen gestützt, bitterlich weinend.</p>
-
-<p>Es war ihr, als stände er vor ihr und sähe sie an mit
-den schwermütigen, bittenden Augen, als hätte er in ihrem
-Herzen die Gedanken gelesen, die ihm die Treue gebrochen
-hatten, und als müßte sie ihm abbitten, alles was sie gedacht.</p>
-
-<p>»Nein, nein, nein, ich will dich nicht verlassen! Furcht
-und Feigheit sollen nicht stärker sein in mir, als die Liebe
-in deinem gütigen, geliebten Herzen! Was auch das Leben
-bringen mag, an deiner Seite will ich ihm entgegengehen
-&ndash; das will ich &ndash; ja.« Und während ihre Lippen noch
-das beteuernde »ja« sprachen, sank ihr Köpfchen in die
-Kissen zurück, und sanft und ruhig schlief sie ein.</p>
-
-<p>Am nächsten Vormittage, seinem Versprechen getreu,
-erschien der Baron, um Anna abzuholen.</p>
-
-<p>Bei drei Tapetenhandlungen fuhr man vor, und alle
-drei Lager wurden von oben bis unten durchstöbert, bis
-man das Muster gefunden hatte, das für die beiden Zimmer
-als das passendste erschien; eine weiße Tapete mit blaugoldenen
-Frucht- und Blumenstücken für das Wohngemach,
-eine himmelblaue für das Schlafzimmer; beide das Lieblichste,
-Freundlichste, was man sich denken konnte. Anna war ganz
-erschöpft, der Baron zeigte keine Spur von Müdigkeit.</p>
-
-<p>»Jetzt,« meinte er, »sollten wir gleich noch an die
-Möbel denken.«</p>
-
-<p>Anna verweigerte lachend den Gehorsam.</p>
-
-<p>»Morgen,« sagte sie, »das hat Zeit bis morgen.«</p>
-
-<p>»Gut, so wollen wir jetzt aber frühstücken.«</p>
-
-<p>Es half ihr nichts, daß sie auf das nah bevorstehende
-Mittagessen verwies.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a>
-»Ach was, dein Onkel und deine Tante können auch
-ohne dich essen.«</p>
-
-<p>Er war ganz ausgelassen, ganz glücklich, daß er das
-geliebte Wesen einmal in seiner Gewalt hatte.</p>
-
-<p>So mußte sie ihm zu einem Restaurant folgen, und es
-war natürlich nicht das schlechteste von Breslau. Dort
-tafelten sie.</p>
-
-<p>Als sie auf die Straße hinaustraten und den Wagen
-wieder bestiegen, glühte Annas Gesicht und ihr Köpfchen
-sank ganz schwer zurück.</p>
-
-<p>»Aber Eberhard,« sagte sie, »du hast mich ganz betrunken
-gemacht mit dem vielen Champagner.«</p>
-
-<p>Sie lächelte, ihre Augen hatten einen schwimmenden
-Glanz; indem sie sich lässig in die Wagenkissen zurücklehnte,
-war eine Auflösung in ihrer ganzen Gestalt, wie er sie noch
-nie an ihr gesehen hatte.</p>
-
-<p>Er schlang den Arm um sie und küßte sie mit einer
-Glut, wie nie zuvor.</p>
-
-<p>»Weißt du,« sagte er, »das ist köstlich. So wollen
-wir es jetzt alle Tage machen; so reizend wie heut bist du
-mir noch nie erschienen.«</p>
-
-<p>Ihr Körper lag warm und weich in seinen Armen;
-das nachgiebige Widerstreben des jungen Leibes verlieh ihm
-eine berauschende Lebendigkeit; es war das erste Mal, daß
-das Blut der beiden Menschen zu einander zu sprechen begann.</p>
-
-<p>Am nächsten Tage ging es in gleicher Weise durch alle
-Möbelhandlungen der Stadt, und endlich war ein Mobiliar
-für die beiden Zimmer ausfindig gemacht, so zart und duftig,
-als wären die Gemächer für eine Elfe bestimmt. Das Frühstück
-<a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a>
-durfte natürlich auch heut nicht fehlen, und so folgte
-nun ein Tag dem andern.</p>
-
-<p>Der Baron war unerschöpflich in der Erfindung von
-Notwendigkeiten.</p>
-
-<p>An Teppiche war ja noch gar nicht gedacht worden,
-und als auch diese besorgt waren, fiel es ihm ein, daß
-Portieren über den Thüren, Gardinen und Vorhänge vor
-den Fenstern fehlten.</p>
-
-<p>Anna ergab sich lachend. Der Rausch, der ihn erfüllte,
-teilte sich ihr allmählich mit; die täglichen Rundfahrten und
-Einkäufe fingen an, ihr gar nicht übel zu gefallen. Es war
-ja, als wenn sie das Märchen vom »Tischlein deck' dich«
-leibhaftig erlebte; kaum daß sie einen Wunsch gedacht hatte,
-war er schon erfüllt. Und wie unter seinen leidenschaftlichen
-Küssen ihr Blut in immer heißeren Wellen zu rollen begann,
-war es, als reckte und streckte sich ihre ganze Persönlichkeit;
-aus der unscheinbaren Hülse des kleinen Mädchens
-blühte die Jungfrau auf.</p>
-
-<p>An einem dieser Tage, als sie durch Blumen- und
-Samenhandlungen gestreift waren, um Sämereien für den
-Garten zu kaufen, und nun wieder im Wagen saßen, rückte
-er, den Arm um sie geschlungen, dicht an sie heran.</p>
-
-<p>»Weißt du,« flüsterte er ihr ins Ohr, »nun hätte ich
-eine große Bitte.«</p>
-
-<p>Sie lächelte vor sich hin; sie wußte ja, daß, um ihm
-etwas zu geben, sie nur still zu halten brauchte und zu
-nehmen.</p>
-
-<p>»Was denn also?« fragte sie.</p>
-
-<p>»Siehst du, ich habe mir das in meiner Phantasie so
-ausgedacht: Wenn ich dich so in den Armen halte und an
-<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a>
-mir fühle, komme ich mir vor, wie ein Gärtner, der eine
-Blume groß zieht. Den Winter hindurch hat meine Blume
-ihr altes, unscheinbares Gewand getragen, aber nun wird es
-Frühling, siehst du, und da ist es doch in der Natur geboten,
-daß sie sich anders und reicher und schöner kleidet?
-Nicht wahr?«</p>
-
-<p>Anna senkte die Augen und sah stumm an sich hernieder.
-Aermlich genug war sie ja freilich angezogen.</p>
-
-<p>»Und siehst du,« fuhr er fort, »was ich dich nun bitten
-wollte: daß wir morgen in Kleiderhandlungen und Modemagazine
-gehen und uns Stoffe aussuchen zu Kleidern für
-dich, wie sie dir gefallen und am besten stehen?«</p>
-
-<p>Sie errötete in Scham.</p>
-
-<p>»Aber Eberhard,« erwiderte sie leise, »für seine Ausstattung
-muß doch ein jedes Mädchen selbst sorgen!«</p>
-
-<p>Indem sie das aber sagte, fragte sie sich im stillen, wer
-denn ihre Ausstattung besorgen sollte. Der Onkel und die
-Tante etwa? Oder sie selbst, aus ihrem eigenen Vermögen?
-Ja, wo war denn ihr eigenes Vermögen?</p>
-
-<p>»Nein, siehst du,« nahm er wieder eifrig auf, »das ist
-mit uns etwas ganz andres. Das hab' ich dir ja gesagt,
-daß du das Licht in meinem Leben bist, und ein Licht, siehst
-du, das muß man sich selbst anzünden. Und sein Glück
-muß man sich selbst erschaffen, wenn's ein echtes Glück sein
-soll und einem Kraft und Mut verleihen soll. Und darum,
-verstehst du, wenn ich dich so von Kopf bis zu den Füßen
-einkleide in Stoffe, die ich dir geschenkt habe, dann wird
-mir zu Mute sein, als hätte ich mir die ganze geliebte Gestalt,
-die dann vor mir steht, selber erschaffen, und das
-wird mir dann eine solche Kraft und Wonne und Seligkeit
-<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a>
-verleihen, und das wirst du mir nicht verweigern. Nicht
-wahr? Nicht wahr?«</p>
-
-<p>Sie vermochte nichts zu erwidern. Anfänglich, als sie
-nur Mitleid mit dem Mann gefühlt hatte, der um ihre Liebe
-flehte, war nur ihre Seele wach gewesen; jetzt, da er stark
-und fröhlich war und sie am lebendig klopfenden Herzen
-hielt, waren auch ihre Sinne erwacht. Sie hatte angefangen,
-sich in ihn zu verlieben, und in dem großen Strome des
-süßen, unbestimmten Gefühls trieb sie willenlos dem Manne
-zu. Sie drückte ihr erglühendes Gesicht an seinen Hals.</p>
-
-<p>»Thu, wie du willst,« flüsterte sie.</p>
-
-<p>Und nun war es, als wären alle diese Besorgungen
-nur Vorbereitungen für das Eigentliche und Wahre gewesen.</p>
-
-<p>Die Seidenwarenlager wurden förmlich geplündert, und
-als sie damit fertig waren, wollte er sie in Wäschehandlungen
-führen. Dem aber widersetzte sie sich.</p>
-
-<p>»Ich müßte mich ja zu Tode schämen, wenn mich ein
-Mann dabei begleitete.«</p>
-
-<p>Er fügte sich ihrem Willen. Aber sie mußte versprechen,
-daß sie sich das schönste Linnen, die zartesten seidenen
-Strümpfe und das zierlichste Schuhwerk kaufen wollte. Die
-Rechnungen sollten auf ihren Namen geschrieben werden, er
-würde sie bei ihr abholen und alles abmachen.</p>
-
-<p>Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er reich war, so hätte
-sie ihn für einen rasenden Verschwender halten müssen.</p>
-
-<p>Ganze Ballen von Seidenstoffen und Leinen liefen nun
-bei Anna ein; vierzehn Tage lang wurde geschneidert und
-geschustert, als gälte es, den Brautstaat einer jungen Königin
-fertigzustellen; der Onkel und die Tante gingen mit dumpf
-<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a>
-verblüfften Gesichtern umher und wußten nicht, was sie
-sagen sollten. Anna wußte es selber kaum; die Welt war
-nicht mehr die Welt.</p>
-
-<p>Der Baron ließ sich in diesen Tagen nur von Zeit zu
-Zeit sehen, und wenn er kam, war er in fliegender Hast.
-Er war jetzt vielfach auf dem Schlosse draußen, wo die
-Zimmer für Anna eingerichtet wurden. So oft er bei ihr
-in der Stadt erschien, wurde er rasch wieder hinauskomplimentiert
-&ndash; Frauen, die in solcher Thätigkeit stecken, können
-Männer nicht brauchen. Gegen Ende der vierzehn Tage
-aber, als sie ihn auf den Flur hinausbegleitete, hielt sie ihn
-an der Hand fest.</p>
-
-<p>»Heute abend,« sagte sie leise, mit lieblichem Erröten,
-»wird das crèmefarbige Seidenkleid fertig, das du so besonders
-gern magst. Es hat einen sehr hübschen Schnitt
-und wird mir vielleicht leidlich stehen.« Sie beugte sich
-näher zu ihm.</p>
-
-<p>»Wenn du willst, kannst du morgen mittag kommen,
-und ich will mich dir zeigen.«</p>
-
-<p>Er schloß sie an die Brust, als wollte er sie erdrücken.</p>
-
-<p>»Du Engel,« erwiderte er.</p>
-
-<p>Ein Glutstrom floß aus seinen Augen. Dann riß er
-sich los, eilte die Treppe hinab, kehrte vom Absatz noch einmal
-zurück, schloß sie noch einmal wie rasend in die Arme
-und schoß dann zum Hause hinaus.</p>
-
-<p>Anna begriff kaum, was ihn so erregt hatte; aber die
-Glut, die ihn erfüllte, setzte auch sie in Feuer, und als das
-Kleid am Abend angekommen war, beschloß sie, sich am
-nächsten Vormittage recht schön für ihn herauszuputzen.</p>
-
-<p>Es war das erste Mal im Leben, daß sie sich in so
-<a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a>
-kostbare Stoffe hüllte. Sie schloß sich in ihr Schlafkämmerchen
-ein und kleidete sich von Kopf bis zu Füßen um, weil es
-sie nun doch gelüstete, die neuangeschafften Sachen wirklich
-einmal zu probieren.</p>
-
-<p>Wie das alles anders war als das, was sie bisher getragen
-hatte! Wie grob das Hemd war, das sie auszog,
-und wie weich sich das neue zarte Linnen um ihren Leib
-schmiegte! Und die seidenen Strümpfe, in die ihre Füßchen,
-nachdem sie die alten baumwollenen abgestreift hatte,
-beinahe schüchtern hineinschlüpften, als wagten sie gar nicht
-zu glauben, daß sie wirklich da hinein gehörten! Sie saß
-ganz schamrot auf ihrem Stuhl und kicherte vor sich hin,
-wie ein Kind, das etwas Unerlaubtes thut und jeden Augenblick
-gewärtig ist, daß es ertappt und ausgescholten werden
-wird. In den Spiegel zu sehen, hatte sie noch kaum gewagt,
-auch befand sich in ihrem Schlafzimmer nur ein kleiner
-Handspiegel, der ihr nicht sagen konnte, ob das Kleid ihr
-saß. Dazu mußte sie in das Gesellschaftszimmer gehen,
-wo zwischen den Fenstern ein größerer Wandspiegel angebracht
-war.</p>
-
-<p>Als sie nun hier, die Bänder an ihrer Taille zurechtzupfend,
-vor dem Spiegel, mit dem Rücken gegen die Thür
-stand, wurde diese von außen aufgerissen und auf der Schwelle
-erschien der Baron. Sie sah, wie er stehen blieb und ihre
-Gestalt mit den Augen verschlang; in seinem Blick war eine
-verzehrende Gier. Anna sah wirklich niedlich genug aus.
-Das Kleid war tief ausgeschnitten, am oberen Rande und an
-den Aermel-Oeffnungen mit einem Spitzenbesatze eingefaßt,
-und aus den zarten Spitzen quollen die runden, weichen
-Schultern, die nackten Arme in jugendlicher Fülle hervor.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a>
-Sie wollte ihn bedeuten, daß er sich noch einen Augenblick
-gedulden müsse, aber bevor sie dazu gekommen war,
-stand er schon hinter ihr, und gleichzeitig fühlte sie sich von
-seinen Armen umfaßt, vom Boden emporgehoben und mit
-einer Gewalt, wie von einem Orkane, an seine Brust gerissen.
-Ihre Schultern, ihr Nacken und ihr Hals loderten
-unter seinen Küssen.</p>
-
-<p>»Du zerdrückst mir ja das ganze Kleid,« wandte sie ein.
-Der Ueberfall war ihr zu jäh gekommen; sie sträubte sich
-in seinen Armen, aber er hörte nicht auf ihre Worte, achtete
-nicht auf ihre sträubenden Bewegungen; in der Art, wie er
-mit ihr umging, war etwas Gewaltsames. Seine Liebkosungen
-hatten etwas Erstickendes, Erdrückendes, Zermalmendes;
-seine Küsse fühlten sich an, als wenn er am liebsten
-in Annas Fleisch hineingebissen hätte.</p>
-
-<p>Den einen Arm hatte er unter sie geschoben, so daß
-sie halb darauf saß, mit dem andern drückte er ihren Oberleib
-an seine Brust, ihr Gesicht an sein Gesicht, und so,
-indem er sie in seinen riesenstarken Armen wie ein Kind,
-wie eine Puppe, ein Spielzeug drückte, preßte und trug,
-ging er mit ihr im Zimmer auf und ab, dumpf abgerissene
-Laute von sich gebend, wie trunken, beinah wie
-sinnlos.</p>
-
-<p>Er merkte gar nicht, wie peinvoll dem jungen Mädchen
-die Lage wurde, in der sie sich befand, wie keuchend ihre
-Brust sich hob und senkte, weil sie, an ihn gepreßt, kaum
-noch Luft zum Atmen fand. Endlich warf sie mit äußerster
-Anstrengung den Kopf zurück, stemmte beide Hände gegen
-seine Brust und »laß mich los!« stieß sie wie in Verzweiflung
-hervor.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a>
-Der Ton kam so rauh, so zornig heraus, daß er erschrak.
-Er hielt in seinem Auf- und Niedergehen inne, sah
-ihr ins Gesicht und sah, daß sie die Augen geschlossen hatte.</p>
-
-<p>Nun ließ er sie aus den Armen gleiten; sie warf sich
-in den Lehnstuhl, der ihr zunächst stand, drehte sich mit
-ganzem Leibe von ihm ab, legte beide Arme auf die Lehne
-des Sessels, das Gesicht auf die Arme, und brach in schluchzendes
-Weinen aus.</p>
-
-<p>Der Baron stand totenblaß vor ihr. »Anna,« stammelte
-er, »was ist dir?«</p>
-
-<p>Sie gab keine Antwort und weinte immer heftiger.</p>
-
-<p>Mitten im Zimmer lag einer von ihren kleinen seidenen
-Schuhen, der ihr vorhin, als er sie vom Boden emporgehoben
-hatte, vom Fuße geflogen war. In seiner Ratlosigkeit hob
-der Baron ihn auf, als er sich aber zu Anna niederbeugte,
-um ihr den Schuh wieder anzuziehen, riß sie denselben aus
-seiner Hand und verbarg ihren Fuß unter dem Kleide.</p>
-
-<p>»Nein!« rief sie, »faß mich nicht an! Du sollst mich
-nicht mehr anfassen! Ich weiß gar nicht, wie du bist!«</p>
-
-<p>Sie sprach aus, was sie empfand; sie konnte sich in
-der That die Art des Mannes nicht erklären. Das war
-ja gewesen, als wenn ein wildes Tier sich über sie gestürzt
-hätte.</p>
-
-<p>Bei der zornigen Bewegung, mit der sie ihm den Schuh
-entrissen hatte, war er einen Schritt zurückgewichen; jetzt
-stand er wie zerschmettert da.</p>
-
-<p>»Aber Anna,« fing er wieder an, »bist du mir denn
-böse, daß ich dich so liebe?«</p>
-
-<p>Sie warf den Leib herum und heftete die verweinten
-Augen auf ihn.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a>
-»Liebe?« sagte sie zornig, »ist das Liebe, wenn man
-jemand so anfaßt? so behandelt? Faßt man eine Frau
-so an?«</p>
-
-<p>Sie blickte an sich herab und strich mit bebender Hand
-das zerknitterte und zerdrückte Kleid glatt, dann schlüpfte sie
-wieder in den Schuh, und als sie den Fuß aufsetzte, stampfte
-sie beinah auf.</p>
-
-<p>»Du hast keine Achtung vor mir,« fuhr sie fort, »du
-denkst, weil du mir all die schönen Sachen geschenkt hast,
-die ich da trage, ich gehöre dir, und du kannst mit mir
-machen, was dir beliebt! Und darum gehst du so mit mir
-um &ndash; und behandelst mich wie &ndash; wie&nbsp;&ndash;« sie wollte von
-neuem in Thränen ausbrechen, aber sie kam nicht dazu. Indem
-sie die letzten Worte dem Baron ins Gesicht schleuderte,
-sah sie, wie seine Gestalt zusammenzuckte, als wenn ein
-Stich ihm mitten durch den Leib gegangen wäre.</p>
-
-<p>»Anna&nbsp;&ndash;« sagte er schweren Tones, »das kannst du
-von mir denken?«</p>
-
-<p>Er war langsam in die Kniee gesunken, seine Augen
-waren den ihrigen nah gegenüber, und indem sie das namenlose
-Leid in seinen Augen gewahrte, fühlte sie, daß sie dem
-Manne mit häßlichen Gedanken ein häßliches Unrecht angethan
-hatte.</p>
-
-<p>»Nein, Eberhard,« sagte sie, »was ich da eben gesagt
-habe, das war nicht recht; ich fühl's, das war häßlich; und
-ich bitte dich um Vergebung dafür.«</p>
-
-<p>Nun legte er auch seinerseits die Arme um sie, aber
-so leise, als fürchtete er, sie zu zerbrechen, und ihr Köpfchen
-lag wieder an seinem Halse.</p>
-
-<p>»Aber siehst du,« fuhr sie zagend fort, »wenn du so
-<a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a>
-bist, wie vorhin, so wild, so &ndash; ich weiß gar nicht, wie ich's
-nennen soll &ndash; dann verstehe ich dich nicht, und dann &ndash;
-siehst du &ndash; muß ich mich ja vor dir fürchten.«</p>
-
-<p>Sie hatte das letzte ganz leise, wie eine Beichte, ihm
-ins Ohr geflüstert, und wie eine solche nahm er es auf.
-Aber nicht ihre Schuld war es, die sie ihm beichtete, es war
-die seine, seine Schuld, der er nicht geachtet hatte auf die
-Scham, auf die Angst des lieben, vertrauenden Geschöpfes,
-der er nahe daran gewesen war, das Wesen, das ihm Leben
-und Seligkeit bedeutete, in seinen wahnwitzigen Armen zu
-zertrümmern, wie ein Knabe, der eine unersetzliche Kostbarkeit
-mit thörichten Händen zerstört.</p>
-
-<p>Von dem allen hatte er nichts gefühlt &ndash; das alles
-kam ihm jetzt zum Bewußtsein.</p>
-
-<p>Ein peinvoller Gram lagerte sich auf seinen Zügen, mit
-leiser Hand schob er Anna von sich hinweg.</p>
-
-<p>»Armer Engel,« sagte er dumpf und schwer.</p>
-
-<p>Dann erhob er sich, trat von ihr hinweg, und mitten
-im Zimmer, den Kopf nachdenklich gesenkt, blieb er stehen.</p>
-
-<p>Eine schweigende Pause trat ein, und als sich Anna
-nach ihm umwandte, sah sie ihn noch immer, in düsteres
-Sinnen verloren, an seinem Platze. Ein Schatten überwölkte
-sein Gesicht; man sah ihm an, wie er mit den
-finsteren Gewalten Zwiesprache hielt, die in seinem Innern
-emporstiegen.</p>
-
-<p>»Eberhard,« rief sie ihn an, »warum gehst du von
-mir fort?«</p>
-
-<p>Es war, als wenn er aus seinem Brüten erwachte.
-Langsam kam er zu ihr zurück. Er schob einen Sessel neben
-den Stuhl, auf dem sie saß, ließ sich nieder und verharrte
-<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a>
-dann abermals, den Blick zu Boden gesenkt, in langem
-Schweigen. Endlich rückte er sich dichter an ihre Seite, aber
-ohne aufzusehen, ohne sie zu berühren.</p>
-
-<p>»Anna,« sagte er, »ich muß dir etwas anvertrauen.«</p>
-
-<p>Wieder stockte er &ndash; das Bekenntnis wurde ihm schwer.
-Er nahm ihre Hand in seine Hand.</p>
-
-<p>»Anna &ndash; ich hatte bis heute noch nie eine Frau berührt
-&ndash; heute war es das erste Mal &ndash; und du bist die
-erste gewesen, die ich geküßt habe.«</p>
-
-<p>Sie drückte leise seine Hand.</p>
-
-<p>»Aber du hattest mich doch schon vorher geküßt.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Ja,« versetzte er, und eine dunkle Röte färbte sein Gesicht,
-»aber es war mir noch nie so zu Mute gewesen, wie
-heute. Damals, siehst du, war es noch weit bis zu unsrer
-Hochzeit, und jetzt steht es nahe vor der Thür, daß wir heiraten.
-Und darum &ndash; siehst du &ndash; als ich vorhin zu dir hereintrat,
-war mir doch in dem Augenblick, als wäre es schon
-so weit und wir wären schon Mann und Frau. Und wie
-ich dich nun so stehen sah &ndash; siehst du &ndash; da überkam mich
-etwas&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er verstummte, sein Oberleib bog sich vornüber, als läge
-eine Centnerlast auf seinem Rücken, langsam glitt er vom
-Stuhle, ihr zu Füßen, und seiner Gewohnheit nach drückte
-er das Gesicht in ihren Schoß.</p>
-
-<p>»Ich kann's dir ja nicht beschreiben,« murmelte er, »was
-es war; und ich kann dich ja nur anflehen, daß du mir verzeihst;
-und wenn du jetzt den Fuß aufhöbest und mich trätest,
-so geschähe mir ja nur recht; aber siehst du, ich konnte nicht
-anders, und es war etwas so Wundervolles, so rasend göttlich
-Herrliches, Himmlisches&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a>
-Er hatte beide Arme um ihre Kniee geschlungen und
-preßte ihre Kniee aneinander, als wollte er sie zermalmen.</p>
-
-<p>»Bleib ruhig,« flüsterte Anna.</p>
-
-<p>Sie fühlte, wie die verzehrende Glut wieder in ihm
-aufstieg.</p>
-
-<p>Ein wundersames Gemisch von Grauen und Lust schwoll
-ihr zum Herzen, indem sie schweigend auf ihn hinabsah,
-auf den riesenstarken Mann, der sich gebrochen zu ihren
-Füßen wand.</p>
-
-<p>Kein Weib hatte er noch berührt &ndash; sie war die erste,
-und sie war die Brandfackel, die ihn verzehrte.</p>
-
-<p>Vernunft und Gewissen sagten ihr, daß sie aufstehen,
-ihn wecken mußte aus seiner Phantasie &ndash; aber stärker als
-Vernunft und Gewissen war in diesem Augenblicke das Weib,
-das mit heimlicher, beinahe lüsterner Neugier zu erfahren
-begehrte, was für einen Eindruck sie auf den Mann zu
-machen vermocht hatte.</p>
-
-<p>Sollte sie immer nur Arzt sein? Immer nur Wärterin?
-War sie nicht auch ein Weib? Mit jungem, blühendem
-Fleisch und Blut? Stand nicht auch sie zum erstenmal
-vor der dunklen, geheimnisvollen Flut, in die alle Geschöpfe
-der Erde hinein müssen, sei es zum Leben, sei es
-zum Ertrinken, die man die Liebe nennt? War nicht die
-warme Welle des großen Wassers auch zu ihr schon herangerollt
-und hatte ihr den Saum des Kleides und die nackten
-Füße genetzt, leise winkend und rufend: »Komm herab &ndash;
-steig herab!«</p>
-
-<p>Von der Stirn herab, über Wangen und Hals und bis
-tief in die Brust, die schwer atmend aus der seidenen Umhüllung
-des Kleides hervorstrebte, senkte sich purpurne Glut,
-<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a>
-als sie sich über den Mann zu ihren Füßen herbeugte, die
-Lippen an sein Ohr andrückend.</p>
-
-<p>»Sag mir,« hauchte sie, »was du gefühlt hast, als du
-mich sahst?«</p>
-
-<p>Er beugte sich zurück, so daß er ihr ins Gesicht sehen
-konnte. Warum fragte sie? Als er jedoch ihr glutübergossenes
-Gesicht gewahrte, merkte er, daß der Dämon auch
-in ihrem Blute zu wühlen begann. Rasch war er vom
-Boden empor, auf seinem Stuhle, und nun saßen sie, wie
-zwei Schuldgenossen, die sich gegenseitig ein Geheimnis anvertrauen.</p>
-
-<p>»Siehst du,« hob er leise an, indem er mit dem Kopfe
-nach dem Fenster deutete, »es ist doch heut ein grauer Tag,
-und nun denk dir, wie merkwürdig: im Augenblick, als ich
-die Thür aufmachte und dich stehen sah &ndash; aber du mußt
-nicht denken, daß ich übertreibe oder in Bildern rede &ndash; war
-mir's, als wäre hier im Zimmer heller Sonnenschein.
-Richtiger Sonnenschein, siehst du, war es eigentlich nicht,
-sondern es war wie eine Feuersbrunst, wie wenn das Licht,
-das im Zimmer war, von Flammen herrührte. Und mitten
-in den Flammen standest du drin. Aber es war, als wenn
-sie dir nicht weh thäten, denn es sah mir in dem Augenblick
-so aus, als ob du mich ansähest und die Arme nach
-mir ausstrecktest und riefest: Komm herein.«</p>
-
-<p>»Aber, Eberhard,« unterbrach sie ihn, »ich drehte dir
-doch den Rücken zu und habe kein Wort gesagt?«</p>
-
-<p>»Das weiß ich ja,« erwiderte er hastig, »das weiß ich
-ja, ich sage dir ja nur, wie es mir in dem Augenblick erschien.
-Und als ich das sah, siehst du, da mußte ich hinzuspringen
-und dich in die Arme schließen, und nun war mir's, als
-<a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a>
-stände auch ich in der Flamme, und das Feuer schlug in
-mich hinein, daß ich fühlte, wie es in mir hinaufstieg, in
-die Brust, in die Augen, ins Gehirn, daß ich nichts mehr
-sah, nichts mehr hörte und nur noch fühlte, daß ich etwas
-in den Armen trug, etwas Köstliches, Göttliches, Unbeschreibliches,
-wie ich es nie im ganzen Leben noch gefühlt hatte,
-etwas Warmes und Weiches, und wie ich das so an meinem
-Leibe fühlte, da überkam mich ein Verlangen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er brach plötzlich ab.</p>
-
-<p>Anna wartete, daß er fortfahren sollte, aber er schwieg.</p>
-
-<p>»Also&nbsp;&ndash;« forschte sie leise, »da kam dir ein Verlangen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er wandte das Haupt zur Seite.</p>
-
-<p>»Nein, nein,« sagte er, wie in Angst, »frage danach
-nicht.«</p>
-
-<p>Sie blickte ihn von der Seite an; sie faßte seine Hand
-und drückte sie; dann schob sie ihre heiße Wange an seine
-Wange; die Neugier war zu mächtig in ihr geworden, sie
-mußte erfahren, was für ein geheimnisvolles Verlangen das
-gewesen war.</p>
-
-<p>»Sag's mir doch,« hauchte sie, »sag's mir, ich bitte dich.«</p>
-
-<p>Er wandte den Kopf zurück und drückte ihn an ihre
-Schulter, als wollte er sich verbergen, zugleich aber fühlte
-sie, wie seine Hände sich an ihren Leib preßten.</p>
-
-<p>»Da überkam mich ein Verlangen,« sagte er dumpf,
-»dieses, was ich in den Armen trug, dies Köstliche, dies
-Warme, Weiche in meinen Armen zu zerdrücken, zu ersticken,
-zu zermalmen&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Seine Stimme, anfänglich dumpf und schwer, war
-immer lauter geworden; sein Atem flog, und als er jetzt die
-<a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a>
-flackernden Augen auf Anna richtete, sah es aus, als würde
-er sich von neuem über sie herstürzen, wie er vorhin gethan
-hatte. Von Annas Gesicht war die Röte jählings gewichen, unwillkürlich
-streckte sie, wie abwehrend, die Hände gegen ihn aus.</p>
-
-<p>»Eberhard&nbsp;&ndash;« preßte sie hervor.</p>
-
-<p>Im Augenblick, als er ihre erschrockene Stimme vernahm,
-ließ der Taumel von ihm ab; sein Körper sank kraftlos
-in sich zusammen. Er ließ die Arme an ihr niedergleiten,
-drehte sich im Sessel herum und legte das Gesicht
-auf die Stuhllehne.</p>
-
-<p>»Warum fragtest du auch?« stöhnte er dumpf.</p>
-
-<p>Anna stand vor ihm; sie fühlte sich so schuldig. Begütigend
-streichelte sie über sein Haar.</p>
-
-<p>»Eberhard,« sagte sie, »sei doch nicht so außer dir; es
-war ja alles nur eine Einbildung.«</p>
-
-<p>Er gab keine Antwort, aber er schüttelte das Haupt,
-daß es aussah, wie ein trostloses »Nein«. Dann sprang er
-auf, und beide Hände an die Schläfen gedrückt, ging er im
-Zimmer auf und ab.</p>
-
-<p>Endlich blieb er stehen, plötzlich und wie mit einem
-Ruck. Sein Körper richtete sich straff empor, beide Arme
-streckte er vor sich hin, wagerecht und mit geballten Fäusten.</p>
-
-<p>»Nein!« sagte er laut, »nein! nein!«</p>
-
-<p>Es sah aus, als spräche er mit irgend einem Unsichtbaren.
-Anna blickte sprachlos zu ihm hinüber, sie wagte
-nicht zu fragen, mit wem er sich unterhielt.</p>
-
-<p>Er ließ die Arme sinken und wandte sich um. Als er
-ihren entsetzten Blick gewahrte, kam er auf sie zu.</p>
-
-<p>»Aengstige dich nicht,« sagte er, »ich habe es in der
-Gewohnheit, manchmal laut zu denken.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a>
-Er war völlig beruhigt, seine Stimme klang sicher
-und fest.</p>
-
-<p>Sie schöpfte wieder Mut.</p>
-
-<p>»Was dachtest du denn?« fragte sie, zärtlich an ihn
-geschmiegt.</p>
-
-<p>»Ich habe mir das Versprechen gegeben,« erwiderte er,
-»daß mir das nie wieder begegnen soll. Das, was ich dir
-vorhin erzählt habe, ist in mir gewesen, ja. Aber es ist
-gewesen, verstehst du, und nun ist es nicht mehr da. Nun
-kommt es nicht wieder, das verspreche ich mir, das verspreche
-ich dir! Niemals!«</p>
-
-<p>Er hatte den Arm um sie gelegt, er stand neben ihr,
-stark und gesund, wie einer, der Herr seiner selbst ist, wie
-ein ganzer Mann.</p>
-
-<p>»Siehst du,« fuhr er fort, »ich habe dir kein Hehl gemacht
-über meine Schwäche, darum darfst du mir glauben,
-was ich dir jetzt sage: ich liebe dich, Anna. Ich liebe dich
-so unsäglich, daß der Gedanke, es könnte dir ein Leid geschehen,
-mich umbringt und vernichtet. Glaubst du mir das?«</p>
-
-<p>Er blickte auf sie nieder; ein Strom von tiefem, warmem
-Gefühl floß über sie hin; aus allen Schatten und Wolken,
-die unverständlich, unbegreiflich und unberechenbar in dieses
-Menschen Seele wogten, tauchte immer wieder das edle, herrliche
-Herz wie ein leuchtender Stern empor.</p>
-
-<p>»Ja, Eberhard,« versetzte sie, »das glaube ich dir so
-sicher, daß ich es weiß.«</p>
-
-<p>Sie legte die Arme um ihn und drückte die Lippen auf
-seine Brust.</p>
-
-<p>»Wo solch ein Herz ist,« sagte sie, »da ist ja alles
-andre ganz gleichgültig. Darum glaube auch du mir, was ich
-<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a>
-dir sage: ich fürchte mich nicht vor dir, Eberhard, gar nicht.
-Ich liebe dich, Eberhard, wie nur eine Frau einen Mann
-lieben kann.«</p>
-
-<p>Er küßte sie auf den Scheitel, und die Berührung seiner
-Lippen war wie ein Hauch. Man fühlte, wie er nur
-seiner Seele noch Zutritt zur Geliebten gestatten wollte und
-seinen Sinnen Einhalt gebot. Und so kam nach der Erregung,
-die vorangegangen war, eine Stunde so tiefer Ruhe
-für die beiden Menschen, wie sie sie kaum je zuvor genossen
-hatten.</p>
-
-<p>Als er dann aber von ihr ging und die Thür hinter sich
-geschlossen hatte, so daß Anna ihn nicht mehr sah, schwellte
-ein Seufzer seine Brust &ndash; der schwere Seufzer der Entsagung.</p>
-
-<p>Inzwischen war es Mai geworden, und der Frühling
-hielt seinen siegprangenden Einzug.</p>
-
-<p>Eines Tages, als der Baron vom Schlosse draußen
-hereinkam, brachte er Anna die Kunde mit, daß auch im
-Fahrenwalder Parke der Lenz eingekehrt sei, daß die Kastanien
-blühten und der Flieder.</p>
-
-<p>»Auch in deinen Zimmern im Schlosse selbst,« sagte er,
-»ist es Frühling geworden; sie sehen aus, wie zwei junge
-fröhliche Augen in einem alten Gesicht &ndash; die Einrichtung
-ist fertig &ndash; wenn du nun willst, so ist die Zeit gekommen,
-daß Frau von Fahrenwald ihr Reich betritt &ndash; willst du?«</p>
-
-<p>Sie wollte.</p>
-
-<p>Er hatte ihr seine Mitteilungen leise und beinahe feierlich
-gemacht, wie jemand, der an eine große Entscheidung
-herantritt. In derselben Art hatte Anna sie hingenommen.
-Die Vorbereitungen zum neuen Dasein waren vollbracht,
-<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a>
-nun kam das neue Dasein selbst; durch dunkle und helle
-Stunden war sie hindurchgegangen, nun sollte es sich entscheiden,
-ob ihr Leben fortan ein großes Licht oder ein großes
-Dunkel sein würde. Ein Schauer ging über ihr Herz &ndash;
-aber ihr Entschluß war gefaßt, sie wollte.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>In verborgenster Stille, beinahe verschwiegen, fand die
-Hochzeit statt.</p>
-
-<p>Der standesamtlichen Trauung folgte eine kirchliche Einsegnung
-im Hause, wo Anna bei dem Onkel und der Tante
-gewohnt hatte. Anna fühlte kein Bedürfnis, sich in einer
-Kirche öffentlich zur Schau zu stellen und die klatschsüchtige
-Neugier zu Gast dazu zu laden.</p>
-
-<p>Ihr Gesicht war kaum minder weiß, als das weiße
-Brautkleid, in dem sie erschien; als sie, mit dem Myrtenkranze
-im Haare, vor dem Geistlichen kniete und ihre Hand
-in die Hand des Bräutigams legte, mochte mancher von den
-wenigen Trauzeugen für sich denken: »Ein Opfer, das zum
-Altar geführt wird.«</p>
-
-<p>Blaß, schweigsam, mit einem Ausdruck unergründlichen
-Ernstes in den Zügen, stand Eberhard von Fahrenwald an
-ihrer Seite.</p>
-
-<p>Ein leises Mittagsmahl, dem nur wenige Gäste anwohnten,
-schloß die Feierlichkeit ab. Reden wurden nicht
-gehalten; es lag wie ein Gewölk über der Versammlung.
-Bei jeder Hochzeit steht man wie vor einem geschlossenen
-Vorhang. Hier aber war der Vorhang von dunkler Farbe
-und geheimnisvolle Zeichen waren in ihn verwebt.</p>
-
-<p>Nachdem die Tafel aufgehoben war, kehrte Anna zum
-letztenmal dahin zurück, wo sie als Mädchen gewohnt hatte.
-In aller Stille wollten sie beide am Nachmittage nach
-<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a>
-Fahrenwald hinaus fahren. Koffer und Kisten waren schon
-am Tage vorher vorausgegangen.</p>
-
-<p>Nachdem sie den Brautstaat abgelegt und das Reisekleid
-angethan hatte, erschien ihr Gemahl, um sie abzuholen.
-Bald darauf saßen sie im Eisenbahnwagen, und wieder
-einige Zeit darauf stampften die Rosse vor dem Wagen,
-der sie zum Schlosse hinaustragen sollte &ndash; heute für immer.</p>
-
-<p>Wie anders, wie viel schöner sah sich heut alles an,
-als damals, da sie zum erstenmal diesen Weg gefahren war.
-Der reiche Ackerboden, der so lange unter Schnee und Regen
-begraben gelegen hatte, kochte förmlich von Fruchtbarkeit;
-die jungen Saaten schossen empor, daß es aussah, als wollte
-ein Feld das andre im Wachstum überbieten; die Sonne,
-die sich zum Untergange neigte, warf lange, warme, rotgoldene
-Lichter über das junge samtartige Grün.</p>
-
-<p>Heute brauchte man keine Fußsäcke und keine Decken.
-Schweigend, Hand in Hand, saßen Anna und der Baron
-in ihrem Wagen, mit stillen Augen hinausblickend in das
-stille Land, die Wangen von der linden Abendluft umspielt,
-den Duft einatmend, der aus der frühlingsfeuchten Erde
-emporstieg.</p>
-
-<p>Die Dorfbewohnerschaft hatte das junge Paar mit schmetternder
-Festlichkeit empfangen wollen; der Baron hatte alles
-abgelehnt und, damit die Leute nicht um ihre Freude kämen,
-sich durch reiche Geldspenden von dem geplanten Empfange
-losgekauft. Damit hatte er ganz in Annas Sinn gehandelt.
-Auch ihr war nicht nach rauschendem Jubel zu Mute;
-Arm in Arm mit ihm, wie sie es am ersten Tage gemacht
-hatte, wollte sie auch heute durch den Park zum Schlosse
-gehen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a>
-An der bewußten Stelle, wo die Parkwege sich mit der
-Fahrstraße vereinigten, hielt darum auch heute der Wagen
-an und beide Fahrenwalds stiegen aus.</p>
-
-<p>Da lag er wieder vor ihr, der Park, an den sie so oft
-in stillen Stunden gedacht, nach dem sie sich gesehnt, den sie
-so lieb gewonnen hatte, der ihr wie ein Vermittler zwischen
-dem bisherigen und dem zukünftigen Leben erschien; da lag
-er, und wenn die Bezeichnung, die er trug, jemals auf ihn
-gepaßt hatte, so war es heute der Fall: »das Schlesische
-Paradies«.</p>
-
-<p>An der Kreuzung der Wege blieb Anna stehen, beide
-Arme in kindlicher Wonne ausbreitend.</p>
-
-<p>»O Eberhard!« seufzte sie aus tiefster Brust, »wie
-herrlich! wie schön!«</p>
-
-<p>Am Eingang des Parks, wie ein Grenzpfahl, stand ein
-mächtiger Eichbaum. Am knorrigen Stamme, einige Fuß
-über dem Erdboden, war ein Kranz aufgehängt, von bunten
-Bändern umflattert, in dessen Mitte sich eine Tafel mit
-einer Inschrift befand.</p>
-
-<p>»Was ist denn das?« fragte Anna.</p>
-
-<p>Sie trat heran und las:</p>
-
-<p class="ce mt1 mb1 fss lh2">»Tritt gern herein, in Freuden bleib,<br />
-&emsp;Und sei mein Leben und mein Weib.«</p>
-
-<p>Sie wandte sich um.</p>
-
-<p>»Von wem ist denn das?«</p>
-
-<p>Eberhard von Fahrenwald stand ganz verlegen da.</p>
-
-<p>Jauchzend flog sie ihm um den Hals.</p>
-
-<p>»Eberhard, du? Du hast das gedichtet?«</p>
-
-<p>Er hielt lächelnd ihr Haupt in seinen Händen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a>
-»Gedichtet?« erwiderte er, »nun &ndash; jedenfalls siehst du,
-ein großer Dichter bin ich nicht.«</p>
-
-<p>Sie blickte ihm in die Augen.</p>
-
-<p>»Ach, siehst du, das ist nun wirklich ein ganz entzückender
-Gedanke von dir! Auf so etwas, siehst du, kann wirklich
-nur ein so guter Mensch kommen, wie du es bist! Nun aber
-mußt du mir den Kranz herunterholen, damit ich ihn bei
-mir aufhängen kann.«</p>
-
-<p>»Aufhängen willst du ihn? Bei dir?«</p>
-
-<p>»Ja!« erklärte sie. »Den hänge ich in meinem Zimmer,
-womöglich in meinem Schlafzimmer auf, und alle Abend,
-wenn ich zu Bette gehe, und jeden Morgen, wenn ich aufstehe,
-lese ich, was du geschrieben hast.«</p>
-
-<p>»Gut,« versetzte er, »heute bekomme ich ihn nicht herunter,
-dazu braucht es eine Leiter, aber morgen soll er in
-deinem Zimmer sein.«</p>
-
-<p>Den Weg, den sie das erste Mal gegangen waren, die
-Buchenallee, wandelten sie nun entlang. Heute war kein
-Aufruhr in der Natur wie damals; das magere junge Laub
-hing still zu ihren Häupten; heute brauchte sie sich nicht an
-ihn zu drängen in ängstlicher Beklommenheit; alles war so
-friedlich, so ruhig, auch er, an dessen Arm sie ging. Ja &ndash;
-er war so ruhig, daß es beinahe wie eine leise Schwermut
-aussah.</p>
-
-<p>In den Seitenweg bogen sie alsdann ein, und nun
-war es wirklich ein Meer von wogenden grünen Wipfeln,
-das ihr entgegenrauschte. Die weißen Kastanien hatten
-schon abgeblüht, aber wie versprengte Rubinen flammten
-hie und da die Blüten der roten im Blätterdickicht auf.
-Am Himmel lag purpurner Wiederschein der gesunkenen
-<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a>
-Sonne, und alles war so groß, so wunderbar und schön,
-daß Annas Herz in tiefer, wonnevoller Seligkeit überschwoll.</p>
-
-<p>»O Eberhard,« flüsterte sie, »freust du dich denn auch
-so wie ich?«</p>
-
-<p>Er blickte zärtlich auf sie nieder und drückte schweigend
-ihren Arm. Sie befanden sich gerade an der Stelle, wo
-er ihr damals gesagt hatte, daß sie seine Sonne sein sollte
-und daß er die Erde wäre, die sich um die Sonne dreht.</p>
-
-<p>Wie wild hatte er sie damals umfaßt &ndash; wie sanft
-und ruhig war er heute. Hatte sich etwas in ihm verändert
-seitdem? Nun &ndash; jedenfalls war es besser so, wie
-es heute war. Jetzt kamen sie in die Nähe des Schlosses,
-und wieder blieb Anna mit einem Ausrufe der Ueberraschung
-stehen; von oben bis unten war das mächtige alte
-Gebäude mit frischem hellen Farbenanstrich versehen.</p>
-
-<p>Eberhard lächelte.</p>
-
-<p>»Es war eigentlich noch zu früh im Jahre zum Anstreichen,«
-sagte er, »aber ich wollte, daß dir das Haus ein
-freundlicheres Gesicht zeigen sollte, als das erste Mal.«</p>
-
-<p>Sie neigte das Haupt in stummen Gedanken. Jeder
-ihrer Wünsche war in seinem Gedächtnis niedergelegt, wie
-ein Wertstück in den Händen eines treuen Verwalters.</p>
-
-<p>Durch die Halle mit den Jagdtrophäen schritten sie
-hindurch, welche heute abend durch zwei große, in den
-Ecken aufgestellte Kandelaber erhellt wurde, und eben solche
-Kandelaber standen im Flure am Fuße der großen Treppe.
-Große, schwere, altertümliche Leuchter, mit steif gestreckten
-Armen von Messing, mit dicken Wachskerzen besteckt.</p>
-
-<p>Auf jedem Treppenabsatze stand ein solcher Kandelaber
-<a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a>
-und in gleicher Weise waren Flur und Gänge beleuchtet.
-Ein stilles, schweres, goldiges Licht.</p>
-
-<p>»Heut gehen wir nicht durch die Bibliothek, sondern
-gleich in dein Zimmer,« sagte der Baron, als sie die Treppe
-erstiegen hatten. Er führte sie den Gang entlang, der auf
-den Flur stieß, dann that er eine Thür auf, die sich von
-links auf den Gang öffnete, und nun schlug Anna, geradezu
-entzückt, beide Hände ineinander. Sie waren in ihren Gemächern
-angelangt, die Fenster standen offen, und durch sie
-hinaus blickte man in den Park und über den Park hinaus
-in die weite grünende Landschaft. Im Kamin, den Fenstern
-gegenüber, flackerte ein lustiges Feuer von Fichtenscheiten;
-der harzige Duft des brennenden Holzes vermengte sich mit
-der einströmenden Frühlingsluft zu einem feinen, köstlichen
-Wohlgeruch. An den Wänden, die mit einer hellfarbigen,
-mit blaugoldenen Mustern geschmückten Tapete bedeckt waren,
-hingen Landschaftsbilder, die aus den nebenanliegenden Gemächern
-hierhergeschafft worden waren; ein Schreibtisch in
-allerliebstem Schnörkelstile in einer Fensterecke, Stühle mit
-silberdamastenen Polstern, und ein Ruhebett von dem gleichen
-Stoffe; zwischen den Fenstern ein hoher Wandspiegel, in
-schwerem goldbronzenen Rahmen, und das Ganze überflutet
-vom sanften Lichte eines zierlichen, von der Decke herabhängenden
-Kronleuchters, und mehrerer, in den Ecken verteilter
-Lampen, deren Glocken mit roter Seide umhüllt
-waren. Ein Aufenthalt, wie für eine Fee, hergerichtet von
-einem guten Geiste.</p>
-
-<p>Der Baron öffnete die Thür zum Nebenzimmer, wo
-eine große Glasglocke, blau verschleiert, von der Decke schwebte
-und ein trauliches Licht verbreitete. An der gegenüberliegenden
-<a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a>
-Wand, unter einem Zelte von mattblauer Seide, stand ein
-Bett, kostbar und reich im Gestell, schneeweiß leuchtend mit
-seinen Kissen und Linnen vom feinsten Gespinst.</p>
-
-<p>Sprachlos, von Dankbarkeit überwältigt, hing Anna
-am Halse ihres Gatten; so viel hatte sie von ihm empfangen,
-dies aber war doch das Höchste. So beschenkt nur ein Mensch,
-dessen Seele uns nachgeht, ununterbrochen und überall.</p>
-
-<p>»Ich denke,« sagte der Baron, »wir rufen jetzt deine
-Jungfer, damit du die Reisekleidung abthust und es dir bequem
-machst!«</p>
-
-<p>Er ließ den Blick umhergehen; auf Stühlen und Sofas
-des Schlafzimmers lagen Annas eben ausgepackte Kleidungsstücke
-verstreut; eine Haus- und Morgentoilette von rosarotem
-Wollenstoff lag obenan, zum Gebrauche bereit.</p>
-
-<p>»Ich gehe unterdes zu mir hinauf,« fuhr er fort, »und
-wenn ich wiederkomme, abendbroten wir, und wenn es dir
-recht ist, lassen wir hier in deinem Zimmer anrichten, hier
-ist es gemütlicher, als da drüben.«</p>
-
-<p>»Zu mir hinauf,« hatte er gesagt &ndash; sie sah ihn
-fragend an.</p>
-
-<p>»Wo wohnst denn du eigentlich?«</p>
-
-<p>»O &ndash; ziemlich weit von hier,« gab er zur Antwort,
-»da oben im zweiten Stock.«</p>
-
-<p>Er sah die Ueberraschung auf ihrem Gesicht; aber es
-war, als wollte er weitere Fragen abschneiden. Er nahm
-ihren Kopf zwischen die Hände, küßte sie auf den Scheitel
-und mit einem »auf Wiedersehen« ging er hinaus.</p>
-
-<p>Von der Thür aus hatte er ihr lächelnd zugenickt. Bildete
-sie es sich nur ein, oder war in seinem Lächeln etwas
-Gezwungenes gewesen?</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a>
-Sie begab sich in ihr Schlafgemach, wo die Jungfer
-bereits auf sie wartete. Es war ein Mädchen vom Dorfe,
-nicht übermäßig geübt in den Künsten feinerer Bedienung.
-Schweigend, und nicht ohne Verlegenheit wartete sie ihres
-Amtes. Kaum weniger verlegen aber war die Gebieterin
-selbst. Es war das erste Mal, daß Anna sich beim Aus-
-und Ankleiden bedienen ließ; mit innerlichem Lächeln gestand
-sie sich, daß das Prinzessinsein gelernt sein wollte.</p>
-
-<p>Als sie in ihr Wohnzimmer zurückkehrte, stand inmitten
-desselben der Tisch mit dem Abendbrote bereits angerichtet.
-Eberhard war noch nicht wiedergekommen, sie war allein.
-Sie trat an eines der beiden Fenster, kniete auf einen Stuhl
-und lehnte sich auf das Fensterbrett, in die weiche dunkle
-Luft hinausträumend.</p>
-
-<p>Nachdem sie ein Weilchen so gelegen, fuhr sie auf und
-sah sich um &ndash; und richtig, da stand er hinter ihr in der
-Thür. Sie hatte ein Gefühl, als hätte er sie schon längere
-Zeit schweigend betrachtet.</p>
-
-<p>Er stand so regungslos &ndash; in seiner aufgereckten Gestalt
-war eine Art von lautloser Spannung, in seinen Gesichtszügen
-eine Art von Starrheit, als hätte ein Kampf getobt,
-der zur Ruhe gezwungen worden war.</p>
-
-<p>Indem Anna sich aufrichtete, glitt ihr eines der braunsamtnen
-Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße; jählings
-neigte er sich herab und küßte sie auf die Fußsohle, die nur
-noch vom seidenen Strumpfe bedeckt war.</p>
-
-<p>Ebenso rasch richtete er sich wieder auf.</p>
-
-<p>»Verzeih!« sagte er. In Verwirrung trat er zurück.</p>
-
-<p>Lachend warf sie sich an seine Brust.</p>
-
-<p>»Aber was soll ich dir denn verzeihen?«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a>
-In seinen Augen flackerte es auf, um gleich darauf
-wieder zu erlöschen. Er küßte sie, beinah wie abwehrend,
-auf die Stirn.</p>
-
-<p>»Ja, ja,« sagte er heiser, »nichts, nichts!«</p>
-
-<p>Dann rückte er ihr den Stuhl zurecht und setzte sich
-mit ihr an den Tisch.</p>
-
-<p>Das Abendessen zu zweien verlief in glücklicher Gemütlichkeit,
-man aß, man trank und plauderte. Als sie abgespeist
-hatten, sah Anna mit einer gewissen Aengstlichkeit
-nach der Thür. Würde nun der alte Johann erscheinen, um
-abzuräumen?</p>
-
-<p>Eberhard schien ihre Gedanken erraten zu haben.</p>
-
-<p>»Der Johann wartet nicht mehr bei Tische auf,« beruhigte
-er sie. »Ich denke, wir lassen alles, wie es ist.
-Wozu sollen wir uns stören lassen?«</p>
-
-<p>Damit war sie einverstanden. Sie ließ sich von ihm
-Champagner einschenken.</p>
-
-<p>»Aber du trinkst ja gar nicht!« unterbrach sie sich.</p>
-
-<p>»Doch, doch,« erwiderte er, und hastig leerte er sein
-Glas.</p>
-
-<p>Sie hatte aber ganz recht gesehen; er trank nur sehr
-wenig. Er saß vom Tische etwas abgerückt, und sah seine
-junge Frau an und sah, wie der Wein ihr Blut zu erwärmen
-begann, so daß ihr Gesicht sich leise rötete und der
-junge Leib aus dem zarten rosafarbenen Morgenkleide hervorzuatmen
-und herauszublühen schien.</p>
-
-<p>Einen starren, beinah stieren Ausdruck nahmen seine
-Augen dabei an, bis daß er, wie plötzlich zu sich kommend,
-den Blick von ihr hinweg zur Seite wandte.</p>
-
-<p>Anna merkte nichts davon. Sie erzählte von ihren
-<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a>
-Blumen, mit denen sie gleich morgen anfangen wollte; daneben
-plante sie einen großen Gemüsegarten, der natürlich
-auch unter ihrer Obhut stehen sollte. Sie war ganz vertieft
-in ihre Entwürfe und glücklich wie ein Kind.</p>
-
-<p>Unterdessen saß der bleiche Mann schweigend ihr zur
-Seite. Ob er hörte, was sie sprach? Ob er acht darauf gab?
-Es sah nicht so aus. Seine Seele schien mit den dunklen
-Gewalten beschäftigt, die wieder übermächtig über ihn wurden.</p>
-
-<p>Es war spät geworden; die Stutzuhr auf dem Kaminsimse
-schlug elf Uhr. Zeit zum Zubettegehen.</p>
-
-<p>Anna wurde still, der Baron blieb stumm wie bisher
-&ndash; es trat das verlegene Schweigen ein, wenn zwei
-Menschen dasselbe denken und keiner von beiden zu sprechen
-anfängt.</p>
-
-<p>Annas Gesicht erglühte immer tiefer, ihre Hände spielten
-mit den Quasten der Schnur, mit der ihr Kleid gegürtet
-war; sie senkte die Augen in den Schoß und blickte verstohlen
-zu ihm auf. Jetzt erst bemerkte sie, wie verschattet
-sein Antlitz war.</p>
-
-<p>Noch eine Weile peinlichen Schweigens, dann erhob er
-sich. Seine Bewegung hatte etwas Unsicheres, wie die eines
-Menschen, der nicht recht weiß, was er thun soll.</p>
-
-<p>Langsam war auch Anna aufgestanden; nun stand sie
-mitten im Zimmer, Nacken und Haupt schamhaft geneigt.</p>
-
-<p>Sein unstäter Blick ging rund im Zimmer umher, dann
-blieb er an ihr haften, und der Ausdruck flackerte wieder
-darin auf, wie an dem Tage in Breslau.</p>
-
-<p>Wie sie vor ihm stand! Unbewußt in keuscher Hingabe,
-wie eine demütige Magd! Wie sie lieblich war, wie sie
-reizend, schön und entzückend war!</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a>
-Ein dumpfer Laut rang sich aus seiner Brust; wie damals,
-als sie vor dem Spiegel stand, umschlang er sie und
-riß sie an sich; mit dem Munde drückte er ihr Haupt nach
-hintenüber und dann wühlten sich seine Lippen auf ihren
-Mund, in ihr Gesicht, in ihren Hals.</p>
-
-<p>Halb erstickt hing sie in seinen Armen; ihr Gesicht
-war ganz blaß geworden, ihre Augen geschlossen, unwillkürlich,
-wie damals, stemmte sie die Hände gegen ihn.</p>
-
-<p>»Eberhard,« ächzte sie.</p>
-
-<p>Und nun geschah, was an jenem Tage geschehen war:
-jählings ließ er von ihr ab, stürzte ihr zu Füßen und umschlang
-ihre Kniee.</p>
-
-<p>»Verzeih mir,« stöhnte er, »verzeih mir und schlaf wohl,
-schlaf wohl, schlaf wohl!«</p>
-
-<p>Mit einem Sprunge war er auf den Füßen, an der
-Thür, und ohne sich umzusehen, wie ein Gejagter, Verfolgter,
-zur Thür hinaus.</p>
-
-<p>So rasch war dieses alles geschehen, daß Anna nicht
-Zeit gefunden hatte, ihm nachzurufen. Einsam blieb sie
-zurück, in völliger dumpfer Ratlosigkeit.</p>
-
-<p>Sollte sie ihm nachgehen? Durch das fremde, dunkle
-Haus? Wo sie nicht einmal seine Gemächer kannte? Es
-grauete ihr. Auch hätte sie sich schämen müssen.</p>
-
-<p>Was also blieb zu thun? Zu Bette gehen.</p>
-
-<p>Seufzend ging sie in ihr Schlafzimmer. Die Jungfer,
-die ihr beim Entkleiden behülflich sein wollte, schickte sie
-hinaus; in der Stimmung, in der sie war, brauchte sie keine
-fremden Augen, die ihr zusahen. Das Bett mit dem schön
-verzierten Untergestell, das seidene Zelt darüber &ndash; wie prachtvoll
-alles. Aber in all dieser Pracht, welche Einsamkeit!
-<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a>
-Die frischen Linnen des Betts berührten sie mit fröstelnder
-Kühle; sie huschte tief in die Decken und unter Thränen
-schlief sie zum erstenmal auf Schloß Fahrenwald ein.</p>
-
-<p>Aber während sie schlief, war droben im zweiten Stock
-einer, der nicht schlief, das war ihr Mann, der Baron Eberhard
-von Fahrenwald, der in sein Zimmer gelangt war, die
-Thür verriegelt hatte und nun in seinem Zimmer auf und
-nieder ging, ohne Aufhören und ohne Rast, wie ein wildes
-Tier hinter den Stäben des Käfigs.</p>
-
-<p>Die Ruhe, die er sich den ganzen Tag hindurch aufgezwungen
-hatte, war dahin, abgesprengt von seiner Seele,
-wie die Kruste, die sich auf die Lava im Krater gelegt hat
-und die in alle vier Winde fliegt, sobald der Vulkan
-da drunten lebendig wird. All die dunklen Gewalten, die
-in den Tiefen seiner Seele brodelten, hatten Feuer gefangen,
-all die wilden Instinkte, die da drunten, wie Ungeheuer im
-Tropenschlamme, vergraben lagen, reckten plötzlich die Häupter;
-sie wollten sich nicht mehr bändigen lassen, wollten nicht
-mehr dem befehlshaberischen »nein« gehorchen, mit dem er
-sie damals für einen Augenblick niedergezwungen hatte,
-wollten nicht mehr; jetzt hatten sie ihn, jetzt schüttelten sie
-ihn, daß ihm die Glieder am Leibe flogen, und wie mit
-feurigen Geißeln peitschten sie seine Phantasie. Immerfort
-sah er es vor sich, das Weib da unten, das junge, blühende
-Weib, zu dem es ihn hinriß. Jeden ihrer Schritte begleitete
-er mit seinen Gedanken. Er sah, wie sie ihr Schlafgemach
-betrat, wie sie langsam anfing, sich zu entkleiden. Ganz
-deutlich, ganz handgreiflich sah er das. Stück nach Stück
-sank die Gewandung herab; jetzt breitete sie die schneeweißen
-Arme nach ihm, und jetzt geschah etwas &ndash; mitten im Zimmer
-<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a>
-blieb er jählings stehen, die Hände an die Schläfen gedrückt,
-die Augen weit offen, wie fest gebannt von einer furchtbaren
-Vision. War das er, den er da sah, der sich wie ein
-reißendes Tier über das hüllenlose Weib herstürzte: Ja, ja,
-ja! Wie hatte der Alte damals gesagt? Wenn er heiratete,
-würde er jemanden umbringen. So hatte der Alte gesagt,
-und das hatte ein Arzt dem Alten gesagt. Also mußte es
-so sein, und so war es ja auch, und nun wußte er ja
-auch, wer das war, den er umbringen würde! Und also
-kam der Wahnsinn doch! Und all das Kämpfen, all das
-Ringen, all das Sichzurwehrsetzen war vergeblich gewesen,
-alles, alles?</p>
-
-<p>An einem Sessel brach er in die Kniee; mit beiden
-Fäusten griff er sich ins Haar; er schlug die Stirn auf den
-Stuhl; ein heiseres Keuchen, beinah wie ein dumpfes Geheul,
-brach aus seiner Kehle.</p>
-
-<p>»Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!«</p>
-
-<p>Dann ließ der Sturm nach; gebrochen blieb er am
-Boden liegen, und nach einer Stunde dumpfen kraftlosen
-Vorsichhinstarrens raffte er sich auf und schleppte sich nach
-seinem Lager.</p>
-
-<p>Während sich dies begab, war dort oben im zweiten
-Stock noch jemand wach. Das war der alte Johann.</p>
-
-<p>Er schlief nicht. Nein. Er wußte ja, daß er von jetzt
-an überhaupt nie mehr schlafen durfte. Seit heute war die
-»Einbrecherin« im Schloß. Das Unheil war eingezogen,
-jetzt hieß es, Wache halten! Das war sein Amt, seine
-Pflicht. Darum von nun an die Augen aufbehalten! Nicht
-mehr schlafen! Nie mehr schlafen!</p>
-
-<p>Der Baron hatte ihm verboten, sich zu zeigen, wenn
-<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a>
-er heute nachmittag mit seiner jungen Frau ankommen
-würde.</p>
-
-<p>Natürlich hatte er gehorcht; alte Haushunde sind
-gehorsam, aber wachsam sind sie auch. Und sie haben
-Zähne!</p>
-
-<p>Er hatte auch ganz recht gehabt, der Herr Baron, daß
-er ihn fortschickte, daß er »die Person« in Sicherheit vor
-ihm brachte, ganz recht, ganz recht, ganz recht.</p>
-
-<p>In seinem Zimmer eingeschlossen, drei Stunden lang
-und mehr war er ununterbrochen hin und her gegangen, die
-knochigen Hände reibend, immerfort das eine Wort murmelnd
-»ganz recht, ganz recht, ganz recht«.</p>
-
-<p>»Ganz recht, daß du mich nicht an sie heranläßt &ndash;
-denn wenn ich ihr zu Leibe könnte&nbsp;&ndash;« Bei diesem
-»wenn« knirschten seine Zähne, seine Fäuste streckten sich in
-die Luft.</p>
-
-<p>Dann, als es elf Uhr geschlagen, hatte er gehört, wie
-jemand mit hastigen Schritten, als wenn er liefe, als wenn
-er flüchtete, die Treppe draußen heraufgekommen war. Er
-hatte gelauscht, hatte gehört, wie die Thür zum Zimmer
-des Barons aufgerissen, schmetternd zugeworfen und dann
-von innen verriegelt wurde.</p>
-
-<p>Aha &ndash; also, schon heut am ersten Abend fing es an!
-Das war der Baron, den er da hatte kommen hören, der
-jetzt da drüben in seinem Zimmer saß, wie die Maus im
-Loch, wie die dumme Maus, der man Speck gestreut hat
-und die genascht hat und jetzt dahinter kam, daß der Speck vergiftet
-gewesen war! Er grinste übers ganze Gesicht, er mußte
-an sich halten, daß er nicht laut herauslachte, laut, daß man's
-durchs ganze Haus hörte.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a>
-Die dumme, dumme Maus! Es war doch eigentlich
-zu komisch! zu lächerlich!</p>
-
-<p>Dann war er über den Flur geschlichen, an die Thür
-seines Herrn, hatte sich mit dem Ohr an das Schlüsselloch
-gebeugt und gehorcht, und wie er da drinnen das Hin- und
-Hergehen, das Rasen, das Keuchen und Schnaufen hörte,
-hatte er grinsend mit dem Kopfe genickt: »Siehst du, siehst
-du, siehst du wohl?«</p>
-
-<p>Die ganze Nacht hätte er so stehen können und horchen,
-denn es verursachte ihm ein namenloses Vergnügen, zu hören,
-wie sein Herr da drinnen litt. Das hatte er nun davon,
-der unglückselige, verrückte Mensch, und das geschah ihm recht!
-Ein Glück nur, daß wenigstens ein Vernünftiger noch da
-war, einer, der noch zum Rechten sehen und die verfahrene
-Geschichte wieder herausreißen konnte. Und das war er,
-der alte Johann; und er würde sie wieder herausreißen, ja,
-das würde er! Noch wußte er nicht genau wie, aber fertig
-bringen würde er es, das wußte er, das sagte er sich, indem
-er jetzt über den Flur zu seinem Zimmer zurückging, nicht
-mehr schleichend wie vorhin, sondern hocherhobenen Hauptes.
-Denn ein Stolz erfüllte seine Brust, daß er sich vorkam,
-als wäre er jetzt eigentlich der Herr im Hause, als hätte er
-zu befehlen und kein andrer sonst.</p>
-
-<p>Er konnte sich noch gar nicht entschließen, in seine
-Kammer zurückzukehren; es war ein Gefühl in ihm, als
-müßte er noch irgend etwas thun, etwas vollbringen; ein
-solches Kraftgefühl, daß er am liebsten laut gebrüllt hätte.
-Darum stieg er noch einmal die Treppe hinunter und wandelte
-durch alle Gänge des Hauses, alles im Dunkeln, ohne Licht,
-wozu brauchte er denn Licht? Er fand sich ja auch im
-<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a>
-Dunkeln zurecht in seinem Hause. Sein Haus &ndash; er drückte
-sich mit den Fingern die Lippen zu, damit sein Kichern nicht
-zum lauten Gelächter ward. Als er endlich zu seinem Zimmer
-zurückkehrte und über die Schwelle trat, bückte er sich. Er
-wußte, daß er plötzlich gewachsen war. Ja, ja, es war
-merkwürdig, aber wahr, er war gewachsen, mindestens um
-einen Kopf, darum mußte er sich in acht nehmen, sonst
-wäre er mit dem Kopfe oben an die Thür gestoßen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<hr />
-
-<p>Der Frühling that seine Pflicht. Zu allen Ritzen und
-Löchern des Schlosses Fahrenwald schickte er am nächsten
-Morgen die Sonnenstrahlen hinein, als wollte er dem alten
-Kasten bis in die finstersten Eingeweide hineinleuchten und
-wärmen.</p>
-
-<p>Als der Baron an das Fenster seines Zimmers trat
-und hinunterblickte, sah er, daß andre schon früher aufgestanden
-waren als er. Einen Strohhut auf dem Kopf,
-das Kleid hoch aufgeschürzt, wandelte im Blumengarten
-unten eine Gestalt zwischen den Beeten auf und ab, bald
-rechts sich niederbeugend, bald links, so daß der breitkrämpige
-Hut bedächtig auf und nieder schwankte. Es war seine junge
-Frau.</p>
-
-<p>Die Sonne hatte sie früh am Morgen geweckt und ihr
-keine Ruhe im Bette gelassen.</p>
-
-<p>Als er ihrer ansichtig wurde, war ihm, als sänke die
-Nacht und alles, was in der Nacht gewesen war, wie ein
-Spuk hinter ihm nieder, in eine endlose Tiefe. Ohne sich
-zu besinnen, riß er das Fenster auf und »Anna!« rief er
-laut hinunter.</p>
-
-<p>Als sie seine Stimme vernahm, richtete sie den Kopf
-<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a>
-zu ihm auf, und als sie ihn erblickte, hob sie die Hände an
-den Mund und warf ihm Kußfinger zu. Ihr Antlitz, vom
-gelben Hute umrahmt, strotzend von Fülle und Jugend,
-sah aus wie eine Sonnenblume.</p>
-
-<p>»Komm herunter Eberhard,« rief sie zu ihm hinauf,
-»hier unten ist's wundervoll.«</p>
-
-<p>Wie der Morgenruf der Lerche drang ihre Stimme an
-sein Ohr. Das Leben war ihm wiedergegeben, und da
-unten stand es vor ihm, leibhaftig verkörpert in dem geliebten
-Geschöpf.</p>
-
-<p>Er lehnte sich weit über die Fensterbrüstung hinaus.
-»Gleich komm' ich, gleich,« sagte er; aber während er das
-sagte, blieb er ruhig im Fenster liegen. Er konnte sich nicht
-satt sehen an ihr.</p>
-
-<p>Sie stand und lächelte ihm zu und nickte; er nickte
-zurück. Dann zog sie ihr weißes Taschentuch hervor und
-wie mit einem Fähnchen winkte sie hinauf.</p>
-
-<p>»Komm doch,« rief sie wieder, »komm doch endlich.«</p>
-
-<p>Nun erhob er sich, um sich anzukleiden, und jetzt erst
-spürte er, wie schwer die Nacht ihn angegriffen hatte. Er
-taumelte beinah, und erst das kalte Brunnenwasser, mit dem
-er sich überströmte, brachte ihn wieder zu sich. Als er aber
-in den Garten zu ihr hinunterkam, vergaß er seine Schwäche
-und alle Leiden. Blaß war er freilich, aber das war sie
-ja an ihm gewöhnt; sie hüpfte ihm entgegen; er fing sie in
-seinen Armen auf, und als sie an seinem Herzen lag und
-die Liebe fühlte, die wie ein Strom aus diesem Herzen über
-sie dahinging, vergaß auch sie, daß sie gestern abend in
-Thränen eingeschlafen war.</p>
-
-<p>Der Tag blieb dem Morgen treu, heiter und schön bis
-<a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a>
-zum Ende. Aber weil er so schön war, wurde er für Eberhard
-von Fahrenwald anstrengend. Anna nahm ihn vollständig
-in Beschlag und schleppte ihn vom Morgen bis zum
-Abend im Park umher. Kaum daß sie ihm zu den Mahlzeiten
-Ruhe vergönnte.</p>
-
-<p>Der Park hatte es ihr angethan; sie war geradezu darein
-verliebt. Bisher hatte sie ihn nur im allgemeinen kennen
-gelernt, nun sollte Eberhard ihr alle Winkelchen und Eckchen
-zeigen. Sie war in der Stadt groß geworden; die Natur,
-in die sie zum erstenmal hineinblickte, war für sie wie ein
-Märchenbuch, das man vor den Augen des Kindes aufschlägt.
-Jeder kleinste Vorgang darin war ihr ein Gegenstand des
-Staunens und Bewunderns. Unter jedem Baume, in dem
-eine Nachtigall saß, mußte Eberhard mit ihr stehen bleiben
-und dem Gesange lauschen; wenn ein Buchfink über den Weg
-vor ihnen herhüpfte, hielt sie ihren Begleiter am Arme
-fest, mit ausgestrecktem Finger zeigend: »Sieh doch nur,
-sieh! was für ein reizendes Tierchen!« Sie war vollständig
-zum Kinde geworden; sie brauchte nichts weiter, verlangte
-nichts weiter, sie war glücklich.</p>
-
-<p>Der gestrige Abend mit seiner schwülen Erregung, seiner
-dumpfen Niedergeschlagenheit war in ihr ausgelöscht. Sie
-hatte ja ihren Gatten nicht recht begriffen, allerdings, aber
-sie hatte ja auch durch Erfahrung gelernt, daß man in solchen
-Augenblicken nicht in ihn dringen, ihn nicht fragen durfte;
-also fragte sie nicht.</p>
-
-<p>Eine sinnliche Natur war sie nicht. Es kamen wohl
-Stunden und waren sogar dagewesen, wo ihr Blut heißer
-wurde &ndash; aber für gewöhnlich war ihr das Verlangen der
-Sinne fremd, und es bereitete ihr keine Schwierigkeiten,
-<a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a>
-sich eine Ehe zu denken, in welcher die Eheleute wie zwei
-gute Freunde nebeneinander hergingen.</p>
-
-<p>Und sie begann sich mit der Vorstellung vertraut zu
-machen, daß ihr beiderseitiges Verhältnis fortan in dieser
-Art weitergehen würde.</p>
-
-<p>Ob der Mann, der müden Schrittes hinter ihr drein
-kam, diese Gedanken in ihrer Seele las? Vielleicht.</p>
-
-<p>Er war etwas hinter ihr zurückgeblieben, denn weil er
-ihr zu langsam ging, hatte sie sich von seinem Arme losgerissen.
-Nun sah er sie vor sich dahintrippeln mit hastigen,
-fröhlichen Bewegungen, den grün übersponnenen Laubgang
-entlang, durch dessen Dach die Sonne ihr Licht in verstreuten
-Funken herniederschickte, die junge Gestalt wie mit
-Edelsteinen übersäend.</p>
-
-<p>Wie glücklich sie war! Und wie ihr Glück ihm die
-tiefste Seele erwärmte!</p>
-
-<p>Aber wie harmlos auch, wie sorglos sie war! Wie so
-keine Ahnung sich in ihr regte von dem, was gestern abend
-in ihm vorgegangen war, von all dem Dunklen, Entsetzlichen!</p>
-
-<p>War es nicht gut, daß es also war? Freilich war es
-gut. Aber warum seufzte er trotzdem innerlich auf?</p>
-
-<p>Er fühlte, daß er dieses alles vor ihr verstecken mußte.
-Den einen Menschen, der in ihm war, den gütigen, liebevollen,
-edlen Menschen, den durfte er ihr zeigen, &ndash; den
-andern mußte die Nacht bedecken und das Dunkel, daß sie
-nie in sein Gesicht sah &ndash; denn wenn sie es gesehen hätte&nbsp;&ndash;
-Und also mußte er stark sein und immer stark, und allein
-für sich tragen und schweigen.</p>
-
-<p>Und so, indem er sie vor sich herschlendern sah, im
-<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a>
-Sonnenlichte gebadet, sie selbst wie ein verkörperter Sonnenstrahl,
-kam er sich vor wie das dunkle Gewölk, das hinter
-dem Lichte einherzieht, in dessen Schoß das Ungewitter
-brütet, der Untergang des Lichtes und sein Tod. Wer war
-vorhanden, um das vertrauensvolle Licht davor zu bewahren,
-daß das Ungewitter es verschlang? Nur er selbst. Er selbst
-war ihre Gefahr und sollte ihr Beschützer vor ihm selbst sein.
-Indem er die furchtbare Anforderung empfand, die von
-nun an jede Stunde und Minute, jeder Anblick des ersehnten
-Weibes an seine Selbstbeherrschung stellte, überlief es ihn
-wie ein Grausen.</p>
-
-<p>Würde er Kraft behalten? Immer? Es legte sich schwer
-auf seine Brust, beinahe wie eine Todesangst.</p>
-
-<p>Und dieses Angstgefühl verließ ihn nicht mehr; es wurde
-zu einer bleibenden, körperlichen Beklemmung, und diese Beklemmung
-wuchs, je mehr der Tag sich zum Ende neigte.
-Das Dunkel erschreckte ihn; er fürchtete sich vor der Nacht.
-Als er daher gegen Abend mit seiner Frau ins Schloß
-zurückgekehrt war, ließ er alles, was an Lampen aufzutreiben
-war, anzünden, damit Licht würde, damit er sich das Tageslicht
-einbilden könnte. Denn bei Tage, so schien es ihm,
-hatte der Dämon keine Gewalt über ihn. Nur hatte er
-dabei vergessen, daß in dem Lichte, das jetzt, aus allen
-Spiegeln widerstrahlend, die Gemächer füllte, auch die Gestalt
-des Weibes um so leuchtender hervortreten mußte.
-Und gerade vor ihr fürchtete er sich ja am meisten. Heute,
-im Laufe des Tages, als sie mit ihm den Park durchtändelt
-hatte, war sie ihm wie ein kleines Mädchen, wie ein Kind
-erschienen, dem gegenüber die Sinne schweigen &ndash; jetzt,
-da die Nacht kam, wurde sie wieder zum Weibe. Jede
-<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a>
-Bewegung ihrer Glieder wuchs in seiner Phantasie zu einer
-verstrickenden Umarmung, jedes Rauschen ihres Kleides zu
-einem sinnbethörenden Lockruf.</p>
-
-<p>»Ich ziehe mir meinen Morgenrock an,« hatte Anna
-gesagt, als sie ins Schloß zurückkehrten, und es hatte ihm
-auf der Zunge geschwebt, zu sagen, »thu's nicht!«</p>
-
-<p>Aber er sagte es nicht. Was hätte sie denken müssen?
-Wie hätte sie es verstehen können? Sollte er sagen, daß
-er wahnsinnig sei? Er selbst? Er lächelte.</p>
-
-<p>»Freilich, freilich; wir gehen wohl heute früh zu Bett?
-Du wirst dich müde gelaufen haben?«</p>
-
-<p>Als er zu ihr zurückkam, stand sie vor einem Bilde,
-mit einer Lampe hinaufleuchtend. Der weite Aermel des
-Schlafrocks war zurückgefallen, der volle weiße Arm kam
-bis über den Ellbogen hervor. Alles vergessend, wollte er
-mit einem Sprunge sich über sie stürzen &ndash; da wandte sie
-sich lächelnd um. Ein harmloses, ahnungsloses Kinderlächeln.
-Alles war für den Augenblick vorbei. Ruhig trat
-er zu ihr heran und nahm ihr die Lampe ab.</p>
-
-<p>Heute, nachdem sie zu Abend gespeist hatten, wartete er
-nicht, bis die Uhr auf dem Kamin elf schlug.</p>
-
-<p>»Du bist müde?« fragte er.</p>
-
-<p>Sie nickte ihm mit traumverschleierten Augen zu.</p>
-
-<p>In einem Armstuhl saß sie da, behaglich hintenüber
-gelehnt, die Füße weit ausgestreckt und übereinander gelegt.</p>
-
-<p>»Die Frühlingsluft macht so müde,« sagte sie mit
-dämmernder Stimme, »und es ist so schön, einzuschlafen,
-während man die Nachtigallen singen hört &ndash; horch doch
-nur, wie das klingt &ndash; entzückend.«</p>
-
-<p>Er war an das geöffnete Fenster getreten &ndash; sie hatte
-<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a>
-recht. Wie die Stimme des Frühlings drang der süße Ton
-der Nachtigallen aus dem nachtdunklen Parke herauf. Liebe
-war es, die ihren Gesang erweckte, und es war, als riefen
-sie allen Geschöpfen der Erde zu »liebt euch, jetzt ist die
-Zeit der Liebe«. Und da stand er und durfte nicht lieben.
-Die Qual, die er empfand, war so groß, daß er lange Zeit
-lautlos am offenen Fenster stehen bleiben mußte. Dann
-trat er zu ihr.</p>
-
-<p>»Nun gute Nacht,« sagte er. Er stand über sie gebeugt;
-sie blickte lieblich zu ihm auf.</p>
-
-<p>Plötzlich griff er mit der Hand hinunter und riß ihr
-den einen Schuh vom Fuße.</p>
-
-<p>Sie erschrak beinah.</p>
-
-<p>»Aber Eberhard.«</p>
-
-<p>Sie wollte nach ihrem Schuh greifen, aber er hielt
-ihn fest.</p>
-
-<p>»Ein Andenken,« rief er, »ein Andenken,« er lachte
-dabei laut, beinahe gellend, und dann, indem er den Schuh,
-in dem noch die ganze Wärme ihres Fußes war, an die
-Lippen drückte, schoß er auf die Thür zu und war hinaus.
-Kopfschüttelnd saß Anna und sah ihm nach; dann erhob sie
-sich, und den einen Fuß im Schuh, den andern im Strumpfe,
-wanderte sie in ihr Schlafgemach.</p>
-
-<p>Eine Reihe von Tagen folgte, alle diesem Tage gleich.
-Luft und Himmel voll Sonnenschein, das Laubgezelt des
-Parks immer dichter anschwellend zum grünen, rauschenden
-Wald, von Düften durchflutet, von Vogelstimmen durchtönt,
-und durch die grünende Wildnis dahinwandelnd die rosige
-blühende Frau und der bleiche hohläugige Mann.</p>
-
-<p>Immer größer wurde der Abstand, in dem sie gingen;
-<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a>
-immer weiter flog sie ihm voran, immer müder blieb er
-zurück, und es kam auch schon vor, daß er sich auf eine Bank
-niedersetzte und sie allein auf Entdeckungen ausziehen ließ.</p>
-
-<p>Die schlaflosen Nächte griffen ihn zu furchtbar an.
-Seine Nerven waren des Morgens wie aufgeweicht, um sich
-dann im Laufe des Tages allmählich aufzustraffen, bis daß
-sie am Abende wieder angespannt waren, wie die Saiten
-eines Streichinstrumentes, jeden Augenblick zum Springen
-bereit.</p>
-
-<p>Jeden Abend dann wieder das Aufsteigen des wütenden
-Verlangens und das Niederkämpfen desselben, so daß sein
-Inneres einem Schlachtfelde glich, und jeden Abend die
-Wiederkehr einer Erscheinung, die er sich nicht zu erklären
-vermochte, und die trotzdem vorhanden war, die er empfand,
-mit Grauen empfand:</p>
-
-<p>Jeden Abend, wenn er in sein Zimmer gekommen war,
-hatte er ein Gefühl, als stände etwas hinter ihm, irgend
-etwas, er hätte nicht sagen können, was. Etwas Fürchterliches,
-das unablässig auf ihn hinblickte, mit grünen Augen,
-mit einem wartenden Blick. So deutlich empfand er die
-Anwesenheit dieses schrecklichen, unsichtbaren Etwas, daß ihm
-manchmal geradezu war, als hörte er ein leises, keuchendes
-Atemholen, so daß er die Lampe aufnahm und Winkel und
-Ecken seiner Zimmer durchstöberte, bis daß er die Lampe
-wieder niedersetzte und sich sagte, daß niemand da war und
-nichts, daß alles nur in ihm selbst war, ein Spukgebilde
-seiner Seele, der Wahnsinn, der Wahnsinn.</p>
-
-<p>Eines freilich sah er bei diesen Gelegenheiten nicht:
-wenn er mit der Lampe in der Hand durch seine Zimmer
-stöberte und der Thür nahe kam, die zum Flur ging, dann
-<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a>
-sah er nicht, wie sich draußen an der Thür eine hagere
-Gestalt aufrichtete, die bis dahin lauernd zum Schlüsselloch
-gebeugt, mit leise keuchendem Atemholen gestanden hatte und
-nun, wenn sie seine Schritte nahen hörte, über den Flur
-hinweg huschte und sich in den Schatten des großen Schrankes
-drückte, der an der Wand des Flurs, neben der Thür stand.</p>
-
-<p>Anna hatte in den letzten Tagen sein übles Aussehen
-bemerkt und ihn zärtlich besorgt gefragt, ob ihm etwas fehle.
-Aber er hatte hastig und entschieden verneint, »Gar nichts
-fehlte ihm, er war vollkommen wohl!« Und um sie zu beruhigen,
-hatte er sogleich einen weiten Spaziergang mit ihr
-durch den Park gemacht.</p>
-
-<p>Mit aller Gewalt hatte er sich zusammengenommen
-und zusammengerafft; liebenswürdig und freundlich war er
-gewesen, wie nur je zuvor.</p>
-
-<p>»Daß nur sie nichts merkte! Um Gottes willen, nur
-nicht sie!«</p>
-
-<p>Aber diese letzte gewaltsame Anspannung gab ihm
-den Rest.</p>
-
-<p>Da er sich heute, seiner Versicherung nach, so wohl
-fühlte, hatte Anna ihn wieder durch den ganzen Park mit
-sich genommen, herauf und herab, die Kreuz und die Quer.
-Mehrere Vogelnester hatte sie entdeckt, die noch im Bau
-begriffen waren, und das Treiben der Vögel dabei war
-doch zu reizend, jedes einzelne mußte sie ihm zeigen. Und
-nachdem das erledigt war, hatte er ihr dahin folgen müssen,
-wo sie ihren Gemüsegarten anzulegen gedachte; sie hatte ihm
-die einzelnen Felder schon gezeigt, wo Salat gebaut werden
-sollte, und Bohnen, Rüben und Tomaten, und was es
-alles gab.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a>
-Am Abend war sie daher schläfrig geworden wie ein
-Kind, das sich tagsüber müde gespielt hat.</p>
-
-<p>»Heute werde ich aber gehörig schlafen,« sagte sie, als
-sie sich erhob, um ihm gute Nacht zu wünschen.</p>
-
-<p>Er war heut so besonders liebenswürdig gewesen, dafür
-war sie ihm Dank schuldig. Zärtlich hing sie sich um seinen
-Hals, um ihn zu küssen. Wie es jetzt in seiner Gewohnheit
-lag, richtete er den Oberleib steif auf, als wollte er
-ihren Lippen ausweichen, aber sie hatte es sich in den Kopf
-gesetzt, heute sollte er einmal seinen Kuß bekommen. Lachend
-versuchte sie, mit ihrem Munde an den seinen zu gelangen,
-und weil ihre Körperlänge dazu nicht ausreichte, stieg sie
-mit den Füßen auf seine Füße. Indem sie sich auf den
-Spitzen erhob, reichte sie ihm bis an den Mund, und nun
-erhielt er einen langen, warmen, liebevollen Kuß.</p>
-
-<p>Ihre Lippen lagen auf den seinen, ihr junger Leib
-drängte sich an ihn, auf seinen Füßen empfand er ihre
-warmen weichen Füßchen.</p>
-
-<p>In dem Augenblick war ihm zu Mute, als risse etwas
-in ihm, beinah, als spränge eine Saite, so daß er das
-Nachsummen des Schlags in seinen Ohren zu vernehmen
-meinte.</p>
-
-<p>Er schob sie von sich.</p>
-
-<p>»Gehst du jetzt zu Bett?« fragte er; der Ton seiner
-Stimme war lallend.</p>
-
-<p>»Freilich geh' ich zu Bett.«</p>
-
-<p>An der Thür des Schlafzimmers blieb sie noch einmal
-stehen und warf ihm, traumselig nickend, Kußfinger zu.</p>
-
-<p>Kaum daß sie dann ihr Lager erreicht hatte, war sie
-schon eingeschlafen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a>
-Einige Zeit später, sie hätte kaum sagen können, ob
-Stunden oder nur Minuten, wurde sie durch ein Geräusch
-geweckt, und als sie blinzelnd die verschlafenen Augen öffnete,
-bemerkte sie, daß ein Lichtschein im Zimmer war. Wie kam
-das? Sie hatte doch vor dem Einschlafen alles Licht gelöscht?</p>
-
-<p>Indem sie sich allmählich ermunterte, sah sie, daß das
-Licht von der Thür herkam, und durch den blauseidenen
-Bettvorhang hindurch gewahrte sie eine dunkle Gestalt, die
-in der Thür stand. Genau zu erkennen vermochte sie nicht,
-wer es war.</p>
-
-<p>»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.</p>
-
-<p>Es erfolgte keine Antwort. Die Gestalt rührte sich
-nicht. Sie richtete sich auf den Ellenbogen auf.</p>
-
-<p>»Eberhard, bist du's?« fragte sie noch einmal.</p>
-
-<p>Jetzt kam die Gestalt mit einem Schritt heran, bis an
-das Fußende ihres Bettes, schlug den Vorhang zurück &ndash;
-ein Licht in Händen, stand ihr Gatte vor ihr, Eberhard von
-Fahrenwald.</p>
-
-<p>Er gab keinen Laut von sich, seine Augen ruhten auf
-ihr, mit stierendem, beinahe gläsernem Blick.</p>
-
-<p>Sie wußte nicht, was sie denken sollte, verwirrt schaute
-sie ihn an. Dann streckte sie den Arm nach ihm aus.</p>
-
-<p>»Aber Eberhard &ndash; was machst du denn?«</p>
-
-<p>In dem Augenblick hatte er das Licht auf den Nachttisch
-gesetzt und ihren Arm mit beiden Händen ergriffen.
-Als wäre ihr Arm in einen Schraubstock gespannt &ndash; so
-war es. Es wurde ihr unheimlich.</p>
-
-<p>»Aber &ndash; so sprich doch nur ein Wort,« bat sie leise.</p>
-
-<p>Er sprach nicht; es war, als hörte er sie überhaupt
-nicht. Plötzlich ließ er ihren Arm fahren, griff sie mit
-<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a>
-beiden Händen an den Schultern und drückte sie in die Kissen
-zurück. Sie lag wie gefesselt unter seinen Händen, unfähig
-sich zu bewegen; ihre Augen blickten angstvoll in sein Gesicht
-empor, das mit steinernem, rätselhaftem Ausdruck über sie
-gebeugt war.</p>
-
-<p>»Was thust du denn?« stammelte sie; dabei warf sie
-die Schultern hin und her und versuchte, sich seinem Griffe
-zu entwinden.</p>
-
-<p>Als er die windenden Bewegungen ihres Körpers fühlte,
-bog er plötzlich den Oberleib zurück, richtete sich auf, sein
-Anblick wurde wie der eines wilden Tieres, das sich zum
-Sprunge auf die Beute anschickt.</p>
-
-<p>Von Todesangst gepackt, fuhr sie auf und aus dem
-Bette. Keuchend stand sie, zu ihm hinüberblickend, der auf der
-andern Seite des Bettes stand. In das Zimmer ihrer Jungfer
-zu gelangen, vermochte sie nicht, weil er zwischen Bett und
-Thür war.</p>
-
-<p>Als er jetzt aber eine Bewegung machte, als wollte er
-auf sie zu, stieß sie einen gellenden Schrei aus, und so wie
-sie war, mit nackten Füßen, nur im Hemd, rannte sie durch
-die Thür, durch die er gekommen und die hinter ihm offen
-geblieben war, in ihr Wohnzimmer. Halb sinnlos vor Angst
-drückte sie sich hinter dem Ruhebett nieder, das an der gegenüberliegenden
-Wand stand. Ein Augenblick verging &ndash; dann
-erschien der Verfolger auf der Schwelle, das Licht haltend,
-mit dem Lichte nach ihr suchend.</p>
-
-<p>Jetzt hatte er sie entdeckt &ndash; und wieder sprang sie auf
-und flüchtete weiter, in das nächste Zimmer. Hinter ihr
-kam er her, mit langen Sprüngen. Aus dem zweiten Zimmer
-ging es in das dritte, in das vierte und weiter, immer
-<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a>
-weiter, durch alle Zimmer hindurch, die Galerie entlang,
-bis daß sie endlich im Bibliotheksaale, am Ende der Zimmerflucht
-angelangt war und sich bewußt wurde, daß es nun
-nicht weiter ging, daß sie gefangen war, verloren war. &ndash;
-Mitten im Saale, die entsetzten Augen auf ihn gerichtet,
-blieb sie stehen, beide Arme reckte sie in die Höhe, &ndash; ein
-verzweifeltes Geschrei &ndash; und jählings, mit schwerem Fall
-schlug sie auf den Fußboden nieder, ohnmächtig, wie eine
-Leiche anzusehen.</p>
-
-<p>Als dies geschah, als er den Schrei vernahm und die
-weiße Gestalt zusammenbrechen sah, blieb der Mann stehen
-und sah sich einen Augenblick wie verwundert um. Es sah
-aus, als müßte er seine Erinnerung sammeln. Dann kam
-er, das Licht hoch haltend, mit vorsichtigen Schritten da
-heran, wo das da am Boden lag, das Weiße. Er senkte
-das Licht und leuchtete über die regungslose Gestalt hin,
-richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück. Er
-setzte das Licht auf den Tisch, und auf die Tischplatte niederstarrend,
-fing er wieder an, sich zu besinnen, nachzudenken,
-nachzudenken. Dann erhob er die Augen, richtete sie dumpf
-brütend den Fenstern zu, hinter denen die schwarze Nacht
-hing, und nun war es, als käme aus weiter Ferne der
-Nacht ein Licht heran, ganz fern erst, ganz klein, aber näher
-kommend, immer näher, bis daß es sein Gesicht erreicht
-hatte, bis daß es in seine Augen gestiegen war. Und nun
-begannen die Augen, die bis dahin gläsern gestiert hatten,
-wieder zu sehen, die Züge des verwandelten Gesichts wandelten
-sich wieder zurück, und nun war es wieder Eberhard
-von Fahrenwald, der dort am Tische stand.</p>
-
-<p>Mit einem Ruck, daß die Gelenke in seinem Leibe
-<a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a>
-krachten, richtete er sich plötzlich in die Höhe, ergriff noch
-einmal das Licht und trat heran &ndash; im nämlichen Augenblick
-aber flog er rückwärts, als wenn ein Stoß ihn zurückgeworfen
-hätte. Auf dem glatten Parkett des Fußbodens
-schlug er der Länge lang hin, mit dem Gesicht am Boden,
-beide Hände in den Mund stopfend, mit den Zähnen in die
-Hände beißend, daß das Blut herabtroff. Ein gurgelndes
-Röcheln, ein ersticktes Heulen wühlte sich aus ihm heraus
-und in den Fußboden hinein; dann kroch er bis zu dem
-nächsten Stuhle, arbeitete sich mühselig an dem Stuhle auf,
-bis daß er auf den Füßen stand, und nun, wie ein Mensch,
-der nicht mehr gehen kann, dem das Rückgrat gebrochen ist,
-schleppte er sich, die Augen immerfort auf die Gestalt am
-Boden dort gerichtet, bis an die Thür, die aus dem Bibliotheksaale
-auf den Flur führte. An der Thürklinke hielt er sich
-mit beiden Händen aufrecht, das Haar klebte ihm im Gesicht,
-eine dicke Feuchtigkeit &ndash; war es Schweiß, war es
-Blut, waren es Thränen &ndash; rieselte ihm vom Gesicht; es
-war, als wenn er weinen wollte, aber er vermochte es
-nicht &ndash; als wenn er etwas sagen wollte, aber er vermochte es
-nicht &ndash; nur ein Aechzen wurde vernehmbar: »Anna &ndash; Anna
-&ndash; Anna« und diesen Namen wiederholend und fortwährend,
-sinnlos wiederholend, schob er sich zur Thür hinaus. Sobald
-er aber die Thür hinter sich hatte, fühlte er sich von
-einem eisernen Arm umschlungen und aufrecht gehalten. Der
-Mann war da, der ihn als Kind auf den Armen getragen
-hatte, und dem er nun wieder gehörte, der alte Johann.</p>
-
-<p>»Kommen Sie nur, gnädiger Herr,« sagte er mit starker,
-harter Stimme, »kommen Sie nur und lassen Sie mich
-machen. Jetzt wird sich alles wieder geben.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a>
-Er führte den gebrochenen Mann, der hülflos, willenlos
-in seinem Arme schwankte, die Treppe hinauf, in sein
-Zimmer; er brachte ihn zu Bett, wie ein Kind; er deckte
-ihn zu.</p>
-
-<p>»Nun schlafen Sie,« sagte er laut, beinah befehlend;
-dann sah er sich noch einmal in den Zimmern um: kein
-Messer da? Keine Schere? Kein Werkzeug irgend welcher
-Art? Nichts. Er rieb sich die Hände; so stolz war er! so
-vergnügt! An den Fenstern machte er sich noch zu schaffen, und
-es dauerte ziemlich lange, bis er damit fertig war; er hatte
-einen Schraubenbohrer in der Tasche und Schrauben; sämtliche
-Fenster in den Zimmern des Barons schraubte er zu
-&ndash; für alle Fälle &ndash; man konnte ja nicht wissen. &ndash; Dann
-riegelte er die Räume seines Herrn von außen ab und nun
-war er fertig, nun hatte er ihn da drin, nun hatte er ihn
-sicher. Als er auf dem Flur draußen stand, reckte er sich
-lang auf. »Ah« &ndash; sagte er laut vor sich hin und jetzt
-brauchte er sich ja keinen Zwang mehr anzuthun, jetzt konnte
-er lachen und er lachte, laut, immer lauter, zuletzt brüllend.
-Mit den flachen Händen schlug er sich auf die Lenden; »wer
-hatte nun recht behalten?«</p>
-
-<p>Vom Augenblick an, als der Baron in der Nacht sein
-Zimmer verlassen hatte und hinuntergegangen war, hatte
-er ja alles mit angehört.</p>
-
-<p>»Jetzt kommt's,« hatte er sich gesagt, indem er im Dunkel
-hinter ihm hergeschlichen war. Dann hatte er den Ruf in
-Annas Schlafgemach vernommen, das Jagen und Laufen
-durch die Zimmer, endlich den letzten Schrei und das Fallen
-des Körpers im Bibliotheksaale.</p>
-
-<p>»Jetzt hat er sie totgeschlagen,« hatte er sich gesagt,
-<a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a>
-und er hatte an sich halten müssen, um nicht schon da lachend
-herauszuplatzen. In dem Augenblick war er ja noch Diener
-gewesen, da hätte es sich nicht geschickt.</p>
-
-<p>Aber jetzt &ndash; jetzt blieb nur noch zu thun, daß er sich
-danach umsah, wo der Leichnam lag. Zu dem Zwecke ging
-er jetzt nach dem Bibliotheksaal.</p>
-
-<p>Einen dicken Stock trug er in der einen, eine brennende
-Laterne in der andern Hand. Warum er den Stock
-mitnahm? Er hatte so ein Gefühl, als könnte sich möglicherweise
-eine Gelegenheit bieten, &ndash; er wünschte sich eine
-Gelegenheit &ndash; er hatte so ein Bedürfnis, auf irgend etwas
-loszuhauen, irgend etwas zu zerschmettern, irgend etwas, am
-liebsten aber menschliche Glieder und einen menschlichen
-Körper. Er hieb mit dem Stock auf das Treppengeländer,
-daß es krachte. Ah &ndash; wie ihm das wohl that! Wenn »sie«
-so vor ihm gelegen hätte! Wenn er so auf »sie« hätte
-loshauen können, daß ihre Glieder unter seinen Streichen
-zerflogen wären wie Glas! Aber der Baron hatte ihm ja
-schon vorgearbeitet. Jetzt war er nur noch neugierig zu
-sehen, wie er es gemacht haben, wie er »sie« zugerichtet
-haben würde. Mit der lüsternen Begier der blutdürstigen
-Natur, die dem Anblick von irgend etwas Gräßlichem entgegengeht,
-trat er in den Bibliotheksaal ein, sah sich um &ndash; und
-blieb enttäuscht stehen. Der Saal war ja leer?</p>
-
-<p>Die Jungfer, die Thür an Thür mit ihrer Gebieterin
-schlief, war von dem dumpfen Rumoren in Annas Schlafzimmer
-aufgewacht. Anfangs nur halb ermuntert, war sie
-ganz wach geworden, als sie den gellenden Schrei nebenan
-vernahm.</p>
-
-<p>Rasch war sie aufgestanden, hatte Licht angezündet und
-<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a>
-war eingetreten. Nun sah sie Annas zerstörtes Bett, von
-dem die Decken heruntergeworfen waren, in dem die Kissen
-wüst und wild durcheinander lagen. Sie sah die Thür zum
-Nebenzimmer offen, und in dem Augenblick vernahm sie
-von drüben, aus der Ferne, Annas verzweifelten Schrei.
-Im ersten Augenblick hatte sie in ihr Zimmer zurücklaufen
-und den Kopf unter die Bettdecke stecken wollen. Aber
-dann hatte sie sich gesagt, daß das nicht recht wäre, daß
-der Frau Baronin etwas zugestoßen sein müßte, der armen
-jungen Frau Baronin, die so gut zu ihr war, von der sie
-nie ein böses Wort zu hören bekam, und daß es ihre Pflicht
-sei, zuzusehen, was geschehen war. Darum hatte sie sich
-rasch in die notdürftigste Kleidung gesteckt, und zitternd, mit
-schlotternden Gliedern, war sie die Zimmerflucht entlang bis
-nach dem Bibliotheksaale gegangen.</p>
-
-<p>Wie sah es hier aus! Ein Leuchter lag am Fußboden;
-das Licht war nicht erloschen, die Flamme hatte schon angefangen,
-ein glimmendes Loch in das Parkett zu brennen,
-und einige Schritte weiter war noch etwas, etwas lang Hingestrecktes,
-Weißes, das sich jetzt stöhnend zu regen begann,
-die junge Frau Baronin, die nur mit dem Hemde bedeckt,
-mit aufgelöstem Haare ohnmächtig am Boden lag.</p>
-
-<p>Bei dem Anblick brachen dem Mädchen die Thränen
-aus den Augen. Sie hob das schwälende Licht auf, kniete
-zu ihrer Gebieterin nieder und nahm ihren Kopf in ihren
-Schooß.</p>
-
-<p>»Gnädige Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin,
-Frau Baronin!«</p>
-
-<p>Anna schlug die Augen auf, und als sie die Jungfer
-erkannte, klammerte sie sich um ihren Hals.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a>
-»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«</p>
-
-<p>Das Mädchen riß den Mantel ab, den sie um die
-Schultern geworfen hatte, und verhüllte damit die schutzlosen
-Glieder ihrer Gebieterin, dann umfaßte sie sie unter den
-Achseln und half ihr aufstehen. Aengstlich aneinandergeschmiegt
-wanderten die beiden Frauen nach Annas Schlafgemach
-zurück.</p>
-
-<p>Hier sank Anna auf einen Stuhl, wie in Betäubung
-vor sich niederstarrend. Das Mädchen holte ihre Kleidungsstücke
-heran und begann sie anzuziehen; eine Ahnung sagte
-ihr, daß man sich auf weiteres gefaßt zu machen hatte und
-daß man sich rüsten müsse. Anna ließ sie schweigend gewähren.</p>
-
-<p>»Wo ist denn mein Mann?« fragte sie nach einiger Zeit.</p>
-
-<p>»Der Herr Baron? Ich weiß nicht,« versetzte das Mädchen.
-»Soll ich einmal nach ihm seh'n?«</p>
-
-<p>»Ja, ja,« sagte Anna.</p>
-
-<p>Das Mädchen schlüpfte hinaus, auf den Flur, die
-Treppe zum oberen Stockwerk hinauf. Sie kam gerade zurecht,
-um zu sehen, wie der alte Johann die Thür des Barons
-von außen verriegelte, wie er dann in sein Zimmer ging
-und mit der Laterne in der einen, dem Stock in der andern
-Hand wieder herauskam; unhörbar glitt sie die Treppe hinab,
-dann kam sie zu Anna zurückgelaufen.</p>
-
-<p>»Gnädige Frau Baronin &ndash; eben hab' ich's geseh'n &ndash;
-der Johann hat den gnädigen Herrn eingesperrt &ndash; und ich
-glaube jetzt kommt der Johann herunter &ndash; und einen dicken
-Stock hat er mit sich &ndash; und er sieht aus, wie ich's gar
-nicht sagen kann &ndash; gar so fürchterlich &ndash; o Herr Jeses ne,
-Herr Jeses ne!«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a>
-Sie war ganz außer sich, ihr Atem flog, zu Annas
-Füßen niedergekauert, umschlang sie sie mit den Armen.
-Hülflos, ratlos drückten sich die beiden Frauen aneinander.</p>
-
-<p>Nach einiger Zeit vernahmen sie ein dumpfes Geräusch;
-schwere Schritte stampften vom Bibliotheksaale heran. Dazwischen
-hörten sie eine Stimme; es sprach jemand ganz laut.</p>
-
-<p>Das Mädchen beugte lauschend den Kopf vor.</p>
-
-<p>»Das ist der Johann,« flüsterte sie.</p>
-
-<p>Anna saß, wie in Eis gebadet.</p>
-
-<p>»Mit wem spricht er denn nur?«</p>
-
-<p>Das Mädchen zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.</p>
-
-<p>Jetzt konnte man schon einzelnes von dem verstehen,
-was er sagte: »Aber tot muß sie sein! Muß sie sein!
-Lebendig aus'm Haus lass' ich sie nicht! Lass' ich sie nicht!«</p>
-
-<p>Dann plötzlich blieb er stehen, und im nächsten Augenblick
-gab es einen fürchterlichen Krach; mit dem dicken Knotenstock
-hatte er in einen der hohen Spiegel hineingehauen, die
-vorn in den Zimmern hingen.</p>
-
-<p>»Siehste du!« kreischte er, und während das klirrende
-Glas zu Boden rauschte, stieß er ein Gelächter aus, daß
-den beiden Frauen die Haare zu Berge stiegen.</p>
-
-<p>Weiter gingen die Schritte, Stühle flogen beiseite,
-Tische schmetterten zu Boden, wie wenn ein Ungeheuer durch
-die Zimmer stapfte und alles hinwegschleuderte, was ihm in
-den Weg kam. Im nächsten Zimmer war wieder ein Spiegel
-zwischen den Fenstern &ndash; klirr &ndash; ging der Knüppel hinein
-und &ndash; klirr &ndash; kam das splitternde Glas herunter. Wieder
-kam das »siehste du!« wieder das gellende Lachen und das
-wahnwitzige Schwatzen: »Tot muß sie sein! tot muß sie sein!
-muß sie sein!«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a>
-Jetzt war kein Zweifel mehr, auf das Schlafzimmer
-kam er zu.</p>
-
-<p>»Frau Baronin!« sagte das Mädchen, indem es, kreideweiß
-im Gesicht, auf die Füße sprang.</p>
-
-<p>Anna saß wie leblos.</p>
-
-<p>»Frau Baronin!« sie schüttelte sie an den Schultern,
-»um Jesus und aller Heiligen willen, kommen Sie fort!«</p>
-
-<p>Mit einem Griff packte sie Anna um den Leib, riß sie
-vom Stuhle auf und zog sie aus dem Schlafzimmer in ihre
-nebenanstoßende Kammer, deren Thür sie hastig von innen
-verriegelte.</p>
-
-<p>Es war höchste Zeit gewesen.</p>
-
-<p>Im Augenblick, als sie sich hinter die Thür gebracht
-hatten, erdröhnten die Schritte in Annas Wohnzimmer, und
-im nächsten Augenblicke erschien auf der Schwelle des Schlafgemachs
-eine grauenvolle Gestalt, die Gestalt eines Wahnsinnigen,
-Tobsüchtigen, des alten Johann.</p>
-
-<p>In der Linken hielt er die Laterne hoch, dann hörten
-die Frauen, die sich draußen zähneklappernd an die Thür
-drängten, seine Stimme, die jetzt pfeifend, in schneidenden
-Fisteltönen herauskam: »Siehste du, Kurnallje! Itze
-hab' ich dich!«</p>
-
-<p>Dann ein Sausen durch die Luft und ein schwerer
-schmetternder Streich; sein Stock hatte mit aller Gewalt in
-Annas Bett hineingeschlagen. Die gepolsterte Rolle die
-unter Annas Kopfkissen gelegen hatte, war während des
-Kampfes verschoben worden und lag jetzt mitten im Bett.
-Die längliche runde Gestalt des Polsters täuschte seinen
-wahnsinnumnachteten Sinnen vor, daß die junge Frau
-selber vor ihm läge; auf sie hatte er eingehauen.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a>
-Ein wütendes Lachen folgte dem Streiche.</p>
-
-<p>»Hat's gut gethan? Hat's gut gethan?«</p>
-
-<p>Dann wurde seine Stimme undeutlich und verworren,
-als hätte er einen Brei im Munde, den er nicht mehr zu
-Worten zu zerkauen vermochte, wie die Stimme eines bösen
-Hundes, den die Wut so übermannt hat, daß er nicht mehr
-bellen kann.</p>
-
-<p>»Noch leben willst de? Noch mucken willst de? Tot
-mußt de sein! Tot mußt de sein! mußt de sein!«</p>
-
-<p>Und »krach«, »krach« und »krach« wie eine schaudervolle
-Begleitung zu den schaudervollen Worten schmetterte der
-Stock wieder, wieder und wieder in das Bett hinein.</p>
-
-<p>Nun schien er befriedigt.</p>
-
-<p>Ein langgezogenes »so &ndash; siehste itze war's recht«,
-dann noch ein wortloses unverständliches Wühlen und Rumoren,
-und dann vernahmen die Frauen, wie er stampfenden
-Schrittes, so wie er gekommen war, das Schlafzimmer
-wieder verließ.</p>
-
-<p>Was that er jetzt? Wo ging er hin? Den Finger auf
-den Mund gelegt, bedeutete das Mädchen Anna, daß sie
-sich ruhig verhalten, daß sie zurückbleiben sollte, dann öffnete
-sie leise, leise, die Thür, streifte die Schuhe ab und schlich
-barfuß dem Alten im Dunkel nach. Nach längerer Zeit erst
-kam sie zurück.</p>
-
-<p>»Frau Baronin,« sagte sie, »Frau Baronin, kommen Sie
-schnell, seh'n Sie, was er jetzt angibt.«</p>
-
-<p>Sie warf Anna einen Mantel um, dann ergriff sie sie
-an der Hand und riß sie durch die dunklen Räume des
-Schlosses, über eine Hintertreppe in den Garten hinunter.</p>
-
-<p>In einiger Entfernung vor ihnen schritt der Alte, die
-<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a>
-Laterne in der einen, statt des Stocks jetzt einen Spaten
-in der andern Hand. Im linken Arme trug er die weiße
-Kopfrolle aus Annas Bett, die infolge seiner Streiche mitten
-durchgeknickt war und in zwei bammelnden Enden über
-seinen Arm hing.</p>
-
-<p>»Er glaubt, das sind Frau Baronin, die er da trägt,«
-stammelte das Mädchen Anna ins Ohr.</p>
-
-<p>Anna blickte starr.</p>
-
-<p>Das Mädchen zog sie am Arme und bedeutete sie,
-weiterzugehen; »aber leise,« mahnte sie, »leise!«</p>
-
-<p>Mit angehaltenem Atem schlichen sie hinter dem Alten
-her, so weit entfernt, daß sie seine von der Laterne beleuchtete
-Gestalt gerade noch zu erkennen vermochten.</p>
-
-<p>Jetzt sahen sie, wie er vom Wege in das Gebüsch abbog,
-und nachdem er sich einige Schritte weit hineingearbeitet
-hatte, blieb er stehen. An der Stelle, wo er sich befand,
-war eine kleine Lichtung im Dickicht, einige Fuß im Geviert.
-Er hing die Laterne an einen Ast, warf das Polster
-zur Erde, spuckte sich in die Hände und mit einem »nu jetzt
-aber 'mal« stieß er den Spaten in die Erde und fing an,
-eine Grube auszuwerfen.</p>
-
-<p>Die beiden Frauen hatten sich bis an den äußeren
-Rand des Gebüsches herangemacht; sie verfolgten jede seiner
-Bewegungen.</p>
-
-<p>Er arbeitete mit grimmiger Verbissenheit; ein dumpfes
-Grunzen begleitete jeden Spatenwurf. Dann richtete er sich
-auf, so daß das Licht der Laterne sich in seinen blutunterlaufenen,
-gräßlichen Augen spiegelte. Er raffte das Polster
-vom Erdboden auf, hob es mit beiden Armen empor und
-dann mit aller Gewalt schleuderte er es in das gähnende
-<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a>
-schwarze Loch, so daß man den dumpfen Puff vernahm, mit
-dem es unten aufschlug.</p>
-
-<p>Er stierte in die Grube hinunter.</p>
-
-<p>»Da gehste nein,« sagte er, »da bleibste und kommst
-all dein Lebtag nicht wieder heraus!«</p>
-
-<p>Dann griff er wieder zum Spaten und schaufelte das Loch zu.</p>
-
-<p>»Frau Baronin, kommen Sie fort,« flüsterte das Mädchen.
-Der Alte hatte sein Werk vollbracht, gleich würde
-er jetzt zurückkommen, auf die Stelle zu, wo die beiden
-standen. Sie wichen einige Schritte in dem dunklen Laubgang
-zurück. Durch das Dickicht brach er sich hindurch und
-an ihnen vorbei trottete er nach dem Schloß zurück.</p>
-
-<p>»Jetzt meint er, hat er Frau Baronin begraben,« sagte
-das Mädchen.</p>
-
-<p>Anna konnte nichts erwidern.</p>
-
-<p>Die gutgemeinte aber plumpe Art, mit der ihre Begleiterin
-ihr all das Schreckliche, was sie erlebte und sah,
-noch einmal wiederholte, steigerte die Entsetzensqual, die auf
-ihr lastete, bis zum Unerträglichen; der Atem versagte ihr,
-sie schluckte, schluckte und schluckte noch einmal, dann taumelte
-sie und wäre ohnmächtig zur Erde gefallen, wenn sie nicht
-mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gesunken wäre,
-und wenn nicht das Mädchen mit beiden Händen zugegriffen
-und sie aufrecht gehalten hätte.</p>
-
-<p>Erst allmählich hob sich der Druck, der ihr wie ein
-eiserner Reif die Brust umspannte. Endlich vermochte sie
-tief Atem zu holen, und nun brach sie in einen endlosen
-Thränenstrom aus.</p>
-
-<p>»Was soll ich jetzt machen?« schluchzte sie, »ins Schloß
-kann ich doch nicht mehr zurück!«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a>
-Vom Jammer überwältigt, kniete das Mädchen vor ihr
-nieder und umfing sie mit den Armen.</p>
-
-<p>»Frau Baronin,« sagte sie flehend, »liebe, gutte, gnädige
-Frau Baronin, weinen Se och nich so! Gott is gutt, Gott
-wird Sie nicht verlassen! Ins Schloß dürfen Frau Baronin
-nicht zurück, das is ja klar; also will ich Frau Baronin
-etwas sagen: Frau Baronin gehen mit mir, zu meinen
-Eltern ins Dorf« &ndash; in ihrer Erregung hatte sie all ihr
-Hochdeutsch vergessen und war wieder ganz das schlesische
-Landmädchen geworden&nbsp;&ndash;, »meine Eltern haben halt nur
-a paar kleene Stiebchen, aber 's sind gutte Leite, gutte Leite!
-Frau Baronin können ganz gutt a paar Tage bei ihnen
-wohnen. A Bett für Frau Baronin find't sich schon und
-a Brinkel zum essen auch, und murne is wieder a Tag, und
-da werden wir schon weiter seh'n, schon weiter seh'n.«</p>
-
-<p>Mit diesen Worten hatte sie Anna unter den Arm gefaßt
-und führte sie, die willenlos alles mit sich geschehen
-ließ, durch den Park auf das freie Feld hinaus und dann
-im weiten Bogen in das Dorf, zum Hause ihrer Eltern,
-wo sie in tiefer nächtlicher Stunde an die Fensterläden klopfte
-und die alten Leute aus dem Schlaf pochte.</p>
-
-<p>Eine halbe Stunde später lag Anna im Bette der
-alten Tagelöhnersfrau, während diese und ihr Mann sich
-mit ihrer Tochter, der Franzel, nebenan in die Küche setzten
-und mit offenem Mund und Augen die fürchterlichen
-Dinge anhörten, die sich droben auf dem Schlosse begeben
-hatten.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Am nächsten Morgen saß Eberhard von Fahrenwald
-oben in seinem Zimmer, in einen Armstuhl geschmiegt, die
-<a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a>
-Kniee mit einer wollenen Decke umhüllt, müde, gebrochen,
-wie ein plötzlich alt gewordener Mann.</p>
-
-<p>Die Thür that sich auf, und der alte Johann erschien,
-eine Platte in Händen, auf der er ein Frühstück trug. Er
-setzte sie auf den Tisch neben seinen Herrn.</p>
-
-<p>»Frühstücken Herr Baron jetzt!« befahl er.</p>
-
-<p>Seine ehemalige demütige Haltung war nicht mehr; er
-stand neben seinem einstigen Herrn wie ein Aufseher bei
-einem Gefangenen.</p>
-
-<p>Der Baron senkte die Augen, es sah aus, als fürchtete
-er sich vor seinem Diener.</p>
-
-<p>»Frühstücken Sie,« gebot dieser noch einmal, und während
-Eberhard von Fahrenwald einige Bissen zum Munde zu
-führen versuchte, ging er, die Hände in den Hosentaschen,
-in den Zimmern auf und ab, die Fenster und Thüren untersuchend.
-Dann kam er zurück, um das Frühstück wieder abzuräumen.</p>
-
-<p>Eberhard sah mit scheuen Blicken an ihm vorbei. Seine
-Hände zupften an der wollenen Decke; man merkte ihm an,
-daß eine Frage auf seiner Seele lag, die sich nicht über die
-Lippen getraute. Endlich kam sie heraus: »Wo &ndash; ist
-denn &ndash; meine Frau?«</p>
-
-<p>Der Alte zuckte die Achseln, als verlohnte es sich nicht,
-auf solche Frage überhaupt zu antworten, und ging auf die
-Thür zu.</p>
-
-<p>»Wo ist meine Frau?« wiederholte Eberhard mit heiserer
-Stimme.</p>
-
-<p>Jetzt drehte der Alte die Augen zu ihm herum, die
-giftigen Augen.</p>
-
-<p>»Denken Herr Baron denn immer noch daran? Wäre
-<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a>
-abgethan, die Geschichte, hätt' ich gemeint. Wär' schon am
-besten, Herr Baron fingen an, an andres zu denken.«</p>
-
-<p>Eberhard ruckte und zuckte in seinem Stuhl; es sah
-aus, als ob er aufstehen wollte, aber der gefährliche Blick
-des Alten hielt ihn am Platze fest.</p>
-
-<p>Beide sahen sich eine Zeitlang stumm in die Augen.
-Dann traten Schweißtropfen auf die Stirn des Barons;
-erst nur vereinzelt, dann immer mehr, immer dicker, so daß
-ihm der Schweiß plötzlich über das Gesicht zu laufen begann.
-Er wollte sprechen, aber es sah aus, als wären seine
-Kinnladen verrenkt.</p>
-
-<p>»Aber &ndash; sie ist nicht&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Er kam mit der Frage nicht zu Ende.</p>
-
-<p>»Ja, versteht sich!« fiel ihm der Alte mit wüster Brutalität
-ins Wort. »Was soll sie denn sonst auch sein? Da
-können Herr Baron warten, eh' die wiederkommt!«</p>
-
-<p>Eberhard stierte ihn an.</p>
-
-<p>»Fortgegangen?« fragte er tonlos.</p>
-
-<p>Jetzt kam der Alte von der Thür zurück, setzte die
-Platte wieder auf den Tisch und sah grinsend auf ihn herab.</p>
-
-<p>»Tot ist sie! Was haben Sie denn auch gedacht?«</p>
-
-<p>Eberhards Kniee zogen sich wie im Krampfe empor,
-sein Mund ging auf, als wenn er nach Luft schnappte, er
-stopfte beide Fäuste in den Mund, dann fiel sein Oberleib
-vornüber, so daß seine Brust beinah die Kniee berührte.
-Ein konvulsivisches Zucken ging durch seinen Körper.</p>
-
-<p>Wie ein Teufel stand der Alte neben ihm.</p>
-
-<p>»Das alles,« sagte er mit eiserner Stimme, »habe ich
-Herrn Baron zuvor gesagt, Herr Baron haben nicht hören
-wollen.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a>
-Eberhard gab keine Antwort. Er hatte die Hände unter
-den Kopf gestützt, er dachte nach. Merkwürdig &ndash; mitten
-in der Zerrüttung seiner Seele fühlte er deutlich, daß er
-ganz klar dachte. Der ganze gestrige Abend war ihm gegenwärtig,
-alle Einzelheiten standen vor seiner Seele. Mit
-einem Ruck warf er den Kopf auf.</p>
-
-<p>»Aber als ich sie zuletzt sah, war sie nicht tot,«
-sagte er.</p>
-
-<p>Es war ihm plötzlich in Erinnerung gekommen, daß
-als er aus dem Bibliotheksaale ging, Annas lebloser Körper
-sich zu regen begonnen hatte.</p>
-
-<p>Der Alte that einen Schritt zurück; seine herabhängenden
-Hände ballten sich. Wollte der elende, verrückte Mensch
-da sich unterstehen, ihm zu sagen, daß sie nicht tot wäre?
-Es kam ihm vor, als sollte er um sein gutes Recht bestohlen
-werden.</p>
-
-<p>Eberhard hatte sich erhoben.</p>
-
-<p>»Wo ist meine Frau?« fragte er keuchend.</p>
-
-<p>»Tot ist sie!« brüllte ihm der Alte ins Gesicht. »Und
-das hab' ich Herrn Baron immer gesagt, und Herr Baron
-haben nicht hören wollen, und nun ist es gekommen, wie
-ich's gesagt habe! Und wenn Herr Baron mir nicht glauben
-wollen, dann ziehen Herr Baron sich an und kommen mit
-hinunter; will ich Herrn Baron zeigen, allwo daß sie da
-unten liegt!«</p>
-
-<p>Eberhard drückte beide Hände an den Kopf.</p>
-
-<p>»Gib mir meine Sachen!« sagte er dann, »gib mir
-meine Sachen!«</p>
-
-<p>In fliegender Hast kleidete er sich an.</p>
-
-<p>»Also jetzt,« sagte er dann, »vorwärts!«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a>
-Schwankenden Schritts trat er auf den Flur, am Geländer
-sich haltend, wie ein Greis, arbeitete er sich, Stufe
-nach Stufe, die Treppe hinunter, und so ging es weiter,
-bis in den Garten hinab.</p>
-
-<p>Der Alte faßte ihn unter den Arm, weil er seine hülflose
-Schwäche sah. Eberhard machte eine Bewegung, als
-wollte er es nicht dulden, aber die Zeit war vorüber, da er
-zu gebieten hatte.</p>
-
-<p>»Kommen Sie,« sagte der Diener barsch. Jetzt hatte
-der gnädige Herr zu gehorchen.</p>
-
-<p>Den Laubgang führte er ihn entlang, bis an das
-Gebüsch, dann brach er sich durch die Büsche hindurch, und
-einen Augenblick darauf stand Eberhard vor dem frisch zugeworfenen
-Loch.</p>
-
-<p>Als er das sah, fiel er mit einem heulenden Schluchzen
-nieder, dann griff er mit den Händen in das Erdreich und
-begann, die Erde aufzuwühlen. Mit rauher Gewalt riß der
-Alte ihn fort.</p>
-
-<p>»Ah, was soll denn so etwas!« sagte er.</p>
-
-<p>Er nahm ihn wieder unter den Arm, noch fester als
-vorhin, ungefähr wie ein Polizist, der einen Entsprungenen
-geleitet. So führte er ihn aus dem Laubgange auf den
-Rasenplatz hinaus, in den Sonnenschein, und dort an eine
-Bank.</p>
-
-<p>»Setzen Herr Baron sich hier,« gebot er.</p>
-
-<p>Eberhards Widerstandskraft war gebrochen, er ließ sich
-nieder und drückte sich in die Ecke der Bank.</p>
-
-<p>Der Alte ging um den Rasen herum und dann, auf
-der andern Seite des Platzes, so daß er Eberhard fortwährend
-unter Augen behielt, auf und nieder. Mit dem
-<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a>
-Knüppel, den er jetzt immer bei sich trug, schlug er in den
-Erdboden, daß der Kies raschelte. Dann setzte er sich auf
-eine Bank, Eberhard gerade gegenüber, und von dort aus
-stierte er unverwandt auf diesen hin. Er hätte tagelang so
-sitzen können, ohne sich zu langweilen.</p>
-
-<p>Die »Einbrecherin« war beseitigt, er war wieder, was
-ihm von Gottes und Rechts wegen zukam, der Wärter seines
-»elenden, verrückten« Herrn &ndash; er war zufrieden.</p>
-
-<p>Und inzwischen saß der unglückliche Mann, die Augen
-zu Boden gesenkt, weil er unablässig den fürchterlichen
-Beobachterblick auf sich gerichtet fühlte, erdrückt unter der
-Last seines Bewußtseins, das ihm jede Willens- und Widerstandskraft
-raubte, das ihn zum hülflosen Kinde in den
-Händen des grauenvollen Alten da drüben machte. Er war
-ja ein Verbrecher, ein Mörder! Was für ein Recht hat ein
-solcher, sich aufzulehnen? Er hat zu schweigen und dankbar
-zu sein, wenn man ihm das Leben läßt. Und warum ließ
-man ihm das Leben? Weil man annahm, daß er verrückt
-sei. Also &ndash; er war verrückt. Sein Kinn senkte sich auf
-die Brust, sein Körper kroch förmlich in sich zusammen.</p>
-
-<p>Und dann kam immer wieder das merkwürdige Bewußtsein,
-daß er trotzdem ganz klar dachte. Er sträubte sich beinah
-dagegen. Kann ein Verrückter klar denken? Und dennoch
-war es so, und immer wieder und wieder tauchte die Erinnerung
-auf, daß sie sich zu regen begonnen hatte, als
-er aus dem Bibliotheksaale ging. Wäre nur der Alte nicht
-gleich bei der Hand gewesen, der ihn fortriß, so daß er nicht
-mehr Zeit behielt, noch einmal zurückzugehen und sich nach
-ihr umzusehen!</p>
-
-<p>Und dennoch also war sie tot? So war sie wohl nachher
-<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a>
-gestorben, nachdem er den Saal verlassen hatte? Er hatte
-ja die Grube mit eigenen Augen gesehen, in der sie lag &ndash;
-also tot war sie wirklich?</p>
-
-<p>Und während er sich das alles sagte, kam immer und
-immer wieder ein Gefühl, als sei alles nicht so, als wäre
-sie nicht tot, nur irgendwo versteckt. Von der Bank, auf
-der er saß, konnte er die Buchenallee hinuntersehen, durch
-welche er damals mit ihr in den Park eingetreten war, bis
-hinunter an den Eichbaum, an den er damals den Kranz
-gehängt hatte. Immerfort gingen seine Augen die Allee
-entlang, immer war es ihm, als würde er dort unten am
-Ende der Allee plötzlich eine Gestalt erscheinen sehen, von
-der Sonne umleuchtet, eine ersehnte, geliebte Gestalt, als
-würde er auf sie zustürzen und sie ihm entgegenfliegen, als
-würde er in ihren Armen aufwachen aus gräßlichem, gräßlichem
-Traume, aufwachen als ein glückseliger Mensch zu
-neuem glückseligen Leben.</p>
-
-<p>So stark war seine Einbildung, daß er unwillkürlich
-von der Bank aufstand. Im selben Augenblick aber war
-schon der Aufpasser an seiner Seite. Er hatte die Blicke
-des Barons verfolgt, er sah in die Allee hinein &ndash; war da
-etwas? Nichts.</p>
-
-<p>»Kommen Herr Baron,« sagte er, »es wird Zeit, daß
-Herr Baron etwas essen.« Er faßte ihn unter den Arm
-und schleppte ihn ins Schloß.</p>
-
-<p>So kam der Abend heran, und als es dunkel wurde,
-erfaßte eine qualvolle Unruhe den gepeinigten Mann. War
-es denn wirklich wahr, daß sie da draußen in der finsteren
-Nacht in dem finsteren tiefen Loche lag? Nein, nein, nein!
-Wenn er sich nur hätte überzeugen, nur die Grube aufwühlen
-<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a>
-und hineinschauen können, ob sie wirklich da unten
-war! Aber der Alte stand hinter ihm; er fühlte, wie er
-ihn von hinten ansah; seine Blicke lagen auf ihm wie
-Keulen. Wenn er den Versuch gemacht hätte, in den Garten
-hinauszukommen, würde jener sich wie ein Bullenbeißer
-auf ihn geworfen haben. Es schauderte ihn, schweigend
-kroch er wieder in sich zusammen.</p>
-
-<p>»Gehen Herr Baron jetzt zu Bett,« sagte der Alte,
-indem er, mit dem brennenden Lichte in der Hand, an die
-Thür des Bibliotheksaales trat.</p>
-
-<p>Eberhard erhob sich, dann aber, mit einem plötzlichen
-Griff, entriß er dem Diener das Licht, und ehe dieser es zu
-hindern vermochte, stürzte er damit ins Nebenzimmer.</p>
-
-<p>»Anna!« rief er laut und klagend, »Anna! Anna!«</p>
-
-<p>So lief er durch die Galerie und so von Zimmer zu
-Zimmer, das Licht emporhebend, im Kreise umherführend, mit
-den Augen umhersuchend in allen Ecken, ob er sie nicht irgendwo
-entdecken würde, irgendwo. Aber sie war nicht mehr da.</p>
-
-<p>So kam er in ihr Wohnzimmer, wo ihre Möbel standen
-und ihr Schreibtisch und ihre Blumen, wo alles noch erfüllt
-schien vom Dufte ihrer Persönlichkeit, und so endlich in ihr
-Schlafgemach. Da stand noch das Bett, in dem sie gelegen
-hatte, das einst so zierliche, jetzt so verwüstete Bett, und
-nun erfaßte es ihn wirklich wie Raserei, und er fing an,
-mit dem Lichte unter die Sofas zu leuchten und unter das
-Bett, als müßte sie da irgendwo versteckt sein, als müßte,
-müßte er sie finden.</p>
-
-<p>In dem Augenblick aber ertönte hinter ihm die eiserne
-Stimme: »Was soll denn so etwas? Herr Baron stecken
-ja noch das ganze Schloß in Brand.«</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a>
-Die harte Faust des Alten riß das Licht aus seiner
-Hand und hielt es hoch, so daß es ruhig stand, dann zog
-er ihn vom Boden empor, nahm seinen Arm unter seinen
-Arm, und indem er ihn wie in einer Zwinge gefangen
-hielt, führte er ihn hinaus, die Treppe hinauf in sein
-Zimmer. Er brachte ihn zu Bett, wie ein Kind, untersuchte
-noch einmal die Fenster.</p>
-
-<p>»Nun schlafen Herr Baron,« befahl er; dann riegelte
-er von außen die Thür zu.</p>
-
-<p>So verging Tag nach Tag, und so ein Abend nach
-dem andern. Jeden Tag das stundenlange Sitzen am Rasenplatze
-auf der Bank, das stumme Suchen mit den Augen
-in der Allee, jeden Abend das wandernde Licht von Zimmer
-zu Zimmer, das Suchen und Suchen und Nichtfinden, und
-bei Tage und am Abend, immerfort der Alte um ihn, hinter
-ihm, neben ihm, immer und immerfort.</p>
-
-<p>Im Dorfe und in der Umgegend verbreitete sich unterdessen
-die Nachricht, daß die junge Frau Baronin plötzlich
-gestorben sei, und dieser Nachricht folgte ein Gerücht, das
-man sich nur unter der Hand zuraunte: Der Herr Baron
-hatte seine eigene Frau umgebracht.</p>
-
-<p>Er war verrückt geworden, der Baron, und der alte
-Johann bewachte ihn. Der brave alte Johann!</p>
-
-<p>Er hatte immer großes Ansehen im Dorfe genossen,
-jetzt aber war er geradezu eine imposante Persönlichkeit geworden.
-Eigentlich war doch er jetzt der Herr vom Schloß.</p>
-
-<p>Wenn er mit seinem dicken Stock die Dorfstraße entlang
-kam, flogen die Mützen und Hüte von den Köpfen;
-er aber war ein stolzer Mann, er erwiderte keinen Gruß;
-wie ein Stier mit vorgestrecktem Kopf ging er seines Wegs.
-<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a>
-»Er hat jetzt halt so einen zornigen Blick,« flüsterten sich
-die Leute zu, wenn er vorüberging.</p>
-
-<p>Ja, er hatte einen zornigen Blick, und besonders, wenn
-er bei dem Taglöhnershause vorbeikam, wo die Eltern des
-Mädchens, der Franzel, wohnten.</p>
-
-<p>Die Frau war tot und hin, das wußte er ja, aber das
-Mädchen, das seit dem Abende verschwunden war, wo war
-das Mädchen geblieben?</p>
-
-<p>Jeden Vormittag, bevor er seinen Herrn herausließ,
-ging er durch das Dorf und jeden Vormittag trat er bei
-den alten Leuten ein.</p>
-
-<p>»Wißt ihr's immer noch nicht, wo daß euer Mädchen
-ist?«</p>
-
-<p>Die alten Leute zitterten am ganzen Leibe.</p>
-
-<p>»Nein, gnädiger Herr Johann, nischte wissen wir.«</p>
-
-<p>Das war die Antwort, die ihnen die Franzel eingelernt
-hatte, und währenddem saß diese auf dem Heuboden, unter
-dem Heu versteckt, zitternd wie Espenlaub.</p>
-
-<p>Anna war fort. Im Morgengrauen des Tages, der auf
-die schreckliche Nacht folgte, war sie, von der Franzel begleitet,
-zu Fuß nach der Eisenbahnstation gegangen. In
-der Tasche ihres Kleides hatte sie ihr Portemonnaie und in
-diesem ein paar Groschen Geld gefunden. So war sie nach
-Breslau zurückgelangt und hatte bei dem Onkel und der
-Tante wieder angeklopft. Wo sollte sie sonst bleiben? Und
-nun saß sie, eine verheiratete Frau, da, wo sie als Mädchen
-gesessen hatte, in wahrhaft jammervollem Zustande. Wie
-eine Prinzessin ausgezogen, war sie wie eine Bettlerin
-zurückgekommen.</p>
-
-<p>Dem Onkel und der Tante hatte sie erklären müssen,
-<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a>
-warum sie kam; schweren Herzens hatte sie es gethan, denn
-indem sie die Ereignisse jener Nacht andeutungsweise enthüllte,
-war ihr, als beginge sie einen Verrat an dem unglücklichen,
-trotz allem immer noch tief geliebten Manne.</p>
-
-<p>Der Onkel hatte nun mit einemmal »von vornherein
-gewußt und vorhergesagt, daß die ganze Geschichte Blödsinn
-sei und schlimm endigen würde«. Er gab sich kaum die
-Mühe, Anna zu verheimlichen, wie lästig ihre Anwesenheit
-ihm war, die er noch dazu, um nicht ins Gerede der Leute
-zu kommen, vor aller Welt verschweigen mußte. Der Zustand
-wurde mit der Zeit schier unerträglich. Da eines
-Tags kam aus Fahrenwald ein Brief für Anna, mit plumpen
-Schriftzügen zusammengefügt, ein Brief von der Franzel.</p>
-
-<p>Im Dorfe war es ruchbar geworden, wie der Baron
-Tag für Tag stundenlang am Rasenplatze saß, in die Allee
-blickend, wie er am Abend mit dem Lichte in der Hand
-durch die Zimmer lief und nach seiner Frau suchte und nach
-ihr rief. Dies alles berichtete ihr die Franzel.</p>
-
-<p>Als Anna dieses las, als sie erfuhr, wie er nach ihr
-verlangte, traf es sie wie ein Vorwurf ins Herz. Sie kam
-sich wie eine Pflichtvergessene vor, die von ihrem kranken
-Manne davongelaufen war, statt bei ihm auszuharren. Ein
-Entschluß stand in ihr auf, von dem sie zu niemand ein
-Wort sagte &ndash; am nächsten Morgen war sie lautlos aus
-dem Hause des Onkels und der Tante verschwunden.</p>
-
-<hr />
-
-<p>Es war um die Mittagsstunde. Die Sonne stand hoch,
-und im Sonnenschein saß Eberhard von Fahrenwald, in
-Decken gehüllt, auf seiner Bank. Ihm gegenüber, wie immer,
-der Alte als Aufpasser. Plötzlich sah dieser, wie der Baron,
-<a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a>
-die Augen in die Allee gerichtet, aus der einen Ecke der
-Bank in die andre rutschte. Er schlug ein paarmal mit
-dem Stock in die Erde, als wollte er dem da drüben sagen,
-»nimm dich in acht, ich passe auf«.</p>
-
-<p>Aber der Baron achtete nicht auf ihn.</p>
-
-<p>Das war doch keine Täuschung, was er da eben gesehen
-hatte, daß da hinten eine Gestalt in hellem Kleide
-hinter den Büschen des Parks entlang und hinter den Eichbaum
-geschlüpft war, hinter dem sie sich jetzt verbarg?</p>
-
-<p>Und diese Gestalt &ndash; war das nicht&nbsp;&ndash;?</p>
-
-<p>Und jetzt bog sich ein Hutrand hinter dem Baumstamme
-vor, ein gelber Hutrand, und unter dem Hutrande ein
-Gesicht&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Gerade aufgereckt wie eine Eisenstange stand er von
-der Bank auf &ndash; in demselben Augenblick trat die Gestalt
-hinter dem Baume hervor und breitete beide Arme aus&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Anna!!« &ndash; Es war Eberhard von Fahrenwald, der
-den Schrei ausgestoßen hatte, aber es hatte geklungen, wie
-wenn zehn Männer aufschrieen.</p>
-
-<p>Jetzt aber kam der Alte in Sprüngen über den Rasenplatz
-heran. Ein Blick in die Allee &ndash; ein momentanes
-Erstarren &ndash; dann ein Geifern und Knirschen wie von einem
-tollen Hunde. Die Allee entlang, gerade auf den Rasenplatz
-zu kam eine geschritten &ndash; und diese eine war sie &ndash;
-die Tote! Jählings, bevor Eberhard, der immer noch wie
-in Erstarrung dastand, es verhindern konnte, stürmte der
-Alte, mit gesenktem Haupte, auf die Allee zu, Anna entgegen.
-Den Stock hatte er wie zum Schlage hoch erhoben,
-ein Gebrüll ertönte aus seinem Munde. Anna war unwillkürlich
-stehen geblieben, jetzt wandte sie sich um und fing
-<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a>
-an, die Allee zurückzulaufen. Endlich war Eberhard zu sich
-gekommen und zum Bewußtsein dessen, was sich begab. Mit
-einem Ruck schleuderte er den dicken Ueberzieher ab, den ihm
-der Diener heute früh angezogen hatte. Dann kam er gestreckten
-Laufes hinter dem Alten her.</p>
-
-<p>»Johann!« donnerte er. Seine Stimme hatte wieder
-den Klang früherer Tage, es war wieder die Stimme des
-Herrn.</p>
-
-<p>Für einen Augenblick regte sich in dem Alten wieder
-der Knecht; sein Gebrüll verstummte und einen Augenblick
-schwankte er auf die Seite.</p>
-
-<p>Dann aber brach die Wut von neuem in ihm los.</p>
-
-<p>»Das ist nicht wahr, daß sie lebendig sein will! Tot
-ist sie! Tot ist sie! Tot ist sie!«</p>
-
-<p>Und jetzt mit verdoppelter Wut raste er hinter dem
-flüchtenden Weibe her.</p>
-
-<p>Annas Kniee wankten und schwankten &ndash; immer näher
-kamen die dröhnenden Schritte &ndash; immer deutlicher vernahm
-sie das heisere Keuchen in ihrem Rücken, das belfernde
-Schnappen &ndash; ihre Kräfte verließen sie &ndash; vor ihren Augen
-wurde es dunkel &ndash; ein schriller Schrei: »Eberhard&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>Und in dem Augenblick hörte sie hinter sich ein Geräusch,
-wie sie es bis dahin nie gehört &ndash; und als sie zusammenbrechend
-gegen einen Baum taumelte und sich umsah,
-erblickte sie Eberhard von Fahrenwald, der sich in dem
-Augenblick über den Alten gestürzt, ihn mit beiden Händen
-an der Gurgel gepackt hatte und mit einer Gewalt zu Boden
-schleuderte, daß der Körper sich um und um rollte und krachend
-in die Büsche flog.</p>
-
-<p>Mit einem gräßlichen Schrei raffte der Alte sich auf,
-<a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a>
-mit geschwungenem Stock ging er seinem Herrn zu Leibe,
-und nun entspann sich zwischen den beiden Männern ein
-Kampf wie zwischen zwei Bären.</p>
-
-<p>Den Stock hatte ihm der Baron beim ersten Anprall
-entrissen, mit fletschenden Zähnen drang der Alte auf ihn
-ein, mit beiden Händen hielt Eberhard ihn am Halse gepackt,
-um ihn am Beißen zu verhindern. Und nun straffte
-der Körper des Barons sich zu einer letzten ungeheuren Anstrengung
-auf; mit einer Kraft, als wenn es gälte, einen
-Baum aus der Erde zu reißen, schwenkte er den Alten von
-rechts nach links und von links nach rechts, so daß er zu
-taumeln begann und seine Füße den Halt verloren, dann
-gab es einen schmetternden Krach, der Länge lang fiel der
-Alte zur Erde und im selben Augenblick kniete Eberhard auf
-seinem Rücken, ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenpressend.</p>
-
-<p>Ein Gebrüll, das nichts Menschliches mehr hatte, ein
-Geblöck, wie das eines wütigen Stieres, brach aus der Brust
-des Alten; mit den Zähnen biß er in die Erde; bläulicher
-Schaum stand auf seinen Lippen.</p>
-
-<p>In diesem Augenblick kamen mehrere Männer, die auf
-den Feldern in der Nähe beschäftigt gewesen waren und die
-furchtbaren Töne im Innern des Parks vernommen hatten,
-eilend die Allee entlang.</p>
-
-<p>»Hierher, Leute, hierher!« rief Eberhard ihnen entgegen.</p>
-
-<p>Als sie aber den Baron auf dem Johann knieen sahen,
-wurden sie stutzig und blieben stehen. Sie glaubten nicht
-anders, als daß der Wahnsinnige seinen Wärter überwältigt
-hatte. Was sollten sie thun?</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a>
-Jetzt trat Anna auf sie zu.</p>
-
-<p>»Helft dem Herrn Baron, lieben Leute, helft ihm!«</p>
-
-<p>Die Männer prallten zurück &ndash; die Frau Baronin?
-Aber die Frau Baronin war ja tot?</p>
-
-<p>Anna begriff ihr Zaudern und Stutzen.</p>
-
-<p>»Es ist nicht wahr, was euch der Johann gesagt hat!
-Ich bin nicht tot; der Johann ist wahnsinnig, nicht der
-Baron, nicht der Baron!«</p>
-
-<p>Noch einen Augenblick standen die Männer wie besinnungslos;
-ihre schweren Gehirne konnten einen so völligen
-Umschwung aller Verhältnisse nicht so rasch fassen.</p>
-
-<p>Dann aber kamen sie im Sturm heran; im nächsten
-Augenblick war der Alte von zehn kräftigen Händen gepackt,
-weggerissen und unschädlich gemacht.</p>
-
-<p>»Bringt ihn ins Schloß,« gebot Eberhard von Fahrenwald,
-noch atemlos, aber mit ruhiger Sicherheit in der
-Stimme. »In die Stube unten, neben der Küche, mit
-den Eisengittern vor dem Fenster. Heute nachmittag fahre
-ich selbst mit ihm nach Breslau und bringe ihn ins Irrenhaus.«</p>
-
-<p>»Is gutt, gnädiger Herr Baron, is gutt,« kam es zur
-Antwort. Wer so sprechen und befehlen konnte, war vernünftig,
-das war ihnen klar.</p>
-
-<p>Die Männer zogen mit dem Wahnsinnigen ab; Anna
-und der Baron blieben zurück; an der Stätte, die eben von
-dem furchtbaren Lärm erfüllt gewesen war, trat eine tiefe
-Stille ein. Annas Kraft war zu Ende; sie saß am Rande
-des Wegs, hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und weinte
-still in ihr Tuch hinein.</p>
-
-<p>Ihr gegenüber, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt,
-<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a>
-stand Eberhard von Fahrenwald. Seine breite Brust arbeitete
-noch von dem überstandenen Kampfe; seine Augen ruhten
-stumm auf seiner Frau.</p>
-
-<p>So verging geraume Zeit. Dann erhob sie langsam
-das Haupt und wandte es zu ihm herum. Er that einen
-Schritt auf sie zu; es sah aus, als wollte er etwas sagen,
-aber bevor er noch dazu gelangt war, sprang sie auf, breitete
-die Arme aus und mit einem Schrei der Liebe flog sie an
-seine Brust.</p>
-
-<p>»Umarme mich,« sagte sie, »ich will, daß die Arme
-mich umfangen, die mich vom Tode gerettet haben!«</p>
-
-<p>Als sie das sagte, brachen auch ihm die Thränen aus
-den Augen, unaufhaltsam, wie ein Strom. Ja &ndash; er hatte
-sie zum Leben errettet; und sie wußte es und hatte es ihm
-gesagt.</p>
-
-<p>Er drückte sie an sich, nicht mit der wilden Glut und
-nicht mit der ängstlichen Scheu der früheren Tage, sondern
-mit der Sicherheit der warmen bewußten Liebe.</p>
-
-<p>»Anna,« sagte er leise und innig; und er küßte ihr
-Gesicht, das hingegeben zu ihm aufblickte.</p>
-
-<p>Dann legte er die Arme um sie, und sie schlugen den
-Weg zum Schlosse ein.</p>
-
-<p>»Siehst du nun,« sagte er, »wie es mir ergangen ist;
-dreißig Jahre bin ich alt geworden, und heute ist der erste
-Tag, da ich lebe. Siehst du, es ist wunderbar, wie sich
-einem das ganze Leben in einem Augenblick zusammendrängen
-kann: solch ein Augenblick ist es für mich gewesen, als ich
-den Alten zu Boden gekriegt hatte und auf ihm kniete. In
-dem Augenblick &ndash; ich kann's mir nicht anders erklären &ndash;
-ist der Bann gebrochen gewesen, der mich dreißig Jahre
-<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a>
-lang gehalten hat. Der Alte, siehst du, war mir gewissermaßen
-von meinem Vater vermacht; darum ist er von
-meiner Kindheit an fortwährend um mich gewesen und ich
-habe wie an etwas Unfehlbares an ihn geglaubt. Und weil
-er sich vom ersten Tage an eingebildet hat, daß er zum
-Wärter eines Wahnsinnigen bestellt wäre, so ist es ihm allmählich
-zur fixen Idee geworden, daß ich wahnsinnig sei
-und nichts andres sein dürfte.«</p>
-
-<p>Von der schrecklichen Vorstellung überwältigt, schwieg er.
-Dann preßte er sie leise mit dem Arm.</p>
-
-<p>»Mir ist das alles in dem einen Augenblick klar geworden.
-Kannst du es dir vorstellen?«</p>
-
-<p>An seine Schulter gelehnt, mit ihm dahinschreitend,
-drückte Anna seine Hand.</p>
-
-<p>»Ja, vollkommen,« erwiderte sie, »das was sich in dir
-geregt hat, war die Gesundheit, die sich wider die Krankheit
-wehrte, die man ihr aufzwingen wollte. Du warst
-vernünftig und bist bewacht worden von einem Wahnsinnigen.
-Nun aber wollen wir leben!«</p>
-
-<p>Es war, als wenn ein frischer Lebensquell in ihr aufgesprungen
-wäre; in der Stunde, da sie auf der Schwelle
-des Todes gestanden und ihr Gatte sie ins Leben zurückgerissen
-hatte, war sie zur Lebensgefährtin ihres Mannes
-gereift.</p>
-
-<p>Sie betraten das Schloß.</p>
-
-<p>An den Wänden hingen die zerschmetterten Spiegel,
-das Glas bedeckte noch jetzt den Fußboden, Annas Schlafgemach
-stand noch in der Unordnung, in der es sich befunden
-hatte, als sie damals das Schloß verließ &ndash; ein Bild
-der Verwahrlosung und Verwüstung.</p>
-
-<p><a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a>
-Anna blieb stehen und faßte ihren Gatten an beiden
-Händen.</p>
-
-<p>»Eberhard,« sagte sie, »wir müssen zu einem Entschluß
-kommen. Dein Vater hat dir den alten Diener vermacht;
-er hat geglaubt, dir einen Segen damit zu bereiten &ndash; du
-hast erfahren, was es gewesen ist. Siehst du, wie soll
-ich's dir sagen, ich meine, man kann nur leben, wenn sein
-Leben einem gehört; und dein Leben hat dir bis heute nicht
-gehört. Du hast es wie ein Erbteil empfunden, das zur
-Hälfte dir, zur andern Hälfte deinen Vorfahren gehörte.
-Komm und laß uns überlegen, wie wir's anfangen, daß wir
-nun wirklich unser eigenes Leben leben.«</p>
-
-<p>Er sah sie mit strahlenden Augen an.</p>
-
-<p>»Den Anfang dazu weiß ich,« versetzte er. »Diese
-Ahnengalerie, die hier seit Jahrhunderten gehangen hat und
-jetzt als eine Sammlung Abgeschiedener immer noch mitten
-in unsren Wohnräumen hängt, lass' ich hinaufschaffen in
-den oberen Stock. Da mögen sie hängen, als das, was sie
-sind, als historische Reliquien. Denn die Erinnerung, scheint
-mir, ist schließlich doch wie ein Leichnam im lebendigen Dasein,
-und darum ist mir immer zu Mute gewesen, als lebte
-ich fortwährend in der Gesellschaft von Toten.«</p>
-
-<p>»So ist's recht,« erwiderte sie, »und nun noch eins.
-Wir können über die Erinnerung an jenen bewußten bösen
-Abend nicht so hinweg, und wenn wir's mit Gewalt versuchen,
-werden wir wieder krank. Du hast mich einmal
-gefragt, ob wir eine Hochzeitreise machen wollten, ich
-hab's damals nicht gewollt &ndash; nun schlag' ich dir vor, Eberhard,
-wir wollen reisen, und wenn wir wiederkommen,
-bringen wir die große weite Welt in unsren Seelen mit
-<a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a>
-und schließen uns nicht mehr, wie bisher, in unsrem Schlosse
-ein, sondern denken und sorgen für die Menschen um uns
-her &ndash; und wenn man für Menschen zu sorgen hat, behält
-man keine Zeit, sich vor Gespenstern zu sorgen.«</p>
-
-<p>In tiefer Freude schloß er seine junge, kluge, mutige
-Frau in die Arme.</p>
-
-<p>»Heute nachmittag,« sagte er, »fange ich mit meinen
-Pflichten an, indem ich den Alten nach Breslau in die Anstalt
-bringe, und morgen früh reisen wir in die Welt.
-Reisen wir ganz allein?«</p>
-
-<p>»Nur eine soll uns begleiten,« erwiderte sie lächelnd,
-»die gute treue Franzel.«</p>
-
-<p>Und so geschah es.</p>
-
-<p>Im August reiste der Freiherr von Fahrenwald mit
-seiner Gattin ab, und als im Mai des nächsten Jahres der
-Frühling wieder in das schlesische Paradies herabstieg, kamen
-sie zum Schlosse Fahrenwald zurück.</p>
-
-<p>Heute stiegen sie nicht am Parkrande aus, heute fuhren
-sie durch das Dorf, heute gingen sie nicht, einsam wie damals,
-vor der Welt versteckt, durch den einsamen Park,
-heute durchschritten sie, Hände schüttelnd, grüßend und
-lächelnd, die Bewohnerschaft des Dorfes, die sich festlich gesammelt
-hatte und, den Schulzen an der Spitze, die Herrschaft
-bewillkommnete.</p>
-
-<p>Der Schritt des Barons war elastisch und frisch, der
-der jungen Frau Baronin, die an seinem Arme hing, etwas
-gehemmt, und auf ihrem freundlichen Gesichte lag eine leise
-schamhafte Röte.</p>
-
-<p>»Nu sag mir, Franzel,« sagte am Abende nach der
-Ankunft die alte Taglöhnersfrau, die in der Zwischenzeit
-<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a>
-mit ihrem Manne die Obhut über das Schloß geführt hatte
-und jetzt auf ihm als wohlbestallte Verwalterin eingesetzt
-war, »nu sag mir. Mit unsrer Frau Baronin &ndash; hm?«</p>
-
-<p>Die Franzel nickte und kicherte, und was die beiden sich
-mit halben Worten unter dem Siegel der Verschwiegenheit
-anvertraut hatten, kam im Juni ans Licht, als in dem
-Schlafgemache, zu dessen geöffneten Fenstern die Frühlingsluft
-hereinströmte und der Sang der Vögel hereintönte,
-unter dem blauseidenen Betthimmel ein reizender, rosiger,
-kleiner Fahrenwald neben der blassen, glückseligen jungen
-Mutter lag.</p>
-
-<p>»Daß du doch das Schenken nicht lassen kannst, du
-Unverbesserlicher,« sagte sie lächelnd zu dem Manne, der
-glücküberströmt neben ihr stand und soeben einen großen
-köstlichen, mit einem Brillantenbande zusammengebundenen
-Blumenstrauß auf ihr Bett gelegt hatte.</p>
-
-<p>»Seit einem Jahr das erste Mal wieder,« entgegnete
-er, indem er sein Gesicht auf das ihrige niederbeugte und sie
-mit tiefer Seligkeit auf Mund und Stirn und Augen küßte.</p>
-
-<p>Und wieder einige Zeit später, als der Sommer in
-voller schwerer Wucht auf der Erde lag, vernahm der Mann,
-der dort oben in seinem Bette eben vom Schlaf erwachte,
-einen Ruf von unten, wie den Ruf der Lerche, die zum
-Leben weckt. Aber es war nicht die Lerche und auch nicht
-die Nachtigall, und als er ans Fenster stürzte, sah er im
-Garten dort unten, zwischen den Blumenbeeten wandelnd,
-seine Frau, seine Anna, die heute zum erstenmal ins Freie
-gekommen war.</p>
-
-<p>Das Kindermädchen ging hinter ihr, den Kleinen im
-Kissen tragend; und als am Fenster droben das Gesicht des
-<a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a>
-Vaters erschien, nahm Anna das Kind in ihre Arme. Nicht
-mit dem Taschentuche wehte sie heute, heute winkte sie mit
-dem Kinde: »Komm herunter, Eberhard, hier unten ist's
-wundervoll.«</p>
-
-<p>Und er kam, wie ein Sturmwind kam er hinunter zu
-Mutter und Kind, und es war, wie sie gesagt hatte &ndash; wundervoll
-&ndash; wundervoll.</p>
-
-
-<p class="ce ge mt2">Ende.</p>
-
-
-
-
-<h2><span class="ss">ENGELHORNS</span><br />
-<i>Allgemeine</i><br />
-<i><b>Romanbibliothek</b></i>.</h2>
-
-
-<p class="ce fsl">Eine Auswahl
-der besten modernen Romane aller Völker.</p>
-
-<p class="ce">Alle vierzehn Tage erscheint ein Band.</p>
-
-<p class="ce fsl">Preis pro Band 50&nbsp;Pf. Elegant in Leinwand geb. 75&nbsp;Pf.</p>
-
-
-<p class="mt1">Als vor nunmehr zehn Jahren unsre roten Bände ihren
-ersten Flug in die Welt wagten, begegneten sie manchen Zweifeln,
-ob ihr Prinzip <b>billig und gut</b> ihnen Bahn zu brechen im stande
-sein werde.</p>
-
-<p>Bald aber zeigte es sich, daß der Gedanke, dem deutschen Volke
-die besten Erzeugnisse der Romanlitteratur aller Nationen zu
-einem beispiellos billigen Preise bei guter und geschmackvoller
-Ausstattung und in handlicher Form zu bieten, nicht nur lebensfähig,
-sondern geradezu zündend war.</p>
-
-<p>Seither hat sich unser Unternehmen mehr und mehr eingebürgert,
-und auf Schritt und Tritt begegnet man den schmucken
-Bänden, die sowohl am häuslichen Herd, als auch auf der Reise
-und im Bade zum unentbehrlichen Freund und Begleiter geworden
-sind.</p>
-
-<p>Der bisher erzielte Erfolg ist uns nicht nur ein Sporn geworden,
-sondern macht es uns auch möglich, nicht stillzustehen,
-vielmehr rüstig auf der betretenen Bahn weiterzuschreiten. Mit
-wachsamem Auge verfolgen wir die Romanproduktion, und kein
-Opfer soll uns zu groß sein, wenn es gilt, ein hervorragendes
-Werk für unsre Sammlung zu erwerben.</p>
-
-<p>Die bisher erschienenen, in dem nachfolgenden Verzeichnis aufgeführten
-Romane können fortwährend durch jede Buchhandlung
-zum Preise von <b>50&nbsp;Pf.</b> für den broschierten und <b>75&nbsp;Pf.</b> für den
-gebundenen Band bezogen werden.</p>
-
-
-<div class="mw48">
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Erster Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Hüttenbesitzer.</b> Von <span class="sb">Georges
-Ohnet</span>. Aus dem Französ. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Aus Nacht zum Licht.</b> Von <span class="sb">Hugh
-Conway</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zéro.</b> Eine Geschichte aus Monte Carlo.
-Von Mrs. <span class="sb">Praed</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Wassilissa.</b> Von <span class="sb">Henry Gréville</span>.
-Aus dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Vornehme Gesellschaft.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;Aïdé</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Gräfin Sarah.</b> Von <span class="sb">G.&nbsp;Ohnet</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Unter der roten Fahne.</b> Von Miß
-<span class="sb">M.&nbsp;E.&nbsp;Braddon</span>. Aus d. Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Abbé Constantin.</b> Von <span class="sb">L.&nbsp;Halévy</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ihr Gatte.</b> Von <span class="sb">G.&nbsp;Verga</span>. Aus dem
-Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein gefährliches Geheimnis.</b> Von
-<span class="sb">Charles Reade</span>. Aus d. Engl. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Gérards Heirat.</b> Von <span class="sb">André Theuriet</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Dosia.</b> Von <span class="sb">Henry Gréville</span>. Aus
-dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein heroisches Weib.</b> Von <span class="sb">J.&nbsp;I.&nbsp;Kraszewski</span>.
-Aus dem Polnischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eheglück.</b> Von <span class="sb">W.&nbsp;E.&nbsp;Norris</span>. Aus
-dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Schiffer Worse.</b> Von <span class="sb">Alex. Kielland</span>.
-Aus dem Norwegischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Ideal.</b> Von <span class="sb">Marchesa Colombi</span>.
-Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Dunkle Tage.</b> Von <span class="sb">Hugh Conway</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Novellen</b> von <span class="sb">Hjalmar Hjorth Boyesen</span>.
-<span class="ge">Glitzer-Brita.</span> &ndash; <span class="ge">Einer,
-der seinen Namen verlor.</span> Deutsch
-von <span class="ge">Friedrich Spielhagen</span>. &ndash; <span class="ge">Ein
-Ritter vom Danebrog.</span> Aus dem
-Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Heimkehr der Prinzessin.</b> Von
-<span class="sb">Jacques Vincent</span>. Aus d. Französ.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Mutterherz.</b> Von <span class="sb">A.&nbsp;Delpit</span>.
-Aus dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Zweiter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Steinbruch.</b> Von <span class="sb">G.&nbsp;Ohnet</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Helene Jung.</b> Von <span class="sb">Paul Lindau</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Maruja.</b> Von <span class="sb">Bret Harte</span>. Aus dem
-Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Sozialisten.</b> Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Criquette.</b> Von <span class="sb">L.&nbsp;Halévy</span>. Aus dem
-Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Wille zum Leben. &ndash; Untrennbar.</b>
-Von <span class="sb">Adolf Wilbrandt</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Illusionen des Doktor Faustino.</b>
-Von <span class="sb">Valera</span>. Aus d. Span.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zu fein gesponnen.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;L.&nbsp;Farjeon</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Gift.</b> Von <span class="sb">Alexander Kielland</span>. Aus
-dem Norwegischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Fortuna.</b> Von <span class="sb">Alexander Kielland</span>.
-Aus dem Norwegischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Lise Fleuron.</b> Von <span class="sb">G.&nbsp;Ohnet</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Aus des Meeres Schaum. &ndash; Aus
-den Saiten einer Baßgeige.</b> Von
-<span class="sb">Salvatore Farina</span>. Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Auf der Woge des Glücks.</b> Von
-<span class="sb">Bernhard Frey</span>. (<span class="ge">M.&nbsp;Bernhard.</span>)</p>
-
-<p class="ad"><b>Die hübsche Miß Neville.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;M.&nbsp;Croker</span>.
-Aus dem Engl. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Verstorbene.</b> Von <span class="sb">Octave
-Feuillet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein erstes Abenteuer und andere
-Geschichten.</b> Von <span class="sb">Hans Hopfen</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ihr ärgster Feind.</b> Von Mrs. <span class="sb">Alexander</span>.
-Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Fürstensohn. &ndash; Zerline.</b> Von
-<span class="sb">Claire von Glümer</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Von der Grenze.</b> Novellen von <span class="sb">Bret
-Harte</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eine Familiengeschichte.</b> Von <span class="sb">Hugh
-Conway</span>. Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Dritter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Versaillerin.</b> Von <span class="sb">Ernst Remin</span>.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>In Acht und Bann.</b> Von Miß <span class="sb">M.&nbsp;E.&nbsp;Braddon</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Tochter des Meeres.</b> Von
-<span class="sb">Johanne Schjörring</span>. Aus dem
-Dänischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Lieutenant Bonnet.</b> Von <span class="sb">Hector
-Malot</span>. Aus d. Französ. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Pariser Ehen.</b> Von <span class="sb">E.&nbsp;About</span>. Aus
-dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Hanna Warners Herz.</b> Von <span class="sb">Florence
-Marryat</span>. Aus d. Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eine Tochter der Philister.</b> Von
-<span class="sb">Hjalmar Hjorth Boyesen</span>. Aus
-dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Savelis Büßung.</b> Von <span class="sb">Henry Gréville</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Damen von Croix-Mort.</b> Von
-<span class="sb">Georges Ohnet</span>. Aus d. Französ.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Glocken von Plurs.</b> Von <span class="sb">Ernst
-Pasqué</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Fromont junior und Risler senior.</b>
-Von <span class="sb">Alphonse Daudet</span>. Aus dem
-Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Genius und sein Erbe.</b> Von
-<span class="sb">Hans Hopfen</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein einfach Herz.</b> Von <span class="sb">Charles
-Reade</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Baccarat.</b> Von <span class="sb">Hector Malot</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein Freund Jim.</b> Von <span class="sb">W.&nbsp;E.&nbsp;Norris</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Hanna.</b> Von <span class="sb">Heinr. Sienkiewicz</span>.
-Aus dem Polnischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Das beste Teil.</b> Von <span class="sb">Léon de Tinseau</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Lebend oder tot.</b> Von <span class="sb">Hugh Conway</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Familie Monach.</b> Von <span class="sb">Robert
-de Bonnières</span>. Aus dem Französ.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Vierter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eine neue Judith.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;Rider
-Haggard</span>. Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Schwarz und Rosig.</b> Von <span class="sb">Georges
-Ohnet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Das Tagebuch einer Frau.</b> Von
-<span class="sb">Octave Feuillet</span>. Aus dem Französ.</p>
-
-<p class="ad"><b>Jahre des Gärens.</b> Von <span class="sb">Ernst Remin</span>.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Gute Kameraden.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;Lafontaine</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Töchter des Commandeurs.</b>
-Von <span class="sb">Jonas Lie</span>. Aus dem Norweg.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zita.</b> Von <span class="sb">Hector Malot</span>. Aus dem
-Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Erbschaft Xenias.</b> Von <span class="sb">Henry
-Gréville</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Kinder des Südens.</b> Von <span class="sb">Rich. Voß</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Daniele Cortis.</b> Von <span class="sb">A.&nbsp;Fogazzaro</span>.
-Aus dem Italienischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Herz-Neune.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;L.&nbsp;Farjeon</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Sie will.</b> Von <span class="sb">Georges Ohnet</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Kinder der Excellenz.</b> Von <span class="sb">Ernst
-v.&nbsp;Wolzogen</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Um den Glanz des Ruhmes.</b> Von
-<span class="sb">Salvatore Farina</span>. Aus dem Ital.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Nabob.</b> Von <span class="sb">Alphonse Daudet</span>.
-Aus dem Französischen. 3&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der kleine Lord.</b> Von <span class="sb">F.&nbsp;H.&nbsp;Burnett</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Prozeß Froideville.</b> Von <span class="sb">André
-Theuriet</span>. Aus d. Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Stella.</b> Von Miß <span class="sb">M.&nbsp;E.&nbsp;Braddon</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Fünfter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Robert Leichtfuß.</b> Von <span class="sb">Hans Hopfen</span>.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Unsterbliche.</b> Von <span class="sb">Alphonse
-Daudet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Lady Dorotheas Gäste.</b> Von <span class="sb">Ouida</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Marchesa d'Arcello.</b> Von <span class="sb">Memini</span>.
-Aus dem Italienischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Was der heilige Joseph vermag.</b>
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Alessa. &ndash; Keine Illusionen.</b> Von
-<span class="sb">Claire von Glümer</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Wie in einem Spiegel.</b> Von <span class="sb">F.&nbsp;C.&nbsp;Philips</span>.
-Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Schnee.</b> Von <span class="sb">Alexander Kielland</span>.
-Aus dem Norwegischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Jean Mornas.</b> Von <span class="sb">Jules Claretie</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Auf der Fährte.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;F.&nbsp;Wood</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Satisfaction. &ndash; Das zersprungene
-Glück. &ndash; La Speranza.</b> Von <span class="sb">Alexander
-Baron von Roberts</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Scheinheilige.</b> Von <span class="sb">Karoline
-Gravière</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Doktor Rameau.</b> Von <span class="sb">Georges
-Ohnet</span>. Aus dem Französ. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Frau Regine.</b> Von <span class="sb">Emil Peschkau</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zwei Brüder.</b> Von <span class="sb">Guy de Maupassant</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein Sohn.</b> Von <span class="sb">Salvatore Farina</span>.
-Aus dem Italienischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Dosias Tochter.</b> Von <span class="sb">Henry Gréville</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Lotse und sein Weib.</b> Von
-<span class="sb">Jonas Lie</span>. Aus dem Norwegischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Numa Roumestan.</b> Von <span class="sb">Alphonse
-Daudet</span>. Aus dem Französischen.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Sechster Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die tolle Komteß.</b> Von <span class="sb">Ernst v.&nbsp;Wolzogen</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eine Sirene.</b> Von <span class="sb">Léon de Tinseau</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Jack und seine drei Flammen.</b> Von
-<span class="sb">F.&nbsp;C.&nbsp;Philips</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mr. Barnes von New-York.</b> Von
-<span class="sb">A.&nbsp;C.&nbsp;Gunter</span>. Aus d. Engl. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Gertruds Geheimnis.</b> Von <span class="sb">André
-Theuriet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Wunderbare Gaben</b> und andere Geschichten.
-Von <span class="sb">Hugh Conway</span>. Aus
-dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Letzte Liebe.</b> Von <span class="sb">Georges Ohnet</span>.
-Aus dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Sabinerin. &ndash; Felice Leste. &ndash;
-Die Mutter der Catonen.</b> Von
-<span class="sb">Richard Voß</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mia.</b> Von <span class="sb">Memini</span>. Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Diana Barrington.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;M.&nbsp;Croker</span>.
-Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der reine Thor.</b> Von <span class="sb">Karl v.&nbsp;Heigel</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Kirchenraub. &ndash; Junge Liebe.</b>
-Von <span class="sb">H.&nbsp;Pontoppidan</span>. Aus dem
-Dänischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Könige im Exil.</b> Von <span class="sb">Alphonse
-Daudet</span>. Aus d. Französ. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die verhängnisvolle Phryne.</b> Von
-<span class="sb">F.&nbsp;C.&nbsp;Philips</span> u. <span class="sb">C.&nbsp;J.&nbsp;Wils</span>. Aus
-dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Sergius Panin.</b> Von <span class="sb">Georges Ohnet</span>.
-Aus d. Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Achtung Schildwache!</b> und andere
-Geschichten. Von <span class="sb">Mathilde Serao</span>.
-Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Salonidylle.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;Rabusson</span>. Aus
-dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mr. Potter aus Texas.</b> Von <span class="sb">A.&nbsp;C.&nbsp;Gunter</span>.
-Aus dem Engl. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein gefährliches Werkzeug.</b> Von
-<span class="sb">D.&nbsp;C.</span> u. <span class="sb">H.&nbsp;Muray</span>. Aus d. Engl.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Siebenter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Preisgekrönt.</b> Von <span class="sb">Alexander Baron
-von Roberts</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Seele Pierres.</b> Von <span class="sb">Georges
-Ohnet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zum Kinderparadies.</b> Von <span class="sb">André
-Theuriet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Imogen.</b> Von <span class="sb">Hamilton Aïdé</span>. Aus
-dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Port Tarascon.</b> Von <span class="sb">Alphonse
-Daudet</span>. Aus dem Fanzösischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Mann von Bedeutung.</b> Von
-<span class="sb">Anthony Hope</span>. Aus d. Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ohne Liebe.</b> Von <span class="sb">Fürst Galitzin</span>.
-Aus dem Russischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die Erbin.</b> Von <span class="sb">W.&nbsp;E.&nbsp;Norris</span>. Aus
-dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die kühle Blonde.</b> Von <span class="sb">Ernst v.&nbsp;Wolzogen</span>.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein Pfarrer u. mein Onkel.</b> Von
-<span class="sb">Jean de la Brète</span>. Aus d. Französ.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Mönch von Berchtesgaden</b> und
-andere Erzählungen. Von <span class="sb">Rich. Voß</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Oberst Quaritch.</b> Von <span class="sb">H.&nbsp;Rider
-Haggard</span>. Aus dem Engl. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Noras Roman.</b> Von <span class="sb">Emil Peschkau</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Auf Vorposten</b> und andere Geschichten.
-Von <span class="sb">F.&nbsp;de Renzis</span>. Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Versiegelte Lippen.</b> Von <span class="sb">Léon de
-Tinseau</span>. Aus d. Französ. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Aus den Papieren eines Wanderers.</b>
-Von <span class="sb">Jeffery C.&nbsp;Jeffery</span>. Aus
-dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein Onkel Scipio.</b> Von <span class="sb">André
-Theuriet</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Wie's im Leben geht.</b> Von <span class="sb">A.&nbsp;Delpit</span>.
-Aus dem Französischen. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Verhängnis.</b> Von <span class="sb">F.&nbsp;de Renzis</span>. Aus
-dem Italienischen.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Achter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Irgend ein Anderer.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;M.&nbsp;Croker</span>.
-Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Fräulein Reseda. &ndash; Ein Mann der
-Erfolge.</b> Von <span class="sb">Julien Gordon</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Künstlerehre.</b> Von <span class="sb">Octave Feuillet</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>In frischem Wasser.</b> Von <span class="sb">Helene
-Böhlau</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Die geprellten Verschwörer.</b> Von
-<span class="sb">W.&nbsp;E.&nbsp;Norris</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Daphne.</b> Nach <span class="ss">A Diplomat's Diary</span>
-von <span class="sb">Julien Gordon</span>, deutsch bearb.
-von <span class="ge">Friedrich Spielhagen</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Genie der That.</b> Von <span class="sb">Ernst
-Remin</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mischa.</b> Von <span class="sb">Maguerite Poradowska</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Thronfolger.</b> Von <span class="sb">Ernst von
-Wolzogen</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Im Reisfeld. &ndash; Ohne Liebe.</b> Von
-<span class="sb">Marchesa Colombi</span>. Aus d. Ital.</p>
-
-<p class="ad"><b>Eine Künstlerin.</b> Von <span class="sb">Jeanne Mairet</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Miß Niemand.</b> Von <span class="sb">A.&nbsp;C.&nbsp;Gunter</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Marienkind.</b> Von <span class="sb">Paul Heyse</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Schwarzwaldgeschichten.</b> Von <span class="sb">Hermine
-Villinger</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Jack.</b> Von <span class="sb">Alphonse Daudet</span>. Aus
-dem Französischen. 3&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der schwarze Koffer.</b> Aus dem Engl.</p>
-
-<p class="ad"><b>Der Affenmaler.</b> Von <span class="sb">Jeanne Mairet</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Schwer geprüft.</b> Von <span class="sb">J.&nbsp;Masterman</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Neunter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad"><b>Im Schuldbuch des Hasses.</b> Von
-<span class="sb">Georges Ohnet</span>. Aus d. Französ.
-2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Meine offizielle Frau.</b> Von <span class="sb">Col. Richard
-Henry Savage</span>. Aus d. Engl.</p>
-
-<p class="ad"><b>Sein Genius.</b> Von <span class="sb">Claus Zehren</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein Zugvogel.</b> Von <span class="sb">B.&nbsp;M.&nbsp;Croker</span>.
-Aus dem Englischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Violette Merian.</b> Von <span class="sb">Augustin
-Filon</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Fräulein Kapitän.</b> Eine Eismeergeschichte
-von <span class="sb">Max Lay</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Ein puritanischer Heide.</b> Von <span class="sb">Julien
-Gordon</span>. 2&nbsp;Bde. Aus d. Engl.</p>
-
-<p class="ad"><b>Das Stück Brot und andere Geschichten.</b>
-Von <span class="sb">François Coppée</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>In der Prairie verlassen.</b> Von <span class="sb">Bret
-Harte</span>. Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Zwischen Lipp' und Kelchesrand.</b>
-Von <span class="sb">Charles de Berkeley</span>. Aus
-dem Französischen. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad"><b>Mein erster Klient und andere Geschichten.</b>
-Von <span class="sb">Hugh Conway</span>.
-Aus dem Englischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Auf steinigen Pfaden.</b> Von <span class="sb">Léon de
-Tinseau</span>. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Heimatlos.</b> Von <span class="sb">Hector Malot</span>.
-3&nbsp;Bände. Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Baronin Müller.</b> Von <span class="sb">Karl von
-Heigel</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>In guter Hut.</b> Von <span class="sb">Jeanne Mairet</span>.
-Aus dem Französischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Das Kind.</b> Von <span class="sb">Ernst Eckstein</span>.</p>
-
-<p class="ad"><b>Das Haus am Moor.</b> Von <span class="sb">Florence
-Warden</span>. Aus d. Englischen. 2&nbsp;Bde.</p>
-
-<p class="ad"><b>Giovannino oder den Tod! &ndash;
-Dreißig Prozent.</b> Von <span class="sb">Mathilde
-Serao</span>. Aus dem Italienischen.</p>
-
-<p class="ad"><b>Des Seemanns Tagebuch.</b> Von <span class="sb">Gustave
-Toudouze</span>. Aus d. Französ.</p>
-
-
-<p class="fsl ge ce mt2 nopb">Zehnter Jahrgang.</p>
-
-<p class="ad nopb"><b>Das Geheimnis des Hauslehrers.</b>
-Von <span class="sb">Victor Cherbuliez</span>. 2&nbsp;Bände.</p>
-
-<p class="ad">Ein wirklich herzerfreuendes Buch ist es,
-das der beliebte Erzähler hier darbietet;
-ein Kunstwerk, bezaubernd in Form und
-Inhalt. Zwei reizvolle Vertreterinnen der
-heutigen Jugend hat er erwählt, und mit
-Geist und Grazie weiß er sie zu schildern.</p>
-
-<p class="ad mt1 nopb"><b>Das wandernde Licht.</b> Von <span class="sb">Ernst
-v.&nbsp;Wildenbruch</span>.</p>
-
-<p class="ad">Diese Novelle des berühmten Dichters ist
-das durchaus ungewöhnliche Werk eines
-selbständigen Geistes, voll Leben und dramatischer
-Kraft.</p>
-
-</div>
-
-<hr />
-
-<p class="mt2">Die nachstehenden Romane sind auch in einer <b>zu Geschenken ganz besonders
-geeigneten</b></p>
-
-<p class="ce mt0"><span class="ss fsxl">Salon-Ausgabe</span></p>
-
-<p class="in0 mt0">auf <b>feines, extra starkes Papier</b> gedruckt und in <b>elegantem Liebhaber-Einband</b>
-zum Preise von <b>M.&nbsp;2.&ndash; für den einfachen und M.&nbsp;3.&ndash; für den doppelten
-Band</b> erschienen.</p>
-
-
-<div class="mw20">
-
-<p class="ci mt1 ce nopb">Einfache Bände:</p>
-
-<p class="in0"><span class="sb">Burnett</span>, <b>Der kleine Lord</b>.<br />
-<span class="sb">Feuillet</span>, <b>Das Tagebuch einer Frau</b>.<br />
-<span class="sb">Paul Lindau</span>, <b>Helene Jung</b>.<br />
-<span class="sb">Voß</span>, <b>Kinder des Südens</b>.<br />
-<b>Was der heilige Joseph vermag</b>.<br />
-<span class="sb">v.&nbsp;Wolzogen</span>, <b>Die Kinder der Excellenz</b>.</p>
-
-
-<p class="ci mt1 ce nopb">Doppel-Bände:</p>
-
-<p class="in0"><span class="sb">Conway</span>, <b>Eine Familiengeschichte</b>.<br />
-<span class="sb">Croker</span>, <b>Die hübsche Miß Neville</b>.<br />
-<span class="sb">Hopfen</span>, <b>Robert Leichtfuß</b>.<br />
-<span class="sb">Ohnet</span>, <b>Der Hüttenbesitzer</b>.<br />
-<span class="sb">v.&nbsp;Wolzogen</span>, <b>Der Thronfolger</b>.<br />
-<span class="sb">&emsp;&emsp;&emsp;"&emsp;&emsp;&emsp;</span><b>Die tolle Komteß</b>.</p>
-
-</div>
-
-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<hr />
-
-
-<h2>Hinweise zur Transkription</h2>
-
-
-<p class="in0">Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.</p>
-
-<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten:</p>
-
-<p class="ci"><span class="ge">gesperrt</span> &ndash; <i>kursiv</i> &ndash; <b>fett</b> &ndash; <span class="ss">Antiqua</span> &ndash; <span class="sb">Schwabacher</span></p>
-
-<p class="in0">Die Verlagsreklame wurde am Buchende zusammengefasst.</p>
-
-<p class="in0">Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
-einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise
-"Schooß" &ndash; "Schoß",</p>
-
-<p class="in0">mit folgenden Ausnahmen,</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_022">22</a>:<br />
-"." eingefügt<br />
-(Erstaunt, beinahe erschreckt, blickte sie auf.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_042">42</a>:<br />
-"," eingefügt"<br />
-(»Ich hatte geglaubt,« sagte er langsam)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_068">68</a>:<br />
-"," geändert in "."<br />
-(Stumm drückte sie ihm die Hand.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_072">72</a>:<br />
-"," eingefügt<br />
-(fuhr er fort, »weil ich sah)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_090">90</a>:<br />
-"«" entfernt hinter "Vermögen?"<br />
-(Ja, wo war denn ihr eigenes Vermögen?)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_099">99</a>:<br />
-"," geändert in "."<br />
-(ihre Kniee aneinander, als wollte er sie zermalmen.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_109">109</a>:<br />
-"," eingefügt hinter "trug"<br />
-(eines der braunsamtnen Pantöffelchen, die sie trug, vom Fuße)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_123">123</a>:<br />
-"Entsetz-ichen" geändert in "Entsetzlichen"<br />
-(von all dem Dunklen, Entsetzlichen!)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_127">127</a>:<br />
-"," eingefügt"<br />
-(»Bist du's, Eberhard?« fragte sie schläfrig.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_130">130</a>:<br />
-"«" eingefügt<br />
-(»Aber Eberhard &ndash; was machst du denn?«)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_134">134</a>:<br />
-"," eingefügt<br />
-(»Hilf mir!« seufzte sie, »hilf mir!«)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_141">141</a>:<br />
-"," geändert in "."<br />
-(und in zwei bammelnden Enden über seinen Arm hing.)</p>
-
-<p class="ci">Seite <a class="nd" href="#page_155">155</a>:<br />
-"»" entfernt vor "dreißig"<br />
-(ergangen ist; dreißig Jahre bin ich alt geworden)</p>
-
-<p class="ci">im Reklameteil:<br />
-"Fortsetzung siehe am Schluß dieses Bandes." wurde entfernt</p>
-
-<p>&nbsp;</p>
-<p>&nbsp;</p>
-<hr class="full" />
-<p>***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS WANDERNDE LICHT***</p>
-<p>******* This file should be named 55580-h.htm or 55580-h.zip *******</p>
-<p>This and all associated files of various formats will be found in:<br />
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-<p>
-Updated editions will replace the previous one--the old editions will
-be renamed.</p>
-
-<p>Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
-law means that no one owns a United States copyright in these works,
-so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
-States without permission and without paying copyright
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-not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
-trademark license, especially commercial redistribution.
-</p>
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-<h2 class="pg">START: FULL LICENSE<br />
-<br />
-THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br />
-PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</h2>
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-<p>To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
-distribution of electronic works, by using or distributing this work
-(or any other work associated in any way with the phrase "Project
-Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
-Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
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-electronic works. See paragraph 1.E below.</p>
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-Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
-of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
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-States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
-United States and you are located in the United States, we do not
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-what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
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-other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
-representations concerning the copyright status of any work in any
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-prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
-on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
-phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
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- States and most other parts of the world at no cost and with almost
- no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use
- it under the terms of the Project Gutenberg License included with
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- at <a href="http://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
- are not located in the United States, you'll have to check the laws
- of the country where you are located before using this
- ebook.</p></blockquote>
-
-<p>1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
-derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
-contain a notice indicating that it is posted with permission of the
-copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
-the United States without paying any fees or charges. If you are
-redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
-Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
-either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
-obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
-trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.</p>
-
-<p>1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
-with the permission of the copyright holder, your use and distribution
-must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
-additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
-will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
-posted with the permission of the copyright holder found at the
-beginning of this work.</p>
-
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-License terms from this work, or any files containing a part of this
-work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.</p>
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-electronic work, or any part of this electronic work, without
-prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
-active links or immediate access to the full terms of the Project
-Gutenberg-tm License.</p>
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-compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
-any word processing or hypertext form. However, if you provide access
-to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
-other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
-version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
-(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
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-of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
-Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
-full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.</p>
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-<p>1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
-performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
-unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.</p>
-
-<p>1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
-access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
-provided that</p>
-
-<ul>
-<li>You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
- the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
- you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
- to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
- agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
- within 60 days following each date on which you prepare (or are
- legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
- payments should be clearly marked as such and sent to the Project
- Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
- Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
- Literary Archive Foundation."</li>
-
-<li>You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
- you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
- does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
- License. You must require such a user to return or destroy all
- copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
- all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
- works.</li>
-
-<li>You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
- any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
- electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
- receipt of the work.</li>
-
-<li>You comply with all other terms of this agreement for free
- distribution of Project Gutenberg-tm works.</li>
-</ul>
-
-<p>1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
-Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
-are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
-from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
-Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
-trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.</p>
-
-<p>1.F.</p>
-
-<p>1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
-effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
-works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
-Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
-electronic works, and the medium on which they may be stored, may
-contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
-or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
-intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
-other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
-cannot be read by your equipment.</p>
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-of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
-Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
-Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
-liability to you for damages, costs and expenses, including legal
-fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
-LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
-PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
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-LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
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-DAMAGE.</p>
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-defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
-receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
-written explanation to the person you received the work from. If you
-received the work on a physical medium, you must return the medium
-with your written explanation. The person or entity that provided you
-with the defective work may elect to provide a replacement copy in
-lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
-or entity providing it to you may choose to give you a second
-opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
-the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
-without further opportunities to fix the problem.</p>
-
-<p>1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
-in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
-OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
-LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.</p>
-
-<p>1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
-warranties or the exclusion or limitation of certain types of
-damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
-violates the law of the state applicable to this agreement, the
-agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
-limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
-unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
-remaining provisions.</p>
-
-<p>1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
-trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
-providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
-accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
-production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
-electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
-including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
-the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
-or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
-additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
-Defect you cause. </p>
-
-<h3>Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm</h3>
-
-<p>Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.</p>
-
-<p>Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
-goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
-www.gutenberg.org.</p>
-
-<h3>Section 3. Information about the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation</h3>
-
-<p>The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state's laws.</p>
-
-<p>The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
-mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
-volunteers and employees are scattered throughout numerous
-locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
-Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
-date contact information can be found at the Foundation's web site and
-official page at www.gutenberg.org/contact</p>
-
-<p>For additional contact information:</p>
-
-<p> Dr. Gregory B. Newby<br />
- Chief Executive and Director<br />
- gbnewby@pglaf.org</p>
-
-<h3>Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
-Literary Archive Foundation</h3>
-
-<p>Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
-spread public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.</p>
-
-<p>The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
-state visit <a href="http://www.gutenberg.org/donate">www.gutenberg.org/donate</a>.</p>
-
-<p>While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.</p>
-
-<p>International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.</p>
-
-<p>Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate</p>
-
-<h3>Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.</h3>
-
-<p>Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
-volunteer support.</p>
-
-<p>Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.</p>
-
-<p>Most people start at our Web site which has the main PG search
-facility: www.gutenberg.org</p>
-
-<p>This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.</p>
-
-</body>
-</html>
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